Gesamtes Protokol
Guten
Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Antwort der Bundesregierung
auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel „Zur Nutzung und Anwendung der neuen
Medien in Deutschland – Chancen in der Informations-
gesellschaft“.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesmi-
nister für Wirtschaft und Technologie, Herr Siegmar
Mosdorf.
S
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeska-binett hat in seiner heutigen Sitzung die Antwort derBundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zum Thema „Zur Nutzung und Anwendung derneuen Medien in Deutschland – Chancen in der Infor-mationsgesellschaft“ beschlossen. Die Bundesregierungwird dem Deutschen Bundestag diese unverzüglich zu-leiten.In ihrer Antwort auf die Große Anfrage stellt dieBundesregierung ihre umfangreichen Initiativen undMaßnahmen auf nationaler, europäischer und internatio-naler Ebene dar. Die Bundesregierung hat, wie Sie wis-sen, vor wenigen Wochen das Aktionsprogramm „Inno-vation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaftdes 21. Jahrhunderts“ beraten und verabschiedet. DiesesAktionsprogramm ist sowohl vom Haus des Bundes-wirtschaftsministers als auch vom Haus des Bundesmi-nisters für Bildung und Forschung erarbeitet worden.Deshalb stehen wir beide, Herr Catenhusen und ich,heute zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Das Aktionsprogramm hat für die BundesrepublikDeutschland eine große Bedeutung, weil wir glauben,daß auf dem Sektor der Informationstechnologie imMoment die größten wirtschaftlichen Veränderungenstattfinden und daß die Multimediabranche das Epizen-trum dieser Veränderungen ist. Wir müssen uns auf die-se Veränderungen einstellen, wenn wir die zu erwarten-den Potentiale an Beschäftigung auch ausschöpfen wol-len. Neuere Untersuchungen von Booz, Allen und Ha-milton, die uns vorliegen, besagen, daß bis zum Jahr2002 in dieser wichtigen Zukunfts- und Wachstums-branche bis zu 350 000 zusätzliche Arbeitsplätze entste-hen können, wenn alles getan wird, um Voraussetzungenfür Medienkompetenz, für Existenzgründungen und fürdie Erschließung der interessanten Zukunftsmärkte zuschaffen.Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärungvom 10. November 1998 die Bedeutung der neuen Me-dien in der Informations- und Kommunikationswirt-schaft als zentrales Politikfeld herausgestellt. Die be-schleunigte Nutzung und Verbreitung moderner Infor-mations- und Kommunikationstechnologien haben fürdie Bundesregierung wirtschafts-, forschungs-, techno-logie- und bildungspolitische Priorität. In der Antwortder Bundesregierung auf die Große Anfrage werden –wie bereits durch das Aktionsprogramm – deutlich diewirtschafts- und beschäftigungspolitischen Chancenherausgestellt, die mit dem Wandel zur Informationsge-sellschaft für unser Land verbunden sind. Die Verbesse-rung des Zugangs zu den neuen Medien, der weitereAusbau der Infrastruktur und die Fortentwicklung derrechtlichen Rahmenbedingungen zum Beispiel für denDaten- und Verbraucherschutz sind wichtige Schwer-punkte unseres Aktionsprogramms.Weltweit ist die Informationswirtschaft Wachstums-und Beschäftigungsmotor Nummer eins. Alle Initiativenund Maßnahmen der Bundesregierung, die in der Ant-wort auf die Große Anfrage, im Aktionsprogramm undim Bericht über das IuKDG beschrieben sind, zielen aufdie entscheidenden Herausforderungen in den nächstenJahren: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Sicherungeines hohen, zukunftsfähigen Beschäftigungsniveaus inder Bundesrepublik Deutschland.Vor diesem Hintergrund ist es erklärtes Ziel der Poli-tik der Bundesregierung, Deutschland einen internatio-
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nalen Spitzenplatz in der Informationswirtschaft zu si-chern. Dies setzt voraus, daß es noch besser gelingt, denÜbergang von der Industrie- zur Informationsgesell-schaft zu meistern und damit neue Wachstums- und Be-schäftigungspotentiale zu erschließen. Dies setzt voraus,daß wir weitere Fortschritte bei der Medienkompetenzmachen und daß wir die Zahl der kleinen Start-ups, derkleinen Selbständigen, in Deutschland weiter erhöhen.Die Zahl ist deutlich gestiegen – wir haben jetzt 1 500Multimediaunternehmen – aber sie muß weiter erhöhtwerden. Die Bundesregierung will alles tun, um dafürdie Voraussetzungen zu schaffen.Die Antwort der Bundesregierung auf die Große An-frage macht deutlich, daß es zur beschleunigten Nutzungund Verbreitung der neuen Informations- und Kommu-nikationsmedien an der Schwelle zum 21. Jahrhunderteines übergreifenden Gesamtentwurfs der Politik bedarf.Die Bundesregierung hat diesen bereits mit ihrem Ak-tionsprogramm vorgelegt. Die Umsetzung fordert ge-meinsame Anstrengungen von Politik und Wirtschaft.Dabei geht es vor allem um folgende konkrete Ziele.Erstens. Die Steigerung der Zahl der Internetanschlüssein der Bevölkerung von derzeit neun Prozent auf über40 Prozent bis zum Jahr 2005. Dazu wird unter anderemeine breitangelegte Demonstrations- und Informations-kampagne der Bundesregierung unter dem Motto „Inter-net für alle“ gestartet.Zweitens. Schaffung von Vertrauen und Sicherheitdurch verbesserte Rahmenbedingungen. Hierzu wirdunter anderem eine Informationskampagne zur IT Si-cherheit fortgeführt und ein Vertrauensrahmen für einesichere Verschlüsselungstechnik in Deutschland ge-schaffen, ohne den I-Commerce und I-Business keinenErfolg haben können. Wir werden außerdem unsere in-ternationalen Anstrengungen fortsetzen, um hier ge-meinsame Spielregeln zu verabreden.Drittens. Deutliche Steigerung der Zahl der Multime-diaunternehmen und Förderung der Vernetzung kleinerund mittlerer Unternehmen auf ein mit Großunterneh-men vergleichbares Niveau. Gerade für kleine und mitt-lere Unternehmen ist die neue Chance von I-Businessund I-Commerce so etwas wie das Fenster zum Welt-markt, und deshalb gibt es mehr Chancen gerade auchfür den Mittelstand. Da aber die Quote derer, die imMittelstand das Internet nutzen, noch gering ist, habenwir zusammen mit den Kammern und ConsultantsKompetenzcenter eingerichtet, um diese Unternehmenauf die neue Entwicklung vorzubereiten. Außerdem ha-ben wir Gründerwettbewerbe gestartet, die eine großeResonanz erfahren haben.Viertens. Förderung der Verbreitung neuer Technolo-gien durch eine intelligente und moderne Regulierungs-politik. Innovationen in der Telekommunikation sollengrößtmögliche Entfaltungsspielräume erhalten. Für diedritte Generation des Mobilfunks, UMTS, mit der auchdas drahtlose Internet, also die nächste Generation desInternet möglich wird, wird die Lizenzvergabe Anfang2000 durchgeführt.Fünftens. Fortentwicklung des Ordnungsrahmens fürInformation, Kommunikation und Medien. Die durchdie neuen Informations- und Kommunikationstechnolo-gien angestoßenen Entwicklungen werden dazu führen,daß früher getrennte Bereiche wie Telekommunikation,Informationstechnik und Medien immer stärker zusam-menwachsen, daß es hier einen Konvergenzprozeß gibt.Diesen Entwicklungen steht in Deutschland die histo-risch gewachsene dezentrale Struktur der Aufsichtsbe-hörden etwa im Bereich der Telekommunikation, derMedien sowie des Jugend- und Datenschutzes teilweisenoch entgegen. Der derzeitige Medienordnungsrahmenmit der Aufteilung der Angebote in Informations- undKommunikationsdienste, Tele- und Maildienste undklassischen Rundfunk gibt einen pragmatischen ent-wicklungsoffenen Weg vor, um den besonderen Anfor-derungen einer sich verändernden Medienlandschaft ge-recht zu werden.Gleichwohl ist abzusehen, daß die inhaltliche Diffe-renzierung der Medienangebote auf Grund der fort-schreitenden wirtschaftlichen und technologischen Ent-wicklung neue Fragen aufwirft. Deshalb wird die Bun-desregierung Gespräche mit den Ländern über dieStruktur der künftigen Zusammenarbeit auf diesemSektor suchen. Ziel dieser Gespräche ist es, unter Be-achtung der jeweiligen Kompetenzen gemeinsame Vor-schläge für eine zukunftsfähige Fortentwicklung des na-tionalen Ordnungsrahmens unter Einbeziehung der wirt-schaftlichen, technologischen und internationalen Ent-wicklungen zu machen.Bei der beschleunigten Nutzung und Verbreitung derneuen Informations- und Kommunikationsmedien gehtes um mehr Wachstum und Beschäftigung. Um die be-treffenden Potentiale wirklich ausschöpfen zu können,müssen wir alle Chancen wahrnehmen, die mit der An-wendung der neuen Technologien in der Gesellschaft,im Staat und in der Wirtschaft verbunden sind. Hierzuzählen unter anderem innovative Anwendungen im Ge-sundheitswesen und in der Verkehrstelematik, die Ver-besserung der staatlichen Dienstleistungen für Bürgerin-nen und Bürger oder etwa die elektronische Steuerver-waltung.Abschließend, meine Damen und Herren, liebe Kol-leginnen und Kollegen: Auf den Maßnahmen der Bun-desregierung können andere Initiativen aufbauen. Vonden Diskussionen mit der Wirtschaft und den Gewerk-schaften im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit“ sowievon der Initiative „Deutschland 21 – ein neuer Typ vonInnovationspartnerschaft der Wirtschaft mit dem Staat“– die Wirtschaft hat den Bundeskanzler gebeten, an die-ser wichtigen Initiative für Deutschland federführendmitzuwirken und den Beiratsvorsitz zu übernehmen;diese Initiative soll die Aktivitäten in der Wirtschaft zueiner gemeinsamen Offensive zusammenführen – ver-sprechen wir uns einen besonderen Schub für die Inno-vationsentwicklung in Deutschland.Wir wollen die Vorsprünge anderer Länder aufholen.Wir wollen in der Zukunft zur ersten Adresse der Mul-timediabranche werden. Wir wollen einen Spitzenplatzin diesem Bereich.
VielenDank, Herr Staatssekretär.Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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Ich bitte zunächst darum, Fragen zu dem Themenbe-reich zu stellen, über den soeben berichtet worden ist.Als erster hat der Kollege Dr. Martin Mayer von derCDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr
Staatssekretär, wir gehen gemeinsam davon aus, daß die
Informations- und Kommunikationstechnik in allen Le-
bensbereichen, so schreibt es auch die Bundesregierung,
zu dramatischen Veränderungen führen wird. Ich stelle
die Frage, ob die Antwort der Bundesregierung diesen
Herausforderungen gerecht wird. In der Antwort der
Bundesregierung ist ein ganz wichtiges Thema ausge-
spart, nämlich die Veränderungen in der allgemeinen
Sozialgesetzgebung. In dem Land, in dem die Informati-
ons- und Kommunikationstechnologien am weitesten
fortgeschritten sind, in den USA, hat ein großer Hand-
lungsspielraum im Arbeits- und Sozialrecht diese Ent-
wicklung ermöglicht.
Nach der Lektüre des Berichts der Bundesregierung,
soweit sie mir in der kurzen Zeit möglich war, habe ich
weder das Wort „Deregulierung“ noch einen einzigen
Ansatz gefunden, wie Sie den Arbeitnehmern in den
neuen Dienstleistungs- bzw. Hard- und Softwarefirmen
den Übergang vom Arbeitnehmerverhältnis in die Selb-
ständigkeit erleichtern wollen. Im Gegenteil, die Bun-
desregierung und die Koalition haben mit der Gesetzge-
bung zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit diesen
Übergang erschwert. Was plant die Bundesregierung in
diesem Bereich?
S
Lieber Herr
Kollege Mayer, die Bundesregierung kann nur auf
Fragen antworten, die ihr gestellt worden sind; sonst
würden wir einer Großen Anfrage nicht gerecht wer-
den.
Es ist richtig, daß wir uns in vielen Aspekten interna-
tional umsehen müssen. Seattle ist von Berlin ungefähr
9 600 Kilometer entfernt. Es gibt in dem Heimatstaat
von Bill Gates durchaus einen Spirit, eine Kultur der
Selbständigkeit. Dies kann für die Gründungskultur, die
wir in Deutschland brauchen, ein Stück weit Vorbild
sein. Sie wissen, daß die Bundesregierung hier nichts
verordnen kann. Es geht darum, wie man sich selbstän-
dig macht und wie man eine solche Kultur entwickeln
kann.
Dieses Thema fängt schon in der Schule und in der
Hochschule an. Deshalb bringen das Bundesministerium
für Bildung und Forschung und das Bundesministerium
für Wirtschaft vielfältige Initiativen auf den Weg, um
die Kultur der Selbständigkeit zu fördern. Wir haben mit
einer Reihe von Diskussionen – etwa mit der Deutschen
Ausgleichsbank – die Initiative ergriffen, das Thema der
Förderung von mehr Selbständigkeit in der Schule auf-
zunehmen. Wir sind der Meinung, daß die Universitäten
in Zukunft nicht nur Quellenstandorte für mehr Bildung
sein dürfen; vielmehr müssen sie auch Quellenstandorte
für den Schritt in die Selbständigkeit und für Neugrün-
dungen sein.
Herr Mayer, Sie wissen, daß die Bundesregierung ei-
ne Kommission eingesetzt hat, die einen neuen Entwurf
des Gesetzes zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit
erarbeiten wird. Die Koalitionsfraktionen bereiten das
Gesetzgebungsverfahren vor. Es geht darum, daß durch
die Gesetzeslage eine Kultur der Selbständigkeit, wie
wir sie uns vorstellen, nicht beschädigt wird.
Sie wissen, daß das eigentliche Anliegen dieses Ge-
setzes ein anderes war. Es stellte sich aber die Frage, ob
es durch dieses Gesetz möglicherweise Auswirkungen
auf diese neuen Typen von Selbständigen gibt, die oft-
mals von der Universität kommen und mit einem einzi-
gen Auftraggeber beginnen. Dieser Punkt wird korri-
giert. Dazu hat die vom Bundesarbeitsminister einge-
setzte Kommission unter Leitung von Herrn Professor
Dieterich – auch ich habe mitgewirkt – bereits Vor-
schläge unterbreitet.
Sie
wollen eine weitere Frage stellen, Herr Kollege Mayer?
Ja.
Bitte
schön.
Herr
Staatssekretär, darf ich Ihnen zur Kenntnis geben, daß es
in Frage 8 heißt:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung, die arbeits-
und sozialrechtlichen Vorschriften künftigen Erfor-
dernissen anzupassen?
und daß dann noch eine Erläuterung folgt, daß es eine
umfassende Frage ist, die darauf abzielt, daß für die
Branche der Informations- und Kommunikationstechnik
die zeitweilige Überlassung von Arbeitnehmern und der
Übergang von der abhängigen Beschäftigung in die
Selbständigkeit Kernfragen sind, weil es darauf an-
kommt, daß Arbeitnehmer, die sich ausgründen, noch
für eine bestimmte Zeit im Betrieb bleiben können, daß
es die verschiedensten Formen der Zusammenarbeit und
des Übergangs gibt, denen das deutsche Sozialrecht ge-
genwärtig nicht genügend Gestaltungsspielraum bietet,
und daß, unabhängig von dem Problem der Selbständig-
keit, der Bundesregierung zu diesem Thema weder im
Aktionsprogramm noch in der Antwort auf die Große
Anfrage irgend etwas eingefallen ist?
Herr
Staatssekretär.
S
Herr Kol-lege Mayer, nach meiner Einschätzung, so wie ich dieBranche und auch die Entwicklung kenne, ist dies si-cherlich eine wichtige, aber nicht die zentrale Frage. Diezentralen Fragen stellen sich in den Schulen und an denHochschulen und lauten, wie wir Selbständigkeit fördernVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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können, wie man mit Beratung, mit Businessplänen, mitBusiness-Angels – Sie kennen die verschiedenen An-wendungsmöglichkeiten, die man überlegt – den Start-ups helfen kann. Insoweit besteht durchaus die Absicht,für diese neuen Gründungen, für die Start-ups, sovielFlexibilität wie möglich zu schaffen, damit sie schnellermöglicht werden. Deshalb sind wir im Wirtschaftsmi-nisterium gegenwärtig darum bemüht, alles zu tun, umdas Verfahren bei Anmeldung einer Gründung deutlichzu beschleunigen. In einigen Städten und GemeindenDeutschlands hat man das Verfahren der Anmeldung desGewerbes bereits enorm beschleunigt, was dazu führt,daß es inzwischen einen regelrechten Run auf dieseGemeinden gibt. Wir überlegen gegenwärtig daher auch,ob man nicht diese Best-Practice-Beispiele, die positivenBeispiele, hervorheben sollte; denn es ist wichtig, daßdas Genehmigungsverfahren, die Möglichkeit sich selb-ständig zu machen, befördert wird und daß alles getanwird, um entsprechende Bürokratien und administrativeVerfahren abzubauen.
Der
Kollege Jürgen Koppelin von der F.D.P.-Fraktion
möchte ebenfalls eine Frage stellen. – Bitte schön, Herr
Koppelin.
Herr Staatssekretär, an
diese Diskussion anschließend – Sie haben auch Ame-
rika angesprochen –, darf ich Sie fragen: Teilen Sie
meine Auffassung, daß dort viele der Unternehmen, die
sich mit den neuen Medien beschäftigen, um es salopp
zu sagen: in Garagen gegründet worden sind, daß wir
aber in Deutschland das Problem haben, noch nicht ein-
mal eine Genehmigung für den Bau einer Garage zu be-
kommen?
S
Lieber ver-
ehrter Herr Koppelin, diese alte Bill-Gates-Geschichte,
die wir seit zehn Jahren mit uns herumtragen, ist nach
wie vor richtig. Deshalb wundert es mich auch, daß Sie
nicht schon längst eine Garage angemietet haben, um
sich selbständig zu machen.
Sie haben völlig recht: Es gibt hier administrative
Hemmnisse, die abgebaut werden müssen, denn die jun-
gen Leute fangen nicht in fertigen Fabrikgebäuden, in
fraktalen Fabriken an, sondern meist ganz klein und
meistens mit einem Auftraggeber. Ich finde, wir müssen
alles tun, damit sie ihre Chance bekommen. Deshalb
wollen wir versuchen, die Rahmenbedingungen genau in
diesem Sektor, den ich für sehr beschäftigungsintensiv
halte, entsprechend zu verändern.
Allerdings hängt die Beschäftigungswirkung, also der
Saldo des Beschäftigungseffektes – Herr Mayer, Sie,
Herr Koppelin, und ich haben uns in der Enquete-
Kommission über einige Jahre hinweg damit befaßt –,
sehr stark davon ab, wie schnell wir sind. Wenn andere
Länder bei der Unterstützung von Selbständigkeit
schneller sind, dann entstehen diese Jobs nicht bei uns.
Deshalb hat die Bundesregierung – dies will ich einmal
hervorheben – in intensiver Zusammenarbeit mit dem
Bundesministerium für Bildung und Forschung bereits
nach elf Monaten ein Aktionsprogramm vorgelegt, das
die Fachwelt positiv bewertet, weil sie weiß, daß die
Bundesrepublik auf diesem Sektor tatsächlich Nachhol-
bedarf hat.
Wir wollen alles dazu tun, um zur ersten Adresse zu
werden. Dazu gehört auch die Frage, die Sie aufgewor-
fen haben, Herr Koppelin.
Eine Zu-
satzfrage, Herr Koppelin? – Bitte schön.
Herr Staatssekretär, nun
wissen wir ja, daß gerade in diesem Bereich vor allem
Existenzgründer oft wenig Geld zur Verfügung haben,
um Unternehmen zu gründen, und von den Banken teil-
weise keine Kredite bekommen, weil sie keine Sicher-
heiten haben. Die Frage an Sie lautet also: Was unter-
nimmt die Bundesregierung und wie viele Mittel hat sie
in den nächsten Haushaltsplänen zur Verfügung, um ge-
rade die Gründung dieser Unternehmen zu fördern und
anzustoßen?
S
Diesist eine sehr wichtige Frage, wobei ich Ihnen, HerrKoppelin, den Hinweis geben möchte, daß sich da etwasverändert hat. Ich registriere sehr aufmerksam und mitgroßem Interesse, daß mittlerweile viele amerikanische,asiatische und australische Venture Capital Häuser einenStandort in Deutschland suchen, weil es insbesondere inAmerika die Erkenntnis gibt – da gibt es sehr viel breitgestreutes Chancenkapital –, daß man in Europa aufge-wacht ist, daß in Europa auf einmal etwas in Bewegungkommt. Das gilt keineswegs nur für Deutschland. Daskönnen Sie auch in Großbritannien und in einigen ande-ren europäischen Ländern, zum Beispiel in Dänemark,sehen. Die Skandinavier sind auf diesem Sektor unge-heuer dynamisch.Das heißt, daß es auf der einen Seite inzwischen er-hebliche Anstrengungen von VC-Companies, VentureCapital Companies, gibt, in Deutschland eine Niederlas-sung zu gründen, um Chancenkapital nach Deutschlandzu bringen, weil es hier offensichtlich Möglichkeitengibt. Auf der anderen Seite besteht jedoch durchaus dasProblem, Herr Koppelin, daß die deutschen Banken im-mer noch zurückhaltend sind.Das ist übrigens ein Grund dafür, warum wir vor we-nigen Wochen zusammen mit der Deutschen Aus-gleichsbank ein neues Konzept vorgelegt haben, dasinsbesondere für Gründungen kleiner Unternehmen ganzwichtig ist und das inzwischen eine große Beachtung ge-funden hat. Dies ist das sogenannte Startgeld. Wir habenjetzt mit diesem Startgeld die Möglichkeit geschaffen,Projekte von bis zu 100 000 DM mit sehr zinsgünstigenDarlehen zu fördern. Wir bieten der Hausbank des je-weiligen Petenten bzw. Kunden über die Deutsche Aus-gleichsbank an, daß 80 Prozent der notwendigen Sicher-Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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heiten bei der Ausgleichsbank liegen. Ein wichtigerPunkt in administrativen Verfahren von Hausbanken istes immer gewesen, daß erst einmal alle erforderlichenSicherheiten vorliegen müssen. Dies hat dazu geführt,daß das neue Konzept eines Startgeldes eine enorme Re-sonanz ausgelöst hat und ein bißchen die von Ihnen an-gesprochene Lücke schließt, die aber nach wie vor be-steht.
Eine
weitere Frage des Kollegen Dr. Martin Mayer von der
CDU/CSU-Fraktion. – Herr Mayer, bitte.
Herr
Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
daß die vorhin angesprochene Frage der Kapitalbeschaf-
fung bereits durch die frühere Bundesregierung auf
einen guten Weg gebracht worden ist und daß die jetzige
Entwicklung in Europa zu einem wesentlichen Teil auch
auf Initiativen der früheren Bundesregierung zurückzu-
führen ist?
Ich möchte eine Anmerkung hinzufügen: Sie haben
vorhin meine Frage sehr elegant umgangen. Es geht dar-
um, daß es im deutschen Sozialversicherungssystem nur
ein Schwarz oder Weiß gibt: Entweder ist jemand ab-
hängig beschäftigt oder selbständig. Der eine befindet
sich voll im System der Rentenversicherung, der Kran-
kenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der
Unfallversicherung; der andere befindet sich außerhalb
dieser Systeme. Aber gerade diese neu wachsende Bran-
che der Selbständigen bräuchte eigentlich eine Brücke
vom einen System zum anderen. Ich stelle fest, daß im
Bericht der Bundesregierung zu dieser Brückenfunktion
sowie zu Innovationen und Kreativität, die im Hinblick
auf das Sozialversicherungssystem notwendig wären,
nichts enthalten ist.
S
Lieber
Kollege Mayer, wenn Sie feststellen, daß es in
Deutschland offensichtlich ein sehr statisches Verhältnis
zwischen Vollbeschäftigten- bzw. Angestelltenverhält-
nissen und der Selbständigkeit gibt, dann ist das nach
den vielen Jahren Ihrer Regierung eine traurige Bilanz.
Aber Sie haben recht: Wir müssen Brücken bauen.
Wir brauchen sehr viel mehr Flexibilität. Es wird in Zu-
kunft – das wissen wir beide – immer mehr unterbro-
chene und im Unterschied zur Vergangenheit veränderte
Biographien geben. Es wird Biographien geben, bei de-
nen es nicht mehr so ist, daß der Maschinenschlosser
seine Lehre macht, 40 Jahre lang in einem Unternehmen
arbeitet und hinterher dort noch seinen Jungen unter-
bringt. Es wird also neue Biographien geben. Es gibt
auch Biographien, in denen Zeiten der Selbständigkeit,
der Teilzeit- und der Vollzeitbeschäftigung vorkommen.
Sie haben also völlig recht: Wir müssen Brücken bauen.
Da ist auch das Sozialrecht gefordert; das ist überhaupt
keine Frage. Hier müssen wir experimentieren und Er-
fahrungen sammeln. Dann müssen wir versuchen, Lö-
sungen anzubieten.
Was das Venture Capital, die Leistungen, Erfahrun-
gen und Erfolge der alten Regierung angeht, will ich
wirklich nicht auf die Frage der Datenautobahn und den
Verweis des früheren Bundeskanzlers auf den Ver-
kehrsminister zurückkommen. Wir haben Anstrengun-
gen unternommen.
– Ich spreche nur von dem Klima, das es durchaus gab.
Es gab doch Probleme. Wir haben jetzt aufgeholt. Ich
weiß auch, daß Sie eine Reihe von Initiativen ergriffen
haben. Wir alle wissen aber, daß wir, wenn wir uns mit
den Skandinaviern, den Briten, Amerikanern und Kana-
diern vergleichen, wirklich einen Nachholbedarf haben.
Den wollen wir gemeinsam angehen.
Ich darf jetzt die Gelegenheit nutzen, Herr Präsident,
noch eine Frage, die Herr Koppelin angeschnitten hat
und die ich noch nicht beantwortet habe, zu beantwor-
ten. Wir haben, was die Haushaltsmittel angeht, tatsäch-
lich Konsequenzen aus der Prioritätensetzung gezogen.
Wir haben ausdrücklich gesagt, daß wir trotz der Spar-
zwänge und der schwierigen finanziellen Situation, in
der wir uns befinden, den Multimediabereich in unserem
Ministerium so positionieren wollen, daß es keine Ein-
brüche geben wird. Für diese neuen Technologiegebiete
streben wir eine Erhöhung der Fördermittel im Jahr
2000 um 10 Millionen auf 47 Millionen DM an. Darüber
hinaus ist ein weiterer Aufwuchs im Rahmen der von
der Bundesregierung geplanten Innovationsmilliarde
vorgesehen.
Sie wissen, wir haben alle gemeinsam bedauert, daß
der Forschungs- und Technologieetat in den letzten Jah-
ren real um 30 Prozent gesenkt wurde. Deshalb hat die
neue Bundesregierung, haben der Bundeskanzler und
der Finanzminister mit den Ressorts entschieden, jedes
Jahr eine zusätzliche Innovationsmilliarde vorzusehen.
Diese wird im Wettbewerb zwischen dem Bundesbil-
dungsministerium und dem Bundeswirtschaftsministeri-
um vergeben, um genau in diesem Sektor die notwendi-
gen Prioritäten setzen zu können. Das heißt: Wir sparen
nicht nur gezielt, sondern wir investieren auch intelli-
gent mit diesen zusätzlichen, allerdings begrenzten Mit-
teln. Deshalb, Herr Koppelin, ist es wichtig, daß wir
darauf achten, daß diese Dinge – ich sage das in Rich-
tung Haushalt – nicht unter die Räder kommen.
Gibt es
weitere Fragen zu diesem Themenbereich? – Das ist
nicht der Fall. Dann schließen wir diesen Bereich ab.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Mosdorf.
Es verbleiben jetzt noch einige Minuten, um Fragen
zu anderen Themenbereichen zu stellen. Der Kollege
Manfred Grund, von der CDU/CSU-Fraktion, hat sich
zu Wort gemeldet. – Bitte schön, Herr Grund.
In der Tagesordnungder Kabinettssitzung war ursprünglich vorgesehen, dasInvestitionsprogramm des Bundes 1999 bis 2002 zu be-handeln. Da das Investitionsprogramm betreffend dieVerkehrswege zwischen den Koalitionsfraktionen offen-Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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sichtlich strittig ist, ist dieser Tagesordnungspunkt fürdie heutige Kabinettssitzung abgesetzt worden. Michwürde interessieren, ob das Investitionsprogramm trotzder Absetzung in der Kabinettssitzung eine Rolle ge-spielt hat.
Wer ist
bereit, zu antworten? – Bitte schön, Herr Staatsminister.
H
Herr Kollege, der Bundesverkehrsminister hat
in der Kabinettssitzung über den Entwurf des Investiti-
onsprogramms berichtet. Einige Detailfragen sind noch
zu klären. Ich gehe davon aus, daß das Bundeskabinett
in der nächsten Woche über das Investitionsprogramm
beschließen wird.
Gehen Sie davon aus,
daß das Investitionsprogramm, so wie es in dieser Wo-
che vorgelegen hat, auch in der nächsten Woche einge-
bracht werden wird?
H
Es wird in seinen Grundzügen, was das Investi-
tionsvolumen und die Herstellung der Planungssicher-
heit für Länder und Kommunen anbelangt, in der näch-
sten Woche voraussichtlich verabschiedet werden.
Ich habe noch eine
Nachfrage. Wird es Verschiebungen zwischen den Pro-
jekten, die die Schiene und die die Straße betreffen, ge-
ben?
H
Ich kann den Beratungen zwischen den Koaliti-
onsfraktionen und dem Kabinett nicht vorgreifen, aber
wir werden Sie gerne in der nächsten Woche an dieser
Stelle über die Beratungen informieren.
Eine
weitere Frage des Kollegen Michelbach von der
CDU/CSU-Fraktion.
Heute vormittag
gab es eine Tickermeldung von ADN und AFP, daß der
Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Struck, die Aufhe-
bung des Bankgeheimnisses durch die Herausgabe von
Kontrollmitteilungen der Banken einführen möchte.
Gleichzeitig hat er sich für eine Erbschaftsteuererhö-
hung ausgesprochen.
Meine Frage hierzu ist: Werden durch diese neuerli-
che Besteuerung von Kapitaleinkünften und die von den
Banken eingeforderten Kontrollmitteilungen nicht die
Rechte zum Schutz der Banken und der Anleger erheb-
lich eingeschränkt? Kontrollmitteilungen in der von
Herrn Struck gewünschten Form wären doch letztlich
dazu geeignet, in- und ausländische Anleger aus dem
Lande zu verjagen. Vielleicht könnte man mir hierzu
von seiten des Wirtschafts- bzw. Finanzministeriums die
entsprechenden Folgen aufzeigen.
Zu-
nächst einmal kann die Bundesregierung keine Fragen
nach Plänen von Fraktionen beantworten. Es müßte
eigentlich gefragt werden, ob die Bundesregierung diese
Pläne übernimmt. Dann ist immer noch offen, ob je-
mand von Seiten der Bundesregierung anwesend ist, der
diese Frage beantworten kann.
Herr Mosdorf, sind Sie in der Lage, diese Frage zu be-
antworten?
– Das Kanzleramt? Dann Herr Bury, bitte schön.
H
Herr Kollege Michelbach, das Kabinett hat kei-
ne diesbezüglichen Pläne diskutiert.
Herr
Michelbach, möchten Sie eine weitere Frage stellen?
Ich möchte Herrn
Staatssekretär Mosdorf fragen, wie er aus wirtschafts-
politischer Sicht eine solche Vorgehensweise – Einfüh-
rung von Kontrollmitteilungen und Erbschaftsteuererhö-
hung – beurteilen würde.
Herr
Staatssekretär Mosdorf.
S
Eine Ant-
wort darauf würde die heutige Sitzung sprengen. Des-
halb möchte ich Ihnen nur mitteilen, daß wir grundsätz-
lich keine Tickermeldungen kommentieren.
Es liegt
eine weitere Frage des Kollegen Jürgen Koppelin von
der F.D.P.-Fraktion vor. Vielleicht könnten Sie sagen,
an wen aus der Bundesregierung sich Ihre Frage richtet.
Das muß die Bundesre-gierung selber entscheiden, wenn ich die Frage gestellthabe. Ich möchte da nicht vorgreifen.Manfred Grund
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5517
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In diesen Tagen wurde ja über die Lieferung einesTestpanzers an die Türkei diskutiert. Wurde in diesemZusammenhang innerhalb der Bundesregierung über dieHandhabung des Koalitionsvertrages gesprochen? Aufden letzten Seiten steht dort ja geschrieben, daß man beiAbstimmungen keinen Koalitionspartner überstimmenwill. Hat im Kabinett außerdem die Geschäftsordnungdes Kabinetts eine Rolle gespielt, gemäß der nicht nachaußen dringen soll, wer wie bei Entscheidungen des Ka-binetts gestimmt hat, sondern dieses vertraulich bleibensoll?
Wer von
seiten der Bundesregierung möchte antworten? – Für das
Kanzleramt Herr Kollege Bury, bitte schön.
H
Herr Kollege Koppelin, beides hat in der heuti-
gen Sitzung des Kabinetts keine Rolle gespielt.
Eine Zu-
satzfrage, Herr Koppelin, bitte schön.
Ich möchte dann fragen,
warum das keine Rolle gespielt hat und warum man
sich, wenn die Geschäftsordnung bekannt ist, nicht dar-
an gehalten hat.
Herr
Staatsminister Bury.
H
Herr Kollege Koppelin, die in Ihrer Frage ent-
haltene Unterstellung weise ich zurück.
Außerdem möchte ich Ihnen sagen, daß die Bundes-
regierung die Themen der Kabinettsitzung unabhängig
von den Wünschen der F.D.P.-Oppositionfraktion fest-
legt.
Der
Kollege Manfred Grund möchte eine weitere Frage
stellen.
Ich habe die Nachricht
bekommen – ich frage das auch auf die Gefahr hin, noch
einmal eine Tickermeldung zitieren zu müssen –, daß
die Bundesregierung das Sparpaket in zustimmungs-
pflichtige und nicht zustimmungspflichtige Teile ausein-
anderschnüren will. Diese Absicht hat wohl der Bundes-
finanzminister, glaube ich, heute geäußert. War diese
Maßnahme Gegenstand der Kabinettsitzung? Kann das
die Bundesregierung bestätigen?
Zur
Aufklärung darf ich darauf hinweisen, daß der Finanz-
ausschuß zur gleichen Zeit tagt. Die Frau Staatssekretä-
rin Hendricks ist meines Wissens dort.
– Schön, daß Sie kommen. Ich wollte Sie gerade in
Schutz nehmen. Da Sie nun anwesend sind, bitte ich
Herrn Grund, seine Frage zu wiederholen.
Frau Staatssekretärin,
nach neuesten Meldungen soll die Bundesregierung be-
absichtigen, das Sparpaket in zustimmungspflichtige
und nicht zustimmungspflichtige Teile aufzuschnüren.
Das wäre eine neue Entwicklung, die einen anderen
Diskussionsstand mit sich brächte. Können Sie dies be-
stätigen?
Frau
Staatssekretärin, bitte.
D
Ja, Herr Kollege, das
kann ich bestätigen.
Danke schön.
Gibt es
weitere Fragen an die Bundesregierung? – Herr Kollege
Michelbach, bitte schön.
Frau Staatssekretä-
rin, wird im Bundesministerium der Finanzen an einer
Einführung von Kontrollmitteilungen im Bankenbereich
und an einer Erhöhung der Erbschaftsteuer gearbeitet?
Frau
Staatssekretärin, bitte schön.
D
Herr Kollege Michelbach,was die Zinsbesteuerung anbelangt, so legen wir großenWert darauf, zu einer europäischen Regelung zu kom-men. Morgen wird es in Brüssel eine weitere Bespre-chung zum sogenannten „tax package“ geben, in der dieeinheitliche Zinsbesteuerung in Europa eines derHauptthemen sein wird. Dies ist unser vorrangiges Ziel.Sollten wir auf der europäischen Ebene nicht zu Lösun-gen kommen, werden wir über andere Wege nachdenkenmüssen. Mit anderen Worten: Zur Zeit wird nicht an an-deren Lösungen gearbeitet.Jürgen Koppelin
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5518 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
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Die zweite Frage, die Sie gestellt haben, ist in diesemHause schon einmal erörtert worden. Es gibt eine Kom-mission von Fachleuten aus Bund und Ländern, die sichmit der Bewertung von Grundvermögen befaßt. DieseBewertung von Grundvermögen ist unter verfassungs-rechtlichen Aspekten notwendig, weil wir, wie wir jaaus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zurVermögensbesteuerung wissen, zu einer einheitlichenBewertung sowohl des Grundvermögens als auch ande-rer Vermögen kommen müssen. Damit ist aber keineVorentscheidung darüber gefallen, ob eine Neubewer-tung von Grundvermögen etwa bei der ErbschaftsteuerPlatz greifen sollte. Eine solche Bewertung hinsichtlichder Grundsteuer ist aber auf auf jeden Fall zeitnah undunter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vor-gaben erforderlich.
Herr
Michelbach, bitte schön.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie können also nicht dementieren und ausschließen,
daß die heute vormittag in Tickermeldungen verbreite-
ten Vorstellungen des Fraktionsvorsitzenden Struck zur
Einführung von Kontrollmitteilungen – diese würden ei-
ne Aushebelung des Bankgeheimnisses bedeuten – und
zur Erhöhung der Erbschaftsteuer umgesetzt werden?
D
Herr Kollege Michelbach,
Sie haben mich vorhin gefragt, ob im Finanzministerium
an diesen Vorschlägen gearbeitet wird. Dies habe ich
verneint und dazu eine Begründung geliefert. Ich habe
Ihnen ferner gesagt, daß das Finanzministerium bzw. der
Gesetzgeber möglicherweise über andere Wege nach-
denken muß, wenn wir auf der europäischen Ebene nicht
vorankommen. Dieser Weg wird aber dem Gesetzge-
bungsverfahren vorbehalten sein. Unsere erste Zielrich-
tung bleibt, auf der europäischen Ebene zu einer ein-
heitlichen Besteuerung der Zinserträge zu kommen, wie
es dem Vorschlag der EU-Kommission entspricht und
wie es die große Mehrheit der EU-Mitgliedsländer
möchte.
Es gibt aber noch gewisse Widerstände zu einzelnen
Punkten – Stichwort: Euro-Bonds – in Großbritannien.
In Luxemburg gibt es hinsichtlich der Investmentfonds
gewisse Widerstände. Ob diese Widerstände zu über-
winden sein werden, wird sich bis zum europäischen
Gipfel Anfang Dezember dieses Jahres in Helsinki zei-
gen. Wenn wir dann in diesen Fragen nicht vorwärts-
kommen, muß sich der Gesetzgeber überlegen, ob er
nicht zu nationalen Maßnahmen greift. Eine Vorent-
scheidung in dieser Frage gibt es also nicht.
Ich muß aber der Ehrlichkeit halber sagen, daß ich
andere Maßnahmen heute nicht vollständig ausschließen
kann, weil ich dem Bundesgesetzgeber natürlich nicht
vorgreifen kann. Ich sage noch einmal: Unser ange-
strebtes Ziel ist eine einheitliche europäische Regelung.
So viel zu Ihrer Frage bezüglich der Kontrollmitteilun-
gen.
Von einer höheren Erbschaftsbesteuerung kann nicht
die Rede sein. Wenn es aber dazu kommt, daß eine ver-
fassungsgemäße Überprüfung der Bewertung von
Grundbesitz tatsächlich angezeigt erscheint, so wäre die
Folge nicht eine Erhöhung der Erbschaftsteuer, sondern
sozusagen eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
auf verfassungsrechtlich gebotener Basis.
Es
verbleiben jetzt noch anderthalb Minuten für die Regie-
rungsbefragung. Es kann daher nur noch eine kurze Fra-
ge gestellt werden. Herr Michelbach, bitte schön.
Frau Staatssekretä-
rin, bedeutet nicht eine solche Verbreiterung der Bemes-
sungsgrundlage für den Steuerzahler, daß er eine höhere
Erbschaftsteuer auf Grund der Neubewertung zu ent-
richten hat?
D
Herr Kollege Michelbach,
Sie dürfen nicht vergessen, daß es hinsichtlich der Erb-
schaftsteuer sehr hohe Freibeträge gibt. Wenn man zu
einer Neubewertung des Grundbesitzes käme, würde
man diese Freibeträge entsprechend anheben. Es geht
dem Bundesgesetzgeber nämlich nicht darum, zum Bei-
spiel das Vererben eines normalen Einfamilienhauses
auch in einer teuren Wohngegend höher zu besteuern.
Darum geht es nicht. Das will ich ausdrücklich aus-
schließen. Wenn es tatsächlich zu einer Neubewertung
des Grundbesitzes käme, würden sicherlich zugleich die
Freibeträge für nahe Familienangehörige angehoben
werden.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin.
Ich beende damit die Befragung der Bundesregie-
rung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/1836 –
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast zur Verfügung.
Zunächst rufe ich die Frage 1 des Abgeordneten
Dietmar Schlee von der CDU/CSU-Fraktion auf:
Kann die Bundesregierung einen Bericht der „StuttgarterNachrichten“ vom 4. September 1999 bestätigen, wonach injüngster Zeit Schleuserbanden, vermehrt Chinesen, die alsTouristengruppe getarnt sind, illegal auf dem Luftweg nachDeutschland einschleusen und hierzu die Geschleusten mitSchengen-Visa ausstatten, die von der griechischen Botschaft inHongkong ausgestellt werden?
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort derBundesregierung lautet, daß dieser Bericht der „Stutt-Parl. Staatssekretär Dr. Barbara Hendricks
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5519
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garter Nachrichten“ zutreffend ist. Sie sind also tatsäch-lich auf dem Luftweg unerlaubt nach Deutschland einge-reist. Darunter befanden sich auch chinesische Reise-gruppen, die über Schengen-Visa der griechischen Bot-schaft in Hongkong verfügten. Brennpunkte bildeten dieFlughäfen München mit insgesamt 94 und Stuttgart mit61 festgestellten chinesischen Staatsangehörigen.
Eine Zu-
satzfrage, Herr Kollege, bitte schön.
Frau Kollegin, hat die
Bundesregierung Hinweise, daß solche Gruppen von
Chinesen auch in andere Schengen-Staaten eingereist
sind, oder ist das ein deutsches Problem?
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist kein deut-
sches Problem, sondern ein Problem der Schengen-
Staaten. Man muß dazu sagen, daß die Neigung, daß
Chinesen auf dem Wege über Touristenvisa versuchen,
in Schengen-Staaten einzureisen, schon seit etwa zehn
Jahren, seit 1989, zu beobachten ist. Die Hauptursache
ist natürlich wirtschaftliche Not. Dieses Motiv ist bis in
die jüngste Zeit hinein zu beobachten.
Eine
weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
diese Reisen werden formell offensichtlich von Reisebü-
ros abgewickelt. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse,
wer hinter diesen Reisebüros steht? Es müssen Draht-
zieher am Werke sein, da dies in konzertierten Aktionen
vorangetrieben wird. Allein im Raum Stuttgart wurden
in wenigen Wochen weit mehr als 100 Flüchtlinge auf-
gegriffen.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist tatsächlich
so, daß professionelle Schleuserorganisationen am Wer-
ke sind und daß sie gefälschte oder verfälschte Pässe
asiatischer Herkunft zur Einreise in den europäischen
Raum verwenden. Bei den Auslandsvertretungen der
Schengen-Staaten werden für solche fiktiven Reisegrup-
pen – es sind im allgemeinen Menschen, die mit Touri-
stenvisa ausgestattet sind – Schengen-Visa beantragt.
Tatsächlich ist, wie Sie in Ihrer ersten Frage angespro-
chen haben, die Auslandsvertretung Griechenlands ein
Schwerpunkt.
Das sieht dann so aus, daß die „Reisegruppen“ mit
vorbereiteten Papieren auch in die Bundesrepublik
Deutschland kommen. Wenn bei den Einreisekontrollen
die Papiere eindeutig als Fälschungen erkannt werden,
dann wird von den Ermittlungsbehörden ein entspre-
chendes Strafverfahren eingeleitet und werden die Be-
troffenen in Absprachen mit den örtlich zuständigen
Staatsanwaltschaften in den Transit- oder in den Her-
kunftsstaat zurückgewiesen. Wenn eine Fälschung nicht
eindeutig feststellbar ist, muß ihnen die Einreise tat-
sächlich erst einmal gestattet werden.
Wir
kommen zur Frage 2 des Kollegen Schlee:
Wenn ja, was hat die Bundesregierung zur Verhinderungweiterer Einreisen dieser Art unternommen, und entspricht dieAusstellung der Schengen-Visa durch die griechische Botschaftin Hongkong den Schengen-Vereinbarungen, insbesondere vordem Hintergrund, daß es sich um gefälschte Pässe gehandelt ha-ben soll?
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Reiseunter-
nehmen sind bereits Gegenstand von Ermittlungsverfah-
ren wegen des Verdachts der Einschleusung chinesi-
scher Staatsangehöriger. Die jeweils zuständige Grenz-
schutzdirektion sammelt und koordiniert die bisher ge-
wonnenen Erkenntnisse. Darüber hinaus informierte die
Grenzschutzdirektion bereits im Juni/Juli dieses Jahres
die Schengen-Contact-Points über diesen Modus ope-
randi. Der Sachverhalt wurde auch in den entsprechen-
den EU-Gremien erörtert. Ende September 1999 erfolgte
die Unterrichtung von Interpol durch die Grenzschutz-
direktion. Sie sensibilisierte auch die Grenzdienststellen
hinsichtlich der Einschleusungsversuche chinesischer
Personengruppen. Seit Anfang Oktober sind derartige
Touristengruppen nicht mehr in Erscheinung getreten.
Wir hoffen, daß die eingeleiteten Maßnahmen einen er-
sten Erfolg gezeigt haben.
Eine Zu-
satzfrage, Herr Schlee.
Frau Staatssekretärin,
die Visa sind offensichtlich vom griechischen General-
konsulat in Hongkong ausgestellt worden. Hat die Bun-
desregierung diese Thematik mit der griechischen Re-
gierung erörtert? Das scheint mir auch deshalb wichtig
zu sein, weil, zumindest was die Flugreisen angeht, klar
ist, daß diese Gruppen über Athen nach Deutschland
eingereist sind.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gehe davon aus,daß die Bundesregierung so gehandelt hat. Ich kann Ih-nen auch sagen, daß griechische Agenturen dabei tat-sächlich eine große Rolle spielten und daß wir in derZeit vom 12. März 1999 bis zum 21. Juli 1999 inDeutschland acht solcher Touristengruppen mit Schen-gen-Visa festgestellt haben, die über das griechischeGeneralkonsulat in Hongkong das Visum erhalten habenund besonders auffällig in Erscheinung getreten sind.Darunter waren 227 sogenannte ethnische Chinesen.Davon hatte wiederum ein Viertel gefälschte Pässe. Dasist ein Thema – ich wollte es Ihnen nur noch einmal be-stätigen –, das in den entsprechenden Gremien der EUund auf den Wegen, die wir zur Verfügung haben, inten-siv erörtert wird.Parl. Staatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast
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5520 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
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Herr
Schlee, eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben gesagt, Sie gingen davon aus, daß die Bundes-
regierung die Problematik mit der griechischen Regie-
rung besprochen hat. Wären Sie bereit, mir schriftlich
die Frage zu beantworten, wann und wie das abgelaufen
ist? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir in der
schriftlichen Antwort auch Auskunft darüber erteilen
könnten, ob diese Thematik auf die Tagesordnung der
nächsten EU-Innen- und Justizministerkonferenz gesetzt
wird; denn es gibt offensichtlich Anhaltspunkte dafür,
daß sich diese Einreise in den letzten Wochen fortge-
setzt hat.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir werden Ihnen
die entsprechenden Informationen über den aktuellen
Stand zukommen lassen. Ich will nur noch einmal daran
erinnern, daß sich diese Welle seit Anfang Oktober of-
fensichtlich beruhigt hat. Natürlich beschäftigen wir uns
trotzdem weiterhin intensiv mit dieser Frage.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin Sonntag-Wolgast.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums der Justiz auf. Die Frage 3 soll schriftlich beant-
wortet werden.
Deswegen kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwor-
tung steht Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Michelbach
auf.
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung zu der Erhö-hung der Erbschaftsteuer durch eine Veränderung der Bewertun-gen von Immobilien und zur Wiedereinführung der Vermögen-steuer bzw. -abgabe?
D
Herr Kollege Michelbach,
eine interne Untersuchung der Finanzverwaltung zeigt,
daß das derzeitige Bewertungsverfahren für Grundstük-
ke bei der Erbschaftsteuer zu einer insgesamt niedrigen
Erfassung, zugleich auch zu einer starken Streubreite der
Werte, gemessen an den Verkehrswerten, führt. Wir prü-
fen, ob diese Bewertung den Geboten des Verfassungs-
rechts entspricht. Sollte dies nicht der Fall sein, müßte
das geändert werden. Insofern komme ich auf die eben
in der Regierungsbefragung von Ihnen gestellte Frage
zurück.
Die Bundesregierung hat im übrigen eine Sachver-
ständigenkommission einberufen, die die Grundlage für
eine wirtschafts- und sozialpolitisch sinnvolle Vermö-
gensbesteuerung schaffen soll. Die Kommission befaßt
sich mit der Bewertung des Grundbesitzes und arbeitet
Vorschläge für ein einfaches Bewertungsverfahren aus.
Sie wird ihre Arbeit voraussichtlich im Frühjahr des
nächsten Jahres beenden. Erst dann kann entschieden
werden, ob und in welcher Weise an der gegenwärtigen
Vermögensbesteuerung Änderungen vorgenommen wer-
den sollen.
Sowohl für die derzeit nicht erhobene Vermögensteu-
er wie auch für die Erbschaftsteuer gilt im übrigen, daß
das Aufkommen ausschließlich den Ländern zusteht. Es
wäre daher nach Auffassung der Bundesregierung Sache
der Länder, bezüglich dieser Steuerarten Initiativen mit
dem Ziel einer Gesetzesnovellierung zu entfalten.
Wollen
Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Michelbach?
Frau Staatssekretä-
rin, Ihre Aussage bezüglich der Länder beinhaltet nicht
die Erhebung einer Vermögensabgabe, die dem Bund
allein zustehen würde. Wie sehen Sie die Entwicklung
der Forderung nach Erhebung einer solchen Vermö-
gensabgabe, und wie sehen Sie den verfassungsrechtli-
chen Hintergrund?
D
Herr Kollege Michelbach,
die Entwicklung der Forderung vermag ich aus Sicht der
Bundesregierung nicht zu bewerten. Verfassungsrecht-
lich ist die Erhebung einer einmaligen Vermögensabga-
be zumindest zweifelhaft. Sie scheint völlig unzweifel-
haft dann zu sein, wenn sie zur unmittelbaren Behebung
zum Beispiel von Kriegsfolgelasten dient. Das hat es in
der Bundesrepublik Deutschland auch schon gegeben.
Sie ist aber offenbar verfassungsrechtlich nicht zulässig,
wenn sie den Bedürfnissen des Staates in der Weise
dient, daß sie sowieso durch den Staat zu leistende Aus-
gaben sozusagen anderweitig finanziert.
Wei-
tere Zusatzfrage, Herr Michelbach? – Das ist nicht der
Fall.
Dann kommen wir zur Frage 5 des Kollegen Dr.
Michael Meister:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die unterschiedlichesteuerliche Behandlung von dieselölbetriebenen und erdgasbe-triebenen Binnenschiffen einander anzugleichen?
D
Die Bundesregierungsieht keine Veranlassung, die Besteuerungspraxis fürBinnenschiffe im gewerblichen Verkehr zu ändern, daandere Kraftstoffe als Dieselkraftstoffe bzw. schweresHeizöl nach der Rheinschiffsuntersuchungsordnung, diefür die Binnenschiffahrt im gesamten Bundesgebiet bin-dend ist, aus Sicherheitsgründen nicht zugelassen sind.Im privaten, nichtgewerblichen Schiffsverkehr, zumBeispiel für Sportboote, ist jegliche Steuerbegünstigungausgeschlossen. Insofern findet keine steuerliche Un-gleichbehandlung statt, da hier auch die herkömmlichenKraftstoffe, in der Regel Otto-Kraftstoffe, der vollen Be-steuerung unterliegen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5521
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(D)
Herr
Meister, bitte Ihre Zusatzfrage.
Herr Präsident!
Frau Staatssekretärin, da möchte ich gerne nachfragen.
Es gab dazu eine Stellungnahme aus dem Bundesfi-
nanzministerium zur Zeitschrift „Binnenschiffahrt“ vom
September 1999. Dort hat ein Mitarbeiter des Finanzmi-
nisteriums auf die Anfrage der Redaktion geantwortet:
„Es hat schlicht und einfach niemand daran gedacht, daß
Gas auch als Treibstoff eingesetzt werden kann.“ Dies
wurde als Begründung wörtlich auf die Frage gesagt,
weshalb man Dieselkraftstoff als Treibstoff begünstigt
und Erdgas nicht. In der Antwort wurde wohl durchaus
unterstellt, daß es möglich sei, Erdgas als Treibstoff zu
nutzen. Darf ich Sie fragen, ob das eine Fehlinformation
an die Zeitschrift war und ob Sie das noch einmal über-
prüfen wollen?
D
Herr Kollege, ich weiß
nicht genau, wer diese Antwort gegeben hat. Aber da ist
man offenbar von falschen rechtlichen Voraussetzungen
ausgegangen. Wir haben uns auf Grund Ihrer Frage na-
türlich sachkundig gemacht; das ist ja nicht unser tägli-
ches Brot. Aber nach Auskunft des Bundesverbandes
der Deutschen Binnenschiffahrt e. V. und der Zentral-
stelle Schiffsuntersuchungskommission ist unter ande-
rem Erdgasantrieb bei Binnenschiffen strikt untersagt.
Für Schiffe im gewerblichen Verkehr zur Beförderung
von Personen oder Sachen sind nur Brennstoffe zugelas-
sen, deren Flammpunkt über 55 Grad Celsius liegt. Die-
se Voraussetzung erfüllen nur Dieselkraftstoffe und
Schweröle, so daß sich die Frage einer Befreiung für den
gewerblichen Verkehr in der Binnenschiffahrt einfach
nicht stellt.
Keine
weitere Zusatzfrage.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmini-
steriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die
dort gestellte Frage 6 soll schriftlich beantwortet wer-
den.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Gila Altmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Dr. Jürgen Gehb
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtmäßigkeit einerGenehmigung zum Bau und Betrieb eines Zwischenlagers fürabgebrannte Brennelemente am Standort eines Kernkraftwerkesohne Beteiligung der Öffentlichkeit ?
Gi
Herr Kollege Gehb, Sie stellen die Frage nach der
Öffentlichkeitsbeteiligung bei Genehmigungsverfahren
für Zwischenlager. Die Antwort lautet folgendermaßen:
Soweit für Bau und Betrieb eines Zwischenlagers für
abgebrannte Brennelemente am Standort eines Atom-
kraftwerks nach den Vorschriften des Atomgesetzes und
der atomrechtlichen Verfahrensverordnung eine Öffent-
lichkeitsbeteiligung vorgeschrieben ist, wäre eine ohne
Beteiligung der Öffentlichkeit erteilte Genehmigung
rechtswidrig.
Wollen
Sie eine Zusatzfrage stellen?
– Nicht.
Dann kommen wir zur Frage 8 des Kollegen Gehb:
Welche Konsequenzen sind zu erwarten, wenn eine be-standskräftige Genehmigung zum Bau und Betrieb von Zwi-schenlagern am Standort von Kernkraftwerken – sei es wegenZeitablaufs oder durch Anrufung der zuständigen Verwaltungs-gerichte – nicht erfolgen kann, die Aufnahmekapazität beste-hender Lagerbecken aber erschöpft sein sollte – Stillegung oderCastor-Transporte?
Gi
Die Betreiber von Atomkraftwerken sind nach § 9a
des Atomgesetzes zu einer ausreichenden Entsorgungs-
vorsorge für die beim Betrieb der Atomkraftwerke an-
fallenden bestrahlten Brennelemente verpflichtet. Hierzu
stehen ihnen grundsätzlich der Weg der schadlosen
Verwertung oder die direkte Endlagerung mit vorlau-
fender Zwischenlagerung zur Verfügung. Für einen Ab-
transport der bestrahlten Brennelemente zur schadlosen
Verwertung oder zu einem externen Zwischenlager be-
darf es einer atomrechtlichen Beförderungsgenehmigung
nach § 4 des Atomgesetzes.
Für die Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen
ist derjenige verantwortlich, der für den Betreiber des
Atomkraftwerkes die Beförderungsgenehmigung bean-
tragt. Soweit ein Abtransport der bestrahlten Brennele-
mente vom Atomkraftwerk wegen fehlender Beförde-
rungsgenehmigung nicht möglich ist, ist es Aufgabe des
Betreibers des Atomkraftwerkes, auf andere Weise den
Nachweis der ausreichenden Entsorgung gegenüber den
zuständigen atomrechtlichen Landesaufsichtsbehörden
zu erbringen. Soweit dies nicht möglich ist, entscheidet
die für das jeweilige Atomkraftwerk zuständige atom-
rechtliche Landesbehörde.
Eine Zu-
satzfrage.
Meine zweite Fragefokussierte auf folgendes Problem: Eine Genehmigungzur Errichtung und zum Betrieb eines Zwischenlagerskommt nicht rechtzeitig – aus welchen Gründen auchimmer –, und gleichzeitig sind die Zwischenlagerkapa-zitäten erschöpft. Ich möchte jetzt noch einmal nachfra-gen, ob es da nur die Wahl zwischen Skylla und Cha-rybdis gibt, das heißt, ob diese Kernkraftwerke stillge-legt werden müssen oder ob es zur Entsorgung einen
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5522 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
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Transport von Castor-Behältern geben kann. Das bitteich doch noch einmal zu beantworten.Gi
Es hat dazu am 25. Oktober ein Gespräch zwischen
dem Bundesumweltministerium, Vertretern aus Baden-
Württemberg, Hessen und Niedersachsen und deren
Gutachtern gegeben. Es waren ferner zugegen: Vertreter
von RWE Energie, Preussen-Elektra, Energie Baden-
Württemberg und des Gemeinschaftsatomkraftwerks
Neckar GmbH. Es ging dabei um ebensolche Entsor-
gungsengpässe. Ich kann Ihnen sagen, daß das Gespräch
zu diesem Problem sehr konstruktiv verlaufen ist und
daß es darum ging, daß man zum Beispiel durch kraft-
werksinterne Bereitstellung von Transportleistungen –
das ist auch in der Vergangenheit schon praktiziert wor-
den – diesen Notstand beheben könnte. Das Bundesum-
weltministerium hat vorgeschlagen, für die Erhöhung
der Lagerkapazitäten schon jetzt Genehmigungen bei
den zuständigen Länderbehörden zu beantragen. Es gibt
nämlich die Möglichkeit, diese Brennelemente in Ca-
stor-Behältern, die auf einer Betonplatte in Modulen
gelagert sind – das ist von der GNS vorgeschlagen und
konzipiert worden –, zwischenzulagern.
Eine
weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Ich habe noch eine
konkrete Nachfrage, deren Antwort besonders mich als
hessischen Abgeordneten interessiert: Wie stellt sich die
Bundesregierung das Schicksal des Kernkraftwerks Bi-
blis, Block B, vor, in dem demnächst nur noch 14 freie
Lagerplätze für wahrscheinlich 84 abgebrannte Brenn-
elemente zur Verfügung stehen? Ich erinnere in diesem
Zusammenhang an eine Frage, die ich im Januar dieses
Jahres gestellt habe, nämlich ob durch den Verweis auf
die Entsorgungspflicht des Betreibers und durch gleich-
zeitige Verweigerung der Entsorgungsmöglichkeiten im
Grunde genommen auf kaltem Wege, nämlich durch
Vollmachen der Lagerbecken, erreicht werden soll, daß
die Stillegung als Ultima ratio angesehen wird.
Gi
Wir haben, Herr Kollege Gehb, hinsichtlich der
Atomtransporte nach Recht und Gesetz zu entscheiden.
Hier müssen wir bei der Entscheidungsfindung beson-
ders genau sein; denn wir müssen Vertrauen, das durch
die verspätete Information bezüglich der Verstrahlung
im vorletzten Jahr verlorengegangen ist, wiedergewin-
nen. Das müßte eigentlich auch im Sinne der Unterneh-
men sein. – Das ist das eine.
Das andere betrifft Biblis B. Nach Aussagen der
Betreiber – das war ebenfalls Gegenstand des Gesprächs
am 25. Oktober 1999 – gibt es noch Kapazitäten für die-
ses Atomkraftwerk bis Mai 2000. Darüber hinaus haben
die Betreiber von Biblis B einen Antrag nach § 7 des
Atomgesetzes gestellt, um im Brennelementebecken zu-
sätzliche Gestelle aufstellen zu dürfen. Das würde für
ein weiteres Jahr reichen. Dieses Genehmigungsverfah-
ren müssen wir abwarten. Dann wird nach Recht und
Gesetz entschieden.
Weitere Zusatzfra-
gen liegen nicht vor.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Re-
aktorsicherheit. Ich danke der Frau Staatssekretärin, daß
sie zur Verfügung gestanden hat.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzleram-
tes auf. Zur Beantwortung der Fragen ist Herr Staatsmi-
nister Hans Martin Bury anwesend.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Thomas Dörf-
linger auf:
Hat die Bundesregierung bei der kurzfristigen Absage desBesuchs von Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Schweizam 1. Oktober 1999 angesichts der offenbar nicht zur Verfügungstehenden Flugbereitschaft, die vermutlich nicht erst eine halbeStunde vor Reiseantritt festgestellt werden konnte, alternativeReisemöglichkeiten für den Bundeskanzler geprüft, und stehengenerell bei Auslandsreisen des Bundeskanzlers mehrere Trans-portmöglichkeiten parallel zur Verfügung?
Herr Staatsminister, bitte.
H
Herr Kollege Dörflinger, der Abflug des Bun-
deskanzlers nach Basel am 1. Oktober 1999 mit der
Flugbereitschaft der Bundeswehr war für 8.30 Uhr ab
Flughafen Tegel geplant. Etwa 40 Minuten vor der ge-
planten Startzeit wurde dem Bundeskanzler mitgeteilt,
daß eine mögliche Fehlfunktion der Bremsanlage festge-
stellt worden war. Die Beschaffung des in Köln-Wahn
bereitstehenden Ersatzflugzeuges sollte zirka zwei Stun-
den in Anspruch nehmen. Die Ersatzmaschine hätte da-
mit kaum vor 10 Uhr starten können. Unter diesen Vor-
aussetzungen wäre der Termin des Bundeskanzlers in
Basel nicht mehr zu halten gewesen. Er war eingeladen
worden, eine Rede in der Zeit von 10 bis 11 Uhr zu hal-
ten.
Die Nutzung einer Linienmaschine durch den Bun-
deskanzler ist aus Sicherheitsgründen generell nicht zu
empfehlen. Die kurzfristige Anmietung einer Privatma-
schine war aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen. Ein
Flug mit dem Hubschrauber oder gar eine Fahrt mit dem
Pkw kamen wegen der Entfernung und des damit ver-
bundenen Zeitaufwandes nicht in Frage.
Der Bundeskanzler hat sein Bedauern über die kurz-
fristige Absage sowohl dem Veranstalter in Basel als
auch der Bundespräsidentin in Bern in persönlichen Te-
lefongesprächen mitgeteilt. Mit der Bundespräsidentin
wurde vereinbart, den Termin nachzuholen.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege. bitte.
Herr Staatsmi-nister, ich bin Ihnen vor allen Dingen für die letzten bei-Dr. Jürgen Gehb
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5523
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den Sätze dankbar; denn bei seinem Aufenthalt in derSchweiz wollte der Bundeskanzler ja nicht nur eine Re-de beim Prognos-Institut in Basel halten, sondern aucheinen Besuch bei Bundespräsidentin Ruth Dreifuss ma-chen. Insofern hatte der Besuch durchaus auch offiziel-len Charakter.Können Sie sich vorstellen, daß ein ähnliches Ereig-nis, nämlich eine kurzfristige Absage eines derartigenBesuchs, auch dann stattgefunden hätte, wenn der HerrBundeskanzler nicht in die Schweiz, sondern eventuellzu einem EU-Gipfel oder zu einem G-8-Gipfel hätte rei-sen müssen?H
Herr Kollege Dörflinger, ich habe bereits in der
ersten Antwort darauf hingewiesen, daß der Herr Bun-
deskanzler mit Frau Bundespräsidentin Dreifuss persön-
lich telefoniert hat und man sich darauf verständigt hat,
den Termin zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen.
Ich hoffe, daß dies im Februar am Rande des Besuchs
des Bundeskanzlers in Davos stattfinden kann.
Eine weitere Zusatz-
frage, Herr Kollege, bitte sehr.
Sie haben meine
Frage nicht beantwortet. Ich stelle Ihnen eine andere
Frage in der Hoffnung, daß ich darauf eine Auskunft be-
komme. Welche konkreten Schritte hat das Bundes-
kanzleramt bisher unternommen, um in Zukunft ähnli-
che Situationen zu vermeiden?
H
Herr Kollege Dörflinger, generell steht bei Flü-
gen des Bundeskanzlers oder des Bundespräsidenten ei-
ne Ersatzmaschine zur Verfügung. Entweder steht eine
Maschine in Köln, oder eine Maschine, die sich ander-
weitig im Einsatz befindet, steht in Rufbereitschaft. Am
1. Oktober 1999, also in dem konkreten Fall, der Ihrer
Frage zugrunde liegt, stand die Maschine in Köln bereit.
Ich habe Ihnen bereits dargestellt, warum sie nicht
rechtzeitig hier zur Verfügung gestellt werden konnte.
Deshalb wird jetzt im Bundesministerium der Verteidi-
gung geprüft, ob es sinnvoll und finanziell vertretbar ist,
die Ersatzmaschine bei Flügen des Bundeskanzlers oder
des Bundespräsidenten routinemäßig nach Berlin zu be-
ordern. Ich weise allerdings darauf hin, daß dies mit er-
heblichen Kosten verbunden wäre.
Vielen Dank. Wir
verlassen damit den Geschäftsbereich des Bundeskanz-
leramtes und bedanken uns bei Herrn Staatsminister Bu-
ry für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Am-
tes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staats-
minister Dr. Zöpel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Jürgen Kop-
pelin auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundes-ministers des Auswärtigen, Joseph Fischer, die er in einem In-terview mit der Zeitung „Der Nordschleswiger“ geäußert hat, daß der Bundeskanzler zur Zeit ein Mar-tyrium durchmacht?
Herr Staatsminister, bitte sehr.
D
Die von Ihnen, Herr Kollege Koppelin, zitierte
Auffassung von Herrn Bundesminister Fischer über Be-
troffenheiten und Herausforderungen an den Herrn Bun-
deskanzler ist eine persönliche Meinungsäußerung. Ihr
Bedeutungsgehalt ergibt sich aus dem Kontext des Zi-
tats. Mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, zitiere
ich diesen Kontext:
Was der Kanzler und SPD-Vorsitzende derzeit
durchmacht, ist ein Martyrium. Nicht nur die
Kraftlinien der Partei, die Kraftlinien des ganzen
Landes gehen durch ihn hindurch.
Dieser Kontext erläutert den Gebrauch des Begriffes
„Martyrium“ in diesem Zusammenhang.
Herr Kollege Kop-
pelin, eine Zusatzfrage? – Bitte sehr.
Mehr als eine, Frau Prä-
sidentin, aber jetzt erst einmal eine.
Herr Staatsminister, haben Sie sich einmal die Mühe
gemacht, in einem Fremdwörterduden nachzusehen, was
„Martyrium“ heißt? Ich habe es getan und will Ihnen
gerne nachhelfen. Im Fremdwörterduden steht: „schwe-
res Leiden [um des Glaubens oder der Überzeugung
willen]“.
Ich frage Sie, um welches schwere Leiden es sich denn
zur Zeit beim Bundeskanzler nach Auskunft von Joseph
Fischer handelt. Kann es zum Beispiel sein, daß er keine
Zustimmung für das Schröder-Blair-Papier in der eige-
nen Koalition findet?
D
Herr Kollege Koppelin, der Duden steht derBundesregierung ebenso wie viele andere Nachschlage-werke zur Verfügung.
In dem von Ihnen hier angesprochenen Zusammen-hang halte ich allerdings die von Herrn BundesministerFischer gemeinte Interpretation des Begriffs für diejeni-ge, die er selbst gewählt hat. Jeder Bundesminister istfrei, Begriffe so zu definieren, wie er es für richtig hält.
Thomas Dörflinger
Metadaten/Kopzeile:
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(C)
Eine weitere Zusatz-
frage des Kollegen Koppelin.
Herr Staatsminister, nun
muß ich mich bei Ihnen für meine nächste Frage fast
entschuldigen; denn ich habe nicht alles aus dem
Fremdwörterduden zitiert. „Martyrium“ heißt nämlich
auch „Opfertod“. In diesem Fall wäre es der politische
Opfertod. Ist demnächst damit zu rechnen?
D
Herr Kollege Koppelin, ich bin bei der Ant-
wort, die ich Ihnen nun gebe, sehr zurückhaltend. Sie
verweisen auf einen Sinngehalt des Wortes, der an die
christliche Tradition unserer Gesellschaft rührt. Ich wäre
zurückhaltend, ihn in die Nähe von Interpretationen zu
bringen, die man auch als Blasphemie bezeichnen
könnte. Das hat Herr Bundesminister Fischer auf keinen
Fall getan. Wenn andere dies tun, möchte ich mich hier-
zu nicht äußern.
Nun kommt Ihre
letzte Zusatzfrage, bitte sehr.
Frau Präsidentin, ich ha-
be zwei Fragen gestellt. Daher habe ich vier Zusatzfra-
gen.
Ja, das ist jetzt Ihre
vierte.
Nein, die dritte.
Entschuldigung, ich
habe nicht ganz genau mitgezählt, wie viele Fragen Sie
gestellt haben, weil das Thema so wahnsinnig spannend
ist. Natürlich bekommen Sie jetzt Ihre dritte Zusatzfra-
ge.
Frau Präsidentin, ich be-
danke mich, auch für die Kommentierung, daß das
Thema so spannend ist.
Der Herr Bundesminister ist ja ein intelligenter
Mann; er hat nicht ohne Grund diesen Ausdruck ge-
wä
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es muß doch den Bundesminister
irgend etwas dazu verleitet haben, einen solchen Aus-
druck zu benutzen. Können Sie das konkret interpretie-
ren?
D
Ich kann Ihrer Frage insoweit zustimmen, als
auch ich Herrn Bundesaußenminister für einen sehr in-
telligenten Mann halte. Wir besprechen nicht jede ein-
zelne Äußerung, die Herr Bundesaußenminister Fischer
oder andere in Medien tun. In diesem Fall haben wir das
auch nicht getan. Deshalb kann ich Ihre Frage nicht be-
antworten. Ich halte dies auch nicht für im Aufgabenbe-
reich meines Amtes liegend.
Nun kommt aber die
letzte Zusatzfrage. Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Staatsminister,
nachdem wir festgestellt haben, was im Fremdwörterdu-
den steht – „schweres Leiden [um des Glaubens oder der
Überzeugung willen]“ –, muß ich Sie doch noch fragen,
wer es dem Bundeskanzler besonders schwer macht. Ist
es der Koalitionspartner, also die Grünen, ist es die ei-
gene Fraktion, oder ist es die Opposition?
D
Herr Kollege, hier kann ich nur den Minister
im Originalwortlaut zitieren: sämtliche Kraftlinien, die
man sich denken kann.
Wir verlassen hier-
mit den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, weil
die Fragen 12 und 13 schriftlich beantwortet werden.
Ich danke Herrn Staatsminister Dr. Zöpel für die Be-
antwortung der Fragen.
Nun rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesmini-
steriums für Wirtschaft und Technologie auf. Zur Be-
antwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Mosdorf zur Verfügung. Die Frage 14 des Kollegen
Wolfgang Börnsen wird schriftlich beant-
wortet, so daß ich jetzt die Frage 15 des Kollegen Hans
Michelbach aufrufe:
Was unternimmt die Bundesregierung gegen die Einführungeines Interbanken-Entgeltes durch die Kreditwirtschaft zu La-sten der Verbraucher und Einzelhändler?
Herr Staatssekretär, bitte.
S
Herr Mi-chelbach, Ihre Frage zur Einführung eines Interbanken-entgeltes durch die Kreditwirtschaft spielt wahrschein-lich an auf die Überlegungen der Kreditwirtschaft, dieKostenverteilung zwischen den Kreditinstituten, die beiZahlung unter Einsatz der EC-Karte beteiligt sind, durcheine Vereinbarung zu regeln. Erwogen wird, den karten-ausgebenden Banken und Sparkassen einen Gebühren-anspruch, das sogenannte Interbankenentgelt, gegenüberden kartenakzeptierenden Kreditinstituten einzuräumen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5525
(C)
(D)
Es kann nicht ausgeschlossen werden – das war jaAnlaß Ihrer Frage –, daß die Einführung eines derartigenInterbankenentgeltes den Zahlungsverkehr mit EC-Karten verteuert und im Ergebnis Handel und Verbrau-cher belastet. Die Vereinbarung bzw. Regelung der Kre-ditwirtschaft über ein Interbankenentgelt müßte deshalbunseres Erachtens, sollte sie denn getroffen werden –das ist noch nicht definitiv – , zuvor beim Bundeskar-tellamt angemeldet werden und würde dort nach Maß-gabe des § 29 Abs. 7 GWB auf ihre wettbewerbsrechtli-che Zulässigkeit geprüft werden.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege? – Bitte sehr.
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär. – Ich sehe hier Handlungsbedarf. Meinen
Sie nicht, daß das Kartellamt präventiv tätig werden und
auf die Banken zugehen müßte? Die Banken haben die
Einführung einer solchen Strafgebühr für das elektroni-
sche Lastschriftverfahren einheitlich vereinbart, und
darüber hinaus steht die Aussage im Raume, daß zur
Verbesserung der Ertragslage ein neues Debit-Verfahren
vorbereitet wird, um das im Handel weit verbreitete
elektronische Lastschriftverfahren abzulösen. Sind Sie
mit mir der Auffassung, daß das einerseits angesichts
der niedrigen Nettoumsatzrentabilität im Handel zu Exi-
stenzgefährdungen führen und andererseits die Verbrau-
cherpreise unnötig in die Höhe treiben könnte?
S
Herr Kol-
lege Michelbach, ich habe in meiner Antwort bereits
darauf hingewiesen, daß es nicht ausgeschlossen werden
kann, daß es zu Verteuerungen für Handel und Verbrau-
cher kommt. Allerdings möchte ich mich nicht an Spe-
kulationen darüber beteiligen, ob diese Interbankenent-
geltregelung der Kreditwirtschaft nun kommt oder nicht.
Wir werden, sobald es eine Regelung gibt, diese genau
prüfen, und im Zweifelsfall wird sich das Bundeskartell-
amt mit dieser Frage beschäftigen.
Keine weiteren Zu-
satzfragen. Die Fragen 16 und 17 der Kollegin Barbara
Wittig werden schriftlich beantwortet. Somit verlassen
wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie; ich danke dem Herrn
Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwor-
tung der Fragen ist die Parlamentarische Staatssekretärin
Frau Ulrike Mascher anwesend. Ich rufe die Frage 18
des Abgeordneten Klaus Hofbauer auf:
Ist die Bundesregierung in der Lage, die monatlich publi-zierten Arbeitslosenzahlen nicht nur in Bezug zu setzen auf dieArbeitslosenzahlen des gleichen Vorjahresmonats, sondern vorallem auch auf die Gesamtzahl der im gleichen Zeitraum sozial-versicherungspflichtig Beschäftigten?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
U
Wenn Sie ge-
statten, beantworte ich die Fragen 18 und 19 zusammen.
Dann rufe ich auch
die Frage 19 des Abgeordneten Hofbauer auf:
Kann die Bundesregierung genaue Angaben machen zu denseit der Bundestagswahl vom 27. September 1998 weggefalle-nen und neu geschaffenen Arbeitsplätzen?
U
Die Antwortzu Frage 18 lautet: Nein. Die Statistik der sozialversi-cherungspflichtig Beschäftigten basiert auf den Meldun-gen, die von den Arbeitgebern an die Krankenkassengegeben und von dort an die Träger der gesetzlichenRentenversicherung und die Bundesanstalt für Arbeitweitergeleitet werden. Die Aufbereitung der Ergebnisseerfolgt als Vollauswertung nach einer Wartezeit vonsechs Monaten. Das heißt, die Ergebnisse für einen be-stimmten Stichtag, in der Regel das Quartalsende, liegenerst sieben bis acht Monate später vor. Eine Verwen-dung dieser Zahlen als Bezugsgröße für Arbeitslosen-quoten ist angesichts dieser zeitlichen Verzögerung aus-zuschließen.Neben diesen Totalauswertungen werden auch Er-gebnisse auf Basis von 10-Prozent-Stichproben ermit-telt, und zwar nach zwei bis drei Monaten Wartezeit.Die Ergebnisse dieser Stichproben sind zur Erkennungvon Trends und für interne Berechnungen durchaus ge-eignet. Aber sie erfüllen keinesfalls die Genauigkeits-kriterien, die bei der Berechnung der Arbeitslosenquoteheranzuziehen sind. Darüber hinaus gäbe es auch hiereine Verzögerung von mindestens drei Monaten.Die Antwort auf Frage 19 lautet: Nein. Auf Grund deram 10. Februar 1998 veröffentlichten und seit Januar1999 geltenden neuen Datenerfassungs- und Übermitt-lungsverordnung in der Sozialversicherung gab es seitJanuar 1999 Unstimmigkeiten im Meldefluß. Seit Ein-führung des neuen Meldeverfahrens haben viele Arbeit-geber die Daten unvollständig oder verspätet an dieKrankenkassen übermittelt. Deshalb führen die Aus-wertungen der Statistik der sozialversicherungspflichtigBeschäftigten seit dem Stichmonat September 1998 zuunkorrekten Ergebnissen, die nicht veröffentlicht wer-den.Die Träger der Sozialversicherung arbeiten seit An-fang 1999 mit Hochdruck an der Behebung dieses Man-gels. Es wird davon ausgegangen, daß die zur Zeit nochfehlenden Zahlen bis zum Jahresende vorliegen unddann wieder, wie üblich, ausgewertet, aufbereitet undveröffentlicht werden. Derzeit kann aus den genanntenGründen die Zahl der seit September 1998 abgemeldetenbzw. neu angemeldeten sozialversicherungspflichtigenBeschäftigten nicht ermittelt werden.Da das Statistische Bundesamt die Entwicklung derErwerbstätigkeit im wesentlichen auf der Basis der Zahlder sozialversicherungspflichtig Beschäftigten schätzt,können derzeit auch keine Erwerbstätigenzahlen berech-net werden. Allerdings liegen seit dem 26. Oktober 1999Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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5526 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
(C)
erste, vorläufige Schätzungen des Statistischen Bundes-amtes über die Erwerbstätigenzahlen, nämlich dieDurchschnittswerte für das erste und das zweite Quartal1999, vor. Nach diesen Schätzungen ist die Zahl der Er-werbstätigen in Deutschland leicht gestiegen. Eine ab-schließende Bewertung der Zahl der seit Septemberletzten Jahres neu geschaffenen bzw. weggefallenen Ar-beitsplätze ist auf der Grundlage dieser vorläufigenSchätzungen nicht möglich.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege Hofbauer.
Frau Staatssekretärin,
geben Sie mir recht, daß für eine Beurteilung der aktu-
ellen Arbeitsmarktlage genaue und differenzierte Zahlen
notwendig sind, und zwar nicht nur in bezug auf die Ar-
beitslosen, sondern auch in bezug auf die sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigten?
Frau Präsidentin, darf ich meine Fragen zusammen-
fassen?
Mit Freuden.
Ich darf insgesamt
vier Zusatzfragen stellen.
Zweite Frage. Was werden Sie, Frau Staatssekretärin,
unternehmen, um die unbefriedigende Situation, die Sie
selbst geschildert haben, zu beseitigen?
Dritte Frage. Die Bundesregierung ist seit einem Jahr
im Amt. Der Bundeskanzler höchstpersönlich hat ver-
sprochen, daß die Zahl der Arbeitslosen deutlich gesenkt
wird. Ich muß jetzt feststellen, daß die Zahl der Be-
schäftigten stagniert und die Zahl der Arbeitslosen
gleichgeblieben ist. Damit ist das große Versprechen,
die Arbeitslosigkeit zu senken, überhaupt nicht ein-
gehalten worden.
U
Herr Kollege
Hofbauer, ich gebe Ihnen darin recht, daß es ausgespro-
chen ärgerlich ist, daß sich die Zahl der sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigten, die als Grundlage dient,
um die Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Deutschland
einzuschätzen, nicht präzise feststellen läßt. Dies bedau-
ert niemand mehr als die Bundesregierung, insbesondere
auch das Arbeitsministerium, weil wir auf Grund von
Trendschätzungen die Vermutung haben, daß die Zahlen
für uns gar nicht so schlecht sind. Aber wir können im
Moment keine präzisen Zahlen nennen, weil es nach der
Umstellung der Datenübermittlung Schwierigkeiten gibt.
Wir haben die zuständigen Stellen – die Kranken- und
Rentenversicherungsträger und das Statistische Bundes-
amt – gebeten, alles Erdenkliche zu tun, um diesen Zu-
stand rasch zu beseitigen. Daran haben wir ein großes
Interesse. Wir hoffen, daß zum Ende des Jahres wieder
aussagekräftige Zahlen vorliegen.
Ihre Schlußfolgerung, die Sie in der dritten Frage ge-
zogen haben, kann ich nicht teilen. Es ist zwar nachvoll-
ziehbar, daß die Opposition so etwas behauptet, aber
durch die Statistik wird es nicht gestützt.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Wiese, bitte sehr.
Frau Staatsse-
kretärin, welche Bedeutung haben in diesem Zusam-
menhang, was die Zahl der versicherungspflichtigen Be-
schäftigungsverhältnisse angeht, die neuerdings mit
Krankenversicherungsbeiträgen und Rentenversiche-
rungsbeiträgen belegten geringfügigen Beschäftigungs-
verhältnisse? Kommen sie in Ihrer Arbeitsplatzstatistik
vor, und wenn ja, in welcher Art und Weise?
U
Wir haben
Auswertungen über die Anmeldungen von geringfügig
Beschäftigten. Deren Zahl liegt bei etwa 2,7 Millionen.
Auch die Einnahmen bei der Rentenversicherung und
bei der Krankenversicherung liegen weit über den
Schätzungen, die wir im Gesetzgebungsverfahren ge-
nannt haben. Von daher können wir für diesen Bereich,
allerdings eben noch nicht für die Gesamtzahl der Er-
werbstätigen, feststellen, daß die Vermutung, es würden
Arbeitsplätze wegfallen, wie sie von der Opposition ge-
äußert worden ist, nicht zutrifft.
Es gibt keine weite-
ren Zusatzfragen.
Die Fragen 20 und 21 des Kollegen Josef Hollerith
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 22:
Wie steht die Bundesregierung zu der Tatsache, daß bei einerBefristung von „Tariffonds“ die jungen Arbeitnehmer nicht inden Genuß der „Rente mit 60“ kommen können und damit dasUngleichgewicht zwischen der Belastung der Generationen imBereich der gesetzlichen Rentenversicherung noch weiter ver-schärft wird?
Frau Staatssekretärin, wollen Sie die beiden Fragen
der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram zusammen
beantworten?
U
Ja.
Frau Kollegin, sind
Sie damit einverstanden?
Ja.
Dann rufe ich dieFrage 23 der Kollegin Birgit Schnieber-Jastram auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß in den neuen Bundes-ländern nur ca. 60 Prozent der Arbeitnehmer in Firmen arbeiten,die Mitglied eines Arbeitgeberverbandes sind und nur die Ar-Parl. Staatssekretär Ulrike Mascher
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5527
(C)
(D)
beitnehmer in diesen Firmen in den Genuß der „Rente mit 60“kommen werden und wie will die Bundesregierung daraufreagieren?Frau Staatssekretärin, bitte.U
Frau Kollegin
Schnieber-Jastram, die Überlegung zur Befristung von
Tariffonds folgt aus ihrer beschäftigungspolitischen
Zielsetzung, Arbeitsplätze, die durch finanziellen Aus-
gleich für Rentenabschläge bei vorzeitigem Rentenzu-
gang frei werden, mit Arbeitslosen wiederzubesetzen.
Von einem in dieser Form beabsichtigten vorübergehen-
den solidarischen Ausgleich kann je nach der Größen-
ordnung von Tariffonds Entlastungswirkung in bezug
auf den Arbeitsmarkt und damit auf die Beitragsbela-
stung der aktiven Generation zur Arbeitslosenversiche-
rung erwartet werden.
Es besteht Einvernehmen darüber, daß ein solches
Modell nicht zu einer zusätzlichen Belastung der Ren-
tenversicherung führen darf. Die Rahmenbedingungen
eines Tariffonds müssen deshalb entsprechend gestaltet
werden. Die Tarifvertragsparteien können unter dieser
Prämisse entscheiden, ob sie das Modell eines Tarif-
fonds aufgreifen und in welchem Rahmen sie es
schließlich umsetzen. Die Entwicklung in der nächsten
Tarifrunde 2000 sollte daher abgewartet werden, bevor
abschließende Bewertungen getroffen werden.
Zur Frage 23: Die Tarifbindung der Arbeitgeber in
den neuen Bundesländern entspricht nach den mir be-
kannten Daten in etwa der Größenordnung, die in Ihrer
Frage angesprochen wird.
Die Frage, ob und in welchem Umfang von einem
Tariffonds Gebrauch gemacht wird, liegt, wie ich bereits
gesagt habe, in der Verantwortung der Tarifvertragspar-
teien. Sie entscheiden in freier Verhandlung darüber,
wie ein derartiges Instrument tarifpolitisch umgesetzt
wird.
Erste Zusatzfrage –,
bitte, Frau Kollegin.
Frau
Staatssekretärin, da drängen sich mir dann doch einige
Fragen auf.
Wenn ich mich richtig erinnere, dann hat der Bun-
deskanzler anläßlich eines Gewerkschaftstages der IG-
Metall am 7. Oktober 1999 in meiner Heimatstadt Ham-
burg die Einführung von Tariffonds abgelehnt. Eine
Woche später dann allerdings hat er anläßlich des
50jährigen DGB-Jubiläums die Rente mit 60 begrüßt.
Ich würde gern von Ihnen wissen: Gibt es neue Tat-
sachen, sind neue Ereignisse eingetreten, die zu diesem
Meinungswechsel geführt haben, oder liegt ein falsches
Papier vor? Gibt es einen Irrtum, und haben wir, wie in
anderen Fällen, eine Entschuldigung zu erwarten?
U
Frau Schnie-
ber-Jastram, als aufmerksame Zeitungsleserin und als
politisch interessierte Abgeordnete ist Ihnen sicher be-
kannt, daß der Bundeskanzler und der Arbeitsminister
immer wieder darauf hingewiesen haben, daß eine Rente
mit 60, die zu Belastungen der Rentenversicherung und
damit auch zu steigenden Beitragssätzen führen würde,
nicht in Frage kommt.
Sie haben sicher auch verfolgt, daß immer wieder
betont worden ist, daß Regelungen, die zwischen den
Tarifvertragsparteien abgeschlossen werden – ob es nun
in Form von Tariffonds oder in Form anderer Regelun-
gen zur Vermeidung von Abschlägen, die es in einer
ganzen Reihe von Branchen schon gibt, geschieht – in
der Verantwortung dieser Parteien liegen. Da diese Re-
gelungen ein mögliches Mittel sind, um den Arbeits-
markt zu entlasten, werden sie von der Bundesregierung
durchaus begrüßt.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Frau
Staatssekretärin, weil Sie sagen, die Rentenkassen dürf-
ten nicht belastet werden, drängt sich mir eine weitere
Zusatzfrage auf. Nach Schätzungen des Verbandes
Deutscher Rentenversicherungsträger müßte bei voller
Ausnutzung der geplanten neuen Regelungen zur Rente
mit 60 von den Tariffonds mehr als 66 Milliarden DM
als Ausgleich der Vorfinanzierungskosten an die Ren-
tenversicherung gezahlt werden. Geht die Bundesregie-
rung davon aus, daß der arbeitsmarktpolitische Nutzen
einer solchen Regelung in einem angemessenen Ver-
hältnis zu dem enormen finanziellen Aufwand steht?
U
Die von Ih-
nen genannte Zahl bezieht sich auf eine 100prozentige
Ausschöpfung. Deswegen bedingt diese Zahl ein so er-
hebliches finanzielles Volumen. Die Ergebnisse von sol-
chen Tariffondsregelungen werden also sicherlich nicht
zu einer 100prozentigen Ausschöpfung führen.
Das tatsächliche Volumen ist schwer abzuschätzen. Ich
gebe allerdings zu, daß das Volumen beachtlich ist und
daß sich die Tarifvertragsparteien eine große Aufgabe
zumuten, wenn sie dieses Thema anpacken.
Ich darf Sie daran erinnern, daß der Präsident der
Bundesanstalt für Arbeit, Herr Jagoda, erklärt hat, er
halte es angesichts der Zahl der Arbeitslosen für sinn-
voll, auch solche Instrumente zu nutzen.
Dritte Zusatzfrage,
Frau Kollegin.
FrauStaatssekretärin, ich bin ziemlich erstaunt, weil einigesin Ihren Aussagen sehr widersprüchlich ist. Da das Bun-Vizepräsidentin Anke Fuchs
Metadaten/Kopzeile:
5528 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
(C)
desministerium für Arbeit und Sozialordnung bei lang-jährig Versicherten von einem Potential für den Renten-zugang mit 60 Jahren von mindestens 1 Million und ma-ximal 1,2 Millionen Personen ausgeht und der VDR da-gegen berechnet, daß nur 570 000 Arbeitsplätze durchdie Rente mit 60 frei werden, wundere ich mich über Ih-re eben gemachten Aussagen. Sagen Sie mir bitte, wieSie sich diese Diskrepanz erklären. Was für Zahlen er-wartet das Bundesministerium für Arbeit und Sozialeswirklich? Schließlich bestreiten Sie die Höhe der dortentstehenden Kosten.U
Ich bestreite
nicht die Höhe der Kosten. Ich kann Ihnen keine genau-
en Zahlen nennen. Man kann nur sagen: Soundso viele
Personen im entsprechenden Alter sind als Potential
vorhanden; sie kämen in Frage, wenn entsprechende Ta-
riffonds gebildet werden. Wieweit sie gebildet und in
Anspruch genommen werden, kann das Bundesministe-
rium für Arbeit und Soziales nicht prognostizieren, weil
dies, wie gesagt, in der freien Vereinbarung der Tarif-
vertragsparteien liegt.
Die vierte Zusatz-
frage, Frau Kollegin Schnieber-Jastram.
Schätze ich
Ihre Stellungnahme richtig ein: Sie hoffen, daß es mög-
lichst wenige sind, die das in Anspruch nehmen?
U
Nein, Sie
schätzen meine Aussagen falsch ein.
Nun hat die Kollegin
Ilse Aigner eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, die
Bundesregierung hat erklärt, daß sie den Anteil der ka-
pitalgedeckten Altersvorsorge ausbauen will. Wenn die
Arbeitnehmer einen Teil des Lohnzuwachses in den Ta-
riffonds zur Finanzierung der Rente mit 60 abführen
müssen, dann fehlt ihnen aber der finanzielle Spielraum
zum Ausbau einer kapitalgedeckten Alterssicherung.
Wie will die Bundesregierung darauf reagieren?
U
Frau Aigner,
Bestandteil eines solchen Tariffonds kann sein, daß die
angesparten Beträge genutzt werden, um die Abschläge,
die bei vorzeitigem Ausscheiden in Kauf genommen
werden müssen, ausgeglichen werden. Es gibt schon bei
einer ganzen Reihe von Regelungen zur Altersteilzeit
Komponenten, die einen individuellen Sparvorgang er-
möglichen, um Abschläge auszugleichen. Ich wieder-
hole: Es liegt in der Entscheidung der Tarifvertragspar-
teien, solche Tariffonds zu bilden.
Frau Kollegin Aig-
ner, Ihre zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, fol-
gendes verstehe ich nicht ganz: Die jetzige Generation
muß in den Tariffonds einzahlen. Gleichzeitig ist diese
Maßnahme befristet, so daß diese Generation nicht in
den Genuß kommen wird, den Fonds auszuschöpfen.
Zusätzlich muß die jetzt einzahlende Generation privat
vorsorgen, um den Einkommensverlust im Alter zu
überbrücken.
U
Frau Aigner,
ich kann nur wiederholen: Sie sollten diese Frage an die
Tarifvertragsparteien richten, wenn ein solcher Tarif-
fonds vereinbart wird.
Wir haben hier Tarifautonomie. Sie können entspre-
chende Regelungen treffen. Wenn sie in ihrer eigenen
Verantwortung eine solche Regelung für sinnvoll und
nützlich halten, auch unter dem Gesichtspunkt, daß Ar-
beitsplätze für Jüngere freigemacht werden, dann halte
ich das für eine Entscheidung, die wir als Ausdruck von
Generationensolidarität respektieren und anerkennen
sollten.
Nun hat der Kollege
Axel Fischer eine Frage.
Axel E. Fischer (CDU/CSU): Frau
Staatssekretärin, Sie haben soeben die Frage von Frau
Aigner dahin gehend beantwortet, daß Sie gesagt haben,
das, was der Arbeitsminister die ganze Zeit zum Thema
Rente mit 60 sage, habe mit der Bundesregierung ei-
gentlich nichts zu tun.
Jetzt würde ich gerne von Ihnen wissen: Warum mischt
sich dann der Bundesminister ein und der Bundeskanzler
gleich noch dazu, wenn dies anscheinend gar nicht
Thema der Bundesregierung ist?
U
Herr Fischer,ich habe gesagt, daß es die Bundesregierung natürlichetwas angeht, klar zu sagen, daß in der Verantwortungder Bundesregierung eine Belastung der gesetzlichenRentenversicherung nicht möglich ist. Die freie Verein-barung zwischen den Tarifvertragsparteien ist nicht An-gelegenheit der Bundesregierung. Ich kann es nur nocheinmal wiederholen.
Der Arbeitsminister hat deutlich gemacht, wie einsolcher Tariffonds in die gesetzlichen Regelungen ein-zuordnen ist, hat aber immer wieder auch unmißver-ständlich deutlich gemacht, daß das Ganze nicht zu Be-Birgit Schnieber-Jastram
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5529
(C)
(D)
lastungen der Rentenversicherungen führen darf. Das ist,denke ich, auch seine Aufgabe.
Eine weitere Frage
stellt der Herr Kollege Fischer. Bitte sehr.
Axel E. Fischer (CDU/CSU): Frau
Staatssekretärin, ist dem Arbeitsministerium bekannt,
daß auch dann, wenn sich die Tarifvertragsparteien hier-
auf einigen, eine zusätzliche Belastung der Arbeitneh-
mer zustande kommt, und wie gedenken Sie, dem auf
anderem Wege – vielleicht steuerlich oder was Ihnen
sonst noch einfällt – entgegenzuwirken?
U
Ich kann es
nur wiederholen: Die Tarifabschlüsse kommen in der
Verantwortung der Tarifvertragsparteien zustande. Die
Bundesregierung tut gut daran, das, was hier vereinbart
wird, nicht politisch zu bewerten. Dies liegt in der Ver-
antwortung der Tarifvertragsparteien.
Jetzt hat der Kollege
Dr. Göhner eine Frage.
Frau Staatsse-
kretärin, die Bundesregierung und auch Ihr Minister ha-
ben bis vor kurzem immer die Auffassung vertreten, daß
eine Änderung der gesetzlichen Altersgrenzen der Ren-
tenversicherung nicht in Betracht komme. Wie verein-
bart es sich damit, daß nunmehr Herr Bundesminister
Riester mit dem mit Herrn Zwickel vereinbarten Modell
dafür eintreten will, einen neuen Renteneintrittstatbe-
stand für die Rente mit 60, für fünf Jahre befristet, zu
schaffen, also das ansteigende Renteneintrittsalter, das
sich ansonsten nach den bestehenden gesetzlichen Re-
gelungen vollziehen würde, durch eine solche gesetzli-
che Maßnahme, wenn auch für fünf Jahre befristet, um-
zukehren?
U
Der Arbeits-
minister hat deutlich gemacht, daß er das im Zusam-
menhang mit einer Regelung im Rahmen von Tariffonds
sieht, die eine finanzielle Belastung der Rentenversiche-
rung ausschließen, weil nach § 187a SGB VI hier ein
voller finanzieller Ausgleich stattfindet. In diesem Zu-
sammenhang ist es verantwortbar.
Herr Dr. Göhner
stellt eine weitere Frage. – Bitte sehr.
Frau Staatsse-
kretärin, da die Bundesregierung nunmehr doch eine
Änderung der gesetzlichen Altersgrenzen beabsichtigt:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Steuerausfall
und den Ausfall an Beiträgen für die Sozialversicherung
ein, wenn tatsächlich, wie von Herrn Riester und Herrn
Zwickel in dem Modell angenommen, 1,2 Millionen
Menschen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden
würden, das heißt keine Beiträge mehr an die Sozialver-
sicherung zahlen würden, und wenn – wie etwa bei dem
früheren Vorruhestandsmodell – nur jede siebte Stelle
neu besetzt würde? Selbst wenn ein höherer Anteil an
Wiederbesetzungen erfolgen würde: Wie gedenkt die
Bundesregierung die ausfallenden Beiträge auszuglei-
chen?
U
Herr Göhner,
da im Moment nicht klar ist, wie die Tarifvertragspartei-
en solche Vereinbarungen abschließen, und weil deswe-
gen auch über das Potential der möglichen Altersgrup-
pen hinaus nicht gesagt werden kann, wie die tatsächli-
che Inanspruchnahme sein wird, kann man auch nicht
sagen, wie diese Zahlen aussehen. Es wäre unredlich,
Ihnen hierzu präzise Zahlen zu nennen. Die wären rein
spekulativ.
Nun hat die Kollegin
Ursula Heinen eine Frage.
Uns allen liegt das
Thema der Schaffung von Arbeitsplätzen ganz beson-
ders am Herzen. Es war ja so – das wurde schon ange-
sprochen –, daß nach Aussagen des Verbandes Deut-
scher Rentenversicherungsträger in den Jahren 1992 bis
1997 im Rahmen der Frühverrentungsprogramme nur
jeder siebte Arbeitsplatz wieder besetzt worden ist. Die
Unternehmen haben auf Kosten der Sozialversiche-
rungsträger freiwerdende Stellen nicht wieder besetzt
und ihre Belegschaften insgesamt verjüngt.
Gehen Sie jetzt davon aus, daß im Rahmen der ge-
planten Rente mit 60 eine höhere Wiederbesetzungs-
quote als bei den in der Vergangenheit durchgeführten
Programmen zu erwarten sein wird, und, wenn ja, war-
um gehen Sie davon aus?
U
Das hängt
davon ab, in welchen Branchen solche Tarifverträge ab-
geschlossen werden. Denn der Rationalisierungsgrad
und die Umstrukturierung sind in den einzelnen Bran-
chen sehr unterschiedlich. Es gibt ohne Zweifel Bran-
chen, die ihre große Umstrukturierungs- und Rationali-
sierungszeit schon hinter sich haben und bei denen der
Wiederbesetzungsgrad deswegen erheblich höher liegen
würde als in der Vergangenheit.
Ihre zweite Frage,
Frau Kollegin Heinen.
Sind Sie mit mir einerMeinung, daß man Arbeitsvolumen nicht einfach um-schichten kann – sei es von Alt auf Jung oder von wemauch immer auf wen auch immer – und daß es vielleichtein besserer Ansatz wäre, das Arbeitsvolumen insgesamtParl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
Metadaten/Kopzeile:
5530 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
(C)
zu steigern, das heißt, sich Maßnahmen zu überlegen,die dazu führen können, daß in Deutschland mehr Ar-beitsplätze zur Verfügung stehen, statt in überkomme-nen Umverteilungsprogrammen zu verharren?U
Sie haben völlig
recht. Das ist sicher der bessere Weg. Leider haben wir
keine guten Vorbilder. Während der 16 Jahre der letzten
Bundesregierung ist das Arbeitsvolumen – jedenfalls
seit 1990, seitdem ich im Bundestag bin – nicht gestei-
gert worden. Vielleicht haben Sie konkrete Vorschläge
zu machen, wie wir das ändern können.
Jetzt hat Kollege
Westerwelle eine Frage.
Da Sie uns als
Abgeordnete der Opposition die ganze Zeit empfehlen,
wir mögen unsere Fragen auch an die Tarifvertragspar-
teien stellen, und Sie feststellen, der Arbeitsminister sei
nicht der richtige Ansprechpartner für diese Fragen
– eine Antwort darauf verkneife ich mir jetzt –, besteht
doch folgende Frage: Ich entnehme den Zeitungen vom
14. Oktober 1999, daß in München am 13. Oktober 1999
zwischen Walter Riester, dem IG-Metall-Vorsitzenden,
Klaus Zwickel, und dem Chef des Verbandes Deutscher
Rentenversicherungsträger, Franz Ruland, ein Gespräch
stattgefunden hat, in dem man sich auf die Rente mit 60
geeinigt habe. Ist diese Nachricht, die im gesamten deut-
schen Pressewald zu lesen war, eine Falschmeldung ge-
wesen, und wird die Bundesregierung das dementieren?
Sprich: Wann wird sie es dementieren?
U
Herr We-
sterwelle, Sie haben hier eine ganz überraschende Nach-
richt vorgelesen. Sie wissen sehr genau, worin die Eini-
gung bestanden hat, nämlich darin, daß ganz klar gesagt
worden ist – deswegen war der Vertreter des VDR dabei
–, daß bei Einführung der Rente mit 60 eine Belastung
der Rentenversicherung nicht möglich ist. Der Vertreter
des VDR hat deutlich gemacht, wie groß das Finanzvo-
lumen ist, daß nach § 187a SGB IV zu leisten ist, um
eine solche vorgezogene Rente ohne Abschläge zu fi-
nanzieren. Das steht ja schon im SGB IV.
Darüber hinaus hat der Arbeitsminister klargemacht,
wie die Rahmenbedingungen für eine solche Tarifrente
aussehen. Es ist immer völlig unmißverständlich gewe-
sen, daß der materielle Gehalt dieser Regelungen
zwischen den Tarifvertragsparteien ausgehandelt wer-
den muß. Nichts anderes ist in München verhandelt
worden.
Ihre zweite Frage,
Herr Westerwelle.
Wenn Sie jetzt
eben allerdings gesagt haben, Sie könnten nicht absehen,
wie hoch der Finanzierungsaufwand sei, weil das davon
abhänge, inwieweit das Potential der Betroffenen von
der Möglichkeit der Rente mit 60 Gebrauch mache,
heißt das dann, daß der Arbeitsminister in diesem Ge-
spräch politisch einer Idee Vorschub geleistet hat, ob-
wohl er tatsächlich gar nicht weiß, wie hoch die Kosten
sind?
U
Auf Grund
der Abschätzungen von Inanspruchnahmen solcher Re-
gelungen schien es vertretbar zu sein, im Interesse der
Verbesserung von Beschäftigungschancen von Jüngeren
Möglichkeiten auszuloten. Hier ist nach präzisen Zahlen
gefragt worden, diese kann ich Ihnen im Moment aber
nicht nennen.
Nun hat die Kollegin
Renate Blank eine Frage.
Frau Staatssekretärin,
mit den Antworten zu den Steuerausfällen bin ich nicht
so ganz einverstanden; denn wir sind doch mitten in den
Haushaltsberatungen, und Sie müssen Steuerausfälle im
nächsten Jahr irgendwo kompensieren. Vielleicht könn-
ten Sie überlegen, ob Sie die Zahlen nicht doch präzi-
sieren können; denn die Verbände haben die Werte
schon in etwa ausgerechnet. Ich könnte mir vorstellen,
daß die Bundesregierung genauso klug ist wie die Ver-
bände.
U
Frau Blank,
Sie können sich jede Mühe geben, irgendwelche Zahlen
aus mir herauszulocken; ich werde Ihnen dennoch keine
Zahlen mit der Präzision nennen, die Sie von uns for-
dern. Sie können so nicht geliefert werden; das wäre un-
verantwortlich.
Zweite Frage, Frau
Kollegin.
Die nächste Frage lau-
tet: Ist das Vorgehen zur Rente ab 60 bereits mit dem
Bundesfinanzminister abgestimmt?
U
In Vorberei-
tung auf Gespräche im Rahmen des „Bündnisses für Ar-
beit“ und mit dem Vorsitzenden der IG Metall hat es
auch Gespräche im Finanzministerium gegeben. Da
können Sie ganz sicher sein.
Nun hat der KollegeMichelbach eine Frage.Ursula Heinen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5531
(C)
(D)
Frau Staatssekretä-
rin, warum kommt diese Bundesregierung nicht ihrer
gesamtwirtschaftlichen Verantwortung für Wachstum
und Beschäftigung nach, indem sie eine klare Planung
auch für die Entwicklung der Arbeitskosten vornimmt.
Kennen Sie die Zusammensetzung der Arbeitskosten gar
nicht? Es ist doch völlig gleich, ob Sie einerseits eine
Lohnnebenkostenerhöhung oder andererseits eine Ein-
zahlung in Tariffonds verzeichnen müssen. Die Ent-
wicklung der Arbeitskosten wird zu negativen Einstel-
lungsentscheidungen führen. Wo sehen Sie hier Ihre ge-
samtwirtschaftliche Verantwortung?
U
Herr Michel-
bach, Ihnen ist doch sicher bekannt, daß es in der Tat um
die Arbeitskosten geht, und zwar um den Gesamtzu-
sammenhang zwischen Löhnen und Lohnnebenkosten.
Von daher wird das, was in einem Jahr zur Verteilung
auf Gehalt, Arbeitszeit und möglicherweise in den Tarif-
fonds ansteht, zwischen den Tarifvertragsparteien in den
Tarifvertragsverhandlungen festgelegt. Ob das im Ge-
halt landet oder in den Tariffonds geht, stellt, denke ich,
für die Arbeitskosten insgesamt keine zusätzliche Bela-
stung dar.
Es gibt noch eine
Zusatzfrage von Herrn Michelbach.
Ich habe diese In-
terpretation von Arbeitskosten noch nicht gehört. Aber
vielleicht können Sie mir einmal sagen, was Sie beim
„Bündnis für Arbeit“ machen, wenn Sie dies alles als
völlig unbedachtes freies Spiel der Kräfte ansehen und
überhaupt keine klare Zielvorgabe haben, wie Einstel-
lungsentscheidungen in der Zukunft durch eine mög-
lichst stabile Arbeitskostenentwicklung stattfinden sol-
len.
U
Herr Michel-
bach, Ihnen dürfte bekannt sein, daß wir zum 1. April
dieses Jahres die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt
haben. Damit haben wir die Lohnnebenkosten und, in
der Summe, die Arbeitskosten entlastet. Das ist etwas,
was Ihnen in der Vergangenheit leider nicht mehr ge-
lungen ist. Von daher denke ich, daß wir gezeigt haben,
daß wir uns unserer gesamtwirtschaftlichen Verantwor-
tung und der Verantwortung gegenüber den Arbeitsko-
sten durchaus bewußt sind.
Ich möchte auf fol-
gendes aufmerksam machen: Wir haben noch vier weite-
re Fragen zu diesem Thema. Sie müssen nun einmal
unter sich klären, ob Sie es fairer finden, wenn wir die
Frau Staatssekretärin die Fragen 24 und 25 des Kollegen
Schemken und die Fragen 26 und 27 des Kollegen
Singhammer beantworten lassen und dann auf die Be-
antwortung der jetzigen Fragen zurückkommen oder
wenn wir so weitermachen wie bisher. Sie sollten sich
mit den Kollegen beraten, die die Fragen gestellt haben.
Ich muß für Fairneß gegenüber denjenigen sorgen, die
sich vorbereitet haben. Bis Sie sich entschieden haben,
gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Weiß, der eine
Frage hat.
– Sie können fragen, wie Sie wollen. Ich wollte nur dar-
auf aufmerksam machen, Herr Kollege Hörster, weil es
manchmal in den Fraktionen nicht ganz klar ist, wie die
Sachlage ist. Die Sachlage ist, daß wir noch vier weitere
Fragen haben, die beantwortet werden könnten. Viel-
leicht geben Sie mir einen Tip, ob Sie so weitermachen
wollen oder ob wir die anderen Fragen vorab beantwor-
ten lassen können. Das wäre auch ein Weg.
Herr Kollege Dr. Weiß, bitte.
Frau Prä-
sidentin, ich danke Ihnen sehr für die Promotion. Aber
ich bin der Abgeordnete Weiß ohne Doktor.
Frau Staatssekretärin, Sie haben auf eine der Fragen,
die Ihnen heute nachmittag gestellt worden sind, unter
anderem geantwortet, daß die Bundesregierung deswe-
gen eine gewisse Sympathie für das Modell „Rente ab
60“ hege – wenn die Tarifpartner dieses vereinbaren
würden –, weil sie sich davon eine Stabilisierung des
Niveaus des Rentenversicherungsbeitrages erwarte. So
habe ich jedenfalls eine Ihrer Antworten verstanden.
Nun möchte ich Sie fragen: Gibt es Modellberech-
nungen der Bundesregierung, und könnten Sie uns diese
vielleicht an einigen Beispielen vorstellen, wie sich das
Niveau des Rentenversicherungsbeitrages entwickelt,
wenn das Modell „Rente ab 60“ eingeführt wird? Dabei
müßte berücksichtigt werden – das machte Frau Kolle-
gin Heinen in ihrer Nachfrage ja schon deutlich –, daß
nicht alle freiwerdenden Arbeitsplätze wiederbesetzt
werden und – danach hatte Herr Kollege Dr. Göhner ja
schon gefragt – die mit 60 in Rente gegangenen Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer keinen Rentenversiche-
rungsbeitrag mehr bezahlen. Könnten Sie an Hand einer
Modellberechnung darlegen, daß sich für die junge Ge-
neration, die ja durch Gehaltverzicht die Beiträge für ei-
nen Tariffonds aufbringen muß, eine Senkung des Ni-
veaus der Rentenversicherungsbeiträge ergeben könnte?
U
Herr Abge-ordneter Weiß, ich habe Sympathien der Bundesregie-rung für dieses Modell auf Grund der dadurch mögli-chen Entlastung des Arbeitsmarktes zum Ausdruck ge-bracht. Im Zusammenhang mit dem Rentenniveau habeich dazu keine Aussagen gemacht. Es geht darum – dasist das Ziel aller Überlegungen, ob es sich um Altersteil-zeit oder solche Tariffondsmodelle handelt –, eine Ent-lastung des Arbeitsmarktes zu erreichen, der in dennächsten Jahren durch Heraufsetzung der gesetzlichenAltersgrenzen erheblich belastet wird. Deswegen habenwir eine gewisse Sympathie für dieses Modell, aller-
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5532 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
(C)
dings mit Einschränkungen, die ich hier schon in ver-schiedenen Antworten geäußert habe.
Zu einer weiteren
Frage, Herr Kollege Weiß.
Frau
Staatssekretärin, wie sieht es mit den Gesichtspunkten
soziale Gerechtigkeit und Generationengerechtigkeit
aus, wenn die heute im Erwerbsleben stehende Genera-
tion über fünf Jahre durch Tarifverträge und nicht durch
Gesetze der Bundesregierung – darauf haben Sie ja Wert
gelegt – dazu herangezogen werden soll, Gehaltsverzicht
zu üben und in einen Tariffonds einzuzahlen? Hat die
Bundesregierung Modellberechnungen dazu aufgestellt,
welche Entlastungen Sie dieser Generation, die jetzt
über fünf Jahre Sonderbeiträge zu bezahlen hat, in den
Sicherungssystemen insgesamt anbieten kann?
U
Herr Abge-
ordneter Weiß, ich habe ja schon deutlich gemacht, daß
die Frage der Wiederbesetzung schwer abschätzbar ist,
weil es auf die jeweilige Branche ankommt, in der sich
das alles abspielt. Von daher sind präzise Aussagen zu
der von Ihnen gestellten Frage nicht möglich. Es kommt
darauf an, wie viele Arbeitsplätze wiederbesetzt werden
und wie sich die Situation insgesamt entwickelt. Das
werden wir dann konkret in den einzelnen Branchen
feststellen und an Hand dieser Daten Berechnungen an-
stellen.
Das Wort zu einer
Frage hat nun der Kollege Niebel.
Frau Staatssekretärin, meine
Frage schließt sich im Grunde an die des Kollegen Weiß
an. Bei einer Rente ab 60 hätten wir ja tatsächlich die
Situation, daß gerade die jüngere Generation dadurch
zusätzlich belastet wird, daß sie einen Beitrag für eine
Leistung aufbringen muß, in deren Genuß sie nie kom-
men wird, zugleich aber – das wissen wir alle – noch
weitere Eigenvorsorge wird betreiben müssen, um einen
annähernd gesicherten Lebensstandard im Alter zu ha-
ben. Inwiefern deckt sich das mit dem Anspruch der
Bundesregierung – mit dem sind Sie ja angetreten –, für
mehr Generationengerechtigkeit zu sorgen?
U
Herr Niebel,
die Frage ist, wie Sie Generationengerechtigkeit definie-
ren.
– Ich weiß nicht, was an dieser Aussage komisch ist.
Aber Ihr Humor sei Ihnen unbenommen.
Die Frage ist, ob wir mehr Generationengerechtigkeit
dadurch erreichen, daß der jüngeren Generation bessere
Chancen auf einen Erwerbsarbeitsplatz gegeben werden,
oder dadurch, daß wir die junge Generation bei den
Beitragszahlungen entlasten – das hat die neue Bundes-
regierung gemacht –, oder dadurch, daß wir über tarif-
vertragliche Vereinbarungen eine Zusatzversorgung er-
möglichen. Welche Maßnahme das höhere Maß an Ge-
nerationengerechtigkeit bietet, hängt von der individu-
ellen politischen Wertung ab, die Sie vornehmen.
Ich kann mir vorstellen, daß für einen arbeitslosen
Jugendlichen ein Arbeitsplatz das höchste Maß an Gene-
rationengerechtigkeit ist,
daß aber für jemanden, der einen Arbeitsplatz hat und
gut verdient, die Möglichkeit, in eine private Zusatzvor-
sorge einzusteigen, ein Ausdruck von Generationenge-
rechtigkeit ist. Für die große Mehrheit der Beitragszah-
ler wiederum ist die Tatsache, daß der Beitragssatz ge-
senkt worden ist und dauerhaft bei ungefähr 20 Prozent
liegt, ein Ausdruck von Generationengerechtigkeit.
Die zweite Frage,
Herr Kollege Niebel.
Auf Grund Ihrer Antwort ver-
mute ich, daß wir den Begriff „Generationengerechtig-
keit“ unterschiedlich definieren. Mich interessiert es
deswegen sehr, wie Sie den Umstand beurteilen, daß die
Bundesregierung im Vorfeld der Überlegungen zur
„Rente mit 60“ nicht berechnet hat, mit welchen Aus-
fällen bei Beiträgen und Steuern zu rechnen ist. Inwie-
weit beurteilen Sie diese Vorgehensweise der Bundes-
regierung als vorausschauende Politik?
U
Die Bundes-
regierung hat eine Abschätzung vorgenommen und da-
mit vorausschauend politisch gehandelt. Aber die von
Ihnen geforderten präzisen Zahlen können wegen der
noch nicht erkennbaren konkreten Ausgestaltung der Ta-
riffonds und ihrer noch nicht abschätzbaren Inanspruch-
nahme im Moment nicht vorgelegt werden.
Nun hat der Kollege
Storm eine Frage.
Frau StaatssekretärinMascher, vor einigen Tagen sind zwei Papiere in die Öf-fentlichkeit gelangt, in denen Abteilungsleiter aus demBundesarbeitsministerium und dem Bundeskanzleramtrentenpolitische Strategien im Hinblick auf SPD-Wahl-Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5533
(C)
(D)
erfolge bei den kommenden Landtagswahlen und imHinblick auf den SPD-Bundesparteitag im Dezemberentwickelt haben. Die Existenz dieser Papiere wird zwarnicht mehr bestritten. Aber der Bundesarbeitsministerhat behauptet, daß er die genannten Papiere nicht kenne.Nun ist auf der Titelseite des Papiers aus dem Bundes-kanzleramt vom 8. Oktober 1999 allerdings vermerkt,daß es der Leitung des BMA vorliege. Kann die Bundes-regierung diesen Widerspruch aufklären?U
Ich kann die
Erklärung des Bundesarbeitsministers nur bestätigen,
daß ihm dieses Papier nicht vorgelegen hat und daß es
bei dem Strategiegespräch, auf das dieses Papier gezielt
hat, keine Rolle gespielt hat.
Die zweite Frage,
Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin,
wenn es heißt, daß ein solches Papier der Leitung des
Ministeriums vorliegt, bedeutet das dann etwa, daß
Staatssekretäre dem Minister solche Papiere vorenthal-
ten, oder bedeutet das, daß die Abteilungsleiter diese
Angabe fälschlicherweise gemacht haben?
U
Es bedeutet
ganz sicher nicht, daß Staatssekretäre dem Minister Pa-
piere vorenthalten. Ich glaube auch nicht, daß Abtei-
lungsleiter in diesem Zusammenhang falsche Erklärun-
gen abgegeben haben. Es war vielmehr ein Papier, das
der Vorbereitung diente, aber nicht weitergegeben wor-
den ist, weil es verworfen wurde und weil es keine Rolle
bei den entscheidenden Gesprächen gespielt hat.
Nun hat der Kollege
Meister eine Frage.
Frau Präsidentin,
Frau Staatssekretärin Mascher, ich hätte eine Frage zu
Ihrer Antwort, die Sie vorhin der Kollegin Blank gege-
ben haben. Das bezieht sich auf den Vorschlag von
Herrn Kollegen Riester, die Beiträge der Arbeitnehmer
zu den Tariffonds steuerfrei zu stellen. Sie haben vorhin
vorgetragen, daß das Bundesfinanzministerium an der
Erarbeitung der Vorschläge in München beteiligt war.
Meine Frage geht dahin: Waren die Vorschläge von
Herrn Riester, die er in München zu dem eben genann-
ten Punkt unterbreitet hat, mit dem Bundesfinanzmi-
nisterium abgestimmt? Das heißt im Klartext: Hat das
Bundesfinanzministerium diesen Vorschlag mitgetragen,
und trägt es diesen mit?
U
Das Bundes-
finanzministerium hat Vorschlägen, daß Mittel von den
Arbeitgebern unmittelbar in solche Tariffonds einge-
speist werden, zugestimmt. Das kann so ausgestaltet
werden, daß keine Steuerbelastung anfällt. Das ist keine
neue Erkenntnis, wie Ihnen Ihr Nachbar, Herr Göhner,
sicher bestätigen wird.
Die zweite Zusatz-
frage.
Ich hatte eben
nicht nach den Arbeitgebern gefragt, Frau Staatssekretä-
rin, sondern nach den Arbeitnehmern und der Steuerfrei-
stellung der Beiträge der Arbeitnehmer zu diesen Tarif-
fonds. Ich möchte die Frage deshalb wiederholen: Was
geschieht konkret mit den Steuerausfällen durch die
Beiträge der Arbeitnehmer, und hat das Bundesfinanz-
ministerium diesen Vorschlag zu dem damaligen Zeit-
punkt nicht nur begleitet, sondern ihm auch ausdrücklich
zugestimmt, und war dieser Vorschlag abgestimmt?
U
Da die kon-
krete Ausgestaltung dieser Tariffonds – ich wiederhole
das – in Verhandlungen zwischen den Tarifvertragspar-
teien festgelegt wird und uns derzeit nicht vorliegt, kann
ich Ihnen dazu auch keine Antwort geben.
Nun hat der Kollege
Holetschek eine Frage.
Frau Staatssekretä-
rin, ich darf an die Frage des Kollegen Storm anknüpfen.
Wenn dieses Papier weder dem Bundesarbeitsminister
noch Ihnen bekannt war, dann können Sie sicher die
Identität dessen ermitteln, der es dann verworfen hat.
Wer hat es verworfen?
U
Ich habe hier
keine Veranlassung, Spekulationen, die Sie anstellen, zu
kommentieren. Ich kann Ihnen nur sagen, daß dieses Pa-
pier dem Arbeitsminister und den Staatssekretären nicht
vorgelegen hat, daß es ein Arbeitspapier der Arbeitsebe-
ne war und daß es hier offensichtlich keine Rolle mehr
gespielt hat.
Noch eine Frage,
Herr Kollege Holetschek.
Frau Staatssekretä-rin, stimmen Sie mir zu, daß anscheinend im Arbeitsmi-nisterium erheblicher Koordinierungsbedarf besteht, wasdie Leitungsebene usw. angeht?Andreas Storm
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5534 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
(C)
U
Dem kann ich
nicht zustimmen. Wir koordinieren uns gut.
Jetzt hat der Kollege
Strobl eine Frage.
Frau Staatssekretärin,
ich wollte nur fragen, ob dieses interne Papier Ihnen
persönlich zur Kenntnis gelangt ist.
U
Nein.
Nun hat die Kollegin
Bonitz eine Frage.
Vielleicht darf ich daran
anknüpfen. Wenn dieses Papier weder dem Minister
noch Ihnen bekannt ist: Welche Arbeitsebene in Ihrem
Ministerium ist dann befugt, ein solches Papier, das für
die Leitung des Hauses vorgesehen ist, zu verwerfen?
Das scheint eine grundsätzliche Fragestellung zu sein,
auch wenn Sie es in diesem Einzelfall jetzt nicht wissen.
U
Es werden in
allen Ministerien laufend Arbeitspapiere erstellt,
die dann auf welcher Ebene auch immer verworfen wer-
den, weil man sie nicht mehr für zielführend hält und
von daher dann eben auch nicht an die Leitungsebene
weitergibt.
Ich rufe jetzt die
Fragen 24 und 25 des Kollegen Heinz Schemken auf:
Sieht die Bundesregierung Erfolgsaussichten für die Durch-setzung des Modells der „Tariffonds“ im Rahmen des „Bünd-nisses für Arbeit“, obwohl die Arbeitgeber erklärtermaßen derEinführung von „Tariffonds“ nicht zustimmen werden?
Wie steht die Bundesregierung zu der Tatsache, daß durchdie Einführung von „Tariffonds“ die Lohnnebenkosten erhöhtwerden und dies im direkten Widerspruch zu dem erklärten Zielder Bundesregierung steht, die Lohnnebenkosten zu senken?
Zur Beantwortung steht weiterhin Frau Staatssekretä-
rin Frau Ulrike Mascher zur Verfügung. Frau Staatsse-
kretärin, bitte schön.
U
Am 7. De-
zember 1998 haben sich unter Leitung von Bundes-
kanzler Gerhard Schröder die Vertreter von Regierung,
Gewerkschaften und Arbeitgeber in einer gemeinsamen
Erklärung unter anderem darauf verständigt, flexibili-
sierte und verbesserte Möglichkeiten für das vorzeitige
Ausscheiden im Rahmen der bestehenden gesetzlichen
Altersgrenzen durch gesetzliche, tarifvertragliche und
betriebliche Regelungen anzustreben. Das von Bundes-
minister Riester in der letzten Arbeitsgruppensitzung am
21. September 1999 den Bündnispartnern vorgelegte
Konzept für eine vorgezogene Tarifrente zeigt Wege
auf, wie die Tarifvertragsparteien dieses gemeinsame
Ziel verwirklichen könnten.
Dabei ist die Bildung von Tariffonds eine der denkba-
ren Möglichkeiten. Die Frage, ob und wie dieser Weg
von den Tarifvertragsparteien beschritten wird, das
heißt, ob es zur Bildung von Tariffonds oder zu Lösun-
gen auf betrieblicher Ebene kommt, berührt Angelegen-
heiten, die ausschließlich in der Verantwortung der Ta-
rifsvertragsparteien liegen.
Erste Frage, Herr
Kollege Schemken.
Ich habe eine Zu-
satzfrage, Frau Staatssekretärin Mascher, die sich auf
das demographische Problem bezieht, das vor dem Hin-
tergrund der Tatsache zu betrachten ist, daß Männer be-
reits heute – das ist mit Zahlen zu belegen – in den alten
Bundesländern mit 59 Jahren und in den jungen Bun-
desländern sogar mit 57 Jahren und neun Monaten, also
mit unter 60 Jahren, in Rente gehen. Ist es angesichts
dessen zu vertreten, daß das Renteneintrittsalter auf
60 Jahre gesenkt wird? Gibt es Berechnungen dazu, in
welchem Umfang unter dieser neuen Linie Menschen
früher in Rente gehen, und ist dabei die demographische
Problematik berücksichtigt worden, nämlich daß sich die
Zahl der 60jährigen in den nächsten vierzig Jahren sogar
verdoppeln wird?
U
Herr Schem-ken, die Zahlen, die Sie zu dem realen Zugangsalter ge-nannt haben, das jenseits aller gesetzlichen Altersgren-zen, jenseits der Bemühungen, durch eine Anhebung dergesetzlichen Altersgrenzen Einfluß zu nehmen, liegt,haben verschiedene Ursachen. Sie resultieren vor allemaus der Frühverrentungspraxis, die bis 1996 gegoltenhat. Wir haben einen erheblichen Anteil von Frühver-rentungen wegen gesundheitlicher Einschränkungen.Ich denke, wir alle sollten gemeinsam versuchen, An-strengungen zu unternehmen, um durch Gesundheits-prävention, durch Arbeitsschutz in den Betrieben Ar-beitsbedingungen zu schaffen – dazu gehört auch dieSchaffung von geeigneten Arbeitsbedingungen für Älte-re –, die eine längere Erwerbstätigkeit ermöglichen. Siewissen selbst sehr gut, wie die Haltung in vielen Betrie-ben gegenüber älteren Arbeitnehmern ist. Ich denke, Sie
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5535
(C)
(D)
bedauern es genauso wie ich, daß wir eine sehr jugend-zentrierte Personalpolitik haben. Ich meine, da muß sichetwas ändern, wobei das nicht ausschließlich in der Ver-antwortung der Regierung liegt; vielmehr sind da auchdie Tarifpartner gefordert.
Zweite Frage, Herr
Kollege.
Ist vor diesem Hin-
tergrund nicht auch zu bedenken, daß bei einer Senkung
des Renteneintrittsalters die Höhe der Rente nicht
durchzuhalten ist, sondern daß sie reduziert werden
muß? Sind diese Gesichtspunkte berücksichtigt worden?
U
Herr Schem-
ken, es ist, glaube ich, inzwischen bei fast allen Parteien
in diesem Hause eine gesicherte Erkenntnis, daß wir ei-
ne Absenkung des Rentenniveaus in Kauf nehmen müs-
sen, um auch in Zukunft eine stabile Finanzierung der
Rentenversicherung bei verträglichen Beiträgen zu ha-
ben, daß wir aber auch alle Anstrengungen unternehmen
müssen, um jenseits der Frage der gesetzlichen Grenzen
ein höheres Rentenzugangsalter zu erreichen. Dabei
wird in Zukunft sicherlich auch die Frage des Arbeits-
marktes eine Rolle spielen, wobei die demographische
Entwicklung, nämlich der Rückgang des Arbeitskräfte-
potentials, auch eine positive Wirkung haben kann.
Dritte Frage, Herr
Kollege.
Vor diesem Hinter-
grund, Frau Staatssekretärin, stellt sich die Frage, wie
Sie, was den Tariffonds angeht, die Finanzierung ge-
stalten wollen. Sie propagieren das Dreisäulenmodell.
Die eine Säule bildet die Rente. Sie haben eben darauf
hingewiesen, daß die Höhe der Rente nicht zu halten
sein wird. Sie propagieren darüber hinaus die Säule der
Betriebsrente oder der Tariffonds; ich will es einmal so
deuten. Ferner kann möglicherweise die Vermögensbil-
dung einfließen. Ich gehe davon aus, daß ich, soweit es
mir möglich ist, hier sachlich vortrage.
Eigentlich müssen
Sie eine Frage stellen, Herr Kollege.
Ja. – Vor dem Hin-
tergrund, daß das Kapitaldeckungsverfahren als dritte
Säule genannt wird, frage ich Sie, wie der Arbeitnehmer
es bewältigen soll, gleichzeitig in den Tariffonds einzu-
zahlen und ein Kapitaldeckungsverfahren zu bedienen.
U
Die Antwort,
die Ihnen Ihr Kollege Hörster gegeben hat, nämlich daß
das zum einen in der Verantwortung der Tarifvertrags-
parteien liegt, ist in der Tat richtig. Zum anderen schaf-
fen wir durch die Entlastung der Beitragssätze, durch die
Entlastung der Arbeitnehmer und durch eine Steuerpoli-
tik, die die unteren und mittleren Einkommen entlastet,
Spielraum für solch eine zusätzliche Altersvorsorge, die
wir für richtig und notwendig halten. Wenn ich das
richtig verstehe, wird das auch in Kreisen der CDU, je-
denfalls von denjenigen, die hier verantwortungsvoll
handeln wollen, für richtig gehalten.
Die vierte Zusatz-
frage, Herr Kollege Schemken.
Meine vierte Frage
ist auch deswegen grundsätzlicher Natur, weil dabei der
runde Tisch beim Kanzler eine Rolle spielt. Aber steht
es nicht außer Frage – da beißt die Maus doch keinen
Faden ab –, daß der Rückgang der Beschäftigung – die-
ser ist eindeutig klar, da nie 1 : 1 wiederbesetzt wird –
zu geringeren Beiträgen führt, so daß wir letztlich eine
höhere Belastung der Arbeit noch fördern und damit der
Generationenvertrag im Grunde genommen nicht geför-
dert wird?
U
Herr Schem-
ken, wenn nicht 1 : 1 wiederbesetzt wird, liegt das daran,
daß in den Betrieben Rationalisierungsmaßnahmen statt-
finden, und zwar unabhängig davon, ob es einen solchen
Tariffonds gibt oder nicht. Wenn die Betriebe die Chan-
ce haben, durch den Einsatz von Maschinen oder den
Einsatz moderner Kommunikationstechnologien zu ra-
tionalisieren, dann rationalisieren sie. Von daher denke
ich, daß die Frage, wie sich das Erwerbstätigenvolumen
entwickelt, ein Stück weit vom technologischen Fort-
schritt abhängt. Ich glaube nicht, daß wir hier negative
Auswirkungen durch den Tariffonds erwarten müssen.
Im Gegenteil, hier wird versucht, einen möglichen Spiel-
raum zu nutzen, um Jüngeren eine Chance zu geben.
Nun hat der Kollege
Peter Dreßen eine Frage. Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, nach-dem der Vorsitzende der IG Metall, Klaus Zwickel, demArbeitsminister das Angebot unterbreitet hat, die Rentemit 60, den Vorruhestand oder wie immer man das nen-nen will per Tariffonds zu ermöglichen, und er ihn ge-beten hat, das unter Umständen gesetzlich zu begleiten:Können Sie sich vorstellen, was in der Öffentlichkeit mituns passiert wäre und vor allen Dingen, was die Oppo-sition mit uns veranstaltet hätte, wenn der Arbeitsmi-nister dieses Angebot, das die Rentenversicherung, wiegesagt, keinen Pfennig kostet, abgelehnt hätte?
Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
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5536 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
(C)
U
Ja, ich kann
mir das vorstellen. Ich denke, es ist richtig, jede Mög-
lichkeit zu nutzen, um die Erwerbschancen für Jüngere
zu verbessern, wenn ich das auch nicht für ein Patentre-
zept halte. Ich beziehe mich da noch einmal auf den Prä-
sidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Herrn Jagoda, der
ebenfalls in diesem Zusammenhang begrüßt hat, daß die
Erwerbschancen verbessert werden.
Eine weitere Zusatz-
frage, Herr Kollege? – Nein. Nun kommt der Kollege
Storm mit einer Frage.
Frau Staatssekretärin
Mascher, am vergangenen Wochenende hat Bundeswirt-
schaftsminister Müller sich öffentlich skeptisch hin-
sichtlich der Finanzierbarkeit der Rente ab 60 geäußert
und gesagt, er sei gespannt, wie das funktionieren solle.
Darüber hinaus hat er darauf verwiesen, daß bei solchen
Programmen nur jeder siebte bis jeder fünfte Arbeits-
platz der durch die Frühverrentung frei wird, wiederbe-
setzt wird. Gehe ich recht in der Annahme, daß der Vor-
schlag des Bundesarbeitsministers nicht mit dem Bun-
deswirtschaftsminister abgestimmt war?
U
Herr Storm,
ich verweise noch einmal auf eine Antwort, die ich
schon vor einigen Minuten gegeben habe. Ich habe
nämlich gesagt, daß die Frage der Wiederbesetzung sehr
unterschiedlich zu beurteilen ist, je nach Branche. Ich
denke, man kann auch die Erfahrungen aus der Vergan-
genheit nicht einfach nur linear hochrechnen, weil in-
zwischen in der Tat der Umstrukturierungsprozeß und
der Rationalisierungsgrad in vielen Branchen weiter
fortgeschritten sind, so daß mit einer höheren Wiederbe-
setzungsquote in einzelnen Branchen – ich betone das –
zu rechnen ist.
Die Erklärung des Wirtschaftsministers Müller, daß
er gespannt darauf ist, wie die Tarifvertragsparteien das
lösen, ist eine Äußerung, die ich nicht zu kommentieren
habe.
Eine weitere Frage,
Herr Kollege. Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin
Mascher, ich entnehme Ihrer Antwort, daß es wohl nicht
mit dem Wirtschaftsminister abgestimmt war; denn er
hat ja die Sicht der Dinge, die Sie vorgetragen haben,
erkennbar nicht geteilt. Meine Frage: Trifft es zu, daß
die Vorgehensweise des Bundesarbeitsministers auch
mit dem Bundeskabinett insgesamt nicht abgestimmt
war?
U
Das ist nicht
Gegenstand von Kabinettsbefassungen, da es sich hier
nicht um eine Aktion der Bundesregierung handelt.
Vielmehr geht es darum, Initiativen der Tarifvertrags-
parteien zu begleiten, und darum – das hat mein Kollege
Dreßen hier angesprochen –, ein Angebot, das von einer
Gewerkschaft gemacht wird, nicht von vornherein zu-
rückzuweisen. Es muß auch unter dem Gesichtspunkt
gesehen werden, daß es Chancen für Erwerbstätigkeit
bietet.
Das Problem ist, wie gesagt, nicht in der Verantwor-
tung der Bundesregierung, sondern in der Verantwor-
tung der Tarifvertragsparteien zu lösen.
Nun hat der Kollege
Meckelburg eine Frage.
Frau Staatsse-
kretärin, Sie haben gerade auf den Kollegen Dreßen Be-
zug genommen, der ja eben gefragt hat, was denn wohl
passiert wäre, wenn die Gesprächsangebote von Herrn
Zwickel von der Regierung direkt zurückgewiesen wor-
den wären. Meine Frage ist: Hätten Sie es nicht ehrlicher
gefunden, wenn man von vornherein gesagt hätte: „Wir
als Regierung werden da nichts tun; das ist Sache der
Tarifvertragsparteien“, statt ständig herumzueiern und
an einem Tag zu sagen: „Wir führen Gespräche; wir ma-
chen Modelle“ und am nächsten Tag zu sagen: „Es ist
kein Modell“? Wäre man nicht ehrlicher gewesen, wenn
man gesagt hätte: „Mit uns nicht“?
U
Herr Meckel-
burg, können Sie sich vorstellen, daß es sehr sinnvoll ist,
Gespräche mit einem großen Verband, mit einer großen
Gewerkschaft abzulehnen? Ich halte das nicht für sinn-
voll.
Noch eine Frage,
Herr Kollege Meckelburg? – Bitte sehr.
Ich habe da-
nach gefragt, ob es nicht von vornherein – so haben Sie
es eben auch formuliert – ehrlicher gewesen wäre zu sa-
gen: Wir führen darüber ein Gespräch, aber wir als Bun-
desregierung werden uns nicht an einem Ergebnis betei-
ligen; das ist Sache der Tarifvertragsparteien.
Es gab ja zwei Tage lang ein Hin und Her, ein Herum-
geeiere, so daß man stündlich Nachrichten hören mußte,
wenn man wissen wollte, was denn nun Sache im Ar-
beitsministerium ist.
U
Herr Meckel-burg, wenn Sie die Erklärungen des Arbeitsministers,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5537
(C)
(D)
wie ich einmal annehme, präzise gelesen haben, dannwerden Sie wissen, daß der Arbeitsminister nichts ande-res gesagt hat, nämlich daß es nicht in der gesetzlichenRentenversicherung zu regeln ist, daß er aber Gesprächeführt, um solche Angebote von Tarifpartnern, von Ge-werkschaften im Interesse von Jugendlichen und jungenErwachsenen, die dadurch möglicherweise eine bessereChance auf einen Erwerbsarbeitsplatz bekommen, posi-tiv zu begleiten.
Nun hat die Kollegin
Schnieber-Jastram eine Frage.
Frau
Staatssekretärin, ich habe doch noch eine Frage, weil ich
finde, daß einige Äußerungen vorhin etwas wider-
sprüchlich waren. Ich komme noch einmal auf das Pa-
pier zurück, das die Runde gemacht hat. Dem Vermerk
des Bundeskanzleramts vom 8. Oktober kann ich ent-
nehmen – ich zitiere –, daß das Papier der Leitung des
Bundesministeriums für Arbeit vorliegt. Sie haben sehr
deutlich gesagt, es habe der Leitung nicht vorgelegen.
Deswegen meine Frage: Wer sagt hier die Unwahrheit?
Ist es das Kanzleramt, das die Unwahrheit sagt?
U
Das steht in
dem Papier. Ich kann für Sie nur noch einmal wieder-
holen: Es hat der Leitung des Bundesarbeitsministeri-
ums nicht vorgelegen.
Zweite Frage, Frau
Kollegin.
Frau
Staatssekretärin, noch einmal: Es ist ja klar, daß irgend
jemand nicht die Wahrheit gesagt hat, entweder das
BMA oder das Kanzleramt. Sie bekunden hier ja sehr
deutlich, daß Sie der Meinung sind, Ihnen habe es nicht
vorgelegen. Dann muß ja offensichtlich das Bundes-
kanzleramt die Unwahrheit sagen.
In dem Zusammenhang habe ich die Frage: Schließen
Sie hier aus, daß einer der Beamten des Bundesministe-
riums für Arbeit das Haus verlassen muß, und schließen
Sie aus, daß der Bundesminister für Arbeit wegen einer
unwahren Äußerung zurücktritt?
U
Ich schließe
eine unwahre Äußerung des Bundesarbeitsministers aus.
Ich halte auch den Schluß, den Sie hier ziehen, daß das
Bundeskanzleramt zu einem Papier die Unwahrheit sagt,
das auf Arbeitsebene erstellt worden ist, für falsch. Es
hat – wie ich noch einmal wiederhole – bei dem Strate-
giegespräch, auf das es sich bezieht, keine Rolle gespielt
und hat auch dem Arbeitsminister nicht vorgelegen. Ich
kann Ihre Schlußfolgerungen bezüglich der Unwahrheit
nicht nachvollziehen.
Nun kommt der
Kollege Meister mit einer Frage.
U
Ich habe sie
vielleicht nicht so beantwortet, wie Sie sich das ge-
wünscht haben.
Wir haben gehört,
daß die vorgeschlagene Rente mit 60 zunächst einmal
auf fünf Jahrgänge befristet sein soll und deshalb auch
nur fünf Geburtsjahrgänge in den Genuß dieser Rege-
lung, wenn sie denn realisiert würde, kommen könnten.
Gleichzeitig diskutieren wir momentan das Haus-
haltssanierungsgesetz, in dessen Rahmen der Bundes-
kanzler insbesondere in seinen öffentlichen Stellung-
nahmen immer wieder darauf hinweist, daß das Ge-
meinwohl vor Partikularinteressen und Gruppeninteres-
sen gehen muß.
Wie passen diese beiden Äußerungen – einerseits
fünf Jahrgänge eindeutig zu Lasten der Gesellschaft zu
begünstigen und andererseits zu sagen, daß bei dieser
Bundesregierung das Gemeinwohl grundsätzlich vor
Gruppeninteressen gehen soll – zusammen?
U
Erstens –auch wenn es Sie langweilt – betone ich noch einmal,daß es sich hier um die Absicht von Tarifvertragspartei-en handelt, eine solche Regelung zu treffen.Zweitens dürfte es Ihnen nicht entgangen sein, daßZiel der IG Metall – das ist immer wieder erklärt worden– ist, hierdurch die Chance für jüngere Arbeitnehmer zuverbessern, einen Erwerbsarbeitsplatz zu finden, unddaß die IG Metall bereit ist, hierfür in die Tarifverträgeeinen Teil des ihr zur Verfügung stehenden Spielraumseinzubringen. Ich finde, dies ist eine solidarische An-strengung, die sich die IG Metall hier vornimmt. Ob esihr gelingt, hängt auch von den Diskussionen innerhalbder Gewerkschaft ab. Aber wir sollten dies nicht so ab-werten, wie Sie das tun. Ob das aus Ihrer Sicht der rich-tige Weg ist, mögen Sie entscheiden. Aber daß eine Ge-werkschaft mit dem Ziel, Arbeitslosen eine Chance zugeben, bereit ist, in Tarifverhandlungen auf möglicheGehaltssteigerungen zu verzichten, finde ich erst einmalaller Ehren wert.
Ich finde, das ist ein solidarischer Beitrag.
Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
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Ob es gelingt, werden die Tarifverhandlungen zeigen.Aber ich finde die Abwertung, die dieser Vorschlag er-hält, dem Problem nicht angemessen.
Eine zweite Frage,
Herr Kollege Meister, bitte sehr.
Frau Präsidentin,
ich würde gern eine Nachfrage konkret zu dieser Ant-
wort stellen. Sie haben gesagt, die IG Metall habe sich
in den Gesprächen verpflichtet, in den kommenden Ta-
rifrunden Abschläge, die dann in den Tariffonds fließen
sollen, hinzunehmen. Gibt es hierzu konkrete Abspra-
chen? Wenn ja, welcher Art sind diese? Was hat die IG
Metall konkret zugesagt, welche Lohnabschläge sie ein-
bringen will?
U
Herr Meister,
ich weiß nicht, ob Sie jemals an Tarifverhandlungen
teilgenommen haben. Ich habe an Tarifverhandlungen
mit der IG Metall teilgenommen. Es wird immer über
ein bestimmtes Volumen verhandelt. Es wird darüber
gestritten, ob dies in die Arbeitszeitverkürzung, in den
Urlaub oder in andere Leistungen fließt und wie sich das
auf die Gehaltssteigerungen auswirkt.
Die IG Metall wird doch nicht, bevor sie in solche
Tarifverhandlungen geht, öffentlich erklären, was sie in
diese Verhandlungen wie einbringt. Sie hat sich bereit
erklärt, das im Rahmen von Tarifverhandlungen zu re-
geln, und hat ihre Vorstellungen dazu genannt. Aber wie
die Verhandlungsstrategie im einzelnen aussieht, sollten
wir in der Tat den Tarifvertragsparteien überlassen.
Nun rufe ich die
Fragen 26 und 27 des Kollegen Johannes Singhammer
auf:
Müßte bei Einführung von „Tariffonds“ das Rentenalter von63 bei der Rente wegen langjähriger Versicherung abgesenktwerden?
Inwieweit würde das Nettorentenniveau in der gesetzlichenRentenversicherung durch die Einführung von „Tariffonds“ ab-gesenkt werden?
Ich weise darauf hin, daß die CDU/CSU-Fraktion ei-
ne Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt hat.
Deswegen bitte ich Sie, zu erwägen, die Behandlung
dieser Fragen nicht allzu sehr auszudehnen, zumal dann
auch noch andere Fragen beantwortet werden könnten.
Zur Beantwortung der aufgerufenen Fragen steht Frau
Staatssekretärin Ulrike Mascher zur Verfügung. Frau
Staatssekretärin, bitte.
U
Zunächst zur
Frage 26: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für ei-
nen vorzeitigen Rentenbezug für langjährig Versicherte
werden hergestellt, wenn es im „Bündnis für Arbeit“ zu
einer entsprechenden einvernehmlichen Empfehlung
kommt. Die Bundesregierung wird tarifliche Vorschläge
in diesem Bereich nur unterstützen können, die außer-
halb der Rentenversicherung finanziert werden.
Nun zur Frage 27: Das Nettorentenniveau ist als das
Verhältnis der Nettorente eines Durchschnittsverdieners
mit 45 Versicherungsjahren zum Durchschnittseinkom-
men der Arbeitnehmer definiert. Durch die Einführung
von Tariffonds ändert sich dieses Verhältnis nicht. Das
Nettorentenniveau bleibt somit unverändert.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Frau Staats-
sekretärin, halten Sie es angesichts der demographischen
Entwicklung, die hier jedermann kennt, wirklich für den
Königsweg bei der Lösung der ungeheuren Rentenpro-
blematik, die vor uns liegt, wenn wir jetzt eine Frühver-
rentung in großem Stil betreiben?
U
Herr
Singhammer, es gibt überhaupt keinen Königsweg, son-
dern es geht darum – ich wiederhole es –, mit Tarif-
fonds, die außerhalb der Rentenversicherung finanziert
werden, jüngeren Arbeitnehmern eine Chance auf Er-
werbsarbeitsplätze zu eröffnen. Die demographischen
Probleme sind unbestreitbar; aber sie sind in den näch-
sten fünf Jahren noch nicht dramatisch. Sie werden erst
nach dem Jahr 2010 – hier gibt es unterschiedliche Pro-
gnosen – immer drängender. Für die begrenzte Absicht
der IG Metall ist die demographische Entwicklung kein
Hinderungsgrund. Es geht um die Frage, ob das Volu-
men, das hierfür notwendig ist, von den Tarifvertrags-
parteien solidarisch aufgebracht wird.
Die zweite Frage,
Herr Kollege.
Frau Staats-
sekretärin, welche Auswirkungen auf die Einstellungs-
chancen von älteren Arbeitnehmern, die in das Alter
kommen, in dem bald eine Frühverrentung möglich wä-
re, erwarten Sie, falls die jetzt angedachte Regelung
umgesetzt wird? Sind Sie mit mir der Meinung, daß die
in Rede stehende Regelung die Einstellungschancen von
älteren Arbeitnehmern eher erschwert als erleichtert?
U
HerrSinghammer, ich kenne wahrscheinlich genauso wie Siedie großen Probleme, die ältere Arbeitnehmerinnen undältere Arbeitnehmer haben, eingestellt zu werden. Insge-samt geht die Entwicklung – das habe ich schon auf dieFrage des Kollegen Schemken gesagt – hin zu einerstark jugendzentrierten Personalpolitik, um es einmal soauszudrücken. Gerade im Zusammenhang mit der de-Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5539
(C)
(D)
mographischen Entwicklung brauchen wir eine Einstel-lungsveränderung bei den großen Betrieben, weil es aufdie Dauer keine Volkswirtschaft aushält, wenn qualifi-zierte und motivierte ältere Arbeitnehmer und Arbeit-nehmerinnen quasi zum alten Eisen erklärt und nicht ge-fördert werden. Ich sehe diese Entwicklung mit großerSorge. Aber die Einführung von Tariffonds verstärktdiesen generellen Trend hin zu einer jugendzentriertenPersonalpolitik nicht; vielmehr haben wir es mit einerEntwicklung zu tun, die leider insgesamt vorherrscht.
Nun die dritte Frage.
Frau Präsi-
dentin, ich verzichte auf weitere Fragen.
Die nächste Frage
stellt der Kollege Dr. Göhner.
Frau Staatsse-
kretärin, Sie haben eben bei der Beantwortung der Frage
26 des Kollegen Singhammer, wie mir scheint, eine be-
sonders wichtige Mitteilung gemacht, als Sie sagten,
eine gesetzliche Regelung zur Herabsetzung des Ren-
teneintrittsalters für langjährig Versicherte werde von
der Bundesregierung vorgelegt, wenn ein Einvernehmen
darüber im „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wett-
bewerbsfähigkeit“ erzielt sein sollte. Heißt dies umge-
kehrt, daß dann, wenn es im „Bündnis für Arbeit, Aus-
bildung und Wettbewerbsfähigkeit“ kein Einvernehmen
in der Frage der Herabsetzung der gesetzlichen Alters-
grenzen gibt, die Bundesregierung auch keine gesetzli-
che Initiative ergreifen wird?
U
Herr Göhner,
ich hoffe, daß es im Interesse der jüngeren Arbeitnehmer
im „Bündnis für Arbeit“ ein Einvernehmen in dieser
Richtung gibt. Denn ich würde es sehr bedauern, wenn
im „Bündnis für Arbeit“ dieses Angebot einer großen
Gewerkschaft, jüngeren Arbeitnehmern Chancen zu er-
öffnen, abgelehnt würde, insbesondere wenn man be-
rücksichtigt, daß diese Regelung außerhalb der gesetzli-
chen Rentenversicherung finanziert würde und damit zu
keiner zusätzlichen Beitragsbelastung führte.
Haben Sie noch eine
Frage, Herr Kollege? – Bitte.
Frau Staatsse-
kretärin, Ihr Bedauern über einen etwaig fehlenden Kon-
sens in dieser Frage kann ich nachvollziehen. Da im
„Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfä-
higkeit“ bisher ausdrücklich schriftlich vereinbart wur-
de, nicht für eine Änderung der gesetzlichen Altersgren-
zen einzutreten, frage ich Sie noch einmal: Wenn es, wie
zum Beispiel die Arbeitgeber öffentlich erklärt haben,
bei dieser Position bleibt – es also keine einvernehmli-
che Änderung dieser Position gibt –, wird das dann be-
deuten, daß Sie hier keine Gesetzgebungsinitiative er-
greifen?
U
Herr Göhner,
ich denke, daß es durchaus möglich wäre, sich darauf zu
verständigen, im Rahmen der Vereinbarung keine Ände-
rung der gesetzlichen Altersgrenzen vorzunehmen. Denn
es handelt sich ja nicht um eine Änderung der Alters-
grenzen, sondern darum, einer bestimmten Personen-
gruppe, nämlich langjährig Versicherten, Zugang zur
vorgezogenen Rente zu eröffnen – eine Regelung, die
nicht im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung,
sondern von den Tarifvertragsparteien finanziert würde.
Damit sind wir am
Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für
Arbeit und Sozialordnung. Nun bitte ich Sie alle, meine
Damen und Herren, der Kollegin Ulrike Mascher einmal
Applaus zu zollen. Sie hat sich wacker geschlagen in
dieser Fragestunde. Herzlichen Dank dafür, daß Sie die
Fragen beantwortet haben!
– Sportlicherweise hätten Sie ruhig alle Beifall klatschen
können, finde ich.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte
zur Verfügung. Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Nie-
bel auf:
Was hält die Bundesregierung von dem Vorschlag, Partne-rinnen und Partnern von zur Versetzung ins Ausland anstehen-den Soldaten für Wohnungsbesichtigungsreisen zum neuenStützpunkt freie Plätze auf Bundeswehrmaschinen zur Verfü-gung zu stellen und damit die Akzeptanz des neuen Lebensum-feldes zu verbessern, vor dem Hintergrund, daß derzeit bei einerfür mehrere Jahre geplanten Verwendung z.B. in den USA keinegemeinsame Wohnungsbesichtigung vorgesehen ist?
B
Herr Kollege Niebel, dieAuslagenerstattung aus Anlaß einer Wohnungsbesichti-gungsreise in das Ausland ist, wie sich das für eine gute,qualifizierte Administration in diesem Land gehört, imBundesumzugskostengesetz und in der Auslandsum-zugskostenverordnung geregelt. Danach werden unteranderem bestimmte Fahrtkosten für die Reise einer Per-son zum Suchen oder Besichtigen einer Wohnung er-stattet. Fahrtkosten werden nicht erstattet, wenn einVerkehrsmittel unentgeltlich benutzt werden kann, wiezum Beispiel die Luftfahrzeuge der Bundeswehr, die dieentsprechenden Standorte anfliegen.Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
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5540 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
(C)
Wenn der Versetzte seinen Dienst im Ausland bereitsangetreten hat, aber eine Wohnung noch nicht anmietenkonnte, können in Übereinstimmung mit dem Wortlautder Auslandsumzugskostenverordnung die Auslagen ausAnlaß einer Wohnungsbesichtigungsreise des Ehepart-ners, der noch nicht umgezogen ist, erstattet werden. Indiesem Fall kann dem Ehepartner ein Mitflug in einemFlugzeug der Bundeswehr gewährt werden. Damit wür-de die gemeinsame Wohnungsbesichtigung möglich.
Zusatzfrage, Herr
Kollege? – Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, Sie ha-
ben die geltende Rechtslage geschildert, wonach eine
gemeinsame Wohnungsbesichtigung selbst bei mehrjäh-
riger Auslandsverwendung von Soldatinnen und Solda-
ten nur dann möglich ist, wenn der Dienstantritt bereits
erfolgt ist. Stimmen Sie mir zu, daß es manchmal dem
Familienfrieden dienlich sein könnte – gerade auch,
wenn man in gering bevölkerten Regionen dieser Welt
eingesetzt ist –, wenn sich die Betroffenen vor der Ver-
setzung gemeinsam nach einer Wohnung oder einem
Haus für die Familie umsehen könnten? Wenn Sie mir
da zustimmen, stimmen Sie mir dann auch darin zu, daß
es bei den Bundeswehrmaschinen öfters freie Kapazitä-
ten gibt – gerade auf Flügen zu diesen teilweise gering
bevölkerten Standorten – und es somit kein Problem wä-
re, den Ehepartner mitzunehmen?
B
Sehr geehrter Herr Kolle-
ge Niebel, ich stimme Ihnen zu, weil ich der Meinung
bin, daß ein Ehepaar gemeinsam über die Auswahl der
Wohnung entscheiden sollte. Leider sind die Reiseko-
stenregelungen nicht entscheidend durch die Bundes-
wehr geprägt worden. Diese Regelungen sind das Er-
gebnis von Absprachen zwischen allen Bundesministeri-
en. Federführend ist – wie in vielen anderen Bereichen
auch – das Bundesinnenministerium. Andere Ministeri-
en, zum Beispiel das Auswärtige Amt, vertreten leider
die Auffassung, daß dann, wenn ein Ehepartner bereits
umgezogen ist, der andere Partner keinen Anspruch
mehr auf eine Wohnbesichtigungsreise hat. Insoweit ist
das Bundesverteidigungsministerium schon ein bißchen
großzügiger. Hier muß abgewogen werden. Ein Ehepaar
sollte sich vielleicht vor dem Umzug gemeinsam dar-
über Gedanken machen, welchen Anforderungen die
neue Wohnung gerecht werden soll. Der eine Partner
sollte dem anderen vertrauen, daß dieser dann die ent-
sprechende Wohnung aussucht.
Aus aktuellem Anlaß: Ich habe während meiner
USA-Reise einen qualifizierten Mitarbeiter des Auswär-
tigen Amts getroffen, der mit seiner Familie in Wa-
shington in einem sehr mittelmäßigen Hotel leben muß-
te, weil es nicht möglich war, eine Wohnung zu finden,
und weil er sich angesichts seiner mehrköpfigen Familie
nicht getraut hat, vor dem Umzug eine Wohnung allein
auszusuchen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir ge-
meinsam darüber nachdenken könnten, ob die angespro-
chene Regelung heute noch zeitgemäß ist.
Ich rufe nun Fra-
ge 29 des Kollegen Werner Lensing auf:
Wie ist die vom Bundesminister der Verteidigung, RudolfScharping, am 8. September 1999 vor dem Konversionskongreßder rheinland-pfälzischen Landesregierung in Mainz gemachteAnkündigung, „zur Senkung der Betriebskosten an den Stand-orten der Bundeswehr eine stärkere Zusammenarbeit mit denKommunen zu suchen“, vor dem Hintergrund der Tatsache ein-zuschätzen, daß die lokalen Stromversorger von den Ausschrei-bungen von Stromlosen im Bereich der Bundeswehr faktischausgeschlossen sind?
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Herr Kollege Lensing, die
Aussage des Bundesministers der Verteidigung steht
keinesfalls im Gegensatz zum praktizierten Verfahren
der Bundeswehr bei der Ausschreibung für Stromliefe-
rungen. Das Verfahren soll zur Absenkung der Betriebs-
kosten und damit zur Steigerung der Effizienz beitragen.
Die angesprochene stärkere Zusammenarbeit zwi-
schen der Bundeswehr und den kommunalen Unterneh-
men zur Senkung der Betriebskosten an den Standorten
soll insbesondere auf den Gebieten der Wärme- und
Wasserversorgung sowie der Mülltrennung und Müllbe-
seitigung, aber auch beim Austausch technischen Wis-
sens stattfinden und zur Nutzung vorhandener Kapazi-
täten beitragen. Die Stromversorger haben sich aller-
dings inzwischen anders ausgerichtet. Ihre Fachkompe-
tenz reicht oft über den kommunalen Bereich hinaus.
Aber erfreulicherweise gibt es eine ganze Reihe von
kommunalen Versorgungsunternehmen, die in Zusam-
menarbeit mit anderen Stromversorgern die Bundeswehr
beraten können. Auf Ihren konkreten Fall eingehend:
Die Stadtwerke Düsseldorf zum Beispiel haben in Zu-
sammenarbeit mit einem großen Stromunternehmer der
Bundeswehr Angebote für viele Standorte im Wehrbe-
reich III unterbreitet. Es liegt natürlich in unserem Inter-
esse, daß auch die kommunalen Stadtwerke Energiebe-
ratung und -management wahrnehmen können.
Das Problem, das Sie angesprochen haben, besteht
bei der Stromlieferung. Nachdem Wettbewerb auch im
Stromhandel zugelassen worden ist, nimmt selbstver-
ständlich auch die Bundeswehr alle gebotenen Einspar-
möglichkeiten wahr. Die Bundeswehr mit ihren vielen
Liegenschaften erhält heute auf dem freien Markt Ange-
bote bezüglich Stromerzeugung, An- und Verkauf von
Strom, die kommunale Unternehmen nicht machen kön-
nen. Diese Entwicklung kann man bedauern. Ich be-
dauere dies auch. Aber die Realität ist heute so.
Eine Zusatzfrage? –
Bitte sehr.
Ihre bisherigen Aus-führungen stehen, denke ich, nicht im Widerspruch zuunser beider Auffassung, daß die lokalen Stromversor-ger durch die Ausschreibung von Stromlosen in eineschwierige Lage geraten. Mit dieser Frage haben wir unsschon einmal befaßt. Stimmen Sie mit mir darin überein,daß die direkte, konkrete Zusammenarbeit vor Ort zwi-schen Stromversorgern und BundeswehrliegenschaftenParl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5541
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(D)
die erwünschten Synergieeffekte und Kostenvorteilebringen würde?B
Herr Kollege Lensing, Sie
haben zu Recht auf die Leistungsfähigkeit der kommu-
nalen Unternehmen hingewiesen, die oft nicht nur
Strom, sondern auch Wasser und Gas liefern. Nachdem
aber die Energiegesetze und der Strommarkt liberalisiert
worden sind, erhält die Bundeswehr – das können Sie
sich vorstellen –, als attraktiver Kunde Angebote, die
kommunale Unternehmen selbstverständlich nicht ma-
chen können.
Jetzt hat Herr Kolle-
ge Wiese eine Frage.
– Wenn Sie gestatten, jetzt habe ich den Kollegen Wiese
aufgerufen. Sie können dann noch eine weitere Frage
stellen. Entschuldigung! – Bitte sehr.
Wenn Ihnen,
Frau Staatssekretärin, bekannt ist, daß gerade vor Ort die
Zusammenarbeit fruchtbar war und auch in der Vergan-
genheit ein großes Interesse von seiten der Bundeswehr
und ihrer Dienststellen vorhanden war, in diesem Be-
reich zusammenzuarbeiten, glauben Sie dann nicht, daß
durch die vorgesehene Regelung dieses Prinzip der Sub-
sidiarität unnötig gefährdet oder vorschnell aufgekündigt
wird?
Sehen Sie nicht eine Möglichkeit, daß auch in der
Zukunft vor Ort trotz der angestrebten Zentralisierung
und der Synergieeffekte die Subsidiarität gegenüber der
Bundeswehr gewahrt werden kann?
B
Herr Kollege Wiese, Sie
sprechen hier die frühere Vorsitzende des Gesprächs-
kreises Kommunalpolitik an, die aus diesen Gründen
natürlich damals bei der Liberalisierung des Strom-
marktes große Probleme hatte – und dies ausdrücklich
nicht, weil ich nicht für eine Modernisierung auch unse-
res wirtschaftlichen Handelns seitens des Staates einste-
hen würde –, die nämlich damals gewußt hat, daß die
Verlierer in großen Teilen die kommunalen Unterneh-
men sind, die zum Teil eine hervorragende Versorgung
in der Fläche bieten. Nur: Die Liberalisierung des
Strommarktes wurde ganz besonders durch unseren frü-
heren Kollegen Bangemann in der EU vorangetrieben,
und das sind nun heute die Folgen.
Wir haben eine derart umfangreiche Stromkosten-
vergünstigung durch dieses Angebot der Liberalisierung,
daß die Bundeswehr kaum in der Lage sein wird, Ein-
sparungen nicht in Anspruch zu nehmen. Anderenfalls
würde der Bundesrechnungshof und würden auch Sie als
Vertreter der Opposition uns wahrscheinlich sehr mah-
nen, mit dem Geld des Steuerzahlers vorsichtig umzu-
gehen.
– Ob die immer vernünftig waren? – Bei dieser Frage
würde ich sehr vorsichtig sein, Herr Kollege.
Die Diskussion führen wir gern fort, denn ich bin
wirklich der Meinung, daß die kommunale Infrastruktur
zum Teil eine hervorragende Versorgung in der Fläche
geleistet hat, und diese geht dabei ein Stück weit verlo-
ren.
Ich bedauere dies und habe die Hoffnung, daß minde-
stens im Bereich der Wärmeversorgung, aber auch bei
Wasser und Abwasser weiterhin entsprechende Mög-
lichkeiten bestehen. Ich sehe sie bei der Lieferung von
Strom kaum. Daran sind fast gar keine Stadtwerke be-
teiligt, es sei denn, sie seien wie in diesem Fall in Düs-
seldorf in Zusammenarbeit mit einem sehr großen Ener-
gieunternehmen in der Lage, eine Region zu versorgen.
Auf der Strecke bleiben die guten alten kommunalen
Stadtwerke.
Nun kann Herr
Kollege Lensing seine zweite Zusatzfrage stellen.
Frau Staatssekretärin,
ich beziehe mich noch einmal auf die Antwort auf meine
erste Zusatzfrage. Wenn ich von diesen Überlegungen,
die Sie angestellt haben, ausgehen darf, hoffe ich, daß
Sie mich mit meiner Sorge und meiner Bewertung ver-
stehen. Ich entdecke einen Widerspruch zwischen dem
Handeln der Regierung einschließlich der von Ihnen
vorgetragenen Begründung und dem Bemühen der SPD,
gerade die Stadtwerke vor der Liberalisierung des Ener-
giewirtschaftsrechtes schützen zu wollen. Ich denke un-
ter anderem an die juristische Bewertung und an das
Verwaltungsverfahren, das Sie anstreben – oder gegebe-
nenfalls nicht mehr anstreben?
B
Ich kann Ihnen sagen,Herr Kollege Lensing, weil ich diese Verhandlungenrecht gut in Erinnerung habe, daß auch die Vertreter derCDU-geführten Kommunen mit eigenen Stadtwerken,die es ja auch gibt, eine ähnliche Position eingenommenhaben wie die sozialdemokratischen Vertreter derStadtwerke. Hier ist einfach die Sorge vorhanden, daß inden letzten Jahrzehnten gewachsene Strukturen dadurchaufgegeben werden müssen, und darauf bezog sich auchmein Hinweis.Da ich wie Sie einen Wahlkreis vertrete, der nicht nurstädtische, sondern auch ländliche Gebiete hat, ist mirbekannt, daß zum Beispiel die Versorgung in der Flächein der Regel von kommunalen Unternehmen geleistetwurden, die dafür natürlich auch einen höheren Preisnehmen wollten.Wir werden sehr deutlich sehen, daß am Ende dernormale Kunde in der Fläche die Liberalisierung desWerner Lensing
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5542 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
(C)
Strommarktes bezahlen muß. Ich habe dies bedauert,weil ich gesehen habe, daß die Stadtwerke zum Teilhervorragende Arbeit geleistet haben. Ich kann Ihnennur sagen, daß wir aus Gründen der Sparsamkeit alsBundeswehr, verteilt über die gesamte BundesrepublikDeutschland uns jetzt auf die neuen Gegebenheiten ein-stellen müssen.
Die Fragen 30 und
31 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die letzte Frage aus dem Geschäftsbereich
des Bundesministeriums der Verteidigung auf, die Frage
32 der Kollegin Annette Widmann-Mauz:
Welche Umstände, auf die das Schreiben des Bundesministe-riums der Verteidigung vom 29. Juli 1999 im Zusammenhangmit meiner schriftlichen Frage mit der Arbeitsnummer 6/35 vom1. Juni 1999 zur Absage eines Besuchs bei der Bundeswehr inStetten am kalten Markt Bezug nimmt, sind eingetreten, die esrechtfertigen, daß meine o. g. Frage bis heute nicht beantwortetist?
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Frau Widmann-Mauz, der
Oberstleutnant a. D. Ulrich Dinkelacker hatte sich am
30. März 1999 telefonisch an den Kommandeur des in
Stetten am kalten Markt stationierten Panzergrenadier-
bataillons, Herrn Oberstleutnant Schönfeld, gewandt.
Herr Dinkelacker nannte seine militärische Herkunft
und erklärte damit seine Kontakte zur Bundeswehr. Er
bat zu prüfen, ob das Bataillon im Rahmen des Fe-
rienprogramms der Stadt Mössingen – nicht im Rah-
men des Ferienprogramms der CDU – einen Truppen-
besuch für Kinder und Eltern der Stadt durchführen
könne.
Für Herrn Oberstleutnant Schönfeld, also den aktiven
Kommandeur, war zu diesem Zeitpunkt nicht zu erken-
nen, daß Herr Dinkelacker als Vorsitzender des CDU-
Stadtverbandes handelte. Er ging vielmehr davon aus,
daß sein Bataillon einen Beitrag zu einem Vorhaben
unter ausschließlicher Trägerschaft der Stadt leisten
solle.
Er sagte daher eine wohlwollende Prüfung zu und bat
Herrn Dinckelacker, den Wunsch schriftlich zu formu-
lieren.
Am 8. Mai 1999 erhielt er ein Schreiben von Herrn
Dinkelacker, in dem dieser die Zustimmung zu einer
Einladung des CDU-Stadtverbandes zu einem Tag bei
der Bundeswehr einholen wollte. Hier wurde für den
Kommandeur des Panzergrenadierbataillons 294 erst-
mals deutlich, daß es sich bei dem Veranstalter für einen
geplanten Truppenbesuch im Rahmen des städtischen
Ferienprogramms um den CDU-Stadtverband handelte,
der diese Veranstaltung im Programm als seine anbieten
wollte. Der Kommandeur hielt sich angesichts des für
Soldaten gemäß § 15 des Soldatengesetzes bestehenden
Verbots, sich im Dienst zugunsten oder zuungunsten
einer bestimmten politischen Richtung zu betätigen, für
verpflichtet, dem CDU-Stadtverband, nicht aber der
Stadt Mössingen abzusagen.
Auf Grund Ihres Hinweises, den Sie mir auch ge-
schrieben haben, daß in der Vergangenheit derartige
Veranstaltungen unterstützt wurden, habe ich eine
nochmalige Überprüfung der Angelegenheit angeordnet;
ich wollte Ihnen ja keine unkorrekte Antwort geben.
Meine Ermittlungen haben ergeben, daß das Panzergre-
nadierbataillon 294 in den vergangenen fünf Jahren kei-
ne durch den CDU-Stadtverband initiierte Veranstaltung
durchgeführt hat.
Zwar schließen die geltenden Bestimmungen Trup-
penbesuche, auch wenn sie von Parteien – geschweige
denn von den in den Bundestag gewählten demokrati-
schen Parteien – und ihren Verbänden initiiert werden,
nicht aus. Bei der Vorbereitung und Durchführung eines
derartigen städtischen Ferienprogramms darf aber nicht
der Eindruck entstehen, daß eine Partei Trägerin der
Veranstaltung ist. Dies war der Grund, warum der
Kommandeur abgesagt hatte.
So lag der Fall vor, daß der CDU-Stadtverband Mös-
singen beabsichtigte, im Rahmen des Ferienprogramms
der Stadt Mössingen als Veranstalter des Besuchs bei
der Bundeswehr aufzutreten. Der späteren Bitte der
Stadt Mössingen, den Besuch von Kindern und Eltern
der Stadt zu ermöglichen, wurde am 8. September ent-
sprochen.
Frau Widmann-
Mauz hat eine Zusatzfrage.
Zunächst
möchte ich Ihnen für die Antwort danken. Es hat rund
fünf Monate gedauert, bis ich eine Antwort des Bun-
desministeriums erhalten habe. Ich sehe insofern die
Frage, die ich Ihnen gestellt habe, nach wie vor nicht
beantwortet: Weshalb hatte ich so lange auf eine schrift-
liche Antwort zu warten? Teilen Sie meine Meinung,
daß dies eine wirklich eklatante Mißachtung der parla-
mentarischen Rechte der Abgeordneten darstellt?
– Ich habe gefragt, ob sie diesen Vorgang als eine Miß-
achtung der parlamentarischen Rechte der Mitglieder
dieses Hauses betrachtet. – Ich erwarte nach wie vor ei-
ne Antwort auf meine schriftliche Frage.
B
Liebe Frau KolleginWidmann-Mauz, ich bin über Ihre Frage sehr verwun-dert. Normalerweise hätten wir Ihnen deutlich und klarsagen müssen, daß dies nicht geht. Da die CDU, einedemokratische Partei, angefragt hatte, habe ich sorgfäl-tig nachprüfen lassen, Frau Kollegin, ob es sich um einstädtisches Programm handelte. Wäre es darum gegan-gen, daß der CDU-Stadtverband einen solchen Besuchmachen wollte, dann hätte niemand etwas dagegen ge-habt. Aber der Kommandeur hat völlig richtig gehandelt,Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5543
(C)
(D)
als er feststellte, daß der CDU-Stadtverband dies imRahmen des städtischen Programms anbietet.Weil ich als Parlamentarierin – nach 23jähriger Tä-tigkeit in diesem Parlament glaube ich, etwas dazu sagenzu können – nicht der Meinung war, man könne einfachsagen, das gehe nicht, haben wir den Vorfall kritisch ge-prüft. Dabei haben wir festgestellt, daß die Veranstal-tung in der Tat stattgefunden hat, nachdem die Stadt die-sen Antrag gestellt hatte.Sie hat am 8. September stattgefunden. Ich denke, ichhabe Ihnen heute in aller Deutlichkeit gesagt, warum deraktive Kommandeur richtig gehandelt hat. Sie solltenvielleicht einmal den Oberstleutnant Dinkelacker fragen,warum er sich bei seiner ersten Anfrage am 30. Märznicht gleich zu erkennen gegeben und gesagt hat, daß erin seiner Funktion als CDU-Stadtverbandsvorsitzenderund nicht als ehemaliger Angehöriger der Bundeswehrgehandelt hat.
Das sollten Sie ihn fragen. Dann würde sich nämlichmanches nicht ergeben haben. Deswegen sage ich Ihnen:Ich habe versucht, Ihnen in aller Sorgfalt zu erklären,daß mein Staatsverständnis, wenn es sich um eine politi-sche Partei wie die CDU handelt, immer zunächst davonausgeht, daß geprüft wird, ob die Wünsche erfüllt wer-den können. Wenn aber das dabei herausgekommen ist,dann, denke ich, ist unser Handeln richtig gewesen.Deswegen haben Sie die Antwort heute im Parlamentbekommen.
Und nun stellt die
Kollegin ihre letzte Frage. – Bitte sehr.
Frau Staats-
sekretärin, erstens liegt mir ein Schriftverkehr zwischen
dem Oberstleutnant a.D. Dinkelacker, dem Wehrbe-
reichskommando und dem entsprechenden Panzergrena-
dierbataillon vor, bei dem jedes Mal auf das Ferienpro-
gramm der Stadt und die Einführung durch den CDU-
Ortsverband hingewiesen wurde. Aber meine Frage geht
trotzdem in eine andere Richtung.
Mit Schreiben vom 28. Juli hat der CDU-Ortsverband
Mössingen die schriftliche Zusage erhalten, daß der
Truppenbesuch im Rahmen des Ferienprogramms
durchgeführt werden kann. Am 29. Juli habe ich vom
Parlaments- und Kabinettsreferat des Bundesministeri-
ums für Verteidigung ein Schreiben bekommen,
Sie müssen eine
Frage stellen!
– die Frage
kommt –, dem zufolge nach meiner schriftlichen Anfra-
ge Umstände eingetreten seien, die weitere Rückfragen
und Prüfungen erforderlich machten, und daß deshalb
eine Beantwortung meiner schriftlichen Fragen vom 1.
Mai nicht möglich sei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weshalb ist es
möglich, dem CDU-Ortsverband Mössingen eine positi-
ve Antwort – daß der Truppenbesuch möglich ist – zu
geben, allerdings einem Mitglied dieses Hauses keine
Antwort auf die Frage zukommen zu lassen? Fünf Mo-
nate sind vergangen, bis ein Mitglied dieses Hauses eine
konkrete Antwort auf die Frage erhalten hat. Wie erklä-
ren Sie sich dies?
B
Sehr klar mit den Sachzu-
sammenhängen, daß die Stadt Mössingen diese Veran-
staltung durchgeführt hat. Wenn Sie sich das Programm
ansehen, so fand diese nicht auf Einladung des CDU-
Stadtverbandes statt, sondern auf Einladung der Stadt
Mössingen. Das ist geklärt worden, und damit haben wir
Ihnen auch klare Auskunft gegeben. Vielleicht fragen
Sie den zuständigen Bundestagskollegen, der diesen
Wahlkreis vertritt, auch einmal – ich glaube, es ist ein
CDU-Wahlkreis –, was er von der Angelegenheit hält.
Ich kann Ihnen nur deutlich sagen, daß es völlig kor-
rekt ist, wie wir vorgegangen sind. Ich hätte Ihnen gerne
auch schriftlich geantwortet, wenn Sie uns Zeit gelassen
hätten. Am 8. September ist diese Veranstaltung durch-
geführt worden. Es ist etwas merkwürdig, wenn Sie sich
daran erinnern, daß in diesem Jahr in Baden-
Württemberg Kommunalwahlen stattgefunden haben.
Sie wissen, wann sie stattgefunden haben.
Es ist zu fragen, ob dann am 8. September im Rahmen
eines Programmes des CDU-Stadtverbandes solche Ver-
anstaltungen durchgeführt werden müssen.
Ich kann mich gut erinnern, daß wir uns immer dar-
über einig waren, daß die Bundeswehr aus dem partei-
politischen Bereich herausgelassen werden sollte.
Wir haben prüfen lassen, Frau Kollegin, und festgestellt,
daß es in den letzten fünf Jahren mitnichten vorgekom-
men ist, daß die CDU eine solche Veranstaltung bean-
tragt hat. Sie hat sie in einem Wahljahr beantragt. Ich
würde Ihnen sehr empfehlen, dies nicht zu tun.
Die Bundeswehr ist aus gutem Grund die Armee des
demokratischen Rechtstaates und ist nicht für solche Sa-
chen zu vereinnahmen. Ich denke mir, daß das ziemlich
klar ist.
Damit sind wir amEnde der Fragestunde angelangt.Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
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5544 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
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Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß Ziffer 1b derRichtlinien für die Aktuelle Stunde zu den Antwortender Bundesregierung auf die Fragen aus dem Geschäfts-bereich des BMA eine Aktuelle Stunde verlangt. DieAussprache muß nach Ziffer 2a der Richtlinien unmit-telbar im Anschluß an die Fragestunde durchgeführtwerden.Ich rufe daher auf:Aktuelle StundeRente mit 60 und Bündnis für ArbeitIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeDr. Peter Ramsauer, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrteFrau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wasich hier vor mir liegen habe, ist kein Redemanuskript,sondern das Geheimpapier, von dem heute in der Frage-stunde schon einige Male die Rede war.
Frau Staatssekretärin Mascher, ich glaube, daß in derFragestunde eine Reihe von Fragen dazu nicht hinrei-chend beantwortet worden sind
und daß zu Beginn dieser Aktuellen Stunde noch einmalallgemein über dieses Papier gesprochen werden muß.
– Es würde Ihnen so passen, das zu erfahren. Aber eswurde ja zunächst von der Presse veröffentlicht, und dakonnte man das Notwendige lesen.
Wer so etwas zu Papier bringt oder zu Papier bringenläßt – obwohl Sie alles leugnen –, offenbart allein da-durch seine ganze politische Verkommenheit.
Leugnen nützt nichts. Herr Riester hat sich in derletzten Woche, als das „Handelsblatt“ die wesentlichenPassagen veröffentlicht hat, sehr hart getan. Noch amMorgen des Tages der Veröffentlichung hat er demen-tiert und geleugnet, daß es dieses Papier überhaupt gibt.Am Nachmittag waren die Seiten dieses Papieres aufden Bildschirmen der Fernsehsender zu sehen. Da nützteLeugnen nichts mehr, und er ist abgetaucht. Leugnen nützt auch deswegen nichts, weil hier steht,daß das Papier absolut vertraulich ist und daß es derLeitung des Bundesministeriums für Arbeit vorliegt. AmEnde des Papieres steht immerhin der Name eines Ab-teilungsleiters. Ein Abteilungsleiter gehört zur politi-schen Führung eines Hauses.Alles deutet jetzt darauf hin, daß das, was in dem Pa-pier steht – auch wenn Sie nach wie vor leugnen, daßdieses Papier eine politische Bedeutung hätte –, umge-setzt wird.
Heute ist beispielsweise die Agenturmeldung zu lesen,daß die Rentenanpassung des nächsten Jahres aus demHaushaltssanierungsgesetz herausgenommen werdensoll.
Bei diesem Papier geht es aber nicht nur um dieRentenpolitik, sondern auch um etwas ganz anderes,nämlich darum, mit welchen politischen, taktischen undstrategischen Finessen die SPD es schafft, ihren Partei-tag Anfang Dezember zu überstehen und in diesem Zu-sammenhang sowie im Hinblick auf die nächsten Land-tagswahlen im Februar und im Mai des nächsten Jahresdas Thema Renten irgendwie zu neutralisieren. Ich findees ein Stück weit beschämend, daß die Rentenpolitik zueinem parteipolitischen Vehikel verkommt. Dazu ist dieRentenpolitik zu wichtig.
Hier steht ja auch – ich finde es empörend –:Die Verantwortung, wenn Rentengespräche schei-tern, muß glaubhaft bei der Opposition liegen.Wir, die Opposition also, sollen der Sündenbock sein.Zu den einzelnen Punkten dieses Papieres: Hier istdavon die Rede, daß die Anpassung der Rente an die In-flation aus dem Sparpaket ausgelagert werden soll. Diesist, wie ich gerade gesagt habe, heute bestätigt worden.Es heißt hier:Da die Festlegung der Rentenerhöhung 2000 erstim Frühsommer 2000 erfolgen muß, haben wir aus-reichend Zeit, im Konsens ein für uns– für die Regierung –positives Ergebnis zu erreichen.
Das lassen wir mit uns natürlich nicht machen: Jetzttut man so, als ob man im Sommer nächsten Jahresvielleicht ein höheres Rentenangebot vorlegen würde,und legt uns in Form eines Rentenkompromisses herein,um dann im nächsten Mai doch wieder etwas anderes zutun. Daß Ihnen alles zuzutrauen ist, zeigt die Tatsache,daß solche Papiere gefertigt werden. Das lassen wir mituns nicht machen.Hier heißt es weiter, die Bundesregierung sollte eineinterne Verhandlungslinie haben, um statt einer Erhö-hung von 0,7 Prozent mir nichts, dir nichts eine Erhö-hung von 1,7 Prozent zu gewähren. Das hat mit soliderRentenpolitik nichts mehr zu tun. Das ist maghrebini-sche Teppichhändlerei. Für uns in der Union ist dieRentenpolitik kein orientalischer Basar. Die Rentenpoli-tik zählt für uns vielmehr zum Sensibelsten, was es inVizepräsidentin Anke Fuchs
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der Bundespolitik gibt. An den Maßnahmen in diesemBereich messen viele Menschen unsere politischeGlaubwürdigkeit.
Das Ganze hat auch einen erheblichen finanzpoliti-schen Aspekt. Hier heißt es:Höhere Staatsverschuldung ist dann der fiskalischePreis für einen politischen Erfolg an der Renten-front.Ich kann nur sagen: Schäbig!Am allerschäbigsten finde ich den Satz:Die Öffentlichkeit muß wissen, wer die Guten undwer die Schlechten sind.
Da frage ich mich in der Tat: Sind die Schlechten dieje-nigen, die wie wir in der letzten Legislaturperiode not-wendige, wenn auch harte rentenpolitische Reform-schritte durchgeführt haben, und sind die Guten viel-leicht diejenigen, die mit solch einem Papier buchstäb-lich Anstiftung zum politischen Betrug betreiben undeine Art Leitfaden zur Wählertäuschung vorlegen?Das ist eine wirkliche Verdrehung der politischen Tatsa-chen.
Ich wünsche meinen politischen Gegnern wirklichnichts Schlechtes, aber in der letzten Woche ist einigeseingetreten, was in der Presse, auch in der linkenPresse –
Herr Kollege, wir
sind in der Aktuellen Stunde.
– ich weiß –, ein
entsprechendes Echo gefunden hat.
Herr Kollege, Sie
sind jetzt über die Zeit. Ich muß darauf achten, wir be-
finden uns in der Aktuellen Stunde.
Die „Süddeut-
sche Zeitung“ spricht nur noch von der Kraft zur Selbst-
beschädigung bei der rotgrünen Regierung. Die „Abend-
zeitung“ in München schreibt: Selbst Optimisten in der
Regierung sind verzweifelt. – Dem ist in der Tat nichts
mehr hinzuzufügen.
Jetzt hat der Kollege
Kurt Bodewig, SPD, das Wort. Ich bitte alle, darauf zu
achten, daß wir in der Aktuellen Stunde sind und die
Redezeit fünf Minuten beträgt.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Als erstes möchte ich mein Be-dauern darüber aussprechen, daß der Bundesarbeitsmini-ster erkrankt ist und nicht hier sein kann. Ich denke, esbesteht hier insoweit Konsens, daß wir ihm gute Besse-rung wünschen.
Nun komme ich mit einer ganz kurzen Bemerkung zuden Ausführungen des Kollegen Ramsauer. Ich kann nursagen: Wenn Sie den Begriff des politischen Betrugs inden Mund nehmen, dann trifft das vielleicht auf andereRegionen zu, aber hier in Berlin herrschen keine Mün-chener Verhältnisse.
Jetzt komme ich zu Ihrem Thema. Sie sprechen da-von, die Renten zu neutralisieren. Ich weiß zwar nicht,wie das geht, aber was wir leisten könnten, wäre, dieRentendebatten zu versachlichen. Dazu würde ich gernbeitragen. Ich möchte gern einen Hauptirrtum, der beiIhnen vorherrscht, klären.
Sie sprechen von der Rente mit 60. Es gibt eine Tarif-rente mit 60. Diese kann es geben, weil wir dafür dieMöglichkeiten eröffnen. Ich habe auch an die Vertreterder Presse die Bitte, hier sachlicher und präziser zu sein;denn es geht hier um einen völlig anderen Vorgang alseine Rente mit 60. Es geht um eine Tarifrente, in dieman vielleicht im Alter von 60 Jahren eintreten kann.Ich möchte auch die Mißverständnisse aufklären, diedie Kollegin Schnieber-Jastram formuliert hat. Der Bun-deskanzler hat sich auf dem IG-Metall-Kongreß keines-wegs gegen Tariffonds ausgesprochen. Er hat wie derBundesarbeitsminister sehr deutlich gemacht, daß erkein vorgezogenes Renteneintrittsalter, also keinen ge-setzlichen Renteneintritt im Alter von 60 Jahren will.Das hat etwas damit zu tun, daß wir verantwortlich mitFinanzen umgehen. Das steht im Gegensatz zu der Ver-schuldungspolitik, die Sie in den letzten Jahren betrie-ben haben.
Aus dem einfachen Grunde, daß ein vorgezogenes Ren-teneintrittsalter nicht bezahlbar ist, hat er es abgelehnt.Das halte ich für sehr konsequent.Wir haben statt dessen etwas anderes gemacht, Siekennen das: Wir werden die Entrichtung einer Beitrags-nachzahlung zum vollständigen Ausgleich der anfallen-den Abschläge einführen. Das ist politischer Wille undeine Option, die wir den Tarifparteien ermöglichen. DieF.D.P., die sonst Gralshüter der Freiheit ist, müßte dochvor Begeisterung darüber schreien, daß neue Optionenentstehen, die genutzt werden können.Ich kann Ihnen nur sagen: Das, was der Bundesar-beitsminister vorschlägt, ist ein kluges Modell, weil esDr. Peter Ramsauer
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gleichzeitig den Tarifvertragsparteien Verantwortungzuweist. Die Reaktionen darauf sind doch interessant.Nach der lauten Schreierei der ersten Tage gibt es nundifferenzierte Auffassungen. Ich will nicht den Ge-werkschaftsbereich zitieren; da ist die Auffassung vonder IG BCE bis zur IG Metall ohnehin klar. Alle sa-gen: Es geht um Altersabschläge, die vorfinanziert wer-den.Ich zitiere den Gesamtmetallvize Martin Kanne-gießer, der sagt: „Ein Kompromiß ist möglich“. Ichzitiere den Arbeitgeberpräsidenten Hundt aus dem„Handelsblatt“ vom 22. Oktober; dort bietet er Politikund Gewerkschaften an, daß im Rahmen der Altersteil-zeit anfallende Rentenabschläge im Rahmen einer mo-deraten Lohnpolitik ausgeglichen werden können. Dasist nichts anderes, als daß hier ein Modell, das wir vor-schlagen, auch in der Gedankenwelt der Arbeitgebervorhanden ist und dort wahrscheinlich geprüft wird.Ich denke, die Tarifvertragsparteien, die beide Zu-stimmung signalisieren, werden mit dieser Verantwor-tung umgehen. Sie unterscheiden sich in diesem Sinneetwas von Ihnen, die Sie eine solche Möglichkeit, Arbeitherzustellen, ablehnen. Ich will es Ihnen ganz genau sa-gen: Wenn die Tarifvertragsparteien mit der Gründungvon Tariffonds das Ziel verbinden, Beschäftigung herzu-stellen, jungen Menschen den Eintritt ins Berufsleben zuermöglichen, dann hat das sehr wohl etwas mit Genera-tionengerechtigkeit zu tun, die wir ernst nehmen müs-sen. Es geht um die Ausgestaltung solcher Tarifmodelle.Politik eröffnet Möglichkeiten. Arbeitgeber und Ge-werkschaften werden darüber entscheiden, wie, mit wel-chen Konditionen und mit welchem Ziel das ablaufenwird. Ein Ziel ist klar: Wir müssen jungen MenschenBeschäftigung ermöglichen. Das würde ich als Chancefür junge Menschen beschreiben. Im Umkehrschluß sageich: Menschen, die 45 Jahre Beiträge bezahlt haben, ha-ben ihren Teil des Generationenvertrages erfüllt. Dassollten wir endlich einmal zur Kenntnis nehmen.
Auch junge Menschen haben sich in einer Umfragedes Wirtschaftsmagazins „DM“ dafür ausgesprochen,eine Tarifrente mit 60 zu akzeptieren: Die Zustimmungbei den bis 30jährigen lag bei 40 Prozent, bei den bis zu44jährigen sogar bei 77 Prozent. Danach steigt der Pro-zentsatz noch weiter an. Ich kann Ihnen nur raten, vomBewußtsein der Menschen zu lernen, daß jede Möglich-keit, die für die Rentenversicherungsträger kostenneutralist, genutzt werden sollte um so Beschäftigung herzu-stellen.Ich denke, wir führen eine sachgerechte Debatte. Ichwürde mich freuen, wenn Sie sich daran beteiligten. Ichwürde mich auch freuen, wenn Sie sich unserer Auffas-sung anschließen, daß ein Vorfinanzierungsvolumen,das durch entsprechend höhere Beiträge aufgebrachtwird, dazu führt, daß ohne Belastung der sozialen Siche-rungssysteme ein Modell verwirklicht werden kann, dasdie Beschäftigten wollen. Sie werden nämlich mit ihrenInteressenvertretern, den Gewerkschaften, selber ent-scheiden können, ob sie es wollen. Ich bin mir sicher,daß sie es wollen, weil es kostenneutral ist und zukünf-tige Generationen nicht durch höhere Sozialversiche-rungsabgaben belastet.Ein letztes Wort dazu: Sie schlagen Modelle wie dasaus Ihrem Familienprogramm vor, wodurch auf einmalganz sachfremde Elemente in die Rentenversicherungeingeführt werden. Ich kann dazu nur die heutige Pres-semitteilung von Professor Rürup zu Forderungen ausder Union zitieren:Die Beitragsstaffelung nach der Kinderzahl undElternrente sollte dort bleiben, wo sie herkommt,nämlich in der Mottenkiste gutgemeinter, aberdeswegen nicht guter sozialpolitischer Ideen.
Herr Kollege, kom-
men Sie bitte zum Schluß.
Hören Sie einmal zu. Man
kann immer wieder dazulernen. Ich bin guter Hoffnung.
Jetzt hat der Kollege
Dr. Westerwelle von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst ein-mal schließe ich mich natürlich den Besserungswün-schen des Kollegen Bodewig an den Bundesarbeitsmini-ster an. Wir Freien Demokraten wünschen dem Bundes-arbeitsminister in jeder Hinsicht gute Besserung.
Ich möchte nun auf die Fragestunde eingehen. Diebemerkenswerteste Nachfrage ist von Herrn KollegenGöhner gekommen. Die bemerkenswerteste Antwortwar die anschließende Eierei auf der Regierungsbank.
Es wurde die klare Frage gestellt: Werden Sie als Bun-desregierung die Rechtslage ändern, wenn es nicht zueiner Einigung zwischen den betroffenen Tarifparteienam runden Tisch kommt? Dieser Frage sind Sie ausge-wichen. Man kam sich deswegen nicht vor wie in einerFragestunde, sondern wie in einer Mischung ausSchwimmstunde und Grillparty.
Es ist unglaublich, was für ein Zickzackkurs hier ge-fahren wurde. Hierbei überbietet sich die Bundesregie-rung ja immer wieder selbst.
Am 29. September 1999 hieß es: Riester und Zwickelvöllig entzweit. Bei der Rente mit 60 werfen sich Ar-beitsminister und IG-Metall-Chef gegenseitig Unred-Kurt Bodewig
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lichkeit vor. Riester erteilt Rente mit 60 eine klare Ab-sage.
Etwas später lesen wir in der „Süddeutschen Zeitung“vom 16. Oktober 1999: Riester sieht nur geringe Chan-cen für Rente mit 60. Etwas früher, am 14. Oktober,hieß es noch: Einigkeit über die Rente mit 60. – DiesenWirrwarr kann man nicht, Herr Kollege Bodewig, ir-gendwelchen „dümmlichen Journalisten“ vorwerfen.Das Problem ist nicht die deutsche Presse, sondern dasProblem ist die Rentenpolitik der Regierung.
Deswegen ist es aus Sicht der Freien Demokratengrober Unfug, wenn hier erklärt wird, es handele sichbei der Rente mit 60 um einen Beitrag zur Bekämpfungder Arbeitslosigkeit in der jungen Generation. Wir ha-ben viele Erfahrungen mit einer Frühverrentungspolitikgemacht, die früher von überparteilichem Konsens ge-tragen wurde. Unter den daraus resultierenden Lastenleiden die deutschen Rentenkassen noch heute. Außer-dem hat die Frühverrentungspolitik früherer Tage nichteinem einzigen jungen Menschen einen Arbeitsplatz ge-bracht. Sie hat nur dazu geführt, daß Arbeitsplätze aufKosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weg-rationalisiert wurden.
Die Frühverrentung bringt den Jungen keine neuen Ar-beitsplätze; sie bringt ihnen höhere Abgaben. Deswegenwurde die Frühverrentungspolitik korrigiert. Sie aberwollen aber wieder dorthin zurück. Daher bekommenSie in dieser Frage den Widerstand der Opposition zuspüren.
Was Sie vorschlagen, hat mit Generationengerechtig-keit nichts zu tun. Hier kommt vielmehr die Konzep-tionslosigkeit Ihrer Regierung gerade in der Sozial- undRentenpolitik zum Ausdruck.
Es ist eine skandalöse Belastung für die Angehörigenmeiner Altersgruppe. Für die jungen Leute bedeutendiese Vorschläge, daß sie jährlich etwa 3 Milliarden bis4 Milliarden DM, also etwa 100 000 DM pro Frührent-ner, aufbringen müßten. Insgesamt soll meine Generati-on mit 60 Milliarden DM zur Kasse gebeten werden,ohne irgendwann jemals die Aussicht zu haben, davonprofitieren zu können. Dieser Vorschlag ist nicht gene-rationengerecht, sondern skandalös gegenüber der jun-gen Generation.
Es handelt sich um ein Programm von alten Gewerk-schaftsfunktionären für alte Gewerkschaftsfunktionäre,aber bestimmt nicht um ein Programm für Generatio-nengerechtigkeit in Deutschland.
Wenn Sie so einen Unsinn in die Welt setzen, danndürfen Sie nicht den Eindruck erwecken, Sie hätten da-mit nichts zu tun. Es ist ja unglaublich und geradezumitleidserregend gewesen, Frau Kollegin Mascher, wasSie hier geboten haben. Sie tun ja allen Ernstes so – Sieselbst können ja nichts für den Vorschlag; es ist derVorschlag Ihres Ministers, für den Sie ebenfalls nichtskönnen –, als hätte Ihr Minister mit der Frühverren-tungsidee Rente mit 60 nichts zu tun. Daß wir diesesThema im Parlament diskutieren, liegt allein am Bun-desarbeitsminister, der die Teilnehmer an dem entspre-chenden Gespräch motiviert hat, diese Vorschläge in dieÖffentlichkeit zu bringen. Jetzt werden die Gewerk-schaftsfunktionäre, übrigens auch von den jüngeren Ge-werkschaftsmitgliedern, kritisiert. Diese Kritik unter-stützt meine Partei nachhaltig. Es ist nämlich ein Fehler,diesen Weg zu gehen.
Ich weise noch auf einen wichtigen Punkt hin. In derDebatte am 30. September, in der beispielsweise Sie,Herr Kollege Kurt Bodewig, und auch ich gesprochenhaben, haben wir noch den Mannesmut von Herrn Ar-beitsminister Riester eingefordert, angesichts der Ap-pelle Rente mit 60 standhaft zu bleiben. Seine Haltungwurde von der Opposition positiv beurteilt. Wenn erjetzt umfällt, wird er von uns dafür kritisiert. Wir sindkonsequent, Sie aber eiern.
Nun hat die KolleginKatrin Göring- Eckardt vom Bündnis 90/Die Grünen dasWort.
Koalition ist sich einig – ich hatte den Eindruck, daß Sievon der CDU/CSU und der F.D.P. in diesem Punkt mituns übereinstimmen –, daß wir über ein langfristigesRentenkonzept diskutieren müssen. Die Menschen brau-chen nämlich endlich Sicherheit, und zwar Sicherheit,die auf Ehrlichkeit beruht. Sie brauchen aber nicht dieSicherheit, die Sie ihnen jahrelang vorgegaukelt haben,indem Sie gesagt haben, es gebe kein Problem. Mit demSatz, die Rente sei sicher, haben Sie die Alten beruhigtund die Sorgen der Jungen nicht ernst genommen.Heute habe ich der Zeitung „Die Welt“ entnommen,daß Ihnen dieses auch die Vorsitzende der Jungen Unionins Stammbuch geschrieben hat. Ich zitiere mit IhrerErlaubnis, Frau Präsidentin: Für die junge Generationwar das mit der Rente – sie meint damit Ihre Politik –eine Ente. Dieser Satz bringt die damalige Rentenpolitikauf den Punkt. Es ging Ihnen damals ausschließlichum die jetzige Rentnergeneration. Wir verlangen einePolitik, die die notwendigen Belastungen gleichmäßigauf die verschiedenen Generationen verteilt. Die JungenDr. Guido Westerwelle
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sind zur Solidarität bereit, was die Diskussion in denletzten Tagen und Wochen über die Rente mit 60 zeigt.Aber sie erwarten Solidarität natürlich auch von den an-deren Generationen.Zur Solidarität gehört es, das Rentenniveau so zu ge-stalten, daß die Beitragsbelastung erträglich bleibt. Nichtumsonst hat unsere Regierung dafür gesorgt, daß dieLohnzusatzkosten sinken. Einerseits ging es darum, dieWende am Arbeitsmarkt herbeizuführen. In der Frage-stunde wurde über die entsprechenden Zahlen diskutiert.Frau Staatssekretärin Mascher hat in diesem Zusam-menhang gesagt, die Prognosen seien positiv. Anderer-seits ging es darum, den Menschen endlich wieder mehrGeld – netto – in die Tasche zu geben.Was man nicht mehr tun kann, ist, die Beiträge weiterin die Höhe zu schrauben und zugleich die Aussicht aufimmer weniger Absicherung im Alter zu geben. Genaudas haben Sie jahrelang getan. Daß wir in der Gesell-schaft jetzt so intensiv über die Rente diskutieren, hatnicht damit zu tun, daß es plötzlich und unerwartet zueiner Krise gekommen wäre, weil die Regierung ge-wechselt hat, sondern es hat damit zu tun, daß Sie igno-riert haben, was die Realität war: sinkende Geburten-zahlen, höhere Lebenserwartung und höhere Arbeitslo-sigkeit. Das alles sind Ursachen für die Probleme, die esja nicht erst seit einem Jahr gibt. Inzwischen haben Siesich immerhin dazu durchgerungen, zu erklären, siewollten über ein Gesamtkonzept reden – angeboten ha-ben Sie bis heute bedauerlicherweise nichts.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf das zu sprechenkommen, was Sie hier heute ausgewalzt haben, als sei esder zentrale Punkt der Rentenpolitik dieser Regierungoder – möglicherweise – Ihr zentraler Punkt, nämlichauf die Frage der Rente mit 60. Das ist, wie gesagt, einAspekt dessen, was wir arbeitsmarktpolitisch und auchrentenpolitisch voranbringen wollen. Ich finde, der Ar-beitsminister hat sehr zu Recht gesagt: Es gibt Bedin-gungen für alles, was wir in dieser Beziehung diskutie-ren. Genauer gesagt gibt es zwei Bedingungen. Die ersteBedingung ist: Die Beitragssätze dürfen nicht steigen.Die zweite Bedingung ist: Es darf keine weitere Bela-stung der Rentenkassen geben.
Deshalb ist das, was der Arbeitsminister gemacht hat,nämlich mit den Gewerkschaften – in dem Fall mit derIG Metall – zu reden, nach meiner Ansicht nicht zu ver-urteilen.Natürlich muß man, wenn man über diese Frage re-det, die Erfahrungen, die in der Vergangenheit mitFrühverrentung gemacht worden sind – Herr Wester-welle hat das angesprochen –, einbeziehen. Die Tatsa-che, daß von sieben Arbeitsplätzen nur einer wiederbe-setzt worden ist – Sie haben gesagt, es sei keiner wie-derbesetzt worden –, zeigt, daß der von Frühverrentungausgehende Effekt allein nicht ausreicht. Deswegen mußdarüber diskutiert werden, ob den jungen Leuten Mög-lichkeiten geboten werden, zusätzlich privat vorzusor-gen. Das wird zentral sein für die Rentenpolitik dieserRegierung, weil wir ein zusätzliches Standbein brau-chen.
Es wird auch notwendig sein, zu gewährleisten, daßes nicht zu weiteren Beitragsbelastungen kommt. Esmuß aus unserer Sicht auch gewährleistet werden, daßMenschen, die in kleinen und mittleren Unternehmenmöglicherweise nicht tarifgebunden arbeiten, von sol-chen Maßnahmen profitieren können.
Dabei geht es um Stabilität, dabei geht es um langfristi-ge Sicherung von Arbeitsplätzen, und dabei geht es unsdarum, daß alle Generationen etwas davon haben, wennArbeitnehmer vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausschei-den. Das kann arbeitsmarktpolitische Effekte haben. Un-sere Fraktion glaubt, daß der Vorschlag der IG Metall,der hier auf dem Tisch liegt, dafür noch lange nicht aus-reicht. Deswegen finden wir: Darüber muß weiter dis-kutiert werden, und zwar konstruktiv und nicht mit ge-genseitigen Beschimpfungen; die bringen uns in dieserFrage definitiv nicht weiter.Vielen Dank.
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Monika Balt, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Herr Minister Riester hätte gleich nach demRatschlag von George F. Kennan handeln sollen:Aus dem Lexikon jedes ernstzunehmenden Politi-kers sollten die Wörter „immer“ und „niemals“ ge-strichen werden.Es ist schon bemerkenswert, daß Herr Riester und derBundeskanzler noch vor Wochen kategorisch nein zurRente mit 60 sagten. Erst nachdem sich der Streit mitder IG Metall zuspitzte und Klaus Zwickel damit drohte,die Gesprächsrunde „Bündnis für Arbeit“ platzen zu las-sen, lenkten sie ein. Sicherlich werden die Schlappen beiden Landtagswahlen in den letzten Wochen und Mona-ten das ihre dazu beigetragen haben. Aber sei es, wie essei: Wir begrüßen jeden Schritt, der wegführt vom Starr-sinn und hinführt zu mehr Flexibilität in der Politik, ge-rade bei dem sensiblen Thema Rente.
Vor dem Hintergrund der anhaltend hohen Massenar-beitslosigkeit ist jede Initiative, so auch die der IG Me-tall, zu begrüßen, die nach Wegen sucht, gerade jünge-ren Menschen einen Arbeitsplatz zu schaffen.Es ist nicht nur legitim, sondern gesellschaftspolitischgeradezu notwendig, darüber nachzudenken, wie derKatrin Göring-Eckardt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5549
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Produktivitätsfortschritt genutzt werden kann, um einer-seits die Löhne und Gehälter von Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmern zu erhöhen und andererseits die Ar-beitszeit zu kürzen: Die Steigerung von Löhnen und Ge-hältern ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, erhöhtdie Kaufkraft und damit die Nachfrage und senkt indi-rekt die Finanzierung der Sicherungssysteme. Eine Kür-zung der Arbeitszeit eröffnet die Chance, jene, die heuteohne Erwerbsarbeit sind, schrittweise in die Erwerbsar-beit zurückzubringen. Genau dies ist der Vorschlag derIG Metall. Dieser Vorschlag ist mithin nicht absurd,sondern sehr logisch.Allerdings sind hinsichtlich der Tragfähigkeit desnunmehr vorgestellten Modells Zweifel angebracht.Zum ersten könnten unter den vereinbarten Bedingun-gen – Tariffondsmodell, 35 Jahre Einzahlung in die ge-setzliche Rentenversicherung etc. – lediglich 260 000Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von der Regelung„Rente mit 60“ ohne Abschläge Gebrauch machen. Be-denkt man – Professor Ruland bestätigte das gestern imRahmen der öffentlichen Anhörung zum Haushaltssanie-rungsgesetz nachdrücklich –, daß von sieben freigesetz-ten Stellen nur eine wiederbesetzt wird, ergäbe das rund37 000 Arbeitsplätze. Das ist selbst in dem kleinen Bun-desland Brandenburg, in dem ich lebe, nur ein Tropfenauf den heißen Stein.
Soll das die bundesweit spürbare Entlastung des Ar-beitsmarktes sein?Zum zweiten: Wieso soll das Modell auf fünf Jahrebeschränkt werden? Meinen Sie, daß es zur Stärkung desGenerationenvertrages beiträgt, wenn die junge undmittlere Arbeitnehmergeneration die Frührente mit Ver-zicht auf Lohnzuwächse finanzieren soll, ohne selbst,befreit von den 18prozentigen Abschlägen, mit 60 inRente gehen zu können? Wo bleibt da der Grundsatz derGerechtigkeit?
Zum dritten ist die Bundesregierung fein heraus,wenn gesagt wird, die Rente mit 60 sei Verhandlungssa-che der Tarifparteien. Außerdem steht in den Sternen, obdie anderen Gewerkschaften dem IG-Metall-Modell fol-gen und ob die Arbeitgeber mitspielen, auch wenn ihnendas Modell mit moderaten Lohnzuwächsen schmackhaftgemacht wird.In Ostdeutschland sind nur 44 Prozent der Unterneh-men tariflich gebunden. Sehe ich mir diese Unterneh-men an, dann stelle ich fest, daß das Großunternehmenoder Ableger der großen Konzerne sind. In den altenBundesländern sind es auch nur 60 Prozent der Unter-nehmen. Zwar stemmen sich die Arbeitgeberverbändelautstark gegen das Modell, aber letzten Endes werdensie ihm folgen, finanzieren doch die Arbeitnehmer dieRationalisierungsvorhaben der großen Unternehmen.Billiger kann man es nicht haben!Man muß schon sagen: Genauso wie bei der Renten-anpassung 2000 und 2001, für die die Kassenlage desBundesfinanzministers maßgebend ist, hat die Bundes-regierung hier einen Anlauf genommen, um einen rie-sengroßen Sprung zu landen. Herausgekommen ist abernur ein kleiner Hopser.Wenn eine Altersrente mit 60 ermöglicht werden soll,warum wird dies dann auf die tarifliche Ebene abge-schoben? Eine bundesweit einheitliche Regelung kannnur auf gesetzlichem Wege erzielt werden. Wer be-hauptet, das sei nicht finanzierbar, erhebt die Beitrags-satzstabilität ebenso zum Dogma wie die Erhöhung desBundeszuschusses. Für Arbeitnehmer wie für Arbeitge-ber macht es keinen Unterschied, ob sie jeweils 0,5 Pro-zent zusätzlich in einen Tariffonds oder gleich in die ge-setzliche Rentenversicherung einzahlen.
Nur so könnten alle Arbeitnehmer – egal, ob jung oderalt – von dieser Lösung profitieren; denn nur ohne zeitli-che Begrenzung kann der Generationenvertrag stabilbleiben.Wir sagen ja zur Rente mit 60, aber nicht so. Wirbleiben bei unserer Forderung nach sozial verträglichen,fließenden und flexiblen Übergängen aus dem berufli-chen in den nachberuflichen Lebensabschnitt.
Jetzt hat die Parla-
mentarische Staatssekretärin Ulrike Mascher das Wort.
U
Frau Präsi-dentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! DasSchlagwort „Rente mit 60“ beherrscht die derzeitige so-zialpolitische Diskussion. Es wird zur scheinbar zentra-len rentenpolitischen Frage hochstilisiert, ohne daß je-doch – wie die gerade abgelaufene Fragestunde gezeigthat – der Kerngehalt und die Reichweite dieses Modellsauch nur im Ansatz erfaßt worden sind.Was ist denn die Grundlage dieses Vorschlages?Grundlage ist die allen gemeinsame Zielsetzung, Maß-nahmen zu entwickeln, die angesichts der nach wie vorhohen Arbeitslosigkeit den Arbeitsmarkt entlasten. Wirhatten im vergangenen Jahr in Deutschland im Durch-schnitt 4,3 Millionen Arbeitslose. Wir haben daher dieAufgabe, alles zu tun, um eine Wende zum Besserenherbeizuführen und Vorschläge zu unterstützen, die dieChancen für Arbeitslose verbessern. Auf dieses Ziel ha-ben sich auch alle Teilnehmer des „Bündnisses für Ar-beit“ verpflichtet.Als ersten Schritt wollen wir die bisherigen Regelun-gen zur Altersteilzeit verbessern. Durch das Gesetz, dasmorgen beraten wird, sollen noch mehr Arbeitnehmerund Arbeitnehmerinnen – insbesondere Teilzeitbeschäf-tigte, die durch das alte Gesetz ausgeschlossen waren –,aber auch mehr Unternehmen die Altersteilzeit nutzen.Wir schaffen gleichzeitig einen Anreiz, neue Mitarbeiterund Mitarbeiterinnen einzustellen, indem wir die Wie-derbesetzung der Arbeitsplätze – das ist ja das Entschei-dende dabei – für kleine und mittlere Unternehmen er-leichtern.Monika Balt
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Genau auf diesen Punkt – Abbau der Arbeitslosigkeitund bessere Chancen für Arbeitslose – zielt auch derVorschlag der Tarifrente mit 60. Wenn auch für Versi-cherte mit mindestens 35 Versicherungsjahren – hiersind Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungs-zeiten anrechnungsfähig – der Rentenzugang mit 60 er-möglicht werden kann, dann haben wir die begründeteErwartung, daß es dadurch zu Entlastungseffekten aufdem Arbeitsmarkt kommen wird.Natürlich ist eine Tarifrente mit 60 nicht zum Nullta-rif zu haben. Das ist auch niemals behauptet worden.Das Modell sieht vielmehr vor, daß die Tarifpartner überdie Finanzierung von Tariffonds einen Teil des Lohn-zuwachses zum Ausgleich von Rentenabschlägen unddamit zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einsetzen.Ich kann nur sagen: Ich halte das für ein bemerkens-wertes solidarisches Angebot, das man nicht so abwer-ten sollte, wie es vorhin geschehen ist.
Die Bundesregierung hat ihren Standpunkt klar for-muliert: Die Tarifrente mit 60 darf die Rentenkasse nichtbelasten, und sie darf nicht zu Beitragssatzsteigerungenführen. Die Konsolidierung der Rentenfinanzen bleibtfür uns absolut unabdingbar. Das ist der grundlegendeRahmen für jedes Modell eines vorzeitigen Rentenbe-zugs. Denn wir haben uns mit der Rentenstrukturreformdas Ziel gesetzt, die Beiträge zu senken und zu stabili-sieren. Das haben wir in einem ersten Schritt auch tat-sächlich gemacht und es nicht nur versprochen.
Von diesem Ziel werden wir nicht abrücken.Was wir vor diesem Hintergrund tun können ist: Wirkönnen die arbeitsmarktpolitisch belastende, noch vonder alten Regierung beschlossene rasche Anhebung derAltersgrenzen und die Einführung der versicherungs-mathematischen Abschläge für eine Übergangszeit neu-tralisieren. Darauf zielt das auf fünf Jahre befristete Mo-dell der Tarifrente ab 60 ab. Es geht darum, kurzfristigdie Erwerbschancen für Jüngere zu verbessern. Dennlangfristig – das zeigen alle demographischen Projektio-nen – wird das Erwerbspotential zurückgehen, und da-mit wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt entspan-nen. Deshalb haben wir das Modell auf nur fünf Jahrebefristet.Die Tarifrente ab 60, realisiert über das Modell desTariffonds, beschreibt nur einen möglichen Vorschlag.Das Ob und Wie des Tariffondsmodells fällt ausschließ-lich in die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien. Esmüssen sicher noch viele rechtliche, organisatorischeund finanzielle Fragen erörtert werden. Es sollten aberalle in Betracht kommenden Ideen und Alternativen ineinem ergebnisoffenen Prozeß unter den Tarifpartnerndiskutiert werden.
Es ist kein „Modell Riester“, sondern es liegt in derVerantwortung der Tarifpartner, wie sie auf diesem Feldzu Fortschritten gelangen. Die Gewerkschaften werdenjetzt in die Detailarbeit einsteigen und vor allem dieDiskussion mit der jüngeren Generation führen, um zuverdeutlichen, daß hier der Grundsatz „Jung für Alt“ –falls beide dies wollen – für einen vorübergehendenZeitraum durchaus beiden Seiten nutzen kann. Ich hoffe,daß das Modell Chancen für junge Arbeitslose eröffnet.Denn das ist doch das, worüber wir streiten müssen undwofür wir kämpfen sollten!
Ich hoffe, daß die Opposition begreift, daß sie hiereine Chance zu zerstören droht, die vielleicht einigenErwerbslosen eine Möglichkeit eröffnen würde, auf diediese dringend hoffen. Ich würde Sie wirklich herzlichbitten und auffordern, in einen konstruktiven Dialogüber dieses Modell einzutreten und es nicht in einerWeise kaputt zu reden, wie Sie es vorhin in der Frage-stunde versucht haben.Danke.
Nun erteile ich
das Wort der Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich finde, der aktuelle ren-tenpolitische Vorstoß von Rotgrün ist schon ein ganzbesonders starkes Stück.
Frau Mascher, das ist für mich der traurige Höhepunkteiner ganzen Reihe willkürlicher Aktionen und Eingriffedieser Regierung in die Sozialpolitik.
– Herr Bodewig, ich habe Sie auch ausreden lassen.Die gesetzliche Rente baut auf Verläßlichkeit und aufGerechtigkeit. Gerade einmal zwölf Monate hat Ar-beitsminister Riester gebraucht, um das Vertrauen indieses System zu zerstören, und gerade zwölf Monatehat es gedauert, um ältere und jüngere Menschen zutiefstzu verunsichern –
die Älteren, weil sie mit niedrigen Rentenanpassungenund der Ökosteuer zur Kasse gebeten werden, die Jünge-ren, weil sie hohe Beiträge zahlen müssen, ohne zu wis-sen, ob sie jemals eine vernünftige Gegenleistung er-halten.Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5551
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Das Drama begann im vergangenen Jahr mit derAussetzung der von CDU/CSU und F.D.P. verabschie-deten Rentenreform. Damals wollten Sie glauben ma-chen, daß für Rotgrün die Gesetze der Mathematik nichtgelten; alle Fakten wurden von Ihnen ignoriert: wenigerBeitragszahler, mehr Rentner und eine höhere Lebens-erwartung. Es kann alles so bleiben, wie es ist, war Ihrefalsche Botschaft.
Jetzt hat die Realität Sie eingeholt.
Der von uns vorgesehene demographische Faktorhätte die drängendsten Probleme gelöst. Er wäre fair undgerecht gewesen. Er hätte den Anforderungen einerverläßlichen Rentenpolitik entsprochen, und er hätte vorallem eines deutlich gemacht: daß die Rentenversiche-rung ein Generationenvertrag ist, daß Jung und Alt ge-meinsam für das Funktionieren des Systems einstehen.Jeder gibt seinen Teil dazu.
Und dann: rotgrüne Flickschusterei. Betroffen sinddie Rentnerinnen und Rentner, weil ihre Rente nur nochin Höhe der Inflationsrate angepaßt wird, und die Bei-tragszahler, weil ihnen mit dieser „Rente nach Kassen-lage“ deutlich gemacht wurde, daß die rotgrüne Regie-rung willkürlich in das Rentensystem eingreift und Ver-läßlichkeit – vor allem für die Zukunft – nicht mehr ge-geben ist.
Und jetzt: Frühverrentung ab 60. Sie soll nach einemganz einfachen Muster funktionieren: Alle Arbeitnehmermüssen zahlen, aber nur die über 55jährigen können siein Anspruch nehmen. Für die junge Generation, für mei-ne Generation heißt das: Leistung ohne Chance auf Ge-genleistung.
Ich frage Sie: Nennen Sie das gerecht?
Hat das etwas mit Generationensolidarität zu tun?Die Frühverrentung ab 60 ist ungerecht. Sie ist un-gerecht, weil sie Jüngeren einseitig Belastungen zumu-tet. Noch nicht einmal, lieber Herr Bodewig, die jungenMitglieder der IG Metall
unterstützen noch diesen Vorschlag. So sagt zum Bei-spiel der norddeutsche IG-Metall-Jugendsekretär im„Spiegel“ dieser Woche – ich zitiere ihn –:Junge Arbeitnehmer, die ohnehin jede Mark um-drehen müssen, sollen in Tariffonds einzahlen,werden aber nie von der Frührente profitieren.
Junge Arbeitnehmer brauchen ihr Geld, auch noch sogeringe Lohnerhöhungen, um für ihre eigene Zukunft,für ihre eigenen Familien vorzusorgen. Noch etwas: Die Frühverrentung ab 60 wird keineneuen Arbeitsplätze schaffen, weil sie die Arbeitskostenerhöht und damit die Betriebe zu weiteren Rationalisie-rungen zwingt.
Die Wirtschaftsforschungsinstitute kommen in ihremgestern vorgestellten Herbstgutachten zu einem wirklichvernichtenden Ergebnis. Da heißt es:Wahrscheinlich mindern die Rentenvorschläge dieBeschäftigung und die gesamtwirtschaftliche Pro-duktion. Zu der notwendigen Erhöhung der Be-schäftigungsdynamik tragen sie nichts bei.Klare Worte, wie ich meine.Sie, Frau Mascher, und Ihre Regierung machen dieAltersvorsorge zum Spielball der Politik. Sie verunsi-chern die Menschen, ganz gleich, ob sie jung oder altsind. Sie provozieren mit Ihren willkürlichen Maßnah-men, daß sich junge Menschen andere Formen von Ar-beit suchen, mit dem Ergebnis, daß immer weniger indie Rentenkassen einzahlen. Dieser Weg wird irgend-wann in die Rentenpleite führen.
Haben Sie gar kein schlechtes Gewissen? Haben Siekein schlechtes Gewissen, daß Sie der jungen Generati-on verläßliche Perspektiven für ihre eigene Zukunftsge-staltung nehmen? Ich kann Sie nur auffordern und bit-ten: Binden Sie uns, die junge Generation, ein! LassenSie uns beim Generationenvertrag bleiben, beim Mitein-ander von jung und alt!
„Wir sitzen alle in einem Boot“, hat Norbert Blüm ge-sagt. Bleiben Sie dabei!
Nehmen Sie Ihren ungerechten Vorschlag von der Früh-verrentung auf Kosten der jungen Arbeitnehmer zurück;sonst muß es nämlich heißen: Rente für Riester und IhreRegierung, und zwar sofort!Wir zeigen Ihnen für Ihre Rentenpolitik die rote Kar-te, so wie es die jungen Wähler bei den vielen Wahlen indiesem Jahr schon getan haben.Danke.
Ursula Heinen
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Nun erteile ich dem
Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsi-dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! DieBeiträge der CDU und der F.D.P. zeigen ein erschrek-kendes Bild der Kenntnisse über die Arbeitswelt.
Das ist im übrigen schon einmal schiefgegangen, näm-lich als der Vorsitzende der IG Metall ein „Bündnis fürArbeit“ vorgeschlagen und der Politik die ausgestreckteHand gereicht hat, Sie diese aber fahrlässigerweise aus-geschlagen haben. Sie haben das Bündnis platzen lassen.Das hat dem sozialen Frieden in diesem Lande nichtgedient. Damit haben Sie großen Schaden angerichtet.Ich habe den Eindruck, daß das gleiche jetzt wieder pas-siert.
Ich hatte den Eindruck, daß die Fragestunde eine ArtNachhilfeunterricht über Tarifautonomie und Zustän-digkeiten war.
Frau Heinen – ich sage das ganz offen –, Sie habenvom rotgrünen Rentenkonzept gesprochen. Das Thema,zu dem Sie eine Aktuelle Stunde beantragt haben, lau-tet: „Rente mit 60“. Wenn wir hier in der Schule wä-ren, würde der Lehrer sagen müssen: Thema ver-fehlt! Setzen! Fangen Sie bitte noch einmal von vornean.
Rente mit 60: Sie fragen nur nach den Belastungen.Fragen Sie auch einmal nach den Chancen? Es gehtletztlich darum, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer, die mehr als 35 Versicherungsjahre dem tägli-chen Arbeitsdruck standgehalten haben – das werdenviele von Ihnen niemals erreichen; das sollte man nichtvergessen –, deshalb verschlissen sind und nun fra-gen: Wie kann ich in Würde aus dem Arbeitslebenaussteigen? Diese Arbeitnehmer erwarten sowohl vonder Politik als auch von ihrer Gewerkschaft eine Ant-wort.Wir dürfen in dieser Situation nicht vergessen, daßdiejenigen, für die eine Rente mit 60 überhaupt in Fragekommen würde, diejenigen sind, die noch mit 14 oder15 Jahren – und nicht wie heute mit 19 oder 20 Jahren –ins Arbeitsleben eingestiegen sind. Wir dürfen dasnicht vergessen, wenn wir ältere Menschen wirklichin Würde aus dem Arbeitsleben ausscheiden lassenwollen.35 und mehr Versicherungsjahre als Grundvorausset-zung! Das, was der Gesetzgeber ermöglichen sollte, ist,daß er diejenigen, die diese Voraussetzung erfüllen, vor-zeitiger unter normalen Umständen in Rente gehen las-sen sollte, ohne daß dadurch die Beitragskassen belastetwerden. Das ist eine sozialpolitische und eine arbeits-marktpolitische Chance. Dies entspringt der gesell-schaftlichen Verantwortung, der sich die Gewerkschaf-ten stellen, wenn sie versuchen, ein solches Tariffonds-modell zu vereinbaren.
Daß die Gewerkschaft die Chancen für die Älteren,unter erleichterten Bedingungen aussteigen zu können,mit den Chancen für Jüngere mischt, ist ein weiteresBeispiel dafür, daß sie sich als ein Interessenverbanddem Gemeinwohl verantwortlich fühlt. Jüngere erwarten– wenn wir sie heute ansprechen, sagen sie das –, daßsie nach der Ausbildung in den Betrieben einen qualifi-zierten Arbeitsplatz bekommen, der ihnen sonst häufigverwehrt wird. Jüngere sollten die Chance haben, nachder Ausbildung überhaupt ins Erwerbsleben einsteigenzu können.Dies geht ohne Beitragserhöhung und ohne Steuerer-höhung. Dies steht also im Gegensatz zu dem Modell,das Sie in der Vergangenheit verfolgt haben, nämlichden Vorruhestand über Steuer- und Beitragserhöhungenzu finanzieren.
Das war so; das muß an dieser Stelle einmal deutlich ge-sagt werden.Nun sagen Sie, es sei in Frage gestellt, in welcherGrößenordnung eine Wiederbesetzung der freiwerden-den Stellen stattfindet. Zuallererst ist hier Kreativität ge-fragt, um tarifvertragliche Regelungen hinzubekommen,die eine entsprechende Wiederbesetzungsregelung ent-halten. Die Tarifparteien haben die Chance, vernünftigeRegelungen zu vereinbaren.Insgesamt gesehen – das sollte man deutlich sagen –geht es um etwa 2,5 Millionen Arbeitnehmer, die zwi-schen 55 und 60 Jahre alt sind.
Würden nur 80 Prozent dieser 2,5 Millionen Arbeitneh-mer vorzeitig in Rente gehen und würde nur ein Drittelder freigewordenen Arbeitsplätze neu besetzt wer-den, wären das immerhin 660 000 Neueinstellungen.Würde die Hälfte der Arbeitsplätze neu besetzt werden,wären es 1,32 Millionen. Das ist eine bedeutende Zahl,die die arbeitsmarktpolitische Dimension deutlichmacht.
– Frau Schnieber-Jastram, Ihr Zwischenruf „Was kostetdas den Steuerzahler?“ hat erneut gezeigt, daß Sie dasThema immer noch nicht verstanden haben; denn dieTarifvertragsparteien haben erklärt, sie wollten die Bei-träge aufbringen, die notwendig sind, um Menschen mit60 oder mit 61 oder mit 62 Jahren unter vernünftigenfinanziellen Bedingungen aus dem Arbeitsleben aus-scheiden zu lassen. Die Sozialkassen sollen nicht bela-stet werden, die Steuerkassen sollen auch nicht belastetwerden. Was haben Sie eigentlich gegen ein solches
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Modell, das dem Grundgedanken der Solidarität ent-spricht?
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Das kostet nicht die Ren-
tenversicherung einen Haufen Geld, sondern das kostet
diejenigen einen Haufen Geld, die das zusammentragen
müssen. Angesichts dessen schlage ich vor, daß Sie den
Prozeß zwischen denjenigen, die das sozial verantwort-
lich erreichen wollen, nicht stören, sondern fördern. Es
ist christlich, wenn man hilft. Es geht in dieser Situation
darum, nicht zu spalten, sondern Brücken zu bauen. Sie
sollten mithelfen, älteren Menschen einen Ausstieg aus
dem Arbeitsleben zu ermöglichen,
anstatt den Ausstieg aus dem Arbeitsleben zu verteu-
feln.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Ihr Konflikt ist politisch
motiviert. Mir ist das besonders aufgefallen, als Herr
Göhner geredet hat. Wir haben der Presse entnommen,
daß viele Arbeitgeberverbandsfunktionäre sagen, der
Einstieg in die Rente mit 60 sei ein Modell, das man
überdenken und mit den Tarifvertragsparteien erörtern
müsse. Wenn Herr Göhner im „Bündnis für Arbeit“ auf
der anderen Seite sitzt, also ein Verbandsfunktionär mit
Parteibuch ist, dann ist dies eigentlich schlimm für die
ältere Generation, die keine Chance hat, auszusteigen,
und noch schlimmer für die jüngere Generation, die kei-
ne Chance hat, einzusteigen.
Herzlichen Dank.
Jetzt hat der Kollege
Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann esdrehen und wenden und auch verdrehen, wie man will:Die Bundesregierung hat mit dem Frühverrentungskom-promiß, den der Bundesarbeitsminister mit dem IG-Metall-Vorsitzenden zum Thema „Rente mit 60“ ausge-handelt hat, erneut ein falsches wirtschafts- und sozial-politisches Signal gesetzt.
Frühverrentung – egal, wie sie organisiert und bezahltwird – ist kein erfolgversprechender Weg zur Schaffungneuer Arbeitsplätze. Höheren Kosten, die vor allem vielejüngere Arbeitnehmer für einige, die davon begünstigtwerden, tragen müssen, steht ein sehr zweifelhafter Nut-zen gegenüber. Wir sagen dies im übrigen auch in derErkenntnis, daß alle bisherigen Frühverrentungsaktionennicht annähernd die gewünschten Effekte auf dem Ar-beitsmarkt erbracht haben. Desto verwunderlicher ist es,daß diese Regierung trotzdem erneut in diese Richtunggehen möchte. Hier weigert man sich schon mit einerbesonderen Hartnäckigkeit, aus vergangenen Fehlern zulernen. Für die Bundesregierung, für den Bundesar-beitsminister, für den IG-Metall-Chef, für die SPD-Fraktion, möglicherweise auch für den Bundeskanzler –bei ihm weiß man es nicht so richtig – gilt offensichtlichinzwischen das Motto: „Und ist der Weg auch falschund steinig, Hauptsache, wir sind uns einig.“
Meine Damen und Herren, überall ist von Flexibili-sierung die Rede. Wir brauchen – das hat auch mancheiner in der IG Chemie begriffen – möglichst flexibleArbeitszeiten. Das gilt natürlich auch für die Lebensar-beitszeit. Die Frage ist, warum ein Arbeitnehmer nichtselbst entscheiden soll, wann er in Rente geht; wenn ernur bis 60 arbeiten möchte, dann soll er dies auch tun.
Dabei muß man allerdings so ehrlich sein, Herr KollegeDreßen, ihm zu sagen, daß er dafür Abschläge bei derRente in Kauf nehmen muß.Wer nicht den Mut hat, zusagen, daß die Rente ab 60 ohne Abschläge nicht geht,wer der Auffassung ist, dies auf dem Rücken der Bei-tragszahler, insbesondere der jüngeren Beitragszahler,austragen zu können, der betreibt schlicht eine Umver-teilung von Jung zu Alt. Mit der Schaffung von Arbeits-plätzen hat dies nichts zu tun.
Es ist klar: In Anbetracht der demographischen Ent-wicklung bei der Rente, aber auch der Lage auf dem Ar-beitsmarkt ist davon auszugehen, daß die Lebensarbeits-zeit tendenziell steigen muß. Wer immer länger lebt,kann nicht immer früher in Rente gehen, sondern mußtendenziell eher später in Rente gehen.
Dies muß man den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mern klar sagen, damit sich jeder darauf einstellen kann.Übrigens, die Rechnung der IG Metall, durch dieRente mit 60 würden bis zu einer Million neue Stellengeschaffen, ist eine Milchmädchenrechnung. Schon derDGB spricht von lediglich 170 000 neuen Stellen. Dieseneuen Stellen sind im übrigen nicht wirklich neu. Viel-mehr sind es alte Stellen, die lediglich neu besetzt wer-den. Auch hier hat man den Eindruck, daß gelegentlich –Klaus Brandner
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vielleicht sogar bewußt – mit falschen Begriffen ge-arbeitet wird. Ob diese sogenannten freiwerdendenStellen überhaupt neu besetzt werden, bleibt absolutfraglich.
Wahr ist, Herr Andres, daß in der VergangenheitFrühverrentungsregelungen – in erster Linie von Groß-betrieben – dazu benutzt wurden, kostengünstig Personalzu reduzieren und zu rationalisieren.
Die Zeche bezahlen, wie so oft, die kleinen und mittle-ren Betriebe. Sie und ihre Arbeitnehmer müßten in denTariffonds mit einbezahlen, könnten selbst aber kaumFrühverrentungen vornehmen. Nach Angaben von Ge-samtmetall gibt es schon jetzt allein in der Metallbran-che einen Facharbeitermangel von 120 000 Beschäftig-ten. Es wäre für viele Unternehmen blanke Selbstzerstö-rung, wenn sie ihre bewährten Facharbeiter früher inRente schicken würden. Denn sie würden auf dem Ar-beitsmarkt nur schwer qualifizierten Ersatz finden.Ein letzter Punkt. Die Finanzierungsform über Tarif-fonds ist reine Augenwischerei.
Ein Tariffonds entsteht nicht durch den Kompromiß ei-niger älterer Herren. Nein, meine Damen und Herren,die Betriebe und die Arbeitnehmer sollen aus demLohnzuwachs zusammen 1 Prozent aufbringen – andersgesagt: Sie sollen auf 1 Prozent des Lohnzuwachses ver-zichten. Fakt ist, daß ein Frührentner die Rentenkassezusätzlich 50 000 DM im Jahr kostet. Nach Angaben desVDR würde die gesamte Frühverrentungsaktion, ange-legt auf fünf Jahre, insgesamt 66 Milliarden DM kosten.Dieses Geld müßte – egal, ob über die Rentenkasse oderob über den Tariffonds – von den jüngeren Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmern aufgebracht werden. DieseUmverteilung wäre eine zusätzliche Hypothek, insbe-sondere für die jüngeren Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer, denen es völlig egal ist, ob sie Steuern be-zahlen, ob sie in die Rentenkasse einzahlen oder ob siein einen Tariffonds einbezahlen.
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an die Redezeit!
Meine Damen und
Herren, bleibt abschließend zu sagen – das ist in einigen
Presseberichten dieser Tage erwähnt worden –: Mögli-
cherweise trifft die nächste teure Frühverrentungswelle
der Bundesregierung den Bundesarbeitsminister selbst.
Nach der freiwilligen Frühverrentung Oskar Lafontaines
wäre das dann die Zwangsrente für Riester.
All das können wir nicht verhindern, aber wir wären
schon dankbar, wenn Sie die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, wenn Sie das Land mit weiteren solchen
Luftnummern verschonen würden.
Danke sehr.
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Sie von derOpposition haben gerade eingeklagt, daß wir hier eineehrliche Debatte führen. Dafür bin auch ich, selbstver-ständlich auch beim Thema „Rente mit 60“. Aber zual-lererst gehört zu dieser Ehrlichkeit, festzustellen, daßdas Mißtrauen, das die junge Generation gegenüber demRentensystem hegt, und die Verunsicherung – das ist jarichtig bemerkt worden – damit zu tun haben, daß Sie inder Vergangenheit 16 Jahre eine falsche Rentenpolitikbetrieben haben. Dies hat systematisch zur Verunsiche-rung der jungen Generation beigetragen.
Ich sage Herrn Westerwelle und Herrn Ramsauer, dervon sogenannten Geheimpapieren gesprochen hat
und die Anhebung der Renten in Höhe der Inflationsratethematisiert hat: Sie haben das heutige Thema nur auf-gegriffen, um davon abzulenken, daß Sie acht Jahre langdie Renten noch nicht einmal in Höhe der Inflationsrateangehoben haben. Davon wollen Sie mit dieser Debatteablenken. Das ist ganz billiger Wahlkampf.
Sie wollen auch davon ablenken, daß es Ihnen in derVergangenheit nicht gelungen ist, ein politisches Klimazu erzeugen, in dem um neue Ansätze zur Lösung derRentenproblematik gerungen werden konnte.
Die Vorschläge, die jetzt zum Beispiel von den Ge-werkschaften mit der Rente mit 60 in die Debatte einge-bracht worden sind, sind erste gute Versuche zur Lösungsowohl des Renten- als auch des Beschäftigungspro-blems. Wir diskutieren bisher lediglich über ein Bei-spiel, nämlich über den Vorschlag der IG Metall, denSie thematisiert haben.
Thomas Strobl
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Ich bin der Ansicht, daß die Tarifpartner selbstver-ständlich frei in ihren Entscheidungen sind. Trotzdembedarf es eines klaren politischen Kommentars, geradewenn es um das „Bündnis für Arbeit“ geht. Deswegensage ich in diesem Zusammenhang auch deutlich: Derjetzige Vorschlag der IG Metall ist nicht geeignet, dasBeschäftigungsproblem so zu lösen, wie es sich die IGMetall wünscht. Dies hängt mit unterschiedlichen Ein-schätzungen zusammen. Frau Mascher hat zu Recht dar-auf hingewiesen, daß dies auch mit der unterschiedli-chen Entwicklung in den einzelnen Branchen zusam-menhängt.Wenn wir die Politik der Frühverrentung weiter-betreiben, dann müssen wir bedenken, daß die Rationali-sierungswellen in vielen Branchen, beispielsweise beiden Versicherungen und den Banken, noch ausstehen.Gerade vor diesem Hintergrund muß der Vorschlag„Rente mit 60“ unter beschäftigungspolitischen Aspek-ten sehr kritisch abgeklopft und bewertet werden. Ichglaube, daß er beschäftigungspolitisch nicht in die rich-tige Richtung führt. Gleichwohl müssen wir die Proble-matik diskutieren. Wir können überhaupt nicht leugnen,daß wir eine Lösung finden müssen, die den jungenLeuten nicht nur höhere Beiträge abverlangt, sondernihnen auch Leistungen bietet.
Auf das Angebot solcher Leistungen muß die Beschäfti-gungspolitik hinwirken. Dies gebietet uns die Notwen-digkeit eines neuen Generationenvertrags.Ich habe Verständnis dafür, daß auch ältere Arbeit-nehmer nach Lösungen suchen, um frühzeitig aus demArbeitsleben ausscheiden zu können; denn schon in derVergangenheit wurde in den Betrieben moralischerDruck auf die älteren Arbeitnehmer in dieser Richtungausgeübt. Aber das sympathisch wirkende Bild – dieAlten machen in Solidarität Platz für die Jungen –stimmt meines Erachtens auf Grund der Erfahrungen inder Vergangenheit nicht mehr. Die jungen Leute sollenBeiträge in einen Tariffonds während einer Phase ihresLebens einzahlen, in der sie ihre Familien gründen wol-len. Deswegen werden die jungen Leute besondereSchwierigkeiten haben, in eine private Vorsorge zu in-vestieren.Einen anderen Aspekt des Tariffonds – dies möchteich an die Adresse der Gewerkschaften sagen – halte ichunter frauenpolitischen Gesichtspunkten für sehr rele-vant: Die Nutznießer des jetzt vorgeschlagenen Modellssind zu 90 Prozent Männer. Nur 10 Prozent der Frauenwerden Nutznießer sein. Vor diesem Hintergrund mußman fragen, ob es jüngeren Frauen zumutbar ist, in einenTariffonds einzuzahlen, von dem letzten Endes ältereMänner in ihren besten Jahren profitieren.Ich möchte erreichen, daß wir auch im „Bündnis fürArbeit“ eine offene Debatte darüber führen, ob andereModelle von Tariffonds in beschäftigungspolitischerSicht nicht viel weiter führen. Die IG Metall selbst hatim Bezirk Hannover einen Vorschlag gemacht, an des-sen Umsetzung gerade gearbeitet wird. Dort wird einFonds gebildet, an den Ausgleichszahlungen beispiels-weise für die Reduzierung von Arbeitszeiten geleistetwerden, wenn gleichzeitig neue Beschäftigte, neueArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, eingestellt wer-den.
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist weit überschritten.
Ich komme zum Schluß mit dem Vorschlag, im „Bünd-
nis für Arbeit“ ernsthaft einen alternativen Tariffonds zu
erwägen, der ein Tariffonds für Job-sharing und nicht
für Rente mit 60 ist.
Jetzt hat der Kollege
Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsi-dentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heutegenau vor einem Jahr ist diese Bundesregierung ange-treten, und seither wächst die Sorge bei 18 MillionenRentnerinnen und Rentnern in unserem Land.
Rotgrün zerstört jeden Tag mehr das Herzstück der ge-setzlichen Rentenversicherung, nämlich das Vertrauen,die Nachhaltigkeit und die Zukunftssicherheit; selbst dieunablässige Höchststrafe bei den Wahlen in den vergan-genen Wochen hält Sie nicht davon ab. Der Bruch gege-bener Wahlversprechen hat sich fest in das Bewußtseinder Menschen in unserem Land eingeprägt.
Daran kann auch die spektakuläre Entschuldigung desBundeskanzlers vor zweieinhalb Wochen in einer Sen-dung bei Frau Christiansen nichts ändern. Er hat ge-sagt – ich zitiere: Ich habe das seinerzeit vor demHintergrund von Berechnungen gesagt, die ich für zu-treffend hielt, und das war ein Irrtum. Das habe ich ein-zugestehen. Lassen Sie es mich mal so sagen: Wenn ichkönnte, würde ich zu jedem gehen und sagen: Es tut mirleid.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brau-chen keinen Bundeskanzler, der sich ständig entschul-digt,
Wir brauchen einen Bundeskanzler, der endlich dieWahrheit sagt.
Dr. Thea Dückert
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5556 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
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Die Rente ab 60 ist das nächste Kapitel einer Kettevon Unehrlichkeiten.
Am 8. November 1998 kündigte der Bundeskanzler an:Volle Rente mit 60. Knapp ein Jahr später, am 6. Okto-ber 1999, sagte der gleiche Kanzler auf dem IG-Metall-Kongreß: Das kann ich nicht verantworten.
Wiederum nur wenige Tage später überraschte unsder Arbeitsminister mit der Erklärung, die Rente mit 60gehe doch. – Was sich hier abspielt, ist ein rentenpoliti-sches Tollhaus. Damit muß Schluß sein.
Natürlich wünschen sich viele Arbeitnehmer inDeutschland eine Rente mit 60, natürlich gingen sie gernin den Ruhestand. Aber wenn es richtig ist, daß die Aus-bildung immer länger dauert und die Menschen inDeutschland immer älter werden, also die Rentenbe-zugszeit zunimmt, dann kann doch nicht der frühereRentenbeginn die Lösung sein.Ich möchte auf den Punkt bringen, was Ihr Modellbedeutet. Wir haben 27 Millionen sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigte in Deutschland, die Rentenbeiträ-ge zahlen.
Die Pläne der Regierung gehen davon aus, daß zirka1 Million Arbeitnehmer vorzeitig in Rente gehen könn-ten. Wenn man 1 Million Beschäftigte zugrunde legt, diedieses Angebot nutzen, müßten 26 Millionen sozialver-sicherungspflichtige Arbeitnehmer 0,5 Prozent vomBruttolohn für die Finanzierung dieser Vergünstigungzahlen, ohne dafür jemals eine Gegenleistung zu erhal-ten.
Hinzu kommt natürlich auch noch das zeitliche Mo-ment. Sie wissen doch genau, was sich in den Betriebenabspielt. Jeder rechnet nach: Gehöre ich noch dazu, oderbin ich vielleicht zu jung? Wenn jemand bei Inkrafttre-ten dieses Gesetzes 54 Jahre und 11 Monate alt ist, dannkann er zwar zahlen, hat aber keine Chance, mit 60 inRente zu gehen, während derjenige, der 55 Jahre undeinen Tag alt ist, vorzeitig in Rente gehen kann. Das isteine grobe Ungerechtigkeit.
Für die Arbeitnehmer wirkt sich dieses Modell letz-lich wie eine private Steuer aus. Sie haben das Wort Pri-vatisierung gründlich mißverstanden. Privatisierung be-deutet nicht die Zulassung von privaten Steuern.Frau Dückert, auch Sie haben hier interessante Vor-schläge gemacht, die mit denen der Bundesregierungallerdings nicht deckungsgleich sind. Ich nenne Ihneneinen gerechten, realistischen und nicht utopischen Weg:Wer sich 45 Jahre lang krummgelegt hat und 45 Jahrelang seine Rentenbeiträge gezahlt hat, wer eine ge-schlossene Rentenbiographie aufweist, der soll ab 60 indie Rente gehen können – aber auch nur der.
– Ohne Abschläge. – Das ist der richtige Weg, der auchbezahlbar ist.
Ihr Weg ist eine Sackgasse. Sie schüren die Verunsi-cherung bei den Rentnerinnen und Rentnern. Jedermannhier im Plenum weiß, daß diese Regelung so, wie sie Ih-nen vorschwebt, garantiert nicht kommen wird.
Jetzt hat die Kolle-
gin Erika Lotz, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen! Liebe Kollegen! Herr Singhammer, wenn Sie hiervon den Sorgen von 18 Millionen Rentnern reden, dannmuß ich Ihnen sagen, daß Sie an dieser Sorge und andieser Verunsicherung einen maßgeblichen Anteil ha-ben.
Wer hat denn von diesem Pult aus jahrelang verkün-det, die Rente sei sicher? Wer hat auf der anderen Seitedie Beiträge zur Rentenversicherung erhöht und die Lei-stungen aus der Rentenversicherung gesenkt? Wer hatdarüber diskutiert, das Rentenalter von 65 auf 68 oder70 Jahre heraufzusetzen?
Sie tragen die Schuld für die Verunsicherung der Rent-nerinnen und Rentner.Ich frage mich eigentlich schon gut zwei Stundenlang, was der Zweck dieser Veranstaltung ist.
Eine Gewerkschaft hat einen Vorschlag für eine tarif-vertragliche Regelung über das frühere Ausscheiden ausdem Berufsleben, für eine Tarifrente, gemacht, weil dieArbeitslosigkeit leider noch immer zu hoch ist. Die Ge-werkschaft will mit diesem Vorschlag den Weg öffnen,ohne das Ziel, Beiträge zur Rentenversicherung zu sen-ken, zu verfehlen. Ihnen ist die Senkung der Beiträge zurRentenversicherung wahrlich nicht gelungen.
Älteren, langjährig Beschäftigten soll tarifvertraglichdie Möglichkeit eingeräumt werden, ohne Abschläge mitJohannes Singhammer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5557
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60 oder mit 61 in Rente zu gehen. Warum diskreditierenSie so etwas? Warum machen Sie so etwas schlecht?Warum reden Sie es hier kaputt?
Sie wissen doch genau: Es gibt eine ganze Reihe vonlangjährig beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitneh-merinnen, die kaputt sind. Diese Menschen können nichtmit 60 in Rente gehen und Abschläge in Kauf nehmen,weil sie ihr Leben lang einen zu geringen Verdiensthatten. Diese Menschen schleppen sich weiterhin an denArbeitsplatz. Der Situation dieser Menschen will die IGMetall mit ihrem Vorschlag Rechnung tragen.
Ist das so etwas Schlimmes? Warum reden Sie das ka-putt? Das ist doch auch für junge Arbeitnehmer eineChance.
Machen wir uns nichts vor: Die Durchsetzung dieserRegelung wird kein Spaziergang und kein Zucker-schlecken sein, weil sie letztendlich Solidarität erfordert.Aber Sie machen doch den Weg zur Solidarität, die be-inhaltet, daß sich auch die Jungen solidarisch einbrin-gen, mit Ihrer Diskussion kaputt.
– Solidarität, Herr Westerwelle, scheint bei Ihnen ohne-hin ein Fremdwort zu sein.
Ich mache in meinem Wahlkreis andere Erfahrungen.Ich mache in meinem Wahlkreis die Erfahrung, daß dieJungen durchaus den Vorschlag der IG Metall begrüßenund auch bereit sind, einen Beitrag zu leisten.
Arbeitnehmer haben sich schon immer solidarisch ver-halten. Ich erinnere an das Beispiel VW: Verkürzung derArbeitszeit, um Kündigungen zu verhindern. Stellen Siees also bitte nicht so dar, als ob Junge den Rentenversi-cherungsbeitrag einzahlen, dann genau die Leistung er-warten und nicht bereit sind, das große Ganze zu sehen.Es geht nicht generell um Rente mit 60. Es geht ganzeinfach darum, eine tarifliche Möglichkeit zu eröffnen.Sie machen mit Ihrer Diskussion den Versuch zu spal-ten, eine Gewerkschaft auf einem, wie ich meine, gutenWeg zu schwächen und den anderen Tarifpartner an die-ser Stelle zu stärken.Ich sage Ihnen: Ich begrüße diesen Weg, wir begrü-ßen diesen Weg, den wir beschreiten, und ich denke, daßbei den Verhandlungen hierüber, auf dem Weg dorthin,noch weitere Dinge, beispielsweise Frauenfragen, dis-kutiert werden. Ich würde mir einen Weg wünschen, derauch den Frauen zugute kommt, die oftmals aus sehr be-kannten Gründen, was die Arbeit angeht, keine sodurchgängige Biographie haben wie die Männer.
Warum soll das Parlament die Tarifvertragsparteienbevormunden? Warum wollen wir hier eine Lösung, denTariffonds, kaputtreden? Wir befinden uns erst am An-fang der Diskussion auch in den Gewerkschaften. Er-schweren wir sie doch nicht. Es ist doch ein Weg, derletztlich auch Arbeitsplätze sichert, Jungen die Möglich-keit gibt, in einen Betrieb hineinzukommen, und Älte-ren, die kaputt sind, die wegen des geringen Einkom-mens nicht die Möglichkeit haben, dauerhaft auf 18 Pro-zent oder 10 Prozent der Rente zu verzichten, ebenfallseine Chance gibt.
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit!
Insoweit bitte ich einfach um ein
bißchen mehr Fairneß. Lassen Sie die Tarifparteien ihre
Angelegenheiten in Ruhe beraten.
Danke schön.
Jetzt hat der Kollege
Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsiden-tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor einemJahr haben Sie die Regierung übernommen. Ich denke,Sie von der SPD-Fraktion und auch Sie von den Grünenhaben sich den Jahrestag der Wahl des BundeskanzlersSchröder ein wenig anders vorgestellt, als er heute tat-sächlich ist. Heute nacht sind die Grünen bei den Waf-fenexporten eingebrochen. Sie müssen heute eine ver-murkste Rentenpolitik verteidigen. Hätten Sie sich dasalles vor einem Jahr vorstellen können, frage ich michschon während der ganzen Debatte.
Warum reden wir heute in diesem Parlament über dieRente mit 60 mit so unterschiedlicher Meinung? Weilschlicht und ergreifend in der Bevölkerung, vor allem imjüngeren Teil der Bevölkerung, für diese Art der Politikkeine Mehrheit mehr zu finden ist.Ich kann mich noch gut erinnern. Auf die Regie-rungserklärung der neuen Regierung, auf die erste Redevon Herrn Riester, habe ich hier im Deutschen Bundes-tag für meine Fraktion geantwortet und gesagt: HerrRiester, passen Sie auf, daß Sie nicht die Solidarität derGenerationen in der Rente verletzen.
Erika Lotz
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5558 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
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Seien Sie vorsichtig, die demographische Formel außerKraft zu setzen. Was haben Sie gemacht? Sie haben diedemographische Formel, die berechenbar war, außerKraft gesetzt und machen jetzt Rente nach Kassenlagemit Inflationsausgleich. Das finde ich unanständig ge-genüber der Rentnergeneration in Deutschland.
Jetzt machen Sie zusammen mit der IG Metall einenzweiten Deal, indem Sie – um es einmal ganz deutlichzu sagen – auf einen Teil Ihrer Strukturreformen nocheinmal ein Sahnehäubchen setzen, was eine Menge Geldkostet. Denn ob ich als jemand, der nicht von der Rentemit 60 profitieren kann, 1 Prozent mehr Beiträge in dieRentenkasse oder in einen Tariffonds einzahle, ist völligbelanglos. Das Geld ist weg.
Wenn dies über die Rentenversicherung organisiertwürde, hätte ich zumindest den Vorteil, daß jede MarkBeitrag zu einem Rentenanspruch führt. Aber eine Ein-zahlung in den Tariffonds führt zu gar nichts. Das, wasSie dort planen, ist eine Enteignung der Arbeitnehmer.
Ein weiterer Punkt ist, daß man dies nur finanzierenkann – dies hat Herr Riester der IG Metall zugesagt –,wenn man 1 Prozent der Lohnerhöhungen steuer- undbeitragsfrei stellt.
Wenn ich 1 Prozent der Lohnerhöhungen beitragsfreistelle, bedeutet das weitere 6 bis 8 Milliarden DM weni-ger für die Rentenkassen. Das ist doch eindeutig beleg-bar und beweisbar.Sie sagen dann: In den Genuß von dieser Regelungsollen nur Menschen kommen, die 35 Beitragsjahre inder Rentenversicherung vorweisen können, wobei Kin-dererziehungszeiten mitgerechnet werden – wobei wiralle wissen, daß in der Rentenversicherung die Genera-tion, die bis jetzt davon berührt ist, pro Kind nur ein Jahrangerechnet bekommt; denn diese Generation hat ja ihreKinder vor 1992 bekommen. Ich will ganz sachlich dar-auf antworten, daß die allermeisten Frauen von dieserRegelung mit Sicherheit nicht profitieren können. Des-wegen ist folgender Slogan richtig: Hier haben zwei alteMänner mit Rezepten der Urgroßväter versucht, nocheinmal für alte Männer etwas zu tun. Damit kann mandie jetzige Lösung am besten beschreiben.
In dieser Debatte heute hat mich etwas nachdenklichgemacht, wer für die SPD gesprochen hat. Es sind sehrnette Kollegen, deren Sachverstand ich sehr schätze; dasist keine Frage.
Aber wenn man dann feststellt, daß Kollege BodewigAbteilungsleiter beim DGB, Kollege Brandner ErsterBevollmächtigter der IG Metall Gütersloh und KolleginLotz Gewerkschaftssekretärin, Mitglied des Landesvor-standes des DGB Hessen und Mitglied der IG Metallsind,
dann muß ich sagen, daß die jetzige Politik der SPD nurnoch diejenigen vertreten wollen und werden, die in ei-ner ganz engen beruflichen Abhängigkeit zum Deut-schen Gewerkschaftsbund stehen. Das sollte jeden hieretwas nachdenklich stimmen.
Deswegen fordere ich Sie auf: Kehren Sie zu einerRentenpolitik zurück, die für Gerechtigkeit zwischenden Generationen sowie zwischen Männern und Frauensorgt. Dann werden wir das Vertrauen in die wichtigstenSysteme der Sozialversicherung sichern. Sie sind dabei,es zu zerstören.
Jetzt hat Kollege
Adolf Ostertag, SPD-Fraktion, das Wort. Bitte sehr.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin be-kennender Gewerkschafter.
Norbert Blüm stand hier an diesem Rednerpult zwarsehr wenig, aber in Bonn sehr oft und hat sich auch im-mer als bekennender Gewerkschafter dargestellt. Da-mals habt ihr allerdings noch Beifall geklatscht. Inzwi-schen ist er wahrscheinlich bekennender Politikpensio-när. Das haben wir ihm auch gewünscht.Vor einem Jahr sind Sie gerade wegen der Verunsi-cherung der Rentner abgewählt worden. Insbesonderedie Rentnerinnen und Rentner haben uns gewählt, weilsie mehr Vertrauen in diese neue als in die alte Regie-rung setzten.
– Auch aus den letzten, für uns nicht sehr gut verlaufen-den Wahlen wissen Sie, wenn Sie sie analysieren, daßwir bei den Rentnerinnen und Rentnern immer noch diegrößte Zustimmung haben. Das muß etwas mit unsererPolitik und mit Verläßlichkeit zu tun haben. Von daherweise ich es zurück, wenn hier gesagt wird, es werde ei-ne Rente nach Kassenlage gemacht.
Sie wissen genau, daß Sie sehr viel schlimmere Ein-schnitte vorgenommen haben. Sie sollten sich die ListeKarl-Josef Laumann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999 5559
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Ihrer Maßnahmen anschauen; wir haben sie im einzel-nen schon durchdiskutiert.Ich möchte noch etwas zur Lebenswirklichkeit sagen,die bei Ihnen etwas zu kurz kommt. Ich glaube, daßviele ältere Menschen aus der Maloche heraus wollen.Bei uns im Ruhrgebiet heißt es: Sie sind kaputtgeschrie-ben. Der Kollege aus meinem Nachbarwahlkreis hatvorhin darauf hingewiesen, wie viele inzwischen ausdem Arbeitsleben ausscheiden, weil sie es nicht mehrbewältigen. So ist es doch, Herr Schemken. Das kennenwir gerade in unserer Region, weil dort schwer gearbei-tet wird. Die Menschen wollen nicht raus, weil sie keineLust mehr zum Arbeiten haben, sondern weil sie zumgroßen Teil nicht mehr können, weil der Leistungsdruckund dergleichen mehr zugenommen haben.Diesen Menschen haben wir in den letzten JahrenChancen verbaut, das wissen Sie genausogut wie ich.Sie sind systematisch verbaut worden; denn mit einem18prozentigen Abschlag kann keiner aus dem Erwerbs-leben gehen, dann findet er sich bei der ergänzenden So-zialhilfe wieder.Ein Yuppie, der zusätzlich noch Generalsekretär ist,kann das überhaupt nicht verstehen.
Die jungen Leute in den Betrieben können das beurtei-len. Das ist die eine Seite der Medaille.
Die andere Seite der Medaille ist, daß die jungenMenschen Chancen erhalten wollen. Die Menschen sindeben nicht alle so, wie einige von der Opposition sie be-urteilt haben. Das sind Menschen, die wirklich noch umeinen Arbeitsplatz kämpfen, die sich dreißig-, vierzig-mal bewerben und dennoch keine Chance haben, einenAusbildungs- oder Arbeitsplatz zu bekommen.Sie wissen, daß wir hier gegenwärtig relativ viel tun,obwohl auch das von Ihnen verurteilt wird. Morgennachmittag haben wir das Vergnügen, mit Ihnen überdas JUMP-Programm zu diskutieren. Das ist nur einPunkt unseres Konzepts, mit dem wir jungen Menscheneine Chance eröffnen wollen. Darüber hinaus gibt esnatürlich noch weitere Punkte.
Die Tarifrente mit 60 ist ein Modell, das kreiert wer-den und den Tarifvertragsparteien mit wohlwollenderUnterstützung der Politik im „Bündnis für Arbeit“Chancen für die Älteren eröffnen soll, die in der Tat ka-putt sind und von denen sich die Betriebe trennen wol-len, weil sie nicht mehr die Leistungskraft besitzen, vondenen sie sich aber nicht ohne weiteres trennen können,weil die Älteren tarifvertraglich abgesichert sind. Auchdas muß man sehen. Es gibt immer zwei Seiten der Me-daille.In der Fragestunde wurde viel von der Wiederbeset-zung der Stellen gesprochen. Die Frau Staatssekretärinwurde gefragt, wie die Situation ist. Natürlich war sie inder Vergangenheit nicht erfreulich, und es kommt daraufan, wie ein Tarifvertrag ausgestaltet wird. Das ist abernur die eine Seite der Medaille, die andere ist zum Bei-spiel, daß wir auch Entlassungen verhindern wollen. Dasmuß man bedenken, wenn man über Arbeitsplätze redetund Arbeitsplätze erhalten will. Bei diesem einen untermehreren Instrumenten geht es in der Tat um die Solida-rität der Generationen untereinander, zwischen Jung undAlt.Gehen Sie davon aus: Von Solidarität verstehen wirein bißchen mehr als Sie.
Die Solidarität zwischen den Generationen ist ein we-sentliches Element des Generationenvertrags.
Dazu gehört auch die Solidarität der Arbeitsplatzbesitzerim Hinblick auf die Arbeitslosen. Auch das ist ein StückSolidarität. Ein dritter Aspekt der Solidarität – er ist an-gesprochen worden – hat mit dem zu tun, was innerhalbder jeweiligen Generation möglich ist. Es gibt also dreiAspekte der Solidarität, denen wir uns stellen und zudenen wir wirklich unseren Beitrag mit dem Konzeptder Tarifrente mit 60 leisten wollen. Das ist ein Projektim Bündnis für Arbeit, ein Projekt zwischen den Tarif-vertragsparteien, das von uns unterstützt wird.Die Tarifvertragsparteien haben in diesem Landschon sehr viel zustande gebracht. Sie haben diese Ge-sellschaft vorangebracht, sie haben diese Gesellschaftpolitisch und sozial stabilisiert und wesentlich zu unse-rer internationalen Konkurrenzfähigkeit beigetragen.Diese soziale Stabilität haben die Tarifvertragsparteienimmer wieder in den Mittelpunkt ihrer Gesamtverant-wortung gestellt.Ich glaube, wir sollten den Tarifvertragsparteien eini-ges zutrauen. Das ist keine Politik, die gegen die Gesell-schaft oder gegen eine Partei gerichtet ist, sondern es isteine Politik, die für die Gesellschaft insgesamt gemachtwird. Die verschiedenen Tarifvertragsmodelle sind hierschon dargestellt worden, dazu gehört auch das Arbeits-zeitmodell von VW. Ich könnte viele Punkte hinzufü-gen, um Sie noch ein bißchen zu ärgern.Ein besonders großer tarifpolitischer Fortschritt wardamals zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krank-heitsfall. Andere Länder beneiden uns darum. Sie habensie gecancelt. Wir haben sie wiederhergestellt, weil dieMenschen seit Jahrzehnten darin eine Vertrauensbasishatten und sie auch künftig haben sollen.
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluß,Frau Präsidentin. Wir vertrauen auf die Tarifvertrags-parteien. Zwei der Partner im „Bündnis für Arbeit“wollen das Modell probieren, der dritte Partner, die Ar-Adolf Ostertag
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5560 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 1999
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beitgeber, werden auch noch gute Gründe dafür finden –davon bin ich überzeugt –, wenn sie mit den Menschenin den Betrieben bei Betriebsversammlungen diskutie-ren. Ich glaube, wie werden einen erheblichen Schrittweiterkommen. Arbeiten Sie mit, und schimpfen Sienicht! Schimpfen ist keine Politik und hilft vor allemnicht den Menschen.Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 28. Oktober 1999,
9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.