Protokoll:
14069

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 69

  • date_rangeDatum: 11. November 1999

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 23:01 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/69 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 69. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Brigitte Lange ....................................... 6103 A Eintritt des Abgeordneten Albrecht Feibel in den Deutschen Bundestag ................................ 6103 A Erweiterung der Tagesordnung ....................... 6103 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 9 und 13 6104 A Tagesordnungspunkt 3: a) Regierungserklärung des Bundeskanz- lers zum Stand der Deutschen Einheit .... 6104 A b) Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht 1999 der Bundesregie- rung zum Stand der Deutschen Einheit (Drucksache 14/1825) ................................ 6104 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Dr.-Ing. Paul Krüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU Weiterführung des Jahresberichtes der Bundesregierung zum Stand der Deut- schen Einheit (Drucksache 14/1715) ........ 6104 A d) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der neuen Länder – zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Die wirtschaftliche Stärkung der neuen Länder – Voraussetzung für die Gestaltung der Deutschen Ein- heit – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Dr. Angela Merkel, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion CDU/CSU Aufbau Ost endlich wieder richtig machen – zu dem Antrag der Abgeordneten Jür- gen Türk, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P. Aufbau Ost muß weitergehen – zu dem Antrag der Fraktion PDS Fahrplan zur Angleichung der Le- bensverhältnisse und zur Herstel- lung von mehr Rechtssicherheit in Ostdeutschland – „Chefsache Ost“ (Drucksachen 14/1210, 14/1277, 14/1542, 14/1551, 14/2032) ................. 6104 B e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nor- bert Otto (Erfurt), Dirk Fischer (Ham- burg), weiterer Abgordneter und der Fraktion CDU/CSU Realisierung des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit (VDE) Nr. 8 Schienenneubaustrecke Nürnberg- Erfurt-Halle/Leipzig-Berlin – zu dem Antrag der Abgeordneten Cor- nelia Pieper, Dr. Karlheinz Guttma- cher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P. Verkehrsprojekte Deutsche Einheit müssen zügig realisiert werden (Drucksachen 14/1208, 14/1543, 14/2047) ............................................... 6104 C Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 6104 D Arnold Vaatz CDU/CSU ................................. 6110 A II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 Dr. Peter Struck SPD ........................................ 6113 C Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. ......................... 6117 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 6120 D Dr. Michael Luther CDU/CSU .................... 6122 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ............. 6125 A Dr. Gregor Gysi PDS........................................ 6126 B Dr. Harald Ringstorff, Ministerpräsident (Mecklenburg-Vorpommern) .......................... 6130 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU.................. 6132 B Rolf Schwanitz, Staatsminister BK .................. 6135 D Cornelia Pieper F.D.P. ...................................... 6138 C Markus Meckel SPD ........................................ 6140 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU. 6141 C Katherina Reiche CDU/CSU ........................... 6142 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................. 6145 A Günter Nooke CDU/CSU ................................ 6146 A Sabine Kaspereit SPD ...................................... 6147 D Dr. Michael Luther CDU/CSU ........................ 6149 C Frank Hempel SPD .......................................... 6152 D Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU ...................... 6155 C Frank Hempel SPD .......................................... 6156 A Tagesordnungspunkt 4: Große Anfrage der Abgeordneten Maria Eichhorn, Hannelore Rönsch (Wiesba- den), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 14/679, 14/1717) ..................................................... 6157 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 6157 B Christel Hanewinckel SPD .......................... 6159 A Dr. Klaus Grehn PDS ...................................... 6160 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 6160 A Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ ........................................................... 6160 B Ina Lenke F.D.P. .............................................. 6162 B Dr. Edith Niehuis SPD ..................................... 6164 C Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 6164 D Dr. Edith Niehuis SPD ..................................... 6165 A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 6165 B Dr. Ilja Seifert PDS ......................................... 6167 A Arne Fuhrmann SPD ....................................... 6168 B Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU ........... 6171 A Kurt Bodewig SPD .......................................... 6172 C Erika Reinhardt CDU/CSU ......................... 6173 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 6174 B Renate Diemers CDU/CSU ............................. 6175 C Christa Lörcher SPD ....................................... 6177 B Erika Reinhardt CDU/CSU ......................... 6178 D Vizepräsident Rudolf Seiters ........................... 6172 D Tagesordnungspunkt 14: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung und Ergänzung ver- mögensrechtlicher und anderer Vor- schriften (Vermögensrechtsergänzungs- gesetz) (Drucksache 14/1932) ................... 6179 D b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Fred Gebhardt, Dr. Heinrich Fink, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialis- mus (Drucksache 14/1002) ....................... 6179 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren Antrag der Abgeordneten Ursula Bur- chardt, Monika Griefahn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Angelika Beer, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Förderung der Friedens- und Konflikt- forschung (Drucksache 14/1963) ............. 6180 A Tagesordnungspunkt 15: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (Drucksa- chen 14/1415, 14/2017) ............................. 6180 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Me- liorationsanlagengesetzes (Drucksachen 14/1832, 14/2045) ...................................... 6180 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 III c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verarbeitung und Nutzung der zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates erhobenen Daten und zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes (Ver- ordnung (EG) Nr. 820/97 – Durchfüh- rungsgesetz) (Drucksachen 14/1856, 14/2001) ..................................................... 6180 D d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dünge- mittelgesetzes (Drucksachen 14/1857, 14/2002) ..................................................... 6181 A e) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll zur Änderung des Übereinkom- mens vom 23. Juli 1990 über die Besei- tigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (Drucksa- chen 14/1653, 14/1846, 14/1897) .............. 6181 B f) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 3. Dezember 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Belarus über den Luftver- kehr (Drucksache 14/1026, 14/1964) ......... 6181 C g) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 23. April 1998 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tschechischen Republik über den Luft- verkehr (Drucksachen 14/1025, 14/1965) 6181 D h) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 29. Mai 1998 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Mongolei über den Fluglinienverkehr (Drucksachen 14/1024, 14/1966) ............... 6181 D i) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 10. März 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika über den Luft- verkehr (Drucksachen 14/1023, 14/1967) 6182 A j) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll vom 12. November 1997 zur Er- gänzung des Abkommens vom 2. No- vember 1987 zwischen der Bundesre- publik Deutschland und Neuseeland über den Luftverkehr (Drucksachen 14/1022, 14/1968) ...................................... 6182 A k) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 15. Juni 1998 zur Ergän- zung des Luftverkehrsabkommens vom 2. März 1994 zwischen der Bundesre- publik Deutschland und den Vereinig- ten Arabischen Emiraten (Drucksachen 14/1021, 14/1969) ...................................... 6182 B l) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Mai 1998 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Armenien über den Luftver- kehr (Drucksachen 14/1020, 14/1970) ..... 6182 C m) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu den Än- derungen vom 24. April 1998 des Über- einkommens vom 3. September 1976 über die Internationale Organisation für mobile Satellitenkommunikation (Inmarsat-Übereinkommen) (Drucksa- chen 14/1089, 14/1974) ............................. 6182 C n) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 21. Dezember 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Armenien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksa- chen 14/1008, 14/1975) ............................. 6182 D o) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-Abkommen vom 24. November 1997 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitglied- staaten einerseits und dem Haschemiti- schen Königreich Jordanien anderer- seits (Drucksachen 14/1006, 14/1976) ...... 6183 A p) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Sechsundneunzigste Ver- ordnung zur Änderung der Ausfuhrli- ste – Anlage AL zur Außenwirtschafts- verordnung – (Drucksachen 14/1414, 14/1616 Nr. 2.1, 14/2034) ......................... 6183 B IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 q) Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu den Verfahren nach § 44b Abgeordnetengesetz Überprüfung auf Tätigkeit oder politi- sche Verantwortung für das Ministe- rium für Staatssicherheit/Amt für Na- tionale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Drucksache 14/1900) ................................ 6183 C r) und s) Beschlußempfehlungen des Petitionsaus- schusses Sammelübersichten 92 und 93 zu Peti- tionen (Drucksachen 14/1980, 14/1981) ... 6183 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (Drucksachen 14/1666, 14/2038) ............... 6183 D Tagesordnungspunkt 5: – Zweite und dritte Beratung des Ent- wurfs eines Gesetzes zur Fortfüh- rung der ökologischen Steuerreform (Drucksachen 14/1524, 14/1668, 14/2027, 14/2044, 14/2049, 14/2050) .. 6184 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiteren Abgeordneten und der Frak- tion F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes über eine ökologisch wirklich wirksame Umstellung der Besteuerung ohne Mehrbelastung für Bürger und Wirtschaft (Druck- sachen 14/399, 14/2027, 14/2044, 14/2049, 14/2050) ................................ 6184 A Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD .............. 6184 C Hartmut Schauerte CDU/CSU ..................... 6185 B Heinz Seiffert CDU/CSU ................................ 6187 D Ulrich Heinrich F.D.P. ................................. 6188 D Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD .......... 6189 B Hans Michelbach CDU/CSU ....................... 6189 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 6190 C Jürgen W. Möllemann F.D.P. ........................... 6192 D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 6194 C Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD ............. 6195 A Jürgen W. Möllemann F.D.P. .......................... 6195 B Dr. Gregor Gysi PDS ....................................... 6195 D Peter Rauen CDU/CSU ................................... 6197 B Horst Kubatschka SPD .................................... 6198 D Birgit Homburger F.D.P................................... 6200 C Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU ....................... 6201 A Joachim Poß SPD ............................................ 6202 B Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 6202 D Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU ....................... 6203 B Dr. Hermann Scheer SPD (Erklärung nach § 31 GO) .......................................................... 6203 D Kurt Bodewig SPD (Erklärung nach § 31 GO) 6204 D Namentliche Abstimmung über den Ände- rungsantrag der CDU/CSU-Fraktion ............... 6205 A Ergebnis ........................................................... 6205 D Namentliche Abstimmung über den Ände- rungsantrag der F.D.P.-Fraktion ...................... 6208 A Ergebnis ........................................................... 6208 C Namentliche Abstimmung über den Ände- rungsantrag der SPD-Fraktion ......................... 6211 A Ergebnis ........................................................... 6213 C Tagesordnungspunkt 6: a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer „Stiftung Denk- mal für die ermordeten Juden Euro- pas“ (Drucksache 14/2013) ....................... 6211 C b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto, Dr. Wolfgang Ger- hardt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gründung einer „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ (Drucksache 14/1996) ... 6211 D c) Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ (Drucksache 14/2014) ... 6211 D Monika Griefahn SPD ..................................... 6212 A Dr. Norbert Lammert CDU/CSU .................... 6215 B Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 6217 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. ................. 6218 D Dr. Heinrich Fink PDS .................................... 6220 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 V Michael Roth (Heringen) SPD ......................... 6220 D Dr. Norbert Lammert CDU/CSU ................. 6221 A Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU ......................... 6222 A Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ............................................................. 6222 D Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ..................................................... 6223 B Dr. Michael Naumann, Staatsminister BK ...... 6224 B Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU ..................... 6225 B Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. .................. 6226 A Dr. Michael Naumann, Staatsminister BK ....... 6226 B Eckhardt Barthel (Berlin) SPD ........................ 6226 D Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde betr. Pläne der Bun- desregierung zur Erhöhung der Erb- schaftssteuer .............................................. 6226 D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. .............................. 6228 A Joachim Poß SPD ............................................ 6229 C Elke Wülfing CDU/CSU ................................. 6230 C Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ............................................ 6231 D Dr. Barbara Höll PDS ...................................... 6233 A Gisela Frick F.D.P. .......................................... 6234 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF ................................................................. 6235 C Otto Bernhardt CDU/CSU ............................... 6237 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 6238 B Jörg-Otto Spiller SPD ...................................... 6239 C Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/ CSU .................................................................. 6240 D Nicolette Kressl SPD ....................................... 6242 A Hans Michelbach CDU/CSU ........................... 6243 A Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD .............. 6244 B Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Günther Friedrich Nolting, weiteren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 12a) (Drucksa- che 14/1728 (neu)) ..................................... 6245 B Ina Lenke F.D.P. .............................................. 6245 C Anni Brandt-Elsweier SPD .............................. 6246 D Irmgard Karwatzki CDU/CSU ........................ 6249 A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 6250 C Birgit Homburger F.D.P. ............................. 6251 A Birgit Homburger F.D.P. ................................. 6252 C Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 6253 A Petra Bläss PDS ............................................... 6253 C Cornelia Pieper F.D.P. ................................. 6253 D Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. ............... 6254 C Verena Wohlleben SPD ................................... 6254 D Paul Breuer CDU/CSU .................................... 6256 A Verena Wohlleben SPD ................................... 6256 C Annette Widmann-Mauz CDU/CSU ............... 6256 C Tagesordnungspunkt 8: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Winfried Wolf, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Kein Bau einer Magnetschwebebahn Hamburg-Berlin – Transrapid-För- derung einstellen (Drucksachen 14/38, 14/339) ....................................................... 6258 A Dr. Winfried Wolf PDS ................................... 6258 B Reinhard Weis (Stendal) SPD ......................... 6259 A Georg Brunnhuber CDU/CSU ........................ 6260 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ............................................ 6262 C Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. ................... 6264 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlußemfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses – zu dem Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und F.D.P. OSZE-Gipfel in Istanbul – für eine Stärkung der Handlungsfähigkeit der OSZE – zu dem Antrag der Fraktion PDS Neue europäische Sicherheitsarchi- tektur (Drucksachen 14/1771, 14/1959) ............................................... 6265 A Tagesordnungspunkt 10: Große Anfrage der Abgeordneten Ulla Lötzer, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion PDS Internationales Kartellrecht, Unter- nehmensfusionen und -konzentrationen (Drucksachen 14/1403, 14/1824) .............. 6265 C VI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 Nächste Sitzung ............................................... 6265 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 6267 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Leo Dautzenberg (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Ökologischen Steuerreform Drucksache 14/2065 (Tagesordnungspunkt 5) 6267 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ulrich Adam (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Ökologischen Steuerreform Drucksache 14/2065 (Tagesordnungspunkt 5) 6267 D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Norbert Formanski, Volker Jung (Düssel- dorf), Jutta Müller (Völklingen), Ulla Bur- chardt, Christel Humme, Reinhard Schultz (Everswinkel), Nicolette Kressl, Jörg-Otto Spiller, Jochen Welt, Uwe Göllner, Michael Müller (Düsseldorf), Hans-Eberhard Urbani- ak, Dieter Grasedieck, Dieter Dzewas, Adolf Ostertag, Hans-Günter Bruckmann, Wolfgang Weiermann, Hans-Peter Kemper, Klaus Ha- senfratz, Marianne Klappert, Dagmar Schmidt (Meschede), Rainer Fornahl, Dr. Angelica Schwall-Düren, Ingrid Arndt-Brauer, Fried- helm Julius Beucher, Rolf Hempelmann, Walter Schöler, Ingrid Becker-Inglau, Peter Enders und Waltraud Lehn (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der ökologi- schen Steuerreform (Tagesordnungspunkt 5) .. 6268 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Anni Brandt-Elsweier, Kurt Bodewig, Regina Schmidt-Zadel, Klaus Brandner, Reinhold Hemker, Rolf Stöckel, Dr. Rainer Wend, Wolfgang Grotthaus, Hans-Werner Bertl, Willi Brase, Helga Kühn-Mengel, Fritz Schösser, Lilo Friedrich (Mettmann), Karin Kortmann, Dagmar Freitag, Bernd Scheelen, Dietmar Nietan (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Fortführung der ökologischen Steuer- reform (Tagesordnungspunkt 5) ...................... 6268 B Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrich Adam (CDU/CSU), Barbara Wittig (SPD), Klaus Lennartz (SPD) zur Abstim- mung über den Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Ökologischen Steuerre- form Drucksache 14/2065 (Tagesordnungs- punkt 5) ............................................ 6268 C Anlage 7 Erklärung des Abgeordneten Hans-Peter Kemper (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der ökologischen Steuerreform (Tagesordnungs- punkt 5) ............................................................ 6270 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – OSZE-Gipfel in Istanbul – für eine Stär- kung der Handlungsfähigkeit der OSZE und – Neue europäische Sicherheitsarchitektur (Zusatztagesordnungspunkt 5) Uta Zapf SPD .................................................. 6270 C Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU ............. 6271 B Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 6271 D Walter Hirche F.D.P. ...................................... 6272 B Wolfgang Gehrcke PDS ................................... 6273 A Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 6273 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Internationales Kartell- recht, Unternehmensfusionen und -konzentra- tionen (Tagesordnungspunkt 10) Ursula Lötzer PDS .......................................... 6274 D Dr. Uwe Jens SPD ........................................... 6275 C Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 6276 A Gudrun Kopp F.D.P ......................................... 6277 A Siegmar Mosdorf SPD ..................................... 6277 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6103 (A) (C) (B) (D) 69. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Anlage 9 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6267 (A) (C) (B) (D) Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Andres, Gerd SPD 11.11.99 Balt, Monika PDS 11.11.99 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.11.99 Böttcher, Maritta PDS 11.11.99 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 11.11.99 Ehlert, Heidemarie PDS 11.11.99 Friedrich (Altenburg), Peter SPD 11.11.99 Gebhardt, Fred PDS 11.11.99 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 11.11.99 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 11.11.99 * Gröhe, Hermann CDU/CSU 11.11.99 Haupt, Klaus F.D.P. 11.11.99 Dr. Hendricks, Barbara SPD 11.11.99 Hovermann, Eike SPD 11.11.99 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 11.11.99 Dr. Lamers (Heidelberg), Karl A. CDU/CSU 11.11.99 * Lippmann, Heidi PDS 11.11.99 Nietan, Dietmar SPD 11.11.99 Oesinghaus, Günter SPD 11.11.99 Ohl, Eckhard SPD 11.11.99 Otto (Frankfurt), Hans-Joachim F.D.P. 11.11.99 Pflug, Johannes SPD 11.11.99 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 11.11.99 Rachel, Thomas CDU/CSU 11.11.99 Rühe, Volker CDU/CSU 11.11.99 Schöler, Walter SPD 11.11.99 Dr. Scholz, Rupert CDU/CSU 11.11.99 Simm, Erika SPD 11.11.99 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 11.11.99 ————— *) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung der NATO Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Leo Dautzenberg (CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Ökologischen Steuerreform – Drucksache 14/2065 – (Tagesordnungspunkt 5) Durch den vorliegenden Antrag der Fraktion der CDU/CSU soll die Begünstigung (völlige Befreiung von der Heizstoffsteuer) gestrichen werden. Dies betrifft ausnahmslos GuD-Anlagen. Durch die be- sondere Situation meines Wahlkreises Heinsberg in Bezug zu Garzweiler II kann ich diesen Punkt nicht mittragen. Da ich die Ökosteuer in der vorliegenden Form für falsch halte, enthalte ich mich deshalb der Stimme. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ulrich Adam (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Ökologischen Steuerreform – Drucksache 14/2065 – (Tagesordnungspunkt 5) Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung festge- legte Beschränkung der Steuerentlastung auf Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad der Energieausnutzung von 57,5 Prozent könnte erhebliche Auswirkungen auf das in Lubmin bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern geplante Großkraftwerk haben. Entgegen dem eigent- lichen Vorschlag wurde der Monatsnutzungsgrad von den ursprünglich vorgesehenen 57 Prozent auf 57,5 Pro- zent angehoben. Es dürfte schwierig sein, ein Unter- nehmen auszumachen, das den sehr hohen Wirkungs- grad von 57,5 Prozent zu ökonomisch vertretbaren Konditionen garantieren könnte. Dies könnte den Fort- gang des Projektes um Monate aufhalten bzw. ganz ge- fährden. Die im Änderungsantrag nur geplante nochmalige Erhöhung des Monatsnutzungsgrades auf mindestens 70 Prozent macht die 400-Milliarden-Investition am Standort Lubmin faktisch unmöglich. Daher lehne ich diesen Änderungsantrag ab. 6268 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 (A) (C) (B) (D) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Norbert Formanski, Volker Jung (Düsseldorf), Jutta Müller (Völklingen), Ulla Burchardt, Christel Humme, Reinhard Schultz (Everswinkel), Nicolette Kressl, Jörg- Otto Spiller, Jochen Welt, Uwe Göllner, Michael Müller (Düsseldorf), Hans-Eberhard Urbaniak, Dieter Grasedieck, Dieter Dzewas, Adolf Ostertag, Hans-Günter Bruckmann, Wolfgang Weiermann, Hans-Peter Kemper, Klaus Hasenfratz, Marianne Klappert, Dagmar Schmidt (Meschede), Rainer Fornahl, Dr. Angelica Schwall-Düren, Ingrid Arndt-Brauer, Friedhelm Julius Beucher, Rolf Hempelmann, Walter Schöler, Ingrid Becker-Inglau, Peter Enders und Waltraud Lehn (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Fortführung der ökolo- gischen Steuerreform (Tagesordnungspunkt 5) Die Unterzeichner der Erklärung stimmen der Fort- führung der ökologischen Steuerreform zu, weil sie die Maßnahmen zur Verteuerung des Energieverbrauchs bei gleichzeitiger Entlastung der Kosten der Arbeit für rich- tig und zukunftsweisend halten. Hinter dieser Bewertung muß die Ablehnung der in dem Gesetz vorgesehenen Befreiung von hochwirk- samen GuD-Kraftwerken von der Mineralölsteuer auf Erdgas zurückstehen. Diese Steuerbefreiung begünstigt Verstromung von Gas in der Grundlast zulasten von Braun- und Steinkohle. Die Unterzeichner erklären, daß sie einer Nachfolge- regelung für diesen zeitlich befristeten Beihilfetatbe- stand nicht zustimmen werden. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Anni Brandt-Elsweier, Kurt Bodewig, Regina Schmidt-Zadel, Klaus Brand- ner, Reinhold Hemker, Rolf Stöckel, Dr. Rainer Wend, Wolfgang Grotthaus, Hans-Werner Bertl, Willi Brase, Helga Kühn-Mengel, Fritz Schösser, Lilo Friedrich (Mettmann), Karin Kortmann, Dagmar Freitag, Bernd Scheelen, Dietmar Nietan (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Fortführung der ökolo- gischen Steuerreform (Tagesordnungspunkt 5) Die Unterzeichner dieser Erklärung stimmen der Fortführung der ökologischen Steuerreform zu, weil sie die Maßnahmen zur Verteuerung des Energieverbrauchs bei gleichzeitiger Entlastung der Kosten der Arbeit für richtig und zukunftsweisend halten. Hinter dieser Bewertung muß die Ablehnung der in dem Gesetz vorgesehenen Befreiung von hochwirk- samen GuD-Kraftwerken von der Mineralölsteuer auf Erdgas zurückstehen. Diese Steuerbefreiung begünstigt Verstromung von Gas in der Grundlast möglicherweise zulasten von Braun- und Steinkohle. Die Unterzeichner erklären, daß sie einer Nachfolge- regelung für diesen zeitlich befristeten Beihilfetatbe- stand nicht zustimmen werden. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO Zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der ökologischen Steuerreform (Tagesordnungspunkt 5) Ulrich Adam (CDU/CSU): Im Hinblick auf die 2./3. Lesung des von den Fraktionen SPD und Bündnis 90/ Die Grünen eingebrachten Entwurfs eines „Gesetzes zur Fortführung der ökologischen Steuerreform“ gebe ich bekannt, daß ich einerseits aufgrund der bekannten Ar- gumente der CDU/CSU-Fraktion gegen dieses Gesetz stimmen werde, andererseits aber vor allem auch hin- sichtlich der nach den Gesetzentwürfen der Koalitions- fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie der Bundesregierung geplanten Begünstigung (Vergü- tung der vollen Heizstoffsteuer) in Anlagen mit Gastur- binen von netto mindestens 57,5 Prozent. Entgegen dem eigentlichen Vorschlag wurde die Beschränkung der Steuerentlastung auf Kraftwerke mit einem Wirkungs- grad der Energieausnutzung von den ursprünglich vor- gesehenen 57 Prozent auf 57,5 Prozent angehoben. Der nun im Gesetzentwurf festgelegte Wirkungsgrad von 57,5 Prozent könnte erhebliche Auswirkungen auf das in Lubmin bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern geplante Großkraftwerk haben. Es dürfte schwierig sein, ein Unternehmen auszuma- chen, das den sehr hohen Wirkungsgrad von 57,5 Pro- zent zu ökonomisch vertretbaren Konditionen garantie- ren könnte. Dies könnte den Fortgang des Projektes um Monate aufhalten bzw. ganz gefährden. Barbara Wittig (SPD): Eine Befreiung von GuD- Anlagen von der Mineralölsteuer hat meines Erachtens mittel- und langfristig folgenschwere Konsequenzen, insbesondere für die ostdeutsche Braunkohlewirtschaft und die Verstromung der Braunkohle. Ich kann nicht nachvollziehen, daß auf sichere heimische Energieträger zugunsten einer stärkeren Importabhängigkeit verzichtet werden soll. Wenn GuD-Anlagen mit einer wesentlich geringeren Beschäftigungsintensität in der Gesamtkette Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6269 (A) (C) (B) (D) gegenüber der Braunkohleverstromung diese mittel- und langfristig zurückdrängt oder ablöst, stellt sich für mich die Frage der Kompensation, d.h. es muß geklärt wer- den, wie entsprechende Arbeitsplatzverluste kompen- siert werden und Strukturprobleme in den betroffenen Braunkohleregionen gelöst werden sollen. Verschärft wird die Beschäftigungslage in den betrof- fenen ostdeutschen Ländern noch durch das am 22. Ok- tober dieses Jahres von den VEAG-Eignern, deren Vor- stand und Bundeswirtschaftsminister Müller ausgehan- delte Modell hinsichtlich der Verstromung der ostdeut- schen Braunkohle. Dies ist zwar ein Schritt in eine mögliche Richtung im Zusammenhang mit der Anpas- sung der Strompreise in Ost und West. Mit dem Ver- zicht auf den Gesprächsbereich Vermarktung wird aber in Wirklichkeit die unternehmerische Eigenständigkeit und Handlungsfähigkeit der VEAG drastisch reduziert, und ein weiterer erheblicher Abbau von Arbeitsplätzen ist vorprogrammiert. Ostdeutsche Bundesländer wären also doppelt betrof- fen. Das kann ich angesichts einer Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 25 Prozent im Lausitzer Revier nicht mittragen. Klaus Lennartz (SPD): Das Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform beinhaltet die Mineral- ölsteuerbefreiung für Gas- und Dampfkraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 57,5 Prozent. Da dieser Wir- kungsgrad nach dem heutigen Stand der Technik bereits erreicht werden kann, handelt es sich hierbei um eine Subventionszahlung, ohne daß damit technologische In- novationen verbunden wären. Um tatsächliche technolo- gische Erneuerungen bei GuD-Anlagen auszulösen, hätte das Erreichen des Wirkungsgrads von 57,5 Prozent (elektrisch) von dem Jahresnutzungsgrad abhängig ge- macht werden müssen. Dieser Konsens war innerhalb der Koalition nicht zu erzielen, da in dieser Frage Bünd- nis 90/Die Grünen keinerlei Kompromißbereitschaft zeigten und nicht bereit waren, sachliche und fachliche Argumente zu akzeptieren. Durch die Mineralölsteuerbefreiung von GuD- Anlagen mit einem Wirkungsgrad von 57,5 Prozent ent- steht ein Kostenvorteil von 0,7 Pfennig je Kilowatt- stunde bei den Brennstoffkosten, was die Wettbewerbs- situation aller anderen Stromerzeugungsarten, d.h. auch KWK und regenerative Energien, verschlechtern wird. Dies hätte nach internen Kostenabschätzungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zur Folge, daß GuD-Anlagen bis in den oberen Grundlast- bereich wirtschaftlich wären. Dadurch wird ein Ver- drängungswettbewerb eingeleitet, der insbesondere zu Lasten der ost- und westdeutschen Braunkohle gehen wird. Fakt ist, daß bereits jetzt eine GuD-Anlage von 2 500 MW in Greifswald geplant ist, die den Wirkungs- grad von 57,5 Prozent nach Auffassung aller Experten bereits nach dem heutigen Stand der Technik erreichen kann. Ein weiterer Ausbau entsprechender Anlagen wird folgen, ohne daß damit technologische Innovationen verbunden sind. Tatsächlich handelt es sich hierbei um steuerliche Mitnahmeeffekte zu Lasten der Steuerzahler durch einseitige Subventionierung. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuwei- sen, daß die Braunkohle in den neuen Bundesländern einen beispiellosen Anpassungsprozeß hinter sich hat. Seit der Wiedervereinigung ging die Braunkohle von 300 Mio. t/a auf jetzt 64 Mio. t/a zurück. Die Zahl der Beschäftigten sank von 130 000 um 90 Prozent auf jetzt 13 000. Diese verbliebenen Arbeitsplätze konzentrieren sich auf strukturschwache Gebiete und bilden dort den industriellen Rückhalt. Durch die steuerlichen Subven- tionen der geplanten GuD-Anlagen sind diese 13 000 Arbeitsplätze in Gefahr. Auch im rheinischen Revier steht die Braunkohle unter einem enormen Anpassungs- und Wettbewerbs- druck. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat mit den Unternehmen RWE und Rheinbraun ein 20-Milliarden-Programm vereinbart, daß Braunkohle- kraftwerke mit der BoA-Technik nachgerüstet werden, damit einerseits ein höherer Wirkungsgrad und anderer- seits eine erhebliche Reduktion von Schadstoffen erzielt werden können. Dieses umfangreiche Investitionsvor- haben zur Effizienzsteigerung der Braunkohlekraft- werke wird die Wettbewerbssituation der heimischen Braunkohle erheblich verbessern und Arbeitsplätze sichern. Insgesamt sind bei den Unternehmen Rhein- braun 11 000 Menschen und bei RWE allein im Kraft- werksbereich 6 000 Menschen beschäftigt. Unter Be- rücksichtigung der Sekundärarbeitsplätze, die mittelbar und unmittelbar von der Braunkohle abhängen, sind ca. 40 000 Arbeitsplätze betroffen. Zählt man die Familien der Beschäftigten hinzu, sind somit rund 100 000 Men- schen betroffen. Für die westdeutsche Steinkohle gilt das im verschärften Umfang. Auch hier steht die Existenz von 100 000 Menschen auf dem Spiel. Die Befreiung von GuD-Anlagen von der Mineral- ölsteuer wird auch nach Einschätzung des Bundes- ministeriums für Wirtschaft und Technologie – wie im Schreiben vom 10. September 1999 mitgeteilt – mittel- und langfristig folgenschwere Konsequenzen für die rheinische Braunkohle und deutsche Steinkohle haben. Nach meiner Überzeugung muß es das erste Ziel jeder Bundesregierung sein, Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen. Dies gilt selbstverständlich für die alten und neuen Bundesländer. Aufgrund der Gesamtsituation muß man die Äuße- rungen der betroffenen Unternehmen RWE und Rhein- braun, die aufgrund der Steuerbefreiung für GuD- Anlagen ihre Investitionsvorhaben und unternehmeri- schen Planungen auf den Prüfstand stellen wollen, sehr ernst nehmen. Im Klartext bedeutet das, daß die Er- schließung von Garzweiler II und die Durchführung des Modernisierungsprogramms auf dem Prüfstand stehen. Denn auch Unternehmen brauchen sichere und verläßli- che Rahmenbedingungen für ihre Investitionsentschei- dungen. Durch die einseitige steuerliche Bevorteilung ist da- von auszugehen, daß der Anteil des Erdgases an der Stromerzeugung deutlich steigen wird. Bei der politi- schen Betrachtungsweise ist jedoch die Frage der Liefer- sicherheit und Preisstabilität außer acht gelassen wor- den. Die Erdgasversorgung in der Bundesrepublik ist von drei Lieferantenländern abhängig. Dies sind die 6270 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 (A) (C) (B) (D) Niederlande, Norwegen und Rußland. Wie die Ent- wicklung im Osten sein wird, ist nicht vorauszusehen. Insofern ist eine Liefersicherheit nicht gewährleistet. Dies gilt auch für die Preissicherheit. Durch die enge Anbindung der Erdgaspreise an das Öl ist auch hier kei- ne langfristige Kalkulation möglich. In der Konsequenz bedeutet das für den Endverbraucher ein erhebliches Preisrisiko. Neben den erwähnten ökonomischen Nachteilen kommen die ökologischen Aspekte hinzu. Für den Fall, daß das Unternehmen RWE ganz oder teilweise aus dem Modernisierungsprogramm aussteigt, bleiben die alten Kraftwerke mit einem geringen Wirkungsgrad von 35 Prozent und einem relativ hohen Schadstoffausstoß erhalten. Bei der Durchführung des Modernisierungs- programms hingegen wird durch eine verbesserte Tech- nologie eine drastische Reduzierung des Schadstoffaus- stoßes erzielt und die Effizienzsteigerung der Kraftwer- ke bei der Stromerzeugung auf 46 bis 51 Prozent erhöht. Persönlich bin ich der Auffassung, daß die Politik, wenn sie für eine Steuerbefreiung eintritt, die Frage be- antworten muß, wie drohende Arbeitsplatzverluste kom- pensiert und Strukturprobleme gelöst werden können. Mein Ziel ist es, Arbeitsplätze zu schaffen und nicht zu vernichten. Aus diesen Gründen und weil ich die Existenz von Arbeitsplätzen und vielen Familien unmittelbar bedroht sehe, ist es für mich eine Gewissensentscheidung, diesem Gesetz nicht zuzustimmen. Meinen Kolleginnen und Kollegen von der CDU sei ins politische Stammbuch geschrieben, daß ich eine solche abgrundtiefe Heuchelei in dieser Frage selten erlebt habe. Im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages haben die CDU/CSU- Abgeordneten von einem Investitionsverhinderungsge- setz gesprochen und gefordert, den Wirkungsgrad her- abzusetzen. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß die Forderung der CDU/CSU nach einer Herabset- zung des Wirkungsgrades in der Tat der Braunkohle den Todesstoß versetzt hätte. Diese Forderung wird von dem NRW-Landesvorsitzenden der CDU, Jürgen Rüttgers, tunlichst verschwiegen. Abschließend anzumerken ist, daß durch Drängen der SPD im Finanzausschuß der Wirkungsgrad von 55 auf 57,5 Prozent angehoben wor- den ist. Anlage 7 Erklärung des Abgeordneten Hans-Peter Kemper (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Fortführung der ökologischen Steu- erreform (Tagesordnungspunkt 5) Bei der namentlichen Abstimmung habe ich verse- hentlich mit Ja gestimmt. Mein Votum lautet Nein. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – OSZE-Gipfel in Istanbul – für eine Stärkung der Handlungsfähigkeit der OSZE und – Neue europäische Sicherheitsarchitektur (Zusatztagesordnungspunkt 5) Uta Zapf (SPD): Der Istanbuler Gipfel der OSZE steht kurz bevor. Vor einer Woche haben wir dieses Thema schon einmal diskutiert. Dabei sind unsere Sor- gen deutlich geworden, ob dieser Gipfel ein Erfolg sein wird. Die Sorgen sind eher größer geworden. Das Problem des Krieges in Tschetschenien bedrückt uns. Die Situation in Tschetschenien ist nicht besser ge- worden. Zwar kann sich mittlerweile eine Mission der OSZE mit der Lage in Tschetschenien befassen, aber eine Bereitschaft Rußlands, die militärischen Opera- tionen einzustellen, die ja vor allem die Zivilbevöl- kerung treffen, zeichnet sich nicht ab. Rußland verstößt mit diesem Krieg massiv gegen die Prinzipien der OSZE, die wir auch auf diesem Gipfel gestärkt sehen wollen. Der Krieg in Tschetschenien zeigt auch, daß Instru- mente der Krisenprävention immer noch nicht ausrei- chend ausgebaut sind, um Gewalteskalation zu verhin- dern. Wir haben in der letzten Woche ausdrücklich das Recht eines Staates unterstrichen, den Terrorismus zu bekämpfen. Aber in Tschetschenien sehen wir einem Drama zu, in dem ein ganzes Volk bekämpft wird, um Terroristen zu treffen. Wir sehen ein neues Beispiel, wie Mißachtung von Menschenrechten, Diskriminierung von Minderheiten und das Schüren ethnischer und religiöser Konflikte zu Krieg führen können. Die instabilen staatli- chen Strukturen in den ehemaligen Staaten der Sowjet- union und der mangelhaft fortschreitende Prozeß der Demokratie sind ein zusätzliches Krisenrisiko. Kann man den Vertrag zur konventionellen Abrüstung in Eu- ropa und neue politische Grundsätze wie die Sicher- heitscharta unterschreiben, wenn gleichzeitig ein Ver- tragspartner den Vertrag und die politischen Prinzipien der OSZE massiv verletzt? Welche Folgen hätte ein Scheitern des Gipfels? Ein Scheitern würde die OSZE als Organisation entschieden schwächen, eine Organisation, die zur Stabilität in Euro- pa beigetragen hat, die zur Entspannung und gemeinsa- men Sicherheit beigetragen hat durch Vertrauensbil- dung, Transparenz, Abrüstung und Rüstungskontrolle, eine Organisation, die einen Beitrag zur Demokrati- sierung und zur Achtung und Rüstungskontrolle, eine Organisation, die einen Beitrag zur Demokratisierung und zur Achtung der Menschenrechte geleistet hat, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, eine Orga- nisation, die sich Krisenprävention und Friedenserhal- tung auf die Fahnen geschrieben hat und dafür Institu- tionen und Instrumente entwickelt hat und weiterent- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6271 (A) (C) (B) (D) wickelt, eine Organisation, die schon oft erfolgreich ge- wirkt hat. Diese Organisation darf nicht destabilisiert werden. Deshalb stimmen wir, glaube ich, alle überein, daß wir alles tun müssen, um den Gipfel nicht zu gefährden. Deshalb ist es auch richtig, daß die Regierung gestern im Kabinett dem KSE-Vertrag zugestimmt hat. Dieser Vertrag ist in unserem ureigensten Interesse. Wir ver- binden damit auch die Hoffnung, daß die russische Un- terschrift unter den Vertrag ein Mittel in die Hand gibt, zu einer politischen Lösung im Tschetschenien-Konflikt zu kommen. Der Vertrag trägt den neuen sicherheitspolitischen Bedürfnissen in Europa Rechnung. Nach dem Ende der Blockkonfrontation und der NATO-Osterweiterung führt er zu angepaßten Strukturen, die Stabilität in Euro- pa sichern. Ein wichtiges Instrument des Krisenmanagements sind die Missionen der OSZE. Es ist zu begrüßen, daß Rußland jetzt eine solche Mission in Tschetschenien zuläßt. Wir wollen dieses Instrument stärken, und der Gipfel wird einen Beitrag dazu leisten, indem er erste Schritte zum Aufbau eines Pools qualifizierten Personals für diese Aufgaben macht. Wir haben dies lange gefor- dert, weil nur gut geschulte Missionsteilnehmer die schwere und verantwortungsvolle Aufgabe der Ver- mittlung in Konflikten leisten können. Auch die Sicherheitscharta, die in Istanbul beschlos- sen werden soll, wäre ein Fortschritt. Sie soll als poli- tisch bindendes Dokument die Zusammenarbeit der Si- cherheitsorganisationen stärken und die bestehenden rü- stungskontrollpolitischen sowie vertrauens- und sicher- heitsbildenden Maßnahmen verbessern und festigen. Damit wird kooperative Sicherheit in Europa gestärkt. Wir sind auf diese Kooperation angewiesen, weil wir mit Rußland, der Ukraine und allen anderen Staaten vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen. Besonders wichtig ist es, neue Trennlinien in Europa zu vermei- den, die nach der NATO-Erweiterung zu entstehen drohten. Auch und gerade weil innerstaatliche Konflikte in Europa zugenommen haben, bleibt die Stärkung und Fortentwicklung der OSZE wichtig. Ein kooperatives System der Konfliktprävention kann eher den virulenten Gegensatz des Völkerrechtes zwischen Souveränitäts- rechten des Staates und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker ausgleichen. Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und Schutz der Menschenrechte dürfen nicht länger unversöhnliche Prinzipien bleiben. Ange- sichts des Konfliktpotentials in Europa, insbesondere in den Transformationsstaaten, ist eine Stärkung der OSZE als kooperativer Sicherheitsorganisation wichtiger denn je. Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Das Gip- feltreffen der OSZE in Istanbul findet zu einem Zeit- punkt statt, zu dem das massive Vorgehen der russischen Armee in Tschetschenien gegen die Zivilbevölkerung mit großer Brutalität andauert. Es handelt sich nicht um gezielte Aktionen gegen terroristische Aktivitäten, son- dern um eine Strategie der Vertreibung der Bevölkerung durch Bombenangriffe, die hohe Verluste unter Zivili- sten zur Folge haben. Damit wird nicht nur die Genfer Konvention mißachtet, sondern auch die von der OSZE selbst aufgestellten Regeln. Wir begrüßen es, daß eine OSZE-Beobachtermission jetzt in Tschetschenien tätig wird, wenn auch reichlich spät. Das neue Sicherheitskonzept, das in Istanbul auf der Tagesordnung steht, wird allerdings durch die Art dieser Mission von Anfang an unglaubwürdig. Künftig soll die OSZE eigenständig friedenserhaltende Maß- nahmen durchführen können. Die Regierung in Moskau hat der OSZE-Mission in Tschetschenien jedoch nur unter der Bedingung zugestimmt, daß sie auf rein huma- nitäre Aufgaben und die Betreuung von Flüchtlingen be- schränkt bleibt. Der Gipfel droht daher zu einer Doku- mentation der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der OSZE zu werden. Das kann uns nicht gleichgültig sein, weil die Autorität der OSZE als Orga- nisation, die mehr Sicherheit und Stabilität in Europa ermöglichen soll, einmal mehr nachhaltig beschädigt wird. Wird der neue KSE-Vertrag nächste Wochen nun unterzeichnet oder nicht? Wir können diese Frage heute nicht beantworten. Können wir uns überhaupt wün- schen, daß ein Vertrag unterzeichnet wird, der schon bei der Unterschrift ad absurdum geführt wird? Das Argu- ment, Abrüstung sei ein langfristiges Thema, deshalb bräuchten wir einen Erfolg in Istanbul, obwohl Rußland mit seinem Krieg den OSZE-Regeln Hohn spricht, ist gefährlich. Um die OSZE zu stärken, brauchen wir kei- nen Erfolg auf dem Papier, sondern eine handlungsfähi- ge Organisation, die Krisenprävention und Krisenreak- tion im Ernstfall leisten kann, weil sie einen gemein- samen politischen Willen hat, die erforderlichen politi- schen und militärischen Instrumente gemeinsam einzu- setzen. Diese Handlungsfähigkeit besitzt heute nur die NATO. Wir hoffen, daß der OSZE-Gipfel in Istanbul dazu benutzt wird, unserem Partner Rußland eindring- lich klarzumachen, daß er seinen eigenen Interessen schadet, wenn der Vernichtungskrieg in Tschetschenien fortgesetzt wird. Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Zweifel, ob der Istanbuler OSZE-Gipfel gelingen kann, sind in den letzten Tagen nicht weniger geworden. Die Bilder aus den Flüchtlingslagern vermitteln eine Ahnung von dem Ausmaß des Elends, das der Tschetschenien- krieg verursacht. Genaueres werden wir leider in näch- ster Zukunft nicht erfahren. Es ist kein gutes Zeichen, daß Rußland heute der OSZE-Delegation die Einreise nach Tschetschenien verweigert hat. Um so wichtiger ist es – und wir unterstützen die Bundesregierung darin –, weiterhin diplomatischen Druck auf Rußland auszuüben, damit dieser Krieg so schnell wie möglich beendet wird. Wir appellieren auch heute noch einmal an die russi- sche Staatsduma, sich für eine Verhandlungslösung ein- zusetzen. 6272 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 (A) (C) (B) (D) Daß unsere Möglichkeiten, auf Rußland einzuwirken, sehr begrenzt sind, ist kein Geheimnis. Wir wissen auch, daß Rußland im Nordkaukasus die Flankenobergrenzen überschreitet und die OSZE-Konvention verletzt. Aber deshalb in Istanbul den KSE-Anpassungsvertrag nicht zu unterzeichnen wäre ein Fehler. Wir müssen uns weiterhin für Rüstungskontrolle und Abrüstung einsetzen. Und dafür ist die jetzige Anpas- sung des KSE-Vertrags ein wichtiger Schritt. Bei allen Bedenken wegen des Zeitpunkts und der Umstände möchte ich Sie eines fragen: Wären wir in Abrüstungsfragen je so weit gekommen, wenn bei den Vorgängerverträgen den damals noch größeren Zweifeln nachgegeben worden wäre? Ich denke, wir sollten die Unterzeichnung des Ver- trags – hoffentlich auch durch Rußland – nutzen, um dann Druck zu machen: Zum einen, daß Rußland ratifi- ziert, und zum anderen, daß es sich dann auch an das hält, was es unterschrieb. Die Erfahrung hat uns doch gezeigt, wie wichtig die Berufungsmöglichkeit auf un- terschriebene Verträge war, um Fortschritte zu erzielen, beispielsweise im Helsinki-Prozeß bei Menschenrechts- fragen. Wir dürfen bei aller aktuellen Sorge um die Ent- wicklung in Tschetschenien – oder gerade auch deshalb – nicht vergessen, wie wichtig dieser Gipfel in Istanbul für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur ist. Es bleibt eine Herkulesaufgabe, die Rolle der OSZE im Prozeß hin zu einer gesamteuropäischen Friedens- ordnung zu stärken. Die OSZE ist die einzige -euro- asiatische Organisation, die in diesem Raum durch be- harrlichen Einsatz für die Durchsetzung der verbrieften Menschen-, Minderheiten- und demokratischen Rechte steht. Und diese bilden die Wurzeln für Frieden und Sicherheit. Der Hauptverdienst der OSZE lag bisher in ihrer dialogischen Struktur. Manche bezeichnen das als ihre Schwäche. Es könnte aber, indem sie in Istanbul klare Worte gegenüber Rußland findet, auch ihre Stärke sein. Walter Hirche (F.D.P.): Der vorliegende gemeinsa- me Antrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bünd- nis 90/Die Grünen und F.D.P. soll der Bundesregierung breite Unterstützung des Bundestages signalisieren, wenn sie sich in Istanbul für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur einsetzt. Es ist nach Auffassung der F.D.P. in bestem deutschen Interesse, die Fortent- wicklung der Systeme kooperativer Sicherheit wie UNO und OSZE gemeinsam zu betreiben – gut wäre es, wenn dies auch für die Systeme kollektiver Verteidigung wie NATO und WEU gelten würde, wo sich aber insbeson- dere die Grünen schwertun. Für Istanbul gilt, wenn schon die UN-Reform auf der Stelle tritt, kommt hoffentlich die OSZE Schritte voran. Gerade die Ereignisse im Kosovo haben uns ja gelehrt, wie wichtig es ist, die OSZE handlungsfähiger zu ma- chen. Deshalb ist es gut, daß die Bundesregierung den KSE-Änderungsvertrag unterzeichnen will. Zugleich macht die Tragödie in Tschetschenien schneidend klar, welche Gratwanderungen die Bundesregierung hier geht. Weder die Diskussionen über den KSE-Vertrag noch der Gipfel von Istanbul hindern Rußland offenkun- dig daran, in Tschetschenien die eigenen Bürger mit Krieg zu überziehen und das als innere Angelegenheit zu betrachten. Ist es nicht eine Farce, wenn dieser Krieg unbehelligt fortgesetzt wird, aber gleichzeitig ein Dokument für Be- grenzung von Streitkräften unterschrieben wird? Man schaudert bei der Erinnerung an den alten Satz: Papier ist geduldig. Aber so paradox und schwierig es ist, wir werden dieses Risiko auf dem Weg zu einer neuen euro- päischen Sicherheitsarchitektur wohl eingehen müssen. Denn wenn Istanbul scheiterte, würde sich in Tsche- tschenien nichts ändern. Es ist eher umgekehrt. Die Fortsetzung de OSZE-Verhandlungen bringt immerhin für die Zukunft eine Chance, solche Vorgänge beein- flussen oder unterbinden zu können. Daß Rußland jetzt der Entsendung einer OSZE-Mission in die abtrünnige Kaukasusrepublik zugestimmt hat, ist ein Hoffnungs- schimmer. Die Tür ist offen geblieben, wir sollten sie nicht zuschlagen. Positiv ist auch die Zulassung des Zutritts internatio- naler Hilfsorganisationen wie Internationales Rotes Kreuz, Cap Anamur und UN-Flüchtlingshilfswerk. Da- mit können wir natürlich nicht zufrieden sein. Der freie Zugang von Medienvertretern muß folgen. Vor allem besteht die F.D.P. darauf, daß die Bundes- regierung in Istanbul eine offizielle Diskussion des Tschetschenienkonflikts durchsetzt. Die Bundesregie- rung muß auch in Istanbul offiziell auf einen Stopp des russischen Krieges gegen die eigenen Bürger dringen. Wir erwarten klare Worte und Taten und ein entspre- chendes Schlußdokument. Wir alle sind uns sicher be- wußt, daß die deutsche OSZE-Politik eine schwierige Gratwanderung ist: Notwendig ist es, Istanbul zu nutzen, um einen gesamteuropäischen Sicherheitsraum ohne Trennlinien zu schaffen, eine – wie es im Vorspann des Antrags heißt – europäische Sicherheitscharta, die alle OSZE-Teilnehmerstaaten „zur Förderung der Men- schenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ ver- pflichtet. Ich will auch daran erinnern, daß zu Beginn wie zur Mitte des KSZE-Prozesses niemand das Schlußergebnis für möglich gehalten hätte. Von daher nährt sich meine Hoffnung, daß Istanbul die OSZE ein Stück voranbringt. „Der Prozeß, den Menschen in den Mittelpunkt des Völ- kerrechts zu rücken“, wie es mein Kollege Werner Hoy- er am 4. November hier im Plenum formuliert hat, kann vielleicht in Istanbul ein Stück vorankommen. Ein Stopp wäre ein Schritt zurück. Die F.D.P. erhofft und erwartet von Istanbul: 1. Die Unterzeichnung des KSE-Änderungsvertrages. 2. Die Verabschiedung der Europäischen Sicherheits- charta. 3. Die Stärkung der OSZE als Institution, damit zum Bei- spiel künftig ein kriegerischer Konflikt wie in Tsche- tschenien nicht mehr als innere Angelegenheit eines Staates angesehen werden kann. Dazu muß eine Re- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6273 (A) (C) (B) (D) form kommen, die bei Beschlüssen das Konsens- Minus-Eins-Prinzip durchsetzt, um gegen einen Völ- kerrechtsverbrecher vorgehen zu können. 4. In Istanbul sollte der Tschetschenienkonflikt klar zur Sprache kommen. 5. Schließlich hoffen wir, daß nach Istanbul ein positive- res Verhältnis von OSZE und NATO gefunden wird. Hoffentlich gibt es auch dabei eine große Gemein- samkeit in diesem Hause. Wolfgang Gehrcke (PDS): In den Absichtserklärun- gen unterscheiden sich die beiden vorliegenden Anträge zum OSZE-Gipfel nur graduell. Wesentlich unterschei- den sie sich in ihrem Geist; ihnen liegt eine unterschied- liche strategische Konzeption zugrunde. Die liegt in der Frage: Begnügt sich der Bundestag, begnügt sich die deutsche Außenpolitik in Fragen eines zukunftsfähigen Sicherheitssystems mit Absichtserklärungen, oder drängt sie auf eine Verrechtlichung der internationalen Sicher- heitsbeziehungen? Also Völkerrecht, rechtsverbindliche Normen oder mehr oder weniger guter Wille? Die guten Vorsätze reichen nicht aus, sie können sich in den Grauzonen zwischen Völkerrecht und guter Ab- sicht verirren. Jene Grauzonen sind nur ein beschöni- gender Ausdruck für einen rechtsfreien Raum oder zu- gespitzt: für einen Raum ohne Recht, für ein Terrain, in dem Willkür oder die Opportunität des Augenblicks herrschen kann. Sie muß nicht herrschen, aber sie kann es. Deshalb ist meine Fraktion für die strikte Verrechtli- chung internationaler Beziehungen, und sei es wegen der einfachen Einsicht, daß es so – wie wir Norddeut- schen sagen – kein Vertun gibt. Die Alternativen zu unserem Antrag sind bereits prä- sent. An ihnen wird gearbeitet, und sie sind derzeit stär- ker, weil sie die Macht des Faktischen in die Waag- schale werfen. Sie sind schon da als starke Organisatio- nen. Die NATO ist schon da. In den Sicherheitskonzep- ten der anderen im Bundestag vertretenen Parteien nimmt die NATO einen zentralen Platz ein, auch und gerade die neue NATO, die sich selbst mandatiert. Kein Zweifel: Sie buchstabieren Sicherheit noch im- mer militärisch. Es heißt bei Ihnen immer: NATO first. Aber die NATO ist und bleibt ein Militärbündnis. Kol- legen haben hier in der Debatte auf den Unterschied zwischen Verteidigungsbündnis und kollektivem Sicher- heitssystem verwiesen. Der ist mir wohl bewußt. Eben deshalb plädiere ich für die Perspektive eines europäi- schen Systems mit russischer und transatlantischer Komponente, das den Sicherheitsbedürfnissen der euro- päischen Staaten primär durch zivile, politische und ökonomische Potentiale gerecht wird. Hier ist die grundlegende Logik eine zivile und damit auch nachhaltigere, als es die in einem völlig anders strukturierten und orientierten Militärbündnis ist, daß sich bei ausreichendem Sicherheitsgefühl dann wirklich erübrigte. Das ist unser eigentlicher Dissens. Wir möchten die OSZE so stabil gestalten – auch rechtlich –, daß sie Sicherheit umfassend gewährleistet. Auch wenn es den einen Schlüssel, den Stein der Weisen im System der europäischen Sicherheit nicht gibt, so gibt es doch Prioritäten, es gibt Organe, deren Stärkung andere Pro- zesse positiv beeinflussen könnte. Und in diesem be- scheidenen Sinne fordern wir: OSZE first. Strukturen sind auch da in der Europäischen Union. Die EU hat längst das Stadium einer EWG, einer Wirt- schaftsgemeinschaft hinter sich gelassen, als die sie in den Römischen Verträgen noch konzipiert war. Die EU wird zu einer europäischen Wirtschafts-, Währungs- und – so ist meine Hoffnung – vielleicht auch Sozialunion. Sie steht aber vor der Gefahr, tagespolitisch instrumen- talisiert und militarisiert zu werden. Über die Hintertür soll eine EU-Militärorganisation entstehen und die NATO einen Platz in der EU finden. Damit wird eine nicht militärische Organisation in Europa in Militär- strukturen eingebunden. Damit würde die EU ihren Charakter als Wirtschafts- und Sozialunion verlieren. Und dagegen sind wir. Ich denke, daß wir im PDS-Antrag zur konkreten Ausgestaltung der OSZE Vorschläge gemacht haben. Genau dies – das Fehlen konkreter Vorschläge zur Stär- kung der OSZE – ist ein Mangel des vorliegenden inter- fraktionellen Antrages. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten. In bezug auf den anstehenden Gipfel in Istanbul spielt natürlich auch die Frage der KSE-Anpassung eine große Rolle. Wir begrüßen, daß es hier zu einer Vereinbarung kommt. Dennoch müssen wir uns darüber im klaren sein, daß damit Festlegungen getroffen werden, die im wesentlichen nur den derzeitigen Realitäten entsprechen. Es findet also real keine Abrüstung statt. Und ein Ab- rüstungsprozeß wird ebensowenig eingeleitet. Auch deshalb haben wir in unserem Antrag eine Politik des guten Beispiels gefordert, einseitige Abrüstungsschritte, die hier beschlossen werden können, und die Abrüstung als Prozeß wieder in Gang zu bringen. Das wäre auch ein guter Beitrag zur Unterstützung des Verhandlungs- systems bei der OSZE. Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Vor einer knappen Woche hat dieses Hohe Haus unter reger Beteiligung aller Fraktionen über Stand und Zukunft der OSZE debattiert. Ich konnte dabei erfreut feststellen, daß wir uns in den grundlegenden Gesichts- punkten durchaus einig sind. Daher begrüße ich den ge- meinsamen Antrag von SPD, CDU/CSU, Bünd- nis 90/Die Grünen und F.D.P. zum Gipfel in Istanbul und zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der OSZE. Dieser Antrag beschreibt den Charakter der OSZE als einzigartiger übergreifender Sicherheitsarchitektur euro- päischer und nichteuropäischer Staaten. Er legt die Möglichkeiten dar, die die effiziente Nutzung und der Ausbau dieses Instruments bieten. Der Antrag macht verständlich, welch hohe Bedeutung die Bundesregie- rung wie auch dieses Haus dem OSZE-Gipfel in Istanbul am 17./18. November 1999 beimessen. Wir setzen große Hoffnungen in ihn. Leider überschattet der Tschetschenien-Konflikt den Gipfel; auch dazu habe ich mich vor diesem Hause in der letzten Woche geäußert. In der Zwischenzeit hat sich aber zu unser aller Sorge weder der massive militärische 6274 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 (A) (C) (B) (D) Gewalteinsatz Rußlands vermindert, der sogar eine im- mer weiter steigende Zahl ziviler Opfer fordert, noch hat sich die aus Flucht und Flüchtenden resultierende huma- nitäre Notlage im Nordkaukasus, und insbesondere in Inguschetien, gebessert. Seit Beginn des Konflikts hat die Bundesregierung im Interesse der betroffenen Menschen immer wieder zu einer Deeskalation der Kämpfe und zum politischen Dialog aufgerufen und darauf gedrängt, rasch ausrei- chende humanitäre Hilfe zuzulassen. Die Bundesregie- rung begrüßt daher ausdrücklich, daß eine Delegation der OSZE unter Leitung des norwegischen OSZE-Vor- sitzes in diesen Tagen sich ein eigenes Bild von der Lage vor Ort machen konnte. Um so enttäuschter sind wir, daß sich die in die Mission gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnten, weil der Beobachtergruppe eine Einreise nach Tschetschenien selbst nicht möglich war. Wir warten jetzt auf den Bericht der Gruppe. Es wäre fatal, die Unterstützung der OSZE auszuschlagen, die bereit ist, kurzfristig zur humanitären Hilfe und zur Beendigung der Gewalt, langfristig auch zum Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen beizu- tragen. Die Bundesregierung wird auch weiterhin in Zusam- menarbeit mit ihren Partnern alles tun, um zu einer Bei- legung des Konflikts zu kommen. Aber die russische Regierung muß wissen, daß die OSZE-Staats- und Re- gierungschefs in Istanbul mit ihrer Autorität nicht Rechte und Prinzipien bekräftigen können, die zugleich im OSZE-Gebiet massiv verletzt werden. Die Gebote, in einem Konflikt nicht übermäßige Gewalt anzuwenden, humanitäre Hilfe zu erleichtern und ernsthaft eine fried- liche Lösung anzustreben, gehören zum Kernbestand von Verpflichtungen, die auch Rußland im Rahmen der OSZE eingegangen ist. Ich appelliere daher an dieser Stelle erneut eindringlich an Rußland: Stellen Sie den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt ein, der das Leben so vieler unschuldiger Zivilisten fordert und nehmen Sie einen politischen Dialog auf. Nur dadurch kann eine dauerhafte Lösung gefunden werden. Aller- dings dürfen wird nicht vergessen: Es geht in Istanbul, über den Konflikt in Tschetschenien hinaus, darum, Sta- bilität und Sicherheit in Europa voranzutreiben. Beide sind untrennbar miteinander verbunden. Wir haben die Chance, eine wirksame europäische Sicherheitscharta zu erreichen, die Rolle der OSZE in Krisenprävention, Demokratisierung und Aufbau von Zivilgesellschaften zu stärken. Konkrete Fortschritte im Bereich von Rüstungskontrolle und Abrüstung scheinen greifbar nahe: Unser Ziel ist ein erfolgreicher Abschluß der Verhandlungen zur Anpassung des Wiener Doku- ments über Vertrauensbildende Maßnahmen und die Anpassung des KSE-Vertrags. Wir haben ein unmittel- bares Interesse an einer neuen Vereinbarung mit Ruß- land, das derzeit die zukünftig vorgesehenen KSE- Flankenobergrenzen überschreitet. Die Bundesregierung will diesen Kurs halten, denn für die europäische Si- cherheit insgesamt und für das internationale Rüstungs- kontrollsystem steht viel auf dem Spiel: Eine Nichtun- terzeichnung des KSE-Änderungsvertrags wäre ein emp- findlicher Rückschlag in den weltweiten Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle. Der neue KSE-Vertrag wird hingegen die konventio- nelle Stabilität in ganz Europa durch ein historisch bei- spielloses Begrenzungssystem und durch erhöhte Trans- parenz erheblich stärken. Die bei den Wiener Verhand- lungen noch offenen Fragen sind bei gutem Willen aller Beteiligten lösbar. Dies entspricht in hohem Maße unse- ren nationalen Interessen. Wir können dies über die Parteigrenzen hinweg mit Zufriedenheit feststellen. Die Bundesregierung bekräftigt ihr Bekenntnis zur Stärkung der OSZE als zentralen Pfeiler der multilate- ralen Bemühungen bei Konfliktprävention, Krisenmana- gement und bei der Wiederherstellung demokratischer und ziviler Institutionen. Die in Istanbul zu verabschie- dende Sicherheitscharta soll diese Zielrichtung und Rolle der OSZE innerhalb der europäischen Sicherheits- architektur zum gemeinsamen Anliegen machen. Wir haben mit dem Programm zur Ausbildung von zivilem Friedenspersonal, das zur schnellen Krisenreaktionsfä- higkeit beitragen soll, einen ersten Schritt zur Stärkung dieses Pfeilers getan und sehen erfreut, daß andere Län- der ebenfalls in diese Richtung denken. Ich bin zuversichtlich, daß die OSZE ihre Rolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur tatsächlich und wirksam spielen kann, auch wenn die Geschichte seit 1990 ebenfalls Rückschläge aufweist. Am Beispiel Tschetschenien sehen wir erneut, daß wir auf dem Weg zu einem gemeinsamen Sicherheitsraum in Europa, ge- gründet auf die Achtung und Umsetzung gemeinsamer Werte, noch ein gutes Stück zurückzulegen haben. Die Bundesregierung wird auch weiterhin alles tun, um die OSZE nach Kräften zu unterstützen. Daher freue ich mich besonders über den breiten Konsens in diesem Hause zu diesem Antrag und zu dieser Thematik. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Internatio- nales Kartellrecht, Unternehmensfusionen und -konzentrationen (Tagesordnungspunkt 10) Ursula Lötzer (PDS): Daimler-Chrysler, Deutsche Bank und Bankers Trust sind bereits Geschichte. Viag und Veba und viele andere sind aktuell. Jeder redet mit jedem, und es scheint, als könnte morgen jedes Unter- nehmen – ja, jeder Arbeitsplatz – mit in den Fusionswir- bel gezogen werden. Diese Fusionen werfen viele wett- bewerbsrechtliche Fragen auf, da sind wir uns mit Ihnen einig. Aber nicht nur diese. Vor etwa zwei Jahren tagten in Dortmund die höch- sten Mitbestimmungsgremien über Vorschläge der Ar- beitnehmervertreter über die Zukunft des Stahlstandorts. Mitten in diese Gespräche platzte eine Tickermeldung: Krupp plant mit der Deutschen Bank eine „feindliche Übernahme“. Alles was in den paritätischen Mitbestim- mungsgremien verhandelt wurde, war vom Tisch. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6275 (A) (C) (B) (D) Demokratische Verhandlungen über Unternehmens- entscheidungen unter Berücksichtigung soziales Interes- sen werden in die Banken und an die Börse verlagert, wo nur eins zählt, die Rendite. Wenn die Politik hier nicht handelt, wird ein Stück sozialer Demokratie auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt. Klaus Zwickel forderte bei der Demonstration der Stahlarbeiter, die Bankenmacht und ihr Mißbrauch müßten zu einem großen Thema in der Bundesrepublik und in Europa werden. Die Antwort der Bundesregie- rung darauf sind Überlegungen zum Schutz der Minder- heitsaktionäre. Statt dessen sind Reformen gefragt, die den Schutz der Beschäftigten, die Wiederherstellung ihrer demo- kratischen Mitbestimmungsrechte bei „feindlichen“ oder „freundlichen“ Übernahmen, Maßnahmen zur verstärk- ten Bankenaufsicht und zur Einschränkung ihrer Macht in den Aufsichtsräten in den Mittelpunkt stellen. Auch Ihre Darstellung zu Eurobetriebsräten reicht nicht aus. Notwendig wäre ein Recht auf Mitbestimmung insbe- sondre zur Beschäftigungssicherung in die Revision der Richtlinie einzubringen. Das würde auch gegen den massiven Arbeitsplatzab- bau bei Fusionen helfen. Konzentration auf das Kernge- schäft in weltmarktorientierten Wertschöpfungsketten ist die Devise. Explodierenden Gewinnen und einer Erhö- hung der Dividende bei Thyssen/Krupp standen Ar- beitsplatzabbau und Deregulierung durch Outsourcing, Verkäufe und jetzt das Aus für den Stahlstandort Dort- mund gegenüber. Der Bericht der Monopolkommission weist aus, daß die 100 größten Unternehmen mit einem Beschäfti- gungsrückgang von 8,3 Prozent überproportional am Arbeitsplatzabbau beteiligt sind. Die Antwort der Bundesregierung, wie sie dem Ab- bau der Arbeitsplätze bei Fusionen entgegenwirken wollte, heißt kurz zusammengefaßt, die Bundesregie- rung werde ihre Politik zur Stärkung der Wettbewerbs- fähigkeit fortsetzen. Damit wird sie den beschriebenen Herausforderungen nicht gerecht. Auch wir sagen, Wettbewerb sorgt für Dynamik, Kreativität und Innovation. Wettbewerbsfähigkeit ist er- strebenswert, wenn und soweit sie der Verbesserung der Lebenschancen dient. Wenn freilich im Namen von Wettbewerbsfähigkeit Arbeitsplätze vernichtet werden und der Verlust so- zialstaatlicher Absicherungen für die meisten Ge- sellschaftsmitglieder droht, während die Politik achselzuckend auf die Anpassungszwänge der Glo- balökonomie verweist, stellt sich die Frage, in wes- sen Namen Wettbewerbsfähigkeit überhaupt zur Schicksalsfrage erhoben wird … Eine Wettbewerbsfähigkeit, aus der nur eine Min- derheit der Gesellschaft Vorteile zu ziehen vermag, gefährdet den Zusammenhalt von Gesellschaften, ja, mehr noch: Die ausschließliche Orientierung am Ziel Wettbewerbsfähigkeit würde auf Dauer die Grundlagen demokratischer Legitimation bedrohen – und damit auch die Demokratie selbst. Herrn Mosdorf müßten hier zumindest die Ohren klingeln, denn dieses Zitat stammt von ihm. Ich wünschte mir, diese Grundsätze würden in die Politik der Regierung einziehen. Jospin kündigte in den letzten Wochen gesetzliche Maßnahmen gegen Konzerne an, die trotz bedeutender Gewinne Arbeitsplätze abbauen. Im einzelnen reichten die Vorschläge von der Streichung öffentlicher Gelder bis hin zur Bestimmung der Beitragshöhe in Abhängig- keit von der Haltung zu Entlassungen. Wir fordern Sie auf, solche Maßnahmen in ihre Politik gegenüber Fusio- nen einzubeziehen. Dr. Uwe Jens (SPD): Nur vier knappe Bemerkungen zur Großen Anfrage der PDS: Erstens. Die PDS beweist mit ihrer Großen Anfrage deutliche Aversionen gegen die Globalisierung und In- ternationalisierung der Wirtschaft. Sie benimmt sich wie Don Quichote und kämpft gegen Windmühlenflügel. Diese Entwicklung findet statt und ist nicht aufzu- halten. Wer sich gegen den Strukturwandel stemmt, fällt zurück, wofür die ehemalige DDR ein lebendiges Bei- spiel war. Wichtig ist, das Schiff der Volkswirtschaft mit Geschick durch die sicherlich bewegte See der Weltwirtschaft zu steuern. Zweitens. Es ist schon eigenartig, wenn sich die PDS mit ihrer Anfrage offensichtlich für Wettbewerb und Marktwirtschaft einsetzt. Wer die Anfrage genauer liest, erkennt, daß die PDS noch immer der Marxschen Kon- zentrationstheorie huldigt. Es geht ihr um Kontrolle der Wirtschaft; die Marktwirtschaft hat für sie keine Zu- kunft. Dabei ist diese Betrachtung ein uralter Hut. Die PDS muß endlich erkennen: Auch große Unternehmen sind wichtig und notwendig. Sie haben zum Teil ekla- tante Vorteile bei der Produktion und damit bei der Pro- duktivität. Deshalb ist bei uns Größe oder Marktmacht per se auch nicht verboten, sondern lediglich der Miß- brauch. In der Marktwirtschaft, das zeigt die Erfahrung, wachsen im übrigen die ökonomischen Bäume nie in den Himmel. Wenn wir nur die Märkte offenhalten, dann gibt es immer wieder Wettbewerber. Die techni- sche und innovatorische Entwicklung ist heute so rasant, daß Monopole nie eine längere Überlebenschance ha- ben. Mehr Vertrauen in den Markt, mehr Gelassenheit tut Not! Drittens. Die PDS verbreitet wie immer auch mit die- ser Anfrage Mißtrauen gegenüber der Wirtschaft. Sie will statt Wettbewerb – wie es immer wieder deutlich wird – mehr Kontrolle über die Wirtschaft. Die PDS braucht möglichst bald ihr „Godesberg“. Wenn sie von Wettbewerb und Kontrolle marktbeherrschender Unter- nehmen spricht, sollte sie sich vorher zum freien Unter- nehmertum, zum Gewinnprinzip und dem Bemühen um funktionsfähigen Wettbewerb bekennen. Das sind die entscheidenden Prinzipien unserer sozialen Marktwirt- schaft. Aber darüber haben wir von der PDS noch nichts Entscheidendes gehört. Viertens. Eine kluge Politik, die Arbeitsplätze erhal- ten und neue schaffen will, beachtet die Zwänge, in de- nen die sich globalisierende Wirtschaft steckt. Etwas 6276 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 (A) (C) (B) (D) mehr ökonomische Vernunft und Sachkenntnis wäre manchmal angebrachter. Wenn wir das Ökonomische bei der Vereinigung der beiden Teile Deutschland vor zehn Jahren stärker beachtet hätten, würden wir jetzt nicht über eine gesamtwirtschaftliche Verschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verfügen. Wir brauchen keine grundlegend neue Wettbewerbs- und Wirtschaftspolitik; wir müssen nur stärker unsere be- kannten ordnungspolitischen Grundsätze beachten. Aber die kennt die PDS gar nicht. Wenn wir stärker diese Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft beachten, wäre das gut für unsere Volkswirtschaft; wäre das gut für die Menschen in unserem Lande. Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Antwort auf die Große Anfrage zeigt, daß für die Bundesregierung der Wettbewerb ein hohes Gut ist. Dabei ist Wettbewerb kein Wert an sich, sondern ein In- strument zur Förderung des Gemeinwohls und zur Be- wahrung der individuellen Freiheiten der Akteure. Auch für Wettbewerb gilt die Einbindung in einen sozialen und ökologischen Rahmen. Kartelle bzw. marktbeherr- schende Unternehmen – wie Microsoft – können Wett- bewerb und Innovationen behindern und kleine und mittlere Konkurrenten bedrohen. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen sind daher im Interesse von Wettbewerb und Vielfalt zu schützen. Auch für den von uns angestrebten ökologischen Strukturwandel der Wirtschaft spielt der Wettbewerbs- gedanke für technische und soziale Innovationen eine wichtige Rolle. Er beschleunigt die Entstehung, den Ein- satz und die Verbreitung von neuen umweltfreundlichen Produkten und Produktionsverfahren. Die Erhaltung und Förderung des Wettbewerbs ist aber nicht nur aus ökonomischen und ökologischen Gründen wichtig. Es geht auch um den Erhalt und den Schutz unserer Demokratie. Wir sollten nicht übersehen, daß Monopole oder monopolähnliche Unternehmen ge- rade im Zeitalter der Globalisierung durchaus in der La- ge sind, das Primat der Politik zu gefährden. Oder, um mit Ludwig Erhard zu schließen: „Den Ge- genpol der wirtschaftlichen Freiheit stellt die Ausprä- gung wirtschaftlicher Macht dar. Es ist daher gesetzlich sicherzustellen, daß die Vorzüge der Wettbewerbswirt- schaft nicht durch historisch erwiesene Nachteile einer bedenklichen Machtkonzentration aufgewogen werden.“ Das A und O der Marktwirtschaft ist der Markt. Durch Konkurrenz und Wettbewerb – so lernt man auf der Universität – reguliert sich in einer gesunden Wirt- schaft der Markt selbst. Gleichwohl: Grau ist alle Theo- rie. Die Praxis nicht nur in Deutschland sieht leider an- ders aus. Zumindest in einzelnen Branchen – etwa im Handel, bei den Banken, bei der Energieversorgung oder beim Tourismus – kann von einem funktionierenden Wettbewerb nur noch sehr begrenzt gesprochen werden. Gleichzeitig erleben wir eine Fusions- und Konzentrati- onswelle ohnegleichen. Nicht mehr Diversifikation gilt als Ausweis unter- nehmerischer Tüchtigkeit, sondern die Beschränkung auf das Kerngeschäft. Und diese Kerne werden durch Fusionen ständig erweitert. Und zwar nicht nur im Bin- nenmarkt, sondern grenzüberschreitend. Oder wie im Falle Daimler-Chrysler gleich interkontinental. Dieser Entwicklung kann und darf die Politik nicht tatenlos zu- sehen. Ich darf daran erinnern, daß eine „antimonopolisti- sche“ bzw. „antizentralistische“ Wirtschaftspolitik nicht nur im eher „linken“ Lager Anhänger hat, sondern gera- de von Ludwig Erhard, dem Vater der sozialen Markt- wirtschaft, praktiziert wurde. Das Gesetz gegen Wett- bewerbsbeschränkungen, GWB, wurde von dem dama- ligen Bundeswirtschaftsminister gegen den erbitterten Widerstand der Industrie durchgesetzt. Und es kommt nicht von ungefähr, daß das GWB die Entwicklung des europäischen Wettbewerbsrechts und der Rechte in einigen Mitgliedstaaten der EU nachhaltig beeinflußt hat. Wir teilen die Auffassung der Bundesre- gierung, daß es ein wichtiges Anliegen ist, einen inter- nationalen Rahmen für eine angemessene und wirksame Wettbewerbspolitik zu schaffen. Eine internationale Kartellbehörde allerdings ist weder durchsetzbar noch praktikabel. Wir würden damit lediglich ein wettbe- werbspolitisches Placebo ohne Durchsetzungsvermögen schaffen. Mir erscheint es sinnvoller und wirkungsvoller, in der WTO Grundsätze für wettbewerbliche Vorschriften zu verankern. Notwendig für einen Rahmen multilateraler Wettbewerbsregeln wären fundamentale Grundsätze und gemeinsame Regeln für den Erlaß wettbewerbsrechtli- cher Vorschriften und vor allem für die Durchsetzung solcher Vorschriften. Darüber hinaus bedarf es gemein- samer Lösungsansätze zur Überwindung wettbewerbs- feindlicher Praktiken sowie Bestimmungen über die in- ternationale Zusammenarbeit. Ich hoffe, daß die EU die- sen Punkt zur Zeit in Genf offensiv und mit Nachdruck vorträgt, damit er Aufnahme in die Regeln der WTO findet. Wir wollen auch eine weitere Stärkung des Wettbe- werbsgedankens in Europa. Das Ende April vorgelegte Weißbuch der Europäischen Kommission zur Reform des europäischen Wettbewerbsverfahrensrechts verfolgt grundsätzlich einen richtigen Ansatz. Das Anmelde- und Freistellungssystem ist bürokratisch und ineffizient. Wir stimmen mit der Bundesregierung überein, daß es notwendig ist, die Effizienz zu steigern, den Unter- nehmen mehr Rechtssicherheit zu geben und sowohl die Kommission als auch die Unternehmen von überflüssi- ger Bürokratie zu entlasten. Allerdings haben wir Zweifel, ob die Kommission mit ihren Vorschlägen einer verfahrenstechnischen Aufweichung des Kartellverbots das richtige Zeichen für den Schutz des Wettbewerbs setzt. Ein „Kartellverbot mit Legalausnahme“ ist nicht nur aus formalen Gründen – Vereinbarkeit mit EG-Vertrag – kritisiert worden, es gibt auch inhaltliche Bedenken. So dürfen grundsätzlich alle Kartelle, die der EG- Vertrag als Beispiele für verbotene Wettbewerbsbe- schränkungen nennt, zunächst risikolos praktiziert wer- den. Und die sogenannten „besonders wichtigen Fälle“, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6277 (A) (C) (B) (D) auf welche sich die Kommission konzentrieren möchte, könnten sich als Privilegien für industriepolitisch wich- tige Großunternehmen erweisen. Mir jedenfalls scheint noch Diskussionsbedarf zu bestehen. Gudrun Kopp (F.D.P.): Deutsche und ausländische Unternehmen suchen mehr Wettbewerb durch Kosten- reduzierung, Kooperation und Fusionen. Aufgabe der Wettbewerbspolitik ist dabei, das kartellrechtliche In- strumentarium den neuen Marktanforderungen anzupas- sen, damit der nationale, europäische und internationale Wettbewerb erhalten bleibt und gestärkt wird. Weniger Wettbewerb mindert die Anpassungsnotwendigkeit und geht zu Lasten von Innovation, zu Lasten der Verbrau- cher sowie der Gesamtwirtschaft. Als positives Beispiel für Vorteile durch mehr Wettbewerb nenne ich die Libe- ralisierung im Bereich der Energie, Telekommunikation und der Post. Im Wettbewerbsbereich der EU-Kommission wurde vorgeschlagen, auf die präventive Kartellkontrolle ganz zu verzichten. Dies würde jedoch bedeuten, daß das europäische Wettbewerbsrecht deutlich hinter dem Anspruch dessen zurückbliebe, was im deutschen Wett- bewerbsrecht verankert ist. Was wir brauchen – und das fordert die F.D.P.-Frak- tion nicht erst seit heute – ist ein von der Kommission unabhängiges Europäisches Kartellamt. Damit würde auch die internationale Fusionskontrolle erleichtert. Hier fehlt ein Regelwerk – eine Selbstverpflichtung –, wo die wichtigsten Grundsätze des Wettbewerbs verbindlich festgeschrieben werden. Dafür sind multinationale Ver- einbarungen erforderlich. Die WTO wäre die geeignete Institution, um dieses Problem mit viel Sachverstand und Erfahrungen zu meistern. Die Bundesregierung ist deshalb gefordert, auf der Welthandelsrunde in Seattle dem Thema „Internationale Wettbewerbsregeln“ höchste Priorität einzuräumen. Denn: Neue Arbeitsplätze in Deutschland werden nur dann ermöglicht, wenn dem freien internationalen Han- del der Atem gelassen wird. Im Rahmen der geplanten Enquete-Kommission „Globalisierung“ werden wir uns diesem Thema sicher ausführlich widmen. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim BMWT: Wir erleben zur Zeit einen Strukturwandel der interna- tionalen Wirtschaft, wie es ihn in dieser Form noch nie gab. Die Liberalisierung des Welthandels und die Ver- flechtung der internationalen Märkte – Stichwort: Glo- balisierung – schreiten in einem enormen Tempo voran. Außenhandelsströme und Direktinvestitionen haben sich mit großer Dynamik entwickelt und sind erheblich schneller gewachsen als die Weltproduktion. Seit 1985 nahm der Handel mit Waren und Dienstleistungen im Jahresdurchschnitt um über 10 Prozent zu. Der IWF rechnet auch im Jahr 2000 wieder mit einem starken Wachstum von über 6 Prozent. Auch die internationalen Finanzmärkte weisen hohe Wachstumsraten auf: Seit 1990 wächst das Finanzkapi- tal im Jahresdurchschnitt um 18 Prozent. Wir können uns nicht vor der Globalisierung verstek- ken. In Deutschland wird fast die Hälfte des Umsatzes der deutschen Industrie im Ausland erwirtschaftet, und auch der Inlandsmarkt wird zu über 40 Prozent von ausländischen Unternehmen bedient. Die vielbeschwo- rene „Globalisierungsfalle“ würde dann zuschnappen, wenn wir vor der Globalisierung wegliefen. Nur eine of- fensive Strategie, sowohl von Unternehmen wie auch der Politik, kann Wachstum und Beschäftigung sichern. Vor diesem Hintergrund ist auch die gegenwärtige Fusionswelle zu sehen. Unternehmenskooperation und -zusammenschlüsse helfen auch deutschen Unterneh- men, sich auf dem Weltmarkt aufzustellen, in andere Märkte vorzudringen und dadurch neue Absatz- und Wachstumschancen zu bekommen. Dies trägt langfristig zur Sicherung zukunftsfähiger Arbeitsplätze in Deutsch- land bei. Denn mittlerweile hängt jeder vierte Arbeits- platz in der Industrie vom Export ab. Nehmen Sie die Fälle Daimler-Chrysler oder Deutsche Bank-Bankers Trust. Diese Fusionen hatten verschiedene Gründe, aber sicherlich einen gemeinsamen: die Vorbereitung auf den Weltmarkt. Umgekehrt gilt natürlich das gleiche für den Markt- zutritt ausländischer Unternehmen in Deutschland. Aber auch die Verbraucher profitieren von der internationalen Präsenz von Unternehmen: Das Leistungsangebot wird verbessert, der Preiswettbewerb erhöht. Aufgabe der Wettbewerbspolitik ist es, auf diesen tiefgreifenden Strukturwandel angemessen zu reagieren. Zentrales Ziel der Wettbewerbspolitik ist die Gewährlei- stung offener Märkte. Verantwortungsvolle Wettbe- werbspolitik muß darin bestehen, die Voraussetzungen für den Vorstoß aller – und damit auch der deutschen Unternehmen – in die internationalen Märkte zu verbes- sern. Die Grenze ist jedoch dann erreicht, wenn Fusio- nen zur Marktbeherrschung führen oder sie verstärken. Wird der Wettbewerb durch einen Zusammenschluß von Unternehmen gefährdet, dann muß das verhindert wer- den. Verhindern müssen wir auch Beschränkungen des Wettbewerbs durch Vereinbarungen und Absprachen. Erst in der letzten Woche haben mehrere Unternehmen der Bauwirtschaft eine ganz klare Botschaft erhalten: Kartelle dürfen sich nicht auszahlen. Wir alle wissen aber: Wettbewerbspolitik darf sich nicht auf Fusionskontrolle und Kartellbekämpfung be- schränken. Wirtschaftliche Macht bedarf der Kontrolle. Wer bereits marktbeherrschend ist, darf seine Macht nicht mißbrauchen. Das gilt nicht nur für Softwaregi- ganten, das gilt auch für Stromdurchleitungen auf dem deutschen Strommarkt. Ohne funktionierenden Wettbewerb werden kleine und mittlere Unternehmen verdrängt; haben Existenz- gründer keine Chance. Ohne funktionierenden Wettbe- werb zahlen die Verbraucher den Preis für Monopole und Oligopole. Aufgabe der Wettbewerbspolitik bleibt es daher auch in Zukunft, einen funktionierenden Wett- bewerb auf offenen Märkten zu gewährleisten. Internationaler Wettbewerb braucht einen internatio- nalen Rahmen. Die Liberalisierung des Welthandels und die Globalisierung der Märkte bringen keine Vorteile, 6278 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 (A) (C) (B) (D) wenn sie gleich wieder durch privat veranlaßte Wettbe- werbsbeschränkungen ausgehöhlt werden. Dies läßt sich durch nationale oder regionale Wettbewerbsordnungen allein nicht verhindern. Wir brauchen daher ein interna- tionales Regelwerk. Wir werden uns auf der Minister- konferenz in Seattle dafür einsetzen, daß sich alle WTO- Partner darauf verständigen, in die nächste WTO-Runde auch internationale Wettbewerbsregeln einzubeziehen. Wir unterstützen daher nachdrücklich das 4-Punkte- Programm, das die Europäische Kommission für die neue WTO-Runde vorgelegt hat. Damit soll ein Grund- rahmen internationaler Wettbewerbsregeln geschaffen werden. Die WTO-Partner sollen gemeinsam gegen Kartelle und andere wettbewerbsbeschränkende Prakti- ken vorgehen. Die Regeln für die Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden sollen festgelegt werden. Die WTO-Streitschlichtung soll sicherstellen, daß alle WTO-Partner die neuen internationalen Regeln respek- tieren. Damit wäre ein Anfang gemacht: Das Fundament für eine internationale Wettbewerbsordnung könnte ge- legt werden. Aber wir wissen auch, daß wir in Seattle noch nicht mit einem Durchbruch bei der internationalen Fusions- kontrolle rechnen können. Hier stehen wir erst am Anfang der Diskussion. Dennoch erwarte ich, daß auch hier der Nutzen von international abgestimmten Mecha- nismen immer besser erkannt wird. Ein erster Schritt ist sicherlich auch hier eine verstärkte Kooperation der Wettbewerbsbehörden der hauptsächlich betroffenen Länder. Wo verläuft die Grenze zwischen betriebswirtschaft- lich sinnvollen Strukturanpassungen und bloßem „Fusi- onsfieber“, der sogenannten „Fusionitis“? Und wer kann das bewerten? Nach einer Studie der amerikanischen Unternehmensberatung „Mercer“ ist seit Anfang dieses Jahrzehnts in den USA fast jede zweite Großfusion ge- scheitert – mit zum Teil erheblichen Schäden für Kun- den, Aktionäre, Angestellte und Arbeiter. Umgekehrt können – wie gesagt – erfolgreiche Unternehmenszu- sammenschlüsse zukunftsfähige Arbeitsplätze sichern und schaffen. Die Fusion von DASA und Aerospatiale ist eine solche Wachstumsfusion. Auch vor diesem Hintergrund kann ich gut die gemischten Gefühle ver- stehen, die die Fusionswelle in der Öffentlichkeit aus- löst. In einer freien Weltwirtschaftsordnung kann es aber nicht Aufgabe von Staaten oder Regierungsbehörden sein, die Unternehmen vor falschen Unternehmens- entscheidungen zu schützen – oder sie von richtigen Unternehmensentscheidungen abzuhalten. Für die Wett- bewerbspolitik entscheidend ist die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs als funktionierendes Steuerungs- instrument – danach sind Unternehmenszusammen- schlüsse zu beurteilen. Diese Aufgabe hat die Wettbe- werbspolitik einerseits mit Gelassenheit, andererseits mit Wachsamkeit zu erfüllen – sowohl auf deutscher und europäischer wie auch auf internationaler Ebene. Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406900000
Einen herzlichen
guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet.

Zunächst möchte ich der Kollegin Brigitte Lange,
die am 6. November ihren 60. Geburtstag feierte, die be-
sten Glückwünsche des Hauses aussprechen.


(Beifall)

In der letzten Woche habe ich mitgeteilt, daß für den

ausgeschiedenen Kollegen Peter Jacoby der Abgeord-
nete Albrecht Feibel die Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag erworben hat. Heute darf ich den Kollegen
hier herzlich begrüßen.


(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ih-
nen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der

SPD: Medienberichte über Zuwendungen im
Zusammenhang mit Rüstungsexporten im
Jahr 1991 (siehe 68. Sitzung)


2. Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406900100
Beratung des
Antrags der Abgeordneten Ursula Burchardt,
Monika Griefahn, Heinz Schmitt (Berg), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Angelika Beer, Matthias Ber-
ninger, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Förderung der Friedens- und Konfliktfor-
schung – Drucksache 14/1963 –

3. Weitere abschließende Beratung ohne Aus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406900200
Zweite und
dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge-
setzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs

(Erste Beratung 61. Sitzung)


Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuß) – Drucksache 14/2038 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Susanne Tiemann
Rainer Funke

4. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
F.D.P.: Pläne der Bundesregierung zur Erhö-
hung der Erbschaftsteuer

5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-

(3. Ausschuß)

– zu dem Antrag der Fraktionen SPD, CDU/

CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
F.D.P.
OSZE-Gipfel in Istanbul – für eine Stär-
kung der Handlungsfähigkeit der OSZE

– zu dem Antrag der Fraktion der PDS Neue
europäische Sicherheitsarchitektur
– Drucksachen 14/1959, 14/1771, 14/2063 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Andreas Schockenhoff
Rita Grießhaber
Walter Hirche
Wolfgang Gehrcke

6. Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuß) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Dr. Klaus
Grehn, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS: Kindergelderhöhung
auch für Kinder im Sozialhilfebezug – Druck-
sachen 14/1308, 14/2033 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Lange

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll,
soweit erforderlich, abgewichen werden.






(B)



(A) (C)



(D)


Außerdem wurde vereinbart, den Tagesordnungs-
punkt 9, Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, und
den für Freitag vorgesehenen Tagesordnungspunkt 13,
Strafverfahrensänderungsgesetz 1999, abzusetzen. Sind
Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Ich hö-
re keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 e
auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung des Bun-

deskanzlers zum Stand der deutschen Einheit
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-

gierung
Jahresbericht 1999 der Bundesregierung zum
Stand der deutschen Einheit
– Drucksache 14/1825 –

(federfüh-rend c)

chael Luther, Dr.-Ing. Paul Krüger, Günter Noo-
ke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Weiterführung des Jahresberichtes der Bun-
desregierung zum Stand der deutschen Einheit
– Drucksache 14/1715 –

(federfüh-rend d)

richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der neuen Länder (17. Ausschuß)

– zu dem Antrag der Fraktionen SPD und

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die wirtschaftliche Stärkung der neuen
Länder – Voraussetzung für die Gestaltung
der deutschen Einheit

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael
Luther, Dr. Angela Merkel, Gerda Hassel-
feldt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Aufbau Ost endlich wieder richtig machen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen
Türk, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.
Aufbau Ost muß weitergehen

– zu dem Antrag der Fraktion der PDS
Fahrplan zur Angleichung der Lebensver-
hältnisse und zur Herstellung von mehr
Rechtssicherheit in Ostdeutschland –
„Chefsache Ost“

– Drucksachen, 14/1210, 14/1277, 14/1542, 14/
1551, 14/2032 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Mathias Schubert
Dr. Michael Luther
Werner Schulz (Leipzig)

Jürgen Türk
Gerhard Jüttemann

e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (15. Ausschuß)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert

Otto (Erfurt), Dirk Fischer (Hamburg), Dr.-
Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Realisierung des Verkehrsprojektes „Deut-
sche Einheit“ (VDE) Nr. 8 Schienenneu-
baustrecke Nürnberg–Erfurt–Halle/Leip-
zig–Berlin

– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Dr. Karlheinz Guttmacher, Horst
Friedrich, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ müs-
sen zügig realisiert werden

– Drucksachen 14/1208, 14/1543, 14/2047 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Eduard Oswald
Heide Mattischeck

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
F.D.P. vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Herr Bundeskanzler Gerhard Schröder.


Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1406900300
Verehrter Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der
Entschlossenheit und den mutigen Initiativen der ost-
deutschen Bürgerbewegungen, die von Hunderttausen-
den in Leipzig, Berlin und anderen Städten der damali-
gen DDR aufgenommen wurden, haben wir es zu ver-
danken, daß wir heute hier, wenige Meter von einer
nicht mehr sichtbaren Sektorengrenze entfernt, in einem
gesamtdeutschen Parlament über den Stand der deut-
schen Einheit debattieren können.

Durch die gewaltlose Revolution des Jahres 1989 ist
Deutschland ein souveräner und gleichberechtigter Part-
ner in einem zusammenwachsenden Europa geworden.

Präsident Wolfgang Thierse






(A) (C)



(B) (D)


Zugleich sind die Erwartungen an das vereinte
Deutschland gestiegen, Verantwortung in Europa und
darüber hinaus in der Welt zu übernehmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, am 10. No-
vember 1989, einen Tag nach der Öffnung der Mauer,
begann Willy Brandt seine Rede vor dem Schöneberger
Rathaus mit den Sätzen – ich zitiere sie – :

Dies ist ein schöner Tag nach einem langen Weg,
aber wir befinden uns erst an einer Zwischenstati-
on. Wir sind noch nicht am Ende des Weges ange-
langt, es liegt noch eine ganze Menge vor uns.

Inzwischen liegen zehn Jahre seit den bewegenden
Ereignissen des Revolutionsherbstes hinter uns, und die
heutige Debatte zum Stand der deutschen Einheit gibt
mir die Möglichkeit einer Zwischenbilanz des gemein-
samen Weges.

Die erste und wichtigste Erkenntnis meiner Be-
standsaufnahme lautet: Wir haben unbestreitbar große
Erfolge beim Aufbau Ost erzielt. Diese Erfolge sind
ebenso unbestreitbar zuallererst das Resultat der Lei-
stungen der Ostdeutschen selbst.

[Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)

Zweifellos waren und – ich füge hinzu – bleiben die
Solidarität der Westländer und die Leistungen des Bun-
des weiter wichtig. Sie waren und sie sind oftmals Initi-
alzündung und Katalysator; aber vollbracht wurde das
bisher Geleistete vor allen Dingen von den Menschen in
Ostdeutschland.

Die Voraussetzungen der bisherigen Erfolge sollen
hier benannt werden:

Zum einen ist es ostdeutscher und westdeutscher
Unternehmergeist. Heute existieren in Ostdeutschland
mehr als 500 000 mittelständische Unternehmen; ein
Drittel arbeitet bereits profitabel, ein weiteres Drittel ist
auf dem Weg dorthin. Das Bruttoinlandsprodukt pro
Erwerbstätigem ist zwischen 1991 und 1998 von 31
Prozent auf 60 Prozent des westdeutschen Vergleichsni-
veaus gewachsen. Die Bruttowertschöpfung im verar-
beitenden Gewerbe hat sich im gleichen Zeitraum mehr
als verdoppelt. Das sind Steigerungsraten von jährlich
10 Prozent.

Auch die Investitionsquote ist in Ostdeutschland noch
immer höher als in Westdeutschland. Dies wäre nicht
möglich gewesen ohne die Flexibilität, ohne die Mobi-
lität und vor allen Dingen ohne die Qualifikation und die
Leistungskraft der ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und F.D.P.)


Nur eine Zahl zur Illustration: Etwa 30 Prozent aller ost-
deutschen Beschäftigten arbeiten heute in einem anderen
als in ihrem erlernten Beruf. Die große Offenheit gegen-
über neuen Technologien hat vielen ostdeutschen Unter-
nehmen Startvorteile verschafft. Die neuen Länder ver-

fügen heute über das modernste Kommunikationsnetz
Europas. In einigen Zukunftstechnologien wie der Bio-
technik, der Informatik und der Halbleiterforschung
nehmen ostdeutsche Unternehmen Spitzenplätze ein. In-
novative Formen des Technologietransfers – etwa zwi-
schen Fachhochschulen und kleinen und mittleren Un-
ternehmen – sind beispielhaft für ganz Deutschland ge-
worden.

Zugleich ist in vielen Bereichen die erfolgreiche An-
knüpfung an gute Traditionen gelungen: Die Qualitäts-
uhren der Ruhlaer Glashütte, die maritime Wirtschaft
etwa um die Kvaerner Werft am alten Werftenstandort
Warnemünde, wo inzwischen wieder 1 300 Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter beschäftigt sind, oder Jenoptik
stehen beispielhaft hierfür.

Vor allem aber: Die Leistungsfähigkeit und die Lei-
stungsbereitschaft der Menschen sind der Anreiz für In-
vestitionen in den neuen Ländern. Die Qualifikation der
Autobauer in Eisenach etwa hat es ermöglicht, daß dort
Europas modernstes und zugleich eines der effiziente-
sten Autowerke von General Motors mit heute wieder
mehr als 4 000 Mitarbeitern produziert.

Noch eindrucksvoller zeigt sich ostdeutsche Lei-
stungskraft in mittelständischen Unternehmen mit oft
langer Tradition. Mit großem persönlichen Engagement
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch der
Firmenleitungen, mit hoher Innovationsbereitschaft und
einem guten Produkt konnten sich viele am Markt
durchsetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den De-
batten über den Stand der deutschen Einheit haben sich
Regierung und Opposition immer wieder gegenseitig
vorgeworfen, sie hätten in den Jahren 1989 und 1990
gezaudert, sich geirrt oder falsche ökonomische Ent-
scheidungen getroffen. Ich will diese Debatte hier nicht
noch einmal eröffnen. Wir können es uns nicht leisten,
uns in Rechthaberei oder Selbstgerechtigkeit zu ergehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere Aufgabe besteht vielmehr darin, die Probleme
beim Aufbau Ost zu lösen und endlich die Angleichung
der Lebensverhältnisse in Ost und West voranzubringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Aufbausituation seit der Vereinigung stand unter
einem ganz anderen Vorzeichen als die Zeit des Wirt-
schaftswunders in den 50er Jahren oder auch die Ein-
gliederung des Saarlandes in den Jahren nach 1957. Es
gab keine wirtschaftliche Sonderzone Ostdeutschland
und kaum Übergangsregelungen oder Schutzklauseln für
ostdeutsche Unternehmen. Unternehmer und Arbeit-
nehmer mußten sich über Nacht auf eine neue Wirt-
schaftsordnung einstellen. Die Märkte für ostdeutsche
Produkte in Ost- und Mitteleuropa sind vielfach wegge-
brochen. An den westeuropäischen Märkten waren die
Unternehmen unvermittelt einer starken westlichen
Konkurrenz ausgesetzt.

Bundeskanzler Gerhard Schröder






(B)



(A) (C)



(D)


Die zweite Feststellung zur Zwischenbilanz lautet
deshalb: Die Revolution von 1989 brachte zwar allen
demokratische Freiheiten und in der Folge vielen auch
materiellen Wohlstand. Aber der Übergang von der so-
zialistischen Staatswirtschaft zur Marktwirtschaft verlief
nicht bruch- und auch nicht reibungslos. Für viele Men-
schen war er mit herben Einbußen und tiefen Einschnit-
ten verbunden. Das betrifft vor allen Dingen den Ar-
beitsmarkt. Millionen von Arbeitsplätzen gingen verlo-
ren. Sie konnten durch die hohe Zahl der neugeschaffe-
nen Arbeitsplätze bei weitem noch nicht ausgeglichen
werden. Die Folge: Die Arbeitslosenquote in Ost-
deutschland ist auch heute noch immer etwa doppelt so
hoch wie die in Westdeutschland. 44 Prozent der in Ost-
deutschland im Jahr 1990 Beschäftigten sind heute ent-
weder in Rente oder arbeitslos.

Viele Betriebe sind dem Strukturwandel zum Opfer
gefallen. Heute ist sich die Mehrheit der Fachleute in
Politik und Wirtschaft über Parteigrenzen hinweg einig:
Man hat in den ersten Jahren nach 1990 – so hat es
Klaus von Dohnanyi jüngst formuliert – „die Weisheit
des Marktes überschätzt“. Statt unbeirrt an der reinen
Lehre des freien Marktes festzuhalten, wäre es erforder-
lich gewesen, die Bildung ostdeutschen Eigentums im
Produktionsbereich zu vereinfachen und ostdeutschen
Anbietern zumindest zeitweise lokale Standortvorteile
zu gewähren.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Selbst der BDI forderte 1993 – zu Recht, aber vergeb-
lich – eine steuerliche Wertschöpfungspräferenz für das
verarbeitende Gewerbe. Natürlich war es die SED-
Herrschaft – dies gilt es festzuhalten –, die für den de-
solaten Zustand des Wirtschaftsraumes Ostdeutschland
Ende der 80er Jahre verantwortlich gewesen ist. Darin
und nirgendwo anders liegen die wesentlichen Ursachen
für die ökonomischen Folgen der Vereinigung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ebenso unbestreitbar ist aber, daß nach zehn Jahren
in Ostdeutschland das Gefühl der Entfremdung und der
Enttäuschung noch immer sehr deutlich zu spüren ist.
Diese Empfindungen werden auch von Menschen ge-
teilt, die vom Schicksal der Arbeitslosigkeit verschont
wurden und ihren privaten und beruflichen Weg unter
neuen Verhältnissen erfolgreich gegangen sind. Dafür
lassen sich objektive wie subjektive Ursachen ausma-
chen, die allesamt zu tun haben mit 40 Jahren getrennter,
aber auch mit zehn Jahren gemeinsamer, aber unter-
schiedlich erlebter Geschichte.

Zu den objektiven Ursachen gehören die einschnei-
denden und alle Lebensbereiche umfassenden Verände-
rungen im persönlichen Umfeld. Die Veränderungslei-
stung, die den Ostdeutschen nach der Vereinigung ab-
verlangt wurde, war ohne Frage ungleich größer als die
ihrer westdeutschen Landsleute. Mit der Industrie- und
Gewerbestruktur ging häufig die soziale und auch die
kulturelle Infrastruktur verloren. Aber vor allem wurde
mit dem Verlust der Arbeit für viele der wichtigste so-
ziale Bezugsrahmen zerstört. Mit den sozialen Struktu-

ren und den gesellschaftlichen Bindungen ging wieder-
um ein Teil des Identitätsgefühls verloren.

Viel schwerer wiegen darum die subjektiven Ursa-
chen: Viele Ostdeutsche schmerzt das als zu gering
empfundene Interesse der Westdeutschen an ihrer Ge-
schichte und auch an ihrer Heimat. Sicher ist: Mehr
Neugier auf Ostdeutschland, seine Geschichte und seine
Menschen würde das Verständnis zwischen Ost und
West fördern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Auch manches undifferenzierte Urteil über die Ge-
sellschaft der DDR und damit über die Lebensleistung
der Menschen dort wird zu Recht als unfair, gelegentlich
auch als anmaßend empfunden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


In Ostdeutschland mußten die Menschen ihr Leben unter
ungleich schwierigeren Bedingungen meistern. Sie ha-
ben deshalb Anspruch auf Respekt vor dieser Lebenslei-
stung wie jeder andere.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Noch mehr muß der oft zu vernehmende Vorwurf
kränken, die meisten Ostdeutschen seien Mittäter oder
Mitläufer einer Diktatur gewesen. Auch hier rate ich zu
Vorsicht und zu Demut: In guter rechtsstaatlicher Tradi-
tion erlaubt erst die Feststellung persönlicher Schuld in
Kenntnis der besonderen Umstände ein faires Urteil. Je-
des pauschale Verdikt ist von vornherein unangebracht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Nur die gerichtliche Aufarbeitung individuellen Un-
rechts und die politisch-historische Aufarbeitung der
Geschichte beider deutscher Staaten als gemeinsame
Nachkriegsgeschichte ermöglichen Rechtsfrieden und
gesellschaftliche Versöhnung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unter diese Aufarbeitung darf allerdings kein wie immer
gearteter Schlußstrich gezogen werden.

Eines sollten wir nicht vergessen: Meine Generation
hat die Demokratie von den Westmächten gleichsam als
Geschenk bekommen; die Menschen in der DDR haben
sich ihre demokratischen Freiheitsrechte in einer
friedlichen Revolution erkämpft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Demokratie im Osten war gerade kein Westimport,
sondern das Verdienst der erfolgreichen gewaltlosen
Revolution.

Bundeskanzler Gerhard Schröder






(A) (C)



(B) (D)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, viel ist ge-
rade in den letzten Monaten vom angeblichen Auseinan-
derdriften der Ost- und der Westdeutschen geredet und
in den Medien national wie international verbreitet wor-
den. Dazu stelle ich zunächst einmal fest, daß es so et-
was wie einen einheitlichen deutschen Nationalcharakter
glücklicherweise immer nur als Klischee in der Karika-
tur gegeben hat. Deutschland war immer von verschie-
denen Kulturen geprägt und hat seinen Reiz gerade in
den regionalen Besonderheiten. Gleichwohl sind sich
Ost- und Westdeutsche in vielen Bereichen bereits viel
näher gekommen, als man es gelegentlich hören und le-
sen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dennoch bleiben Unterschiede. Das kann nach 40
Jahren der Teilung und nach zehn Jahren sehr unter-
schiedlich erlebter Einheit nicht überraschen. Darin
spiegeln sich die Realitätsunterschiede in Ost- und in
Westdeutschland, und darin spiegeln sich auch die ganz
verschiedenen gesellschaftlichen Erfahrungen, die die
Menschen in unterschiedlichen politisch-sozialen Zu-
sammenhängen gemacht haben, wider. Für die weitere
schrittweise Angleichung der Lebensverhältnisse benö-
tigen wir dringend diese unterschiedlichen Erfahrungen
aus Ost- und Westdeutschland; denn die Vielfalt der An-
schauungen ist für eine offene, wirklich plurale Gesell-
schaft unverzichtbar.

Vielfalt erfordert Toleranz und verdient Toleranz.
Auf eines allerdings will und muß ich hinweisen: Frem-
denhaß und fremdenfeindliche Gewalt verdienen diese
Toleranz nicht. Gegenüber Intoleranz gibt es keine Tole-
ranz.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Einheit heißt nicht Ein-
heitlichkeit. Einheit heißt Gleichwertigkeit unterschied-
licher Lösungen und Wege, heißt auch Wettbewerb,
heißt aber vor allen Dingen Chancengleichheit. Hierin
liegt der Grund, daß die Bundesregierung im Oktober
1998 mit einem klaren Ziel angetreten ist. Dieses Ziel
heißt Innovation und Gerechtigkeit.

Nur eine Politik der gerechten Modernisierung wird
den von vielen Ostdeutschen noch immer empfundenen
Widerspruch – einerseits Freude über demokratische
Freiheiten und individuelle Selbstbestimmung, anderer-
seits die Erfahrung von Ungerechtigkeit, existentiellen
Verlusten und gelegentlich auch dem Gefühl sozialer
Kälte – überwinden können. Mit dem Jahresbericht zur
deutschen Einheit haben wir eine ehrliche Bilanz der
bisherigen Aufbauleistung vorgelegt. Diese Bilanz über-
höht nichts, und sie beschönigt nicht die noch vor uns
liegende Wegstrecke.

Jede Bundesregierung hätte unverantwortlich gehan-
delt, wenn sie auf Kosten der Zukunft dieses Landes die
Politik der Schuldenexplosion, der Stagnation und des
Reformstaus fortgesetzt hätte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer die einzelnen Entscheidungen unter den Ge-
sichtspunkten betrachtet, ob sie gerecht waren und ob
die Interessen des Ostens berücksichtigt wurden, der
wird zugeben müssen: Gerade die Entscheidungen des
ersten Jahres unserer Regierungszeit haben das Verspre-
chen, Gerechtigkeit zu schaffen, eingelöst.

Ich nenne drei Beispiele: Der bis 1996 geltende
Kündigungsschutz wurde wiederhergestellt. Alle Ar-
beitnehmer erhalten im Krankheitsfall wieder 100 Pro-
zent ihres Arbeitsentgelts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/ CSU)


– Darüber würde ich übrigens nicht lachen. Auch Sie
bekommen diese 100 Prozent. Warum wollen Sie es Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern vorenthalten?


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Exakt das was Sie hier aufführen, ist es, was als un-
erträgliche Arroganz den Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern gegenüber empfunden wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Lachen bei der CDU/CSU)


Um Lohn- und Sozialdumping dauerhaft zu bekämp-
fen, wurde die Befristung des Arbeitnehmer-Entsende-
gesetzes aufgehoben.

Ein wesentlicher Schwerpunkt lag in diesem ersten
Jahr beim Aufbau Ost. An dieser Stelle will ich nur zwei
sehr bedeutende Beispiele ins Gedächtnis rufen: Mehr
als 40 Prozent der mehr als 180 000 Ausbildungs-, Qua-
lifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen im Rah-
men des Sofortprogramms zum Abbau der Jugendar-
beitslosigkeit entfielen auf die neuen Länder.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Besonders erfreulich ist der überdurchschnittliche
Rückgang der Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen
unter 25 Jahren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Oktober sank die Zahl arbeitsloser Jugendlicher noch
einmal um rund 50 000.

Auch in den ostdeutschen Ländern nahm die Jugend-
arbeitslosigkeit spürbar ab. Insgesamt ist die Arbeitslo-
senquote bei Jugendlichen in Deutschland von 10,8 Pro-
zent im September auf 9,7 Prozent im Oktober zurück-
gegangen. Ich halte das für einen wirklich großen Er-
folg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir es schaffen, den Jugendlichen im Westen,
aber eben auch vor allen Dingen im Osten eine Perspek-
tive in Ausbildung und Arbeit zu geben, dann werden

Bundeskanzler Gerhard Schröder






(B)



(A) (C)



(D)


wir es auch schaffen, sie von Rechtsradikalismus und
Gewalt fernzuhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch mit dem Entwurf zur Novelle des SED-
Unrechtsbereinigungsgesetzes löst die Regierung ihre
Zusage ein, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Die Ver-
besserung der Entschädigung und Rehabilitierung von
Opfern des SED-Unrechts ist von uns auf den Weg ge-
bracht worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Auf Dauer Vertrauen gewinnen – dies lehrt die Erfah-
rung – wird nicht der, der nur den einfachen Weg geht.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Wer die Vielzahl von Verbands- und Klientelinteressen,
mit denen wir jetzt konfrontiert werden, erlebt, wer ih-
nen weit entgegenkommt, der wird sehen, daß alle Re-
formprojekte versanden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Innovation und Gerechtigkeit, das sind die Ziele, die
in drei Dimensionen wirken müssen, um auf Dauer er-
folgreich zu sein: Zum ersten in der Breite der Gesell-
schaft. Das heißt, wir müssen gerade angesichts der
Herausforderung der Globalisierung für Bedingungen
sorgen, unter denen jeder Mensch eine Chance hat, seine
Fähigkeiten zu entwickeln und sein Leben eigenverant-
wortlich zu gestalten.

Dazu gehört vor allem eine Ausbildungschance für
jeden Jugendlichen, für jeden, der sie wahrnehmen kann
und wahrnehmen will. Bei dieser gesamtgesellschaftli-
chen Aufgabe hat uns der Ausbildungskonsens, den wir
mit den Tarifpartnern im „Bündnis für Arbeit“ geschlos-
sen haben, einen wesentlichen Schritt vorangebracht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat mit ihrem Sonderprogramm
selber einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet. Trotz
aller finanziellen Enge wird dieses Programm im Jahr
2000 fortgesetzt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Innovation und Gerechtigkeit müssen auch in der
Tiefe der Zeit wirken. Das heißt: Wir müssen die so-
zialen Sicherungssysteme, also Alters- und Gesund-
heitsvorsorge, so gestalten, daß die gerechtfertigten
Ansprüche und die notwendigen Bedürfnisse der heu-
tigen Leistungsempfänger gesichert sind, ohne daß dies
allein zu Lasten der nachwachsenden Generationen ge-
hen darf, für deren Sicherheit wir ebenso Verantwortung
tragen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus dem gleichen Grund müssen wir die finanzielle
Bewegungsfreiheit des Staates zurückgewinnen und die
großen Hypotheken abbauen, die in den letzten Jahren
auf Kosten der nächsten Generation aufgehäuft wurden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Will der Staat den Anspruch nicht aufgeben, sowohl der
Garant für Chancengerechtigkeit als auch für sozialen
Schutz der Schwachen zu sein, dann muß er sich auch
und gerade als Anwalt der zukünftigen Generation ver-
stehen.

Schließlich müssen diese Ziele in die Fläche des Lan-
des wirken. Das heißt, wir werden die innere Einheit in
dem Maße vollenden, wie sich West- und Ostdeutsche
mit ihren Stärken, Schwächen und Eigenheiten gegen-
seitig respektvoll annehmen. Wir werden in dem Maße
erfolgreich sein, wie wir mit dem gemeinsamen Projekt
Aufbau Ost in den neuen Ländern selbständige europäi-
sche Regionen schaffen, die sich aus eigener Kraft be-
haupten können. Wir halten deshalb an der Gleichwer-
tigkeit der Lebensverhältnisse als einem vorrangigen
Ziel dieser Regierung fest.

Es gibt zum ausgehenden Jahrhundert kaum ein
wichtigeres, lohnenderes und erfolgversprechenderes
Projekt als die Herstellung der inneren Einheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses gemeinsame Ziel ist nicht allein eine solidarische
Verpflichtung des ganzen Landes. Nein, von seinem Er-
folg hängt auch ab, wie gut Deutschland seiner Ver-
pflichtung als Motor der europäischen Einigung nach-
kommen kann und wie gut Deutschland im globalen
Wettbewerb bestehen wird.

Der Erfolg wird auf vier Säulen ruhen, zum ersten auf
dem Solidarpakt. Er ist das finanzpolitische Rückgrat
für die Finanzausstattung der neuen Länder. Er hebt die
gemeinsame Verantwortung des Bundes und der Länder
für den Aufbau Ost hervor. Er stärkt den Föderalismus
als wichtiges strukturelles Element.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb wird sich die Bundesregierung für eine Nach-
folgeregelung ab 2005 einsetzen. Mit zunehmender Dif-
ferenzierung der wirtschaftlichen Entwicklung müssen
die ostdeutschen Länder noch stärker in die Lage ver-
setzt werden, eine regionalisierte Wirtschafts- und
Strukturpolitik zu betreiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die zweite Säule ist das Zukunftsprogramm der Bun-
desregierung. Es schafft die finanzpolitische Vorausset-
zung dafür, daß der Aufbau Ost auf hohem Niveau fort-
geführt werden kann. Durch die Reformen der Sozialsy-
steme und das Steuerentlastungsgesetz werden die Rah-
menbedingungen für Wirtschaftswachstum und für
Wettbewerbsfähigkeit in ganz Deutschland verbessert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bundeskanzler Gerhard Schröder






(A) (C)



(B) (D)


Im übrigen: Die hohe Schuldenlast, die uns zwingt,
fast jede vierte Mark des Bundeshaushaltes für Zinsen
und Tilgung auszugeben, ist nicht nur eine Umvertei-
lung von Ost nach West, sondern auch eine von unten
nach oben. Sie ist zugleich eine Umverteilung zu Lasten
der nachwachsenden Generation.

Die dritte Säule ist schließlich die Verankerung der
Bundesrepublik in Europa und die aktive Gestaltung des
europäischen Einigungsprozesses. Dabei sind die Be-
schlüsse der Agenda 2000 von elementarer Wichtigkeit
auch und gerade für die neuen Länder. Sie bleiben bis
zum Jahr 2006 Ziel-1-Fördergebiet. Für den Ostteil Ber-
lins besteht eine angemessene Übergangsregelung.

Ohne Michail Gorbatschows Reformpolitik, ohne die
Frauen und Männer der Solidarnosc und ohne die Weit-
sicht der tschechischen und der ungarischen Regierung
im Umgang mit den Botschaftsflüchtlingen bis hin zur
Grenzöffnung hätte es im Jahre 1990 keine deutsche
Einheit gegeben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.] – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Mit Ihnen auch nicht!)


Dies gilt übrigens auch für die Solidarität der westlichen
Alliierten.

Nur mit einer Europapolitik, die den mittel- und osteu-
ropäischen Staaten eine verläßliche Perspektive für den
Beitritt zur Europäischen Union sichert, kann der Bau
des europäischen Hauses vollendet werden. Deutschland
wird diesen Prozeß als ein Anwalt der mittel- und osteu-
ropäischen Interessen begleiten und befördern – aus
Dankbarkeit, aus Solidarität, aber, meine Damen und
Herren, auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schließlich bietet eine vierte und zugleich die wich-
tigste Säule die Gewähr für den Erfolg des gemeinsamen
Projektes der deutschen Einheit. Diese wird durch die
„typisch ostdeutschen“ Fähigkeiten, die die Menschen in
den neuen Ländern auch in den letzten zehn Jahren unter
Beweis gestellt haben, repräsentiert: Tatkraft, Kreativi-
tät, Veränderungsbereitschaft sowie Anpassungs- und
Kooperationsfähigkeit.

Ausgangspunkt unseres Konzeptes für den Aufbau
Ost ist die Erfahrung, daß sich Entwicklungserfolge dort
eingestellt haben, wo aus der Region heraus eine spezifi-
sche Profilbildung gelungen ist. Gelungen ist dies insbe-
sondere dort, wo die Grundsätze von Kommunikation
und Kooperation beherzigt wurden: Netzwerksbezie-
hungen zwischen Unternehmen mit dem Ziel der sinn-
vollen Ergänzung von Produktionen und Dienstleistun-
gen; Vereinbarungen der Wirtschaft mit Berufsschulen
und Hochschulen über Ausbildungskooperationen und
Technologietransfer; Verabredungen mit der öffentli-
chen Verwaltung über den zielgenauen Ausbau der In-
frastruktur, über anforderungsgerechte und zeitnahe
Umschulung des erforderlichen Personals sowie die
richtige Fort- und Weiterbildung der vorhandenen Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter. Viele Regionen in Ost-

deutschland haben sich auf diese Weise bereits zu Kom-
petenzzentren entwickelt. Andere Regionen benötigen
noch Unterstützung, aber Potentiale sind in allen Regio-
nen Ostdeutschlands vorhanden.

Wir haben vier Zukunftsfelder definiert, auf die wir
uns besonders konzentrieren wollen:

Erstens: Investitionen in die regionalen Stärken. Dazu
führt die Bundesregierung ständig intensive Gespräche
mit den Ländern auf allen Ebenen, unter anderem im
Rahmen gemeinsamer Kabinettsausschußsitzungen. Um
vorhandene regionale Kompetenzen freizulegen, haben
wir neue Förderprogramme aufgelegt, zum Beispiel das
Forschungsförderungsprogramm Inno-Regio. In Zu-
sammenarbeit von Unternehmen, Forschungseinrichtun-
gen und Wirtschaftsförderungsgesellschaften werden in
den nächsten Jahren 25 konkrete regionale Entwick-
lungsvorhaben angestoßen, für die der Bund
500 Millionen DM bereitstellt.

Zweitens: Investitionen in Ausbildung und berufliche
Kompetenz und eine Offensive gegen den Mangel an
Fachkräften im Bereich der Informationstechnologien.
Das erfolgreiche Sofortprogramm zum Abbau der Ju-
gendarbeitslosigkeit wird – ich sagte es bereits – im Jahr
2000 fortgeführt.

Drittens: Investitionen in unternehmerische Eigenin-
itiative, zum Beispiel durch ein neues Startgeldpro-
gramm der Deutschen Ausgleichsbank für kleine Exi-
stenzgründungen – damit wird die Kreditbeschaffung für
viele Existenzgründer konkret erleichtert – oder durch
eine verbesserte Eigenkapitalausstattung für innovative
Unternehmen im Rahmen des ERP-Investitionspro-
gramms.

Viertens: Investitionen in die Infrastruktur. Wir haben
ein zusätzliches Verstärkungsprogramm „Verkehrsinfra-
struktur in den neuen Bundesländern“ mit einem Um-
fang von 3 Milliarden DM aufgelegt. Damit können zum
Beispiel notwendige Autobahnanschlüsse finanziert
werden. Die weitere Verbesserung des Wohnumfeldes
unterstützen wir durch das neue Programm „Die soziale
Stadt“. Schließlich wird durch das „Aufbauprogramm
Kultur“ die Kulturförderung für die neuen Länder ver-
doppelt, sie beträgt allein im Jahre 1999 267 Millionen
DM. Dadurch werden die Länder und Kommunen bei
der Modernisierung ihrer Kultureinrichtungen unter-
stützt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der
großen Mehrheit aller Deutschen sind wir stolz darauf,
daß 1989 vom deutschen Boden eine friedliche Revolu-
tion ausgegangen ist, eine Revolution, die dieses Land
vereint hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gemeinsam müssen die Deutschen nun den Anforde-
rungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden und zu-
gleich den Prozeß der friedlichen Vereinigung unseres
Landes vollenden, den die Männer und Frauen in Ost-
deutschland vor zehn Jahren auf den Weg gebracht ha-
ben. Die bisherigen Leistungen beim Aufbau Ost lassen
die Erwartung zu, daß entscheidende Anstöße für die

Bundeskanzler Gerhard Schröder






(B)



(A) (C)



(D)


Bewältigung dieser Herausforderungen auch in Zukunft
aus Ostdeutschland selbst kommen werden. Die Einheit
unseres Landes ist eben noch nicht vollendet. Die weite-
re schrittweise Angleichung der Lebensverhältnisse
bleibt für die nächsten Jahre eine dringliche Aufgabe.
Daran mitzuwirken, sind alle aufgerufen, in Ost und
West.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen deshalb bisher Trennendes überwinden.
Wir wollen nicht mehr nach der Herkunft, nicht nach
Ost und West unterscheiden, sondern im Engagement
für unsere gemeinsame Zukunft eine Chance für unser
Land und eine Chance für Europa erkennen. Diese
Chance, meine Damen und Herren, wollen und werden
wir nutzen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406900400
Für die CDU/CSU-
Fraktion hat der Kollege Arnold Vaatz das Wort.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist ja bedeutsam! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Ist das der Fraktionsvorsitzende oder wer?)



Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1406900500
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Die Rede des Bundeskanzlers ent-
hielt nicht allzuviel Neues.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Gar nichts! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herrje! Das ist jetzt ja ganz spannend! – Widerspruch bei der SPD)


Aber, Herr Bundeskanzler, Sie haben sich immerhin be-
deutend verbessert, wenn man sich daran erinnert, daß
Sie noch im Jahre 1996 zitiert wurden mit den Worten:
Wir können die ja schließlich nicht an Polen abtreten.
Und weiter: Man wünscht den Südkoreanern eine Wie-
dervereinigung mit dem Norden, damit sie auf den
Weltmärkten etwas schwächer werden.

Meine Damen und Herren, es gibt einen grundlegen-
den Unterschied zwischen Ihrer und unserer Auffassung.
Dieser besteht darin, daß wir meinen, daß Deutschland
durch die Wiedervereinigung nicht schwächer, sondern
stärker wird, und zwar in jeder Hinsicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch nicht viel Neues!)


Meine Damen und Herren, wir reden heute über den
Jahresbericht 1999 der Bundesregierung zum Stand der
Einheit. Von einem solchen Jahresbericht erwartet man
etwas Besonderes. Er ist nahezu ein rhetorisches Feuer-
werk – im Gegensatz zu Ihrem Vortrag, Herr Bundes-
kanzler.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In diesem Jahr hatten wir ein rundes Jubiläum, den
zehnten Jahrestag des Mauerfalls. Auch deshalb ist es zu
begrüßen, daß – anders als Ihre Rede – der Bericht der
Bundesregierung sehr eindringlich an die Opfer der
SED-Gewaltherrschaft erinnert und daß er sich bei-
spielsweise zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und zum
Fortbestand des Amtes des Bundesbeauftragten für die
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes bekennt. Meine
Damen und Herren, Sie schreiben, zu den geistigen
Grundlagen einer innerlich gefestigten Demokratie ge-
hört ein von der Gesellschaft getragener antitotalitärer
Konsens – so steht es in dem Bericht: Warum koaliert
dann die SPD in Mecklenburg-Vorpommern mit der
PDS, und warum lassen Sie sich in Sachsen-Anhalt von
ihr tolerieren?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der SPD: Oh! – Zurufe von der PDS)


Es müßte Ihnen doch aus der deutschen Geschichte be-
kannt sein, daß Wahlerfolge einer Partei bei demokrati-
schen Wahlen keine hinreichende Bedingung für deren
demokratischen Charakter sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Lachen bei der PDS)


Oder werten Sie die Standortbestimmung, wonach die
PDS systemoppositionell sei, diese Gesellschaft als ein
Durchgangsstadium betrachte, als ein Bekenntnis zur
gewaltenteiligen Ordnung? Das frage ich Sie. Ich halte
das nicht für ein solches Bekenntnis.


(Joachim Poß [SPD]: Warum muß er sich zur PDS äußern? Sie haben wohl einen Heiermann! – Heiterkeit bei der SPD)


Sie haben, meine Damen und Herren – Sie können
schimpfen, wie Sie wollen –, den antitotalitären Kon-
sens, den Sie in Ihrem Bericht beschwören, schon seit
Jahren aufgegeben. Die Verzweiflung darüber geht bis
tief in Ihre Reihen. Fragen Sie zum Beispiel einmal den
Kollegen Hilsberg.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich fände es gut, wenn es Ihnen gelänge, die Entschä-

digungsbeträge im Rahmen der Rehabilitierung der
SED-Opfer aufzustocken. Ich habe die Regelung, die
damals unter schwierigen Randbedingungen eines Neu-
anfangs von der von uns getragenen Regierung gefunden
wurde, niemals für zureichend gehalten. Aber ich warne
Sie vor der Illusion, man könne sich das Einverständnis
der SED-Opfer für eine Umarmung der PDS durch hö-
here Entschädigungssummen erkaufen. Das wird fehl-
schlagen.

Ihre Bilanz der letzten zehn Jahre fällt sehr nüchtern
und buchhalterisch aus.


(Joachim Poß [SPD]: Das wird ja immer mehr zum rhetorischen Feuerwerk! Das ist ja auffällig!)


Die Ereignisse von 1989 bleiben seltsam unreflektiert.
Mir wird manchmal die Frage gestellt: Haben sich Ihre

Bundeskanzler Gerhard Schröder






(A) (C)



(B) (D)


Ideale von 1989 nach zehn Jahren erfüllt? Ich antworte
dann immer: Es ging mir gar nicht um Ideale. Mir ging
es damals um die Rückkehr zur Selbstverständlichkeit:
um die Rückkehr zur Freiheit des Wortes und der Wahl
des Aufenthaltes, um die Rückkehr zu freien Wahlen,
zum Rechtsstaat und zur Gewaltenteilung. Ich wollte,
daß keine Partei mehr ihren Machtanspruch direkt in der
Verfassung festschreiben darf, daß niemand mehr Bü-
cher, die in Buchläden in der ganzen Welt zu kaufen
sind, aus Paketen konfiszieren darf. Ich wollte nicht, daß
die Kinder weiter gezwungen werden, verlogene und
anmaßende Sätze, wie zum Beispiel „Die Partei hat im-
mer recht.“ und „Der Charakter unserer Epoche besteht
im weltweiten Übergang vom Kapitalismus zum Sozia-
lismus.“ nachzusprechen. Die Rückkehr zu diesen
Selbstverständlichkeiten ist uns nahezu vollständig ge-
lungen. Die Grundrechte sind heute selbstverständliche
Rechte. Wir tun in Ostdeutschland zuweilen so, als hät-
ten wir nie andere Zeiten gekannt.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Mehr, als man damals erwarten konnte, geschah im

infrastrukturellen Bereich. Auch Sie, Herr Bundeskanz-
ler, haben das bestätigt. Wir haben in den 80er Jahren
gesehen, mit welcher Geschwindigkeit die Städte und
Wohnungen verfielen. Wir haben die Weigerung der
Führung erfahren, diese Mißstände überhaupt wahrzu-
nehmen. Was sich aus dieser eigentlich aussichtslosen
Lage im Rahmen der gesamtdeutschen Solidarleistung
entwickelt hat, lag – im positiven Sinne – jenseits von
all dem damals Vorstellbaren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der vielgeschmähte Begriff „blühende Landschaften“ ist
keine Übertreibung; er ist eine massive Untertreibung
für das tatsächlich Stattgefundene.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen und Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Helau!)


Wenn Sie den Aufschwung denunzieren, indem Sie sa-
gen, daß dafür eine erhöhte Nettokreditaufname not-
wendig war, dann wird dadurch Ihr nach wie vor
vorhandenes Nichtwissen oder auch vorgetäuschtes
Nichtwissen über die wirkliche Lage in der DDR offen-
bart.


(Beifall bei der CDU/CSU – Roland Claus [PDS]: Herr Kollege, Sie sind zu früh: Es ist noch nicht 11.11 Uhr!)


Herr Bundeskanzler, Sie sind auf das Bruttosozial-
produkt pro Kopf in Ostdeutschland eingegangen. Es
liegt im Augenblick bei 60 Prozent des westdeutschen
Bruttosozialprodukts. Es ist notwendig, diese Zahl durch
zwei andere Zahlen zu ergänzen. Die Löhne betragen
in Ostdeutschland außerhalb des öffentlichen Dienstes
im Augenblick durchschnittlich 75 Prozent der West-
löhne. Im öffentlichen Dienst betragen sie 86,5 Pro-
zent. Es ist also festzustellen, daß nach wie vor Löhne
und Produktivität in Ostdeutschland entkoppelt sind.
Wenn Sie angesichts dieses Problems das Anliegen, wie
wir in Zukunft mit dieser Schere zu Rande kommen,
nicht zu einem Ihrer wichtigsten Anliegen machen, dann
begeben Sie sich in Gefahr, eines Tages vorgehalten zu

bekommen, daß Sie die Realität nicht wahrnehmen
wollten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Herr Bundeskanzler, Sie haben recht, wenn Sie in er-
ster Linie die Leistungskraft der ostdeutschen Arbeit-
nehmer hervorheben. Diese kann man gar nicht genug
betonen. Aber es gab noch einen anderen wichtigen
Grund für diesen Aufschwung. Ich glaube nämlich nicht,
daß unsere tschechischen und polnischen Nachbarn so
viel fauler und dümmer als wir Ostdeutschen sind. Diese
Arbeitnehmer verdienen aber heute für ihre Arbeit – das
ist keine Sozialhilfe – im Durchschnitt 500 bis 700 DM
im Monat. Das entspricht ungefähr 15 bis 20 Prozent der
Löhne in Ostdeutschland. Aber nichts kostet in Polen
oder in Tschechien – ein Liter Benzin kostet dort eben
nicht 40 Pfennig – nur 15 oder 20 Prozent von dem, was
es in Ostdeutschland kostet. Daran muß man sich ab und
zu erinnern. Das heißt, daß der Aufbau in Ostdeutsch-
land eine andere Dimension hat als das, was in Polen
oder in Tschechien gegenwärtig geschieht, und das ver-
danken wir der deutschen Einheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Hier scheint mir Ihr Grundproblem zu liegen, Herr
Bundeskanzler. Den Einigungsvertrag verdanken wir
maßgeblich der Arbeit von Wolfgang Schäuble und
Günther Krause.


(Zurufe von der SPD: Krause hat hier noch gefehlt! – Wo ist Krause? – Weitere Zurufe von der SPD)


– Sie waren alle nicht dabei. – Dieser Vertrag war, ge-
messen an der kurzen Zeit, die bis zu seiner Verabschie-
dung zur Verfügung stand, ein überragender Erfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Herr Bundeskanzler, Sie und Ihr damaliger saarländi-
scher Ministerpräsidentenkollege, Lafontaine, haben
diesen Vertrag seinerzeit im Bundesrat abgelehnt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Wenn sich alle so verhalten hätten wie Sie, dann wäre es
Ihnen gelungen, die deutsche Einheit nicht nur zu verzö-
gern, sondern zu verhindern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit! – Lachen bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Hossa!)


Denn wir alle wissen, wie schnell sich nach dem Jahr
1990 die weltpolitische Lage gewandelt hat. Gorba-
tschow stürzte im Sommer 1991. Jetzt denken Sie, Sie
könnten in Ihrer Rede denjenigen, der Sie daran erinnert,
der Rechthaberei und der Selbstgerechtigkeit bezichti-
gen. Umgekehrt möchte ich Ihnen sagen: Sie versuchen,
die Geschichte, die Sie selbst mit verursacht haben, un-
geschehen zu machen. Das ist das Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Das ist unlogisch! Herr Vaatz, genießen Sie Ihre Rente!)


Arnold Vaatz






(B)



(A) (C)



(D)


Herr Bundeskanzler, Sie haben sich – das hat man an
Ihrer Rede gemerkt – die innere Kälte gegenüber der
deutschen Einheit bewahrt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Genießen Sie doch Ihre Pension aus dem Ministeramt!)


Das steht völlig in der Kontinuität dessen, was Sie und
Ihre Partei in den 80er Jahren von sich gegeben haben.
Schon 1985 war es für Sie selbstverständlich, die Staats-
bürgerschaft der DDR zu respektieren, wie man im
„Neuen Deutschland“ nachlesen konnte.


(Joachim Poß [SPD]: Sie sind mental sehr eingeengt, Herr Vaatz!)


– Nehmen Sie das nur einmal zur Kenntnis; so ist es ge-
wesen. – Hätten wir den Art. 23 des Grundgesetzes im
Jahre 1990 nicht gehabt, dann wäre diese deutsche Ein-
heit so nicht gekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Es ist den vernünftigen Menschen im Deutschen Bun-
destag zu verdanken, daß dieser Artikel Bestand gehabt
hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie, Herr Bundeskanzler, möchte ich in diesen Dank
nicht einschließen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Pfui! – Sabine Kaspereit [SPD]: Sie beschmutzen die Geschichte! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bißchen souveräner würde nicht schaden! Das würde der ganzen CDU nicht schaden!)


Ich sage Ihnen noch mehr. Ich bin ein gläubiger
Mensch und danke Gott und dem deutschen Wähler, daß
im Jahre 1989/90 nicht Sie Bundeskanzler waren, son-
dern Helmut Kohl.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der SPD: Buh!)


Heute können Sie die deutsche Einheit nicht mehr ver-
hindern. Sie können sie nur noch zur Chefsache machen,
was immer das bedeuten mag.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Zuruf von der CDU/ CSU: Lieber nicht! – Joachim Poß [SPD]: Er lebt seine Phobien hier aus! – Susanne Kastner [SPD]: Er beschimpft doch nur! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kläffer!)


Ich weiß nicht, wie andere es halten, aber ich bin den
Menschen in Westdeutschland dankbar dafür, daß sie
bereit waren, uns mit einer so beispiellosen Unterstüt-
zung aus dem Loch herauszuhelfen,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


in das wir durch die aberwitzige Anmaßung der Kom-
munisten gefallen waren. Ich finde übrigens, Dankbar-
keit ist kein Zeichen von Naivität oder Bigotterie,


(Zuruf von der SPD: Das ist sehr peinlich, Herr Kollege!)


sondern Dankbarkeit hat etwas mit Menschlichkeit und
Einsicht in menschliche Grenzen zu tun, also mit Reife
und Erwachsensein.


(Joachim Poß [SPD]: Ihre Grenzen werden hier sehr deutlich! Vor allem die geistigen!)


Ich bedaure – vielleicht holt die Regierung das ja im
Jahre 2000 nach –, daß in diesem Bericht 1999 nicht
einmal der Vergleich mit unseren ehemals sozialisti-
schen Nachbarstaaten, also der Vergleich von Ost-
deutschland mit Polen, Tschechien usw., herausgear-
beitet worden ist. Bei fortdauernder Zweistaatlichkeit in
Deutschland wären ähnliche Entwicklungen auch in
Ostdeutschland zu erwarten gewesen.

Freilich lastet auf uns Ostdeutschen ein nahezu
schmerzhafter Umorientierungsdruck. Dieser Druck ist
aber nicht deshalb so schmerzhaft, weil die neue Ord-
nung so erbarmungslos wäre, sondern deshalb, weil die
alte so falsch war.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Schmerzhaft ist Ihre Rede!)


Ich höre oft den Klagegesang: Unsere sozialistische Ge-
borgenheit, wo ist sie hin? Es heißt: In der DDR war
nicht alles schlecht. Dieser Satz ist im übrigen richtig.
Aber ich erinnere mich an meine Haftzeit: Auch im Ge-
fängnis war nicht alles schlecht. Was denken Sie! Es gab
dort einen Koch, der verhaftet worden war und der aus
nichts etwas gemacht hat, was hervorragend schmeckte.
Aber es war eben Knast.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Jetzt machen Sie Schröder aber nicht für Ihre Zeit im Gefängnis verantwortlich!)


Auch in der DDR war nicht alles schlecht. Das ist der
rhetorische Anlauf zu den Nostalgiearien, die auch Sie
in Ihrem Bericht beklagen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Ihrer Rede ist auch nicht alles schlecht! Aber das meiste schon! – Heiterkeit bei der SPD und der PDS)


Leider gehen Sie der Frage nicht ausreichend nach, war-
um das so ist. Die Beantwortung dieser Frage ist aber
wichtig. Viele trauern der Geborgenheit in der DDR
nach. Diese Geborgenheit ähnelte aber eher einer Kaser-
nenhofgeborgenheit. Die Geborgenheit eines Kasernen-
hofes mag zwar klären, was es zum Frühstück gibt und
wie die Marschordnung lautet.


(Joachim Poß [SPD]: Sie leben in der Geborgenheit Ihrer Vorurteile! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorwärts, Herr Vaatz! – Joachim Poß [SPD]: Wo bleibt Ihre Lebensfreude?)


Arnold Vaatz






(A) (C)



(B) (D)


Sie mag unter Umständen auch die Beschäftigungslo-
sigkeit wegorganisieren. Aber Exerzieren und Produzie-
ren sind eben zweierlei. Beides ist anstrengend; das ist
wahr. Aber es ist notwendig, etwas zu produzieren, das
auf dem Markt zum Herstellungspreis verkauft werden
kann. Alles anderes hat mehr mit Exerzieren zu tun als
mit Produzieren.


(Joachim Poß [SPD]: Was hat das alles mit den Ausführungen des Bundeskanzlers zu tun?)


Meine Damen und Herren, leider ist nicht jeder fal-
sche Satz, den wir im Staatsbürgerkundeunterricht ge-
lernt haben, so leicht als Schwachsinn zu erkennen wie
der Satz: Die Partei hat immer recht.

Es gab auch andere Sätze – das, Herr Bundeskanzler,
hätten Sie einmal aufgreifen können –: In Ostdeutsch-
land gibt es ein schwerwiegendes Grundmißverständnis.
Viele meinen, daß der Satz, der Wert einer Ware bestehe
in der zu ihrer Herstellung notwendigen gesellschaftli-
chen Arbeitszeit, nach wie vor Bedeutung habe. Wenn
man diesen Satz ernst nahm, dann konnte man darüber
verzweifeln, für welche Preise teilweise die Produkti-
onsanlagen in Ostdeutschland über den Ladentisch ge-
gangen sind. Aber wenn man deutlich macht, daß in der
Marktwirtschaft ein Dritter durch das, was er für eine
Ware zu geben bereit ist, über den Wert dieser Ware
entscheidet, wenn man also den Begriff des Wertes eines
Produktes auch in Ostdeutschland genügend präsent
macht, dann hat man, so glaube ich, einen großen Teil
der Nostalgie an der Wurzel bekämpft.

Herr Bundeskanzler, ich bedaure es, daß Sie diesen
begrifflichen Verwirrungen nicht auf den Grund gegan-
gen sind. Ich halte die Zweisprachigkeit in Ostdeutsch-
land und in Westdeutschland für die nach wie vor
schwerwiegendste Ursache der Mißverständnisse zwi-
schen den beiden Teilen unseres Landes.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Mit Ihrer Rede tragen Sie dazu bei!)


Herr Bundeskanzler, Sie haben die Aufgabe, dieser
Zweisprachigkeit auf den Grund zu gehen, die daraus
erwachsenen politischen Mißverständnisse aufzuheben
und darauf unsere Zukunft aufzubauen.


(Joachim Poß [SPD]: Ich habe den Eindruck, nicht einmal Ihre Fraktion versteht Ihre Rede!)


Sie haben nicht die Aufgabe, Platitüden abzuarbeiten,
die wir schon zwanzigmal gehört haben, und sich damit
aus Ihrer schlechten Rolle herauszureden, die Sie in der
Vergangenheit gespielt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen eines: Ich finde
es gut, daß Sie Willy Brandt zitiert haben. Da kann nicht
viel passieren. Das hat Sie der Arbeit enthoben, sich sel-
ber zu zitieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zitieren Sie sich selber!)


Als nächstes rate ich Ihnen: Lesen Sie Ihre Rede nach,
und klopfen Sie sie darauf ab, was man daraus in zehn
Jahren noch zitieren könnte. Ich fürchte: Null!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus dieser Rede kann man auch nichts zitieren! – Zuruf von der SPD: Helau!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406900600
Ich erteile das Wort
nun dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Peter Struck.


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1406900700
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Vaatz, ich
habe mir zum einen im Bundestagshandbuch Ihre Bio-
graphie angesehen. Zum anderen habe ich 1989 und
1990 auf der Basis meiner eigenen politischen Erfahrung
Ihr damaliges Wirken in Dresden für das Neue Forum
mitverfolgen können.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da konnte man noch Respekt haben! Aber jetzt?)


Angesichts der Leistungen, die Sie zweifellos für die
friedliche Revolution in Dresden und anderswo erbracht
haben, muß ich sagen: Die Rede, die Sie soeben gehal-
ten haben, ist für mich eine einzige Enttäuschung. Sie
desavouiert Sie selbst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Sie haben ganz offenbar mit persönlichen Angriffen ge-
gen den Bundeskanzler eine bestimmte Linie halten
wollen, die objektiv so nicht zu halten war. Sie haben
sich in das gefährliche Fahrwasser von manch anderem
Redner Ihrer Fraktion begeben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie die Rede, die Sie eben gehalten haben, in zehn
Jahren nachlesen werden, dann wird davon nur ein Wort
übrigbleiben, Herr Vaatz, nämlich das Wort „Null“.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Herr Präsident, meine Damen und Herren, erlauben
Sie mir zu Beginn eine sehr persönliche Bemerkung: Für
mich ist es noch immer ein Ereignis besonderer Art,
wenn ich morgens am Brandenburger Tor vorbei in
mein Büro in Unter den Linden fahre. Für mich ist die
Alltäglichkeit, aus meinem Büro auf das Brandenburger
Tor zu schauen, ungebrochen Anlaß zu staunen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Machen wir uns nichts vor – damit meine ich zumindest
viele Kolleginnen und Kollegen aus den alten Ländern –:
Wir verstehen erst jetzt so richtig, was die Einheit be-
deutet; wir realisieren es erst jetzt vollends. 1989 waren
wir freudig gerührt. Dann waren wir mit der Vollendung
der Einheit befaßt. Jetzt, in Berlin, sind wir im wahrsten
Sinne des Wortes berührt.

Arnold Vaatz






(B)



(A) (C)



(D)


Für mich, der ich in Göttingen groß geworden bin,
war die DDR, der Ostblock keine ferne Drohung. Die
Grenze war in unmittelbarer Nähe. Ich war nicht ein-
gesperrt; meine Erfahrungen sind nicht mit den Erfah-
rungen jener zu vergleichen, auch vieler in meiner
Fraktion, die im Osten leben mußten. Aber ich habe
die Teilung des Landes als Alltagserfahrung realisiert:
Der Sonntagsausflug, die Klassenfahrt, die Schulwan-
derung – all das endete immer an der Grenze im Eichs-
feld. Die widersinnige, unnatürliche Grenze war faßbar.
Deshalb war der 9. November 1989 für mich ein Erleb-
nis tiefer innerer Befriedigung. Am Dienstag ist dieses
Datum in diesem Hause umfassend und, wie ich finde,
in hervorragender Weise gewürdigt worden – ich schlie-
ße alle Redner, die an diesem Tag gesprochen haben,
ein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir wird die Sitzung des Deutschen Bundestages
am 9. November 1989, in der die Meldung kam: „Die
Mauer ist offen!“, immer im Gedächtnis bleiben, auch
die Tatsache, daß wir, die wir im Plenum waren, spontan
die Nationalhymne gesungen haben.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Ihr habt doch gar nicht mitgesungen; das ist doch die Wahrheit! Schauen Sie sich doch einmal die Bilder an! Geschichtsfälschung! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Das ist gelogen! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Valium für Poß!)


– Herr Kollege Glos, das ist wieder einmal typisch für
Sie. Ich sage Ihnen: Anläßlich dieses Ereignisses haben
wir, ich und viele andere Mitglieder meiner Fraktion, die
Nationalhymne mitgesungen. Das ist doch dummes,
parteipolitisches Geschwätz. Sie sollten sich für Ihre
Haltung schämen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/ CSU]: Lassen Sie einmal die Filmaufnahmen ablaufen! Ihr habt die Internationale gesungen!)


– Diesen Zwischenruf, Herr Kollege Glos, gebe ich ger-
ne an die Menschen, die zusehen und mich hören kön-
nen, weiter: Sie haben gerade gesagt, wir hätten die In-
ternationale gesungen. Schämen Sie sich, Herr Glos!
Schämen Sie sich!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir erinnern uns, wenn wir an den 9. November 1989
denken – das ist vorgestern in der Berichterstattung
deutlich geworden –, an den Mut und an die unerhörte
Zivilcourage, durch die die Revolutionäre dieses Ereig-
nis möglich gemacht haben. Ich will an dieser Stelle nur
ein Mitglied meiner Fraktion, ohne anderen Unrecht tun
zu wollen, besonders hervorheben: Ich nenne meinen
Freund Markus Meckel, der als Mitbegründer der dama-
ligen SDP und späteren SPD in der DDR einen großen

Anteil an der friedlichen und demokratischen Entwick-
lung in diesem Teil unseres Landes hatte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Angela Marquardt [PDS])


Heute, zehn Jahre danach, geht es darum, diese Ein-
heit endlich realistisch zu erfassen und sie in unserem
Innern endgültig zu gestalten. Das kann nur gelingen,
wenn aus Bilanzen und Analysen zu richtigen, zu-
kunftsweisenden Konzepten, zu Entscheidungen der
Vernunft gekommen wird.

Der Einigungsprozeß und der Aufbau Ost vollziehen
sich politisch, gesellschaftlich und ökonomisch unter
immer wieder neuen, völlig anderen Rahmenbedingun-
gen; denn inzwischen – das sehen wir jeden Tag – ist
leider ein großer Teil der überschäumenden Freude aus
dem friedlichen Revolutionsherbst 1989 in unserem
Volk verlorengegangen. Darüber können auch die un-
mittelbaren Eindrücke aus dem Erleben der letzten Tage
nicht hinwegtäuschen.

Im Osten ist vielfältige, manchmal auch irrationale
Enttäuschung an die Stelle fast euphorischer Erwartun-
gen getreten. Sie reicht zum Teil bis zur Bitterkeit. Im
Westen ist die anfängliche erfreuliche und weit verbrei-
tete Hilfs- und Opferbereitschaft einer bisweilen sehr
mißmutigen Stimmung gewichen. Sie schließt unge-
rechtfertigte Vorwürfe an die Menschen in den östli-
chen Bundesländern ein.

Zum Thema Vereinigung und Aufbau Ost gab und
gibt es eine Menge Konsens in diesem Haus. Über das,
was jetzt im einzelnen zu tun ist, werden und müssen
wir streiten. Jetzt ist vor allen Dingen wichtig, darüber
nachzudenken, was not tut und danach zu handeln, an-
statt einseitig und allein Fehler der Vergangenheit zu
beklagen.

Dafür gibt es ein einfaches Rezept: Es gilt, die Reali-
tät nicht zu schönen oder sie zu verzerren, sondern
nüchtern mit ihr umzugehen. Dafür bietet der vorliegen-
de Jahresbericht der Bundesregierung eine hervorragen-
de Grundlage.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich halte es für richtig und wichtig, den konkreten
Zahlen, Daten und Fakten noch einmal die politisch-
historischen Rahmenbedingungen des Vereinigungspro-
zesses voranzustellen. Es gab bis zu diesem Zeitpunkt in
der Geschichte kein Beispiel, daß ein Land aus zwei
auseinandergerissenen Zeithälften neu zusammengesetzt
wurde. Das bedeutete für die Ostdeutschen die radikale
Umwälzung ihrer Lebensbedingungen, ihrer Sicherhei-
ten und Gewohnheiten, und das alles in einer brutal kur-
zen Zeit.

Bei allen Brüchen, die dieser Prozeß fast zwangsläu-
fig mit sich brachte, gilt aber auch: Diese schwierigen
Erfahrungen werden eines Tages auf der Haben-Seite
der Menschen in den neuen Bundesländern stehen. Die
Flexibilität, die Anpassungsfähigkeit, die Bereitschaft

Dr. Peter Struck






(A) (C)



(B) (D)


und die Mobilität, die abverlangt wurden, sind eine un-
geheure Lernerfahrung.

Vor über 30 Jahren hat einer meiner Vorgänger im
Amt des Fraktionsvorsitzenden der SPD-Bundestags-
fraktion, Fritz Erler, gesagt:

Wir sind ein Volk, und da trage jeder des anderen
Last.

Ich denke, das muß auch heute noch gelten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In der Tat: Wir haben heute Lasten zu tragen, mit denen
die meisten 1989 und 1990 nicht gerechnet haben, weil
sie Illusionen von einem Wirtschaftswunder binnen we-
niger Jahre gehabt haben.

Diese Illusionen hat die Regierung Kohl damals
vollmundig verbreitet und herbeigeführt. Es war falsch,
meine Damen und Herren, den neuen Bundesbürgern
blühende Landschaften zu versprechen und die alten
Bundesbürger in dem Glauben zu wiegen, der Eini-
gungsprozeß werde sie gänzlich ungeschoren lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Rüdiger Pohl, der Hallenser Wirtschaftswissen-
schaftler, hat vor einigen Tagen in einem Artikel der
„Berliner Zeitung“ seine kenntnisreiche Analyse, die ich
nicht in allen Punkten nachvollziehe, mit einem Gedan-
kenspiel begonnen, das ich sehr reizvoll finde. Ich zitie-
re ihn:

Stellen Sie sich vor, es gibt einen großen Knall, und
wir finden uns im Jahre 1990 wieder – aber mit
dem Wissen von 1999.

Ich frage also: Wie würden wir den Vereinigungspro-
zeß nun neu und anders gestalten? Hätten wir dann
Skepsis und Ernüchterung, Mißverstehen und Mißver-
gnügen vermeiden können?

Was die Fehler angeht, so dürfen sie nicht allein be-
trachtet werden. Sie dürfen nicht die Aktivposten ver-
drängen, die im Zuge des bisherigen Einigungsprozesses
und des Aufbaus Ost zu verbuchen sind. Das reicht von
den demokratischen und bürgerlichen Freiheiten, dem
Wiedererstehen der Länder, dem solidarischen Kraftakt
von Ostdeutschen und Westdeutschen bis zu einem er-
staunlichen Aufbau einer neuen Infrastruktur. Der Bun-
deskanzler hat darüber gesprochen.

Im Vergleich zur Ausgangslage 1989/90 haben wir in
der Angleichung der Lebensverhältnisse große Fort-
schritte gemacht, wenngleich wir noch nicht an unserem
Ziel angelangt sind. Lassen Sie uns aber nicht vergessen:
Mehr als die Hälfte der Wohnungen in den neuen Län-
dern sind saniert oder modernisiert worden. 650 000
Wohnungen wurden neu gebaut. Fast 1 200 Kilometer
Straße und 5 400 Kilometer Schiene wurden saniert, und
– der Bundeskanzler hat es erwähnt – Ostdeutschland
hat das modernste Telefonnetz Europas. Wir sind beim
Aufbau eines lebenswichtigen Mittelstandes deutlich vo-
rangekommen. Es gibt in den neuen Ländern etwa

550 000 kleine bis mittelständische Betriebe mit
3,2 Millionen Beschäftigten.


(Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Das sind die „blühenden Landschaften“!)


In den letzten Jahren ist ein großer Teil dieser Betriebe
im Forschungssektor entstanden. Die Umweltbelastun-
gen wurden drastisch reduziert. Zwar hat dazu auch die
Stillegung zahlreicher Betriebe und veralteter Kraftwer-
ke beigetragen, aber das Ergebnis ist auch eine bessere
Wasser- und Abwasserqualität, eine bessere Abfallwirt-
schaft und eine bessere Luft in den neuen Ländern. Das
sind die positiven Daten.


(Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Ist das etwa nichts?)


Dem stehen natürlich auch Defizite und Fehlent-
scheidungen gegenüber, die sowohl den Bereich der
wirtschaftlichen wie auch der sozialen und emotionalen
Einigung betreffen. Ich nenne die Übernahme der noch
von der Modrow-Regierung geschaffenen Treuhandkon-
struktion und die damit praktizierten Privatisierungsvor-
haben. Der erste Chef der Treuhandanstalt, Detlev
Rohwedder, hat ein „entschlossenes Privatisieren und
behutsames Sanieren“ gefordert. Davon ist nur die
Hälfte mit lange nachwirkenden Folgen realisiert wor-
den.

Bis heute ist die ostdeutsche Wirtschaft weit davon
entfernt, den Bedarf der eigenen Bevölkerung zu dek-
ken. Das Defizit an Arbeitsplätzen wird auf 25 Prozent
geschätzt. Die wirtschaftsnahe Forschung wurde gerade-
zu auf Null gebracht. Weniger als 10 Prozent des Pro-
duktivvermögens gingen über die Treuhandanstalt in
ostdeutsche Hände, über 90 Prozent gingen an West-
deutsche und Ausländer.

Ich nenne als weiteren schwerwiegenden Fehler die
Vermögensregelung nach dem unseligen Prinzip Rück-
erstattung vor Entschädigung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Dr. Gregor Gysi [PDS]: Da habt ihr zugestimmt!)


Ich spreche Sie, Herr Kollege Schäuble, in diesem Punkt
auch persönlich als denjenigen an, der für die damalige
Bundesregierung mit Herrn Krause verhandelt hat. Ich
erinnere mich auch an die Diskussionen, die wir über
dieses Prinzip und darüber geführt haben, welche Kon-
sequenzen es gehabt hätte, wenn wir statt des Prinzips
Rückerstattung vor Entschädigung den umgekehrten
Weg gegangen wären.

Ich weiß nicht, wie Sie das bewerten. Ich glaube
allerdings, daß wir dieses Prinzip damals tatsächlich
nicht hätten wählen sollen. Dieses Prinzip hat der Be-
wirtschaftung jahrelang Milliardenwerte entzogen und
so zu Investitionshemmnissen,


(Beifall bei der SPD)

zu Haß und Feindschaft zwischen Alteigentümern und
Nutzern geführt. Wir wissen: Auch heute sind noch im-
mer 10 Prozent oder fast 200 000 Ansprüche unerledigt.

Dr. Peter Struck






(B)



(A) (C)



(D)


Der Zwischenruf von der PDS – „Da habt ihr zuge-
stimmt!“ – gibt natürlich die Wahrheit wieder. Wir ha-
ben dem Einigungsvertrag zugestimmt, obwohl wir zum
Beispiel in diesem Punkt eine andere Position vertreten
haben. Aber für uns Sozialdemokratinnen und Sozial-
demokraten war immer klar: Der Einigungsvertrag
mußte vom Deutschen Bundestag und auch vom Bun-
desrat beschlossen werden, weil er – ungeachtet man-
cher Unterschiede im einzelnen – Voraussetzung auf
dem Weg zur deutschen Einheit war.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als weiteren Fehler nenne ich die Aufbauförderung
über Abschreibungen für Ostinvestitionen. Dem haben
wir auch zugestimmt. Ich weiß das.


(Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: War das jetzt ein eigener Fehler? – Michael Glos [CDU/CSU]: Ihr wolltet sogar höhere Abschreibungen!)


– Gut, dann nehme ich das Prinzip. Das Prinzip hatte als
Konsequenz eine westliche Kapitalbildung und das Ent-
stehen kapitalintensiver, aber menschenleerer Produkti-
onsstätten. Wir sehen das heute, wenn wir durch die
neuen Länder fahren. Jetzt zeigt sich, daß wir vielleicht
andere Wege als den hätten gehen sollen, der dort über
die Steuergesetzgebung gegangen worden ist.

Die Bundesregierung und die sie tragenden Koaliti-
onsfraktionen haben innerhalb des letzten Jahres eine
Fülle von Fehlentwicklungen korrigiert und neue Ak-
zente für den Aufbau Ost gesetzt. Ich hätte mir ge-
wünscht, Herr Kollege Vaatz, daß Sie nicht eine polemi-
sche und flache Rede gehalten hätten, sondern auf diese
Punkte eingegangen wären.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will sie noch einmal nennen: die Erleichterung
beim Altschuldenhilfegesetz, die Verlängerung der In-
vestitionsvorrangregelung, der Risikostrukturausgleich
zugunsten der ostdeutschen Krankenkassen. Das ist ein
Thema, das uns jetzt auch wieder beschäftigen wird.


(Beifall bei der SPD)

Wir lassen die Krankenkassen im Osten und ihre Mit-
glieder nicht im Regen stehen, wie unser Gesetzentwurf
zeigt. Wir werden ja sehen, was bei den Verhandlungen
– wenn es Verhandlungen gibt – dazu von Ihrer Seite zu
sagen sein wird. Ferner nenne ich ganz besonders die
Beseitigung von Ungerechtigkeiten bei der Entschädi-
gung der Opfer von SED-Unrecht – eine Leistung, auf
die die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktio-
nen stolz sein können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben hier eine moralische Pflicht erfüllt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einen Punkt nennen,

der mich persönlich in den letzten zwei Wochen beson-
ders bewegt hat, weil es um ein Thema geht, das – das
ist meine Sicht – lange Zeit nicht angemessen behandelt

worden ist. Wir kennen das Problem der Hepatitis-C-
geschädigten Frauen aus der ehemaligen DDR.


(Dr. Margrit Spielmann [SPD]: Sehr richtig!)

Es sind 2 600 Frauen, die durch eine falsche Behandlung
der damaligen DDR-Behörden und eines damaligen
DDR-Unternehmens schwer gelbsuchtgeschädigt sind.
Ich sage das auch an die Adresse all derjenigen, die hier
von Nostalgie reden. Fragen Sie die Frauen, was man
mit ihnen gemacht hat! Sie sind isoliert worden; man hat
sie in ihrem Schicksal allein gelassen. Sie wußten nicht
davon, daß auch andere durch solche Behandlungsfehler
von der gleichen schweren Krankheit betroffen sind. Es
gab einen unwürdigen Streit über die Frage, wie diese
armen Frauen zu entschädigen sind; es war ein Streit
über die Frage, wer das denn bezahlen soll. Man hat sich
dann auf eine Entschädigungssumme bzw. Rentenzah-
lungssumme für diese Frauen von insgesamt 10 Millio-
nen DM für alle geeinigt, wobei der Bund und die Län-
der jeweils die Hälfte tragen. Das hat lange Zeit ge-
braucht.


(Dr. Margrit Spielmann [SPD]: Fünf Jahre!)

Die berechtigte Forderung der betroffenen Frauen, ihnen
auch über eine Einmalzahlung zu helfen – um das, was
man ihnen angetan hat, wenigstens teilweise angemes-
sen zu entlohnen –, ist aus finanziellen Gründen abge-
lehnt worden. Ich will dem Bundestag mitteilen, daß
meine Fraktion zusammen mit der Fraktion der Grünen
heute in der Bereinigungssitzung des Haushaltsaus-
schusses einen Antrag durchsetzen wird, wonach diesen
Frauen eine Einmalentschädigung – für alle zusammen –
in Höhe von 15 Millionen DM zusätzlich bewilligt wird.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Soviel dann auch zu dem Thema „Wie schön war es
doch in der damaligen DDR“, an die Adresse derjenigen
gerichtet, die ganz links in diesem Hause sitzen. Sie
brauchen ja nur einmal mit den Frauen zu reden; sie
werden Ihnen dann schon sagen, wie „schön“ es war.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das haben wir nie gesagt!)


Zur Beseitigung sozialer Spannungen und menschli-
cher Irritationen, die wir zweifellos im Verhältnis zwi-
schen Ost und West feststellen müssen, gehört mehr. Ich
kann verstehen, daß unsere ostdeutschen Landsleute zu-
nehmend betroffen reagieren, wenn sich bei ihnen der
Eindruck verfestigt, daß Ostbiographien überhaupt kei-
ne Chance auf differenzierte Beurteilung haben. Ich ha-
be auch Verständnis, daß im Osten kritisch registriert
wird, wenn überwiegend westdeutsche Historiker, Pu-
blizisten und leider auch Politiker nicht nur DDR-
Geschichte und DDR-Biographien interpretieren, son-
dern auch noch Werturteile fällen. Deshalb mag ich die
Pharisäer nicht, die in westlichen Lehnstühlen Predigten
darüber verbreiten, wie man sich in der SED-Diktatur
hätte verhalten sollen. Ich mag sie nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dr. Peter Struck






(A) (C)



(B) (D)


Der Aufbau Ost als politisches Vorrangprojekt wird
uns noch weit ins kommende Jahrtausend begleiten.
Kein Deus ex machina, keine der noch so oft beschwo-
renen Selbstheilungskräfte des Marktes werden etwas
daran ändern, daß das Zeit, Geld, Ideen, Stehvermögen,
Solidarität und Zuversicht braucht. Die sozialdemokrati-
sche Bundestagsfraktion jedenfalls ist bereit, diese
schwierige Wegstrecke zu meistern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406900800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Gerhardt, dem Vorsitzenden
der F.D.P.-Fraktion.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1406900900
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Neulich hat Fritz Stern, der
großartige Historiker, den Friedenspreis des Börsenver-
eins des Deutschen Buchhandels erhalten. Er hat uns in
seiner Rede einiges zum Zustand, zu den Fragen der in-
neren Einheit gesagt. Er hat das im übrigen mit einem
großartigen Humor getan. Er hat von einem berühmten
deutschen Philosophen erzählt, der sich beklagt haben
soll, daß er kaum mehr zu vertieftem Nachdenken kom-
me, weil seine Frau soviel rede. Dann ist er gefragt wor-
den: Worüber redet die denn? Darauf hat er geantwortet:
Das sagt sie nicht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


– Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind. – Das
beschreibt manchen Dialog, den wir in Deutschland mit-
einander führen. Wir reden unendlich viel.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Worüber reden Sie denn? – Weitere Zurufe von der SPD)


– Das hier ist ein typischer Fall, daß, wenn jemand mit
ausgesprochen guter Laune ans Rednerpult tritt, Zwi-
schenrufe aus verkniffenen Gesichtern kommen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will damit nicht mehr und nicht weniger sagen, als
daß wir unendlich viel miteinander debattieren, über die
deutsche Einheit reden,


(Joachim Poß [SPD]: Überhaupt nicht verkniffen!)


große Programme auflegen, zu Chefsachen erklären,
Produktionskennzahlen oder die Zahl der mittelständi-
schen Betriebe, die entstehen, benennen.

Aber anscheinend sagen wir uns nicht das Richtige;
denn für jeden ist spürbar – das sagt auch Fritz Stern – :
Es ist ganz merkwürdig, die Deutschen kommen mit ih-
ren Nachbarn außerordentlich gut zurecht, nur im Innern
haben sie das anscheinend noch nicht so richtig bewäl-

tigt. Das ist einfach wahr. Es geht nicht um die Frage,
wie sich ein Standort wirtschaftlich entwickelt hat. Mir
geht es um mentale Fragen des Zusammenlebens.

Sie waren doch genauso wie ich von den Worten be-
eindruckt, die Joachim Gauck an uns gerichtet hat. Mir
fehlen im Grunde viele Joachim Gaucks, die ihren
Landsleuten mit derselben Biographie viel entspannter
als wir sagen könnten, welche Chancen es für dieses
Land wirklich gibt. Wir haben nämlich große Chancen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir haben eine große, klare, freiheitliche und patrioti-
sche Substanz in Deutschland. Das Beste, was wir ha-
ben, ist unsere freiheitliche Verfassung.


(Joachim Poß [SPD]: Davon müssen Sie ihre Partei überzeugen, aber nicht uns!)


Sie steckt zutiefst in großen europäischen Traditionen;
aus ihr kann eine Kraft zur Erneuerung kommen.

Joachim Gauck hat das hier vor wenigen Tagen vor-
getragen. Das Grundgesetz, das eine zivile Gesellschaft
herausgebildet hat, hat endlich diese Phase in Deutsch-
land beendet, in der jedem anerzogen worden ist, nur
Dienst im Glied zu versehen. Vielmehr soll man von
seinen Freiheitsrechten Gebrauch machen. Das darf
doch nicht verschüttgehen.

Es gibt eine unendlich große demokratische Sub-
stanz – das haben wir noch vor wenigen Tagen gehört;
anscheinend ist das heute wieder in Vergessenheit gera-
ten; wenn Feierstunden stattfinden, sollte man sich daran
erinnern –, auf die wir aufbauen können, von denen, die
sich auch in der Zeit des Naziterrors anständig verhalten
haben und die ihr Leben eingesetzt haben, um Freiheits-
rechte zu erkämpfen und zu erhalten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist dann zu Recht gesagt worden – darauf kann
man stolz sein; man muß doch nicht immer ängstlich
meinen, die anderen seien die Sieger –,


(Sabine Kaspereit [SPD]: Warum schwafeln Sie? – Joachim Poß [SPD]: In welchem Ton sagen Sie das eigentlich?)


daß Hunderttausende von Bürgern der früheren DDR,
ohne daß sie wußten, ob das friedlich ausging – man
hätte ja auch mit Ereignissen wie auf dem Platz in Pe-
king rechnen können – , auf die Straße gegangen sind
und mutig die Freiheit errungen haben. Warum wir dar-
über als gemeinsames Paket der Freiheit und unserer
Grundverfassung nicht reden, ist mir schleierhaft. Dar-
auf kommt es doch an, um eine Zukunft herauszubilden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Kaspereit [SPD]: Wen beschimpfen Sie denn? – Joachim Poß [SPD]: Wen klagen Sie denn jetzt an, Herr Gerhardt?)


– Ich spreche als freier Abgeordneter des Deutschen
Bundestages zu meinen Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der F.D.P.)


Dr. Peter Struck






(B)



(A) (C)



(D)


Warum muß hier denn so elend in parteipolitischen
Grenzen diskutiert werden, Herr Poß? Ich spreche das
ganz normal an.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jedes Volk hat einen bestimmten Prozentsatz von
Menschen, die wirklich als abschreckendes Beispiel
dienen können. Der ist in Deutschland nicht höher als in
anderen Ländern auch. Aber wahr ist: Die Fairen, die-
jenigen, die vernünftig miteinander umgehen, die ihr hi-
storisches Gedächtnis mobilisieren, sind in der Mehr-
heit.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Gott sei Dank!)

– Ja, aber dann sollten wir sie auch eher sprechen lassen
und das deutlich sagen. – Wenn es die Fairen gibt, dann
dürfen sie auch sagen: Es gab nicht nur die, die im Zuge
der deutschen Einigung andere über den Tisch gezogen
haben. Es gab nicht nur die, die Betriebe aufgekauft ha-
ben und sie dann wieder geschlossen haben. Es gab auch
die, die ihre ganze Kraft in Betriebe hineingesteckt ha-
ben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Es gab auch Manager der Treuhand, die über all ihre
Kräfte hinaus gearbeitet haben. Und weil immer das
Bild gezeichnet wird, die Treuhand habe die Wirtschaft
der DDR ruiniert, sage ich: Es gab in den Reihen der
Treuhand nicht im entferntesten die Spitzbuben, die es
in der Truppe von Schalck-Golodkowski gab.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das muß vorurteilsfrei festgestellt werden. Im übrigen
ist es einfach wahr, daß nicht die Treuhand die Wirt-
schaft der DDR ruiniert hat, sondern die SED. Sie hat
die Betriebe ausgeplündert, den Kapitalstock vernichtet
und die Menschen seelisch zerstört.

Es ist falsch, in Abscheu vor einem oberflächlich ver-
standenen westlichen Stil eine eigene Art zu verklären.
Fritz Stern sagt – damit vermeide ich Zwischenrufe; die
kämen, wenn ich es sagte; wenn ich Fritz Stern zitiere,
haben wir eine ruhige Kulisse –:

Das einfache, wenn auch unfreie Leben im Gegen-
satz zum freien und hektischen Leben des westli-
chen Kapitalismus, das darf schon gar nicht dazu
führen, daß der Wert demokratischer Freiheit er-
neut vergessen wird.

Die Privatisierung der alten Heilslehren, so sagt Fritz
Stern, ist kein Gewinn.

Das ist eine sehr deutliche Aussage, die sich ganz
eindeutig gegen eine Mentalität richtet, auf deren Welle
die PDS erfolgreich ist. Dieser Mentalität muß klar ent-
gegengetreten werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir in Deutschland eine gemeinsame Zukunft ha-
ben wollen, darf die Vergangenheit nicht so verklärt
werden.

Wir müssen unseren Mitbürgern im Westen sagen,
daß zwar auch sie einen schwierigen Anfang hatten, daß
ihnen dabei aber geholfen worden ist. Es ist wahr: Unse-
re Mitbürgerinnen und Mitbürger im Osten hatten die
ungleich schwierigere Aufgabe. Auch bei der Grundent-
scheidung für die Marktwirtschaft wäre es nicht zu einer
Art Wirtschaftswunder gekommen, wenn wir im Westen
amerikanische und andere internationale Hilfe nicht
gehabt hätten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unser Weg war chancenreicher, aber einfacher, und
deshalb müssen wir lernen, mit Entfremdung – denn in
Deutschland gibt es eine solche Distanz – umzugehen.
Das schaffen wir aber nur, wenn wir ehrlich miteinander
kommunizieren.

Es gibt in Deutschland ein großes Bedürfnis nach so-
zialer Sicherheit. Vielleicht ist das Austarieren von
Forderungen an den Staat in Ostdeutschland auf Grund
der Biographie der Menschen dort noch viel ausgepräg-
ter als in der alten Bundesrepublik. Aber soziale Ge-
rechtigkeit kann nicht bei falschen Gleichheitsvorstel-
lungen erreicht werden. Es gibt eben Menschen, die
durch eigenes Können größere Talente entfalten und
mehr zustande bringen als andere. Der Präsident der
Max-Planck-Gesellschaft, ein hochkarätiger Wissen-
schaftler, sagt, die Menschen seien zwar jeder für sich
einzigartig, aber die meisten seien „einzigartig durch-
schnittlich“ und nur wenige „einzigartig begabt“. Wenn
eine Gesellschaft nicht in der Lage ist, Neidgefühle zu-
rückzudrängen und den einzigartig Begabten Förderung
angedeihen zu lassen und sie als zum Wohle aller zu
verstehen, dann hat sie ein falsches Gleichheitsverständ-
nis. Denn Gerechtigkeit besteht auch darin, besondere
Befähigungen reüssieren zu lassen und ihnen Anerken-
nung entgegenzubringen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich spreche das deshalb an, weil wir Deutsche oft mit
falschen Begriffspaaren arbeiten. Solidarität ist eben
nicht ausschließlich eine Forderung an andere. Die eige-
ne Leistung zum Wohle aller einzusetzen ist die größte
Solidarität, die man in einer Gesellschaft ausdrücken
kann.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Aber unter Leistungsgesichtspunkten ist es schon seltsam, daß jemand wie Sie Parteivorsitzender ist!)


Leistung ist auch keine Kategorie einer Ellbogengesell-
schaft, sondern sicherer Bestandteil der Lebensführung
von Menschen. Wir müssen diese Punkte ansprechen.
Sonst sehe ich die Gefahr, daß wir in Deutschland eine
völlig falsche Diskussion über Gleichheit, Gerechtigkeit
und Freiheit führen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das kann nicht alles auf Kosten des anderen abgearbei-
tet werden.

Dr. Wolfgang Gerhardt






(A) (C)



(B) (D)


Seit dem ersten Auftreten Michail Gorbatschows, so
hat Hans-Dietrich Genscher damals gesagt, hat sich alles
verändert. Vielleicht haben wir zuerst geglaubt, es ände-
re sich nur etwas für die Menschen in den früheren War-
schauer-Pakt-Staaten. Jetzt haben wir gemerkt: Es ändert
sich für alle.

Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung
gesagt, den ostdeutschen Anbietern hätten zumindest
zeitweise lokale Standortvorteile gewährt werden müs-
sen. Das ist richtig, Herr Bundeskanzler. Ich habe, als
Sie das gesagt haben, überlegt: Wo waren Sie denn, als
wir ein Niedrigsteuergebiet Ost vorgeschlagen haben,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


als wir eine Wertschöpfungspräferenz für ostdeutsche
Produkte gefordert haben? Ich kann Ihnen die Reihe Ih-
rer Kollegen im Amt des Ministerpräsidenten nament-
lich benennen, die dagegen waren, weil sie nicht die
deutsche Einheit und den Aufbau Ost im Auge hatten,
sondern den 20 Kilometer breiten Streifen westliches
Zonenrandgebiet in ihrem Land, der dann vielleicht
zeitweilig ins Hintertreffen geraten wäre. Das sind die
Tatsachen.

Sie haben vorhin Klaus von Dohnanyi zitiert, einen
hochangesehenen Mann, der gesagt hat: Der Markt ist
nicht immer weise. Das ist richtig. Ich füge noch ein
weiteres Zitat von ihm hinzu: Unsere Systeme der so-
zialen Sicherung haben sich zu einer Barriere gegen Be-
schäftigung entwickelt. Dohnanyi hat Sie dringlichst
aufgefordert, einige Reformen auf den Weg zu bringen,
weil er wie ich der Meinung ist: Die größte Sicherheit in
Deutschland ist ein Arbeitsplatz und nicht die Höhe der
sozialen Begleitmaßnahmen zur Beschäftigungslosig-
keit. Deshalb kommt es im Kern darauf an, eine Politik
zu verfolgen, die mehr Beschäftigung in Deutschland
initiiert.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])


Die soziale Kompetenz einer Gesellschaft zeigt sich aus
der Sicht der Freien Demokraten an der Fähigkeit, Ar-
beitsplätze zu schaffen. Dies ist die Priorität. Alles ande-
re ist sekundär. Deshalb müßte Ihre Politik auf diese
Priorität ausgerichtet sein. Sie müßte Hindernisse bei-
seite räumen. Wenn ich nur die Überschriften des Pa-
piers lese, das Sie gemeinsam mit Herrn Blair erarbeitet
haben, dann weiß ich, daß Sie diese Hindernisse genau-
so gut wie ich kennen. Nur, ziehen Sie endlich die Kon-
sequenzen daraus.

Trotz allem, was noch verbessert werden muß, hat
unser Land auf Grund seiner großartigen Infrastruktur,
seines hervorragenden Bildungswesens, seiner föderati-
ven Grundverfassung und seines großen Garanten für
die Unabhängigkeit der Rechtsprechung, des Bundesver-
fassungsgerichts, alle Chancen, im weltweiten Wettbe-
werb zu bestehen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch
mental. Aber wir müssen zu Energieleistungen fähig
sein, die sich nicht nur auf materielle Anreize konzen-
trieren. Ich glaube, daß die Zukunft unserer Gesell-
schaft, unseres Volkes auf Grund der deutschen Einheit

für die nachfolgenden Generationen mehr Chancen,
mehr Freiheit und mehr Optionen bereithalten wird als
für jede andere Generation, die in Deutschland gelebt
hat. Für uns kommt es darauf an, dies beim Wechsel in
das nächste Jahrtausend zu stärken, zu untermauern,
nach vorne zu bringen und nicht zurückfallen zu lassen.

Es besteht die Notwendigkeit, Herr Bundeskanzler,
einiges in unserem Bildungssystem zu reformieren, weil
die Qualifizierungsfrage d i e soziale Kernfrage des
nächsten Jahrtausends ist. Sie müßten Ihren an der
Lösung dieser Frage beteiligten Genossen klarmachen,
daß sie in den Ländern den Ernstfall im deutschen
Schulwesen nicht immer hinausschieben können und sie
sich ein Beispiel an den kürzeren Schulzeiten in den
neuen Bundesländern nehmen sollten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen die Kraft haben, den Hochschulen wirkliche
Autonomie zu geben, einschließlich Autonomie über das
Dienstherrenrecht. Wir müssen in den beruflichen Sy-
stemen auch denjenigen, die den hohen theoretischen
Ansprüchen in der Berufsausbildung nicht gerecht wer-
den, eine Art Zertifikat geben, damit sie überhaupt
Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir müssen die Tarifvertragsparteien auffordern,

über Lohnspreizungen nachzudenken, und zwar nicht,
um Lohndumping zu betreiben, sondern um denen, die
nicht soviel wie andere können, einen Arbeitsplatz zur
Verfügung zu stellen, der für deren Würde besser ist als
Sozialhilfe.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es würde sich lohnen, unseren Arbeitsmarkt zu flexi-
bilisieren und die Tarifverträge zu öffnen. Das Tarif-
kartell sollte dies schon längst gemacht haben. Sie wis-
sen doch, daß in Ostdeutschland eine Verbandsflucht
eingesetzt hat, nämlich daß kleine und mittlere Betriebe
die Verbände verlassen, weil die Zeiten vorbei sind, in
denen Krupp, Hoesch, Thyssen und Daimler-Chrysler
bestimmen konnten, welche Löhne zum Beispiel im
Erzgebirge zu zahlen sind. Die kleinen und mittleren
Betriebe können nicht dieselben Löhne zahlen wie die
großen. Deshalb muß man ihnen entgegenkommen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dies gilt im übrigen auch für Westdeutschland. Es ist
kein ostdeutsches Problem. Der kleine und mittlere Be-
trieb kann heute nicht mehr die Tarifabschlüsse umset-
zen, die die großen an ihren Tischen verhandelt haben.
Aber der kleine und mittlere Betrieb bildet die meisten
Jugendlichen aus, zahlt die meisten Steuern, schafft die
meisten Arbeitsplätze und bietet die größten sozialen
Sicherheiten in Deutschland. Diese Betriebe muß die
Politik begünstigen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie betreiben Privatisierungspolitik zurückhaltend.

Sie kritisieren sie eher. Wir sind der Meinung, daß der

Dr. Wolfgang Gerhardt






(B)



(A) (C)



(D)


Staat eine solche Politik fördern muß. Eine Privatisie-
rungspolitik ist eine Chance für Ostdeutschland. Eine
andere sehe ich nicht. In Ostdeutschland gibt es nur
dann Arbeitsplätze, wenn dort Leute investieren. Wir
müssen deshalb die Leute einladen, dort zu investieren.
Der Staat soll Menschen zum Wettbewerb befähigen.
Aber er soll in der Wirtschaft nicht selber als Wettbe-
werber auftreten. Darauf kommt es politisch an.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht nicht nur um betriebswirtschaftliche Kennt-
nisse, wenn man ein Unternehmen führt. Jeder weiß
dies. Auch die ökologische Dimension muß notwendi-
gerweise bewältigt werden, und zwar nicht am Ende der
Entscheidungen; vielmehr muß sie Bestandteil der Ent-
scheidungen von Unternehmensführungen sein.

Aber auch die Unternehmensführung selbst muß aus
diesem alten Gegensatz von Arbeit und Kapital heraus-
treten. Warum haben wir – das gilt auch für die Tarif-
vertragsparteien – eigentlich die einzigartige Chance in
Deutschland versäumt, den Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern in Ostdeutschland von Anfang an eine Ge-
winnbeteiligung anzubieten,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


um ihnen zu signalisieren, daß es nicht um den alten
Gegensatz von Arbeit und Kapital geht


(Markus Meckel [SPD]: Haben Sie nicht 16 Jahre lang regiert?)


und daß sie, wenn sie jetzt Lohnzurückhaltung üben,
später beteiligt werden, sobald die Unternehmen Gewin-
ne machen? Das wäre doch ein Angebot gewesen, das
die alte Spaltung in jenem Denken überwindet, das die
Gewerkschaften noch heute pflegen. Die Tarifvertrags-
parteien sollten sich nicht nur auf eine Reform von Tari-
fen verständigen, sondern eine komplette mentale Inno-
vation hinsichtlich ihrer bisherigen Verhaltensweisen
vornehmen. Es geht darum, Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern eine Perspektive eigener Verantwortung
auch in den Unternehmen zu eröffnen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß es uns

gemeinsam gelingen kann, einen erfolgreichen Aufbau
in den neuen Ländern herbeizuführen. Das wird dann
nicht nur ein Erfolg der neuen Länder, sondern auch
eine großartige Chance für uns alle sein. Diese Aufgabe
können wir bewältigen. Unsere Gesellschaft ist doch
nicht dumm. Wir sind zu technischer Höchstleistung fä-
hig. Wer will, kann sich in unserem Land bis zur Spitze
hin qualifizieren. Wir sind ein verläßlicher Bündnispart-
ner. Wir haben eine klare innere Verfassung. Wir stül-
pen doch niemandem die Erfolgsgeschichte der alten
Bundesrepublik Deutschland über, wenn wir 17 Milli-
onen Menschen aus Ostdeutschland einladen, ein Stück
dieser Erfolgsgeschichte neu zu schreiben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich habe mit einem Hin-
weis von Fritz Stern begonnen. Daran anknüpfend stelle
ich fest: Wir alle sind zutiefst davon überzeugt, daß der
Aufbau gelingen kann. Aber warum laufen wir eigent-
lich immer dann, wenn es darum geht, diesen Aufbau
voranzubringen, mit betrübten Gesichtern, so verkniffen
herum?


(Sabine Kaspereit [SPD]: So wie Sie eben die Rede gehalten haben?)


Warum sind wir denn nicht in der Lage, den Menschen,
die Schwierigkeiten haben, ein Stück Optimismus und
Zuversicht mitzugeben? Das gehört auch zum politi-
schen Umgang in Deutschland.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nachdem wir nun eine Reihe von Feierlichkeiten und
Jahrestagen hinter uns gebracht haben, sollten wir – je-
der für sich – verabreden, zuversichtlicher, optimisti-
scher und verantwortungsbereiter in die Zukunft zu
gehen und diesen Optimismus auf die Mitmenschen
zu übertragen. Sie erwarten das von uns. Wir sollten
das auch deshalb tun, weil wir ihnen sagen müssen,
daß die Zeiten vorbei sind, in denen von der Politik
alles erhofft wurde. Wir haben uns in manchem ver-
hoben. Wir wollen ihnen nicht den Eindruck vermitteln,
wir könnten alles lösen. Wir schaffen das nur zusam-
men. Aber dann müssen wir es auch gemeinsam an-
packen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406901000
Ich erteile das Wort
nun dem Kollegen Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grü-
nen.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Lächeln! – Heiterkeit bei der PDS und der SPD)


Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Das ist eine frohe Aufforderung am Vormittag.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
in diesem Parlament schon viele Debatten zur deutschen
Einheit geführt. Auch der vorliegende Bericht ist nicht
der erste seiner Art.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber der dümmste!)


Doch ist heute etliches anders; denn die heutige Opposi-
tion ist die Regierung von gestern,


(Zurufe von der CDU/CSU: Von morgen!)

und die heutige Regierung war die Opposition. Das
sollte eigentlich in einer Demokratie normal sein. Den-
noch ist es ein Novum in der Geschichte der Bundesre-
publik.

Dr. Wolfgang Gerhardt






(A) (C)



(B) (D)


Die Ostdeutschen haben zu diesem Regierungswech-
sel durch Wahlen wesentlich beigetragen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Ja, aber sie bereuen es!)


Das hat gute Gründe, von denen ich in Ihrer Rede aber
leider nichts gehört habe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein bißchen kritische Selbstreflexion würde schon gut-
tun. Deswegen sage ich hier ganz deutlich – darüber
brauchen wir uns nicht zu streiten –: über die Grund-
linien der Politik des Aufbaus Ost besteht in diesem
Haus Konsens, und das ist gut so.

Arnold Vaatz, wir haben ja eine vergleichbare Vita.
Meinst du ernsthaft, ich stünde auf einer Seite, die derart
polemische Kritik rechtfertigte? Auch im Interesse der
Streitkultur wäre es gut, mit Worten nicht das einzurei-
ßen, was man mit Taten aufbauen will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist das erste Mal, daß wir den Bericht zur deut-
schen Einheit hier in Berlin, sozusagen mitten im Leben,
wenn ich Ihre Devise aufgreifen darf, debattieren. Wir
haben hier die Probleme direkt vor Augen. Deutschland
ist wiedervereinigt, und die Nation hat schlechte Laune,
heißt eine gängige These, die sich jetzt endlos durch
Talk-Shows zieht und in abstrusen Büchern auf den
Markt dringt.

Ich finde, zehn Jahre nach der friedlichen Revolution
gibt es keinen Grund für Verdruß und Mißmut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])


Trotz kapitaler Anfangsfehler und Verfehlungen, trotz
aller Mißtöne und Enttäuschungen ist die Entwicklung
für die Deutschen in Ost und West insgesamt erfolgreich
verlaufen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Weder die glühenden Optimisten noch die ,,Mezzo-
giorno!“ rufenden Pessimisten haben recht behalten.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: ToskanaFraktion!)


Das muß man sehen. Die deutsche Einheit ist stabil.
Niemand will ernsthaft die DDR wiederhaben, selbst
diejenigen nicht, die sie verklären oder im nachhinein
schön reden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daß sich manche in provozierender Weise die Mauer
zurückwünschen, daß solch eine Frage in unseren Medi-

en überhaupt immer wieder gestellt wird, finde ich, ehr-
lich gesagt, pervers und gedächtnislos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Wir Ostdeutschen haben in den letzten Jahren Enor-
mes geleistet. Das war möglich, weil uns die Westdeut-
schen mit Rat, Tat und Geld geholfen haben. Ich bin
immer davon ausgegangen, im Gegensatz zu manch an-
deren, daß dieser Aufholprozeß eine ganze Generation
in Anspruch nehmen wird. Daran gemessen ist der Auf-
holprozeß gut vorangekommen, vielleicht aus der Sicht
mancher Ostdeutscher noch zu langsam. Aber auf der
anderen Seite, aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet, eilen
die Löhne und Einkommen der Leistungsfähigkeit vor-
aus.

Die Befürchtung, ein national aufgeblasenes, groß-
spuriges Deutschland könnte entstehen, hat sich nicht er-
füllt. Im Gegenteil: Es besteht eher Erleichterung dar-
über, daß wir uns im vollen Umfang den europäischen
Verpflichtungen stellen und uns in die internationale
Völkergemeinschaft eingebettet haben.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Von außen betrachtet erscheint Deutschland heute als

leistungsstark, wohlhabend und leicht neurotisch. Nicht
nur Michail Gorbatschow, sondern auch andere Osteu-
ropäer müssen uns gelegentlich daran erinnern, daß sie
uns die Sorgen gern abnehmen würden, um mit ihren zu
tauschen. Das sollte uns zumindest zu denken geben.
Das heißt: Wir könnten zufrieden sein. Dennoch sind es
offenbar nicht alle. Dafür gibt es Gründe. Das stellt aber
auch ein produktives Potential dar, das es zu nutzen gilt.

Niemand hatte 1989 mit der Einheit gerechnet. Der
Bundeskanzler hat es in seiner Rede nochmals betont: In
der DDR waren wir eher damit beschäftigt, dieses Kür-
zel der drei Buchstaben wahrheitsgemäß auszufüllen.
Das heißt, um das klar zu sagen: Auch die Bürgerrecht-
ler hatten damals die Mauer im Kopf. Sie schien näm-
lich u.a. überwindbar. Niemand hat vorhergesehen, was
dann passiert ist. Auf der westdeutschen Seite hatte man
ein Ministerium für innerdeutsche Fragen, aber keines
für gesamtdeutsche Antworten. Auch das muß man sich
einmal vergegenwärtigen.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Vielleicht liegt es daran, daß dieser plötzliche Freu-
dentaumel nicht in einen Bewußtseinswandel umge-
schlagen ist. Heute ist aus diesem Wahnsinn – mit drei
oder vier a geschrieben –, diesem plötzlichen Glücksfall,
Alltag geworden mit all seinen Mühen, den kleinen Ner-
vereien und natürlich auch den kleinen Freuden.

Daß sich für die einen so gut wie nichts verändert hat
und für die anderen so ziemlich alles, mag manche der
Spannungen zwischen Ost und West erklären. Selbst
glückliche, chancenreiche Situationen können eben zu
menschlicher Überforderung führen. Was angeblich an

Werner Schulz (Leipzig)







(B)



(A) (C)



(D)


Jammern und Klagen aus dem Osten gehört wird, ist
oftmals nichts anderes als Stöhnen unter diesem großen
Anpassungsdruck.

Nach wie vor gehen im Osten Lage und Stimmung
auseinander. Den meisten geht es heute materiell besser.
Sie fühlen sich politisch frei, doch sozial unsicher. Die
demokratischen Grundwerte gehören zur Grundaus-
stattung. Die Freude darüber wird jedoch getrübt, weil
die alten sozialen Sicherheiten weg sind und die neuen
noch nicht so recht greifbar oder gewiß sind.

Es wurden aber auch sehr schmerzhafte, tiefschnei-
dende Erfahrungen gemacht. Nachdem die Ostdeutschen
für einen kurzen historischen Moment ihr Geschick in
die eigenen Hände genommen hatten, mußten sie späte-
stens nach der Währungsunion feststellen, daß wieder
anderenorts über ihr Schicksal entschieden wurde. Viele
Vorgänge der Treuhand blieben so undurchsichtig wie
die Vorgänge in der Staatlichen Plankommission.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Viele Hoffnungen gingen nicht auf, zum Beispiel
konnte eine größere Zahl industrieller Kerne nicht in die
Marktwirtschaft gerettet werden. Es kam an vielen Stel-
len völlig anders. Kein Großkonzern hat heute seinen
Sitz in einem ostdeutschen Land. Die Dresdner Bank
blieb am Main, die Gothaer Versicherung in Köln – ich
könnte die Reihe endlos fortsetzen.

Ich will mich über den Ausdruck „blühende Land-
schaften“ nicht streiten. Ich möchte nur Hans D. Barbier
von der „FAZ“ zitieren. Er spricht von Landschaften im
Zwielicht. Er meint: Es gibt weder flächendeckende
blühende Landschaften noch ausgeweitete Sozialbra-
chen. Der Osten ist in einer ambivalenten Situation:
Einerseits hat er eine materielle Verbesserung erlebt,
andererseits ist die Wirtschaftsstruktur noch nicht in
dem Maße ausgebaut, wie es sein müßte.

Wie gespalten unser Land noch ist, zeigt uns eigent-
lich tagtäglich die Arbeitslosenstatistik. Solange wir im
Osten noch eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit haben,
erleben wir, wie prekär das Problem ist. Dort fehlen et-
wa 2 Millionen Arbeitsplätze. Ich sage das, um uns die
Dimension des Aufbaus Ost immer wieder vor Augen zu
führen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Es gibt keinen Grund, beim Aufbau Ost einen Gang
zurückzuschalten. Die Bundesregierung wird den Auf-
bau Ost stetig und verläßlich auf hohem Niveau und
auch mit neuer Qualität weiterführen.


(Zuruf von der PDS: Na hoffentlich!)

– Selbstverständlich, worauf sollten Sie sonst Hoffnung
begründen? – Es hätte wenig Sinn, die Grundlinien die-
ser Förderung zu verändern. Wie gesagt, beim Aufbau
Ost stehen Kontinuität und Verläßlichkeit im Vorder-
grund. Neue Akzente sind beispielsweise durch das Pro-
gramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ge-

setzt worden. Der Bundeskanzler hat betont, daß dieses
Programm dem Osten überproportional – zu über 40
Prozent – zugute kommt. Es hat dazu beigetragen, daß
man die Jugendarbeitslosigkeit und auch die Perspek-
tivlosigkeit in der Ausbildung angegangen ist.

Ich spreche bewußt auch den Inno-Regio-Wettbe-
werb an. Es handelt sich dabei um eine wirklich hervor-
ragende Initiative, an der sich über 400 Regionen betei-
ligt haben. 25 Regionen sind in der letzten Woche prä-
miert worden. Aus den Regionen sind kreative Poten-
tiale gekommen. Traditionelle Bereiche sind revitalisiert
worden. Wie die Aufbauförderung neu angegangen wer-
den kann, ist eine ganz tolle Sache.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In diesen Tagen, in denen wir den Mauerfall feiern,
will ich deutlich machen, daß eine virtuelle, eine unter
Hochspannung stehende Barriere gefallen ist. Ich meine
den geteilten Strommarkt, den es in diesem Land noch
immer gab. Die sogenannte Lex VEAG bedeutete, daß
man im Osten höhere Strompreise als im Westen erhe-
ben konnte. Wir haben jetzt eine Lösung gefunden, die
sowohl die Zukunft der VEAG als auch die des ostdeut-
schen Braunkohletagebaus sichert. Die damit verbunde-
nen Wettbewerbsnachteile für den Standort Ost stam-
men nicht von der SED; vielmehr sind sie von der alten
Bundesregierung geschaffen worden. Es ist eine wirk-
lich großartige Leistung der jetzigen Regierung, diese
Wettbewerbsnachteile beseitigt zu haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Man muß den Ostdeutschen nicht erzählen, was
Marktwirtschaft ist; vielmehr werden sie durch die Be-
seitigung der Wettbewerbsnachteile an der Marktwirt-
schaft beteiligt. Sie erleben Wettbewerb nicht nur in der
Zeitung oder auf Plakaten, auf denen gelber oder grüner
Strom angeboten wird; vielmehr können sie sich unmit-
telbar beteiligen.

Offensichtlich möchte sich jetzt der Kollege Luther
beteiligen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406901100
Kollege Schulz, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Luther?

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ja.


Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1406901200
Sehr geehrter
Kollege Schulz, ich möchte Ihnen eine Zwischenfrage
stellen, die sich auf den Strommarkt bezieht. Sie haben
der alten Bundesregierung soeben in die Schuhe gescho-
ben, daran schuld zu sein, daß die VEAG momentan
Wettbewerbsnachteile erleidet. Meines Erachtens
kommt es jetzt durch die hohen Investitionen und durch
die Modernisierung der Kraftwerke zu einem verstärkten
Abschreibungsdruck. Das ist der wesentliche Grund für
die derzeitigen Probleme, die in wenigen Jahren gelöst

Werner Schulz (Leipzig)







(A) (C)



(B) (D)


sein werden. Ich glaube, daß die alte Bundesregierung
genau richtig gehandelt hat. Die Kraftwerke mußten sa-
niert werden. Die geleistete Hilfe ist schon gut. Werten
Sie das genauso?

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Kollege Luther, ich bestreite den Investiti-
onsbedarf der VEAG und die sich daraus ergebenden
Schwierigkeiten nicht. Bloß rechtfertigt das andererseits
heute überhaupt nicht mehr, daß man im Osten höhere
Strompreise bezahlen muß. Höhere Strompreise sind in
gewisser Weise auch eine Investitionsbarriere.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wenn ich in Ihren Anträgen lese, daß Sie die Öko-
steuer für den Osten abschaffen möchten und damit im
Osten im Grunde genommen ein Sondergebiet einrich-
ten wollen, dann frage ich mich, warum Sie sich nicht
darüber freuen, daß wir dieses Sondergebiet nivellieren,
daß wir Wettbewerb und einen einheitlichen Strommarkt
in Deutschland schaffen. Das Erreichen dessen, was Sie
acht Jahre nicht geschafft haben, liegt doch eigentlich in
Ihrem Interesse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will auch der Behauptung entgegentreten, daß das
Sparpaket zu Lasten des Ostens geschnürt worden sei.
Dies kann man in gar keiner Weise belegen, weil der
Aufbau Ost auch für die jetzige Bundesregierung Prio-
rität hat und von ihr als eine vorrangige Aufgabe ange-
sehen wird. Gerade im Interesse von Ostdeutschland
liegt es, daß dieses Zukunfts- und Sparprogramm durch
den Bundesrat kommt. Ich hoffe, daß auch die
CDU/CSU-geführten Bundesländer im Osten sich dieser
Verantwortung bewußt sind und ihm zustimmen. Der
Westen kann besser mit einer Ablehnung leben, weil die
anspringende Konjunktur und die Exportstärke ihm eher
als dem Osten die Chance geben, von der Weltkonjunk-
tur zu profitieren.

Auch wenn darüber kritisch diskutiert wird, steht fest:
Dem Staatsminister Schwanitz ist es mit der Neuformu-
lierung der Systematik zur Ostförderung endlich ge-
lungen, beim Aufbau Ost Äpfel und Birnen auseinan-
derzuhalten; die alte Bundesregierung hat immer alles
zusammengezählt, um möglichst hohe Transfersummen
auszuweisen. Wir haben zum erstenmal wirklich eine
klare, übersichtliche, ehrliche und wahrheitsgemäße Sy-
stematik


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ehrlich!)

und wissen, was wirklich in den Aufbau Ost fließt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Rahmen der anstehenden Neuordnung der Finanz-
beziehungen zwischen Bund und Ländern werden wir
die finanziellen Grundlagen für die weitere Angleichung
der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland sichern. Die
Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen wer-

den rechtzeitig eine Anschlußregelung für das Föderale
Konsolidierungsprogramm beschließen.

Heute wird das Bundesverfassungsgericht über die
Klagen von Baden-Württemberg, Hessen und Bayern
zum Finanzausgleich entscheiden. Unabhängig davon,
wie das Urteil ausfallen wird, besteht beim Länderfi-
nanzausgleich über die Anschlußregelung für den Soli-
darpakt hinaus Handlungsbedarf. Das Verhältnis zwi-
schen Solidarität und Wettbewerb zwischen den Län-
dern muß neu austariert werden. Es gibt schon lange
Zweifel daran, ob die Bundesländer in ihrer jetzigen
Größe und Form auf mittlere Sicht in der Lage sind, ihre
Aufgaben auch und gerade in finanzieller und wirt-
schaftlicher Hinsicht zu erfüllen.

Ost und West befinden sich längst in einem gemein-
samen Wirtschaftskreislauf. Auch im Westen – selbst
wenn das einem nicht immer bewußt ist – ist man darauf
angewiesen. Ein dauerhaftes Zurückbleiben des Ostens
würde zu Überlastungen des Westens führen. Umge-
kehrt gehört wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen,
daß eines Tages die modernen Wirtschaftsregionen des
Ostens einen Beitrag zur Sanierung der alten Industrie-
regionen im Westen leisten könnten.

Im Osten vollzieht sich ein Strukturwandel, den der
Westen erst noch vor sich hat. Dazu gehört die Umge-
staltung von Industriebereichen, die keine staatlichen
Subventionen mehr retten können. Hier vollzieht sich
anschaulich der Übergang in die Dienstleistungs-, Wis-
sens- und Informationsgesellschaft. Es ist sicherlich kein
Zufall, daß gerade in Ostdeutschland verstärkt die Frage
auftaucht, weshalb ein Ladenschlußgesetz, das völlig
überflüssige Vorschriften enthält, nicht einfach abge-
schafft oder zumindest gelockert werden kann. Wie fit
ist ein Land für die Zukunft, das seinen Bürgern die
Einkaufszeiten vorschreibt, aber generelle Geschwin-
digkeitsbegrenzungen auf Autobahnen für unnötig er-
achtet?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD])


Ich möchte auf die Themen innere Einheit und so-
ziale Gerechtigkeit eingehen, die man nicht mit soziali-
stischer Gleichheit verwechseln sollte. Da irrt sich Gre-
gor Gysi gewaltig. Er hat im Bundestag schon des öfte-
ren sein Zielfoto der inneren Einheit vorgestellt, das
auch bei seinen Zuhörern gut ankommt. Er sagte, die in-
nere Einheit sei erst dann abgeschlossen, wenn es auf
Sylt genauso viele ostdeutsche Millionäre wie west-
deutsche Millionäre auf Rügen gebe. Das klingt phanta-
stisch, man kann darüber lachen. Es schließen sich daran
allerdings einige Fragen an: Warum gibt es eigentlich
kaum ostdeutsche Millionäre? Als einziger fällt mir
Schalck-Golodkowski ein; der residiert allerdings nicht
auf Sylt, sondern am Tegernsee.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber möchte Gregor Gysi wirklich, daß es in Ost-
deutschland vergleichbar viele Millionäre wie in West-
deutschland gibt? Ist er wirklich bereit, eine Wirtschafts-

Dr. Michael Luther






(B)



(A) (C)



(D)


und Sozialpolitik mitzutragen, die vielen Ostdeutschen
die Chance gibt, Millionär zu werden? Ist das die Form
von sozialer Gerechtigkeit, die uns die PDS demnächst
verkünden wird? Oder möchte er sein Ziel durch kon-
fiskatorische Besteuerung der westdeutschen Millionäre
erreichen?

All diese flotten Agitpropsprüche, die dem Osten
weismachen sollen, man sei der Verlierer der Einheit,
ziehen nicht so richtig. Denn jeder weiß doch, wie die
Verhältnisse in Ostdeutschland damals ausgesehen ha-
ben. Die Leute mußten heiraten, um eine Wohnung zu
bekommen. Heute würde man vielleicht einen Trabi be-
kommen, wenn man 1989 eine Anmeldung abgegeben
hätte, statt die Mauer zu beseitigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir sollten das nicht vergessen. In der Bankrotterklä-
rung der Staatlichen Plankommission vom 27. Oktober
1989 steht:

Allein ein Stoppen der Verschuldung würde im
Jahre 1990 eine Senkung des Lebensstandards um
25 bis 30 Prozent erfordern und die DDR unregier-
bar machen.

Man muß sich merken, in welchem Zustand die DDR
war. Zehn Jahre später will nämlich die PDS den Leuten
im Osten einreden, sie hätten quasi einen Rechtsan-
spruch auf Westlöhne. Es liegt doch auf der Hand, daß
jedes Prozent Lohnangleichung die Wettbewerbsfähig-
keit des Ostens vermindert und es schwerer macht, die
Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Für die PDS ist dies na-
türlich kein Problem. Sie pumpt neues Geld in den
zweiten Arbeitsmarkt. Das wiederum holt sie sich von
den Millionären auf Rügen oder Sylt. So kommt man
der sozialen Gerechtigkeit und möglicherweise auch den
alten Zuständen wieder näher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Natürlich ist es für viele schwer zu verstehen und zu
akzeptieren, warum im öffentlichen Dienst noch Unter-
schiede gemacht werden, wo Kollegen aus Ost und West
denselben Arbeitgeber haben, am selben Ort die gleiche
Arbeit machen. Dennoch ist es eine Zeitlang nötig,
glaube ich, mit diesen Widersprüchen zu leben. Sie sind
weitaus erträglicher als Unterschiede, die wir früher er-
tragen mußten.

Es ist nämlich demagogisch, zu behaupten, daß die
Ostdeutschen Bürger zweiter Klasse sind. Bürger zwei-
ter Klasse gab es zu SED-Zeiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Da war fast ein halbes Volk Bürger zweiter Klasse,
nämlich diejenigen, die kein Westgeld hatten, um in
den Intershops einzukaufen, die keinen Reisepaß in
der Tasche hatten, um das Land gelegentlich zu ver-
lassen und nach Westberlin zu gehen. Das waren all
diejenigen, die benachteiligt waren, die waren tatsäch-
lich Bürger zweiter Klasse. Ich habe nie so einschnei-

dende Privilegien erlebt wie die in der DDR für die No-
menklatura.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der PDS)


– Ich weiß, daß es Ihnen nicht gefällt, aber ich denke,
Sie wollen sich mit Ihrer Vergangenheit auseinanderset-
zen. Nun helfe ich Ihnen und gebe Ihnen ein paar Stich-
worte; jetzt ist Ihnen das auch wieder nicht recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Während die PDS das Lied singt, es sei nicht alles
schlecht gewesen – darüber kann man diskutieren –, ha-
be ich eine neue Melodie in den Medien gehört. Die
kommt von Wolfgang Schäuble, der sagt: Es ist nicht
alles gut gelaufen, was wir im Zuge des Einigungsver-
trages gemacht haben. Das ist spannend, das finde ich
hochinteressant. Herr Schäuble, vielleicht hätten wir
darüber schon früher reden können. Damals habe ich nur
Krauses Zeug verstanden und gehört.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn es noch ernsthaft eine Möglichkeit gäbe, über
Dinge zu reden, was man einfach nur übergestülpt hatte
und welche Folgen es hatte, wenn wir dann nicht nur
beim grünen Pfeil und dem seligen Andenken an Poli-
kliniken landen – Angela Merkel, wir müssen uns da
nicht agitieren.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Beispiele!)


– Es gibt natürlich Erfahrungen, die wir hätten nutzen
können, zum Beispiel die Diskussion, die wir jetzt in der
Rentenversicherung führen. Es gab im Osten durchaus
das Bewußtsein dafür, daß man einen privaten Anteil
erbringen muß, wenn man eine bessere Altersfürsorge
haben will. Der freiwillige Zusatz zur Rentenversiche-
rung ist zumindest eine Sache, die im Kopf war. Ich
nenne auch die Lohnangleichung im Krankheitsfall –


(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Ach!)

Das sind Probleme – ich bin da vollkommen offen –,
über die man reden muß. Man muß aber auch über die
Abschaffung kirchlicher Feiertage zum Zwecke der
Sozialpolitik sprechen. Die DDR hat nämlich, um die
arbeitsfreien Samstage einzuführen, die kirchlichen Fei-
ertage abgeschafft. Daß ich erleben mußte, daß das im
Westen aus sozialpolitischen Gründen noch einmal ge-
schah, hat mich doch leicht geschockt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wer war es denn? – Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Sachsen hat es anders gemacht!)


– Sachsen hat es anders gemacht. Aber die Bundesre-
gierung, Wolfgang Schäuble, haben Sie damals gestellt.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das waren die Länder!)


Werner Schulz (Leipzig)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1406901300
Herr Kollege Schulz,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäu-
ble?

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Bitte.


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1406901400
Herr Kollege
Schulz, nur um der historischen Wahrheit willen will ich
fragen: Sind Sie bereit, zuzugestehen, daß bei der Ein-
führung der Pflegeversicherung die damalige Bun-
desratsmehrheit, bestehend aus SPD-regierten Ländern
– teilweise haben die Grünen mitregiert –, jede andere
Kompensation als die Streichung von Feiertagen abge-
lehnt hat


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Quatsch!)


und daß wir zweitens als Bundesgesetzgeber den Lan-
desgesetzgebern die Wahl gelassen haben,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unter welchem Druck denn?)


ob sie Feiertage abschaffen oder ob sie die Beitragsbela-
stung durch die Pflegeversicherung zwischen Arbeitge-
bern und Arbeitnehmern hälftig verteilen wollen? Ihre
eben getroffene Aussage, es sei der Bundesgesetzgeber
und damit die damalige Mehrheit gewesen, die die Fei-
ertage im Westen abgeschafft haben, ist falsch.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist nicht falsch!)


Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Sie haben den Bundesländern natürlich die Wahl
gelassen; anderenfalls hätten wir ja keine unterschied-
liche Regelung. Daß beispielsweise Sachsen diesem
Weg nicht gefolgt ist, finde ich in Ordnung – überhaupt
keine Frage. Aber daß Sie als Christlich Demokratische
Union die Abschaffung von kirchlichen Feiertagen als
Kompensation ins Spiel gebracht haben, ist für mich ei-
ne Enttäuschung, die Sie bei mir auch mit einer weiteren
Zwischenfrage nicht tilgen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir schon über solche Fragen reden, dann müs-
sen wir auch darüber sprechen, wie wir die Einheit vo-
rangetrieben haben.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Aber ein bißchen ehrlich sollte man sein!)


Nach wie vor fehlt unserem vereinten Volk ein konsti-
tutioneller Grundakt, eine gemeinsam erfahrene Grund-
legende. Ich glaube, es wäre besser gewesen, wir hätten
die Wiedervereinigung nicht in Form eines Beitrittes
durchgeführt, sondern so, wie es Art. 146 des Grund-
gesetzes immer schon vorgesehen hatte, nämlich daß
sich das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung eine

Verfassung gibt. Das hätte uns auch politisch näher zu-
sammengebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weil uns diese Erfahrung fehlt, bleibt sozusagen ein
Webfehler im vereinten Deutschland.

Bei aller Einheit in Vielfalt – ich schätze diesen
Reichtum an Vielfalt in unserer Gesellschaft; wir brau-
chen ihn – müssen wir aufpassen, daß wir das Feld der
Nation nicht denen überlassen, die es schon zweimal in
diesem Jahrhundert in einen Blutacker verwandelt ha-
ben. Wenn man sich die Rechtsradikalen anschaut, die
mit ihrem nationalistischem Gehabe versuchen, sich an
junge Menschen heranzumachen, dann müssen wir im
Hinblick auf die nationale Identität aufpassen; denn
neben der durch die Vereinigung gewonnenen formalen
und staatlichen Souveränität brauchen wir in einer ge-
wissen Weise auch eine nationale Identität. Aber wir
brauchen keinen nationalen Überschwang und auch kei-
ne Flucht nach Europa. Früher gab es den „Bericht zur
Lage der Nation“. Vielleicht kommen wir wieder dahin,
daß wir das vereinte Deutschland als Nation – und zwar
als Nation in Europa – begreifen.

Für mich war nicht das fehlende Glockengeläut an-
läßlich der Vereinigung ärgerlich, sondern eher das feh-
lende Gespür für demokratische und für nationale Sym-
bole und deren einheitsstiftende Wirkung. Das fängt bei
der Nationalhymne an; ich teile Ihre Bevorzugung,
Herr Bundeskanzler. Auch mir wäre ein einheitlicher
Text lieber gewesen, anstatt daß die Rechten mittler-
weile die erste Strophe und die Demokraten in diesem
Land die dritte Strophe singen. „Anmut sparet nicht
noch Mühe“ wäre auch ein gutes Motto für unsere Re-
gierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heiterkeit bei der CDU/CSU – Bundeskanzler Gerhard Schröder: Die Mühe machen wir uns!)


– Die Mühe machen wir uns, und an Mut fehlt es auch
nicht.

Daß uns die Geschichte nicht losläßt und sogar wie-
der einholt, können wir doch auch an der im Vorfeld so
kritisch diskutierten Veranstaltung zum 9. November
erkennen. Eigentlich ist der 9. November der Tag der
Wiedervereinigung – als nämlich die Deutschen in Ost-
und Westberlin die Mauer gestürmt haben. Dieser Tag
und nicht der 3. Oktober ist in den Herzen und in den
Köpfen der Menschen als der Tag der Einheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daß wir eine vorgezogene Einheitsfeier hatten, hängt
doch damit zusammen, daß wir diese beiden Tage per-
manent verwechseln. Der 9. November ist unser eigent-
licher Schicksalstag; er zieht sich von 1848 bis 1989 mit
all seinen trüben und schlimmen Kapiteln, aber auch mit
seinen freudigen Momenten durch unsere Geschichte.
Wir werden möglicherweise nie eine Nation wie die






(B)



(A) (C)



(D)


Franzosen werden, die auf den Straßen tanzt. Dieses
Verhalten geben unsere Mentalität und unsere Geschichte
nicht her. Aber wir haben Grund zur Freude und zur
Hoffnung. Vielleicht gelingt es uns doch noch, diesen Tag
zu einem nationalen Gedenkfeiertag zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)


Ich will zum Abschluß meiner Rede noch einen Ge-
danken äußern. Mich stört der Begriff von der Mauer
im Kopf. Ich halte davon nicht viel. Ich habe das ein-
gangs erwähnt: Die Mauer im Kopf war etwas anderes;
sie hatte etwas mit dem realen Bestand dieser Mauer zu
tun. Heute geht es mehr um das Brett vor dem Kopf, ha-
be ich den Eindruck.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man sich das genauer anschaut, ist das eine dop-
pelseitige Pinnwand, auf der beiderseits die Vorurteile
und Vorwürfe angeheftet werden. Wir haben die wirkli-
che Mauer abgetragen, jetzt sollten wir auch diese Zettel
herunterreißen. Wir sollten wieder mehr miteinander ins
Gespräch kommen.


(Vorsi tz : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Die Deutschen in Ost und West haben in einer Ni-

schengesellschaft gelebt. Die Zeit dieser Abschottung ist
vorbei; die Zeit vor und hinter der Mauer ist Vergangen-
heit. Wir bekommen das in Berlin deutlich zu spüren.
Die politische Generation des Mauerfalls muß es lernen,
mit den heutigen Problemen und Konflikten zu leben
und sie zu lösen. Heute geht es nicht mehr nur darum,
die innere Einheit zu vollenden, sondern wir müssen uns
eine gemeinsame Zukunft erarbeiten. Das ist die Aufga-
be, vor der die jetzige Bundesregierung, aber auch die
Opposition steht und die wir lösen müssen. Wir müssen
daher den Dialog wiederbeleben. In der Gesellschaft und
der Politik ist es besser, miteinander als übereinander zu
sprechen. Vielleicht war die erweiterte Redeliste am 9.
November ein bescheidener Anfang dazu.


(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406901500
Das Wort hat
jetzt der Fraktionsvorsitzende der PDS, Gregor Gysi.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406901600
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Zunächst, Herr Vaatz, zu Ihrer Rede
eine Bemerkung. Ich finde, daß Sie in der DDR eine
Biographie hatten, die Respekt fordert und keine Häme,
auch nicht in diesem Hause.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich finde aber andererseits, daß Sie inhaltlich eine Rede
gehalten haben, die uns in der Frage der Einheit wirklich
nicht voranbringt.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ganz im Gegenteil: Sie war durch das Denken des kal-
ten Krieges und durch zum Teil unbegründete Vorwürfe,
übrigens in alle Richtungen der Gesellschaft, geprägt.
Das bringt eigentlich nie etwas.

Herr Struck, Sie haben uns vor Nostalgie gewarnt.
Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. Wir nehmen diese
Warnung auch an. Wir haben uns allerdings in Wirk-
lichkeit von Anfang an für einen differenzierten Um-
gang mit der Geschichte, für eine Anerkennung auch
der Lebensleistung der Ostdeutschen ausgesprochen.
Das hat auch der Bundeskanzler heute hier getan und
damit übrigens eine Uraltforderung der PDS aufgenom-
men.

Wenn Sie hier den Fall der impfgeschädigten Frauen
erwähnen, ist das aus zwei Gründen ungerecht. Erstens
ist die Art ungerecht, wie Sie das gemacht haben. Sie
haben nämlich so getan, als ob ein solcher Impfschaden
nur in der DDR hätte entstehen können. Das ist natürlich
falsch; das wissen Sie. Den gibt es in allen Ländern,
auch in der Bundesrepublik. Ich will gar nicht an Con-
tergan etc. erinnern.

Schlimmer ist, daß damit nicht offen und öffentlich
umgegangen wurde und daß die Entschädigungen viel
zu gering waren. Das ist das, was man scharf kritisieren
muß. Deshalb haben sich diese Frauen übrigens auch an
die PDS gewandt. Wir haben diesbezüglich ganz ent-
schieden ein Handeln der alten Bundesregierung gefor-
dert.

Herr Gerhardt, bei Ihnen ist mir etwas aufgefallen,
worüber man in Zukunft wirklich gründlich diskutieren
muß. Sie haben von der Freiheit und der Unbequem-
lichkeit der Freiheit gesprochen und davon, daß man
sich auf bestimmte Sicherheiten nicht so verlassen kön-
ne wie in einer nicht freien Gesellschaft. Ich denke, es
ist ein Kernproblem, daß Sie das alternativ behandeln.
Das hat auch die DDR gemacht, natürlich in umgekehr-
ter Richtung. Sie hat immer gesagt, eine bestimmte so-
ziale Sicherheit, eine bestimmte soziale Gerechtigkeit
verhindere nun einmal eine bestimmte Freiheit, die die
Leute sich vorstellten. Sie sagen den Leuten nun, eine
bestimmte Freiheit verhindere nun einmal eine be-
stimmte soziale Gerechtigkeit und eine bestimmte so-
ziale Sicherheit, die die Leute sich vorstellten.


(Widerspruch bei der F.D.P.)

Ich finde es schon im Ansatz falsch, das alternativ zu

denken.

(Beifall bei der PDS)


Im Grunde genommen geht es darum, soziale Gerech-
tigkeit, soziale Sicherheit und Freiheit miteinander zu
verbinden, statt sie einander gegenüberzustellen.


(Beifall bei der PDS)

Er hat auch noch gesagt, unsere Gesellschaft müsse in

der Lage sein, einzigartige Begabungen zu fördern. Aber
– das müssen Sie zugeben – darin war die F.D.P. in den
letzten Jahren auch kein Vorbild.


(Beifall bei der PDS)

Ich räume aber ein, daß das durchaus eine Aufgabe ist.

Werner Schulz (Leipzig)







(A) (C)



(B) (D)


Herr Schulz, nun zu Ihnen: Erstens. Was flotte Agit-
prop-Sprüche betrifft, würde ich mit Ihnen nie die Kon-
kurrenz aufnehmen. Ich finde, da sind Sie führend.


(Beifall bei der PDS)

Zweitens. Sie verklären die DDR. Sie haben doch be-

hauptet, wenn einer 1989 einen Antrag auf einen Tra-
bant gestellt hätte, würde er ihn heute bekommen. Sie
meinen also im Ernst, daß er ihn nach zehn Jahren hätte.
Da kennen Sie die Fristen der DDR nicht. Die lagen
immer zwischen 14 und 16 Jahren.


(Beifall bei der PDS – Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Und in Berlin?)


– Selbst in Berlin dauerte es länger.
Das eigentliche Problem ist etwas anderes: Sie stellen

sich hier allen Ernstes hin – Sie müssen sich einmal
überlegen, was Sie da erzählen –, ziehen ein Zitat von
mir heran und lassen natürlich die beiden anderen Aus-
sagen von mir weg. Ich habe nämlich damals im Bun-
destag gesagt, Voraussetzung für die Einheit ist, daß
man für die gleiche Leistung den gleichen Lohn be-
kommt und daß man es als normal und nicht als absurd
empfindet, daß auch einmal ein Ostdeutscher bzw. eine
Ostdeutsche Ministerpräsident bzw. Ministerpräsidentin
in einem alten Bundesland wird und nicht nur der umge-
kehrte Vorgang denkbar ist. Das waren zwei wichtige
Aussagen.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Wir hatten eine ostdeutsche Bundespräsidentin vorgesehen!)


Dann – das gebe ich zu – habe ich den von Ihnen zi-
tierten flotten Spruch mit Sylt gemacht, wobei es mir
nicht um das Einkommen ging, sondern darum, deutlich
zu machen, welche sozialen Unterschiede bestehen. Sie
aber behaupten hier allen Ernstes, es gebe in dieser Ge-
sellschaft keine Menschen zweiter Klasse, die habe es
in der DDR in großem Umfang gegeben. Unter welchem
Realitätsverlust leiden Sie eigentlich inzwischen, Herr
Schulz?


(Beifall bei der PDS)

Glauben Sie im Ernst, daß die alleinerziehende Sozi-

alhilfeempfängerin in Kreuzberg mit zwei oder drei
Kindern wirklich glaubt, sie lebe in derselben Klasse
wie der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank?
Welche naiven Vorstellungen haben Sie eigentlich? Hier
gibt es wirklich riesige Unterschiede. Wenn Sie die nicht
mehr wahrnehmen können, dann tut es mir wirklich leid.


(Beifall bei der PDS)

Herr Bundeskanzler, zu Ihrer Rede möchte ich sagen:

Ich fand sie im Unterschied zu früheren Reden eines an-
deren Bundeskanzlers im Zusammenhang mit der deut-
schen Einheit sehr viel differenzierter. Ich habe vieles
gehört, dem ich zustimmen kann, zweifellos aber nicht
allem. Ich muß auch sagen: Sie sind überall dort, wo es
notwendig gewesen wäre, sehr konkret zu werden, sehr
allgemein geblieben. Der Umgang mit dem von Ihnen

Gesagten wird dadurch schwierig, weil bestimmte
Grundsatzerklärungen, wie man die Dinge sehen sollte,
noch auf ihren Gehalt geprüft werden müssen, wenn es
um die konkrete Umsetzung geht.

Sie haben gesagt, wir sollten nicht zurückschauen,
sondern in erster Linie nach vorne, haben dann aber sel-
ber zurückgeschaut. Ganz wird man dies auch nicht
vermeiden können.

Über eines freue ich mich: Ich finde, daß die Jubilä-
umsveranstaltung, die wir hier am 9. November 1999
hatten, von der Gesamttendenz her den Eindruck ver-
mittelt hat, als ob die Mauer in Moskau, in Washington
und in Bonn geöffnet worden ist. Sie haben das heute in
Ihrer Rede richtiggestellt. Das war meines Erachtens
dringend notwendig.


(Beifall bei der PDS)

Im Zusammenhang mit der deutschen Einheit möchte

ich aber auf ein Problem hinweisen, das so nie benannt
worden ist und das den Unterschied zu den osteuropäi-
schen Ländern ausmacht. Dort sind die sozialen und
wirtschaftlichen Bedingungen viel schwieriger. Die rei-
che Bundesrepublik konnte in den neuen Bundeslän-
dern eine Menge abfangen. Das alles ist wahr. Die
osteuropäischen Länder mußten aber mit den vor-
handenen Strukturen, mit der vorhandenen Wirt-
schaft, der vorhandenen Elite und der vorhandenen
Landwirtschaft, umgehen. Sie haben auf dieser Basis
ihre Reformen eingeleitet. Als die DDR zur Bundes-
republik kam – das werfe ich niemanden vor; das ist ei-
ne Tatsache –, brauchte die Bundesrepublik Deutschland
aus der DDR existentiell nichts. Das ist ein riesiges Pro-
blem gewesen.


(Beifall bei der PDS)

Damit ist man, wie ich finde, nicht besonnen genug

umgegangen. Denn wenn ein anderes Land aus der DDR
existentiell nichts brauchte, dann ist die Folge davon,
daß vieles dichtgemacht wird und daß man im Hinblick
auf das, was erhalten bleibt, immer das Gefühl hat – das
ist ein psychologisches Problem –, es sei ein Akt der
Gnade, aber keine Notwendigkeit, nach dem Motto:
Kinder, wir können denen jetzt nicht auch noch die
Humboldt-Uni dichtmachen, also lassen wir sie beste-
hen. Aber die Akademie der Wissenschaften und andere
Einrichtungen wurden natürlich geschlossen. Das ist
wirklich ein Problem, das ich aber niemandem vorwerfe.
Wir sind damit jedoch nie richtig umgegangen.

Das hatte natürlich Folgen. In den osteuropäischen
Ländern sind die künstlerischen, die wirtschaftlichen,
die technischen und die wissenschaftlichen Eliten über-
nommen worden. Die meisten Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler der DDR sind entlassen worden. Und
soweit Einrichtungen nicht dichtgemacht worden sind,
sind die Führungskräfte fast alle durch Führungskräfte
aus den alten Bundesländern ersetzt worden – nicht nur
in der Politik, auch in der Wissenschaft. Die, die ge-
kommen sind, waren nicht immer erste Klasse. Es war
auch eine Menge Mittelmaß dabei, Leute, für die man
keine richtige Verwendung mehr hatte. Ich habe ja Ver-
ständnis dafür: Es gab in der alten Bundesrepublik ein

Dr. Gregor Gysi






(B)



(A) (C)



(D)


Problem der angestauten Kader, das partiell über die
neuen Bundesländer gelöst wurde.


(Heiterkeit bei der PDS)

All das muß man der Ehrlichkeit halber hinzufügen.


(Beifall bei der PDS)

Es sind viele Unternehmen dichtgemacht worden, die

am Markt sicherlich keine Chance gehabt hätten. Aber
viele sind eben auch aus Konkurrenzgründen oder ein-
fach aus Nachlässigkeit dichtgemacht worden. Die
Wahrheit besteht hier nie aus nur einer Aussage; man
muß immer mehrere Dinge betrachten.

Ich habe über den Wissenschafts- und den Kulturbe-
reich gesprochen. Lassen Sie mich noch etwas zur Kul-
tur sagen: Sie müssen verstehen, daß in Ostdeutschland
andere Fragen gestellt werden. Gerade wenn man hier
im Bundestag jeden Tag erklärt, wie verschuldet die
DDR war und wie marode ihre Wirtschaft war, dann ist
es sehr schwer, den Leuten zu erklären, wieso diese ma-
rode DDR noch in der Lage war, in Suhl ein Sympho-
nieorchester zu finanzieren, während sich die reiche
Bundesrepublik Deutschland außerstande sieht, dies zu
tun.


(Beifall bei der PDS)

Die Leute werden doch wenigstens nachfragen dürfen.
Natürlich hängt das auch damit zusammen, daß die
Struktur anders war; das ist mir schon klar. Aber für uns
bedeutet das, daß solche Probleme gelöst werden müs-
sen.

Herr Struck, das, was Sie hier zum Prinzip „Rückga-
be vor Entschädigung“ gesagt haben, gefällt mir über-
haupt nicht. In anderen Punkten des Einigungsvertrages,
die der SPD sehr wichtig waren – ich nenne nur das
Vermögen von Parteien und Massenorganisationen –,
sind Sie zum damaligen Bundeskanzler gegangen und
haben gesagt: Wenn das nicht geändert wird, dann
stimmen wir dem Einigungsvertrag nicht zu. Aber in be-
zug auf das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ sind
Sie nicht zum Bundeskanzler gegangen, sondern haben
nur eine Protokollerklärung dazu abgegeben. Sie haben
dies durchgehen lassen, und deshalb haften Sie für die-
ses Prinzip genauso wie die damaligen Koalitionsfrak-
tionen.


(Beifall bei der PDS)

Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, Sie möchten,

daß in Zukunft niemand mehr fragt, ob jemand aus dem
Osten oder dem Westen komme, sondern daß jeder nach
seiner Leistungsfähigkeit, nach seiner Bereitschaft be-
wertet wird – in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und
in der Politik. Ich halte dies für einen guten Ansatz, wei-
se Sie aber darauf hin, daß wir davon noch meilenweit
entfernt sind.

Ich will ein Beispiel nennen – dafür sind Sie nicht
verantwortlich –, um das Problem deutlich zu machen:
Wenn Sie sich heute in Bayern für den öffentlichen
Dienst bewerben, bekommen Sie einen Fragebogen.
Danach müssen Sie zunächst mitteilen, ob Sie irgend-
wann in Ihrem Leben einmal einer linksextremistischen

Partei oder Organisation angehörten. Durch eine kleine
Zahl werden Sie auf eine Anlage verwiesen, in der Ihnen
mitgeteilt wird, welche linksextremistischen Organisa-
tionen es gibt, in denen Sie gewesen sein könnten. Dies
müssen Sie ausfüllen, und dann sind Ihre Chancen fak-
tisch gleich Null; denn unter Mitgliedschaft in einer
linksextremistischen Organisation – darüber würden
selbst Sie sich wundern, Herr Vaatz – fällt auch die Zu-
gehörigkeit zum FDGB, also zum Freien Deutschen
Gewerkschaftsbund der DDR, und zum Verband der
Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter. Sie müssen
ankreuzen, wenn Sie jemals dort Mitglied waren. Dann
können Sie Ihre Bewerbung als Archivar aber gleich
vergessen.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

Das ist keine Gleichbehandlung, sondern das heißt:

Du bist einfach chancenlos. Es mag zwei, drei DDR-
Bürger gegeben haben, die nun wirklich in keiner dieser
Organisationen waren. Aber das ist wirklich eine solche
Minderheit, daß Sie das im Grunde vergessen können.
Wenn jemand einen solchen Fragebogen liest, sind für
ihn ganz viele Fragen schon beantwortet. Er hat plötz-
lich das Gefühl: Es geht gar nicht um die politische Eli-
te, sondern um mich, um die Diskreditierung meines
Lebens, und das allein, weil ich im FDGB oder im Ver-
band der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter war.
Man muß sich einfach einmal überlegen, was das be-
deutet. Ich könnte Ihnen noch weitere solcher Beispiele
nennen.

Das Problem der Bezahlung im Osten wird immer
negiert. Es geht doch nicht nur darum, daß das Ver-
hältnis von Lohn, Gehalt und Einnahmen mit dem
der Preise übereinstimmen müsse. Niemand hat doch
die Entwicklung der Preise gestoppt. Die Preise im
Osten betragen 100 bis 110 Prozent, die Einnahmen
betragen aber eben 60 bis 80 Prozent; im industriellen
Gewerbe nur 65 Prozent. Da nutzen auch keine Ver-
gleiche mit anderen Ländern. Es ist doch ganz logisch,
daß die Leute in erster Linie im eigenen Land Verglei-
che anstellen, vor allem wenn es um die innere Einheit
geht.


(Beifall bei der PDS)

Ich habe einmal eine Arztrechnung mitgebracht; diese

macht es ganz deutlich. Wenn meine Tochter im Ostteil
Berlins zur Kinderärztin geht, dann bekomme ich eine
Abrechnung, in der die Kosten aufgelistet sind. Darunter
steht: abzüglich 14 Prozent Ostrabatt. In jede Rechnung
muß die Ärztin schreiben: Da ich aus dem Osten bin, ist
meine Leistung 14 Prozent weniger wert.

Ein weiteres Beispiel: Zwei Rechtsanwälte sitzen sich
im Gericht gegenüber – es tut mir leid, daß ich dieses
Beispiel bringe –, kämpfen im Prozeß leidenschaftlich,
setzen genauso viele Schriftsätze auf und zeigen das
gleiche Engagement. Sie gehen aus dem Gericht, und
der Streitwert wird festgestellt. Dann muß der eine we-
sentlich geringere Gebühren abrechnen als der andere,
weil er aus dem Osten kommt. Die beiden sind aller-
dings nicht unbedingt mein Problem, weil sie nicht so
schlecht verdienen.

Dr. Gregor Gysi






(A) (C)



(B) (D)


Verstehen Sie aber, was es bedeutet, wenn jemand in
jeder Rechnung mitteilen muß seine Leistung ist weni-
ger wert als die Leistung des entsprechenden Kollegen
oder der Kollegin aus dem Westteil der Stadt oder aus
den alten Bundesländern? Das ist ein mentales Problem,
das man nicht einfach wegwischen kann.

Das blödeste Argument ist die Berechnung auf Grund
des Produktivitätsdurchschnitts. Erstens. Bei Anwäl-
ten und Ärzten ist dieses Argument Quatsch. Sie können
mir aber auch nicht sagen, wieso ein Archivar in Pots-
dam weniger leistet als ein Archivar in Bonn, und auch
wenn wir die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten als
Beispiel heranziehen, stimmt das nicht.

Zweitens. Wie kommen Sie überhaupt darauf, einen
Gesamtdurchschnitt für die neuen Bundesländer zu be-
rechnen? Das kann doch nur einer machen, der noch in
den Grenzen der alten DDR denkt. Normalerweise geht
das nach Branchen.


(Beifall bei der PDS)

Das geht nach allem möglichen, aber doch nicht nach
alten Staatsgrenzen. Das ist doch ein absurder Vorgang.
Wenn das nicht mehr vermittelbar ist, können wir uns
nicht mit Zahlen herausreden, dann müssen wir das Pro-
blem lösen.

Es ist immer wieder betont worden – auch ich habe
das übrigens gemacht –, daß die Infrastrukturent-
wicklung in den neuen Bundesländern in den letzten
Jahren hervorragend gewesen ist. Ich nenne als Bei-
spiele den Straßenbau, die Telekommunikation und die
Sanierung von Stadtzentren. Jeder, der ehrlich ist – auch
in den neuen Bundesländern –, akzeptiert, daß die DDR,
so wie sie strukturiert war, in den nächsten 40 Jahren
nicht das geschafft hätte, was hier in 10 Jahren aufge-
baut wurde. Das zu sagen gehört zur Ehrlichkeit dazu.


(Beifall bei der PDS)

Man darf aber auch das nicht einseitig sehen; denn es

ist auch Infrastruktur beseitigt worden, zum Beispiel
Krippen, Kindergärten und ein dichtes Netz an Jugend-
und Kulturklubs. Daneben darf man das dichte Netz an
Postdienstleistungseinrichtungen und in anderen Berei-
chen nicht vergessen, bei denen sich die generellen Re-
formen der Bundesrepublik entsprechend in den neuen
Bundesländern auswirken.

Dazu gehört auch das Streckennetz der Bahn. Die
DDR hatte immerhin das am weitesten verzweigte
Streckennetz Europas. Es war zweifellos nicht das beste;
das muß man dazu sagen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das war marode, das ist wahr!)


– Das sage ich doch gerade. Bei mir können Sie sich
immer darauf verlassen, daß ich das hinzufüge. Die Ein-
seitigkeit kommt immer von Ihnen.


(Beifall bei der PDS)

Das Streckennetz zu erneuern war dringend erforder-

lich. Aber die Kürzungen, die dabei vorgenommen wor-
den sind, die Menge von Kilometern, die dabei vernich-

tet worden ist, sind nicht Ausdruck von Zukunftspolitik;
denn wenn wir den Straßenverkehr stückweise auf die
Schiene verlagern wollen, dann hätte man dieses Strek-
kennetz nutzen sollen, anstatt es quantitativ auf das Ni-
veau der alten Bundesländer zu senken. Das heißt, auch
hier müssen wir die Dinge differenziert beurteilen.

Ich möchte nun auf die Zukunft zu sprechen kommen
und etwas zum Transfer sagen. Ich bin dem Staatsmini-
ster für eines wirklich dankbar: Er hat jetzt ehrlichere
Zahlen angeführt. Ich habe bei der alten Regierung nie
verstanden, wieso sie beim Transfer immer falsche
Zahlen angegeben hat. Die Zahlen waren in dem Sinne
falsch, daß sie mit einem Transfer, wie ihn die Bürge-
rinnen und Bürger verstehen, nichts zu tun hatten. Die
Finanzierung einer Bundeswehrkaserne wurde zum Bei-
spiel immer als Transferleistung, also zum Nachteil des
Einigungsprozesses, ausgegeben. Wenn ich die Trans-
ferleistungen so darstelle, dann demütige ich die Ost-
deutschen und pflege bei den Westdeutschen das Vor-
urteil, der Transfer sei einfach zu teuer. Es ist kein edles
Motiv, das dahintersteckt.

Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel, das besonders är-
gerlich ist – ich weiß gar nicht, ob Sie das wissen –: Die
Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst aus
den alten Bundesländern, die in den neuen Bundeslän-
dern Dienst tun, wurden als Transferleistungen berech-
net. Das heißt, das Gehalt von Biedenkopf galt als
Transferleistung, das von Stolpe und Ringstorff nicht.
Aber selbst wenn ein Ostdeutscher Ministerpräsident in
Sachsen wäre, hätte er ein Gehalt beziehen müssen. Rein
rechnerisch war also die Berechnung der Transferlei-
stungen Quatsch.

Das gilt nicht für die Zulage. Sie ist aber ein mentales
Problem. Wenn Sie einem Menschen aus den alten Bun-
desländern sagen, daß er, wenn er im öffentlichen Dienst
in den neuen Bundesländern arbeitet, eine Zulage erhält,
und die Ossis diese Zulage sofort Buschzulage nennen,
dann ist klar, was damit auf beiden Seiten zum Aus-
druck gebracht werden soll.

Schauen Sie sich doch die Verhältnisse an! Was ha-
ben wir uns hier im Hause darüber gestritten, wie wir
den Angestellten und Beamten der Bundesministerien
und der Bundestagsverwaltung den Umzug von Bonn
nach Berlin erleichtern können. Was haben wir da für
Regelungen eingeführt! Sie reichen von der Bezahlung
der regelmäßigen Fahrt nach Bonn bis zu Mietzuschüs-
sen oder zur vollständigen Übernahme der Mietkosten
für zwei Jahre. Fragen Sie doch einmal die Millionen
Ostdeutschen, die ihren Job verloren haben und danach
300 oder 400 Kilometer zu ihrem neuen Job fahren
mußten. Kein Mensch ist auf die Idee gekommen, ihnen
die Fahrt dorthin oder gar die Miete vor Ort zu bezahlen.


(Beifall bei der PDS)

Das heißt, für uns lassen wir natürlich immer ganz ande-
re Maßstäbe gelten. Das führt dann zu Verdruß, über den
man sich auch nicht wundern darf.

In diesem Zusammenhang haben Sie auch das Spar-
paket gelobt. Dieses Lob kann ich nun überhaupt nicht
teilen, und zwar aus mehreren Gründen; nicht nur des-

Dr. Gregor Gysi






(B)



(A) (C)



(D)


halb, weil ich sowieso Bedenken habe, die ich aber jetzt
nicht aufführen muß. Sie kürzen die Mittel für den
Osten. Deshalb formulieren Sie vorsichtig und sagen,
Sie wollten die Förderung auf hohem Niveau fortsetzen.
Das heißt in Wirklichkeit: Sie erfolgt eben nicht auf hö-
herem und nicht auf gleich hohem, sondern auf niedrige-
rem Niveau. Diese auf niedrigerem Niveau fortzusetzen
heißt, weniger Ergebnisse zu erzielen. Das steht von
vornherein fest.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406901700
Herr Kollege
Gysi, denken Sie bitte an die Zeit.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406901800
Ja, ich bin sofort fertig.

Außerdem – das ist das schlimmste – geht die Ent-
wicklung bei Rente, Arbeitslosengeld und Arbeitslosen-
hilfe in Ost und West wieder auseinander. Sie ging unter
der früheren Regierung – wenn auch nur ein wenig –
immerhin zusammen. Jetzt geht sie wieder auseinander.
Das ist ein großes, auch mentales, Problem.

Deshalb noch einmal meine Bitte: Wenn wir die Ein-
heit wollen, müssen wir uns stärker füreinander interes-
sieren, müssen wir stärker miteinander reden, müssen
wir uns in unserer Unterschiedlichkeit akzeptieren und
zugleich Gleichwertigkeit der Lebenschancen in sozia-
len und anderen Fragen herstellen. Wir brauchen regio-
nal funktionierende Wirtschaftsstrukturen. Dazu gehört
auch ein lebendiges Feld für kleine und mittelständische
Unternehmen. Genau dorthin darf man die Ökosteuer
dann eben nicht übertragen und Ansätze damit kaputt-
machen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406901900
Herr Kollege
Gysi!


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406902000
Man muß vielmehr die
Sondersituation begreifen.

In diesem Sinne wünsche ich mir eine stärkere sozia-
le, wirtschaftliche und kulturelle Politik für die Einheit.
Was wir brauchen, Herr Bundeskanzler, ist ein klarer
Fahrplan dafür, in welchen Fristen und in welchen
Schritten die Angleichung erfolgen soll.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406902100
Das Wort hat
jetzt der Herr Ministerpräsident des Landes Mecklen-
burg-Vorpommern, Harald Ringstorff.


(Mecklenburg-Vorpommern)

ehrten Damen und Herren! Es gibt Ereignisse, die sich
im Rückblick von ihren historischen Bezügen lösen und
über den konkreten Zusammenhängen gleichsam zu
schweben beginnen. Sie sind der Stoff, aus dem Mythen

und Legenden gesponnen werden. Zu diesen Ereignissen
gehört der Fall der Berliner Mauer vor zehn Jahren.

Viele – äußere und innere – Faktoren kamen im
Herbst 1989 zusammen: die Politik Gorbatschows, die
Kommunismusverweigerung der Polen, die ungarische
Reformpolitik mit der Öffnung des Eisernen Vorhanges,
dazu die wirtschaftliche Zerrüttung der DDR und die
unerträglich gewordene Verkrustung des Herrschaftssy-
stems. Erinnern muß man auch an die Wirkungen der
Entspannungspolitik, eingeleitet von Willy Brandt. Die
Mechanismen des kalten Krieges funktionierten nicht
mehr wie gewohnt. Der SED kam der äußere Todfeind
abhanden: die angeblichen imperialistischen Kriegstrei-
ber. Damit verlor sie den ideologischen Knüppel, mit
dem sie bislang ihre Bürger diszipliniert hatte.

Wie lange, meine Damen und Herren, konnte da die
Mauer noch Bestand haben? Hier komme ich auf den
Glücksfall zurück, von dem so oft gesprochen wird, auf
das Geschenk, das unserem Volk nach dieser Lesart
überreicht wurde. Wer soll eigentlich wem Geschenke
gemacht haben: die Ostdeutschen den Westdeutschen
oder umgekehrt, ein den Deutschen gnädiges Schicksal,
die Geschichte? Was ist das, die Geschichte? Waren es
die Amerikaner, die Sowjetunion gar? Eine gemeinsame
Antwort steht bis heute aus.

Die regierende Koalition in Bonn erfaßte damals in-
tuitiv, daß die deutsche Wiedervereinigung ohne Verän-
derungen in Westdeutschland zu haben war, wenn sie
denn rasch erfolgte. Bundeskanzler Kohl vollzog den
Willen der Deutschen zur Wiedervereinigung und er-
füllte den Wunsch der Westdeutschen: keine Experi-
mente, auch nicht in diesem Falle. Daher die anfängliche
Politik, die Kosten aus der Portokasse bezahlen zu wol-
len.

Die Nacht des Mauerfalls war auch die Nacht, in der
die Euphorie begann. Ein rauschhafter Zustand machte
sich breit, Illusionen bestimmten das Handeln. Der Blick
auf die realen Möglichkeiten der Bundesrepublik war
verstellt. Der Souverän delegierte sein Recht auf Selbst-
bestimmung auf die Parteien und Parteienbündnisse, de-
ren Funktionieren ihm fremd war.

Meine Damen und Herren, ich beklage mich nicht;
ich gebe Eindrücke wieder. Ich war dabei.

Geschenke verpflichten zur Dankbarkeit, und Glück
verpflichtet zur Demut. Wer den Umbruch und die Wie-
dervereinigung als Glück und Geschenk darstellt,
wird den Ostdeutschen nicht gerecht, ja mehr noch: Er
wird ihre Empfindungen als Ausdruck von Undank defi-
nieren. Machen wir Schluß mit diesem Interpretations-
muster!


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Dann gewinnen wir allesamt, die Menschen in Bayern,
in Nordrhein-Westfalen, in Mecklenburg-Vorpommern
und hier in Berlin.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Dr. Gregor Gysi






(A) (C)



(B) (D)


Damit wir uns nicht mißverstehen: Ich bin glücklich
darüber, daß wir die SED-Herrschaft überwunden haben
und die Einheit hergestellt haben.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Deswegen haben Sie mit der PDS eine Koalition gebildet!?)


Aber Glück ist keine politische Kategorie und schon gar
keine Kategorie zur Beurteilung historischer Prozesse.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Jede Revolution ist begleitet von Hoffnungen – ja, sie
ist Hoffnung – und jede Revolution bringt Erwartungen
hervor. Ideale sollen so Gestalt annehmen, wie man sie
sich erträumte oder in Sonntagsreden geschildert bekam.
Doch Erwartungen sind zu einem guten Teil auch
Selbsttäuschungen. Viele Ostdeutsche – ich schließe
mich ein – glaubten damals, Teile des Erbes der DDR
könnten Grundlage für den Neubeginn sein. Darf man
uns das verdenken? Wir haben 40 Jahre lang fleißig ge-
arbeitet und, denke ich, auch manche Entbehrung auf
uns nehmen müssen. Konnte das alles umsonst gewesen
sein? Nein, es war nicht alles umsonst. Ich wehre mich
gegen diese Urteile und bitte Sie alle, die Erfahrungen,
die wir gemacht haben, und die Ostdeutschen als Berei-
cherung zu verstehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir müssen für Gesamtdeutschland nutzbar machen,
was nutzbar ist: das Konzept der Polikliniken zum Bei-
spiel, die Idee, den Schülern die Wirtschaft in der Wirt-
schaft nahezubringen – ich füge vorsorglich hinzu: ich
meine die Methode und nicht den sozialistischen In-
halt –, die Einfachheit vieler Gesetze und vieles andere
mehr.


(Beifall bei der SPD)

Seit 1990 wird den Ostdeutschen vorgehalten, sie

hätten erst noch zu lernen, was Demokratie ist. Das hält
man Menschen vor, die im Oktober 1989 in Leipzig de-
monstrierten, massiv bedroht durch Sicherheitskräfte;
das hält man Menschen vor, die am 4. November 1989
hier, auf dem Alexanderplatz, gerufen haben: Wir sind
das Volk. Das waren in Berlin 500 000, in Rostock,
Leipzig, Magdeburg und überall sonst in Ostdeutschland
insgesamt mehrere Millionen Bürger. Denen sollte man
nicht länger sagen: Das war lobenswert, aber Demokra-
tie ist etwas ganz anderes.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/ CSU]: Beifall bei der PDS!)


Das verletzt, und genau das gibt der PDS Argumente in
die Hand.

Die PDS ist auf Grund der Fehler des Vereinigungs-
prozesses ein politischer Faktor in den neuen Bundes-
ländern; das ist inzwischen eine Binsenwahrheit.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Weil Sie sie aufgewertet haben!)


Wenn daraus jedoch die Schlußfolgerung gezogen wird,
es stehe die Machtergreifung alter Kader ins Haus, dann
ist das blanker Unsinn.


(Beifall bei der PDS)

Die PDS in Mecklenburg-Vorpommern folgt den Ge-
boten des Grundgesetzes und der Landesverfassung.

Meine Damen und Herren, wenn über die Lage in
Deutschland gesprochen wird, so sollten nicht nur die
Milliardensummen, die vom Westen in den Osten flie-
ßen, rühmend hervorgehoben werden. Ich wünsche mir,
daß viel nachdrücklicher als bisher ins Bewußtsein aller
Deutschen dies gerückt wird: Die Bundesrepublik
braucht die Lebenserfahrung der Ostdeutschen, ihre
Sensibilität, ihr Wirgefühl und ihre Kompetenz. Investo-
ren aus den alten Bundesländern, die in Mecklenburg-
Vorpommern tätig sind, heben mir gegenüber immer
wieder drei Dinge hervor: erstens die günstigen Förder-
bedingungen, dann die Qualifikation und Motivation der
Menschen und drittens die Innovationsfähigkeit ihrer
Mitarbeiter. Ich wünsche mir, daß davon künftig öfter
die Rede ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wenn ich es recht bedenke, sind sich Ostdeutsche
und Westdeutsche viel ähnlicher, als wir glauben. In
Deutschland setzt man auf Beständigkeit. Doch diese
Tugend kann sich, wenn Europa und die Welt in Bewe-
gung sind, als selbstzerstörerisches Moment erweisen.
Mich erinnert heute manches an die DDR. Auch da
wurde aus Furcht vor Veränderung immer wieder Kon-
tinuität beschworen. Es gibt Aufgaben in Deutschland,
die wir gemeinsam anpacken und gemeinsam lösen
müssen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Gelingt uns das nicht, so nehmen wir gemeinsam Scha-
den.

Die Probleme Mecklenburg-Vorpommerns sind auch
Probleme der alten Länder. Die Bewohner der Beletage
eines Hauses unterliegen einem Irrtum, wenn sie glau-
ben, die Folgen vernachlässigter Sanierung in den ande-
ren Etagen beträfen sie nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Alle Etagen müssen saniert werden, und alle müssen da-
zu ihren Beitrag leisten. Hier liegt für mich der tiefere
Grund dafür, daß auch die neuen Bundesländer ihren
Teil zur Konsolidierungspolitik der Bundesregierung
beizutragen haben.

Meine Damen und Herren, zehn Jahre Einheit, zehn
Jahre Marktwirtschaft sind eine lange Zeit. Trotzdem:
Es sind zuwenig Jahre für die Herausbildung eines robu-
sten Mittelstandes, zuwenig Jahre für die Akkumulation
des notwendigen Kapitals, zuwenig Jahre für die virtuo-
se Handhabung der Marktregeln. Aber die Situation bei
uns verbessert sich fortlaufend. Es wächst eine Genera-
tion heran, die unbefangen und selbstbewußt ist und die

Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff (Mecklenburg-Vorpommern)







(B)



(A) (C)



(D)


darauf brennt, zu zeigen, was sie zu leisten vermag. Ich
bin voller Zuversicht, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Lassen Sie mich abschließend noch eines feststellen:
Die viel zitierten Kosten der Einheit sind Kosten der
Spaltung. Im Grund handelt es sich bei jeder Transfer-
zahlung um eine Neuverteilung der Kriegsfolgelasten
einschließlich der Lasten des kalten Krieges, der erst
1989 endete. Diese Kosten sind noch längst nicht abge-
tragen.

Deshalb muß der Aufbau Ost auf hohem Niveau
weitergeführt werden. Ich freue mich darüber, daß die
Bundesregierung, daß der Bundeskanzler ganz klar ge-
sagt hat, daß dieser Aufbau Ost auf hohem Niveau fort-
gesetzt wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer sich dem zu entziehen versucht, ganz gleich, mit
welcher Begründung, der entzieht sich seiner nationalen
Verantwortung.

Warum ist eigentlich in diesem Zusammenhang so
wenig vom Vaterland die Rede? „Deutschland einig
Vaterland“ hieß es 1990. Was passiert, wenn dieses
Wort von anderen mit ganz anderen Zielsetzungen miß-
braucht wird? Kurzum: Wirtschafts- und Sozialgemein-
schaft, allein verbunden durch Geschichte, ist mir zuwe-
nig. Es gibt Dinge im Leben eines Volkes, die jenseits
von Bilanzen und Transfersummen angesiedelt sind.
Ohne gerechten Ausgleich zwischen West und Ost gerät
die Stabilität der ganzen Bundesrepublik Deutschland in
Gefahr.

Dort, wo sich Gerechtigkeit bisher nicht durchgesetzt
hat, muß sie herbeigeführt werden, und dort, wo sie in
Frage gestellt wird, müssen wir gegensteuern. Es geht
nicht um Opfer für die neuen Bundesländer; es geht um
Gerechtigkeit und Versöhnung in Deutschland.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406902200
Das Wort hat
jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Wolfgang
Schäuble.


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1406902300
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in den
letzten Tagen eine Reihe von bedenkenswerten Reden
aus Anlaß der Tatsache, daß vor zehn Jahren in Berlin
die Mauer gefallen ist, gehört. Wenn diese Debatte heute
im Bundestag einen Sinn haben soll, dann sollten wir
aus meiner Sicht versuchen, zu klären, wo wir stehen
und wie wir weiterkommen. Ich finde, daß uns die De-
batte insofern ein Stück vorangebracht hat – der Kollege
Schulz hat darauf hingewiesen –, als wir heute zum er-
stenmal in unterschiedlicher Verantwortung diskutieren:

Vorher waren die einen Regierung und die anderen Op-
position, jetzt ist es andersherum.

Wenn ich die Regierungserklärung des Bundeskanz-
lers sowie die Reden von Herrn Struck, von Herrn
Schulz und sogar von Herrn Ringstorff richtig verstan-
den habe, ist in den zehn Jahren für den Aufbau Ost of-
fenbar eine Menge geleistet worden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das klang vor einem Jahr anders, unabhängig von der
Frage – darauf komme ich noch –, auf welchem Niveau
man den Aufbau Ost fortführt, ob auf hohem oder höhe-
rem Niveau. Wenn man ihn „auf hohem Niveau fort-
führt“, dann heißt das, daß wir in diesen zehn Jahren
beim Aufbau Ost ein hohes Niveau hatten. Das war die
Leistung der Regierung von Helmut Kohl und der Ko-
alition von CDU/CSU und F.D.P.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Natürlich haben wir viele Probleme. Dazu wird kei-

ner etwas ganz Neues sagen können. Mir ist in der De-
batte heute und schon in den Debatten dieser Tage, auch
vorgestern, immer wieder aufgefallen – bei Herrn Ring-
storff eben war es besonders deutlich: Viele haben das
Element der Einheit nicht richtig bewertet. Michail
Gorbatschow hat vor zwei Tagen von dieser Stelle aus
gesagt: Nehmt doch unsere Probleme und wir die euren!
– Das ist doch die eigentliche Schwierigkeit: Die Men-
schen in Frankfurt/Oder vergleichen ihre Lage heute –
wer wollte es ihnen verdenken? – nicht mit ihrer Lage
vor zehn Jahren, sondern mit der Lage der Menschen in
Frankfurt am Main. Aber die Menschen in Prag, War-
schau und anderswo sagen: Eure Probleme möchten wir
haben.

Und das ist das spezifisch Deutsche? Das kam in Ih-
rer Rede, Herr Ringstorff, überhaupt nicht vor.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist die Tatsache, daß aus Freiheit und Selbstbe-

stimmung Einheit wurde. Die Freiheit, so hat Helmut
Kohl wieder und wieder in Regierungserklärungen zur
Lage der Nation im geteilten Deutschland gesagt, ist der
Kern der deutschen Frage. Aber wir waren ganz sicher,
daß sich die Menschen, wenn sie überall in Deutschland
Freiheit und Selbstbestimmung haben, für die Einheit
entscheiden würden. So ist es gewesen.

Nur damit wir uns nicht durch Geschichtsklitterung
die Chance verbauen, richtig zu argumentieren: Die das
wollten, waren niemand anders als die Menschen in der
damaligen DDR, vielleicht nicht die Mehrheit der Bür-
gerbewegung, aber jene, die dann zu Hunderttausenden
auf der Straße waren, und ganz sicher die Mehrheit bei
der Volkskammerwahl am 18. März 1990. Denn mit
Verlaub: Bei der Wahl zur Volkskammer am 18. März
haben diejenigen, die bei der Wahl die Mehrheit be-
kommen haben, vor der Wahl für den Beitritt nach Ar-
tikel 23 des Grundgesetzes Wahlkampf geführt – und
gewonnen. Wenn Demokratie in Deutschland gelten
soll, darf man das nicht kleinreden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff (Mecklenburg-Vorpommern)







(A) (C)



(B) (D)


Es ist nichts übergestülpt worden, sondern die Menschen
haben so entschieden.

Deswegen, Herr Kollege Schulz, mußte es auch so
schnell gehen. Wir können ja heute – mir jedenfalls geht
es so – entspannter diskutieren als vor zehn Jahren. Vor
knapp zehn Jahren hat Lafontaine, damals Kanzlerkan-
didat der SPD, gesagt: Das wird furchtbar teuer und geht
viel zu schnell. Wir sollten erst einmal über zehn Jahre
getrennte Währungsgebiete anstreben usw. – Meine sehr
verehrten Damen und Herren, ich bin ganz sicher – das
ist übrigens am Dienstag von vielen, die noch berufener
waren, gesagt worden –: So wäre es nicht gelungen. Es
wäre, wenn wir uns mehr Zeit gelassen hätten, geschei-
tert.

Aber auf diese Frage kommt es gar nicht an. Die
Menschen in der damaligen DDR wollten nicht länger
warten, sondern sie wollten die Einheit gleich und jetzt.
Damit hatten sie die Einheit in Deutschland. Das unter-
scheidet die Revolution in Deutschland von der in Polen,
in Ungarn, in der damaligen Tschechoslowakei und
überall in Osteuropa einschließlich der damaligen
Sowjetunion. Das ist das große Glück der Deutschen
und ihre Chance, aber daraus haben sich auch manche
Probleme und Schwierigkeiten ergeben, über die wir
heute sprechen. Wer daran vorbeiredet, wer darüber
hinwegtäuscht, verstellt sich den Blick für die Lösung
der Probleme.

Ohne die Leistung derer, die damals die Demonstra-
tionen auf den Weg gebracht haben, die dafür gesorgt
haben, daß Gewalt vermieden wurde – was eine unge-
heuer große Leistung war: „Kerzen statt Steine“ –,
schmälern zu wollen, füge ich hinzu: Ohne die Über-
siedler wäre das gar nicht in Gang gekommen. Das alles
war zunächst die Antwort auf den dramatischen Anstieg
der Übersiedlerzahlen. Das hat die Menschen auf die
Straße gebracht, die zunächst gesagt haben, sie blieben
zwar hier, aber so gehe es nicht; sie wollten bessere
Verhältnisse. Deswegen, Herr Bundeskanzler, gehört es
schon zur historischen Wahrheit: Wenn wir nicht – dafür
sind wir von Ihnen und Ihren Parteifreunden als kalte
Krieger verschrien worden –


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)

trotz des Drängens insbesondere der Sozialdemokraten
an der einen deutschen Staatsangehörigkeit festgehalten
hätten, dann wäre die deutsche Geschichte anders und
weniger glücklich verlaufen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Kollege Struck, ich möchte gar nicht darüber

streiten, wer am 9. November 1989 was gesungen hat.
Ein solcher Streit wäre albern. Aber es gehört schon zur
historischen Wahrheit, daß am Tag danach die Fraktion
der Grünen – Sie, Herr Schulz, waren nicht dabei; aber
ich sage Ihnen, es war so – das Singen der dritten Stro-
phe des Deutschlandlieds als „nationalistische Entglei-
sung“ ausdrücklich verurteilt hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, so war das!)

Die Fraktion der Grünen hat dazu eine offizielle Presse-
erklärung herausgegeben. Dies ist die Wahrheit. Ein

bißchen muß man in der Wahrheit leben, auch in
Deutschland, nicht nur in Tschechien.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht meine Geschichte!)


– Nein, nicht Ihre Geschichte.
Jetzt möchte ich auf den Einigungsvertrag und auf

die schwierigen Fragen eingehen, die sich aus der Be-
schleunigung der Ereignisse und aus der Notwendigkeit
ergeben haben, dem Wunsch der Menschen, die in der
DDR eingesperrt waren, nachzukommen. Die Grenzer
haben damals gesagt: Es wird geflutet. Wenn Menschen,
die rund 28 Jahre eingesperrt waren, ein Spalt in Rich-
tung Freiheit geöffnet wird, dann sind sie nicht mehr
aufzuhalten. Es geht dann immer schneller. Deswegen
mußten wir schnell handeln und reagieren. Die Mehrheit
der Menschen hat sich für den Beitritt nach Art. 23 des
Grundgesetzes entschieden.


(Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nun aber ein anderes Kapitel!)


– Entschuldigung, natürlich! Sie haben ja bei der Volks-
kammerwahl nicht so erfolgreich abgeschnitten, wie Sie
geglaubt hatten.

Mir scheint, Sie machen es sich ein bißchen zu leicht.
Wir sollten in der Einschätzung der Ereignisse vor zehn
Jahren miteinander fairer umgehen. Ich glaube, es war in
der damaligen Lage ein richtiges und angemessenes An-
gebot der damaligen Bundesrepublik Deutschland, zu
signalisieren: Wir sind bereit, in einem Vertrag, dem Ei-
nigungsvertrag, die Bedingungen des Beitritts vor eurer
Entscheidung einvernehmlich zu regeln. Man hätte auch
abwarten können, bis die DDR beigetreten wäre, um
dann als gesamtdeutscher Gesetzgeber entsprechende
Regelungen zu treffen. Dies wäre viel weniger bere-
chenbar gewesen.

Ihr Urteil über die Leistungen der damaligen Ver-
handlungsdelegationen, auch der aus der DDR, ist übri-
gens aus meiner Sicht ungerecht. Ich räume ein, daß sich
über manches streiten läßt. Aber eines können Sie, Herr
Kollege Schulz, nicht machen: Sie können nicht auf der
einen Seite die staatsrechtliche Einheit, also eine Staats-
bürgerschaft, haben wollen und dann auf der anderen
Seite, wenn die Einheit vollzogen ist, so tun, als hätte
die Wertordnung des Grundgesetzes für die Zeiten der
deutschen Teilung überhaupt keine Bedeutung. Die Ei-
gentums- und Vermögensfragen waren deshalb viel
komplizierter, als Sie es heute dargestellt haben. Ob es
der richtige Weg war und ob er vielleicht zu einfach
war, darüber läßt sich trefflich streiten. Aber man kann
das eine nicht ohne das andere haben. Die Vorzüge ha-
ben überwogen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich könnte noch eine Reihe weiterer Punkte dazu anfüh-
ren, möchte jetzt aber nicht zu lange zurückblicken.

Die deutsche Einheit war ein Glücksfall. Für mich ist
es noch immer ein Wunder, daß das Weltreich der So-

Dr. Wolfgang Schäuble






(B)



(A) (C)



(D)


wjetunion und der kalte Krieg mit atomarem Patt
und atomarer Abschreckung friedlich – ohne einen
Schuß – zu Ende gingen und dies Frieden, Freiheit und
Einheit für Deutschland, für Berlin und für Europa be-
deutete.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieser Tatsache verdanken wir unendlich viel. Es ist
gut, wenn wir daraus das Richtige machen und wenn
alle Fraktionen des Hauses anerkennen: Es ist in den
letzten zehn Jahren schon eine Menge geleistet worden.
Es wird auch weiterhin viel geleistet werden.

Während dieser Debatte hat das Bundesverfassungs-
gericht seine Entscheidung zum Länderfinanzaus-
gleich, über die wir jetzt nicht im einzelnen diskutieren
müssen, gefällt. Das Bundesverfassungsgericht hat aus-
drücklich festgestellt, daß die ostdeutschen Länder auch
in den kommenden Jahren einen Anspruch auf eine vor-
rangige Förderung im Rahmen des Länderfinanzaus-
gleichs und durch Bundesergänzungszuweisungen ha-
ben. Damit sind wir auf einem verfassungsrechtlich si-
cheren Boden. Wir sollten alles daran setzen, eine ver-
nünftige Anschlußregelung für den Solidarpakt zustande
zu bringen, der im Jahr 2004 ausläuft. Wir sind jeden-
falls dazu bereit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Markus Meckel [SPD]: Da muß Herr Stoiber nur mitmachen! – Gegenruf des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]: Machen Sie sich da keine Sorgen!)


– Herr Kollege Meckel, ohne den großen Beitrag der
Christlich-Sozialen Union zu der Politik, die ich nur
in groben Zügen beschrieben habe und die letzten
Endes auch Voraussetzung für die deutsche Einheit
war, wären wir heute auch nicht hier. Lassen Sie also
doch denjenigen, von denen mehr Solidarität gefordert
wird – –


(Markus Meckel [SPD]: Weil sie sie lange erhalten haben!)


– Nehmen wir doch einmal dankbar zur Kenntnis, daß
die Bereitschaft zur Solidarität bei den wirtschaft-
lich erfolgreicheren Bundesländern in Westdeutschland
ungebrochen vorhanden ist, und tun wir alles, um sie
weiter zu stützen und zu fördern. Aber sagen wir gele-
gentlich auch ein Wort der Dankbarkeit und des Re-
spekts!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich will heute gar nicht darüber streiten – das werden
wir spätestens in zwei Wochen bei der Haushaltsdebatte
wieder machen –, füge aber folgende Bemerkung an,

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406902400
Ich rate dazu, verläßlicher zu sein,
als Ihre Regierung im ersten Jahr ihrer Arbeit war, was
den Vorrang des Aufbaus Ost anbetrifft. Dafür nenne ich
Ihnen zwei Beispiele.

Was Sie mit der Ökosteuer gemacht haben, war eine
gezielte und systematische Benachteiligung der Men-
schen in den ostdeutschen Bundesländern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Rede, ohne daß einmal der Begriff Ökosteuer fällt!)


Sie haben längere Entfernungen von der Wohnung zur
Arbeitsstätte und sind also durch die Erhöhung der Ben-
zinsteuer spezifisch mehr betroffen, haben aber wegen
des niedrigeren Lohnniveaus von der Beitragsentlastung
spezifisch weniger. Beides zusammen stellt keinen Vor-
rang für den Aufbau Ost, sondern das Gegenteil dar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei der Rentenanpassung ist es entsprechend.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt Vorsicht, Glatteis!)


– Herr Kollege Schlauch, bei Ihnen weiß ich nicht ein-
mal, ob Sie wissen, was Glatteis ist.

Herr Ministerpräsident Ringstorff, wenn ich sehe, wie
Sie in Mecklenburg-Vorpommern Genossensolidarität
vor die Interessen des Landes stellen – –


(Widerspruch bei der SPD)

– Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Was glauben Sie, wel-
chen Ärger ich in meinem Heimatland Baden-
Württemberg hatte, weil ich immer gesagt habe, es sei
richtig, daß sich Bundeskanzler Helmut Kohl dafür ein-
setzt, daß der Airbus A3XX, sofern wir ihn überhaupt
nach Deutschland bekommen, in Rostock-Laage gebaut
wird. Natürlich würden wir ihn auch gern in Baden-
Württemberg bauen, aber gesamtdeutsche Solidarität
heißt, daß wir miteinander dafür eintreten, daß er nach
Rostock-Laage kommt. Da haben Sie versagt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Gerade weil die einen mehr Veränderungen aushalten
müssen als die anderen, brauchen wir Solidarität und
Verläßlichkeit. Die deutsche Einheit stellt auch eine
Chance, eine Bereicherung dar. Die Menschen aus dem
Osten haben nicht nur für uns alle eine geglückte Frei-
heitsrevolution eingebracht – darauf können sie stolz
sein –, sondern ihre Bereitschaft, Veränderungen in ei-
ner Welt, die sich so ungeheuer schnell entwickelt, zu
ertragen und zu gestalten, ist auch eine Erfahrung, von
der wir überall in Deutschland gar nicht genug profitie-
ren können. Deswegen bin auch ich dafür – da hat Herr
Kollege Gerhardt aus meiner Sicht das Richtige ausge-
sprochen –, kein so miesepetriges Gesicht zu machen.
Vielmehr sollten wir sagen: Nicht nur vor zehn Jahren
war es ein großes Glück, sondern noch heute ist es eine
große Chance.

In diesem Zusammenhang war es bemerkenswert,
Herr Kollege Schulz, daß Sie die Lohnfortzahlung hier
erwähnt haben. Sie hatten damit ja völlig recht; aber ich
frage mich, in welcher Koalition Sie sitzen. In der DDR
gab es keine hundertprozentige Lohnfortzahlung.

Dr. Wolfgang Schäuble






(A) (C)



(B) (D)


Zur Pflegeversicherung muß ich schnell noch etwas
in Ordnung bringen: Die Wahrheit ist, daß wir eine ganz
andere Kompensation für die Einführung der Pflegever-
sicherung wollten; das wissen Sie. Die einzige Kompen-
sation, die möglich war, ohne daß die Mehrheit im Bun-
desrat die Pflegeversicherung verhinderte, war schließ-
lich die, die gefunden worden ist und die ich in meiner
Zwischenfrage beschrieben habe. In Sachsen hat man
diese Kompensation nicht angewandt. In Baden-
Württemberg – das ist mein Heimatland, was man ja an
meiner Sprache hört; die Baden-Württemberger können
alles außer Hochdeutsch, das ist ja der neue Slogan –
hatten wir damals eine große Koalition, Herr Parteivor-
sitzender Schröder. Der Ministerpräsident Erwin Teufel
wollte ebenfalls nicht den Buß- und Bettag abschaffen.
Wer Erwin Teufel kennt, versteht das sofort. Er wollte
vielmehr dieselbe Regelung wie in Sachsen. Die SPD
hat gedroht, die große Koalition in Baden-Württemberg
zu sprengen, wenn Baden-Württemberg das machen
würde. Machen Sie hier keine falschen Geschichten!
Bleiben Sie bei der Wahrheit! Sie und niemand anders
haben es erzwungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Ministerpräsident Ringstorff, ich würde die PDS

nicht an der Regierungsverantwortung beteiligen. Von
allen anderen Gründen abgesehen gibt es für mich dafür
einen entscheidenden Grund: Wenn wir die Herausfor-
derungen des kommenden Jahrhunderts bewältigen
wollen, wenn wir den Aufgaben zehn Jahre nach diesen
grandiosen Veränderungen in der Welt und in Deutsch-
land gerecht werden wollen, brauchen wir mehr Verän-
derungsfähigkeit, dann müssen wir die Innovationsfä-
higkeit stärken, dann müssen wir schneller anpassungs-
fähiger werden und weniger Besitzstände verteidigen.

Ich habe es in der letzten Woche bei der Gesund-
heitsdebatte dem Kollegen Dreßler gesagt: Ich bin ganz
sicher, daß wir der Dynamik solcher Entwicklungen
niemals durch zentralistische Regelungen gerecht wer-
den können. Deswegen haben Sie den falschen Grund-
ansatz. Trauen Sie doch den Menschen mehr an Fähig-
keiten, an Verantwortung und auch an der Bereitschaft
zur Solidarität zu. Entmündigen Sie nicht immer die
Menschen wie in Ihrer unsäglichen Gesundheitsreform,
bei der alles reglementiert werden muß.


(Widerspruch bei der SPD)

Es waren doch die Menschen, die vor zehn Jahren die

friedliche Revolution gemacht haben. Wir können doch
aus der Geschichte der Deutschen am Ende dieses Jahr-
hunderts das Vertrauen schöpfen: Die Menschen selber
sind, wenn man sie nur fördert und fordert, zu viel grö-
ßeren Leistungen bereit als jede zentralistische, büro-
kratische Reglementierung erreichen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das können Sie mit den alten Kadern und den alten

Sozialisten niemals machen. Deswegen sind Sie auf dem
Holzweg: in Magdeburg wie in Schwerin und wo immer
Sie die Finger davon nicht lassen können. Das ist ein
Grund. Es gibt noch viele andere Gründe.

Deswegen haben Sie in Ihren praktischen politischen
Entscheidungen den falschen Ansatz. Sie trauen den
Menschen zuwenig zu. Geben Sie ihnen mehr Freiheit.
Geben Sie ihnen mehr Chancen zur Eigengestaltung.


(Zurufe von der SPD)

Betreiben Sie Vorsorge für solidarische Regelungen,
aber nehmen Sie die Menschen in die Pflicht und in die
Verantwortung. Reglementieren Sie nicht alles und
erdrücken Sie nicht dadurch Initiative wie soziale Ver-
antwortung. Das ist der eigentliche Unterschied.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir diskutieren so oft und so viel in Feuilletons und

sonstwo, daß die Unterschiede bei den praktischen Lö-
sungsansätzen vielleicht gar nicht so groß seien. Vom
grundsätzlichen Ansatz her ist es auf dem sozialistischen
Weg, egal ob neu oder alt, ob New Labour oder nur La-
bour – bei dem internationalen Sozialistentreffen in Pa-
ris war es gerade wieder ein bißchen komplizierter –
oder bei der Politik der Bundesregierung immer dassel-
be: Wenn man genau hinschaut, wollen Sie die Ergeb-
nisse immer durch Gesetze, durch Reglementierung,
durch die Einengung des freien Entscheidungsspiel-
raums der Menschen erreichen.

Wir wollen die Verantwortung der Menschen stärken.
Deswegen sind für uns Werte wichtiger. Deswegen ste-
hen wir für eine wertegebundene Politik, eine Politik,
die Fundamente hat. Wir haben eine Politik, die den
Menschen zutraut, aus der Chance der Freiheit etwas zu
machen, was der Verantwortung für Gerechtigkeit ent-
spricht. Das ist der Weg der Deutschen im kommenden
Jahrhundert.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406902500
Ich erteile jetzt
dem Herrn Staatsminister Rolf Schwanitz das Wort.


Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1406902600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Herr Kollege Schäuble, es gehört zu den guten Tra-
ditionen in diesem Haus, daß man auch bei Debatten, bei
denen etwas Feierliches mitschwingt, nicht alle Auffas-
sungen teilen muß. Dabei gibt es auch harte Kontrover-
sen und Auseinandersetzungen. Aber ich sage zu Beginn
ganz ausdrücklich: Persönliche Diffamierungen sollten
unterbleiben. Ich weise das entschieden zurück.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann mir auch drei inhaltliche Bemerkungen nicht
verkneifen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Herr Schwanitz, wer hat denn wen diffamiert?)


Erstens. Ihre Aussage, wir hätten die Ökosteuer ge-
zielt zur Benachteiligung der Ostdeutschen – quasi vor-
sätzlich zu diesem Zweck – eingeführt, ist völlig abstrus.
Ich hätte mir gewünscht, daß Sie sich einmal Gedanken

Dr. Wolfgang Schäuble






(B)



(A) (C)



(D)


über die Auswirkungen Ihrer Politik auf die Ostdeut-
schen gemacht hätten, als Sie in den acht Jahren Ihrer
Regierungstätigkeit nach der Herstellung der deutschen
Einheit eine Explosion der Lohnnebenkosten erzeugt
haben. Das wäre angebracht gewesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Herr Dr. Schäuble, ich stimme Ihrer nach-
denklichen Bemerkung über den Vergleich Ostdeutsch-
lands immer nur mit dem Westen, nicht mit den früheren
RGW-Ländern Osteuropas, zu. Sie haben das als spezi-
fisch deutsch bezeichnet. Sie haben aber vergessen, auch
zu erwähnen, daß gerade Ihre Partei und die damalige
Bundesregierung die ersten waren, die im Jahr der deut-
schen Einheit genau diesen Vergleich in die Auseinan-
dersetzungen des Wahlkampfs 1990 eingebracht haben.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Immer wieder!)

Drittens. Zwar gab es von Ihnen auch nachdenkliche

Töne; aber ich will Ihnen folgenden Hinweis nicht er-
sparen: Wir hätten gut daran getan, Klischees wie „kal-
ter Krieger“ auf der einen Seite oder „Einheitsgegner“
auf der anderen Seite endlich einmal zu den Akten zu
legen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht wird das auch noch geschehen.
Ich sage das übrigens zutiefst aus der Sicht eines Ost-

deutschen. Ich habe 1990, als wir in den ersten gesamt-
deutschen Bundestag gekommen sind, schmerzlich er-
lebt, daß wir diese alten Schlachten und Debatten wieder
vorgefunden haben, die wir als Ostdeutsche via Fernse-
hen jahrzehntelang gesehen haben. Damit muß zehn Jah-
re nach der friedlichen Revolution endlich Schluß sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vor genau einem Jahr hat der Bundeskanzler seine
erste Regierungserklärung nach dem Regierungswechsel
abgegeben. Diese Regierungserklärung stand unter der
Überschrift: Weil wir Deutschlands Kraft vertrauen.
Deutschlands Kraft, das ist vor allem die Kraft der Men-
schen im vereinigten Deutschland, ihre Leistungsfähig-
keit, ihre Kreativität und nicht zuletzt ihre Bereitschaft
zur Solidarität.

Leistungsfähigkeit, Kreativität und Solidarität
sind auch die Schlüsselbegriffe für die großen Aufbau-
leistungen, die vor allem von den Menschen in den neu-
en Ländern in den letzten Jahren erbracht worden sind.
Die Fortsetzung des Prozesses der Angleichung der
Lebensverhältnisse in ganz Deutschland ist deshalb
eine lohnende Investition in die Zukunft des gesamten
vereinigten Landes.

Die Bundesregierung läßt sich an dem messen, was
sie versprochen hat. Versprochen haben wir: Der Auf-
bau Ost hat Priorität. Dieses Versprechen haben wir ein-
gelöst.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In den Bundeshaushalten 1999 und 2000 werden der
wirtschaftliche und infrastrukturelle Aufbau und die ak-
tive Arbeitsmarktpolitik stärker als unter der Regierung
Kohl gefördert. Die Kassandrarufe der Opposition, die
Arbeitsmarktpolitik werde zusammengestrichen und zu-
sammengekürzt, sind widerlegt. Im Gegenteil: Nach
1999 haben wir die Leistungen für den Osten im näch-
sten Jahr noch einmal gesteigert. Unser Ziel ist, dafür
mehr als 21 Milliarden DM bereitzustellen.

Das bedeutet konkret: Das Auf und Ab der Arbeits-
marktpolitik der Regierung Kohl ist endgültig beendet.
Die Förderzahlen in den Bereichen der Arbeitsmarkt-
maßnahmen, der ABM und der Strukturanpassungsmaß-
nahmen, liegen im Jahresdurchschnitt selbst über den
Zahlen des Wahlkampfjahres 1998. Das ist verantwor-
tungsvolle Politik für arbeitslose Menschen. Das ist
Sicherheit statt Wechselbäder.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben, wie versprochen, die Förderpräferenzen
für die neuen Länder gesichert und die Förderung ziel-
genauer gestaltet, um mit gleichem oder weniger Geld in
den unterschiedlichen Segmenten mehr bewirken zu
können.


(Zuruf von der CDU/CSU: Mit weniger Geld!)

Die Stichworte dafür lauten: 40 Prozent der Mittel des
Sofortprogramms gegen Jugendarbeitslosigkeit fließen
in die neuen Länder. Ich werde dafür sorgen, daß das
auch im nächsten Jahr so bleibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Überheben Sie sich nicht!)


Das Ergebnis ist, daß der im Rahmen des „Bündnisses
für Arbeit“ vereinbarte Ausbildungskonsens, jedem aus-
bildungsplatzsuchenden Jugendlichen eine Perspektive
zu bieten, kein leeres Versprechen bleibt; die jugendli-
chen Menschen können vielmehr die Auswirkungen un-
serer Politik selber erfahren.

Wir haben im Rahmen der Verhandlungen über die
Finanzverteilung in der Europäischen Union erreicht,
daß die Förderpräferenzen für die neuen Länder im
europäischen Vergleich nicht nur gesichert, sondern die
Mittel sogar um 700 Millionen DM pro Jahr aufgestockt
werden. Wir haben die Interessen der ostdeutschen
Landwirtschaft bei diesen schwierigen Verhandlungen
in einem Umfang gewahrt – ich schaue jetzt einmal zu
Ihnen, Herr Ministerpräsident Ringstorff, zur Bundes-
ratsbank –, wie es selbst viele Regierungen in den neuen
Ländern nicht erwartet hatten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein letztes Beispiel, meine Damen und Herren: Der

Infrastrukturausbau bei Verkehr, Wohnen und Städte-
bau wurde von uns für die nächsten Jahre auf eine siche-
re und planbare Grundlage gestellt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Staatsminister Rolf Schwanitz






(A) (C)



(B) (D)


An die Stelle der Luftbuchungen im Verkehrswegeplan
tritt ein verläßliches und in der Finanzierung abgesi-
chertes Investitionsprogramm Verkehr. Rund 50 Prozent
der gesamten Mittel fließen in die neuen Länder. Darin
enthalten ist ein Sonderprogramm Ost, damit für die
Wirtschaft der neuen Länder besonders wichtige Pro-
jekte zeitlich beschleunigt und früher, als ursprünglich
erwartet, fertiggestellt werden können.

Zu Ihrer Zeit haben Sie, meine Damen und Herren,
eine Altschuldenhilferegelung für die ostdeutschen
Wohnungsunternehmen – ich erinnere mich noch sehr
gut – erst nach sehr langem Zögern verabschiedet. Wir
haben nach dem Regierungswechsel durch notwendige
Erleichterungen bereits 1000 ostdeutschen Wohnungs-
unternehmen einen Freistellungsbescheid erteilt, damit
es weitergehen kann mit den Investitionen – wohnungs-
politisch bei der Erneuerung des Bestandes, ökologisch
bei der Modernisierung – und vor allen Dingen auch die
Beschäftigung im Baugewerbe gesichert werden kann.
Das ist wirklich eine Erfolgsbilanz, auf die man stolz
sein kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Beispiele ließen sich fortsetzen: vom Aufbaupro-
gramm Kultur bis zur Sportförderung. All das schüttelt
man doch nicht aus dem Ärmel. Sie aber fragen in der
heutigen Debatte wieder: Was ist eigentlich aus der
Chefsache geworden? Meinen Sie etwa, daß das ange-
sichts des von Ihnen ruinierten Bundeshaushaltes alles
Selbstverständlichkeiten und quasi Selbstläufer wären?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Einsparungen im Haushalt 2000 in Höhe von
30 Milliarden DM, wie wir sie vornehmen, damit die
Staatsfinanzen wieder gesunden, müssen in jeder Re-
gierung durchgeboxt werden. Das wissen Sie von der
CDU/CSU und die übrige Opposition sehr genau; das
wissen übrigens auch die ostdeutschen Wirtschaftsmi-
nister, die auf ihrer letzten Konferenz ausdrücklich –
und dankbar – festgestellt haben, daß der Aufbau Ost
trotz dieser schwierigen Lage Priorität behalten hat. Ge-
nau das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen in den neuen Ländern können sich
darauf verlassen, daß wir auch weiterhin ein Aufbau-
konzept umsetzen, das den besonderen Problemen der
neuen Länder gerecht wird, sie aufgreift und Antwor-
ten auf Zukunftsfragen gibt. Ostdeutschland ist nach
zehn Jahren mittlerweile ein integraler Teil der ge-
samtdeutschen Wirtschaft. Deswegen liegt die Ant-
wort auf die wirtschaftlichen und auf die sozialen Pro-
bleme des Ostens in einer Doppelstrategie: Einerseits
müssen die gesamtstaatlichen Rahmenbedingungen, die
zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen, verbes-
sert werden; dieses haben wir im Zukunftsprogramm
2000 ja auch vorgesehen. Und sie besteht andererseits
in einer besonderen Politik im Interesse der Zukunft des
Ostens.

Das Zukunftsprogramm 2000 schafft nicht nur die
finanziellen Voraussetzungen für eine weitere Unterstüt-
zung des Ostens in den nächsten Jahren. Die von uns
vorgesehene Unternehmensteuerreform, die Absenkung
der Lohnnebenkosten und auch die Entlastung von Fa-
milien und von kleineren und mittleren Einkommensbe-
ziehern sind gerade auch für Ostdeutschland wichtig.
All dies eröffnet zusätzliche Spielräume für Investitio-
nen in den ostdeutschen Unternehmen und schafft zu-
sätzliche Nachfrage bei der Bevölkerung. Dies liegt zu-
tiefst im Interesse der Menschen in den neuen Bundes-
ländern, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD)

Neben dem Zukunftsprogramm 2000 steht unser

Aufbaukonzept für Ostdeutschland. Es verbessert in-
frastrukturelle Bedingungen, gleicht Standortnachteile
aus und verbessert die Innovationsfähigkeit der Wirt-
schaft. In den ostdeutschen Städten und Gemeinden,
zum Beispiel bei der Innenstadtsanierung und der Mo-
dernisierung der Wohnungssubstanz, gibt es in den
nächsten Jahren noch viel zu tun. Deshalb ist es richtig,
daß das zentrale Förderinstrument für die Sanierung
des Wohnungsbestandes, das KfW-Wohnraummoder-
nisierungsprogramm – anders als von der Vorgängerre-
gierung ursprünglich geplant – nicht in diesem Frühjahr
ausgelaufen ist. Die Bundesregierung hat dieses Pro-
gramm 1999 mit 9 Milliarden DM fortgesetzt. Wir wer-
den es mit einer Summe von 10 Milliarden DM – übri-
gens gemeinsam mit den neuen Ländern – auch in den
nächsten Jahren fortführen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies bedeutet übrigens auch eine Stabilisierung von
Tausenden von Arbeitsplätzen in der ostdeutschen Bau-
wirtschaft und beim ostdeutschen Handwerk. Dieser
politische Einsatz war nicht nur richtig, meine Damen
und Herren. Er war und ist auch eine gute Entscheidung
im Interesse des Ostens.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Entscheidung, bei der Investitionszulage
künftig zwischen der Erst- und Ersatzinvestition zu un-
terscheiden, schafft in Brüssel freie Fahrt für dieses
wichtige Gesetz – etwas, was eigentlich die Vorgänger-
regierung hätte leisten müssen, aber in den ganzen vier
Jahren seit Verabschiedung des Gesetzes nicht geschafft
hat. Im übrigen, meine Damen und Herren, durch diese
Veränderung und durch die damit verbundene Erhöhung
der Investitionszulage für Erstinvestitionen um 25 Pro-
zent werden auch Mitnahmeeffekte verringert. Aber vor
allem setzen wir damit stärkere Anreize für Zukunftsin-
vestitionen, für Investitionen in neue Erzeugnisse, neue
Technologien und Verfahren. Gerade das, meine Damen
und Herren, braucht der Osten in dieser Zeit.

Von zentraler Bedeutung für die Zukunft des Ostens
ist aber noch etwas anderes, nämlich die regionale Pro-
filbildung für den weiteren Aufbau Ost, die stärkere
Förderung und Entwicklung regionaler Entwicklungs-
potentiale. Viele Regionen Ostdeutschlands haben sich

Staatsminister Rolf Schwanitz






(B)



(A) (C)



(D)


über besondere Profilbildung in den letzten Jahren zu
Kompetenzzentren entwickelt. Der Raum Potsdam ist
heute ein Synonym für ein Netzwerk zukunftsorientier-
ter Unternehmen der Medien- und Telekommunikati-
onswirtschaft. Allein auf dem ehemaligen Gelände der
DEFA arbeiten mittlerweile wieder mehr Mitarbeiter als
vor 1990, weit über 3 000 Fachkräfte. In Dresden und
Freiberg sind neue Hochtechnologiestandorte der Mi-
kroelektronik entstanden, die bis heute 350 neue, inno-
vative Unternehmen angezogen haben. Um das thüringi-
sche Institut für Textil- und Kunststofforschung in Ru-
dolstadt/Schwarza haben sich bereits 50 innovative Un-
ternehmen niedergelassen. Solche und ähnliche regio-
nale Entwicklungsprofile zu schaffen und Innovations-
potentiale vor Ort zusammenzuführen, das ist die
eigentliche Aufgabe der Zukunft. Deshalb investieren
wir in die regionale Stärke.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch dies ist eine richtige Entscheidung.
Dafür ist unser neues Programm „Inno-Regio“ – es

ist heute schon mehrfach erwähnt worden – nicht nur ein
neuer Förderansatz, der sich durch seinen Wettbewerbs-
charakter vom früheren Gießkannenprinzip verabschie-
det und eine enorme Multiplikatorenwirkung erzeugt,
bezogen auf lokale und regionale Initiativen und inno-
vative Prozesse. Nein, wir zielen damit auch und gerade
auf die Grundvoraussetzung für die Entwicklung der
ostdeutschen Unternehmen, die vor allem aus den klei-
nen Betriebsstrukturen erwächst, nämlich auf den Auf-
bau von Netzwerken und hilfreichen Verbindungen und
Kooperationen untereinander. Gerade diese Netzwerke,
die das Engagement von Unternehmen, von Hochschu-
len, von öffentlicher Verwaltung und von privaten In-
itiativen zusammenführen, sind für kleine und mittel-
ständische Unternehmen in der Zukunft geradezu le-
bensnotwendig. Wir werden deshalb in den nächsten
Jahren 25 Modellprojekte voranbringen und setzen dafür
rund eine halbe Milliarde DM ein. Das ist gut verwen-
detes Geld; denn es ist Geld, das in die Zukunft der
Menschen und der ostdeutschen Unternehmen investiert
wird.


(Beifall bei der SPD)

Genau aus demselben Grund investieren wir auch in

Ausbildung, in die Hochschulen und in die Zukunft der
Regionen. Ebenso wichtig ist es uns, die Gründung von
technologieorientierten Unternehmen zu fördern. Des-
halb werden wir das von der alten Bundesregierung nur
bis 1999 vorgesehene, aber wichtige und gut funktionie-
rende Programm FUTOUR bis zum Jahr 2003 verlän-
gern. Dies ist eine wichtige und für die Betriebe gute
Nachricht in dieser Debatte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dafür, daß die Bundesregierung seit 1998 die richti-
gen Schritte gegangen ist und sich auf dem richtigen
Kurs befindet, spricht übrigens auch das Herbstgutach-
ten der Wirtschaftsinstitute. Sie haben das Wachstum
der gesamtwirtschaftlichen Produktion in Ostdeutsch-

land für das nächste Jahr zum erstenmal wieder so hoch
vorhergesagt wie das Wachstum in den alten Bundes-
ländern. Diese Entwicklung ist ein großer Schritt nach
vorn, nachdem die Wirtschaft im Osten in den Jahren
1997 und 1998 langsamer als die im Westen gewachsen
ist und sich der ökonomische und soziale Spalt zwischen
Ost und West wieder geöffnet hat.

Ich nehme die Aufforderung der Institute an die Bun-
desregierung gerne auf, an unserem bisherigen Kurs ge-
genüber Ostdeutschland festzuhalten. Diese Aufforde-
rung ist ein Beleg für die richtige Richtung, die wir hin-
sichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung eingeschla-
gen haben. Wir sind auf dem richtigen Weg, den wir
deshalb entschlossen fortsetzen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: So wahr mir Gott helfe!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406902700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Cornelia Pieper.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1406902800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht der Bundesre-
gierung zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls – wir
meinen, dem eigentlichen Tag der deutschen Einheit –
hat für uns Liberale eine besondere Bedeutung. Der
Wille zur deutschen Einheit ist in der 50jährigen Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland – rückblik-
kend betrachtet – immer der rote Faden liberaler Politik
gewesen. Die Namen Theodor Heuss, Reinhold Maier,
Wilhelm Külz, Thomas Dehler, Walter Scheel und
Hans-Dietrich Genscher sprechen für sich.


(Beifall bei der F.D.P.)

Für uns ist die deutsche Einheit ein Glücksfall für die
deutsche Geschichte.

Wenn wir heute in den ausländischen Tageszeitungen
lesen, daß die deutsche Einheit nach zehn Jahren eine
Erfolgsstory sei, dann denke ich, daß uns das ein biß-
chen stolz machen sollte. Die deutsche Einheit ist näm-
lich eine Grundvoraussetzung dafür, daß wir im europäi-
schen Einigungsprozeß vorankommen, was ein besonde-
res Anliegen – wir werden es immer wieder hier zum
Thema machen – von uns Liberalen ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Von Anfang an ist es Kredo liberaler Politik seit der
deutschen Einheit, der politischen Einheit auch die wirt-
schaftliche und soziale Einheit folgen zu lassen.

Es ist unbestritten, daß in den letzten zehn Jahren des
gemeinsamen Weges enorme Leistungen von den Deut-
schen sowohl im Osten als auch im Westen erbracht
worden sind. Die Ostdeutschen haben ja nicht nur Mut
bewiesen, indem sie auf die Straße gegangen sind und
für die Freiheit gekämpft haben. Sie haben auch Mut
bewiesen und Aufopferungsbereitschaft gezeigt, indem
sie sich auf eine vollkommen neue Lebenssituation ein-
gestellt haben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Staatsminister Rolf Schwanitz






(A) (C)



(B) (D)


Die Deutschen im Westen haben mit ihrer Leistung,
der Schaffung eines stabilen Wirtschaftssystems, die
Grundlagen für die Finanzierung des Aufbaus Ost ge-
legt. Nach meiner Auffassung ist im Vereinigungspro-
zeß auch deutlich geworden, daß wirtschaftliche und ge-
sellschaftliche Freiheit zwei Seiten einer Medaille sind,
die einander bedingen. Bereits am Vorabend des Mauer-
falls, am 8. November 1989, hat der damalige Außenmi-
nister, Hans-Dietrich Genscher, im Bericht zur Lage der
Nationen gesagt – Frau Präsidentin, ich zitiere mit Ihrer
Genehmigung –:

Nach dem, was in der DDR geschieht, wird nichts
mehr so sein, wie es war: nicht dort, auch nicht bei
uns und nirgendwo in Europa.

So ist es gekommen. Der Strukturwandel im Osten ist
vollzogen. Ihm muß aber noch so manche Reform in
Gesamtdeutschland folgen. Aber Reformen, wie Sie sie
machen und verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Regierungskoalition, sind nicht die Reformen,
die wir in Deutschland brauchen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme noch einmal auf Ihr Gesetz zur Ökosteu-
erreform zurück. Wenn Sie in diesem Gesetz vorsehen,
die Gaskraftwerke zu begünstigen, wird sich die Situati-
on für die Braunkohle im Osten dramatisch verschärfen.
Damit gefährden Sie nicht nur den bei der Stromerzeu-
gung bestehenden Energiemix, sondern Sie gefährden
darüber hinaus Arbeitsplätze in einer wettbewerbsfähi-
gen Branche. Dies ist, Herr Staatsminister Schwanitz,
wahrlich kein guter Beitrag zum Aufbau Ost. Dessen
können Sie sich nun wahrlich nicht rühmen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Und da reden Sie, Herr Schulz, von der Zukunft der ost-
deutschen Braunkohle! Ich glaube, das ist eine Verdre-
hung der Tatsachen.

Heute, nach zehn Jahren, ist der Strukturwandel im
Osten vollzogen. Die Besorgnis über die in den neuen
Ländern immer noch doppelt so hohe Arbeitslosigkeit
wie in den alten Ländern bleibt. Allerdings sind in die-
sem Punkt Differenzierungen angebracht. So gibt es im
Osten moderne Unternehmen mit gleich hoher Produkti-
vität wie in den alten Ländern, und es gibt auch im We-
sten strukturschwache Regionen mit gleich hoher Ar-
beitslosenquote wie im Osten.

Fakt ist: Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hat
seit der Wiedervereinigung zwischen Ostsee und Erzge-
birge kräftig zugenommen. Das reale Bruttoinlandspro-
dukt stieg zwischen 1991 und 1998 um insgesamt
45 Prozent. Erfreulich sind ebenso die Zuwachsraten in
der Industrie, auch wenn die industrielle Basis insgesamt
noch zu schwach ist. Fakt ist aber auch, daß sich der
Aufholprozeß seit Mitte der 90er Jahre deutlich verlang-
samt hat. Wie schon 1998 wird das Wirtschaftswachs-
tum in den neuen Bundesländern mit 1,9 Prozent auch in
diesem Jahr um gut ein Viertel hinter dem der alten
Bundesländer zurückbleiben. Vor allen Dingen die Ex-
portwirtschaft kommt nicht voran. Die Exportquote ist
mit knapp 18 Prozent nach wie vor nur halb so hoch wie

in den alten Bundesländern. Darum, meinen wir, müssen
in Zukunft die Förderinstrumente für die neuen Bun-
desländer viel straffer, gezielter und effizienter einge-
setzt werden. Dabei kommt es vor allem darauf an, Prio-
ritäten auf eine stärkere Förderung von Innovation und
Infrastrukturausbau zu setzen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier, meine Damen und Herren von der rotgrünen
Regierungskoalition, haben Sie im wahrsten Sinne des
Wortes die Weichenstellungen falsch vorgenommen.
Bei Ihrem sogenannten Investitionsnotprogramm sind
zwar die neuen Bundesländer im Verhältnis zu den alten
gut weggekommen. Allerdings schwebt über diesem
Programm angesichts einer globalen Minderausgabe in
Höhe von 5 Milliarden DM das Damoklesschwert der
völlig unsoliden Finanzierung.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Richtig!)

Angesichts dieser investitionspolitischen Keule geraten
dann auch die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit in
Bedrängnis oder werden, sollte ich vielleicht lieber sa-
gen, gleich aufs Abstellgleis geschoben. Dabei denke ich
an die geplante ICE-Strecke Berlin–Leipzig/Halle–
Nürnberg. Damit, meine Damen und Herren von der
Regierungskoalition, ist ein großer Teil der neuen
Bundesländer vom zukünftigen Hochgeschwindigkeits-
schienennetz in Europa abgekoppelt. Somit sind die
neuen Bundesländer auch in ihrer wirtschaftlichen
Entwicklung benachteiligt.

Gleiches gilt auch für die Steuerpolitik. Es wurde
schon gesagt: Wir haben als Liberale Anfang der 90er
Jahre bewußt ein Niedrigsteuergebiet für die neuen
Bundesländer gefordert. Wäre man dem gefolgt, wären
wir auf dem gemeinsamen Weg der Angleichung der
Lebensverhältnisse heute vielleicht schon weiter. Wir
fordern jetzt niedrige Steuersätze in ganz Deutschland.
Was aber machen Sie? Sie erhöhen die Steuern für die
Bürger und die kleinen und mittelständischen Unter-
nehmen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Schwung für den Aufbau Ost darf nicht nachlas-

sen, und das Verfassungsgebot, einheitliche Lebensver-
hältnisse in ganz Deutschland zu schaffen, bleibt beste-
hen. Deshalb entlassen wir die Bundesregierung nicht
aus ihrer Pflicht, den Aufbau Ost zum zentralen Ziel ih-
rer Politik zu machen. Nur, dieses, Herr Bundeskanzler
– ich sehe ihn jetzt leider nicht –, vermissen wir nach ei-
nem Jahr Ihrer Regierung. Bisher hat Ihre Politik, gerade
in den neuen Ländern, nur zur Verunsicherung der Bür-
ger beigetragen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heute tun Sie so, als seien Sie der Kanzler der deutschen
Einheit. Damals jedoch sind Sie als Ministerpräsident
von Niedersachsen im Bundesrat sowie in öffentlichen
Reden der Bremser der deutschen Einheit gewesen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Cornelia Pieper






(B)



(A) (C)



(D)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406902900
Frau Kollegin,
denken Sie daran, daß Sie Ihre Redezeit schon um eine
Minute überzogen haben.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1406903000
Selbstverständlich, Frau
Präsidentin. – Erlauben Sie mir einen letzten Satz: Sie,
Herr Bundeskanzler, müssen sich heute – selbst wenn es
Ihnen unangenehm ist – mit dieser Sache auseinander-
setzen und mit ihr konfrontieren lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406903100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Markus Meckel.


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1406903200
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Der Saal ist etwas leerer ge-
worden. Trotzdem muß ich feststellen: Für mich ist es
etwas Besonderes, das erste Mal hier in Berlin an diesem
Pult zu stehen. Auch Peter Struck hat das heute früh für
sich schon gesagt. Ich bin – anders als er – in Ost-Berlin
aufgewachsen, habe jetzt mein Büro „Unter den Linden“
und überspringe gewissermaßen jeden Tag die Mauer,
indem ich durch das Brandenburger Tor hierher gehe. Da
schließt sich für mich ein Kreis. Ich glaube schon, daß
das auch zehn Jahre nach dem Fall der Mauer nicht nur
eine ganz wichtige persönliche Angelegenheit ist. Nein,
wir sollten schon deutlich machen, daß dies für uns als
Deutsche ein ganz zentraler Punkt ist.

Jeder von uns kann anläßlich bestimmter historischer
Daten vermutlich sagen, wo er sich jeweils aufhielt.
Dies kann sicherlich jeder im Hinblick auf den
9. November 1989 sagen, als er die Nachricht erhielt,
daß die Mauer gefallen sei. Ich selber kann es auch in
bezug auf den Mauerbau 1961 sagen. – Ich war knapp
neun Jahre alt, als ich erfuhr, daß die Mauer gebaut
wird. – Und ich kann es übrigens auch im Hinblick auf
den Tag im Jahre 1968 sagen, an dem ich erfuhr, daß die
Sowjets in Prag einmarschiert sind. Das sind Daten, die
man nicht vergißt und die das eigene Leben prägen.

Ich finde es wichtig, daß wir, wenn wir über die deut-
sche Einheit sprechen, solche persönlichen Erinnerun-
gen mit konkreten Wertungen und Zusammenhängen
zusammenzuführen und einander zuhören. Es ist wich-
tig, darüber zu sprechen. Denn nur auf diese Art und
Weise kommen wir zu einem öffentlichen Gedenken.
Mir scheint, gerade da haben wir noch Schwierigkeiten.
Erst öffentliche Festakte machen das Selbstverständnis
eines Gemeinwesens insgesamt deutlich. Ich denke, da
haben wir noch viel zu lernen. Aber das ist ja nichts
Neues.

Lassen Sie uns betrachten, auf welche unterschiedli-
che Art und Weise in Deutschland im Laufe der Jahr-
zehnte zum Beispiel das öffentliche Gedenken des
20. Juli 1944, des Attentates auf Hitler, gestaltet und
bewertet wurde: In den 50er Jahren wurde es nicht selten
als Verrat an Deutschland begriffen. Heute verstehen
wir es als eine Tat, die unser demokratisches Selbstver-
ständnis wesentlich mitträgt.

Auch heute, wie gesagt, haben wir Schwierigkeiten
mit öffentlichen Festakten. Die Debatte, die wir über
den Festakt am letzten Dienstag geführt haben, macht
das deutlich. Alle gehaltenen Reden waren wichtig.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Die vom Bundeskanzler nicht!)


Trotzdem möchte ich sehr deutlich feststellen: Wir ha-
ben diesen Tag gefeiert, als wäre es der 3. Oktober 2000.
Dies ist schon oft so angesprochen worden. Ich nehme
das nicht übel. Denn nach allgemeinem Selbstverständ-
nis ist die gesamte Zeit des Umbruchs, sind diese
14 Monate zusammengeflossen, was dann oft mit dem
Begriff „Wende“ bezeichnet worden ist. Das heißt, so-
wohl die Revolution der Freiheit, die Zeit des Runden
Tisches, die Zeit der frei gewählten Volkskammer und
die Vollendung der deutschen Einheit auf der staatlichen
Ebene, all das fließt in diesen einen Begriff zusammen.
Daß dann einzelne darauf kommen, dies an einem Tag
feierlich zu begehen, nehme ich nicht übel.

Aber ich halte es trotzdem für falsch. Zum einen stellt
es uns vor die Schwierigkeit, festzulegen, wie wir den
3. Oktober des nächsten Jahres feiern. Herr Gorbat-
schow und Herr Bush waren schon hier. Wir müssen uns
noch einmal genau überlegen, wie wir diesen Tag bege-
hen sollten. Mein Vorschlag wäre: Wir sollten die
Staatsoberhäupter aller unserer Nachbarländer, und zwar
die der kleinen und der großen, einladen, um gemeinsam
mit ihnen diesen Tag feiern. Vielleicht gibt es noch an-
dere Vorschläge. Ich glaube aber, dies wäre eine gute
Sache, um deutlich zu machen: Nicht nur die großen
Nachbarländer waren daran beteiligt, sondern auch die
kleinen, die auch so manche Sorge hatten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU und der F.D.P.)


Die Veranstaltung hier im Deutschen Bundestag
war des Ereignisses würdig. Ich habe aber oft gesagt
bekommen: Das ist nicht unsere Erfahrung am 9. No-
vember. Bei den Ostdeutschen herrschte weitgehend das
Gefühl der „Enteignung“ des eigenen Feiertages vor.
Die Leute wollten feiern, und sie haben gefeiert. Ich
fand, es war ein tolles Fest. Aber sie fragten: Warum
sind auf den Bildschirmen immer Helmut Kohl und Prä-
sident Bush zu sehen? Was haben die beiden konkret mit
diesem Datum zu tun? Gewiß, sie haben mit der Einheit
zu tun. Aber von den Ereignissen am 9. November 1989
haben sie genauso überraschend erfahren wie wir alle.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Der Mauerfall am 9. November gehört in den Kontext
des revolutionären Herbstes. Übrigens ist die Mauer
nicht geöffnet worden – viele reden von „Maueröff-
nung“ –, sie ist überrannt worden. Sie ist gefallen im
Ansturm der Herbstrevolution. Wenn es in den Wochen
und Monaten zuvor nicht die Demonstrationen gegeben
hätte, bei denen nicht geschossen wurde – das war un-
sere Erfahrung vom 9. Oktober –, dann wäre die Mauer
auch nicht plötzlich von innen aufgedrückt worden. Die
Ostdeutschen haben damit ein weltweites Symbol für






(A) (C)



(B) (D)


das Ende der Teilung Europas geschaffen, und zwar
nicht nur zur Freude aller Deutschen. Kann es aber sein,
daß wir es noch nicht gelernt haben, als Nation ein Fest
zu begehen, bei dem die Ostdeutschen im Mittelpunkt
stehen und nicht die westdeutschen Politiker? Ich habe
manchmal diesen Eindruck.

Ich hätte mir gewünscht, diesen Tag gemeinsam mit
den Polen zu feiern, die viele Jahre zuvor aufgestanden
sind – das ist glücklicherweise oft erwähnt worden –,
mit den Ungarn, die schon an anderer Stelle praktisch
die Mauer durchbrochen hatten, mit den Tschechen, den
Slowaken und den Rumänen, die alle ihre Revolution
hatten, jeweils in unterschiedlicher Weise. Das wäre gut
gewesen. Für künftige Feste am 9. November sollten wir
an diesen Kontext stärker denken, als wir es diesmal
getan haben, indem wir nicht nur über diese Völker re-
den, sondern sie beteiligen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die große Politik war gewiß nötig: Zwei-plus-Vier-
Vertrag, Einbindung in internationale Organisationen,
Integration in die Europäische Union, europäische Si-
cherheitsstruktur. Dessen aber sollten wir am 3. Oktober
2000 und an den entsprechenden künftigen Feiertagen
gedenken. Und dann haben Helmut Kohl und all die, die
hier geredet haben, natürlich Wesentliches zu sagen.

Offensichtlich haben wir aber nicht nur damit
Schwierigkeiten, sondern überhaupt mit dem Verhältnis
von Freiheit und Einheit. Wir alle empfinden Freude,
daß erstmalig in unserer Geschichte beides möglich war:
Freiheit und Einheit. Ich empfinde das als wirklich gro-
ßes Geschenk. Aber als Theologe sage ich: Auch wenn
man etwas geschenkt bekommt, heißt das nicht, daß man
untätig war. Viele haben dazu beigetragen.

Es geht aber auch um den inneren Zusammenhang
von Freiheit und Einheit. Ich habe einmal in Bonn von
diesem Pult aus jemanden sagen hören, daß er sich
freue, daß 16 Millionen Deutsche durch die Einheit die
Freiheit erhalten haben. Damit waren die Ostdeutschen
gemeint. Damals habe ich nicht bemerkt, daß jemand
dagegen gesprochen hätte. Ich glaube, die Ereignisse
waren genau andersherum: Durch die Freiheit wurde die
Einheit möglich. Freiheit wurde durch die Aktivität der
politischen Opposition, der Gruppen und neuen Parteien,
die sich bildeten, möglich. Diese aber konnte überhaupt
nur wirksam werden, weil es den Druck auf den Straßen
gegeben hat. Beides war notwendig. Ich halte es daher
auch für notwendig, beides zu benennen. Mich ärgert es,
wenn man die Ostdeutschen immer nur auf die hundert-
tausend Menschen reduziert, die auf die Straße gegan-
gen sind, und sagt: Ihr habt es durch eure Demos ge-
schafft!


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Aufbau Ost ist Chefsache, und kein Minister sitzt auf der Regierungsbank!)


Das ostdeutsche Handeln ist nicht nur auf die Demon-
strationen zu beziehen, sondern auch auf das konkrete
politische Handeln. Aber das politische Handeln der
Gruppen war eben nur erfolgreich, weil es den Druck

auf der Straße gab. Deshalb, so glaube ich, muß künftig
beides genannt werden. Mit dem ostdeutschen Handeln
sind durchaus auch Namen verbunden. Eine Reihe von
denen, die damals gehandelt haben, sitzt übrigens in al-
len Parteien. Ich fand es auch sehr wichtig, daß Jochen
Gauck sie am 9. November genannt hat.

Natürlich dürfen wir nicht vergessen, daß auch die
Ausreisenden zu diesen Ereignissen wesentlich beige-
tragen haben – auch wenn ich selbst ihnen recht kritisch
gegenüberstand. Sie hatten die Nase voll und sagten:
Wir wollen unseren Weg woanders gehen. Sie hatten
keine Perspektive in diesem Land oder sahen zumindest
für es keine Zukunft mehr.

Ich finde es sehr bezeichnend, daß in diesem Jahr von
der Rolle der Kirchen im Herbst 1989 überhaupt nicht
mehr die Rede war. Ich denke, diese Rolle ist nach wie
vor wichtig. Dabei gibt es Unterschiede. Ausschlagge-
bend waren nicht unbedingt die Kirchenleitungen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406903300
Herr Kollege
Meckel, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Rönsch?


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1406903400
Wenn sie mir nicht ange-
rechnet wird, ja.


Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1406903500
Ich
möchte Sie, Herr Kollege Meckel, fragen, wie Sie die
Situation hier im Plenum beurteilen. Wir debattieren
über den Aufbau Ost – der Kanzler hat ihn zur Chef-
sache gemacht –, und kein Minister sitzt auf der Regie-
rungsbank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1406903600
Ich kann Ihnen bestätigen,
daß mich das nicht freut. Da ich aber nicht weiß, welche
Termine sie haben, kann ich sie auch nicht schelten.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist aber schade!)


Ich komme nun zu meiner Rede zurück. Ich habe be-
reits ausgeführt, daß ich es für wichtig halte, daß wir,
wenn wir künftig über solche Themen und Zusammen-
hänge reden, deutlich machen, daß die Perspektiven der
Abläufe andere waren, als wir in unseren Festtagsreden
oft aufzeigen. Deshalb will ich noch einmal darauf hin-
weisen, daß wir Ostdeutsche nicht nur diejenigen waren,
die die Freiheit erkämpft haben, sondern daß wir in den
Monaten danach auch durchaus etwas gestaltet haben.

Sehen wir uns die Reden zum 3. Oktober an. Seit
1990 wird Herr Kohl mit Recht genannt. Ebenso ist von
Herrn Bush und Herrn Gorbatschow – die Reihenfolge
war in den verschiedenen Jahren unterschiedlich; das ist
interessant – die Rede. Hans-Dietrich Genscher wird je
nach Redner – auch das ist interessant – erwähnt oder
nicht. Daneben wird dann immer nur noch von den
Hunderttausenden von Ostdeutschen auf den Straßen ge-
sprochen.

Markus Meckel






(B)



(A) (C)



(D)


Wenn es so gelaufen wäre, hätte die Geschichte an-
ders verlaufen müssen. Dann hätte die alte Volkskam-
mer nach dem 9. November, offensichtlich vor Schreck,
rasch den Beitritt nach Art. 23 des Grundgesetzes be-
schließen müssen, und alles wäre entsprechend anders
gelaufen. So war die Geschichte aber nicht, und das wird
oft vergessen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich möchte an die runden Tische erinnern, an denen
Hunderte, ja Tausende von Menschen, die nicht nur auf
der Straße waren, konkret versuchten, Strukturen im
Transformationsprozeß zu verändern. Ich möchte nicht
nur an den zentralen runden Tisch erinnern, sondern
auch an die in den Bezirken und Kommunen; denn auch
dort wurde konstruktiv gearbeitet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Ich halte das für eine ganz wesentliche Sache und hätte
mich sehr gefreut, wenn der Bundestag in einer eigenen
Veranstaltung dessen gedacht hätte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke an die Volkskammer, die eine ganz we-

sentliche Rolle im Einigungsprozeß gespielt hat. Ich
möchte mich durchaus bei Herrn Schäuble dafür bedan-
ken, daß er das heute deutlich ausgesprochen hat. Leider
muß ich feststellen: Bis heute – zehn Jahre danach – gibt
es keine Bände mit den Protokollen der Sitzungen der
frei gewählten Volkskammer als Teil der Dokumente
der parlamentarischen Geschichte des heute vereinten
Deutschlands und seiner Vorgeschichte. Ich halte das für
ein großes Desiderat und möchte den Ältestenrat bitten,
die Initiative zu ergreifen, um – vielleicht schaffen wir
es bis zum 18. März; die Texte sind ja vorhanden – eine
solche Ausgabe herauszugeben. Das wäre wichtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Ich möchte den Ostdeutschen sagen, daß sich manche
Larmoyanz, die ich in unseren Regionen erlebe, für
falsch halte. Ich glaube, daß es viel wichtiger ist, zu er-
kennen, welche Möglichkeiten wir in diesem geeinten
Deutschland haben und welche Partizipationsmöglich-
keiten es gibt. Auch der Weg in die deutsche Einheit war
nicht so einseitig. Das verschütten wir leider, wenn wir
immer nur die Namen westlicher Politiker in diesem
Prozeß nennen. Ich behaupte: Der Weg zur deutschen
Einheit war der institutionelle Weg der Selbstbestim-
mung der Ostdeutschen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wie hätte sich dieser Prozeß anders und besser voll-

ziehen können? Honecker ist ja bei uns gestürzt worden.
Die Macht des Politbüros war dann futsch. Modrow
übernahm die Macht für den Übergang. Dann gab es den
runden Tisch, der den Übergang organisierte und das

Wahl- und Parteiengesetz formulierte. Es gab eine von
Ostdeutschen frei gewählte Volkskammer, eine frei ge-
wählte Regierung, die die entsprechenden Verträge mit
ausgehandelt hat. Die frei gewählte Volkskammer hat
den Beitrittsbeschluß gefaßt und das Datum entspre-
chend festgelegt. Was hätte an diesem institutionellen
Ablauf besser sein können? Wir sind als Ostdeutsche er-
hobenen Hauptes und tatkräftig in die deutsche Einheit
gegangen und nicht wie ein fauler Apfel in die alte Bun-
desrepublik gefallen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406903700
Herr Kollege
Meckel, denken Sie bitte an die Zeit.


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1406903800
Ich komme zum Schluß. Ich
halte es für wichtig, daß wir heute im vereinten
Deutschland dem Selbstbewußtsein entsprechend, das
auf Grund des historischen Prozesses gewachsen ist,
mitarbeiten und mitgestalten sollten. Die wichtigste Bot-
schaft, die ich gerade in Richtung Ostdeutschland habe,
ist: Organisiert eure Interessen, und macht euch deutlich,
daß der Aufbau Ost und alles das, was wir hier beschlos-
sen haben – übrigens auch die frühere Bundesregierung –,
davon abhängen, daß in diesem Haus Verständnis für die
Sonderprobleme geweckt wird, die wir in Ostdeutsch-
land haben!


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406903900
Herr Kollege
Meckel, bitte.


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1406904000
Wir müssen unsere Kollegen
davon überzeugen. Das war für Paul Krüger in der frü-
heren Zeit nicht einfach. Auch wir werden jetzt im Lau-
fe unserer Regierungszeit zu kämpfen haben. Aber wir
werden uns durchsetzen. Dadurch, daß uns dies gelingt
und daß Verständnis geweckt wird, wird es eine Per-
spektive für unser vereintes Deutschland geben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406904100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Katherina Reiche.


Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1406904200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Vor zwei Tagen haben wir in
diesem Hause den zehnten Jahrestag des Mauerfalls
würdig begangen. Ich finde es wichtig und vor allem
selbstverständlich, daß wir in dieser Woche über den
Stand der deutschen Einheit debattieren. Keine andere
Entscheidung wäre der Bedeutung dieses Ereignisses ge-
recht geworden. Der Mauerfall war der erste Schritt zur
Wiedervereinigung unseres Vaterlandes, und die Mauer
fiel von Ost nach West.

Markus Meckel






(A) (C)



(B) (D)


Zehn Jahre danach sind die innere Einheit Deutsch-
lands und die Herstellung gleicher wirtschaftlicher Le-
bensverhältnisse nach wie vor die Herausforderung für
uns, für die Politik und für die Gesellschaft. Garant und
Träger für das stabile und dauerhafte Zusammenwach-
sen von Ost und West ist die junge Generation, die Ge-
neration, die entweder die Mauer nur noch vom Hören-
sagen kennt oder die die Diktatur erlebt hat, aber nicht
von ihr verformt wurde. Sie muß den Anspruch, den wir
an Deutschland im nächsten Jahrhundert haben, erfüllen,
nämlich ein Deutschland schaffen, das seinen Bürgern
Frieden, Wohlstand und Freiheit sichert und mit seinen
Nachbarn in Europa und in der Welt harmonisch koope-
riert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und des Abg. Markus Meckel [SPD])


Meine Damen und Herren, die junge Generation, also
meine Generation, muß diesen hohen Anspruch in der
Zukunft erfüllen. Wir müssen heute die Voraussetzun-
gen dafür schaffen, daß dies erreicht werden kann. Die-
ser Herausforderung müssen wir uns stellen.

Die innere Vereinigung kann eines nicht zum Ziel
haben: den Einheitsdeutschen. Er ist nach den Worten
von Roman Herzog eine Schreckensvision. Roman Her-
zog sagte in seiner Antrittsrede 1994:

Deutschland ist … nicht nur größer und bevölke-
rungsreicher geworden, es ist auch bunter, wider-
sprüchlicher und sogar konfliktreicher geworden.


(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])

Hinter dem Wort von der „Mauer in den Köpfen“
steckt die Idee des Einheitsdeutschen, und das ist
etwas in jedem Sinne des Wortes Unmögliches.

Der Einheitsdeutsche ist eine Schreckensvision.
Landsmannschaftliche Vielfalt hingegen ist eine Kraft,
nicht das – wie Ministerpräsident Ringstorff vorhin ge-
sagt hat – diffuse ostdeutsche Wir-Gefühl, das es nicht
gibt. Es ist die Kraft, die wir aus unserer föderalen
Grundordnung ziehen und die uns so viel stärker
macht als einen zentralistischen Staat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei aller Vielfalt dürfen wir auf eines nicht ver-

zichten, meine Damen und Herren, nämlich auf den
kleinsten gemeinsamen Nenner unserer Gesellschaft:
die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Viele jun-
ge Menschen in den neuen Ländern sind in der Bun-
desrepublik angekommen, haben ihre Freiheit ange-
nommen, gehen selbstbewußt und aufrecht ihren Weg.
Wer hätte noch vor zehn Jahren geglaubt, daß man in
den Vereinigten Staaten, in England oder gar in Austra-
lien studieren könnte? Wer hätte daran gedacht, ein
kleines Unternehmen zu gründen oder sich in einer
Partei politisch zu engagieren, die man sich selbst aus-
gewählt hat?

Aber Zahlen belegen, daß nach 40 Jahren SED-
Diktatur leider noch nicht alles so ist, wie wir es uns
wünschen. Das Wahlverhalten der jungen Menschen in
den neuen Ländern gibt Anlaß zur Sorge. Bei der letzten

Bundestagswahl 1998 erhielten extremistische Parteien
am linken und am rechten Rand 32 Prozent der Stimmen
von ostdeutschen Wählern zwischen 18 und 25 Jahren.
Zählt man die Nichtwähler hinzu, schenken nur 50 Pro-
zent der jungen Wähler ihr Vertrauen den demokrati-
schen Parteien. Eine Zeitschrift, die in diesem Jahr eine
Umfrage gestartet hat, ermittelte, daß nur 38 Prozent der
Menschen in den neuen Ländern das Modell der sozia-
len Marktwirtschaft befürworten. 32 Prozent sprachen
sich strikt dagegen aus. Infratest dimap hat ermittelt, daß
nur 45 Prozent der Ostdeutschen das politische System
der Bundesrepublik als dem der DDR überlegen ein-
schätzen.

Das beunruhigt. Diese Zahlen müssen von uns positiv
verändert werden, und dabei spielt die Schule eine ganz
besondere Rolle.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wir müssen an den Schulen drei wichtige Lehrinhalte
verbindlich vermitteln. Erstens geht es um eine umfas-
sende Behandlung beider Diktaturen im 20. Jahrhundert
auf deutschem Boden. Beide haben unseren höchsten
Verfassungsgrundsatz „Die Würde des Menschen ist un-
antastbar“ schändlich verletzt. Ihrer nachträglichen
Mythisierung ist Einhalt zu gebieten. Die Herrschafts-
und Sozialgeschichte sowie ihre Wechselbeziehungen
müssen vermittelt werden. Nur so kann verhindert wer-
den, daß im nachhinein zum Beispiel Honeckers trügeri-
sche und unmündige soziale Sicherheit auch noch im
nächsten Jahrhundert als angebliche Errungenschaft ge-
lobt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe vor kurzem mit dem Bildungsminister von

Mecklenburg-Vorpommern diskutiert. Er hat mir recht
gegeben: Es gibt nur Rahmenpläne – es gibt keine Lehr-
pläne – für das Fach Geschichte. So kann es passieren,
daß ein Schüler sein Abitur macht, ohne jemals vom
kalten Krieg oder von der deutschen Einheit gehört zu
haben. Das ist in meinen Augen ein Ding der Unmög-
lichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun hat es der Minister aber auch nicht besonders leicht;
er muß – aber das ist seine eigene Schuld – mit einer
Partei in Mecklenburg-Vorpommern zusammen regie-
ren, die sich die Systemopposition und die Überwindung
unserer demokratischen Grundordnung zur Maxime ge-
macht hat – eine Kröte, die schwer zu schlucken ist.

Zweitens. Eine profunde und lebendige Darstellung
der Funktionsweisen der parlamentarischen Demokratie,
der sozialen Marktwirtschaft, der Europäischen Union
und der wichtigsten internationalen Organisationen wie
NATO und UNO, denen Deutschland angehört, ist in
der Schule äußerst wichtig. Denn die Verankerung
Deutschlands in der westlichen Wertegemeinschaft war
eine ganz wesentliche Voraussetzung für das Zustande-
kommen der Einheit. Während des Kosovo-Konflikts
habe ich bei Diskussionen an vielen Schulen noch die

Katherina Reiche






(B)



(A) (C)



(D)


alten SED-Sprüche von der „imperialistischen NATO“
hören müssen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: So!)

Der dritte Punkt. Religionsunterricht an Schulen ist

ein sehr wichtiges Instrument, um christliche Werte wie
Toleranz, Mitmenschlichkeit und Eigenverantwortung
zu vermitteln und unsere abendländischen kulturellen
Wurzeln zu betonen. Aber nach der brutalen Entchri-
stianisierung durch die SED im Osten besteht hier ein
großer Nachholbedarf. So sind Kürzungen für konfes-
sionelle Schulen und Privatschulen in Sachsen-Anhalt
das Gegenteil von dem, was wir wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt immer noch junge Menschen in den neuen Län-
dern, die noch nie eine Kirche besucht haben, die nicht
wissen, warum wir eigentlich Weihnachten, Ostern oder
Pfingsten feiern.


(Dr. Heinrich Fink [PDS]: In den alten Ländern ist es genauso!)


Diese drei Komponenten sind die Conditio sine qua
non unseres Staates. Sie müssen die Jugendlichen in Ost
und West als Rüstzeug für ihre Zukunft mit auf den Weg
bekommen. Wenn wir Demokratie, Rechtsstaat und so-
ziale Marktwirtschaft als unersetzliche Grundlagen un-
seres Gemeinwesens in der Jugend in Ost-, aber auch in
Westdeutschland verankern, haben wir bereits sehr viel
erreicht.

Das ist aber noch nicht genug. Vor gut neun Jahren
konnte die äußere Einheit Deutschlands nur durch die
bereits bestehende feste Einbindung der Bundesrepublik
in die westliche Wertegemeinschaft erreicht werden. Ich
weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist: Der Bundes-
kanzler hat es in seiner Ansprache am 9. November
1999 versäumt, auf die europäische Bedeutung der deut-
schen Einheit einzugehen.


(Zuruf von der SPD: Das stimmt doch gar nicht! Das können Sie im Protokoll nachlesen! – Markus Meckel [SPD]: Da waren Sie draußen!)


Einzig Helmut Kohl ist auf die europäische Dimension
eingegangen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist in Anbetracht der Tatsache, daß die jetzige Bun-
desregierung eine jämmerliche Figur auf europäischer
Ebene abgibt, kein Wunder.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Jean Monnet sagte in diesem Zusammenhang: Wenn

ich heute den Aufbau Europas in Angriff nehmen müßte,
würde ich mit der Kultur beginnen. – Europa ist also vor
allem eine Aufgabe von Bildung und Erziehung. Dies
gilt besonders für die junge Generation in den neuen
Ländern, die eine Brücke zur Generation in den zukünf-
tigen Beitrittsstaaten in Mittel- und Osteuropa bildet. Ich
habe die begründete Hoffnung, daß die Brücken zwi-
schen Berlin und Warschau und Berlin und Prag bald

ebenso tragfähig sein werden wie die schon bestehende
Brücke zwischen Bonn und Paris.


(Zuruf von der SPD: Berlin und Paris!)

Dazu müssen wir an unseren Schulen im Geschichtsun-
terricht die Grundlage für ein europäisches Geschichts-
bewußtsein legen, ein Geschichtsbewußtsein, das den
Gedanken des Europas der Vaterländer ebenso betont
wie die historische Selbstverständlichkeit der Einbezie-
hung des mitteleuropäischen Kulturkreises.

Wenn ich über meine Forderungen mit den Bürgern
diskutiere, dann höre ich oft den Satz, daß eine positive
Hinwendung zu den Grundwerten unserer Gesellschaft
doch nur dann auf fruchtbaren Boden fallen kann, wenn
die junge Generation in den neuen Ländern eine gesi-
cherte wirtschaftliche Perspektive hat. Mit anderen
Worten: Ein arbeitsloser Jugendlicher oder einer, der für
seine Arbeit die Heimat verlassen muß, will von Demo-
kratie und Europa wenig hören. Dieser Einwand ist nicht
völlig von der Hand zu weisen. Aber auch dafür hatte
und hat nicht nur der Bund, sondern haben vor allem die
Länder die Verantwortung. So ist es nicht verwunder-
lich, daß es in einem Land, das rotrot regiert wird, näm-
lich Mecklenburg-Vorpommern, die geringste Industrie-
dichte, die zweithöchste Arbeitslosenquote und Insol-
venzen in großem Umfang gibt; letztere nehmen in
zweistelligen Prozentraten zu.


(Rudolf Bindig [SPD]: Wer hat Ihnen das alles aufgeschrieben? So ein Unsinn!)


Rotrot tut den Ländern nicht gut, und das haben die
Menschen nicht verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was dazu in wirtschaftlicher Hinsicht geschehen

muß, wurde bereits ausgeführt.
Aber es gibt auch hier eine bildungspolitische Kom-

ponente. In der DDR wurden wirtschaftliche Selbstän-
digkeit und Unternehmertum nicht zugelassen. Dieses
Denken hat sich bis heute in vielen Bildungseinrichtun-
gen gehalten. Unternehmertum ist aber die Grundlage,
auf der der Aufbau Ost gelingen wird – wenn er denn
nicht durch eine völlig verfehlte Steuer- und Verkehrs-
politik von Rotgrün abgewürgt wird.

Schätzungsweise 70 Prozent der Jugendlichen halten
eine selbständige Tätigkeit für erstrebenswert; das ist
eine positive Zahl. Deshalb ist es außerordentlich wich-
tig, daß entsprechende Neigungen bereits früh erkannt
und gefördert werden. Schulen und Hochschulen müssen
Themen wie Existenzgründungen und unternehmerische
Selbständigkeit praxisnah im Unterricht oder auch im
Seminar vermitteln. Sonst laufen sie gerade im Osten
Gefahr, den Jugendlichen eine Angestelltenmentalität zu
vermitteln, bei der eine Beschäftigung im öffentlichen
Dienst – immer noch streben 50 Prozent aller Schulab-
gänger in den öffentlichen Dienst – das Maß aller Dinge
ist. Gleichzeitig wird den Schülern so vermittelt, daß der
Staat nicht für alles sorgen kann.

Natürlich werden Ausbildungs- und Beschäftigungs-
programme in den neuen Ländern – auch in den alten –
mittelfristig noch eine Rolle spielen. Den Jugendlichen

Katharina Reiche






(A) (C)



(B) (D)


muß aber klarwerden, daß dies nur ein Übergang sein
kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gilt also, das Unternehmertum in den neuen Län-

dern bereits in jungen Jahren zu fördern. Wir schaffen so
mehr selbständige Existenzen, die wiederum denjenigen,
die das nicht leisten können – nicht jeder ist der gebore-
ne Unternehmer – , einen Arbeitsplatz anbieten können.
So entstehen Arbeitsplätze in den Regionen. Die Ju-
gendlichen können in ihrer Heimat – ich betone: in ihrer
Heimat – eine Existenz aufbauen und entwickeln so ihr
landsmannschaftliches Selbstwertgefühl.


(Zuruf von der SPD: Landsmannschaftliches Selbstwertgefühl? Was ist das denn?)


Wenn Werteorientierung und wirtschaftliche Per-
spektive vorhanden sind, gibt es nach meiner Ansicht für
das Zusammenwachsen von Ost und West im nächsten
Jahrhundert gute Aussichten. Dann wird es unerheblich
sein, ob einer diesseits oder jenseits der Elbe wohnt. Auf
diesen Tag, meine Damen und Herren, freue ich mich
sehr.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406904300
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Auch ich gehöre zu denen, die das Staunen
darüber, daß der Bundestag und die Bundesregierung
nun mitten in Berlin sind und daß wir täglich durch das
Brandenburger Tor fahren, radeln oder gehen können,
einfach nicht lassen kann. Ich finde das großartig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ina Lenke [F.D.P.])


Deswegen ist es mir wichtig, daß wir heute eine Dis-
kussion der Nachdenklichkeit führen – das ist in den
meisten Beiträgen auch gelungen – und uns parteiüber-
greifend darüber verständigen, wo wir heute, zehn Jahre
nach dem Mauerfall, stehen, was gelungen ist, was Fehl-
entscheidungen waren und – das ist mir vor allem wich-
tig – welches die aktuellen Aufgabenschwerpunkte sein
müssen. Ich glaube auch, daß wir bei diesem Thema
nicht gegeneinander, sondern miteinander über die rich-
tigen Wege diskutieren und streiten sollten. Denn wir
alle haben weder damals, 1989 und 1990, ein Monopol
auf die richtigen Rezepte gehabt; noch haben wir sie
heute.

Mir ist auch wichtig, daß wir um ein paar Aspekte der
Gegenwart ringen. Wir müssen mehr als bisher lernen,
die Instrumente, über die wir hier diskutieren und dann
entscheiden, unter den unterschiedlichen Blickwinkeln
zu betrachten: West und Ost. Wir neigen oft zu sehr da-
zu, alles unter dem West-Blickwinkel zu diskutieren.
Aber den Ost-Blickwinkel, der inzwischen teilweise sehr
differenziert ist, halte ich für genauso wichtig. Diesen

sollten wir gerade hier von Berlin aus in Zukunft stärker
entwickeln und die Diskussion darüber intensivieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte meinen Blick nicht zurückwenden, son-

dern auf neue Aufgaben zu sprechen kommen, die wir
bisher zuwenig in den Blick genommen haben. Wir ha-
ben – ich bin Baupolitikerin – schon sehr viel für den
Aufbau Ost im Bereich des Städtebaus und des Woh-
nungswesens getan; Herr Schwanitz hat das bereits dar-
gestellt. Auch die Vorgängerregierung hat dort viel ge-
tan; das sollte man überhaupt nicht wegdiskutieren. Das
ist eine großartige historische Leistung.

Trotzdem stehen wir vor folgendem Konflikt: Die
Arbeitslosigkeit, das Zusammenbrechen der Industrie
und der hohe Bevölkerungsrückgang in den Städten de-
stabilisiert die Städte zur Zeit in einer neuen Form. Zwi-
schen dem, was geschaffen wurde und wird, und der
Tatsache, daß die Probleme trotzdem weiter voran-
schreiten, erwächst eine neue Aufgabe, die wir noch
nicht gelöst haben, die wir hier noch nicht einmal disku-
tiert haben. Deshalb möchte ich dafür werben, daß wir
neben all den schon getroffenen Entscheidungen und
den Initiativen für eine verläßliche Fortsetzung des Auf-
baus Ost, neben der Wirtschaftsförderung, der Erneue-
rung und dem Ausbau der Infrastruktur, der Umvertei-
lung von Lasten der Sozialversicherungssysteme und der
Kulturförderung – was wir alles schon diskutiert haben
– diese Frage in Zukunft in neuer Weise – da reichen
unsere bisherigen Instrumente nicht aus – stellen: Wie
gehen wir um mit dem Bevölkerungsrückgang in einer
Reihe von Städten und Regionen in Ostdeutschland?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Abwanderung – teilweise ins Umland, teilweise

in strukturschwache Regionen – und die massive Verla-
gerung des Einzelhandels auf die grüne Wiese schwä-
chen die Städte. Die Sonderabschreibung Ost hat diese
Tendenz gefördert. Um der Konkurrenz des Umlandes
und dem Bevölkerungsrückgang zu begegnen, verschul-
den sich viele Städte enorm: für Investitionen der Stadt-
erneuerung – in der Innenstadt, in den Großsiedlungen –
und für die Eigenheimerschließung. Damit sind sie über-
fordert. Von daher werbe ich dafür, daß wir uns diesem
Thema neu stellen.

Ich will meine Aussagen mit ein paar Zahlen belegen:
Hoyerswerda verzeichnet seit 1996 einen Rückgang der
Einwohnerzahl um 26 Prozent, eine Arbeitslosenquote
von 28 Prozent und einen Wohnungsleerstand von fast
15 Prozent. Die Einwohnerzahl von Wolfen in Sachsen-
Anhalt ist um 22 Prozent zurückgegangen, die Arbeits-
losigkeit beträgt 31 Prozent, der Wohnungsleerstand
15,5 Prozent. Als letztes Beispiel Wittenberge: Rück-
gang der Einwohnerzahlen um 17 Prozent, 22,5 Prozent
Arbeitslose und 19 Prozent Wohnungsleerstand allein in
der Stadt.

Dies kennzeichnet Aufgaben, die wir auch in der Zu-
kunft diskutieren müssen. Insofern werbe ich dafür, daß
sich das ganze Haus, daß sich aber auch die Koalition,
die Länder und die Kommunen dieser Aufgabe in neuer
Intensität stellen und nicht nur nach hinten, sondern

Katharina Reiche






(B)



(A) (C)



(D)


auch nach vorne schauen. Wir haben noch viel zu tun.
Wenn es stimmt, daß wir die Lasten gemeinsam tragen
wollen, dann sollten wir das für die Zukunft als Auffor-
derung an uns sehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406904400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Günter Nooke.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1406904500
Frau Präsidentin! Sehr
verehrte Damen und Herren! Es ist schon etwas Schö-
nes, bei einer solchen Debatte hier im Reichstag re-
den zu können. Aber das will ich jetzt gar nicht vertie-
fen.

Wenn Herr Gysi noch da wäre, hätte ich ihm direkt
antworten können: Sein Beispiel mit den Ärzten, die
14 Prozent Ostrabatt abschreiben müssen, stimmt ein-
fach nicht. Es ist doch Ihre Klientel, es sind doch die
kleinen Verwaltungsangestellten, die Arbeitslosen, die
Sozialhilfeempfänger, die davon profitieren. Das ist
doch ein Beispiel von Umverteilung. Jetzt machen Sie
sich Gedanken um die Anwälte und die Ärzte im Osten.
Das funktioniert so nicht. Geben Sie doch zu, daß wir
nicht mehr bezahlen können, als wir erwirtschaften! Das
hat schon einmal nicht geklappt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: So ein Quatsch!)


Wir befinden uns im zehnten Jahr der deutschen Ein-
heit. Wie die Debatte über den Bericht zum Stand der
deutschen Einheit zeigt, reden wir fast ausschließlich
von Ostdeutschland: über die letzten zehn Jahre, über
die 40 Jahre SED-Diktatur davor und über deren Folgen.
Aber die deutsche Einheit geht uns alle an.

Ich erlaube mir deshalb einen anderen Blickwinkel
– ich zitiere –:

Es ist das geschichtliche Leid der Deutschen, daß
die Demokratie nicht von ihnen erkämpft wurde,
sondern als letzte, als einzige Möglichkeit der Le-
gitimierung eines Gesamtlebens kam, wenn der
Staat in Katastrophen und Kriegen zusammenge-
brochen war. Dies ist die Last, in der der Beginn
nach 1918, in der der Beginn mit uns steht, das
Fertigwerden mit den Vergangenheiten.

Mit diesen Worten bedauerte der erste Bundespräsident
der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss, am
12. September 1949, wie selten sich in der deutschen
Geschichte demokratische Ereignisse aus ihrem eigenen
Tun legitimieren. Der Beginn der ersten deutschen De-
mokratie, der Weimarer Republik, und der Anfang der
zweiten Demokratie, der bundesdeutschen Demokratie
1948/49, waren durch verlorene Kriege konditioniert.
Dieses im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien
nicht unwesentliche Defizit der gesamtdeutschen Ge-
schichte haben im Herbst 1989 die Ostdeutschen beho-

ben. Es ist also nicht wenig, woran wir mit unserer heu-
tigen Diskussion erinnern.


(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])

Heute dagegen, zehn Jahre nach der friedlichen Re-

volution der Ostdeutschen, wird in der Öffentlichkeit
auffallend oft über Defizite bei den Ostdeutschen ge-
sprochen. Ich kann mich manchmal des Eindrucks nicht
erwehren, als stellten manche in dieser Diskussion den
Ostdeutschen den Typus eines Superdemokraten entge-
gen, den es aber bei unvoreingenommenem Hinsehen
auch im Westen nie gegeben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es wird in Tausenden mehr oder weniger gescheiten
Abhandlungen darüber nachgesonnen, wie lange die
Menschen in den neuen Ländern benötigen, um richtige
Demokraten zu werden: eine Generation, zwei Genera-
tionen oder noch länger. Der Maßstab, der angelegt
wird, ist eine theoretische Konstruktion, nach der Men-
schen auf bestimmte Fragen ganz bestimmte Antworten
geben müssen. „Ist Freiheit wichtiger als soziale Sicher-
heit?“ ist eine der beliebtesten Fragen, die die Demo-
skopen bei ihren Frage-Antwort-Spielen stellen. So, als
ob beide Elemente voneinander isoliert werden können,
attestiert man denjenigen, die aus dem Bauch heraus sa-
gen, soziale Sicherheit sei ihnen ein hohes Gut, Freiheit
sei ihnen offenkundig nicht so wichtig. Dies sei, so die
weitere Schlußfolgerung, ein Zeichen von noch nicht er-
reichter Demokratiefähigkeit. Ich bin skeptisch, ob der
Stand der inneren Einheit an Hand solcher Befunde und
Interpretationen überhaupt gemessen werden kann.

Auch für mich bleibt es unannehmbar, wenn einer
Stimmung nachgegeben wird, die einen Wertekanon in
Frage stellt, der von unveräußerlichen individuellen
Menschenrechten ausgeht. Freiheit ist für mich das erste
Menschenrecht. Die Ostdeutschen wollten Freiheit und
haben sie sich im Herbst 1989 endgültig erkämpft.

Für mich bleibt weiterhin unerträglich, wenn eine
vermeintlich umzäunte Kuscheligkeit des Lebens in der
SED-Diktatur gegenüber dem Leben im offenen Gelän-
de der Demokratie favorisiert wird. Hier werden doch –
lax gesprochen – Äpfel mit Birnen verglichen.

Was für Debatten haben wir in der alten Bundesrepu-
blik und in den letzten zehn Jahren geführt, wenn einer
gesagt hat, daß NS-Diktatur und SED-Diktatur zumin-
dest strukturell vergleichbar sind! Damit wollte niemand
diese beiden Diktaturen gleichsetzen. Aber wir haben
über totalitäre Systeme gesprochen. Wie unzulässig ist
es erst, wenn wir versuchen, das Leben in einem totalitä-
ren System mit dem in einem freiheitlich-
demokratischen Rechtsstaat zu vergleichen und die Be-
findlichkeiten gegeneinander aufzurechnen!

Gleichwohl glaube ich aber auch, daß wir als Politi-
ker nicht an Stimmungen in der Bevölkerung vorbeire-
den dürfen, selbst dann nicht, wenn wir für negative
Trends nicht allein verantwortlich sind. Ich hielte es für
falsch, wenn wir bei der Beurteilung bestimmter östli-
cher Verhaltensweisen jeden zutage tretenden Unter-
schied zu den Westdeutschen gleich dramatisierten. Ist
es verwunderlich, daß Menschen, die meinen, in einer

Franziska Eichstädt-Bohlig






(A) (C)



(B) (D)


unsicheren Zeit zu leben, und die in viel stärkerem Maße
von Arbeitslosigkeit betroffen sind, auf eine entspre-
chende Frage soziale Sicherheit als nächstliegenden
Wunsch angeben? Dies muß nicht zwangsläufig eine
Mißachtung des Grundwertes Freiheit sein. Wer vom
theoretischen Standpunkt aus sagt, wer die Freiheit ge-
ringer schätze als die soziale Sicherheit, der sei noch
nicht in der Demokratie angekommen, macht es sich
meiner Meinung nach zu einfach.

Das politische System des Westens wurde zu einem
Zeitpunkt akzeptiert, als durch Wohlstand das Gefühl
sozialer Sicherheit hergestellt werden konnte. Mehrheit-
lich anerkannt wurde das politische System in der alten
Bundesrepublik von der dortigen Bevölkerung erst zirka
15 Jahre später, nämlich zu Beginn der 60er Jahre. Wür-
de jemand ernsthaft behaupten, den Westdeutschen der
50er Jahre sei deshalb Freiheit nicht wichtig gewesen?
Wenn man das in Rechnung stellt, wird man nicht um-
hinkönnen, heute, zehn Jahre nach dem Mauerfall, eine
durchaus gute Bilanz im Hinblick auf die innere Einheit
zu ziehen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Wenn wir dann noch die Umfrage der „Leipziger

Volkszeitung“ vom vergangenen Dienstag hinzuziehen,
wonach 87 Prozent der Ostdeutschen mit ihrem Leben
zufrieden seien – im Vergleich dazu waren es 1994
67 Prozent und 1996 72 Prozent –, dann sollte auch in
dieser Debatte davon einiges rüberkommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wäre das Verhältnis von Freiheit und sozialer Si-

cherheit einfach, müßte auch die Prioritätensetzung hin-
sichtlich notwendiger Reformen in unserer Gesellschaft
viel leichter durchzusetzen sein. Das bezieht sich dann
insbesondere auf die westdeutsche Bevölkerung. Die
demokratischen Parteien brauchten dann nur zu sagen:
Leute, wir müssen aus zwingenden Notwendigkeiten
heraus Reformen des Rentensystems, der Sozial- und
Arbeitslosenversicherung und des Gesundheitssystems
durchführen. Ihr werdet dabei als Individuen etwas mehr
in die Pflicht genommen, weil der Staat nicht mehr alles
regeln kann. Aber bitte schön, ihr habt ja die Freiheit,
soziale Verantwortung und das, was unter sozialer Si-
cherheit zu verstehen ist, unter veränderten Rahmenbe-
dingungen vor Ort und in euren Familien selbst zu re-
geln.

Wäre es tatsächlich so einfach, daß in unserer Gesell-
schaft Freiheit, losgelöst von sozialer Verantwortung,
der alleinige Maßstab für gute Demokraten wäre, dann
müßten Reformvorschläge ohne größere Widerstände
auf schnellstem Wege durchgesetzt werden können.
Aber machen wir nicht gerade die Erfahrung, daß dies
eben nicht so ist? Machen wir nicht gerade die Erfah-
rung, daß beispielsweise soziale Sicherungssysteme, de-
ren Grundlagen in den 50er, 60er und 70er Jahren ge-
schaffen wurden, für die moderne Gesellschaft des aus-
gehenden Jahrhunderts nicht hundertprozentig geeignet
sind?

Es ist hoffentlich nicht notwendig, zu betonen, daß
ich nicht der Abschaffung der Prinzipien der sozialen

Marktwirtschaft das Wort reden will. Aber die Diskussi-
on und der politische Meinungsstreit um das Wie sozial-
politischer Reformen zeigt, daß unser Gemeinwesen
vom engen Zusammenhang von Freiheit und sozialer
Verantwortung geprägt ist. Ich hoffe, es ist nicht anma-
ßend, wenn ich die Frage nach Zukunftsfähigkeit und
Weiterentwicklung unserer Demokratie auch den West-
deutschen stelle.

So gesehen, haben auch die in Freiheit und im
Wohlstand sozialisierten Westdeutschen Ballast in die
deutsche Einheit eingebracht; denn auch sie müssen sich
fragen, ob der Halt, den sie in nunmehr 50 Jahren wohl-
funktionierender Strukturen gefunden haben, unter den
Bedingungen globalen Wettbewerbs für die Zukunft auf-
rechtzuerhalten ist,


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


um weiterhin Freiheit und Verantwortung füreinander zu
praktizieren.

Wenn man zehn Jahre nach dem Mauerfall danach
fragt, was den Ostdeutschen 40 Jahre lang auf Grund des
SED-Regimes an Freiheit und Wohlstand vorenthalten
wurde, dann kommt man an folgender Feststellung nicht
vorbei – sie ist ja schon oft getroffen worden –: Für sie
hat sich über Nacht alles geändert, faktisch alle Lebens-
bezüge. Aber vielleicht ist dadurch die Freiheit, die sich
die Ostdeutschen erkämpft haben, sogar konsequenter
und radikaler als die Gewöhnung der Westdeutschen an
das Bewährte und Vertraute ihrer alten Bundesrepublik.

Angesichts dessen halte ich es nicht für unwahr-
scheinlich, daß schon bald die Ostdeutschen in einer Zu-
kunft leben, die den Westdeutschen erst noch bevorsteht.
Damit könnte vielleicht auch eine Art Westnostalgie
nach der alten Bundesrepublik verbunden sein.

Aber ich will damit nicht schließen. Da heute der
11.11. ist, sollte hinzugefügt werden: Ich lade Sie alle
herzlich ein, ein bißchen rheinischen Frohsinn in diese
manchmal etwas griesgrämige Stadt Berlin zu bringen.
Dann ist die Sehnsucht nach dem alten Rhein nicht ganz
so schlimm.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406904600
Herr Kollege, Sie
weisen zu Recht darauf hin, daß heute der 11.11. ist. Als
Kölner Abgeordnete kann ich das gut nachempfinden.
Auch mischt sich ein bißchen Trauer hinein, weil der
Karneval weiter als vorher entfernt ist.

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Sabine Kaspe-
reit das Wort.


Sabine Kaspereit (SPD):
Rede ID: ID1406904700
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich in meinem
Debattenbeitrag im Wissen um die vielen Facetten der
deutschen Einheit auf zwei Dinge beschränken, die ich
für ganz besonders wichtig halte: einerseits auf ein Plä-

Günter Nooke






(B)



(A) (C)



(D)


doyer dafür, den Aufbau in den neuen Bundesländern als
wichtigste nationale Aufgabe zu sehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Andererseits möchte ich auch für ein bißchen mehr Ehr-
lichkeit plädieren.

Wir haben es heute in vielen Debattenbeiträgen ge-
hört: Die objektive Lage ist einfach besser als die sub-
jektive Wahrnehmung. Wir sind uns im ganzen Hause
– zumindest mehrheitlich – einig: Die DDR ist nicht von
allein zusammengebrochen. Sie ist nicht als wirtschaftli-
cher Pleitefall in die Liquidation gegangen. Sie ist kei-
nen außen- und bündnispolitischen Umbrüchen zum Op-
fer gefallen.

Beeindruckend war für mich die Dokumentation der
ARD am letzten Donnerstag: Während das Politbüro
noch tagte und nach Lösungen à la SED suchte, haben
die Bürgerinnen und Bürger mit den Füßen beendet, was
die Bürgerbewegung in den Köpfen in Bewegung ge-
setzt hatte.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was hat denn die Bürgerinnen und Bürger der DDR
bewogen, diesen Staat nicht mehr zu wollen? Sie hatten
die staatliche Gewalt und Repression satt. Sie hatten es
satt, in allen Lebenslagen bevormundet und gegängelt zu
werden. Sie hatten es satt, auf alles zu warten, sich für
alles anzustellen und alles zuteilen zu lassen, in eine
Schattentauschwirtschaft ausweichen zu müssen.

Wer kann das Gefühl vergessen, auf die Westver-
wandtschaft angewiesen zu sein, wenn man einmal
„echte“ Jeans oder gar „richtiges“ Geld haben wollte,
das oft genug erst die Tür zu Dienstleistungen oder dem
Intershop öffnete? Wer im Osten kennt nicht das demü-
tigende Gefühl der Zurücksetzung in den Bruderländern
gegenüber Reisenden mit Westgeld?

Die Menschen wollten frei von Angst und frei von
staatlicher Gewalt leben, ihr Leben selbstbestimmt und
ohne Bevormundung gestalten. Sie wollten besser leben
und wünschten sich, zu reisen, wohin sie wollten. Das
wollten die Menschen in der ehemaligen DDR. Das ha-
ben sie erreicht.

Was die Ostdeutschen überwunden haben, sollten
sich auch alle die vergegenwärtigen, die meinen, durch
Legendenbildung ihre eigene Verstrickung verschleiern
zu können, wie Herr Krenz dies in unerträglicher Weise
erst kürzlich getan hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Die Vergangenheitsbeschöniger und Populisten von
der PDS, die sich nach meinen Erfahrungen noch immer
allzuviel von der alten DDR zurückwünschen, haben
nichts gelernt.


(Angela Marquardt [PDS]: Ich kann Ihnen versichern, daß wir uns gar nichts zurückwünschen!)


Die deutsche Einheit ist sicher nicht nur eine Erfolgs-
geschichte, sondern auch eine Geschichte von Täu-
schungen und Enttäuschungen. Da ist einerseits die
Selbsttäuschung, mit dem Fall der Mauer ins Paradies zu
gelangen, wie Joachim Gauck das so schön gesagt hat.
Viele Ostdeutsche haben den Westen nur durch das
Guckfenster Fernsehen erlebt. Werbung hat Konsumbe-
dürfnisse geweckt, genauso wie das Durchschnittsein-
kommen eines Arbeitnehmers ungläubiges Staunen her-
vorrief. Ich verdiente als Fachzahnärztin doch gerade
mal 1 700 Ostmark.

Da ist andererseits die Selbsttäuschung, daß die DDR
schließlich eines der führenden Industrieländer sei. Am
Tag der Maueröffnung, am 9. November 1989, erklärte
der Leiter der Abteilung Planung und Finanzen des ZK
der SED, Günter Ehrensperger – ich zitiere –, „daß wir
mindestens seit 1973 über unsere Verhältnisse gelebt
haben!“ Er fährt dann fort:

Und wenn wir aus dieser Situation herauskommen
wollen, müssen wir 15 Jahre mindestens hart ar-
beiten und weniger verbrauchen, als wir produzie-
ren!

Und Ehrensperger schlußfolgert: Wenn das bekannt
wird, „dann laufen uns die letzten Leute weg!“. Wie
recht er hatte! Das war die Lage im Herbst 1989 aus der
Sicht eines Mitarbeiters des ZK der SED. Ich bin dem
„Stern“ dankbar, daß er diese Zitate ausgegraben hat.
Sie entlarven die ganze Verlogenheit, mit der die Altka-
der der PDS gegen die Wiedervereinigung Front ma-
chen.

Die Wahrheit ist, daß die Wiedervereinigung die ost-
deutsche Bevölkerung vor einem wirtschaftlichen und
sozialen Absturz bewahrt hat. Versetzen wir uns doch
einmal logisch in die Zeit zurück. Was waren denn
die Perspektiven der DDR im Herbst 1989? Durch
die Geschehnisse in Polen, Ungarn, Rumänien, der
CSSR und Bulgarien waren die RGW-Märkte bereits
weitgehend weggebrochen. Übrigens: Die UdSSR war
pleite. Die DDR hätte sich dem internationalen Wett-
bewerb stellen müssen, um an Devisen zu kommen. Das
heißt, der Wechselkurs der Ostmark hätte die reale Lei-
stungsfähigkeit der DDR-Wirtschaft widerspiegeln müs-
sen.

Damit wäre der Produktivitätsrückstand der ostdeut-
schen Wirtschaft mit einem Schlag ans Licht gekommen
– mit all seinen Folgen für die Menschen: Abbau der
Überbesetzung in den Betrieben; jede verfügbare Mark
in Investitionen. Der ohnehin bescheidene Lebensstan-
dard wäre dramatisch gefallen, so wie es in den anderen
Ländern des ehemaligen RGW noch heute zu besichti-
gen ist. Das waren die realen Perspektiven der DDR,
und die SED-Führung wußte das. Brachland und Kahl-
schlag, die Sie, Herr Kollege Jüttemann beklagen, waren
das Ergebnis 40jähriger SED-Politik.

Daß auch Fehler beim wirtschaftlichen Aufbau und
im Einigungsvertrag gemacht wurden, steht außer Frage.
Dies will ich nicht leugnen. Doch es ist ein Gebot der
Redlichkeit, Ursache und Wirkung zu unterscheiden und

Sabine Kaspereit






(A) (C)



(B) (D)


festzuhalten, bei wem die Verantwortlichkeit für die
schwierige Lage in den neuen Ländern liegt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Dehnel [CDU/CSU])


Eine große Täuschung und eine noch größere Enttäu-
schung war das Wort von den „blühenden Landschaf-
ten“. In dem kenntnisreichen Buch „Sternstunden der
Diplomatie“ von Zelikow und Rice ist ein Auszug aus
einem Gesprächsprotokoll vom 3. Dezember 1989 zu
finden. Auf die Frage von George Bush, der sich nach
den Möglichkeiten einer schnellen Wiedervereinigung
erkundigt, erhält er von dem damaligen Bundeskanzler
Kohl sinngemäß die Antwort – ich zitiere –:

Kissingers Voraussage, daß die Einheit schon in
zwei Jahren erfolgen könne, sei augenscheinlich
unmöglich. Das wirtschaftliche Gefälle zwischen
den beiden deutschen Staaten sei zu groß.

Trotz dieser Einschätzung, aber mit dem Wissen, in
Anbetracht der Entwicklung der Ereignisse oft nur noch
reagieren und nicht mehr agieren zu können, kam es zu
der berühmten Fehlprognose von den „blühenden Land-
schaften“. Aus Kalkül wurden unerfüllbare Erwartungen
geweckt, denen die Enttäuschungen auf dem Fuße fol-
gen mußten. An den Spätfolgen dieses Vertrauensverlu-
stes leiden wir noch immer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns zur Gegenwart zurückkommen. Bei
Umfragen in den neuen Ländern fällt die Bilanz von
zehn Jahren ohne Mauer – ich sage bewußt „ohne Mau-
er“, nicht „nach dem Mauerfall“ – im wesentlichen
positiv aus. Der großen Mehrheit der Ostdeutschen geht
es heute besser denn je; aber es ist unbestritten ein
Nachteil, in den neuen Ländern zu leben: niedrigeres
Einkommen, schlechtere Infrastruktur, geringes Eigen-
kapital, kaum Anteil am Produktivvermögen, hohes Ar-
beitsplatzrisiko. Gerade das Problem der hohen Ar-
beitslosigkeit überdeckt die positive Bilanz und trägt da-
zu bei, das Gefühl der Unzufriedenheit zu nähren.

Politik kann sicherlich nicht alle Probleme lösen.
Aber dort, wo sie es kann, muß sie es auch tun. Ich bin
froh darüber, daß wir die Akzente so setzen: Der Auf-
bau Ost muß fortgesetzt werden, auch im Interesse der
alten Länder. Wir brauchen Ehrlichkeit bei der Benen-
nung der geleisteten Finanztransfers. Wir brauchen die
Wirtschaftsförderung nicht nur zum Strukturausgleich,
sondern auch zur Verbesserung der Wettbewerbsfähig-
keit. Wir brauchen die Hilfen auf dem Arbeitsmarkt vor
allem zur Bekämpfung von Jugend- und Langzeitar-
beitslosigkeit. Wir brauchen die Entwicklung der Ver-
kehrsinfrastruktur. Diese Bedingungen kann die Politik
beeinflussen.

Politik kann aber nicht den Respekt vor dem Mut und
der Leistung der Ostdeutschen verordnen, ebensowenig
wie sie die Würdigung der solidarischen Leistungen der
Westdeutschen anordnen kann. Politik kann auch nicht
die gegenseitige Fremdheit nach 40 Jahren höchst unter-
schiedlicher Entwicklungen politischer und gesell-

schaftlicher Art auf dem Verordnungswege beenden.
Diese Aufgabe müssen alle gesellschaftlichen Kräfte im
Dialog miteinander, nicht übereinander lösen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vorurteile, Unwissen und Geringschätzung dürfen
nicht ein Bild vom jeweils anderen zeichnen, das diesem
nicht gerecht wird. Ist Ihnen nicht auch schon aufgefal-
len, daß wir so tun, als sei die deutsche Einheit ein in
sich abgeschlossener, eher mißlungener Versuch gewe-
sen? Es ist aber ein sehr dynamischer Prozeß, der trotz
der unstrittigen Notwendigkeit zu Verbesserungen
durchaus positiv zu bewerten ist. Daran sollten wir gele-
gentlich denken, bevor wir wie bei einem Kranken in
Wunden herumstochern und über Symptome reden. Ich
bin sicher: Der Patient wird wieder, weil er einen un-
bändigen Lebenswillen und eine sehr gute Heilungsten-
denz hat. Wir alle in diesem Hause kennen die Ursachen
für seine Probleme und haben den guten Willen, ihm
auch zu helfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406904800
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Dr. Michael Luther.


Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1406904900
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute
über den Bericht zum Stand der deutschen Einheit. Wir
tun dies in einer Woche, die von historischer Bedeutung
ist: Vor zehn Jahren fiel hier in Berlin die Mauer. Alle,
die diese Zeit bewußt miterlebt haben, verbinden mit
diesen Tagen ihre eigenen Erinnerungen.

Vielleicht darf ich einmal meine persönlichen Erinne-
rungen an diese Tage einflechten. Ich möchte mit dem
Datum 7. Oktober 1989 beginnen. Ich vergesse das
nicht und kann deshalb auch die damalige Zeit nicht
vergessen. Ich hatte damals eine Kerze ins Fenster ge-
stellt. Ich hatte fürchterliche Angst und einen großen
Streit mit meinem Vater, der noch sehr genau wußte,
was am 17. Juni geschehen war und welche Folgen das
mit sich gebracht hatte. In diesen Herbsttagen handelten
viele, auch die Bürgerrechtler, vor denen ich den Hut
ziehe, weil sie mit Mut auf die Straße gegangen sind, im
sicheren Wissen darum, daß die Staatssicherheit in die-
sem repressiven Staat präsent war und es auch ganz an-
ders hätte ausgehen können. Es waren ja Lager vorbe-
reitet. Das, was am 17. Juni geschehen war, hätte in
qualifizierterer und anderer quantitativer Form vielleicht
auch damals passieren können.

Es ist damals gut ausgegangen: Der 9. November
1989 war ein Tag der Befreiung. Das war wunderbar. So
richtig freuen über das, was vor zehn Jahren geschehen
ist, konnten sich die meisten erst, nachdem sie etwas
Abstand dazu gewonnen hatten. Erst dann hatten sie ge-
lernt, was für eine Chance es für uns alle gewesen ist.
Damals war es ein ganz besonderes Ereignis. Gerade die
Berliner haben in dieser Woche gezeigt, daß man sich

Sabine Kaspereit






(B)



(A) (C)



(D)


über den Fall der Mauer vor zehn Jahren wirklich von
Herzen freuen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wir werden auch in den

nächsten Wochen und Monaten der Ereignisse von vor
zehn Jahren gedenken. Wir werden an die Wahlen zur
Volkskammer denken und an die Währungs-, Wirt-
schafts- und Sozialunion; wir werden darüber nachden-
ken, ob alles richtig war oder ob man es hätte besser
machen können. Wir werden an den Beitritt, der am
23. August um 2.30 Uhr in der Volkskammer beschlos-
sen wurde – ich vergesse das Ereignis nicht, denn auch
ich bin damals Mitglied der Volkskammer gewesen –,
und an den Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober
denken.

Sie, Frau Kaspereit, haben in Ihrer Rede sehr aus-
führlich zu dem Thema „blühende Landschaften“
Stellung genommen. Ich möchte Ihnen einmal sagen,
was ich von diesem Bild, das Bundeskanzler Helmut
Kohl damals gezeichnet hatte, halte und warum ich es
für so wichtig gehalten habe. Gerade angesichts der gro-
ßen Aufgabe, die vor uns gelegen hat, nämlich der Ge-
staltung der deutschen Einheit,


(Sabine Kaspereit [SPD]: Volkskammerwahl!)

bestand für mich die Frage, ob man den Menschen Mut
machen soll, das gemeinsame Haus Deutschland zu bau-
en, oder ob man Pessimismus verbreiten und damit zu
Depressionen beitragen soll. Lafontaine hat damals da-
vor gewarnt, daß alles ganz schlimm und furchtbar wer-
de. Helmut Kohl hat gesagt: Liebe Leute, wir schaffen
das, und wir werden blühende Landschaften bekommen.
Ich bin ihm noch heute dankbar dafür, daß er uns diesen
Mut gemacht hat. Wir haben die Chance ergriffen und
sind so in die deutsche Einheit gegangen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Sabine Kaspereit [SPD]: Das war kurz vor der Volkskammerwahl!)


Meine Damen und Herren, Herr Bundeskanzler
Schröder hat heute früh eine Regierungserklärung ab-
gegeben. Das, was er am Anfang gesagt hat, hat mir
vom Grundsatz her gefallen. Er hat nämlich gesagt, daß
die letzten Jahre deutsche Einheit eine Erfolgsstory sind.
Von einem niedrigen Wirtschaftsstand von 30 Prozent
Bruttosozialprodukt 1991 sind wir immerhin auf
60 Prozent gekommen. Es ist viel passiert in dieser Zeit.
Er hat auch ganz deutlich die Leistungen der Menschen
in den letzten acht, neun Jahren hervorgehoben. Ich
denke, es ist auch richtig, daß man dies an dieser Stelle
erwähnt. Die deutsche Einheit wäre allein von Politikern
nicht gestaltbar gewesen. Ganz wichtig ist, daß die Men-
schen mitgemacht haben, daß ihnen Mut gemacht wur-
de, daß sie sich auf den Weg gemacht haben, daß sie so-
lidarisch waren, daß sie mitgeholfen haben. Deswegen
haben wir den heutigen Stand erreicht, deswegen kön-
nen wir uns heute so sehr über den Fall der Mauer
freuen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, eines wundert mich allerdings immer: Wenn
Sie die Regierungserklärung des Bundeskanzlers heute
früh gehört haben, werden Sie gemerkt haben, daß er die
deutsche Einheit wieder mit den Begriffen „Schulden-
explosion“ und „Schuldenlast“ in Verbindung gebracht
hat.


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Daß das Investitionen waren, wird immer vergessen!)


Ich frage mich immer: Welche Botschaft wollen uns der
Bundeskanzler und diese Bundesregierung damit ver-
mitteln?


(Zuruf von der SPD: Jetzt kommt die Botschaft!)


– Ich sage Ihnen, welche Botschaft bei den Menschen
ankommt. – Sie fördern mit dieser Diskussion, die Sie
immer wieder einflechten, nur eines, nämlich Mißgunst
und Ablehnung. Sie wollen damit den Deutschen die
Freude an der deutschen Einheit vergällen, anstatt den
Deutschen Mut zu machen, das Geschenk der Ge-
schichte an die Deutschen tatsächlich mit frohem Herzen
anzunehmen.


(Frank Hempel [SPD]: Jetzt verwechseln Sie uns mit der PDS!)


Ich meine – Gott sei Dank ist das so –, die Mehrheit der
Deutschen fühlt anders. Sie steht hinter der deutschen
Einheit. Oder wollen Sie das bezweifeln? Die Mehrheit
der Menschen ist solidarisch, und sie weiß, daß man das
gemeinsame Haus deutsche Einheit bauen kann und soll
und daß dazu viel notwendig ist. Deswegen, glaube ich,
hat man sich vorgestern in eindrucksvoller Weise vor
dem Brandenburger Tor über das, was in der Vergan-
genheit geschehen ist, gefreut.

Ich habe in dieser Woche den Reden von Bundes-
kanzler Schröder gelauscht, auch heute früh wieder. Ich
muß allerdings eines konstatieren,


(Sabine Kaspereit [SPD]: Das war gut, nicht?)

– das ist Ihre Einschätzung, meine ist eine andere –:
Immer, wenn er über die deutsche Einheit redet, stelle
ich fest, er redet herzlos darüber.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Das ist Ihr eingeschränktes Wahrnehmungsvermögen!)


Das liegt daran, daß er die deutsche Einheit eigentlich
nicht wollte. Das spürt man noch heute ganz deutlich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Peter Dreßen [SPD]: Was das für ein Blödsinn ist!)


Ich gebe zu, Sie wollten mit der Bundestagswahl von
diesem Image wegkommen. Deswegen haben Sie schon
einen ganz klugen Trick angewandt. Sie haben nämlich
gesagt: „Aufbau Ost ist Chefsache.“ Die Stimmungslage
in der Bevölkerung hat aber gezeigt: „Aufbau Ost ist
Chefsache“ blieb leeres Gerede. Im Gegenteil: Dieser
Satz wird an vielen Stellen eher als Drohung empfun-
den.


(Widerspruch bei der SPD)


Dr. Michael Luther






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, ich sage deutlich zur Fra-
ge der Finanzierung der deutschen Einheit: Mir tut keine
Mark leid, die in die Renovierung und die General-
instandsetzung des Ostflügels des gemeinsamen Hau-
ses Deutschland gesteckt wurde. Jede Mark war es
wert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn wir heute über den Stand der deutschen Einheit

reden, dann müssen wir auch darüber reden, wie es
eigentlich weitergeht, welche Signale beim Aufbau Ost
gesetzt werden. Wir wissen, daß die Wirtschaftsprogno-
sen und die Arbeitsmarktdaten im Jahre 1999 nicht be-
sonders gut sind. Ich glaube, das hat wesentlich damit zu
tun, was in diesem Jahr an Politik geleistet worden ist.
Gestaltung der deutschen Einheit heißt für mich: Man
muß teilungsbedingte Nachteile abbauen.

Ich stelle mir manchmal die Frage: Wie würde
Deutschland aussehen, wenn es die deutsche Teilung
nicht gegeben hätte? Dazu möchte ich sagen: Wenn es
die deutsche Teilung nicht gegeben hätte – entschuldi-
gen Sie dieses Beispiel; ich komme aus Sachsen –, dann
wäre Audi ein sächsisches Unternehmen und der Bun-
desgerichtshof hätte seinen Sitz in Leipzig. Die Flug-
zeugindustrie würde ihre zentrale Stelle wahrscheinlich
in Rostock haben.


(Sabine Kaspereit [SPD]: In Dessau!)

Es gäbe noch viele andere Beispiele.

Man darf jetzt aber nicht auf die Idee kommen und
sagen: Teilungsbedingte Nachteile sind dann beseitigt,
wenn wieder der ursprüngliche Zustand hergestellt ist.


(Zuruf der Abg. Sabine Kaspereit [SPD])

– Auch ich behaupte das nicht. Hören Sie mir einmal
einen Moment zu, Frau Kaspereit! Ich habe bei Ih-
nen ebenfalls zugehört. – Es zeigt sich doch ganz klar,
wo die Defizite liegen: Wir brauchen in den neuen
Bundesländern eine neue und eigenständige Wirtschaft.
Das gelingt eben nur durch Ansiedlung von neuen in-
dustriellen Kernen und durch die Entwicklung eines
neuen und leistungsfähigen Mittelstandes. Dazu sind
Mittel für Wirtschafts- und für Innovationsförderung
notwendig.

In der Vergangenheit haben die Menschen in den
neuen Ländern ihre Chancen genutzt. Sie haben Enor-
mes geleistet, was in der Regierungserklärung des Bun-
deskanzler heute morgen zu Recht festgehalten worden
ist. Es ist aber auch festzustellen, daß 60 Prozent Wirt-
schaftskraft eine zu schmale Basis sind. An diesem
Punkt müssen wir also ansetzen.

In diesem Zusammenhang frage ich mich aber: War-
um handelt die Bundesregierung angesichts dieser Tat-
sache nicht entsprechend? Sie reduziert zum Beispiel die
GA-Mittel, ein sehr wichtiges Mittel für die Förderung
von Unternehmensansiedlungen, oder sie senkt durch
die Hintertür das Fördervolumen für Investitionszulagen
um rund 1 Milliarde DM. Wir haben im Ausschuß für
die Angelegenheiten der neuen Länder darüber gespro-
chen. Sie stoppt zum Beispiel auch das Programm FU-

TOUR, das innovative Unternehmensentwicklungen in
der Vergangenheit sehr erfolgreich unterstützt hat.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Sie haben doch heute morgen gehört, daß es fortgesetzt wird! Sie müssen schon zuhören!)


Dies ist eine falsche Politik. Deswegen bitte ich Sie:
Wenn Sie den Aufbau Ost ernsthaft fortsetzen wollen,
dann stocken Sie die GA-Mittel auf das vorjährige Ni-
veau, auf mindestens 300 Millionen DM, wieder auf.
Wenn es bestimmte Vorgaben durch die EU-
Kommission gibt, auf Grund derer das Investitionszula-
gengesetz geändert werden muß, dann schreiben Sie das
eingesparte Geld anderen Bereichen gut – zum Beispiel
dem Bereich der Wirtschaftsförderung oder der Ver-
kehrsinfrastruktur.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Lassen Sie mich noch ein zweites Beispiel nennen:

Verkehrsinfrastrukturnetze. Wer diese Netze von Ost
und West im Zeitraum von 1945 bis 1989 vergleicht, der
weiß, was 40 Jahre DDR bewirkt haben und welcher
Nachholbedarf besteht. In der Vergangenheit sind des-
wegen die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ in Gang
gesetzt worden. Sie waren genauso wichtig wie zum
Beispiel das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsge-
setz. Wir hatten nämlich einfach keine Zeit, 20 Jahre
lang zu planen und zu genehmigen. Es mußte vielmehr
sofort etwas geschehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Antwort der Bundesregierung ist aber das Strei-

chen des Verkehrsprojektes „Deutsche Einheit“ Nr. 8.
Wer heute behauptet, daß der Ausbau der Eisenbahnver-
bindung von Erfurt nach Leipzig nur zeitlich verschoben
wird, der muß ehrlicherweise konstatieren, daß auf
Grund der planungsrechtlichen Situation dieses Ver-
kehrsprojekt letztendlich ad acta gelegt werden kann.


(Frank Hempel [SPD]: Quatsch ist das!)

Sie beklagen eine Unterfinanzierung des Verkehrs-

wegeplanes. Wie antworten Sie aber auf diese Unterfi-
nanzierung? Sie senken die Mittel für den Verkehrswe-
geausbau.

Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Ihre Ge-
nossen in NRW, geschädigt durch ihre Bundesregierung,
können im Wahlkampf ungestraft Ost und West gegen-
einander ausspielen. Sie fordern nämlich mehr Mittel für
den Verkehrswegeausbau in Nordrhein-Westfalen zu
Lasten der neuen Länder. Das ist keine Politik zur Ge-
staltung der deutschen Einheit. Ich sage ganz klar: Die
Verkehrsinfrastruktur in Ost und West muß ausgebaut
werden. Dazu muß man die richtigen Signale setzen.
Das heißt, man muß in diesem Bereich mehr und nicht
weniger Geld ausgeben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch eine Bemerkung hinzufügen. Wenn

Sie schon die Ökosteuer kassieren, dann lassen Sie sie
wenigstens zum Teil den Autofahrern, die täglich im
Stau stehen, zugute kommen. Bauen Sie Straßen!

Ich habe heute noch etwas Neues gelernt. Für das zu-
sätzliche Programm Verkehrsinfrastruktur in den neuen

Dr. Michael Luther






(B)



(A) (C)



(D)


Ländern wird ein Finanzvolumen von 3 Milliarden DM
eingeräumt. Ich finde das gut. Denn diese Mittel gehen
nicht zu Lasten des Haushalts. Bei diesen Mitteln han-
delt es sich um EFRE-Mittel, also um europäische
Mittel, die Sie allerdings dem Deutschen Bundestag als
große Leistung der Bundesregierung präsentieren, ob-
wohl sie von Europa kommen und, wie ich glaube,
wahrscheinlich gar nicht für diesen Zweck eingesetzt
werden sollen. Ich finde es gut, daß es diese Mittel gibt
und daß sie für den Straßenbau eingesetzt werden. Aber
das als besonderen Erfolg der Bundesregierung zu ver-
kaufen, halte ich für relativ absurd.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Weil sie sonst nichts haben!)


Wenn man von der deutschen Einheit spricht, ist zu
vielem etwas zu sagen. Man müßte zum Beispiel etwas
zur sozialen Angleichung sagen. Ich glaube, daß dabei
in den letzten Jahren große Schritte gemacht worden
sind. Jetzt sind wir in der Situation, daß die Angleichung
der Lebensverhältnisse durch Ihre Gesundheitsreform,
Ihre Rentenkürzung und anderes gestoppt wird.

Man müßte auch über die Arbeitsmarktförderinstru-
mente reden. Sie sorgen für eine Stabilisierung des
zweiten Arbeitsmarktes, anstatt zu überlegen, wie Men-
schen aus der Arbeitslosigkeit in den ersten Arbeits-
markt kommen können. Die entsprechenden Instru-
mente, wie zum Beispiel das Instrument Strukturanpas-
sungsmaßnahmen Ost für Wirtschaftsunternehmen, ha-
ben Sie gestrichen und damit einiges zerstört.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: 60 Prozent Eingliederungsquote gestrichen!)


– Richtig. – Ich glaube, auch das sollte an dieser Stelle
deutlich gemacht werden. Ich habe das Gefühl, im Jahr
1999 ziehen Sie von der Baustelle deutsche Einheit die
Baukräne ab.

Lassen Sie mich meinen letzten Gedanken formulieren.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406905000
Eigentlich ist Ihre
Redezeit abgelaufen, Herr Kollege.


Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1406905100
Mein letzter Ge-
danke. – 1989 sind mutige Männer und Frauen in Dres-
den, Leipzig und Berlin auf die Straße gegangen und
haben die Mauer niedergerissen. Mutige Männer und
Frauen haben in den letzten Jahren die große Aufgabe
deutsche Einheit in die Hand genommen. Ob die Ge-
schichte schreiben wird: „Mutige Männer und Frauen
haben die deutsche Einheit nach 1998 weitergeführt“,
wage ich zu bezweifeln. Ich glaube, man wird in bezug
auf diese Zeit beim Aufbau Ost eher von Zauderern und
Dilettanten reden. Ich hoffe, nach 2002 gibt es wieder
mutige Menschen, die den Aufbau Ost und die innere
Einheit Deutschlands vollenden.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Sabine Kaspereit [SPD]: Das ist eine Beleidigung für die Leute, die sich dafür einsetzen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406905200
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Frank Hempel, SPD-Fraktion.


Frank Hempel (SPD):
Rede ID: ID1406905300
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Verehrte Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich
muß eingangs etwas zu dem sagen, was der Oppositions-
führer, Herr Schäuble, heute morgen hier gesagt hat. Er
hat starke Vorwürfe in Richtung Landesregierung
Mecklemburg-Vorpommern bezüglich der Ansiedelung
des Airbus A3XX erhoben.


(Dr.-Ing. Paul Krüger [CDU/CSU]: Das hat er sehr zu Recht getan!)


Auch die Bundesregierung ist hier angegriffen worden.
Dazu möchte ich folgendes in Erinnerung rufen. Ge-

rade gestern hatten wir im Ausschuß für Angelegenheiten
der neuen Länder eine Anhörung. Ich möchte Ihnen vor-
tragen, wie die Medien die Ergebnisse dieser Anhörung
beurteilen. Der „Nordkurier“ schreibt: Dabei lobt Airbus-
Manager Dieter Stratmann die Schweriner gar in höchsten
Tönen. Die Landesregierung hat im Vergleich zu ande-
ren Standorten eine glänzende Bewerbung abgeliefert.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Hört! Hört!
Dasa-Manager Gerhard Puttfercken sagte: Jawohl, die

Präsentationen der Staatskanzlei in den letzten Monaten
haben den Standort Rostock-Laage bekanntgemacht, ins
Bewußtsein von Entscheidern gerückt.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406905400
Der Kollege Krüger
möchte eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie sie zu-
lassen?


(Zuruf von der SPD: Das ist seine Jungfernrede!)



Frank Hempel (SPD):
Rede ID: ID1406905500
Momentan nicht. Ich möchte
das im Zusammenhang vortragen.

Außerdem erinnere ich an Ihren Exwirtschaftsmi-
nister Herrn Seidel, der als Sachverständiger geladen
war. Er hat eine wesentlich differenziertere Beurteilung
abgegeben als Herr Schäuble heute vormittag. Er hat ge-
sagt: Sowohl die alte Landesregierung wie auch die neue
Landesregierung hat alles mögliche für die Ansiedlung
des Airbus A3XX getan.


(Dr.-Ing. Paul Krüger [CDU/CSU]: Aber die neue Regierung tut nichts!)


– Moment, Herr Krüger. Auch darauf haben wir eine
Antwort. Sie sagen immer, was der Altkanzler hier alles
getan hätte. In welcher Form hat er sich denn dazu ge-
äußert? In den Papieren der Staatskanzlei findet sich le-
diglich ein anderthalbseitiger Brief, ansonsten – auch
gestern nicht – keine Bestätigung von seiten der Indu-
strie, daß der Altkanzler einmal mit Dasa-Airbus-
Industrie gesprochen hätte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Hört! Hört! So war das also!)


Dr. Michael Luther






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt noch einmal zur CDU in Mecklenburg-
Vorpommern: Sie hielt dieses Thema für nicht sehr
hochrangig; sie hat es in ihrem Wahlprogramm
schlichtweg unterschlagen.

Jetzt möchte ich zu dem übergehen, was ich eigent-
lich sagen wollte: Wir erinnern uns in diesen Tagen an
die friedliche Revolution vor zehn Jahren im Herbst
1989. Sie war der Ausgangspunkt für alle folgenden
dramatischen und historischen Ereignisse. Die Men-
schen im Osten Deutschlands gingen damals auf die
Straße, um Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlich-
keit einzufordern. Die Erinnerung daran, so scheint
mir, verblaßt mehr und mehr. Der Fall der Mauer war
der Auftakt zur staatlichen Einheit. Die Wiederher-
stellung der staatlichen Einheit erweist sich heute we-
sentlich leichter als die große Herausforderung, vor der
wir jetzt stehen, nämlich die, die innere Einheit zu
vollenden.

Die Ziele, für die die Bürger der DDR damals auf die
Straße gingen, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat-
lichkeit, haben wir längst erreicht. Dennoch ist bei vie-
len Menschen – ob in West oder Ost – eine gewisse Er-
nüchterung eingetreten. Für diese Entwicklung gibt es
eine Reihe von objektiven Gründen. Das betrifft zum ei-
nen den Verlust des Arbeitsplatzes und die Belastung
vieler Bürger, sich in einem radikal gewandelten Wirt-
schafts-, Rechts- und Verwaltungssystem zurechtzufin-
den.

Hinzu kommen zum anderen die im Durchschnitt
noch immer geringeren Einkommen der Bürger in den
neuen Ländern. Wohl wahr! In den alten Ländern sind
mittlerweile viele Bürger der Meinung, daß der Aufbau
Ost zulange dauert. Sie sind deswegen ungeduldig. Mit-
unter gewinnt man aber auch den Eindruck, daß die
Schere zwischen Ost und West wieder weiter auseinan-
derklafft.

Meine Damen und Herren, dann gibt es aber auch
viele positive Beispiele der gemeinsamen Entwicklung.
Es gibt kaum noch Unterschiede im Freizeitverhalten,
zum Beispiel bei den Urlaubszielen. Auch die Auto-
marken unterscheiden sich nicht mehr. Man muß lange
suchen und die Augen weit aufsperren, will man noch
einen Trabbi auf den Straßen entdecken. Viele Men-
schen aus den neuen Bundesländern sind in die alten
Bundesländer gezogen – und umgekehrt. Sie haben mit-
einander Freundschaften geschlossen.

Die Politik ist aufgefordert, den gesellschaftlichen
Zusammenhalt zu stärken. Gewiß, sie hat sich in der
Vergangenheit bemüht, durch die finanzielle Absiche-
rung des Aufbau Ost dazu einen Beitrag zu leisten.
Aber – Herr Luther, in diesem Zusammenhang muß ich
auf Ihre Rede zurückkommen –, die Menge der Mittel
ist nicht das Entscheidende. Vielmehr geht es um die
Qualität.


(Beifall bei der SPD)

Die Verwirklichung der inneren Einheit, so meine

ich, beinhaltet im übrigen mehr als finanzielle Hilfen
und wirtschaftliches Wachstum. Die innere Einheit

braucht in erster Linie ein gemeinsames Zusammenge-
hörigkeitsgefühl und eine soziale Verantwortung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen in den neuen Ländern wollen spüren, daß
Marktwirtschaft trotz Wettbewerb und Konkurrenz nicht
zu Entsolidarisierung führt. Sie wollen, daß wir die un-
terschiedlichen Biographien aus der Vergangenheit ak-
zeptieren. Dies ist auch schon deshalb notwendig, um
gemeinsam in die Zukunft gehen zu können.

Als hinderlich bei der Verwirklichung der inneren
Einheit erweist sich eine Gesellschaft, die auf lange Zeit
in ihren wirtschaftlichen und sozialen Bezügen große
Unterschiede aufweist. Ein Zusammengehörigkeitsge-
fühl kann sich so nur schwer entwickeln. Daher sage
ich: Wir müssen den Menschen in den neuen Ländern
eine Perspektive geben, was die Angleichung der Le-
bensverhältnisse betrifft. Ich bin mir dabei sehr wohl
bewußt, daß das kurzfristig nicht zu erreichen ist. Aber
dennoch meine ich, wir müssen einen überschaubaren
Zeitraum anstreben.


(Beifall bei der SPD)

Seit der Wiedervereinigung sind, was die Anglei-

chung der Lebensverhältnisse betrifft, beachtliche
Fortschritte erreicht worden.


(Beifall des Abg. Dr. Michael Luther [CDU/CSU])


Die Einkommen in den neuen Ländern sind deutlich ge-
stiegen. Die Rentenbezüge haben sich innerhalb kürze-
ster Zeit sogar verdreifacht. Die Infrastruktur ist erheb-
lich ausgebaut worden, und, was die Telekommunika-
tion betrifft, haben wir mittlerweile das modernste
System in Europa.


(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Trotz dieser guten Entwicklung bestehen noch immer
unterschiedliche Einkünfte zwischen Ost und West.
Wohl wahr! Zu beachten ist allerdings, daß wir stets die
spezifischen wirtschaftlichen Voraussetzungen im Auge
behalten müssen. Nicht jede Lücke kann geschlossen
werden. Das Gebot der Gleichwertigkeit der Lebensver-
hältnisse in ganz Deutschland schließt doch nicht aus,
daß es hier und da regionale Differenzierungen geben
muß. Das hat damit zu tun, daß es in verschiedenen Re-
gionen eine spezifische wirtschaftliche Leistungskraft
gibt.

Für die neuen Bundesländer ist vor allem wichtig,
daß die Produktivität ihrer Wirtschaft und ihrer Unter-
nehmen wächst. Die Verwirklichung der sozialen Ge-
rechtigkeit steht in einer engen Wechselbeziehung zur
Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungskraft und der
Beschäftigung. Die Förderung der wirtschaftlichen Ent-
wicklung in den neuen Ländern hat für uns daher eine
hohe Priorität. Dabei ist wichtig, daß die Rahmenbedin-
gungen in Deutschland stimmen.

Das Bundeskabinett hat mit der umfassenden Haus-
haltskonsolidierung und dem Steuerreformpaket die

Frank Hempel






(B)



(A) (C)



(D)


Voraussetzung auch für die Entwicklung der Wirtschaft
in Ostdeutschland verbessert. Für die neuen Länder hat
das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbe-
werbsfähigkeit generell eine große Bedeutung. Bundes-
regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften haben sich
darauf verständigt, im Rahmen des Bündnisses auf einen
Abbau der Arbeitslosigkeit hinzuarbeiten und die Wett-
bewerbsfähigkeit zu stärken. Behandelt wird in diesen
Gesprächen unter anderem die Förderung des überregio-
nalen Absatzes von ostdeutschen Produkten, die Verbes-
serung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der
ostdeutschen Wirtschaft sowie die Verbesserung der
Zahlungsmoral.

Gerade in bezug auf den letzten Punkt haben wir ge-
handelt. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

der im Rahmen einer Anhörung debattiert worden ist.
Die Ergebnisse dieser Anhörung werden in dem Gesetz-
gebungsverfahren Eingang finden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit wollen wir den vielen, von der schlechten Zah-
lungsmoral betroffenen Baufirmen in Ostdeutschland
helfen.

Wir stärken aber auch Forschung und Innovation.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Bereits im laufenden Haushalt haben wir die Zukunfts-
investitionen in Bildung und Forschung um fast
1 Milliarde DM erhöht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Zukunftsprogramm 2000 haben wir festgelegt, daß
Forschung und Bildung in Deutschland wieder Priorität
haben müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Jahr 2001 und in den kommenden Jahren werden
die Investitionen jeweils um 1 Milliarde DM erhöht.
Und mit dem neuen Fördermodell Inno-Regio haben
wir in Ostdeutschland eine Vielzahl von innovativen
Ideen in regionalen Netzwerken ausgelöst. Sage und
schreibe über 400 Bewerbungen in den unterschiedli-
chen Regionen der Länder haben zu einer Aufbruch-
stimmung geführt: Viele Projekte, die nicht in die engere
Wahl des Bundes gekommen sind, werden zur Förderfä-
higkeit weiterentwickelt.

Für die neuen Länder ist die Förderung der Ver-
kehrsinfrastruktur von großer Bedeutung; das ist
hier schon angeklungen. Dabei bleibt für uns der Vor-
rang der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit unverändert
erhalten.

Ein großes Problem besteht in der Tatsache, daß der
von der alten Regierung aufgestellte Bundesverkehrs-
wegeplan völlig unterfinanziert war.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Luftnummer!)


Wir sind deshalb gezwungen, neue Prioritäten zu setzen.
Dabei ist im übrigen zu berücksichtigen, daß sich im
Jahre 9 nach der deutschen Einheit auch die Verkehrs-
ströme etwas verändert haben, gerade in bezug auf Polen
und Tschechien.

Frau Pieper und Herrn Luther möchte ich sagen: Das
Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nummer 8, die Strek-
ke Nürnberg–Erfurt–Berlin, ist nicht aufgehoben, son-
dern lediglich aufgeschoben. Auch der Abschnitt zwi-
schen Erfurt und Arnstadt wird fertiggestellt. Im übrigen
hält die Strecke einer Wirtschaftlichkeitsprüfung im
Moment nicht stand. Das müssen wir berücksichtigen,
wenn wir neue Prioritäten setzen.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Da stehen Brücken in der Landschaft!)


Mit dem Investitionsprogramm für die Jahre 1999 bis
2002 haben wir bis zum Abschluß des überarbeiteten
Bundesverkehrswegeplans die notwendige Planungssi-
cherheit gegeben.

Meine Damen und Herren, die Regierungskoalition
nimmt ihre soziale Verantwortung sehr ernst, um den
vielen Menschen zu helfen, die in Ostdeutschland be-
dingt durch den Strukturwandel unverschuldet in Ar-
beitslosigkeit geraten sind. Unabdingbar ist – das haben
die Partner im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und
Wettbewerbsfähigkeit anerkannt –, daß die aktive Ar-
beitsmarktpolitik auf hohem Niveau fortgesetzt werden
muß.

Die Mittel werden wir in diesem Zusammenhang ge-
nauer auf die Zielgruppen konzentrieren. Um den künf-
tigen Qualifikationsanforderungen des Arbeitsmarktes
besser zu entsprechen, werden die Industrie- und Han-
delskammern sowie die Handwerkskammern den künf-
tigen Bedarf an Fachkräften verstärkt aufklären. Wir ge-
ben für aktive Arbeitsmarktpolitik in diesem Jahr
6,3 Milliarden DM mehr aus als noch im Haushaltsjahr
1998 unter Ihrer Führung.

Wir haben uns nicht mit der hohen Zahl von arbeits-
losen Jugendlichen abgefunden, sondern haben ein So-
fortprogramm gegen die Jugendarbeitslosigkeit in die-
sem Jahr mit 2 Milliarden DM aufgelegt, wovon
40 Prozent den Jugendlichen in den neuen Ländern zu-
gute kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Union hat im übrigen kürzlich gefordert, dieses
erfolgreiche Programm wieder einzustellen.


(Zurufe von der SPD: Unglaublich!)

Ihr – so ist zu vermuten – ist die Lage der jungen Men-
schen, die ohne Ausbildungschancen sind, völlig egal.


(Zuruf von der SPD: Das interessiert die überhaupt nicht!)


Frank Hempel






(A) (C)



(B) (D)


Sie sollten sich allerdings einmal mit den Jugendlichen
unterhalten, die durch unser Programm eine Perspektive
bekommen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Schöne Perspektive! Drei Monate lang! – Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Sie sollten sich einmal mit den Kammern unterhalten, was die von dem Programm halten!)


– Frau Rönsch, wir sind von der Richtigkeit dieses Pro-
gramms überzeugt,


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Aber nur Sie ganz allein!)


und wir werden das im nächsten Jahr fortsetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Werte Kollegen, meine Damen und Herren, die neuen

Länder bedürfen der Förderung auf hohem Niveau über
einen langen Zeitraum hinweg. Sie können in einem
föderalen Wettbewerb nur dann bestehen, wenn die
Ausgangslage für sie annähernd die gleiche ist wie die in
den alten Bundesländern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es kommt jedoch für die Zukunft darauf an, daß die
Mittel wirklich zielgerichtet eingesetzt werden. Dabei
müssen wir die traditionell strukturschwachen Regio-
nen Ostdeutschlands besonders fördern. Ich habe mei-
nen Wahlkreis in einer solchen strukturschwachen Re-
gion, in Vorpommern. Ich weiß aber auch, es gibt ande-
re neue Bundesländer, die ähnlich strukturell unterent-
wickelte Gebiete haben.

Vieles bleibt in Ostdeutschland noch zu tun. Der Weg
bleibt steinig, aber ich meine, wir haben die Weichen für
den weiteren Aufbau Ost in die richtige Richtung ge-
stellt. In diesem Zusammenhang bedanke ich mich noch
einmal ausdrücklich für die Arbeit und das Engagement
unseres Staatsministers Rolf Schwanitz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt für mich keinen Grund zum Pessimismus. Die
Menschen in Ostdeutschland haben in der Vergangen-
heit gezeigt, daß sie sich radikaler Veränderung sehr
wohl flexibel anpassen können. Ich meine: Das ist ein
Pfund, das die neuen Länder in eine Wirtschaft, die im-
mer globaler wird, einzubringen haben.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406905600
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich das Wort dem Kollegen Krüger. Bitte
sehr.


Dr. Paul Krüger (CDU):
Rede ID: ID1406905700
Herr Hempel,
ich bin Ihnen eigentlich dankbar, daß Sie das Thema
A3XX angesprochen haben. Ich wollte Sie nur darauf
hinweisen, daß die alte Bewerbung, die gestern in der
Anhörung als exzellente Bewerbung bezeichnet wurde,
von der alten Landesregierung vorbereitet wurde. Inso-
fern hat die neue Landesregierung von Herrn Ringstorff
diese Bewerbung nur abgegeben.

Was heute morgen von Herrn Schäuble angesprochen
worden ist, war der Umstand, daß sich der alte Bundes-
kanzler, obwohl die Entscheidung damals noch nicht
feststand – wir befanden uns noch in der Vorbereitungs-
phase der Bewerbung –, ganz klar für Endmontage des
A3XX in Rostock ausgesprochen hat. Was wir heute mit
Sicherheit annehmen können, ist, daß sich Helmut Kohl
in der aktuellen Phase der Bewerbung, also heute, wei-
terhin massiv auf internationalem Parkett dafür einge-
setzt hätte, daß im Zuge der deutschen Einheit in dem
traditionsreichen Flugzeugbauland Mecklenburg-
Vorpommern tatsächlich wieder ein Flugzeugbaustand-
ort belebt wird. Davon bin ich fest überzeugt.

Herr Schäuble hat Herrn Ringstorff heute morgen
vorgeworfen, daß er sich überhaupt nicht dafür einsetzt,
daß Herr Schröder ein solches Machtwort zugunsten des
Standorts Rostock-Laage spricht. Daß hier überhaupt
kein Druck auf Herrn Schröder stattfindet, halte ich für
einen politischen Skandal. Wir haben gestern in der An-
hörung erfahren,


(Zurufe von der SPD)

– ich weiß, das ist unbequem für Sie zu hören –, daß mit
Sicherheit 30 000 Arbeitsplätze in Deutschland im Zu-
sammenhang mit dem A3XX entstehen werden.

Was wir fordern und wofür wir kämpfen – ich hatte
eigentlich immer den Eindruck, daß Sie mitkämpfen –
ist, daß von diesen 30 000 Arbeitsplätzen einige Tau-
send in den neuen Ländern entstehen, insbesondere an
dem Standort Mecklenburg-Vorpommern. Bisher haben
sich dazu weder der Bundeskanzler noch Herr Schwa-
nitz jemals geäußert. Wir haben bisher keinerlei Unter-
stützung bei der Ansiedlung von Arbeitsplätzen im Zu-
sammenhang mit dem A3XX in den neuen Ländern er-
halten.

Wir haben uns im Ausschuß seit längerer Zeit damit
beschäftigt. Die Anträge, die vorliegen, lauten, daß wir
die Bundesregierung auffordern, sich endlich für diesen
Standort einzusetzen. Es geht hier um 5000 oder mehr
Arbeitsplätze in den neuen Ländern. Die Endmontage ist
in der Tat derjenige Teil der Work-Share, der am besten
geeignet wäre, dort Arbeitsplätze zu schaffen, weil man
nicht eine Vielzahl von Standorten fördern und nicht bei
Null anfangen müßte.

Daß wir gestern gehört haben, daß die DASA im
Moment nicht beabsichtigt, etwas für diesen Standort zu
tun, bedeutet für dieses Parlament, die Bundesregierung
anläßlich der Debatte zum Thema „Zehn Jahre nach dem
Mauerfall“ klar und deutlich aufzufordern, nun endlich
etwas zu tun, damit von diesem größten Infrastruktur-
projekt,


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Das ist eine zweite Rede!)


Frank Hempel






(B)



(A) (C)



(D)


von diesem größten Wirtschaftsprojekt Europas endlich
etwas für die neuen Länder abfällt. Ich werfe der Bun-
desregierung vor, daß sie dafür bisher keinen Finger
krumm gemacht hat und Herr Ringstorff zwar herum-
reist –


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Zeit!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406905800
Herr Kollege, be-
achten Sie bitte, daß Ihre Redezeit jetzt um ist.


Dr. Paul Krüger (CDU):
Rede ID: ID1406905900
– und so tut, als
würde er sich dafür einsetzen, er aber in Wahrheit bisher
nichts in dieser Richtung bewegt hat.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406906000
Jetzt ist Schluß, und
Sie haben Ihre Redezeit weit überzogen.


Dr. Paul Krüger (CDU):
Rede ID: ID1406906100
Ich halte das für
einen politischen Skandal.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406906200
Herr Kollege Hem-
pel, wollen Sie antworten? Ich bitte aber darum, daß die
Drei-Minuten-Frist eingehalten wird.


Frank Hempel (SPD):
Rede ID: ID1406906300
Ich glaube, ich brauche nicht
so lange. Herr Krüger, das, was Sie hier gesagt haben,
ist schlichtweg unwahr.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wird Ihnen mit Ihren Ausführungen nicht gelingen,
eine andere Einschätzung des Ausgangs der gestrigen
Anhörung herbeizuführen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich meine, die Experten haben sich gestern dazu ein-
deutig geäußert. Ich weiß, was Sie am liebsten gehabt
hätten: daß hier gestern eine Verurteilung von seiten der
Experten und auch von seiten der Industrie erfolgt wäre.
Das hat es nicht gegeben; ganz im Gegenteil. Man hat
Mecklenburg-Vorpommern eine ganz exzellente Bewer-
bung bescheinigt. Nehmen Sie das zur Kenntnis.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im übrigen tun wir alles für die Ansiedlung des Airbus
A3XX in Rostock-Laage.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406906400
Ich schließe die
Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Ausschusses für Angelegenheiten
der neuen Länder zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur wirtschaft-
lichen Stärkung der neuen Länder, Drucksache 14/2032,

Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/1551 anzunehmen. Wer stimmt dieser Be-
schlußempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? Gegen die Stimmen von F.D.P., CDU/CSU
und PDS ist die Beschlußempfehlung angenommen.

Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschus-
ses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem An-
trag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Aufbau
Ost endlich wieder richtig machen“, Drucksache
14/2032, Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/1210 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlußempfehlung? – Gegenprobe! – Stimmenthal-
tungen? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU und
F.D.P. ist die Beschlußempfehlung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß-
empfehlung des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder zu dem Antrag der F.D.P. mit dem Titel
„Aufbau Ost muß weitergehen“, Drucksache 14/2032,
Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/1542 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlußempfehlung? – Gegenprobe! – Stimmenthaltun-
gen? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P.
ist die Beschlußempfehlung angenommen.

Wir kommen jetzt zu der Beschlußempfehlung des
Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu
dem Antrag der Fraktion der PDS zur Angleichung der
Lebensverhältnisse und zur Herstellung von mehr
Rechtssicherheit in Ostdeutschland, Drucksache 14/
2032, Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/1277 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlußempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Gegen die Stimmen der PDS ist die Beschlußempfeh-
lung angenommen worden.

Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem
Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Realisierung
der Schienenneubaustrecke Nürnberg–Erfurt–Halle/
Leipzig–Berlin; das ist Drucksache 14/2047, Nr. 1. Der
Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/1208 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß-
empfehlung? –


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Interessant!)

Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. ist die Beschlußempfehlung an-
genommen worden.

Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem An-
trag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Verkehrs-
projekte Deutsche Einheit müssen zügig realisiert wer-
den“; das ist Drucksache 14/2047, Nr. 2. Der Ausschuß
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1543 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? –


(Peter Dreßen [SPD]: Von der F.D.P. kommt nie etwas Gescheites!)


Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. ist die Beschlußempfehlung an-
genommen.

Dr.-Ing. Paul Krüger






(A) (C)



(B) (D)


Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/1825 und 14/1715 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen,
wobei die Vorlage auf Drucksache 14/1825 zusätzlich
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten und den Ausschuß für Wirtschaft und Technolo-
gie und die Vorlage auf Drucksache 14/1715 zusätzlich
an den Sportausschuß überwiesen werden sollen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der F.D.P. zur Regierungser-
klärung auf Drucksache 14/2039 an den Ausschuß für
Angelegenheiten der neuen Länder zu überweisen. Gibt
es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Nun rufe ich Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Maria Eichhorn, Hannelore Rönsch (Wiesbaden),
Wolfgang Dehnel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren
in der Bundesrepublik Deutschland
– Drucksachen 14/679, 14/1717 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.


(Zahlreiche Abgeordnete verlassen den Saal – Jörg Tauss [SPD]: Alle über 60jährigen bleiben jetzt da!)


– Eigentlich ist es ein spannendes Thema, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen. Sie können gerne hierbleiben.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Hannelore Rönsch, CDU/CSU-Fraktion.


Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1406906500
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat im „Internationalen
Jahr der Senioren“ an die Bundesregierung eine Große
Anfrage zur Lebenssituation von Seniorinnen und Se-
nioren in der Bundesrepublik Deutschland gerichtet. Wir
wollten wissen: Wie ist die tatsächliche Situation? Wie
sind die Lebensumstände? Wie wirkt das, was wir in den
vergangenen Jahrzehnten für die Senioren in unserem
Lande erreicht haben? Was müssen wir verbessern? Wo
sind Veränderungen angesagt?

Wir wollten mit dieser Großen Anfrage der Senio-
renministerin im „Internationalen Jahr der Senioren“
endlich einmal die Gelegenheit geben, Stellung zur
Politik für die älteren Menschen, für die ältere Generati-
on, für die Senioren zu nehmen, da in diesem „Interna-
tionalen Jahr“ von Regierungsseite bisher noch gar
nichts unternommen wurde.


(Christa Lörcher [SPD]: Was? Da haben Sie nicht aufgepaßt!)


Die einzige Großveranstaltung, die angesagt war, wur-
de aus politischen Gründen zwei Tage vorher abgesagt,
und etwa 500 Experten und Senioren aus ganz Deutsch-
land wurden schlichtweg ausgeladen, weil wohl der
Kanzler wieder ein Machtwort sprechen wollte. Die Se-
niorenministerin hat sich in die Rente verabschiedet, be-
vor sie angefangen hat, überhaupt zu arbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dabei kann Politik für ältere Menschen, für Senioren

ein sehr weites Feld und ein sehr spannendes Arbeitsge-
biet sein. Diese Große Anfrage hat uns bestätigt, daß die
Lebenssituation der älteren Menschen, der Senioren von
ihnen selbst allgemein als gut beurteilt wird.

Wir werden in Deutschland alt und älter; die demo-
graphische Entwicklung zeigt dies auf. Sie wird auch
für uns in der Zukunft eine ganz besondere Herausforde-
rung sein. Im Jahre 2030 wird über ein Drittel der Ge-
samtbevölkerung über sechzig Jahre alt sein. Teilweise
leben schon heute fünf Generationen im Familienver-
band. Das ist Freude, aber das ist auch Arbeit für die
Politik.

Hier ist ganz besonders die Bundesregierung gefor-
dert. Warum haben wir eigentlich eine Seniorenministe-
rin, wenn an keiner Stelle irgendwelche Initiativen er-
griffen werden – ich komme nachher darauf zurück, was
an Seniorenpolitik von wem veranlaßt wurde – und
wenn man sich nicht um die Generation der Menschen
über sechzig Jahre – das ist die größte Bevölkerungs-
gruppe –, kümmert?

Unsere älteren, unsere alten Menschen betrachten
Alter durchaus als Chance. Sie haben eine gute Ausbil-
dung, und sie wollen sich in der Gesellschaft beteiligen.
Sie stehen mitten im Leben, mitten in der Gesellschaft.
Sie sind selbständig, aktiv und selbstbewußt. Sie wollen
sich selbst, aber auch die Welt entdecken. Und sie wol-
len ihr Wissen, ihre Lebenserfahrung an die nachfolgen-
den Generationen weitergeben.

Ein Großteil beteiligt sich ehrenamtlich. Wir haben
dies seinerzeit als Bundesregierung aufgegriffen und ha-
ben mit dem Bundesaltenplan und mit den Senioren-
büros, die wir Deutschland modellhaft in den alten und
neuen Bundesländern eingerichtet haben, den Senioren,
die sich aktiv in die Gesellschaft einbringen wollen, die
Chance eröffnet, dies auch zu tun. Unsere Senioren
übernehmen wertvolle Aufgaben in unserer Gesell-
schaft, und dabei sollten wir sie unterstützen.

Erstaunlich ist für mich, daß die älteren Menschen,
die Senioren, sich ihrer Stärke in der Gesellschaft zum
Beispiel auf Grund ihrer Kaufkraft noch nicht so be-
wußt geworden sind. Sie sind ein Wirtschaftsfaktor und
damit ein Machtfaktor, der in der Politik ernst genom-
men werden will und der auch in der Politik sein Wort
machen will.

Wir müssen uns für die Zukunft überlegen, ob die
Seniorenbeiräte in den Kommunen immer nur beratend
tätig sein können oder ob sich Senioren nicht wesentlich
aktiver in die Politik einbringen sollten und müßten, um
ihre eigenen Interessen zu vertreten.

Vizepräsidentin Anke Fuchs






(B)



(A) (C)



(D)


Ich sagte schon: Es leben heute innerhalb einer Fami-
lie teilweise fünf Generationen. Es gibt die jungen Al-
ten, die älteren Alten und die Senioren. Jeder Personen-
kreis braucht sein eigenes Politikfeld und braucht seine
eigene Zuwendung. Im Bundesaltenplan der vorigen
Bundesregierung ist dies sehr deutlich geworden.

Ältere Menschen und Senioren brauchen aber ganz
besonders Sicherheit für die finanzielle, für die soziale
Absicherung ihres Alters. In dieser Beziehung sind sie
von der neuen Bundesregierung komplett allein gelassen
worden. In jedem Feld – ich nenne hier die Gesund-
heitspolitik und die Gesundheitsreform, und ich nenne
ganz besonders die Rentenpolitik – werden diese Men-
schen verunsichert, und sie wissen nicht, wie die näch-
sten Lebensjahre und Lebensjahrzehnte aussehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Zuzahlungen!)


In der Antwort auf die Große Anfrage erklärt die Frau
Ministerin zu den Rentenstrukturreformen: Wir haben
ein wegweisendes Konzept vorgelegt, und bis Ende
1999 werden die Eckpunkte vorliegen. Wir hören per-
manent etwas von Eckpunkten. Jedes Kabinettsmitglied
hat da seine eigenen Vorstellungen. Das Schöne daran
ist: Sie werden immer lauthals draußen vorgetragen. Ich
selbst habe in meinem Wahlkreis ein Kabinettsmitglied,
das sogar handschriftlich an einen besorgten Rentner
schrieb, daß man selbstverständlich Garant für die net-
tolohnbezogene Rente sei und daß sich der Bundes-
kanzler persönlich dafür verbürge.

Nun hat sich dieser bei den Rentnern schon entschul-
digt; die Kabinettskollegin hat es bisher noch nicht ge-
tan. Aber sie hat noch die Chance, ihren Irrtum in die-
sem Punkt einzugestehen.

Ich bitte Sie: Nehmen Sie die Sorge, nehmen Sie die
Angst von den Rentnern weg, und beenden Sie die Viel-
stimmigkeit, die im Kabinett herrscht. Denn unsere älte-
ren und alten Menschen brauchen eines: Sie brauchen
Verläßlichkeit, und sie brauchen Sicherheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In der Großen Anfrage haben wir verschiedene Fra-

gen zur Wohnsituation der Älteren gestellt.

(Christa Lörcher [SPD]: Dazu gibt es den Altenbericht der Bundesregierung, wunderbar!)


– Wissen Sie, von wem der initiiert wurde? – Von der
alten Bundesregierung! Herzlichen Dank für dieses
Stichwort.

Wir müssen uns Gedanken über die Wohnsituation
der älteren Menschen machen; denn sie verbringen vier
Fünftel des Tages in ihrer Wohnung. Wir werden bei
guter Gesundheit alt und älter. Trotzdem sollte diese
Bundesregierung verstärkt dafür werben – wie es schon
die Vorgängerregierung getan hat –, daß man sich bei-
zeiten und bei guter Gesundheit bereits auf die nächste
Lebensphase einrichtet. Es sollte sichergestellt sein, daß
dann, wenn die Mobilität abnimmt, die Wohnung schon
entsprechend umgestaltet ist oder die Möglichkeit eines

Umzugs in ein Altenheim, das in der Nähe sein mag, be-
steht.

Noch die alte Bundesregierung hat ein Modellpro-
gramm „Selbstbestimmtes Wohnen im Alter“ aufgelegt
und ermöglicht, daß dessen Erkenntnisse in einer Daten-
bank festgehalten werden können. Ich wünsche mir, daß
dieses Modellprogramm der alten Bundesregierung aus-
gebaut wird und die Erkenntnisse, die in der Datenbank
gesammelt werden, an die Bundesländer bzw. an die
Kommunen weitergegeben werden.

Ich habe eben schon die Altenheime und Pflegeein-
richtungen angesprochen. Diese sind bestimmt für die
Menschen, die nicht mehr selbstbestimmt leben und
wohnen können und zu Hause nicht mehr durch Ver-
wandte oder Bekannte versorgt werden können. In den
Altenheimen und Pflegeeinrichtungen sind heute 67
Prozent der Menschen über 80 Jahre alt. Dieser Anteil
an Hochbetagten in den Pflegeeinrichtungen, von denen
ein großer Teil demenzkrank sind, wird noch zunehmen.
Diese Tatsache ist bedingt durch die Pflegeversicherung
und kennzeichnet einen guten Prozeß. Heute wird ein
Großteil der hilfsbedürftigen Alten zu Hause von Ver-
wandten, Bekannten und über die Sozialstationen ge-
pflegt. Die Inanspruchnahme eines Pflegeheimes ist eine
vernünftige Sache, wenn eine Versorgung zu Hause
nicht möglich ist.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sie wissen doch, daß die Demenzkrankheit von der Pflegeversicherung nicht gedeckt ist!)


– Ich finde es immer besonders pikant, wenn von der
PDS Zwischenrufe kommen, wenn es um Pflegeein-
richtungen geht. Ich selbst habe 1991 das erstemal Gele-
genheit gehabt, Altenpflege- und Behinderteneinrich-
tungen der ehemaligen DDR zu besuchen. Ich mußte
bitter erkennen, daß dieses alte System jeden „entsorg-
te“, der nicht mehr produktiv war.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch der Abg. Christel Hanewinckel [SPD])


Man nahm überhaupt keine Rücksicht darauf, ob es sich
um geistig Behinderte, Alkoholkranke oder alte pflege-
bedürftige Menschen handelte.

Seinerzeit war ich verantwortlich für 1 400 Pflegeein-
richtungen. Mittlerweile bin ich, Frau Hanewinckel, in
den unterschiedlichen Regionen der neuen Bundesländer
in vielleicht 250 Einrichtungen gewesen. Ich weiß, wo-
von ich rede. Ich weiß nicht, warum Sie von der SPD,
Frau Hanewinckel, das alte DDR-Regime verteidigen.
Ich hätte Ihnen gewünscht – –


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406906600
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hanewink-
kel?


Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1406906700
Ich
hätte zwar gerne noch den Satz beendet, aber selbstver-
ständlich.


(Abg. Eva Bulling-Schröter [PDS] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Hannelore Rönsch (Wiesbaden)







(A) (C)



(B) (D)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406906800
Jetzt besteht der
Wunsch nach zwei Zwischenfragen. Dann zuerst die
Kollegin von der PDS.


Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1406906900

Nein, der PDS gestatte ich keine Zwischenfrage.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen und Zurufe von der PDS – Dr. Klaus Grehn [PDS]: Dann sagen Sie, was „Entsorgung“ heißt!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406907000
Also erteile ich das
Wort zu einer Zwischenfrage der Kollegin Hanewinckel.


Christel Hanewinckel (SPD):
Rede ID: ID1406907100
Frau Rönsch, Sie ha-
ben sich dazu geäußert, daß es in den Altenpflegeheimen
der DDR zum Teil sehr schlimme Zustände gab. Das
weiß ich selber; denn ich habe zwölf Jahre lang in Halle
an der Saale als Pastorin für Klinikseelsorge auch dort
gearbeitet. Sind Sie bereit, den Begriff „Entsorgung“,
der vor allen Dingen Frauen trifft, die in den Altenhei-
men der DDR gearbeitet haben, zurückzunehmen, weil
Sie damit unterstellen, daß die Pflegekräfte offensicht-
lich nicht bereit und in der Lage waren, sich um alte
Menschen nach bestem Wissen und Gewissen zu küm-
mern? Letzteres haben sie nämlich getan.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Dies ist keine Entschuldigung für die schlechten bauli-
chen Zustände und für andere Mißstände. Diese waren
nur ein Spiegelbild von dem, wie es sonst in der DDR
aussah.


Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1406907200
Sehr
verehrte Frau Kollegin Hanewinckel, ich empfehle Ih-
nen, die entsprechende Stelle im Protokoll sehr genau
nachzulesen.


(Jörg Tauss [SPD]: Wir können gut hören!)

– Bei Ihnen bezweifle ich dies, weil Sie die meiste Zeit
im Parlament schreien.

Von der Frau Kollegin Hanewinckel hätte ich schon
erwartet, daß sie genau hinhört, weil es sich um eine
sehr sensible Stelle handelt. Ich wiederhole, daß das alte
DDR-System Menschen, die nicht mehr produktiv wa-
ren, „entsorgt“ hat. Ich habe hohen Respekt vor den
Männern und Frauen, die Pflegearbeit unter schwersten
Bedingungen und in Häusern geleistet haben, die als
Pflegeeinrichtungen – teilweise – überhaupt nicht geeig-
net waren.

Frau Hanewinckel, ich weiß, wovon ich rede. Ich ha-
be, wie gesagt, eine große Anzahl von Behinderten- und
Altenpflegeeinrichtungen in den neuen Bundeslän-
dern besucht. Ich habe erlebt, daß schwerstbehinderte
Kinder Bett an Bett mit 82jährigen und 84jährigen Frau-
en lagen, die selber schwerstpflegebedürftig waren. Ich
habe erlebt, daß Alkoholkranke mit alten, pflegebedürf-
tigen Männern Bett an Bett lagen. Ich hätte mir für die-
jenigen, die die Pflegearbeit geleistet haben und auch

noch heute leisten, andere bauliche Voraussetzungen
gewünscht.


(Renate Jäger [SPD]: Sie haben zehn Jahre nichts gemacht!)


– Hat jemand gerade gerufen, wir hätten zehn Jahre
nichts gemacht? Frau Kollegin, ist Ihnen bewußt, daß
aus der Pflegeversicherung 800 Millionen DM pro
Jahr über acht Jahre für Pflegeeinrichtungen in den neu-
en Bundesländern vorgesehen oder in diese geflossen
sind?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Haben Sie eine Ahnung, wie die Häuser heute aussehen?
Haben Sie schon einmal etwas von der Stiftung „Da-
heim im Heim“ gehört, in der sich Menschen aus der
alten Bundesrepublik organisiert haben, weil sie sich
verpflichtet fühlten, den Pflegeeinrichtungen in den
neuen Bundesländern zu helfen? Wenn Sie sich darum
einmal kümmern, dann werden Sie solche Zwischen-
rufe nicht mehr machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich möchte noch ganz kurz – auf Grund der vielen

Zwischenfragen kann ich darauf nicht mehr ausführ-
licher eingehen – auf die Situation der ausländischen
Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Bundesrepublik
eingehen. Es gibt heute 500 000 ältere und alte Men-
schen, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen in unser
Land gekommen sind. Über 90 Prozent dieser Menschen
hatten die Rückkehroption im Kopf. Deshalb haben sie
sich weder kulturell noch sprachlich bei uns integrieren
können und wollen. Aber jetzt sind sie bereit, in der
Bundesrepublik Deutschland zu bleiben, weil hier meh-
rere Generationen, ihre Kinder und ihre Enkel, leben.
Das Problem besteht nun darin, daß das Verhalten der
jüngeren Generationen der ausländischen Mitbürger dem
junger Deutscher entspricht. Sie leben in einer Drei-
zimmerwohnung und haben überhaupt keine Chance
mehr, den alten Menschen, der irgendwann aus dem fer-
nen Anatolien nach Deutschland gekommen ist, aufzu-
nehmen. Hier gibt es also ein großes Problem. Die alte
Bundesregierung –


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406907300
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1406907400
– ja –
hat begonnen, diesen älteren Menschen durch entspre-
chende Modellprojekte eine Perspektive in Deutschland
zu geben. Ich bitte Sie eindringlich: Kümmern Sie sich
um diese Menschen, weil sie besonders einsam sind.
Auch die alte Bundesregierung hat für diese Menschen
Modellprojekte auf den Weg gebracht. Ich würde mir
wünschen, Frau Staatssekretärin, daß Sie mir vier oder
fünf Modelle nennen, die während Ihrer Regierungszeit
entstanden sind; denn Seniorenpolitik ist mehr als das
Weiterschreiten auf alten Wegen. Auch die Kreativität
dieser Regierung ist gefragt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)







(B)



(A) (C)



(D)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406907500
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Dr. Grehn das Wort.


Dr. Klaus Grehn (PDS):
Rede ID: ID1406907600
Frau Kollegin Rönsch, Sie
haben sich einer Fragestellung aus der PDS verweigert
und waren nicht bereit, zu sagen, was Sie mit „Entsor-
gung“ meinen. Dieser Begriff ist eindeutig belegt. Ich
weise daher die Anwendung dieses Begriffes auf die
Alteneinrichtungen der ehemaligen DDR zurück. Sie
haben damit die Altenheime der Kirche genauso wie
die funktionierenden Einrichtungen, die staatlicherseits
betrieben worden sind, diffamiert. Ich selber war lange
genug ehrenamtlich in solchen Einrichtungen tätig.

Zweitens fordere ich Sie auf, zur Kenntnis zu neh-
men, daß es in den Alteneinrichtungen der Stadt Mün-
chen Fälle gab, in denen die Bewohner dieser Heime
kurz vor der Austrocknung standen, und daß wir dies
nicht als einen systembedingten Fehler, sondern als das
angesehen haben, was es ist: Gott sei Dank in aller Re-
gel ein Ausnahmefall, den es in der DDR sicher auch
gab.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406907700
Frau Kollegin
Rönsch, Sie wollen antworten? – Bitte sehr.


Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1406907800
Ich
habe durch diese Kurzintervention zur Kenntnis ge-
nommen, daß sich dieser Kollege der PDS offensichtlich
zu all dem bekennt, was die SED angerichtet hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Klaus Grehn [PDS]: Ich habe über die Kirche gesprochen, Frau Rönsch! – Zuruf von der PDS: Die hat wohl einen Hörschaden!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406907900
Jetzt erteile ich der
Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis
das Wort. Bitte sehr.


Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1406908000
Frau Präsidentin! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Das Internationale Jahr der
älteren Menschen ist eine gute Gelegenheit, im Deut-
schen Bundestag über die Situation der Seniorinnen und
Senioren zu debattieren.

Wir haben die Große Anfrage so beantwortet, daß ein
umfassendes Bild der Lebenssituation älterer Menschen
in Deutschland entstanden ist. Die Gruppe der
60jährigen und Älteren hat heute einen Anteil von gut
einem Fünftel an der Bevölkerung; dieser Anteil wird im
Jahr 2030 über ein Drittel betragen. Wir wissen nicht,
was im Jahr 2030 sein wird. Aber das ist auch nicht die
wesentliche Frage; denn der demographische Wandel
ist nicht nur eine zukünftige Entwicklung. Nein, wir sind
heute schon mittendrin, und das nicht erst, Frau Rönsch,
seit Rotgrün regiert. Das war auch vorher schon so.


(Beifall bei der SPD)


Insofern ist der Vorgang, daß die aus der Regierungs-
verantwortung abgewählte Fraktion der CDU/CSU ein
paar Monate nach dem Regierungsverlust diese umfang-
reichen Fragen an die neue Bundesregierung stellt,
schon bemerkenswert. Ihre Fragen zeigen nämlich, daß
Sie die Defizite gut kennen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie haben mit großer Sorgfalt alle Probleme älterer
Menschen zusammengetragen. Die Probleme sind Ihnen
also wohl bewußt. Allerdings bleibt dann die Frage,
warum Sie während Ihrer 16jährigen Regierungszeit
keine Abhilfe geschaffen haben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte es jedoch positiv wenden: Ihre Fragen
drücken eine gewisse Neugier darauf aus, wie wir die
Probleme, die uns die alte Bundesregierung hinterlassen
hat, nun wohl angehen werden.

Eine erfreuliche Ursache des demographischen Wan-
dels ist die Steigerung der Lebenserwartung. Hieraus
ergibt sich auch eine entscheidende Veränderung in
der Bevölkerungsstruktur: die Zunahme der Zahl der
Hochbetagten, also derer, die 80 Jahre alt und älter sind.
Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nimmt überpro-
portional zu. Allein von 1970 bis 1997 hat sich der An-
teil der zwischen 80 und 90 Jahre alten Personen von 1,8
Prozent auf 3,2 Prozent erhöht, der Anteil der über
90jährigen von 0,1 Prozent auf 0,5 Prozent. Mehr als
zwei Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner in Alten-
und Pflegeheimen sind bereits 80 Jahre alt und älter.

Diese Zahlen machen deutlich, wie groß die Spanne
der Lebensphase „Alter“ ist. Die Lebenssituation eines
60jährigen ist nicht mit der einer 90jährigen zu verglei-
chen. Auch wenn man die 70jährigen miteinander ver-
gleicht, stellt man fest, daß sie hinsichtlich ihrer Mög-
lichkeiten und Erwartungen höchst unterschiedlich sind.
Daraus folgt, daß wir es mit einem sehr differenzierten
Altersbild zu tun haben. Das ist die wahre Herausforde-
rung für eine gute Seniorenpolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nehmen wir einmal die aktiven Seniorinnen und Se-

nioren. Unsere Gesellschaft tut gut daran, ihr Engage-
ment zu suchen, ihr Erfahrungswissen und ihre Qualifi-
kationen zu nutzen. Dazu gehören das Ehrenamt, Mög-
lichkeiten zur Teilhabe, zur Partizipation ebenso wie der
Senior-Experten-Service. Ältere Menschen wollen sich
nicht zurückziehen. Ich denke, sie sollen sich auch nicht
zurückziehen. Die Wirtschaft und insbesondere die so-
ziale Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft können
von diesem Engagement nur profitieren.

Interessant finde ich in diesem Zusammenhang die
Frage der CDU/CSU, ob die Bundesregierung hinsicht-
lich des Senior-Experten-Services das Arbeitsförde-
rungsrecht ändern wird, weil – da haben Sie vollkom-
men recht – bei Arbeitslosen die zulässige Tätigkeit den






(A) (C)



(B) (D)


Umfang von 15 Stunden nicht übersteigen darf. Die
Einsatzzeit von älteren Arbeitslosen, die sich beim Seni-
or Expertenservice engagieren, ist in der Regel länger
als 15 Stunden.

Wir haben es also mit einer gesetzlichen Regelung zu
tun, die das Engagement älterer Arbeitsloser nicht för-
dert, sondern eher behindert. Aber, meine Damen und
Herren von der Opposition, ich finde diese Frage aus
Ihren Reihen schon mehr als erstaunlich. Schließlich
war es die Kohl-Regierung, die 1997 die zulässige
Stundenzahl von 18 auf 15 Stunden reduziert hat, ohne
an die besonderen Belange des Senior Expertenservices
zu denken. Sie rügen mit dieser Frage Ihre eigene Poli-
tik.


(Beifall bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Lächerlich!)


Weil Sie wissen wollen, wie es weitergeht: Wir wer-
den es sein, die im Rahmen der großen SGB-III-Reform
diese überfällige Änderung vornehmen. Das ist eine
wichtige Maßnahme, um Rahmenbedingungen zu schaf-
fen, die es den Älteren ermöglichen, sich und ihr Erfah-
rungspotential aktiv in unsere Gesellschaft einzubringen.
Das nutzt der Gesellschaft. Das nutzt aber auch den älte-
ren Menschen selbst. Sie haben so Gelegenheit, ihre Fä-
higkeiten bis ins hohe Lebensalter zu stärken und damit
auch zu erhalten.

Obwohl die Älteren beim Eintritt in die dritte Le-
bensphase heute gesünder, besser ausgebildet und mate-
riell bessergestellt sind, ist es eben nicht allen Menschen
möglich, ohne fremde Hilfe und Pflege zu leben. Derzeit
sind zirka 8 Prozent der über 60jährigen pflegebedürftig.
Aus demographischen Gründen wird in den nächsten
zehn bis 20 Jahren die Zahl der Pflegebedürftigen
überproportional steigen. Da muß unser Augenmerk ins-
besondere den Demenzkranken gelten.

Pflegearbeit geschieht zu Hause und in den Heimen.
Wenn ich an die Pflegeleistungen in den privaten Haus-
halten denke, die wertvoll und wichtig sind, möchte ich
gerne in Erinnerung rufen, daß die Pflegepersonen zu
Hause zu fast 80 Prozent die Frauen sind: Lebenspartne-
rinnen, Töchter und Schwiegertöchter. Ich erwähne dies,
weil dies täglich in den Wohnungen stattfindende Enga-
gement meines Erachtens nicht genügend öffentliche
Anerkennung findet. Das will ich ausdrücklich tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der zunehmende Pflegebedarf wirft natürlich auch
Fragen nach der Qualität, der konzeptionellen Weiter-
entwicklung von Alten- und Pflegeheimen auf. Lassen
Sie mich aus aktuellem Anlaß etwas zu Ihren Fragen
nach den Zivildienstleistenden in den Alten- und Pfle-
geheimen sagen.
Wir haben Ihnen geantwortet, daß 16 673 Zivildienstlei-
stende in Alten- und Pflegeheimen eingesetzt sind. Ich
bitte Sie, diese Zahl von 16 673 zur Kenntnis zu neh-
men, weil es nämlich aufhören muß, daß Sie als Oppo-
sition anstehende strukturelle Veränderungen im Zi-
vildienst – Verkürzung der Dauer und Steuerung der

Einberufungszahlen – fahrlässigerweise immer wieder
benutzen, um die älteren Menschen zu verunsichern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Sie machen das doch!)


Auch im nächsten Jahr werden im Jahresdurchschnitt,
Frau Eichhorn, 124 000 Zivildienstleistende einberufen.
Damit gibt es immer genügend Zivildienstleistende für
den sozialen Bereich und erst recht für die Alten- und
Pflegeheime.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie das, was Sie
jetzt schwarz auf weiß als Antwort auf die Große Anfra-
ge vorliegen haben, überall so vertreten würden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Dann fragen Sie mal die betroffenen Verbände!)


Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Pflege
wird die Sicherung ihrer Qualität weiterhin ein wichtiges
Thema sein. Wenn es bezüglich der Politik für ältere
Menschen einen Reformstau auf Grund der Politik der
alten Bundesregierung gibt, dann genau in diesem Be-
reich.

Ich bin sicher, daß wir in den meisten Heimen eine
gute Pflegequalität vorfinden, aber dennoch hören, se-
hen und lesen wir immer in den Medien, daß es zum
Teil erhebliche Pflegemängel gibt. Hier wird man die
Spreu vom Weizen trennen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Rahmenbedingungen für eine gute Pflege hängen
auch von unseren politischen Vorgaben ab. Die Situati-
on der Träger und die Situation des Personals sind davon
abhängig.

Gerade in diesem Zusammenhang hat sich die alte
Bundesregierung große Versäumnisse vorzuwerfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Seit über zehn Jahren reden wir davon, daß wir einen
anerkannten Beruf des Altenpflegers/der Altenpfle-
gerin brauchen und daß wir die Qualität der Ausbildung
bundesweit sichern müssen. Aber ein entsprechendes
Altenpflegegesetz hat die Kohl-Regierung nie vorgelegt.
Wir brauchten den Regierungswechsel, um die notwen-
dige bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung auf den
Weg zu bringen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)


Sie wissen: Die erste Lesung des Altenpflegegesetzes
hat bereits stattgefunden. Wer erinnert sich nicht, daß
Sie nahezu handstreichartig versucht haben, die Fach-
kraftquote zu kippen, als ob die Qualität der Pflege in
den Heimen unabhängig von der fachlichen Qualität des
Personals in den Heimen wäre! Ausreichend bemesse-
nes, gut qualifiziertes Personal ist die notwendige Vor-
aussetzung, um gute Pflege zu leisten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Edith Niehuis






(B)



(A) (C)



(D)


Wir wollen und wir brauchen verläßliche und diffe-
renzierte Kriterien für die Bemessung des Personalbe-
darfs in Heimen entsprechend der jeweils unterschiedli-
chen Pflegesituation. Darum bildet die Erprobung von
Verfahren zur Pflegezeit- und Personalbedarfsermittlung
in vollstationärer Pflege einen Schwerpunkt der Projekt-
förderung des Bundesministeriums für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend in dieser Legislaturperiode, Frau
Rönsch. – Sie hört nicht zu.


(Beifall bei der SPD)

Eine von mehreren Möglichkeiten ist das in Kanada

und der Westschweiz bereits eingesetzte „PLAISIR“-
Verfahren zur Pflegezeit- und Personalbedarfsermittlung
in der vollstationären Pflege. Wir werden dieses Verfah-
ren in Deutschland modellhaft erproben, weil es ein be-
merkenswertes Konzept ist, das die Bedürfnisse der
Menschen in den Vordergrund stellt.

Um die Bedürfnislage und den Schutz der Heimbe-
wohnerinnen und Heimbewohner geht es auch im
Heimgesetz. Es stammt aus dem Jahre 1974 und war
das früheste Qualitätssicherungsgesetz im Bereich Pfle-
ge. In diesen 25 Jahren hat sich die Situation der Heim-
bewohnerinnen und Heimbewohner, aber auch der Hei-
me verändert. Insofern ist es schon längst überfällig,
dieses Heimgesetz zu novellieren, Qualitätsstandards
anzupassen und Rechtsverordnungen zu aktualisieren.

Die alte Bundesregierung hat sich dieser Aufgabe
nicht gestellt, und wir werden dies nun tun müssen. In
der Tat ist die Novellierung des Heimgesetzes eine not-
wendige, wenn auch eine anspruchsvolle Aufgabe, weil
viele Bereiche voneinander abgegrenzt oder miteinander
verzahnt werden müssen. Gerade die Nachrichten über
Pflegemängel erfordern, daß wir die staatliche Aufsicht
über die Pflege intensivieren. Wer kann das besser als
die im Heimgesetz verankerte Heimaufsicht – als eine
unabhängige und nicht interessengeleitete Institution –
tun? Wir werden das Heimgesetz im Sinne einer Ver-
besserung des Verbraucherschutzes und der Qualitätssi-
cherung novellieren müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Leider haben Sie selbst wenig zur Verbesserung der
Qualität der Pflege beigetragen. Sie haben zwar in der
Tat viele Modellprojekte auf den Weg gebracht, aber an
die Gesetze sind Sie selten, wenn nicht sogar nie heran-
gegangen. Da auch Sie sich in Ihrer Großen Anfrage
Sorgen um die Qualität der Pflege machen, lade ich Sie
ein, diese politische Arbeit mit uns zusammen zu leisten.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406908100
Nun hat die Kollegin
Ina Lenke, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1406908200
Meine Damen und Herren! Lie-
be Kolleginnen und Kollegen! Die Seniorinnen und Se-
nioren erleben heute ihre dritte Lebensphase sehr aktiv.

Die Seniorinnen und Senioren sind heute Bürger, die ihr
Leben selbst in die Hand nehmen, gestalten und sehr
eigenwillig und sehr selbstbestimmt leben. Das wissen
wir alle. Ältere Menschen – ich hoffe, daß mir auch die
Regierungskoalition zustimmt – erwarten aber auch Ak-
zeptanz ihrer Lebensleistung, Achtung und Anerken-
nung von uns allen. Es ist sehr wichtig, daß wir das heute
im Bundestag den Seniorinnen und Senioren sagen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir besprechen heute die Große Anfrage der
CDU/CSU. Die F.D.P. bewertet es sehr positiv, daß die-
ses Thema einmal grundsätzlich im Bundestag erörtert
wird. Die Daten und Fakten, die wir bekommen haben,
sind eine gute Grundlage für die weitere Arbeit in die-
sem Bundestag. Die Zahlen belegen – das wissen wir
alle –, daß der Anteil der älteren Menschen immer wei-
ter steigt. Für unsere sozialen Sicherungssysteme ist das
ein Problem. Die Bürger erwarten von uns gewählten
Vertreterinnen und Vertretern natürlich auch handfeste
Lösungen und nicht nur Reden.

Die F.D.P. ist der Ansicht, daß zum Beispiel ein
65jähriger, der nicht mehr im Berufsleben steht, aber für
sein Alter finanziell vorgesorgt hat und sich guter Ge-
sundheit erfreut, keine direkten Hilfen des Staates benö-
tigt. Für die Rahmenbedingungen der staatlichen Alters-
versorgung ist natürlich der Staat, dieses Parlament, ver-
antwortlich. Hier hat leider – das sage ich gerade als
Oppositionspolitikerin – die rotgrüne Mehrheit den
Rentnerinnen und Rentnern mehr Unsicherheit als Si-
cherheit gebracht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Mehr Geld, aber nicht mehr Unsicherheit!)


Wie oft werde ich gefragt: Ist meine Rente eigentlich
noch sicher? Die heutigen Rentner kann ich da nur beru-
higen, weil ein neues Rentenreformgesetz, wenn es denn
kommen sollte, natürlich erst in zehn oder fünfzehn Jah-
ren greifen wird.


(Susanne Kastner [SPD]: Die Rentner haben es längst begriffen!)


Meine Damen und Herren, die Verantwortung des
Staates und besonders unsere Verantwortung als Parla-
mentarier liegt darin, daß wir Lösungen finden, mit de-
nen wir unsere sozialen Sicherungssysteme und auch die
Rente zukunftsfest machen können. Die F.D.P. als libe-
rale Partei will mehr Vielfalt und Eigenverantwortung
und dadurch auch mehr Sicherheit in das System brin-
gen. Neben den Regelungen für bisher aktive Seniorin-
nen und Senioren müssen wir auch an Alte und Schwa-
che in unserer Gesellschaft denken, für die andere Ge-
setze sehr wichtig sind. Die F.D.P. hat 1995 für die Ein-
führung der Pflegeversicherung gestimmt. Diese ge-
setzliche Regelung hat auch Wirkung gezeigt: Zum
einen bleiben mehr pflegebedürftige Menschen in ihren
Familien, zum anderen nehmen Pflegebedürftige auf
Grund der Leistungen der Pflegeversicherung seltener
Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch. Vor dem Hin-
tergrund, daß viele alte Menschen Probleme und
Schwierigkeiten damit haben, Sozialhilfe in Anspruch

Edith Niehuis






(A) (C)



(B) (D)


zu nehmen, erfüllt die Pflegeversicherung auch hier eine
wichtige Aufgabe.

Auch die F.D.P. weiß natürlich, daß auf Grund der
demographischen Entwicklung der Anteil der Pflegebe-
dürftigen langfristig steigen wird und wir auf Grund sin-
kender Zahlen von Arbeitnehmern rückläufige Bei-
tragseinnahmen in der Pflegeversicherung verzeichnen
werden. Aus der Sicht der F.D.P. müssen auch hier
rechtzeitig die Weichen für eine ergänzende Eigenvor-
sorge in Form der Kapitaldeckung gestellt werden. Die
F.D.P. wird sich in dieser Legislaturperiode noch mit
diesem Thema beschäftigen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, ich komme zu einem

wichtigen Punkt, den auch eine meiner Vorrednerinnen
angesprochen hat. Die eigene Wohnung ist für Senioren
und Seniorinnen besonders wichtig, denn Senioren
verbringen mehr Zeit in ihren eigenen vier Wänden als
junge Menschen. Die Bundesrepublik Deutschland hat
aber in bezug auf altengerechtes Wohnen keine Vor-
bildfunktion. Wenn man sich Dänemark und Holland
zum Vergleich ansieht, dann kann man einfach nur fest-
stellen, daß diese weiter sind. Soweit mir bekannt ist,
werden in Dänemark die Wohnungen im Erdgeschoß
grundsätzlich barrierefrei gebaut. Dort stehen mehr älte-
ren Menschen und auch Behinderten die Türen offen.
Von daher sehe ich auch hier Handlungsbedarf.


(Susanne Kastner [SPD]: Hättet ihr längst regeln können! Warum habt ihr es nicht getan?)


Ich komme nun zu neuen Wohnformen im Alter. Wir
sollten ein hohes Augenmerk auf private Wohngemein-
schaften legen. Sie müssen mehr propagiert und geför-
dert werden. Dazu müssen in diesem Bereich einige
rechtliche Rahmenbedingungen geändert werden. Bei
uns gibt es ja das Bundesforum „Gemeinschaftliches
Wohnen im Alter“, das dazu bereits wegweisende Vor-
schläge gemacht hat. Ziel der F.D.P. ist es, daß alte
Menschen im Alltag selbstbestimmt wohnen und leben
können. Das ist von elementarer Wichtigkeit. Dafür set-
zen wir uns ein.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Seit vielen Jahren – ich komme jetzt auf einen weite-
ren Punkt zu sprechen – drängt die F.D.P. auf ein Al-
tenpflegegesetz. Deshalb begrüßen wir es, daß im Deut-
schen Bundestag nun ein neuer Anlauf unternommen
wird, die fast unendliche Geschichte dieses Gesetzes
zum Abschluß zu bringen. Seit Mitte der 80er Jahre wird
versucht, ein Altenpflegegesetz zu verabschieden. Ich
habe gehört – ich bin ja neu in den Bundestag gekom-
men –, daß die Blockadehaltung Bayerns das verhindert
habe. Ich habe eben aber auch gehört, daß ebenso die
Blockadehaltung Hessens dazu beigetragen habe.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Wer hat denn da wohl regiert? Das war doch der Finanzminister! – Arne Fuhrmann [SPD]: Da sehen Sie mal, welchen Irrsinn die verbreiten! – Susanne Kastner [SPD]: Hessen war kein Blockadeland!)


– Sie können gerne – das habe ich eben von der CDU
gehört – etwas dazu sagen. Aber ich bleibe dabei: Bay-
ern hat vieles verhindert. Wir werden uns das Altenpfle-
gegesetz genau ansehen müssen. Ich hoffe, daß wir in
den Ausschüssen nicht betonmäßig – hier die Regierung,
dort die Opposition – über dieses Gesetz beraten, son-
dern daß es auch Vorschläge der Opposition gibt, die
von Ihnen freundlicherweise, wenn Sie sie für gut hal-
ten, unterstützt werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, ich will noch einmal kurz

auf die Altersvorsorge zu sprechen kommen. Ich habe
in der Antwort der Bundesregierung auf die Große An-
frage mit Freude gesehen, daß in der Tabelle 7 auf Seite
12 sehr deutlich gezeigt wird, daß die Menschen für ihr
Alter schon heute auf vielfältige Art und Weise vorsor-
gen. Neben der gesetzlichen Rente, neben der Beamten-
versorgung und der Zusatzversorgung im öffentlichen
Dienst haben sie sich schon immer ein Standbein ge-
sucht. Das ist einmal ein zusätzliches Erwerbseinkom-
men – aus welchen Gründen auch immer; es muß nicht
immer das Finanzielle sein –, das sind die Einkünfte aus
Vermietung und Verpachtung und andere Einkünfte. Die
Tabelle zeigt, daß hier schon zu einem großen Teil vor-
gesorgt wurde. Hier zeigt sich, daß die Menschen die
dritte Säule der Altersversorgung, die private Vorsorge
neben der staatlichen, als sehr wichtig ansehen.

Jetzt möchte ich noch einmal auf die Regierung und
die These der F.D.P. zu sprechen kommen, daß die Frei-
räume auch in Zukunft gegeben sein müssen, daß jeder
für seine Altersvorsorge in vielfältigster Art und Weise
selber sorgen muß. Ich muß sagen, diese Koalition mar-
schiert da in die falsche Richtung.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie haben die Einschränkungen bei Vermietung und
Verpachtung, die Neubewertung des Wohneigentums im
Erbschaftsteuerrecht vor, Sie wollen die Gewinnanteile
der Lebensversicherungen mit Kapitalwahlrecht ver-
steuern. Sie wissen alle, daß wir bei 80 Millionen Le-
bensversicherungsverträgen eine in der dritten Säule
wirklich wichtige Art der privaten Vorsorge haben. Ich
finde es nicht gut, wenn Sie den Menschen einen ganz
bestimmten Vorsorgestempel aufdrücken. Sie sollten
noch einmal darüber nachdenken, wie bei der Absiche-
rung aller Bürger in der Bundesrepublik die Vielfalt er-
halten bleiben kann.

Wir als F.D.P. sind immer für Vielfalt und zeigen
auch in unserem Konzept


(Beifall bei der F.D.P.)

die liberalen Grundzüge für eine dauerhafte, zukunftsfe-
ste Alterssicherung auf. Ich will mich dabei etwas kurz
halten und nur sagen, daß nach unserem Konzept die
teilweise Ablösung der umlagefinanzierten gesetzlichen
Rentenversicherung zugunsten des Ausbaus der Vermö-
gensbildung natürlich auch eine Entlastung schaffen soll,
damit der demographischen Entwicklung und der verän-
derten Arbeitsbiographien Rechnung getragen wird.


(Beifall bei der F.D.P.)


Ina Lenke






(B)



(A) (C)



(D)


Wir wollen – das wollen Sie sicher auch – die betriebli-
che und natürlich auch die private Altersvorsorge zu
echten Säulen der Alterssicherung machen.

Ich denke, daß auf das Parlament im Zusammenhang
mit der künftigen Rentenreform schwierige Aufgaben
zukommen, um einen gerechten Ausgleich zwischen
den Generationen zu schaffen. Ich höre von vielen Ju-
gendlichen, daß sie hinsichtlich der gesetzlichen Rente
das Gefühl haben, zu kurz zu kommen, und daß auf
ihrem Rücken auch künftige Rentner finanziert werden.
Da müssen beide Teile erreichen, daß es zu keinem Ge-
nerationenkonflikt kommt. Hier müssen wir wirklich
einiges tun.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dirk Niebel [F.D.P.]: Deshalb haben wir auch die Generationenbilanz beantragt!)


– Ja, Herr Niebel sagt es. Dann will ich auch noch kurz
dazu kommen.

Sie haben einen Antrag der F.D.P.-Bundestagsfrak-
tion vorliegen, in dem die Vorlage einer Generationen-
bilanz gefordert wird. Wir wollen erstens, daß die Re-
gierung jährlich eine Generationenbilanz vorlegt, um die
Lasten abzuschöpfen, die sich aus der Finanzwirtschaft
des Staates für gegenwärtig und zukünftig lebende Ge-
nerationen ergeben. Zweitens. Wir wollen alle wichtigen
steuer- und sozialpolitischen Reformvorhaben hinsicht-
lich ihrer Nachhaltigkeit mit Hilfe dieses Konzeptes
überprüfen.


(Kurt Bodewig [SPD]: Sie wissen doch, wie manipulierbar so etwas ist!)


Drittens. Wir wollen diese Bilanz in die offizielle Haus-
haltsstatistik des Bundes aufnehmen, um damit einen
langfristigen Indikator für die gegenwärtigen und zu-
künftigen Zahlungsverpflichtungen des Staates und sei-
ner Bürgerinnen und Bürgern zu erhalten.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Her Riester hat das übrigens auch befürwortet!)


Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum
Schluß eine persönliche Bemerkung. Ich will mich im
Namen der F.D.P.-Fraktion bei allen Seniorinnen und
Senioren bedanken, die sich in unserer Gesellschaft eh-
renamtlich, auch politisch, engagieren.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich hatte das Glück, in einem Mehr-Generationen-
Haushalt aufzuwachsen. Unsere Gesellschaft ist doch
auf die Lebenserfahrungen unserer älteren Mitbürger
angewiesen. Wir brauchen diese Erfahrungen. Ich sage
den Seniorinnen und Senioren: Lassen Sie uns gemein-
sam die Zukunft gestalten!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406908300
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich das Wort der Abgeordneten Niehuis.


Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1406908400
Frau Kollegin Lenke, da-
mit dieser sachliche Fehler nicht im Bundestagsproto-
koll stehenbleibt, möchte ich folgende Anmerkung ma-
chen. Sie haben zu Recht gesagt, daß die bundeseinheit-
liche Altenpflegeausbildung seit mehr als zehn Jahren
überfällig ist. Sie haben ebenfalls zu Recht gesagt, daß
dies daran lag, daß der Freistaat Bayern Regelungen für
eine bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung massiv
verhindert hat. Sie haben weiterhin gesagt, daß Sie vom
Hörensagen wissen, auch das Land Hessen hätte daran
einen Anteil. Dies ist aber falsch, weil die rotgrüne Lan-
desregierung Hessens Gesetzentwürfe zur bundesein-
heitlichen Regelung der Altenpflegeausbildung im Bun-
desrat eingebracht hat. Seit Hessen einen Regierungs-
wechsel hatte und nicht mehr sozialdemokratisch regiert
wird, hat sich dies leider geändert.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Das ist ja nicht zu glauben!)


Ich bin mir daher nicht sicher, ob Hessen weiterhin ein
Gesetz zur bundeseinheitlichen Altenpflegeausbildung
will.


(Beifall bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406908500
Frau Kollegin
Rönsch will antworten. Bitte sehr.


(Susanne Kastner [SPD]: Das geht nicht!)



Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1406908600
Ich
will gar nicht antworten. Ich möchte eine Kurzinterven-
tion machen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406908700
Richtig, nur Frau
Lenke kann antworten.

Frau Kollegin Rönsch hat jetzt das Wort zu einer
Kurzintervention. Bitte sehr.


Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1406908800
Ich
habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet, weil die
Frau Staatssekretärin über die Historie dieses Gesetzes
hinsichtlich der Altenpflege offensichtlich falsche Aus-
künfte gibt. Es bedarf also einer Richtigstellung.

Es trifft zu, daß ich in meiner Amtszeit vollmundig
erklärt habe, daß ich dieses Gesetz auf den Weg bringen
würde. Ich bin einmal an Bayern gescheitert, weil Bay-
ern seine Kulturhoheit betonte und der Meinung war,
daß dort besser als anderswo ausgebildet werde. Deshalb
war Bayern gegen eine Vereinheitlichung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Selbstverständlich!)


Ich bin zum anderen an Hessen gescheitert. Das war
1993, Frau Staatssekretärin. Bitte hören Sie zu, damit
Sie diese Tatsache das nächste Mal wissen! Der damali-
ge Ministerpräsident Eichel hat bei einem Kaminge-
spräch, das offensichtlich immer vor Bundesratssitzun-
gen stattfindet, seine Zustimmung plötzlich zurückgezo-
gen. Bayern stand mit seiner Ablehnung nicht mehr al-

Ina Lenke






(A) (C)



(B) (D)


leine da, sondern wurde von der alten Landesregierung
unter Hans Eichel in diesem Punkt unterstützt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Also so ist das!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406908900
Eigentlich hätte jetzt
Frau Kollegin Lenke das Wort zur Erwiderung. Aber sie
will nicht.

Es ist jetzt etwas am Rande der Geschäftsordnung,
aber wir vereinbaren, daß Frau Niehuis noch einmal
antworten darf.

Ich könnte zu der Geschichte der Altenpflegeausbil-
dung übrigens auch selbst etwas sagen. Ich könnte zum
Beispiel sagen, wer alles dagegen und daß kaum jemand
dafür war; ich darf es aber nicht, weil ich in dieser De-
batte Präsidentin bin.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Niehuis, bitte sehr.


Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1406909000
Frau Präsidentin, ich ma-
che es ganz kurz. Ich beziehe mich nicht auf irgendwel-
che Kamingespräche hinter verschlossenen Türen, son-
dern auf eine Drucksache des Bundesrates aus der letz-
ten Legislaturperiode, die einem entsprechenden Antrag
des Landes Hessen enthält. Ich kann also nachweisen,
was ich hier behaupte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406909100
Nun hat das Wort
die Kollegin Irmgard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Frau Rönsch, ich war über die Große Anfrage
der CDU/CSU schon ziemlich erstaunt, weil ich der
Meinung war, in dem 900 Seiten umfassenden Bericht
der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“,
dessen Vorsitzender Herr Link aus Ihrer Fraktion war,
standen all die Ergebnisse, die jetzt zusammengetragen
wurden. Deshalb fragte ich nach der Motivation. Mir fiel
in diesem Zusammenhang nur ein, daß es ein Beschäfti-
gungsprogramm für die Regierung sein könnte. Oder
was sollte das sonst sein?


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Die sollten mal was tun!)


Die Lebenssituation der alten Menschen in unserer
Gesellschaft zeigt ein sehr differenziertes Bild. Da gibt
es zum einen die große Zahl von Jet-settern, die ihre
Wintertage auf dem sonnigen Mallorca verbringen. Zum
anderen gibt es aber auch Menschen, die nicht wissen,
wie sie über die Runden kommen sollen. Billige Wurst-
und Fleischkonserven gehören zu ihren Tagesrationen.
Ihre Renten reichen gerade zum Überleben. Den Gang
zum Sozialamt scheuen viele. Scham und die Furcht,
daß ihre Kinder zahlen müssen, sind die Gründe dafür.

Glücklicherweise – das zeigt auch dieser Bericht –
nimmt ihre Zahl ab. Trotzdem ist es ein Gebot der Stun-
de, den Menschen, deren Rente unter dem Existenzmi-
nimum liegt, eine Grundsicherung für das Alter zu ge-
währen. Dies werden wir noch in dieser Legislaturperi-
ode verwirklichen, damit die verschämte Armut endlich
ein Ende findet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


An dieser Stelle möchte ich auch ausdrücklich die
hier lebenden Migrantinnen und Migranten erwähnen,
von denen in zehn Jahren – Frau Rönsch hat es ange-
kündigt – über 1 Million hier in Rente gehen werden.
Für diese brauchen wir ganz dringend eine soziale Si-
cherung, damit auch sie ihre Würde im Alter behalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Das ausdifferenzierte Bild der heutigen alten Men-
schen wird sich um ein Vielfaches potenzieren, wenn die
demographische Veränderung weiter Fuß faßt und die
durchschnittliche Lebenserwartung, wie wir wissen, je-
des Jahr um ein Vierteljahr steigt. Neue Lebensstile, Le-
bensformen und auch Handlungsfelder entstehen. Wün-
schen und Bedürfnissen der älteren Generation ist dann
mehr Rechnung zu tragen.

Aber auch die Jungen dürfen in diesem quantitativen
Ungleichgewicht nicht zu kurz kommen. Denn sie wer-
den in einer alternden Gesellschaft zahlenmäßig unterle-
gen sein. Schon in der Rentenversicherung zeigt sich
dies deutlich. Während heute über den Generationen-
vertrag 27 Beitragszahlende zehn Rentner und Rentne-
rinnen finanzieren, werden es in 35 Jahren nur noch 13
Zahler und Zahlerinnen sein. Allein diese Zahl zeigt,
daß ein solidarisches Miteinander der Generationen und
eine Generationengerechtigkeit das zentrale Anliegen
der Politik sein müssen. Die alten Menschen sind dazu
doch auch bereit. Viele unterstützen schon jetzt ihre En-
kelkinder. Hieran sollten wir anknüpfen.

Dabei finde ich es, ehrlich gesagt, sehr schäbig, wenn
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ver-
suchen, die alten Menschen zu verunsichern und zu äng-
stigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wer verunsichert? Sie durch Ihre Politik!)


Die demographische Entwicklung stellt aber auch ei-
ne große Herausforderung hinsichtlich der angemesse-
nen Versorgung älterer Menschen mit Wohnraum und
Pflegediensten dar. Die bestehenden Formen des alters-
gerechten Wohnens müssen weiter ausgebaut werden,
da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Frau Lenke. Das
Beispiel Dänemark ist ein Vorbild für uns. Ich begrüße
daher auch das Modellprojekt „Selbstbestimmt Wohnen
im Alter“, das Ministerin Bergmann auf den Weg ge-
bracht hat.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Wer hat es auf den Weg gebracht?)


Hannelore Rönsch (Wiesbaden)







(B)



(A) (C)



(D)


Dieses Vorhaben wird es uns erleichtern, eine Vielzahl
von individuellen Wohnformen und Pflegemöglichkei-
ten zu schaffen. Das Modell des klassischen Altenheims
muß endlich der Vergangenheit angehören. Alte Men-
schen wollen in ihrer gewohnten und angestammten
Nachbarschaft wohnen bleiben.


(Unruhe bei der CDU/CSU)

– Frau Präsidentin, ich kann hier sehr schlecht reden; es
ist sehr laut.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406909200
Es war schon lauter.
Aber Sie haben recht.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie zuzuhören
und die Gespräche zu unterlassen. Es ist auch unhöflich,
wenn insbesondere die Herren der Schöpfung der Kolle-
gin nicht zuhören.

Bitte sehr, Frau Kollegin.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ein Umzug notwendig wird, dann möchten die-
se alten Menschen in ihrer eigenen Häuslichkeit bleiben.
Hierzu bedarf es einer Reihe von Hilfen im Bereich der
Wohnraumberatung oder auch Wohnraumanpassung.
Aber wir benötigen auch neue Pflege- und Betreuungs-
formen für alte Menschen und Möglichkeiten des gene-
rationenübergreifenden Wohnens. Wohngruppen und
betreutes Wohnen gehören zu den zukunftsfähigen
Wohnprojekten. Der Umzug in eine stationäre Einrich-
tung der Altenhilfe sollte nur als Ultima ratio angesehen
werden.

Neue Wohnformen müssen künftig viel stärker geför-
dert werden, beispielsweise im Rahmen des sozialen
Wohnungsbaus. Damit ältere Menschen mit jüngeren ei-
ne Sozialwohnung beziehen können bzw. zwei Frauen
oder zwei Männer ihre Wohnberechtigungsscheine zu-
sammenlegen können, um eine größere Sozialwohnung
zu erhalten, ist es notwendig, daß wir den konservativen
Ehe- und Familienbegriff endlich mit dem Restmüll ent-
sorgen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Es ist nicht einzusehen, warum nur Eheleute ein Anrecht
auf eine gemeinsame Sozialwohnung haben sollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Wohn-
geldnovelle der rotgrünen Bundesregierung wird die
Leistungsfähigkeit des Wohngeldes noch in dieser Le-
gislaturperiode insgesamt verbessert.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Der Satz lohnt, wiederholt zu werden!)


Damit werden zukünftig mehr bedürftige Rentnerinnen
und Rentner Wohngeld in ausreichendem Maße erhal-
ten.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Abwarten!)

Aber auch in den Heimen muß sich eine Menge än-

dern. Dazu gehört, daß die meines Erachtens menschen-

unwürdigen Vorschriften in der Heimmindestbauver-
ordnung geändert werden: 12 Quadratmeter pro Person,
das ist ein Skandal. Das kann so nicht bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Auch entsprechend qualifiziertes Personal ist drin-
gend notwendig. Mit dem Vorhaben, eine bundesein-
heitliche Altenpflegeausbildung zu verankern, kommt
die Bundesregierung diesem Schritt ein ganzes Stück
näher.

Das gilt im übrigen auch für die Novellierung des
Heimgesetzes. Diese hat zum Ziel: eine bessere Zu-
sammenarbeit zwischen Pflegekassen und Heimaufsicht,
eine bessere Heimüberwachung, auch durch unangemel-
dete Kontrollen – dann kann das, was in Bayern passiert
ist, nicht mehr passieren –, mehr Transparenz bei Ent-
gelten und Leistungen des Heimes und eine verstärkte
Mitwirkung der Heimbewohner.

Durch die zunehmende Zahl alleinlebender Menschen
ohne Angehörige – das werden im Jahre 2030 13 Mil-
lionen sein – nimmt die Zahl derjenigen zu, die eine
Pflege außerhalb der Familie benötigen. Die Antwort
der Bundesregierung hat gezeigt, daß bis heute die
häusliche Pflege alter Menschen überwiegend von Frau-
en erbracht wird, von Lebenspartnerinnen, Töchtern
oder Schwiegertöchtern. Fast zu 80 Prozent werden die
in privaten Haushalten erbrachten Pflegeleistungen von
Frauen durchgeführt. Viele Frauen zwischen 50 und 65
Jahren erbringen diese Leistung nach dem sogenannten
Sandwichsystem. Das heißt, sie pflegen die Generation
vor ihnen und die Generation nach ihnen, die Eltern und
die Enkelkinder. Diese Doppel- und Dreifachbelastung
dürfen wir nicht länger auf den Schultern der Frauen
abladen. Hier brauchen sie unsere Unterstützung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Durch die vermehrte Erwerbstätigkeit junger Frauen
kann künftig nicht mehr darauf vertraut werden, daß
Frauen weiterhin die ihnen zugewiesenen familiären
Pflichten in diesem Ausmaß erledigen. Pflegedienste
werden noch weit mehr zum Einsatz kommen müssen.
Deshalb müssen wir schon jetzt an einen Ausbau sozia-
ler Dienste und professioneller Hilfen denken. Das wird
sich natürlich nicht ohne Auswirkung auf die Pflegever-
sicherung machen lassen. Von daher sind alle Forderun-
gen der Opposition, der Pflegeversicherung die Rückla-
gen zu entnehmen oder deren Beitragssätze zu senken,
unseriös und werden von uns abgelehnt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind doch unseriös!)


Nun zu einer weiteren Gruppe alter Menschen, die
unserer besonderen Aufmerksamkeit bedarf, zu den
Demenzkranken. Was die ganzheitliche Betreuung
demenzkranker Menschen betrifft, geht der Bedarf weit
über das hinaus, was im Rahmen der Pflegeversicherung
als Leistung gewährt wird.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!)


Irmingard Schewe-Gerigk






(A) (C)



(B) (D)


Es wird unerläßlich sein, eine Nachbesserung der Pfle-
geversicherung in bezug auf die Einteilung der Pflege-
stufen sowie in bezug auf die Definition des Pflegebe-
griffes vorzunehmen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!)

Meine Damen und Herren, die Antwort der Bundes-

regierung hat ein umfassendes Bild über die Situation
der alten Menschen in dieser Gesellschaft gezeichnet.
Dort, wo Handlungsbedarf ermittelt wurde, hat die Bun-
desregierung erste Maßnahmen eingeleitet, die in den
kommenden Monaten hier im Plenum beraten werden.
Trotzdem können wir uns nicht zufrieden zurücklehnen.
Denn die Verwirklichung einer Gesellschaft, die allen
Bevölkerungsgruppen und allen Generationen gerecht
wird, ist ein ständiger Auftrag für alle, auch für die Po-
litik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406909300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Ilja Seifert, PDS-Fraktion.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406909400
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Kurz bevor es zu Ende geht, führt der
Bundestag eine Debatte zum Jahr der Seniorinnen und
Senioren durch. Ich finde das wichtig und gut. Die Bot-
schaft, die von dieser Debatte ausgehen sollte, ist, daß
Menschen in jedem Lebensalter aktiv an der Gesell-
schaft teilhaben können und, wenn sie dafür entspre-
chende Hilfe brauchen, diese von der Gesellschaft be-
kommen.

Leider muß ich sagen, daß es bei Kollegin Rönsch auf
den Zwischenruf hin, daß sie doch wisse, daß die Pfle-
geversicherung für demente Menschen überhaupt nicht
aufkomme, zu einer Entgleisung kam, die ich so nicht
stehenlassen kann. Sie hat gesagt, daß Menschen, die
nicht produktiv gewesen seien, in der DDR „entsorgt“
worden seien. Sie hat auch mehrfach gesagt, daß sie bei
dieser Aussage bleibe.

Die Mißstände, die sie angeprangert hat, habe ich
schon zu DDR-Zeiten kritisiert. Menschen wurden un-
freiwillig in einem Zimmer untergebracht, zum Beispiel
junge behinderte und alte demente Menschen. Das war
nicht in Ordnung; das ist keine Frage. Aber von „Ent-
sorgung“ zu sprechen, einen Begriff der Nazis zu benut-
zen, die Juden vergast und Menschen im Rahmen eines
Euthanasieprogramms getötet haben, ist diesem Hause
und der Sache, um die es ihr ging, in keiner Weise an-
gemessen.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Welches Gedankengut die im Kopf hat! Die Sprache drückt aus, was sie denkt!)


Lassen Sie mich zum eigentlichen Thema dieser De-
batte zurückkommen. Die Menschen jeden Alters, vom
kleinsten Kind bis zur ältesten Seniorin, zum ältesten
Senior, haben das Recht, aktiv und inmitten der Gesell-

schaft leben zu können und am Leben der Gesellschaft
so teilzuhaben, wie sie es sich wünschen. Insofern spie-
len Seniorinnen und Senioren keine Sonderrolle. Sie ha-
ben nur eine andere Lebenserfahrung als Jüngere. Diese
Lebenserfahrung, dieser große Schatz, den einzubringen
sie bereit sind und um den anzunehmen wir uns regel-
recht drängeln sollten, ist eine Chance für uns.

Ich habe kein Verständnis dafür, daß das öffentliche
Bild, zum Beispiel durch die Werbung, von einem Ju-
gendkult geprägt ist, daß so getan wird, als sei es eine
Schande, alt zu sein.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Gegenteil: Sehen Sie sich doch einmal an, wie das
Leben wirklich ist! Enkel und Großeltern haben häufig
ein wesentlich besseres Verhältnis als Kinder und El-
tern.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das ist schon seit Generationen so!)


– Das ist seit Generationen so; ich nehme an, daß es
auch noch Generationen so sein wird. – Nutzen wir doch
die Chance der aktiven Teilhabe von Menschen im jun-
gen und im hohen Alter am Leben unserer Gemein-
schaft!

Ich hatte eigentlich nicht vor, über die strukturelle
Gewalt auch gegen Menschen im Alter zu reden. Aber
nach diesem Verlauf der Debatte muß ich es leider doch
tun. Es ist noch kein halbes Jahr her, seit in Bonn im
Rahmen der Aktion gegen Gewalt in der Pflege die Si-
tuation in den westlichen Altenheimen angeprangert
wurde; die Kollegin Schewe-Gerigk hat dies gerade an-
gesprochen. Unter anderem in München werden Men-
schen mit „pflegeerleichternden Maßnahmen“ gepeinigt.
Wenn jemand nicht weiß, was das ist, will ich es erklä-
ren: Zum Beispiel werden ihnen Pampers angezogen,
damit sie nicht so oft auf die Toilette gebracht werden
müssen. Ihnen wird nicht genügend zu trinken gegeben,
so daß sie austrocknen. Dies ist in diesem Land passiert,
nicht in der untergegangenen DDR.


(V o r s i t z : Vizepräsident Rudolf Seiters)

Wir müssen die strukturelle Gewalt in den großen

Einrichtungen verhindern. Wenn also in Alten- und
Pflegeeinrichtungen investiert werden soll, dann bitte in
kleine, überschaubare Einrichtungen, Einrichtungen mit
einem Regime, das in jeder Hinsicht transparent und of-
fen ist sowohl für Besucherinnen und Besucher als auch
für die Bewohnerinnen und Bewohner, wo sie hinaus –
und hineinkönnen, wann immer sie wollen, wenn nötig,
auch mit Hilfe.


(Beifall bei der PDS)

Die Situation älterer Menschen ist durch zwei Fakto-

ren gekennzeichnet: Zum einen wird die Gesellschaft als
Ganzes im Durchschnitt älter – das ist statistisch nach-
weisbar –, zum anderen werden einzelne Menschen äl-
ter. Sie empfinden sich nicht als Teil des Durchschnitts,
sondern als Individuen. Diese Individuen finden im Al-
ter vielfältige Möglichkeiten der aktiven Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben.

Irmingard Schewe-Gerigk






(B)



(A) (C)



(D)


Hier ist schon mehrfach über das Ehrenamt gespro-
chen worden. Das ist eine sehr wichtige Form dieser
Teilhabe. Ich finde aber: Wir dürfen das Ehrenamt nicht
dazu verkommen lassen, daß Menschen die Arbeit um-
sonst leisten, die sich der Staat nicht mehr leisten will.
Wenn Ehrenamt, dann, bitte schön, soll dessen Wahr-
nehmung auch denjenigen älteren Menschen möglich
sein, die eine geringe Rente beziehen und die es sich
nicht leisten können, einen Teil ihres geringen Einkom-
mens in die ehrenamtliche Arbeit zu stecken. Auf-
wandsentschädigungen, Telefonkosten, Reisekosten und
dergleichen mehr müssen angemessen bezahlt werden.
Ich finde, wir bräuchten ein Gesetz über das Ehrenamt,
das die Erstattung solcher Aufwendungen für Menschen
in hohem wie in niedrigem Alter regelt.


(Beifall bei der PDS – Walter Hirche [F.D.P.]: Vorsicht! Wer das Ehrenamt verstaatlicht, schafft es ab!)


– Ich will das Ehrenamt nicht verstaatlichen. Ich will
denjenigen, die es ausüben, die Chance geben, das zu
tun, auch wenn sie nicht so reich sind wie die meisten
Klienten der F.D.P.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Jetzt ist es aber gut! Was soll denn der Quatsch? – Weitere Zurufe von der F.D.P.: So ein Schmarren!)


– Ich denke, ihr wollt das so. Aber das ist jetzt nicht das
Thema.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Sie brauchen nicht polemisch zu werden! Wir reden über Seniorinnen und Senioren!)


– Eben, aber ihr habt doch dazwischengerufen.
Geben Sie den älteren und auch den jüngeren Men-

schen, die nicht im Besitz eines Arbeitsplatzes sind, die
Chance zur aktiven Teilhabe am Leben der Gemein-
schaft, damit die Gesellschaft als Ganzes davon profitie-
ren kann. Unter „profitieren“ verstehe ich nicht, daß
man mehr Geld verdient, sondern reicher wird an Kul-
tur, an Lebenserfahrung, an Miteinander menschlicher
Art, ohne daß man Generationen oder Geschlechter ge-
geneinander ausspielt.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe,
daß wir bei der Diskussion wirklich zu einer sachlichen
Auseinandersetzung kommen oder dabei bleiben, wo
immer es geht.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ina Lenke [F.D.P.]: Das wünsche ich mir auch!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406909500
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Arne Fuhrmann.


Arne Fuhrmann (SPD):
Rede ID: ID1406909600
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Auch wenn sich mein Vorredner schon dar-
auf eingelassen hat, möchte ich sagen: Frau Rönsch, in
der damaligen DDR wurden Kadaver entsorgt, wurde
Müll entsorgt, und es wurde sicherlich hin und wieder

auch Schrott entsorgt, wobei man damit teilweise behut-
sam umgegangen ist. Aber auch unter grundsätzlich an-
deren Voraussetzungen, als sie bei uns teilweise ge-
herrscht haben mögen, sind alte Menschen in Heimen
gepflegt und betreut und teilweise liebevoll behandelt
worden.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU])


Den Begriff –

(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Auch wenn Sie es wollen, werden Sie es nicht schaffen!)


– Sie sind nicht dran; Sie haben 109 dusselige Fragen
gestellt, und jetzt sind Sie nicht dran –


(Zustimmung bei der SPD)

der Entsorgung im Zusammenhang mit alten Menschen,
egal, wo immer sie leben, weise ich im Namen meiner
Fraktion mit aller Entschiedenheit zurück.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Sie setzen sich in die Nachfolge der SED, indem Sie bösartig interpretieren!)


Nun kommen wir zum Kern der Sache; denn das war
eigentlich so überflüssig wie ein Kropf.


(Weitere Zurufe der Abg. Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU])


– Wenn Sie so weitermachen, springt Ihren Kollegen der
Draht aus der Mütze, weil Sie nicht recht haben, Frau
Rönsch.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/ CSU]: Sie interpretieren bösartig!)


Es ist erstaunlich: Sie sitzen hier im Parlament in Ihrer
Fraktion und schwafeln dummes Zeug und haben den-
noch nicht recht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS – Anhaltende Zurufe der Abg. Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406909700
Herr Kollege Fuhr-
mann, – –


Arne Fuhrmann (SPD):
Rede ID: ID1406909800
Wollen Sie den Begriff der
Entsorgung alter Menschen anders bezeichnen als dum-
mes Zeug? Wenn ich es anders bezeichnen würde, wür-
de ich möglicherweise noch darauf eingehen wollen.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Der verfällt in diese Polemik!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406909900
Herr Kollege Fuhr-
mann, ich muß Sie unterbrechen. Ich möchte darauf
hinweisen, daß es verschiedene Formen des unparla-

Dr. Ilja Seifert






(A) (C)



(B) (D)


mentarischen Verhaltens gibt. In einer oder in zwei Mi-
nuten die Ausdrücke „Geschwafel“, „dummes Zeug“
und ähnliche zu verwenden ist parlamentarisch nicht
üblich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bitte fahren Sie fort.


Arne Fuhrmann (SPD):
Rede ID: ID1406910000
Dafür, daß ich mich unpar-
lamentarisch benommen habe, bitte ich diejenigen, die
sich in diesem Hause als Parlamentarier bezeichnen, um
Entschuldigung. Ich glaube allerdings nicht, daß sich im
Protokoll an dem, was ich gesagt habe, vom Inhalt her
an irgendeiner Stelle etwas ändern wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406910100
Herr Kollege Fuhr-
mann, ich bitte Sie, nicht in eine Diskussion mit dem
Präsidenten einzutreten, sonst muß ich Sie zur Ordnung
rufen.


Arne Fuhrmann (SPD):
Rede ID: ID1406910200
Acht Jahre lang hat die
CDU/CSU-Fraktion unter Frau Rönsch und danach un-
ter Frau Nolte geglaubt, sie seien die Heilsbringer in der
Seniorenpolitik in diesem Land.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal etwas zu den Modellprojekten!)


Kaum haben Sie die Macht in diesem Land verloren,
setzen Sie sich hin und machen einen Fragenkatalog mit
109 Fragen. Nachdem ich allerdings Frau Rönsch gehört
habe, ist es so, daß diese 109 Fragen völlig überflüssig
waren, denn Sie beantworten eigentlich alles in eigener
Vollkommenheit.

Das Entscheidende dabei und das, was mir zu denken
gibt, ist, daß Sie zwar sagen, Rentner und alte Menschen
in der Bundesrepublik leben selbstbestimmt. Aber, Frau
Rönsch, Sie werden es nicht glauben: Die Herrschaften,
die sich zu den Seniorinnen und Senioren rechnen, den-
ken auch selbstbestimmt. Daher bin ich mir absolut si-
cher,


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Jetzt sagen Sie einmal etwas zur Seniorenpolitik dieser Bundesregierung!)


daß die Antworten auf den Katalog der Fragen, den Sie
eingereicht haben und den meine Kollegin bereits als
„Aufgabenstellung für die neue Regierung“ tituliert hat,
zum Nachschlagewerk für all diejenigen werden, die
sich ernsthaft mit der Altenpolitik in dieser Republik
auseinandersetzen.

Ich habe allerdings bei der Durchsicht der einzelnen
Fragen an der einen oder anderen Stelle schon so etwas
wie das kalte Grausen bekommen. Beispiel: Sie fragen,
wie sich zum Beispiel das Rentenalter, aufgelistet nach
Frauen und Männern, bei den Regelaltersrenten und den
vorzeitigen Altersrenten in der gesetzlichen Rentenver-

sicherung und das Pensionsalter in der Beamtenversor-
gung seit 1975 entwickelt haben. Das fragen Sie heute.

Sie haben vor einem Jahr unter Hinzuziehung des
demographischen Faktors eine Rentenreform vorge-
schlagen, und jeder, der daran beteiligt war, hätte diese
Frage eigentlich aus dem Effeff beantworten können
müssen. Sonst hätte er sich an Ihrer Reform nicht betei-
ligen dürfen.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Das zweite, was mir an Ihren Fragen auffällt, ist: Ich

weiß nicht, wie Sie in Ihrem Reformvorschlag – offen-
sichtlich unbesehen – dazu kommen, das Rentenniveau
auf 64 Prozent abzusenken. Sie stellen nämlich die Fra-
ge, wie sich die Höhe der durchschnittlichen Altersren-
ten der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. die Höhe
der Beamtenpensionen seit 1975, differenziert nach
Männern und Frauen in den alten und neuen Bundeslän-
dern, entwickelt hat.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Die haben sich gut entwickelt! Wir wollten es Ihnen vorführen, damit Sie sich an unserer Politik orientieren können!)


Um Himmels willen: Wie konnten Sie dann, wenn Sie
das nicht wußten, einer Reform zustimmen, bei der Sie
unbesehen das Rentenniveau auf 64 Prozent absenken
wollten?


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Hier drängt sich wirklich die Frage auf, unter welchem
Aspekt Sie diese 109 Fragen eigentlich zusammenge-
schrieben haben.

Bei einem Teil der Fragen gerieren Sie sich so, als
hätten Sie acht Jahre lang das Ehrenamt gepachtet ge-
habt, obwohl seit acht Jahren ein Ministerium besteht, in
dem – nicht ausschließlich, aber auch – die Zuständig-
keit für die ältere Bevölkerung eine Rolle spielt. Sie
stellen Fragen, aus denen ganz deutlich hervorgeht, daß
bei Ihnen acht Jahre lang das Ehrenamt gerade in dieser
Altersgruppe offensichtlich vor sich hingedümpelt ist.
Anders kann ich mich zu diesen Fragen gar nicht äu-
ßern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In Frage 28 haben Sie beispielsweise Ihr totales Un-

wissen über die Rundfunkräte und deren Zusammen-
setzung dokumentiert.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie so viel Zeit und sagen noch nicht einmal etwas zur Seniorenpolitik dieser Bundesregierung!)


Sie fragen die Bundesregierung, ob sie auf die Rund-
funkanstalten dahingehend einwirken wolle, Senioren-
räte und Seniorenbeiräte in die Rundfunkräte aufzuneh-
men. Ich frage mich hier: Wo, bitte schön, ist Ihr Staats-
verständnis? Es gibt Gesetze und Staatsverträge, die das
regeln, allerdings auf Landesebene.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Vizepräsident Rudolf Seiters






(B)



(A) (C)



(D)


Warum haben Sie die vier Jahre, in denen Sie, Frau
Rönsch, tätig waren, nicht genutzt, um in diesem Bereich
eine Zusammenarbeit mit den Ländern zu erreichen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben die Fragen zu einem Zeitpunkt gestellt, als

es die Regierung Schröder/Fischer ein halbes Jahr gab.

(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal was zur Politik und Perspektive dieser Regierung!)


Innerhalb eines halben Jahres sollen dann meine Staats-
sekretärin und meine Ministerin alles das auf die Reihe
bekommen, was Sie im Laufe von vielen Jahren nicht ge-
schafft haben. Obwohl ich überzeugt davon bin, daß sie
viel können und vieles besser können, muß ich sagen: Ich
gebe ihnen ein bißchen Zeit, damit sie sich mit solchen
Dingen auseinandersetzen können. Es gibt nämlich etwas,
das noch wichtiger als die Rundfunkbeiräte ist.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ach!)


Die Frage 32 bezieht sich auf die Hochschulpolitik.
Sie fragen, ob es von seiten des Bundes Möglichkeiten
gibt, Einfluß im Hinblick auf das Seniorenstudium zu
nehmen. Dazu kann ich auch wiederum nur sagen: Wer,
bitte, hat die Kulturhoheit? Natürlich kann der Bund
daran mitwirken, daß sich die Universitäten möglicher-
weise noch mehr öffnen, als sie es bisher tun. Aber dar-
über haben die Länder zu entscheiden,


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Es gibt aber auch das Hochschulrahmenprogramm, wenn Sie das noch nicht wissen!)


und das hat mit den Studiengängen und mit den einzel-
nen Studienorten mittel- und unmittelbar etwas zu tun.

Frau Schewe-Gerigk hat schon gesagt: Wenn man
sich mit den Fragen beschäftigt, hat man den Eindruck,
als sei das eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für diese
Regierung gewesen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wir erwarten Antworten von Ihnen!)


Auch ich unterstelle das. Es ist das gute Recht einer Op-
position, der Regierung Arbeit zu verschaffen. Nur, Sie
haben einen Fehler gemacht: Sie haben die Entwick-
lungsschwierigkeiten, die Fehler und die Nachlässig-
keiten, die Sie in 16 Jahren zu verantworten hatten, in
einen Fragenkatalog gekleidet, an dem sich möglicher-
weise – man kann es so interpretieren – die Unfähigkeit
der derzeitigen Regierung erweisen sollte, weil sie nicht
in der Lage sei, Ihnen das vernünftig zu beantworten.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Sie können sich an dem Beispiel der Vorgängerregierung orientieren!)


Natürlich können sie das. Im Gegensatz zu den Verfas-
sern dieser Fragen haben sich nämlich die Regierungs-
mitglieder auch mit den zwei Zwischenberichten der
Enquete-Kommission auseinandergesetzt, in denen im
Prinzip – auch darauf ist Frau Schewe-Gerigk eingegan-
gen – jede Ihrer Fragen differenziert und gut beantwortet
wurde. Die Regierung hat das also gemacht, und sie hat

darüber hinaus noch etwas getan: Sie hat einen exzel-
lenten Katalog von möglichen Schritten und Handlun-
gen aufgestellt, die in der nächsten Zeit mit dieser Re-
gierung und von dieser Regierung in Angriff genommen
werden.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Bis jetzt haben wir davon noch gar nichts gesehen! – Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Von Modellprojekten wurde gesprochen!)


– Ich denke, die Fehler, die Sie 16 Jahre lang gemacht
haben, können Sie dieser Regierung an der Stelle zu-
mindest nicht anlasten. In anderen Bereichen versuchen
Sie es ja immer wieder.


(Zuruf von der CDU/CSU: Es wird längst Zeit, daß Sie etwas machen!)


Ich komme zum Schluß – mir fehlen ja zwei Minuten,
deshalb muß ich das alles ein bißchen abkürzen –: Sie
haben viel Wind gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber Sie haben trotz des Windes eine gute Ernte einge-
fahren, weil die Antworten der Regierung als exzellent
zu bewerten sind.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Tragischer Mensch!)

Dies sehe nicht nur ich so; das sehen auch diejenigen so,
die sich in der Wissenschaft damit auseinandersetzen.
Ich bedanke mich bei der Regierung für die Arbeit, die
sie da getan hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann Ihnen als der Opposition nur wärmstens
empfehlen – dies tue ich noch einmal mit allem Nach-
druck –:


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wenigstens das müssen Sie machen, wenn sonst nichts passiert!)


Ich bin dafür – bei allen Diskussionen und allen Debat-
ten, die wir in der Zukunft in diesem Hohen Hause füh-
ren; aus diesem Grunde bitte ich, meine aufgeregten er-
sten zwei Minuten richtig zu werten und zu verstehen –,
die Vergangenheit aufzuarbeiten. Ich bin dafür, Futter
bei die Fische zu geben, wenn es darum geht,


(Zurufe von der CDU/CSU: Butter!)

auch in bezug auf die ehemalige DDR die Dinge tat-
sächlich aufzuklären, die es aufzuklären gilt. Aber in un-
serem Sprachschatz sollten wir uns nicht auf ein Niveau
begeben, das wir Jahrzehnte – weil es diese DDR gab
und weil es ein Naziregime gab – bekämpft und das wir
aus unseren Köpfen verbannt haben.

In diesem Sinne danke ich Ihnen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406910300
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Gerald Weiß, Groß-
Gerau.

Arne Fuhrmann






(A) (C)



(B) (D)


Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Fuhrmann, die, wie Sie gesagt haben, aufgeregten ersten
zwei Minuten sehen wir Ihnen nach. Aber daß Sie dann
außer Beleidigungen und Platitüden in den übrigen acht
Minuten nur geredet und nichts gesagt haben, das neh-
men wir Ihnen schon ein bißchen übel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Sie hören nicht zu!)


Sie haben zum Beispiel von den „dusseligen“ 109
Fragen der CDU/CSU-Fraktion gesprochen. Die Ant-
worten auf diese 109 „dusseligen“ Fragen hat „Ihre“
Staatssekretärin – Sie haben hier gesagt: „meine Staats-
sekretärin“, besitzanzeigendes Fürwort – als ein „umfas-
sendes Bild der Lebenssituation älterer Mitbürgerinnen
und Mitbürger“ dargestellt. Dann haben sich die Fragen
doch eigentlich schon gelohnt.

Allerdings muß dann das „umfassende Bild“, das
auch Frau Schewe-Gerigk – momentan ins Gespräch
vertieft – bestätigt hat, auch zu politischen Folgerungen
führen. Nach einem Jahr der Existenz der neuen Bundes-
regierung darf man schon fragen, ob das zu politischen
Folgerungen geführt hat. Da fällt die Bilanz ziemlich
dünn aus,


(Beifall bei der CDU/CSU)

wenn man sich hier nur mit Modellvorhaben der Frau
Rönsch und der Frau Nolte schmücken kann und nichts
Eigenes auf den Weg gebracht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie sprechen von einem „um-

fassenden Bild der Lebenssituation der älteren Mitbür-
gerinnen und Mitbürger“. Noch entlarvender ist es dann,
daß Sie in Ihrer Stellungnahme hier kein Wort zum zen-
tralen Feld der Zukunft unserer Alten geäußert haben.
Ich meine die Frage nach der Alterssicherung – Frau
Rönsch hat sie hier in die Debatte gebracht –, die Frage
nach der Rente. Dazu haben Sie kein Wort gesagt.

Wenn man sich das vergegenwärtigt – auch den Tat-
bestand, daß Sie und nicht die Ministerin heute gekom-
men sind –, kann man sehr schnell darauf schließen,
wie es um die Anwaltsfunktion dieser Ministerin und
ihrer Staatssekretärin in Sachen Rentenpolitik, um die
Anwaltsfunktion für die älteren Mitbürgerinnen und
Mitbürger bestellt ist; ich glaube: sehr traurig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Politik ist

nicht dazu da, Lebenspläne zu verordnen. Aber dafür,
daß die Lebenspläne älterer Menschen und ihre Bedürf-
nisse eine Chance haben, können Politik und Staat sehr
viel tun. Politik und Staat können aber auch sehr viel
verderben. Was die rotgrüne Politik in einem einzigen
Jahr verdorben hat, ist, für sich gesehen, schon wieder
eine Leistung.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das gilt insbesondere für die Rentenpolitik.

Ganz besonders wichtig ist die Alterssicherung. In
diesem Bereich haben Sie nach einem Jahr einen beab-
sichtigten manipulativen Eingriff in die Rentensystema-
tik vorzuweisen, wie wir ihn noch nicht erlebt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das verunsichert die Seniorinnen und Senioren nicht
nur, sondern schadet ihnen auch massiv.

Jetzt klage ich noch einmal die Anwaltsfunktion ein:
Wo war denn die Stimme der Familienministerin oder
ihrer Vertreterin zu hören, als sich dieser unglaubliche
Eingriff anbahnte?


(Zurufe von der CDU/CSU: Abgetaucht! – Weggetaucht!)


Rente ist doch keine Sozialleistung. Sie ist eine Sozi-
alversicherungsleistung. Das ist etwas ganz anderes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Rente ist doch kein gnadenvoller Gewährungsakt der
Politik. Rente ist ein verbriefter Anspruch, gedeckt
durch Leistung und Beitrag.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es wäre so schön gewesen, wenn Sie dazu Stellung ge-
nommen hätten.

Man kann doch die Lohndymanik – das ist die Basis
unseres Rentensystems seit der großen Reform von 1957
gewesen –, die Lohnbezogenheit in der Rentenanpas-
sung, nicht wie einen Fernsehapparat beliebig abschal-
ten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wer den-
noch so handelt, verletzt den Generationenvertrag. Diese
Wertung können wir Ihnen nicht ersparen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Fuhrmann, Sie haben ins Feld geführt, daß die

CDU/CSU auf dem Feld der Rentenpolitik viele Refor-
men gemacht hat und auch viele schwierige Reformen
machen mußte. Ganz besonders eine haben Sie diffa-
miert – und damit den Konsens in der Rentenpolitik auf-
gekündigt –, die Einführung des demographischen
Faktors in der Rente. Höhere Lebenserwartung, länge-
rer Rentenbezug, mehr Rente – das ist ja alles erfreulich,
aber die daraus erwachsenden Lasten kann man doch
nicht einfach Betrieben und Beitragszahlern auferlegen.
Wenn man das hätte laufen lassen, wäre der Rentenver-
sicherungsbeitrag auf 26 bis 28 Prozent gestiegen.


(Bernd Reuter [SPD]: Das hat uns Blüm schöner erklärt!)


– Unser demographischer Faktor ist auf Grund Ihres
verleumderischen Wahlkampfes als Rentenkürzung an-
gekommen. Das hat uns schon zu schaffen gemacht.
Dennoch war unsere Politik richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ältere Menschen haben sehr wohl ein Gespür für Ge-

rechtigkeit, auch für Gerechtigkeit zwischen den Ge-
nerationen. Wenn man die Chance gehabt hätte, ihnen






(B)



(A) (C)



(D)


klarzumachen, daß die Berücksichtigung der Lebenser-
wartung in der Rentenformel bedeutet, daß die Rentner
an der Last durch das Mehr an Rente beteiligt werden
müssen, damit die Jungen und die Betriebe nicht alles
alleine schultern müssen, und daß die Minderung der
Rentenanpassung – keine Rentenkürzung – um den so-
genannten demographischen Faktor über eine lange
Zeitspanne hinweg Verläßlichkeit und Sicherheit in der
Rente bedeutet hätte, dann hätten sie das sehr wohl ak-
zeptiert. Da bin ich mir ganz sicher.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Heute muten Sie den Rentnerinnen und Rentnern die-

sen unglaublichen manipulativen Akt der Kopplung der
Rentenanpassung an die Inflationsrate zu, und zwar in
einem Moment, wo sie von der Lohnkopplung hätten
profitieren können. Es ist wahr: Die Rentenanpassung
war vorher – dies ist der Generationenvertrag – nicht
sehr hoch, einfach deshalb, weil – gute Zeiten, schlechte
Zeiten – auch die Löhne nicht sehr stark gestiegen sind.
Aber jetzt, wo die Menschen qua Lohnkopplung höhere
Renten hätten bekommen können, schaffen Sie das ab.
Das ist der Vertrauensbruch gegenüber der älteren Gene-
ration, den Sie zu verantworten haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Respektvoller mit diesen Rentenansprüchen umzugehen,
das ist das, was wir einfordern. Frau Staatssekretärin, es
wäre ganz nett gewesen, wenn Sie zu dieser zentralen
Frage der Seniorenpolitik hier etwas gesagt hätten.

Jetzt kommt die Frage, wie es eigentlich weitergeht.
Nach einem Jahr kann man durchaus einmal fragen:
Was ist Ihr Konzept? – Nichts! Ständig werden neue Re-
formtrümmer in die Landschaft gesprengt. Reformirr-
lichter geistern durch die politische Szene. Eine Sau
nach der anderen wird durch das Dorf getrieben, und
keiner weiß, wohin es wirklich geht. Das ist doch skan-
dalös, meine sehr verehrten Damen und Herren, was Sie
hier in der Rentenpolitik machen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Leistungsgerechtigkeit in der Rente – das ist in der

Debatte bereits angesprochen worden. Auf einem Sektor
sind wir diesbezüglich noch sehr entwicklungsbedürftig:
Es ist ein Skandal, daß diejenigen, die wegen Kinderer-
ziehung aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, nach-
her ein geringeres Durchschnittsalterseinkommen haben
als diejenigen, bei denen das nicht der Fall war.


(Bernd Reuter [SPD]: Richtig! Aber ihr hättet das schon längst ändern können! – Hildegard Wester [SPD]: Was haben Sie denn gemacht? – Weitere Zurufe von der SPD)


– Die CDU hat doch mit der Anrechnung der Erzie-
hungsjahre auf die Rente angefangen. In Ihrer Regie-
rungszeit – unter Schmidt und vorher Brandt – ist doch
auf dem Sektor gar nichts passiert. Das haben wir doch
erst in den 80er Jahren angestoßen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dies ist eine perverse Korrelation: Diejenigen, die

Kinder großgezogen haben, haben ein geringeres Al-

terseinkommen. Wir reden hier ja über Perspektiven.
Das macht Sie nervös, wenn von Folgerungen und Per-
spektiven die Rede ist.


(Zuruf von der SPD: Nein, ärgerlich und wütend, aber nicht nervös!)


Dennoch müssen wir an diesen Punkt herangehen.
Wir müssen auch an folgenden Punkt herangehen: Es

ist ein Erfolgsbeweis unserer Rente, daß die Sozialhilfe-
abhängigkeit der Rentenbezieher so gering ist. Aber sie
ist in einzelnen Teilen der Bevölkerung – bei Auslände-
rinnen und Ausländern – hoch. Auch das muß man an-
gehen.

Jetzt sind die Zahlen ganz gut aufbereitet worden.
Das ist etwas. Aber die Regierung hat keine Antwort auf
die Frage gegeben, wie es weitergehen soll. Auf dem
Weg Ihrer Rentenpolitik liegen bislang nur Trümmer.
Daß das eine miserable Bilanz ist, müssen wir Ihnen lei-
der bescheinigen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Weiß, diese Rede war ein Trümmerbruch!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406910400
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Kurt Bodewig, SPD-Fraktion.


Kurt Bodewig (SPD):
Rede ID: ID1406910500
Herr Präsident! Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe als Parlamentsneuling hier eben
gelernt, daß „Geschwafel“ unparlamentarisch ist, aber
„Entsorgung“ von Menschen nicht. Dies war eine Urer-
fahrung.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406910600
Herr Kollege Bo-
dewig, ich möchte Sie unterbrechen. Ich rufe Sie zur
Ordnung,


(Zurufe von der SPD: Was? – Wieso denn das?)


weil Ihre Äußerungen eine eindeutige Kritik an der Sit-
zungsleitung des amtierenden Präsidenten darstellen. Ich
bin mir absolut sicher, daß dies im gesamten Präsidium
so gesehen wird.


(Bernd Reuter [SPD]: Ich sehe das nicht so!)

Bitte fahren Sie fort.


Kurt Bodewig (SPD):
Rede ID: ID1406910700
Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, ich möchte mich nicht irritieren lassen. Ich befasse
mich jetzt mit der Großen Anfrage der CDU/CSU und
der Antwort der Bundesregierung darauf. Man ist ge-
neigt, den Fragestellern erst einmal ein Fleißkärtchen zu
geben. Eine Unzahl von Fragen wurde gestellt, wichtige
und unwichtige. Der Kollege Fuhrmann hat dies schon
beschrieben. Doch mir stellt sich eine andere Frage: Auf
welcher Basis haben Sie von den Oppositionsparteien in
der Vergangenheit eigentlich Politik gemacht? Sie wa-
ren 16 Jahre in der Regierung. Aber erst jetzt werden

Gerald Weiß (Groß-Gerau)







(A) (C)



(B) (D)


Basisdaten erhoben, die schon vorher hätten ermittelt
werden müssen. Dies ist aber nicht verwunderlich; denn
die Bemerkung von Frau Rönsch auf die Zwischenfrage
hat sehr deutlich gemacht, daß es mit der Kenntnis der
Materie nicht weit her ist. Frau Rönsch, ich möchte Sie
nur beruhigen: Die Pflegeversicherung existiert nicht
seit acht Jahren, sondern erst seit 1995. Aber auch Sie
als ehemalige Familienministerin können noch dazuler-
nen. Es ist nur konsequent, sich zumindest in der Oppo-
sitionszeit fitzumachen. Dieses Recht möchte ich Ihnen
nicht nehmen.

Die Fakten sind interessant. Ein zentrale Aussage in
der Antwort der Bundesregierung ist, daß Altersarmut
nicht mehr das Armutsrisiko in unserer Gesellschaft ist.
Dies ist eine gute Entwicklung. Hieran ist erfreulicher-
weise gearbeitet worden. Aber ich möchte hinzufügen,
daß jetzt die Anzahl der Kinder eher zu einem Armutsri-
siko wird. Wir haben mit der Kindergelderhöhung und
mit den Kinderbetreuungsfreibeträgen wichtige Schritte
gemacht. Auch im Rahmen des Rentensystems werden
Kindererziehungszeiten bewertet. Dies ist der richtige
Weg.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Wer hat das denn eingeführt?)


Sie haben die Frage gestellt, wie hoch die Einkünfte
im Alter sein werden. Darauf antworte ich Ihnen: Das
Bruttoeinkommen der Menschen ab 60 Jahren beträgt
nach der Antwort der Bundesregierung 4 160 DM. Da-
von stammen etwa 63 Prozent aus der gesetzlichen
Rentenversicherung oder aus gleichgelagerten Syste-
men. Aber um diese Zahl geht es eigentlich nicht; viel-
mehr geht es darum, daß die Renten von Männern und
Frauen immer noch über 1 000 DM auseinanderliegen.
Deswegen ist die Grundsicherung – Ihre Frage, Herr
Weiß, zielte auf die Perspektiven ab; ich kann Sie beru-
higen, wir haben Perspektiven – ein ganz wichtiges
Element in unserem Rentenkonzept. Sie liegt gerade im
Interesse der Seniorinnen und Senioren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus der Antwort der Bundesregierung auf Frage 15
wird deutlich, daß ein Teil der alten Menschen trotz An-
spruchs aus Angst vor Stigmatisierung in der Gesell-
schaft, aus Angst davor, daß die Kinder in Regreß ge-
nommen werden könnten, und aus Scham keine Sozial-
hilfe bezieht. Mit unserem Rentenkonzept wollen wir si-
cherstellen, daß alte Menschen in Zukunft nicht mehr
gezwungen sind, trotz Rente ergänzende Sozialhilfe zu
beziehen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt für alte
Menschen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun möchte ich auf die Debatte über die Aussetzung
des demographischen Faktors eingehen. Lassen Sie mich
etwas ganz deutlich sagen, was schon in vielen Debatten
gesagt worden ist: Der demographische Faktor be-
deutet nichts anderes als die systematische Abkopplung
der Renten von der Nettolohnentwicklung, und zwar un-
abhängig vom Inflationsausgleich. Sie hätten per Gesetz

das Rentenniveau auf 64 Prozent des Nettoeinkommens
begrenzt.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Ist die Inflationsrate keine systematische Begrenzung?)


– Keine Angst, darauf komme ich gleich zurück. Ich
werde dem nicht aus dem Weg gehen.

Es gibt noch einen weiteren Punkt. Sie haben in der
Vergangenheit die Leistungen systematisch gekürzt.
Dies hat dazu geführt, daß die Renten gesunken sind.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Und Sie erhöhen die Renten jetzt, ja?)


Für junge Menschen macht sich die Reduzierung der an-
erkannten Ausbildungszeiten von sieben auf drei Jahre
deutlicher bemerkbar als die Tatsache, daß die Renten
nicht mehr an die Entwicklung der Nettolöhne gekoppelt
sind. Wir wollen etwas anderes.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Etwas?)

Wir bitten die Rentner, für zwei Jahre auf eine Kopp-
lung der Renten an das Nettolohnniveau zu verzichten.
Die Rentner erhalten einen Ausgleich in Höhe der Infla-
tionsrate. Damit wird das gegenwärtige Rentenniveau
beibehalten. Es gibt keine Kürzung. Damit erhalten die
Rentner etwas, was es in den letzten zehn Jahren nicht
gegeben hat, nämlich einen Ausgleich in Höhe der In-
flationsrate.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406910800
Herr Kollege Bo-
dewig, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Reinhardt?


Kurt Bodewig (SPD):
Rede ID: ID1406910900
Ich lasse die Zwischenfrage
gerne zu.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist anständig!)

– Das ist üblich.


Erika Reinhardt (CDU):
Rede ID: ID1406911000
Herr Kollege, stim-
men Sie mir zu,


(Zuruf von der SPD: Nein!)

daß Ihre auf zwei Jahre angelegte Abkopplung von der
Nettolohnentwicklung das Rentenniveau auf 65 Prozent
absenkt, während bei der CDU/CSU der demographi-
sche Faktor innerhalb von 16 Jahren zu einer Absenkung
auf 64 Prozent geführt hätte?


Kurt Bodewig (SPD):
Rede ID: ID1406911100
Ich kann Ihnen leider nicht
zustimmen, weil Ihre Berechnung hinsichtlich der
16 Jahre durch die aktuellen Zahlen längst überholt ist.
Zum zweiten stimmen auch die 65 Prozent, die Sie un-
terstellen, nicht. Wir kommen geringfügig unter
67 Prozent und werden dauerhaft ein Niveau von
67 Prozent erreichen.


(Beifall bei der SPD)


Kurt Bodewig






(B)



(A) (C)



(D)


Dies werden wir erreichen, weil unser Konzept drei
Elemente hat. Erstens stabilisieren wir die Renten da-
durch, daß wir in diesen beiden Jahren ein Fundament
für die Zukunft schaffen. Zweitens finanzieren wir mit
der Ökosteuer


(Ina Lenke [F.D.P.]: Damit finanzieren die Rentner ihre eigene Rente noch einmal!)


sowohl die Beitragssätze als auch bestimmte Aufgaben
in der Rente; eine davon habe ich eben schon angespro-
chen. Drittens streben wir eine Eigenvorsorge an.

Ich verstehe die Aufgeregtheit bei Ihnen nicht. Am
Dienstag habe ich gemeinsam mit Herrn Glos und Herrn
Westerwelle eine Podiumsdiskussion bestritten, auf der
diese beiden Herren ein Modell bejubelt haben, das dazu
führen würde, daß das Nettorentenniveau auf 52 Prozent
absinkt und dann erst durch den Kapitalstock strukturell
wieder aufgebaut wird. Daran sieht man die Doppelbö-
digkeit Ihrer Argumentation.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage das so deutlich, weil ich glaube, daß die Rente
auf Vertrauen basieren muß. Dieses Vertrauen erhalten
wir, und wir zeigen ein Konzept auf, das sich umsetzen
läßt und eine dauerhafte Perspektive beschreibt.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das ist unverschämt, was Sie hier bieten!)


– Sie brauchen es ja nicht zu glauben, Frau Lenke. Im
übrigen ist das keine Frage des Glaubens, sondern von
Fakten, die Sie nachlesen können.

Das Thema Generationenbilanz ist nach meiner
Meinung zweifellos sehr wichtig. Die von Ihnen vorge-
schlagene Methode des „generational account“ ist dage-
gen höchst manipulierbar und hat in den Ländern, in de-
nen dieses Thema systematisch angegangen worden ist,
den Begriff der Generationenbilanz diskreditiert. Es wä-
re besser, wenn wir unsere Wertschätzung für die Le-
bensleistung älterer Menschen in diesem Hause dadurch
bezeugten, daß wir alle gemeinsam an einem Rentensy-
stem arbeiteten, das zukunftssicher ist und das nicht von
Mythen, sondern von Fakten bestimmt ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406911200
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Katrin
Göring-Eckardt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Situation der Seniorinnen und Senioren diskutieren
wir vor dem Hintergrund – das hat die Antwort auf die
Große Anfrage gezeigt – einer relativ wohlhabenden
Rentnergeneration. Das gilt für den Durchschnitt im
Westen, aber auch im Osten. In Ostdeutschland haben
Rentnerinnen und Rentner vor allem dann, wenn sie

nicht allein leben, eine verhältnismäßig gute soziale Ab-
sicherung. Das entspricht der Lebensleistung dieser Ge-
neration, die beide Teile dieses Landes entsprechend den
jeweiligen Rahmenbedingungen aufgebaut hat. Dennoch
lassen Sie mich auf drei Dinge hinweisen, die von dieser
allgemeinen Bemerkung nicht abgedeckt sind.

Erstens. Herr Bodewig hat gerade darüber gespro-
chen, daß es nach wie vor Altersarmut gibt. Besonders
dramatisch ist dabei die verschämte Altersarmut. An
dieser Stelle kann ich die Arroganz, die Sie heute hier
zum Ausdruck gebracht haben, nicht verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Gerade in der Vergangenheit war dies auch zahlenmäßig
ein riesiges Problem. Eine unbekannt große Zahl von
Menschen hat sich in Ihrer Regierungszeit geschämt,
auch nur das in Anspruch zu nehmen, was ihr zusteht.
Das hat sicherlich zwei Gründe: Der eine waren die ge-
setzlichen Rahmenbedingungen, die wir ändern. Ich
denke da etwa an die Unterhaltsverpflichtungen von
Kindern gegenüber ihren Eltern. Der andere war Ihr Ge-
rede von der „sozialen Hängematte“, mit dem Sie auch
die armen Alten gemeint haben müssen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
müssen sich daher fragen lassen, inwieweit Sie zu einer
Verschärfung der Altersarmut beigetragen haben, indem
Sie Menschen als würdelos abgestempelt haben. Das
war alles andere als verantwortungsvoll und hat nichts
mit dem zu tun, wovon Sie uns heute hier glauben ma-
chen wollen, daß Sie es in Ihrer Regierungszeit getan
hätten.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Die Altersarmut ist eindeutig zurückgegangen!)


Wir machen damit Schluß. Mit einer bedarfsorientierten
Mindestabsicherung – pauschal ausgezahlt, nicht vom
Sozialamt und ohne Anrechnung einer Unterhaltsver-
pflichtung von Kindern gegenüber ihren Eltern – geben
wir den Menschen ihre Würde zurück. Das haben Sie
nicht geschafft. Wir tun es.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens. Wir wissen – auch das bestätigt die Ant-
wort auf die Große Anfrage – um die demographische
Entwicklung. Da will ich auf einiges eingehen, was hier
gesagt worden ist. Sie behaupten, daß es ein Riesen-
skandal sei, daß diese Regierung die Rentenanpassung
mit der Kaufkraft Schritt halten läßt.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist Willkür nach Kassenlage! – Ina Lenke [F.D.P.]: Das hat mit Beitragshöhe und Beitragsdauer überhaupt nichts zu tun!)


Das haben Sie in den vergangenen Jahren nicht einmal
geschafft. Sie sollten einmal in aller Ehrlichkeit einge-
stehen, daß auch Ihr demographischer Faktor nichts an-
deres getan hat; auch er hat einerseits Lohnbezogenheit
gewährleistet, soweit es eben ging, und andererseits mit
der Einbeziehung der demographischen Entwicklung ei-

Kurt Bodewig






(A) (C)



(B) (D)


ne Abkopplung von genau dieser Nettolohnbezogenheit
bewirkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir brauchen – ich glaube, darauf hat diese Gesell-
schaft einen Anspruch – eine Antwort auf die doppelte
Frage nach Gerechtigkeit, nämlich zum einen nach Ge-
rechtigkeit innerhalb einer Rentnergeneration – gerade
für diejenigen, die Kinder großgezogen haben und durch
unstete Erwerbsbiographien keine vernünftige eigen-
ständige Altersabsicherung aufbauen konnten –, aber
zum anderen auch nach Gerechtigkeit zwischen Alt und
Jung. Wir wissen – und das wissen auch Sie –, daß die
Bereitschaft gerade der älteren Generation dazu ziemlich
groß ist. Deswegen wollen wir einerseits eine Stabilisie-
rung der Beiträge, andererseits aber auch eine klare Op-
tion für die heute Jüngeren auf eine adäquate, ihrer Le-
bensleistung entsprechende Altersversorgung. Deswe-
gen nimmt diese Regierung dieses Problem, das Sie seit
Jahren vertuscht und verschoben haben, endlich ernst.
Inzwischen haben es sogar einige von Ihnen eingesehen.
Wenn man Herrn Storm oder Herrn Wulff hört, hat man
den Eindruck: Es bewegt sich tatsächlich auch etwas,
auf der rechten Seite dieses Hauses.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bündnis 90/Die Grünen sind der Meinung, daß diese

Langfristoption gewährleistet werden kann, wenn man
neben der Lohnbezogenheit der Rente einen Generatio-
nenfaktor einführt, der einerseits die steigende Lebens-
erwartung und andererseits die geringere Geburtenrate
abbildet.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

Das bedeutet keine Abkopplung von der Lohnentwick-
lung, sondern eine zusätzliche Komponente, die die
Demographieentwicklung ernst nimmt.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das tat der demographische Faktor doch auch! Das war doch gar nichts anderes!)


Dafür stehen wir.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen darüber hinaus dringend eine eigen-
ständige Absicherung von Frauen im Alter und eine
Besserstellung derjenigen, die Kinder erzogen haben.
Wir stellen also nicht, wie es in der Vergangenheit ge-
wesen ist, einzig und allein darauf ab, ob jemand verhei-
ratet gewesen ist oder nicht.

Lassen Sie mich noch ein Drittes sagen – ich glaube,
auch das gehört in diese Debatte –: Angesichts der neu-
en Situation – gestiegene Lebenserwartung und ein grö-
ßerer Anteil von Seniorinnen und Senioren an der Be-
völkerung – ist es zwingend notwendig, darüber zu re-
den, wie die gesundheitliche Versorgung abgesichert
und zukunftsfest gemacht werden kann. Was Sie uns da-
zu in der letzten Woche angeboten haben, wird dem in
keiner Hinsicht gerecht. Sie tun so, als ob Sie mit einer
neuen Zuzahlungswelle die Krankenversicherung zu-
kunftsfähig machen könnten. Tatsächlich verursachen

Sie damit neue Verunsicherung. Tatsächlich ist das die
klare Option auf eine Zweiklassenmedizin.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Die Zweiklassenmedizin schaffen Sie! Das werden Sie noch sehen!)


Das werden Sie mit uns nicht machen können. Ihre Vor-
schläge waren ziemlich platt und hatten wenig Inhalt.
Sie haben auf Maßnahmen hingewiesen, wegen denen
Sie abgewählt worden sind.

Meine Damen und Herren, diese Regierung hat den
Gestaltungsauftrag, dafür zu sorgen, daß die Generatio-
nen zusammenhalten und nicht auseinanderdividiert
werden, daß neue Gerechtigkeit in diesem Land entsteht.
Das tut diese Regierung. Helfen Sie dabei konstruktiv
mit! Verunsichern Sie nicht die Jungen und die Alten!
Sie würden es Ihnen vielleicht am Ende danken.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406911300
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht die Kollegin Renate Diemers.


Renate Diemers (CDU):
Rede ID: ID1406911400
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zänkisch, verschroben,
quengelig, nörgelnd, hilflos und gebrechlich – dies sind
wohl auch heute noch die gängigsten Vorurteile gegen
Mitmenschen in unserer Gesellschaft, die oftmals ein
anstrengendes Arbeitsleben, Erziehungsarbeit und den
Wiederaufbau unseres Landes geleistet haben: unsere
eigenen Eltern und Großeltern.

Es heißt – das wurde schon heute morgen deutlich –,
den Wert einer Gesellschaft erkenne man daran, wie sie
mit den Alten und den Schwächeren in ihrer Mitte um-
geht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Miteinander der Generationen ist in diesem

Zusammenhang ein wichtiger Begriff. Einer der interes-
santesten Aspekte ist die Beziehung zwischen den alten
und den ganz jungen Menschen. Großeltern sollen
Großeltern sein dürfen – ich bitte Sie, über diese Aussa-
ge einmal nachzudenken. Großeltern sollen eben nicht
die ureigenen Aufgaben der Eltern übernehmen und den
Erziehungsauftrag ausführen müssen; vielmehr sollten
sie ganz einfach nur Großeltern – Opa und Oma – sein
dürfen.

Großeltern haben oft die Aufgabe – dies kennen si-
cherlich viele aus der eigenen Familie –, die Vermittler-
rolle zwischen Eltern und Kindern zu spielen. Das tun
sie gerne; denn ältere Menschen verstehen die jungen
Menschen manchmal besser als die dazwischenliegende
mittlere Generation. Die Gemeinsamkeiten überraschen
uns von Zeit zu Zeit.

Junge Menschen kämpfen um ihre Eigenständigkeit.
Das ist richtig und natürlich. Ältere Menschen müssen in
unserem Land leider wieder oft darum kämpfen, ihre

Katrin Göring-Eckardt






(B)



(A) (C)



(D)


Eigenständigkeit zu behalten. Jugendliche sollten also
eigentlich eine Ahnung davon haben, warum ältere
Menschen ihre Eigenständigkeit verteidigen, ihre eigene
Wohnung, ihren selbstgestalteten Lebensrhythmus und
ihren erarbeiteten Lebensstandard bewahren möchten.
Hieran wird besonders deutlich, daß es von äußerster
Wichtigkeit ist, für die eigenständige soziale Sicherung
im Alter einzutreten.

Wenn ich in diesem Zusammenhang die Rentenbio-
graphien der Frauen sehe, dann erkenne ich: Wir müs-
sen uns vehement dafür einsetzen, daß die Altersversor-
gung nicht zugunsten anderer Leistungen zurückbleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Transferleistungen für die Familien während der Erzie-
hungszeit sind wichtig und müssen auch weiter ausge-
baut werden. Das darf aber nicht zuungunsten der Al-
tersversicherung geschehen. Das heißt, wir müssen an
der zweigleisigen Familienförderung festhalten: an der
finanziellen Förderung während der Erziehungszeit und
an der Anerkennung der Kindererziehungszeiten im
Rentenrecht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ältere Menschen im Ruhestand, in Rente, brauchen

nicht weniger Geld – ich selbst habe das als junger
Mensch oft geglaubt –, nur weil sie alt sind, keine be-
rufsbedingten Ausgaben für Kleider, Fachliteratur etc.
und angeblich auch keine großen Bedürfnisse mehr ha-
ben. Vielmehr brauchen ältere Menschen sogar mehr
Geld; denn Ältere sind nicht automatisch pflegebedürf-
tig und haben damit auch keinen Anspruch auf Pflege-
geld. Sie brauchen Geld, um sich Leistungen, die sie in
jungen Jahren nicht benötigten, kaufen zu können, zum
Beispiel, wenn sie Hilfe im Haushalt benötigen, wenn
sie den Einkauf nicht mehr allein bewältigen, wenn sie
die Straße nicht mehr kehren, die Treppe im gemeinsa-
men Treppenhaus nicht mehr putzen und den Mülleimer
nicht mehr an den Straßenrand stellen können.

Ältere Menschen wollen auch nicht unbedingt in
eine kleinere Wohnung, nur weil ihre Kinder aus dem
Haus sind. Seniorinnen und Senioren haben den berech-
tigten Anspruch auf ihre alte, geräumige Wohnung, und
sie brauchen den Platz. Sie brauchen Platz, damit sich
andere Personen, zum Beispiel ihre Kinder, Freunde,
Pflegedienstleistende usw., länger – auch mit Über-
nachtung – in der Wohnung aufhalten können, was diese
dann auch gerne tun.

Ein anderer Fall liegt vor, wenn ältere Menschen,
zum Beispiel wegen Arbeitserleichterung, von sich aus
einen Wohnungswechsel vornehmen wollen. Dann muß
eine entsprechende altengerechte Wohnung mit dem
eventuell notwendigen Sozial- und Dienstangebot zur
Verfügung stehen. Frau Rönsch hat schon darauf hinge-
wiesen.

Eigentlich sollte es uns doch nicht wundern, wenn
ältere Menschen, insbesondere in den Heimen, auch
einmal aggressiv reagieren, wenn man sie im übertrage-
nen und auch – leider – im eigentlichen Sinne entmün-
digen will. Dazu gehört beispielsweise auch der Zwang,

um 19.00 Uhr schlafen zu gehen, nur weil abends kein
Pflegepersonal mehr da ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wünschen Sie sich,
daß Ihnen jemand vorschreibt, wann Sie schlafen gehen
oder fernsehen sollen, wenn Sie sich zum Beispiel auf
Grund eines Schlaganfalls nicht mehr mündlich artiku-
lieren können? Ich höre quasi in Gedanken Ihr lautes
Nein. Diesen Blickwinkel müssen wir bei der Erarbei-
tung unserer Gesetze berücksichtigen.

In diesem Zusammenhang kritisiere ich noch einmal
ausdrücklich die Koalition, die die Gelder für Zivil-
dienstleistende, die auch und gerade im Pflegebereich
unverzichtbar sind, deutlich reduzieren möchte.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die „Zivis“ können nicht die notwendigen Pflegekräfte
ersetzen, aber sie können sie in ihrer Arbeit unterstützen.
Außerdem hat der Einsatz von Zivildienstleistenden
positive Auswirkungen für alle Seiten. Ich verstehe dar-
unter zum Beispiel, daß der überwiegende Teil der jun-
gen Männer anschließend die ältere Generation mit grö-
ßerem Verständnis sieht und manchmal mit veränderten
Wertvorstellungen ins Berufsleben geht.

Viele ältere Menschen, die nach Jahren einer aktiven
Erwerbs- und Familientätigkeit, in der sie ihre persönli-
chen Bedürfnisse oft zurückstellen mußten, nun wieder
mehr Zeit zur Verfügung haben, nutzen diese Zeit, um
wieder verstärkt am gesellschaftlichen Leben teilzuneh-
men.

Die Bedeutung des Sports für das allgemeine Wohl-
befinden von Älteren, für die Erhaltung von Mobilität
und die Selbständigkeit hat die Bundesregierung ja so-
eben in der Antwort auf unsere Große Anfrage bestätigt.

Ich finde es auch gut und richtig, wenn Ältere Zeit
und Möglichkeiten nutzen, um verschiedene Formen des
Tourismus wahrzunehmen. Wir sollten uns weiter ver-
stärkt dafür einsetzen, daß interessante, seniorengerech-
te, barrierefreie Reisemöglichkeiten in Deutschland an-
geboten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nach meiner Definition ist die Fahrt mit dem Bus des
ÖPNV, der schräg gegenüber der eigenen Haustür ab-
fährt, auch schon eine Reise.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns einig:
Eine der Stärken der älteren Generation sind ihre Erfah-
rung und ihr Wissen. Trotz neuer Medien, Internet, das
heißt, trotz aller neuen Technologien, profitiert die jün-
gere Generation, wenn sie diesen Schatz an Erfahrung
und Wissen nutzt. Ich denke an die Einbindung von Se-
niorinnen und Senioren in ausgewählte Bereiche des
Schulunterrichts in Form eines Großeltern-Services auf
Grund verwandtschaftlicher Verhältnisse oder als
Dienstleistung, an Patenschaften von alten und älteren
Menschen für Kindergärten und Kindertagesstätten und
– umgekehrt – auch an Patenschaften von Schulen und
Schulklassen mit Altenheimen. Ich denke an Gesprächs-
kreise der Generationen über Kultur, Geschichte oder
Politik, an Hilfestellungen von Mittelständlern im Ruhe-
stand für Existenzgründer. Ein anderes Beispiel sind die

Renate Diemers






(A) (C)



(B) (D)


sogenannten Senioren-Handwerker-Dienste e. V. aus
Hagen, die 1967 als „Kompanie des guten Willens“ ge-
gründet wurden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dies ist das älteste Modell des aktiven Ruhestands sei-
ner Art in Deutschland. Die Mitglieder übernehmen
Handwerkeraufgaben für gemeinnützige Einrichtungen.
Auch hier müßten wir übrigens einmal über Fördermittel
nachdenken.

Damit wird zugleich ein anderes, sehr großes Pro-
blem aufgegriffen. Viele ältere Menschen haben zwar
viele Lebensjahre, aber sie fühlen sich nicht alt und ge-
brechlich, wollen und können noch weiterarbeiten und
am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Sie wollen
nicht auf dem Abstellgleis landen – schon gar nicht
automatisch mit 60. Aber dies werden wir an anderer
Stelle noch ernsthaft zu diskutieren haben.

Mir ist der menschenverbindende Aspekt im Zusam-
menhang mit dem Begriff des Generationenvertrages
genauso wichtig wie eine gute Altersversorgung. Allei-
nige Meßlatte für die soziale Wärme in unserem Land
darf nicht nur die Höhe der sozialen Leistungen sein,
sondern auch der Umfang unserer Bereitschaft zur Mit-
menschlichkeit muß berücksichtigt werden.

Herr Fuhrmann, Sie sind auf den umfangreichen Fra-
genkatalog in unserer Großen Anfrage eingegangen.
Selbstverständlich hätten wir die Antwort auf die eine
oder andere Frage nachlesen können. Aber zum einen
wollen wir mit unseren Fragen die Probleme im Rahmen
der Seniorenpolitik noch einmal öffentlich erörtern und
die Menschen – insbesondere uns selbst – für dieses
Thema sensibel machen. Zum anderen möchten wir von
der Regierung hören, welche Maßnahmen sie ergreift,
um weitere Verbesserungen auf den Weg zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn wir, meine Damen und Herren von der Koalition,
haben gute Gesetze gemacht und Ihnen gute Vorlagen
für weitere Verbesserungen hinterlassen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Die letzte Bemerkung war leider falsch!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406911500
Ich gebe das Wort
der Kollegin Christa Lörcher, SPD-Fraktion.


Christa Lörcher (SPD):
Rede ID: ID1406911600
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Als letzte Red-
nerin in dieser Debatte möchte ich meine große Betrof-
fenheit ausdrücken, daß in diesem Haus das Wort „ent-
sorgen“ im Zusammenhang mit Menschen gefallen ist.
Ich schäme mich dafür.


(Zuruf von der CDU/CSU: Schämen Sie sich für die DDR?)


– Ich schäme mich für die Kollegin, die Verantwortung
für alte Menschen getragen hat und so etwas sagt.

Zur Großen Anfrage: Sie dokumentiert ein breites
Interesse an der Situation der älteren Menschen bei uns:
Alters- und Vermögensstruktur, Aktivitäten und Enga-
gement, Hilfs- und Pflegebedürftigkeit, Wohnsituation
von Älteren, Gewalt gegen Ältere, Altern in der Fremde
und Alternsforschung. Diese Anfrage ist erfreulich, weil
sie uns allen Gelegenheit gibt, zu den wichtigen Themen
der Altenpolitik Stellung zu beziehen: Welchen Stellen-
wert haben Ältere in unserer Gesellschaft? Wie sind ihre
Lebensbedingungen? Wie haben diese Bedingungen sich
entwickelt, wie werden sie sich voraussichtlich weiter-
entwickeln? Welchen Handlungsbedarf gibt es in Politik
und Gesellschaft?

Die Große Anfrage ist aber auch verwunderlich, weil
sie manches offenbart. Sie zeigt – wie meine Kollegen
schon gesagt haben –, daß ein großer Teil der intensiven
Arbeit in der Enquete-Kommission „Demographischer
Wandel“ an den damaligen Regierungsparteien fast
spurlos und ohne Gewinnung von Erkenntnissen vorbei-
gegangen ist. Und sie zeigt – es mag für Sie in der Op-
position schwierig sein das zu akzeptieren –, daß Stra-
tegien und Handeln für eine solidarische und zukunfts-
orientierte Altenpolitik während Ihrer Regierungsjahre
nicht stattfanden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will zu einigen Bereichen der Anfrage aufzeigen,
wo es interessante Daten und Informationen gibt und wo
nicht erst seit heute dringender Handlungsbedarf besteht.

Die Fragen 1 und 2 der Großen Anfrage beziehen
sich auf die demographische Entwicklung und verlangen
Auskünfte zu Veränderungen der Altersstruktur mit be-
sonderem Augenmerk auf die Älteren in unserer Bevöl-
kerung. Bei der Frage der Altersstruktur – das wissen
wir – ist nicht nur die Situation der Älteren wichtig,
sondern auch, wie sich die Zahl der Jüngeren entwickelt,
wie ihre Lebenssituation ist. Und weil die Geburten-
quote bei uns und in anderen Industrienationen ziemlich
beständig auf einem niedrigen Niveau verharrt, können
wir froh sein über Familien mit Kindern, die zu uns
kommen, sei es aus der Türkei, sei es aus Kasachstan
oder aus anderen Teilen der Welt. Wie also entwickeln
sich Daten und Fakten zu Migration und Integration in
unserem Land?

Ich bin froh, daß in der Enquete-Kommission „De-
mographischer Wandel“ dazu sehr ausführlich und diffe-
renziert recherchiert und diskutiert wurde und damit
Grundlagen für die nötigen Schlußfolgerungen gelegt
wurden. Diese wollen wir gemeinsam in politisches
Handeln umsetzen.

Zur Vermögenssituation der älteren Menschen bei
uns hat der Kollege Kurt Bodewig schon einiges gesagt.
Ich will nur zwei sehr persönliche Bemerkungen anfü-
gen. Ich bin dankbar, daß von dieser Regierung endlich
die immer weiter auseinandergehende Schere zwischen
Arm und Reich unter die Lupe genommen und ein Be-
richt erstellt wird, der über Armut und Reichtum in un-
serem Land Auskunft geben soll.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Renate Diemers






(B)



(A) (C)



(D)


Und: Ich freue mich, daß endlich die große Kluft zwi-
schen dem Einkommen von Männern und Frauen im
Alter zumindest abgemildert werden kann: zum einen
durch die verschiedenen Modelle für die eigenständige
Alterssicherung der Frau, zum anderen durch die ge-
plante Grundsicherung, die den Gang zum Sozialamt er-
sparen soll.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu eine kleine Geschichte aus dem Alltag einer
Seniorin: Als ich vor rund zehn Jahren in einer Sozial-
station auf der Alb tätig war, traf ich eine alte Frau, die
von 90 DM im Monat – ich habe keine Null vergessen –
gelebt hat: im Hause ihrer Eltern, mit einem für das
Überleben äußerst wichtigen Garten, in den Kleidern
ihrer Großmutter. Nie wäre dieser Frau in den Sinn ge-
kommen, zum Sozialamt zu gehen. Dies als konkretes
Beispiel zu Frage 15 und zu den Möglichkeiten, ver-
schämte Altersarmut zu bekämpfen.

Zu dem Fragenkomplex Aktivitäten und Engage-
ment der Älteren in unserer Gesellschaft drei Anmer-
kungen: Unabhängig von der Güte der bisherigen Daten
wissen wir, daß ohne die ehrenamtliche Mitarbeit von
älteren Menschen in Vereinen, Parteien, Sport- und
Wohlfahrtsverbänden, Bildungs- und sozialen Einrich-
tungen, Hilfsorganisationen und kirchlichen Gruppen
vieles an Ideen, Verständigung, Hilfe, Solidarität und
Menschlichkeit fehlen würde. Deswegen mein Dank an
alle, die sich für eine solidarische und humane Gesell-
schaft einsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daß eine Enquete-Kommission zur Förderung des
Ehrenamtes in dieser Legislaturperiode ihre Arbeit auf-
nehmen wird, ist ein positives Signal, das von diesem
Parlament ausgeht.

Daß mehr Frauen als Männer ehrenamtlich aktiv sind,
ist nicht überraschend. Längst ist bekannt, daß Frauen an
der unbezahlten Arbeit stärker und weit weniger an der
bezahlten Arbeit beteiligt sind. Dies ist eine der Ursa-
chen für die geringere Absicherung im Alter. Eine ge-
rechtere Verteilung von bezahlter und unbezahlter Ar-
beit ist eine der uralten Forderungen von uns Frauen in
der SPD.

Eine interessante Information enthält die Antwort auf
die Frage 55. In einer Studie der Universität Erlangen-
Nürnberg im Rahmen des Forschungsprojektes „Mög-
lichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung in
privaten Haushalten“ wurde festgestellt, daß es deutliche
Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern
bei der Beteiligung von Frauen und Männern an der
häuslichen Pflege von Angehörigen gab. In den östli-
chen Bundesländern beteiligten sich signifikant mehr
Männer als in den westlichen. Dafür gibt es sicherlich
viele Gründe, unter anderem die höhere Arbeitslosigkeit.
Trotzdem empfinde ich diese höhere Beteiligung der
Männer an der häuslichen Pflege als ein positives Si-
gnal.

Damit bin ich beim nächsten Bereich, nämlich der
Hilfs- und Pflegebedürftigkeit im Alter. Es fällt auf,
daß sehr viel an Daten zur Pflegeversicherung abgefragt
wird: Pflegesätze, Entgelte und monatliche Differenzen.
Sicher ist eine ausreichende finanzielle Ausstattung für
Pflegebedürftige, Pflegende und die nötigen Institutio-
nen eine Grundvoraussetzung für eine menschenwürdige
Pflege. Die Finanzierung allein macht aber noch keine
menschenwürdige Pflege und Betreuung aus. Zu den
Bedürfnissen und der Lebensqualität der zu Betreuenden
habe ich in der Großen Anfrage keine Frage gesehen.

Die Fragen zu Demenzerkrankungen sind insofern
interessant, als sie nochmals auf die Große Anfrage
meiner Fraktion in der letzten Legislaturperiode zur Si-
tuation der Demenzkranken aufmerksam machen. Posi-
tiv ist, daß Untersuchungen und Forschungsprojekte
zum Thema Demenzerkrankungen auch bei uns in
Deutschland verstärkt angegangen werden und daß so-
wohl Grundlagen- wie auch Versorgungsforschung
„einen hohen Stellenwert haben“ – so die Bundesregie-
rung in ihrer Antwort.

Auch die Tatsache, daß es immer mehr Selbsthilfe-
gruppen für Angehörige von Alzheimerkranken gibt und
daß inzwischen verschiedene Institutionen und Verbän-
de speziell für Demenzkranke und für ihre Angehörigen
da sind, ist sehr erfreulich.

Entscheidend für die Qualität von Pflege und Be-
treuung ist, daß Pflegende kompetent sind für ihre Ar-
beit mit Menschen. Qualifikation ist nötig für Qualität.
Deshalb werbe ich, wie vor sechs Wochen bei der De-
batte zur Altenpflegeausbildung, für eine bundeseinheit-
liche Altenpflegeausbildung auf hohem Niveau und für
gute Rahmenbedingungen bei dieser anspruchsvollen
und oft schwierigen Arbeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406911700
Frau Kollegin Lör-
cher, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordne-
ten Reinhardt?


Christa Lörcher (SPD):
Rede ID: ID1406911800
Bitte.


Erika Reinhardt (CDU):
Rede ID: ID1406911900
Frau Kollegin Lör-
cher, ich stimme Ihnen zu, daß das Thema Demenzer-
krankung eine wesentliche Rolle spielt und daß es hierzu
im Bereich der Pflege dringend einer Verbesserung be-
darf. Sind Sie bereit, in der Regierungskoalition dafür
Sorge zu tragen, daß es auf diesem Gebiet eine Verbes-
serung gibt?


Christa Lörcher (SPD):
Rede ID: ID1406912000
Danke für diese Frage, Frau
Kollegin Reinhardt. Das Problem von Demenzerkran-
kungen ist nicht erst heute aufgetaucht, sondern dieses
gab es schon während Ihrer Regierungszeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Christa Lörcher






(A) (C)



(B) (D)


Sie wissen sehr wohl, daß wir in der Koalition der Mei-
nung sind, daß geprüft werden muß, woher das Geld für
Verbesserungen der Leistungen in der Pflegeversiche-
rung kommen kann. Ich bin ganz sicher, daß wir bei den
Verbesserungen Schritt für Schritt so weitermachen
werden, wie wir angefangen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406912100
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage?


Christa Lörcher (SPD):
Rede ID: ID1406912200
Bitte.


Erika Reinhardt (CDU):
Rede ID: ID1406912300
Frau Kollegin Lör-
cher, Sie haben natürlich meine Frage nicht beantwortet.
Ich wollte konkret wissen, ob Sie bereit sind, für eine
Verbesserung im Bereich der Demenzerkrankung ein-
zutreten.


(Susanne Kastner [SPD]: Hat sie doch gesagt!)



Christa Lörcher (SPD):
Rede ID: ID1406912400
Ich habe Ihnen gesagt, das
wird geprüft. Selbstverständlich sind wir bereit, Verbes-
serungen vorzunehmen, wenn wir die Mittel dafür haben
und uns das möglich ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein vielfach tabuisiertes Thema, das auch in der Gro-

ßen Anfrage angesprochen worden ist, ist die Gewalt
gegen ältere Menschen. Alles zu erforschen, was diese
Frage beinhaltet, und Maßnahmen zur Prävention und
Intervention zu ergreifen ist im Hinblick auf Menschen in
jedem Alter außerordentlich wichtig, allen voran aber für
diejenigen, die unseren besonderen Schutz und unsere
Hilfe brauchen, weil sie sich selber nicht wehren können.
Ich verstehe allerdings nicht, warum Sie von der heutigen
Opposition unseren damaligen Antrag „Gewalt gegen
Ältere – Prävention und Intervention“ aus dem Jahr 1996
seinerzeit abgelehnt haben. Wir wären sehr viel weiter,
wenn wir mit dieser Arbeit früher begonnen hätten.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wichtig ist – das möchte ich als letzten Punkt auf-
greifen – die Situation der älteren Migrantinnen und
Migranten. Sie haben „Ausländerinnen und Ausländer“
geschrieben; aber ich möchte ausdrücklich auch die
Aussiedlerinnen und Aussiedler nennen. Sie sind die
zahlenmäßig am stärksten wachsende Gruppe in unserer
Bevölkerung.

Ich freue mich über Ihre Fragen dazu, zum Beispiel
über etwaige Integrationshemmnisse und besondere In-
tegrationsmaßnahmen. Es fehlt mir allerdings der Glau-
be an die Ernsthaftigkeit dieser Fragen, nachdem wir uns
im Rahmen der Enquete-Kommission – Sie wissen das,
Frau Reinhardt – in der Arbeitsgruppe Migration/Inte-
gration rund drei Jahre lang mit diesen Fragen beschäf-
tigt haben, insbesondere mit der Situation von Kindern,
Familien und Älteren, siehe Kapitel VII des zweiten
Zwischenberichtes.

Der Glaube fehlt mir vor allem auch deshalb, weil
während dieser Arbeit der eine Teil Ihrer Fraktion bei
den Sitzungen praktisch nicht vertreten war und der an-
dere Teil Ihrer Fraktion – der den schönen Namen
„christlich-sozial“ trägt –, der vertreten war, sich vor
allen Dingen durch vielfältige Bedenken und möglichst
hohe Hürden auf dem Weg zur Integration hervorgetan
hat. Sie müssen es mir nachsehen, daß ich das hier er-
wähne. Ich fand unsere Arbeit sehr wichtig. Die F.D.P.
hat konstruktiv mitgearbeitet. Aber aus Ihrer Fraktion
kam wenig, und wenn etwas kam, waren es Schwierig-
keiten auf dem Weg zur Integration.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das ist eine Verleumdung!)


Ich schließe mit einer ganz kurzen Begebenheit. Herr
K. in der Gerontopsychiatrie, den ich oft und gerne zitie-
re, schreit, schlägt um sich und spuckt. Irgendwann sitze
ich neben ihm und frage, warum er so schreit. Seine
Antwort, knapp und deutlich: Damit ich weiß, daß ich
noch am Leben bin.

Sie sehen den Handlungsbedarf.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406912500
Ich schließe die
Aussprache.

Ich bitte Sie um Aufmerksamkeit für eine Reihe von
Tagesordnungspunkten ohne Aussprache, bei denen wir
abzustimmen haben.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b
sowie Zusatzpunkt 2 auf:
14. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung und Ergänzung vermögensrechtlicher

(Vermögensrechtsergänzungsgesetz – VermRErgG)

– Drucksache 14/1932 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend b)

Gebhardt, Dr. Heinrich Fink, Wolfgang Gehrcke-
Reymann, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes über den Tag des Gedenkens an die Be-
freiung vom Nationalsozialismus
– Drucksache 14/1002 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend Christa Lörcher ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Burchardt, Monika Griefahn, Heinz Schmitt der SPD sowie der Abgeordneten Angelika Beer, Matthias Berninger, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Förderung der Friedensund Konfliktforschung – Drucksache 14/1963 – Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-zung (federführend)Auswärtiger AusschußVerteidigungsausschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 s sowie Zusatzpunkt 3 auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 15 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes – Drucksache 14/1415 – Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie – Drucksache 14/2017 – Berichterstattung: Abgeordneter Werner Schulz Der Ausschuß für Wirtschaft und Technologie empfiehlt auf Drucksache 14/2017, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? Wir sind bei einer Reihe von Abstimmungen, die wir ohne Aussprache durchführen. Aber ich bitte doch sehr darum, daß sich die Geschäftsführer der Fraktionen darauf konzentrieren, ihren Mitgliedern zu sagen, wie die Fraktionshaltung ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





(B)


(A) (C)


(D)


(Berg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion


(Erste Beratung 55. Sitzung)


(Unruhe bei der SPD)


Ich frage deshalb bei diesem Tagesordnungspunkt
noch einmal


(Widerspruch bei der SPD)

– ich muß doch feststellen, wie die einzelnen Fraktionen
hier abgestimmt haben –: Wer stimmt dem Gesetzent-
wurf zu? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Es
wäre doch schade, wenn wir durch die Nichtwiederho-

lung dieser Abstimmung die Einstimmigkeit des Hauses
verhindert hätten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 15 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Meliorationsanlagengeset-
zes (MeAnlÄndG)

– Drucksache 14/1832 –

(Erste Beratung 66. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

(10. Ausschuß)

– Drucksache 14/2045 –
Berichterstattung:

(Großhennersdorf)


Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie in der zweiten
Beratung angenommen.

Tagesordnungspunkt 15 c:
Zweite und Dritte Beratung des von den Fraktio-
nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Verarbeitung und Nutzung der zur Durchfüh-
rung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Ra-
tes erhobenen Daten und zur Änderung des

(Verordnung – Drucksache 14/1856 – Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten – Drucksache 14/2001 – Berichterstattung: Abgeordnete Marita Sehn Vizepräsident Rudolf Seiters Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf Drucksache 14/2001 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 14/2001 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Tagesordnungspunkt 15 d: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Düngemittelgesetzes – Drucksache 14/1857 – Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten – Drucksache 14/2002 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Klaus Rose Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf Drucksache 14/2002, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Ergebnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 15 e: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll zur Änderung des Übereinkommens vom 23. Juli 1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen – Drucksachen 14/1653, 14/1846 – Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – Drucksache 14/1897 – Berichterstattung: Abgeordnete Heidemarie Ehlert Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 14/1897, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkte 15 f bis 15 l: f)


(EG) Nr. 820/97 – Durchführungsgesetz)


(Erste Beratung 63. Sitzung)


(10. Ausschuß)





(A) (C)


(B) (D)


(Erste Beratung 63. Sitzung)


(10. Ausschuß)


(Erste Beratung 61. Sitzung)


der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. De-
zember 1997 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Belarus über
den Luftverkehr
– Drucksache 14/1026 –

(Erste Beratung 45. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15. Ausschuß)

– Drucksache 14/1964 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen

g) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
23. April 1998 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regie-
rung der Tschechischen Republik über den
Luftverkehr
– Drucksache 14/1025 –

(Erste Beratung 45. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15. Ausschuß)

– Drucksache 14/1965 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen

h) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29.
Mai 1998 zwischen der Regierung der Bun-

Vizepräsident Rudolf Seiters






(B)



(A) (C)



(D)


desrepublik Deutschland und der Regierung
der Mongolei über den Fluglinienverkehr
– Drucksache 14/1024 –

(Erste Beratung 45. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15. Ausschuß)

– Drucksache 14/1966 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen

i) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
10. März 1998 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Südafrika über
den Luftverkehr
– Drucksache 14/1023 –

(Erste Beratung 45. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15. Ausschuß)

– Drucksache 14/1967 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen

j) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 12. No-
vember 1997 zur Ergänzung des Abkommens
vom 2. November 1987 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und Neuseeland über
den Luftverkehr
– Drucksache 14/1022 –

(Erste Beratung 45. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15. Ausschuß)

– Drucksache 14/1968 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen

k) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Protokoll vom 15. Juni
1998 zur Ergänzung des Luftverkehrsab-
kommens vom 2. März 1994 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den Verei-
nigten Arabischen Emiraten
– Drucksache 14/1021 –

(Erste Beratung 45. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15. Ausschuß)

– Drucksache 14/1969 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen

l) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Mai
1998 zwischen der Regierung der Bundesre-
publik Deutschland und der Regierung der
Republik Armenien über den Luftverkehr
– Drucksache 14/1020 –

(Erste Beratung 45. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuß)

– Drucksache 14/1970 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen

Der Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen empfiehlt auf den Drucksachen 14/1964 bis
14/1970, die Gesetzentwürfe unverändert anzunehmen.
Kann ich davon ausgehen, daß wir über die Gesetzent-
würfe gemeinsam abstimmen können? – Das ist der Fall.
Dann verfahren wir so.

Ich bitte diejenigen, die den Gesetzentwürfen zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Die Gesetzentwürfe sind ein-
stimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 15 m:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu den Änderungen vom
24. April 1998 des Übereinkommens vom
3. September 1976 über die Internationale Or-
ganisation für mobile Satellitenkommunika-
tion (Inmarsat-Übereinkommen)

– Drucksache 14/1089 –

(Erste Beratung 47. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuß)

– Drucksache 14/1974 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Christian Müller (Zittau)


Der Ausschuß für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt auf Drucksache 14/1974, den Gesetzentwurf un-
verändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der
Fraktion der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 15 n:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Vertrag vom 21. Dezem-
ber 1995 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Armenien über

Vizepräsident Rudolf Seiters






(A) (C)



(B) (D)


die Förderung und den gegenseitigen Schutz
von Kapitalanlagen
– Drucksache 14/1008 –

(Erste Beratung 47. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuß)

– Drucksache 14/1975 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

Der Ausschuß für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt auf Drucksache 14/1975, den Gesetzentwurf un-
verändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS
angenommen.

Tagesordnungspunkt 15 o:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-
Abkommen vom 24. November 1997 zur
Gründung einer Assoziation zwischen den Eu-
ropäischen Gemeinschaften und ihren Mit-
gliedstaaten einerseits und dem Haschemiti-
schen Königreich Jordanien andererseits
– Drucksache 14/1006 –

(Erste Beratung 47. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuß)

– Drucksache 14/1976 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

Der Ausschuß für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt auf Drucksache 14/1976, den Gesetzentwurf un-
verändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 15 p:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuß) zu der Verordnung der
Bundesregierung:
Aufhebbare Sechsundneunzigste Verordnung
zur Änderung der Ausfuhrliste – Anlage AL
zur Außenwirtschaftsverordnung –
– Drucksachen 14/1414, 14/1616 Nr. 2.1, 14/
2034 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

Der Ausschuß empfiehlt, die Aufhebung der Verord-
nung der Bundesregierung auf Drucksache 14/1414
nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlußemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlußempfehlung ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 15 q:
Beratung des Berichts des Ausschusses für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung

(1. Ausschuß) zu den Verfahren nach §44b Ab-

geordnetengesetz (AbgG) Überprüfung auf Tä-
tigkeit oder politische Verantwortung für das
Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Na-
tionale Sicherheit der ehemaligen Deutschen
Demokratischen Republik
– Drucksache 14/1900 –

Der Bericht liegt Ihnen auf Drucksache 14/1900 vor.
Sie haben davon Kenntnis genommen.

Tagesordnungspunkte 15 r und 15 s:
r) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406912600

Sammelübersicht 92 zu Petitionen
– Drucksache 14/1980 –

s) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 93 zu Petitionen
– Drucksache 14/1981 –

Wir kommen zunächst zur Sammelübersicht 92 auf
Drucksache 14/1980. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 92 ist
mit den Stimmen des Hauses bei Ablehnung durch die
PDS angenommen.

Wir kommen zur Sammelübersicht 93 auf Drucksa-
che 14/1981. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen?
– Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 93 ist mit den
Stimmen des Hauses bei Ablehnung durch die PDS an-
genommen.

Wir kommen zum Zusatzpunkt 3:
Zweite und Dritte Beratung des von den Fraktio-
nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes zur Entlastung des Bundes-
finanzhofs
– Drucksache 14/1666 –

(Erste Beratung 61. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuß)

– Drucksache 14/2038 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Susanne Tiemann
Rainer Funke

Vizepräsident Rudolf Seiters






(B)



(A) (C)



(D)


Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 14/
2038, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.

Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 5 auf:
– Zweite und dritte Beratung des Entwurfs

eines Gesetzes zur Fortführung der ökolo-
gischen Steuerreform

– Drucksachen 14/1524, 14/1668 –

(Erste Beratung 53. und 58. Sitzung)

– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-

geordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hilde-
brecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über eine ökologisch wirklich wirksame
Umstellung der Besteuerung ohne Mehr-
belastung für Bürger und Wirtschaft

– Drucksache 14/399 –

(Erste Beratung 24. Sitzung)


a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuß)

– Drucksache 14/2027 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz
Heinz-Georg Seifert
Klaus Wolfgang Müller (Kiel)

Carl-Ludwig Thiele
Dr. Barbara Höll

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 14/2049 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel

Es liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU und der Fraktion der F.D.P. sowie zwei Ent-
schließungsanträge der Fraktion der PDS vor. Über die
beiden Änderungsanträge und den Gesetzentwurf zur
Fortführung der ökologischen Steuerreform werden wir
nachher namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen

Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die
Aussprache und gebe als erstem Redner dem Kollegen
Reinhard Schultz für die SPD-Fraktion das Wort.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1406912700
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Die ökologische Steu-
erreform ist ein weiterer wichtiger Baustein des Zu-
kunftsprogramms 2000. Neben dem Steuerentlastungs-
gesetz mit einer Entlastungswirkung in Höhe von
20 Milliarden DM im Jahr 2002, neben dem Familien-
förderungsgesetz mit einer Entlastungswirkung in bei-
den Stufen in Höhe von voraussichtlich 10 Milliarden
DM und neben der Unternehmensteuerreform mit einer
Entlastungswirkung in Höhe von voraussichtlich minde-
stens weiteren 10 Milliarden DM


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Abkassieren! Geldbeschaffungsmaßnahmen!)


wird die ökologische Steuerreform im Jahre 2003 eine
Entlastungswirkung in bezug auf die Kosten der Arbeit
in Höhe von 34 Milliarden DM entfalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nehmen wir die erste Stufe der ökologischen Steuer-
reform und die heute zu verabschiedende zweite bis
fünfte Stufe zusammen, dann entlasten wir die Wirt-
schaft und die Arbeitnehmer allein durch diese Maß-
nahme in fünf Jahren um insgesamt 115 Milliarden DM.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Genau dieser Betrag kommt ungeschmälert den Kassen
der Rentenversicherungsträger zugute. Die Bundesregie-
rung wird bis zum Jahre 2003 die Rentenversiche-
rungsbeiträge auf deutlich unter 19 Prozent senken.
Das hat das Arbeitsministerium bereits mitgeteilt. Damit
wird auch bei den aktiven Versicherten, besonders bei
der jungen Generation, das Verständnis für die Frage der
Zumutbarkeit von Beitragsbelastungen und die Notwen-
digkeit der gesetzlichen Sozialrente gestärkt. Die ökolo-
gische Steuerreform ist damit ein ganz wichtiger Bau-
stein für die Reform der Alterssicherungssysteme und
die Erneuerung des Generationenvertrags insgesamt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Behutsam und in kleinen Schritten programmiert die
ökologische Steuerreform eine Erhöhung der Preise für
Kraftstoffe und Strom vor und gibt damit Verbrauchern
und Herstellern Gelegenheit, sich auf Energiespartech-
niken umzustellen. Dies gilt für Investitionsgüter ebenso
wie für Haushaltsgeräte, Heizungssysteme oder Kraft-
fahrzeuge. Wir sind davon überzeugt, daß selbst diese
kleinen Schritte ihre Lenkungswirkung mittelfristig
nicht verfehlen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dabei trifft das zweite Gesetz zur ökologischen Steu-
erreform auf eine energiepolitische Landschaft, die vom
Verfall der Strompreise und vom Anstieg der Mineralöl-

Vizepräsident Rudolf Seiters






(A) (C)



(B) (D)


preise gekennzeichnet ist. Die brutale Liberalisierung
des Strommarktes in Deutschland findet in keinem an-
deren Land der EU eine Entsprechung. Das hat uns die
Regierung Kohl/Rexrodt leichtfertig eingebrockt.


(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Die Verbraucher finden das schön!)


Dumpingpreise auf dem Strommarkt werden dazu
führen, daß weder die Erneuerungsinvestitionen für den
deutschen Kraftwerkspark erwirtschaftet werden können
noch Energiesparen sich wirklich lohnen wird.


(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Die Verbraucher finden das aber schön!)


Dumpingpreise bei der Stromversorgung fördern nichts
außer eine große „Deinvestitionswelle“ und den Ver-
zicht auf die eigene Wertschöpfung in der Stromerzeu-
gung im eigenen Land sowie den Zusammenbruch des
daran hängenden Anlagenbaus.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406912800
Herr Kollege
Schultz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Schauerte?


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1406912900
Selbstver-
ständlich.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1406913000
Herr Kollege, Sie
haben gerade sehr eindrucksvoll geschildert, wie sehr
Sie die durch die Erhöhung der Mineralölsteuer in Höhe
von 6 Pfennig pro Liter eingetretene Lenkungswirkung
begrüßen und daß dies das wesentliche Ziel Ihrer Ope-
ration sei.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1406913100
Eines von
zwei Zielen.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1406913200
Begrüßen Sie
deswegen auch die Preiserhöhung durch die OPEC, die
mittlerweile zu Mehrkosten in Höhe von 25 Pfennig pro
Liter geführt hat? Ist auch das in Ihrem Sinne? Wird da-
durch die Lenkungswirkung erhöht und verbessert?


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1406913300
Herr
Schauerte, ich wäre zwar gleich sowieso darauf zu spre-
chen gekommen, aber ich gehe gern schon jetzt darauf
ein. Die maßvolle Erhöhung der Mineralölsteuer auf
Kraftstoffe um sechs Pfennig pro Liter bewegt sich in
der Bandbreite der bisherigen Schwankungen der
OPEC-Einstandspreise und liegt deutlich unter den Mi-
neralölsteuererhöhungen, die Ihre frühere Regierung im
abgelaufenen Jahrzehnt den Kraftfahrern aufgegeben
hat, allerdings nur um Kasse zu machen und ohne irgend
etwas davon an irgendwen zurückzugeben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insofern sage ich Ihnen, Herr Kollege Schauerte: Wir
sind deswegen so behutsam und machen so kleine

Schritte, damit wir das Marktgeschehen bei den Mine-
ralölkonzernen miteinbeziehen können und nicht durch
eine doppelte, zu starke Verteuerung einen Schock aus-
lösen, der zur Nichtakzeptanz der gesamten Maßnahme
führen würde.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ihr bringt eine Verzerrung in den Wettbewerb hinein!)


Die Dumpingpreise in der Energiewirtschaft führen
aber auch dazu, daß international vereinbarte Ziele des
Klimaschutzes nicht oder nur sehr schwer erreichbar
sein werden, weil schlicht und einfach der ökonomische
Anreiz fehlt. Aus den genannten Gründen ist der Ein-
griff in die Preissysteme der Energieversorgung poli-
tisch zwingend geboten, sowohl durch die ökologische
Steuerreform als auch durch andere Maßnahmen, die
den Stromstandort Deutschland entwickeln helfen und
zugleich dem Klimaschutz dienen.

Ich habe bereits eben im Rahmen der Beantwortung
Ihrer Frage, Herr Schauerte, zu erläutern versucht, in
welchen Bandbreiten wir uns bei den Kraftstoffpreisen
bewegen, was Sie selbst hier veranstaltet haben und was
die OPEC in der Vergangenheit getan hat und jetzt tut.
Ich glaube, wir sind auf einem vernünftigen Weg.

Wir wissen ganz genau – das ist unsere Grundein-
stellung –, daß wir trotz unseres großen und politisch
wichtigen Ziels, Arbeit zu entlasten und Ökologie zu
fördern, Wirtschaft und Verbraucher nicht überfordern
dürfen, daß wir sie an den Weg der Mehrbelastung von
Energieverbrauch bei gleichzeitiger Entlastung der Ar-
beit behutsam gewöhnen müssen. Von dieser Einsicht ist
auch dieses Gesetz deutlich geprägt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben bereits in der ersten Stufe der ökologi-
schen Steuerreform für das produzierende Gewerbe und
für die Landwirtschaft eine deutlich geringere zusätzli-
che Energiesteuerbelastung durchgesetzt als für die an-
deren Wirtschaftszweige und für die Verbraucher. Wir
haben die mögliche Mehrbelastung der Wirtschaft ge-
deckelt, indem wir nur ein Überschreiten der Mehrbela-
stung gegenüber der Entlastung durch die Rentenbei-
tragszahlungen um den Faktor 1,2 zugelassen haben.
Dieser Mechanismus gilt auch für die nächsten Stufen
der ökologischen Steuerreform.

Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschafts-
forschung in Essen hat nachgezeichnet, für welche
Branchen es zu höheren und für welche es zu niedrigen
Belastungen gekommen ist. Als Faustregel kann man
festhalten, daß überall dort, wo mehr Mitarbeiter an der
Wertschöpfung beteiligt sind, eine deutliche Nettoent-
lastung durch die niedrigeren Beiträge zur Sozialversi-
cherung eintritt. Das ist auch so gewollt.

Aber auch für die kapital- und rohstoffintensiven
Unternehmen mit geringerer Wertschöpfungstiefe ist die
Mehrbelastung begrenzt. Damit wird erreicht, daß es
trotz des harten internationalen Wettbewerbs nicht zu
Standortverlagerungen für energieintensive Unterneh-
men kommt.

Reinhard Schultz (Everswinkel)







(B)



(A) (C)



(D)


Anfang dieser Woche hat Gro Harlem Brundtland,
die frühere norwegische Ministerpräsidentin und politi-
sche Patin des weltweiten Agenda-21-Prozesses,
Deutschland aufgefordert, etwas mutigere Schritte bei
den Green taxes zu gehen. Sie hat darauf hingewiesen,
daß Norwegen als Energieexportland dies getan hat und
im Grunde genommen das eigene Produkt verteuert hat
und trotzdem dabei gut gefahren ist. Ich glaube, sie hat
recht. Wenn wir unsere vorsichtige Politik der planba-
ren, überschaubaren und schrittweisen Erhöhung in die
Zukunft fortschreiben, werden wir die positiven ökolo-
gischen und wirtschaftlichen Effekte vielleicht eher als
heute verzeichnen können, wo wir ganz am Anfang ei-
ner Entwicklung stehen.

In diesen Zusammenhang gehört die Frage, warum
wir für die Wirtschaft so viele Ausnahmetatbestände
zulassen. Die Antwort ist einfach: Wir wollen durch den
Einstieg in diese Reform keine Standorte gefährden,
sondern wollen der Wirtschaft die Anpassung an die
neue politische Faktorbewertung zu Lasten des Energie-
verbrauchs und zugunsten der Arbeit erleichtern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wollen und können sind zwei verschiedene Sachen!)


Dieser Anpassungsprozeß darf natürlich nicht ewig
dauern. Die EU-Kommission hat die Ausnahmegeneh-
migungen des ersten Gesetzes zur ökologischen Steuer-
reform bis zum 30. März 2002 befristet.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Was passiert denn dann?)


Wir haben die Frist in das zweite Gesetz aufgenommen,
um Klarheit auch nach außen zu schaffen. Wir haben
auch für die neuen Beihilfetatbestände, die sogenannten
Ausnahmen, nur eine Genehmigung bis zu diesem Zeit-
punkt beantragt. Wir werden rechtzeitig, bereits im
kommenden Jahr, über Nachfolgeregelungen auch mit
den betroffenen Wirtschaftszweigen sprechen und diese
deutlich zielgenauer ausgestalten. Denn wir wollen kei-
ne Dauersubventionierung, sondern wir wollen einen
Anpassungsprozeß initiieren, der dann im Normalfall
abgeschlossen sein müßte.

Übrig bleiben Unternehmen mit großem Verbrauch
an Prozeßenergie – bei diesen Unternehmen machen die
Energiekosten die Standortbedingungen aus –, die auch
ohne Ökosteuerreform naturgemäß bestrebt sind, ihren
Verbrauch zu senken und damit ihre Energierechnung
niedrig zu halten. Auf diese Unternehmen – abgesehen
vom Verkehr und anderen Bereichen – werden wir uns
zu konzentrieren haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat gewaltige Anstrengungen
unternommen, um in der EU einen Konsens über die
Harmonisierung der Energiebesteuerung durchzusetzen.


(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Was ist denn das: „gewaltige Anstrengungen“?)


Sie hatte damit auch Erfolg, mit einer Ausnahme, näm-
lich der Spaniens. Die Bundesregierung hatte diese Fra-
ge zu einem der wesentlichen Punkte ihrer Präsident-

schaft gemacht und ist wegen des Einstimmigkeitsprin-
zips am Widerstand eines Landes, nämlich Spaniens, ge-
scheitert. Trotzdem kann aber von einem Erfolg gespro-
chen werden; denn es ist gelungen, alle anderen Staaten
grundsätzlich mit ins Boot zu nehmen. Wenn man sich
einmal anschaut, wie sich das in den einzelnen Ländern
der EU und bei unseren Nachbarn entwickelt, dann wird
man feststellen: Wir sind längst nicht mehr allein. Die
skandinavischen Länder, die Niederlande, Großbritanni-
en und Italien haben ähnliche Wege beschritten, nicht
zuletzt auch die Schweiz. Frankreich will einen ähnli-
chen Weg beschreiten. Das heißt, die ökologische Ener-
giebesteuerung ist eine Art Selbstläufer. Die europäische
Wirklichkeit wird in dieser Hinsicht neu geprägt. Man
ist also nicht allein darauf angewiesen, einen einstimmi-
gen Ministerratsbeschluß herbeizuführen.

Ein besonderes Problem stellt das Strompreisniveau
in Ostdeutschland dar. Verschiedentlich ist gefordert
worden, Ostdeutschland von der Stromsteuererhöhung
auszunehmen. Ich hatte Gelegenheit, vor diesem Hause
bereits darzulegen, daß dies eine zusätzliche Beihilfe
wäre, der die EU nicht zustimmen würde.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Warum denn nicht?)


Ich hatte aber damals in Aussicht gestellt, daß die be-
sonderen Mehraufwendungen, die auf Grund des neuen
Kraftwerksparks mit seinen hohen Abschreibungen in
Ostdeutschland zu leisten sind, auf die Schultern mög-
lichst aller Stromkunden in Deutschland verteilt werden
sollen. Das wäre sozusagen eine strukturpolitische Hilfe.
Ich danke Bundeswirtschaftsminister Werner Müller
ausdrücklich dafür, daß er inzwischen im Konsens mit
der VEAG und den großen Eigentümergesellschaften
einen solchen Weg gefunden hat. Er hat eine unterneh-
merische Lösung für eine solche Verteilung hinbekom-
men. Das wird gleichzeitig dazu führen, daß sich das
Strompreisniveau in Ostdeutschland nicht allzu weit von
den übrigen Regionen entfernen wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit wird sich auch der preisliche Effekt der zusätzli-
chen Stromsteuer zugunsten Ostdeutschlands neutrali-
sieren.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Zugunsten?)

Die Regierungskoalition hat innerhalb des Reform-

werks deutliche Strukturakzente für mehr Ökologie ge-
setzt. Wir haben die Kraft-Wärme-Kopplung mit ho-
hen Wirkungsgraden von der Erdgassteuer ausgenom-
men. Wir haben in dieser Stufe kleineren, kommunalen
Anlagen, deren Geschäft im Wärmemarkt von der kalten
Jahreszeit abhängig ist, die Möglichkeit gegeben, mo-
natlich abzurechnen. Damit stärken wir die Stadtwerke.
Wir haben in der neuen Stufe die Größenordnung bei
den Blockheizkraftwerken, die von der Strom- und Erd-
gassteuer ausgenommen sind, auf 2 Megawatt heraufge-
setzt; wir fördern damit die dezentrale Energieversor-
gung. Das wird eine Investitionswelle auslösen; da bin
ich mir ganz sicher.

Reinhard Schultz (Everswinkel)







(A) (C)



(B) (D)


Mehr Kopfzerbrechen bereiten Überlegungen, Kraft-
werke, die ausschließlich der Stromerzeugung dienen,
generell von der Erdgassteuer auszunehmen. Das hat
man ja auch in der Öffentlichkeit mitbekommen. Das
gilt erst dann, wenn der dort erzeugte Strom für die
Grundlast bestimmt ist. Die SPD lehnt eine Energiepoli-
tik ab, die einseitig – dazu noch mit steuerlicher Förde-
rung – auf lange Sicht einen Verdrängungswettbewerb
zugunsten von Gas im Strommarkt und zu Lasten der
einheimischen Träger in Gang setzen will.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Genau das machen Sie, Herr Schultz!)


Wenn wir, wie manche argumentieren, aus der Atom-
energie schrittweise aussteigen, brauchen wir aus unse-
rer Sicht dafür technisch zwingend keinen Ersatz; denn
bei dem Konzentrationsprozeß in der Energieversor-
gungswirtschaft wird die Bedeutung der Reservehaltung,
die die 40 000 Megawatt Überschuß ausmachen, deut-
lich abnehmen.

Wir wollen keinen Ersatz für Braun- und Steinkohle
auf anderer fossiler Grundlage über ein Maß hinaus, das
ein vernünftiger Energiemix politisch erfordert. Wer
glaubt, daß ein nennenswerter Anteil der deutschen
Stromversorgung billig mit Gas zu erreichen sei, täuscht
sich. Wenn die Nachfrage auf Grund des großen Bedarfs
im Stromsektor anzieht, wären die Lieferanten, wie
Gazprom oder Norwegen, geradezu mit dem Klammer-
beutel gepudert, wenn sie nicht die Preise massiv er-
höhten. Da ist nichts mit billiger Stromversorgung!


(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Wem erzählen Sie das jetzt?)


Aber auf dem Weg dahin gäbe es tiefe Einbrüche in den
Strukturen unserer Bergbaureviere und einen Verzicht
auf zugesagte Kraftwerksinvestitionen, zum Beispiel im
Rheinland allein 20 Milliarden DM.

Deswegen sagt die SPD: Gas hat seine Bedeutung in
Verbindung mit Kraft-Wärme-Kopplung; da ist Gas un-
schlagbar. Darüber hinaus wollen wir High-Tech-
Gaskraftwerken mit besonders hohem Wirkungsgrad aus
technologiepolitischen Gründen eine Chance geben, die
Entwicklungskosten überhaupt einzufahren, und das in
einem zeitlich ganz schmalen Fenster, mehr nicht. Da-
nach überlassen wir sie dem Markt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dauersubventionen wird es weder für das einzelne
Kraftwerk noch vom Grundsatz her mit uns geben. Dar-
auf hat sich die Koalition letztendlich geeinigt.

Neue GuD-Kraftwerke mit einem elektrischen Wir-
kungsgrad von über 57,5 Prozent netto werden für zehn
Jahre ab Inbetriebnahme von der Mineralölsteuer auf
Erdgas befreit. Dies ist ein anspruchsvoller Wert, der in
Deutschland und in Europa bisher nicht erreicht wurde.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ein neuer Wert!)


Damit sind Mitnahmeeffekte auszuschließen, und es
wird sichergestellt, daß die Leistungsfähigkeit des ge-

förderten Kraftwerks objektiv und sachgerecht nachge-
wiesen werden muß, bevor es zu einer Steuergutschrift
kommt.


(Beifall bei der SPD)

Natürlich würden sich die Kohlereviere wünschen,

daß wir auf diesem Gebiet gar nichts machen. Aber der
erreichte Wert schließt massenhafte und subventionierte
Konkurrenz durch Gas gegen Braunkohleverstromung
definitiv aus.


(Beifall bei der SPD)

Ich gehe davon aus, daß es in den nächsten zwei Jah-

ren ein oder zwei High-Tech-Kraftwerke geben wird,
eins davon hoffentlich in Ludmin, im strukturgebeutel-
ten Vorpommern. Das wird aber auch alles sein. Das ge-
fährdet unsere Strukturen letztendlich nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Damen und Herren, die ökologische
Steuerreform setzt einen wichtigen sozialen Akzent. Sie
schafft Raum für ökologische Entwicklungen, und sie ist
struktur- und regionalpolitisch ausgewogen. Deswegen
wünschen wir sie uns und stimmen ihr zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das war eine Mischung von Schleiertanz und Eiertanz! – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406913400
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht nunmehr der Kollege Heinz Seiffert.


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1406913500
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren ! Rotgrün präsentiert
uns heute mit der Fortführung der Ökosteuerreform ein
weiteres Stück aus dem Steuertollhaus.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie setzen damit konsequent den Weg ins Steuerchaos
fort. Dabei lassen Sie sich weder von der Vernunft noch
vom Sachverstand aufhalten.

Dieses Steuergesetz ist handwerklich schlampig. Es
ist verheerend, kompliziert und teilweise kaum anwend-
bar. Es muß, wenn Sie es heute mit Ihrer Mehrheit be-
schließen, alsbald wieder nachgebessert werden, weil
zumindest einer der zahlreichen Umdrucke vom Aus-
schuß fehlerhaft beschlossen wurde. Sie selbst hatten
zwischenzeitlich den Überblick verloren; das werfe ich
Ihnen nicht einmal vor.

Die renommierten Verfassungsrechtler Professor
Schön und Professor Herdegen haben in einem Gutach-
ten ganz erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßig-
keit der ökologischen Steuerreform angemeldet. Sie sa-
gen, diese Steuererhöhung verstoße gegen Grundsätze
des Finanzverfassungsrechts, gegen allgemeine Verfas-
sungsprinzipien der Steuergerechtigkeit und sie verletze

Reinhard Schultz (Everswinkel)







(B)



(A) (C)



(D)


Unternehmen in ihren Grundrechten auf Gleichheit und
Berufsfreiheit.

Meine Damen und Herren, noch beim Einstieg in die
Ökosteuer wurde von Ihnen beteuert, daß alle weiteren
Schritte bei der Energiebesteuerung nur im europäi-
schen Verbund gemacht würden. Nun setzen Sie Ihre
Geisterfahrt fort, obwohl der Herr Bundeskanzler getönt
hat, die Zeit der nationalen Alleingänge sei vorbei. Bis
heute fehlt auch die Genehmigung der EU-Kommission
zu den Ausnahme- und Steuersubventionstatbeständen,
die Sie mit diesem Gesetz neu schaffen. Insofern steht
Ihr bürokratisches Meisterwerk unter Vorbehalt, auf tö-
nernen Füßen.

Schlimmer noch als die Verfahrensmängel ist jedoch,
daß diese Ökosteuer inhaltlich nichts weiter als eine
Geldbeschaffungsmaßnahme ist – ein Abkassiermodell,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, là, là!)


das weder sozial gerecht noch wirtschaftlich ausgewo-
gen noch ökologisch wirksam ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Während der vielstündigen Beratungen im Ausschuß ist
nicht einmal, auch nicht nur am Rande, das Thema der
ökologischen Lenkungseffekte, die diese Reform ja ha-
ben soll, angesprochen worden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Ihnen so am Herzen liegen!)


Es geht Ihnen, gerade auch den Grünen, Herr Schlauch,
ausschließlich ums Geld. Was Sie mit den 52,3 Milliar-
den DM, die Sie bis 2003 durch diese Ökosteuer ein-
nehmen, machen, wird täglich nebulöser.

Meine Damen und Herren, die Ökosteuer bringt eine
unverantwortliche Nettobelastung für viele Wirtschafts-
bereiche. So zahlt allein der gewerbliche Güterkraft-
verkehr pro Erhöhungsstufe netto mehr als 1,2 Milliar-
den DM drauf. Die Brummis sind zehnmal mehr bela-
stet, als sie durch die Beitragssubvention entlastet wer-
den. Auch der Handel legt netto mehr als 1 Milliarde
DM pro Erhöhungsstufe drauf. Das kostet direkt Ar-
beitsplätze.


(Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!)

Noch heute morgen hat der Herr Bundeskanzler gro-

ße Worte für den Aufbau Ost gefunden, der ja schließ-
lich Chefsache ist.


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Ist auch schon ein paar Stunden her!)


Aber wer ist besonders von dieser Steuer betroffen? Die
Menschen und die vielen Betriebe in den neuen Bun-
desländern. Dort ist die wirtschaftliche Lage noch
schwieriger, und die Strompreise sind bei niedrigerem
Lohnniveau noch höher als in Westdeutschland. Wenn
man bedenkt, daß die Industriepreise für Strom in den
östlichen Nachbarländern bis zu 40 Prozent billiger sind
als in den neuen Ländern, dann wird doch noch deutli-

cher, welchen Bärendienst Sie den neuen Bundesländern
mit dieser Ökosteuer erweisen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Und diese Reform ist zutiefst unsozial. Sie trifft nun –

nach den Erhöhungsstufen noch verstärkt – all die Men-
schen, die von der Stabilisierung bzw. der Senkung der
Rentenbeiträge nicht profitieren, zum Beispiel die Rent-
ner, die Sie ohnehin schon um die verdiente Beteiligung
am wirtschaftlichen Zuwachs bringen wollen, oder Stu-
denten, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger. Die alle tref-
fen Sie verschärft. Das nehmen Sie als Sozialdemokra-
ten in Kauf. Ich denke auch an die Selbständigen, an die
kleinen und mittleren Beamten und an die Soldaten. Sie
alle zahlen nur und profitieren nicht vom Nutzen des
Steuertransfers in die Sozialkasse.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Sie denken an alle!)


Sie machen eine Politik gegen den Autofahrer und
gegen den ÖPNV zugleich. Im ländlichen Bereich sind
die Pendler eben auf das Auto zwingend angewiesen.
Mobilität ist heute auf dem Arbeitsmarkt zwingende
Voraussetzung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Leute bestrafen Sie mit Steuererhöhungen. Sie
kassieren beim Autofahrer ab und fahren im Gegenzug
die Investitionen beim Bundesstraßenbau auf Null. In
Baden-Württemberg wird bis zum Jahr 2003 – auch
wenn dann der Spritpreis deutlich über 2 DM liegt –
kein einziges neues Bundesfernstraßenprojekt begonnen.
Wie wollen Sie dies den Autofahrern und den Men-
schen, die dringend auf eine Umgehungsstraße warten,
erklären?


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406913600
Herr Kollege Seif-
fert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Heinrich?


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1406913700
Gerne, Herr Heinrich.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1406913800
Herr Kollege Seiffert, Sie
haben gerade eindrucksvoll eine ganze Liste von zusätz-
lichen einseitigen Belastungen aufgezählt. Können Sie
dem Hohen Hause vielleicht auch mitteilen, wie sich die
zusätzliche Belastung für die deutsche Landwirtschaft
darstellt? Diese Zahlen vermisse ich noch.


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1406913900
Die Landwirtschaft
wird mit etwa 800 Millionen DM belastet. Ich halte dies
gerade gegenüber einem Berufsstand, der um das Über-
leben kämpft, für völlig unverantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mehr als 25 Millionen Menschen nutzen täglich den
ÖPNV. Es werden riesige finanzielle Anstrengungen
unternommen, um ein attraktives, flächendeckendes

Heinz Seiffert






(A) (C)



(B) (D)


ÖPNV-Netz anzubieten. Wie paßt denn da Ihre Mine-
ralöl- und Stromsteuererhöhung?

In der öffentlichen Anhörung zu dem vorliegenden
Gesetz hat der Vertreter des Verbandes deutscher Ver-
kehrsunternehmen wörtlich erklärt:

Wenn es so weitergeht wie bisher, dann wäre die
rot-grüne Koalition ein Totengräber des ÖPNV.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Ihre bürokratischen Nachbesserungen, die Sie in

letzter Minute eingebracht haben, ändern an diesem ver-
heerenden Urteil nicht viel. Sie belasten die Omnibus-
unternehmer mit einem völlig unzumutbaren Verwal-
tungsaufwand. Ich nenne ein Beispiel: Sie befreien teil-
weise von der Ökosteuer – lassen Sie mich dies noch
ausführen –: „… Kraftomnibusse, die im genehmigten
Linienverkehr verwendet werden, wenn in der Mehrzahl
der Beförderungsfälle die gesamte Reiseweite 50 Kilo-
meter oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht
übersteigt“. Wer soll denn dies kontrollieren? Warum
haben Sie nicht noch ein Mindest- oder Höchstalter der
zu Befördernden in das Gesetz geschrieben? Das, was
Sie machen, ist doch bürokratischer Wahnsinn.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406914000
Herr Kollege Sei-
fert, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen
Schultz?


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1406914100
Ja.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1406914200
Lieber
Herr Kollege Seiffert, sind Sie erstens bereit, mir zuzu-
stimmen, daß der von Ihnen genannte Maßstab für den
Nahverkehr dem Personenbeförderungsgesetz, das seit
zig Jahren gilt, entnommen worden ist, damit es eine
klare Rechtsgrundlage gibt? Sind Sie zweitens bereit,
mir zuzustimmen, daß die Anregungen des Verbandes
deutscher Verkehrsunternehmen von uns aufgenommen
worden sind – dies ist ein Ergebnis der Anhörung – und
daß dieser Verband der Koalition ein Dankschreiben ge-
schickt hat, weil endlich die Preisrelationen zwischen
privatem Verkehr und öffentlichem Personennahverkehr
– trotz Erhöhung der Steuerlast durch die Ökosteuer –
verbessert worden sind?


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1406914300
Nein, Herr Kollege
Schultz, der Maßstab, den Sie in das Gesetz neu hinein-
geschrieben haben, wird seit Jahren nicht mehr ange-
wandt, weil er nicht praktikabel und nicht kontrollierbar
ist.

Laut Dankschreiben, das heute über den Ticker ver-
bessert worden ist, ist der Verband zwar dankbar dafür,
daß die Belastungen zumindest etwas verringert worden
sind. Aber im gleichen Atemzug wird der Wille bekun-
det, an den Herrn Bundeskanzler zu schreiben, damit er
dafür sorgt, daß der bürokratische Aufwand, den Sie den

Omnibusunternehmern aufbürden wollen, nicht so hoch
wie geplant wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406914400
Herr Kollege Seif-
fert, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1406914500
Ja.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1406914600
Herr Kollege Seif-
fert, können Sie noch einmal deutlich machen, wie die
Koalition zum Totengräber des ÖPNV wird, weil sie
seine Förderung nicht fortsetzt? Wenn die Neuregelung
für den ÖPNV, die Herr Schultz gefordert hat, in Kraft
tritt, dann würde auf Grund des bürokratischen Auf-
wands letzten Endes ein neues Berufsbild entstehen,
nämlich das eines Busfahrgastüberprüfungsbeamten.


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1406914700
Herr Kollege Michel-
bach, ich begrüße ausdrücklich, daß die Koalition auf
ihre Fahnen die Verringerung der Arbeitslosigkeit ge-
schrieben hat. Aber es ist der falsche Weg, wenn ausge-
rechnet in der Bürokratie neue Arbeitsplätze geschaffen
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das ist wohl wahr!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406914800
Herr Kollege Seif-
fert, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen
Eich?


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1406914900
Ich möchte bitten, fort-
fahren zu dürfen.

Ich möchte noch ein Wort zur Landwirtschaft sagen.
Im Landwirtschaftsausschuß hat die rotgrüne Mehrheit
einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem festge-
stellt wird, daß die Landwirtschaft angemessen zu entla-
sten sei, weil sie durch die Ökosteuer überproportional
belastet werde. Selbst der Landwirtschaftsminister hat –
richtigerweise – ein Ungleichgewicht in der Landwirt-
schaft festgestellt. Jetzt frage ich: Was machen die
Maulhelden des Landwirtschaftsausschusses jetzt?
Stimmen Sie tatsächlich dem vorliegenden Gesetz zu,
wohl wissend, daß sie die Landwirtschaft dadurch ka-
puttmachen? Unsere Anträge haben Sie jedenfalls ab-
gelehnt.

Durch die zwischen Rotgrün kurzfristig vereinbarte
Steuervergünstigung für Gaskraftwerke wird stark in
den bestehenden Energiemix eingegriffen. Gas- und
Dampfkraftwerke, die nach 1999 errichtet werden, sol-
len für 10 Jahre von der Energiesteuer komplett befreit
werden.

Das hört sich vordergründig harmlos an und könnte
fast als Wohltat angesehen werden. Aber mit diesem
Vorhaben werden Sie die Wettbewerbsbedingungen

Heinz Seiffert






(B)



(A) (C)



(D)


für die Braunkohle und auch für die Steinkohle bei
künftigen Kraftwerksinvestitionen drastisch verschlech-
tern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn die Kohle unter diesen Umständen wettbe-
werbsfähig bleiben soll, müßten die Gewinnungskosten
um rund ein Viertel reduziert werden. Das ist völlig
unrealistisch. Wenn Sie dieses Gesetz heute beschlie-
ßen, dann ist das der Einstieg in den Ausstieg aus der
Kohle.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406915000
Herr Kollege Seif-
fert, es gibt noch zwei Wünsche nach Zwischenfragen.


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1406915100
Nein, vielen Dank, nicht
mehr.

Das gilt besonders für die neuen, 14 Milliarden DM
teuren Braunkohlekraftwerke der VEAG in den neuen
Bundesländern. Das gilt auch für das Projekt Garz-
weiler II in NRW, wo Sie Investitionen in Höhe von
20 Milliarden DM und Tausende von Arbeitsplätzen
aufs Spiel setzen. Regierung und Parlamentsmehr-
heit werden mit dieser Richtungsentscheidung von der
Kohle zum Gas Wertschöpfung ins Ausland verlagern.
Sie bewirken überdies eine noch stärkere Importabhän-
gigkeit bei der Stromversorgung, zumal Sie ja aus dem
einheimischen Atomstrom auch möglichst rasch ausstei-
gen wollen.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einheimisch? Daß ich nicht lache!)


Durch Ihr Vorgehen, dem jede Gesamtkonzeption fehlt,
richten Sie in der Energiepolitik dasselbe Chaos an, das
wir in der Steuerpolitik schon haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die CDU/CSU-Fraktion setzt alles daran, diesen ver-

hängnisvollen Weg, diese falsche Weichenstellung zu
verhindern. Deshalb haben wir einen entsprechenden
Änderungsantrag eingebracht. Jetzt müssen Sie, die
Kolleginnen und Kollegen aus den Braunkohlerevieren
in NRW und Ostdeutschland, Farbe bekennen und Ihre
Solidarität mit den Kumpeln zeigen. Jetzt wird deutlich,
ob Ihnen die Koalitionsdisziplin oder Ihre heimatlichen
Wirtschaftsstrukturen wichtiger sind. Es gibt jetzt kein
Ausweichen für Sie. Was Sie hier tun, müssen Sie zu
Hause verantworten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Sie den Todesstoß für die Braunkohle führen hel-
fen, stehen Sie dafür zu Hause gerade.

Meine Damen und Herren, die Ökosteuerreform ist
ein in jeder Hinsicht mißlungenes Gesetz. Dies hat
die öffentliche Anhörung eindrucksvoll gezeigt, und
auch in den Ausschußberatungen ist es keine Spur
besser geworden, im Gegenteil. Ich bin mir ganz sicher:
Dieses Gesetz wird ein Sargnagel für Ihre Koalition
sein, hier im Bundestag und erst recht in NRW. Die

CDU/CSU-Fraktion wird diese Mischung aus Ideologie,
Pfusch und Beutelschneiderei mit aller Entschiedenheit
ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406915200
Das Wort für Bünd-
nis 90/Die Grünen hat nunmehr der Kollege Dr. Rein-
hard Loske. – Herr Kollege Loske, ich sichere Ihnen zu,
daß die Zeituhr jetzt richtig eingestellt ist.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir schließen heute die Beratungen über die ökologi-
sche Steuerreform im Bundestag ab.


(Zuruf von der CDU/CSU: Für wie lange?)

Damit kommen die Koalitionsfraktionen einem Verspre-
chen nach, das sie vor der Wahl gegeben haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es werden steuerliche Anreize zur Energieeinsparung
gegeben, und die Lohnnebenkosten sinken. Das ist gut
für die Umwelt, und das ist gut für die Arbeitsplätze.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damit verlassen wir den verhängnisvollen Pfad der
letzten Dekade, der wie folgt aussah: Die Lohnnebenko-
sten sind unentwegt gestiegen, und die saftigen Mineral-
ölsteuererhöhungen sind in Theo Waigels schwarzen
Löchern verschwunden und haben niemandem genutzt.
Das ist die Bilanz der letzten Dekade, und mit dieser
Politik gegen Arbeitsplätze machen wir jetzt Schluß.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Das sieht aber der Finanzminister ganz anders!)


Mit dem Einstieg in die ökologische Steuerreform
setzen wir etwas in die Tat um, was in diesem Hohen
Hause immer Konsens war: Nur mit dem Einsatz öko-
nomischer Instrumente werden wir unsere Klimaschutz-
ziele, die wir stets gemeinsam verfolgt haben, erreichen
können. Es ist nicht unser Problem, wenn das Erinne-
rungsvermögen von CDU/CSU und F.D.P. in dieser An-
gelegenheit so schlecht ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Haben Sie aber Sorgen!)


– Wissen Sie, der Populismus, den Sie hier an den Tag
legen, ist wirklich unter aller Kanone. Ich bin es, ehrlich
gesagt, leid, immer wieder aus den alten Reden von
Herrn Töpfer, von Herrn Schäuble, von Herrn Repnik
und von Frau Merkel zu zitieren, in denen die ökologi-
sche Steuerreform in den höchsten Tönen gepriesen
wurde. Was haben Sie damals nicht alles gesagt!


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ihre Reform hat doch damit nichts zu tun!)


Heinz Seiffert






(A) (C)



(B) (D)


Daß Sie sich heute aus populistischen Gründen nicht
mehr daran erinnern wollen, kann man nachvollziehen.
Aber wenn es wahr ist, daß wir auf Kosten zukünftiger
Generationen leben, dann erwarte ich von einer konser-
vativen Partei zumindest, daß sie sich mit diesem Thema
auseinandersetzt und nicht einer Diktatur des Hier und
Jetzt das Wort redet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie es uns aber gegeben!)


Daß man in dieser Angelegenheit von der F.D.P.
nichts zu erwarten hat, ist klar. Das sieht man schon dar-
an, daß heute zu diesem Thema der Kollege Möllemann
redet, den ich monatelang nicht gesehen habe und der
jetzt plötzlich wieder da ist, um die Umwelt zu retten –
oder die deutsche Kohle.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sollten Ihre Brille mal putzen! Dann sehen Sie viel mehr!)


Das wird man gleich hören. Mal schauen, in welche
Richtung diesmal das Fähnchen gehängt wird, ob mehr
Richtung Umwelt oder mehr Richtung Kohle. Da wer-
den ja manchmal die unmöglichsten Dinge zusammen-
geworfen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht ist er mit einem Fallschirm eingeflogen!)


Zu dem Gesetz zur ökologischen Steuerreform. Ich
glaube, man muß hier zwei Dinge auseinanderhalten.

Zunächst einmal: die Lenkungswirkung dieser ökolo-
gischen Steuerreform. Wir haben jetzt einen ganz wich-
tigen Gedanken systematisch im Gesetz verankert, näm-
lich den der Verstetigung. Dies ist also keine Sache, die
ad hoc läuft, sondern eine Sache, die auf der Zeitachse
bis 2003 absehbar ist, in fünf Schritten. Das ist genau
das, was wir immer gefordert haben. Stetigkeit ist wich-
tiger als die absolute Höhe. Dem folgen wir jetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406915300
Herr Kollege Loske,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Thiele?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

zulassen.


(Zurufe von der F.D.P.: Ach!)

Im Gegenzug werden wir die Rentenversicherungs-

beiträge bis zum Ende dieses Prozesses um zwei Pro-
zentpunkte absenken. Da sieht man wieder den inneren
Zusammenhang zwischen der Schaffung von Innovati-
onsanreizen auf der einen Seite und der Senkung der
Arbeitskosten auf der anderen Seite.

Ich will jetzt zu einigen Einzelregelungen kommen.
Denn neben der allgemeinen Lenkungswirkung dieser

Steuer gibt es sehr viele Einzelregelungen, die ökolo-
gisch höchst relevant sind.

Erstens. Wir tun etwas für die Kraft-Wärme-
Kopplung. Wir stellen sie nämlich bei hohen Wirkungs-
graden von der Inputsteuer frei. Das ist gut und wichtig
für die Stadtwerke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens. Wir tun etwas für die Blockheizkraftwerke.
Bis 2 Megawatt stellen wir sie sowohl von der Mineral-
ölsteuer als auch von der Stromsteuer völlig frei. Das ist
gut und wichtig für die dezentrale Energieversorgung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Drittens. Wir tun etwas für die Kraftwerke mit einem
hohen Wirkungsgrad. Das ist wichtig, damit wir einen
klimaverträglichen Energieträgermix hinbekommen.

Viertens. Wir tun etwas für die Reinigung der Kraft-
stoffe. Denn die schwefelarmen Kraftstoffe werden ab
2001 und die schwefelfreien Kraftstoffe ab 2003 steuer-
lich bessergestellt. Bisher ist diese steuerliche Förderung
erst ab 2005 vorgeschrieben. Wir führen sie vier Jahre
eher ein. Auch das ist gut für die Umwelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Fünftens. Wir tun etwas für den öffentlichen Perso-
nennahverkehr. Es ist sehr bemerkenswert, was Sie ge-
rade gesagt haben. Das ist nämlich blanker Unsinn und
bezieht sich auf den ursprünglichen Text. Jetzt haben
wir eine Halbierung des Steuersatzes für den gesamten
öffentlichen Personennahverkehr. Damit ändern wir die
relativen Preise zugunsten des öffentlichen Nahverkehrs
gegenüber dem Individualverkehr. Auch das ist gut für
die Umwelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sechstens. Wir haben ein Förderprogramm für erneu-
erbare Energien in Höhe von 200 Millionen DM aufge-
legt. Das Geld stammt aus dem Aufkommen der Öko-
steuer. Wir streben aber danach, daß die erneuerbaren
Energien in Zukunft von der Steuer freigestellt werden,
wenn das wettbewerbsrechtlich sichergestellt werden
kann; davon gehen wir aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das alles ist gut für die Umwelt. Das alles ist gut für
den Einsatz moderner Technologien. Das alles hat es
unter der alten Regierung nicht gegeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sind uns dessen bewußt, daß die ökologische
Steuerreform Teil eines größeren Komplexes ist. Es ist
natürlich nicht so, daß, wenn wir die ökologische Steu-
erreform umsetzen, umweltpolitisch nichts mehr getan
werden muß. Wir müssen auch andere Dinge tun, um
unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Auch die Reform

Dr. Reinhard Loske






(B)



(A) (C)



(D)


des Sozialstaates ist mit der Senkung der Rentenversi-
cherungsbeiträge keineswegs erledigt. Nein, wir brau-
chen ebenfalls eine leistungsfähige, eine tragfähige, eine
zukunftsgerichtete Reform der sozialen Sicherungssy-
steme. Mit dieser ökologischen Steuerreform sind wir
nicht aus dem Schneider.


(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das ist wohl wahr!)


Zu Europa. Es ist immer wieder der Vorwurf zu hö-
ren, wir würden einen nationalen Alleingang machen.
Dieser Vorwurf ist Unfug. Erstens gehen schon neun
Länder in Europa in diese Richtung. Zweitens haben wir
als großes Land eine Vorbildfunktion. Drittens haben
wir jüngst Signale bekommen, daß wir auf europäischer
Ebene einer Einigung bezüglich der Mindestbesteuerung
von Energie ein Stück näher gekommen sind.


(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: „Signale“! „Ein Stück“! Was sind das für Kategorien?)


Das alles sind Dinge, die Sie nicht geschafft haben und
gar nicht gewollt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme jetzt zu den Gas- und Dampfturbinen-
kraftwerken. Ich will noch einmal ganz kurz die Sach-
lage darstellen. Heute werden in der Stromerzeugung
Kohle und Kernbrennstäbe nicht besteuert, Erdgas aber
sehr wohl. Wir haben es hier also mit einer Ungleichbe-
handlung zu tun. Die logische Folgerung daraus wäre,
daß man entweder auch Kohle und Kernbrennstäbe be-
steuert oder die Erdgassteuer abschafft. Das wollen wir
aber nicht tun; vielmehr wollen wir Erdgas nur dann von
der Mineralölsteuer bei der Stromerzeugung befreien,
wenn es in hocheffizienten Kraftwerken eingesetzt wird.
Das ist ein ganz wichtiger Investitionsimpuls für die
Energiewende.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte noch einen anderen Aspekt ansprechen:
Diese Technologien werden angewandt, und diese
Kraftwerke werden gebaut. Es geht also nicht mehr um
die Frage, ob sie gebaut werden; vielmehr geht es dar-
um, wo sie gebaut werden. Vor dem Hintergrund eines
liberalisierten Marktes ist es in unserem Interesse, daß
sie in unserem Land von unseren Unternehmen – sie
können das – gebaut werden. Das ist ganz wichtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gerade in Nordrhein-Westfalen sind viele dieser An-
lagenbauer beheimatet. Deshalb wäre es eine Paradoxie
erster Güte, wenn – auf einem liberalisierten Markt –
diese Kraftwerke in Holland, Belgien, Tschechien oder
Polen gebaut würden und wenn der Strom dann von dort
zu uns importiert würde. Das wäre doch grotesk.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen, daß diese Technologien in unserem Land
angewandt werden. Wir wollen nicht zum reinen
Stromimporteur werden.

Zur Rolle des Erdgases ist einiges gesagt worden.
Klar ist, daß eine Strategie, mit Macht die Erdgasnut-
zung auszubauen, unvernünftig wäre. Darum geht es gar
nicht. Es geht darum, Erdgas da einzusetzen, wo Wir-
kungsgrade hoch sind, wo Kraft-Wärme-Kopplung be-
trieben wird und wo moderne Energieerzeugungstech-
nologien zur Anwendung kommen.

Mir ist vollkommen bewußt, daß einige Kollegen aus
der SPD mit dieser Regelung Schwierigkeiten haben.
Ich persönlich fand die Aufgeregtheit der letzten Tage
etwas übertrieben. Klar ist – das weiß jeder, der sich
auskennt –: Wenn es um Klimaschutz und um Struktur-
wandel geht, dann brauchen wir vor allen Dingen effi-
ziente Technologien. In dem Energiemix, den wir in Zu-
kunft brauchen werden, wird auch die Kohle eine wich-
tige Rolle spielen. Das ist überhaupt keine Frage. Nur,
die Volumina sind zu groß. Wenn wir die CO2-Minderungsziele erreichen wollen, dann müssen wir den
Verbrauch fossiler Energieträger insgesamt zurückfah-
ren. Das ist ganz wichtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieses Gesetz leistet einen wichtigen Beitrag in
Richtung Energieeffizienz und Solarwirtschaft. Ich
glaube, es ist ein gutes Gesetz, das seinen Beitrag zum
ökologischen Strukturwandel in diesem Lande leisten
wird.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Lieber Gott, erhalte ihnen ihren Glauben!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1406915400
Für die F.D.P.
spricht der Kollege Jürgen Möllemann.


Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1406915500
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In die-
sem Saal jagt ein Jahrhundertwerk in Pleiteform das an-
dere. In der letzten Woche haben wir hier alle fassungs-
los erlebt, wie Frau Fischer die Abgeordneten der Regie-
rungsfraktionen völlig entsetzt vor sich gesehen hat und
wie sie von ihrem eigenen Gesetzeswerk nichts mehr
wußte. Dennoch haben Sie es verabschiedet. Damit ha-
ben Sie Hunderttausende von Menschen in den Gesund-
heitsberufen getroffen. Das öffentliche Echo war für Sie
eine Katastrophe.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heute kommen Sie mit der zweiten Katastrophe, mit
einer Flickschusterei ohnegleichen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dr. Reinhard Loske






(A) (C)



(B) (D)


Das, was Sie hier „Jahrhundertwerk“ nennen, ist weder
„öko“ noch „logisch“. Es ist eine reine Abzockerei.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist nicht wahr!)


Sie wissen nicht mehr, wie Sie Ihren Haushalt finanzie-
ren sollen und suchen fadenscheinige Vorwände, um
neue Einnahmequellen zu erschließen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)



(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Wir haben immer darauf hingewiesen, daß wir den
nationalen Alleingang für den Grundfehler dieser Re-
form halten. Herr Kollege, Sie haben soeben allen Ern-
stes vorgetragen, die europäische Harmonisierung
vollziehe sich bei Ihnen dergestalt, daß Sie erste Signale
dafür hätten, daß sich demnächst jemand daran beteili-
gen könnte.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Er hat gesagt: Neun Länder gehen in diese Richtung!)


So machen Sie Europapolitik – mit „ersten Signalen“.
Ihre Stümperei geht zu Lasten der Bürgerinnen und
Bürger, der Unternehmen in Deutschland. Das können
wir nicht mitmachen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das ist schwacher Stammtisch, was Sie hier leisten!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406915600
Herr
Kollege Möllemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Eich?


Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1406915700
Nein, das lohnt die
Mühe nicht.


(Widerspruch bei der SPD)

Weil der öffentliche Eindruck dessen, was Sie „Re-

formwerk“ nennen, so eindeutig negativ geprägt ist –
auch Sie wissen das –, lohnt es sich nicht, das im Gene-
rellen zu vertiefen.

Aber ich möchte mich jetzt doch als nordrhein-
westfälischer Abgeordneter besonders an die nordrhein-
westfälischen Kollegen aus der SPD wenden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt der Anwalt der Kohle!)


Ich habe hier einen Text von Herrn Manfred Dammey-
er, dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im nordrhein-
westfälischen Landtag. Ich zitiere ihn wörtlich und ohne
jeden Kommentar:

Die zweite Stufe der Öko-Steuer kann so, wie sie
die Berliner Koalition verabschieden will, niemals
die Zustimmung Nordrhein-Westfalens finden; sie

ist gegen die Interessen unseres Landes gerichtet,
sie widerspricht auch den nationalen Interessen
Deutschlands.

Wie können Sie denn einem Gesetzeswerk zustimmen,
das gegen die Interessen von Nordrhein-Westfalen und
gegen die nationalen Interessen Deutschlands gerichtet
ist?


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Walter Hirche [F.D.P.]: Wer hat das gesagt?)


– Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag. – Ich
zitiere Herrn Dammeyer wiederum wörtlich:

Das hat nichts mehr mit verläßlicher und berechen-
barer Politik zu tun, das ist die Rückkehr zu ideolo-
gischen Grabenkämpfen.

Das sagt Ihr Fraktionsvorsitzender. Warum stimmen Sie
denn einer Sache, die den Interessen des Landes und den
Interessen der Nation widerspricht und nichts mehr mit
verläßlicher Politik zu tun hat, zu?


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Wer sagt das? Möllemann und Dammeyer? Er versteht in der Sache genauso wenig wie Sie!)


Wenn Ihnen das nicht reicht, kann ich auch den Mi-
nisterpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen zitie-
ren. Herr Clement sagt – ich zitiere laut einer Erklärung
des Pressedienstes der Landesregierung –:

Das im Zusammenhang mit dem Abbauprojekt
Garzweiler II von der RWE Energie AG gegenüber
der Landesregierung zugesagte Kraftwerkserneue-
rungsprogramm, das eine wesentliche Steigerung
der Anlageneffizienz bewirken wird, ist deshalb
unverzichtbar.
Die Äußerungen von Vertreterinnen und Vertretern

– das ist wohl ein neuer Begriff: Vertreterinnen und
Vertreter –

von Bündnis 90/Die Grünen zu Lasten dieses
Kraftwerkserneuerungsprogramms sind in diesem
Zusammenhang schlicht unverständlich; im Blick
auf die von diesem Projekt abhängigen Arbeitsplät-
ze sind diese Äußerungen unverantwortlich.
Die Haltung der Landesregierung zum Abbaupro-
jekt Garzweiler II und zu dem damit in unmittelba-
rem Zusammenhang stehenden Kraftwerkserneue-
rungsprogramm werden davon nicht beeinflußt. Die
Haltung der Landesregierung zu Garzweiler II …
ist und bleibt unverändert.

Das war heute um 15.11 Uhr.

(Abg. Nicolette Kressl [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406915800
Herr
Kollege Möllemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Jürgen W. Möllemann






(B)



(A) (C)



(D)



Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1406915900
Nein, ich möchte
das im Zusammenhang vortragen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406916000
Gut,
keine Zwischenfrage. Danke sehr.


Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1406916100
Um 16.17 Uhr
kommt die Tickermeldung von einer gewissen Frau
Höhn – soweit ich weiß, ist sie Mitglied dieser Landes-
regierung –: Garzweiler II kommt nicht. – Was ist denn
das für ein Sauhaufen in Düsseldorf?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Ministerpräsident teilt mit, das sei unverantwortlich
und widerspreche den nationalen Interessen, und seine
Ministerin sagt das Gegenteil. Ich habe ja auch einmal
einem Kabinett angehört, aber wenn ich das gemacht
hätte, wäre ich herausgeflogen. Ich kann Herrn Clement
nur raten: Klären Sie das.


(Zurufe von der SPD: Sie sind doch herausgeflogen!)


– Liebe Freunde, Sie brauchen hier nicht hämisch da-
zwischenzurufen. Sie wissen doch, daß Sie im Unrecht
sind.

Sie haben den Bergleuten versprochen: Garzweiler
kommt. Sie wissen, daß durch dieses jetzt vorliegende
Gesetz Garzweiler gekillt werden soll. Nun hat der Kol-
lege von den Grünen gerade angemerkt: Mal sehen, wo-
hin die F.D.P. tendiert. Fragen Sie doch zu diesem The-
ma einmal Ihren Vormann Leo Fischer.


(Zuruf von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Entschuldigung, Joschka Fischer. – Fragen Sie doch
einmal Leo Joschka Fischer. Ebenjener Herr Fischer hat
landauf, landab erklärt, es müsse Schluß sein mit der
Subventionierung der Steinkohle.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hat er nicht gesagt!)


Bei der von der IG Bergbau noch in Bonn organisierten
Demonstration habe ich mir die Augen gerieben: Leo
Fischer stand auf den Barrikaden und sagte, es muß mit
den Subventionen für die Steinkohle weitergehen. Doch
derselbe Leo Fischer bekommt jetzt als Ausgleich für
Ihr Umfallen beim Waffenexport die Genehmigung,
Garzweiler II kaputtzumachen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Leo Möllemann!)


Die Leute merken, daß Sie so merkwürdige Geschäfte
betreiben. Dadurch verspielen Sie Ihre Regierungsfähig-
keit in Bonn und Berlin; Sie werden sie auch in Düssel-
dorf verspielen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das war unterstes Stammtischniveau!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406916200
Zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Michaele Hu-
stedt vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406916300

Herr Möllemann, was Sie hier vortragen, ist aus meiner
Sicht, da Sie der Landesvorsitzende der F.D.P. in Nord-
rhein-Westfalen sind, außerordentlich durchsichtig. Sie
betreiben schlicht und einfach Vorwahlkampf in NRW.
Ich glaube nicht, daß Ihnen dieses irgend etwas nützen
wird, denn erstens durchschauen das auch die Menschen
im Land, zweitens wird auch die SPD durchschauen,
daß es schlicht und einfach eine Anbiederung ist, und
drittens werden Sie damit nicht über die Fünfprozent-
hürde in Nordrhein-Westfalen kommen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich möchte Ihnen einmal folgendes sagen: Ich weiß
nicht, Herr Möllemann, ob Sie mitbekommen haben,
daß wir Wettbewerb im Energiebereich bekommen.
Da wir als Bundesregierung Ihren sehr dünnen Entwurf
bei der Zugangsregelung nachgebessert haben, werden
wir den Wettbewerb ab 1. Januar 2000 auch bis zum
letzten Tarifkunden bekommen. Das bedeutet konkret,
daß sich Garzweiler II im europäischen Wettbewerb
gegen europäische Strompreise wird behaupten müssen.
Das bedeutet ganz konkret: Wenn sich Garzweiler II in
diesem europäischen Wettbewerb rechnet, wird es ge-
macht; wenn es sich nicht rechnet, dann wird es nicht
gemacht. Es steht einzig und allein die Frage an, ob wir
dafür sorgen, daß in diesem Land eine Technologie ent-
steht, die insgesamt dafür sorgt, daß wir keine Stromim-
porte aus dem Ausland im kommenden Wettbewerb be-
kommen, sondern daß Deutschland und auch das Land
Nordrhein-Westfalen als das Energieland Nummer eins
ein Land bleibt, das Strom produziert. Da geht es nicht
um die Konkurrenz deutscher Gaskraftwerke gegen
deutsche Braunkohlekraftwerke, sondern es geht darum,
ob die deutschen Gasanlagen und die deutschen Kohle-
anlagen im europäischen Wettbewerb mithalten können.
Deswegen sage ich Ihnen eines: Das Gesetz, das wir
jetzt auf den Weg bringen, ändert an der Ausgangssitua-
tion für Garzweiler II nichts, aber schärft die Bedingung,
daß im Zweifelsfalle Gaskraftwerke in Deutschland mit-
halten können gegen die Gaskraftwerke im Nachbarland.
Deswegen glaube ich, daß es ein optimaler Kompromiß
ist, daß wir in Deutschland Stromproduktionsland wer-
den und daß wir nicht auf den Import von anderen Län-
dern angewiesen sind.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406916400
Zu einer
weiteren Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kol-
legen Reinhard Schultz von der SPD-Fraktion. Der Red-
ner, Herr Möllemann, hat dann die Möglichkeit, auf bei-
de Kurzinterventionen zu antworten.

Herr Schultz, bitte schön.






(A) (C)



(B) (D)



Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1406916500
Herr Kol-
lege Möllemann, Sie haben die nordrhein-westfälischen
SPD-Abgeordneten angesprochen und gefragt, warum
sie sich so oder so verhalten.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Nicht „so oder so“! Ihr seid ganz schön komisch!)


Sind Sie sich eigentlich darüber im klaren und reicht das
Gedächtnis dafür aus, daß es in der Zeit, in der Sie noch
Regierungsverantwortung hatten, in allen Fragen, in de-
nen es um Kohle ging, alles, was an Restriktionen, an
Abbau und an Hürden für den Steinkohlebergbau an
Rhein und Ruhr kam, im wesentlichen durch Ihre Partei
in Ihre Koalition hineingetragen worden war und daß es
nur sehr schwer möglich war, dagegenzuhalten: mit ein
paar Vernünftigen aus der CDU und mit der SPD? Kön-
nen Sie sich daran erinnern, daß in allen Debatten ein-
schließlich der jüngsten Haushaltsplanberatungen
grundsätzlich Ihre Partei diejenige war, die die Frage
fossiler Energieträger noch deutlicher in Frage gestellt
hatte als der eine oder andere – zum Beispiel der Kolle-
ge Brüderle –, der heute hier gesprochen hat? Glauben
Sie nicht auch mit mir, daß die Krokodilstränen, die Sie
populistisch im Vorwahlkampf vergießen – Ihr Kollege
Rüttgers wird das wahrscheinlich gleich noch in Perfek-
tion machen –, dermaßen unwahr sind und dermaßen
unglaubwürdig sind gegenüber den betroffenen Berg-
leuten oder gegenüber uns? Nehmen Sie zur Kenntnis,
daß Ministerpräsident Wolfgang Clement, der gesagt
hat, Garzweiler kommt, Erneuerungsprogramm kommt,
von uns, der SPD-Bundestagsfraktion, jegliche Unter-
stützung bekommt, was die Rahmenbedingungen an-
geht, unter denen das stattfindet.

Ich persönlich finde es geradezu lächerlich, daß Sie,
der die Liberalisierung und Marktwirtschaft in der Ener-
gieversorgung par excellence predigt und der sie wäh-
rend seiner Regierungszeit auch durchgesetzt hat, jetzt
dafür eintritt, daß jegliches Fremdelement, das die
Braunkohle bedrohen könnte, aus dem Markt heraus-
gehalten werden müsse. Diese Sätze aus Ihrem Munde
sind eine Umkehrung der Rexrodtschen Liberalisie-
rungspolitik, die Ihnen kein Mensch und keine Maus in
diesem Lande glaubt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fähnchen nach dem Wind!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406916600
Herr
Kollege Möllemann, Sie haben das Wort zur Erwide-
rung.


Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1406916700
Verehrter Herr
Kollege Schultz, was – um bei Ihrem Bild zu bleiben –
kein Mensch und keine Maus in diesem Lande glaubt,
läßt sich am öffentlichen Meinungsbild hinsichtlich der
Einschätzung der Regierungsfähigkeit der SPD derzeit
sehr klar ablesen.

Sie versuchen von dem abzulenken, worum es hier
geht. Ich danke Ihnen für das Kompliment, wir hätten

die Liberalisierung des Strommarktes durchgesetzt. Die
Verbraucher freuen sich derzeit über sinkende Strom-
preise. Das ist gut so.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich danke Ihnen auch für die Feststellung, daß wir an der
schrittweisen Reduzierung der Subventionen für die
Steinkohle gearbeitet haben. Übrigens setzen Sie das
fort. Jeder weiß heute, daß die Subventionen für die
Steinkohle reduziert werden müssen.

Es geht aber heute um die subventionsfreie Braun-
kohle, und es geht darum, daß das, was Sie hier verab-
schieden, von Ihrem eigenen Fraktionsvorsitzenden im
nordrhein-westfälischen Landtag als gegen die Interes-
sen des Landes und der Nation gerichtet bezeichnet
worden ist. Was Sie heute hier verabschieden, wurde auf
einer nächtlichen stürmischen Landesgruppensitzung
von Ihnen allen verteufelt. Sie finden doch das von Ih-
nen vorgelegte Gesetz gar nicht gut. Das kann jeder spü-
ren. Es ist nicht in Ordnung, daß Sie etwas mit starken
Worten verteidigen, was Sie für falsch halten. Das mer-
ken die Menschen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Machen Sie sich deshalb nicht die Mühe, mit an den

Haaren herbeigezogenen Argumenten von dieser Tatsa-
che abzulenken! Sie müssen hier dafür einen Preis zah-
len, daß Leo Fischer dem Export von Waffen an die
Türkei und nach Abu Dhabi zugestimmt hat. Ich habe
nichts dagegen; nur hat er immer etwas anderes gesagt.
Auch diese Doppelbödigkeit erkennen die Menschen
allmählich. Ihre Doppelbödigkeit habe ich angeprangert;
von der können Sie nicht ablenken.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerträglicher Blödsinn! Unerträglicher Schwachsinn!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406916800
Als
nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Gregor Gysi
von der PDS-Fraktion das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406916900
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ehrlich gesagt finde ich es ein
bißchen früh für die Eröffnung des NRW-Wahlkampfes.
Sie müssen sich die Kraft schon ein bißchen einteilen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das gilt aber auch für die Kurzinterventinnen und Kurz-
interventen – wenn das ein zulässiger Begriff ist.


(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Es reicht schon!)


Das Problem der zweiten Stufe Ihrer ökologischen
Steuerreform besteht im Grunde genommen darin, daß
alle Fehler aus der ersten Stufe konsequent fortgesetzt
werden.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)







(B)



(A) (C)



(D)


Deswegen kann sie unmöglich unsere Zustimmung er-
halten.

Die ökologische Lenkungswirkung setzen Sie mit Ih-
rem Gesetzentwurf selber außer Kraft. Jemand, der eine
Energiesteuer einführt und dann Tausende von Aus-
nahmeregelungen gerade für jene findet, die die meiste
Energie verbrauchen, macht sich hinsichtlich der ökolo-
gischen Lenkungswirkung völlig unglaubwürdig.


(Beifall bei der PDS)

Sie können doch nicht im Ernst die Industrie von diesen
Regelungen ausnehmen und die Rentnerinnen und Rent-
ner, die Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeemp-
fänger bezahlen lassen – was sollen diese schon groß
machen? – und dann glauben, Sie würden damit eine
tolle Wirkung erzielen.


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Die muß man herausnehmen! Das haben sie doch selber gefordert, Herr Gysi!)


– Ja, ich weiß, auch die Sozialhilfeempfängerin kann die
Glühbirne aus ihrer Wohnzimmerlampe herausschrau-
ben. Aber damit werden Sie das Energieproblem in die-
ser Gesellschaft nicht lösen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ihr Gesetz ist also nicht ökologisch.
Ein zweiter Punkt. Das Gesetz ist wettbewerbsverzer-

rend und nicht marktwirtschaftlich. Die Bedingungen
müssen schon stimmen: Wenn Sie die Industrie weitge-
hend ausnehmen, aber die anderen Gewerbebereiche
nicht, dann schaffen Sie Wettbewerbsverzerrungen
zwischen Industrie und angrenzenden Bereichen.


(Zuruf des Abg. Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Zwischen Eisdiele und Zementwerk! Das ist doch Blödsinn!)


– Hören Sie einen Moment zu! – Wenn Sie innerhalb
der Industrie sozusagen eine Obergrenze einführen, in-
dem die Unternehmen 1 000 DM Belastungen aushalten
müssen, aber alles, was darüber hinaus geht, erstattet
bekommen, dann frage ich Sie: Warum führen Sie einen
absoluten Betrag ein und nicht einen Prozentsatz? Für
ein kleines oder mittelständisches Unternehmen sind
1 000 DM wirklich eine Menge Geld. Aber für Siemens
ist das doch eine lächerliche Summe. Da kostet schon
die Überweisung mehr.


(Beifall bei der PDS)

Daß Sie derart ungerecht zwischen den Unternehmen
operieren, ist nicht hinnehmbar.

Ein dritter Gesichtspunkt. Sie machen eine ökologi-
sche Steuerreform, bei der Sie nicht nur das Auto teurer
machen. Wir stimmen in einer Frage sogar überein: Der
Ressourcenverbrauch muß teurer werden. Wir brauchen
eine wirkliche ökologische Steuerreform mit ökologi-
scher Lenkungswirkung. Da kann man auch über die
Benutzung des privaten Pkw nachdenken. Deshalb ist
der Ansatz zunächst nicht falsch.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nachdenken genügt nicht!)


Aber dann braucht man eine Alternative, und zwar aus
sozialen Gründen. Dann müßten Sie den öffentlichen
Nah- und Fernverkehr preiswerter gestalten.


(Beifall bei der PDS – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir doch!)


In der ersten Stufe haben Sie die voll zur Kasse gebeten,
nun bitten Sie sie halb zur Kasse. Das reicht schon, da-
mit Bus und Bahn teurer werden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stimmt doch nicht!)


Nun frage ich Sie: Was sollen die Leute denn machen?
Der private Pkw wird teurer, der Bus wird teurer, die
Bundesbahn wird teurer.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein!)


Womit sollen die Leute noch fahren?

(Beifall bei der PDS)


Dafür sorgen dieselben Personen, die sich einen Tag
später hinstellen und sagen: Wir brauchen mehr Mobili-
tät; die Leute müssen auch 50, 60, 100 Kilometer Ent-
fernung in Kauf nehmen, um zu ihrem Arbeitsplatz zu
kommen. Das paßt alles nicht zusammen.

Nun sage ich Ihnen etwas zur Entlastung. Wir haben
das einmal ausgerechnet bzw. durch ein Institut aus-
rechnen lassen. Eine fünfköpfige Familie mit Pkw und
einem Einkommen von 4 000 DM im Monat muß durch
Ihre steuerlichen Veränderungen 540 DM im Jahr mehr
zahlen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wenn sie genausoviel Energie verbrauchen!)


Erst ab einem wesentlich höheren Einkommen wirkt
sich die Senkung der Beiträge zur Rentenversicherung
so aus, daß die Menschen entlastet werden. Die Familien
mit niedrigem Einkommen werden hier zur Kasse gebe-
ten. Das ist zutiefst unsozial.


(Beifall bei der PDS)

Ein Satz zur Landwirtschaft. Sie belasten die Land-

wirte zwar nicht in voller Höhe, aber Sie belasten sie
vollständig. Denn die Landwirte haben nichts davon,
daß Sie die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversiche-
rung senken, da sie dort keine Beiträge zahlen. Also
zahlen sie drauf und bekommen nichts zurück.


(Monika Ganseforth [SPD]: Die Abgeordneten auch!)


Um die soziale Schieflage ganz deutlich zu machen:
Zwei Drittel Ihrer Ökosteuer zahlen die Privathaushalte,
nur ein Drittel zahlt die Wirtschaft. Aber nur ein Drittel
der Einsparung bei der gesetzlichen Rentenversicherung
geht wieder in die Privathaushalte, während zwei Drittel
in die Wirtschaft gehen. Das sagt im Grunde genommen
alles über die Anlage dieser ökologischen Steuerreform
aus.


(Beifall bei der PDS)


Dr. Gregor Gysi






(A) (C)



(B) (D)


Dann kommt noch etwas hinzu. Sie haben früher im-
mer gesagt, Rentnerinnen und Rentner, Arbeitslose, So-
zialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger wür-
den dadurch entlastet, daß sie von der Beitragssenkung
indirekt etwas hätten, nämlich durch die Nettolohnan-
passung in den Folgejahren. Nun lassen Sie diese aber
ausfallen. Auch dazu müßten Sie heute etwas sagen. Die
Rentnerinnen und Rentner bekommen im nächsten und
im übernächsten Jahr keine Nettolohnanpassung,


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Aber Kaufkraftausgleich!)


auch die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosen-
geld und Arbeitslosenhilfe nicht. Und weil die Sozialhil-
fe wiederum an die Rentenentwicklung gekoppelt ist,
bekommt man dort auch keinen Ausgleich.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie bekommen sogar mehr Ausgleich!)


Nein, hier zahlen die kleinen Leute drauf. Die ökolo-
gische Wirkung ist nicht vorhanden, ökonomisch ver-
zerrt es den Wettbewerb, und sozial ist es zutiefst un-
gerecht. Da können Sie nicht im Ernst erwarten, daß
man dazu ja sagt. Wir werden alles, was in unserer
Macht steht, tun, um das zu verhindern.


(Beifall bei der PDS – Unruhe)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406917000
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, etwas mehr Ruhe
zu wahren, damit der Redner zu Wort und zu Gehör
kommen kann. Die Lautsprecheranlage ist nicht in der
Lage, den Geräuschpegel zu übertönen.

Als nächster Redner hat der Kollege Peter Rauen von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1406917100
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Diese Ökosteuerre-
form wird immer mehr und immer deutlicher zu dem,
was sie von Anfang an sein sollte: zu einem Abkassie-
rungsprogramm zu Lasten aller, einem bürokratischen
Monster zu Lasten der Betriebe und einem Arbeitsbe-
schaffungsprogramm für die Zollämter.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Sie wissen doch, daß das nicht wahr ist!)


Sie wollten mit den Einnahmen aus dieser Steuer die
Sozialversicherungsbeiträge senken, sozusagen in einem
Junktim: hier die Einnahmen, dort eine Senkung der
Beiträge. Dieses Junktim geben Sie erkennbar auf.

Sie haben auch in der Wirtschaft einige gefunden, die
an dieses Märchen geglaubt haben. Mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf wird deutlich, daß Sie endgültig an
dem Ziel gescheitert sind, mit diesen Einnahmen die So-
zialversicherungsbeiträge zu reduzieren – wenn Sie es
denn jemals vorhatten.

Ihre Unruhe ist völlig fehl am Platz. Schauen Sie nur
in Ihren Gesetzentwurf auf Drucksache 14/40 vom
17. November 1998. Dort heißt es:

Das zusätzliche Aufkommen aus der Energiebe-
steuerung dient der Finanzierung der Senkung
der Sozialversicherungsbeiträge. Diese werden in
einem ersten Schritt um 0,8 Prozentpunkte redu-
ziert. Ziel ist eine Senkung in drei Schritten auf
unter 40 % der Bruttolöhne.

Obwohl Sie jetzt fünf Schritte gehen, werden Sie die-
ses Ziel nie erreichen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben in Ihren 16 Jahren um 10 Prozentpunkte erhöht!)


Im Rahmen der ersten Steuerreform haben Sie noch
den gesamten Betrag, den Sie durch die Ökosteuer ein-
genommen haben, in die Senkung der Rentenversiche-
rungsbeiträge um 0,8 Prozentpunkte gesteckt: hier Ein-
nahmen in Höhe von 13 Milliarden DM, dort Senkung
um 12,8 Milliarden DM.

Dieses Junktim geben Sie jetzt eindeutig auf. Mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf lösen Sie das Verspre-
chen, die Steuern zu nutzen, um die Beiträge zu senken,
völlig auf.

Auf der ersten Seite in dem neuen Gesetzentwurf un-
ter „Zielsetzung“ heißt es:

Daneben soll die spürbare Senkung bei den Sozial-
versicherungsbeiträgen den Faktor Arbeit weiter
entlasten.

Ein Jahr vorher hieß es noch:
Um die Lohnnebenkosten zu senken, müssen die
Beitragszahler in der Sozialversicherung entlastet
werden.

Aus dem „muß“ von vor einem Jahr ist jetzt nur noch
ein „soll“ geworden.

Unter „Lösung“ finden Sie in dem neuen Gesetzent-
wurf die Aussage:

Mit dem zusätzlichen Aufkommen aus der Ener-
giebesteuerung können die Rentenversicherungs-
beiträge gesenkt werden.

Aus dem „werden gesenkt“ vom letzten Jahr ist nun
„können“ geworden. Selbst dieses „können“ ist nur noch
auf die Rentenversicherungsbeiträge bezogen und nicht
mehr auf die gesamten Sozialversicherungsbeiträge.

Diese liegen heute bei 41,3 Prozent. Selbst wenn Sie
die gesamten Einnahmen von 21,2 Milliarden DM im
Rahmen dieser Reform zur Senkung nützen würden,
kämen Sie gerade einmal auf die ursprünglich im alten
Gesetzentwurf genannten 40 Prozent, die Sie eigentlich
unterschreiten wollten. Aber selbst davon sind Sie mei-
lenweit entfernt.

Beim Beschluß des Bundeshaushaltes für das Jahr
2000 am 23. Juni dieses Jahres war das Bundeskabinett
noch davon ausgegangen, daß die Beiträge zur Ren-
tenversicherung von 19,5 auf 19,1 Prozent zurückge-
hen würden. Vor einigen Tagen hat das „Handelsblatt“

Dr. Gregor Gysi






(B)



(A) (C)



(D)


berichtet, daß aus dem Rentenbericht 1999, der Ende
dieses Monats vorgelegt werden soll, hervorgeht, daß ab
1. Januar 2000 der Beitragssatz nur noch um
0,2 Prozentpunkte gesenkt wird, also nur noch um die
Hälfte von dem, was Sie bisher angenommen haben.

Ich halte dies für eine sehr bemerkenswerte, ja sogar
dramatische Entwicklung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Man muß das Ganze vor dem Hintergrund sehen, daß
Sie die Rente ohnehin nur noch nach dem Inflationsaus-
gleich anpassen. Damit haben Sie die Wähler betrogen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Auf der Ausgabenseite haben Sie also eine massive
Entlastung. Und was ist mit den Einnahmen aus den un-
sinnigen 630-DM-Gesetzen und dem Gesetz gegen die
sogenannte Scheinselbständigkeit? Sie wollten damit die
Menschen in die Sozialversicherungssysteme treiben
und den Sozialkassen Geld zuführen. 1,7 Milliarden DM
sollen laut einem Bericht des Bundesarbeitsministeriums
eingenommen worden sein. Wo ist dieses Geld?


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Wo ist die Million?)


Offenbar schon alles verbraten, Herr Schultz.

(Joachim Poß [SPD]: Wo ist die Million von Leisler Kiep?)

Die ökologische Steuerreform dient nicht mehr der

Senkung der Lohnzusatzkosten. Mit den Einnahmen
werden immer mehr Löcher im Haushalt und in den So-
zialkassen gestopft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Wo ist die Million geblieben?)


Sie dienen bestenfalls der Umfinanzierung und dem
Verschleiern der Unfähigkeit der neuen Regierung, die
Sozialversicherungssysteme wirklich zu reformieren.

Nachdem vor dem Regierungswechsel die Zahl der
Erwerbstätigen noch um 400 000 gestiegen war, haben
wir seit dem Amtsantritt der Regierung Schröder zwi-
schen 250 000 und 450 000 weniger Erwerbstätige, we-
niger Beitragszahler und weniger sozialversicherungs-
pflichtig Beschäftigte.


(Joachim Hörster [CDU/CSU]: So ist es!)

Hierin liegt das wahre Problem für die Systeme der so-
zialen Sicherung, für die Sozialkassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Weil Sie Ihr großes Ziel, für weniger Arbeitslosigkeit
und mehr Beschäftigung in Deutschland zu sorgen, be-
reits aufgegeben haben, weil Sie eine Politik gegen Ar-
beitsplätze und Wachstum in Deutschland betreiben,
deshalb können Sie Ihr Ziel, mit dem Geld aus der Öko-

steuer die Beiträge zu senken, überhaupt nicht mehr er-
reichen.

Ich erwarte nicht, daß Sie begreifen, wie sehr Sie die
Wirtschaft durch die Erhöhung der Energiekosten bela-
sten. Aber als Abgeordneter eines großen Flächenwahl-
kreises habe ich noch die leise Hoffnung, daß Sie sensi-
bel genug sind, um zu wissen, in welchem Maße Sie da-
durch die Menschen auf dem flachen Land belasten.
Diese Menschen habe keine Alternative zum Auto. Bei
einer Entfernung zum Arbeitsplatz von 25 Kilometern –
das ist noch sehr niedrig gegriffen – und einem Ver-
brauch ihres Fahrzeugs von zehn Litern pro
100 Kilometer werden sie monatlich mit zusätzlichen
35 DM zu rechnen haben. Einschließlich der erhöhten
Preise für Strom und Heizöl belasten Sie sie stärker, als
Sie ihnen durch die ökologische Steuerreform geben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406917200
Herr
Kollege Rauen, kommen Sie zum Schluß.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1406917300
Es bleibt dabei: Diese
ökologische Steuerreform ist nichts anderes als ein Ab-
kassieren bei Rentnern, Arbeitnehmern und Arbeitge-
bern unter Inkaufnahme der Zerstörung von Arbeitsplät-
zen in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Mein Gott, Herr Rauen, das glauben Sie ja selber nicht!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406917400
Als
nächster Redner hat der Kollege Horst Kubatschka von
der SPD-Fraktion das Wort.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1406917500
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte kurz
auf einige Beiträge eingehen.

Zunächst zu den GuD-Anlagen. Ich habe mich er-
kundigt: Wie war das Verhalten von CDU/CSU


(Joachim Poß [SPD]: Und F.D.P.!)

in diesem Zusammenhang im Finanzausschuß? Vor die-
sem Hintergrund kann man das Verhalten der CDU/CSU


(Joachim Poß [SPD]: Und F.D.P.!)

hier nur – ich sage es einmal vornehm – als unseriös be-
zeichnen.


(Beifall bei der SPD)

Während die CDU/CSU im Finanzausschuß den Grenz-
wert für die Förderung von GuD-Kraftwerken als Inve-
stitionsverhinderungswerk brandmarkte und ablehnte,
weil dadurch für Gas der Zugang zum Strommarkt be-
hindert würde, stellt sie heute einen Antrag, auf die Gas-
steuerbefreiung zu verzichten, damit möglichst kein Gas
in die Grundlast der Stromversorgung eindringt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wollen Sie
denn eigentlich? Von der einen auf die andere Sitzung

Peter Rauen






(A) (C)



(B) (D)


wissen Sie doch gar nicht mehr, was Sie beantragt und
wie Sie gesprochen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da höre ich natürlich Herrn Rüttgers, Herrn Lamers und
Herrn Möllemann trapsen. Es wird Wahlkampf betrie-
ben. Man sollte sich aber zumindest die Argumente der
Tage zuvor gemerkt haben, um nicht ins Schleudern zu
kommen.


(Joachim Poß [SPD]: Genauso ist es!)

Noch etwas: Der Herr Kollege Seiffert hat aus der

Anhörung zitiert, dieses Gesetz sei der Totengräber des
ÖPNV. Herr Kollege, ich weiß nicht, ob Sie bis zum
Ende der Anhörung dabei waren.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Von der ersten bis zur letzten Minute!)


– Das freut mich. Aber dann haben Sie nicht zugehört.
Denn auf unser Nachfragen hin mußte bestätigt werden,
daß der ÖPNV, weil er eher lohnintensiv als energiein-
tensiv ist, durch die Steuerreform über die Lohnneben-
kosten entlastet wird. Genau das Gegenteil ist also der
Fall. Wenn vom Totengräber für die Stadtwerke gespro-
chen wurde, dann doch, als es um die Liberalisierung
des Strommarktes ging. Darauf hat es sich bezogen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Lesen Sie das Protokoll! Dann können Sie sich bei mir entschuldigen!)


– Ich brauche mich bei Ihnen nicht zu entschuldigen.
Noch zu Herrn Rauen. Er hat auch die Renten ange-

sprochen. Das gehört natürlich in jede Rede, auch wenn
es nichts mit der ökologischen Steuerreform zu tun hat.
Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege: Die Rentner wären
in den letzten Jahren zufrieden gewesen und hätten mehr
bekommen, wenn ihre Renten um den Inflationsaus-
gleich erhöht worden wären. Ihre Regierung war näm-
lich in den letzten Jahren gar nicht fähig, eine solche Er-
höhung zu bezahlen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich
jetzt mit dem wichtigsten Gesichtspunkt der ökologi-
schen Steuerreform auseinandersetzen, dem ökologi-
schen Lenkungseffekt. Dazu gibt es die verschieden-
sten Auffassungen. Herr Gysi hat gesagt, es gebe zu
viele Ausnahmen, zählt aber gleich weitere vorzuneh-
mende Ausnahmen auf. Sie müssen doch wissen, was
Sie wollen. Wenn wir keine Ausnahmen vorgesehen
hätten, dann wäre vom übrigen Haus der Vorwurf ge-
kommen, wir würden Arbeitsplätze vernichten. Wir ha-
ben es gemacht, weil wir maßvoll vorgehen wollten.

Über diese Steuern wollen wir steuern, um ein ökolo-
gisches Verhalten zu erreichen. Dies haben wir den
Wählerinnen und Wählern versprochen; dies werden wir
auch halten.

Im Wahlprogramm haben wir ausgesagt: Umwelt-
schutz soll sich auszahlen, Umweltzerstörung darf sich
nicht lohnen. Deswegen werden wir heute den Faktor
Arbeit weiter entlasten und umweltschädlichen Energie-
verbrauch maßvoll und berechenbar belasten. Aus die-
sem Grund führen wir mit dem heutigen Gesetz die
ökologische Steuerreform weiter, und zwar berechenbar
für alle über mehrere Jahre hinweg. Dafür haben wir von
den Wählerinnen und Wählern den Auftrag erhalten.
Damit haben diese Regierung und die sie tragenden
Fraktionen wieder ein Wahlversprechen erfüllt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

An dieser ökologischen Steuerreform führt kein Weg

vorbei. Sie ist notwendig, um unsere Wirtschaft zu-
kunftsfähig zu machen. Sie ist ein Projekt der Moderne.

Auch in der CDU/CSU gibt es diese Erkenntnisse.
Sie haben sich bloß nicht durchgesetzt. Umweltpolitiker
der CDU/CSU führten im Umweltausschuß aus: Die
ökologische Steuerreform ist unbestritten. Dann kam der
berühmte Pferdefuß: die Reform müsse europaweit um-
gesetzt werden. Dies bedeutet, sie soll auf den Sankt-
Nimmerleins-Tag verschoben werden.


(Monika Ganseforth [SPD]: Genau!)

In Europa ist sehr wohl etwas geschehen: Einige

Länder sind uns bereits vorangegangen. Es wird Zeit,
daß wir uns diesen anschließen. Wir sind kein Vorreiter.
Die Vorreiterrolle wurde von der alten Koalition ver-
schlafen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Geleitzug der ökologischen Steuerreform nehmen
wir höchstens einen Mittelplatz ein. Es war langsam an
der Zeit, daß sich die größte Industrienation der EU die-
ser Reform anschließt. Mehrere europäische Länder ha-
ben uns die ökologische Steuerreform bereits vorge-
macht.

Das, lieber Kollege Möllemann, ist die Wahrheit. Zu
Ihren Ausführungen muß ich sagen: Sie haben anschei-
nend die Diskussion und das Handeln in anderen Län-
dern verschlafen.

Die CDU/CSU und die F.D.P. mit ihrem klaren Nein
belegen, daß sie kein eigenes Modell haben. Sie gehören
zur Fraktion der Neinsager. Die Debatte war mit viel
Polemik und Horrorszenarien umrankt. Es gibt auch
Gewinner der ökologischen Steuerreform, aber diese
sind natürlich auf Tauchstation gegangen.

Bei der ersten Stufe der ökologischen Steuerreform
konnten wir einen einmaligen Vorgang beobachten:
Viele Betriebe mutierten von lohnintensiven Betrieben
zu energieintensiven Betrieben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, von der Opposition
wird immer wieder behauptet, die ökologische Steuerre-
form sei ein Abkassiermodell.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Joachim Hörster [CDU/ CSU]: Das stimmt auch!)


Horst Kubatschka






(B)



(A) (C)



(D)


Mich wundert, daß das Mitglieder der ehemaligen Ko-
alition sagen, die über Herrn Waigel mit 50 Pfennig an
den Tankstellen zugeschlagen hat. Vergessen Sie denn
Ihr Handeln völlig?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, bei Ihnen gilt das alles nicht mehr. Sie haben
16 Jahre aus dem Bewußtsein gestrichen. Das ist eine
tolle Leistung!

Da wir aber die Lohnnebenkosten senken, das ein-
genommene Geld also zurückgeben, kann wirklich nicht
von einem Abkassiermodell gesprochen werden. Die
Oppositionsargumente werden auch nicht dadurch rich-
tiger, daß sie ständig wiederholt werden.

Wir kommen der Forderung aus Industrie, Handwerk
und Gewerbe nach, daß Arbeit billiger werden muß. Wir
geben ein klares Signal: Energie muß teurer werden, und
der Verbrauch von Energie muß sinken. Darauf können
sich die Verbraucher, die Industrie, das Handwerk, das
Gewerbe und der Handel einstellen. Auch in Zukunft
wird ein stetiger maßvoller Anstieg der Energiepreise er-
folgen.

Das Ziel der ökologischen Steuerreform ist klar. Es
heißt: Der Verbrauch muß gesenkt werden. Die ökologi-
sche Steuerreform ist ein Mittel, um dies zu erreichen.
Damit versuchen wir, den Energieverbrauch über den
Preis, also über den Markt, zu steuern. Der Verbraucher
kann jetzt über Energiesparen den höheren Preis auffan-
gen, ohne daß es einen Verlust an Lebensqualität gibt.

Zwei Beispiele: Der Bleifuß beim Autofahren muß
nur etwas zurückgenommen werden, und schon sinkt der
Benzinverbrauch deutlich. Es lohnt sich also, einen Liter
Benzin zu sparen.

Das zweite Beispiel ist die Unsitte des Stand-by-
Betriebs bei vielen Geräten ohne Notwendigkeit. Es
stellt sicher keinen Verlust an Lebensqualität dar, wenn
man einen Fernseher ganz ausschaltet. Es muß nur ein
Knopf gedrückt werden. Doch bei manchen Geräten ist
dieser Knopf schon gar nicht mehr vorhanden. Der Ver-
braucher hat also gar nicht mehr die Möglichkeit, hier
Energie zu sparen.

Industrie und Gewerbe müssen sich darauf einstellen,
in Zukunft vermehrt energiesparende Geräte anzubieten.
Vielleicht ist es in Zukunft wichtiger, zu wissen, wieviel
Treibstoff ein Auto auf 100 km verbraucht, statt zu wis-
sen, wieviel Sekunden es braucht, um von 0 auf 100
Stundenkilometer zu kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn sich also auf dem Markt vermehrt Produkte
durchsetzen, die Energie sparen, wird es auch dem Ver-
braucher leichter fallen, die Erhöhungen durch die öko-
logische Steuerreform aufzufangen. Wir setzen voll auf
den Markt.

Ziel der ökologischen Steuerreform ist es, Energie zu
sparen. Ziel ist es, das Bewußtsein zu verändern. In Zu-
kunft muß klar sein: Energie ist ein kostbares Gut, mit
dem wir sorgsam umgehen müssen. Wir müssen uns auf

den Weg machen, liebe Kolleginnen und Kollegen, um
unser Wirtschaftssystem zukunftsfähig zu machen. Die
ökologische Steuerreform ist ein Instrument dazu. In ei-
nigen Jahrzehnten müssen wir fast im Kreislauf wirt-
schaften. Die eingesetzten Ressourcen müssen aus die-
sem Kreislauf stammen oder erneuerbar sein. Nur so ge-
ben wir unseren Enkeln und Urenkeln eine Chance auf
dieser Welt.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406917600
Zu einer
Kurzintervention gebe ich der Kollegin Birgit Hombur-
ger von der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1406917700
Herr Kollege Kubatsch-
ka, Sie haben erstens in Ihrer Rede einmal mehr be-
hauptet, daß die F.D.P. immer nur nein sage und kein
eigenes Modell habe. Entweder haben Sie die Vorlagen,
über die Sie heute abstimmen, nicht gelesen oder Sie
wollen permanent ignorieren, daß die F.D.P. ein eigenes
Modell eingebracht hat. Über einen Teil davon stimmen
wir heute ab, und zwar zum einen über die Umlegung
der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer und zum zwei-
ten über die verkehrsmittelunabhängige Entfernungs-
pauschale.


(Beifall bei der F.D.P.)

Im übrigen sind dies beides Dinge, Herr Kubatschka,

von denen die SPD früher immer gesagt hat, daß man sie
machen müsse. Jetzt haben Sie und auch die Grünen die
Chance, dem zuzustimmen. Aber jetzt lehnen Sie dies
ab. Ich kann nur feststellen, daß wir hierzu Vorschläge
eingebracht haben.

Zweitens. Wir haben auch schon in der Vergangen-
heit Entschließungsanträge zu dem Modell eines dritten
Mehrwertsteuersatzes auf Energie eingebracht. Dieses
Modell ist im Gegensatz zu Ihrem ein Modell, das zwar
eine ökologische Umorientierung fördert, aber Arbeits-
plätze nicht belastet. Was Sie mit Ihrem Modell machen,
ist eine Abzockerei der Bürgerinnen und Bürger und ei-
ne Belastung für Arbeitsplätze in diesem Land.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu kommt der Verwaltungsaufwand, zu dem ich
mich nicht weiter auslassen möchte. Ich will Ihnen nur
eines sagen: Was Sie heute hier machen, ist in keiner
Weise ökologisch. Die Reform hat den Namen Ökosteu-
erreform überhaupt nicht verdient. Dies ist nur eine so-
genannte Ökosteuerreform.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das zeigt sich auch in dem, was Sie heute zu den GuD-
Kraftwerken beschließen. Das, was Sie hier vorlegen, ist
bis zum Jahre 2002 begrenzt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch keine Kurzintervention! Die Dame liest einen Text vor!)


Horst Kubatschka






(A) (C)



(B) (D)


In diesem Zeitraum kann eine nennenswerte Kapazität,
die überhaupt erst ökologisch wirksam werden könnte,
nicht aufgebaut werden. Sie erreichen damit allerdings,
daß bei den abgeschriebenen Kohlekraftwerken eine
Situation eintreten wird, daß sich eine Erneuerung dieser
Kohlekraftwerke nicht mehr rentiert. Damit erreichen
Sie, daß Investitionen in die Erneuerung des Kraftwerk-
parks, in die Effizienzsteigerung der Kohlekraftwerke
unterbleiben. Damit unterlaufen Sie Ihr eigenes Klima-
schutzziel!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406917800
Frau
Homburger, Ihre Redezeit läuft ab.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1406917900
Ein letzter Satz, Herr
Dr. Solms. – Herr Kollege Kubatschka, es bleibt eines
festzuhalten: Was Sie hier machen, ist nicht ökologisch.
Dies ist eine einzige Abzockerei und der Versuch, die
Menschen hinters Licht zu führen!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406918000
Als
nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Jürgen Rütt-
gers von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Jürgen Rüttgers (CDU):
Rede ID: ID1406918100
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Abgeord-
nete Kubatschka hat dem Abgeordneten Möllemann
vorgeworfen, er betreibe hier Wahlkampf. Nun finde
ich es schon etwas merkwürdig, wenn ein Politiker
einem anderen vorwirft, daß das, was zur Demokratie
gehört, nämlich sich um die Menschen im Land zu
kümmern, etwas Schlechtes sei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun verstehe ich allerdings, daß die SPD bei ihrer

derzeitigen Performance eine derartige Angst vor Wah-
len hat, daß sie sich sagt: möglichst keinen Wahlkampf,
denn sonst haben wir schon wieder verloren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Grünen, meine sehr geehrten Damen und Herren,

haben im Vorfeld dieser Debatte begründet, bei diesem
Ökosteuergesetz handele es sich um ein Jahrhundertge-
setz. Wenn ich das richtig sehe, mag das unter einem
Aspekt stimmen: Es ist wahrscheinlich eines der unsin-
nigsten Gesetze, die in diesem Jahrhundert je durch ein
deutsches Parlament gegangen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie sind der Gott der CDU!)


Ich habe immer versucht, zu verstehen, wie man ein
Gesetz wie dieses Ökosteuergesetz verabschieden kann,
das unter dem Vorwand, man wolle etwas für die Um-
welt tun, Arbeitsplätze vernichtet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme aus dem rheinischen Braunkohlenrevier.

(Zurufe von der SPD)


– Darauf bin ich stolz. Ich finde es ziemlich schlimm,
daß die SPD schon so tief gesunken ist, daß sie sich über
die Kumpel im rheinischen Braunkohlenrevier lustig
macht, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist wahr: Diese Kumpel, die von morgens bis

abends hart arbeiten, haben Angst um ihre Arbeitsplät-
ze, weil Sie dieses Gesetz heute durch den Bundestag
peitschen! Das ist die Realität bei uns vor Ort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben Angst davor, daß die international wettbe-

werbsfähige Braunkohle durch dieses Gesetz plötzlich
nicht mehr international wettbewerbsfähig ist, daß der
Tagebau Garzweiler II verhindert wird und damit Tau-
sende Arbeitsplätze gefährdet sind oder gar wegfallen.
Das ist unanständig, was Sie gegenüber den Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern in diesem Land machen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das gilt nicht nur für das rheinische Braunkohlenre-

vier, sondern ebenso für das ostdeutsche Braunkohlen-
revier, und es gilt auch für das Steinkohlenrevier an der
Ruhr. Deswegen werden wir als CDU/CSU-Fraktion
dieses Gesetz ablehnen. Wir beteiligen uns nicht an der
Vernichtung von Arbeitsplätzen in diesem Land!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber es werden nicht nur Arbeitsplätze vernichtet,

gleichzeitig werden auch neue Arbeitsplätze verhindert.
Ich habe noch vor Augen, wie Herr Clement durchs
Land gereist ist und gesagt hat, wie toll das ist:
20 Milliarden DM Investitionen für die Erneuerung des
Kraftwerkparks in Nordrhein-Westfalen. 20 Milliar-
den DM stehen jetzt durch dieses Gesetz auf der Kippe,
und keiner weiß, ob sie überhaupt noch kommen. Das
heißt, neue Arbeitsplätze werden nicht geschaffen, alte
werden vernichtet. Das Ganze schadet zudem noch der
Umwelt. Das ist das Perverse bei diesem Gesetz.

Ich war vor wenigen Tagen an der Ruhr. Dort habe
ich ein Laufwasserkraftwerk – eines der ökologisch-
sten Kraftwerke, eine der ökologischsten Formen der
Stromerzeugung überhaupt – gesehen. Dieses Laufwas-
serkraftwerk, das keinerlei Emissionen erzeugt, muß
nach Ihrem Gesetz Ökosteuern bezahlen. Erklären Sie
das einmal einem normalen Menschen: Ökosteuer gegen
ökologische Stromerzeugung!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406918200
Herr
Kollege Rüttgers, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Formanski?


Dr. Jürgen Rüttgers (CDU):
Rede ID: ID1406918300
Nein.
Das Gleiche gilt in meinem Wahlkreis, dem Erft-

kreis. Wir haben über Jahre darunter gelitten, daß es in

Birgit Homburger






(B)



(A) (C)



(D)


unmittelbarer Nähe Kraftwerke gab. Natürlich hatte das
Auswirkungen: Es gab Emissionen. Wir sind froh, daß
die Industrie nunmehr zur Entstickung und Entschwe-
felung bereit ist. Die Luft wird besser; wir freuen uns
darauf. Jetzt gehen Sie hin und gefährden das Ganze!
Das ist ein Anschlag auf die Umwelt der Menschen.
Deshalb ist es unanständig, was Sie hier machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich sage abschließend: Es fällt schon auf, daß es bei

diesem angeblichen Jahrhundertgesetz niemand von der
Bundesregierung für nötig gefunden hat zu sagen: Ich
stehe dafür. Jeder von uns hier im Saal weiß, daß es zur
Zeit in der Koalition eine große Krise gibt. 70 Kollegen
der SPD wollen diesem Gesetz eigentlich nicht zustim-
men. Sie sind aber in die Mangel der SPD genommen
und durch Drohungen mit einem Koalitionskrach dazu
gezwungen worden, hier die Hand zu heben, statt ihrem
Gewissen zu folgen und dagegen zu stimmen. So etwas
finde ich schlimm und unakzeptabel.

Aber daß niemand von der Landesregierung Nord-
rhein-Westfalen hier ist – im Land tönt sie groß, aber
hier ist sie nicht! –, das ist das Schlimmste, was ich
heute erlebt habe.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406918400
Es fol-
gen jetzt zwei Kurzinterventionen. Anschließend gebe
ich dem Kollegen Rüttgers Gelegenheit, auf beide zu
antworten.

Als erster hat der Kollege Joachim Poß von der SPD-
Fraktion das Wort.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1406918500
Herr Rüttgers, die Rolle, die
Sie hier zu spielen versuchen, ist nicht glaubwürdig.
Hier spielte der Brandstifter den Biedermann, Herr
Rüttgers!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Kollegen in den Bergbaurevieren wissen auch,
daß es in der Bundesrepublik Deutschland nur eine poli-
tische Kraft gibt, die immer zum Bergbau und zu den
Bergleuten stand –


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

das gilt für die Braunkohle und für die Steinkohle –: Das
ist die deutsche Sozialdemokratie.


(Beifall bei der SPD)

Sie wollten der Steinkohle den Garaus machen, nicht
wir!


(Beifall bei der SPD)

Noch am 15. September haben die Kollegen Brüderle

und Protzner für die F.D.P. und die CDU/CSU das so-

fortige Aus für den deutschen Steinkohlenbergbau ab
2002 gefordert.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Lesen Sie doch einmal die Protokolle nach!
Im übrigen zu Ihnen, Herr Rüttgers, als Meister der

gespaltenen Zunge:

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen oder sich zumin-
dest sachkundig machen, daß Ihre Kollegen im Finanz-
ausschuß am letzten Freitag den hohen Wirkungsgrad
von 57,5 Prozent netto abgelehnt haben, weil er den in-
novativen Ansatz beim Gas nicht genug fördere. Das
war Ihre Begründung. Heute drehen Sie Ihre Argumen-
tation um. Was zählt denn bei Ihnen, meine Damen und
Herren?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


Wir werden den Kolleginnen und Kollegen in den
Revieren deutlich sagen, weshalb Sie gegen den tragba-
ren Kompromiß im Finanzausschuß, der natürlich Be-
sorgnisse ausgelöst hat, gestimmt haben.

Bei allem Verständnis für Ihr oppositionelles Hoch-
gefühl in den letzten Wochen und Monaten: Ein wenig
mehr Seriosität und Glaubwürdigkeit würde Ihnen gut-
tun!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406918600
Zu einer
weiteren Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kol-
legen Reinhard Loske vom Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wie wir eben gehört haben, mit einem europäischen
Wettbewerb zu tun. Die deutsche Braunkohle konkur-
riert im europäischen Umfeld und nicht nur im deut-
schen.

Wir machen jetzt nichts anderes, als eine Wettbe-
werbsgleichheit der deutschen Gaskraftwerke und der
ausländischen Gaskraftwerke herzustellen. Das müssen
Sie zur Kenntnis nehmen. Wollen Sie lieber, daß diese
Anlagen im Ausland gebaut werden, oder wollen Sie,
daß sie bei uns gebaut werden? Sind Ihnen die Arbeits-
plätze im Anlagenbau eigentlich egal?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens. Es wäre doch in einem liberalisierten
Markt eine Paradoxie erster Güte, wenn die Anlagen in
Holland, in Belgien, in Tschechien, in Polen, überall
dort, wo das Erdgas nicht besteuert wird, gebaut würden,
wir den Strom importieren würden und dadurch unseren
eigenen Stromerzeugungstechniken quasi unnötige

Dr. Jürgen Rüttgers






(A) (C)



(B) (D)


Konkurrenz machten. Das kann doch nicht in Ihrem In-
teresse liegen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Drittens, zu den Arbeitsplätzen: Ich muß Sie wirklich
fragen, warum Sie diese ungeheure Ignoranz gegenüber
den Arbeitsplätzen im Kraftwerksbau, im Anlagenbau
oder im Kesselbau an den Tag legen. Gerade in unseren
nordrhein-westfälischen Unternehmen gib es Spitzen-
technik. Da arbeiten viele Leute. Sie können doch nicht
so tun, als hätten wir sie überhaupt nicht! Das ist ein
sehr großes Problem.

Viertens und letztens möchte ich noch ansprechen: In
Mecklenburg-Vorpommern schafft jetzt Vasa Energy
am Standort Lubmin bei Greifswald 400 Arbeitsplätze.
Diese Arbeitsplätze sind für diese Region sehr wichtig,
genauso wichtig wie für uns im Rheinland, woher ich
komme, die Arbeitsplätze im Braunkohlenbergbau.

Also: Werfen Sie die Dinge hier nicht durcheinander,
und tun Sie vor allen Dingen nicht so, als gebe es gute
und schlechte Arbeitsplätze! Wir sind ein Technologie-
land, und das müssen wir auch deutlich machen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406918700
Herr
Kollege Rüttgers, Sie haben Gelegenheit zu erwidern.


Dr. Jürgen Rüttgers (CDU):
Rede ID: ID1406918800
Vielen Dank,
Herr Präsident. – Lieber Herr Poß, Sie haben Pech ge-
habt, daß der Kollege von den Grünen nach Ihrer Inter-
vention geredet hat. Wenn Sie richtig zugehört haben,
werden Sie festgestellt haben, daß er meinen Vorwurf
bestätigt hat, daß die Arbeitsplätze in den Kohlerevieren
durch dieses Gesetz gefährdet werden. Er hat dies damit
abgemildert, daß im Anlagenbau im Rahmen neuer
Kraftwerke neue entstehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich darf Sie darauf hinweisen, daß diejenigen, die im

Anlagenbau arbeiten, zur Zeit dabei sind – im Kraftwerk
Niederaußem, im Kraftwerk Weisweiler, im Kraftwerk
Neurath –, neue Anlagen zu bauen, weil die alten
Braunkohlenkraftwerke gerade ertüchtigt und damit
umweltfreundlicher werden. Das machen Sie kaputt, und
das regt die Menschen auf! Deshalb ist das, was Sie hier
sagen, scheinheilig!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Poß, am Anfang Ihres Beitrages habe ich ge-

dacht, es gäbe vielleicht die Möglichkeit – ich hätte das
begrüßt, um der Menschen im Ruhrgebiet, in den
Braunkohlenrevieren willen –, zu einer gemeinsamen
Position zu kommen. Ich bin ganz sicher, daß die Men-
schen im Ruhrgebiet das Aufstöhnen, wenn Ihr Name
erwähnt wird, richtig einzuordnen wissen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Leider haben Sie mit Ihrer Intervention einen anderen
Weg genommen. Es ist mir klar, daß Sie sich unwohl da-
bei fühlen, daß Sie als jemand, der aus dem Ruhrgebiet
kommt, heute diesem Gesetzentwurf zustimmen müssen.
Ich will mit Ihnen auch nicht darüber rechten, wer in der
Vergangenheit mehr für die Kumpel getan hat.


(Lachen bei der SPD)

– Ich habe den Eindruck, Sie haben keine Ahnung, wor-
um es hier geht. Gehen Sie nächste Woche mal mit auf
den Steinkohletag! Da können Sie hören, daß die Men-
schen, die in dieser Branche arbeiten, der Regierung
Helmut Kohl – die immer zu ihnen gestanden hat, egal
worum es ging – ein Dankeschön sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

An anderer Stelle können wir uns auch noch einmal

über folgendes unterhalten: Ich habe gehört, daß im
Haushaltsausschuß mit Ihrer Mehrheit gerade
250 Millionen DM für die Steinkohle gestrichen und
weitere 250 Millionen DM in das nächste Jahr verscho-
ben worden sind. Ich sage Ihnen eines, Herr Poß: Es ist
schlichtweg unglaubwürdig – Sie werden damit auch
nicht durchkommen –, zu Hause zu versuchen, den Ein-
druck zu vermitteln, man stehe für das Ruhrgebiet, hier
aber Gesetzentwürfen zuzustimmen, die der Region
schaden.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch Unsinn!)

Die Menschen spüren das. Sie haben es schon gemerkt:
Es gibt seit neuestem einen CDU-Oberbürgermeister in
Gelsenkirchen, auf Schalke. Die Leute haben kapiert,
woran sie bei Ihnen sind – glauben Sie es mir! –, und sie
werden es auch im Mai kapieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406918900
Ich
schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung
kommen, erteile ich dem Kollegen Dr. Hermann Scheer
das Wort zu einer Erklärung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung.


Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1406919000
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Dem vorliegenden Gesetzentwurf
stimme ich nur zu, weil ich der an die diesbezüglichen
Steuereinnahmen gebundenen Finanzierung anderer
Aufgaben auf keinen Fall im Wege stehen will und die
Arbeitsfähigkeit der Koalition aus vielerlei Gründen
nicht gefährden will.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Was einzelne Maßnahmen der Ökosteuerregelung be-

trifft, habe ich jedoch zwei prinzipielle inhaltliche Ein-
wände, die ich hiermit unterstreichen will.

Mein erster Einwand ist, daß ich es für widersinnig
halte, im Rahmen einer Energiebesteuerung unter öko-
logischen Vorzeichen erneuerbare Energien mitzube-
steuern.


(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Dr. Reinhard Loske






(B)



(A) (C)



(D)


Ebenso widersinnig wäre es, die herkömmlichen Ener-
gien nicht zu besteuern. Das erste Ziel einer ökologi-
schen Energiesteuer muß die höhere Besteuerung der
Energien, die bei ihrer Umwandlung zu gravierenden
Umweltbelastungen führen, und die Steuerbefreiung für
die Energien sein, die nicht dazu führen. Deshalb war es
richtig, daß im Koalitionsvertrag die Steuerbefreiung für
erneuerbare Energien ausdrücklich festgeschrieben wur-
de. Deshalb war es falsch, im ersten Gesetz zur ökologi-
schen Steuerreform vom Frühjahr erneuerbare Energien
in die Stromsteuer einzubeziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Monika Ganseforth [SPD]: Außer Eigennutzung!)


Die Begründung dafür war europarechtlicher Art, weil
bei Stromimporten nicht feststellbar sei, wie groß die
darin enthaltenen Anteile erneuerbarer Energien sind.
Mich hat diese Begründung schon seinerzeit nicht über-
zeugt, weil an Hand jeder nationalen Energiestatistik die
jeweiligen Stromerzeugungsanteile präzise ablesbar sind
und deshalb proportional von der Besteuerung des im-
portierten Stroms abgezogen werden könnten.

Auch in der zweiten Stufe der Ökosteuerreform bleibt
die Einbeziehung der erneuerbaren Energien in die
Stromsteuer bestehen, obwohl nun die Stromsteuer – das
befürworte ich ausdrücklich – angehoben wird und sich
dadurch der Geburtsfehler, erneuerbare Energien zu be-
steuern, vergrößert. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es
auf Grund einer Steuerbefreiung für erneuerbare Energi-
en Konflikte innerhalb der Koalition gegeben hätte, weil
dieses Ziel dem Willen beider Parteien entspricht. Wenn
es dennoch bei der Besteuerung erneuerbarer Energien
bleibt, dann liegt dies daran, daß dieses Ziel bis zuletzt
eher vernachlässigt wurde. Es fehlte also das Engage-
ment zugunsten anderer Schwerpunkte.

Erschwerend kommt hinzu, daß in letzter Minute die
Steuerbefreiung für Strom aus fossilen KWK-Anlagen
bis zu einer Kapazität von 2 Megawatt durchgesetzt
wurde. Dies halte ich zum einen für richtig. Aber zum
anderen macht dies noch weniger erklärbar, warum die
Steuerbefreiung nicht auch für erneuerbare Energien in
einem Atemzug realisiert wurde. Es ist nicht zu vermit-
teln, warum ersteres steuertechnisch machbar sein soll,
aber das zweite nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Diese Unterlassung ist um so bedauerlicher, als da-

durch die Wirkung der Markteinführungsprogramme für
erneuerbare Energien nicht so ist, wie sie sein könnte.
Nicht einmal die Steuerbefreiung zumindest für diejeni-
gen erneuerbaren Energien, die unter das Stromeinspei-
sungsgesetz fallen, wurde realisiert. Auf diesem Weg
wäre es möglich gewesen, die Finanzierung der Markt-
einführungsprogramme für erneuerbare Energien zum
Beispiel durch die weniger problematische Besteuerung
der traditionellen Wasserkraft, aus der noch immer das
Gros des Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen
wird und die ohnehin nicht ausbaufähig ist, vorzuneh-
men.

Mein zweiter Einwand ist, daß ich die Steuerbefrei-
ung für Gaskraftwerke, deren Wirkungsgrade unterhalb
von 70 Prozent für KWK-Anlagen liegen, für ökolo-
gisch falsch halte. Es geht bei dieser Frage nicht um
Braunkohle oder Gas, sondern um die Frage, ob Neuin-
vestitionen in den Bau von neuen Großkraftwerken oder
in die effektive dezentrale Stromerzeugung fließen sol-
len.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich kenne die Wirkungsgradunterschiede zwischen den
Kraftwerkstypen, aber jedes Kondensationskraftwerk,
also auch jedes GuD-Kraftwerk, ist im Vergleich zu de-
zentralen Erzeugungsstrukturen ineffektiv. Der richtige
Weg, um eine Gleichbehandlung fossiler Energieträger
zu erzielen, ist, alle und nicht nur einige Energieträger
unter Zuhilfenahme der Reziprozitätsklausel bei Impor-
ten zu besteuern.

Meine Erklärung zur Abstimmung, die von den Kol-
legen Lange und Berg unterstützt wird, bitte ich deshalb
als Appell zu verstehen, ökologische Unstimmigkeiten
im Rahmen der Ökosteuerreform spätestens bei der
nächsten Stufe endlich zu beseitigen. Solange erneuerba-
re Energien besteuert und nicht erneuerbare Energien
teilweise nicht besteuert werden, so lange ist auch der
Schritt von einer Energie- zu einer Ökosteuer noch nicht
vollzogen.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406919100
Zu einer
weiteren persönlichen Erklärung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung erteile ich dem Kollegen Kurt Bodewig
von der SPD-Fraktion das Wort.


Kurt Bodewig (SPD):
Rede ID: ID1406919200
Ich gebe eine persönliche Er-
klärung zu meinem Abstimmungsverhalten ab. Obwohl
ich mit der steuerlichen Begünstigung der Gas- und
Druckturbinenkraftwerke außerordentlich große Pro-
bleme habe, werde ich diesem Gesetz zustimmen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Ich tue dies auch angesichts der Nöte in unserer Region.
Ich komme aus dem rheinischen Bergbaugebiet und
kenne die Nöte der Menschen, die seit Jahren verunsi-
chert wurden. Sie wurden durch die Organklage der grü-
nen Fraktion verunsichert, aber auch durch die Klagen
der CDU-regierten Städte. Ich sage ausdrücklich: Die
Menschen brauchen Sicherheit; diese Sicherheit erhalten
sie.


(Beifall bei der SPD)

Mit der Festlegung eines Zeitfensters bis zum

30. März 2002 ist sichergestellt, daß keine Subventionie-
rung gegen die Braunkohle erfolgt. Vielmehr geht es um
die Förderung hocheffizienter GuD-Kraftwerke in die-
sen Jahren.

Dr. Hermann Scheer






(A) (C)



(B) (D)


Ich erkläre zugleich, daß ich einer Nachfolgeregelung
nicht mehr zustimmen werde.


(Lachen bei der CDU/CSU – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das sind die wahren Helden!)


Ich bin mir gewiß, daß ich im Sinne aller nordrhein-
westfälischen SPD-Abgeordneten spreche. Mit meinem
Abstimmungsverhalten möchte ich deutlich machen, daß
man die Menschen in dieser Region nicht mehr länger in
Nöte stürzen darf.


(Beifall bei der SPD – sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieses Gesetz tut das nicht – das ist der entscheidende
Punkt –, und aus diesem Grund werde ich diesem Gesetz
zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406919300
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zur Ab-
stimmung über den von den Fraktionen der SPD und
Bündnis 90/Die Grünen sowie der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortführung
der ökologischen Steuerreform, Drucksachen 14/1524,
14/1668 und 14/2027 Buchstabe a.

Hierzu liegt auf Drucksache 14/2065 ein Änderungs-
antrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Zu diesem Ände-
rungsantrag liegen uns zwei schriftliche Erklärungen zur
Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung von den
Kollegen Ulrich Adam1) und Leo Dautzenberg2) von der
CDU/CSU-Fraktion vor.

1) Anlage 2
2) Anlage 3

Die CDU/CSU-Fraktion hat namentliche Abstim-
mung beantragt. Bevor wir mit der Abstimmung begin-
nen, gebe ich folgende Hinweise: Sobald die Abstim-
mung über diesen Änderungsantrag beendet sein wird,
werde ich die Sitzung kurz unterbrechen, bis die Aus-
zählung der Stimmen erfolgt sein wird. Danach werde
ich die Sitzung wiedereröffnen. Wir werden dann eine
namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag der
F.D.P.-Fraktion durchführen. Danach werde ich die Sit-
zung wiederum unterbrechen, bis die Stimmen ausge-
zählt sein werden. Danach folgt die Abstimmung in der
zweiten Lesung, anschließend die dritte Lesung und
Schlußabstimmung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen
besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstim-
mung. –

Sind alle Stimmen abgegeben? – Das ist der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.

Ich unterbreche die Sitzung, bis die Auszählung ab-
geschlossen ist.


(Unterbrechung von 18.07 bis 18.14 Uhr)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406919400
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die unterbrochene
Sitzung fort.

Ich gebe Ihnen das Ergebnis der Abstimmung über
den Änderungsantrag der CDU/CSU bekannt. Abgege-
bene Stimmen 621. Mit Ja haben gestimmt 219, mit
Nein haben gestimmt 336, Enthaltungen 66.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 620;
davon:

ja: 218
nein: 336
enthalten: 66

Ja
SPD
Hans-Peter Kemper
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm

Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens

(Emstek)


Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss

Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Naila)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)


Gottfried Haschke

(Großhennersdorf)


Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki

Kurt Bodewig






(B)



(A) (C)



(D)


Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhemshaven)

Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)


Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt

(Mühlheim)


Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller

Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser

Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann

(Chemnitz)


Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler

Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt

(Salzgitter)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber

Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek (Leipzig)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

CDU/CSU
Ulrich Adam

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel

Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


Enthalten
SPD
Barbara Wittig
CDU/CSU
Leo Dautzenberg
F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Jürgen W. Möllemann
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(B)



(A) (C)



(D)


Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner

Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Ursula Lötzer

Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser

Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Bierling, Hans-Dirk,
CDU/CSU

Dr. Götzer, Wolfgang,
CDU/CSU

Dr. Lamers (Heidelberg),
Karl A., CDU/CSU

Meckel, Markus, SPD

Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-

antrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2071.
Die F.D.P.-Fraktion verlangt namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen
besetzt? – Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich
die Abstimmung. –

Hat ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch nicht
abgegeben? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.

Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der Abstimmung
unterbreche ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 18.19 bis 18.25 Uhr)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406919500
Wir set-
zen die unterbrochene Sitzung fort.

Ich gebe Ihnen das von den Schriftführern und
Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Antrag der F.D.P.-Fraktion be-
kannt: abgegebene Stimmen 618. Mit Ja haben gestimmt
246, mit Nein haben gestimmt 332, Enthaltungen 40.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 617;
davon:

ja: 245
nein: 332
enthalten: 40

Ja
SPD
Dr. Hermann Scheer
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer

Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Naila)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Georg Girisch
Michael Glos

Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf)


Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen

Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhemshaven)

Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A) (C)



(B) (D)


Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mühlheim)

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)


Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L.Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher

Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)


Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(B)



(A) (C)



(D)


Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt

(Meschede)


Wilhelm Schmidt

(Salzgitter)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert

Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer

(Karlsruhe)


Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt

(Hitzhofen)


Werner Schulz (Leipzig)


Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm

(Amberg)


Margareta Wolf (Frankfurt)


Enthalten
SPD
Kurt Bodewig
Barbara Wittig
CDU/CSU
Dietrich Austermann
Leo Dautzenberg
Anke Eymer
Dr.-Ing. Rainer Jork
Gerhard Scheu
Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Michael von Schmude
Dr. Rita Süssmuth
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Bierling, Hans-Dirk,
CDU/CSU

Dr. Götzer, Wolfgang,
CDU/CSU

Dr. Lamers (Heidelberg),
Karl A., CDU/CSU

Meckel, Markus, SPD

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A) (C)



(B) (D)


Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wir kommen jetzt – wir befinden uns immer noch in

der zweiten Lesung – zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf zur Fortführung der ökologischen Steuerreform
in der Ausschußfassung. Wer der Beschlußempfehlung
des Ausschusses auf Drucksache 14/2027 Buchstabe a
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit
ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS ange-
nommen.

Wir kommen nun zur
dritten Beratung

und Schlußabstimmung. Bevor wir zur Abstimmung
kommen, will ich noch bekanntgeben, daß zur dritten
Lesung 47 fast identische Erklärungen1) und drei Ein-
zelerklärungen der Kollegen Ulrich Adam, Barbara
Wittig und Klaus Lennartz2) nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vorliegen.

Die SPD hat namentliche Abstimmung beantragt. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze
einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der
Fall. Ich eröffne die Abstimmung. –

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Sind jetzt alle Stimmen
abgegeben? – Ich schließe die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekanntgegeben.3)

Wir setzen die Beratung fort. – Darf ich bitten, daß
die Plätze eingenommen werden, da wir zu weiteren Ab-
stimmungen kommen, und zwar, wohlgemerkt, zu kei-
nen namentlichen Abstimmungen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/2040. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist der Ent-
schließungsantrag bei Zustimmung der PDS-Frak-
tion gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen abge-
lehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/2042. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist der
Entschließungsantrag bei gleichem Stimmenverhältnis
abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion der F.D.P. zur ökologisch wirklich

1) Anlagen 4 und 5
2) Anlage 6
3) Seite 6213 A

wirksamen Umstellung der Besteuerung ohne Mehrbela-
stung für Bürger und Wirtschaft auf Drucksache 14/399.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da ist schon der Titel lächerlich! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Wirklichkeit der F.D.P. ist, daß sie gar nicht mehr da ist!)


Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 14/2027
unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen.

Ich lasse über den Gesetzentwurf der F.D.P. auf
Drucksache 14/399 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt, und zwar
bei Zustimmung der F.D.P., bei Gegenstimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen sowie bei Enthaltung von
CDU/CSU und PDS. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.

Ich gebe Ihnen das Ergebnis der letzten namentlichen
Abstimmung später bekannt und rufe die Tagesord-
nungspunkte 6 a bis 6 c auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktionen SPD und

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer
„Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden
Europas“
– Drucksache 14/2013 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend b)

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Gründung „Stiftung Denkmal für die ermor-
deten Juden Europas“
– Drucksache 14/1996 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend c)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
„Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden
Europas“
– Drucksache 14/2014 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin gebe ich das Wort der Kollegin Monika Griefahn von der SPD-Fraktion. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 25. Juni dieses Jahres haben wir in diesem Parlament, damals noch in Bonn, beschlossen, daß in Berlin ein Mahnmal für die ermordeten Juden Europas errichtet werden soll. Teil dieses Beschlusses war auch, daß eine Stiftung ins Leben gerufen wird, die den Bau des Mahnmals durchführen und noch in diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen soll. Deshalb erscheint mir der Streit über die Rechtsform der Stiftung, der zur Zeit kursiert, künstlich und nach außen hin nicht verständlich. Es kann nur darum gehen, den Bundestagsbeschluß vom Juni dieses Jahres so umzusetzen, daß am 27. Januar 2000 ein zumindest symbolischer Spatenstich in den Ministergärten durchgeführt werden kann, der deutlich macht, daß das Mahnmal, wie von den Auslobern vorgeschlagen, an dem vorgesehenen Platz, aber mit der Ergänzung eines Ortes der Information tatsächlich entstehen wird. Die von der Opposition vorgebrachten Vorwürfe, mit der Form einer unselbständigen Stiftung würde es „zuviel Naumann“ geben, scheinen mir sehr verwunderlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





(B)


(A) (C)


(D)

Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1406919600

(Beifall bei der SPD)


Das Konstrukt einer unselbständigen Stiftung dient als
vorläufige Einrichtung lediglich dazu, den Bundestags-
beschluß zügig umzusetzen, so daß die Stiftung noch in
diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen kann. Gleichzeitig
bringen wir heute einen Gesetzentwurf zur Gründung
einer selbständigen Stiftung ein – im übrigen das gleiche
Verfahren, das Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, bei der Errichtung des „Hauses der Ge-
schichte“ in Bonn gewählt haben.

Wir sind angesichts der über zehn Jahre währenden
Diskussion aufgerufen, die Errichtung des Mahnmals
jetzt in Angriff zu nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was wir nicht brauchen, ist ein neuer Streit. Wir sollten
unsere eigentliche Absicht, als Land der Täter den Op-
fern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft einen
Ort des Mahnens und Gedenkens zu errichten, nicht in
den Hintergrund geraten lassen. Vergessen wir nicht,
daß ein erneuter Streit die große Gefahr in sich birgt,
unwürdig zu werden. Wir wollen das vermeiden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Mahnmal darf kein Gegenstand der Profilschärfung
und des Parteiengezänks sein. Es soll uns um die Sache
gehen.


(Zuruf von der SPD: So ist es!)


Lea Rosh hat uns – auch wenn vielleicht nicht jeder
immer mit ihr einverstanden war – mit ihrer Argumen-
tation vorgemacht, wie man sich für etwas, von dem
man überzeugt ist, einsetzen kann. Ohne sie und die an-
deren Mitglieder des Fördervereins ständen wir heute
nicht hier und würden wir jetzt nicht eine solche Stiftung
gründen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich bin überzeugt, daß wir hier und heute ein Zeichen
setzen können. Der Bundestag hat beschlossen, daß das
Mahnmal gebaut wird. Wir haben beschlossen, daß eine
Stiftung diesen Beschluß umsetzen soll. Also werden
wir diese Stiftung auch ins Leben rufen.

Wir bitten deshalb den Bundeskanzler, per Erlaß zu-
nächst eine unselbständige öffentlich-rechtliche Stiftung
in seinem Geschäftsbereich zu errichten. Sie soll wäh-
rend der Aufbauphase bis zum Inkrafttreten des Geset-
zes den vorläufigen organisatorischen Rahmen abgeben.

Zu bedenken ist: Der Beschluß vom Juni dieses Jah-
res war nicht einstimmig, ist aber durch eine große
Mehrheit zustande gekommen. Natürlich gibt es immer
– auch bei Umsetzungen – Stimmen des Für und Wider.
Unser Satzungsentwurf ist bei denen, die es angeht,
weitgehend positiv aufgenommen worden. Die meisten
von denen, die in Kuratorium und Beirat vertreten sein
werden, warten nur darauf, daß wir endlich mit der Ar-
beit beginnen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sollten auch nicht vergessen, welches Bild wir im
Ausland abgeben. Der jahrelange Streit und die vielen
Diskussionen um das Mahnmal sind nicht überall ver-
standen worden. Als Kultur- und Außenpolitikerin sage
ich Ihnen, daß wir es nicht unterschätzen sollten, welche
Wirkungen es hat, wie wir mit diesem Thema im Inne-
ren umgehen.


(Beifall bei der SPD)

Die Auseinandersetzung war und ist richtig und wichtig.
Aber wir müssen jetzt zu Potte kommen.

Wir werden ebenso einen Weg finden – auch das ist
in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen –, der
anderen Opfergruppen zu gedenken. Auch das war Be-
standteil des Beschlusses vom 25. Juni dieses Jahres.


(Beifall des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])

Wir müssen jetzt die Diskussion beenden, um in der

Umsetzungsphase einen würdigen Ort des Gedenkens
für die ermordeten Juden zu schaffen. Unsere Entwürfe
im Hinblick auf Satzung und Gesetz bieten dafür die
richtige Basis. Denn sie beziehen alle ein, sowohl dieje-
nigen, die zum Mahnmal für die ermordeten Juden, als
auch diejenigen, die für andere Opfergruppen sprechen
können.

Andreas Nachama, der Vorsitzende der jüdischen
Gemeinde hier in Berlin, mahnt zu Recht: Es ist „wich-
tig, daß der kommende 27. Januar als Gedenktag für die
Opfer des Nationalsozialismus nicht noch einmal an

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A) (C)



(B) (D)


dem Denkmal vorbeigeht“. – Ich denke, er hat recht, und
deshalb handeln wir heute.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406919700
Ich gebe
jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern

ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur
dritten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Fort-
führung der ökologischen Steuerreform der Fraktionen
SPD und Bündnis 90/Die Grünen und der Bundes-
regierung bekannt. Abgegebene Stimmen 620. Mit
Ja haben gestimmt 331, mit Nein haben gestimmt
287. Enthalten haben sich zwei Kolleginnen und Kolle-
gen.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 618;
davon:

ja: 331
nein: 285
enthalten: 2

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler

Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen

Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles

Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt

(Meschede)


Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)


Monika Griefahn






(B)



(A) (C)



(D)


Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf

Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


Nein
SPD
Werner Labsch
Klaus Lennartz
Albrecht Papenroth
Jürgen Wieczorek (Leipzig)

CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle

Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Naila)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf)


Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhemshaven)

Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard

(Dresden)


Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mühlheim)

Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff

Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich

Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller

F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele

Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Enthalten
SPD
Dr. Mathias Schubert
Barbara Wittig

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Bierling, Hans-Dirk,
CDU/CSU

Dr. Götzer, Wolfgang,
CDU/CSU

Dr. Lamers (Heidelberg),
Karl A., CDU/CSU

Meckel, Markus, SPD

Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir fahren in der Beratung des Tagesordnungspunk-

tes 6 fort. Der nächste Redner ist der Kollege
Dr. Norbert Lammert von der CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1406919800
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Themen, die
sich für den im allgemeinen unvermeidlichen und not-
wendigen Streit der Parteien und Fraktionen wenig eig-
nen.


(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)


Der Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte, die
Wahrung der Erinnerung an entsetzliche Verirrungen
und Verbrechen gehören ganz gewiß dazu. Der Deut-
sche Bundestag hat mit seiner Entscheidung vom
25. Juni zur Errichtung eines Mahnmals für die ermor-
deten Juden Europas seine Entschlossenheit dokumen-
tiert, diese Verantwortung wahrzunehmen.

Mit den jetzt eingebrachten Anträgen zur Gründung
einer Stiftung geht es um die Umsetzung dieses Be-
schlusses, um nicht mehr und nicht weniger. Die Ent-
scheidung in der Sache ist getroffen. Sie gilt für alle,
auch für diejenigen, die in der Gestaltung oder Wid-
mung des Mahnmals andere Akzente bevorzugt hätten.
Deswegen möchte ich gleich zu Beginn sagen: Jeder
sollte auch nur den Verdacht vermeiden, daß er über das,

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(B)



(A) (C)



(D)


was jetzt in der Abteilung „Umsetzung“ debattiert und
beschlossen wird, eigentlich eine Korrektur in der Sache
betreiben wolle.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist eine Wahnvorstellung, die ihr habt! Kein Mensch will die Entscheidung korrigieren!)


– Ich nehme das mit Dankbarkeit zu Protokoll.

(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann darf man es auch nicht suggerieren!)


Ich möchte für die Unionsfraktion verdeutlichen, daß
wir die Umsetzung – wie es auch bei der Sachentschei-
dung damals war – mit dem Ziel einer möglichst einver-
nehmlichen Lösung konstruktiv begleiten werden, daß
wir allerdings die vorliegenden Anträge der Koalition
nicht für geeignet halten, diese breite Zustimmung zu
ermöglichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Antragspaket
der Koalition, der Gesetzentwurf und der gleichzeitig
beantragte Regierungserlaß, ist sicher gut gemeint. Dar-
an habe jedenfalls ich keinen Zweifel.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Es ist auch gut! – Weiterer Zuruf von der SPD: Dann machen Sie doch mit!)


Aber es ist nicht gut gelungen und, wie ich finde, auch
nicht gut durchdacht. Dies gilt sowohl für das Verfahren
als auch für den Inhalt.

Ich will das durch einige Hinweise verdeutlichen:
Erstens. Es gibt keinen Grund und schon gar keine

überzeugende Begründung, von der klaren Beschluß-
lage des Deutschen Bundestages abzuweichen. Ich zitie-
re den Beschluß des Bundestages: Es wird eine öffent-
lich-rechtliche Stiftung gegründet, der Vertreter des
Deutschen Bundestages, der Bundesregierung, des Lan-
des Berlin und des Förderkreises zur Errichtung eines
Denkmals für die ermordeten Juden Europas ange-
hören. – Im weiteren geht es um die Besetzung von
Gremien.

Es gibt eine ganz unmißverständliche Festlegung des
Bundestages, wer die Stifter sind. Und genau diese Stif-
ter sollen und müssen nun auch die Verantwortung im
Stiftungsrat bzw. Stiftungskuratorium übernehmen. Es
gibt keinen wirklich überzeugenden Grund, sich mit
welchen Motiven auch immer – deren Ehrenhaftigkeit
ich überhaupt nicht in Zweifel ziehe – hinter anderen zu
verstecken, wenn nun weitere, übrigens nicht unwichtige
und nicht unstreitige Entscheidungen getroffen werden
müssen.

Zweitens. Die Erweiterung des Kuratoriums über den
Kreis der Stifter hinaus schafft ganz sicher mehr Pro-
bleme, als sie löst. Das sind allesamt Probleme, die von
vornherein vermeidbar sind. Wir müssen dann ohne Not
Entscheidungen über die Auswahl der zu beteiligenden
Organisationen und über die Anzahl der dabei jeweils zu
berücksichtigenden Vertreter treffen. Wir haben es

schon jetzt, bevor das Ganze beschlossen ist, mit der
Eigendynamik eines solchen guten Willens zu tun: Ne-
ben den vorgesehenen Organisationen melden sich an-
dere, die unter Berufung auf die vorgesehene Berück-
sichtigung ihrerseits Wert darauf legen, beteiligt zu wer-
den.

Daß sich der Deutsche Bundestag hier ohne Not in
die Situation begibt, zwischen solchen interessierten und
betroffenen Organisationen im Kreis der Stifter eine
Auswahl zu treffen, gehört zu den völlig überflüssigen
Komplizierungen eines Entscheidungsprozesses, der oh-
nehin hinreichend schwierig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Im übrigen trägt dies zu einer Verwischung von politi-
schen Verantwortlichkeiten bei, zu der wir gerade unter
Berücksichtigung der Debatte, die der Deutsche Bun-
destag damals geführt hat, keine Veranlassung haben.

Drittens. Die Einbeziehung betroffener – im wörtli-
chen wie im übertragenen Sinne – Organisationen und
Institutionen, insbesondere unserer jüdischen Mitbürger,
ist natürlich dringend erwünscht, und sie kann im Beirat
in angemessener Weise erfolgen. Hier besteht die Mög-
lichkeit, den Sachverstand, das Interesse und das Mit-
wirkungsbedürfnis in einer dem Gegenstand angemesse-
nen Weise zu integrieren, ohne daß wir dies für die poli-
tischen Entscheidungen in Anspruch nehmen müßten
und sollten, die im Kreis der Stifter getroffen werden
müssen.


(Beifall des Abg. Dr. Klaus Grehn [PDS])

Viertens. Nach dem Vorschlag der Koalition wird der

Beirat überflüssig, das Kuratorium dagegen überfor-
dert. Das Kuratorium ist nach dem Vorschlag der Koali-
tion in der Anzahl der Mitglieder zu groß und in der Be-
setzung durch Vertreter von Verfassungsorganen bis zu
Vertretern von Museen – freundlich formuliert – sehr
diffus und in den Proportionen hoffnungslos verun-
glückt.

Wie man das Zahlenverhältnis zwischen Bundestag
und Bundesregierung, zwischen dem Bund und dem
Land Berlin – ich will gar nicht vom Zahlenverhält-
nis zwischen dem Land Berlin und dem Initiativkreis re-
den –, das diesem Besetzungsvorschlag zugrunde liegt,
in der Sache begründen will, werden wir vielleicht noch
in dieser Debatte erfahren. Ich habe es bisher weder aus
dem Text noch aus vorgetragenen Begründungen ablei-
ten können.

Fünftens. Mit der Bildung einer unselbständigen
Stiftung im Geschäftsbereich des Bundeskanzlers, die
mit dem Antrag begehrt wird, wird eine ausdrückliche
Beschlußfassung des Bundestages ins Gegenteil ver-
kehrt. Ich will daran erinnern, daß wir damals im Deut-
schen Bundestag einen Antrag vorliegen hatten, der
nach dem Grundsatzentscheid, ein solches Mahnmahl zu
errichten, ausdrücklich die Umsetzung dieses Beschlus-
ses der Bundesregierung übertragen wollte. Dies hat der
Deutsche Bundestag mit einer breiten Mehrheit zurück-
gewiesen. Nun wird auf dem Erlaßweg genau das vorge-

Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


schlagen, was der Bundestag mit seiner Mehrheit nicht
wollte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wenn der Staatsminister für Kultur und Medien – ich
habe es nicht selber gehört und kann es deswegen auch
nicht beurteilen – im Deutschen Fernsehen erklärt, in
diesem Kuratorium stünde – ich gebe das jetzt sinnge-
mäß wieder, weil ich es, wie gesagt, nicht selber gehört
habe – die ganze Palette der Entscheidungsalternativen
erneut zur Debatte –,


(Kersten Naumann [PDS]: Das ist nicht im Traum gesagt worden!)


– wenn das nicht im Traum gesagt worden ist, nehme
ich auch das ausdrücklich zu Protokoll –


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Behauptet es aber erst einmal!)


– dann werden genau die Befürchtungen aktiviert, die
manche mit dieser Art von Konstruktion verbinden. Es
bleibt der Sachverhalt, daß dies das Gegenteil dessen ist,
was der Bundestag damals wollte.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Ihr habt einen Namenskomplex! Das ist wirklich schlimm!)


Sechstens. Es ist überhaupt nicht die Notwendigkeit
erkennbar, das Gesetzgebungsverfahren durch Erlaß zu
präjudizieren. Es ist doch naiv, anzunehmen, das Gesetz
könne für Aufgaben und Zusammensetzung der Organe
noch korrigierende Entscheidungen treffen, wenn diese
Organe mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben bereits
praktisch beauftragt sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier müssen wir auch ehrlich miteinander umgehen.
Deswegen ist eine solche Notwendigkeit nicht erkenn-
bar, schon gar nicht dann, wenn es kein Einvernehmen
über die zu treffenden Abwägungen gibt.

Wie Sie, Herr Kollege Stiegler, wissen, habe ich im-
mer gesagt: Für mich ist die Frage, ob die Umsetzung
per Erlaß oder Gesetz erfolgt, keine Grundsatzfrage. Da-
zu stehe ich auch. Wenn wir uns darüber einig sind, was
wir wollen, kann man das per Gesetz oder per Erlaß re-
geln. Was aber natürlich nicht geht, ist, einen nicht vor-
handenen Konsens durch autoritäre Setzung ersetzen zu
wollen und den Gesetzgeber zum Nachvollzug eines
Regierungserlasses aufzufordern. Das ist, mit Verlaub
gesagt und ganz freundlich formuliert, unangemessen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Eine letzte Bemerkung. Ich kann den Eilbedarf nicht

erkennen, der jetzt behauptet wird, schon gar nicht,
nachdem die Koalition in den vier Monaten seit der Be-
schlußfassung des Bundestages eine solche Eilbedürf-
tigkeit offenkundig nicht gesehen hat.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Bei Ihnen habe ich auch keine gesehen!)


Jetzt liegt ein Gesetzentwurf vor, den wir ordentlich be-
raten werden. Wir haben in dem für die Federführung

vorgesehenen Ausschuß bereits verabredet, in der näch-
sten ordentlichen Sitzungswoche diesen Gesetzentwurf
zu beraten. Es liegt in der Hand der Mehrheit dieses
Hauses, bis zum Ende dieses Jahres das Gesetzgebungs-
verfahren abzuschließen, wenn dies gewünscht wird.
Die Notwendigkeit, vorher durch Erlaß scheinbar vor-
läufig eine unselbständige Stiftung mit dem präzise glei-
chen Auftrag zu betrauen, ist unter keinerlei Gesichts-
punkten erkennbar.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn Ihnen
an einer breiten Zustimmung für das gelegen ist, was wir
am 25. Juni 1999 quer durch alle Fraktionen im Ergeb-
nis mit einer deutlichen Mehrheit beschlossen haben,
muß ich Sie herzlich bitten: Ziehen Sie den Antrag zu-
rück und lassen Sie uns in Ruhe im Gesetzgebungsver-
fahren das abwägen, was in Ruhe miteinander abzuwä-
gen ist. Wir sagen die Bereitschaft zu einer sorgfältigen
Beratung mit der Bereitschaft zum Konsens ausdrück-
lich zu. Insofern stimmen wir der Überweisung der Ge-
setzentwürfe zu. Wenn der Antrag aufrechterhalten
wird, müssen wir ihn aus den genannten Gründen ableh-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406919900
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Antje Vollmer vom
Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406920000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber
Herr Lammert, Sie haben ganz recht: Die Entscheidung
in dieser Sache ist gefallen, und zwar am 25. Juni 1999.
Sie ist nach einer sehr langen Vordebatte gefallen, die
wiederum eine eigene Vorgeschichte hat. Diese lange
Debatte vorweg war notwendig. Sie war in man-
chen Teilen quälend. Aber es wurde die Entscheidung an
der wichtigsten Stelle gesucht, die es in diesem Land
gibt, nämlich beim Souverän im Deutschen Bundestag.
Hier hat es eine breite Mehrheit für die jetzige Entschei-
dung gegeben. Nach dieser Debatte wird niemand in der
Bevölkerung Verständnis haben, wenn es weitere Zeit-
verzögerungen bei der Umsetzung dieses Beschlusses
gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Alles, was wir heute machen, erfolgt in dieser Absicht.
Ich hatte gehofft, daß wir nach dieser Debatte, wo

alle das Gefühl hatten, es sei gut, daß es diese Entschei-
dung jetzt gibt, aufhören würden, wieder Dinge zu sug-
gerieren, die niemand will.

Dieser Bundestag wird sich heute bei der Entschei-
dung über diesen Antrag und bei den weiteren Entschei-
dungen, die wir noch treffen wollen, ganz genau an
Wort, Buchstaben und Geist dieser Entscheidung halten.
Das ist die Absicht unseres heutigen Vorgehens. Sich
daran zu halten heißt auch, nicht neue Möglichkeiten zu

Dr. Norbert Lammert






(B)



(A) (C)



(D)


geben, wieder eine zweite und dann eine dritte Debatte
zu eröffnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Notwendig ist die formale Debatte. Die muß in den
Gremien dieser Stiftung geführt werden. Diese Debatte
werden wir führen. Aber auch sie muß sich an die in-
haltliche Vorgabe halten, die hier abgestimmt worden
ist, nämlich zu sagen: Wir errichten ein Mahnmal für die
ermordeten Juden Europas in der gestalterischen Form,
die wir „Eisenmann II“ genannt haben, ergänzt um einen
Ort der Erinnerung. Alle weiteren Debatten, die wir ge-
führt haben, haben klargemacht, daß es sich schon aus
finanziellen Gründen, aber auch aus Respekt vor dem
Entschluß, der gefaßt worden ist, um eine kleine, um
eine bescheidene Ergänzung handeln muß.

Oft habe ich den Eindruck, als ob Sie mit dem immer
neuen Schüren von Mißtrauen an dieser Entscheidung
wieder in die inhaltliche Debatte gehen wollen. Dafür
hat keiner Verständnis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt kommt die Debatte um die Gremien. Es gibt
eine neue Entwicklung, nämlich eben jene, daß Vertreter
des Zentralrats der Juden und der jüdischen Gemeinde
auch öffentlich ihre Bereitschaft erklärt haben, im Ku-
ratorium dieser Stiftung mitzumachen. Niemand hätte
Verständnis, wenn diese Bereitschaft ausgerechnet von
uns abgelehnt würde, indem wir sie in ein anderes Gre-
mium integrieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt fragen Sie: warum erst eine unselbständige
Stiftung und dann eine selbständige? Das war wiederum
ein Grund, neues Mißtrauen zu säen. Wir haben das sehr
deutlich gesagt. Wir wollen sehr, sehr schnell handeln.
Unser Ziel ist, daß es schon am 27. Januar eine Grund-
steinlegung geben kann. Wir haben aber gleichzeitig
gesagt, um das Mißtrauen endlich aufzuheben, am glei-
chen Tag, nämlich heute, wo wir diesen Erfolg beantra-
gen, reichen wir zugleich den ersten Gesetzentwurf für
die selbständige Stiftung ein. Das heißt, ab jetzt liegt es
an Ihnen, liebe Damen und Herren aus der Opposition,
das Ganze so schnell umzusetzen, daß es in kürzester
Zeit von der unselbständigen zur selbständigen Stiftung
kommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Wieso liegt es an uns?)


– Weil es von dem Gang der Debatten abhängt, die wir
jetzt führen werden.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Und welchen Gang der Debatten haben wir hier jetzt aufgehalten?)


Deswegen haben wir heute diese erste Lesung. Sie kön-
nen die Zeit, die Sie so fürchten – wo nämlich der
Staatsminister für Kultur die Möglichkeit hat, mittels

seines Erlasses in den Gang der Debatte einzugreifen –,
sehr verkürzen, indem wir sehr bald die zweite und die
dritte Lesung haben und damit zu dem Ergebnis kom-
men, das alle von uns erwarten.

Der höchste Souverän hat in dieser Sache inhaltlich
entschieden. Er hat auch gesagt, daß in Form einer Stif-
tung über das formale weitere Vorgehen entschieden
werden soll. Ich finde es nicht richtig, Herr Lammert,
daß Sie, indem Sie eine neue Kategorie einführen – Sie
sagen, das eine sind die Stifter, das andere sind andere
Gruppen –, suggerieren, daß nicht ein einziges Gremium
Stifter ist, nämlich der Deutsche Bundestag in Vertre-
tung der deutschen Bevölkerung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die haben entschieden, daß sie diese Stiftung wollen.
Damit sind sie auch die Stifter.

In der Ausgestaltung der Gremien folgen wir dem,
was wir damals in dem Beschluß gesagt haben, daß wir
nämlich eine möglichst breite Beteiligung wollen, insbe-
sondere und mit großer Freude mit den Vertretern der
jüdischen Organisationen, aber auch mit den Vertretern
der Gedenkstätten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese wollen, wie wir in der Vorphase sehr deutlich ge-
merkt haben, ihren Beitrag für ein Gesamtkonzept lei-
sten. Sie wollen nicht, daß innerhalb der verschiedenen
Institutionen neue Konkurrenzen entstehen.

Ich finde, wir haben versucht, sehr zügig und im
Konsens zu handeln. Herr Lammert, Sie wissen auch,
wie viele Gespräche wir in den letzten Wochen geführt
haben. Den Vorwurf, daß hier irgend etwas durchge-
knüppelt wurde, daß wir nicht um Ihre Zustimmung ge-
rungen haben, können Sie nicht ernsthaft aufrechterhal-
ten.

Aber es gibt auch eine Verpflichtung von uns, das
zu tun, wozu uns der Beschluß vom 25. Juni beauftragt
hat. Ich denke, wir sollten das jetzt sehr schnell umset-
zen. Dann werden wir im zweiten Zugriff diesen Ge-
setzentwurf behandeln. Ich freue mich darauf, daß wir
am Ende endlich das haben werden, worum es zehn Jah-
re lang diese Debatte gegeben hat, nämlich ein Mahn-
mal, ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas
mitten in Berlin, ganz dicht an diesem Deutschen Bun-
destag.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1406920100
Als
nächster Redner hat der Kollege Professor Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig von der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1406920200
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Die F.D.P. setzt mit ih-
rem Gesetzentwurf den Bundestagsbeschluß vom 25.

Dr. Antje Vollmer






(A) (C)



(B) (D)


Juni 1999 um. Das Interessante und das Schwierige ist,
verehrte Frau Kollegin Vollmer, daß der Text jenes Be-
schlusses vom Juni dieses Jahres ganz offensichtlich
unterschiedlich gelesen werden kann. Jedenfalls ist die
von Ihnen suggerierte Eindeutigkeit nicht vorhanden.
Solange man nicht das Vertrauen hat, daß alles richtig
läuft – dieses Vertrauen machen Sie unter anderem mit
Ihrer dekretierten unselbständigen Stiftung zunichte –,
muß man eben damit rechnen, daß etwas schiefläuft.
Dem sollte das Parlament vorbeugen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles Ausdruck von Mißtrauen!)


Ich will Ihnen gerne vorführen, weshalb aus unserer
Sicht die beiden von der Koalition vorgelegten Entwürfe
– sowohl der Gesetzentwurf als auch der Antrag, daß
man eine unselbständige Stiftung einschließlich Satzung
errichten solle – vom Verfahren her, aber auch inhaltlich
dem ursprünglichen Bundestagsbeschluß nicht gerecht
werden.

Das von Rotgrün geplante Verfahren, im Wege eines
Regierungserlasses vorerst eine unselbständige Stiftung
unter dem Regierungskulturbeauftragten zu errichten,
steht weder mit dem Geist des Bundestagsbeschlusses
noch mit allen dazu gemachten feierlichen Bekundungen
im Einklang.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Aber mit dem Datum 27. Januar!)


In seiner ersten Regierungserklärung hatte Bundeskanz-
ler Schröder noch versprochen – ich erinnere hieran
ausdrücklich, selbst wenn die Versprechungen des Bun-
deskanzlers offenbar nicht so fürchterlich ernst genom-
men werden dürfen –,


(Zuruf von der SPD: Das Parlament hat das Versprechen schon umgesetzt!)


über das Holocaust-Mahnmal werde nicht per Exekutiv-
beschluß, sondern im Bundestag entschieden.


(Zuruf von der SPD: Das haben wir doch gemacht! Am 25. Juni!)


– Nein, Sie wollen jetzt per Exekutivbeschluß die un-
selbständige Stiftung errichten. Diese Stiftung muß dann
all das, was in dem Text des Beschlusses vom Juni of-
fengeblieben ist, ausfüllen.

Zur Begründung ihres Vorgehens führt die Regierung
bzw. die Koalition an, die Zeit bis zum 27. Januar, dem
Gedenktag an die Opfer des Faschismus, sei zu kurz, um
ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren durchzufüh-
ren. Das ist so sicherlich nicht richtig; Herr Kollege
Lammert hat darauf schon hingewiesen.


(Vorsi tz : Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Ich will noch einmal sagen: Falls überhaupt der 27.

Januar 2000 realistischerweise für eine Grundsteinle-
gung angestrebt werden könnte – ich bin da skeptisch;
bis dahin müßte zum Beispiel auch das bauordnungs-
rechtliche Verfahren durchgeführt werden –, wäre das
auch zu machen, wenn wir ein ordentliches, allerdings

engagiertes und zügiges Gesetzgebungsverfahren durch-
führten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Daß nun die Zeit knapp geworden ist, bestreitet nie-

mand. Aber das hat jedenfalls nicht das Parlament zu
verantworten, sondern die Koalition, die fast fünf Mo-
nate ins Land gehen ließ, so daß sie jetzt hopplahopp die
Voraussetzungen schaffen muß.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Darüber hinaus will ich darauf hinweisen, daß die

Vorschläge der Regierung auch inhaltlich nicht den
Wünschen des Bundestages entsprechen – so wie ich
den Bundestagsbeschluß vom Juni lese. Der Bundestag
ist in seinem Mahnmalbeschluß von der Gleichgewich-
tigkeit der Zuwendungsempfänger bei der Besetzung
der Stiftungsorgane ausgegangen. Die von der Koaliti-
on jetzt geplante Zusammensetzung des Gremiums ist
völlig willkürlich. So soll das Beschlußorgan der Stif-
tung – bei Ihnen heißt es Kuratorium, bei uns wird es
Stiftungsrat genannt – aus 23 Mitgliedern bestehen.
Damit wird die erwünschte Drittelparität – Bund, Land,
Förderkreis – seitens der Regierung bzw. der Koalition
aufgegeben. Neben sechs Drittmitgliedern kommt viel-
mehr ein Verhältnis von 12 zu 3 zu 2 zustande, also eine
eklatante Majorisierung durch den Bund.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie meinen „Bundestag“!)


Auch das kann nicht im Sinne einer breiten Fundierung
dieser Stiftung sein.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Zudem: Je mehr Mitglieder ein Entscheidungsgremi-
um hat, desto weniger kann dieses Gremium entscheiden
– das ist ein altes betriebswirtschaftliches Phänomen –,
weil dann kaum noch eine gemeinsame Linie erreicht
werden kann. Wenn man also wirklich handlungsfähig
sein will, sollte man eher auf kleine Gremien setzen.

Die in diesem Zusammenhang erhobene Behauptung,
diejenigen, die nicht die Linie der Koalition verträten,
wollten die jüdischen Organisationen nicht an der Aus-
gestaltung des Denkmals beteiligen, ist schlicht absurd.
Der Bundestag ist in seinem Mahnmalbeschluß nicht
grundlos davon ausgegangen, daß jüdische Organisatio-
nen im Beirat vertreten sein sollen. Dies fordert hier
auch die F.D.P mit allem Nachdruck. Denn das Denkmal
soll – insofern bestehen möglicherweise wirklich grund-
sätzliche Unterschiede zwischen uns hinsichtlich der
Konzeption – ein Denkmal der nichtjüdischen Deut-
schen für die ermordeten Juden Europas sein.


(Beifall bei der F.D.P.)

Um es zuzuspitzen, sage ich ganz deutlich: Es soll ein
Denkmal der Täter für die Opfer sein. Das darf nicht
verwischt werden. Es ist eine Frage der Verantwortlich-
keit, die wir nicht dadurch auflösen können, daß wir an
Stelle der Stifter, eine Stelle derjenigen, die dieses
Denkmal errichten, die Vertreter der jüdischen Mitbür-
ger in das Beschlußorgan der Stiftung einbezögen. Das

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig






(B)



(A) (C)



(D)


würde die Verantwortlichkeit der nichtjüdischen Deut-
schen – der Täter – völlig verwischen. Das ist nicht im
Sinne des Konzepts, das wir beschlossen haben. Auch
mein verstorbener, hochverehrter Parteifreund Ignatz
Bubis hat dies immer so vertreten und dazu erklärt, der
Zentralrat der Juden wolle sich aus Gründen klar umris-
sener Verantwortlichkeit aus der Diskussion um das
Mahnmal heraushalten.

Die Einbeziehung von Vertretern jüdischer Organisa-
tionen in das Beschlußorgan der Stiftung würde also
eine tiefgreifende Änderung des vom Bundestag be-
schlossenen Widmungszwecks des Mahnmals bedeuten.
Auch deshalb kann dies nicht durch die Hintertür, per
Regierungsdekret, erfolgen, sondern allenfalls durch
einen entsprechenden Beschluß des Parlaments selbst.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406920300
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an die Redezeit!


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1406920400
Meine Da-
men und Herren, ich will nur noch darauf hinweisen,
daß der Entwurf der F.D.P. drei Besonderheiten auf-
weist: zum ersten, daß im Stiftungsrat Drittelparität
herrschen soll, zum zweiten, daß wir die jüdischen Or-
ganisationen ausdrücklich in den Beirat einbeziehen
wollen, und zum dritten, daß wir darauf dringen, daß
dies alles im Wege eines förmlichen Gesetzes erfolgt
und nicht am Parlament vorbei durch die Exekutive de-
kretiert wird.

Besten Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406920500
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Heinrich Fink, PDS-Fraktion.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1406920600
Sehr verehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 25. Juni
dieses Jahres hat der Bundestag die Errichtung eines
Denkmals für die ermordeten Juden Europas beschlos-
sen. Gleichzeitig wurde die Gründung einer öffentlich-
rechtlichen Stiftung zur Verwirklichung dieses Be-
schlusses festgelegt.

Meine Fraktion begrüßt es, daß der Zentralrat der Ju-
den in Deutschland und Repräsentanten jüdischer Ge-
meinden und Institutionen ihre Mitarbeit in Gremien der
Stiftung bereits grundsätzlich zugesagt haben. Aber das
Anliegen war und bleibt, daß die nichtjüdischen Deut-
schen den ermordeten Jüdinnen und Juden Europas ein
Denkmal setzen. Deshalb ist der Gesetzentwurf der
F.D.P. – Herr Kollege Schmidt-Jortzig hat ihn erläutert –
im Ansatz richtig, der der Koalition nicht.

Wir bitten darum, daß die Vertreterinnen und Vertre-
ter jüdischer Organisationen und Gemeinden dieses
Vorhaben im Bereich der Stiftung im Beirat begleiten.
Die Verantwortung im Kuratorium muß aber bei uns
bleiben.

Eine Verständigung zwischen den Fraktionen ist
ebenso möglich wie nötig.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Herr Fink! – Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Möglichkeiten, das zu erreichen, haben wir gehabt? 30 oder 25?)


Der Beschluß, über den heute abgestimmt werden soll,
würde sie allerdings unmöglich machen. Deshalb kön-
nen wir ihm nicht zustimmen. Bei zügiger Bearbeitung
der Gesetzentwürfe wäre es auch ohne diesen Beschluß
möglich, die symbolische Grundsteinlegung am 27. Ja-
nuar 2000, dem Gedenktag an die Opfer des Faschis-
mus, durchzuführen. Dies muß gemeinsames Ziel blei-
ben.

Außerdem setzen wir uns dafür ein, daß die Finan-
zierung des Denkmalbaus konkretisiert wird. Bis jetzt
heißt es im Gesetzentwurf der Regierungsparteien, daß
es um einen „jährlichen Zuschuß des Bundes nach Maß-
gabe des jeweiligen Bundeshaushalts“ geht. Diese vage
Angabe muß zumindest nach unten begrenzt werden.
Wir bitten, daß sich die Bundesregierung auf einen öf-
fentlich genannten Betrag festlegt.

Beschließen Sie heute bitte nichts, was die dringend
notwendige Verständigung erschweren könnte. Wir
sollten bei unserem Beschluß vom 25. Juni bleiben.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [F.D.P.])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406920700
Als nächster hat das
Wort der Kollege Michael Roth, SPD-Fraktion.


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1406920800
Verehrte Frau Prä-
sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die jetzt ge-
führte Debatte mutet schon sehr eigenartig an.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auf der einen Seite wird gefordert, daß die Entschei-
dung sehr zügig getroffen werden müsse, damit das
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Thema
nicht weiter gemindert werde. Auf der anderen Seite
wird gefordert, es müsse sehr sorgfältig nach einem
Konsens gesucht werden. Wenn ich die vergangenen
Wochen und Monate richtig in Erinnerung habe, dann
muß ich feststellen, daß diejenigen, die sich auch schon
zuvor – zum Teil über viele Jahre hinweg – für das
Thema engagiert haben, einen partei- und fraktionsüber-
greifenden Konsens gesucht haben. Über viele Wochen
sind zahllose Gespräche geführt worden, Herr Lammert
und Herr Fink. Trotzdem gab es schlicht und ergreifend
kein befriedigendes Ergebnis.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen hat die Koalition gehandelt. Deswegen haben
wir einen Vorschlag unterbreitet. Ich habe überhaupt
nichts dagegen, daß die jetzige Debatte strittig geführt
wird. Wir haben auch am 25. Juni in Bonn kein ein-
stimmiges Votum herbeigeführt. Warum auch? Ein ein-
stimmiges Votum ist angesichts des schwierigen The-

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig






(A) (C)



(B) (D)


mas auch nicht möglich. Aber das Taktieren nach
Pokermanier ist des Themas unwürdig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich verstehe überhaupt nicht, welchen Popanz Sie
jetzt im Hinblick auf den Erlaß aufbauen. Sie tun gera-
de so, als würden wir über den Erlaß ein Trojanisches
Pferd einführen. Sie tun so, als würde das Haus der Er-
innerung wieder zur Debatte stehen und der Staatsmini-
ster für Kultur der böse Bube sein, der in der Ecke steht.
Diese Stigmatisierung dürfte Ihnen zumindest im Rah-
men der Diskussion über die jetzt vorliegende Regelung
nicht gelingen, denn die Bundesregierung wäre mit dem
Klammerbeutel gepudert, wenn sie nicht genau das um-
setzte, was der Bundestag am 25. Juni beschlossen hat
und was er in weiteren Beschlüssen fortzusetzen ge-
denkt.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406920900
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1406921000
Selbstverständlich.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1406921100
Herr Kollege
Roth, weil ich möglichst wenige Mißverständnisse im
Raum stehenlassen möchte, frage ich Sie: Könnten Sie
mir bitte sagen, wer nach Ihrem Eindruck bei der Um-
setzung des Bundestagsbeschlusses in Pokermanier tak-
tiert hat oder gegenwärtig in Pokermanier taktiert?


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1406921200
Das bisherige Ver-
fahren erinnert mich schon an das Taktieren bei dem
hinlänglich bekannten Kartenspiel, wenn ich daran den-
ke, daß sich Menschen, denen ich niemals vorwerfen
würde, sie hätten Böses im Sinn, Wochen und Monate
um eine gemeinsame Regelung in diesem Haus bemüht
haben und trotzdem kein Ergebnis zustande gekommen
ist. Deswegen bleibe ich bei dieser Formulierung.


(Beifall der Abg. Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406921300
Herr Kollege, lassen
Sie eine weitere Zwischenfrage zu?


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1406921400
Ja, natürlich.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406921500
Herr Lammert, Sie
können eine weitere Zwischenfrage stellen. Bitte sehr.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1406921600
Ich hätte gerne
gewußt, ob Ihnen außer der Assoziation mit dem Kar-
tenspiel auch konkrete Namen einfallen.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir fallen eine ganze Menge ein!)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1406921700
Ich könnte zwar
jetzt einige Namen nennen, aber das möchte ich lieber
nicht tun. Die Namen sind Ihnen sowieso bekannt; denn
schließlich haben auch Sie zu denjenigen gehört, die an
zahllosen Gesprächen teilgenommen haben. Ich muß Ih-
nen also die Namen nicht nennen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sollten nicht weiter debattieren, sondern zügig
und umgehend eine umfassende Entscheidung treffen.
Das Verfahren, das die Koalition vorgeschlagen hat, ist
meines Erachtens nicht nur legal, sondern auch legitim.
Es hat derlei Verfahren auch früher schon gegeben. Ich
erinnere nur an das Verfahren beim Haus der Geschich-
te. Diejenigen, die sich schon länger mit dem Stiftungs-
wesen beschäftigen, wissen, daß es mitunter sehr lange
dauern kann, bis eine Stiftung arbeitsfähig ist. Ich sehe
hier keinesfalls einen revolutionären Aufstand im politi-
schen Hühnerstall, der vom Oberhahn Michael Nau-
mann angeführt wird. Vielmehr ist hier ein ernsthaftes
Bemühen in der Sache festzustellen.

Ich habe auch Vertrauen in die handelnden Perso-
nen. Ich habe Vertrauen zu Frau Süssmuth, ich habe zu
allen Vertrauen, die sich an den parlamentarischen In-
itiativen beteiligt haben. Sie aber bringen dem Minister
bzw. der Bundesregierung scheinbar kein Vertrauen ent-
gegen, obwohl die Inhalte doch in den Vorschlägen und
Antragsentwürfen der Koalition festgezurrt worden sind.

Ich bin auch etwas enttäuscht über Ihre Kritik. Man
mag mir das vorhalten, weil ich dem Hohen Haus noch
nicht so lange angehöre und noch stolz darauf bin, Bun-
destagsabgeordneter zu sein. Die starke Stellung des
Bundestages ist vor dem Hintergrund, daß er am 25. Juni
entschieden hat, nur konsequent.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind doch nicht der Ortsbeirat von Posemuckel, wir
sind das höchste Verfassungsorgan. Es ist eine unserer
vornehmsten Aufgaben, an zentralen Entscheidungen
mitzuwirken.


(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch

eine letzte Anmerkung zu dem aus meiner Sicht großarti-
gen Angebot der jüdischen Institutionen machen, uns bei
dieser schwierigen Arbeit hilfreich zur Seite zu stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Lammert, ich frage Sie, ob Sie die Jüdische Ge-
meinde zu Berlin und den Zentralrat der Juden nicht da-
beihaben wollen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er doch gar nicht gesagt!)


Ich weiß nicht, was die Konsequenz sein soll. Wenn es
ein Angebot gibt, sollten wir es auch annehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Michael Roth (Heringen)







(B)



(A) (C)



(D)


Das würdige Gedenken aller anderen Opfergruppen –
es gibt ja leider eine große Zahl weiterer Gruppen – wird
dadurch gewahrt, daß im Beirat neben den Vertretern
der Gedenkstätten etliche andere Gruppen vertreten sein
werden. Jetzt muß die Stiftung endlich ihre Arbeit auf-
nehmen. Deshalb müssen wir jetzt hier und nicht an-
derswo entscheiden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das war zwar ziemlich frei, aber inhaltlich auch ziemlich flach!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406921800
Das Wort hat jetzt
die Kollegin Rita Süssmuth, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1406921900
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich habe schon ein eigen-
tümliches Gefühl bei der Art und Weise, wie hier die
Seiten verkehrt werden. Man hat plötzlich einen Prügel-
knaben gefunden, der angeblich alles vereitelt, und es
wird alles verdreht.

Daß wir erst heute über die ,,Stiftung Denkmal für die
ermordeten Juden Europas“ beraten – soviel Fairneß
müßte unter den Beteiligten eigentlich noch bestehen –,
hat damit zu tun, daß es erhebliche Probleme bei der
Vorbereitung gegeben hat. Dabei ging es um die Frage,
ob die öffentlich-rechtliche Stiftung per Erlaß oder per
Gesetz ins Leben gerufen wird. Da Herr Roth eben die
vielen Gespräche angeführt hat, wollen wir doch Roß
und Reiter beim Namen nennen. Es ging beispielsweise
sehr massiv um die Beteiligung der Initiative. Da sind
viele Gespräche geführt worden, zum Teil intern und
zum Teil öffentlich. Wäre das so klar gewesen, wäre die
Stiftungsgesetzgebung schon früher ins Spiel gekom-
men.

Erhebliche Meinungsverschiedenheiten hat auch die
Frage ausgelöst, wie das Verhältnis zwischen Stif-
tungsrat und Beirat ist. Auch hierbei geht es um die
Beteiligung der jüdischen Organisationen. CDU-
Kollegen wie Herrn Lammert zu beschimpfen und ihm
Vorhaltungen zu machen, das halte ich nun wirklich für
eine Verdrehung.


(Zuruf von der SPD: Nein, das würde doch niemand wagen!)


– Entschuldigung, es wurde hier gesagt, er wolle offen-
bar die jüdischen Organisationen nicht dabeihaben. Es
ist lächerlich, ihm so etwas überhaupt zu unterstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Ich habe nur gefragt!)


Nun halte ich folgendes fest:
Erstens. Natürlich geht es uns nicht darum, daß es zu

diesem wichtigsten Punkt einen Erlaß gibt. Auch Herr
Lammert hat im Ausschuß wie hier gesagt, wenn Ein-

vernehmen wie beim „Haus der Geschichte“ bestehe,
könne es reibungslos über die Bühne gehen.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab kein Einverständnis beim „Haus der Geschichte“!)


Sollte kein Einvernehmen erzielt werden können, könnte
man das Gesetz nicht mehr ändern, sobald die Institutio-
nen besetzt sind. Das ist eine sehr plausible Erklärung.

Zweitens. Vorhin ging es darum, wer hier irgend et-
was verhindert. Die Stiftung soll gar nicht verhindert
werden. Sie soll nur gemäß dem Beschluß vom 25. Juni
ins Leben gerufen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Drittens. Die Frage ist berechtigt, wie die jüdischen

Organisationen einzubeziehen sind, wenn es um ein
Mahnmal der Täter für die Opfer geht. Die Frage lautet
konkret, ob diese Organisationen in der Stiftung oder im
Beirat mitwirken.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Auch der Beirat gehört zur Stiftung!)


– Eben drum!
Ich gehe weiter und sage: Wenn man sich die Auf-

teilung der Gruppen anschaut, dann fragt man sich,
was der Beirat in der nächsten Zeit tun soll. Denn in
ihm sind ausschließlich nichtjüdische Organisationen
vertreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich habe große Probleme damit, daß wir eine solche
Zweiteilung erneut vornehmen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406922000
Frau Dr. Süssmuth,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nickels?


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1406922100
Aber gerne.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406922200
Bitte sehr, Frau
Kollegin.


Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406922300

Frau Süssmuth, ich gehe davon aus, daß Sie genau wie
ich mit Herrn Bubis gesprochen haben, der immer ge-
sagt hat: Es ist Sache der Täter und der Kinder der Täter,
ob sie eine solche Gedenkstätte wollen oder nicht. Ist es
denn nicht ein unglaublich gutes Zeichen, wenn jetzt
deutsche Juden und jüdische Organisationen und auch
die jüngere Generation sagen: „Wir sind Deutsche, und
wir als Opfer oder als Kinder der Opfer wollen nicht
noch einmal ausgegrenzt werden, wenn es auch viel-
leicht gut gemeint ist, sondern teilhaben und diese Ge-
denkstätte als deutsche Juden in Deutschland mittra-
gen“? Ich muß sagen: Ich habe mich unglaublich ge-
freut. Ich verstehe nicht, daß jetzt solche Bedenken
kommen. Sind Sie nicht der Meinung, daß es eine un-
glaublich noble Geste ist, wenn die deutschen Juden die

Michael Roth (Heringen)







(A) (C)



(B) (D)


Kraft aufbringen und sagen: „Ja, wir wollen das mittra-
gen; das ist auch unser Denkmal“?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1406922400
Der Zentralrat der
Juden und jüdische Gemeinden haben sich immer an der
Diskussion um dieses Mahnmal mittelbar beteiligt –
auch wenn Ignatz Bubis oft erklärt hat, daß das eine An-
gelegenheit der Deutschen sei –, mal mit Befremden,
mal mit Zustimmung. Jetzt fragen Sie: Ist das nicht ein
nobles Zeichen?

Es hat niemand in Frage gestellt, daß die Juden an
den Stiftungsgremien beteiligt werden sollen. Das halte
ich noch einmal fest. Die unterschiedlichen Auffassun-
gen beziehen sich darauf, wie man die beiden Gruppen
von Opfern auseinanderdividiert. Daß man das nicht
nüchtern miteinander diskutieren darf, verstehe ich
nicht. Ich habe Probleme damit, daß wir wieder zwei
Klassen von Opfern bilden.

Nun ist vorhin gerufen worden: Das entscheidet der
Stiftungsrat. – Die Gruppen sind in der Begründung zu
§ 7 des Gesetzes ausdrücklich genannt. Es ist keine jüdi-
sche Organisation dabei. Sie sind alle im Stiftungsrat.
Ich frage mich: Was soll eigentlich der Beirat, der den
Stiftungsrat beraten soll, tun? Offenbar ist der Beirat mit
der bisherigen Besetzung dazu gedacht, daß er sich Ge-
danken über Mahnmale für andere, nichtjüdische Opfer
macht. Es ist durchaus berechtigt, die Frage zu stellen,
ob diese Aufteilung der Opfergruppen eine sinnvolle ist.
Ich finde, das muß auch im Parlament möglich sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406922500
Nun hat die Kollegin
Vollmer den Wunsch nach einer Zwischenfrage.


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1406922600
Bitte.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406922700

Liebe Frau Kollegin Süssmuth, sind Sie nicht der Mei-
nung, daß das, was wir jetzt machen, insofern eine ge-
naue Konsequenz unseres Beschlusses ist, als wir da-
mals beschlossen haben, ein Mahnmal für die ermorde-
ten Juden Europas zu schaffen? Wir haben uns damals
dazu durchgerungen, obwohl es auch Leute gegeben hat,
die gesagt haben: Warum macht ihr nicht ein Mahnmal
für alle Opfer? Diese Entscheidung, daß dies ein Mahn-
mal für die Juden Europas sein soll, macht selbstver-
ständlich auch die besondere Stellung der jüdischen
Teilnehmer in diesem Kuratorium aus.

Zum zweiten. Es wird immer Ignatz Bubis zitiert. Ich
finde, er wird inzwischen – –


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406922800
Eigentlich sollen Sie
eine Frage stellen, Frau Kollegin.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406922900

Ich habe Frau Süssmuth gefragt, ob sie nicht der Mei-
nung sei, daß das, was wir jetzt machen, eine Konse-
quenz dieses Beschlusses sei. Wir haben in diesem Be-
schluß gesagt: Dieses Mahnmal wird für die ermordeten
Juden Europas errichtet und nicht für alle anderen Op-
fergruppen. Wir haben aber gleichzeitig gesagt, daß wir
uns verpflichten, auch für die anderen Opfergruppen
Mahnmale zu schaffen. Genau dies ist jetzt auch in den
Gremien ausgedrückt.

Übrigens, man darf in einer Zwischenfrage auch Be-
merkungen machen und nicht nur fragen.


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1406923000
Dann macht man
eine Kurzintervention.


(Heiterkeit)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406923100
Ich lasse gerne alles
zu. Aber wir wollen ein bißchen darauf achten, daß die
anderen Tagesordnungspunkte irgendwann auch noch
aufgerufen werden können. Deswegen habe ich ganz
sanft eine Mahnung ausgesprochen.

Jetzt hat noch immer die Kollegin Vollmer das Wort.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406923200

Ignatz Bubis hat wörtlich gesagt: Wir Juden brauchen
dieses Mahnmal nicht, weil wir unsere Opfer in Erinne-
rung haben. Diese Aussage unterscheidet sich von der
Behauptung, das Mahnmal habe nur mit den Tätern zu
tun. Ignatz Bubis hat gesagt: Wir brauchen es nicht.
Wenn sich die jüdischen Teilnehmer jetzt dazu bereit
finden, uns in der formalen Umgestaltung zu helfen,
dann ist das, wie ich finde, ein wunderbares Angebot
und hat mit dem Widerspruch zu dem, was Ignatz Bubis
gesagt hat, überhaupt nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406923300
Gibt es weitere
Wünsche nach Zwischenfragen oder nach einer Kurzin-
tervention? – Das ist nicht der Fall. Frau Kollegin Süss-
muth, fahren Sie fort. Aber erst beantworten Sie bitte die
Frage. Solange halte ich Ihre Redezeit an.


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1406923400
Auf die Frage, ob
es nicht konsequent wäre, daß die Juden am Mahnmal
für die jüdischen Opfer beteiligt werden, kann ich nur
schlicht antworten, was ich eben schon einmal gesagt
habe: Das ist die ganze Zeit geschehen.

Es geht hier übrigens nicht um Beteiligung oder
Nichtbeteiligung; vielmehr geht es darum, wie die Stif-
tung aufgebaut ist, wo wir die Akzente setzen und wo
die Prioritäten liegen. Der Streit dreht sich um den
Umgang mit den Opfergruppen. Sie sagen: Da wir uns
auf das Mahnmal für die jüdischen Opfer festgelegt ha-
ben, nehmen wir die einen in das Entscheidungsgremi-
um und die anderen in das Beratungsgremium. Ich wie-

Christa Nickels






(B)



(A) (C)



(D)


derhole: Der Dissens besteht nicht hinsichtlich der Be-
teiligung der jüdischen Opfergruppen und ihrer Institu-
tionen; vielmehr besteht der Dissens hinsichtlich der
Gewichtung der Gremien. Wir sind über die Auslegung
des Bundestagsbeschlusses unterschiedlicher Meinung.
Ich sage noch einmal: Ich habe erhebliche Probleme mit
der erneuten Aufteilung zwischen jüdischen und nicht-
jüdischen Opfergruppen in den verschiedenen Gremien.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dieses Thema muß im Bundestag diskutiert werden

können. Es kommt nicht von ungefähr, daß, wie wir aus
den verschiedenen Fraktionen gehört haben, mehrere
Abgeordnete mit diesem Ansatz Probleme haben. In den
Beratungen wird die Diskussion darüber weitergehen.

Ein Mißverständnis möchte ich allerdings heute
abend ausräumen. An der schnellen Umsetzung des Be-
schlusses vom 25. Juni sind alle Fraktionen in gleicher
Weise interessiert. Es ist nicht unser Versäumnis, daß
wir erst heute die Frage der Stiftungserrichtung diskutie-
ren. Ich wünsche mir, daß wir in den beratenden Aus-
schüssen zu Ergebnissen kommen, welche die Frage,
wer beteiligt wird, welche Gewichtung man bei der Be-
teiligung vornimmt und in welcher Weise die Beschlüs-
se aufgehalten werden, nicht weiter aufwerfen. Ich wün-
sche mir, daß wir diesen Gesetzentwurf bis zum 27. Ja-
nuar 2000 verabschiedet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406923500
Das Wort hat nun
Staatsminister Dr. Naumann.

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406923600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
In dieser Diskussion – auch in der heute abend – werden
semantische Schwierigkeiten im Umgang mit der deut-
schen Geschichte manifest. Aber, Herr Lammert, es
werden auch Insinuationen, zum Beispiel über angebli-
che Äußerungen von mir im Fernsehen, mitgeschleppt.
Von diesen meinen Äußerungen sagen Sie gleichzeitig,
daß Sie sie nicht belegen können. Ohne mit der Wimper
zu zucken, fahren Sie aber mit der Behauptung fort, daß
solche Bemerkungen dazu angetan seien, Mißtrauen zu
säen. Nur eines von beiden geht.

Die Wahrheit ist, daß der Bund in der vorgesehenen
Besetzung des Kuratoriums keineswegs, so wie Sie
sagen, das Übergewicht hat. Wenn Sie mit „Bund“ die
Bundesregierung meinen – der Wähler und die Öffent-
lichkeit verstehen das so –, dann muß ich Ihnen sagen,
daß nur 2 von 23 Mitgliedern vorgesehen sind, die der
Bundesregierung angehören.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das habe ich kritisch angesprochen!)


– Ach, Sie haben das kritisch angesprochen? Das heißt,
Sie stoßen sich an dem Übergewicht des Förderkreises
zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden
Europas mit drei Mitgliedern? Dieses Erstaunen teilen
wir allerdings beide. Aber Tatsache ist, daß wir heute

hier im Bundestag eben auch über dieses Kuratorium
und über diesen Beirat diskutieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich um so mehr, als ja gerade der Förderkreis in der hei-
ßen Phase der Mahnmal-Diskussion zu Ihren, auch zu
Frau Süssmuths engsten Verbündeten zählte. Sich jetzt
hier öffentlich indirekt gegen seine Partizipation im
letzten Entscheidungsforum auszusprechen ist schon ein
starkes Stück.

Nachdem ich dieses gesagt habe, möchte ich noch et-
was anderes kurz anmerken: In dem Kuratorium wird
ganz selbstverständlich – das wird hier im Gespräch ein
wenig vermieden – auch darüber diskutiert werden müs-
sen, wie groß oder klein und wie teuer der Ort der Infor-
mation wird und welche Funktion er haben soll. Selbst-
verständlich bringt auch der Vertreter der Bundesregie-
rung – es ist noch gar nicht ausgemacht, ob das Naumann
ist oder irgend jemand anders – seine Meinung mit der
Intention in die Diskussion ein, daß dort etwas beschlos-
sen wird, was dem Geist der Bundestagsdebatte ent-
spricht. Ich erlaube mir, daran zu erinnern, daß die Er-
richtung eines Hauses der Erinnerung durch eine Liste
mit Unterschriften von über 168 Abgeordneten aus allen
Fraktionen in der Debatte Unterstützung gefunden hatte.
Wenn nun heute dieser Ort der Information – davon gehe
ich doch aus – nicht im entferntesten die Dimensionen
haben wird, die der ursprüngliche Vorschlag von mir und
Peter Eisenman vorsah, dann ist das für mich kein Aus-
druck einer politischen Niederlage, sondern Ausdruck des
politischen Willens des Bundestages, der sich in den Be-
ratungen des Kuratoriums widerspiegeln wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zuletzt noch dies, Frau Süssmuth und Herr Lammert:
Ich finde, es wird allerhöchste Zeit, daß wir den Begriff
des Volkes der Täter in Quarantäne schicken. Er taugt
nicht, da er erstens in seiner Verschwommenheit einen
Volksbegriff insinuiert, von dem sich dieses Land längst
verabschiedet hat, und zweitens ganz zu Unrecht auch
diejenigen einschließt, die nach dem Ende des Dritten
Reiches in dieses Land eingewandert sind. Dazu zählen
derzeit etwa 70 000 russische Juden, die in Deutschland
leben und von denen viele bereits deutsche Pässe haben.
Zählen die auch zum Volk der Täter? Wer zählt denn ei-
gentlich zum Volk der Täter? In Wahrheit müßte man,
wenn man von einem Volk der Täter spricht, logischer-
weise auch von einem Volk der Opfer sprechen.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Ich habe den Begriff gar nicht verwendet!)


Das Volk der Opfer ist zweifellos nicht damit einver-
standen, als Volk der Opfer bezeichnet zu werden. Spre-
chen Sie doch einmal mit den deutschen Juden. Sie
kommen in Teufels Küche,


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Ja, ich habe das doch gar nicht verwendet! Was soll das denn?)


Dr. Rita Süssmuth






(A) (C)



(B) (D)


wenn Sie versuchen, mit dieser Art von Semantik im
Grunde genommen moralische Positionen zu besetzen
und aus denen heraus dann politisch zu argumentieren.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406923700
Herr Staatsminister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Süss-
muth?

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406923800
Ich möchte ganz kurz den Gedanken zu Ende
führen, das dauert ein paar Sekunden; dann aber gerne.

Schließlich fühlt sich die junge jüdische Gemeinde
Deutschlands keineswegs aus der deutschen Gesellschaft
ausgeschlossen und nimmt als aktives und nicht als zu-
schauendes Mitglied am deutsch-jüdischen Dialog teil.
Es ist ein außerordentlicher Fortschritt, daß der Zentral-
rat und die Jüdische Gemeinde dieser Stadt bereit sind,
in wichtigen Institutionen an der Ausgestaltung eben
dieses Mahnmals und des Ortes der Information teilzu-
nehmen; dieses ist zu begrüßen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406923900
Jetzt kommt die
Frage der Kollegin Süssmuth.

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406924000
Hier jetzt zu sagen – –


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406924100
Sie haben von Se-
kunden gesprochen, die Sie, Herr Staatssekretär, noch
reden wollten. Das ist ein weiter Begriff. Es wäre, wie
ich glaube, am besten, wenn jetzt die Kollegin Süssmuth
Gelegenheit hätte, ihre Zwischenfrage zu stellen. Bitte
sehr.


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1406924200
Herr Minister, Ihre
Forderung, der Begriff „Volk der Täter“ müsse getilgt
werden –

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406924300
Nicht getilgt, sondern in Quarantäne ge-
schickt.


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1406924400
– eine Quarantäne
dient dazu, daß der Bazillus ausgemerzt wird –,

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406924500
Das ist etwas anderes.


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1406924600
– veranlaßt mich
zu der Frage, ob Sie es allen Ernstes für richtig halten,
hier ein semantisches Spiel zu betreiben. Es geht um
Täter und Opfer.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Es geht um TäterOpfer-Ausgleich! Davon haben Sie noch nie etwas gehört?)


Niemand von uns will auch die noch zu Opfern machen,
die keine Opfer sind. Deswegen laßt uns doch bei einer
klaren Sprache bleiben. Warum sollte jetzt die Sprache
auch noch vernebelt werden?


(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Zum zweiten frage ich Sie: Wem unterstellen Sie
eigentlich, daß er gegen die Beteiligung des Zentralrats
der Juden in Deutschland, der Jüdischen Gemeinde, des
Jüdischen Museums ist? Ich möchte wissen, wem Sie
das unterstellen und aus welchem Grund.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist alles wahr! Sie wollen sie nicht im Kuratorium haben! Sie wollen sie nicht im Entscheidungsgremium haben!)


D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406924700
Frau Professor Süssmuth, ich unterstelle gar
nichts. Sie und Herr Lammert haben klipp und klar ge-
sagt, daß dies ein Denkmal ist, gebaut vom Volk der
Täter.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das habe ich aber nicht gesagt!)


Wovon reden wir denn, wenn wir von der Erweite-
rung des Kuratoriums reden? Wir reden doch in erster
Linie genau von diesen Gruppen, die jetzt in dieses Ku-
ratorium hinein sollen, nämlich den jüdischen Gruppen.
Weil dies so ist, so sagten Sie doch, wäre eine solche
Erweiterung des Kuratoriums unter anderem auch
eine Verfälschung des ursprünglichen Beschlusses des
Bundestages. Das ist doch Ihr Argument. Wenn es das
nicht ist, dann sind wir uns einig; dann reden wir nicht
mehr darüber, daß das Kuratorium um diese Gruppen
erweitert wird. Dann ist alles in Ordnung. Dann wäre ich
sehr dankbar. Das ist der Sinn meiner Rede.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1406924800
Vielen Dank.

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406924900
Ich danke Ihnen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406925000
Als letzter Redner in
dieser Debatte hat der Kollege Eckhardt Barthel von der
SPD das Wort.


(Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [F.D.P.]: Ich möchte noch eine Kurzintervention machen! Sie haben mich nicht gesehen!)


– Entschuldigung, ich habe Sie nicht gesehen. Wenn Sie
gestatten, Herr Barthel, gibt es noch eine Kurzinterven-
tion von Herrn Schmidt-Jortzig, auf die Sie antworten
können, Herr Staatsminister.

Bitte sehr.

Staatsminister Dr. Michael Naumann






(B)



(A) (C)



(D)



Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1406925100
Ich wollte
Sie, verehrter Herr Staatsminister, nur darauf hinweisen,
daß wir in dem Beschluß vom 25. Juni dieses Jahres
festgestellt haben, daß die Vertreter der jüdischen Orga-
nisationen in den Gremien der Stiftung vertreten sein
sollen. Ich möchte Sie gleichzeitig daran erinnern, daß
Sie selbst in dem Entwurf der Koalition drei Gremien
dieser Stiftung vorsehen: den Vorstand, das Beschluß-
gremium – bei Ihnen Kuratorium genannt – und den
Beirat. Sie können also nicht die Diskussion um eine
Beteiligung der jüdischen Verbände in den Gremien
willkürlich nur darauf konzentrieren, wer in das Kurato-
rium kommt. Das Entscheidende bei den Stiftungsor-
ganen ist, daß wir ein Trägerorgan haben, nämlich das
Kuratorium, und ein weiteres Organ, das ihn beraten
soll, nämlich den Beirat. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis,
daß niemand die jüdischen Organisationen aus den
Gremien der Stiftung heraushalten will,


(Ludwig Stiegler [SPD]. Aus dem Entscheidungsgremium!)


sondern daß es nur darum geht, sie vernünftig und rich-
tig dem Konzept der Stiftung, wie wir es im Bundestag
beschlossen haben, entsprechend zuzuordnen. Wer diese
Unterscheidung nicht nachvollziehen kann, sollte sich
auch mit solchen großen Vorwürfen heraushalten: Die-
jenigen, die nicht Ihre Konzeption mitmachen, wollten
die jüdischen Organisationen ganz heraushalten. – Das
finde ich infam.


(Beifall bei der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406925200
Herr Staatsminister,
wollen Sie antworten? – Bitte sehr.

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406925300
Herr Abgeordneter, infame Unterstellungen
sind mir von Natur aus fremd. Wenn Sie auf den Verlauf
der Debatte zurückschauen, so stellen Sie fest: Es gab
unendlich viele Auslassungen, auch speziell aus dem
Förderkreis. Es wurde gesagt, daß dies ein Denkmal ist,
das wir für die ermordeten Juden in Deutschland bauen,
und daß die uns mit ihren Interventionen in Ruhe lassen
sollten. Das kann ich Ihnen mit zahllosen Zitaten bele-
gen.

Wir sind aber heute in einer anderen Situation. Dies
ist nicht nur ein semantischer, sondern auch ein gesell-
schaftlicher Fortschritt, der gar nicht hoch genug einge-
schätzt werden kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Kuratorium ist das Entscheidungsgremium eines
der bedeutendsten Bauwerke, die in dieser Republik ge-
baut werden sollen: das Mahnmal. Daß die Nachfahren
derjenigen, die zum Ziel des Holocaust erklärt worden
sind, bzw. die Nachfahren der Überlebenden und die
Davongekommenen uns anbieten und sagen, daß sie bei
der Gestaltung übrigens auch des Orts der Information
mitsprechen, daß sie bei der Vernetzung der Institution
mit ähnlichen Gedenkstätten mitsprechen wollen – und
das an entscheidender Stelle –, ist für mich buchstäblich

ein Durchbruch des deutsch-jüdischen Dialogs. Das hat
es in dieser Form nicht gegeben.

Sprechen Sie doch einmal mit Korn und mit Nachama
und fragen Sie sie, warum sie im Gegensatz zu Bubis so
handeln! Bubis hat in der Tat – ich habe oft mit ihm
darüber geredet – über dieses Thema gesprochen. Aber
er hat aus Gründen, die nachzuvollziehen sind und die in
seiner Biographie liegen, gesagt: An den entscheidenden
Gremien nehme ich nicht teil.

Die nächste Generation nimmt teil. Um es ganz klar
zu sagen: Sie ist gewissermaßen im ernsten Kern des
deutsch-jüdischen Dialogs auf politischer Ebene ange-
kommen. Nun zu sagen: „Aber wir wollen euch nicht
mit entscheiden lassen“ wäre nicht nur unfair, sondern
meines Erachtens ein politischer – nicht nur ein partei-
politischer – Rückschritt für uns alle. Darum wünschte
ich mir, Herr Abgeordneter, daß Sie Ihren Widerstand
gegen den Vorschlag der Regierungskoalition aufgeben
und daß Sie die Debatte über die Gestaltung des Mahn-
mals in genau das Stiftungsgremium verlagern, das da-
für geschaffen werden soll – in das Kuratorium.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406925400
Nun hat der Kollege
Eckhardt Barthel, SPD-Fraktion, das Wort.


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1406925500
Meine Damen
und Herren! Für alle diejenigen, die nicht Mitglied im
Kulturausschuß sind und die nicht die Debatte im letzten
Jahr verfolgt haben, zeigt die jetzt geführte Debatte um
die Besetzung des Kuratoriums, wie schwer doch die
Aufgabe ist, die wir uns vorgenommen haben. Abgese-
hen von kleinen Ausrutschern, hatten wir doch trotz aller
Gegensätze in den Positionen eigentlich immer eine fai-
re Auseinandersetzung. Ich glaube, eine andere Art der
Auseinandersetzung wäre dieses Themas nicht würdig.
Dabei sollte es bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn ich von der Schwere der Aufgabe spreche, die
wir uns aufgeladen haben – ich möchte fast sagen: die
man dem Deutschen Bundestag aufgeladen hat –, dann
heißt das aber nicht, daß wir diese Diskussion jetzt noch
länger fortführen können. Auch an dem heutigen Tage
wurde immer wieder die Frage beschworen: Wie kommt
das in der öffentlichen Meinung an? Ich möchte die
Antwort ganz vorsichtig formulieren: Das öffentliche
Interesse an der Diskussion über das Denkmal für die
ermordeten Juden Europas ist außerordentlich gering.
Man kann inzwischen von einem Desinteresse sprechen.
Es wird bei diesem Desinteresse bleiben, wenn wir jetzt
noch länger die Frage der Besetzung des Kuratoriums zu
der Kernfrage machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Meine Angst ist – das sage ich ganz offen –, daß das
Desinteresse an der Diskussion über das Denkmal in ein
Desinteresse an dem Denkmal selbst umschlagen könn-
te. Das wäre das Schlimmste, was uns passieren könnte.
Deswegen, meine Damen und Herren von der Oppositi-
on, sind wir sehr daran interessiert – in diesem Punkt
sind wir uns einig –, nicht nur den Beschluß vom
25. Juni aufrechtzuerhalten, sondern noch einen Schritt
weiterzugehen: Wir wollen ihn nun endlich realisieren.
Das ist der Grund, warum wir dieses Verfahren gewählt
haben, sowohl per Gesetzentwurf als auch per Erlaß
endlich mit der Arbeit anfangen zu können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir berufen uns immer auf unseren Beschluß vom
25. Juni. Dort steht, daß in diesem Jahr die Stiftung ge-
gründet wird und daß im Jahr 2000 die Bauarbeiten be-
ginnen sollen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: So ist es!)

Wir haben uns das große Ziel gesetzt – ich sagte bereits,
daß ich dies für sehr ehrgeizig halte –, am 27. Januar den
Grundstein zu legen. Daher müssen wir jetzt zu einer
Entscheidung kommen. Das ist unser Anliegen. Den
Weg, den wir beschrieben haben und der auch für mich
neu ist, halte ich für adäquat, um die Ziele, die wir uns
vorgenommen haben, zu erreichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist der Zeitfaktor, der uns erdrückt. Ich als Berliner
Abgeordneter kenne die Örtlichkeiten gut. Wir brauch-
ten sieben Jahre, um fünfhundert Meter vor dem Ort des
Denkmals eine ganze Stadt am Potsdamer Platz hochzu-
ziehen. Aber nach 10 oder gar 15 Jahren Diskussion ist
noch nicht einmal der Grundstein für dieses Denkmal
gelegt. Daß daraus langsam Ernüchterung erwächst, ist
mir völlig klar. Deswegen sollten wir ganz schnell zu
einer Entscheidung kommen.

Ich will zur Frage des Kuratoriums noch ein paar
Sätze zu der Zusammensetzung sagen. Angesichts der
Tatsache, daß die starke Vertretung des Bundestages so
kritisiert wird, sollte man sich folgendes genau überle-
gen: Klar ist doch, daß das bisherige Verfahren ohne den
Bundestag zu keinem Ergebnis geführt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin sehr dankbar, daß der Bundestag eine gute Ent-
scheidung getroffen hat. Aus folgendem Grund sollte er
in diesem Kuratorium stark vertreten sein: Der Bundes-
tag sollte auch die Verantwortung für die Umsetzung
seiner Entscheidung übernehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb finde ich es richtig, daß wir mit einer großen
Zahl in diesem Kuratorium vertreten sind.

Jetzt zu der Frage, ob jüdische Organisationen daran
teilnehmen sollen! Es ist richtig: Die beiden Gremien –
im Gesetz steht in der Tat „Gremien“, also Plural – ha-
ben eine unterschiedliche Wertigkeit. Das Kuratorium

hat eine höhere Wertigkeit. Die Frage ist jetzt: Wer soll
in das Gremium mit der höheren Wertung hinein? Ich
glaube, kein Redner der Regierungsfraktionen hat die
Tatsache, daß Sie die jüdischen Organisationen nicht in
dem Gremium haben wollen, mit einem negativen Zun-
genschlag kommentiert, sondern das nur als falsch be-
zeichnet. Das ist legitim, wie auch Ihre Meinung legitim
ist. Man kann darüber streiten. Aber bei unserer deut-
schen Geschichte kann man, wenn jüdische Organisatio-
nen kommen und bei einer so sensiblen Angelegenheit
ein Angebot machen und uns praktisch die Hand aus-
strecken, dieses Angebot nicht ablehnen. Ein solches
Angebot nimmt man dankend an.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In diesem Sinne sehe ich auch die Zusammensetzung
dieses Kuratoriums als eine gute Entscheidung.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406925600
Ich schließe die
Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwür-
fe auf den Drucksachen 14/2013 und 14/1996 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Gibt es weitere Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen „Stiftung Denkmal
für die ermordeten Juden Europas“ auf Drucksache
14/2014. Die Koalitionsfraktionen wünschen Abstim-
mung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und
der F.D.P. beantragen Ausschußüberweisung.

Nach ständiger Übung geht der Antrag auf Aus-
schußüberweisung vor. Deswegen frage ich: Wer ist für
die Ausschußüberweisung? –


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Eindeutig die Mehrheit!)


Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Damit ist der
Antrag auf Ausschußüberweisung abgelehnt.

Wir stimmen deshalb jetzt über den Antrag der Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
„Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“
auf Drucksache 14/2014 ab. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Der Antrag ist gegen die
Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.:
Pläne der Bundesregierung zur Erhöhung der
Erbschaftsteuer

Sind alle Erbschaftsteuerexperten im Saal?

(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Hier gibt es aber nix!)


Eckhardt Barthel (Berlin)







(B)



(A) (C)



(D)


– Wir beginnen jetzt mit der Aktuellen Stunde.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege

Carl-Ludwig Thiele, F.D.P.-Fraktion.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1406925700
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der
Presse kann man heute und konnte man auch in den
letzten Tagen entnehmen, welche Pläne die Bundesre-
gierung und Rotgrün im Bereich der Erbschaftsteuer
haben. Es ist erforderlich, daß solche Presseberichte hier
diskutiert werden,


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Wir machen demnächst einen Pressespiegel zur Vorlage!)


denn wie Rotgrün die Verfahrensmehrheit entgegen bis-
herigen Gepflogenheiten nutzt, hat die Abstimmung zum
vorhergehenden Tagesordnungspunkt gezeigt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Deshalb sind wir aufgefordert, uns hier im Bundestag

auch mit solchen Themen zu beschäftigen. Denn Rot-
grün redet unwahrscheinlich viel über Steuersenkungen,
faktisch jedoch wird das Gegenteil dessen beschlossen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wir machen sie!)


Heute ist die Ökosteuer wieder erhöht worden; das Steu-
erentlastungsgesetz war ein Steuerbelastungsgesetz, und
im Steuerbereinigungsgesetz wird die Steuerfreiheit für
Lebensversicherungen abgeschafft. Das alles soll geeig-
net sein, Zutrauen in die Zukunft unseres Landes und in
den Investitionsstandort Deutschland zu erwecken. Das
funktioniert nicht.

Weil das nicht funktioniert, müssen wir das hier an-
sprechen und bitten wir um Klarstellung. Denn der Bun-
deskanzler erklärt ja immer: Wir führen keine Steuerer-
höhungsdebatte. Da kann ich nur sagen: Das stimmt. Sie
führen die nicht unbedingt; Sie beschließen einfach eine
Steuererhöhung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weil es einfach nicht geht, daß Sie die einfach beschlie-
ßen, müssen wir hier über diese Sache diskutieren, damit
Sie nicht ständig in der Öffentlichkeit einen anderen
Eindruck von Ihrem Handeln erwecken, der nicht der
Wirklichkeit entspricht.

Ich möchte kurz zu vier Punkten Stellung nehmen.
Erstens. Zu den Hauseigentümern. Das, was Sie

derzeit durch eine Änderung der Bewertungsvorschriften
vorhaben, stellt eine massive Mehrbelastung der Haus-
eigentümer in unserem Lande dar.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch seitens Ihrer Fraktionen wird festgestellt, daß es
ein Ungleichgewicht zwischen der Behandlung von Ka-
pitalvermögen und der Behandlung von Grundvermögen

gibt und daß diese Ungleichbehandlung verfassungswid-
rig ist.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehen Sie das anders?)


Dazu kann ich Ihnen nur sagen – ich zitiere das Bun-
desverfassungsgericht gemäß dem Ausschußbericht –:

Führe die Entscheidung, in Grundvermögen oder
in Kapitalvermögen zu investieren, steuerlich zum
selben Ergebnis, werde der praktisch keiner Sozial-
bindung unterliegende Erwerb von Kapitalvermö-
gen dem Erwerb von vielfach Bindungen unterlie-
genden Grundvermögen vorgezogen. In diesem Fall
müßten die fehlenden privaten Investitionen zur Si-
cherstellung der Grundversorgung der Bevölkerung
mit Wohnraum mit öffentlichen Geldern finanziert
werden.

Das ist der Punkt, den wir befürchten. Wir halten die
Erhöhung der Erbschaftsteuer, insbesondere im Hinblick
auf das Immobilienvermögen, für falsch, weil beim
Grundvermögen im Rahmen der Ermittlung des Wertes
ganz bewußt eine andere Bewertung herangezogen wer-
den würde als beim Kapitalvermögen. Das Kapitalver-
mögen können Sie relativ flott bewerten, weil Sie nur
einen Bankauszug bzw. den entsprechenden Aktiende-
potauszug benötigen. Dann kennen Sie den Wert. Das
geht beim Grundvermögen nicht so einfach.

Die derzeitige Regelung führt dazu, daß das Grund-
vermögen bei der Erbschaftsteuer – teilweise in Höhe
von 80 Prozent des Verkehrswertes – zugrunde gelegt
wird. Wer das noch erhöhen will, der bringt die Men-
schen um ihr kleines Häuschen. Nach dem Motto „Wir
versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“ soll der kleine
Bürger in unserem Lande abkassiert werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das wollen nur Sie, Herr Thiele! Das ist Ihr geheimer Wunsch!)


Zweitens. Zum Mittelstand. Wie viele Mittelständler
bekommen denn nur deswegen einen Kredit für ihr Un-
ternehmen, weil sie Grundvermögen haben? Wenn die-
ses anders bewertet wird und sie zusätzlich zur Kasse
gebeten worden; dann entziehen Sie Kapital, welches als
Beleihungsmittel zur Verfügung gestellt werden kann.
Damit fördern Sie in unserem Lande Desinvestition. Das
ist der zweite Grund, warum wir die Erhöhung der Erb-
schaftsteuer ablehnen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Drittens. Wir diskutieren auch morgen noch über die

notwendige private Altersvorsorge, die Sie im Rahmen
der Quasi-Abschaffung der Steuerfreiheit der Lebens-
versicherung behindern. Wir sind uns einig darüber, daß
das Rentensystem bisheriger Form dringend ergänzt
werden muß. Eine Ergänzung kann sein, Eigentum zu
bilden. Denn wer Eigentum bildet, hat im Alter eine an-
dere Versorgung als derjenige, der dies nicht getan hat.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das verstehen die doch nicht!)


Vizepräsidentin Anke Fuchs






(A) (C)



(B) (D)


Wenn Sie an diese Sache herangehen, verschärfen Sie
die von Ihnen schon jetzt produzierte Rentenproblema-
tik. Das ist der dritte Grund, warum wir die Erhöhung
der Erbschaftsteuer ablehnen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Viertens. Bei Ihnen ist immer unwahrscheinlich viel
von sozialer Gerechtigkeit die Rede. Deshalb möchte
ich auch zu diesem Punkt Stellung nehmen. Vermögen
kommt auch aus versteuertem Einkommen.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht bei einer Person, die erbt!)


– Auch bei einer Person, die erbt. Die unterliegt nämlich
vorher der Erbschaftsteuer. Freibeträge, die es in diesem
Zusammenhang gibt, sind vergleichbar den Freibeträ-
gen, die es bei anderen Steuerarten gibt, Herr Kollege
Müller. Insofern ist auch das Ererbte vorher einer Be-
steuerung unterzogen worden.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht von ihm selbst!)


Es ist von denjenigen, die es vererben konnten, vorher
versteuert worden, damit es überhaupt zum Vermögen
werden konnte.

Wenn Sie einfach sagen, es sei ja vorhanden, es müs-
se nur umverteilt werden, dann können Sie als Grüne
das zwar sagen – damit erhalten Sie den Koalitionsfrie-
den mit der SPD, die das auch so sieht –, dann bewegen
Sie sich aber meilenweit weg von der Realität.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir haben seinerzeit, als die Vermögensteuer ausge-

setzt wurde – sie ist nicht abgeschafft worden; sie ist
durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ausge-
setzt worden –, das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer
um gut 2 Milliarden DM erhöht, weil wir gesagt haben,
daß auch das Erbe Vermögen ist


(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

und daß das Erbvermögen durch die Erbschaftsteuer be-
steuert werden soll. Deshalb ist sie erhöht worden.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406925800
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an die Redezeit.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1406925900
Das mache ich, Frau
Präsidentin. Herzlichen Dank!

Wenn Sie jetzt darüber hinausgehen wollen, dann ge-
hen Sie verfassungsrechtliche Risiken ein und laufen
Gefahr, daß weiter Kapital aus Deutschland abgezogen
wird. So sorgen Sie nicht für Vertrauen in Ihre finanz-
politische Kompetenz, und so schaffen Sie keine Ar-
beitsplätze in unserem Lande.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir sind tief beeindruckt, Herr Thiele!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406926000
Als nächster hat der
Kollege Joachim Poß, SPD-Fraktion, das Wort.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1406926100
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde ist offen-
sichtlich Teil einer neuen politischen Strategie der
F.D.P., öffentlich stärker in Erscheinung zu treten; ich
könnte auch sagen: der Öffentlichkeit vorzugaukeln,
man habe ernstzunehmende politische Alternativen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Sie möchten lieber abtauchen, nicht?)


Die F.D.P. spielt sich als Hüterin von Omas Häuschen
auf. Das ist eine ganz neue Rolle.

Zu der Strategie, mit möglichst wenig Inhalt ein
Höchstmaß an Aufmerksamkeit zu erreichen,


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das überlassen wir euch!)


gehört wohl auch der neue Slogan der F.D.P., der bald
unter das Volk gebracht werden soll: Sind wir denn be-
steuert?


(Ina Lenke [F.D.P.]: Bleiben Sie bei der Sache, Herr Poß!)


Darauf kann ich nur erwidern: Ja, wir sind besteuert,
noch immer, nach 16 Jahren konservativ-liberaler Regie-
rung, aber nach einem Jahr Rotgrün weniger und weit-
aus gerechter als nach der Ära Kohl.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der Zeit Ihrer Regierung wurden die Bürgerinnen
und Bürger Jahr für Jahr zusätzlich mit Steuern und Ab-
gaben überzogen; das war die Realität. Wir kehren dies
um: Mit dem Steuerentlastungsgesetz, mit dem Famili-
enförderungsgesetz und der Unternehmenssteuerreform
realisieren wir Steuersenkungen in Höhe von
40 Milliarden DM. Daran kommen Sie nicht vorbei.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das stimmt auch nicht!)


Sie können noch so viele Aktuelle Stunden beantragen,
Herr Thiele. Wir realisieren Steuersenkungen in Höhe
von 40 Milliarden DM – und das zählt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der Tat ist dies den Bürgern noch nicht so recht
bewußt.


(Lachen bei der F.D.P. – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Aha!)


Ich bin aber zuversichtlich, daß die nächste Stufe des
Steuerentlastungsgesetzes von den Bürgern weitaus
stärker wahrgenommen werden wird als die erste Stufe.
Sie haben nur über Steuersenkungen geredet, wir haben
entsprechend gehandelt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben blokkiert!)


Car-Ludwig Thiele






(B)



(A) (C)



(D)


Zu unseren Maßnahmen haben Sie keine wirklichen Al-
ternativen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weder die Bundesregierung noch die Koalition stre-
ben Steuererhöhungen an,


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dirk Niebel [F.D.P.]: Was haben wir denn heute beschlossen? – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Wo waren Sie denn vor einer Stunde!)


auch nicht über die gesetzlichen Regelungen zur Erb-
schaftsteuer. Tatsache ist allein, daß sich eine vom Bun-
desfinanzministerium eingesetzte Kommission aus
Fachleuten von Bund und Ländern mit der Frage befaßt,
wie Grundbesitz realitätsnah und damit verfassungs-
mäßig steuerlich bewertet werden kann.

Aktuelle Untersuchungen an Hand von Verkäufen
von Grundvermögen zeigen, daß die derzeitigen Bewer-
tungsverfahren für bebaute Grundstücke zu einer, ge-
messen an den Verkehrswerten, niedrigeren Erfassung
führen: Während unbebaute Grundstücke mit rund
72 Prozent des Verkehrswerts bewertet werden, betragen
die nach dem Ertragswertverfahren ermittelten Grundbe-
sitzwerte für bebaute Grundstücke im Durchschnitt nur
51 Prozent des Verkehrswerts.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Wenn man sich die richtigen Beispiele aussucht, ist das ganz klar!)


Deswegen gibt es den Vorlagebeschluß des Finanzge-
richts Hannover. Das ist doch nicht von der Koalition er-
funden worden. Sie wissen doch, daß wir uns damals
über das Bewertungsverfahren gestritten haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Das sind doch Einzelfälle!)


– Herr Hauser, all das wissen Sie. Sie wissen es besser,
als Sie hier vorgeben.

Dieser Zustand – das müssen alle wissen – ist verfas-
sungsrechtlich bedenklich. Er stellt eine sachlich nicht
gerechtfertigte Ungleichbehandlung innerhalb der Ver-
mögensart Grundvermögen dar, aber auch und insbe-
sondere gegenüber dem übrigen Vermögen. Deswegen
ist ja das Urteil in Sachen Vermögensteuer ergangen.
Aber auch hier versuchen Sie immer wieder, den Bür-
gern mit falschen Behauptungen Sand in die Augen zu
streuen. Die Existenz eines sogenannten Halbteilungs-
grundsatzes hat der Bundesfinanzhof in der letzten Wo-
che mit aller Deutlichkeit ad absurdum geführt.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das Bundesverfassungsgericht wird das wieder bestätigen!)


Das paßt Ihnen nicht. Aber damit müssen Sie sich abfin-
den.

Ein verbessertes, verfassungsmäßiges und an den
realen Verkehrswerten orientiertes Bewertungsverfahren
tut not. Das gilt nicht nur für die Erbschaftsteuer. Auch
bei der Grundsteuer gibt es Handlungsbedarf. Hierzu hat
die Finanzministerkonferenz der Länder eine Kommis-
sion eingesetzt. Es geht also um Bewertungsfragen, um
nicht mehr und nicht weniger.

Die Beamtenkommission des BMF hat einen Zwi-
schenbericht vorgelegt; der Abschlußbericht wird vor-
aussichtlich im nächsten Jahr fertiggestellt. Im Lichte
dieser Erkenntnisse werden wir uns mit den Bewer-
tungsfragen in aller Sachlichkeit erneut beschäftigen, ob
mit oder ohne Aktuelle Stunde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406926200
Ich erteile nun der
Kollegin Elke Wülfing, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Elke Wülfing (CDU):
Rede ID: ID1406926300
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kolle-
ge Poß, regieren ist anscheinend doch schwerer, als es
sich mancher beim Rütteln am Kanzleramtszaun gedacht
hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist vor allen Dingen dann schwer, wenn man eine
Politik machen will, die von der Partei offensichtlich
nicht mitgetragen wird. Der Parteitag im Dezember
rückt leider immer näher.


(Joachim Poß [SPD]: Was heißt „leider“? Wir fiebern ihm entgegen!)


Es ist dem SPD-Bundesparteivorsitzenden bisher
nicht gelungen, seinen Parteikollegen klarzumachen,
was der Bundeskanzler will. Der Bundeskanzler will die
neue Mitte fördern, und gleichzeitig muß er als Bundes-
parteivorsitzender zugeben, wie sehr er die neue Mitte
mit der Ökosteuer, mit dem „Steuerbelastungsgesetz“
und dem Steuerbereinigungsgesetz schon belastet hat.
Da hat der Bundesparteivorsitzende tatsächlich recht;
denn das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat –
das wissen Sie ganz genau – 5 Milliarden DM Mehrbe-
lastung allein durch das Steuerentlastungsgesetz für den
Mittelstand errechnet.

So ist das eben: Wenn man in der Öffentlichkeit be-
hauptet, man entlaste die Unternehmen, und tut in
Wirklichkeit genau das Gegenteil, dann glaubt einem die
eigene Partei nicht mehr. Aus dieser Falle kommen Sie
nicht heraus.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


So ist es auch kein Wunder, daß die SPD von fal-
schen Voraussetzungen ausgeht und meint, sie müßte
die vermeintlich Vermögenden noch stärker belasten, als
sie das jetzt schon tut.


(Joachim Poß [SPD]: Sie haben großen Grundbesitz, das ist bekannt!)


Joachim Poß






(A) (C)



(B) (D)


Da kommt man eben auf Ideen: Vermögensteuer, Ver-
mögensabgabe und Erbschaftsteuererhöhung. Das sind
alles Dinge, die der SPD-Parteibasis ganz gut gefallen!
Dabei vergißt man zwischenzeitlich, daß sowohl der
Bundeskanzler als auch der Bundesfinanzminister im-
mer wieder beteuert haben, daß in dieser Legislaturperi-
ode keine Steuererhöhungen mehr stattfinden sollen.

Ob es jetzt nach dem Rentenwortbruch auch noch
einen Steuerwortbruch gibt, werden wir ja sehen. Daß
ganz offensichtlich etwas in der Mache ist, hat uns der
Kollege Poß gesagt. Es gibt die Arbeitsgruppe von Bund
und Ländern zur Neubewertung von Vermögen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die tagt doch schon lange!)


Wozu haben Sie diese eingerichtet? Sie haben es getan,
um zu prüfen, wo Sie noch mehr schröpfen können.
Oder etwa nicht?

Sie wissen ganz genau, daß 1997 das Aufkommen
aus der wegfallenden Vermögensteuer – Herr Thiele hat
es soeben gesagt – sowohl in die Erbschaftsteuer als
auch in die Erhöhung der Grunderwerbsteuer von 2 Pro-
zent auf 3,5 Prozent eingerechnet worden ist. Allein die
Erbschaftsteuer ist dadurch schon um 40 Prozent gestie-
gen. Dadurch ist bei der Vererbung von mittlerem
Grundvermögen eine erhebliche Mehrbelastung einge-
treten.

Um das zu bestätigen, möchte ich mit der Erlaubnis
der Frau Präsidentin Professor Lang zitieren.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406926400
Die brauchen Sie
nicht. Das können Sie auch ohne meine Erlaubnis ma-
chen.


Elke Wülfing (CDU):
Rede ID: ID1406926500
Professor Lang ist Di-
rektor des Instituts für Steuerrecht an der Universität
Köln. Er sagt auf die Frage „Das Ziel, mehr soziale Ge-
rechtigkeit im Land zu schaffen, wird also nicht er-
reicht?“:

Ich halte es für eine Täuschung des Wählers, wenn
die Bundesregierung behauptet, mit der Erb-
schaftsteuer eine angebliche Gerechtigkeitslücke zu
schließen. Diese Steuer ist schlichtweg ungerecht,
weil sie die Reichen fast gar nicht trifft.

Ich finde, dieses Zitat kann man immer und überall an-
führen.


(Joachim Poß [SPD]: Entschuldigung, wir haben doch nur einen Papst!)


– Ja, deswegen sollten Sie von Ihrem Vorhaben lieber
ablassen.

Außerdem wissen Sie ganz genau, daß die Erb-
schaftswelle überhaupt noch nicht richtig begonnen hat.
Sie kommt erst noch. Wir haben in 1998 ein Aufkom-
men der Erbschaftsteuer in Höhe von 4,8 Milliarden DM
gehabt, in 1999 wird es wahrscheinlich 5,9 Milliarden
DM betragen. Das wird weiterhin erheblich steigen, und
das wissen Sie ganz genau.

Außerdem haben Sie im Steuerbereinigungsgesetz
schon dafür gesorgt, daß durch die Herausnahme von
Schulden bei Betriebsübergängen eine Verschlechterung
eingetreten ist. Das haben Sie nur ein bißchen versteckt,
damit es keiner merkt.

Ich würde an Ihrer Stelle auf den Vorsitzenden der
Steuergewerkschaft, Herrn Ondracek, hören.


(Zuruf der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Warum nicht? Er ist ein hervorragender, sachlicher
Mann, der der Regierung viel Ärger und wenig Ertrag
voraussagt, wenn sie bei der Bewertung noch einmal zu-
schlagen will.

Ganz abgesehen davon frage ich mich tatsächlich,
wie Sie eigentlich Betriebsvermögen behandeln wollen,
Herr Müller. Gerade kleine Unternehmen führen ihre
Betriebe in eigenen Immobilien. Ein Betrieb wird nicht
einfach dadurch bereichert, daß ein Erbschaftsübergang
stattfindet, daß also jemand stirbt und ein Nachfolger
das Erbe antritt.

Wenn wir erreichen wollen, daß wir Nachfolger für
die Hunderttausende von Betrieben finden, die in den
nächsten zehn Jahren vererbt werden, müssen wir dafür
sorgen, daß die Erbschaftsteuerbelastung die Eigenka-
pitalbasis nicht kaputtmacht. Es nützt überhaupt nichts,
wenn Sie versuchen – wir haben das auch schon ver-
sucht –, Existenzgründungen zu fördern, wenn die be-
stehenden Arbeitsplätze beim Erbschaftsübergang tat-
sächlich kaputtgemacht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich kann dem Finanzminister, Frau Staatssekretärin
Hendricks, um der Erhaltung der mittelständischen Be-
triebe willen wirklich nur raten, von diesem Vorhaben
abzulassen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Hören Sie bitte nicht auf die Schalmeien der Neid-

ideologen in der SPD von links! Es tut unseren Arbeits-
plätzen nicht gut, aber das Arbeitsplatzschaffen ist bei
Ihnen sowieso nicht gut aufgehoben. Das wissen wir ja.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406926600
Jetzt hat der Kollege
Klaus Müller, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Die F.D.P. tut mal wieder so, als
ob Steuern einen Selbstzweck erfüllen würden. „Genug
ist genug, Mut zum Steuerverzicht!“ schallt es aus dem
Munde von Herrn Westerwelle, der dabei einmal wieder
eine Menge Staub aufwirbelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Mut zur Steuersenkung? Das kann doch wohl nicht Ihr
Ernst sein!


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Doch!)


Elke Wülfing






(B)



(A) (C)



(D)


Mut gehört dazu, ein umfassendes Sparpaket zu schnü-
ren, so wie das Rotgrün getan hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mut gehört dazu, die Steuerschlupflöcher zu schließen,
damit zum 1. Januar nächsten Jahres die Steuern unter
Rotgrün zum zweitenmal sowohl beim Eingangssteuer-
bereich wie auch beim Spitzensteuerbereich sinken.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Herr Müller, Sie sind im falschen Programm!)


Das, was Sie nicht gebacken kriegen, wird Rotgrün lei-
sten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber woher sollten Sie das wissen? Bei Ihnen bleiben
Sparkurs und das Schließen von Steuerschlupflöchern
maximal Lippenbekenntnisse. Ganz im Gegenteil, mor-
gen wollen Sie sie wieder öffnen. Im Finanzausschuß
haben Sie sich redlich Mühe gegeben, ein Steuer-
schlupfloch nach dem anderen wieder zu öffnen.

Allerdings gäbe es durchaus Anlaß, sich an dieser
Stelle einmal über die Steuerpläne der F.D.P. zu unter-
halten. Wenn man sich einmal den Stufentarif à la
F.D.P. vor Augen führt und nachschaut, was dort tat-
sächlich passiert, stellt man fest, daß der Spitzensteuer-
satz für den oberen Einkommensbereich im Vergleich zu
Rotgrün um 13,5 Prozentpunkte gesenkt wird. Das ist
fast ein Drittel.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Vernünftig!)

Bei einem zu versteuernden Einkommen von 20 001
DM – also im unteren Einkommensbereich – erhöhen
Sie die Steuerbelastung um 1,4 Prozent.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Reden Sie von der Erbschaftsteuer?)


Das ist eine unsoziale Politik à la F.D.P.: Unten erhöhen
Sie die Steuern, oben senken Sie sie ab. Das ist unsozial.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Reden Sie von der Erbschaftsteuer? – Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie haben das überhaupt nicht kapiert!)


Rechnen Sie einmal genau nach, Herr Solms, dann wer-
den Sie das merken.

Nun konkret zur Erbschaftsteuer. Sie beantragen eine
Aktuelle Stunde – wie auch schon letzte Woche –, nur
viel zu früh. Die Steuerschätzung konnten Sie gar nicht
abwarten und haben riesige Erwartungen geweckt, um
nachher zu merken, daß nichts daran ist. Die Schätzun-
gen für die Mehreinnahmen des Bundes lagen nur um
1,5 Milliarden DM für dieses und um 0,6 Milliarden DM
für nächstes Jahr höher, als bis dahin prognostiziert.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Bei einem Deutschaufsatz würde man sagen: Thema verfehlt! – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Es geht hier um Erbschaftsteuer!)


Sie krakeelen hier rum und versprechen den Leuten
Steuersenkungen, was schlicht unseriös ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Gegensatz zu Ihnen wartet Rotgrün auf eine fun-
dierte Entscheidungsbasis. Wenn Sie heute Zeitung ge-
lesen hätten, hätten Sie zu lesen bekommen, daß die
Steuer- und Abgabenbelastung in Deutschland – damit
wir ehrlich diskutieren – mit 37,1 Prozent sogar noch
unter dem EU-Durchschnitt von 41 Prozent liegt. Selbst
Großbritannien und Frankreich liegen nach den Anga-
ben des Europäischen Steuerzahlerbundes sehr viel hö-
her als Deutschland.

Niemand von Rotgrün plant eine Erhöhung der Steu-
ersätze für die Erbschaftsteuer. Wir wollen vielmehr
eine gerechte Besteuerung von Grundbesitz im Ver-
gleich zu anderen Vermögen, weil das von Ihnen einge-
führte Verfahren nach all den Schätzungen, die zur Zeit
vorliegen, dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht. Sie
können nachher dagegen protestieren, aber Sie werden
auch damit zurechtkommen und merken – Kollege Poß
hat schon das anhängige Verfahren erwähnt –, daß wir
dann, wenn es hier eine Ungleichbehandlung gibt, dar-
über reden müssen, wie man diese korrigiert, auch wenn
Ihnen das nicht paßt.

Wenn der Bericht des Bundesfinanzministeriums dies
bestätigt, dann muß das Ganze in eine gerechte Balance
gebracht werden. Wir können jetzt schon sagen, daß wir
uns auch darum kümmern werden, eine angemessene
Erhöhung der Freibeträge vorzunehmen, damit niemand
das vererbte Elternhaus unangemessen besteuern muß.
Niemand will das vererbte Elternhaus irgend jemandem
nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Kollegin Wülfing hat gerade leider gezeigt, daß sie
von dem Thema Betriebsvermögen keine Ahnung hat.
Darum möchte ich ihr gerne etwas helfen. Betriebsver-
mögen wird auch weiterhin erbschaftsteuerlich extrem
günstig behandelt – zu Recht –, auch im Vergleich zu
den Vorschriften in anderen Ländern.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie waren doch gar nicht dabei! Da waren wir dabei!)


Ich möchte erinnern an den Ansatz der Steuerbilanz-
werte, minus 25 Prozent vom Verkehrswert, an den
Freibetrag von 500 000 DM speziell auf das Betriebs-
vermögen und dann noch einmal an den Abschlag von
40 Prozent auf die verbleibende Bemessungsgrundlage.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Was kostet eine große Maschine?)


Dazu kommen noch persönliche Freibeträge. Insofern
glaube ich, daß sich hier niemand Sorgen machen muß,
daß betriebswirtschaftliches Vermögen im Fall des Erb-
schaftsüberganges ungehörig besteuert würde.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Klaus Wolfgang Müller (Kiel)







(A) (C)



(B) (D)


Es ist ja auch keine Schande, wenn man etwas erbt. Als
ob man den Leuten dann noch etwas hinterherwerfen
müßte, so wie Sie das gerade angeregt haben.

Ich möchte zum Schluß kommen. Ich denke, Sie ha-
ben nicht nur ein kurzes Gedächtnis, um nicht zu wissen,
daß Sie zuletzt die Erbschaftsteuer 1996 reformiert ha-
ben.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das nehmen wir Ihnen nicht übel, daß Sie das nicht wissen können!)


Dabei haben Sie die Spitzensteuersätze für große Erb-
schaften gesenkt und die Steuersätze für kleine Erb-
schaften leider deutlich erhöht. Das ist Ihre Politik. Die-
se wird Rotgrün nicht fortführen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406926700
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS-Fraktion.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406926800
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Thiele schlägt für die F.D.P.
Alarm, für ihre Klientel der Besserverdienenden und
Vermögenden: Die Regierungskoalition will die Erb-
schaftsbesteuerung verändern. Nach dem, was wir aber
bisher wissen, ist dieser Alarm völlig unnötig.

Zwischen 1996 und dem Jahr 2000 konnten und kön-
nen sich etwa 3 Millionen Bundesbürgerinnen und Bun-
desbürger bei aller Trauer über eine Erbschaft im Ge-
samtvolumen von 1,8 Billionen DM freuen. Das heißt,
pro Jahr werden etwa 400 Milliarden DM vererbt. Der
Staat, sprich: die Bundesländer erhielten von diesen 400
Milliarden DM allerdings nur 4 bis 5 Milliarden DM, al-
so etwas über 1 Prozent als Steuer.

Gerechterweise muß bereits heute niemand fürchten,
daß im Todesfall des Ehepartners oder der Eltern das
normale Einfamilienhaus mit einer Erbschaftsteuer be-
legt wird. Das ist gut so. Auch die PDS hält an diesem
Prinzip fest.


(Beifall bei der PDS)

Die PDS hält auch daran fest, Betriebsvermögen geson-
dert zu behandeln, um insbesondere im klein- und mit-
telständischen Bereich den Fortbestand von Familienbe-
trieben zu sichern. Die Demokratischen Sozialistinnen
und Sozialisten fordern aber eine Modernisierung des
Steuerrechts.

Erstens bleibt es Aufgabe, die Gleichstellung aller
Vermögensarten zu gewährleisten. Dies ist ein Gebot
der sozialen Gerechtigkeit. Erst auf dieser Grundlage ist
eine tatsächliche Besteuerung nach der Leistungsfähig-
keit zu verwirklichen. Wenn die Regierung dazu zum
Jahresende ein neues Verfahren zur Bewertung von
Grund und Boden vorlegen wird, so werden wir das kri-
tisch prüfen. Meine Damen und Herren von der Partei

der Besserverdienenden, wenn sich daraus Steuermehr-
einnahmen ergeben, so kann man dieses nur begrüßen.


(Beifall bei der PDS)

Zweitens halten wir an der Forderung fest, daß es den

Staat, sprich: das Finanzamt nichts angeht, wie Men-
schen zusammenleben. Jeder Bürger und jede Bürgerin
hat das Recht, selbst zu entscheiden, wem er bzw. sie
was und wieviel er bzw. sie vererben will. Der Staat hat
kein Recht, dies im nachhinein durch die Erbschaftsteu-
er zu korrigieren.

Ein allseits bekannter Entertainer meinte, sein Ver-
mögen hälftig an seine Ehefrau und seinen Freund zu
vererben. Falls dieser Wille umgesetzt wird, wird die
Witwe ein Vielfaches an Vermögen erhalten, weil sie
wesentlich weniger Erbschaftsteuer zu entrichten hat als
der Freund. Dies ist nicht gerecht.


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Was ist denn mit der neuen Tochter, die heute in der „Bild“-Zeitung steht?)


Wir als PDS schlagen ein anderes Verfahren vor.
Dieses kennen Sie seit 1996. Wir schlagen die Einfüh-
rung einer Nachlaßbesteuerung für Vermögen ab 1 Mil-
lion DM vor. Damit stiege der Anreiz, zu vererbendes
Vermögen tatsächlich unter mehreren Erben aufzuteilen.
Ich meine, es ist gut, einer übermäßigen Vermögenskon-
zentration entgegenzuwirken.

Wir fordern, alle Erben gleich zu besteuern. Die ma-
terielle Belohnung des Trauscheins und die Besteuerung
nach dem überkommenen Prinzip der Blutsverwandt-
schaft sind nicht mehr zielgerecht und gehören abge-
schafft.


(Beifall bei der PDS)

Drittens werden wir uns vehement gegen die von der

Bundesregierung – wie aus der Presse zu entnehmen war
– angestrebte Anhebung der Freigrenzen wenden. – Bei
diesem Punkt hat Frau Wülfing doch etwas recht. In ih-
rem hilflosen Bestreben, die absolute soziale Schieflage
ihrer Konsolidierungspolitik zu übertünchen, rudert die
Regierungskoalition derzeit zwischen verschiedenen
Steuerthemen hin und her. Dabei ist dem Bundeskanzler
jegliche Diskussion über eine höhere Besteuerung wirk-
lich Vermögender absolut lästig.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ach, das glaube ich nicht! Nur vordergründig!)


Die SPD-Linke fordert immer wieder einmal eine
Erbschaftsteuer, eine Vermögensabgabe oder eine Ver-
mögensteuer. Die Grünen setzen dem Ganzen die Krone
auf: Sie wollen jetzt über das Stiftungsrecht zum reinen
Freiwilligkeitsprinzip übergehen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gut!)


Das alles ist butterweich und halbherzig.
Wenn Sie jetzt tatsächlich anstreben, die Freibeträge

von derzeit bereits 600 000 DM auf über 1 Million DM
drastisch anzuheben und den Kreis der Menschen, die in
diese Vergünstigung hineinkommen, zu erweitern, so

Klaus Wolfgang Müller (Kiel)







(B)



(A) (C)



(D)


heißt das, daß Sie keine Mehreinnahmen erzielen wer-
den – höchstens in einem Bereich von 1 bis 2 Milliarden
DM. Auch auf diesem Wege wird es Ihnen also nicht
gelingen, die wirklich Vermögenden in dieser Gesell-
schaft wieder stärker zur Finanzierung des Gemeinwe-
sens heranzuziehen.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: So ist es!)


Man muß doch einmal zur Kenntnis nehmen, daß sich
60 Prozent aller Erbfälle in einem Volumen von unter
200 000 DM bewegen. Das heißt, eine Anhebung der
Freigrenzen kann nur dazu dienen, den wirklich Vermö-
genden doch wieder entgegenzukommen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406926900
Frau Kollegin, den-
ken Sie an die Redezeit, bitte.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1406927000
Ich möchte noch an die
Diskussionen erinnern, die wir vor vier Jahren geführt
haben. Damals haben Sie neben der Erbschaftsteuer
auch die Grunderwerbsteuer verändert. Über die Erb-
schaftsteuer haben Sie nicht die gewünschten Mehrein-
nahmen erzielt, allerdings bei der Grunderwerbsteuer.
Im Gegenzug zur Abschaffung der Vermögensbesteue-
rung haben Sie mit der Erhöhung der Grunderwerbsteuer
natürlich auch jeden kleinen Häuslebauer getroffen. Das
war bereits damals ungerecht.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Vermittlungsausschuß! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Das war Bundesratsgeschichte! – Das waren nicht wir!)


Wenn Sie in dieser Richtung voranmarschieren, ist
das weitere Gesetzesvorhaben ebenfalls sozial un-
gerecht. Unsere Zustimmung werden Sie dazu nicht er-
halten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406927100
Nun erteile ich das
Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Barbara
Hendricks.


(Zuruf der Abg. Gisela Frick [F.D.P.])

– Das ist wahr. – Ich erteile der Kollegin Gisela Frick
das Wort. – Ich hatte Ihren Namen schon durchgestri-
chen und Sie sozusagen abgehakt. Ich bitte sehr um Ent-
schuldigung. Sie haben das Wort.


Prof. Gisela Frick (FDP):
Rede ID: ID1406927200
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Daß Sie mich abgehakt haben, war
vielleicht gar nicht so falsch; denn Sie hören an meiner
Stimme, daß ich nicht ganz so fit bin wie sonst. Ich wer-
de trotzdem versuchen, die Gedanken herüberzubringen,
die mir wichtig sind.

Ich muß zunächst einmal mit ein paar Irrtümern auf-
räumen. Ich fange bei Ihnen, Herr Müller, an: Sie haben
dankenswerterweise noch einmal darauf hingewiesen,

daß wir als F.D.P. den Stufentarif anstreben. Aber Sie
haben ihn falsch dargestellt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dirk Niebel [F.D.P.]: Er hat ihn nicht verstanden! – Zuruf des Abg. Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Nein. Ich weiß, Sie befinden sich damit in guter Ge-
sellschaft. Viele verstehen ihn falsch. Sie sind auch neu
im Parlament.


(Heiterkeit bei der F.D.P. und bei der CDU/CSU)


Sie haben die Chance, vielleicht einmal bei Herrn Struck
nachzufragen; denn er scheint ihn verstanden zu haben.
Sonst hätte er ihn nicht unterstützt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Stufentarif bedeutet – um bei Ihrem Beispiel zu

bleiben -: Vom Grundfreibetrag – wie auch immer er
angesetzt ist; im Moment sind es rund 13 000 DM – bis
20 000 DM werden 15 Prozent Steuern erhoben, ab
20 000 DM 25 Prozent. Das heißt, bei 20 001 DM wird
die 1 DM, die Sie eben dazugezählt haben, mit 25 Pro-
zent versteuert, aber nicht die 20 000 DM davor. Das ist
ein Riesenunterschied.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das muß er einmal im Protokoll nachlesen; sonst kapiert er das nicht!)


Dies ist ein Tarif, der in den Bereich der Einkom-
mensteuer und nicht in den der Erbschaftsteuer gehört.
Insofern ist es vielleicht sogar noch ein bißchen ver-
zeihlich. – Herr Müller, ich wäre dankbar, wenn Sie zu-
hören würden, damit Sie nicht weiter Falsches über un-
sere Pläne verbreiten. – Bei der Erbschaftsteuer verhält
sich dies nämlich anders: In dem Moment, in dem der
Nachlaß bestimmte Grenzen übersteigt, ist der ganze
Nachlaß höher zu besteuern. Ich bitte Sie, da Sie Mit-
glied im Finanzausschuß sind, Einkommensteuer und
Erbschaftsteuer sowie die entsprechenden Prinzipien
sauber auseinanderzuhalten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dies war der erste Irrtum, mit dem ich aufräumen wollte.

Der zweite Irrtum. Sie haben großzügig gesagt: Wir
planen nicht, die Tarifsätze zu erhöhen. Sie wissen ge-
nauso gut wie ich – das hoffe ich jedenfalls –, daß sich
die steuerliche Belastung aus dem Zusammenspiel von
Bemessungsgrundlage und Satz ergibt. Sie haben eine
Kommission eingerichtet mit dem Ziel, die Bewertung
von Immobilien deutlich anzuheben. Dies ist im Endef-
fekt ganz klar eine Besteuerungserhöhung. Das ist doch
selbstverständlich; selbst wenn die Sätze so bleiben, wie
sie sind, sich die Bemessungsgrundlage aber entschei-
dend ändert.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dirk Niebel [F.D.P.]: Was berechnen wir ihm jetzt für die Nachhilfestunde?)


Dr. Barbara Höll






(A) (C)



(B) (D)


Dies wird auf jeden Fall eine deutliche Erhöhung zur
Folge haben. Das ist schädlich, und zwar auch für dieje-
nigen, an die Sie im Moment nicht denken, nämlich für
die große Gruppe der Mieter, weil dieses Vorgehen
letztendlich durchschlägt.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Herr Poß ist leider weggegangen. Eben hat er ganz

deutlich gesagt: Wir brauchen das alles nicht nur für die
Erbschaftsteuer, sondern auch für die Grundsteuer. Die
Grundsteuerbelastung schlägt erst recht und noch viel
direkter als die Erbschaftsteuerbelastung auf die Mieten
durch. In den Beratungen zu den Bewertungsverfahren
im Erbschaftsteuerrecht haben wir damals ausdrücklich
auf die Sozialbindung des Immobilieneigentums hinge-
wiesen.

Die starke Sozialbindung, insbesondere durch die
Mieterschutzvorschriften, öffentliche Belastungen, unter
anderem durch die Grundsteuer, die Immobilität – schon
der Name sagt: die mangelnde Fungibilität der
Grundstücke – und vieles andere zeigen, daß wir sehr
gute sachliche Gründe dafür gefunden haben, daß wir
das Immobilienvermögen, obwohl wir es im Gegensatz
zur geltenden Rechtslage deutlich höher bewertet haben,
nicht bis an die oberen Grenzen ausgeschöpft haben.
Das haben wir bewußt getan.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat
genau dies angemahnt. Es darf demnach nicht auf kal-
tem Wege zu niedrigeren Werten im Bereich der Immo-
bilien kommen. Wenn man aber im Gesetzgebungsver-
fahren sachliche Gründe dafür findet, dann sind diese
ausreichend, um zu einer mäßigeren Bewertung zu
kommen. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, daß
dies richtig ist.

Nun muß ich noch mit einem anderen Irrtum aufräu-
men. – Frau Höll ist im Moment leider auch nicht anwe-
send. – Es wird immer wieder gesagt, auch die großen
Vermögen sollten zur Finanzierung des Gemeinwohls
beitragen. Das tun die großen Vermögen – das habe ich
hier schon x-mal erwähnt und muß mich leider dauernd
wiederholen, weil dies von Ihnen immer wieder falsch
gesagt wird – schon im Bereich des Ertragsteuerrechtes.
Es besteht eine Progression. Soweit Vermögen Erträge
abwirft, wird dies progressiv in der Einkommensteuer,
im Ertragsteuerrecht belastet. Damit tragen die großen
Vermögen sehr wohl zu einer entsprechenden Finanzie-
rung des Gemeinwohls bei.


(Beifall bei der F.D.P. – Dirk Niebel [F.D.P.]: Auch das kapieren die nicht!)


Ich warne Sie: Machen Sie hier nicht noch einmal den
Fehler, den Sie schon in den vergangenen Gesetzen
begangen haben. Satteln Sie nicht ständig obendrauf,
sondern halten Sie sich endlich einmal zurück, und
machen Sie eine Steuerreform, die diesen Namen auch
verdient!

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406927300
Jetzt habe ich die
Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks auf
meinem Rednerzettel abgehakt und erteile ihr das Wort.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nur, wenn es der Sache dient!)


D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1406927400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit dem
„Zukunftsprogramm 2000“ ein Paket zur Sanierung des
Bundeshaushalts vorgelegt, das trotz des desolaten Zu-
standes, den Sie von der früheren Koalition uns im Be-
reich der Haushaltspolitik hinterlassen haben, nicht auf
Steuererhöhungen angewiesen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Lesen Sie in Ihrer Broschüre nach, die Sie zurückgenommen haben!)


Die Bundesregierung beabsichtigt daher gegenwärtig
keine Gesetzesinitiative zur Erhöhung der Erbschafts-
teuer, zumal diese Steuer, wie wir alle wissen, bekannt-
lich den Ländern zusteht. Aber auch andere Steuererhö-
hungen sind nicht geplant. Im Gegenteil: Wir senken die
Steuern.

Weil der finanzielle Spielraum auf Grund der Haus-
haltslage eng ist, können wir keine Blütenträume erfül-
len, sondern müssen auf dem Teppich bleiben. Das Er-
gebnis der jüngsten Steuerschätzung hat uns unsere Ein-
schätzung bestätigt. Hoffentlich bringt es auch Sie, mei-
ne Damen und Herren von der Opposition, wieder auf
den Boden der Realität zurück. In der vergangenen Wo-
che konnten wir wirklich interessante Einlassungen ins-
besondere des Kollegen Thiele und vieler anderer Ver-
treter der Opposition hören. Unsere Steuerpolitik ist im
Gegensatz zu dem, was Sie hier lautstark fordern, ver-
läßlich, vernünftig und nachhaltig finanzierbar. Sie kann
sich jedenfalls sehen lassen.

Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002,
das schon in Kraft ist, senken wir die Steuersätze auf
breiter Front und entlasten die Steuerzahler netto um
insgesamt mehr als 20 Milliarden DM. Durch das im Fi-
nanzausschuß in der vergangenen Woche beschlossene
Familienförderungsgesetz werden Familien mit Kindern
zum 1. Januar 2000 noch einmal deutlich um 5,5 Milli-
arden DM entlastet. Damit wird auch eine Vorgabe des
Bundesverfassungsgerichts erfüllt. Für eine durch-
schnittlich verdienende Familie mit zwei Kindern be-
deutet dies über 3 300 DM weniger Steuern am Ende
dieser Legislaturperiode, also im Jahr 2002, im Ver-
gleich zu 1998. Damit wird die Steuerschuld einer sol-
chen Familie innerhalb von vier Jahren um fast 40 Pro-
zent gesenkt. Dafür sind die rotgrüne Bundesregierung
und die sie tragenden Koalitionsparteien verantwortlich.
Dies haben Sie in Ihrer ganzen Regierungszeit noch
nicht einmal ansatzweise geschafft. Wir haben es schon
nach gut einem Jahr Amtszeit erreicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gisela Frick






(B)



(A) (C)



(D)


Die abgewählte Regierungskoalition dagegen hat die
Arbeitnehmer und ihre Familien in den letzten Jahren
durch immer neue Steuererhöhungen an die Grenze der
Belastbarkeit und zum Teil darüber hinaus getrieben.
Die wiederholten Erhöhungen der Mineralölsteuer wur-
den zum bloßen Stopfen der Haushaltslöcher verwendet.
Wir geben die Mehreinnahmen im Rahmen der ökologi-
schen Steuerreform durch Senkung der Lohnnebenko-
sten auf Heller und Pfennig an die Bürgerinnen und
Bürger zurück.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Im Finanzausschuß klang es anders!)


– Wir geben sie natürlich an die Bürgerinnen und Bürger
zurück. Sie müssen nicht dazwischenrufen, Herr Kollege
Fromme. Wer es glaubt, wird selig. Sie sind Abgeord-
neter dieses Hohen Hauses und können das an Hand al-
ler Gesetzesvorhaben inklusive des Haushaltsgesetzent-
wurfes nachprüfen. Tun Sie also nicht so, als könnten
Sie dies nicht wissen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden die Steuersenkungspolitik konsequent
fortsetzen. Ab dem Jahr 2002 soll nach den Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts die zweite Stufe des Fa-
milienentlastungspakets in Kraft treten. Die Bundesre-
gierung wird rechtzeitig einen Gesetzentwurf vorlegen.
Bereits ab 2001 werden wir die Unternehmensteuerre-
form in die Tat umsetzen. Sie wissen, dafür ist gegen-
wärtig ein Entlastungsvolumen in der Größenordnung
von weiteren 8 Milliarden DM eingeplant.

Dies sollte an dieser Stelle eigentlich reichen. Aber
ich ahne schon, daß mir einige von Ihnen jetzt Aussagen
zur Vermögensbesteuerung im Koalitionsvertrag und
auch die aktuelle Diskussion vorhalten wollen. Die Ko-
alitionsvereinbarung enthält in der Tat einen eindeutigen
Prüfauftrag, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Diesen
Auftrag werden wir erfüllen. Wir haben deshalb eine
Expertenkommission eingesetzt – Kollege Poß hat dar-
auf schon hingewiesen –, die sich mit dem Hauptpro-
blem einer verfassungskonformen Vermögensbesteue-
rung auseinandersetzt, nämlich mit der Bewertung des
Grundbesitzes. Die Kommission wird im Frühjahr näch-
sten Jahres ihren Abschlußbericht vorlegen. Dann erst
werden wir über die Frage der Vermögensbesteuerung
entscheiden, und zwar selbstverständlich nur im Einver-
nehmen mit den Ländern und unter verfassungsrechtlich
notwendigen Gesichtspunkten.

Es gibt im übrigen auch weitere Möglichkeiten, die
Finanzkraft großer Vermögen sinnvoll für unser Ge-
meinwesen nutzbar zu machen. Ich nenne in diesem Zu-
sammenhang die von den Koalitionsfraktionen gestartete
Initiative zur Reform des Stiftungsrechts.

Für uns ist Gerechtigkeit ein bestimmendes Ziel der
Steuerpolitik.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und Neid!)

– Nein, dies hat nichts mit Neid zu tun. Ich glaube, wir
müssen uns wirklich einmal über einige Grundsätze un-
seres Gemeinwesens unterhalten. Steuern zu zahlen ist

das Vorrecht des mündigen Bürgers, weil er selber lei-
stungsfähig genug ist, um dies zu tun. Wir sollten bald
wieder zu diesem Grundverständnis zurückkehren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist uns wichtig, eine sozial ausgewogene Beteili-
gung der Bürger an der Finanzierung der notwendigen
gesellschaftlichen Aufgaben zu gewährleisten. Dem wi-
derspricht nicht, daß wir die steuerlichen Rahmenbedin-
gungen gleichzeitig auf mehr Wachstum einstellen wol-
len, um insbesondere einen wichtigen Beitrag zum Ab-
bau der hohen Arbeitslosigkeit zu erbringen; denn die
hohe Arbeitslosigkeit ist natürlich die größte soziale
Ungerechtigkeit.

Wir haben von Anfang an für mehr Gerechtigkeit in
der Steuerpolitik gesorgt. Im Steuerentlastungsgesetz
1999/2000/2002 liegt der Schwerpunkt der Entlastungen
bei Arbeitnehmern und Familien, bedingt insbesondere
durch die Konzentration der Tarifsenkungen im Ein-
gangsbereich und die Erhöhung des Kindergeldes. Zu-
gleich wurden in nie dagewesenem Ausmaß Ausnahme-
regelungen und Steuervergünstigungen gestrichen oder
eingeschränkt, die tendenziell Bezieher höherer Ein-
kommen begünstigt haben.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Lesen Sie einmal die Broschüre, die Sie eingestampft haben!)


– Sie haben versucht, das alles zurückzudrehen.
So haben wir durch die Neuregelung des Verlustab-

zugs effektive Vorkehrungen gegen eine exzessive
Verlustverrechnung geschaffen. Es wird in Zukunft
nicht mehr möglich sein, daß sich Einkommensmillionä-
re bei ihren Steuerzahlungen künstlich auf Null arm-
rechnen. Auch in den Finanzämtern in Bad Homburg
vor der Höhe und in Starnberg wird es wieder ein positi-
ves Aufkommen aus veranlagter Einkommensteuer ge-
ben und nicht mehr Auszahlungen an veranlagter Ein-
kommensteuer als Einnahmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Kernstück vieler Steuersparmodelle, den halben

Steuersatz für Veräußerungsgewinne, haben wir so um-
gestaltet, daß sich diese Steuergestaltungen nicht mehr
lohnen. Unsere Steuerpolitik zugunsten der Familien
setzen wir jetzt mit dem Familienförderungsgesetz fort.

Im Kontext der geplanten Unternehmensteuerreform
werden wir weitere steuerliche Sonderregelungen ab-
bauen. Schließlich hat auch die ökologische Steuerre-
form im Hinblick auf die Senkung der Rentenversiche-
rungsbeiträge eine deutliche soziale Prägung; denn die
Beitragssatzsenkung wirkt sich wegen der Beitragsbe-
messungsgrenze überproportional im unteren und mittle-
ren Einkommensbereich aus. Die Verbilligung des Fak-
tors Arbeit verbessert überdies die Beschäftigungsper-
spektiven.

Meine Damen und Herren, damit ist das Thema Ge-
rechtigkeit in der Steuerpolitik noch nicht erschöpft. Wir
werden weiter daran arbeiten, noch bestehende Gerech-
tigkeitsdefizite im Steuersystem abzubauen. Dies betrifft

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


unter anderem die Besteuerung von Kapitalerträgen, die
ich für äußerst unbefriedigend halte. Dies ist vorrangig
ein Thema für Europa. Die bisherigen Ergebnisse der
Diskussion auf europäischer Ebene sind aber leider nicht
ermutigend. Wir werden hier den Druck erhöhen müssen.

Meine Damen und Herren, Gerechtigkeit und öko-
nomische Vernunft gehören in der Steuerpolitik zusam-
men. Im Koalitionsvertrag steht deshalb auch, daß wir
die gesamte Steuer- und Abgabenbelastung senken
wollen. Das wird von Ihnen natürlich bewußt übersehen
und verschwiegen. Ich stelle dagegen hier fest: Für die
Bundesregierung genießt das Ziel der Senkung der Steu-
er- und Abgabenbelastung weiterhin oberste Priorität.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406927500
Nun erteile ich dem
Kollegen Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.


Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1406927600
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden
täglich mit Steuerveränderungs- und Steuererhöhungs-
plänen aus dem Lager der Regierungsfraktionen kon-
frontiert. Einige fordern – man könnte zitieren, aber die
Zeit reicht dazu nicht – die Wiedereinführung der Ver-
mögensteuer, andere eine einmalige Vermögensabgabe,
wieder andere die Erbschaftsteuer. Herr Poß hat heute
angekündigt, daß die Grundsteuer erhöht wird. Ob ich
aber die Steuersätze oder die Bemessungsgrundlage er-
höhe, beides läuft letztlich auf eine Erhöhung hinaus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Frau Kollegin Hendricks, es ist eine Zumutung für

jeden, der sich kritisch mit der Steuergesetzgebung in
Deutschland auseinandersetzt, wenn Sie von diesem
Platz aus von einer vernünftigen und verläßlichen Steu-
erpolitik reden. Wo waren Sie eigentlich während des
letzten Jahres?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ingrid Holzhüter [SPD]: Wo waren Sie 16 Jahre lang?)


Meine Damen und Herren, viel schlimmer ist, daß die
gesamte Diskussion um Steuerveränderungen und Steu-
ererhöhungen die Kapitalflucht, die Flucht des scheuen
Gutes Vermögen und Geld, in unangemessener Form
verstärkt.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bei Häusern ein bißchen schwierig!)


Ich nenne einmal zwei volkswirtschaftliche Daten, Frau
Kollegin Scheel, die deutlich machen, wie Ihre Steuer-
politik – ich muß allgemein von Ihrer Finanzpolitik re-
den – inzwischen gewirkt hat.

Erstens. Im letzten Jahr der Regierung Kohl ist das
Bruttosozialprodukt um 2,2 Prozent gewachsen, im er-
sten Jahr der Regierung Schröder werden es 1,4 Prozent
sein. Damit teilen wir uns in der EU den Schlußplatz mit
Italien. Das muß nachdenklich stimmen.

Zweitens. In den letzten zwölf Monaten der Regie-
rung Kohl ist die Zahl der Arbeitslosen um 400 000 ge-
sunken, bei Ihnen in den ersten zwölf Monaten um le-
diglich 8 000.


(Nicolette Kressl [SPD]: Wie viele sind es im Laufe der 16 Jahre mehr geworden?)


Meine Damen und Herren, Sie erkennen hieran die
katastrophalen Folgen gerade Ihrer Steuerpolitik, insge-
samt Ihrer Finanzpolitik, auf die gesamtwirtschaftliche
Entwicklung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat die 4 Millionen produziert?)


Bezogen auf die Erhöhung der Erbschaftsteuer,
könnte man natürlich sehr lange reden. Ich will mich aus
Zeitgründen auf drei Punkte konzentrieren.

Erstens. Die sogenannten Reichen, die hier immer
wieder abwertend zitiert werden, zahlen schon heute den
überwiegenden Teil der Steuer. Sie wissen genau, daß
die Reichen


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Auch die Leistungsfähigen sind!)


für jede Mark, die sie zusätzlich verdienen, 60 Pfennig
Steuern zahlen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Woher kommt denn das? – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist Ihre Steuerpolitik!)


Der zweite Punkt. Gerade die Erbschaftsteuer wurde
1996 um 40 Prozent erhöht.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer war das?)


– Von uns,

(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Alles klar! Okay!)

im Zuge der Aussetzung der Vermögensteuer.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf Grund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts!)


– Wenn Sie jetzt mit dem Bundesverfassungsgericht ar-
gumentieren, dann muß man sagen: Die Lösung, die wir
da gefunden haben, wird vom Verfassungsgericht als
vernünftig angesehen; der Kollege Thiele hat es zitiert.

Ein weiterer ganz entscheidender Punkt, bezogen auf
die Erbschaftsteuer, ist der Tatbestand, daß in den näch-
sten Jahren etwa 500 000 mittelständische Firmen in
Deutschland vererbt werden müssen. Wahrscheinlich
kennen Sie, Herr Kollege Müller, die Praxis nicht so ge-
nau. Das nehme ich Ihnen nicht übel.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Dreimal Bewertungsabschläge!)


Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks






(B)



(A) (C)



(D)


Wenn Sie wüßten, welche Probleme die Erbschaftsteuer
schon heute unter Liquiditätsgesichtspunkten auslöst!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Eigenkapitalquote der mittelständischen Wirtschaft
ist doch wirklich sehr gering, und Erbschaftsteuer geht
zu Lasten der Eigenkapitalquote.

Mit unserer Kritik stehen wir nicht alleine da. Hier
könnte ich viele zitieren. Das will ich aber aus Zeitgrün-
den nicht tun.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann war da nicht viel!)


Ich will zu einem abschließenden Punkt kommen.
Wir haben nun das Glück, daß sich die Steuereinnahmen
in letzter Zeit erhöht haben. Ich glaube, dies sollte uns
zwingen, den Begriff „Steuererhöhung“ gemeinsam zu
streichen.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur Sie benutzen ihn! Wir reden nicht über Steuererhöhung! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun immer nur Sie!)


Wir sollten uns gemeinsam an eine große Steuerreform
machen, wie es die wissenschaftlichen Institute vor-
schlagen, und zwar eine Steuerreform, bei der wir alle
Steuersätze entscheidend reduzieren,


(Nicolette Kressl [SPD]: Vor allem Spitzensteuersätze!)


damit wir den Weg gehen können, den die Vereinigten
Staaten erfolgreich gegangen sind. Sie haben die Steuern
gesenkt, haben aber bei rückläufigen Steuersätzen höhe-
re Steuereinnahmen gehabt,


(Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks: Aber viel höhere Erbschaftsteuern!)


weil eine Reduzierung der Steuersätze die Investitions-
bereitschaft stärkt und neue Arbeitsplätze schafft.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kollege, kennen Sie die Erbschaftsteuern in den USA?)


Dann kommen automatisch mehr Gelder in die Kasse.
Meine Damen und Herren, bei der aktuellen Steuer-

diskussion sind weniger Buchhalter gefragt, sondern
Leute, die etwas von gesamtwirtschaftlichen Zusam-
menhängen verstehen. Darüber sollte man einmal nach-
denken.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Leisler Kiep!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406927700
Das Wort hat nun
die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406927800

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich kann

nur sagen: Ich stimme völlig mit der Einschätzung des
Herrn Kollegen Poß überein, der sehr schön dargelegt
hat, wie Sie uns hier jede Woche – auch vergangene
Woche hatten wir das – mit Themen beschäftigen, die
man nur als ungelegte Eier bezeichnen kann, um von Ih-
rer eigenen Unfähigkeit, eine gescheite Oppositionspo-
litik zu machen, abzulenken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Tataa, tataa, tataa!)


Schade ist nur, daß dies im Grundsatz zu nichts ande-
rem führt, als daß wir hier gemeinsam – es ist leider so –
in gewisser Weise unsere Zeit verschwenden. Hinzu
kommt – das ist besonders fatal –, daß einer Verunsiche-
rung in der Öffentlichkeit das Wort geredet wird, ohne
daß irgendein konkreter Vorschlag oder ein Gesetzes-
vorhaben hier auf dem Tisch liegen würde.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Es wird doch permanent etwas vorgeschlagen! Von Larcher zum Beispiel! Jeden Tag etwas Neues!)


Ich kann Ihnen klipp und klar sagen: Wenn Sie sich
dieses Themas bemächtigen, dann sollten Sie auch den
Sachstand berücksichtigen. Der Sachstand ist, daß wir,
nachdem wir den Koalitionsvertrag geschlossen haben –
es gibt ihn nicht erst seit gestern –, eine Kommission
eingesetzt haben, die den gesamten Sachkomplex der
Belastung von Vermögen und Vermögenswerten prüft.
Es handelt sich um eine Kommission, die aus Vertretern
des Bundes und der Länder zusammengesetzt ist.

Wir warten natürlich die Ergebnisse dieser Arbeits-
gruppe ab – das wurde auch von der Frau Staatssekretä-
rin gesagt –, um überhaupt eine Grundlage für eine se-
riöse Diskussion zu haben. Alles andere – beispielsweise
das, was Sie heute geäußert haben – kann man nur in
den Bereich der Spekulationen verweisen. Leider – man
denke an die Zeit, die wir damit verbringen – steckt
mehr nicht dahinter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Herr Kollege Otto Bernhardt hat gerade ange-
sprochen, daß man bereits 1996 eine Änderung der Erb-
schaftsteuer vorgenommen hat. Dies ist richtig. Man hat
eine Änderung vorgenommen, weil es damals vom Bun-
desverfassungsgericht Vorlagen zur Neubewertung ge-
geben hat. Diese Vorlagen haben unter anderem dazu
geführt, daß man zum einen die Erhebung der Vermö-
gensteuer hat ruhenlassen und daß man zum anderen bei
der Erbschaftsteuer verfassungskonforme Regelungen
finden mußte.

Es gibt unterschiedliche Bewertungen, die daraufhin
geprüft werden, inwieweit die Verfassungskonformität
für die Zukunft gesichert ist. Die Präsidentin des Bun-
desverfassungsgerichtes, Frau Jutta Limbach, hat sich
erst vor kurzer Zeit öffentlich geäußert, sie könne nicht
ausschließen, daß sich das höchste deutsche Gericht er-
neut in die Diskussion um die Erbschaftsteuer einschal-
ten könnte. Dabei gehe es um die Tatsache, daß Immo-

Otto Bernhardt






(A) (C)



(B) (D)


bilien bei der Steuer mit durchschnittlich 60 Prozent ih-
res Marktwertes noch immer wesentlich günstiger als
Geldvermögen bewertet werden. Ich zitiere aus einer
Agenturmeldung:

Limbach sagte dem Wirtschaftsblatt handwerk ma-
gazin, „das Gericht habe auch in den vorangegan-
genen Beschlüssen zur Erbschaft- und Vermö-
gensteuer seine Kontrollfunktion ausgeübt. Dabei
sei es so gewesen, dass die Verfassungswidrigkeit
schon die Spatzen von den Dächern pfiffen.“

(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU versteht das nur nicht!)


Ich sage das nur deswegen, weil hier immer wieder so
ein Popanz aufgebaut wird, als ob man Pläne hätte. Es
gibt lediglich Diskussionen zu den Bewertungsfragen,
die unter Beteiligung der Länder inhaltlich fundiert vor-
bereitet werden. Wie auch Sie wissen, handelt es sich
um eine Ländersteuer. Wenn es überhaupt zu einer
Vorlage kommt, dann wird sie von den Ländern einge-
bracht werden.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: In den Bundestag?)


– In den Bundesrat natürlich. Wohin denn sonst?

(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das frage ich mich auch!)

Gerade die F.D.P. stellt sich immer als Steuersen-

kungspartei hin. Ich möchte daran erinnern, daß man,
wenn man die letzten Jahre Ihrer Regierungsbeteiligung
Revue passieren läßt, feststellt, daß die Sozialabgaben
drastisch erhöht wurden – das ist besonders für die Ar-
beitgeber, aber auch für die Arbeitnehmer und Arbeit-
nehmerinnen ein Riesenproblem –,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


daß man die Mehrwertsteuer erhöht hat, und zwar meh-
rere Male, daß die Mineralölsteuer erhöht worden ist,


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Immer mit Zustimmung der SPD-geführten Länder!)


daß die Grunderwerbsteuer erhöht worden ist und daß
Änderungen an den Erbschaftsteuerregelungen vorge-
nommen worden sind – all das zu Lasten der Bürger und
Bürgerinnen, die nach 16 Jahren Regierungsbeteiligung
unter dem Strich eine noch nie dagewesene Belastung
durch Steuern und Abgaben ertragen mußten.


(Beifall des Abg. Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben bereits in diesem Jahr mit viel Mühe und
mit sehr guten Wirkungen angefangen, diese Steuer- und
Abgabenbelastung zu senken. Wir haben den Trend um-
gedreht. Ganz konkret: Die Steuerbelastung und auch
die Abgabenbelastung sinken unter Rotgrün beständig.
Dagegen können Sie nichts haben – oder?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406927900
Das Wort hat jetzt
der Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-Fraktion.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1406928000
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Seit die F.D.P. nicht
mehr an der Regierung ist, redet sie gerne und häufig
über Steuern.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Vorher auch!)

Es wäre viel schöner gewesen, Herr Kollege Thiele,
wenn Sie in der Zeit, als Sie Mitverantwortung für die
Politik des Bundes getragen haben, gehandelt hätten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – CarlLudwig Thiele [F.D.P.]: Haben wir!)


Das, was Sie im Bereich der Steuern getan haben, hing
damals allerdings kaum mit dem zusammen, was Sie
damals gerne gesagt haben. Sie haben auch damals, al-
lerdings nicht so häufig wie heute, über Steuersenkun-
gen gesprochen,


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Richtig!)

aber tatsächlich haben Sie das krasse Gegenteil gemacht.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Nein!)

Ein ganzes Dutzend von Steuererhöhungen haben Sie in
den letzten 16 Jahren beschlossen.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das schaffen Sie in einem Jahr!)


Die erste Regierung seit langem, die es schafft, Haus-
haltskonsolidierung und Senkung von Steuern- und Ab-
gabenlast durchzusetzen, ist die Regierung Gerhard
Schröder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Verschiebebahnhof! Luftbuchungen!)


Ich darf das vielleicht wiederholen: Wir haben mit dem
Steuerentlastungsgesetz, das im Frühjahr verabschiedet
wurde,


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das haben Sie ja schon vorgetragen!)


– Sie wollen es ja offenbar nicht wahrnehmen, aber das
steht im Gesetzblatt –,


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Lernen lebt von der Wiederholung!)


die Anhebung des Grundfreibetrages in drei Stufen, die
Senkung des Eingangssteuersatzes und sogar – ich hof-
fe, daß Sie sich doch wenigstens darüber ein wenig freu-
en können – die Senkung des Spitzensteuersatzes be-
schlossen. Sie haben früher gerne davon geredet, es aber
nicht gemacht.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Weil Sie es verhindert haben! – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Petersberger Beschlüsse!)


Christine Scheel






(B)



(A) (C)



(D)


– Ach, Petersberg! Die Petersberger Beschlüsse sind ein
hervorragendes Beispiel. Ich möchte Ihnen jetzt einmal
sagen, was darin stand: Zum Beispiel sollten 50 Prozent
der Rente besteuert werden,


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das ist doch dummes Zeug!)


statt nur der Ertragsanteil, der heute normalerweise bei
knapp einem Drittel liegt.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Herr Spiller, Sie haben doch so viel Intelligenz, daß Sie lesen können!)


– Das stand alles in den Petersberger Beschlüssen. – Das
Arbeitslosengeld sollte zur Hälfte besteuert werden.
Auch das wollten Sie machen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Ja, aber sicher. Schauen Sie gelegentlich doch einmal
in Ihre eigenen alten Papiere.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Machen wir miteinander eine Lesestunde!)


Ich kann es ja verstehen, daß Sie mitunter – das
Stichwort Neid wurde ja schon genannt – neidisch
sind, daß es dieser Regierung und dieser Koalition ge-
lingt, die Steuern zu senken und den Haushalt zu kon-
solidieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Man merkt, heute ist der 11. 11.!)


Haushaltskonsolidierung und F.D.P. sind ja zwei Be-
griffe, die eigentlich gar nicht zusammenpassen. Lieber
Herr Kollege Thiele, wir alle erinnern uns noch, daß
Graf Lambsdorff in der vorigen Wahlperiode mit Blick
auf den damaligen Bundesfinanzminister Waigel mal
freundlich, mal zornig von der Notwendigkeit eines
Haushaltsstrukturgesetzes sprach. Es blieb allerdings bei
den Ankündigungen. Umgesetzt haben Sie das nie. Es
gab nur einen einzigen Beitrag, den die F.D.P. in der vo-
rigen Wahlperiode zur Konsolidierung der Bundesfinan-
zen geleistet hat.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Sie werden doch die Leistungen von Lambsdorff nicht schmälern wollen! – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Deutschland haben wir aufgebaut!)


Es zeugte von einem sehr sympathischen Desinteresse
an Geld, daß Ihr Bundesschatzmeister, Herr Solms, da-
mals aus Schludrigkeit versäumte, bei der Frau Präsi-
dentin die der F.D.P. zustehenden Gelder zu beantragen.
Das hat ein bißchen zur Konsolidierung der öffentlichen
Haushalte beigetragen.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Was hat das mit Erbschaftsteuer zu tun?)


Allerdings war die Wirkung nicht nachhaltig, Herr Kol-
lege Thiele.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das ist falsch!)


Bezüglich der Erbschaftsteuer – es wurde ja schon
gesagt, daß sie von Ihnen auch erhöht wurde – kann ich
Sie in einem Punkt vielleicht doch noch beruhigen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Sagen Sie die Wahrheit!)


Wir werden mit Sicherheit nicht, Herr Kollege Thiele,
danach fragen, ob es vielleicht nicht angemessen wäre,
diejenigen Erben, die schlecht mit ihrem Erbe umgegan-
gen sind, im nachhinein höher zu besteuern. Denn das
ginge ja eindeutig zu Lasten der F.D.P. Was Sie mit dem
politisch organisierten Liberalismus in Deutschland ge-
macht haben, ist ein Jammer. Das hat gar nichts mehr
mit Fortschritt und Freisinn zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Aber was Sie mit der Sozialdemokratie gemacht haben!)


Da Sie sehr großzügig mit dem Begriff der Aktualität
einer Debatte umgehen – das hat die Debatte gezeigt –,
biete ich Ihnen ein wenig Hilfe an: Wenn Sie wieder
einmal eine steuerpolitische Debatte lostreten wollen, so
können Sie doch einmal über Steuern reden, die gar
nicht mehr erhoben werden.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406928100
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an die Redezeit.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1406928200
Hier bietet sich insbeson-
dere an – das soll die letzte Bemerkung sein –: die
Wechselsteuer, die Spielkartensteuer oder für Sie spezi-
ell die Essigsäuresteuer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unvermögensteuer!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406928300
Jetzt hat der Kollege
Hansgeorg Hauser, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1406928400

Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren!
Wir haben uns mit den Plänen der Koalition zur Erhö-
hung der Erbschaftsteuer schon öfter beschäftigt.
Manchmal hatte diese Diskussion einen anderen Namen.
Damals haben wir uns mit der Vermögensteuer beschäf-
tigt.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist etwas anderes! – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Erbschaftsteuer auch!)


Jörg-Otto Spiller






(A) (C)



(B) (D)


Aber weil sie den Ländern zusteht, hat man eine Ver-
mögensabgabe konstruiert. Alles wurde von seiten der
Regierung abgestritten. Das haben wir heute wieder her-
vorragend erlebt. Es heißt dann immer, alles wäre nur in
der Phantasie der Opposition. Kaum war die Debatte im
Plenum beendet, ging der Streit zwischen den Gerech-
tigkeitsaposteln und den Modernisierern, den Marschie-
rern auf den alten Trampelpfaden und den Suchenden,
die sich schon auf dem „dritten Weg“ zur neuen Mitte
befanden, weiter. Einig waren sie sich aber im Bemü-
hen, wie man den Reichen vors Schienbein treten kann.
Nur die Motive unterschieden sich. Während die einen
eine vermeintliche Gerechtigkeitslücke schließen woll-
ten, ging es den anderen um Befriedung und Machter-
halt. Die sich widersprechenden Schlagzeilen, zum Teil
vom gleichen Tag, spiegeln dieses Chaos wider. In der
„Welt“ vom 8. November 1999 steht:

SPD will die Erbschaftsteuer erhöhen.
Mit dem Untertitel:

Neue Pläne zur Besänftigung der Parteilinken.
Am gleichen Tag titelt die „FAZ“:

Bund will Erbschaftsteuer in diesem Jahr nicht
mehr erhöhen.

Das BMF will die Entscheidung also nicht vor Jahresen-
de treffen. Also, irgendwie muß da doch etwas sein.

Es ist kein Wunder, daß die Bürger erzürnt sind über
das rotgrüne Steuerwirrwarr und der Steuerpolitik
schlechte Noten erteilen. Der Vorwurf der „Süddeut-
schen Zeitung“ vom 8. November trifft den Nagel auf
den Kopf, wenn festgestellt wird, daß Rotgrün sich mit
Symbolpolitik verzettele, anstatt die wahren Probleme
zu lösen. Hier wird geschrieben:

Symbolpolitiker verkaufen eine Tüte Peanuts als
Erdnußfarm. Mit mehr sozialer Gerechtigkeit hat
das alles nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es wäre vor allem an der Zeit, daß der Finanzminister
dazu ein klärendes Wort spricht, zu dem er aber auch
länger als ein paar Tage steht. Vom Kanzler wäre eine
solche Erklärung zuviel verlangt, da er bekanntlich wie
ein Chamäleon je nach Publikum die unterschiedlichsten
Versprechungen macht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Daß es in dieser Legislaturperiode keine Steuererhöhun-
gen geben soll, glaubt ihm schon längst niemand mehr.
So entscheidet dann der eine nach der Kassenlage und
der andere nach der Parteilage. Mit dem Grundprinzip
einer soliden Steuerpolitik hat so etwas nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hier sind Verläßlichkeit, Berechenbarkeit und Planbar-
keit gefragt, damit sich die Unternehmen und Steuer-
zahler entsprechend darauf einstellen können.


(Detlev von Larcher [SPD]: Wie zu Ihrer Zeit!)


Eine Zeitlang schien es, liebe Frau Scheel, daß sich
die Grünen gegen die Erhöhung den Erbschaftsteuer
oder die Wiedereinführung der Vermögensteuer aus-
sprachen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Haben wir auch am Dienstag beschlossen! Die Vermögensteuer wird nicht eingeführt!)


Die Farbenlehre schien etwas verdreht zu sein. Die Ro-
ten waren grün vor Neid und die Grünen rot vor Wut.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber gegen ein kleines Entgegenkommen scheinen sie
nunmehr bereit zu sein, den steuerpolitischen Sündenfall
mitzumachen, nach dem Motto: Wer ein bißchen stiftet,
soll einen entsprechenden Ablaß bekommen.

Ich will nicht auf die Geschichte der letzen Erb-
schaftsteuerreform eingehen. Sie alle wissen, daß im
Vermittlungsausschuß eine ganze Reihe von Entschei-
dungen getroffen wurden, die wir so nicht wollten, aber
hinnehmen mußten.

Lassen Sie mich folgendes sagen: Sie erreichen mit
solchen Debatten nichts. Eine Schröpfung der wirklich
Reichen, wie es die Linken immer wieder fordern, wer-
den Sie in dieser Form sowieso nicht erreichen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben die Debatte heute nicht auf die Tagesordnung gesetzt!)


Erstens zahlen die Reichen ihre Steuern genauso wie
die anderen Gruppen. Zweitens gibt es gerade bei der
Erbschaftsteuer einige Regelungen, die die großen Ver-
mögen so nicht erfassen. Herr Ondracek hat es richtig
ausgedrückt, als er gesagt hat: Viel Ärger und wenig
Ertrag.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die kleinen Vermögen sollen ausgenommen werden,

wobei sich die Streitfrage stellt, welche Grenzen gezo-
gen werden sollen. Dazu hat Ondracek ganz nüchtern
gesagt, es sei pure Ideologie und widerspreche dem
Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn man willkürli-
che Grenzen ziehen würde.

Bezüglich des Betriebsvermögens sind wir uns alle
einig, daß es nicht stärker belastet werden sollte. Also
kann der Fiskus in diesem Bereich nichts gewinnen. Üb-
rig bleibt das Immobilienvermögen des Mittelstandes.
Genau in diesem Bereich greifen Sie zu. Bei den Großen
und auch bei den Kleinen – darin sind wir uns einig – ist
nämlich nichts zu holen. Der Mittelstand soll zusätzlich
belastet werden.

Diese Diskussion wird immer unter dem Gesichts-
punkt der Gerechtigkeit geführt. In Wahrheit geht es um
pure Ideologie und um Neidkomplexe.


(Beifall des Abg. Heinz Seiffert [CDU/CSU])

Der „leistungslose Reichtum“ soll erfaßt werden, wie es
im Leitantrag zum nächsten SPD-Parteitag heißt. Ich

Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)







(B)



(A) (C)



(D)


kann verstehen, daß sich Herr Scharping um die Zu-
kunftsfähigkeit der SPD große Sorgen macht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Eine solche Umverteilung ist purer Sozialismus und

widerspricht den Grundsätzen einer sozialen Marktwirt-
schaft. Wir bekennen uns zur Sozialbindung des Eigen-
tums. Wenn diese aber zu einer Überbesteuerung und zu
einer Schröpfung der Bürger führt, dann werden wir uns
entschieden dagegen wehren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1406928500
Nun hat die Kollegin
Nicolette Kressl, SPD-Fraktion, das Wort.


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1406928600
Frau Präsidentin! Sehr ge-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu einer einigermaßen
redlichen Debatte hätte heute gehört, daß zum Beispiel
Sie, Herr Hauser, nicht folgendes tun: Sie zitieren eine
Überschrift aus einer Zeitung und unterstellen damit –
das war in mehreren Aktuellen Stunden der Fall –, daß
es sich um einen Beschluß der SPD handele.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Der Text wäre für Sie noch peinlicher geworden!)


Redlichkeit würde mehr Sachlichkeit verlangen. Ich er-
warte, daß Sie in Aktuellen Stunden dementsprechend
handeln und nicht so, wie Sie das schon in mehreren
Aktuellen Stunden getan haben, indem Sie einfach nur
Nebelkerzen geworfen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Joachim Hörster [CDU/ CSU]: Nicht soviel Moralin! Denken Sie einmal an die 1,5 Billionen!)


Ich kann allerdings ganz gut verstehen, daß Sie allen
Grund dazu haben, in Aktuellen Stunden einige Neben-
kerzen zu werfen. Einer der Gründe ist, daß Sie immer
wieder versuchen müssen – Sie versuchen es aber nur –,
darüber hinwegzutäuschen, daß wir in Wirklichkeit –
zum Beispiel mit dem Steuerentlastungsgesetz – massi-
ve Steuerentlastungen durchgesetzt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Keiner hat es gemerkt!)


Ich gehe davon aus, Sie sind noch in der Lage – auch
Sie, Herr Seifert –, ein Finanztableau zu lesen. In dem
Finanztableau zum Steuerentlastungsgesetz können Sie
nachlesen, daß es in diesem Bereich Steuerentlastungen
in Höhe von 20 Milliarden DM netto gegeben hat. Das
sind Tatsachen, die Sie nicht leugnen können. Sie kön-
nen auch nicht leugnen, daß wir zusätzlich zu diesen
Steuerentlastungen von 20 Milliarden DM weitere
6 Milliarden DM Entlastungen durch das Familienentla-
stungsgesetz durchgesetzt haben. Davon entfallen übri-
gens 900 Millionen DM auf Entlastungen, die wir nach-

träglich einführen mußten, weil über viele Jahre zu nied-
rige Freibeträge galten.


(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: So ist es!)


Angesichts der uns von Ihnen hinterlassenen Lasten,
die wir jetzt ausbügeln müssen und die uns im nächsten
Jahr 1 Milliarde DM kosten, sollten Sie eigentlich sehr
vorsichtig mit Ihren Vorwürfen von zu hohen Steuern
sein. Das ist einer der Gründe, warum Sie nichts anderes
können, als Nebelkerzen zu werfen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben nämlich erkannt, daß es dringend notwen-

dig ist, nicht nur auf Grund der Haushaltssituation, die
Sie uns hinterlassen haben, sondern auch auf Grund der
Steuer- und Abgabenbelastung, die Sie nicht uns, aber
allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hinterlas-
sen haben, ein Steuerentlastungsgesetz zu machen, das
die Schwerpunkte auf die Entlastung der unteren und
mittleren Einkommen legt.

Daß Sie sich nicht um diese Schwerpunkte geküm-
mert haben, kann ich gut nachvollziehen. Aber für uns
war es wichtig zu sagen: Für uns haben die Erhöhung
des Grundfreibetrags und die Senkung des Einkom-
mensteuersatzes Priorität, wodurch die unteren und
mittleren Einkommen entlastet werden, sowie die Erhö-
hung des Kindergeldes, was in vielen Bereichen eben-
falls die Förderung derjenigen bedeutet, die keine hohen
Einkommen haben, so daß Steuerfreibeträge wirken
können.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Zu Lasten des Arbeitsmarktes!)


Ich will noch einen zweiten Grund nennen, warum
Sie es anscheinend nötig haben, in Aktuellen Stunden
ständig Nebelkerzen zu werfen.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Offensichtlich müssen Sie jetzt – und auch morgen,
wenn wir wieder darüber reden – davon ablenken, daß
Sie nichts anderes getan haben, als in der letzten Woche
im Finanzausschuß alle Anträge zu stellen, deren Um-
setzung dafür sorgen würde, daß sämtliche Steuer-
schlupflöcher wieder geöffnet werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wissen Sie, was das bedeutet? Das bedeutet indirekt ei-
ne Steuererhöhung für untere und mittlere Einkommen,
weil die Bezieher dieser Einkommen, die nicht die
Möglichkeit haben, diese Steuerschlupflöcher zu nutzen,
dadurch letztendlich mit höheren Steuern belastet wer-
den. Auch das ist ein Grund dafür, daß Sie hier nicht
über Tatsachen reden können, sondern eine Nebelkerze
nach der anderen werfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)







(A) (C)



(B) (D)


Sie versuchen, den Vorgang, daß sich eine Sachver-
ständigenkommission mit der Bewertung von Fakten be-
schäftigt und die Vorbereitungen dafür trifft, daß wir
Entscheidungen fällen können – was ich für völlig nor-
mal halte –, aufzuplustern bis hin zu Unterstellungen,
wir hätten schon irgendwelche Beschlüsse gefaßt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das sind die Wunderkerzen!)


– Nein, unsere Wunderkerze habe ich Ihnen schon vor-
gestellt: 20 Milliarden DM Nettoentlastung. Das haben
Sie nie geschafft. Ich kann mir gut vorstellen, daß Sie
sich wünschen, Sie könnten das auch.

Ich will Ihnen noch eines sagen. Bei Ihrem Versuch,
sämtliche Steuerschlupflöcher wieder zu öffnen, stellen
Sie nicht die Frage in den Mittelpunkt, welche Schultern
in der Gesellschaft welche Lasten tragen können. Aber
Sie können sich einer Sache ganz sicher sein: Wir lassen
uns durch keine Aktuelle Stunde davon abbringen, daß
diese Prinzipien für uns entscheidend sind und daß wir
uns bei jeder Form der Steuerpolitik von diesen Prinzi-
pien leiten lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406928700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans Michelbach.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1406928800
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute
wieder eine typisch rotgrüne Steuererhöhungsdebatte
erlebt, die ein verlorenes Jahr in der Steuerpolitik insge-
samt dokumentiert. Seit Wochen betreibt die rotgrüne
Regierungskoalition im Zusammenhang mit Steuererhö-
hungen, wie heute morgen bei der Ökosteuer, Gespen-
sterdebatten und Versteckspiele.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie reden wider besseres Wissen!)


Wir werfen keine Nebelkerzen, Frau Kressl, aber Sie
sind in der Steuerpolitik umnebelt!


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Würden Sie mal eine andere Diskette einlegen, Herr Michelbach?)


Ich kann Ihnen deutlich sagen: Es gibt keine denkbare
Art von Steuererhöhungen, die Sie in den letzten Wo-
chen und Monaten hier nicht debattiert hätten. Sie leug-
nen nun wieder Ihre Beschlüsse, die ich heute in der
„Süddeutschen Zeitung“ lese. „Associated Press“
schreibt:

Die Grünen-Bundestagsfraktion hat ihre finanzpo-
litischen Leitlinien verabschiedet … In dem Be-
schluß sprachen sich die Grünen dafür aus, hohe
Privatvermögen stärker als bisher zur Finanzierung
staatlicher Aufgaben heranzuziehen. Die Chance
für eine „gerechtere Regelung“ biete indes eine Re-

form der Erbschaftsteuer, die zu stärkeren Einnah-
men bei hohen Erbschaften führe.

Das haben Sie beschlossen!

(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie weiter, Herr Michelbach!)


Geben Sie es doch zu! Sie müssen zu dem stehen, was
Sie beschlossen haben.

Frau Hendricks sagt: Wir sind verläßlich. – Bei Steu-
ererhöhungen sind Sie verläßlich, das ist richtig!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Verunsicherungen der Steuerzahler haben bereits

schwere Schäden verursacht. Es gibt keine Aufhellung
der Lage durch Steuersenkungen und keine Klarheit für
mehr Wachstum und Beschäftigung. Statt dessen führt
Rotgrün Steuererhöhungen durch, trotz der Tatsache,
daß der deutsche Steuerzahler 1999 50 Milliarden DM
und bis 2002 123,4 Milliarden DM mehr Steuern zahlen
muß.

Hinzu kommt die Ökosteuer bzw. deren Erhöhungen
bis zum Jahre 2003. Wissen Sie überhaupt, was Sie an-
stellen? Bis zum Jahre 2003 verlangen Sie den deut-
schen Steuerzahlern im Rahmen der Ökosteuer
110,2 Milliarden DM ab. Das sind die Tatsachen, die
man heute deutlich nennen muß.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Damit senken wir die Lohnnebenkosten, die Sie immer erhöht haben!)


Sie bewirken auf der Basis rotgrüner Ideologie ein
Steuermartyrium


(Lachen bei der SPD)

zu Lasten von Verbrauchern und Wirtschaft in
Deutschland. Sie drehen immer weiter an den Steuer-
folterwerkzeugen.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum ersten Mal senken wir die Belastung!)


Ich kann Ihnen deutlich sagen: Sie haben in den letz-
ten Tagen im Rahmen des Steuerbereinigungsgesetzes
schon die Erbschaftsteuer erhöht. Morgen verabschieden
Sie es. Vom Finanzausschuß wurde es bereits beschlos-
sen. Sie wissen anscheinend gar nicht, welche Auswir-
kungen das Steuerbereinigungsgesetz hat.


(Nicolette Kressl [SPD]: Schlupflöcher!)

Schulden können nicht mehr anteilig berücksichtigt
werden. Die bisher erfolgte Anrechnung der Jahresmiete
nach dem Durchschnitt der letzten drei Jahre wird auf
ein Jahr gekürzt. Das sind für die Betroffenen klare
Steuererhöhungen im Bereich der Erbschaftsteuer.
Nichts anderes ist der Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Eine nächste Erhöhung erfolgt über den Kommissi-

onsweg, nach dem Prinzip: Wenn ich bei den Steuern

Nicolette Kressl






(B)



(A) (C)



(D)


nicht mehr weiter weiß, dann gründe ich einen Erhö-
hungsarbeitskreis. Das tun Sie im Rahmen Ihrer neu
eingesetzten Bewertungskommission.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war kreativ!)


Weiterhin erfolgen beim Grundbesitz eine Erhöhung
der steuerlichen Bemessungsgrundlage von 50 auf
80 Prozent des Verkehrswertes, eine Steuererhöhung
durch Abschaffung der Ertragswertmethode und die Ein-
führung eines sogenannten automationsgerechten Berli-
ner Verfahrens, eines Sachwertverfahrens also, das auf
der Basis von Substanz- und Scheingewinnbesteuerung
ein Abkassiermodell ist. Dies ist ein Einfallstor für Er-
höhungen bei der Grundsteuer, der Erbschaftsteuer und
der Vermögensteuer. Das ist die Situation, die Sie mit
diesem Arbeitskreis, mit dieser Kommission hervorru-
fen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Auswirkungen sind: weniger Investitionen, ein

geringeres Wohnraumangebot und damit höhere Mieten,
weniger Eigenkapital und damit weniger Mittelstand,
weniger Betriebsvermögen und Betriebsübernahmen
sowie eine geringere Modernisierung der Objekte. Das
geht zu Lasten unseres Standortes Deutschland, zu La-
sten unserer Arbeitsplätze. Das haben Sie mit Ihrer
Steuerpolitik zu verantworten. Geben Sie endlich zu,
daß Sie die Steuererhöhungskoalition sind!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keine Ahnung!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406928900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Reinhard Schultz.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1406929000
Sehr ge-
ehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
muß feststellen, daß mich die soeben vorgetragene „Mi-
chelbach-Passion“ wirklich tief beeindruckt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Insbesondere daß von einem Einfallstor gesprochen
worden ist, hat mich beeindruckt. Der kreative und frei-
händige Umgang mit 20 Textmodulen, die Ihnen in sol-
chen Debatten zur Verfügung stehen, macht mich gera-
dezu baff.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf: Es waren nur zehn!)


– Das kann natürlich sein. Diese zehn wurden durch
Kreativität überhöht. Aber das macht ja die Kunst aus.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Bei Ihnen scheint sie schon zu Ende zu sein!)


Wenn heute nicht Hoppeditzerwachen wäre, müßte
man auf die Idee kommen, daß demnächst prophylak-

tisch jeder Pressespiegel mit einer Drucksachennummer
versehen wird, damit man je nach Belieben zu jedem
beliebigen Thema und allem, was in dieser Gesellschaft
passiert, eine Debatte auf die Tagesordnung setzen kann.
Das alles ist legitim. Ob es etwas nützt, weiß ich nicht.


(Zurufe von der CDU/CSU)

Herr Michelbach und Frau Wülfing, daß genauso wie zu
Ihren Zeiten zu unseren Zeiten konzeptionelle Diskus-
sionen darüber stattfinden, auf welchen Bemessungs-
grundlagen Steuern erhoben werden, ob etwas verfas-
sungsgemäß ist oder nicht, ist das tägliche Brot von
Steuerpolitik und von Steueradministration. Wenn sich
der Bund und alle Länder gemeinsam mit der Frage be-
schäftigen, ob die Bewertung von Grundvermögen heute
noch verfassungsgemäß ist, dann ist das zumindest fairer
und offener als der Umstand, wie es durch einen Ge-
heimbund zu den Petersberger Beschlüssen kam. Seiner-
zeit wurden die SPD-geführten Länder ausgeschlossen.
Damit wurde provoziert, nichts zu erreichen.

Wir gehen mit offenem Visier an die Sache heran.
Deswegen bekommen Sie auch soviel davon mit und
können solche Debatten auf die Tagesordnung setzen.
Ich denke aber, diese Vorgehensweise ist vernünftiger.
Sie ist transparent und nachvollziehbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Ergebnis ist doch nicht allein durch die Tatsache
vorprogrammiert, daß man sich mit einem Thema be-
faßt. Selbst wenn die Bemessungsgrundlage verbreitert
würde, hieße dies noch lange nicht, daß automatisch
stärker besteuert würde und daß dies jeden träfe. Es
könnte auch sein, daß sich für den einen oder anderen,
für eine bestimmte Personengruppe, auf Grund von
Freibeträgen keine zusätzliche Steuerschuld einstellt.
Das muß offen diskutiert werden.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das ist eine neue Nebelkerze!)


Ich persönlich – und ich befasse mich wirklich da-
mit – lege mich nicht auf ein mögliches Ergebnis fest.
Ich weiß nur – da gebe ich Ihnen recht, vor allen Dingen
Herrn Thiele und Frau Frick –, daß ein Verhältnis zwi-
schen der Besteuerung von Erwerbseinkommen, also der
laufenden Einkünfte, und der Besteuerung von Vermö-
gen besteht und daß steuerlich nicht so zugeschlagen
werden kann, daß die Leistungsbereitschaft erstickt bzw.
das Recht auf Eigentum ad absurdum geführt wird. Man
muß immer die Folgen im Auge haben.

Wenn wir im Gegensatz zu Ihnen auf breiter Front bis
zum Jahr 2002 die Steuerbelastung um 40 Milliarden
DM senken, dann gibt es natürlich für Überlegungen,
am Vermögen steuerlich etwas stärker anzusetzen, mehr
Luft als in einer Situation der hohen Besteuerung von
Erwerbseinkommen. Dann kann man möglicherweise
nur noch zu dem Ergebnis kommen, daß man bei der
Besteuerung der Vermögen nicht groß etwas machen
kann. Diese Symmetrie wissen wir zu beachten.

Ich wundere mich, daß diese Diskussion vor dem
Hintergrund geführt wird, daß sowohl CDU/CSU als

Hans Michelbach






(A) (C)



(B) (D)


auch F.D.P. versucht haben, in den Debatten der letzten
Wochen im Finanzausschuß, als es um das Steuerberei-
nigungsgesetz ging, die Schlachten der Vergangenheit
erneut zu schlagen und jedes Steuerschlupfloch, das wir
mühsam geschlossen haben, wieder aufzureißen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie betreiben eine reine Klientelpolitik. Sie lassen jede
Bemessungsgrundlage verfallen und lassen zu, daß jeder
Steuerschuldner, wenn er nur ein hinreichend hohes
Einkommen hat, seine Steuerschuld selbst festsetzen
kann. Das war die Situation am Ende Ihrer Regierungs-
zeit. Die veranlagte Einkommensteuer war zu einer
Marginalgröße geworden, so daß sich kaum noch die
Erhebung der Steuer gelohnt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das war das Ergebnis Ihrer Steuerpolitik. Damit haben
wir aufgeräumt.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Abgeräumt habt ihr, nicht aufgeräumt!)


Wir sind in der Lage, die Steuersätze zu senken, weil
wir die Bemessungsgrundlage auf der gesamten Linie
erhöht haben. Wir sind überzeugt davon, daß diese Poli-
tik, also die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
und die Senkung der Steuersätze, dazu führen wird, daß
sich die Einnahmen stabilisieren. Das ist teilweise sogar
schon zu sehen.

Sie nennen immer Beispiele für eine Vermögensbe-
steuerung, sagen aber gleichzeitig, wir sollten eine Steu-
erpolitik betreiben, wie es in den USA geschieht. Wenn
wir eine solche Steuerpolitik betreiben würden –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406929100
Herr Kollege,
Sie können das leider nicht mehr ausführlich darlegen.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1406929200
– bezüglich
der Erwerbseinkommen und der Erbschaften, dann
müßten wir im Schnitt 80 bis 86 Prozent aller vererbten
Vermögen belasten und darüber hinaus auch noch die
bestehenden Vermögen. Das ist implizit Ihre Empfeh-
lung, wenn Sie das Beispiel USA anführen. Das haben
wir wirklich nicht vor.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406929300
Damit ist die
Aktuelle Stunde beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.
Guido Westerwelle, Günther Friedrich Nolting,
Hildebrecht Braun (Augsburg), weiteren Abge-
ordneten und der Fraktion der F.D.P. einge-

brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Grundgesetzes (Artikel 12 a)

– Drucksache 14/1728 (neu)
Überweisungsvorschlag:

(federführend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Kein Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Ina Lenke. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat einen Entwurf zur Änderung von Art. 12 a des Grundgesetzes eingebracht. Damit soll Frauen endlich der Weg für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr geebnet werden. Dies fordert die F.D.P. seit Jahren. Denn eines der letzten geschlechtsspezifischen Berufsverbote betrifft den gleichberechtigten Zugang von Frauen zur Bundeswehr. Das Grundgesetz schreibt vor, daß Frauen auf gar keinen Fall den Dienst mit der Waffe leisten dürfen. Dadurch wird Frauen – so meinen wir – der freiwillige Zugang zu allen Bereichen der Bundeswehr versperrt. Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland haben sich allerdings in den fünf Jahrzehnten so verändert, daß die Aufrechterhaltung dieses Berufsverbots in keiner Weise gerechtfertigt ist. Die F.D.P.-Fraktion ist zwar der Auffassung, daß mehr Gründe für die bereits jetzt bestehende verfassungsrechtliche Zulässigkeit des freiwilligen Wehrdienstes von Frauen in der Bundeswehr mit der Waffe sprechen als dagegen; die herrschende Meinung im juristischen Schrifttum lautet aber, daß das Grundgesetz nicht nur die Zwangsverpflichtung, sondern auch den freiwilligen Dienst von Frauen mit der Waffe verbietet. Nach intensiven Beratungen in der Fraktion sehen wir daher nur den Weg zu einer Änderung des Grundgesetzes. Die Frage, ob die Wehrpflicht für Frauen eingeführt werden könnte oder sollte, hat nur mittelbare Bedeutung für die Einführung eines freiwilligen Wehrdienstes für Frauen. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes liegt nicht vor, wenn Männer der Wehrpflicht unterliegen und Frauen nur dem freiwilligen Wehrdienst. Unter den NATO-Staaten ist Deutschland darüber hinaus heute das Schlußlicht bei der Öffnung der Streitkräfte für freiwillige weibliche Bewerber. Der Gesetzentwurf der F.D.P.-Bundestagsfraktion führt daher die längst überfällige verfassungsrechtliche, politische und gesellschaftliche Normalität in der Bundesrepublik Deutschland herbei. Art. 3 des Grundgesetzes, der Gleichberechtigungsartikel, hat 1994 eine Erweiterung erfahren. Dort heißt es: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und Reinhard Schultz wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Das ist eine Aufforderung an uns alle, und die F.D.P.Fraktion ist der Ansicht, daß das Verbot der Diskriminierung von Frauen unter den zusätzlichen Aktivierungsartikel fällt. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1406929400




(B)


(A) (C)


(D)


Meine Damen und Herren, es ist wirklich bedauer-
lich, daß erst eine junge Frau vor dem Europäischen
Gerichtshof klagen muß, damit endlich auch hier in
Deutschland die Chance besteht, daß eines der letzten
geschlechtsspezifischen Berufsverbote aufgehoben wird.
Auch wenn die Kritiker nicht verstummen, erweisen
sich alle vorgebrachten Argumente unserer Ansicht nach
nicht als stichhaltig.


(Beifall bei der F.D.P.)

Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, La

Pergola, hat ausdrücklich darauf verwiesen, daß die vor-
gebrachten Argumente der Bundesregierung und beson-
ders die von Verteidigungsminister Scharping lediglich
allgemeine und soziale Erwägungen beinhalten, die kei-
ne Ausnahme vom Gebot der Gleichbehandlung erlau-
ben. Auch die Worte anderer Kritiker sind sehr harsch.
Volker Rühe kann sich keine Frauen in Kampfpanzern
vorstellen, Claire Marienfeld sieht schwangere Soldatin-
nen als Problem an, und Rupert Scholz versteckt seine
antiquierten Vorstellungen unter einem verfassungs-
rechtlichen Deckmäntelchen.

Der Deutsche Bundestag sollte nicht auf mögliche
Urteile des Europäischen Gerichtshofs reagieren müs-
sen, sondern er sollte die Modernisierung unserer Ver-
fassung aktiv betreiben und dieses Berufsverbot endlich
aufheben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Meine Damen und Herren, in einem Jahresbericht der
Jugendoffiziere der Bundeswehr findet sich folgende
Aussage: Das Interesse an der Bundeswehr ist gerade
bei den jungen Frauen stark angestiegen. Wie in den
vergangenen Jahren wird die praktizierte Grundgesetz-
auslegung von ihnen nicht nachvollzogen, da nach ihrer
Auffassung beim Bundesgrenzschutz oder bei der Poli-
zei gleiche Voraussetzungen vorliegen. Sie sehen einen
krassen Verstoß gegen die Gleichberechtigung darin,
daß den Frauen nur ganz wenige Laufbahnen in der
Bundeswehr offenstehen. Zuweilen wird von jungen
Frauen gar von Rechtsbeugung und Frauenfeindlichkeit
gesprochen.

Meine Damen und Herren, die Bundeswehr befindet
sich zudem in einer Phase der Neuorientierung. Sie hat
veränderte Aufgabenstellungen wie die Krisenbekämp-
fung und die Prävention. Die Chance in einer solchen
Phase besteht auch darin, weitreichende Reformen
durchzuführen. Frauen in Führungsfunktionen der Bun-
deswehr: Das wäre ein Signal in die richtige Richtung.


(Beifall bei der F.D.P.)


Der Bundesgrenzschutz und die Länderpolizeien –
wie ich schon sagte – stellen Frauen für den Dienst an
der Waffe ein. Was hier gilt, kann nicht an anderer
Stelle außer Kraft gesetzt werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, der Fall Tanja Kreil vor

dem Europäischen Gerichtshof birgt noch mehr Spreng-
stoff als nur den einer Gleichberechtigungsdebatte. Ich
zweifle nicht daran, daß die Richter entscheiden werden,
daß es gegen europäisches Recht verstößt, Frauen
grundsätzlich vom Waffendienst auszuschließen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wenn dieser Fall einträte, stünde der Urteilsspruch in
eklatantem Widerspruch zum deutschen Grundgesetz.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406929500
Frau Kollegin!


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1406929600
Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, ich komme zum Schluß.


(Hanna Wolf [München] [SPD]: Sie überzieht immer ein bißchen, auch vom Thema her!)


Die Zeit spricht, Frau Wolf, für unseren Antrag. Ich hof-
fe, Sie sehen das auch so.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich meine – trotz der fortgeschrittenen Zeit –, daß dies
sehr wichtig ist.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406929700
Nein, bitte
keine neuen Argumente mehr einführen.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1406929800
Egal, ob wir mittags oder abends
über dieses Thema sprechen – das Thema ist wichtig,
und die Uhrzeit ist unwichtig –:


(Beifall bei der F.D.P.)

Lassen Sie uns gemeinsam in aller Ernsthaftigkeit und
mit Umsicht diesen Gesetzentwurf beraten. Ich sage Ih-
nen: Sie werden uns recht geben müssen.


(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406929900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier.


Anni Brandt-Elsweier (SPD):
Rede ID: ID1406930000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Alle Jahre beschert uns die
F.D.P. einen Gesetzentwurf, der die Beseitigung des
Verbots für Frauen, in der Bundeswehr Dienst mit der
Waffe zu tun, vorsieht. Normalerweise wird die Ein-
bringung dieses Entwurfs als Sommerlochtheater insze-
niert, nunmehr zur Abwechslung als Herbstmanöver.


(Beifall bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Ein bißchen mehr Ernst wäre angebracht!)


– Das kommt noch, warten Sie ab. Allerdings hat das
Manöver in diesem Fall einen ernsthaften Hintergrund.

Ina Lenke






(A) (C)



(B) (D)


Folgt man den Schlußanträgen des Generalanwalts
beim Europäischen Gerichtshof, La Pergola, in dem
Fall Tanja Kreil – Sie erwähnten es, Frau Lenke –,


(Ina Lenke [F.D.P.]: Na also!)

ist durchaus damit zu rechnen, daß der bisherige Aus-
schluß von Frauen im Soldatendienst mit Ausnahme der
Verwendung im Sanitäts- und Militärmusikdienst der
europäischen Gleichstellungsrichtlinie vom 9. Februar
1976 widerspricht.

Die Begründung der deutschen Regierung für ihre
Klageerwiderung – ich zitiere –, „vor dem Hintergrund
der Geschichte“ sei „man bemüht, sicherzustellen, daß
Frauen nicht in Kampfhandlungen verwickelt“ würden,
konnte den Generalanwalt nicht überzeugen. In der Tat:
Ungleichbehandlungen auf Grund des Geschlechts kön-
nen nicht einfach mit allgemeinen Erfordernissen einer
Politik zum Schutze der Frau gerechtfertigt werden.

Daß ein solcher Schutz die Frauen in Wirklichkeit auf
die traditionelle Rolle als Ehefrau und Mutter zu verwei-
sen droht, zeigt das Vorbringen des damaligen Bundes-
ministers für Arbeit und Sozialordnung, Herrn Norbert
Blüm, der 1992 das auf ein Gesetz aus dem Jahre 1891
zurückgehende Nachtarbeitsverbot für Frauen damit
verteidigte, daß „Frauen weitaus häufiger als Männer
neben ihrer Berufsarbeit mit der Betreuung von Klein-
kindern und der Hausarbeit belastet“ seien.

Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof
weist zu Recht darauf hin, daß dann die Gefahr bestün-
de, „daß das überkommene Stereotyp der Geschlechter-
trennung immerwährend erhalten“ bliebe, wolle man die
Zulassung von Frauen in der Bundeswehr nur in weni-
gen Bereichen aufrechterhalten.

Frauen wollen gleichberechtigt sein. Sie sind grund-
sätzlich für den Dienst in den Streitkräften genauso ge-
eignet wie Männer. Frauen, vor allem die jungen Frauen,
fragen: Darf der Staat den Frauen das Recht auf den
Dienst mit der Waffe verweigern, wenn sie gerade dies
wollen? 78 Prozent aller Bürgerinnen unter 30 Jahren
sind nach Umfrage des Meinungsforschungsinstituts
Forsa für den Dienst von Frauen in der Bundeswehr,
auch mit der Waffe. Insgesamt sprechen sich 59 Prozent
aller Deutschen dafür aus, selbst wenn das Grundgesetz
deshalb geändert werden müßte.

Aber, meine Damen und Herren, wollen wir das
wirklich: Frauen nicht nur in Uniform, sondern mit der
Waffe an vorderster Front, in U-Booten, in Kampfpan-
zern und in der Infanterie, im unmittelbaren Kampfein-
satz? Ich schicke voraus: Ich persönlich würde dies auf
Grund meiner Erfahrung im letzten Krieg ablehnen. Ich
frage mich, ob eine Zivilgesellschaft wie die Bundesre-
publik ausgerechnet das Militär benötigt, um die
Gleichberechtigung voranzubringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Angesichts der Tatsache, daß überwiegend Frauen
arbeitslos sind und die Förderung von Frauen im zivilen
Erwerbsleben noch lange nicht erreicht ist, kann ich die

Begründung des F.D.P.-Gesetzentwurfes, der von einem
der letzten geschlechtsspezifischen Berufsverbote für
Frauen spricht, nicht nachvollziehen. Schauen Sie sich
doch einmal die Chefetagen von Verwaltungen und
Wirtschaft an:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Hier sind 95 Prozent Männer. In den meisten qualifi-
zierten und gutbezahlten Berufen sind Frauen weitge-
hend ausgeschlossen. Das ist für mich faktisch auch ein
Berufsverbot.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406930100
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?


Anni Brandt-Elsweier (SPD):
Rede ID: ID1406930200
Nein.
Wir sollten deshalb gemeinsam eine Gleichstellungs-

politik betreiben, die den Namen auch verdient und die
Diskriminierung der Frauen im Erwerbsleben aus-
schließt. Wir werden Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der F.D.P., daran erinnern, wenn wir das
Gleichstellungsgesetz zu verabschieden haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Ina Lenke [F.D.P.]: Das hat aber große Klopfer!)


– Ich denke schon.

(Ina Lenke [F.D.P.]: Ich nicht!)


Nun ist nicht zu verkennen, daß es bei der Auslegung
des hier angesprochenen Grundgesetzartikels, gemäß
dem Frauen verboten ist, Dienst mit der Waffe zu lei-
sten, auch die Meinung von Verfassungsrechtlern gibt,
daß sich dieses Verbot lediglich auf die Frauen bezieht,
die dienstverpflichtet werden dürfen. Ein verfassungs-
rechtliches Verbot für den freiwilligen Dienst von Frau-
en in der Bundeswehr in allen Sparten – so diese Mei-
nung – enthalte das Grundgesetz nicht. Folgte man die-
ser Auffassung, würde es einer Grundgesetzänderung
überhaupt nicht bedürfen.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Sie wollen ja gar nichts!)

– Warten Sie ab!

Der Gesetzentwurf der F.D.P. wäre dann überflüssig.
Andererseits: Würde man diesem Gesetzentwurf zu-

stimmen, würde die Streichung bedeuten, daß man
dienstverpflichtete Frauen zum Dienst mit der Waffe
zwingen kann. Ist es das, was Sie wollen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der F.D.P.?


(Ina Lenke [F.D.P.]: Nein, wir wollen die Freiwilligkeit!)


Anni Brandt-Elsweier






(B)



(A) (C)



(D)


Das mag aber hier dahingestellt bleiben, obwohl ich per-
sönlich der Überzeugung bin, daß der damalige Gesetz-
geber grundsätzlich auch den freiwilligen Dienst von
Frauen mit der Waffe nicht zulassen wollte.

Jedenfalls werden wir abwarten müssen, wie der
Europäische Gerichtshof – im Frühjahr 2000 wird das
Urteil erwartet – entscheiden wird. Dann wird sicher
auch die Frage zu klären sein, welche Konsequenz die
Entscheidung für uns hat; denn es ist fraglich, ob dem
Europäischen Gerichtshof von den Mitgliedstaaten die
Kompetenz übertragen worden ist, den Inhalt ihrer Ver-
fassungen zu ändern. Der Generalanwalt hat, ausgehend
von der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes,
in der hier entscheidenden Frage allerdings klargestellt,
daß die europäische Gleichstellungsrichtlinie dem Aus-
schluß von Frauen nach dem Soldatengesetz von der
Einstellung in allen Kampfeinheiten der Streitkräfte ent-
gegensteht.

Wenn dem so ist und wir den freiwilligen Dienst mit
der Waffe für Frauen öffnen, dann müssen wir allerdings
auch mit Klagen der Männer rechnen – und dies zu
Recht. Denn dann werden diese diskriminiert, weil sie
der Wehrpflicht unterliegen, während Frauen freiwillig
dienen und sich sogar den Tätigkeitsbereich innerhalb
der Bundeswehr aussuchen können. Eine allgemeine
Wehrpflicht für Frauen will ja wohl niemand.

Diese Konsequenz müssen wir klar sehen. Es ist sehr
kühn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., in
der Begründung des Gesetzentwurfes einfach zu be-
haupten, daß ein Verstoß gegen den Gleichberechti-
gungsartikel nicht vorliege, wenn Männer der Wehr-
pflicht unterliegen, Frauen dagegen nur dem freiwilligen
Wehrdienst. Ich denke, die betroffenen Männer werden
dies anders sehen.

Wenn wir den gleichberechtigten Zugang von Frauen
zu den Streitkräften wollen und gegebenenfalls durch
den Europäischen Gerichtshof dazu gezwungen werden,
werden wir allerdings auch vor der Frage stehen, ob wir
die Wehrpflicht noch beibehalten können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In diesem Zusammenhang ist dann sicherlich auch zu
erwägen, ob es in Deutschland nicht möglich ist, die
Bundeswehr wenigstens in weiteren Teilbereichen, zum
Beispiel auf der Verwaltungsebene, für Frauen zu öff-
nen.

Bei unserer Diskussion um die Soldatin, die in der
Armee bisher ausschließlich im Sanitäts- und Militär-
musikdienst zugelassen ist, die demnächst aber mit dem
Karabiner in der Hand auch Wache schieben soll, ist si-
cherlich nicht zu übersehen, daß die Bundeswehr inner-
halb Europas in der Tat zum Schlußlicht bei der Gleich-
stellung von Mann und Frau geworden ist.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Na also!)

In zwölf der 15 EU-Staaten dürfen Frauen alle Tätig-
keiten in der Armee, einschließlich Waffendienst, aus-
üben. Lediglich in Italien, Portugal und Deutschland
sind sie vom Waffendienst ausgeschlossen. Wir dürfen

bei diesem Ländervergleich aber nicht verkennen, daß
es sich um Länder mit Berufsarmeen handelt, in denen
auch die Männer freiwillig den Soldatenberuf wählen
können.

Bei aller Gleichberechtigung, für die ich mich immer
eingesetzt habe, ist auch zu bedenken, daß die Erfahrun-
gen des Einsatzes von Mann und Frau in der Armee
nicht nur positiv zu bewerten sind, auch wenn sich, wie
der Bundeswehr-Verband meint, der Umgangston dann
verbessern würde.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Der hat auch andere Gründe! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Wie im Parlament!)


Zum einen drängt sich hier, ohne etwas unterstellen zu
wollen, die Vermutung auf, daß unter dem Deckmantel
der Gleichberechtigung Frauen als Lückenbüßerinnen
für fehlendes männliches Personal in die Bundeswehr
aufgenommen werden sollen.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Es wäre doch gut, wenn sich die Qualität von Frauen auch da zeigen würde!)


Zum anderen treten im militärischen Alltag immer
wieder Schwierigkeiten zwischen Männern und Frauen
auf; das muß man deutlich sehen.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das darf doch nicht wahr sein!)


Nach einer Untersuchung in den US-Streitkräften klagen
weit über 60 Prozent der dienenden Frauen über sexuelle
Belästigung, bis hin zur Vergewaltigung in Einzelfällen.
Das muß man sehen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Warum war Herr Scharping so euphorisch? – Ina Lenke [F.D.P.]: Wenn Ihnen kein anderes Argument einfällt! So etwas können Sie auch nur um 21.31 Uhr sagen! – Peter Zumkley [SPD]: Das ist ein wichtiges Argument! Das muß man ernst nehmen!)


Auch die Erfahrungen der Israelis in ihrem Befrei-
ungskampf 1948, als Frauen Seite an Seite mit ihren
männlichen Kameraden an vorderster Front kämpften,
haben gezeigt, daß dies zu Komplikationen geführt hat.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Da gab es auch Sonderbestimmungen!)


Manche Einheiten waren am Rande der Kampfunfähig-
keit, weil die Männer in der Gefahr einen Beschützerin-
stinkt entwickelten.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Meine Güte! Nein!)

– So ist das eben. Das muß man wissen. Das sind Fak-
ten, die berücksichtigt werden müssen.

Ehe wir also mit Hurra und unter dem Vorwand der
Gleichberechtigung die Frauen mit der Waffe in den
Kampf schicken, sollten wir alle Argumente des Für und
Wider abwägen, bevor wir das Grundgesetz ändern.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das werden Sie müssen!)


Anni Brandt-Elsweier






(A) (C)



(B) (D)


Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Ina Lenke [F.D.P.]: Dann warten Sie auf den Europäischen Gerichtshof!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406930300
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Irmgard Karwatzki.


Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1406930400
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über den
Antrag der F.D.P. debattieren, so geschieht dies in erster
Lesung. Ich betone das deshalb, weil der Sachverhalt,
über den wir jetzt diskutieren, nämlich der gleichbe-
rechtigte Zugang von Frauen zur Bundeswehr, noch
vieler Diskussionen, sowohl im vorparlamentarischen
Raum als auch hier im Parlament bedarf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich halte es auch für wichtig, daß wir gemeinsam In-

formationsbesuche in den Ländern machen, wo Frauen
bereits in Streitkräften ihren Dienst leisten.

In Art. 12a des Grundgesetzes steht: Frauen „dürfen
auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten“. Der Sinn
dieser Bestimmung war der Schutz des „schwachen Ge-
schlechts“. Die Sache mit dem schwachen Geschlecht
sehen die meisten Frauen heute allerdings anders als
damals bei der Schaffung des Grundgesetzes. Eine Än-
derung des Grundgesetzes gerade an dieser Stelle ist für
manche Bürger in diesem Lande und für etliche Mitglie-
der des Bundestages, vor allem für diejenigen, die den
zweiten Weltkrieg noch miterlebt haben, schwer vor-
stellbar.

Ich erspare mir hier, auf die rechtliche Seite einzuge-
hen. Wir müssen sie sorgfältig prüfen – wie gerade auch
von der Kollegin Brandt-Elsweier gesagt worden ist –,
und wir müssen insbesondere die richtigen Folgerungen
daraus ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist eine

Frage des politischen Willens und des politisch Machba-
ren, ob wir Frauen mehr Chancen bei der Bundeswehr
geben oder nicht. Soldatin und Mutter zu sein schließt
sich genauso wenig aus wie Soldat und Vater zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Daß Frauen ein freiwilliger Dienst an der Waffe nicht

zugemutet werden kann, hat mit der Realität wenig zu
tun.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Viele von ihnen wollen den Sonderstatus, den ihnen das
Grundgesetz einräumt, nicht mehr. Das Bild von Polizi-
stinnen und Bundesgrenzschutzbeamtinnen, die Waffen
tragen und auch benutzen, ist für uns zu einer Selbstver-
ständlichkeit geworden. Auch in anderen Armeen tun sie
das, was ihnen hierzulande aus Fürsorgepflicht verwei-
gert wurde – zugegeben: zum Teil wegen der Probleme,
die das Zusammenleben von Männern und Frauen be-

treffen. Diese können Sie aber nicht dadurch lösen, daß
weiterhin eine ganze Bevölkerungsgruppe quasi per
Grundgesetz Berufsverbot erhält und auf diese Weise
von technisch anspruchsvollen Aufgaben ausgeschlos-
sen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der F.D.P.)


Frauen werden bei der Bundeswehr auf die gleichen
Schwierigkeiten stoßen wie anderswo im Berufsleben
auch.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Richtig! Genauso ist es!)

Bundeswehr und Frauen müssen damit umzugehen ler-
nen wie andere Firmen und Unternehmen ebenfalls.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, ich weiß es zu schätzen,

daß bei manchen Männern der „Beschützerinstinkt“ er-
wacht


(Zuruf von der CDU/CSU: Bei uns nicht!)

bei der Vorstellung, Frauen könnten in Kampfhandlun-
gen gefangengenommen, vergewaltigt, mißhandelt oder
sogar ermordet werden. Dies finden auch wir Frauen
furchtbar. Aber trotz allem: Frauen, die freiwillig diesen
Dienst leisten wollen, müssen wissen, daß sie beim
Dienst mit der Waffe ein besonderes Risiko eingehen.
Im übrigen gilt für die Männer genau dasselbe.


(Beifall bei der F.D.P.)

Frauen und Männer sind im Kampfeinsatz gleicherma-
ßen betroffen. Daher ist es auf jeden Fall besser, wenn
Frauen gut ausgebildet mit dieser Situation konfrontiert
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nach der bereits zitierten Umfrage sind zwei Drittel

der Deutschen dafür, daß Frauen in der Bundeswehr
Dienst mit der Waffe leisten. Als Grund für die Diskri-
minierung von Frauen im Berufsleben wird die unter-
schiedliche physische Ausstattung von Mann und Frau
in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr akzeptiert.

Einem internationalen Vergleich von Frauen in den
Streitkräften ist zu entnehmen, daß die Zahl der Frauen
in der Armee in Frankreich kontinuierlich steigt, daß
Frauen in den Niederlanden seit Beginn des zweiten
Weltkrieges soldatisch tätig sind – und zwar de jure
auch in Kampfsituationen – und daß Frauen in Norwe-
gen, Finnland, Schweden, Luxemburg und Großbritan-
nien Dienst mit der Waffe leisten. Österreich hat Frauen
1998 den uneingeschränkten Zugang zum Militär er-
möglicht. In den Streitkräften der mittel- und osteuro-
päischen Staaten dienen weibliche Soldaten auf freiwil-
liger Basis.

Außerhalb Europas bieten Israel – hier ist die Wehr-
pflicht für beide Geschlechter zwingend – und die USA
die bekanntesten Beispiele für die selbstverständliche
Einbindung von Soldatinnen in ihre Armeen. Allerdings
sind auch in diesen beiden Ländern Gleichberechtigung
und Gleichverpflichtung von männlichen und weibli-
chen Soldaten nicht gegeben bzw. umstritten. Die Grün-

Anni Brandt-Elsweier






(B)



(A) (C)



(D)


de hierfür bewegen sich im Spannungsfeld von angeb-
lich nicht mehr abzustreitender mangelnder körperlicher
Kraft von Frauen für diesen Beruf bis hin zu Gedanken,
was Frauen in Gefangenschaft zustoßen könnte, und ei-
ner Art „hinderlichem Beschützerinstinkt“ der kämpfen-
den Soldaten gegenüber ihren Kameradinnen.

Der Anteil der weiblichen Soldaten in den nationalen
Streitkräften der NATO reicht von 0,5 Prozent in der
Türkei bis zirka 12 Prozent in den USA. Insgesamt ist
eine Tendenz erkennbar, Anzahl und Verwendungsbe-
reiche weiblicher Soldaten auszuweiten.

Ich trete nicht für eine Wehrpflicht für Frauen ein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das Prinzip der Freiwilligkeit muß erhalten bleiben.
Frauen haben keinen Nachholbedarf in bezug auf den
Dienst an der Gemeinschaft. Sie leisten ihre Arbeit in
der Familie, bei der Kindererziehung, im Ehrenamt, in
der Altenpflege – um nur einige Aspekte herauszugrei-
fen – und nicht zuletzt auch durch die Tatsache, daß sie
die Kinder gebären.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber in der Bundeswehr gibt es gute Ausbildungsmög-
lichkeiten und Chancen auf Arbeitsplätze mit einer gu-
ten sozialen Absicherung. Davon dürfen wir Frauen zu-
künftig nicht mehr ausgeschlossen sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich betone noch einmal: Es gibt keine überzeugende

Begründung dafür, Frauen den Dienst an der Waffe zu
verweigern. Es kommt schließlich nicht auf physische
Stärke bei unseren vielen hochtechnisierten Einsatzplät-
zen an. Die Bundeswehr hat wie die Armeen anderer
Staaten auch ein eigenes Interesse, Frauen als Soldatin-
nen zu rekrutieren. Frauen in Uniform signalisieren
auch, daß die Organisation traditionelle Rollen und
Prinzipien überdenkt und sich der aktuellen gesell-
schaftlichen Notwendigkeit, Männerbastionen auf-
zugeben, anzupassen bereit ist. Der Deutsche Bundes-
wehr-Verband – dies ist schon gesagt worden – fordert
im übrigen seit langem den Zugang von Frauen zur
Bundeswehr. Ich unterstütze ihn.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406930500
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf

(München)?



Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1406930600
Im Moment nicht.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406930700
Nein, Sie ha-
ben keine Redezeit mehr. Sie können Ihre Redezeit nur
durch das Zulassen einer Zwischenfrage verlängern.


Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1406930800
Frau Kollegin
Wolf, wir diskutieren später miteinander. Ich möchte
jetzt meinen Schlußsatz sagen. Wir müssen auch an die
Kolleginnen denken, die noch reden wollen. Ich danke
Ihnen auf jeden Fall für Ihre Aufmerksamkeit.

Allerdings, Herr Kollege Kolbow, habe ich auf der
Rednerliste, die uns vorliegt, gesehen, daß niemand vom
Ministerium reden möchte. Ist dies richtig?


(Parl. Staatssekretär Walter Kolbow: Ja!)

– Das ist aber traurig.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406930900
Dies kann
nicht in einem Zwiegespräch geklärt werden.


Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1406931000
Ich wollte das nur
wissen.

Ich bedanke mich sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406931100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder
hat die F.D.P. das Sommerloch mit der Forderung ge-
füllt, daß Frauen nun endlich das Recht haben müssen,
sich an Kampfeinsätzen zu beteiligen. „Wer die Öffnung
der Bundeswehr für Frauen ablehnt, befürwortet eines
der letzten geschlechtsspezifischen Berufsverbote“, ließ
uns der F.D.P.-Feminist Guido Westerwelle übermitteln.
Nur schade, daß er heute nicht hier ist und seinen Ge-
setzentwurf selbst vorstellt.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Heute legen Sie uns nun einen Gesetzentwurf zur
Änderung des Grundgesetzes vor, der auch Frauen die
Teilnahme an Kampfeinsätzen ermöglichen soll. Be-
gründet wird er unter anderem damit, daß das Interesse
gerade bei jungen Frauen an einem Job in der Bundes-
wehr stark gestiegen sei. Schaut man sich allerdings die
Bewerbungszahlen an, so reduziert sich diese Aussage
ziemlich. Auch die Anlagenelektronikerin Tanja Kreil,
deren Fall vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt
wird, hat heute kein Interesse mehr an der Bundeswehr.
Sie hat längst einen zivilen Job.


(Lachen der Abg. Ina Lenke [F.D.P.])

Dieses Beispiel zeigt – dies hat auch Frau Karwatzki ge-
rade gesagt –, daß vermehrt Frauen qualifizierte techni-
sche Berufe suchen, ihnen diese aber in der Wirtschaft
nicht zur Verfügung gestellt werden. Deshalb greifen sie
auf die Bundeswehr zurück.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406931200
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Irmgard Karwatzki






(A) (C)



(B) (D)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1406931300
Frau Kollegin Schewe-
Gerigk, ist Ihnen nicht bekannt, daß Frau Kreil, die vor
dem Europäischen Gerichtshof klagt, weiterhin ein sehr
großes Interesse an einem Job in der Bundeswehr hat?
Sie strebt ihn weiterhin an. Sie hat dies erst in der letzten
Woche beispielsweise in einer Sendung von „Phoenix“
deutlich zum Ausdruck gebracht. Sie hat zwar im Au-
genblick einen zivilen Job, mit dem sie durchaus zufrie-
den ist. Aber sie möchte weiterhin zur Bundeswehr.
Warum wollen Sie dies nicht zur Kenntnis nehmen, und
warum stellen Sie es so dar, als ob die Frauen nur dann
an einem Job in der Bundeswehr interessiert sind, wenn
sie auf ihn angewiesen sind?


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die aus dieser Woche stammen, besagen, daß Frau Kreil
einen Job hat, den sie auch behalten will, und kein Inter-
esse mehr an der Bundeswehr hat. Etwas anderes kann
ich Ihnen dazu nicht sagen. Aber gerade in diesem Be-
reich, Frau Lenke, hätte die F.D.P. ein großes Betäti-
gungsfeld. Statt dessen lehnen Sie die Quotierung von
Ausbildungsplätzen, Arbeitsplätzen und Frauenförder-
programmen im zivilen Bereich ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ina Lenke [F.D.P.]: Das ist doch etwas ganz anderes, Frau ScheweGerigk!)


Jetzt gerieren Sie sich als die große Partei für die
Gleichberechtigung der Frauen.


(Abg. Birgit Homburger [F.D.P.] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)


– Ich lasse jetzt keine Zwischenfragen mehr zu.

(Ina Lenke [F.D.P.]: Nach Befähigung, Eignung und Leistung, aber nicht nach Quote!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

entwurfs – ich setze mich gerade mit Ihrem Gesetzent-
wurf auseinander, Frau Kollegin – macht aber auch noch
mehr deutlich - ich zitiere –:

Die Frage, ob eine Wehrpflicht für Frauen einge-
führt werden könnte oder sollte, hat nur mittelbare
Bedeutung für die Einführung eines freiwilligen
Wehrdienstes von Frauen.

Am Rande sei bemerkt: Eine Mitgliederbefragung der
F.D.P. hat mit großer Mehrheit gezeigt, daß die F.D.P.
für die Wehrpflicht ist.
Ich zitiere weiter:

Ein Verstoß gegen Artikel 3 Abs.2 des Grundgeset-
zes liegt nicht vor, wenn Männer der Wehrpflicht
unterliegen, Frauen dagegen nur dem freiwilligen
Wehrdienst.

Diese Schlußfolgerung ist in sich völlig widersprüch-
lich; denn wer eine Grundgesetzänderung befürwortet,
die Frauen den Dienst an der Waffe erlaubt, bewegt sich

natürlich im Rahmen der Organisation der Bundeswehr,
also auch der Pflicht zum Wehrdienst. Wenn Männer
und Frauen nach F.D.P.-Manier gleich behandelt werden
sollten, könnte das die Wehrpflicht für Frauen zur Folge
haben. Das nehmen Sie zumindest in Kauf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Wer meint, Frauen sollten das Recht haben, freiwillig
Dienst an der Waffe leisten zu dürfen, verkennt, daß,
wer A sagt, auch B sagen muß. Wenn jemand von
Gleichberechtigung im formalen Sinne spricht, dann
sind damit natürlich nicht nur die Rechte gemeint, son-
dern über kurz oder lang auch die damit zusammenhän-
genden Pflichten. Für mich bedeutet das: Die F.D.P.
spricht sich also für eine allgemeine Wehrpflicht für
Männer und Frauen aus oder nimmt sie zumindest billi-
gend in Kauf.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist doch gar nicht Thema! Sie unterstellen das!)


Dies aber lehnen die Bündnisgrünen strikt ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ina Lenke [F.D.P.]: Frau Schewe-Gerigk, lassen Sie Ihre Unterstellungen!)


Es sind nicht nur die bösen Grünen, die Sie falsch
verstehen wollen, Frau Lenke.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Mich interessiert gar nicht, ob die Grünen mich verstehen!)


Die Wohlfahrtsverbände haben sich bereits geäußert und
interpretieren Sie genauso wie ich. Sie frohlocken und
sagen, wenn Frauen auch dienstverpflichtet würden, zö-
gen sie wohl den Zivildienst vor. Somit hätten die Ver-
bände das Pflegepersonalproblem gelöst. Glauben Sie,
sie wollen Sie nur falsch verstehen?


(Ina Lenke [F.D.P.]: Lassen Sie Ihre Unterstellung, daß wir die Wehrpflicht für Frauen wollen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406931400
Ich ermahne
Sie jetzt aber doch einmal, nicht dauernd dazwischenzu-
rufen. Das haben wir bei Männern nicht besonders gern,
und das ist bei Frauen auch nicht so toll, wenn man sie
nicht zum Reden kommen läßt.


(Peter Zumkley [SPD]: Gleichbehandlung! – Ina Lenke [F.D.P.]: Das regt mich wirklich auf!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sollten Frauen in Deutschland zum Militär zugelas-
sen werden, müßte die Bundeswehr erst einmal einer
grundlegenden Strukturveränderung unterzogen werden:
weg von der Wehrpflicht, hin zu einer Freiwilligenar-
mee. Die Wehrpflicht müßte also abgeschafft werden.






(B)



(A) (C)



(D)


Das wäre eine echte Zäsur in der Geschichte der Bun-
deswehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Solange aber in Deutschland eine Wehrpflicht be-
steht, handelt es sich nicht um eine geschlechtsspezifi-
sche Benachteiligung, sondern vielmehr um eine
Schutzvorschrift für Frauen. Auch wenn ich der Be-
gründung der damaligen Berichterstatterin, Frau
Schwarzhaupt, nicht recht gebe, die sagte, „daß unsere
Auffassung von der Natur und der Bestimmung der Frau
einen Dienst mit der Waffe verbietet“, stelle ich fest, daß
Art. 12 a des Grundgesetzes jetzt so nicht geändert wer-
den darf.

Auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes wür-
de daran nichts ändern. Der Europäische Gerichtshof
wird über dieses Thema im Frühjahr nächsten Jahres
entscheiden. Das Verwaltungsgericht Hannover hat ihm
den Fall Tanja Kreil vorgelegt, die für ihre Aufnahme in
die Bundeswehr geklagt hatte. Sollte sich der EuGH für
die Beteiligung von Frauen an Kampfeinsätzen ausspre-
chen, widerspräche dies unserer Verfassung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist strittig!)

Eine Reihe von Verfassungsrechtlern – ich nenne

unter anderem den Kollegen Scholz, der heute leider
nicht da ist – haben dargelegt, daß der Europäische Ge-
richtshof nur die Kompetenzen ausüben kann, die ihm
die Mitgliedstaaten übertragen haben. Sicherheits- und
Militärpolitik liegen aber nach den Verträgen von Maa-
stricht und Amsterdam ausschließlich in nationaler
Hand. Eine Kompetenz, den Inhalt des Grundgesetzes zu
verändern, hat der EuGH demnach nicht. Keine staatli-
che Stelle würde durch eine derartige Entscheidung ge-
bunden.

Generalanwalt La Pergola argumentiert, die Streit-
kräfte seien ein Arbeitsmarkt wie jeder andere. Dem wi-
derspreche ich. Die Bundeswehr ist eine Organisation,
die für den Kriegsdienst vorbereitet und in der Konse-
quenz auch für das Töten ausbildet.

Mehr Frauen im Militärdienst würde für mich auch
eine weitere Militarisierung der Gesellschaft bedeuten.
Ziel einer emanzipierten Gesellschaft ist aber die Auf-
hebung von Diskriminierung, Unterdrückung und Aus-
beutung.

Ich komme zum Schluß. Ich erwarte mit großem In-
teresse die Vorschläge der Wehrstrukturkommission,
und ich hoffe, daß sich unsere Vorstellungen durchset-
zen, die Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee umzu-
wandeln. Dann werden wir erneut zu prüfen haben, wie
Männer und Frauen freiwillig Zugang hierzu erhalten
können. Heute das Grundgesetz zu ändern hieße, das
Kind mit dem Bade auszuschütten. Das werden wir nicht
mitmachen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406931500
Zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Homburger das
Wort.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1406931600
Frau Kollegin Schewe-
Gerigk, ich möchte Sie wegen Ihrer Äußerungen über
die F.D.P. ansprechen.

Sie sagen, wir hätten einen Mitgliederentscheid ge-
habt und wir hätten uns für die Wehrpflicht entschieden.
Bei diesem Mitgliederentscheid ging es um die Frage
der zukünftigen Struktur der Bundeswehr. Es ging um
die Frage, ob wir sie als Wehrpflicht- oder als Freiwilli-
genarmee organisieren. Über die Frage einer Wehr-
pflicht für Frauen ist bei dieser Mitgliederbefragung in
keiner Weise entschieden worden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Deswegen können Sie sich nicht hier vorne hinstellen
und schlichtweg behaupten, die F.D.P. sei für eine
Wehrpflicht für Frauen. Das entspricht nicht der Wahr-
heit. Das haben wir an keiner Stelle gesagt und niemals
beschlossen. Ich bitte, solche Unterstellungen zukünftig
zu unterlassen.

Das zweite. Sie sagen, Frauen und Männer in der
Bundeswehr gleich zu behandeln würde automatisch be-
deuten, die Wehrpflicht für Frauen einzuführen. Ich
glaube, die Kollegin Karwatzki von der CDU hat vorhin
sehr eindeutig klargestellt, daß das eben nicht die Folge
sein muß. Sie hat auch die Gründe genannt, warum das
nicht nötig ist: weil Frauen einen gut Teil der Familien-
arbeit, der Pflegearbeit usw. leisten. Solange das in die-
ser Gesellschaft der Fall ist, haben wir nicht über eine
Dienstpflicht für Frauen zu reden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dann haben Sie gesagt, es handele sich bei dieser
Grundgesetzvorschrift um eine Schutzvorschrift für
Frauen. Das zeigt allerdings Ihre verquere Vorstellung
von Gleichberechtigung: Gleichberechtigung also nur
da, wo es Ihnen politisch in den Kram paßt, und nicht
da, wo Frauen, die eine andere Meinung haben, ihre
Gleichberechtigung einfordern. Das ist nicht unser Ver-
ständnis von Gleichberechtigung.


(Beifall bei der F.D.P.)

Deswegen werden wir weiter unseren Vorschlag verfol-
gen.

Ich möchte eine weitere Bemerkung zu dem machen,
was Sie zum europäischen Recht gesagt haben. Sie sind
auf die Darlegung von Herrn Professor Scholz einge-
gangen, derzufolge die Organisation der Streitkräfte den
Mitgliedstaaten unterliege, weswegen der Europäische
Gerichtshof hier nichts zu sagen habe. Der Europäische
Gerichtshof beabsichtigt mitnichten, in die Organisati-
onshoheit der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die
Streitkräfte einzugreifen. Aber er hat sehr wohl die
Möglichkeit, die Gleichberechtigungsrichtlinie durchzu-
setzen. Sie gilt, wie ich finde, auch in diesem Bereich.
Nur deswegen, weil Sie eine andere Auffassung davon
haben, wie Bundeswehr auszusehen hat, anderen Frauen

Irmingard Schewe-Gerigk






(A) (C)



(B) (D)


vorschreiben zu wollen, daß sie dort nicht Dienst tun
dürfen, ist, denke ich, keine besondere Auszeichnung Ih-
rer Gleichstellungspolitik.

Ich möchte zum Schluß sagen: Ich würde begrüßen,
wenn der Deutsche Bundestag eine Sache wirklich ein-
mal politisch diskutieren und politisch entscheiden
könnte. Sich jetzt auf den Europäischen Gerichtshof zu-
rückzuziehen und abzuwarten, was er entscheidet, um
dann die Öffnung gegebenenfalls zu vollziehen nach
dem Motto, das ist uns aufgezwungen worden, wir sind
dafür nicht verantwortlich, halte ich nicht für ein politi-
sches Verhalten. Ich würde mich freuen, wenn wir hier
eine politische Entscheidung treffen würden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406931700
Frau Schewe-
Gerigk, Sie können jetzt antworten.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ruhig bearbeiten, was Sie hier so emotional hervorge-
bracht haben.

Ich habe nicht gesagt, daß ich eine Schutzvorschrift
für Frauen haben möchte. Diese „Schutzvorschrift für
Frauen“ war ein Zitat. Ich habe Ihnen auch gesagt, daß
das Frau Schwarzhaupt gesagt hat, als das Grundgesetz
geändert wurde. Da haben Sie wahrscheinlich nicht
richtig zugehört.

Ich habe auch nicht gesagt, daß die Befragung inner-
halb der F.D.P. eine Wehrpflicht für Frauen beinhaltete.
Ich habe gesagt: Es hat eine Befragung stattgefunden,
und bei der jetzigen Organisation, wo wir eine Wehr-
pflicht haben, sehe ich es als fahrlässig an, Frauen zum
Dienst an der Waffe zuzulassen. Sie würden damit billi-
gend in Kauf nehmen, daß Menschen auf die Idee kä-
men, es müsse auch eine Wehrpflicht für Frauen einge-
führt werden.

Wenn Sie sagen, die Frauen sollen gleiche Rechte
haben, dann muß ich Ihnen entgegnen: Gleichberechti-
gung, wie wir sie uns vorstellen, sieht nicht nur gleiche
Rechte, sondern auch gleiche Pflichten vor. Das heißt,
der erste Mann, der klagen würde, würde sicherlich
recht bekommen. Denn warum sollen Männer alle
Pflichten auf sich nehmen und nicht freiwillig zur Bun-
deswehr gehen dürfen, während sich Frauen sogar frei-
willig aussuchen dürfen, wohin sie gehen. Ich sehe diese
Gefahr.

Ich habe nicht gesagt: Wir warten auf den Europäi-
schen Gerichtshof. Auch da müssen Sie mich miß-
verstanden haben. Ich habe gesagt: Ich warte sehr drin-
gend auf die Ergebnisse der Wehrstrukturkommission.
Wenn diese Ergebnisse vorliegen, werden wir sehen,
wie Frauen in die Bundeswehr integriert werden können
oder wollen. Wir werden hier über die Ergebnisse der
Arbeit der Wehrstrukturkommission zu diskutieren ha-
ben. Wir können uns dann erneut darüber verständigen,

ob und, wenn ja, welche gesetzlichen Änderungen wir
brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ina Lenke [F.D.P.]: Da können wir lange warten!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406931800
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Petra Bläss.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406931900
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich bin aus Überzeugung gegen
den Einsatz von Frauen in der Bundeswehr. Die Bun-
deswehr ist meines Erachtens kein Bereich, in dem es zu
beweisen gilt, daß Frauen gleichberechtigt sind.

Das plötzliche Interesse an diesem Thema sollte
Frauen stutzig machen. Werden sie wieder einmal als
Lückenbüßerinnen gebraucht? Sind sie – diesmal im
wörtlichen Sinne – die Reservearmee?

Die Debatte über Frauen in der Bundeswehr findet
nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum statt. Frauen
sind in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen dis-
kriminiert und benachteiligt. Sie haben fast überall ge-
ringere Chancen als Männer. Nun sollen sie eines der
wenigen Privilegien, das sie haben, aufgeben? Ist es das,
was wir wollen?

Ja, es handelt sich bei Art. 12 a des Grundgesetzes
um ein geschlechtsspezifisches Berufsverbot.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406932000
Frau Kollegin,
es besteht der Wunsch der Kollegin Pieper nach einer
Zwischenfrage. – Bitte.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1406932100
Frau Kollegin Bläss, habe
ich Sie richtig verstanden, daß Sie eben das letzte in
Deutschland bestehende Berufsverbot für Frauen als
Privileg bezeichnet haben?


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ja!)

Ist Ihnen bekannt, daß es in keinem anderen europäi-
schen Staat mehr dieses Berufsverbot gibt? Auch Italien
wird zum 1. Januar 2000 dieses Berufsverbot für Frauen
aufheben.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406932200
Zum ersten, Frau Kollegin Pie-
per, habe ich nicht vom letzten existierenden Berufsver-
bot gesprochen.

Zum zweiten hat die Debatte schon deutlich gemacht,
daß die Regularien in den anderen europäischen Ländern
einfach vor einem anderen politischen Hintergrund gel-
ten: Es gibt dort Berufsarmeen. Das ist natürlich ein
kleiner Unterschied.

Ich werde im folgenden deutlich machen, daß es auf
diese Frage keine Schwarzweißantworten gibt und daß
man sich mit der Angelegenheit sehr differenziert aus-
einandersetzen muß. Ich begreife dieses geschlechtsspe-
zifische Berufsverbot sehr wohl als eine Form der Anti-
diskriminierungspolitik und als ein Privileg für Frauen;

Birgit Homburger






(B)



(A) (C)



(D)


und dies wird politisch unterschiedlich bewertet. Wir
haben hier zweifellos einen unterschiedlichen Zugang
und eine unterschiedliche Bewertung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber ein Eiertanz!)


Auch ich weise alle biologistischen Einwände gegen
Frauen beim Militär zurück. Das gilt nicht nur für die
Argumente derjenigen, die Frauen auch heute für das
schwache Geschlecht halten. Es gilt auch für jene, die
damit argumentieren, daß Soldatinnen bei Kämpfen und
Kriegsgefangenschaft besondere Gefahren drohen. Diese
Sicht verkennt, daß Frauen in allen Kriegen Opfer von
Mord, Vergewaltigung und Folter werden, vor allem
dann, wenn sie Zivilistinnen sind.

Trotzdem ist für mich die gleichberechtigte Teilhabe
an einer zutiefst hierarchischen Struktur wie der des Mi-
litärs kein Feld der Emanzipation.


(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Hanna Wolf [München] [SPD])


Das belegen im übrigen in erschreckender Weise die Er-
fahrungen, die Frauen in der US-Armee gesammelt ha-
ben. Frau Kollegin Lenke, da Sie vorhin den Hinweis
der Kollegin Anni Brandt-Elsweier so lax abgetan ha-
ben: Wir Frauenpolitikerinnen müssen die Erfahrungen
der Frauen in der US-Armee sehr ernst nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Eines ist klar: In der Konsequenz hat die Forderung

nach einer Grundgesetzänderung die Wehrpflicht für
Frauen zur Folge, auch wenn das nicht unmittelbar der
Gegenstand des F.D.P.-Antrages ist. Ich frage mich
nämlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
F.D.P., wie es mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar
sein soll, daß Männer wehrpflichtig sind, während Frau-
en freiwillig zur Armee gehen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn einige Frauen
heute in bewaffneten Einheiten arbeiten und kämpfen
wollen, müssen wir das akzeptieren. Aus ihrer Sicht for-
dern sie das legitime Recht auf Gleichberechtigung ein.
Für mich sind Frieden und Gewaltverzicht grundlegende
Verfassungswerte.

Die Verfassungsänderung, durch die die Bundeswehr
für Frauen geöffnet werden soll, wird vor dem Hinter-
grund der Debatte um eine Neuorientierung der Bun-
deswehr diskutiert. Meine Fraktion hat sich immer für
die Abschaffung der Wehrpflicht ausgesprochen. Wir
setzen uns für den Auf- und Ausbau ziviler Kräfte ein,
die bei Konflikten zur Regulierung eingesetzt werden
können. Militärische Aktionen und Kriege müssen als
Lösung für Konfliktfälle ausgeschlossen werden.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406932300
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fried-
rich?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406932400
Ja.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1406932500
Frau Kollegin
Bläss, ist Ihnen bei Ihrer langen Aufzählung der Tatbe-
stand entgangen, daß die Bundeswehr eine Wehrpflicht-
armee ist und Frauen schon jetzt freiwillig zur Bundes-
wehr gehen können? Der einzige Unterschied besteht
darin, daß sie derzeit nicht Dienst an der Waffe tun dür-
fen. Was unterscheidet diese Situation von der, die Sie
jetzt so lautstark beklagen?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406932600
Der Tatbestand ist mir wohl be-
kannt. Ich gebe Ihnen darauf eine sehr einfache Antwort:
Wer A sagt, muß auch B sagen. Ich bin auch in einem
solchen Fall nicht dafür, daß man sich – sie entschuldi-
gen den Begriff – unpassend die Rosinchen herauspickt.


(Abg. Birgit Homburger [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406932700
Ich möchte
jetzt keine weitere Zwischenfrage zulassen. Ich bitte,
doch etwas zu berücksichtigen, daß wir heute eine sehr
lange Debatte haben. Ich glaube, daß die Position der
F.D.P. durch Zwischenfragen und Kurzinterventionen
gut zur Geltung gekommen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1406932800
Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, ich komme zum Schluß: Auch in der Fraktion der
PDS wird die Frage der Öffnung der Bundeswehr für
Frauen äußerst kontrovers diskutiert. Wir werden das
Verhältnis von Antimilitarismus und Gleichstellungs-
politik ausloten müssen. Daß diese schwierige Frage
sehr differenzierte Antworten verlangt, zeigt die heutige
Debatte. Ich wünsche mir für den weiteren Verlauf der
Diskussionen hier im Deutschen Bundestag über dieses
streitbare Thema offene Auseinandersetzungen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der SPD: Aber nicht mit der Waffe!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406932900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Verena Wohlleben.


Verena Wohlleben (SPD):
Rede ID: ID1406933000
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Herren und Damen! Liebe Kollegen! Lie-
be Kolleginnen! Ich muß jetzt einmal die F.D.P. loben:
Auf sie ist wirklich Verlaß. Zuverlässig ist sie; sie hat
wie jedes Jahr das Thema „Frauen an die Waffen“ auf
die Tagesordnung gebracht. Herzlichen Dank!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)


Ich frage mich nur, warum Sie das tun. Haben Sie es
denn so nötig, die Frauenfreundlichkeit der F.D.P. unter
Beweis zu stellen? Ich denke, es handelt sich dabei um
puren Populismus, der sich auf Dauer nicht verschleiern

Petra Bläss






(A) (C)



(B) (D)


läßt; denn der Antrag ist bestenfalls von einer nachge-
ordneten Muse, aber nicht von der Logik geküßt wor-
den.


(Beifall bei der SPD)

Fest steht, meine sehr verehrten Herren und Damen:

Noch gibt es keine Notwendigkeit für eine Grundgesetz-
änderung. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Wenn man
sich die Entscheidungen des Europäischen Gerichts-
hofes anschaut, wird dies deutlich.


(Abg. Birgit Homburger [F.D.P.] verläßt den Saal – Alfred Hartenbach [SPD]: Unverschämtheit! – Ingrid Holzhüter [SPD]: Zwischenfragen stellen wollen und dann nach Hause gehen!)


– Die Frau Kollegin hat das „Maschinengewehr“ mit ih-
rem Beitrag von vorhin ja schon hiergelassen.

Am 2. November 1999 hat das Gericht im Falle einer
britischen Köchin entschieden, daß nur in engbegrenzten
Ausnahmefällen Frauen der freiwillige Dienst in den
Streitkräften verweigert werden dürfe. Bezüglich einer
Verwendung bei den Royal Marines sah das Gericht ei-
ne solche engbegrenzte Ausnahme als gegeben an, da
diese nur 2 Prozent der britischen Streitkräfte ausma-
chen. Im Falle der Tanja Kreil beantragte der General-
anwalt Antonio La Pergola in seinem Schlußplädoyer,
daß die Bundesrepublik Deutschland die Gleichbehand-
lungsrichtlinien für Männer und Frauen anzuwenden
habe. Die Bundesrepublik Deutschland habe, so Antonio
La Pergola, nicht hinreichend nachgewiesen, daß das
männliche Geschlecht unabdingbare Voraussetzung für
die Verwendung in allen Kampfeinheiten sei.

Demzufolge wäre nach Auffassung des Generalan-
walts in der logischen Folge das Kombattantenverbot
des Grundgesetzes für Frauen auch ein Hinderungs-
grund, Frauen in der zivilen Bundeswehrverwaltung, in
der Polizei und dem Bundesgrenzschutz zu verwenden.

Was muß nun in dem Fall geschehen, daß der Euro-
päische Gerichtshof dem Schlußantrag des Generalan-
waltes nachkommt? Eine Grundgesetzänderung ist, wie
ich bereits ausführte, nach unterschiedlichen Rechtsgut-
achten nicht zwingend erforderlich, hinsichtlich verfas-
sungsmäßiger Klarheit und Wahrheit aber wünschens-
wert.


(Peter Zumkley [SPD]: Richtig!)

Die Frage nach einer potentiellen Wehrpflicht für
Frauen schließt sich unmittelbar an. Denn, meine Da-
men und Herren, die Gleichbehandlungsrichtlinien für
Männer und Frauen verbieten im Umkehrschluß ebenso
eine Diskriminierung von Männern.

Die Arbeit der Kommission „Gemeinsame Sicherheit
und Zukunft der Bundeswehr“, die der Verteidigungs-
minister ins Leben gerufen hat, beschäftigt sich unter
anderem auch mit der Wehrform und der Struktur von
zukünftigen Streitkräften in Deutschland. Das Ergebnis
liegt im Frühjahr 2000 vor. Eventuell werden wir dann
auch über die Gestaltung der Wehrpflicht – auch der
Wehrgerechtigkeit – neu nachdenken müssen. Welche
Fragen sich damit für den Strukturwandel der Streit-

kräfte stellen, kann deshalb jetzt und hier noch nicht ab-
schließend erörtert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406933100
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Breuer?


Verena Wohlleben (SPD):
Rede ID: ID1406933200
Ich gestatte keine Zwi-
schenfrage, weil ich die Länge der Redebeiträge meines
verehrten Kollegen Breuer aus den Ausschüssen kenne.
In Anbetracht der Zeit und mit Rücksicht auf die Nach-
folgedebatte möchte ich es nicht. Lieber Kollege, wir
führen es dann im Ausschuß weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Welche Fragen sich damit für den Strukturwandel
der Streitkräfte stellen, kann deshalb jetzt und hier
noch nicht abschließend erörtert werden. In diesem Zu-
sammenhang werden wir dann auch Fragen behandeln,
die heute nicht so einfach mit einem solchen Gesetzent-
wurf zur Änderung des Grundgesetzes en passant zu be-
antworten sind. Ist es überhaupt praktikabel, nach einer
jahrzehntelangen entgegengesetzten Praxis, Frauen auch
in Kampf- und Kampfunterstützungseinheiten aufzu-
nehmen? Sollen beispielsweise Grenzen bei bestimmten
Spezialverbänden in jedem Fall weiterbestehen? Ob wir
in Deutschland eine Öffnung der Streitkräfte für Frauen
haben wollen oder nicht, ist politisch sehr wohl zu dis-
kutieren.

Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich der Diskussi-
on offen stellen und dazu beitragen, eine tragfähige Lö-
sung zu finden.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Nein! Nein!)

– Oh ja. Dies sind wir den Frauen, die bisher freiwillig
und gerne zur Bundeswehr wollen, dies sind wir der
Bundeswehr und den Menschen, die in ihr Dienst tun,
schuldig. Wer aber heute im Schnellschuß die Änderung
bzw. Streichung des Art. 12 a Abs. 4 Satz 2 des Grund-
gesetzes will, handelt nicht im Sinne unserer sicher-
heitspolitischen Interessen. Und was noch viel schlim-
mer ist: Er setzt die Axt an, um die Wehrpflicht preis-
zugeben.


(Beifall bei der SPD)

Das, meine sehr verehrten Herren und Damen, hat der
Europäische Gerichtshof sicher nicht gewollt und sollte
auch die F.D.P. nicht wollen, selbst wenn Stimmungs-
macher in dieser Partei das immer wieder fordern.

Deshalb sollte eine eventuelle Änderung des Grund-
gesetzes erst nach reiflicher Überlegung, ausführlicher
Diskussion und vor allen Dingen basierend auf einem
breiten parteiübergreifenden Konsens erfolgen. Dazu la-
den wir Sie ein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ina Lenke [F.D.P.]: Wir laden Sie ein durch den Antrag! Das ist etwas ganz anderes!)


Verena Wohlleben






(B)



(A) (C)



(D)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406933300
Zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Breuer das Wort. Wir
einigen uns noch einmal darauf, daß eine Kurzinterven-
tion drei Minuten dauern darf.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1406933400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Sie können sicher sein, daß die
Kurzintervention kurz ist. Verehrte und geschätzte Frau
Kollegin Wohlleben, ich bin mit Ihnen der Meinung,
daß eine nicht sorgfältige und vorsichtige Abschätzung
im Hinblick auf den Wegfall des Art. 12 a Abs. 4 Satz 2
sicher nicht verantwortlich wäre. In diesem Punkt stim-
men wir überein.

Ich würde Sie aber gerne im Rahmen dieser Kurzin-
tervention auf einen anderen Punkt ansprechen. Wenn
Sie der Meinung sind, daß die Wehrstrukturkommis-
sion eine Antwort geben kann, möchte ich Sie fragen:
Warum hat Verteidigungsminister Scharping im Som-
mer dieses Jahres – ich beziehe mich noch einmal auf
die verehrte Frau Kollegin Brandt-Elsweier, die von
„Sommerloch“ und „Herbstmanöver“ gesprochen hat –,
völlig unabhängig von Bewertungen der Kommission,
gesagt: Ja, wir öffnen die Bundeswehr weiter für Frau-
en? Grundsätzlich stimme ich ihm zu. Ist es aber ange-
sichts der Tatsache, daß kein Vertreter des Verteidi-
gungsministeriums hier spricht, nicht so, daß das Mi-
nisterium überhaupt keine eigene Meinung mehr besitzt
und daß es alle Antworten von der Wehrstrukturkom-
mission verlangt?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es muß doch einen Grund gegeben haben, warum

sich der Verteidigungsminister öffentlich in dieser Form
geäußert hat. Ich gehe einmal davon aus, daß ein Mi-
nister, der sich öffentlich äußert – noch dazu im Som-
mer, wo es wahrgenommen wird –, genau weiß, wovon
er redet.


(Zuruf des Abg. Peter Zumkley [SPD])

– Wenn Sie der Meinung sind, er wisse nicht, wovon er
redet, dann sagen Sie es. Das würde mich aber sehr
wundern.

Mich interessiert in dieser Debatte: Was hat den Mi-
nister eigentlich dazu veranlaßt, diese Äußerungen zu
machen? Warum tritt das Ministerium in dieser Debatte
nicht an und gibt seine Bewertungen im Hinblick auf die
Frage einer grundsätzlichen Öffnung der Bundeswehr
für Frauen ab – auf welchem Weg und unter welchen
Auflagen auch immer?

Ich bedanke mich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Zumkley [SPD]: Das machen wir in der zweiten und dritten Lesung!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406933500
Möchten Sie
antworten? – Bitte.


(Zuruf von der CDU/CSU: Frau Wohlleben macht das im Ausschuß!)



Verena Wohlleben (SPD):
Rede ID: ID1406933600
Sehr verehrter Herr
Kollege Breuer, der Tagesordnungspunkt weist aus, daß
es sich um die erste Lesung und damit um die Einbrin-
gung des Gesetzes handelt. Wir reden heute darüber. Bei
der anschließenden Beratung in den Ausschüssen haben
Sie die Möglichkeit, den Herrn Bundesminister zu fra-
gen, was ihn im Sommer bewogen hat, die von Ihnen
vorgetragenen Äußerungen zu machen.


(Peter Zumkley [SPD]: Richtig!)

Ich rate Ihnen, das auch zu tun. Wir werden im Aus-
schuß gemeinsam seine Antwort hören. Dann wird das
Verteidigungsministerium – Herr Kolbow hat sich schon
angekündigt – seine Bewertung dazu abgeben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Paul Breuer [CDU/CSU]: Zumal ich davon ausgehe, daß Sie die Antwort auch nicht kennen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406933700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Annette Widmann-Mauz.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1406933800
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Wohlle-
ben, daß Sie eben in Ihrer Rede das Wort von der Siche-
rung der Wehrpflicht im Munde geführt und das Thema
Wehrgerechtigkeit angesprochen haben, ist sehr er-
staunlich, zumal Sie mit Ihren haushaltspolitischen Ent-
scheidungen und mit dem, was die Verkürzung der
Dienstzeit für Zivildienstleistende angeht, wirklich alles
tun, daß es in diesem Land um die Wehrgerechtigkeit
nicht gerade besser bestellt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Männer und Frauen

sind nicht gleichberechtigt – jedenfalls nicht ganz; denn
Frauen dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe lei-
sten. So steht es in unserem Grundgesetz. Vor dem
Hintergrund der fürchterlichen Erfahrung des zweiten
Weltkrieges sahen die Väter und Mütter unseres
Grundgesetzes keinen Kulturgewinn darin, Frauen im
Verteidigungsfall den Einsatz mit der Waffe im Gefecht
aufzuzwingen. Deswegen besagt unser Grundgesetz, daß
Frauen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe heran-
gezogen werden dürfen.

Die Verfassungsrechtler streiten sich im übrigen seit
über 30 Jahren, ob sich dies auch auf den freiwilligen
Dienst bezieht oder nur auf eine Dienstpflicht. Zunächst
ist richtig: Wir haben keine Wehrpflicht für Frauen, ge-
schweige denn eine allgemeine Dienstpflicht. Ich sage
ganz deutlich: Ich bin dagegen, daß wir in Zukunft eine
solche bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich denke, daß in unserer Gesellschaft Frauen nach

wie vor die größeren Nachteile haben, im Beruf, durch
die Kindererziehung, durch den Haushalt – kurz: bei der
Vereinbarkeit von Familie und individueller Selbstbe-
stimmung. Die Wehrpflicht ist da auch ein Stück Kom-
pensation für diese Probleme. Im übrigen haben Frauen
auch keinen Nachholbedarf in Sachen Dienst an der
Gemeinschaft. Ich nenne nur die Stichworte freiwilliges






(A) (C)



(B) (D)


soziales Jahr und freiwilliges ökologisches Jahr. Hierbei
ist es in der Tat so, daß mehr Frauen wollen, als tatsäch-
lich zum Einsatz kommen dürfen.

Die Argumentation, Frauen dürften keine Waffe tra-
gen, weil es ihrer Natur oder ihrer Bestimmung wider-
spreche, ist, mit Verlaub, absoluter Quatsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei uns gehört der Dienst an der Waffe zum Alltag der
Polizistinnen und der Bundesgrenzschutzbeamtinnen.
Auch sind deutsche Frauen wohl mindestens im gleichen
Maß zum Dienst an der Waffe in der Armee geeignet
wie Frauen in Staaten, in denen es diese Möglichkeit be-
reits gibt. Der Blick ins Ausland – die vielen Länder
wurden bereits genannt – zeigt, daß Frauen in der Armee
gleichberechtigt Dienst leisten und dort ihren „Mann
stehen“.

Die Mehrheit der Deutschen – Frau Brandt-Elsweier
und die Kollegin Karwatzki haben die Umfrage von
Forsa bereits zitiert – ist dafür, daß Frauen in der Bun-
deswehr Dienst an der Waffe leisten dürfen. Ich betone:
75 Prozent der Frauen unter 30 Jahren sprechen sich für
die Möglichkeit des freiwilligen Dienstes aus.

Es ist an der Zeit, daß wir über den zivilen Tellerrand
hinaussehen und auch den engen Bereich des Sanitäts-
und Militärmusikdienstes aufbrechen. Es ist an der Zeit,
daß wir die Bundeswehr für Frauen ganz öffnen, auf
freiwilliger und gleichberechtigter Basis. Wenn Frauen
nicht die Möglichkeit haben, auf ihren Wunsch hin
Dienst an der Waffe zu leisten, verwehren wir ihnen
Chancengleichheit. Dies ist ein geschlechtsspezifisches
Berufsverbot. Entweder sind wir für Gleichberechti-
gung, oder wir sind es nicht. Wenn wir für Gleichbe-
rechtigung sind, heißt das, daß Frauen auch die Ausbil-
dungs-, Berufs- und Karrierechancen in der Bundeswehr
nicht vorenthalten sein dürfen.

Deshalb darf ihnen auch der Dienst an der Waffe
nicht verboten sein. Ich will hier ganz deutlich sagen:
Gleiche Rechte bedeuten natürlich auch gleiche Pflich-
ten in der Truppe. Dies betrifft auch den Kombattanten-
status. Natürlich hat die Bundeswehr einen Friedensauf-
trag, so daß die kämpfende Truppe hoffentlich die Aus-
nahme bleibt. Aber wenn wir für die konsequente Öff-
nung der Bundeswehr für Frauen plädieren, dann wird es
keine Tabubereiche geben dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Frauen sich freiwillig für den Beruf Soldat ent-
scheiden, dann entscheiden sie sich in letzter Konse-
quenz auch für einen möglichen Einsatz mit der Waffe.

Dabei gebe ich zu bedenken, daß Frauen nicht in die
Situation kommen dürfen, bloße Lückenbüßerfunktionen
zu übernehmen. Ich betone nochmals: Gleiche Rechte
heißt gleiche Pflichten in der Truppe. Deswegen muß an
die Sache jetzt ganz ruhig herangegangen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der F.D.P., das will
ich Ihnen sagen: Ich wäre an Ihrer Stelle jetzt nicht so
forsch. Ich teile Ihre Intention. Irgendwann verlangt die
Wirklichkeit ihr Recht, und jetzt ist es an der Zeit, daß
Frauen Einzug in diese „Männerbastion“ erhalten. Ich

möchte aber deutlich darauf hinweisen, daß bei dem hier
eingebrachten Antrag auf Verfassungsänderung viele
Fragen offenbleiben und ganz neue Probleme verschie-
denster Art aufgeworfen werden. Eine solche Grundge-
setzänderung impliziert nämlich rechtliche Folgefra-
gen. Diese müssen unserer Ansicht nach vorab zweifels-
frei geklärt sein. Das braucht Zeit.

Frau Lenke, wie wollen Sie, bitte schön, bis zum 1.
Januar die Voraussetzungen hierfür schaffen? Das fängt
an bei Struktur, Strategie und Psychologie, geht über
Organisation, Logistik und Baumaßnahmen bis hin zu
ganz lebensweltlichen Fragen wie Schwangerschaft,
Mutterschutz und Erziehungszeit. Vor einer Verfas-
sungsänderung müssen alle Detail- und Folgefragen ge-
klärt sein.

Mir ist zwar bewußt, daß Sie von der F.D.P. für die
„Muße“ – so wurde es genannt; man könnte auch sagen:
Schlafmützigkeit – von Minister Scharping in dieser
Frage nichts können. Er hat eine weitere Öffnung der
Bundeswehr für Frauen angekündigt, tut aber nichts.
Wir müssen uns schon fragen: Will er denn wirklich,
oder darf er etwa nicht?

Die Grünen haben heute gezeigt, daß sie eine klare
Haltung haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang
Ihre Kollegin Claudia Roth – schade, daß sie heute
nicht da ist – aus dem „Focus“ dieser Woche zitieren:

Eine Institution,
– gemeint ist die Bundeswehr –

die andersliebende Männer ausgrenzt, kann Frauen
sowieso keine Gleichberechtigung bieten.

Wenn Frau Roth zudem schreibt, den Konservativen
– gemeint sind wohl die Männer in meiner Fraktion –,
gehe es „in ihrem Chauvinismus“ nur um „Frauen im
kurzem Soldatenröckchen“, dann zeigt sie damit, mit
welcher Arroganz auch in den Reihen der Grünen von
Frauen gesprochen wird, die bereits heute in der Bun-
deswehr ihren Dienst leisten, zum Beispiel aktuell in
Osttimor. In Wahrheit geht es den Grünen nämlich nicht
um die Interessen von Frauen, sondern um die Abschaf-
fung der Bundeswehr.

Ich trete dafür ein, den Frauen den vollen Zugang in
die Bundeswehr zu eröffnen. Allerdings bin ich mir
mittlerweile nicht mehr ganz so sicher, ob wir dafür tat-
sächlich eine Verfassungsänderung brauchen. Sie wer-
den die Äußerungen von Professor Steiger in der „FAZ“
kennen, der Interpretationsspielräume des Grundgeset-
zes auslotet und den freiwilligen Dienst an der Waffe für
Frauen im Rahmen unseres Grundgesetzes keineswegs
für ausgeschlossen hält.

Wenn wir aber in großer parteiübergreifender Über-
einstimmung den politischen Willen haben, Frauen den
Dienst an der Waffe künftig zu ermöglichen, dann soll-
ten wir vorher in jeder Hinsicht für Rechtsklarheit sor-
gen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Annette Widmann-Mauz






(B)



(A) (C)



(D)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406933900
Ich schließe
damit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 14/1728 (neu) an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (15. Ausschuß) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Monika
Balt, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS
Kein Bau einer Magnetschwebebahn Ham-
burg–Berlin – Transrapid-Förderung einstel-
len
– Drucksachen 14/38, 14/339 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Albert Schmitz (Hitzhofen)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die PDS soll
fünf Minuten erhalten. – Kein Widerspruch. Dann tun
wir das so.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Dr. Winfried Wolf.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1406934000
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Werte Damen und Herren! Vor einem Jahr, am
19. November 1998, debattierten wir im Plenum des
Bundestages unseren Antrag zum Transrapid. Kollegin
Mertens schloß damals ihren Beitrag mit den wohlge-
setzten Worten: „Mit dem Regierungswechsel“ unter-
liegt „die Frage … einer Magnetschwebebahn-Referenz-
strecke … nun ganz allein der … Rationalität“. Exakt
dies war der Kern unseres Antrags. Wir haben damals
nochmals alle rationalen Gründe gegen den Einsatz des
Transrapids und die Konkretisierung der Strecke Ham-
burg–Berlin vorgetragen.

Kollege Schmidt meinte in der damaligen Debatte,
die Grünen hätten das in ihren Anträgen noch besser
gemacht. Doch die Entscheidung, wer überzeugender
argumentiert, sollten wir nicht Besserwessis überlassen,
sondern den Bürgerinitiativen vor Ort.

Kollege Brunnhuber hat mich in der damaligen De-
batte gelobt – ich weiß, das könnte eine „tödliche Ver-
anstaltung“ sein –, indem er gesagt hat:

Dennoch ist der Antrag interessant. Denn alle in
ihm enthaltenen Argumente sind solche, die hier
von der Fraktion der Grünen schon wortwörtlich
vorgetragen wurden.

(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Das stimmt! – Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im PDS-Antrag wird nicht nur dieses Argument vor-
getragen. Gefordert wird insbesondere die Aufhebung
des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes, die Aufhe-
bung eines ausgesprochen raffinierten, von den damali-
gen Regierungsparteien eingebrachten Gesetzes, wonach
die Bundesregierung zum Bau der Strecke Hamburg–
Berlin gesetzlich verpflichtet ist, die Aufhebung eines
Gesetzes, das bereits die Infragestellung des Bedarfs für
die Strecke Hamburg-Berlin im Rahmen der Planfeststel-
lungsverfahren gesetzlich verbietet. Damit fordern wir
die Aufhebung eines Gesetzes, das wenig rational und
vor allem sehr undemokratisch war.

Nun ist die damals von Kollegin Mertens eingeklagte
Ratio noch weiter untergraben worden. Inzwischen hat
sich erwiesen, daß die im Koalitionsvertrag festgelegten
maximalen staatlichen Subventionen für diese Strecke
von 6,1 Milliarden DM bei weitem überschritten wer-
den. Was tat das Tansrapid-Konsortium? Es entwickelte
flugs das Konzept einer eingleisigen Streckenfüh-
rung.

Das an sich ist bereits ein Treppenwitz: Eine spurge-
bundene Verbindung zwischen den zwei größten deut-
schen Städten, auf der pro Jahr 15 Millionen Personen
hin und her katapultiert werden sollen, soll einspurig ge-
stelzt daherkommen. Das ist eine hanebüchene Ver-
kehrsplanung, die in krassem Widerspruch zum Eck-
punktepapier steht, das damals zwischen dem Konsorti-
um und der Bundesregierung vereinbart worden ist.

Was sagen nun die Bundesregierung und die Koaliti-
onsfraktionen zu dieser gravierenden Veränderung?
Heute hat der Haushaltsausschuß in seiner Bereini-
gungssitzung zum Haushalt 2000 gegen unsere Stimmen
und mit den Stimmen aller anderen Fraktionen seine Zu-
stimmung zum Transrapid auf dieser Strecke gegeben.
Verkehrsminister Klimmt wird wie folgt zitiert:

Aus technischer Sicht ist die eingleisige Variante
offenbar machbar.

Wir gestatten uns noch einmal einen Blick in das
Protokoll zur erstmaligen Beratung des Antrags vor ei-
nem Jahr. Damals hatte ich dem Kollegen Schmidt just
eine entsprechende Frage gestellt. Der geschätzte Kolle-
ge antwortete mir wie folgt:

Der Trichter, auf den jetzt die Magnetbahnpla-
nungsgesellschaft und das Konsortium zu kommen
glauben, indem sie sagen, man könnte ja jetzt viel-
leicht … eingleisig bauen, um die Kosten zu sen-
ken, … funktioniert nicht. Denn das Eckpunktepa-
pier

– so Kollege Schmidt –
– und das ist ja das Gute daran, daß das in dem
Koalitionsvertrag steht – gilt natürlich in allen Tei-
len, inklusive der ganzen Parameter … hinsichtlich
der Zweigleisigkeit.

Nun haben wir die Eingleisigkeit, die Verletzung der
„Parameter“ und des Eckpunktepapiers. Doch der
„Trichter“ funktioniert. Und SPD und Bündnisgrüne
werden vom Konsortium regelrecht vorgeführt.






(A) (C)



(B) (D)


Das ist nicht allein Sache der Parteien, die dafür von
den Wählerinnen und Wählern in Nordrhein-Westfalen
bei der nächsten Wahl zur Rechenschaft gezogen wer-
den könnten. Nein, es sind die Gelder der Steuerzahler,
die die Regierungsparteien hiermit ins „Casino Transra-
pido“ tragen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, in der Beschluß-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen zu unserem Antrag, über die wir ab-
stimmen müssen, steht nicht nur, daß unser Antrag ab-
gelehnt und Ja zum Transrapid gesagt werden soll. Dort
steht auch unter der Rubrik „Kosten“: Keine. Und das ist
die schlichte Unwahrheit. Das Beharren auf dem Ma-
gnetschwebebahnbedarfsgesetz und den Bau einer nun-
mehr eingleisigen Streckenführung zwischen Hamburg
und Berlin bedeutet allein für den Haushalt 2000 zu-
sätzlich zu den bereits veranschlagten Ausgaben in Höhe
von 2,2 Milliarden DM die Bereitstellung von 1 Milliar-
de DM.

Wir fordern den Bundestag auf, das walten zu lassen,
was vor einem Jahr die Kollegin Mertens als Koaliti-
onsmaxime ausgab: Ratio, also schlicht Vernunft.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406934100
Das Wort hat
jetzt der Kollege Reinhard Weis.


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1406934200
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen
Sie mich zu dem Antrag der PDS-Fraktion derart Stel-
lung nehmen, daß ich vor dem Hintergrund dessen, was
in den letzten beiden Jahren verfahrenstechnisch abge-
laufen ist, ein paar Sätze zur aktuellen Entwicklung der
Diskussion um den Transrapid sagen.

Vorausschicken möchte ich meine persönliche Sicht:
Die Magnetschwebebahn ist eine faszinierende techni-
sche Herausforderung. Das sage ich aus eigener Über-
zeugung; denn als Diplomingenieur, der ich auch Elek-
tromaschinenbau studiert habe, kann ich die technische
Meisterleistung schon beurteilen. Ich glaube, daß jeder
von Ihnen, der einmal Gelegenheit hatte, mit dem Trans-
rapid auf der Teststrecke zu fahren


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Schweben, nicht fahren!)


– zu schweben, richtig! –, von der Technik fasziniert ist.
Ich stehe mit dieser Auffassung nicht allein da. Die

Koalition hat dem Transrapid eine so große Bedeutung
beigemessen, daß er Bestandteil der Koalitionsverein-
barung wurde. Diese Vereinbarung erkennt die hoch-
entwickelte Technologie der Magnetschwebebahn an.
Die Realisierung des Projekts wird von der Bundesregie-
rung gewünscht und gefordert.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Aber nicht auf dieser Strecke!)


Diese politische Willenserklärung ist eindeutig.

Ihnen ist aber auch bekannt, daß in der Koalitionsver-
einbarung die Grenzen für dieses Engagement beschrie-
ben werden. Maßstab für unsere Entscheidung ist das
Eckpunktepapier von 1997, auf das sich das Industrie-
konsortium, die Bahn AG und die damalige Bundesre-
gierung verständigt haben. In diese Verpflichtung ihrer
Vorgänger ist die rotgrüne Bundesregierung eingetreten.
Dies war aus Gründen der Rechtssicherheit und Ver-
tragstreue auch notwendig.

Das Eckpunktepapier regelt vor allen Dingen den Fi-
nanzierungsrahmen. Die Bundesregierung übernimmt
den Auftrag ihrer Vorgänger, das Projekt mit 6,1 Milli-
arden DM für den Bau der Trasse zu fördern. Eine sol-
che Summe verpflichtet natürlich zur Sorgfalt und zum
Verantwortungsbewußtsein. Das gilt insbesondere für
die Investoren, die viele öffentliche Gelder ausgeben.

Nun gab es schon frühzeitig erste Signale, die davor
warnten, daß der ursprüngliche Kostenrahmen nicht
eingehalten werden kann. Heute wissen wir ziemlich
verbindlich: Die Schätzungen der Baukosten für die
zweispurige Trasse liegen bei rund 9 Milliarden DM,
das sind 3 Milliarden DM mehr als veranschlagt.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Ach!)

Die Bundesregierung hält ihre Zusage über 6,1 Milliar-
den DM unverändert aufrecht. Den Rest kann sie nicht
übernehmen, das wäre unverantwortlich. Sie alle kennen
die Grenzen unserer finanziellen Handlungsfähigkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nach dem Eckpunktepapier sind nun Bahn und Indu-
strie am Zug. Sie haben über den Umgang mit den
Mehrkosten und über den Vorschlag des ehemaligen
Verkehrsministers Franz Müntefering aus der ersten Le-
sung des Haushalts 2000 zu einer denkbaren eingleisi-
gen Streckenführung zu entscheiden. Diese Entschei-
dungen werden sie vor allem unter dem Blickwinkel der
Wirtschaftlichkeit zu fällen haben; schließlich macht
eine Referenzstrecke als Voraussetzung für die welt-
weite Vermarktung des Transrapid nur Sinn, wenn sie
Wirtschaftlichkeit nachweist.

Nun sagen die Sprecher von Wirtschaftsverbänden,
daß die Bundesregierung die vollen Kosten übernehmen
solle. Sie sagen, der Transrapid sei für den Standort
Deutschland so wichtig, daß er unter allen Umständen
gebaut werden müsse. Diesen Sprechern schlage ich vor:
Beteiligen Sie sich. Bilden Sie einen Finanzierungs-
fonds. Beweisen Sie, wie überzeugt Sie von der Pro-
duktreife und den Marktchancen des Transrapid sind.

An einem solchen Fonds könnten sich auch die Bun-
desländer beteiligen, die ein eigenes Interesse an der
Realisierung haben. Ein solches Engagement wäre nach
meiner Meinung ein eindrucksvoller Beweis dafür, auf
wie breiter Basis die Innovationsfreudigkeit in
Deutschland tatsächlich steht oder ob von vielen nur
Lippenbekenntnisse zu diesem Thema abgegeben wer-
den; aber dies nur nebenbei.

Im Zusammenhang mit der Forderung nach Aufstok-
kung der Bundesmittel für den Transrapid möchte ich

Dr. Winfried Wolf






(B)



(A) (C)



(D)


mich ausdrücklich an die Kollegen der Opposition von
CDU/CSU und F.D.P. wenden. Aber das ist nur ein
Blick in die Vergangenheit; denn wir wissen, daß der
Kollege Wissmann im Amt des Verkehrsministers aus-
drücklich ausgeschlagen hat, die Finanzierungsverein-
barung für den Transrapid zu unterschreiben. Im Som-
mer 1998 gab es schon Spekulationen und Informatio-
nen über steigende Trassenpreise. Wohlweislich hatte
Herr Wissmann, der besser informiert war als die Öf-
fentlichkeit, die Finanzierungsvereinbarung nicht unter-
schrieben. Ihr Verkehrsminister war der Überzeugung,
daß der Transrapid ein gutes Produkt ist – dieser Mei-
nung sind auch wir –, er hatte aber auch erkannt, daß der
Transrapid den öffentlichen Kassen nicht jeden Preis
wert sein darf. Da hatte er recht.

In diesen Tagen scheint Bewegung in die Diskussion
über den Transrapid zu kommen. Beim China-Besuch
des Bundeskanzlers konnte ein „letter of intent“ über
eine Machbarkeitsstudie für den Transrapid in China
unterschrieben werden. Auch das belegt das eingangs
erwähnte Interesse der Bundesregierung am Erfolg des
Transrapid.

Der Gedanke – wenn auch vage und noch nicht mit
Realisierungsaussichten belegt –, die Strecke Hamburg–
Berlin nicht als Sonderlösung, sondern als Bestandteil
einer europäischen Hochgeschwindigkeitsstrecke zu
sehen, ist Beleg für die Suche nach einer weiteren An-
wendung. Auf der Grundlage des aktuellen Interesses
aus dem Ausland scheint die Suche nach einer alternati-
ven Referenzstrecke in Deutschland nicht sinnvoll.

Wir stehen im Wettbewerb mit einem japanischen
Projekt, und unser Vorsprung ist geschmolzen. Der
Transrapid muß, wenn die Betreiber ihn wollen und die
finanziellen Lücken geschlossen werden können, jetzt
auf die Spur gebracht werden. Alle anderen Ideen ver-
schieben die Realisierung auf den Sankt-Nimmerleins-
Tag. Das sage ich auch vor dem Hintergrund bekannt-
gewordener Ideen aus Süddeutschland. Anscheinend
sieht München einen so großen Bedarf auf der S-Bahn-
Strecke München–Flughafen München, daß vielleicht
eine dritte S-Bahn-Linie zum Flughafen als Referenz-
strecke für den Transrapid geeignet wäre.

Ich glaube aber, daß für ein neues Magnetschwebe-
bahnbedarfsgesetz auf dieser Linie nicht einmal die
Mehrheiten aus der alten Legislaturperiode zustande-
kommen würden. Das ist aber nicht unser heutiges The-
ma, wir wollen und sollten uns mit dem Antrag der PDS
zur Einstellung des Projekts Magnetschwebebahn Ham-
burg–Berlin auseinandersetzen. Die Aufmerksamen un-
ter Ihnen ahnen es längst: Die SPD-Bundestagsfraktion
lehnt den Antrag der PDS-Fraktion ab.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich fasse die Begründung noch einmal zusammen.

Erstens. Unsere Koalitionsvereinbarung regelt das Ver-
fahren. Wir stehen zur Zeit noch mitten in diesem Ver-
fahren. Jetzt müssen Industrie und Bahn AG entschei-
den. Darauf brauchen wir wahrscheinlich nicht mehr
lange zu warten, denn die Partner des Eckpunktepapie-
res treffen sich noch in der Mitte dieses Monats.

Zweitens. Der PDS-Antrag nimmt die aktuellen Ent-
wicklungen in der Transrapid-Diskussion nicht zur
Kenntnis. Das kann er auf Grund der Tatsache, daß er
vom 17. November 1998 datiert, auch nicht; das ist klar.
Diese Entwicklungen stellen die industriepolitische Ver-
antwortung, die mit diesem Projekt und seinen Zu-
kunftschancen verbunden ist, in den Vordergrund. Es ist
nicht verantwortbar, dies auszublenden.

Schlußendlich wurden von den Projektentwicklern,
der Bundesbahn und nicht zuletzt dem Bund bereits gro-
ße Vorleistungen erbracht. Hier sind neben den einge-
setzten Forschungsmitteln auch die seit Jahren laufenden
Genehmigungsverfahren zu nennen. Es gibt keinen
Grund, das mutwillig in den Sand zu setzen. Mehr ist
heute zu dem Thema Transrapid nicht zu sagen, zum
PDS-Antrag schon gar nicht. Ich habe deshalb meine
Redezeit nicht voll ausgenutzt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406934300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Georg Brunnhuber.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Georg Brunnhuber (CDU):
Rede ID: ID1406934400
Verehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Wolf, Sie haben recht: Ein Antrag zu dem Thema Ma-
gnetschwebebahn ist hier in dieser Form schon zum
wiederholten Male diskutiert worden: früher von den
Grünen,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


heute von Ihnen. Aber dem Antrag der PDS wird das
gleiche Schicksal widerfahren wie seinen Vorgängern.
Er wird in diesem Deutschen Bundestag keine Mehrheit
finden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Argumente im Antrag der PDS zielen auf die
Schwachstelle in der Regierungskoalition, nämlich auf
die Grünen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich als Schwachstelle? Das war jetzt falsch!)


Damit spiegelt sich das Dilemma dieser Koalition auch
im Transrapid wider.

Es stimmt zwar, Herr Weis, daß Sie sich im Koaliti-
onsvertrag eindeutig auf den Bau der Magnetschwebe-
bahn Transrapid geeinigt haben. Aber nachdem ich die
Ausführungen der Grünen dazu in den letzten Wochen und
Monaten verfolgt habe, stelle ich fest, daß diese Verein-
barung nicht das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben
ist. Denn Sie fühlen sich an diese Vereinbarung nicht

Reinhard Weis (Stendal)







(A) (C)



(B) (D)


gebunden. Insofern bietet die heutige Debatte schon eine
gute Möglichkeit,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Eine historische!)


in diesem Hause nochmals zu verdeutlichen, warum der
Transrapid zwischen Hamburg und Berlin für den Indu-
striestandort Deutschland so wichtig ist und welche
Vorteile der Transrapid gegenüber allen anderen Ver-
kehrssystemen hat.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Historische Gelegenheit!)


Als im Sommer dieses Jahres der frühere Verkehrs-
minister Müntefering mit der Idee an die Öffentlichkeit
getreten ist, den Transrapid zwischen Hamburg und
Berlin nur einspurig zu bauen, frohlockten die Gegner
bereits, weil sie glaubten, damit sei das Projekt gestor-
ben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Wer sich aber mit dem Thema schon länger befaßte, der
wußte schon zu diesem Zeitpunkt, daß eine Einspurig-
keit vom Grundsatz her technisch möglich ist und der
Transrapid bei entsprechenden Taktzeiten von zirka 30
Minuten auch wirtschaftlich betrieben werden kann. Wir
hoffen, daß wir in den nächsten Tagen und Wochen das
Ergebnis der Überprüfung auf dem Tisch haben werden.
Herr Wolf, eines möchte ich zu diesem Punkt noch sa-
gen: Eingleisigkeit des Schienennetzes ist nichts Neues;
denn auch die Hochgeschwindigkeitsstrecke des ICE ist
in Deutschland an vielen Stellen einspurig, ohne daß
sich das irgendwie negativ ausgewirkt hätte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir von der
CDU haben uns zunächst darüber geärgert und auch ge-
wundert, daß die Regierung ausgerechnet bei diesem
modernen System darauf beharrt, daß die im Sommer
1996 vereinbarten Investitionskosten in Höhe von 6,1
Milliarden DM die absolut oberste Grenze sein müssen.
Zu dem Zeitpunkt, in dem wir hier diskutieren, wird von
dieser Regierung – ohne mit der Wimper zu zucken –
mitgeteilt, daß die ICE-Strecke von Köln nach Frankfurt
nochmals um 1,5 Milliarden DM teurer wird als vorge-
sehen


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sogar 1,7 Milliarden DM!)


und in der Zwischenzeit Gesamtkosten von über 9 Milli-
arden DM anfallen. Wahrscheinlich werden es noch
mehr, vielleicht sogar 10 Milliarden DM.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, wer das bezahlt? Die Bahn AG, nicht die Regierung!)


Man kann eigentlich nicht mehr nachvollziehen, daß
diese Regierung hinsichtlich der Investitionskosten für
das modernste Verkehrssystem, das weltweit einmalig
ist, so wenig flexibel ist, aber gleichzeitig Mehrkosten in
Milliardenhöhe für ein konventionelles Schienensystem
mit einem Federstrich akzeptiert.

Doch wir wollen heute nicht nur lamentieren, sondern
sind schon froh, daß die Bundesregierung – Gott sei
Dank – im Grundsatz zu ihrer Verpflichtung steht und
wenigstens die 6,1 Milliarden DM bereitstellt. Wenn ich
unseren Haushaltsexperten, Herrn Austermann, richtig
verstanden habe, dann hat er ja wohl im Gespräch mit
Minister Klimmt im Haushaltsausschuß deutlich ge-
macht, daß die Vereinbarung im Eckpunktepapier –
Preisstand: 1996 – bedeutet, daß die Inflationsrate mit
dazugerechnet werden muß. Dann sind es noch einmal
rund 700 Millionen DM mehr; dann hätten wir 6,8/6,9
Milliarden DM zur Verfügung. Ich glaube, es ist ganz
wichtig, das heute hier festzuhalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich noch einmal auf ein paar Punkte aufmerksam ma-
chen, die verdeutlichen, wie toll diese Technik ist.

Erstens. Der Transrapid ist das sicherste und umwelt-
freundlichste Verkehrsmittel der Zukunft.

Zweitens. Der Transrapid ist mit bis zu 500 Kilome-
tern in der Stunde Spitzengeschwindigkeit ein sehr
schnelles und damit äußerst attraktives Verkehrsmittel,
das in der Lage ist, Millionen Menschen zu befördern
und damit die Mobilität einer modernen Industriegesell-
schaft zu sichern.

Drittens. Die Magnetschwebebahn verfügt über be-
rührungsfreie Trag-, Führungs-, Brems- und Antriebssy-
steme. Deshalb entfallen sämtliche Roll- und Motoren-
geräusche. Der Transrapid – das muß man sich einmal
vor Augen führen – ist bei einer Geschwindigkeit von
mehr als 400 Stundenkilometern leiser als ein ICE bei
160 Stundenkilometern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Viertens. Der Energieverbrauch des Transrapids

liegt bei 400 Stundenkilometern in etwa bei dem Wert
eines ICE bei 280 bis 300 Stundenkilometern. Er ver-
braucht 30 Prozent weniger als ein Flugzeug auf der
gleichen Distanz.

Fünftens. Der Transrapid ist so umweltfreundlich,
daß allein auf der geplanten Strecke zwischen Hamburg
und Berlin gegenüber dem individuellen Verkehr jähr-
lich 3 Millionen Liter Benzin bzw. 100 000 Tonnen CO2eingespart werden.


(Beifall bei der CDU/CDSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wird einem ja schwindlig!)


Wenn die Grünen und Teile der SPD – Herr Weis,
Sie sind hier eine Ausnahme – ihre eigenen umweltpoli-
tischen Zielvorstellungen ernst nehmen würden, dann
müßten sie allein aus diesen Gründen die glühendsten
Anhänger des Transrapids sein. Aber leider Gottes sind
die ideologischen Scheuklappen und die Technologie-
feindlichkeit bei den Grünen und in Teilen der SPD grö-
ßer als ihre Verantwortung für Umwelt und Natur.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das haben Sie damals auch schon gesagt! Sie haben sich aber nicht viel Mühe gegeben!)


Georg Brunnhuber






(B)



(A) (C)



(D)


Sechstens. Laut einer Intraplanstudie wird das Perso-
nenverkehrsaufkommen bis zum Jahre 2010 immens
ansteigen. Allein der Verkehr in Ost-West-Richtung
wird sich gemäß den Schätzungen des Bundesverkehrs-
wegeplanes verdreißigfachen. Angesichts dieser Per-
spektiven wird die Verlagerung des Verkehrs auf emis-
sionsärmere Verkehrsträger zur entscheidenden ökologi-
schen Herausforderung. Deutschland hat mit der Ma-
gnetschnellbahn den Schlüssel zur Lösung dieser Pro-
bleme in der Hand.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nicht umsonst ist die gesamte Welt an diesem techni-
schen System interessiert. In den USA wird derzeit ein
Planungsauftrag zum Transrapid vergeben. Der Herr
Bundeskanzler hat nun in China selber erfahren, daß
man dort großes Interesse am Transrapid hat. Natürlich
ist die Strecke Peking–Schanghai noch nicht so ausge-
reift, daß man es als ernsthaftes Projekt ansehen könnte.
Aber ich finde, auch dies müßte jedem zu denken geben.
Ich habe den Eindruck, daß die einzigen Ignoranten auf
der ganzen Welt hier vor uns auf den Regierungsbänken
sitzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein wichti-

ger Hinweis – das spielt in dieser Koalition teilweise of-
fensichtlich keine Rolle mehr –: Der Transrapid wird in
der Bauphase fast 18 000 Arbeitsplätze sichern und da-
nach allein für den Betrieb 4 400 neue Arbeitsplätze
schaffen.

Der Transrapid ist im Vergleich zu den ICE-
Neubaustrecken pro Kilometer wesentlich wirtschaftli-
cher als alles, was bisher gebaut wurde. Für die ICE-
Neubaustrecke Köln–Rhein-Main müssen rund 47 Mil-
lionen DM pro Kilometer aufgewandt werden. Für die
Neu- und Ausbaustrecke Hannover–Berlin, die topogra-
phisch mit der Transrapidstrecke Hamburg–Berlin ver-
gleichbar ist, sind rund 34 Millionen DM pro Kilometer
angefallen. Die Transrapidstrecke von Hamburg nach
Berlin kostet pro Kilometer, und zwar zweigleisig, nur
20 Millionen DM.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein Schnäppchen!)


Damit ist dieses System in der Lage, die großen Ver-
kehrsströme zwischen den Hauptstädten in Europa in der
Zukunft preisgünstiger zu bewältigen als jede noch so
moderne Schienenstrecke.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der billige Jakob ist das!)


Nicht umsonst gibt es deshalb im Konsortium der Trans-
rapid-Industrie Überlegungen, den Transrapid von
Hamburg über Berlin, Dresden und Prag bis nach Wien
und Budapest zu verlängern.


(Zuruf von der SPD: Er kann gleich bis nach Schanghai weiterfahren!)


Natürlich ist das eine Vision. Aber diese Vision ist in
einer Machbarkeitsstudie fast schon greifbar. Es ist doch
geradezu phantastisch, wenn wir heute über das Angebot

eines Verkehrssystems diskutieren können, bei dem man
hier im Lehrter Bahnhof einsteigt und zwei Stunden
später in Wien im Westbahnhof aussteigt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich finde es geradezu blamabel, daß Sie diese Position
nicht stärker unterstützen.

Meine Damen und Herren, wer in den Debatten stän-
dig über CO2-Emissionen und das Ozonloch streitet, werdas dauernd vor sich herträgt,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Ozonloch kann man doch nicht vor sich hertragen!)


der sollte endlich auch den Mut haben, dem umwelt-
freundlichsten Verkehrssystem, nämlich dem Transra-
pid, freien Lauf und grünes Licht zu geben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406934500
Das Wort hat
jetzt der Kollege Albert Schmidt.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Kollege Brunnhuber ist wie immer sehr
unterhaltsam. Vieles von dem, was er sagt, ist durchaus
bedenkenswert, und manches ist sogar richtig.

Richtig war zum Beispiel, daß Sie darauf hingewie-
sen haben, daß die ICE-Neubaustrecke von Frankfurt
nach Köln in der Tat teurer wird. Sie wird sogar noch
teurer, als Sie gesagt haben: Die Kostensteigerung be-
trägt 1,75 Milliarden DM. Leider stimmt es aber nicht,
wie Sie gesagt haben, daß der Bund einfach in die
Schatulle greift und das Geld nachschießt. Schön wäre
es! Wissen Sie, was Ihr Verkehrsminister damals mit
Heinz Dürr beschlossen hat? Er hat gesagt: Die Mehrko-
sten übernehmt ihr bei der DB AG. Genau das findet
jetzt auch statt. Die Bahn AG wird nun diese Mehrko-
sten tragen müssen. Genau dieses Risiko wollen wir
beim Transrapid vermeiden und der Bahn ersparen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es war in den letzten Tagen und Wochen sehr unter-
haltsam, sogar direkt aufregend, überall in den Zeitun-
gen vom Transrapid zu lesen: Transrapid nach Prag,
Transrapid nach Warschau, nach Budapest, nach Wien,
von Peking nach Schanghai. – Es fehlte noch Las Ve-
gas–Amsterdam oder Bremen–Bremerhaven. Auch Au-
stralien war früher schon im Gespräch. Mir war schon
ganz schwindelig vor lauter Transrapid. Überall, wo
man hingeguckt hat, war der Transrapid schon da. Es
gab ein wahres propagandistisches Trommelfeuer, das
zeigt, wie groß im Moment der Bedarf an Stimmungs-
mache ist, um vielleicht doch noch eine Entscheidung
hinzubekommen, die natürlich in Ihrem Interesse wäre.


(Zuruf von der CDU/CSU: Freuen Sie sich doch über das internationale Interesse!)


Georg Brunnhuber






(A) (C)



(B) (D)


Ach, die Verbindung München Hauptbahnhof–Mün-
chen Flughafen habe ich ganz vergessen! Auch das ist
eine sehr interessante Idee. Man müßte zwar eine
Schneise durch Nordschwabing schlagen, aber anson-
sten ist das eine sehr interessante Idee. Das sollte man
wirklich einmal prüfen. Ich wünsche jedem viel Ver-
gnügen in der Auseinandersetzung mit den Tausenden
von Menschen, die dort ihre Wohnungen verlassen
müßten.

Aber es wird noch toller: Plötzlich war in den Zeitun-
gen von einer Studie zu lesen: Einspurigkeit ist wirt-
schaftlich machbar! Begutachtet von einem gewissen
Herrn Professor Nich aus Berlin. –


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Vom Eisenbahntechnischen Institut! Das ist eine Kapazität!)


Die Studie ist nicht von der DB in Auftrag gegeben
worden; das kann ich Ihnen versichern. – Wer ist ei-
gentlich Herr Professor Nich? Herr Professor Nich war
stellvertretender Leiter der Versuchsstrecke im Emsland
Mitte der 80er Jahre. Das heißt, er hat in großer Objekti-
vität sich selbst begutachtet. Man kann sich ja vorstel-
len, was dabei herauskommt. Das war also nicht sehr
ernst zu nehmen. Nun ist ein neues Gutachten im Ge-
spräch, zitiert von einem geschätzten SPD-Kollegen aus
Kassel.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein Experte!)


Auch in diesem Gutachten steht angeblich – keiner hat
es bisher gelesen, aber die „Bild“-Zeitung hat es ge-
schrieben –, eine einspurige Strecke sei wirtschaft-
lich. Man befördere fast ebenso viele Fahrgäste – und
dies dazu noch billiger als auf einer zweispurigen
Strecke. Gestern hat sich der Herr Jablonski von der
Magnetbahn-Planungsgesellschaft zu Wort gemeldet
und gesagt, dies sei ein Mißverständnis. Auf einer
einspurigen Strecke werde es nicht billiger, sondern teu-
rer. Es ist auch merkwürdig, daß der halbe Fahrweg
plötzlich mehr kostet als der ganze. Dies sei aber einmal
dahingestellt.

Es stellt sich die weitere Frage, wie viele Fahrgäste
befördert werden sollen. Dies ist für mich das Hexen-
einmaleins: Der Fahrweg wird teurer und halbiert; es
werden weniger Fahrgäste befördert, aber das Ganze
wird wirtschaftlicher. Auf diese Studie bin ich sehr ge-
spannt. Aber vielleicht ist auch die Aussage hinsichtlich
der Fahrgastzahl ein Mißverständnis.

Ich lade Sie zu einem kleinen Experiment ein. Wenn
Sie heute abend nach Hause gehen, gehen Sie an Ihrem
Computer ins Internet. Rufen Sie die Webseite von
„www.bahn.de“ auf. Dort ist ein aktuelles Angebot der
Deutschen Bahn nachzulesen, nämlich „surf and rail“.
Es erscheint eine Karte, auf der verschiedene Städte
Deutschlands aufgelistet sind. Die schwach ausgelaste-
ten Strecken der Deutschen Bahn AG können Sie dort
elektronisch buchen. Raten Sie, welche Sie unter den
schwach ausgelasteten Strecken der Bahn finden, die auf
dem elektronischen Wühltisch verhökert werden? – Die
Strecke Hamburg–Berlin, und zwar zum Preis von

75 DM. Wenn Sie die Bahncard besitzen, beträgt er so-
gar nur 70 DM. Soviel zur Auslastung der Strecke zwi-
schen Hamburg und Berlin.


(Zuruf des Abg. Georg Brunnhuber [CDU/CSU])


– Herr Brunnhuber, das erklärt doch schon alles.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Brunnhuber, probieren Sie es heute abend im Inter-
net aus und buchen Sie. Dann bekommen Sie diese Ver-
bindung, Hin- und Rückfahrt, für 75 DM. Für die Fahrt
mit dem Transrapid müßten Sie über 200 DM bezahlen.
Das ist der Unterschied.


(Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Wollen Sie ihn, oder wollen Sie ihn nicht? Reden Sie nicht drum herum!)


Hier war auch von der Koalitionsvereinbarung die
Rede. Eines möchte ich deutlich sagen: Ein Transrapid
ist ja kein Atomkraftwerk. Es handelt sich um eine Ver-
kehrstechnik, nicht mehr und nicht weniger, noch dazu
um eine hochentwickelte, wie mehrfach richtig gesagt
wurde, und auch eine interessante. Für mich ist die
schlichte Frage nicht: Ist die Technologie gut oder
schlecht? Dies wäre eine ideologische Debatte. Die Fra-
ge ist – wie bei jeder anderen Verkehrstechnik auch –:
Rechnet sich dieses Projekt auf einer bestimmten Strek-
ke? Weil wir dies zumindest in Zweifel gestellt sahen,
haben wir eine kluge und klare Verabredung im Koaliti-
onsvertrag getroffen.


(Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Das war aber die einzige!)


Darin steht: Als Grundlage für die Entscheidung über
die Realisierung des Projektes gilt das Eckpunktepa-
pier vom April 1997 – nicht vom Sommer 1996, wie
Sie sagten, Herr Brunnhuber. Es ist festgehalten: zwei-
spuriger Fahrweg, 6,1 Milliarden DM Kostendeckel und
dazu eine bestimmte Fahrgastprognose, die natürlich
nötig ist, damit das Ganze wirtschaftlich betrieben wer-
den kann.

In diesem Eckpunktepapier sollten Sie auch Ziffer 10
nachlesen. Dort steht: Bei signifikanter Änderung der
Daten müssen sich die drei Projektbeteiligten, Bund,
Bahn und Industrie, zusammensetzen und in der Haupt-
sache neu entscheiden. – Genau dies wird geschehen.
Mitte November dieses Jahres wird dieses Zusammen-
treffen stattfinden. Dann wird man sich die Zahlen in
Ruhe ansehen.

Herr Kollege Wolf, ob Sie es glauben oder nicht: Ich
bin immer noch sehr gelassen, daß nach Analyse der
Zahlen, die dann auf dem Tisch liegen werden, von allen
drei Projektbeteiligten die richtige Entscheidung getrof-
fen werden wird.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Roland Claus [PDS]: Danke, Herr Kronzeuge!)


Albert Schmidt (Hitzhofen)







(B)



(A) (C)



(D)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406934600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Horst Friedrich.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1406934700
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der PDS
ist zwar schon ein Jahr alt, aber – man kann über ihn sa-
gen, was man will – er bleibt wenigstens konsequent in
der Linie der Ablehnung. Insofern ist die PDS berechen-
bar,


(Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen: Ist das ein Angebot?)


was über den veritablen Eiertanz sowohl der Grünen als
auch der SPD nicht gesagt werden kann. Denn wie Sie
sich in den letzten Jahren zu diesem Thema geäußert ha-
ben, ist schon nicht mehr nachvollziehbar. Nur schadet
es dem Transrapid mehr, als es ihm nutzt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist schon interessant: Der überfliegende Kanzler Ger-
hard Schröder, der in Japan stolz verkündet, welch veri-
table Technologie der Transrapid darstellt,


(Zuruf von der SPD: China!)

um in China mit großem Stolz einen „letter of intent“ zu
unterschreiben,


(Zuruf von der SPD: Das ist doch eine gute Technik!)


sagt gleichzeitig: Über das Ganze zu entscheiden traue
ich mich nicht. Dies muß die beteiligte Industrie tun.

Herr Kollege Schmidt, auf einer Regionalkonferenz
in Kassel am 13. November dieses Jahres wird der
Kanzler mit dieser Aussage nicht durchkommen. Denn
es ist zu lesen, daß Thyssen, die Betriebsräte, Herrn
Schröder in Form von mehr als 10 000 Unterschriften
fragen wird, was er denn nun tatsächlich zum Transrapid
belastbar meint. Dann müssen Sie endlich mit Ihrem
Eiertanz aufhören.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Am Anfang hat Klaus Daubertshäuser ein Buch ge-

schrieben, in dem er gefordert hat, daß der Transrapid
endlich umgesetzt wird. Die Verkehrsgruppe der SPD
hat dann erklärt: Wir möchten nur „ein bißchen Transra-
pid“, vielleicht auf der Strecke von Bremen nach Bre-
merhaven. Dann hat Herr Schröder gesagt: Tolle Tech-
nologie. Damals war er noch Ministerpräsident von Nie-
dersachsen und hat gefordert, daß bis zur EXPO 2000
alles wunderbar sein müsse, insbesondere die Versuchs-
strecke in Lathen. Auf dem Parteitag der SPD 1997
wurde der Transrapid überraschenderweise abgelehnt.
Zur großen Freude aller steht in der Koalitionsvereinba-
rung – dies ist ein glänzender Beweis dafür, daß der
grüne Koalitionspartner umgefallen ist –, daß der Trans-
rapid auf der Strecke Hamburg–Berlin verwirklicht wer-
den soll. Die Frau Staatssekretärin Ferner hat dies offen-
sichtlich nicht gelesen; denn sie möchte zwar den Trans-
rapid, aber nicht auf der Strecke Hamburg–Berlin. Dies
hat sie erst vor kurzem öffentlich erklärt. Wie denn nun?
Was soll dieses ganze Geeiere? Sie müssen bis zum Jah-

resende die Debatte um den Transrapid zum Abschluß
bringen. Die USA haben schon signalisiert, daß sie sich
wahrscheinlich nicht an der EXPO beteiligen werden.
Das wäre schlimm genug.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nicht mal einen Pavillon können sich die Amerikaner auf der EXPO leisten!)


Wenn Sie jetzt nicht die Diskussionen über den Transra-
pid beenden, dann wird sich die Industrie aus der Finan-
zierung der Versuchsstrecke in Lathen zurückziehen.
Wenn bis zur Eröffnung der EXPO 2000 im Sommer
nächsten Jahres die vorgesehene Außenstelle des Trans-
rapids, die Versuchstrecke in Lathen, durch Ihre Be-
schlüsse eingestellt sein sollte, dann gäbe die Bundesre-
publik ein „glänzendes Zeugnis“ nach außen ab.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Was muß denn eigentlich noch passieren, damit Sie die-
ses unwürdige Schauspiel beenden?

Nun hat uns der ehemalige Verkehrsminister Franz
Müntefering, der nur für eine Interimszeit tätig war, zum
Abschied den Vorschlag der Einspurigkeit hinterlassen.
Jetzt kommt etwas ganz Interessantes: Offensichtlich ist
eine Einspurigkeit realisierbar. Sie wird auch innerhalb
des Kostenrahmens darstellbar sein. Ich bin gespannt,
welche Ausreden Sie sich dann wieder einfallen lassen.

Ich frage auch, wie sich der jetzt nicht mehr anwe-
sende Bundesfinanzminister Hans Eichel entscheiden
wird. Er ist damals als Ministerpräsident von Hessen –
entgegen Ihren Vorstellungen – nicht Ihrer Aufforde-
rung gefolgt und hat das Magnetschwebebahnplanungs-
gesetz abgelehnt. Er hat es dann aber doch über die Hür-
den gebracht, weil er an die Arbeitsplätze in Kassel ge-
dacht hat. Nun hat er eine besondere Finanzverantwor-
tung. Ich bin gespannt, wie sich der ehemalige Minister-
präsident des Landes Hessen in dieser Frage entscheiden
wird. Sie haben noch die große Chance, einen unwürdi-
gen Eiertanz möglichst schnell zu beenden. Der Trans-
rapid hat etwas Besseres verdient als das, was Sie pla-
nen.

Herr Kollege Wolf, ich bitte um Ihr Verständnis, aber
den Antrag Ihrer Fraktion müssen wir leider ablehnen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1406934800
Ich schließe
damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Wohnungswesen zu dem Antrag der Fraktion der PDS
zur Magnetschwebebahnstrecke Hamburg – Berlin und
zur Einstellung der Transrapid-Förderung. Der Aus-
schuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/38 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlußempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS
bei einer Enthaltung aus dem Kreis der Grünen ange-
nommen worden.






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-

(3. Ausschuß)

– zu dem Antrag der Fraktionen SPD, CDU/

CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
OSZE-Gipfel in Istanbul – für eine Stär-
kung der Handlungsfähigkeit der OSZE

– zu dem Antrag der Fraktion der PDS
Neue europäische Sicherheitsarchitektur

– Drucksachen 14/1959, 14/1771 –
Die Kollegen Uta Zapf, Dr. Andreas Schockenhoff,

Rita Grießhaber, Walter Hirche, Wolfgang Gehrcke und
Staatsminister Dr. Ludger Volmer haben darum gebeten,
ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.*) Sind Sie
damit einverstanden? – Kein Widerspruch. Dann wird es
so gemacht.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bünd-
nis 90/Die Grünen und F.D.P. zu dem OSZE-Gipfel in
Istanbul, Drucksache 14/2063 Nr. 1. Der Ausschuß emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1959 in der Aus-
schußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlußempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen?
– Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses bei Enthaltung der PDS, angenommen
worden.

Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS

*) Anlage 8

zu einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur,
Drucksache 14/2063 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/1771 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlußempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlußempfehlung ist
gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des Hau-
ses im übrigen angenommen worden. Es gab keine Ent-
haltungen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ulla Lötzer, Rolf Kutzmutz, Dr. Winfried Wolf,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Internationales Kartellrecht, Unternehmens-
fusionen und -konzentrationen
– Drucksachen 14/1403, 14/1824 –

Auch hier ist darum gebeten worden, die Reden der
Kollegen Dr. Uwe Jens, Hartmut Schauerte, Werner
Schulz, Gudrun Kopp und Ursula Lötzer sowie des Par-
lamentarischen Staatssekretärs Siegmar Mosdorf zu
Protokoll geben zu dürfen.*) Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Vielen Dank.

Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 12. November 1999,
9 Uhr ein.

Diese Sitzung ist geschlossen. Allen Kolleginnen und
Kollegen wünsche ich eine gute Nacht.