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    Plenarprotokoll 14/69 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 69. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Brigitte Lange ....................................... 6103 A Eintritt des Abgeordneten Albrecht Feibel in den Deutschen Bundestag ................................ 6103 A Erweiterung der Tagesordnung ....................... 6103 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 9 und 13 6104 A Tagesordnungspunkt 3: a) Regierungserklärung des Bundeskanz- lers zum Stand der Deutschen Einheit .... 6104 A b) Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht 1999 der Bundesregie- rung zum Stand der Deutschen Einheit (Drucksache 14/1825) ................................ 6104 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Dr.-Ing. Paul Krüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU Weiterführung des Jahresberichtes der Bundesregierung zum Stand der Deut- schen Einheit (Drucksache 14/1715) ........ 6104 A d) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der neuen Länder – zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Die wirtschaftliche Stärkung der neuen Länder – Voraussetzung für die Gestaltung der Deutschen Ein- heit – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Dr. Angela Merkel, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion CDU/CSU Aufbau Ost endlich wieder richtig machen – zu dem Antrag der Abgeordneten Jür- gen Türk, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P. Aufbau Ost muß weitergehen – zu dem Antrag der Fraktion PDS Fahrplan zur Angleichung der Le- bensverhältnisse und zur Herstel- lung von mehr Rechtssicherheit in Ostdeutschland – „Chefsache Ost“ (Drucksachen 14/1210, 14/1277, 14/1542, 14/1551, 14/2032) ................. 6104 B e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nor- bert Otto (Erfurt), Dirk Fischer (Ham- burg), weiterer Abgordneter und der Fraktion CDU/CSU Realisierung des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit (VDE) Nr. 8 Schienenneubaustrecke Nürnberg- Erfurt-Halle/Leipzig-Berlin – zu dem Antrag der Abgeordneten Cor- nelia Pieper, Dr. Karlheinz Guttma- cher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P. Verkehrsprojekte Deutsche Einheit müssen zügig realisiert werden (Drucksachen 14/1208, 14/1543, 14/2047) ............................................... 6104 C Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 6104 D Arnold Vaatz CDU/CSU ................................. 6110 A II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 Dr. Peter Struck SPD ........................................ 6113 C Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. ......................... 6117 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 6120 D Dr. Michael Luther CDU/CSU .................... 6122 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ............. 6125 A Dr. Gregor Gysi PDS........................................ 6126 B Dr. Harald Ringstorff, Ministerpräsident (Mecklenburg-Vorpommern) .......................... 6130 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU.................. 6132 B Rolf Schwanitz, Staatsminister BK .................. 6135 D Cornelia Pieper F.D.P. ...................................... 6138 C Markus Meckel SPD ........................................ 6140 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU. 6141 C Katherina Reiche CDU/CSU ........................... 6142 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................. 6145 A Günter Nooke CDU/CSU ................................ 6146 A Sabine Kaspereit SPD ...................................... 6147 D Dr. Michael Luther CDU/CSU ........................ 6149 C Frank Hempel SPD .......................................... 6152 D Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU ...................... 6155 C Frank Hempel SPD .......................................... 6156 A Tagesordnungspunkt 4: Große Anfrage der Abgeordneten Maria Eichhorn, Hannelore Rönsch (Wiesba- den), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 14/679, 14/1717) ..................................................... 6157 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 6157 B Christel Hanewinckel SPD .......................... 6159 A Dr. Klaus Grehn PDS ...................................... 6160 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 6160 A Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ ........................................................... 6160 B Ina Lenke F.D.P. .............................................. 6162 B Dr. Edith Niehuis SPD ..................................... 6164 C Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 6164 D Dr. Edith Niehuis SPD ..................................... 6165 A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 6165 B Dr. Ilja Seifert PDS ......................................... 6167 A Arne Fuhrmann SPD ....................................... 6168 B Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU ........... 6171 A Kurt Bodewig SPD .......................................... 6172 C Erika Reinhardt CDU/CSU ......................... 6173 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 6174 B Renate Diemers CDU/CSU ............................. 6175 C Christa Lörcher SPD ....................................... 6177 B Erika Reinhardt CDU/CSU ......................... 6178 D Vizepräsident Rudolf Seiters ........................... 6172 D Tagesordnungspunkt 14: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung und Ergänzung ver- mögensrechtlicher und anderer Vor- schriften (Vermögensrechtsergänzungs- gesetz) (Drucksache 14/1932) ................... 6179 D b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Fred Gebhardt, Dr. Heinrich Fink, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialis- mus (Drucksache 14/1002) ....................... 6179 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren Antrag der Abgeordneten Ursula Bur- chardt, Monika Griefahn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Angelika Beer, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Förderung der Friedens- und Konflikt- forschung (Drucksache 14/1963) ............. 6180 A Tagesordnungspunkt 15: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (Drucksa- chen 14/1415, 14/2017) ............................. 6180 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Me- liorationsanlagengesetzes (Drucksachen 14/1832, 14/2045) ...................................... 6180 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 III c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verarbeitung und Nutzung der zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates erhobenen Daten und zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes (Ver- ordnung (EG) Nr. 820/97 – Durchfüh- rungsgesetz) (Drucksachen 14/1856, 14/2001) ..................................................... 6180 D d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dünge- mittelgesetzes (Drucksachen 14/1857, 14/2002) ..................................................... 6181 A e) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll zur Änderung des Übereinkom- mens vom 23. Juli 1990 über die Besei- tigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (Drucksa- chen 14/1653, 14/1846, 14/1897) .............. 6181 B f) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 3. Dezember 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Belarus über den Luftver- kehr (Drucksache 14/1026, 14/1964) ......... 6181 C g) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 23. April 1998 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tschechischen Republik über den Luft- verkehr (Drucksachen 14/1025, 14/1965) 6181 D h) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 29. Mai 1998 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Mongolei über den Fluglinienverkehr (Drucksachen 14/1024, 14/1966) ............... 6181 D i) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 10. März 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika über den Luft- verkehr (Drucksachen 14/1023, 14/1967) 6182 A j) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll vom 12. November 1997 zur Er- gänzung des Abkommens vom 2. No- vember 1987 zwischen der Bundesre- publik Deutschland und Neuseeland über den Luftverkehr (Drucksachen 14/1022, 14/1968) ...................................... 6182 A k) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 15. Juni 1998 zur Ergän- zung des Luftverkehrsabkommens vom 2. März 1994 zwischen der Bundesre- publik Deutschland und den Vereinig- ten Arabischen Emiraten (Drucksachen 14/1021, 14/1969) ...................................... 6182 B l) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Mai 1998 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Armenien über den Luftver- kehr (Drucksachen 14/1020, 14/1970) ..... 6182 C m) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu den Än- derungen vom 24. April 1998 des Über- einkommens vom 3. September 1976 über die Internationale Organisation für mobile Satellitenkommunikation (Inmarsat-Übereinkommen) (Drucksa- chen 14/1089, 14/1974) ............................. 6182 C n) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 21. Dezember 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Armenien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksa- chen 14/1008, 14/1975) ............................. 6182 D o) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-Abkommen vom 24. November 1997 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitglied- staaten einerseits und dem Haschemiti- schen Königreich Jordanien anderer- seits (Drucksachen 14/1006, 14/1976) ...... 6183 A p) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Sechsundneunzigste Ver- ordnung zur Änderung der Ausfuhrli- ste – Anlage AL zur Außenwirtschafts- verordnung – (Drucksachen 14/1414, 14/1616 Nr. 2.1, 14/2034) ......................... 6183 B IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 q) Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu den Verfahren nach § 44b Abgeordnetengesetz Überprüfung auf Tätigkeit oder politi- sche Verantwortung für das Ministe- rium für Staatssicherheit/Amt für Na- tionale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Drucksache 14/1900) ................................ 6183 C r) und s) Beschlußempfehlungen des Petitionsaus- schusses Sammelübersichten 92 und 93 zu Peti- tionen (Drucksachen 14/1980, 14/1981) ... 6183 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (Drucksachen 14/1666, 14/2038) ............... 6183 D Tagesordnungspunkt 5: – Zweite und dritte Beratung des Ent- wurfs eines Gesetzes zur Fortfüh- rung der ökologischen Steuerreform (Drucksachen 14/1524, 14/1668, 14/2027, 14/2044, 14/2049, 14/2050) .. 6184 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiteren Abgeordneten und der Frak- tion F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes über eine ökologisch wirklich wirksame Umstellung der Besteuerung ohne Mehrbelastung für Bürger und Wirtschaft (Druck- sachen 14/399, 14/2027, 14/2044, 14/2049, 14/2050) ................................ 6184 A Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD .............. 6184 C Hartmut Schauerte CDU/CSU ..................... 6185 B Heinz Seiffert CDU/CSU ................................ 6187 D Ulrich Heinrich F.D.P. ................................. 6188 D Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD .......... 6189 B Hans Michelbach CDU/CSU ....................... 6189 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 6190 C Jürgen W. Möllemann F.D.P. ........................... 6192 D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 6194 C Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD ............. 6195 A Jürgen W. Möllemann F.D.P. .......................... 6195 B Dr. Gregor Gysi PDS ....................................... 6195 D Peter Rauen CDU/CSU ................................... 6197 B Horst Kubatschka SPD .................................... 6198 D Birgit Homburger F.D.P................................... 6200 C Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU ....................... 6201 A Joachim Poß SPD ............................................ 6202 B Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 6202 D Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU ....................... 6203 B Dr. Hermann Scheer SPD (Erklärung nach § 31 GO) .......................................................... 6203 D Kurt Bodewig SPD (Erklärung nach § 31 GO) 6204 D Namentliche Abstimmung über den Ände- rungsantrag der CDU/CSU-Fraktion ............... 6205 A Ergebnis ........................................................... 6205 D Namentliche Abstimmung über den Ände- rungsantrag der F.D.P.-Fraktion ...................... 6208 A Ergebnis ........................................................... 6208 C Namentliche Abstimmung über den Ände- rungsantrag der SPD-Fraktion ......................... 6211 A Ergebnis ........................................................... 6213 C Tagesordnungspunkt 6: a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer „Stiftung Denk- mal für die ermordeten Juden Euro- pas“ (Drucksache 14/2013) ....................... 6211 C b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto, Dr. Wolfgang Ger- hardt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gründung einer „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ (Drucksache 14/1996) ... 6211 D c) Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ (Drucksache 14/2014) ... 6211 D Monika Griefahn SPD ..................................... 6212 A Dr. Norbert Lammert CDU/CSU .................... 6215 B Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 6217 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. ................. 6218 D Dr. Heinrich Fink PDS .................................... 6220 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 V Michael Roth (Heringen) SPD ......................... 6220 D Dr. Norbert Lammert CDU/CSU ................. 6221 A Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU ......................... 6222 A Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ............................................................. 6222 D Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ..................................................... 6223 B Dr. Michael Naumann, Staatsminister BK ...... 6224 B Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU ..................... 6225 B Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. .................. 6226 A Dr. Michael Naumann, Staatsminister BK ....... 6226 B Eckhardt Barthel (Berlin) SPD ........................ 6226 D Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde betr. Pläne der Bun- desregierung zur Erhöhung der Erb- schaftssteuer .............................................. 6226 D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. .............................. 6228 A Joachim Poß SPD ............................................ 6229 C Elke Wülfing CDU/CSU ................................. 6230 C Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ............................................ 6231 D Dr. Barbara Höll PDS ...................................... 6233 A Gisela Frick F.D.P. .......................................... 6234 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF ................................................................. 6235 C Otto Bernhardt CDU/CSU ............................... 6237 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 6238 B Jörg-Otto Spiller SPD ...................................... 6239 C Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/ CSU .................................................................. 6240 D Nicolette Kressl SPD ....................................... 6242 A Hans Michelbach CDU/CSU ........................... 6243 A Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD .............. 6244 B Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Günther Friedrich Nolting, weiteren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 12a) (Drucksa- che 14/1728 (neu)) ..................................... 6245 B Ina Lenke F.D.P. .............................................. 6245 C Anni Brandt-Elsweier SPD .............................. 6246 D Irmgard Karwatzki CDU/CSU ........................ 6249 A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 6250 C Birgit Homburger F.D.P. ............................. 6251 A Birgit Homburger F.D.P. ................................. 6252 C Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 6253 A Petra Bläss PDS ............................................... 6253 C Cornelia Pieper F.D.P. ................................. 6253 D Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. ............... 6254 C Verena Wohlleben SPD ................................... 6254 D Paul Breuer CDU/CSU .................................... 6256 A Verena Wohlleben SPD ................................... 6256 C Annette Widmann-Mauz CDU/CSU ............... 6256 C Tagesordnungspunkt 8: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Winfried Wolf, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Kein Bau einer Magnetschwebebahn Hamburg-Berlin – Transrapid-För- derung einstellen (Drucksachen 14/38, 14/339) ....................................................... 6258 A Dr. Winfried Wolf PDS ................................... 6258 B Reinhard Weis (Stendal) SPD ......................... 6259 A Georg Brunnhuber CDU/CSU ........................ 6260 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ............................................ 6262 C Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. ................... 6264 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlußemfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses – zu dem Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und F.D.P. OSZE-Gipfel in Istanbul – für eine Stärkung der Handlungsfähigkeit der OSZE – zu dem Antrag der Fraktion PDS Neue europäische Sicherheitsarchi- tektur (Drucksachen 14/1771, 14/1959) ............................................... 6265 A Tagesordnungspunkt 10: Große Anfrage der Abgeordneten Ulla Lötzer, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion PDS Internationales Kartellrecht, Unter- nehmensfusionen und -konzentrationen (Drucksachen 14/1403, 14/1824) .............. 6265 C VI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 Nächste Sitzung ............................................... 6265 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 6267 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Leo Dautzenberg (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Ökologischen Steuerreform Drucksache 14/2065 (Tagesordnungspunkt 5) 6267 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ulrich Adam (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Ökologischen Steuerreform Drucksache 14/2065 (Tagesordnungspunkt 5) 6267 D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Norbert Formanski, Volker Jung (Düssel- dorf), Jutta Müller (Völklingen), Ulla Bur- chardt, Christel Humme, Reinhard Schultz (Everswinkel), Nicolette Kressl, Jörg-Otto Spiller, Jochen Welt, Uwe Göllner, Michael Müller (Düsseldorf), Hans-Eberhard Urbani- ak, Dieter Grasedieck, Dieter Dzewas, Adolf Ostertag, Hans-Günter Bruckmann, Wolfgang Weiermann, Hans-Peter Kemper, Klaus Ha- senfratz, Marianne Klappert, Dagmar Schmidt (Meschede), Rainer Fornahl, Dr. Angelica Schwall-Düren, Ingrid Arndt-Brauer, Fried- helm Julius Beucher, Rolf Hempelmann, Walter Schöler, Ingrid Becker-Inglau, Peter Enders und Waltraud Lehn (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der ökologi- schen Steuerreform (Tagesordnungspunkt 5) .. 6268 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Anni Brandt-Elsweier, Kurt Bodewig, Regina Schmidt-Zadel, Klaus Brandner, Reinhold Hemker, Rolf Stöckel, Dr. Rainer Wend, Wolfgang Grotthaus, Hans-Werner Bertl, Willi Brase, Helga Kühn-Mengel, Fritz Schösser, Lilo Friedrich (Mettmann), Karin Kortmann, Dagmar Freitag, Bernd Scheelen, Dietmar Nietan (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Fortführung der ökologischen Steuer- reform (Tagesordnungspunkt 5) ...................... 6268 B Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrich Adam (CDU/CSU), Barbara Wittig (SPD), Klaus Lennartz (SPD) zur Abstim- mung über den Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Ökologischen Steuerre- form Drucksache 14/2065 (Tagesordnungs- punkt 5) ............................................ 6268 C Anlage 7 Erklärung des Abgeordneten Hans-Peter Kemper (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der ökologischen Steuerreform (Tagesordnungs- punkt 5) ............................................................ 6270 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – OSZE-Gipfel in Istanbul – für eine Stär- kung der Handlungsfähigkeit der OSZE und – Neue europäische Sicherheitsarchitektur (Zusatztagesordnungspunkt 5) Uta Zapf SPD .................................................. 6270 C Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU ............. 6271 B Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 6271 D Walter Hirche F.D.P. ...................................... 6272 B Wolfgang Gehrcke PDS ................................... 6273 A Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 6273 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Internationales Kartell- recht, Unternehmensfusionen und -konzentra- tionen (Tagesordnungspunkt 10) Ursula Lötzer PDS .......................................... 6274 D Dr. Uwe Jens SPD ........................................... 6275 C Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 6276 A Gudrun Kopp F.D.P ......................................... 6277 A Siegmar Mosdorf SPD ..................................... 6277 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6103 (A) (C) (B) (D) 69. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Anlage 9 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6267 (A) (C) (B) (D) Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Andres, Gerd SPD 11.11.99 Balt, Monika PDS 11.11.99 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.11.99 Böttcher, Maritta PDS 11.11.99 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 11.11.99 Ehlert, Heidemarie PDS 11.11.99 Friedrich (Altenburg), Peter SPD 11.11.99 Gebhardt, Fred PDS 11.11.99 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 11.11.99 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 11.11.99 * Gröhe, Hermann CDU/CSU 11.11.99 Haupt, Klaus F.D.P. 11.11.99 Dr. Hendricks, Barbara SPD 11.11.99 Hovermann, Eike SPD 11.11.99 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 11.11.99 Dr. Lamers (Heidelberg), Karl A. CDU/CSU 11.11.99 * Lippmann, Heidi PDS 11.11.99 Nietan, Dietmar SPD 11.11.99 Oesinghaus, Günter SPD 11.11.99 Ohl, Eckhard SPD 11.11.99 Otto (Frankfurt), Hans-Joachim F.D.P. 11.11.99 Pflug, Johannes SPD 11.11.99 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 11.11.99 Rachel, Thomas CDU/CSU 11.11.99 Rühe, Volker CDU/CSU 11.11.99 Schöler, Walter SPD 11.11.99 Dr. Scholz, Rupert CDU/CSU 11.11.99 Simm, Erika SPD 11.11.99 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 11.11.99 ————— *) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung der NATO Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Leo Dautzenberg (CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Ökologischen Steuerreform – Drucksache 14/2065 – (Tagesordnungspunkt 5) Durch den vorliegenden Antrag der Fraktion der CDU/CSU soll die Begünstigung (völlige Befreiung von der Heizstoffsteuer) gestrichen werden. Dies betrifft ausnahmslos GuD-Anlagen. Durch die be- sondere Situation meines Wahlkreises Heinsberg in Bezug zu Garzweiler II kann ich diesen Punkt nicht mittragen. Da ich die Ökosteuer in der vorliegenden Form für falsch halte, enthalte ich mich deshalb der Stimme. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ulrich Adam (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Ökologischen Steuerreform – Drucksache 14/2065 – (Tagesordnungspunkt 5) Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung festge- legte Beschränkung der Steuerentlastung auf Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad der Energieausnutzung von 57,5 Prozent könnte erhebliche Auswirkungen auf das in Lubmin bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern geplante Großkraftwerk haben. Entgegen dem eigent- lichen Vorschlag wurde der Monatsnutzungsgrad von den ursprünglich vorgesehenen 57 Prozent auf 57,5 Pro- zent angehoben. Es dürfte schwierig sein, ein Unter- nehmen auszumachen, das den sehr hohen Wirkungs- grad von 57,5 Prozent zu ökonomisch vertretbaren Konditionen garantieren könnte. Dies könnte den Fort- gang des Projektes um Monate aufhalten bzw. ganz ge- fährden. Die im Änderungsantrag nur geplante nochmalige Erhöhung des Monatsnutzungsgrades auf mindestens 70 Prozent macht die 400-Milliarden-Investition am Standort Lubmin faktisch unmöglich. Daher lehne ich diesen Änderungsantrag ab. 6268 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 (A) (C) (B) (D) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Norbert Formanski, Volker Jung (Düsseldorf), Jutta Müller (Völklingen), Ulla Burchardt, Christel Humme, Reinhard Schultz (Everswinkel), Nicolette Kressl, Jörg- Otto Spiller, Jochen Welt, Uwe Göllner, Michael Müller (Düsseldorf), Hans-Eberhard Urbaniak, Dieter Grasedieck, Dieter Dzewas, Adolf Ostertag, Hans-Günter Bruckmann, Wolfgang Weiermann, Hans-Peter Kemper, Klaus Hasenfratz, Marianne Klappert, Dagmar Schmidt (Meschede), Rainer Fornahl, Dr. Angelica Schwall-Düren, Ingrid Arndt-Brauer, Friedhelm Julius Beucher, Rolf Hempelmann, Walter Schöler, Ingrid Becker-Inglau, Peter Enders und Waltraud Lehn (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Fortführung der ökolo- gischen Steuerreform (Tagesordnungspunkt 5) Die Unterzeichner der Erklärung stimmen der Fort- führung der ökologischen Steuerreform zu, weil sie die Maßnahmen zur Verteuerung des Energieverbrauchs bei gleichzeitiger Entlastung der Kosten der Arbeit für rich- tig und zukunftsweisend halten. Hinter dieser Bewertung muß die Ablehnung der in dem Gesetz vorgesehenen Befreiung von hochwirk- samen GuD-Kraftwerken von der Mineralölsteuer auf Erdgas zurückstehen. Diese Steuerbefreiung begünstigt Verstromung von Gas in der Grundlast zulasten von Braun- und Steinkohle. Die Unterzeichner erklären, daß sie einer Nachfolge- regelung für diesen zeitlich befristeten Beihilfetatbe- stand nicht zustimmen werden. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Anni Brandt-Elsweier, Kurt Bodewig, Regina Schmidt-Zadel, Klaus Brand- ner, Reinhold Hemker, Rolf Stöckel, Dr. Rainer Wend, Wolfgang Grotthaus, Hans-Werner Bertl, Willi Brase, Helga Kühn-Mengel, Fritz Schösser, Lilo Friedrich (Mettmann), Karin Kortmann, Dagmar Freitag, Bernd Scheelen, Dietmar Nietan (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Fortführung der ökolo- gischen Steuerreform (Tagesordnungspunkt 5) Die Unterzeichner dieser Erklärung stimmen der Fortführung der ökologischen Steuerreform zu, weil sie die Maßnahmen zur Verteuerung des Energieverbrauchs bei gleichzeitiger Entlastung der Kosten der Arbeit für richtig und zukunftsweisend halten. Hinter dieser Bewertung muß die Ablehnung der in dem Gesetz vorgesehenen Befreiung von hochwirk- samen GuD-Kraftwerken von der Mineralölsteuer auf Erdgas zurückstehen. Diese Steuerbefreiung begünstigt Verstromung von Gas in der Grundlast möglicherweise zulasten von Braun- und Steinkohle. Die Unterzeichner erklären, daß sie einer Nachfolge- regelung für diesen zeitlich befristeten Beihilfetatbe- stand nicht zustimmen werden. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO Zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der ökologischen Steuerreform (Tagesordnungspunkt 5) Ulrich Adam (CDU/CSU): Im Hinblick auf die 2./3. Lesung des von den Fraktionen SPD und Bündnis 90/ Die Grünen eingebrachten Entwurfs eines „Gesetzes zur Fortführung der ökologischen Steuerreform“ gebe ich bekannt, daß ich einerseits aufgrund der bekannten Ar- gumente der CDU/CSU-Fraktion gegen dieses Gesetz stimmen werde, andererseits aber vor allem auch hin- sichtlich der nach den Gesetzentwürfen der Koalitions- fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie der Bundesregierung geplanten Begünstigung (Vergü- tung der vollen Heizstoffsteuer) in Anlagen mit Gastur- binen von netto mindestens 57,5 Prozent. Entgegen dem eigentlichen Vorschlag wurde die Beschränkung der Steuerentlastung auf Kraftwerke mit einem Wirkungs- grad der Energieausnutzung von den ursprünglich vor- gesehenen 57 Prozent auf 57,5 Prozent angehoben. Der nun im Gesetzentwurf festgelegte Wirkungsgrad von 57,5 Prozent könnte erhebliche Auswirkungen auf das in Lubmin bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern geplante Großkraftwerk haben. Es dürfte schwierig sein, ein Unternehmen auszuma- chen, das den sehr hohen Wirkungsgrad von 57,5 Pro- zent zu ökonomisch vertretbaren Konditionen garantie- ren könnte. Dies könnte den Fortgang des Projektes um Monate aufhalten bzw. ganz gefährden. Barbara Wittig (SPD): Eine Befreiung von GuD- Anlagen von der Mineralölsteuer hat meines Erachtens mittel- und langfristig folgenschwere Konsequenzen, insbesondere für die ostdeutsche Braunkohlewirtschaft und die Verstromung der Braunkohle. Ich kann nicht nachvollziehen, daß auf sichere heimische Energieträger zugunsten einer stärkeren Importabhängigkeit verzichtet werden soll. Wenn GuD-Anlagen mit einer wesentlich geringeren Beschäftigungsintensität in der Gesamtkette Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6269 (A) (C) (B) (D) gegenüber der Braunkohleverstromung diese mittel- und langfristig zurückdrängt oder ablöst, stellt sich für mich die Frage der Kompensation, d.h. es muß geklärt wer- den, wie entsprechende Arbeitsplatzverluste kompen- siert werden und Strukturprobleme in den betroffenen Braunkohleregionen gelöst werden sollen. Verschärft wird die Beschäftigungslage in den betrof- fenen ostdeutschen Ländern noch durch das am 22. Ok- tober dieses Jahres von den VEAG-Eignern, deren Vor- stand und Bundeswirtschaftsminister Müller ausgehan- delte Modell hinsichtlich der Verstromung der ostdeut- schen Braunkohle. Dies ist zwar ein Schritt in eine mögliche Richtung im Zusammenhang mit der Anpas- sung der Strompreise in Ost und West. Mit dem Ver- zicht auf den Gesprächsbereich Vermarktung wird aber in Wirklichkeit die unternehmerische Eigenständigkeit und Handlungsfähigkeit der VEAG drastisch reduziert, und ein weiterer erheblicher Abbau von Arbeitsplätzen ist vorprogrammiert. Ostdeutsche Bundesländer wären also doppelt betrof- fen. Das kann ich angesichts einer Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 25 Prozent im Lausitzer Revier nicht mittragen. Klaus Lennartz (SPD): Das Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform beinhaltet die Mineral- ölsteuerbefreiung für Gas- und Dampfkraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 57,5 Prozent. Da dieser Wir- kungsgrad nach dem heutigen Stand der Technik bereits erreicht werden kann, handelt es sich hierbei um eine Subventionszahlung, ohne daß damit technologische In- novationen verbunden wären. Um tatsächliche technolo- gische Erneuerungen bei GuD-Anlagen auszulösen, hätte das Erreichen des Wirkungsgrads von 57,5 Prozent (elektrisch) von dem Jahresnutzungsgrad abhängig ge- macht werden müssen. Dieser Konsens war innerhalb der Koalition nicht zu erzielen, da in dieser Frage Bünd- nis 90/Die Grünen keinerlei Kompromißbereitschaft zeigten und nicht bereit waren, sachliche und fachliche Argumente zu akzeptieren. Durch die Mineralölsteuerbefreiung von GuD- Anlagen mit einem Wirkungsgrad von 57,5 Prozent ent- steht ein Kostenvorteil von 0,7 Pfennig je Kilowatt- stunde bei den Brennstoffkosten, was die Wettbewerbs- situation aller anderen Stromerzeugungsarten, d.h. auch KWK und regenerative Energien, verschlechtern wird. Dies hätte nach internen Kostenabschätzungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zur Folge, daß GuD-Anlagen bis in den oberen Grundlast- bereich wirtschaftlich wären. Dadurch wird ein Ver- drängungswettbewerb eingeleitet, der insbesondere zu Lasten der ost- und westdeutschen Braunkohle gehen wird. Fakt ist, daß bereits jetzt eine GuD-Anlage von 2 500 MW in Greifswald geplant ist, die den Wirkungs- grad von 57,5 Prozent nach Auffassung aller Experten bereits nach dem heutigen Stand der Technik erreichen kann. Ein weiterer Ausbau entsprechender Anlagen wird folgen, ohne daß damit technologische Innovationen verbunden sind. Tatsächlich handelt es sich hierbei um steuerliche Mitnahmeeffekte zu Lasten der Steuerzahler durch einseitige Subventionierung. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuwei- sen, daß die Braunkohle in den neuen Bundesländern einen beispiellosen Anpassungsprozeß hinter sich hat. Seit der Wiedervereinigung ging die Braunkohle von 300 Mio. t/a auf jetzt 64 Mio. t/a zurück. Die Zahl der Beschäftigten sank von 130 000 um 90 Prozent auf jetzt 13 000. Diese verbliebenen Arbeitsplätze konzentrieren sich auf strukturschwache Gebiete und bilden dort den industriellen Rückhalt. Durch die steuerlichen Subven- tionen der geplanten GuD-Anlagen sind diese 13 000 Arbeitsplätze in Gefahr. Auch im rheinischen Revier steht die Braunkohle unter einem enormen Anpassungs- und Wettbewerbs- druck. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat mit den Unternehmen RWE und Rheinbraun ein 20-Milliarden-Programm vereinbart, daß Braunkohle- kraftwerke mit der BoA-Technik nachgerüstet werden, damit einerseits ein höherer Wirkungsgrad und anderer- seits eine erhebliche Reduktion von Schadstoffen erzielt werden können. Dieses umfangreiche Investitionsvor- haben zur Effizienzsteigerung der Braunkohlekraft- werke wird die Wettbewerbssituation der heimischen Braunkohle erheblich verbessern und Arbeitsplätze sichern. Insgesamt sind bei den Unternehmen Rhein- braun 11 000 Menschen und bei RWE allein im Kraft- werksbereich 6 000 Menschen beschäftigt. Unter Be- rücksichtigung der Sekundärarbeitsplätze, die mittelbar und unmittelbar von der Braunkohle abhängen, sind ca. 40 000 Arbeitsplätze betroffen. Zählt man die Familien der Beschäftigten hinzu, sind somit rund 100 000 Men- schen betroffen. Für die westdeutsche Steinkohle gilt das im verschärften Umfang. Auch hier steht die Existenz von 100 000 Menschen auf dem Spiel. Die Befreiung von GuD-Anlagen von der Mineral- ölsteuer wird auch nach Einschätzung des Bundes- ministeriums für Wirtschaft und Technologie – wie im Schreiben vom 10. September 1999 mitgeteilt – mittel- und langfristig folgenschwere Konsequenzen für die rheinische Braunkohle und deutsche Steinkohle haben. Nach meiner Überzeugung muß es das erste Ziel jeder Bundesregierung sein, Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen. Dies gilt selbstverständlich für die alten und neuen Bundesländer. Aufgrund der Gesamtsituation muß man die Äuße- rungen der betroffenen Unternehmen RWE und Rhein- braun, die aufgrund der Steuerbefreiung für GuD- Anlagen ihre Investitionsvorhaben und unternehmeri- schen Planungen auf den Prüfstand stellen wollen, sehr ernst nehmen. Im Klartext bedeutet das, daß die Er- schließung von Garzweiler II und die Durchführung des Modernisierungsprogramms auf dem Prüfstand stehen. Denn auch Unternehmen brauchen sichere und verläßli- che Rahmenbedingungen für ihre Investitionsentschei- dungen. Durch die einseitige steuerliche Bevorteilung ist da- von auszugehen, daß der Anteil des Erdgases an der Stromerzeugung deutlich steigen wird. Bei der politi- schen Betrachtungsweise ist jedoch die Frage der Liefer- sicherheit und Preisstabilität außer acht gelassen wor- den. Die Erdgasversorgung in der Bundesrepublik ist von drei Lieferantenländern abhängig. Dies sind die 6270 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 (A) (C) (B) (D) Niederlande, Norwegen und Rußland. Wie die Ent- wicklung im Osten sein wird, ist nicht vorauszusehen. Insofern ist eine Liefersicherheit nicht gewährleistet. Dies gilt auch für die Preissicherheit. Durch die enge Anbindung der Erdgaspreise an das Öl ist auch hier kei- ne langfristige Kalkulation möglich. In der Konsequenz bedeutet das für den Endverbraucher ein erhebliches Preisrisiko. Neben den erwähnten ökonomischen Nachteilen kommen die ökologischen Aspekte hinzu. Für den Fall, daß das Unternehmen RWE ganz oder teilweise aus dem Modernisierungsprogramm aussteigt, bleiben die alten Kraftwerke mit einem geringen Wirkungsgrad von 35 Prozent und einem relativ hohen Schadstoffausstoß erhalten. Bei der Durchführung des Modernisierungs- programms hingegen wird durch eine verbesserte Tech- nologie eine drastische Reduzierung des Schadstoffaus- stoßes erzielt und die Effizienzsteigerung der Kraftwer- ke bei der Stromerzeugung auf 46 bis 51 Prozent erhöht. Persönlich bin ich der Auffassung, daß die Politik, wenn sie für eine Steuerbefreiung eintritt, die Frage be- antworten muß, wie drohende Arbeitsplatzverluste kom- pensiert und Strukturprobleme gelöst werden können. Mein Ziel ist es, Arbeitsplätze zu schaffen und nicht zu vernichten. Aus diesen Gründen und weil ich die Existenz von Arbeitsplätzen und vielen Familien unmittelbar bedroht sehe, ist es für mich eine Gewissensentscheidung, diesem Gesetz nicht zuzustimmen. Meinen Kolleginnen und Kollegen von der CDU sei ins politische Stammbuch geschrieben, daß ich eine solche abgrundtiefe Heuchelei in dieser Frage selten erlebt habe. Im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages haben die CDU/CSU- Abgeordneten von einem Investitionsverhinderungsge- setz gesprochen und gefordert, den Wirkungsgrad her- abzusetzen. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß die Forderung der CDU/CSU nach einer Herabset- zung des Wirkungsgrades in der Tat der Braunkohle den Todesstoß versetzt hätte. Diese Forderung wird von dem NRW-Landesvorsitzenden der CDU, Jürgen Rüttgers, tunlichst verschwiegen. Abschließend anzumerken ist, daß durch Drängen der SPD im Finanzausschuß der Wirkungsgrad von 55 auf 57,5 Prozent angehoben wor- den ist. Anlage 7 Erklärung des Abgeordneten Hans-Peter Kemper (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Fortführung der ökologischen Steu- erreform (Tagesordnungspunkt 5) Bei der namentlichen Abstimmung habe ich verse- hentlich mit Ja gestimmt. Mein Votum lautet Nein. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – OSZE-Gipfel in Istanbul – für eine Stärkung der Handlungsfähigkeit der OSZE und – Neue europäische Sicherheitsarchitektur (Zusatztagesordnungspunkt 5) Uta Zapf (SPD): Der Istanbuler Gipfel der OSZE steht kurz bevor. Vor einer Woche haben wir dieses Thema schon einmal diskutiert. Dabei sind unsere Sor- gen deutlich geworden, ob dieser Gipfel ein Erfolg sein wird. Die Sorgen sind eher größer geworden. Das Problem des Krieges in Tschetschenien bedrückt uns. Die Situation in Tschetschenien ist nicht besser ge- worden. Zwar kann sich mittlerweile eine Mission der OSZE mit der Lage in Tschetschenien befassen, aber eine Bereitschaft Rußlands, die militärischen Opera- tionen einzustellen, die ja vor allem die Zivilbevöl- kerung treffen, zeichnet sich nicht ab. Rußland verstößt mit diesem Krieg massiv gegen die Prinzipien der OSZE, die wir auch auf diesem Gipfel gestärkt sehen wollen. Der Krieg in Tschetschenien zeigt auch, daß Instru- mente der Krisenprävention immer noch nicht ausrei- chend ausgebaut sind, um Gewalteskalation zu verhin- dern. Wir haben in der letzten Woche ausdrücklich das Recht eines Staates unterstrichen, den Terrorismus zu bekämpfen. Aber in Tschetschenien sehen wir einem Drama zu, in dem ein ganzes Volk bekämpft wird, um Terroristen zu treffen. Wir sehen ein neues Beispiel, wie Mißachtung von Menschenrechten, Diskriminierung von Minderheiten und das Schüren ethnischer und religiöser Konflikte zu Krieg führen können. Die instabilen staatli- chen Strukturen in den ehemaligen Staaten der Sowjet- union und der mangelhaft fortschreitende Prozeß der Demokratie sind ein zusätzliches Krisenrisiko. Kann man den Vertrag zur konventionellen Abrüstung in Eu- ropa und neue politische Grundsätze wie die Sicher- heitscharta unterschreiben, wenn gleichzeitig ein Ver- tragspartner den Vertrag und die politischen Prinzipien der OSZE massiv verletzt? Welche Folgen hätte ein Scheitern des Gipfels? Ein Scheitern würde die OSZE als Organisation entschieden schwächen, eine Organisation, die zur Stabilität in Euro- pa beigetragen hat, die zur Entspannung und gemeinsa- men Sicherheit beigetragen hat durch Vertrauensbil- dung, Transparenz, Abrüstung und Rüstungskontrolle, eine Organisation, die einen Beitrag zur Demokrati- sierung und zur Achtung und Rüstungskontrolle, eine Organisation, die einen Beitrag zur Demokratisierung und zur Achtung der Menschenrechte geleistet hat, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, eine Orga- nisation, die sich Krisenprävention und Friedenserhal- tung auf die Fahnen geschrieben hat und dafür Institu- tionen und Instrumente entwickelt hat und weiterent- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6271 (A) (C) (B) (D) wickelt, eine Organisation, die schon oft erfolgreich ge- wirkt hat. Diese Organisation darf nicht destabilisiert werden. Deshalb stimmen wir, glaube ich, alle überein, daß wir alles tun müssen, um den Gipfel nicht zu gefährden. Deshalb ist es auch richtig, daß die Regierung gestern im Kabinett dem KSE-Vertrag zugestimmt hat. Dieser Vertrag ist in unserem ureigensten Interesse. Wir ver- binden damit auch die Hoffnung, daß die russische Un- terschrift unter den Vertrag ein Mittel in die Hand gibt, zu einer politischen Lösung im Tschetschenien-Konflikt zu kommen. Der Vertrag trägt den neuen sicherheitspolitischen Bedürfnissen in Europa Rechnung. Nach dem Ende der Blockkonfrontation und der NATO-Osterweiterung führt er zu angepaßten Strukturen, die Stabilität in Euro- pa sichern. Ein wichtiges Instrument des Krisenmanagements sind die Missionen der OSZE. Es ist zu begrüßen, daß Rußland jetzt eine solche Mission in Tschetschenien zuläßt. Wir wollen dieses Instrument stärken, und der Gipfel wird einen Beitrag dazu leisten, indem er erste Schritte zum Aufbau eines Pools qualifizierten Personals für diese Aufgaben macht. Wir haben dies lange gefor- dert, weil nur gut geschulte Missionsteilnehmer die schwere und verantwortungsvolle Aufgabe der Ver- mittlung in Konflikten leisten können. Auch die Sicherheitscharta, die in Istanbul beschlos- sen werden soll, wäre ein Fortschritt. Sie soll als poli- tisch bindendes Dokument die Zusammenarbeit der Si- cherheitsorganisationen stärken und die bestehenden rü- stungskontrollpolitischen sowie vertrauens- und sicher- heitsbildenden Maßnahmen verbessern und festigen. Damit wird kooperative Sicherheit in Europa gestärkt. Wir sind auf diese Kooperation angewiesen, weil wir mit Rußland, der Ukraine und allen anderen Staaten vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen. Besonders wichtig ist es, neue Trennlinien in Europa zu vermei- den, die nach der NATO-Erweiterung zu entstehen drohten. Auch und gerade weil innerstaatliche Konflikte in Europa zugenommen haben, bleibt die Stärkung und Fortentwicklung der OSZE wichtig. Ein kooperatives System der Konfliktprävention kann eher den virulenten Gegensatz des Völkerrechtes zwischen Souveränitäts- rechten des Staates und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker ausgleichen. Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und Schutz der Menschenrechte dürfen nicht länger unversöhnliche Prinzipien bleiben. Ange- sichts des Konfliktpotentials in Europa, insbesondere in den Transformationsstaaten, ist eine Stärkung der OSZE als kooperativer Sicherheitsorganisation wichtiger denn je. Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Das Gip- feltreffen der OSZE in Istanbul findet zu einem Zeit- punkt statt, zu dem das massive Vorgehen der russischen Armee in Tschetschenien gegen die Zivilbevölkerung mit großer Brutalität andauert. Es handelt sich nicht um gezielte Aktionen gegen terroristische Aktivitäten, son- dern um eine Strategie der Vertreibung der Bevölkerung durch Bombenangriffe, die hohe Verluste unter Zivili- sten zur Folge haben. Damit wird nicht nur die Genfer Konvention mißachtet, sondern auch die von der OSZE selbst aufgestellten Regeln. Wir begrüßen es, daß eine OSZE-Beobachtermission jetzt in Tschetschenien tätig wird, wenn auch reichlich spät. Das neue Sicherheitskonzept, das in Istanbul auf der Tagesordnung steht, wird allerdings durch die Art dieser Mission von Anfang an unglaubwürdig. Künftig soll die OSZE eigenständig friedenserhaltende Maß- nahmen durchführen können. Die Regierung in Moskau hat der OSZE-Mission in Tschetschenien jedoch nur unter der Bedingung zugestimmt, daß sie auf rein huma- nitäre Aufgaben und die Betreuung von Flüchtlingen be- schränkt bleibt. Der Gipfel droht daher zu einer Doku- mentation der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der OSZE zu werden. Das kann uns nicht gleichgültig sein, weil die Autorität der OSZE als Orga- nisation, die mehr Sicherheit und Stabilität in Europa ermöglichen soll, einmal mehr nachhaltig beschädigt wird. Wird der neue KSE-Vertrag nächste Wochen nun unterzeichnet oder nicht? Wir können diese Frage heute nicht beantworten. Können wir uns überhaupt wün- schen, daß ein Vertrag unterzeichnet wird, der schon bei der Unterschrift ad absurdum geführt wird? Das Argu- ment, Abrüstung sei ein langfristiges Thema, deshalb bräuchten wir einen Erfolg in Istanbul, obwohl Rußland mit seinem Krieg den OSZE-Regeln Hohn spricht, ist gefährlich. Um die OSZE zu stärken, brauchen wir kei- nen Erfolg auf dem Papier, sondern eine handlungsfähi- ge Organisation, die Krisenprävention und Krisenreak- tion im Ernstfall leisten kann, weil sie einen gemein- samen politischen Willen hat, die erforderlichen politi- schen und militärischen Instrumente gemeinsam einzu- setzen. Diese Handlungsfähigkeit besitzt heute nur die NATO. Wir hoffen, daß der OSZE-Gipfel in Istanbul dazu benutzt wird, unserem Partner Rußland eindring- lich klarzumachen, daß er seinen eigenen Interessen schadet, wenn der Vernichtungskrieg in Tschetschenien fortgesetzt wird. Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Zweifel, ob der Istanbuler OSZE-Gipfel gelingen kann, sind in den letzten Tagen nicht weniger geworden. Die Bilder aus den Flüchtlingslagern vermitteln eine Ahnung von dem Ausmaß des Elends, das der Tschetschenien- krieg verursacht. Genaueres werden wir leider in näch- ster Zukunft nicht erfahren. Es ist kein gutes Zeichen, daß Rußland heute der OSZE-Delegation die Einreise nach Tschetschenien verweigert hat. Um so wichtiger ist es – und wir unterstützen die Bundesregierung darin –, weiterhin diplomatischen Druck auf Rußland auszuüben, damit dieser Krieg so schnell wie möglich beendet wird. Wir appellieren auch heute noch einmal an die russi- sche Staatsduma, sich für eine Verhandlungslösung ein- zusetzen. 6272 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 (A) (C) (B) (D) Daß unsere Möglichkeiten, auf Rußland einzuwirken, sehr begrenzt sind, ist kein Geheimnis. Wir wissen auch, daß Rußland im Nordkaukasus die Flankenobergrenzen überschreitet und die OSZE-Konvention verletzt. Aber deshalb in Istanbul den KSE-Anpassungsvertrag nicht zu unterzeichnen wäre ein Fehler. Wir müssen uns weiterhin für Rüstungskontrolle und Abrüstung einsetzen. Und dafür ist die jetzige Anpas- sung des KSE-Vertrags ein wichtiger Schritt. Bei allen Bedenken wegen des Zeitpunkts und der Umstände möchte ich Sie eines fragen: Wären wir in Abrüstungsfragen je so weit gekommen, wenn bei den Vorgängerverträgen den damals noch größeren Zweifeln nachgegeben worden wäre? Ich denke, wir sollten die Unterzeichnung des Ver- trags – hoffentlich auch durch Rußland – nutzen, um dann Druck zu machen: Zum einen, daß Rußland ratifi- ziert, und zum anderen, daß es sich dann auch an das hält, was es unterschrieb. Die Erfahrung hat uns doch gezeigt, wie wichtig die Berufungsmöglichkeit auf un- terschriebene Verträge war, um Fortschritte zu erzielen, beispielsweise im Helsinki-Prozeß bei Menschenrechts- fragen. Wir dürfen bei aller aktuellen Sorge um die Ent- wicklung in Tschetschenien – oder gerade auch deshalb – nicht vergessen, wie wichtig dieser Gipfel in Istanbul für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur ist. Es bleibt eine Herkulesaufgabe, die Rolle der OSZE im Prozeß hin zu einer gesamteuropäischen Friedens- ordnung zu stärken. Die OSZE ist die einzige -euro- asiatische Organisation, die in diesem Raum durch be- harrlichen Einsatz für die Durchsetzung der verbrieften Menschen-, Minderheiten- und demokratischen Rechte steht. Und diese bilden die Wurzeln für Frieden und Sicherheit. Der Hauptverdienst der OSZE lag bisher in ihrer dialogischen Struktur. Manche bezeichnen das als ihre Schwäche. Es könnte aber, indem sie in Istanbul klare Worte gegenüber Rußland findet, auch ihre Stärke sein. Walter Hirche (F.D.P.): Der vorliegende gemeinsa- me Antrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bünd- nis 90/Die Grünen und F.D.P. soll der Bundesregierung breite Unterstützung des Bundestages signalisieren, wenn sie sich in Istanbul für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur einsetzt. Es ist nach Auffassung der F.D.P. in bestem deutschen Interesse, die Fortent- wicklung der Systeme kooperativer Sicherheit wie UNO und OSZE gemeinsam zu betreiben – gut wäre es, wenn dies auch für die Systeme kollektiver Verteidigung wie NATO und WEU gelten würde, wo sich aber insbeson- dere die Grünen schwertun. Für Istanbul gilt, wenn schon die UN-Reform auf der Stelle tritt, kommt hoffentlich die OSZE Schritte voran. Gerade die Ereignisse im Kosovo haben uns ja gelehrt, wie wichtig es ist, die OSZE handlungsfähiger zu ma- chen. Deshalb ist es gut, daß die Bundesregierung den KSE-Änderungsvertrag unterzeichnen will. Zugleich macht die Tragödie in Tschetschenien schneidend klar, welche Gratwanderungen die Bundesregierung hier geht. Weder die Diskussionen über den KSE-Vertrag noch der Gipfel von Istanbul hindern Rußland offenkun- dig daran, in Tschetschenien die eigenen Bürger mit Krieg zu überziehen und das als innere Angelegenheit zu betrachten. Ist es nicht eine Farce, wenn dieser Krieg unbehelligt fortgesetzt wird, aber gleichzeitig ein Dokument für Be- grenzung von Streitkräften unterschrieben wird? Man schaudert bei der Erinnerung an den alten Satz: Papier ist geduldig. Aber so paradox und schwierig es ist, wir werden dieses Risiko auf dem Weg zu einer neuen euro- päischen Sicherheitsarchitektur wohl eingehen müssen. Denn wenn Istanbul scheiterte, würde sich in Tsche- tschenien nichts ändern. Es ist eher umgekehrt. Die Fortsetzung de OSZE-Verhandlungen bringt immerhin für die Zukunft eine Chance, solche Vorgänge beein- flussen oder unterbinden zu können. Daß Rußland jetzt der Entsendung einer OSZE-Mission in die abtrünnige Kaukasusrepublik zugestimmt hat, ist ein Hoffnungs- schimmer. Die Tür ist offen geblieben, wir sollten sie nicht zuschlagen. Positiv ist auch die Zulassung des Zutritts internatio- naler Hilfsorganisationen wie Internationales Rotes Kreuz, Cap Anamur und UN-Flüchtlingshilfswerk. Da- mit können wir natürlich nicht zufrieden sein. Der freie Zugang von Medienvertretern muß folgen. Vor allem besteht die F.D.P. darauf, daß die Bundes- regierung in Istanbul eine offizielle Diskussion des Tschetschenienkonflikts durchsetzt. Die Bundesregie- rung muß auch in Istanbul offiziell auf einen Stopp des russischen Krieges gegen die eigenen Bürger dringen. Wir erwarten klare Worte und Taten und ein entspre- chendes Schlußdokument. Wir alle sind uns sicher be- wußt, daß die deutsche OSZE-Politik eine schwierige Gratwanderung ist: Notwendig ist es, Istanbul zu nutzen, um einen gesamteuropäischen Sicherheitsraum ohne Trennlinien zu schaffen, eine – wie es im Vorspann des Antrags heißt – europäische Sicherheitscharta, die alle OSZE-Teilnehmerstaaten „zur Förderung der Men- schenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ ver- pflichtet. Ich will auch daran erinnern, daß zu Beginn wie zur Mitte des KSZE-Prozesses niemand das Schlußergebnis für möglich gehalten hätte. Von daher nährt sich meine Hoffnung, daß Istanbul die OSZE ein Stück voranbringt. „Der Prozeß, den Menschen in den Mittelpunkt des Völ- kerrechts zu rücken“, wie es mein Kollege Werner Hoy- er am 4. November hier im Plenum formuliert hat, kann vielleicht in Istanbul ein Stück vorankommen. Ein Stopp wäre ein Schritt zurück. Die F.D.P. erhofft und erwartet von Istanbul: 1. Die Unterzeichnung des KSE-Änderungsvertrages. 2. Die Verabschiedung der Europäischen Sicherheits- charta. 3. Die Stärkung der OSZE als Institution, damit zum Bei- spiel künftig ein kriegerischer Konflikt wie in Tsche- tschenien nicht mehr als innere Angelegenheit eines Staates angesehen werden kann. Dazu muß eine Re- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6273 (A) (C) (B) (D) form kommen, die bei Beschlüssen das Konsens- Minus-Eins-Prinzip durchsetzt, um gegen einen Völ- kerrechtsverbrecher vorgehen zu können. 4. In Istanbul sollte der Tschetschenienkonflikt klar zur Sprache kommen. 5. Schließlich hoffen wir, daß nach Istanbul ein positive- res Verhältnis von OSZE und NATO gefunden wird. Hoffentlich gibt es auch dabei eine große Gemein- samkeit in diesem Hause. Wolfgang Gehrcke (PDS): In den Absichtserklärun- gen unterscheiden sich die beiden vorliegenden Anträge zum OSZE-Gipfel nur graduell. Wesentlich unterschei- den sie sich in ihrem Geist; ihnen liegt eine unterschied- liche strategische Konzeption zugrunde. Die liegt in der Frage: Begnügt sich der Bundestag, begnügt sich die deutsche Außenpolitik in Fragen eines zukunftsfähigen Sicherheitssystems mit Absichtserklärungen, oder drängt sie auf eine Verrechtlichung der internationalen Sicher- heitsbeziehungen? Also Völkerrecht, rechtsverbindliche Normen oder mehr oder weniger guter Wille? Die guten Vorsätze reichen nicht aus, sie können sich in den Grauzonen zwischen Völkerrecht und guter Ab- sicht verirren. Jene Grauzonen sind nur ein beschöni- gender Ausdruck für einen rechtsfreien Raum oder zu- gespitzt: für einen Raum ohne Recht, für ein Terrain, in dem Willkür oder die Opportunität des Augenblicks herrschen kann. Sie muß nicht herrschen, aber sie kann es. Deshalb ist meine Fraktion für die strikte Verrechtli- chung internationaler Beziehungen, und sei es wegen der einfachen Einsicht, daß es so – wie wir Norddeut- schen sagen – kein Vertun gibt. Die Alternativen zu unserem Antrag sind bereits prä- sent. An ihnen wird gearbeitet, und sie sind derzeit stär- ker, weil sie die Macht des Faktischen in die Waag- schale werfen. Sie sind schon da als starke Organisatio- nen. Die NATO ist schon da. In den Sicherheitskonzep- ten der anderen im Bundestag vertretenen Parteien nimmt die NATO einen zentralen Platz ein, auch und gerade die neue NATO, die sich selbst mandatiert. Kein Zweifel: Sie buchstabieren Sicherheit noch im- mer militärisch. Es heißt bei Ihnen immer: NATO first. Aber die NATO ist und bleibt ein Militärbündnis. Kol- legen haben hier in der Debatte auf den Unterschied zwischen Verteidigungsbündnis und kollektivem Sicher- heitssystem verwiesen. Der ist mir wohl bewußt. Eben deshalb plädiere ich für die Perspektive eines europäi- schen Systems mit russischer und transatlantischer Komponente, das den Sicherheitsbedürfnissen der euro- päischen Staaten primär durch zivile, politische und ökonomische Potentiale gerecht wird. Hier ist die grundlegende Logik eine zivile und damit auch nachhaltigere, als es die in einem völlig anders strukturierten und orientierten Militärbündnis ist, daß sich bei ausreichendem Sicherheitsgefühl dann wirklich erübrigte. Das ist unser eigentlicher Dissens. Wir möchten die OSZE so stabil gestalten – auch rechtlich –, daß sie Sicherheit umfassend gewährleistet. Auch wenn es den einen Schlüssel, den Stein der Weisen im System der europäischen Sicherheit nicht gibt, so gibt es doch Prioritäten, es gibt Organe, deren Stärkung andere Pro- zesse positiv beeinflussen könnte. Und in diesem be- scheidenen Sinne fordern wir: OSZE first. Strukturen sind auch da in der Europäischen Union. Die EU hat längst das Stadium einer EWG, einer Wirt- schaftsgemeinschaft hinter sich gelassen, als die sie in den Römischen Verträgen noch konzipiert war. Die EU wird zu einer europäischen Wirtschafts-, Währungs- und – so ist meine Hoffnung – vielleicht auch Sozialunion. Sie steht aber vor der Gefahr, tagespolitisch instrumen- talisiert und militarisiert zu werden. Über die Hintertür soll eine EU-Militärorganisation entstehen und die NATO einen Platz in der EU finden. Damit wird eine nicht militärische Organisation in Europa in Militär- strukturen eingebunden. Damit würde die EU ihren Charakter als Wirtschafts- und Sozialunion verlieren. Und dagegen sind wir. Ich denke, daß wir im PDS-Antrag zur konkreten Ausgestaltung der OSZE Vorschläge gemacht haben. Genau dies – das Fehlen konkreter Vorschläge zur Stär- kung der OSZE – ist ein Mangel des vorliegenden inter- fraktionellen Antrages. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten. In bezug auf den anstehenden Gipfel in Istanbul spielt natürlich auch die Frage der KSE-Anpassung eine große Rolle. Wir begrüßen, daß es hier zu einer Vereinbarung kommt. Dennoch müssen wir uns darüber im klaren sein, daß damit Festlegungen getroffen werden, die im wesentlichen nur den derzeitigen Realitäten entsprechen. Es findet also real keine Abrüstung statt. Und ein Ab- rüstungsprozeß wird ebensowenig eingeleitet. Auch deshalb haben wir in unserem Antrag eine Politik des guten Beispiels gefordert, einseitige Abrüstungsschritte, die hier beschlossen werden können, und die Abrüstung als Prozeß wieder in Gang zu bringen. Das wäre auch ein guter Beitrag zur Unterstützung des Verhandlungs- systems bei der OSZE. Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Vor einer knappen Woche hat dieses Hohe Haus unter reger Beteiligung aller Fraktionen über Stand und Zukunft der OSZE debattiert. Ich konnte dabei erfreut feststellen, daß wir uns in den grundlegenden Gesichts- punkten durchaus einig sind. Daher begrüße ich den ge- meinsamen Antrag von SPD, CDU/CSU, Bünd- nis 90/Die Grünen und F.D.P. zum Gipfel in Istanbul und zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der OSZE. Dieser Antrag beschreibt den Charakter der OSZE als einzigartiger übergreifender Sicherheitsarchitektur euro- päischer und nichteuropäischer Staaten. Er legt die Möglichkeiten dar, die die effiziente Nutzung und der Ausbau dieses Instruments bieten. Der Antrag macht verständlich, welch hohe Bedeutung die Bundesregie- rung wie auch dieses Haus dem OSZE-Gipfel in Istanbul am 17./18. November 1999 beimessen. Wir setzen große Hoffnungen in ihn. Leider überschattet der Tschetschenien-Konflikt den Gipfel; auch dazu habe ich mich vor diesem Hause in der letzten Woche geäußert. In der Zwischenzeit hat sich aber zu unser aller Sorge weder der massive militärische 6274 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 (A) (C) (B) (D) Gewalteinsatz Rußlands vermindert, der sogar eine im- mer weiter steigende Zahl ziviler Opfer fordert, noch hat sich die aus Flucht und Flüchtenden resultierende huma- nitäre Notlage im Nordkaukasus, und insbesondere in Inguschetien, gebessert. Seit Beginn des Konflikts hat die Bundesregierung im Interesse der betroffenen Menschen immer wieder zu einer Deeskalation der Kämpfe und zum politischen Dialog aufgerufen und darauf gedrängt, rasch ausrei- chende humanitäre Hilfe zuzulassen. Die Bundesregie- rung begrüßt daher ausdrücklich, daß eine Delegation der OSZE unter Leitung des norwegischen OSZE-Vor- sitzes in diesen Tagen sich ein eigenes Bild von der Lage vor Ort machen konnte. Um so enttäuschter sind wir, daß sich die in die Mission gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnten, weil der Beobachtergruppe eine Einreise nach Tschetschenien selbst nicht möglich war. Wir warten jetzt auf den Bericht der Gruppe. Es wäre fatal, die Unterstützung der OSZE auszuschlagen, die bereit ist, kurzfristig zur humanitären Hilfe und zur Beendigung der Gewalt, langfristig auch zum Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen beizu- tragen. Die Bundesregierung wird auch weiterhin in Zusam- menarbeit mit ihren Partnern alles tun, um zu einer Bei- legung des Konflikts zu kommen. Aber die russische Regierung muß wissen, daß die OSZE-Staats- und Re- gierungschefs in Istanbul mit ihrer Autorität nicht Rechte und Prinzipien bekräftigen können, die zugleich im OSZE-Gebiet massiv verletzt werden. Die Gebote, in einem Konflikt nicht übermäßige Gewalt anzuwenden, humanitäre Hilfe zu erleichtern und ernsthaft eine fried- liche Lösung anzustreben, gehören zum Kernbestand von Verpflichtungen, die auch Rußland im Rahmen der OSZE eingegangen ist. Ich appelliere daher an dieser Stelle erneut eindringlich an Rußland: Stellen Sie den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt ein, der das Leben so vieler unschuldiger Zivilisten fordert und nehmen Sie einen politischen Dialog auf. Nur dadurch kann eine dauerhafte Lösung gefunden werden. Aller- dings dürfen wird nicht vergessen: Es geht in Istanbul, über den Konflikt in Tschetschenien hinaus, darum, Sta- bilität und Sicherheit in Europa voranzutreiben. Beide sind untrennbar miteinander verbunden. Wir haben die Chance, eine wirksame europäische Sicherheitscharta zu erreichen, die Rolle der OSZE in Krisenprävention, Demokratisierung und Aufbau von Zivilgesellschaften zu stärken. Konkrete Fortschritte im Bereich von Rüstungskontrolle und Abrüstung scheinen greifbar nahe: Unser Ziel ist ein erfolgreicher Abschluß der Verhandlungen zur Anpassung des Wiener Doku- ments über Vertrauensbildende Maßnahmen und die Anpassung des KSE-Vertrags. Wir haben ein unmittel- bares Interesse an einer neuen Vereinbarung mit Ruß- land, das derzeit die zukünftig vorgesehenen KSE- Flankenobergrenzen überschreitet. Die Bundesregierung will diesen Kurs halten, denn für die europäische Si- cherheit insgesamt und für das internationale Rüstungs- kontrollsystem steht viel auf dem Spiel: Eine Nichtun- terzeichnung des KSE-Änderungsvertrags wäre ein emp- findlicher Rückschlag in den weltweiten Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle. Der neue KSE-Vertrag wird hingegen die konventio- nelle Stabilität in ganz Europa durch ein historisch bei- spielloses Begrenzungssystem und durch erhöhte Trans- parenz erheblich stärken. Die bei den Wiener Verhand- lungen noch offenen Fragen sind bei gutem Willen aller Beteiligten lösbar. Dies entspricht in hohem Maße unse- ren nationalen Interessen. Wir können dies über die Parteigrenzen hinweg mit Zufriedenheit feststellen. Die Bundesregierung bekräftigt ihr Bekenntnis zur Stärkung der OSZE als zentralen Pfeiler der multilate- ralen Bemühungen bei Konfliktprävention, Krisenmana- gement und bei der Wiederherstellung demokratischer und ziviler Institutionen. Die in Istanbul zu verabschie- dende Sicherheitscharta soll diese Zielrichtung und Rolle der OSZE innerhalb der europäischen Sicherheits- architektur zum gemeinsamen Anliegen machen. Wir haben mit dem Programm zur Ausbildung von zivilem Friedenspersonal, das zur schnellen Krisenreaktionsfä- higkeit beitragen soll, einen ersten Schritt zur Stärkung dieses Pfeilers getan und sehen erfreut, daß andere Län- der ebenfalls in diese Richtung denken. Ich bin zuversichtlich, daß die OSZE ihre Rolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur tatsächlich und wirksam spielen kann, auch wenn die Geschichte seit 1990 ebenfalls Rückschläge aufweist. Am Beispiel Tschetschenien sehen wir erneut, daß wir auf dem Weg zu einem gemeinsamen Sicherheitsraum in Europa, ge- gründet auf die Achtung und Umsetzung gemeinsamer Werte, noch ein gutes Stück zurückzulegen haben. Die Bundesregierung wird auch weiterhin alles tun, um die OSZE nach Kräften zu unterstützen. Daher freue ich mich besonders über den breiten Konsens in diesem Hause zu diesem Antrag und zu dieser Thematik. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Internatio- nales Kartellrecht, Unternehmensfusionen und -konzentrationen (Tagesordnungspunkt 10) Ursula Lötzer (PDS): Daimler-Chrysler, Deutsche Bank und Bankers Trust sind bereits Geschichte. Viag und Veba und viele andere sind aktuell. Jeder redet mit jedem, und es scheint, als könnte morgen jedes Unter- nehmen – ja, jeder Arbeitsplatz – mit in den Fusionswir- bel gezogen werden. Diese Fusionen werfen viele wett- bewerbsrechtliche Fragen auf, da sind wir uns mit Ihnen einig. Aber nicht nur diese. Vor etwa zwei Jahren tagten in Dortmund die höch- sten Mitbestimmungsgremien über Vorschläge der Ar- beitnehmervertreter über die Zukunft des Stahlstandorts. Mitten in diese Gespräche platzte eine Tickermeldung: Krupp plant mit der Deutschen Bank eine „feindliche Übernahme“. Alles was in den paritätischen Mitbestim- mungsgremien verhandelt wurde, war vom Tisch. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6275 (A) (C) (B) (D) Demokratische Verhandlungen über Unternehmens- entscheidungen unter Berücksichtigung soziales Interes- sen werden in die Banken und an die Börse verlagert, wo nur eins zählt, die Rendite. Wenn die Politik hier nicht handelt, wird ein Stück sozialer Demokratie auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt. Klaus Zwickel forderte bei der Demonstration der Stahlarbeiter, die Bankenmacht und ihr Mißbrauch müßten zu einem großen Thema in der Bundesrepublik und in Europa werden. Die Antwort der Bundesregie- rung darauf sind Überlegungen zum Schutz der Minder- heitsaktionäre. Statt dessen sind Reformen gefragt, die den Schutz der Beschäftigten, die Wiederherstellung ihrer demo- kratischen Mitbestimmungsrechte bei „feindlichen“ oder „freundlichen“ Übernahmen, Maßnahmen zur verstärk- ten Bankenaufsicht und zur Einschränkung ihrer Macht in den Aufsichtsräten in den Mittelpunkt stellen. Auch Ihre Darstellung zu Eurobetriebsräten reicht nicht aus. Notwendig wäre ein Recht auf Mitbestimmung insbe- sondre zur Beschäftigungssicherung in die Revision der Richtlinie einzubringen. Das würde auch gegen den massiven Arbeitsplatzab- bau bei Fusionen helfen. Konzentration auf das Kernge- schäft in weltmarktorientierten Wertschöpfungsketten ist die Devise. Explodierenden Gewinnen und einer Erhö- hung der Dividende bei Thyssen/Krupp standen Ar- beitsplatzabbau und Deregulierung durch Outsourcing, Verkäufe und jetzt das Aus für den Stahlstandort Dort- mund gegenüber. Der Bericht der Monopolkommission weist aus, daß die 100 größten Unternehmen mit einem Beschäfti- gungsrückgang von 8,3 Prozent überproportional am Arbeitsplatzabbau beteiligt sind. Die Antwort der Bundesregierung, wie sie dem Ab- bau der Arbeitsplätze bei Fusionen entgegenwirken wollte, heißt kurz zusammengefaßt, die Bundesregie- rung werde ihre Politik zur Stärkung der Wettbewerbs- fähigkeit fortsetzen. Damit wird sie den beschriebenen Herausforderungen nicht gerecht. Auch wir sagen, Wettbewerb sorgt für Dynamik, Kreativität und Innovation. Wettbewerbsfähigkeit ist er- strebenswert, wenn und soweit sie der Verbesserung der Lebenschancen dient. Wenn freilich im Namen von Wettbewerbsfähigkeit Arbeitsplätze vernichtet werden und der Verlust so- zialstaatlicher Absicherungen für die meisten Ge- sellschaftsmitglieder droht, während die Politik achselzuckend auf die Anpassungszwänge der Glo- balökonomie verweist, stellt sich die Frage, in wes- sen Namen Wettbewerbsfähigkeit überhaupt zur Schicksalsfrage erhoben wird … Eine Wettbewerbsfähigkeit, aus der nur eine Min- derheit der Gesellschaft Vorteile zu ziehen vermag, gefährdet den Zusammenhalt von Gesellschaften, ja, mehr noch: Die ausschließliche Orientierung am Ziel Wettbewerbsfähigkeit würde auf Dauer die Grundlagen demokratischer Legitimation bedrohen – und damit auch die Demokratie selbst. Herrn Mosdorf müßten hier zumindest die Ohren klingeln, denn dieses Zitat stammt von ihm. Ich wünschte mir, diese Grundsätze würden in die Politik der Regierung einziehen. Jospin kündigte in den letzten Wochen gesetzliche Maßnahmen gegen Konzerne an, die trotz bedeutender Gewinne Arbeitsplätze abbauen. Im einzelnen reichten die Vorschläge von der Streichung öffentlicher Gelder bis hin zur Bestimmung der Beitragshöhe in Abhängig- keit von der Haltung zu Entlassungen. Wir fordern Sie auf, solche Maßnahmen in ihre Politik gegenüber Fusio- nen einzubeziehen. Dr. Uwe Jens (SPD): Nur vier knappe Bemerkungen zur Großen Anfrage der PDS: Erstens. Die PDS beweist mit ihrer Großen Anfrage deutliche Aversionen gegen die Globalisierung und In- ternationalisierung der Wirtschaft. Sie benimmt sich wie Don Quichote und kämpft gegen Windmühlenflügel. Diese Entwicklung findet statt und ist nicht aufzu- halten. Wer sich gegen den Strukturwandel stemmt, fällt zurück, wofür die ehemalige DDR ein lebendiges Bei- spiel war. Wichtig ist, das Schiff der Volkswirtschaft mit Geschick durch die sicherlich bewegte See der Weltwirtschaft zu steuern. Zweitens. Es ist schon eigenartig, wenn sich die PDS mit ihrer Anfrage offensichtlich für Wettbewerb und Marktwirtschaft einsetzt. Wer die Anfrage genauer liest, erkennt, daß die PDS noch immer der Marxschen Kon- zentrationstheorie huldigt. Es geht ihr um Kontrolle der Wirtschaft; die Marktwirtschaft hat für sie keine Zu- kunft. Dabei ist diese Betrachtung ein uralter Hut. Die PDS muß endlich erkennen: Auch große Unternehmen sind wichtig und notwendig. Sie haben zum Teil ekla- tante Vorteile bei der Produktion und damit bei der Pro- duktivität. Deshalb ist bei uns Größe oder Marktmacht per se auch nicht verboten, sondern lediglich der Miß- brauch. In der Marktwirtschaft, das zeigt die Erfahrung, wachsen im übrigen die ökonomischen Bäume nie in den Himmel. Wenn wir nur die Märkte offenhalten, dann gibt es immer wieder Wettbewerber. Die techni- sche und innovatorische Entwicklung ist heute so rasant, daß Monopole nie eine längere Überlebenschance ha- ben. Mehr Vertrauen in den Markt, mehr Gelassenheit tut Not! Drittens. Die PDS verbreitet wie immer auch mit die- ser Anfrage Mißtrauen gegenüber der Wirtschaft. Sie will statt Wettbewerb – wie es immer wieder deutlich wird – mehr Kontrolle über die Wirtschaft. Die PDS braucht möglichst bald ihr „Godesberg“. Wenn sie von Wettbewerb und Kontrolle marktbeherrschender Unter- nehmen spricht, sollte sie sich vorher zum freien Unter- nehmertum, zum Gewinnprinzip und dem Bemühen um funktionsfähigen Wettbewerb bekennen. Das sind die entscheidenden Prinzipien unserer sozialen Marktwirt- schaft. Aber darüber haben wir von der PDS noch nichts Entscheidendes gehört. Viertens. Eine kluge Politik, die Arbeitsplätze erhal- ten und neue schaffen will, beachtet die Zwänge, in de- nen die sich globalisierende Wirtschaft steckt. Etwas 6276 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 (A) (C) (B) (D) mehr ökonomische Vernunft und Sachkenntnis wäre manchmal angebrachter. Wenn wir das Ökonomische bei der Vereinigung der beiden Teile Deutschland vor zehn Jahren stärker beachtet hätten, würden wir jetzt nicht über eine gesamtwirtschaftliche Verschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verfügen. Wir brauchen keine grundlegend neue Wettbewerbs- und Wirtschaftspolitik; wir müssen nur stärker unsere be- kannten ordnungspolitischen Grundsätze beachten. Aber die kennt die PDS gar nicht. Wenn wir stärker diese Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft beachten, wäre das gut für unsere Volkswirtschaft; wäre das gut für die Menschen in unserem Lande. Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Antwort auf die Große Anfrage zeigt, daß für die Bundesregierung der Wettbewerb ein hohes Gut ist. Dabei ist Wettbewerb kein Wert an sich, sondern ein In- strument zur Förderung des Gemeinwohls und zur Be- wahrung der individuellen Freiheiten der Akteure. Auch für Wettbewerb gilt die Einbindung in einen sozialen und ökologischen Rahmen. Kartelle bzw. marktbeherr- schende Unternehmen – wie Microsoft – können Wett- bewerb und Innovationen behindern und kleine und mittlere Konkurrenten bedrohen. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen sind daher im Interesse von Wettbewerb und Vielfalt zu schützen. Auch für den von uns angestrebten ökologischen Strukturwandel der Wirtschaft spielt der Wettbewerbs- gedanke für technische und soziale Innovationen eine wichtige Rolle. Er beschleunigt die Entstehung, den Ein- satz und die Verbreitung von neuen umweltfreundlichen Produkten und Produktionsverfahren. Die Erhaltung und Förderung des Wettbewerbs ist aber nicht nur aus ökonomischen und ökologischen Gründen wichtig. Es geht auch um den Erhalt und den Schutz unserer Demokratie. Wir sollten nicht übersehen, daß Monopole oder monopolähnliche Unternehmen ge- rade im Zeitalter der Globalisierung durchaus in der La- ge sind, das Primat der Politik zu gefährden. Oder, um mit Ludwig Erhard zu schließen: „Den Ge- genpol der wirtschaftlichen Freiheit stellt die Ausprä- gung wirtschaftlicher Macht dar. Es ist daher gesetzlich sicherzustellen, daß die Vorzüge der Wettbewerbswirt- schaft nicht durch historisch erwiesene Nachteile einer bedenklichen Machtkonzentration aufgewogen werden.“ Das A und O der Marktwirtschaft ist der Markt. Durch Konkurrenz und Wettbewerb – so lernt man auf der Universität – reguliert sich in einer gesunden Wirt- schaft der Markt selbst. Gleichwohl: Grau ist alle Theo- rie. Die Praxis nicht nur in Deutschland sieht leider an- ders aus. Zumindest in einzelnen Branchen – etwa im Handel, bei den Banken, bei der Energieversorgung oder beim Tourismus – kann von einem funktionierenden Wettbewerb nur noch sehr begrenzt gesprochen werden. Gleichzeitig erleben wir eine Fusions- und Konzentrati- onswelle ohnegleichen. Nicht mehr Diversifikation gilt als Ausweis unter- nehmerischer Tüchtigkeit, sondern die Beschränkung auf das Kerngeschäft. Und diese Kerne werden durch Fusionen ständig erweitert. Und zwar nicht nur im Bin- nenmarkt, sondern grenzüberschreitend. Oder wie im Falle Daimler-Chrysler gleich interkontinental. Dieser Entwicklung kann und darf die Politik nicht tatenlos zu- sehen. Ich darf daran erinnern, daß eine „antimonopolisti- sche“ bzw. „antizentralistische“ Wirtschaftspolitik nicht nur im eher „linken“ Lager Anhänger hat, sondern gera- de von Ludwig Erhard, dem Vater der sozialen Markt- wirtschaft, praktiziert wurde. Das Gesetz gegen Wett- bewerbsbeschränkungen, GWB, wurde von dem dama- ligen Bundeswirtschaftsminister gegen den erbitterten Widerstand der Industrie durchgesetzt. Und es kommt nicht von ungefähr, daß das GWB die Entwicklung des europäischen Wettbewerbsrechts und der Rechte in einigen Mitgliedstaaten der EU nachhaltig beeinflußt hat. Wir teilen die Auffassung der Bundesre- gierung, daß es ein wichtiges Anliegen ist, einen inter- nationalen Rahmen für eine angemessene und wirksame Wettbewerbspolitik zu schaffen. Eine internationale Kartellbehörde allerdings ist weder durchsetzbar noch praktikabel. Wir würden damit lediglich ein wettbe- werbspolitisches Placebo ohne Durchsetzungsvermögen schaffen. Mir erscheint es sinnvoller und wirkungsvoller, in der WTO Grundsätze für wettbewerbliche Vorschriften zu verankern. Notwendig für einen Rahmen multilateraler Wettbewerbsregeln wären fundamentale Grundsätze und gemeinsame Regeln für den Erlaß wettbewerbsrechtli- cher Vorschriften und vor allem für die Durchsetzung solcher Vorschriften. Darüber hinaus bedarf es gemein- samer Lösungsansätze zur Überwindung wettbewerbs- feindlicher Praktiken sowie Bestimmungen über die in- ternationale Zusammenarbeit. Ich hoffe, daß die EU die- sen Punkt zur Zeit in Genf offensiv und mit Nachdruck vorträgt, damit er Aufnahme in die Regeln der WTO findet. Wir wollen auch eine weitere Stärkung des Wettbe- werbsgedankens in Europa. Das Ende April vorgelegte Weißbuch der Europäischen Kommission zur Reform des europäischen Wettbewerbsverfahrensrechts verfolgt grundsätzlich einen richtigen Ansatz. Das Anmelde- und Freistellungssystem ist bürokratisch und ineffizient. Wir stimmen mit der Bundesregierung überein, daß es notwendig ist, die Effizienz zu steigern, den Unter- nehmen mehr Rechtssicherheit zu geben und sowohl die Kommission als auch die Unternehmen von überflüssi- ger Bürokratie zu entlasten. Allerdings haben wir Zweifel, ob die Kommission mit ihren Vorschlägen einer verfahrenstechnischen Aufweichung des Kartellverbots das richtige Zeichen für den Schutz des Wettbewerbs setzt. Ein „Kartellverbot mit Legalausnahme“ ist nicht nur aus formalen Gründen – Vereinbarkeit mit EG-Vertrag – kritisiert worden, es gibt auch inhaltliche Bedenken. So dürfen grundsätzlich alle Kartelle, die der EG- Vertrag als Beispiele für verbotene Wettbewerbsbe- schränkungen nennt, zunächst risikolos praktiziert wer- den. Und die sogenannten „besonders wichtigen Fälle“, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 6277 (A) (C) (B) (D) auf welche sich die Kommission konzentrieren möchte, könnten sich als Privilegien für industriepolitisch wich- tige Großunternehmen erweisen. Mir jedenfalls scheint noch Diskussionsbedarf zu bestehen. Gudrun Kopp (F.D.P.): Deutsche und ausländische Unternehmen suchen mehr Wettbewerb durch Kosten- reduzierung, Kooperation und Fusionen. Aufgabe der Wettbewerbspolitik ist dabei, das kartellrechtliche In- strumentarium den neuen Marktanforderungen anzupas- sen, damit der nationale, europäische und internationale Wettbewerb erhalten bleibt und gestärkt wird. Weniger Wettbewerb mindert die Anpassungsnotwendigkeit und geht zu Lasten von Innovation, zu Lasten der Verbrau- cher sowie der Gesamtwirtschaft. Als positives Beispiel für Vorteile durch mehr Wettbewerb nenne ich die Libe- ralisierung im Bereich der Energie, Telekommunikation und der Post. Im Wettbewerbsbereich der EU-Kommission wurde vorgeschlagen, auf die präventive Kartellkontrolle ganz zu verzichten. Dies würde jedoch bedeuten, daß das europäische Wettbewerbsrecht deutlich hinter dem Anspruch dessen zurückbliebe, was im deutschen Wett- bewerbsrecht verankert ist. Was wir brauchen – und das fordert die F.D.P.-Frak- tion nicht erst seit heute – ist ein von der Kommission unabhängiges Europäisches Kartellamt. Damit würde auch die internationale Fusionskontrolle erleichtert. Hier fehlt ein Regelwerk – eine Selbstverpflichtung –, wo die wichtigsten Grundsätze des Wettbewerbs verbindlich festgeschrieben werden. Dafür sind multinationale Ver- einbarungen erforderlich. Die WTO wäre die geeignete Institution, um dieses Problem mit viel Sachverstand und Erfahrungen zu meistern. Die Bundesregierung ist deshalb gefordert, auf der Welthandelsrunde in Seattle dem Thema „Internationale Wettbewerbsregeln“ höchste Priorität einzuräumen. Denn: Neue Arbeitsplätze in Deutschland werden nur dann ermöglicht, wenn dem freien internationalen Han- del der Atem gelassen wird. Im Rahmen der geplanten Enquete-Kommission „Globalisierung“ werden wir uns diesem Thema sicher ausführlich widmen. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim BMWT: Wir erleben zur Zeit einen Strukturwandel der interna- tionalen Wirtschaft, wie es ihn in dieser Form noch nie gab. Die Liberalisierung des Welthandels und die Ver- flechtung der internationalen Märkte – Stichwort: Glo- balisierung – schreiten in einem enormen Tempo voran. Außenhandelsströme und Direktinvestitionen haben sich mit großer Dynamik entwickelt und sind erheblich schneller gewachsen als die Weltproduktion. Seit 1985 nahm der Handel mit Waren und Dienstleistungen im Jahresdurchschnitt um über 10 Prozent zu. Der IWF rechnet auch im Jahr 2000 wieder mit einem starken Wachstum von über 6 Prozent. Auch die internationalen Finanzmärkte weisen hohe Wachstumsraten auf: Seit 1990 wächst das Finanzkapi- tal im Jahresdurchschnitt um 18 Prozent. Wir können uns nicht vor der Globalisierung verstek- ken. In Deutschland wird fast die Hälfte des Umsatzes der deutschen Industrie im Ausland erwirtschaftet, und auch der Inlandsmarkt wird zu über 40 Prozent von ausländischen Unternehmen bedient. Die vielbeschwo- rene „Globalisierungsfalle“ würde dann zuschnappen, wenn wir vor der Globalisierung wegliefen. Nur eine of- fensive Strategie, sowohl von Unternehmen wie auch der Politik, kann Wachstum und Beschäftigung sichern. Vor diesem Hintergrund ist auch die gegenwärtige Fusionswelle zu sehen. Unternehmenskooperation und -zusammenschlüsse helfen auch deutschen Unterneh- men, sich auf dem Weltmarkt aufzustellen, in andere Märkte vorzudringen und dadurch neue Absatz- und Wachstumschancen zu bekommen. Dies trägt langfristig zur Sicherung zukunftsfähiger Arbeitsplätze in Deutsch- land bei. Denn mittlerweile hängt jeder vierte Arbeits- platz in der Industrie vom Export ab. Nehmen Sie die Fälle Daimler-Chrysler oder Deutsche Bank-Bankers Trust. Diese Fusionen hatten verschiedene Gründe, aber sicherlich einen gemeinsamen: die Vorbereitung auf den Weltmarkt. Umgekehrt gilt natürlich das gleiche für den Markt- zutritt ausländischer Unternehmen in Deutschland. Aber auch die Verbraucher profitieren von der internationalen Präsenz von Unternehmen: Das Leistungsangebot wird verbessert, der Preiswettbewerb erhöht. Aufgabe der Wettbewerbspolitik ist es, auf diesen tiefgreifenden Strukturwandel angemessen zu reagieren. Zentrales Ziel der Wettbewerbspolitik ist die Gewährlei- stung offener Märkte. Verantwortungsvolle Wettbe- werbspolitik muß darin bestehen, die Voraussetzungen für den Vorstoß aller – und damit auch der deutschen Unternehmen – in die internationalen Märkte zu verbes- sern. Die Grenze ist jedoch dann erreicht, wenn Fusio- nen zur Marktbeherrschung führen oder sie verstärken. Wird der Wettbewerb durch einen Zusammenschluß von Unternehmen gefährdet, dann muß das verhindert wer- den. Verhindern müssen wir auch Beschränkungen des Wettbewerbs durch Vereinbarungen und Absprachen. Erst in der letzten Woche haben mehrere Unternehmen der Bauwirtschaft eine ganz klare Botschaft erhalten: Kartelle dürfen sich nicht auszahlen. Wir alle wissen aber: Wettbewerbspolitik darf sich nicht auf Fusionskontrolle und Kartellbekämpfung be- schränken. Wirtschaftliche Macht bedarf der Kontrolle. Wer bereits marktbeherrschend ist, darf seine Macht nicht mißbrauchen. Das gilt nicht nur für Softwaregi- ganten, das gilt auch für Stromdurchleitungen auf dem deutschen Strommarkt. Ohne funktionierenden Wettbewerb werden kleine und mittlere Unternehmen verdrängt; haben Existenz- gründer keine Chance. Ohne funktionierenden Wettbe- werb zahlen die Verbraucher den Preis für Monopole und Oligopole. Aufgabe der Wettbewerbspolitik bleibt es daher auch in Zukunft, einen funktionierenden Wett- bewerb auf offenen Märkten zu gewährleisten. Internationaler Wettbewerb braucht einen internatio- nalen Rahmen. Die Liberalisierung des Welthandels und die Globalisierung der Märkte bringen keine Vorteile, 6278 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 1999 (A) (C) (B) (D) wenn sie gleich wieder durch privat veranlaßte Wettbe- werbsbeschränkungen ausgehöhlt werden. Dies läßt sich durch nationale oder regionale Wettbewerbsordnungen allein nicht verhindern. Wir brauchen daher ein interna- tionales Regelwerk. Wir werden uns auf der Minister- konferenz in Seattle dafür einsetzen, daß sich alle WTO- Partner darauf verständigen, in die nächste WTO-Runde auch internationale Wettbewerbsregeln einzubeziehen. Wir unterstützen daher nachdrücklich das 4-Punkte- Programm, das die Europäische Kommission für die neue WTO-Runde vorgelegt hat. Damit soll ein Grund- rahmen internationaler Wettbewerbsregeln geschaffen werden. Die WTO-Partner sollen gemeinsam gegen Kartelle und andere wettbewerbsbeschränkende Prakti- ken vorgehen. Die Regeln für die Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden sollen festgelegt werden. Die WTO-Streitschlichtung soll sicherstellen, daß alle WTO-Partner die neuen internationalen Regeln respek- tieren. Damit wäre ein Anfang gemacht: Das Fundament für eine internationale Wettbewerbsordnung könnte ge- legt werden. Aber wir wissen auch, daß wir in Seattle noch nicht mit einem Durchbruch bei der internationalen Fusions- kontrolle rechnen können. Hier stehen wir erst am Anfang der Diskussion. Dennoch erwarte ich, daß auch hier der Nutzen von international abgestimmten Mecha- nismen immer besser erkannt wird. Ein erster Schritt ist sicherlich auch hier eine verstärkte Kooperation der Wettbewerbsbehörden der hauptsächlich betroffenen Länder. Wo verläuft die Grenze zwischen betriebswirtschaft- lich sinnvollen Strukturanpassungen und bloßem „Fusi- onsfieber“, der sogenannten „Fusionitis“? Und wer kann das bewerten? Nach einer Studie der amerikanischen Unternehmensberatung „Mercer“ ist seit Anfang dieses Jahrzehnts in den USA fast jede zweite Großfusion ge- scheitert – mit zum Teil erheblichen Schäden für Kun- den, Aktionäre, Angestellte und Arbeiter. Umgekehrt können – wie gesagt – erfolgreiche Unternehmenszu- sammenschlüsse zukunftsfähige Arbeitsplätze sichern und schaffen. Die Fusion von DASA und Aerospatiale ist eine solche Wachstumsfusion. Auch vor diesem Hintergrund kann ich gut die gemischten Gefühle ver- stehen, die die Fusionswelle in der Öffentlichkeit aus- löst. In einer freien Weltwirtschaftsordnung kann es aber nicht Aufgabe von Staaten oder Regierungsbehörden sein, die Unternehmen vor falschen Unternehmens- entscheidungen zu schützen – oder sie von richtigen Unternehmensentscheidungen abzuhalten. Für die Wett- bewerbspolitik entscheidend ist die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs als funktionierendes Steuerungs- instrument – danach sind Unternehmenszusammen- schlüsse zu beurteilen. Diese Aufgabe hat die Wettbe- werbspolitik einerseits mit Gelassenheit, andererseits mit Wachsamkeit zu erfüllen – sowohl auf deutscher und europäischer wie auch auf internationaler Ebene. Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Peter Struck


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr
    verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Vaatz, ich
    habe mir zum einen im Bundestagshandbuch Ihre Bio-
    graphie angesehen. Zum anderen habe ich 1989 und
    1990 auf der Basis meiner eigenen politischen Erfahrung
    Ihr damaliges Wirken in Dresden für das Neue Forum
    mitverfolgen können.


    (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da konnte man noch Respekt haben! Aber jetzt?)


    Angesichts der Leistungen, die Sie zweifellos für die
    friedliche Revolution in Dresden und anderswo erbracht
    haben, muß ich sagen: Die Rede, die Sie soeben gehal-
    ten haben, ist für mich eine einzige Enttäuschung. Sie
    desavouiert Sie selbst.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Sie haben ganz offenbar mit persönlichen Angriffen ge-
    gen den Bundeskanzler eine bestimmte Linie halten
    wollen, die objektiv so nicht zu halten war. Sie haben
    sich in das gefährliche Fahrwasser von manch anderem
    Redner Ihrer Fraktion begeben.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn Sie die Rede, die Sie eben gehalten haben, in zehn
    Jahren nachlesen werden, dann wird davon nur ein Wort
    übrigbleiben, Herr Vaatz, nämlich das Wort „Null“.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Herr Präsident, meine Damen und Herren, erlauben
    Sie mir zu Beginn eine sehr persönliche Bemerkung: Für
    mich ist es noch immer ein Ereignis besonderer Art,
    wenn ich morgens am Brandenburger Tor vorbei in
    mein Büro in Unter den Linden fahre. Für mich ist die
    Alltäglichkeit, aus meinem Büro auf das Brandenburger
    Tor zu schauen, ungebrochen Anlaß zu staunen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Machen wir uns nichts vor – damit meine ich zumindest
    viele Kolleginnen und Kollegen aus den alten Ländern –:
    Wir verstehen erst jetzt so richtig, was die Einheit be-
    deutet; wir realisieren es erst jetzt vollends. 1989 waren
    wir freudig gerührt. Dann waren wir mit der Vollendung
    der Einheit befaßt. Jetzt, in Berlin, sind wir im wahrsten
    Sinne des Wortes berührt.

    Arnold Vaatz






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Für mich, der ich in Göttingen groß geworden bin,
    war die DDR, der Ostblock keine ferne Drohung. Die
    Grenze war in unmittelbarer Nähe. Ich war nicht ein-
    gesperrt; meine Erfahrungen sind nicht mit den Erfah-
    rungen jener zu vergleichen, auch vieler in meiner
    Fraktion, die im Osten leben mußten. Aber ich habe
    die Teilung des Landes als Alltagserfahrung realisiert:
    Der Sonntagsausflug, die Klassenfahrt, die Schulwan-
    derung – all das endete immer an der Grenze im Eichs-
    feld. Die widersinnige, unnatürliche Grenze war faßbar.
    Deshalb war der 9. November 1989 für mich ein Erleb-
    nis tiefer innerer Befriedigung. Am Dienstag ist dieses
    Datum in diesem Hause umfassend und, wie ich finde,
    in hervorragender Weise gewürdigt worden – ich schlie-
    ße alle Redner, die an diesem Tag gesprochen haben,
    ein.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Mir wird die Sitzung des Deutschen Bundestages
    am 9. November 1989, in der die Meldung kam: „Die
    Mauer ist offen!“, immer im Gedächtnis bleiben, auch
    die Tatsache, daß wir, die wir im Plenum waren, spontan
    die Nationalhymne gesungen haben.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Ihr habt doch gar nicht mitgesungen; das ist doch die Wahrheit! Schauen Sie sich doch einmal die Bilder an! Geschichtsfälschung! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Das ist gelogen! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Valium für Poß!)


    – Herr Kollege Glos, das ist wieder einmal typisch für
    Sie. Ich sage Ihnen: Anläßlich dieses Ereignisses haben
    wir, ich und viele andere Mitglieder meiner Fraktion, die
    Nationalhymne mitgesungen. Das ist doch dummes,
    parteipolitisches Geschwätz. Sie sollten sich für Ihre
    Haltung schämen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/ CSU]: Lassen Sie einmal die Filmaufnahmen ablaufen! Ihr habt die Internationale gesungen!)


    – Diesen Zwischenruf, Herr Kollege Glos, gebe ich ger-
    ne an die Menschen, die zusehen und mich hören kön-
    nen, weiter: Sie haben gerade gesagt, wir hätten die In-
    ternationale gesungen. Schämen Sie sich, Herr Glos!
    Schämen Sie sich!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir erinnern uns, wenn wir an den 9. November 1989
    denken – das ist vorgestern in der Berichterstattung
    deutlich geworden –, an den Mut und an die unerhörte
    Zivilcourage, durch die die Revolutionäre dieses Ereig-
    nis möglich gemacht haben. Ich will an dieser Stelle nur
    ein Mitglied meiner Fraktion, ohne anderen Unrecht tun
    zu wollen, besonders hervorheben: Ich nenne meinen
    Freund Markus Meckel, der als Mitbegründer der dama-
    ligen SDP und späteren SPD in der DDR einen großen

    Anteil an der friedlichen und demokratischen Entwick-
    lung in diesem Teil unseres Landes hatte.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Angela Marquardt [PDS])


    Heute, zehn Jahre danach, geht es darum, diese Ein-
    heit endlich realistisch zu erfassen und sie in unserem
    Innern endgültig zu gestalten. Das kann nur gelingen,
    wenn aus Bilanzen und Analysen zu richtigen, zu-
    kunftsweisenden Konzepten, zu Entscheidungen der
    Vernunft gekommen wird.

    Der Einigungsprozeß und der Aufbau Ost vollziehen
    sich politisch, gesellschaftlich und ökonomisch unter
    immer wieder neuen, völlig anderen Rahmenbedingun-
    gen; denn inzwischen – das sehen wir jeden Tag – ist
    leider ein großer Teil der überschäumenden Freude aus
    dem friedlichen Revolutionsherbst 1989 in unserem
    Volk verlorengegangen. Darüber können auch die un-
    mittelbaren Eindrücke aus dem Erleben der letzten Tage
    nicht hinwegtäuschen.

    Im Osten ist vielfältige, manchmal auch irrationale
    Enttäuschung an die Stelle fast euphorischer Erwartun-
    gen getreten. Sie reicht zum Teil bis zur Bitterkeit. Im
    Westen ist die anfängliche erfreuliche und weit verbrei-
    tete Hilfs- und Opferbereitschaft einer bisweilen sehr
    mißmutigen Stimmung gewichen. Sie schließt unge-
    rechtfertigte Vorwürfe an die Menschen in den östli-
    chen Bundesländern ein.

    Zum Thema Vereinigung und Aufbau Ost gab und
    gibt es eine Menge Konsens in diesem Haus. Über das,
    was jetzt im einzelnen zu tun ist, werden und müssen
    wir streiten. Jetzt ist vor allen Dingen wichtig, darüber
    nachzudenken, was not tut und danach zu handeln, an-
    statt einseitig und allein Fehler der Vergangenheit zu
    beklagen.

    Dafür gibt es ein einfaches Rezept: Es gilt, die Reali-
    tät nicht zu schönen oder sie zu verzerren, sondern
    nüchtern mit ihr umzugehen. Dafür bietet der vorliegen-
    de Jahresbericht der Bundesregierung eine hervorragen-
    de Grundlage.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich halte es für richtig und wichtig, den konkreten
    Zahlen, Daten und Fakten noch einmal die politisch-
    historischen Rahmenbedingungen des Vereinigungspro-
    zesses voranzustellen. Es gab bis zu diesem Zeitpunkt in
    der Geschichte kein Beispiel, daß ein Land aus zwei
    auseinandergerissenen Zeithälften neu zusammengesetzt
    wurde. Das bedeutete für die Ostdeutschen die radikale
    Umwälzung ihrer Lebensbedingungen, ihrer Sicherhei-
    ten und Gewohnheiten, und das alles in einer brutal kur-
    zen Zeit.

    Bei allen Brüchen, die dieser Prozeß fast zwangsläu-
    fig mit sich brachte, gilt aber auch: Diese schwierigen
    Erfahrungen werden eines Tages auf der Haben-Seite
    der Menschen in den neuen Bundesländern stehen. Die
    Flexibilität, die Anpassungsfähigkeit, die Bereitschaft

    Dr. Peter Struck






    (A) (C)



    (B) (D)


    und die Mobilität, die abverlangt wurden, sind eine un-
    geheure Lernerfahrung.

    Vor über 30 Jahren hat einer meiner Vorgänger im
    Amt des Fraktionsvorsitzenden der SPD-Bundestags-
    fraktion, Fritz Erler, gesagt:

    Wir sind ein Volk, und da trage jeder des anderen
    Last.

    Ich denke, das muß auch heute noch gelten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    In der Tat: Wir haben heute Lasten zu tragen, mit denen
    die meisten 1989 und 1990 nicht gerechnet haben, weil
    sie Illusionen von einem Wirtschaftswunder binnen we-
    niger Jahre gehabt haben.

    Diese Illusionen hat die Regierung Kohl damals
    vollmundig verbreitet und herbeigeführt. Es war falsch,
    meine Damen und Herren, den neuen Bundesbürgern
    blühende Landschaften zu versprechen und die alten
    Bundesbürger in dem Glauben zu wiegen, der Eini-
    gungsprozeß werde sie gänzlich ungeschoren lassen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Rüdiger Pohl, der Hallenser Wirtschaftswissen-
    schaftler, hat vor einigen Tagen in einem Artikel der
    „Berliner Zeitung“ seine kenntnisreiche Analyse, die ich
    nicht in allen Punkten nachvollziehe, mit einem Gedan-
    kenspiel begonnen, das ich sehr reizvoll finde. Ich zitie-
    re ihn:

    Stellen Sie sich vor, es gibt einen großen Knall, und
    wir finden uns im Jahre 1990 wieder – aber mit
    dem Wissen von 1999.

    Ich frage also: Wie würden wir den Vereinigungspro-
    zeß nun neu und anders gestalten? Hätten wir dann
    Skepsis und Ernüchterung, Mißverstehen und Mißver-
    gnügen vermeiden können?

    Was die Fehler angeht, so dürfen sie nicht allein be-
    trachtet werden. Sie dürfen nicht die Aktivposten ver-
    drängen, die im Zuge des bisherigen Einigungsprozesses
    und des Aufbaus Ost zu verbuchen sind. Das reicht von
    den demokratischen und bürgerlichen Freiheiten, dem
    Wiedererstehen der Länder, dem solidarischen Kraftakt
    von Ostdeutschen und Westdeutschen bis zu einem er-
    staunlichen Aufbau einer neuen Infrastruktur. Der Bun-
    deskanzler hat darüber gesprochen.

    Im Vergleich zur Ausgangslage 1989/90 haben wir in
    der Angleichung der Lebensverhältnisse große Fort-
    schritte gemacht, wenngleich wir noch nicht an unserem
    Ziel angelangt sind. Lassen Sie uns aber nicht vergessen:
    Mehr als die Hälfte der Wohnungen in den neuen Län-
    dern sind saniert oder modernisiert worden. 650 000
    Wohnungen wurden neu gebaut. Fast 1 200 Kilometer
    Straße und 5 400 Kilometer Schiene wurden saniert, und
    – der Bundeskanzler hat es erwähnt – Ostdeutschland
    hat das modernste Telefonnetz Europas. Wir sind beim
    Aufbau eines lebenswichtigen Mittelstandes deutlich vo-
    rangekommen. Es gibt in den neuen Ländern etwa

    550 000 kleine bis mittelständische Betriebe mit
    3,2 Millionen Beschäftigten.


    (Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Das sind die „blühenden Landschaften“!)


    In den letzten Jahren ist ein großer Teil dieser Betriebe
    im Forschungssektor entstanden. Die Umweltbelastun-
    gen wurden drastisch reduziert. Zwar hat dazu auch die
    Stillegung zahlreicher Betriebe und veralteter Kraftwer-
    ke beigetragen, aber das Ergebnis ist auch eine bessere
    Wasser- und Abwasserqualität, eine bessere Abfallwirt-
    schaft und eine bessere Luft in den neuen Ländern. Das
    sind die positiven Daten.


    (Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Ist das etwa nichts?)


    Dem stehen natürlich auch Defizite und Fehlent-
    scheidungen gegenüber, die sowohl den Bereich der
    wirtschaftlichen wie auch der sozialen und emotionalen
    Einigung betreffen. Ich nenne die Übernahme der noch
    von der Modrow-Regierung geschaffenen Treuhandkon-
    struktion und die damit praktizierten Privatisierungsvor-
    haben. Der erste Chef der Treuhandanstalt, Detlev
    Rohwedder, hat ein „entschlossenes Privatisieren und
    behutsames Sanieren“ gefordert. Davon ist nur die
    Hälfte mit lange nachwirkenden Folgen realisiert wor-
    den.

    Bis heute ist die ostdeutsche Wirtschaft weit davon
    entfernt, den Bedarf der eigenen Bevölkerung zu dek-
    ken. Das Defizit an Arbeitsplätzen wird auf 25 Prozent
    geschätzt. Die wirtschaftsnahe Forschung wurde gerade-
    zu auf Null gebracht. Weniger als 10 Prozent des Pro-
    duktivvermögens gingen über die Treuhandanstalt in
    ostdeutsche Hände, über 90 Prozent gingen an West-
    deutsche und Ausländer.

    Ich nenne als weiteren schwerwiegenden Fehler die
    Vermögensregelung nach dem unseligen Prinzip Rück-
    erstattung vor Entschädigung.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Dr. Gregor Gysi [PDS]: Da habt ihr zugestimmt!)


    Ich spreche Sie, Herr Kollege Schäuble, in diesem Punkt
    auch persönlich als denjenigen an, der für die damalige
    Bundesregierung mit Herrn Krause verhandelt hat. Ich
    erinnere mich auch an die Diskussionen, die wir über
    dieses Prinzip und darüber geführt haben, welche Kon-
    sequenzen es gehabt hätte, wenn wir statt des Prinzips
    Rückerstattung vor Entschädigung den umgekehrten
    Weg gegangen wären.

    Ich weiß nicht, wie Sie das bewerten. Ich glaube
    allerdings, daß wir dieses Prinzip damals tatsächlich
    nicht hätten wählen sollen. Dieses Prinzip hat der Be-
    wirtschaftung jahrelang Milliardenwerte entzogen und
    so zu Investitionshemmnissen,


    (Beifall bei der SPD)

    zu Haß und Feindschaft zwischen Alteigentümern und
    Nutzern geführt. Wir wissen: Auch heute sind noch im-
    mer 10 Prozent oder fast 200 000 Ansprüche unerledigt.

    Dr. Peter Struck






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Der Zwischenruf von der PDS – „Da habt ihr zuge-
    stimmt!“ – gibt natürlich die Wahrheit wieder. Wir ha-
    ben dem Einigungsvertrag zugestimmt, obwohl wir zum
    Beispiel in diesem Punkt eine andere Position vertreten
    haben. Aber für uns Sozialdemokratinnen und Sozial-
    demokraten war immer klar: Der Einigungsvertrag
    mußte vom Deutschen Bundestag und auch vom Bun-
    desrat beschlossen werden, weil er – ungeachtet man-
    cher Unterschiede im einzelnen – Voraussetzung auf
    dem Weg zur deutschen Einheit war.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Als weiteren Fehler nenne ich die Aufbauförderung
    über Abschreibungen für Ostinvestitionen. Dem haben
    wir auch zugestimmt. Ich weiß das.


    (Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: War das jetzt ein eigener Fehler? – Michael Glos [CDU/CSU]: Ihr wolltet sogar höhere Abschreibungen!)


    – Gut, dann nehme ich das Prinzip. Das Prinzip hatte als
    Konsequenz eine westliche Kapitalbildung und das Ent-
    stehen kapitalintensiver, aber menschenleerer Produkti-
    onsstätten. Wir sehen das heute, wenn wir durch die
    neuen Länder fahren. Jetzt zeigt sich, daß wir vielleicht
    andere Wege als den hätten gehen sollen, der dort über
    die Steuergesetzgebung gegangen worden ist.

    Die Bundesregierung und die sie tragenden Koaliti-
    onsfraktionen haben innerhalb des letzten Jahres eine
    Fülle von Fehlentwicklungen korrigiert und neue Ak-
    zente für den Aufbau Ost gesetzt. Ich hätte mir ge-
    wünscht, Herr Kollege Vaatz, daß Sie nicht eine polemi-
    sche und flache Rede gehalten hätten, sondern auf diese
    Punkte eingegangen wären.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich will sie noch einmal nennen: die Erleichterung
    beim Altschuldenhilfegesetz, die Verlängerung der In-
    vestitionsvorrangregelung, der Risikostrukturausgleich
    zugunsten der ostdeutschen Krankenkassen. Das ist ein
    Thema, das uns jetzt auch wieder beschäftigen wird.


    (Beifall bei der SPD)

    Wir lassen die Krankenkassen im Osten und ihre Mit-
    glieder nicht im Regen stehen, wie unser Gesetzentwurf
    zeigt. Wir werden ja sehen, was bei den Verhandlungen
    – wenn es Verhandlungen gibt – dazu von Ihrer Seite zu
    sagen sein wird. Ferner nenne ich ganz besonders die
    Beseitigung von Ungerechtigkeiten bei der Entschädi-
    gung der Opfer von SED-Unrecht – eine Leistung, auf
    die die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktio-
    nen stolz sein können.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wir haben hier eine moralische Pflicht erfüllt.
    Lassen Sie mich an dieser Stelle einen Punkt nennen,

    der mich persönlich in den letzten zwei Wochen beson-
    ders bewegt hat, weil es um ein Thema geht, das – das
    ist meine Sicht – lange Zeit nicht angemessen behandelt

    worden ist. Wir kennen das Problem der Hepatitis-C-
    geschädigten Frauen aus der ehemaligen DDR.


    (Dr. Margrit Spielmann [SPD]: Sehr richtig!)

    Es sind 2 600 Frauen, die durch eine falsche Behandlung
    der damaligen DDR-Behörden und eines damaligen
    DDR-Unternehmens schwer gelbsuchtgeschädigt sind.
    Ich sage das auch an die Adresse all derjenigen, die hier
    von Nostalgie reden. Fragen Sie die Frauen, was man
    mit ihnen gemacht hat! Sie sind isoliert worden; man hat
    sie in ihrem Schicksal allein gelassen. Sie wußten nicht
    davon, daß auch andere durch solche Behandlungsfehler
    von der gleichen schweren Krankheit betroffen sind. Es
    gab einen unwürdigen Streit über die Frage, wie diese
    armen Frauen zu entschädigen sind; es war ein Streit
    über die Frage, wer das denn bezahlen soll. Man hat sich
    dann auf eine Entschädigungssumme bzw. Rentenzah-
    lungssumme für diese Frauen von insgesamt 10 Millio-
    nen DM für alle geeinigt, wobei der Bund und die Län-
    der jeweils die Hälfte tragen. Das hat lange Zeit ge-
    braucht.


    (Dr. Margrit Spielmann [SPD]: Fünf Jahre!)

    Die berechtigte Forderung der betroffenen Frauen, ihnen
    auch über eine Einmalzahlung zu helfen – um das, was
    man ihnen angetan hat, wenigstens teilweise angemes-
    sen zu entlohnen –, ist aus finanziellen Gründen abge-
    lehnt worden. Ich will dem Bundestag mitteilen, daß
    meine Fraktion zusammen mit der Fraktion der Grünen
    heute in der Bereinigungssitzung des Haushaltsaus-
    schusses einen Antrag durchsetzen wird, wonach diesen
    Frauen eine Einmalentschädigung – für alle zusammen –
    in Höhe von 15 Millionen DM zusätzlich bewilligt wird.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Soviel dann auch zu dem Thema „Wie schön war es
    doch in der damaligen DDR“, an die Adresse derjenigen
    gerichtet, die ganz links in diesem Hause sitzen. Sie
    brauchen ja nur einmal mit den Frauen zu reden; sie
    werden Ihnen dann schon sagen, wie „schön“ es war.


    (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das haben wir nie gesagt!)


    Zur Beseitigung sozialer Spannungen und menschli-
    cher Irritationen, die wir zweifellos im Verhältnis zwi-
    schen Ost und West feststellen müssen, gehört mehr. Ich
    kann verstehen, daß unsere ostdeutschen Landsleute zu-
    nehmend betroffen reagieren, wenn sich bei ihnen der
    Eindruck verfestigt, daß Ostbiographien überhaupt kei-
    ne Chance auf differenzierte Beurteilung haben. Ich ha-
    be auch Verständnis, daß im Osten kritisch registriert
    wird, wenn überwiegend westdeutsche Historiker, Pu-
    blizisten und leider auch Politiker nicht nur DDR-
    Geschichte und DDR-Biographien interpretieren, son-
    dern auch noch Werturteile fällen. Deshalb mag ich die
    Pharisäer nicht, die in westlichen Lehnstühlen Predigten
    darüber verbreiten, wie man sich in der SED-Diktatur
    hätte verhalten sollen. Ich mag sie nicht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Dr. Peter Struck






    (A) (C)



    (B) (D)


    Der Aufbau Ost als politisches Vorrangprojekt wird
    uns noch weit ins kommende Jahrtausend begleiten.
    Kein Deus ex machina, keine der noch so oft beschwo-
    renen Selbstheilungskräfte des Marktes werden etwas
    daran ändern, daß das Zeit, Geld, Ideen, Stehvermögen,
    Solidarität und Zuversicht braucht. Die sozialdemokrati-
    sche Bundestagsfraktion jedenfalls ist bereit, diese
    schwierige Wegstrecke zu meistern.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Gerhardt, dem Vorsitzenden
der F.D.P.-Fraktion.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Gerhardt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident!
    Meine Damen und Herren! Neulich hat Fritz Stern, der
    großartige Historiker, den Friedenspreis des Börsenver-
    eins des Deutschen Buchhandels erhalten. Er hat uns in
    seiner Rede einiges zum Zustand, zu den Fragen der in-
    neren Einheit gesagt. Er hat das im übrigen mit einem
    großartigen Humor getan. Er hat von einem berühmten
    deutschen Philosophen erzählt, der sich beklagt haben
    soll, daß er kaum mehr zu vertieftem Nachdenken kom-
    me, weil seine Frau soviel rede. Dann ist er gefragt wor-
    den: Worüber redet die denn? Darauf hat er geantwortet:
    Das sagt sie nicht.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


    – Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind. – Das
    beschreibt manchen Dialog, den wir in Deutschland mit-
    einander führen. Wir reden unendlich viel.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Worüber reden Sie denn? – Weitere Zurufe von der SPD)


    – Das hier ist ein typischer Fall, daß, wenn jemand mit
    ausgesprochen guter Laune ans Rednerpult tritt, Zwi-
    schenrufe aus verkniffenen Gesichtern kommen.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Ich will damit nicht mehr und nicht weniger sagen, als
    daß wir unendlich viel miteinander debattieren, über die
    deutsche Einheit reden,


    (Joachim Poß [SPD]: Überhaupt nicht verkniffen!)


    große Programme auflegen, zu Chefsachen erklären,
    Produktionskennzahlen oder die Zahl der mittelständi-
    schen Betriebe, die entstehen, benennen.

    Aber anscheinend sagen wir uns nicht das Richtige;
    denn für jeden ist spürbar – das sagt auch Fritz Stern – :
    Es ist ganz merkwürdig, die Deutschen kommen mit ih-
    ren Nachbarn außerordentlich gut zurecht, nur im Innern
    haben sie das anscheinend noch nicht so richtig bewäl-

    tigt. Das ist einfach wahr. Es geht nicht um die Frage,
    wie sich ein Standort wirtschaftlich entwickelt hat. Mir
    geht es um mentale Fragen des Zusammenlebens.

    Sie waren doch genauso wie ich von den Worten be-
    eindruckt, die Joachim Gauck an uns gerichtet hat. Mir
    fehlen im Grunde viele Joachim Gaucks, die ihren
    Landsleuten mit derselben Biographie viel entspannter
    als wir sagen könnten, welche Chancen es für dieses
    Land wirklich gibt. Wir haben nämlich große Chancen.


    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wir haben eine große, klare, freiheitliche und patrioti-
    sche Substanz in Deutschland. Das Beste, was wir ha-
    ben, ist unsere freiheitliche Verfassung.


    (Joachim Poß [SPD]: Davon müssen Sie ihre Partei überzeugen, aber nicht uns!)


    Sie steckt zutiefst in großen europäischen Traditionen;
    aus ihr kann eine Kraft zur Erneuerung kommen.

    Joachim Gauck hat das hier vor wenigen Tagen vor-
    getragen. Das Grundgesetz, das eine zivile Gesellschaft
    herausgebildet hat, hat endlich diese Phase in Deutsch-
    land beendet, in der jedem anerzogen worden ist, nur
    Dienst im Glied zu versehen. Vielmehr soll man von
    seinen Freiheitsrechten Gebrauch machen. Das darf
    doch nicht verschüttgehen.

    Es gibt eine unendlich große demokratische Sub-
    stanz – das haben wir noch vor wenigen Tagen gehört;
    anscheinend ist das heute wieder in Vergessenheit gera-
    ten; wenn Feierstunden stattfinden, sollte man sich daran
    erinnern –, auf die wir aufbauen können, von denen, die
    sich auch in der Zeit des Naziterrors anständig verhalten
    haben und die ihr Leben eingesetzt haben, um Freiheits-
    rechte zu erkämpfen und zu erhalten.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Es ist dann zu Recht gesagt worden – darauf kann
    man stolz sein; man muß doch nicht immer ängstlich
    meinen, die anderen seien die Sieger –,


    (Sabine Kaspereit [SPD]: Warum schwafeln Sie? – Joachim Poß [SPD]: In welchem Ton sagen Sie das eigentlich?)


    daß Hunderttausende von Bürgern der früheren DDR,
    ohne daß sie wußten, ob das friedlich ausging – man
    hätte ja auch mit Ereignissen wie auf dem Platz in Pe-
    king rechnen können – , auf die Straße gegangen sind
    und mutig die Freiheit errungen haben. Warum wir dar-
    über als gemeinsames Paket der Freiheit und unserer
    Grundverfassung nicht reden, ist mir schleierhaft. Dar-
    auf kommt es doch an, um eine Zukunft herauszubilden.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Kaspereit [SPD]: Wen beschimpfen Sie denn? – Joachim Poß [SPD]: Wen klagen Sie denn jetzt an, Herr Gerhardt?)


    – Ich spreche als freier Abgeordneter des Deutschen
    Bundestages zu meinen Kolleginnen und Kollegen.


    (Beifall bei der F.D.P.)


    Dr. Peter Struck






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Warum muß hier denn so elend in parteipolitischen
    Grenzen diskutiert werden, Herr Poß? Ich spreche das
    ganz normal an.


    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Jedes Volk hat einen bestimmten Prozentsatz von
    Menschen, die wirklich als abschreckendes Beispiel
    dienen können. Der ist in Deutschland nicht höher als in
    anderen Ländern auch. Aber wahr ist: Die Fairen, die-
    jenigen, die vernünftig miteinander umgehen, die ihr hi-
    storisches Gedächtnis mobilisieren, sind in der Mehr-
    heit.


    (Sabine Kaspereit [SPD]: Gott sei Dank!)

    – Ja, aber dann sollten wir sie auch eher sprechen lassen
    und das deutlich sagen. – Wenn es die Fairen gibt, dann
    dürfen sie auch sagen: Es gab nicht nur die, die im Zuge
    der deutschen Einigung andere über den Tisch gezogen
    haben. Es gab nicht nur die, die Betriebe aufgekauft ha-
    ben und sie dann wieder geschlossen haben. Es gab auch
    die, die ihre ganze Kraft in Betriebe hineingesteckt ha-
    ben.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Es gab auch Manager der Treuhand, die über all ihre
    Kräfte hinaus gearbeitet haben. Und weil immer das
    Bild gezeichnet wird, die Treuhand habe die Wirtschaft
    der DDR ruiniert, sage ich: Es gab in den Reihen der
    Treuhand nicht im entferntesten die Spitzbuben, die es
    in der Truppe von Schalck-Golodkowski gab.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Das muß vorurteilsfrei festgestellt werden. Im übrigen
    ist es einfach wahr, daß nicht die Treuhand die Wirt-
    schaft der DDR ruiniert hat, sondern die SED. Sie hat
    die Betriebe ausgeplündert, den Kapitalstock vernichtet
    und die Menschen seelisch zerstört.

    Es ist falsch, in Abscheu vor einem oberflächlich ver-
    standenen westlichen Stil eine eigene Art zu verklären.
    Fritz Stern sagt – damit vermeide ich Zwischenrufe; die
    kämen, wenn ich es sagte; wenn ich Fritz Stern zitiere,
    haben wir eine ruhige Kulisse –:

    Das einfache, wenn auch unfreie Leben im Gegen-
    satz zum freien und hektischen Leben des westli-
    chen Kapitalismus, das darf schon gar nicht dazu
    führen, daß der Wert demokratischer Freiheit er-
    neut vergessen wird.

    Die Privatisierung der alten Heilslehren, so sagt Fritz
    Stern, ist kein Gewinn.

    Das ist eine sehr deutliche Aussage, die sich ganz
    eindeutig gegen eine Mentalität richtet, auf deren Welle
    die PDS erfolgreich ist. Dieser Mentalität muß klar ent-
    gegengetreten werden.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Wenn wir in Deutschland eine gemeinsame Zukunft ha-
    ben wollen, darf die Vergangenheit nicht so verklärt
    werden.

    Wir müssen unseren Mitbürgern im Westen sagen,
    daß zwar auch sie einen schwierigen Anfang hatten, daß
    ihnen dabei aber geholfen worden ist. Es ist wahr: Unse-
    re Mitbürgerinnen und Mitbürger im Osten hatten die
    ungleich schwierigere Aufgabe. Auch bei der Grundent-
    scheidung für die Marktwirtschaft wäre es nicht zu einer
    Art Wirtschaftswunder gekommen, wenn wir im Westen
    amerikanische und andere internationale Hilfe nicht
    gehabt hätten.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Unser Weg war chancenreicher, aber einfacher, und
    deshalb müssen wir lernen, mit Entfremdung – denn in
    Deutschland gibt es eine solche Distanz – umzugehen.
    Das schaffen wir aber nur, wenn wir ehrlich miteinander
    kommunizieren.

    Es gibt in Deutschland ein großes Bedürfnis nach so-
    zialer Sicherheit. Vielleicht ist das Austarieren von
    Forderungen an den Staat in Ostdeutschland auf Grund
    der Biographie der Menschen dort noch viel ausgepräg-
    ter als in der alten Bundesrepublik. Aber soziale Ge-
    rechtigkeit kann nicht bei falschen Gleichheitsvorstel-
    lungen erreicht werden. Es gibt eben Menschen, die
    durch eigenes Können größere Talente entfalten und
    mehr zustande bringen als andere. Der Präsident der
    Max-Planck-Gesellschaft, ein hochkarätiger Wissen-
    schaftler, sagt, die Menschen seien zwar jeder für sich
    einzigartig, aber die meisten seien „einzigartig durch-
    schnittlich“ und nur wenige „einzigartig begabt“. Wenn
    eine Gesellschaft nicht in der Lage ist, Neidgefühle zu-
    rückzudrängen und den einzigartig Begabten Förderung
    angedeihen zu lassen und sie als zum Wohle aller zu
    verstehen, dann hat sie ein falsches Gleichheitsverständ-
    nis. Denn Gerechtigkeit besteht auch darin, besondere
    Befähigungen reüssieren zu lassen und ihnen Anerken-
    nung entgegenzubringen.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Ich spreche das deshalb an, weil wir Deutsche oft mit
    falschen Begriffspaaren arbeiten. Solidarität ist eben
    nicht ausschließlich eine Forderung an andere. Die eige-
    ne Leistung zum Wohle aller einzusetzen ist die größte
    Solidarität, die man in einer Gesellschaft ausdrücken
    kann.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Aber unter Leistungsgesichtspunkten ist es schon seltsam, daß jemand wie Sie Parteivorsitzender ist!)


    Leistung ist auch keine Kategorie einer Ellbogengesell-
    schaft, sondern sicherer Bestandteil der Lebensführung
    von Menschen. Wir müssen diese Punkte ansprechen.
    Sonst sehe ich die Gefahr, daß wir in Deutschland eine
    völlig falsche Diskussion über Gleichheit, Gerechtigkeit
    und Freiheit führen.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Das kann nicht alles auf Kosten des anderen abgearbei-
    tet werden.

    Dr. Wolfgang Gerhardt






    (A) (C)



    (B) (D)


    Seit dem ersten Auftreten Michail Gorbatschows, so
    hat Hans-Dietrich Genscher damals gesagt, hat sich alles
    verändert. Vielleicht haben wir zuerst geglaubt, es ände-
    re sich nur etwas für die Menschen in den früheren War-
    schauer-Pakt-Staaten. Jetzt haben wir gemerkt: Es ändert
    sich für alle.

    Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung
    gesagt, den ostdeutschen Anbietern hätten zumindest
    zeitweise lokale Standortvorteile gewährt werden müs-
    sen. Das ist richtig, Herr Bundeskanzler. Ich habe, als
    Sie das gesagt haben, überlegt: Wo waren Sie denn, als
    wir ein Niedrigsteuergebiet Ost vorgeschlagen haben,


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    als wir eine Wertschöpfungspräferenz für ostdeutsche
    Produkte gefordert haben? Ich kann Ihnen die Reihe Ih-
    rer Kollegen im Amt des Ministerpräsidenten nament-
    lich benennen, die dagegen waren, weil sie nicht die
    deutsche Einheit und den Aufbau Ost im Auge hatten,
    sondern den 20 Kilometer breiten Streifen westliches
    Zonenrandgebiet in ihrem Land, der dann vielleicht
    zeitweilig ins Hintertreffen geraten wäre. Das sind die
    Tatsachen.

    Sie haben vorhin Klaus von Dohnanyi zitiert, einen
    hochangesehenen Mann, der gesagt hat: Der Markt ist
    nicht immer weise. Das ist richtig. Ich füge noch ein
    weiteres Zitat von ihm hinzu: Unsere Systeme der so-
    zialen Sicherung haben sich zu einer Barriere gegen Be-
    schäftigung entwickelt. Dohnanyi hat Sie dringlichst
    aufgefordert, einige Reformen auf den Weg zu bringen,
    weil er wie ich der Meinung ist: Die größte Sicherheit in
    Deutschland ist ein Arbeitsplatz und nicht die Höhe der
    sozialen Begleitmaßnahmen zur Beschäftigungslosig-
    keit. Deshalb kommt es im Kern darauf an, eine Politik
    zu verfolgen, die mehr Beschäftigung in Deutschland
    initiiert.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])


    Die soziale Kompetenz einer Gesellschaft zeigt sich aus
    der Sicht der Freien Demokraten an der Fähigkeit, Ar-
    beitsplätze zu schaffen. Dies ist die Priorität. Alles ande-
    re ist sekundär. Deshalb müßte Ihre Politik auf diese
    Priorität ausgerichtet sein. Sie müßte Hindernisse bei-
    seite räumen. Wenn ich nur die Überschriften des Pa-
    piers lese, das Sie gemeinsam mit Herrn Blair erarbeitet
    haben, dann weiß ich, daß Sie diese Hindernisse genau-
    so gut wie ich kennen. Nur, ziehen Sie endlich die Kon-
    sequenzen daraus.

    Trotz allem, was noch verbessert werden muß, hat
    unser Land auf Grund seiner großartigen Infrastruktur,
    seines hervorragenden Bildungswesens, seiner föderati-
    ven Grundverfassung und seines großen Garanten für
    die Unabhängigkeit der Rechtsprechung, des Bundesver-
    fassungsgerichts, alle Chancen, im weltweiten Wettbe-
    werb zu bestehen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch
    mental. Aber wir müssen zu Energieleistungen fähig
    sein, die sich nicht nur auf materielle Anreize konzen-
    trieren. Ich glaube, daß die Zukunft unserer Gesell-
    schaft, unseres Volkes auf Grund der deutschen Einheit

    für die nachfolgenden Generationen mehr Chancen,
    mehr Freiheit und mehr Optionen bereithalten wird als
    für jede andere Generation, die in Deutschland gelebt
    hat. Für uns kommt es darauf an, dies beim Wechsel in
    das nächste Jahrtausend zu stärken, zu untermauern,
    nach vorne zu bringen und nicht zurückfallen zu lassen.

    Es besteht die Notwendigkeit, Herr Bundeskanzler,
    einiges in unserem Bildungssystem zu reformieren, weil
    die Qualifizierungsfrage d i e soziale Kernfrage des
    nächsten Jahrtausends ist. Sie müßten Ihren an der
    Lösung dieser Frage beteiligten Genossen klarmachen,
    daß sie in den Ländern den Ernstfall im deutschen
    Schulwesen nicht immer hinausschieben können und sie
    sich ein Beispiel an den kürzeren Schulzeiten in den
    neuen Bundesländern nehmen sollten.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Wir müssen die Kraft haben, den Hochschulen wirkliche
    Autonomie zu geben, einschließlich Autonomie über das
    Dienstherrenrecht. Wir müssen in den beruflichen Sy-
    stemen auch denjenigen, die den hohen theoretischen
    Ansprüchen in der Berufsausbildung nicht gerecht wer-
    den, eine Art Zertifikat geben, damit sie überhaupt
    Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Wir müssen die Tarifvertragsparteien auffordern,

    über Lohnspreizungen nachzudenken, und zwar nicht,
    um Lohndumping zu betreiben, sondern um denen, die
    nicht soviel wie andere können, einen Arbeitsplatz zur
    Verfügung zu stellen, der für deren Würde besser ist als
    Sozialhilfe.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Es würde sich lohnen, unseren Arbeitsmarkt zu flexi-
    bilisieren und die Tarifverträge zu öffnen. Das Tarif-
    kartell sollte dies schon längst gemacht haben. Sie wis-
    sen doch, daß in Ostdeutschland eine Verbandsflucht
    eingesetzt hat, nämlich daß kleine und mittlere Betriebe
    die Verbände verlassen, weil die Zeiten vorbei sind, in
    denen Krupp, Hoesch, Thyssen und Daimler-Chrysler
    bestimmen konnten, welche Löhne zum Beispiel im
    Erzgebirge zu zahlen sind. Die kleinen und mittleren
    Betriebe können nicht dieselben Löhne zahlen wie die
    großen. Deshalb muß man ihnen entgegenkommen.


    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Dies gilt im übrigen auch für Westdeutschland. Es ist
    kein ostdeutsches Problem. Der kleine und mittlere Be-
    trieb kann heute nicht mehr die Tarifabschlüsse umset-
    zen, die die großen an ihren Tischen verhandelt haben.
    Aber der kleine und mittlere Betrieb bildet die meisten
    Jugendlichen aus, zahlt die meisten Steuern, schafft die
    meisten Arbeitsplätze und bietet die größten sozialen
    Sicherheiten in Deutschland. Diese Betriebe muß die
    Politik begünstigen.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Sie betreiben Privatisierungspolitik zurückhaltend.

    Sie kritisieren sie eher. Wir sind der Meinung, daß der

    Dr. Wolfgang Gerhardt






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Staat eine solche Politik fördern muß. Eine Privatisie-
    rungspolitik ist eine Chance für Ostdeutschland. Eine
    andere sehe ich nicht. In Ostdeutschland gibt es nur
    dann Arbeitsplätze, wenn dort Leute investieren. Wir
    müssen deshalb die Leute einladen, dort zu investieren.
    Der Staat soll Menschen zum Wettbewerb befähigen.
    Aber er soll in der Wirtschaft nicht selber als Wettbe-
    werber auftreten. Darauf kommt es politisch an.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Es geht nicht nur um betriebswirtschaftliche Kennt-
    nisse, wenn man ein Unternehmen führt. Jeder weiß
    dies. Auch die ökologische Dimension muß notwendi-
    gerweise bewältigt werden, und zwar nicht am Ende der
    Entscheidungen; vielmehr muß sie Bestandteil der Ent-
    scheidungen von Unternehmensführungen sein.

    Aber auch die Unternehmensführung selbst muß aus
    diesem alten Gegensatz von Arbeit und Kapital heraus-
    treten. Warum haben wir – das gilt auch für die Tarif-
    vertragsparteien – eigentlich die einzigartige Chance in
    Deutschland versäumt, den Arbeitnehmerinnen und Ar-
    beitnehmern in Ostdeutschland von Anfang an eine Ge-
    winnbeteiligung anzubieten,


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    um ihnen zu signalisieren, daß es nicht um den alten
    Gegensatz von Arbeit und Kapital geht


    (Markus Meckel [SPD]: Haben Sie nicht 16 Jahre lang regiert?)


    und daß sie, wenn sie jetzt Lohnzurückhaltung üben,
    später beteiligt werden, sobald die Unternehmen Gewin-
    ne machen? Das wäre doch ein Angebot gewesen, das
    die alte Spaltung in jenem Denken überwindet, das die
    Gewerkschaften noch heute pflegen. Die Tarifvertrags-
    parteien sollten sich nicht nur auf eine Reform von Tari-
    fen verständigen, sondern eine komplette mentale Inno-
    vation hinsichtlich ihrer bisherigen Verhaltensweisen
    vornehmen. Es geht darum, Arbeitnehmerinnen und Ar-
    beitnehmern eine Perspektive eigener Verantwortung
    auch in den Unternehmen zu eröffnen.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß es uns

    gemeinsam gelingen kann, einen erfolgreichen Aufbau
    in den neuen Ländern herbeizuführen. Das wird dann
    nicht nur ein Erfolg der neuen Länder, sondern auch
    eine großartige Chance für uns alle sein. Diese Aufgabe
    können wir bewältigen. Unsere Gesellschaft ist doch
    nicht dumm. Wir sind zu technischer Höchstleistung fä-
    hig. Wer will, kann sich in unserem Land bis zur Spitze
    hin qualifizieren. Wir sind ein verläßlicher Bündnispart-
    ner. Wir haben eine klare innere Verfassung. Wir stül-
    pen doch niemandem die Erfolgsgeschichte der alten
    Bundesrepublik Deutschland über, wenn wir 17 Milli-
    onen Menschen aus Ostdeutschland einladen, ein Stück
    dieser Erfolgsgeschichte neu zu schreiben.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Meine Damen und Herren, ich habe mit einem Hin-
    weis von Fritz Stern begonnen. Daran anknüpfend stelle
    ich fest: Wir alle sind zutiefst davon überzeugt, daß der
    Aufbau gelingen kann. Aber warum laufen wir eigent-
    lich immer dann, wenn es darum geht, diesen Aufbau
    voranzubringen, mit betrübten Gesichtern, so verkniffen
    herum?


    (Sabine Kaspereit [SPD]: So wie Sie eben die Rede gehalten haben?)


    Warum sind wir denn nicht in der Lage, den Menschen,
    die Schwierigkeiten haben, ein Stück Optimismus und
    Zuversicht mitzugeben? Das gehört auch zum politi-
    schen Umgang in Deutschland.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Nachdem wir nun eine Reihe von Feierlichkeiten und
    Jahrestagen hinter uns gebracht haben, sollten wir – je-
    der für sich – verabreden, zuversichtlicher, optimisti-
    scher und verantwortungsbereiter in die Zukunft zu
    gehen und diesen Optimismus auf die Mitmenschen
    zu übertragen. Sie erwarten das von uns. Wir sollten
    das auch deshalb tun, weil wir ihnen sagen müssen,
    daß die Zeiten vorbei sind, in denen von der Politik
    alles erhofft wurde. Wir haben uns in manchem ver-
    hoben. Wir wollen ihnen nicht den Eindruck vermitteln,
    wir könnten alles lösen. Wir schaffen das nur zusam-
    men. Aber dann müssen wir es auch gemeinsam an-
    packen.

    Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)