Gesamtes Protokol
Guten
Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.
Bevor wir in die vorgesehene Tagesordnung eintre-
ten, teile ich mit, daß interfraktionell vereinbart worden
ist, die heutige Tagesordnung um den Antrag der Bun-
desregierung zu Osttimor zu erweitern. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an dem internationalen
Streitkräfteverband in Osttimor zur
Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden
auf der Grundlage der Resolution 1264
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
vom 15. September 1999
– Drucksache 14/1719 –
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5326 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5327
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(D)
Wollen
Sie noch einmal nachfragen, Frau Kollegin Rönsch? –
Bitte schön.
Frau
Staatssekretärin, das war nicht ganz die Beantwortung
meiner Frage. Alles, was Sie eben angesprochen haben,
geht in den Bereich der Versorgung von Demenzkran-
ken. Meine Frage ging ausdrücklich in den Bereich der
Ursachenforschung. Wenn wir den Anstieg der Zahl der
Demenzpatienten in den Altenpflegeeinrichtungen in der
Zukunft bremsen wollen, dann müssen wir an die
Grundlagen, an die Ursachen gehen. Hier hätte ich gerne
Perspektiven der Bundesregierung.
Dr
Da Sie nun den Forschungsbereich im engeren
Sinne ansprechen, würde ich diese Frage an das For-
schungsministerium – an meinen Kollegen Catenhusen –
weitergeben.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr
Staatssekretär Catenhusen, bitte.
W
Liebe
Kollegin Rönsch, wir sind dabei, die Schwerpunkte des
Gesundheitsforschungsprogramms der Bundesregierung
neu zu setzen. Dabei wird die Alzheimer-Forschung eine
besondere Rolle spielen. Ich weise aber darauf hin, daß
insbesondere die molekularbiologische Forschung, etwa
im Bereich Genomforschung, in Verbindung mit medi-
zinischen Anwendungen heute das Schlüsselwissen er-
zeugt. In diesem Zusammenhang lernen wir sehr viel
Neues über die genetischen Grundlagen und das Entste-
hen von Alzheimer. In diesem Bereich haben wir schon
für diesen Haushalt und auch für das nächste Jahr unsere
finanziellen Anstrengungen verstärkt. Sie können sicher
sein, daß wir darauf achten werden, daß gerade bei der
molekularbiologischen Forschung die genetischen Hin-
tergründe gerade solcher Volkskrankheiten wie De-
menzerkrankungen verstärkt untersucht werden.
Dannkommen wir zur Frage des Kollegen Gerald Weiß vonder CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön, Herr Weiß.Gerald Weiß (CDU/CSU): FrauStaatssekretärin, Sie haben von der Sicherung der mate-riellen Situation der älteren Mitbürgerinnen und Mitbür-ger gesprochen. In diesem Zusammenhang spielt die ge-setzliche Rente die entscheidende Rolle, auch im Be-wußtsein der Menschen und in der tatsächlichen Haus-haltssituation. Sie wollen die lohnorientierte Rentenan-passung für zwei Jahre aussetzen und eine Rentenanpas-sung nur noch nach der Inflationsrate zugestehen – so-zusagen in einem staatlichen Interventionsakt. Darf ichSie, weil Sie in Ihrem Bericht weitere Modernisierungen– in Anführungszeichen – für das Rentensystem andro-hen, fragen, ob Sie in der längerfristigen Konzeptionie-rung Ihrer Vorstellung von Rente wieder zu einer Lohn-bezogenheit der Rente zurückkehren wollen, die seit1957 ein Stützpfeiler des Rentensystems ist?
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5328 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
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Dr
Herr Präsident, wenn Sie erlauben, gebe ich diese
Frage an das zuständige Ministerium, an den Kollegen
Andres, weiter.
Ja. Herr
Andres, bitte schön.
G
Herr Kollege Weiß,
wie Sie wissen, arbeitet die Bundesregierung an einer
Gesamtreform der gesetzlichen Alterssicherung; sie wird
im nächsten Jahr stattfinden. Wir haben in der Tat die
Absicht – das ist auch schon gesetzgeberisch auf den
Weg gebracht –, in den nächsten beiden Jahren die An-
passung der Renten nach der Preissteigerungsrate vor-
zunehmen. Es gibt die Absicht, daß die Rente ab dem
Jahre 2002 wieder den Steigerungen von Löhnen und
Gehältern folgt.
Weitere
Frage, Herr Kollege Weiß.
Gerald Weiß (CDU/CSU): Herr
Staatssekretär, darf ich Sie einmal fragen – weil im Be-
richt in bezug auf die Präsentation der längerfristigen
Rentenvorstellungen der Bundesregierung ständig von
Ende 1999 die Rede ist –, wie der Fahrplan genau aus-
sieht? Wann werden Sie Ihre Konzeption vorstellen?
Bleibt es bei dem, was auch in der Antwort auf die Gro-
ße Anfrage angekündigt worden ist?
G
Ja. Wir haben im-
mer gesagt, daß wir die gesetzgeberische Umsetzung im
Jahre 2000 vollziehen werden. Alle, die in diesem Be-
reich tätig sind, wissen das auch. Es gibt da also keine
Veränderungen.
Herr
Weiß, eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Gerald Weiß (CDU/CSU): Die An-
passung nach Inflationsrate wird bezüglich der absoluten
Zuwächse, der absoluten Zahlen besonders die Beziehe-
rinnen und Bezieher kleiner Renten negativ betreffen.
Wie beurteilen Sie die Folge Ihres Interventionsaktes für
die Situation der Bezieherinnen und Bezieher kleiner
Renten, und wie sind die mittelbaren Wirkungen, bei-
spielsweise auf die Sozialhilfe, einzuschätzen?
G
Zunächst muß ich Sie
darauf hinweisen, Herr Kollege Weiß, daß während der
letzten sechs Jahre in fünf Jahren Rentenanpassungen
stattgefunden haben, die unterhalb der Preissteigerungs-
rate lagen. Das deutet natürlich darauf hin, daß die letz-
ten fünf Jahre – insbesondere, wenn ich Ihre Frage
zugrunde legen soll – ganz verheerende Jahre für Rent-
nerinnen und Rentner mit kleinen Renten gewesen sein
müssen. Wir sind der Meinung, daß wir – das werden
wir nachher bei anderen Fragen noch einmal diskutieren
– den Rentnerinnen und Rentnern die Maßnahme zu-
muten können, für die nächsten zwei Jahre eine Anpas-
sung vorzunehmen, die der Preissteigerungsrate ent-
spricht. Damit wird Lebensstandard gesichert, anders als
in den letzten sechs Jahren.
Wenn Sie den Bericht aufmerksam gelesen haben,
werden Sie festgestellt haben, daß etwa 280 000 Men-
schen über 60 Jahre in der Bundesrepublik Deutsch-
land Hilfe zum Lebensunterhalt, also Sozialhilfe, be-
ziehen. In den Folgerungen wird dargestellt, daß sich
diese Größenordnung in den letzten Jahren zurückent-
wickelt hat.
Wir alle wissen aus den Alterseinkommensberichten
der Bundesregierung, daß die Rentnerhaushalte, was ihr
Eckeinkommen angeht, natürlich auf die Renten ange-
wiesen sind, daß es aber noch eine ganze Reihe ergän-
zender Einkommensmöglichkeiten gibt. Von daher kann
man nicht einfach schließen, daß eine bestimmte Ren-
tenanpassungsrate automatisch dazu führt, daß mehr
Rentner zu Sozialhilfeempfängern werden. Das ist eine
Schlußfolgerung, die man nicht so ziehen kann, weil
man sehen muß: Es handelt sich häufig um Rentnerpaa-
re; die Rentner leben in einer Familiensituation. Sie
kennen die Voraussetzungen, wenn man Hilfe zum Le-
bensunterhalt beziehen will. Es fließen dort auch viele
andere Faktoren mit ein, die man natürlich entsprechend
berücksichtigen muß.
Der
Kollege Walter Link möchte direkt dazu eine Frage
stellen; deswegen ziehe ich das vor. Herr Link, bitte
schön.
Herr Staatsse-
kretär, der Herr Bundeskanzler hat in der Fernsehsen-
dung mit Frau Christiansen am Sonntag abend gesagt, er
würde am liebsten zu allen Rentnerinnen und Rentnern
gehen und sich für die gemachten Versprechungen ent-
schuldigen, die jetzt nicht eingehalten werden. Ent-
schuldigen auch Sie sich bei allen Rentnern?
G
Da ich weiß, daß
dazu Dringliche Fragen für die Fragestunde, die gleich
beginnt, vorliegen, habe ich eine Frage an den Präsi-
denten. Sollen exakt diese Fragen, die gleich, in der Fra-
gestunde, thematisiert werden, schon jetzt thematisiert
werden? Wie ist das Prozedere?
Es ist jadie Frage gestellt worden. Es liegt bei Ihnen, wie Siedarauf reagieren.
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G
Ich sehe für mich
keine Veranlassung, dies zu tun. Ich finde, daß das, was
wir konzeptionell machen, richtig ist.
Die
nächste Frage will die Kollegin Maria Eichhorn von der
CDU/CSU-Fraktion stellen.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben gesagt, daß auf das Erfahrungswissen der Äl-
teren nicht verzichtet werden kann, und in Ihrer Antwort
auf unsere Große Anfrage stellen Sie fest, daß die Senio-
renbüros von Ihnen weiter gefördert werden sollen. Das
ist zu begrüßen, weil diese Seniorenbüros, die damals
unter unserer Bundesministerin Hannelore Rönsch ein-
gerichtet worden sind, eine sehr segensreiche Einrich-
tung sind. Sie verweisen auch darauf, daß das Land Thü-
ringen Mittel bereitstellt, um einen flächendeckenden
Ausbau von Seniorenbüros zu ermöglichen. Was
gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit dieser flä-
chendeckende Ausbau in der gesamten Bundesrepublik
ermöglicht wird?
Ich habe noch eine zweite Frage. Frau Staatssekre-
tärin, Sie haben auch hervorgehoben, daß mit zuneh-
mendem Alter die Pflegebedürftigkeit zunimmt. In
Ihrer Antwort haben Sie leider keine aktuellen Zahlen
zu den Demenzkranken bringen können. Die Zahlen,
die Sie nennen, sind alt. Nach Aussage derer, die mit
Pflege zu tun haben, nimmt die Zahl Demenzkranker
zu, und auch die Probleme, die damit verbunden sind,
nehmen zu. Denkt die Bundesregierung daran, über die
Pflegeversicherung die Pflege von Demenzkranken
abzusichern, um so den besonderen Bedürfnissen bei
der Pflege von Demenzkranken Rechnung tragen zu
können?
Frau
Staatssekretärin, bitte schön.
Dr
Hinsichtlich der Seniorenbüros, Frau Kollegin
Eichhorn, möchte ich sagen, daß das ein Modellpro-
gramm war – Sie wissen das –, und Modellprogramme
des Bundes haben nicht zum Ziel, daß wir für immer
und ewig flächendeckend für die Infrastruktur in der
Bundesrepublik Deutschland sorgen. Wir sind froh,
daß 90 Prozent der Seniorenbüros, die gefördert wur-
den, eine dauerhafte Absicherung erhalten haben. In
bezug auf alle anderen – das wissen Sie genausogut
wie ich – bleibt die Hoffnung, daß dieses Modell von
anderen übernommen wird. Die Fördermöglichkeiten
des Bundes sind nun einmal so; Sie und ich wissen
das.
Ihre Frage nach den Demenzkranken und der Pflege-
versicherung möchte ich zuständigkeitshalber an meine
Kollegin aus dem Gesundheitsministerium, Frau Nik-
kels, weitergeben.
Wollen
Sie noch eine Zusatzfrage stellen, Frau Eichhorn?
Zu der Frage nach den
Seniorenbüros hätte ich noch eine Zusatzfrage. Unab-
hängig davon, daß es sich um ein Modellprojekt gehan-
delt hat und jetzt das Land Thüringen dankenswerter-
weise das Ganze flächendeckend betreiben will, könnte
doch die Bundesregierung auch außerhalb von diesen
Modellprojekten mit den Ländern Gespräche aufneh-
men, die das Ziel haben, solche Seniorenbüros flächen-
deckend zu schaffen. Hat die Bundesregierung in dieser
Beziehung etwas getan?
Dr
Wie Sie wissen, sind wir mit den Ländern ständig
im Gespräch, um die Infrastruktur für ältere Menschen
zu verbessern. Das findet natürlich auch im Bereich der
Seniorenbüros statt. Es geht da beispielsweise um die
Frage: Wie kann man die ehrenamtliche Tätigkeit, das
Engagement der Senioren vor Ort fördern? Insoweit
bleibt der Bundesregierung, wie Sie wissen, nur dieses:
animieren, motivieren. Aber eine weitere finanzielle
Förderung ist, nachdem ein Modellprogramm ausgelau-
fen ist, leider nicht mehr möglich.
Bitte
schön.
C
Frau Kollegin Eichhorn,
wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, daß wir in
dieser Legislatur intensiv prüfen, wie man die Betreuung
der Demenzkranken verbessern kann. Sie wissen selber,
daß man angesichts des Beitragssatzes von 1,7 Prozent
sehr sorgfältig überlegen muß, wie man die Möglich-
keiten, die man hat, noch verbessern kann. Das tun wir.
Wir sind in intensiven Gesprächen. Wir prüfen Verbes-
serungen in den verschiedensten Bereichen, und zwar
Möglichkeiten der Qualitätssicherung und der Optimie-
rung im Bereich der Pflege.
Natürlich spielt dabei – Sie haben das angesprochen –
die Frage der finanziellen Mittel eine Rolle. Von Bayern
und Baden-Württemberg sind im Bundesrat entspre-
chende Initiativen eingebracht worden. Dabei war aller-
dings das Problem, daß diese Bundesländer den Finanz-
überschuß von 9,7 Milliarden DM weit überschätzt ha-
ben; sie sind von 12,3 Milliarden DM ausgegangen.
Wenn man grundlegend etwas ändern will, muß man
sehr sorgsam planen. Schnellschüsse verträgt die Pflege
nicht. Wir sind in intensiven Gesprächen, können Ihnen
das Ergebnis aber noch nicht sagen.
Ich lasse
noch eine letzte Frage von Ihnen, Frau Eichhorn, zu.
Mein Frage beziehtsich speziell auf dieses Thema: Warum hat es die Bun-
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5330 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
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desregierung versäumt, bei der Änderung des Pflegege-setzes, die ja erst in dieser Legislaturperiode passiert ist,das zu tun, was sie sich vorgenommen hat? Sie habenzwar gerade gesagt, das müsse lange vorbereitet werden,aber ich verstehe nicht, warum Sie bei deren Beratungendie Verbesserungen in der Pflege von Demenzkrankennicht hineingenommen haben.C
Wenn Sie jetzt auf den
Zeitraum, in dem die neue Bundesregierung amtiert, ab-
heben, verstehe ich Ihre Frage nicht. Wir haben das, was
möglich war, getan. Sie wissen selber, daß schon in der
letzten Legislaturperiode, im letzten Jahr, ein Paket –
und zwar einvernehmlich, mit allen Fraktionen – hätte
durchgesetzt werden können. Es ist damals an Bedenken
der F.D.P. gescheitert. Wir haben jetzt entsprechende
Verbesserungen, die überschaubar sind und den Pfle-
genden – gerade den Frauen, die zu Hause pflegen –
maßgebliche Erleichterungen bringen, durchgesetzt und
schon in diesem Frühjahr beschlossen. Das ist auf Dauer
finanzierbar und etatisiert – Sie kennen das selber, Frau
Eichhorn, weil Sie in diesem Bereich lange gearbeitet
haben –: Die Finanzierung der Pflichtpflegeeinsätze
wird durch den Träger, nicht mehr durch die zu pflegen-
de Person selber vorgenommen; Verbesserung der Ver-
hinderungspflege; Neuregelung der anstehenden Rück-
zahlung im Sterbemonat, was den Familien bisher sehr
viel Ärger und Verdruß bereitet hat. All diese Punkte
sind jetzt geändert worden. Das, was machbar war, ha-
ben wir jetzt durchgesetzt. Dies ist in der letzten Legis-
latur nicht an den jetzigen Regierungsfraktionen ge-
scheitert.
In bezug auf die Initiative von Bayern und Baden-
Württemberg im Bundesrat habe ich Ihnen schon dar-
gelegt, daß die Grundannahme völlig falsch war, die
Rückstellungen waren überhöht angesetzt. Ich hatte
schon eben gesagt, daß im Bereich der Demenzerkran-
kungen Pflegende wie Betroffene Schnellschüsse nicht
vertragen. Wir haben das intensiv geprüft und beraten.
Die Bundesratsinitiative wurde in die weiteren Überle-
gungen einbezogen, aber deren Grundannahme war
nicht richtig. Sie war nicht finanzierbar. Gerade in die-
sem Bereich darf man nicht versprechen, was man nicht
halten kann.
Als
nächster Fragesteller der Kollege Wolfgang Dehnel von
der CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr
Präsident. – Meine Frage richtet sich an den Staatsse-
kretär Herrn Andres. Herr Staatssekretär, Ihre Kollegin
hat eingangs vorgetragen und statistisch belegt, daß in
der Bevölkerung der Anteil der Menschen über 60 Jahre
stark ansteigt und mittlerweile schon mehr als 20 Pro-
zent beträgt. Dies ist ein relevanter demographischer
Faktor. Können Sie diesem Haus schlüssig erklären,
warum Sie in Ihren Rentenplänen den demographischen
Faktor nicht eingearbeitet haben und damit dieser Ent-
wicklung nicht gerecht werden?
Herr
Andres, bitte.
G
Herr Kollege
Dehnel, wenn Sie die Rentendebatte der letzten Wochen
verfolgt haben, dann wissen Sie, daß es bei einer künfti-
gen Rentenreform darum gehen muß, folgende Tatbe-
stände zu erreichen: Wir brauchen erstens eine Renten-
versicherung, die auf lange Sicht angelegte, kalkulier-
bare Beiträge hat, die von den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern bezahlt werden können, und die dazu
den Effekt haben, daß sie nicht so hoch sind, daß sie Be-
schäftigung verhindern. Zum zweiten brauchen wir ein
langfristig angelegtes Rentenniveau, das eine vernünf-
tige Versorgung über die Rentenversicherung ermög-
licht. Zum dritten müssen wir sehen, wie wir in diesem
Zusammenhang die Fragen Rentenanpassung, Beitrags-
leistung und Leistungsniveau der Rentenversicherung
übereinanderbringen.
Die Bundesregierung arbeitet, wie Sie wissen, an
einem Konzept. Bei der Erarbeitung spielt eine Rolle, ob
man eine zusätzliche private Vorsorge durch entspre-
chende Förderung und Unterstützung entwickeln kann,
und wenn das nicht geht möglicherweise als obligatori-
sches Instrument. Hieran arbeiten wir und werden in
dieser Richtung etwas auf den Weg bringen.
Ich habe in meiner Antwort auf eine andere Frage
vorhin darauf hingewiesen, daß wir in regelmäßigen Ab-
ständen Alterseinkommensberichte erstellen, auf Grund
derer wir wissen, wie die Einkommenssituation der älte-
ren Generation in der Bundesrepublik Deutschland aus-
sieht. Wir wissen, daß die Einkünfte aus Renten die
Hauptsäule, die wichtigste Stütze bei der Altersversor-
gung sind. Wir wissen aber auch, daß es viele zusätzli-
che Einkünfte und Absicherungsmöglichkeiten gibt. Ei-
ne dieser Möglichkeiten ist eine zusätzliche private Al-
tersvorsorge. Etwa 70 Prozent der Sozialversicherungs-
pflichtigen in der Bundesrepublik verfügen darüber. Wir
wollen alles dafür tun, um auch den restlichen
30 Prozent, die noch nicht über eine zusätzliche Vorsor-
ge verfügen, diese zu ermöglichen. Das werden wir för-
dern.
Herr
Kollege, ich würde Sie bitten, auf eine Zusatzfrage zu
verzichten, weil sich noch so viele Redner zu Wort ge-
meldet haben und die Zeit der Regierungsbefragung be-
grenzt ist.
Ich habe nur eine
kurze Frage.
Jederglaubt, daß seine Frage die wesentliche Frage ist. Dasliegt in der Natur der Sache.Frau Kollegin Monika Balt von der PDS-Fraktion.Maria Eichhorn
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5331
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(D)
Frau Staatssekretärin Niehuis,
die gesetzliche Rentenversicherung ist ja bekanntlich
von der ökologischen Steuerreform insofern betroffen,
als für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch
das Sinken der Rentenversicherungsbeiträge positive Ef-
fekte entstehen. Welche Maßnahmen unternimmt die
Bundesregierung, um die negativen Effekte, die für die
Rentnerinnen und Rentner aus der ökologischen Steuer-
reform entstehen – ich denke an die Erhöhung der
Strompreise und an die Erhöhung der Preise im öffentli-
chen Personennahverkehr –, auszugleichen?
Dr
Da Sie eine Frage zur Steuer gestellt haben, gebe
ich weiter an meine Kollegin Frau Hendricks.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staassekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin, die erhöh-
ten Preise, die durch die Ökosteuer entstehen können,
gehen selbstverständlich in die Berechnung der Infla-
tionsraten ein. Die Anpassung der Renten in Höhe der
Inflationsrate berücksichtigt also diese Entwicklung.
Darüber hinaus darf ich darauf hinweisen, daß die
Bundesregierung an anderer Stelle für Entlastungen ge-
sorgt hat, die insbesondere älteren Bürgerinnen und
Bürgern zugute kommen, wie zum Beispiel die Absen-
kung der Zuzahlungen im Medikamentenbereich.
– Es handelt sich in der Tat nur um Markbeträge. – Aber
auch bei der Zusatzbelastung durch die Ökosteuer han-
delt es sich um Markbeträge. Es gibt sehr viele Rentner-
haushalte, in denen kein Pkw vorhanden ist. Diejenigen
Rentner, die einen Pkw besitzen, fahren im Regelfall
nicht viel: Die durchschnittliche Fahrleistung liegt bei
unter 10 000 Kilometern. Die Mehrbelastung beträgt
hier weniger als 5 DM pro Monat.
Die Strompreise sinken nicht auf Grund unserer poli-
tischen Aktivitäten, sondern auf Grund der Entwicklun-
gen auf dem Strommarkt. Hier findet also ein Ausgleich
statt.
Als
nächstem Fragesteller gebe ich dem Kollegen Andreas
Storm von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. Ich weise
darauf hin, daß noch fünf Minuten für die Regierungsbe-
fragung verbleiben.
Herr Präsident! Ich
habe eine Nachfrage an Herrn Staatssekretär Andres.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die
Frage des Kollegen Weiß darauf hingewiesen, daß es in
den letzten Jahren Situationen gab, daß die Rentenan-
passung unterhalb der Preissteigerungsrate lag. Wenn
man einmal beiseite läßt, daß bei einer lohnbezogenen
Rente die Kaufkrafterhaltung der Rente eigentlich kein
Maßstab sein sollte, frage ich Sie, wie Sie zu folgendem
Sachverhalt stehen: Nach den Vorgaben der Bundesre-
gierung gehen Sie davon aus, daß sich der Preisauftrieb
im nächsten Jahr auf 1,6 Prozent beschleunigt. Das steht
in den Erläuterungen zum Haushaltsgesetzentwurf.
Wenn nun den Rentnern eine Anpassung ihrer Renten in
der Größenordnung der Inflationsrate dieses Jahres von
0,7 Prozent gewährt wird, bedeutet das, daß sie einen
Realeinkommensverlust von fast einem Prozent haben.
Das heißt, daß das von Ihnen selbst vorgegebene Ziel
der Kaufkrafterhaltung der Renten im nächsten Jahr weit
verfehlt wird. Wie stehen Sie zu diesem Sachverhalt vor
dem Hintergrund des von Ihnen selbst gesetzten Maß-
stabes für die nächste Rentenanpassung?
G
Herr Abgeordneter
Storm, zunächst einmal will ich Ihnen sagen – das wis-
sen Sie ja –, daß wir in diesem Jahr den demographi-
schen Faktor ausgesetzt haben. Ich fand in Ihrer Frage-
stellung übrigens die Aussage sehr bemerkenswert, daß
der Kaufkrafterhalt bei der Rente nicht so wichtig oder
nicht die zentrale Frage sei. Wenn wir das nicht gemacht
hätten, wäre – wie Sie selbst wissen – in diesem Jahr die
Rentenanpassung um 0,55 Prozentpunkte niedriger aus-
gefallen. Wie Sie selbst ebenfalls wissen, ist jede Ren-
tenanpassung immer auf einen vorherigen Zeitraum be-
zogen. Die Rentenanpassung bezieht sich also auch auf
die Preissteigerungsrate im Vorjahr. Das ist so. Insofern
bewegen wir uns hier innerhalb der Systematik.
Ich sage Ihnen noch einmal: In fünf der letzten sechs
Jahre lagen die Rentenanpassungen deutlich unter den
Preissteigerungsraten. Nur in einem einzigen Jahr lag sie
höher. Ich kann verstehen, daß Ihnen das nicht so be-
sonders gefällt. Aber es ist so. Wir werden das in den
nächsten zwei Jahren entsprechend ändern.
Als
nächster Fragestellerin gebe ich der Kollegin Erika
Reinhardt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Staatssekretärin,
ich möchte auf die Hospizbewegung zu sprechen kom-
men und habe dazu eine Frage. Wir sind uns sicher darin
einig, daß das Ehrenamt gerade in der Hospizbewegung
eine wesentliche Rolle spielt. Mich würde in diesem Zu-
sammenhang interessieren, welche Maßnahmen die
Bundesregierung ergreifen will, um diese Arbeit zu stär-
ken und zum Beispiel Angebote wie die Supervision zu
unterstützen.
Ich habe noch eine zweite Frage. Darf ich sie gleich
anschließen? Sie betrifft den gleichen Bereich.
Bitte
schön.
Im zweiten Teil IhrerAntwort auf die Frage 68 in der Großen Anfrage gehenSie darauf ein, wie wichtig es ist, daß ein Bewußtseins-wandel in der Gesellschaft, in der Bevölkerung dahinge-hend erfolgt, daß man sich mit dem Sterben mehr aus-einandersetzt. Mich würde interessieren, wie Sie die ge-
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5332 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
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sellschaftliche Diskussion über das Thema Sterben an-regen wollen, was Sie konkret tun wollen, damit dieHospizbewegung mehr an Bedeutung gewinnt.Dr
Wenn Sie erlauben, gebe ich an die Kollegin aus
dem Gesundheitsministerium weiter.
Frau
Nickels, bitte schön.
C
Schönen Dank für die
Frage, Frau Kollegin. Sie sprechen ein ganz wichtiges
Anliegen an. In diesem Bereich ist im Grunde durch in-
tensives Engagement von Menschen, die sich mit dem
Sterben auseinandersetzen, sehr viel für die Sterbenden
getan haben und sich auch ein sehr großes Fachwissen
erworben haben, eine Lücke gefüllt worden.
Zum ersten Punkt: Es gibt eine bundesweite Vereini-
gung für Hospiz, die, seit die neue Bundesregierung im
Amt ist, in intensiven Gesprächen mit uns steht. Sie ha-
ben uns ihre Probleme vorgetragen. Sie bestanden unter
anderem darin, daß sie auf der Grundlage des geltenden
Rechts Probleme mit den Trägern hatten. Wie Sie ja
wissen, hat der frühere Minister Seehofer eine Regelung
vor allen Dingen für die stationäre Betreuung und die
Hospize geschaffen, die davon ausgeht, daß unter be-
stimmten, eng umschriebenen Bedingungen eine Förde-
rung möglich ist, vorausgesetzt, 10 Prozent der Arbeit
wird ehrenamtlich getan, weil darin auch diese ganz be-
sondere Verknüpfung mit den Wertefragen und die
Hinwendung zu den Betroffenen zum Ausdruck kommt.
Das ist aber in den Wohlfahrtsverbänden nicht allgemein
angenommen worden. Es gab Probleme, da einige Trä-
ger auf Bundesebene – zu meinem Bedauern auch ge-
rade im kirchlichen Bereich – diese Regelung einfach
nicht akzeptieren wollten und dies auch heute noch nicht
wollen.
Wir haben vor diesem Hintergrund viele Gespräche
geführt. Wir hatten zu diesem Thema im Juli eine sehr
große Runde mit den Verbänden, auch mit den entspre-
chenden Krankenkassen und den Kassen, die da mit in
Leistung treten, aber eben auch mit den Wohlfahrts-
verbänden, die oft Träger der Hospizarbeit sind. Wir
sind dabei, in intensiven Gesprächen auszuloten, wie
man einmal diese Selbstblockaden ausräumen kann
und wie man insgesamt auf diesem Gebiet weiterkom-
men kann. Wenn Sie sich dafür interessieren, bin ich
gerne bereit, Ihnen dazu auch noch weitere Informatio-
nen zu geben.
Zum zweiten Punkt, den Sie ansprachen: Es wird sehr
viel von Selbsthilfe getragen. Diese haben wir in unse-
rem Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform ausdrücklich
mit verankert. Wir sehen darin die Möglichkeit vor, daß
Prävention und Selbsthilfe – dazu gehört auch die
Selbsthilfe im Bereich der Betreuung Sterbender – jetzt
auch von den Krankenkassen gefördert werden können.
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Ich hoffe, daß er Be-
stand hat und auch umgesetzt werden kann.
Zum dritten Punkt: Sie fragen, wie denn die Bundes-
regierung, die die Zuständigkeiten auf Bundesebene hat,
den Bewußtseinsbildungsprozeß vorantreiben kann. Wir
arbeiten bei uns im Haus intensiv an der ganzen Thema-
tik, die die Parlamentarier unter dem Stichwort Bioethik
kennen. Sie wissen ja, daß die Bioethikkonvention sehr,
sehr viel Engagement bei den Abgeordneten ausgelöst
hat und intensive Fachdiskussionen zu ganz verschiede-
nen Bereichen in Gang gesetzt hat, unter anderem eben
auch zum Bereich Sterben und zum Bereich Sterbehilfe,
wozu wirklich noch viel Regelungs- und Diskussionsbe-
darf besteht.
Wir haben vorgesehen, daß wir dazu im Frühjahr
nächsten Jahres von unserem Ministerium aus einen
großen Kongreß unter Beteiligung der freien Träger
durchführen wollen. Wir wollen dazu begründete Leit-
fragen erarbeiten, um sie als Anstoß in die Debatte ein-
zubringen.
Wir sind im Haus in intensiven Arbeitsgesprächen,
wie wir dieses Anliegen auf vielfältige andere Weise
auch zusammen mit dem Parlament voranbringen kön-
nen. Wir befinden uns also schon in der Phase der inten-
siven Vorbereitung. Der nächste größere Fixpunkt ist
der Kongreß im Frühjahr 2000.
Wir ha-ben die Zeit für die Befragung der Bundesregierungschon um einige Minuten überzogen. Ich beende nunden Themenbereich der heutigen Kabinettssitzung.Ich würde noch eine Frage zu einem anderen The-menbereich zulassen, wenn es eine solche gäbe.
Wenn es keine weitere Frage gibt, dann beende ichdie Befragung der Bundesregierung. Vielen Dank.Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:Fragestunde– Drucksachen 14/1705, 14/1712 –Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Be-antwortung steht der Parlamentarische StaatssekretärGerd Andres zur Verfügung.Zuerst rufe ich die Frage Nummer 1 der Abgeordne-ten Birgit Schnieber-Jastram auf:Von welchen Berechnungen ist Bundeskanzler Schröderausgegangen, als er in der ARD-Sendung ,,Sabine Christiansen“am 3. Oktober 1999 bezugnehmend auf den Bruch des Verspre-chens vom Februar 1999, daß die Renten auch zukünftig ent-sprechend der Nettolohnentwicklung steigen werden, sagte: ,,Ichhabe das seinerzeit auf dem Hintergrund von Berechnungen ge-sagt, die ich für zutreffend hielt. Und das war ein Irrtum. Dashabe ich einzugestehen.“Herr Andres, bitte schön.Erika Reinhardt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5333
(C)
(D)
G
Frau Schnieber-
Jastram, ich möchte, wenn Sie gestatten, beide Fragen
zusammen beantworten, weil sie in einem Zusammen-
hang stehen.
Dann
rufe ich zusätzlich die Frage Nummer 2 der Abgeord-
neten Birgit Schnieber-Jastram auf:
Inwieweit haben sich diese Berechnungen der Bundesregie-rung als Irrtum erwiesen?
G
Ich beantworte die
Frage wie folgt:
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich zu der Fra-
ge von Frau Christiansen geäußert, ob durch die an der
Preissteigerungsrate orientierte Rentenanpassung in den
Jahren 2000 und 2001 das Wahlversprechen gebrochen
worden sei, die Renten wieder an die Nettolöhne anzu-
koppeln. Grundlage für die Aussagen des Bundeskanz-
lers im Wahlkampf waren die im Jahre 1998 vorliegen-
den Daten zur gesetzlichen Rentenversicherung, die dem
Rentenversicherungsbericht der alten Bundesregierung,
Bundestagsdrucksache 13/1190 vom 17. Juli 1998, zu
entnehmen waren.
In der Mittelfristrechnung bis 2002 ist im Rentenver-
sicherungsbericht ein Beitragssatz von 20,2 Prozent-
punkten nachgewiesen, der sich bei Herausnahme des
demographischen Faktors auf 20,4 Prozent erhöht. Der
Bundeskanzler hat auf die Korrektheit der Zahlen des
Rentenversicherungsberichts der alten Regierung ver-
traut.
Inzwischen hat sich herausgestellt, daß nach dem
Rechtsstand des Rentenreformgesetzes 1999 – ein-
schließlich des demographischen Faktors und unter Be-
rücksichtigung der von der alten Bundesregierung vor-
gesehenen Steuerreform – der Beitragssatz im Jahre
2001 bereits bei 21 Prozent und im Jahre 2002 bei
21,5 Prozent gelegen hätte. Dies hat zum Handeln ge-
zwungen. Das heißt konkret: Erst im Laufe dieses Jahres
hat sich herauskristallisiert, daß ohne einen Beitrag der
Rentnerinnen und Rentner die notwendige Senkung und
Stabilisierung des Beitragssatzes in der Rentenversiche-
rung nicht verwirklicht werden könnten. Der Beitrag der
Rentnerinnen und Rentner hilft, die Lohnnebenkosten
dauerhaft niedrig zu halten sowie die gesetzliche Ren-
tenversicherung zu stabilisieren und zukunftsfest zu ma-
chen.
Der Bundeskanzler hat sich in dem Gespräch mit
Frau Christiansen ausdrücklich für die Enttäuschungen
entschuldigt, die dadurch verursacht worden sind, daß
in den Jahren 2000 und 2001 die Renten – vorüber-
gehend – nur in Höhe der Preissteigerungsrate angeho-
ben werden. Es ist ein Zeichen politischer Handlungs-
fähigkeit, aus der Analyse der Situation die richtigen
Konsequenzen zu ziehen.
Eines darf in der Diskussion nicht vergessen werden:
Nach wie vor hält die Bundesregierung grundsätzlich
daran fest, die Entwicklung der Renten an die Entwick-
lung der Nettolöhne anzupassen. Demgegenüber würde
der von der alten Bundesregierung vorgesehene demo-
graphische Faktor die Renten auf viele Jahre von der
Anpassung an die Lohnentwicklung abkoppeln, weil die
Renten in jedem Jahr um 0,5 Prozent gekappt würden.
Unser Konzept beinhaltet dagegen, nach zwei Jahren
zu dem Grundsatz der nettlohnbezogenen Rentenanpas-
sung zurückzukehren. Damit leisten die Rentnerinnen
und Rentner den notwendigen Beitrag zur Stabilisierung
der Generationensolidarität. Außerdem darf bei der Dis-
kussion eines nicht vergessen werden: Unser Konzept
zielt darauf ab, die Kaufkraft der Rentnerinnen und
Rentner für zwei Jahre zu sichern. Die Erhaltung der
Kaufkraft war bei der alten Regierung keineswegs die
Regel, sondern die Ausnahme. So haben sich zum Bei-
spiel die Rentenerhöhungen im Vergleich zu den Preis-
steigerungsraten in den alten Bundesländern von 1995
bis 1998 wie folgt entwickelt: 1995 wurden die Renten
effektiv um 0,07 Prozent erhöht. Die Preissteigerungs-
rate lag bei 1,9 Prozent. 1996 wurden die Renten um
0,46 Prozent angehoben. Die Preissteigerungsrate lag
bei 1,3 Prozent. 1997 wurden die Renten um 1,65 Pro-
zent erhöht. Die Preissteigerungsrate lag bei 2,3 Prozent.
1998 wurden die Renten um 0,39 Prozent angehoben.
Die Preissteigerungsrate lag bei 1,4 Prozent. Einen
Kaufkraftzuwachs gibt es erst in diesem Jahr wieder,
und zwar vor allem deshalb – darauf habe ich vorhin
schon hingewiesen –, weil wir den demographischen
Faktor der alten Regierung ausgesetzt haben.
Frau
Schnieber-Jastram, möchten Sie eine Zusatzfrage stel-
len? – Bitte schön.
Herr
Staatssekretär, ich bin von Ihnen sonst die freie Rede
gewohnt. Heute war dies anders.
Ich möchte meine Frage stellen: Ich hätte gern ge-
wußt, warum die Bundesregierung der Öffentlichkeit
nicht zu einem früheren Zeitpunkt vermittelt hat, daß die
Berechnungen, von denen Bundeskanzler Schröder bei
seinem Versprechen, die Renten würden auch zukünftig
an die Nettolohnentwicklung angepaßt, ausgegangen ist,
falsch sind.
G
Frau Schnieber-Jastram, die Position war abgestimmt. Deshalb habe iches für sinnvoll gehalten, sie auch so vorzutragen. Ich kannIhnen die Position wiederholen, wenn Sie es möchten.Wir sind von den Zahlen des Rentenberichts des vergan-genen Jahres ausgegangen. Diese habe ich Ihnen vorge-tragen. Sie sind in Ihrer Frage von einer falschen Voraus-setzung ausgegangen, wie ich finde. Ich möchte ganzoffen sagen: Der Bundeskanzler hat in der ARD-Sendung„Sabine Christiansen“ die Größe aufgebracht,
Metadaten/Kopzeile:
5334 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
(C)
zu sagen: Jawohl, wir haben uns getäuscht. Wir revidie-ren das. – Sie hätten nach meiner Auffassung eine ganzeMenge nachzuholen, wenn Sie sich anschauen, was Sieim Bereich der Rentenversicherung angerichtet haben.
Frau
Schnieber-Jastram, möchten Sie eine weitere Zusatzfra-
ge stellen?
Herr
Staatssekretär, Sie antworten derart ausweichend, daß
ich die Frage stellen muß: Haben Sie dem Bundeskanz-
ler die falschen Zahlen vorgelegt?
G
Frau Schnieber-
Jastram, ich weise Sie noch einmal auf den Rentenver-
sicherungsbericht und auf die reale Entwicklung hin.
Der Kernpunkt in der Auseinandersetzung ist, daß wir
nach dem Rentenreformgesetz und nach den Steuer-
erleichterungen in einer Situation gewesen wären, daß
wir, wenn wir nicht eingegriffen hätten, im Jahr 2001
bei einem Rentenversicherungsbeitrag von 21 Prozent
und im Jahr 2002 bei einem noch höheren Rentenversi-
cherungsbeitrag gewesen wären.
Ich habe vorhin in einem anderen Zusammenhang
schon einmal deutlich gemacht: Wir sind der Auffas-
sung, daß eine solche Entwicklung nicht hingenommen
werden kann. Wir müssen sehen, daß wir ein ausgewo-
genes Verhältnis zwischen der Beitragszahlung, der
Höhe der Rente und dem, was jeder Bereich hinzuzufü-
gen hat, bekommen. Die Anpassung entsprechend der
Preissteigerungsrate ist in der Tat der Beitrag der Rent-
nerinnen und Rentner zur langfristigen Stabilisierung
des Systems.
Wenn Sie noch einmal fragen, dann werde ich die
Zahlen wieder so vortragen, wie ich es eben getan habe.
Diese Zahlen sind die Ausgangsbasis dessen, womit wir
kalkuliert haben. Als wir dies festgestellt haben, haben
wir entsprechende Korrekturen vorgenommen.
Ich
möchte darauf aufmerksam machen, daß zu diesem
Komplex bereits sieben weitere Fragen angemeldet sind.
Ich bitte die Fragesteller, darauf zu achten, daß sich
nicht zu viele Wiederholungen ergeben.
Als nächstes hat Hannelore Rönsch das Fragerecht.
Herr
Staatssekretär, werden sich noch weitere Mitglieder des
Kabinetts bei den Rentnern entschuldigen? Mir liegt der
Brief eines Wiesbadener Bürgers vor. Ihm hat eine Mi-
nisterin nicht nur einen vorgefertigten Brief geschickt,
sondern auf diesem Brief vom 16. Dezember auch noch
handschriftliche Anmerkungen gemacht, daß sie sich für
die Nettolohnbezogenheit der Rente verbürgt und daß
dadurch in den nächsten Jahren weitere Erhöhungen der
Rente stattfinden. Gibt es noch weitere Entschuldigun-
gen?
G
Frau Rönsch, ich
weiß nicht, was für Briefe Ihnen vorliegen.
Sie können sich vorstellen, daß auch wir im Bundesar-
beitsministerium eine Menge Briefe bekommen.
Ich möchte auf meine Antwort von eben zurück-
kommen. Selbstverständlich werden wir zur nettolohn-
bezogenen Rentenanpassung zurückkommen. Diese An-
passung setzen wir lediglich für zwei Jahre aus. Dazu
hat sich der Bundeskanzler entsprechend geäußert.
Nächster
Fragesteller ist Johannes Singhammer.
Herr Staats-
sekretär, der Bundeskanzler hat eingeräumt, Opfer eines
Irrtums geworden zu sein. Weitere Opfer dieses Irrtums
des Bundeskanzlers sind die 18 Millionen Rentnerinnen
und Rentner, die auf seine Ankündigung vertraut haben.
Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang die Zusatz-
frage: Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung er-
griffen, um Irrtümer künftig auszuschließen, damit es
nicht zu einer Kette von Irrtümern kommt?
G
Herr AbgeordneterSinghammer, wir beide gehören schon längere Zeit die-sem Parlament an und kennen die Geschichte. Vor demRentenreformgesetz 1999 mußten wir im vorigen Jahrgemeinsam heftige Anstrengungen unternehmen, umden Rentenversicherungsbeitrag überhaupt bei 20,3 Pro-zent zu stabilisieren. Es war unter anderem der heutigeBundeskanzler, der in seiner Rolle als Ministerpräsidentüber den Bundesrat dafür gesorgt hat, daß ein zusätzli-cher Bundeszuschuß möglich wurde, damit nicht schonzum damaligen Zeitpunkt der Rentenversicherungsbei-trag bei 21 Prozent oder mehr landen mußte.Ich sage Ihnen noch einmal ganz ruhig und sachlich:Nach den uns vorliegenden Berechnungen wären wir imFalle der Beibehaltung des Rentenreformgesetzes plusAnwendung des demographischen Faktors einschließ-lich der Steuerreform im Jahr 2001 bei einem Versiche-rungsbeitrag von 21 Prozent und im Jahr 2002 bei einemnoch höheren Versicherungsbeitrag angekommen.Im Gegensatz zu all Ihren Ankündigungen, die Siewährend der 16 Jahre Ihrer Regierungsverantwortunggemacht haben, haben wir die gesetzlichen Lohnneben-kosten und den Rentenversicherungsbeitrag gesenkt.Wir werden nicht zulassen, daß er weiter ansteigt. Dashat umgekehrt zur Folge, Herr Abgeordneter Singham-mer, daß wir uns selbstverständlich Gedanken darübermachen müssen, wie wir auf längere Sicht, gerechnet biszum Jahre 2020, 2022 oder 2023, in der Rentenversiche-rung ein Leistungsniveau erreichen können, das – beivernünftigen, bezahlbaren und kalkulierbaren Beiträgen –etwa bei 67 Prozent liegt. Wir haben nämlich auch eineVerpflichtung gegenüber den Jüngeren, die jetzt relativParl. Staatssekretär Gerd Andres
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5335
(C)
(D)
hohe Beiträge bezahlen müssen. Ihnen muß man im Ge-genzug zusichern, daß auch sie entsprechende Leistun-gen erhalten werden.All dies haben wir getan. Ich hielt das für vernünftigund richtig. Was in diesem Zusammenhang zur Finan-zierungsgrundlage gesagt werden mußte, ist gesagt wor-den.
Als
nächstem Fragesteller gebe ich das Wort dem Kollegen
Franz Romer von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Staatssekretär An-
dres, Sie haben bezüglich der Zahlen für die Berechnung
der Rente eine Reihe von Irrtümern eingeräumt.
Können Sie bestätigen, da es die Ihnen jetzt vorliegen-
den Zahlen ermöglichen, daß die Renten in zwei Jahren
wieder so steigen wie die Nettolöhne?
G
Entschuldigen Sie,
aber das habe ich in meiner Antwort eben schon gesagt.
Ich kann das aber gerne noch einmal wiederholen: Wir
werden nach den zwei Jahren, in denen die Rente ent-
sprechend der Preissteigerungsrate steigt, wieder dazu
zurückkehren, daß die Rentenanpassung den Lohn- und
Gehaltssteigerungen entspricht. Das ist eine völlig klare
Sache.
Zur
nächsten Frage erteile ich dem Kollegen Thomas Strobl
das Wort.
Herr Staatssekretär,
gibt der durch falsche Berechnungen verursachte Irrtum
des Bundeskanzlers derzeit der Bundesregierung Ver-
anlassung zu überprüfen, ob auch andere gesetzgeberi-
sche Neuregelungen im Bereich des Sozialversiche-
rungsrechts – beispielsweise die Neuregelungen der
630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse oder bei der
Scheinselbständigkeit – auf falschen Berechnungen der
Bundesregierung beruhen?
G
Ich will noch ein-
mal wiederholen, daß es nicht um falsche Berechnungen
geht.
– Sie können hier alle lachen, aber ich werde es bei jeder
Frage aufs neue wiederholen. – Ihre famose Koalition
hat eine Rentenreform durchgeführt, die dazu führte, daß
es nur mit großen Anstrengungen möglich war, den
Rentenversicherungsbeitrag bei 20,3 Prozent zu stabili-
sieren. Wir haben Maßnahmen eingeleitet, durch die der
Rentenversicherungsbeitrag auf 19,5 Prozent gesenkt
werden konnte. Wenn wir das Rentenreformgesetz so
übernommen und den Demographiefaktor nicht ausge-
setzt hätten, dann wäre – ausgehend vom Rentenversi-
cherungsbericht des letzten Jahres und unter Berück-
sichtigung der von Ihnen geplanten Steuerreform – im
Jahr 2001 ein Rentenversicherungsbeitrag von 21 Pro-
zent notwendig geworden.
– Daß Sie das nicht wissen, weiß ich. Sie sind ja neu in
diesem Hause. – Es waren vielmehr Sie, die von fal-
schen Berechnungen ausgegangen sind und uns damit in
diese schwierige Situation gebracht haben, in der wir
völlig richtig gehandelt haben. Wir haben nämlich den
Versicherungsbeitrag abgesenkt, den demographischen
Faktor ausgesetzt und
– ich komme doch gleich noch auf alles; aber ich muß es
Ihnen doch erklären, weil Sie neu im Hause sind –
die Auswirkungen der EU- und BU-Rentenreform, die
nächstes Jahr anstehen, begrenzt. Bedingung dafür war,
daß wir in diesem Jahr die Eckpunkte einer Rentenre-
form vorstellen und sie im nächsten Jahr insgesamt um-
setzen werden.
Auf Ihre Frage nach den 630-Mark-Arbeitsver-
hältnissen möchte ich Ihnen nur sagen, daß entgegen den
vorsichtigen Kalkulationen, die wir beim Gesetzge-
bungsverfahren zugrunde gelegt haben, deutlich mehr
Beiträge sowohl in die Kranken- als auch Rentenver-
sicherung gezahlt werden. Das trägt mit dazu bei, das
Rentenversicherungssystem zu stabilisieren. Nicht nur
das: Wir halten die 630-Mark-Regelung auch deshalb
für vernünftig, weil man einem Wildwuchs von nicht
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhält-
nissen entgegenwirken muß. Dafür muß sich auch keiner
entschuldigen.
Wir werden das auch nicht ändern. Das sollten Sie ganz
klar so sehen.
Nächster
Fragesteller ist der Kollege Wolfgang Meckelburg.
Ich hatteeben den Eindruck, daß Sie die Erhöhung der Rente imnächsten und übernächsten Jahr nur auf der Basis derInflationsrate damit begründen, daß in den letzten Jah-ren die Inflationsrate höher lag als der Prozentsatz, umden die Renten wirklich gestiegen sind. Welche Logiksteckt dahinter, das Rentensystem, nachdem die Infla-Parl. Staatssekretär Gerd Andres
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5336 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
(C)
tionsrate jahrelang systembedingt etwas höher lag alsder Rentenausgleich, gerade in den Jahren, wo einAusgleich gelingen würde, nämlich im nächsten Jahrund im übernächsten Jahr, zu ändern und die Renten-erhöhung einfach zu kappen? Woher haben Sie denMut, jetzt, wo es zu einem Plus käme, was in den letz-ten fünf Jahren nicht der Fall war, aus diesem Systemauszusteigen? Ich finde, das ist nicht logisch. Mankann nicht einerseits beklagen, daß es so war, aber indem Moment, wo es ein Plus wird, sagen, jetzt machenwir es gesetzlich mit staatlichem Eingriff und Rentenach Kassenlage.G
Herr Meckelburg,
ich muß sagen: Sie sind viel zu sehr Fachmann, um die
Frage in dieser Art und Weise überhaupt stellen zu kön-
nen.
Es geht nicht nur darum, sich anzuschauen, was wir
im Bereich der Rentensteigerung, also der Rentenanpas-
sung, tun. Wie Sie wissen, haben wir auf gesetzgeberi-
schem Weg eine ganze Palette von Maßnahmen in der
Rentenversicherung umgesetzt. Lassen Sie mich in
Klammern sagen: Ihr ehemaliger Bundesarbeitsminister
Blüm hätte sich doch ein Loch ins Knie gefreut, wenn er
die Familienleistungen aus der Steuer ersetzt bekommen
hätte. Es hat doch in Ihrer Partei eine Diskussion dar-
über gegeben, die familienbezogenen Leistungen anders
zu ersetzen.
Wir haben – das gehört alles zu dem Gesamtpaket –
in der Zwischenzeit sichergestellt, daß es über die Ein-
nahmen aus der Ökosteuerreform reale Beitragsleistun-
gen für Kindererziehungszeiten gibt, was es vorher nicht
gab. Das macht im kommenden Jahr rund 22 Milliarden
DM aus. Wir ersetzen Folgen aus der einheitsbedingten
Veränderung der Rentenversicherung, Auffüllbeträge
und ähnliches, aus der Steuer, was immerhin noch
2,5 Milliarden DM ausmacht. Insofern gibt es natürlich,
was die langfristige Situation der Rentenversicherung
angeht, relativ unterschiedliche Komponenten. Es gibt
einen höheren Bundeszuschuß, es gibt reale Beitrags-
zahlungen für bestimmte Leistungen, die es bisher nicht
gegeben hat, es gibt für zwei Jahre eine veränderte An-
passung.
Wenn man dieses Gesamtpaket mit entsprechenden
Änderungen in der Rentenversicherung insgesamt um-
gesetzt hat, gehen wir guten Mutes und sehr ernsthaft
davon aus, daß wir nach zwei Jahren zur nettolohnbezo-
genen Anpassung der Renten zurückkehren können. Das
war Ihre Frage, und ich habe Ihnen nun begründet, war-
um wir so vorgehen.
Ich habe
jetzt noch fünf Fragen zu diesem Komplex. Ich bitte um
Verständnis, daß ich weitere Fragen nicht mehr zulasse.
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Andreas
Storm.
Ich habe zwei Fragen
an Herrn Staatssekretär Andres.
Eine
Frage, bitte.
– Entschuldigung, Herr Staatssekretär, die Geschäfts-
leitung habe ich. Ich habe die Frage von Herrn Storm
zugelassen.
Herr Staatssekretär,
Sie haben vorhin ausgeführt, der Bundeskanzler habe
auf der Basis der Angaben des Rentenversicherung-
berichts aus dem Jahr 1998 seine Angaben über die
nettolohnbezogene Rentenanpassung im nächsten Jahr
gemacht.
Nun hat die neue Mehrheit unmittelbar nach der Bun-
destagswahl ein Steuerreformgesetz in den Bundestag
eingebracht, das in den ersten Monaten dieses Jahres
verabschiedet worden ist, das in einer Größenordnung
von 0,8 Beitragssatzpunkten Rückwirkungen auf die
Rentenversicherung hat. Das heißt, durch die von Ihnen
beschlossene Steuerreform steigt der Rentenversiche-
rungsbeitrag um 0,8 Prozentpunkte stärker, als dies im
Rentenversicherungsbericht 1998 ausgewiesen werden
konnte, weil damals diese Reform noch nicht vorlag.
Hat diesen Sachverhalt, die Auswirkungen der
Steuerreform auf die Rentenversicherungsfinanzen, der
Bundesarbeitsminister dem Bundeskanzler vorenthal-
ten?
G
Nein, der Bundes-
arbeitsminister hat dem Bundeskanzler überhaupt nichts
vorenthalten, sondern ich möchte unabhängig davon für
Sie wiederholen: Auf der Grundlage geltenden Rechts,
Rentenreformgesetz 1999, bei Beibehaltung des Demo-
graphiefaktors und Umsetzung einer Steuerreform, die
Sie genauso vorhatten – wenn Sie die Wahl gewonnen
hätten, hätten Sie die Steuerreform versucht, so umzu-
setzen, wie Sie sie entworfen hatten –, wäre das Ergeb-
nis gewesen, daß der Rentenversicherungsbeitrag im
Jahr 2001 auf 21 Prozent und im darauffolgenden Jahr
weiter angestiegen wäre.
Eine solche Ausgangsposition kann nicht gewollt sein
– die wollten wir auch nicht –, so daß wir auf der
Grundlage dessen die erforderlichen Korrekturen vor-
nehmen mußten, die wir entsprechend angekündigt und
auch schon ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht
haben.
NächsteFrage, der Kollege Julius Louven.Wolfgang Meckelburg
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5337
(C)
(D)
Herr Staatssekretär
Andres, als Rechtfertigung für die von Ihnen geplanten
Rentenkürzungen haben Sie soeben die Anpassungssätze
der letzten Jahre vorgetragen. Ist es nicht richtig, daß
diese Anpassungssätze auf Grund eines Beschlusses des
Deutschen Bundestages, nämlich auf Grund der Renten-
reform von 1989, die Sie mitgetragen haben, zustande
gekommen sind, und ist es nicht weiter richtig, daß Sie
Maßnahmen, insbesondere das Gesetz für mehr Wachs-
tum und Beschäftigung, die wir im vorigen und im vor-
vorigen Jahr durchgeführt haben, um den Beitragssatz
zu stabilisieren, abgelehnt haben?
G
Es ist einerseits
richtig, daß wir in diesem Zusammenhang Beschlüsse
mitgetragen haben. Denn wir haben beispielsweise die
Rentenreform von 1992 gemeinsam beschlossen. Das ist
nicht zu bestreiten. Andererseits haben wir eine Reihe
von Maßnahmen, die Sie in der letzten Legislaturperiode
auf den Weg gebracht haben, zum Beispiel das Wachs-
tums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, abgelehnt.
Aber das hat nichts mit der Auseinandersetzung, über
die wir hier sprechen, zu tun.
Herr Kollege Louven, Tatbestand ist aber, daß wir
unabhängig davon, wer die Mehrheit bildet bzw. der Ge-
setzgeber ist, in Zukunft darauf achten müssen, ein ver-
nünftiges Verhältnis zwischen Beitragsleistung und
Rentenleistungsniveau zu erzielen und die Rente zu-
kunftsfest zu machen. Ich bin fest davon überzeugt, daß
wir eine Menge Tatbestände auf den Weg gebracht
haben, mit denen wir erreicht haben, daß einerseits die
Rentenversicherung entgegen früheren Zeiten vernünfti-
ger finanziert wird, weil ihr Beitragsleistungen erstattet
werden, die entsprechend finanziert werden müssen, und
wir andererseits durch eine veränderte Rentenanpassung
in den nächsten zwei Jahren die Chance erhalten, dieses
System auf eine vernünftige Grundlage zu stellen.
Nächste
Frage, Kollege Dirk Niebel.
Herr Staatssekretär, die ur-
sprüngliche Fragestellung bezog sich auf den Irrtum des
Bundeskanzlers, der festgestellt hat, daß die nettolohn-
bezogene Rente sicher sei. Sie sagten, daß diese Aussa-
ge auf Grund eines Berechnungsfehlers getroffen wor-
den ist.
In der Debatte um die Änderung der 630-DM-
Beschäftigungsverhältnisse sind Sie in der Begründung
zu dem entsprechenden Gesetzentwurf hinsichtlich die-
ser Beschäftigungsverhältnisse von einer Größenord-
nung von 5 bis 6 Millionen ausgegangen. Vor zirka zwei
Sitzungswochen hat Arbeitsminister Walter Riester in
diesem Hause mit Freude festgestellt, daß 2,4 Millionen
dieser Beschäftigungsverhältnisse angemeldet worden
sind. Das heißt, 3,6 Millionen dieser Beschäftigungsver-
hältnisse, die Sie in Ihre Rentenbeitragsberechnung ein-
bezogen hatten, sind weggefallen. Wie hoch schätzen
Sie die Wahrscheinlichkeit ein, daß im Bundestags-
wahljahr 2002 nach der Rückkehr zur nettolohnbezoge-
nen Rente ein weiterer Berechnungsfehler auftritt?
G
Ich möchte zu-
nächst etwas zu den von Ihnen genannten Zahlen hin-
sichtlich der 630-DM-Verhältnisse sagen; denn sie sind
nicht ganz korrekt. Nach den Untersuchungen, die wir
vorliegen hatten und die noch die alte Bundesregierung
veranlaßt und deren Ergebnisse sie hier im Parlament
dargestellt hatte, ist man davon ausgegangen, daß es et-
wa 5,6 Millionen geringfügige Beschäftigungsverhält-
nisse gibt. Davon sind etwa 1,4 Millionen geringfügig
Nebenbeschäftigte; der restliche Anteil wären dann ge-
ringfügig Beschäftigte, die ausschließlich einen solchen
Job haben. Die Zahl von 2,5 Millionen, die Sie zitiert
haben, umfaßt diejenigen Beschäftigungsverhältnisse,
die bisher angemeldet worden sind.
Ich verweise darauf, daß die diesbezügliche Regelung
seit 1. April 1999 gilt. Wir sollten die Entwicklung die-
ses Jahres abwarten. Die Rentenversicherungsträger und
andere sagen uns, daß weitere Beschäftigungsverhältnis-
se angemeldet werden. Nicht zu bestreiten ist, daß dieje-
nigen, die als geringfügig Nebenbeschäftigte tätig wa-
ren, in einem großen Ausmaß ihre Jobs aufgegeben ha-
ben.
Des weiteren zu Ihrer Frage, wann man noch einmal
wie was korrigieren muß. Ich gehe davon aus, daß die
jetzigen Berechnungen und Konzeptionen sehr verläß-
lich sind, da sie von dieser Bundesregierung durchge-
führt bzw. auf den Weg gebracht worden sind. Ich stelle
fest: In den nächsten zwei Jahren kommt es bei der
Rentenerhöhung zu einem Inflationsausgleich. Danach
kehren wir zur lohn- und einkommensbezogenen Ren-
tenanpassung zurück.
Nächste
Frage, der Kollege Ilja Seifert von der PDS-Fraktion.
Herr Staatssekretär, Sie er-
wähnten vorhin die Aussetzung der Erwerbsminderungs-
rente, die ansonsten dieses Jahr in Kraft getreten wäre,
durch Ihre Regierung. Sie sagten in diesem Zusammen-
hang, daß die Erwerbsunfähigkeits- und die Berufsun-
fähigkeitsrente verändert werden sollen. Sie wissen
sicher, daß es mir am liebsten wäre, Sie würden für
Menschen mit Behinderungen ein Teilhabesicherungs-
geld beschließen.
Können Sie uns wenigstens in einigen Punkten sagen,
wie Sie die EU- und BU-Rente ab 1. Januar 2000
gestalten wollen? Allmählich müßten Vorschläge auf
den Tisch, damit wir etwas Vernünftiges beschließen
können.
G
Herr Kollege Sei-
Metadaten/Kopzeile:
5338 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
(C)
fert, nach dem Rentenreformgesetz 1999 wären die EU-und die BU-Rente faktisch weggefallen und durch dieneue Erwerbsminderungsrente ersetzt worden. DieseErwerbsminderungsrente hätte deutlich eingeschränkteLeistungen gebracht und wäre am 1. Januar 2000 in Kraftgetreten und nicht ab dem Sommer dieses Jahres.Da wir an dem Rentenreformgesetz 1999 in zweizentralen Punkten Kritik geübt hatten, haben wir dendemographischen Faktor für dieses Jahr und dasInkrafttreten dieser Erwerbsminderungsrente ab dem1. Januar kommenden Jahres aufgehoben. Das bedeutetnatürlich für uns, daß wir eine Neuregelung schaffenmüssen, an der wir schon arbeiten. Ich habe vorhin ge-sagt, daß es dazu Eckpunktepapiere gibt. Die Einzelhei-ten werden Ende des Jahres mitgeteilt. Die gesetzlicheUmsetzung wird im kommenden Jahr erfolgen. Ich bitteSie um Verständnis dafür, daß ich jetzt keine detaillier-ten Darstellungen über die Erwerbs- und die Berufsun-fähigkeitsrente machen kann. Wir kehren zu Prinzipien zurück, die in der Vergan-genheit galten. Beispielsweise bedeutet die konkreteBetrachtungsweise große Verbesserungen für die Versi-cherten, wie Sie wissen. Wie unser Vorschlag im einzel-nen aussieht, wird sich Ende des Jahres zeigen.
Die
letzte Frage zu diesem Komplex hat der Kollege Karl-
Josef Laumann.
Herr Staats-
sekretär Andres, Sie sagten eben, der Bundeskanzler
habe seine falsche Aussage am 16. Februar bezüglich
der Möglichkeit einer Rentenerhöhung deswegen ge-
macht, weil er den Zahlen eines älteren Rentenver-
sicherungsberichtes vertraut hatte. Meine Frage lautet:
Waren dem Bundeskanzler nicht die Zahlen über die
Entwicklung der Rentenfinanzen über die LVA in Nie-
dersachsen mitgeteilt worden? Immerhin hat die Lan-
desregierung von Niedersachsen die Aufsichtspflicht
über die LVA. Muß ich also daraus schließen, daß Herr
Schröder und sein zuständiger Minister in Niedersach-
sen ihre Aufsichtspflicht gegenüber der LVA nicht er-
füllt haben? Ansonsten hätte er die neuesten Zahlen
kennen müssen.
G
Herr Kollege Lau-
mann, Sie können davon ausgehen, daß die niedersäch-
sische Landesregierung ihre Aufsichtspflicht jederzeit
korrekt erfüllt hat. Ob der Ministerpräsident des Landes
Niedersachsen jederzeit über jede einzelne Zahl der
Landesversicherungsanstalten in Niedersachsen – Sie
wissen ja, daß es in Niedersachsen mehrere gibt – in-
formiert war, entzieht sich meiner Kenntnis. Sie können
davon ausgehen, daß die Bundesregierung, das Bundes-
arbeitsministerium und das Bundeskanzleramt jederzeit
über korrekte Zahlen verfügt.
Vorerst
vielen Dank, Herr Staatssekretär Andres. Eventuell müs-
sen Sie uns im weiteren Verlauf noch zur Verfügung
stehen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Es
wurde um schriftliche Beantwortung der Frage 1 gebe-
ten.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte
Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Werner Sie-
mann, CDU/CSU-Fraktion, auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, im Rah-men der militärischen Zusammenarbeit auf die Türkei Einflußzu nehmen?
B
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Siemann hat
gefragt, welche Möglichkeiten die Bundesregierung
sieht, im Rahmen der militärischen Zusammenarbeit auf
die Türkei Einfluß zu nehmen.
Herr Kollege, die militärische Zusammenarbeit mit
der Türkei vollzieht sich, wie es unter NATO-Partnern
üblich ist, im Rahmen der täglichen Arbeit in Form der
integrierten Kommandostruktur der NATO oder bei
NATO-Übungen und NATO-Vorhaben. Darüber hinaus
besteht zur Zeit im Rahmen des Einsatzes im Kosovo
eine noch engere Zusammenarbeit mit den türkischen
Verbänden, da sie in unserem Abschnitt stationiert sind.
Bilateral waren die militärischen Beziehungen zwi-
schen der Türkei und Deutschland traditionell immer
gut. Derzeit geht es im wesentlichen um Ausbildungsbe-
ziehungen.
Der Versuch, über diese militärischen Beziehungen
direkt und kurzfristig innenpolitische Entscheidungen in
der Türkei zu beeinflussen, würde unserer Meinung
nach als Einmischung in die inneren Angelegenheiten
verstanden werden und ist deshalb nicht erstrebenswert.
Aber natürlich bemühen sich die Bundesregierung und
die militärische Führung, auch die Inspekteure bei ihren
Besuchen, Fragen der Menschenrechte auf diplomati-
schem Wege anzusprechen.
Was die Rüstungszusammenarbeit mit der Türkei an-
betrifft: Dies ist gerade Gegenstand der Beratungen im
Bundessicherheitsrat. Für kommende Exporte und sich
daraus ergebende Einflußmöglichkeiten weise ich auf
die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes und des Bun-
desministers für Wirtschaft und Technologie hin.
Zusatz-
frage, Herr Siemann.
Frau Staatssekretärin,wie bewertet die Bundesregierung die Ablehnung desAntrags auf vorübergehende Ausfuhr eines Leopard 2Parl. Staatssekretär Gerd Andres
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5339
(C)
(D)
in die Türkei zu Erprobungszwecken vor dem Hinter-grund, daß die Türkei zum einen immerhin NATO-Partner und zum anderen potentielles EU-Mitglied ist?B
Wenn die Bundesregie-
rung eine Absage erteilt hätte, dann könnte ich Ihnen
eine Antwort auf diese Frage geben. Die Bundesregie-
rung hat dieses Thema aber erst im nächsten Bundes-
sicherheitsrat, Mitte Oktober, zu behandeln.
Zweite
Zusatzfrage, Herr Kollege Siemann.
Wie wird die Bun-
desregierung dieses Thema behandeln?
B
Das werden wir mit Inter-
esse verfolgen, Herr Kollege Siemann.
– Was Ihren Zuruf, Herr Hörster, „Lotteriespiel“ anbe-
trifft: Sie sollten sehr zurückhaltend sein angesichts des-
sen, was in der Vergangenheit an die Türkei geliefert
und dann auch gegen die Kurden eingesetzt wurde. –
Aber das war ja nur eine halblaute Anmerkung Ihrer-
seits.
Dann
kommen wir zu Frage 3:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Bedeutung des Trup-penbetreuungssenders der Bundeswehr für die Einsatzkräfte desdeutschen Bosnien-Kontingentes, und ist eine solche Betreuungauch für die Bundeswehrsoldaten im Kosovo in gleichem Um-fang geplant wie in Bosnien-Herzegowina?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
B
Herr Kollege Siemann,
Sie haben gefragt, welche Bedeutung der Truppenbe-
treuungssender für die Einsatzkräfte des deutschen
Kontingents in Bosnien, aber auch jetzt im Kosovo hat.
Sie wissen im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen,
daß die Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina mit Teilen
des Bataillons für operative Information den Truppen-
betreuungssender „Radio Andernach“ betreibt. Das Pro-
gramm wird über einen UKW-Sender in Rajlovac täg-
lich 24 Stunden lang ausgestrahlt. Beim Programmfor-
mat handelt es sich um eine Magazinsendung mit einer
Mischung von Information und Musik, wovon 10 Stun-
den täglich live moderiert werden. Hinsichtlich der In-
formationen und Nachrichten können wir uns dankens-
werterweise auf das „Deutschlandradio“ beziehen.
Die Bedeutung des Senders „Radio Andernach“ zur
Betreuung der Truppe wird als sehr hoch eingestuft, da
der Sender nicht nur zur Information und Motivation der
Truppe dient, sondern auch die Verbindung zu Famili-
enangehörigen und Freunden herstellt. Es werden relativ
viele Grußsendungen organisiert.
Sie werden in der nächsten Woche Gelegenheit ha-
ben, mit mir zu sehen, was wir im Kosovo aufbauen
wollen. Seit dem 10. Juli wird ein ziviler Sender in
Prizren von „Radio Andernach“ mit bedient. Im Rahmen
der Truppenbetreuung werden dort täglich erst drei
Stunden lang Beiträge für die deutschen Soldaten ausge-
strahlt. Das hat natürlich damit zu tun, daß die Belastung
der Soldaten augenblicklich noch intensiver ist. Wir ge-
hen aber davon aus, daß dieser Programmanteil erhöht
werden kann. Wir wollen versuchen, die Truppen-
betreuung wie in Bosnien-Herzegowina umfangreicher
zu gestalten. Daher wird zur Zeit geprüft, ob wir einen
weiteren UKW-Sender beschaffen sollten.
Keine
Zusatzfrage.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Simone Probst zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zu Frage 4 der Kollegin Dr.
Erika Schuchardt:
Kann die Bundesregierung Aussagen von Sachverständigenbestätigen, daß durch eine ambulante Behandlung von Patientenmit Schilddrüsenüberfunktion mit Radiojod anstelle der heutedurch die Gesetzeslage in Deutschland quasi vorgeschriebenen,bis zu 14 Tage dauernden, stationären Behandlung Kosten vonbis zu 200 Mio. DM jährlich gespart werden könnten?
Si
Liebe Frau Schuchardt, bitte erlauben Sie, daß
ich Ihre beiden Fragen zusammen beantworte.
Dann ru-
fe ich auch Frage 5 auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tat-sache, daß z. B. Holland, Frankreich und Dänemark Radiojod-behandlungen bei Schilddrüsenüberfunktion ambulant durchfüh-ren, und hat sie besondere Kenntnisse, die begründen, daß in derBundesrepublik Deutschland von ambulant behandelten Patien-ten eine höhere Strahlenbelastung ausgeht?
Si
Ihre erste Frage bezüglich der Kosten kann ichnur so beantworten: Der Bundesregierung liegen keineErkenntnisse zu möglichen Kosteneinsparungen durcheine ambulante Behandlung vor.Ich möchte aber gleich zur Beantwortung Ihrer zwei-ten Frage übergehen, weil es inhaltliche Gründe hat,warum die Bundesregierung eine ambulante Behandlungbei einer Schilddrüsenüberfunktion mit radioaktivemJod nicht für sinnvoll hält. Dafür gibt es zum einen me-dizinische Gründe, zum anderen Strahlenschutzgründe.Der medizinische Grund liegt darin – Sie wissen, daßeine Strahlentherapie nur bei sehr strenger IndikationWerner Siemann
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5340 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
(C)
vorgenommen werden sollte –, daß es darum geht, eineVerlaufskontrolle des Therapieerfolges zu haben.Das zweite sind Strahlenschutzgründe. Wir gehen da-von aus, daß ein stationärer Aufenthalt in einer geeig-neten Krankenhausabteilung erforderlich ist, um insbe-sondere in den ersten Tagen der Behandlung Personen inder Umgebung des Patienten vor einer erhöhten Strah-lenexposition zu schützen. Sie haben die Beispiele Nie-derlande, Frankreich und Dänemark genannt. Die Ra-dioaktivitäten, die dort verwendet werden, sind ver-gleichbar mit denen in Deutschland. Aber die Strahlen-exposition in der Umgebung der Patienten übersteigt invielen Fällen die deutschen Grenzwerte.Es gibt zum anderen einen Strahlenschutzgrund, dernicht darin liegt, Personen in der Umgebung von Pati-enten vor erhöhter Strahlenexposition zu schützen.Wenn Sie die notwendige Gesamtmenge an Strahlenak-tivität in einer ambulanten Behandlung in verschiedeneFraktionen aufteilen – was durchaus gemacht wird,wenn man feststellt, daß das unbedenklich ist – , dannmüssen Sie die Gesamtaktivität erhöhen, weil die Spei-cherfähigkeit der Schilddrüse von Dosis zu Dosis ab-nimmt. Dadurch kommt es zu einer erhöhten Strahlen-belastung des Körpers. Das halten wir nicht für vertret-bar.Sie sprechen in Ihrer ersten Frage von bis zu 14 Tagedauernden stationären Behandlungen. Es gibt die Aus-nahmeregelung, daß eine Patientin oder ein Patient beientsprechender medizinischer Indikation oder bei einementsprechenden sozialen Bedürfnis nach 48 Stundennach Hause entlassen werden kann, wenn dies mit Be-ratung und besonderen Vorsichtsmaßnahmen möglichist. Aber diese zwei Tage stationäre Behandlung haltenwir insbesondere aus medizinischen, aber auch ausStrahlenschutzgründen für erforderlich.
Zusatz-
frage, Frau Schuchardt? – Bitte schön.
Ich möchte eine
Zusatzfrage stellen. Ich habe in meiner Frage sehr deut-
lich gesagt, daß über 200 Millionen DM jährlich einge-
spart werden könnten, wenn man dem Modell der zi-
tierten Länder folgen würde, die eindeutig nachweisen,
daß eine ambulante Behandlung möglich ist und keine
höhere Strahlenschädigung verursacht. Sie haben nicht
beantwortet, ob – da müßten Ihnen Unterlagen vorliegen
– durch eine ambulante Behandlung möglicherweise
eine höhere Strahlenschädigung bei den Betroffenen wie
bei den Kontaktpersonen einträte.
Dann wäre die Frage zu beantworten, wieso man auf
200 Millionen DM verzichtet, die man, wenn eben nicht
zutrifft, daß durch die ambulante Behandlung ein höhe-
rer Schaden entstehen würde, in Form von freien Betten
für andere Bereiche zur Verfügung stellen könnte.
Si
Frau Schuchardt, ich denke, ich habe Ihre Fra-
ge beantwortet. Der Grund für die erhöhte Strahlenexpo-
sition bei ambulanter Versorgung liegt darin, daß Sie in
diesem Fall die Gesamtdosis erhöhen müssen. Die Ge-
samtaktivität, die bei einer Einzeitbehandlung, das heißt
bei einmaliger Gabe, notwendig ist, müssen Sie bei am-
bulanter Versorgung in fünf oder sechs Dosen aufteilen.
Dabei müssen Sie aber auf Grund der abnehmenden
Speicherfähigkeit der Schilddrüse die Gesamtaktivität
erhöhen, so daß es dadurch zu einer erhöhten Strahlen-
belastung kommt.
Es sind inhaltliche Gründe, warum wir die 48 Stun-
den stationäre Behandlung für notwendig halten. Die
Strahlenschutzkommission hat sich im Februar 1996 –
ich glaube, es war die 136. Sitzung – sehr ausführlich
mit diesem Thema befaßt. Die Strahlenexposition ist in
den Ländern, die ich genannt habe, vergleichbar. Wir
halten diese Strahlenexposition der Bevölkerung in der
Umgebung der Patienten, aber auch für die Patienten
selbst nicht für hinnehmbar. Es ist eine sinnvolle Be-
handlungsmethode, aber die Strahlenbelastung und die
damit zusammenhängenden Nebenwirkungen müssen
minimiert werden. Man kann nicht auf Grund eines Ko-
stenarguments von diesen qualitativen Kriterien abrük-
ken.
Weitere
Zusatzfrage, Frau Schuchardt? – Bitte schön.
Ich muß be-
harrlich nachfragen. Die drei von uns beiden zitierten
Länder – Holland, Frankreich und Dänemark – weisen
nach, daß es nicht zu höheren Schäden kommt, und ma-
chen sogar den Vorschlag – was Sie jetzt ablehnen –,
diese Behandlung bei ambulanten Patienten zu fraktio-
nieren. Ihre Aussage stimmt nicht mit den vorliegenden
wissenschaftlichen Untersuchungen überein. Darum
kann ich mich damit nicht zufrieden geben.
Si
Die Begründung liegt darin, daß es unser An-
liegen ist, den bestmöglichen Schutz der Bevölkerung,
auch der Patienten, vor Strahlenexposition zu gewährlei-
sten. Ich stelle Ihnen gerne das Protokoll der Strahlen-
schutzkommission zur Verfügung. Sie können es selber
im Internet unter ssk.de abrufen. Die Kommission
kommt zu dem Ergebnis, daß die Strahlenexposition für
uns nicht hinnehmbar ist – das ist eine Abwägungsfrage
– und daß wir mit einem 48stündigen stationären Auf-
enthalt einen besseren Schutz der Bevölkerung vor
Strahlung erreichen. Sonst würden deutsche Grenzwerte
in vielen Fällen überschritten. Das sind nationale Rege-
lungen. Weil es unser Anliegen ist, Strahlenschutz zu
gewährleisten, hat die Strahlenschutzkommission ent-
schieden, daß mindestens 48 Stunden Behandlung in
einer stationären Einrichtung notwendig sind. Ich denke,
das ist eine richtige Entscheidung.
VielenDank, Frau Staatssekretärin.Parl. Staatssekretärin Simone Probst
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5341
(C)
(D)
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Aus-wärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht StaatsministerDr. Christoph Zöpel zur Verfügung.Wir kommen zunächst zu den beiden Fragen derKollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Herr Zö-pel, wollen Sie die Fragen zusammen oder einzeln be-antworten?D
Einzeln.
Dann ru-
fe ich zunächst Frage 6 auf:
Unterstützt die Bundesregierung die weißrussische Oppositi-on im Exil in Litauen, und wenn ja, mit welchen Maßnahmen?
D
Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Kollegin!
Die Bundesregierung unterstützt gemeinsam mit den an-
deren EU-Mitgliedstaaten die Beratungs- und Beobach-
tungsgruppe der OSZE in Belarus, die von dem früheren
deutschen Botschafter Wieck geleitet wird. Sie hat das
Ziel, Verhandlungen zwischen Regierung und Oppositi-
on in Gang zu bringen und den Verfassungskonflikt zu
entschärfen, um im nächsten Jahr freie und demokrati-
sche Parlamentswahlen zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang stehen sowohl die deut-
sche Botschaft als auch andere EU-Vertretungen und die
OSZE-Mission in einem – soweit wir das übersehen
können – umfassenden Kontakt mit den Gruppen der
weißrussischen Opposition, auch zu den Vertretern des
Obersten Sowjets – darum geht es Ihnen hauptsächlich –,
dessen Vorsitzender Scharetskij sich in Litauen aufhält.
Zusatz-
frage, Frau Leutheusser?
Ja.
Bitte
schön.
Wie bewerten Sie, nachdem Sie die Maßnahmen, die die
Bundesregierung unternimmt, geschildert haben, insge-
samt die Situation der Opposition in Weißrußland? Wie
ist die Einschätzung der Bundesregierung – gerade auch
was das Schicksal von Menschen angeht – nach dem
Verbot einer der wichtigsten Oppositionszeitungen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Behandlung der Opposition in Weißruß-
land durch die Regierung ist weit entfernt von den An-
sprüchen, die demokratische Prinzipien und unsere Vor-
stellungen von den politischen Aspekten der Menschen-
rechte in Europa darstellen. Das hat zu den bekannten
Maßnahmen gegenüber Weißrußland – Aussetzen der
Regierungskontakte und Nichtinkrafttreten des Abkom-
mens – geführt. Das sind die Sanktionen, die im Augen-
blick möglich sind, da die Nachbarstaaten vor einer Iso-
lierung warnen.
Der Ausweg ist die OSZE-Beobachtermission. Im
Augenblick ist allein die Tatsache, daß die weißrussi-
sche Regierung zu Gesprächen darüber bereit ist, ein
Anzeichen dafür, daß die in Einzelfällen noch sehr kriti-
sche Lage vielleicht doch perspektivisch auf dem Weg
der Besserung ist.
Weitere
Zusatzfragen? – Nein.
Dann kommen wir zu Frage 7:
Welche diplomatischen Bemühungen unternimmt die Bun-desregierung gegen die offensichtlichen Menschenrechtsverlet-zungen in Weißrußland, um damit auch ihrem selbstgestelltenmoralischen Anspruch gerecht zu werden?
D
Diese Frage hängt eng mit Ihrer ersten Frage
zusammen. Die Bundesregierung setzt sich im EU-
Zusammenhang für eine Verbesserung der Menschen-
rechtslage ein. Unter deutscher Präsidentschaft gab es
eine EU-Troika hoher Beamter, die im April 1999 in
Minsk Gespräche zu diesem Thema geführt hat. Es ist
dabei immer wieder klar gemacht worden, daß die Ver-
besserung der Menschenrechtslage eine unabdingbare
Voraussetzung für die Beendigung der eben von mir
dargestellten sanktionsähnlichen Maßnahmen ist.
Zusatz-
frage, Frau Leutheusser-Schnarrenberger?
Ja, eine Zusatzfrage. – Herr Staatssekretär, in welchem
Umfang unterhält die Bundesregierung noch Kontakt
mit Weißrußland? Welche wirtschaftlichen Beziehungen
gibt es? Gibt es wirtschaftliche Hilfen? Welches Kredit-
volumen besteht? In welcher Weise stellt sich diese Art
von Beziehungen zwischen Deutschland und Weißruß-
land zum jetzigen Zeitpunkt dar?
C
Ich habe Ihnen dargelegt, in welchen Bereichendie restriktiven Maßnahmen erfolgen: keine Regie-rungskontakte, kein Inkrafttreten der entsprechendenEU-Abkommen. Darüber hinausgehende Restriktionenwerden nicht systematisch betrieben, so daß ich Ihnenjetzt nicht im einzelnen sagen kann, in welchem Maßees Wirtschaftsbeziehungen gibt. Es gibt kein Wirt-schaftsembargo. Das ist von den Nachbarn auch nichterwünscht; insofern wird diese Maßnahme auch nichtergriffen.Die Frage ist letztlich, ob noch stärkere Restriktionenals die bestehenden gewählt werden. Vor allem wegendes Wunsches der Nachbarn, der baltischen Staaten undVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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5342 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
(C)
Polens, sind keine Sanktionen geplant, die über die jet-zigen hinausgehen. Vielmehr gehen wir den Weg – dermit der Idee der OSZE besser zu vereinbaren ist –, mitder weißrussischen Regierung zu reden. Man muß fest-stellen, daß die Regierung Lukaschenko offenkundigeiner gewissen Fehleinschätzung ihrer internationalenMöglichkeiten unterlegen ist. Ihre Annährungsversuchean Rußland und an andere Nachbarn haben nicht dengewünschten Erfolg, so daß im Augenblick einerseitsdie Aufrechterhaltung normaler Wirtschaftsbeziehungen– bei den genannten Restriktionen – und andererseits dasVerhandeln nicht ohne Aussicht auf Erfolg erscheinen.
Vielen
Dank. Wir kommen zur Frage 8 der Kollegin Sylvia
Bonitz:
Ist zutreffend, daß die deutschen Botschaften im Auslandihren Bürobedarf, vom fehlenden Druckerkabel bis hin zumBleistift, nur per Bestelliste über das Auswärtige Amt beschaf-fen können, und wie wird diese Verfahrensweise in einem Zeit-alter, in dem Begriffe wie Budgetierung und Effizienzsteigerungauch in der Verwaltung Einzug gehalten haben, begründet?
C
Frau Kollegin Bonitz, ich kann Ihnen sagen, daß es
nicht zutreffend ist, daß die deutschen Auslandsvertre-
tungen ihren Bürobedarf nur per Bestelliste über das
Auswärtige Amt beschaffen. Die Beschaffungsstelle
sowie auch die Auslandsvertretung prüfen in jedem ein-
zelnen Beschaffungsfall, ob der Kauf im Inland oder im
Ausland wirtschaftlicher ist. Bei der Entscheidung wer-
den jeweils die Gesamtkosten und somit – was von be-
sonderem Interesse ist – auch die Beförderungs- und
Verpackungskosten berücksichtigt. Sollte es sich erwei-
sen, daß der Kauf im Ausland kostengünstiger ist, wer-
den der Vertretung entsprechende Mittel zugewiesen.
In vielen Fällen erfolgt der Kauf auch aus den der
Vertretung zur Verfügung stehenden Eigenbewirtschaf-
tungsmitteln. Die Möglichkeiten des Haushaltsrechts im
Rahmen der Flexibilisierung werden dabei vom Aus-
wärtigen Amt genutzt. Dies hat zu einer Effizienzsteige-
rung geführt und hat teilweise den Effekt einer Budge-
tierung.
Zu beachten bleibt allerdings, daß es aus Gründen der
Sicherheit einige Materialien gibt, die sinnvollerweise
im Inland beschafft werden; dazu gehören Dienstsiegel,
Sichtvermerksetiketten und Paßformulare.
Eine Zuatzfrage.
Wie kommt es dann, daß
von deutschen Botschaften im Ausland Abgeordneten
gegenüber teilweise eine andere Auskunft gegeben
wird? Insbesondere EDV-Gerätschaften können dem-
nach nicht immer angeschlossen werden, weil solche
Kleinigkeiten wie Druckerkabel von den Botschaften
eben nicht beschafft werden dürfen, so daß den wich-
tigen Aufgaben – zum Beispiel der Visaerteilung und
auch der vorausgehenden Visaprüfung, die ja dazu bei-
trägt, daß illegale Einreisen nach Deutschland vermie-
den werden können – teilweise nicht mit den nötigen
Arbeitsmitteln nachgegangen werden kann.
C
Frau Kollegin, da ich den Realitätsbezug Ihrer
Frage – aus blanker Lebenserfahrung, daß so etwas vor-
kommen kann – überhaupt nicht in Abrede stellen kann,
meine ich, es macht sehr großen Sinn, wenn Sie auf dem
von Ihnen für geeignet gehaltenen Wege die Bundesre-
gierung, speziell das Auswärtige Amt, zu einem kon-
kreten Fall befragen. Ein solch konkreter Fall kann dann
vom Auswärtigen Amt geprüft werden. Dann läßt sich
entweder feststellen, ob das zu Recht so geschieht, oder
es läßt sich feststellen, ob Abhilfe geschaffen werden
kann. Vor allem in letzterem Falle wäre eine solche
Frage von Ihnen, Frau Kollegin, im Interesse der Bun-
desrepublik ausgesprochen nützlich.
Eine weitere Zusatz-
frage.
Ich bitte Sie, dies ganz
konkret für die deutsche Botschaft in Ghana zu prüfen,
die auf diesem Sektor erhebliche Schwierigkeiten hat.
Auf diese Weise kann sie vielleicht künftig noch besser
in ihrer Arbeitsfähigkeit unterstützt werden.
C
Dies ist hiermit zugesagt. Sobald die Prüfung zu
mitteilenswerten Ergebnissen geführt hat, werden wir
Sie informieren.
Die Frage 9 des Ab-
geordneten Koschyk wird schriftlich beantwortet.
Danke schön, Herr Staatsminister.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern. Die Frage 10 des Kollegen
Koschyk und die Fragen 11 und 12 des Kollegen Stadler
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 13 des Kollegen Georg
Janovsky:
In welcher Form sind die von der Bundesregierung zugesag-ten 100 Millionen DM für die Sanierung des Leipziger Zentral-stadions in einer ersten Rate für das Jahr 2000 etatisiert?
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Herr Kollege Ja-
novsky, ich setze Ihr Einverständnis voraus, daß wir die
Fragen 13 und 14 im Zusammenhang behandeln.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe dann auchdie Frage 14 des Kollegen Janovsky auf:In welcher Form sind die von der Bundesregierung zugesag-ten 100 Millionen DM für die Sanierung des Berliner Olympia-stadions in einer ersten Rate für das Jahr 2000 etatisiert?Staatsminister Christoph Zöpel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5343
(C)
(D)
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekre-
Die Bundesregie-
rung unterstützt, wie Sie wissen, die Bewerbung des
Deutschen Fußball-Bundes um die Fußball-WM 2006
mit der Zusage, für die als Austragungsstätten vorgese-
henen Stadien in Berlin und Leipzig jeweils 100 Millio-
nen DM zur Verfügung zu stellen. Nachdem das Land
Berlin, vertreten durch die Senatorin für Finanzen, und
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den
Bundesminister der Finanzen, am 12. Juli dieses Jahres
Gespräche geführt hatten und, vorbehaltlich der Billi-
gung durch die parlamentarischen Gremien, unter ande-
rem vereinbart hatten, daß der Bund dem Land als Bei-
trag zur Sanierung und Modernisierung des Olympiasta-
dions wegen des Reparaturstaus 100 Millionen DM
zahlt, hat die Bundesregierung das Parlament ersucht, im
Jahr 2000 die erste Rate des Bundeszuschusses für das
Olympiastadion in Berlin im Einzelplan 06 zu etatisie-
ren. In den parlamentarischen Beratungen soll darüber
hinaus die Möglichkeit geprüft werden, ebenfalls im
Haushalt 2000 Mittel für die Anfinanzierung des Um-
baus des Leipziger Zentralstadions zu veranschlagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage,
bitte, Kollege Janovsky.
Frau Staatssekretä-
rin, sind gegebenenfalls Verpflichtungsermächtigungen
vorgesehen, um entsprechend dem Baufortschritt auch
die Finanzierung sicherstellen zu können?
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Ich will Ihnen eini-
ge kleinere Erläuterungen geben. Dies geschieht unter
Vorbehalt in bezug auf das, was das Parlament in seiner
Zuständigkeit endgültig entscheiden wird. Es geht unter
anderem um den Vorschlag, im Jahr 2000 20 Millionen
DM und Verpflichtungsermächtigungen über je 40 Mil-
lionen DM, die dann im Jahre 2001 und im Jahre 2002
fällig werden, für die Sanierung und Modernisierung des
Berliner Stadions bereitzustellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatz-
frage? – Bitte.
Darf ich auf Grund
der von Ihnen genannten Zahlen schlußfolgern, daß für
das Jahr 2000 die 100 Millionen DM nicht zur Verfü-
gung stehen?
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Das dürfen Sie
nicht folgern. Vielmehr sind das, was ich Ihnen eben be-
schrieben habe, Vorüberlegungen. Sie wissen ja, wie die
parlamentarischen Beratungen ablaufen.
Ich darf noch hinzufügen, daß wir am 4. Oktober, al-
so Anfang dieser Woche, ein Berichterstattergespräch
hatten, auf dem die Modalitäten vorgeschlagen, erörtert
und abgesprochen wurden. Die endgültigen Entschei-
dungen werden ja dann im Zuge der weiteren Haus-
haltsberatungen fallen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 15
der Kollegin Sylvia Bonitz auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, im Zusammenhang mitder anstehenden Einrichtung einer direkten Flugverbindung vonCôte d‘Ivoire nach Deutschland Dokumentenberater in Côted‘Ivoire einzusetzen, um die Gefahr einer illegalen Einreise vonIvorern nach Deutschland mittels gefälschter Pässe zu reduzie-ren, und, falls ja, ab wann wird dies der Fall sein?
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Die Bundesregie-
rung beabsichtigt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht,
einen Dokumentenberater in besagte Republik zu ent-
senden. Sollte sich aber herausstellen, daß die direkte
Flugverbindung zwischen diesem Land und der Bundes-
republik Deutschland verstärkt zur Einreise mit ge- oder
verfälschten Reisedokumenten benutzt wird, dann wird
die Bundesregierung dem oder den betroffenen Luft-
fahrtunternehmen geeignete Beratungs- und Schulungs-
maßnahmen anbieten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage,
bitte schön, Frau Kollegin.
Da inzwischen Erfah-
rungswerte aus benachbarten Ländern zur Verfügung
stehen, die besagen, daß zumindest die Rate der Fäl-
schungen bei Pässen relativ hoch ausfällt, und da illegale
Einreisen eigentlich von vornherein verhindert werden
können, wenn solche Dokumentenberater rechtzeitig
eingesetzt werden, möchte ich Sie recht herzlich bitten,
sich doch noch einmal zu überlegen, ob über diese Frage
nicht schon frühzeitig nachgedacht werden kann, näm-
lich dann, sobald bekannt wird, daß eine Flugverbindung
eingerichtet wird. Man sollte also nicht erst darauf war-
ten, daß Paßfälschungen vorgenommen werden, und
man sollte auch nicht warten, bis darüber statistische Er-
hebungen vorliegen. Denn dann ist es im Regelfall zu
spät. Dann sind die Menschen hier eingereist und wer-
den im Regelfall auf Grund rechtlicher oder praktischer
Vollzugshemmnisse kaum wieder abgeschoben. Ich
möchte Sie daher bitten, das von mir Gesagte ganz ge-
zielt in Erwägung zu ziehen, und die Frage zu beant-
worten, warum Sie nicht generell so verfahren, wie es
sich in Nachbarländern, wie zum Beispiel Ghana, be-
währt hat.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Zunächst einmalmuß ich für die Bundesregierung betonen, daß ihr dieVerhinderung illegaler Einreisen, auch das Einreisen mitgefälschten Dokumenten, selbstverständlich sehr amHerzen liegt.Zur Erläuterung will ich Ihnen darstellen, wann solcheDokumentenberater bisher eingesetzt werden. Zum Bei-spiel muß der Wunsch eines Luftfahrtunternehmens be-stehen, Schulungsmaßnahmen der dortigen Mitarbeiter
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5344 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
(C)
durchzuführen, oder einem Luftfahrtunternehmen muß esaufgefallen sein, daß Personen in größerem Maß nachDeutschland unerlaubt befördert werden. Wenn neueLuftfahrtunternehmen ihre Tätigkeit aufnehmen, geht esdarum, daß sie von der Grenzschutzdirektion mittels be-reitgestellten Informationsmaterials über das Erkennensolcher Fälschungsmerkmale geschult werden wollen.Natürlich gibt es bereits Dokumentenberater, undzwar in Istanbul/Türkei, in Nairobi/Kenia, in Lagos/Nigeria, in Tirana/Albanien und in Accra/Ghana. In die-sen Ländern werden bereits Dokumentenberater be-schäftigt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage 16 des
Kollegen Luther wird schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Justiz. Der Parlamentarische Staats-
sekretär Professor Pick stände zur Beantwortung der
Fragen zur Verfügung. Allerdings sollen sämtliche in
seinen Verantwortungsbereich fallenden Fragen, näm-
lich die Fragen 17 und 18 des Kollegen Geis und die
Frage 19 der Kollegin Lengsfeld, schriftlich beantwortet
werden. Damit sind Sie, lieber Kollege Pick, für heute
schon wieder entlassen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums der Finanzen. Zur Beantwortung ist die Par-
lamentarische Staatssekretärin Dr. Hendricks anwesend.
Die Fragen 21, 22, 23 und 24 werden schriftlich beant-
wortet.
Damit rufe ich die Frage 25 des Kollegen Börnsen
auf:
Sind die Informationen korrekt, nach denen die Bundesregie-rung in Zusammenarbeit mit der Oberfinanzdirektion Hamburgdie Schließung des Hauptzollamtes in Flensburg, in dem über200 Zöllner tätig sind, beabsichtigt, obwohl sich die Umsätzedieses Amtes seit 1988 von 2,5 auf knapp 5,4 Milliarden DMmehr als verdoppelt haben, während die Umsätze der anderenschleswig-holsteinischen Zollämter in Kiel, Lübeck und Neu-münster stagniert haben, die Exportquote der Grenzstadt inner-halb der vergangenen zehn Jahre von 27 auf 59 Prozent gestie-gen ist und auch nach dem Auslaufen des Schengener EU-Abkommens an der deutsch-dänischen Grenze durch den Au-ßenhandel mit den Staaten der Baltic Sea Region sowie denGolfstaaten Bedarf für ein Hauptzollamt an der FlensburgerFörde besteht, oder welches andere Amt ist nach dem aktuellenStand der Überlegungen von der Schließung mit großer Wahr-scheinlichkeit bedroht?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
D
Herr Kollege Börnsen,
das Aufgabenvolumen des Hauptzollamtes Flensburg ist
durch die Verwirklichung des Binnenmarktes zum 1. Ja-
nuar 1993 und die Einstellung des Tax-free-Verkaufs
zum 30. Juni dieses Jahres erheblich zurückgegangen.
Eine weitere Aufgabenreduzierung zeichnet sich durch
den Beitritt Dänemarks zum Schengener Übereinkom-
men ab. Voraussichtlich zum 1. Oktober 2000 wird Dä-
nemark das Ratifizierungsverfahren zum Schengener
Übereinkommen abschließen.
Eine Straffung der Organisationsstruktur auf der Ebe-
ne der Hauptzollämter in Schleswig-Holstein ist unter
Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte aus verwal-
tungsökonomischen Gesichtpunkten mittelfristig gebo-
ten. Die Entscheidung, ob das Hauptzollamt Flensburg
mit einem anderen Hauptzollamt zusammengelegt wird
und an welchem Standort dies geschieht, wird auf der
Grundlage eines strukturellen Gesamtkonzeptes für die
Hauptzollämter in Hamburg und Schleswig-Holstein
getroffen. Dieses Konzept wird derzeit erst erarbeitet.
Bitte schön, Kollege
Börnsen.
Frau
Staatssekretärin, welcher Zeitraum verbirgt sich hinter
Ihrem Hinweis „mittelfristig“?
D
Herr Kollege Börnsen,
wir haben die Oberfinanzdirektion Hamburg beauftragt,
ein Gesamtkonzept für die Länder Hamburg und
Schleswig-Holstein vorzulegen, wie das übrigens nicht
nur in diesen Ländern, sondern auch in den anderen
Ländern der Bundesrepublik der Fall ist. Dabei müssen
wir zum ersten auf die Entwicklung des Aufkommens,
zum zweiten auf verwaltungsökonomische Gesichts-
punkte und zum dritten auf die vorgebenen Einsparbe-
stimmungen, die im Haushalt des Bundesfinanzministers
in diesem Bereich ab dem Jahr 2001 zur besonderen
Wirksamkeit gelangen werden, Rücksicht nehmen.
Darüber hinaus müssen wir auch berücksichtigen,
daß der beabsichtigte Beitritt von Polen und Tschechien
zur Europäischen Union zu weiteren massiven Verände-
rungen im Zolldienst führen wird. Dies alles haben wir
zu beachten. Darum ist das Konzept auch noch nicht
fertig.
Ihre Frage nach dem Hauptzollamt Flensburg über-
rascht mich insofern nicht, als ich auch von vielen ande-
ren Kolleginnen und Kollegen aus diesem Hause gefragt
worden bin, wie es mit der jeweiligen Zollstelle in ande-
ren Gegenden weitergeht. Sicher ist, daß wir nicht zusi-
chern können, daß die heute bestehenden Hauptzolläm-
ter auch in aller Zukunft werden bestehenbleiben. Eben-
so sicher ist auch, daß die Schließung eines Hauptzoll-
amtes nicht notwendigerweise zum Arbeitsplatzabbau an
diesem Ort führt. Ihm könnten durchaus andere Aufga-
ben zugewiesen werden, oder Teile könnten als Neben-
stelle eines bestehenden Hauptzollamtes bestehenblei-
ben.
Kollege Börnsen.
FrauStaatssekretärin, wir wollten Sie mit dieser Frage nichtüberraschen. Sie haben ja Verständnis dafür, daß vieleKolleginnen und Kollegen von uns in Verantwortung fürihre Regionen und für die Arbeitsplätze der Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter von Bundesbehörden fragenmüssen, wenn sie den Eindruck haben, daß diese Ar-beitsplätze stark gefährdet sind.Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5345
(C)
(D)
Warum stellen Sie Überlegungen an, das FlensburgerHauptzollamt hinsichtlich seiner Aufgaben und Struktu-ren zu ändern, obwohl es seine Umsätze fast verdoppelthat, obwohl sich die Exportquote in dieser Region fastverdreifacht hat und obwohl sich der Arbeitsanfalldadurch erhöht hat?D
Herr Kollege
Börnsen, ich kann den von Ihnen vorgetragenen
Schluß, wir hätten die Überlegung, das Hauptzollamt
Flensburg umzuwandeln oder zu schließen, nicht tei-
len. Ich habe gesagt: Wir stehen am Beginn der Erar-
beitung eines Konzeptes. Es kann durchaus sein, daß
das Hauptzollamt Flensburg nach einer konzeptionel-
len Änderung bestehenbleibt.
Sie müssen bedenken, daß für den Fortbestand eines
Hauptzollamtes die Höhe der durch die Dienststelle er-
hobenen Abgaben kein erhebliches Kriterium für die
Entscheidung ist. Wesentliche Gesichtspunkte für den
Fortbestand eines Hauptzollamtes sind insbesondere der
Aufgabenumfang im Bereich der zoll- und ver-
brauchsteuerrechtlichen Verfahren einschließlich des
Marktordnungs-, Präferenz- und Außenwirtschaftsrechts
sowie die Anzahl der Wirtschaftsbeteiligten, die auf ent-
sprechende Dienstleistungen der Zollverwaltung in den
vorgenannten Bereichen zwingend angewiesen sind. Da
der Betrieb eines Hauptzollamtes Steuermittel in nicht
unerheblichem Umfang erfordert, ist zudem die Wirt-
schaftlichkeit der Aufgabenerfüllung natürlich ein we-
sentliches Kriterium für die Erhaltung eines Amtes.
Darüber hinaus lassen wir auch strukturpolitische Ge-
sichtspunkte nicht außer acht. Das ist auch ein mög-
liches Entscheidungskriterium, kann aber nicht das erste
Entscheidungskriterium sein.
Die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommende Be-
fürchtung um die Arbeitsplätze vermag ich nicht zu tei-
len. Wie Sie wissen, handelt es sich bei den Bedienste-
ten des Zolls um Beamte, die nicht mit dem Verlust des
Arbeitsplatzes, sondern möglicherweise nur mit einer
Versetzung an einen anderen Ort rechnen müßten.
Ich rufe die Frage 26
des Abgeordneten Wolfgang Börnsen auf:
Nach welchen Kriterien plant die Bundesregierung, eines dervier schleswig-holsteinischen Hauptzollämter zu schließen, undin welcher Größenordnung sollen Einsparungen durch eine et-waige Schließung auf Bundes- und Landesebene erreicht wer-den?
Herr Kollege Börnsen, ich habe den Eindruck, daß
Ihre Frage 26 durch die Ausführungen der Frau Staats-
sekretärin schon beantwortet ist. – Sie sehen das auch
so. Dann gebe ich Ihnen jetzt das Wort zu einer Zusatz-
frage.
Uns
interessiert der Zeitraum, der alle Zollämter Schleswig-
Holsteins betrifft: Wann rechnen Sie damit, daß Ihr neu-
es Konzept fertiggestellt werden kann?
D
Herr Kollege Börnsen,
darüber kann ich Ihnen im Moment keine abschließende
Auskunft geben. Ich sagte Ihnen aber schon, daß die
Oberfinanzdirektion Hamburg beauftragt worden ist,
eine solche Konzeption vorzulegen, so daß Entschei-
dungen sicherlich im nächsten Jahr fallen werden.
Ich rufe nun die
Frage 27 des Kollegen Baumann auf:
Ist die Bundesregierung angesichts der angespannten wirt-schaftlichen Lage vieler kleiner und mittlerer ostdeutscher Un-ternehmen, die vor allem mit einer geringen Eigenkapitalaus-stattung und mit Liquiditätsproblemen auf Grund schlechterZahlungsmoral der Kunden zu begründen ist, bereit, deren hohe„Investitionsbereitschaft“ durch eine Erweiterung der Möglich-keit der Umsatzsteuerberechnung nach vereinnahmten Entgeltenbis zu einer Höhe von 10 Millionen DM zu fördern?
D
Herr Kollege Baumann,nach Art. 10 Abs. 2 erster Unterabsatz der 6. Richtliniedes Rates der Europäischen Gemeinschaft zur Harmoni-sierung der Umsatzsteuern in den Mitgliedstaaten, an dieDeutschland gebunden ist, ist die Umsatzsteuer grund-sätzlich nach vereinbarten Entgelten zu berechnen. Die-ser Grundsatz ist in § 16 des Umsatzsteuergesetzes indas nationale Recht übernommen worden.Auf Grund der Erweiterung des § 20 des Umsatzsteu-ergesetzes im Rahmen des Jahressteuergesetzes 1996können Unternehmer aus den neuen Bundesländern undaus dem Ostteil Berlins, abweichend vom Grundsatz, biszu einem Umsatz von 1 Million DM von der Ist-Besteuerung Gebrauch machen. Das gilt bis zum Jahr2004. Eine weitere Erhöhung der Umsatzgrenze ist da-mals im Gesetzgebungsverfahren abgelehnt worden. Siekann auch heute nicht befürwortet werden, denn dieUnternehmen können die ihnen in Rechnung gestellteUmsatzsteuer als Vorsteuer bereits zu dem Zeitpunktgeltend machen, in dem sie die Rechnung erhaltenhaben. Unbeachtlich ist dabei, wann sie die Rechnungbezahlt haben.Bei einer Erweiterung der Ist-Besteuerung in demvon Ihnen bezeichneten Umfang würden dem Fiskus imersten Jahr Steuerausfälle von zusätzlich zirka 600 Mil-lionen DM entstehen. Im übrigen ist die Umsatzsteuervom System her wenig geeignet, die Eigenkapitalaus-stattung der Unternehmen zu verbessern oder Liquidi-tätsprobleme infolge schlechter Zahlungsmoral derKunden zu beseitigen.Die Verbesserung der Eigenkapitalausstattung ist vor-rangiges Ziel der geplanten Reform der Unternehmens-besteuerung. Hinsichtlich des schlechten Zahlungs-eingangs darf ich Sie auf den Entwurf eines Gesetzeszur Beschleunigung fälliger Zahlungen, Drucksache14/1246, hinweisen, den die Koalitionsfraktionen am23. Juni 1999 vorgelegt haben. Ziel dieses Gesetzent-wurfes ist es, Maßnahmen zu ergreifen, die die Verzöge-rung von Zahlungen wirtschaftlich unattraktiv machenund die Möglichkeiten, fällige Ansprüche zügig gericht-lich geltend zu machen, verbessern.Wolfgang Börnsen
Metadaten/Kopzeile:
5346 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
(C)
Eine Zusatzfrage,
bitte.
Frau Staatssekretä-
rin, glauben Sie, daß es mit Blick auf einen mittelständi-
schen Unternehmer – speziell in den neuen Bundeslän-
dern – gerecht und für seine Arbeit hilfreich ist, wenn er
für eine erbrachte Leistung, die er in Rechnung gestellt
hat, die der Auftraggeber aber noch nicht bezahlt hat, die
volle Vorsteuer an das Finanzamt abführen muß?
D
Herr Kollege, die Vor-
steuer ist natürlich nach den vereinbarten Entgelten zu
leisten. Sie müssen aber auch davon ausgehen, daß der
Handwerksmeister, von dem Sie sprechen, die Umsatz-
steuer, die ihm in Rechnung gestellt wird in Rechnun-
gen, die er selbst eventuell noch nicht bezahlt hat, sofort
als Vorsteuer gegenüber dem Finanzamt geltend machen
kann. Wenn überall schlechte Zahlungsmoral herrschte,
müßte sich das eigentlich wieder ausgleichen.
Ich rufe Frage 28 des
Abgeordneten Günter Baumann auf:
Ist die Bundesregierung darüber hinaus bereit, Existenzgrün-dern generell für fünf Jahre die Umsatzsteuer nach vereinnahm-ten Entgelten zu ermöglichen?
D
Die Bundesregierung hält
umsatzsteuerrechtliche, vom System abweichende Maß-
nahmen nicht für ein geeignetes Mittel zur Förderung
von Existenzgründern, zumal deren wirtschaftliche Si-
tuation sehr unterschiedlich sein kann. Die angesproche-
ne Maßnahme wäre im übrigen eine weitere Subvention,
die vor dem Hintergrund der EU-beihilferechtlich not-
wendigen Genehmigungen wohl kaum zu begründen
wäre, da die Fördermaßnahmen in den neuen Bundes-
ländern nach allem, was wir wissen, an der Grenze des
Genehmigungsfähigen angelangt sind.
Kollege Baumann
bitte?
Frau Staatssekretä-
rin, da das Gesetz zur Verbesserung der Zahlungsmoral,
von dem Sie sprachen, noch nicht auf den Weg gebracht
worden ist, möchte ich Sie fragen: Sehen Sie in Ihrem
Verantwortungsbereich andere Möglichkeiten, um mit-
telständischen Betrieben finanziell entgegenzukommen?
D
Herr Kollege, Sie haben
speziell die Umsatzsteuer angesprochen. Dazu habe ich
darauf hingewiesen, daß ich das nicht für zielführend
halte. Der Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen
im Juni – immerhin nach wenigen Monaten Regie-
rungstätigkeit – eingebracht haben, befindet sich im
parlamentarischen Verfahren. Das wird sicherlich sobald
wie möglich abgeschlossen werden. Ich gehe davon aus,
daß das in den nächsten Monaten der Fall sein wird. Im
übrigen gibt es natürlich andere Fördermöglichkeiten
wie Existenzgründungskredite und vieles andere.
Die Vorstellung, daß man über besondere steuerliche
Maßnahmen, die Sie zum Beispiel bei der Umsatzsteuer
ansiedeln wollen, eine tatsächlich zielführende Existenz-
gründungs- oder Existenzsicherungsförderung erreichen
könnte, teile ich nicht. Andererseits gibt es natürlich
jeweils Billigkeitsmaßnahmen wie etwa die Stundung von
Steuerzahlungen, wenn ein Betrieb nicht in der Lage ist,
eigentlich fällige Steuern zu zahlen. Dies wird im Einzel-
fall entsprechend den Notwendigkeiten von der Landes-
finanzverwaltung auf Antrag geprüft. Ich halte es nicht für
zielführend, gesetzliche Regelungen im Steuerrecht, ins-
besondere im Umsatzsteuerrecht, nur für einen Teil der
Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland zu
schaffen. Das Umsatzsteuerrecht ist – einfach ausgedrückt
– eigentlich nur ein Durchlaufposten, mit dem der Betrieb
zunächst nur ganz wenig zu tun hat.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Michelbach.
Frau Staatssekretä-
rin, ich habe eine Zusatzfrage zu Ihrer Aussage, daß Sie
Maßnahmen im Bereich der Umsatzsteuer als Liquidi-
tätshilfe für den Mittelstand nicht als zielführend anse-
hen. Ist es nicht eine wesentliche Zusatzverschärfung,
wenn Sie jetzt im Steuerbereinigungsgesetz 1999 die
Ansparabschreibung nach § 7g des Einkommensteuer-
gesetzes für Mittelständler in wesentlichen Branchen
streichen und damit die Liquidität weiter verschlech-
tern? Warum ist hier insbesondere Ihr Minister gegen
die Privilegierung von arbeitsintensiven Dienstleistun-
gen bei der Mehrwertsteuer im Rahmen des Ecofin ge-
wesen?
D
Herr Kollege, die Bundes-regierung ist der Auffassung, daß mit der Reduzierungdes Mehrwertsteuersatzes auf arbeitsintensive Dienstlei-stungen das eigentliche angestrebte Ziel, nämlich dieSchaffung von Arbeitsplätzen und die Bekämpfung derArbeitslosigkeit, nicht erreicht werden wird. Es würdeim übrigen auch zu großen Abgrenzungsproblemen inder Bundesrepublik Deutschland führen, wenn man ei-nen Teil von arbeitsintensiven Dienstleistungen mit demreduzierten Mehrwertsteuersatz belegen würde. DieBundesregierung hat sich deshalb dazu entschlossen,zwar im Rahmen des Ecofin der probeweisen Einfüh-rung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für zweiJahre in den Ländern, die es wollen, zuzustimmen, beab-sichtigt aber gleichwohl nicht, an dieser Erprobung teil-zunehmen.Sie sprachen weiter die Ansparabschreibung nach§ 7g des Einkommensteuergesetzes an, bezogen auf dasSteuerbereinigungsgesetz. Entschuldigung, Herr KollegeMichelbach, da bin ich im Moment überfragt. DieseFrage kann ich Ihnen im Moment nicht beantworten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5347
(C)
(D)
Daß Sie natürlich eine andere Vorstellung davon ha-ben als die Bundesregierung, das sehe ich ein. Ich werdeIhnen die Antwort in schriftlicher Form zukommenlassen.
Ich rufe die Frage 29
des Kollegen Winfried Mante auf:
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5348 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
(C)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5349
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(D)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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5350 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
(C)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5351
(C)
(D)
Das ist im Grunde genommen auch unsere Kernkritik andem, was Sie jetzt im Gesundheitsreformgesetz vorge-legt haben. Sie richten sich nicht nach dem, was medizi-nisch notwendig ist, sondern nach dem, was irgendwieeiner bestimmten, von Ihnen definierten Kassenlage ent-spricht. Sie legen Ausgabenobergrenzen fest, und Siewürgen damit letztlich Entwicklungen ab, die im Inter-esse der Menschen notwendig sind. Dies führt zu neuenUngerechtigkeiten. Es ist auch mit zusätzlicher Büro-kratie verbunden. Das halten wir für falsch.Aus eben diesem Grunde werden wir die Gesund-heitsreform, so wie Sie sie jetzt vorgelegt haben, nichtmitmachen. Wir werden sie nicht mitmachen, weil sie indie Irre führt. Es wäre völlig töricht, wenn wir in einenZug mit einstiegen, der in die falsche Richtung fährt.Das können Sie von uns nicht verlangen. Die Menschenerwarten von uns, daß wir hier Widerstand leisten.
Sie machen eine Gesundheitspolitik zu Lasten derKassenpatienten. Sie machen eine Gesundheitspolitik zuLasten derjenigen, die krank sind, und Sie machen eineGesundheitspolitik zu Lasten derjenigen, die die Hilfebenötigen. Letztlich läuft es auf eine Zweiklassenmedi-zin hinaus.Das Thema, das heute ansteht, daß Sie mittlerweileBeitragszahler anders behandeln als diejenigen, die kei-ne Beiträge zahlen, ist eine ganz neue Prägung derZweiklassenmedizin. Das ist nicht in Ordnung, und daswerden wir auch nicht mitmachen.
Herr Kollege Kues,
Ihre Redezeit ist zu Ende.
Mein letzter Satz:
Wir wollen Ausgaben gemäß dem medizinischen Bedarf
und nicht nach Kassenlage, wir wollen Transparenz statt
Bürokratie, und wir wollen Wahlmöglichkeiten statt Be-
vormundung durch Kassenfunktionäre.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Brigitte Lange, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! In Berlin ist Wahlkampf, und derCDU scheinen die Argumente auszugehen.
Soviel schändlichen Unsinn, wie Sie ihn hier verzapfthaben, hört man selten in fünf Minuten. Er ist deswegenschändlich, Herr Kues, weil Sie es besser wissen müß-ten.
Es ist für keine Partei gut, Wählerinnen und Wählerndas Falsche zu erzählen und den Zorn gegen bestimmteGruppen zu richten.
Die Überschrift dieser Aktuellen Stunde lautet ganzallgemein: „Geringere Leistungsansprüche gesetzlichKrankenversicherter gegenüber Sozialhilfeempfängern,Asylbewerbern und Strafgefangenen ...“ Daß Sie jetztversuchen, das auf den Arznei- und Heilmittelbereicheinzuengen, macht die Sache nicht besser. Falsch istalles.
Schauen wir einmal in die Geschichte bzw. in die Ge-setzeslage: Sie beklagen hier, daß der Auftrag des SGBV, Sozialhilfeempfänger über die Sozialhilfeträger in dieKrankenversicherung einzubeziehen, nicht geglückt ist.Minister Seehofer hat ja damals einen entsprechendenVorschlag gemacht. Er hat mit den Ländern darüber dis-kutiert. Dieser Vorschlag ist dann nicht angenommenworden, weil die Datenlage sehr unterschiedlich undnicht gut belegt war. Die Umsetzung hat dann nicht ge-klappt. Es ist schade, daß das nicht gelungen ist.
Dr. Hermann Kues
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5352 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
(C)
Wenn es gelungen wäre, hätten wir es leichter. WennSie heute sagen würden: „Schade, daß das in unsererRegierungszeit nicht gelungen ist“, würde ich Ihnenzustimmen.
Sie beklagen, daß durch das von Ihnen in der letztenLegislaturperiode beschlossene Reformgesetz, das soge-nannte 2. GKV-Neuordnungsgesetz – für alle, die sichnicht auskennen, ist hinzuzufügen, daß das für die Pati-enten eine Verschärfung der Bedingungen bedeutete: Siemußten beim Erhalt von Medikamenten sowie bei Kran-kenhaus- und Kuraufenthalten höhere Zuzahlungen lei-sten –, Menschen, die Sozialhilfe bezogen und nicht ver-sichert waren,
möglicherweise weniger davon abgehalten wurden, zumArzt zu gehen, wenn sie krank waren, als Versicherte,die keine Sozialhilfe bezogen und nachgerechnet hatten,was sie hätten zuzahlen müssen. Das mag so sein. Dasbeklage auch ich. Sicherlich hat aber Ihr damaligesGesetz dazu beigetragen, daß die Kommunen durcherhöhte Zuzahlungen und Sozialhilfemittel belastet wur-den. Dies ist keine gute Lösung – weder für die Patien-ten noch für die Kommunen.Sie wissen im übrigen ganz genau, daß die Kranken-hilfe, die nicht versicherte Sozialhilfeempfänger be-kommen, den Leistungen der gesetzlichen Krankenver-sicherung genau entspricht und daß bei allen das Prinzipgilt, daß sie Anspruch auf ausreichende und zweckmä-ßige Leistungen haben. Sie erhalten nicht mehr. Sie be-kommen keinen Luxus. Es ist nicht so, daß Sozialhilfe-empfänger jede Arztleistung in Anspruch nehmen kön-nen. Es ist auch nicht so, daß ein Sozialamt ungeprüftRechnungen bezahlt; vielmehr wird über den Amtsarztgenau festgelegt, welche Behandlung angemessen ist.Ich denke, wir alle sind uns einig, daß wir keinem Men-schen in unserem Lande eine zweckmäßige und ausrei-chende Behandlung versagen wollen.
Ihre Vorstellung, daß wir die Leistungen für Sozial-hilfeempfänger budgetieren müßten, finde ich etwasabenteuerlich. Denn diese Leistungen bezahlt das Sozi-alamt. Ich betone es noch einmal: Es wird kein Luxusgeboten, sondern genau die Leistungen, die jemand, dergesetzlich versichert ist, auch in Anspruch nehmen kann.Ganz abenteuerlich wird es, wenn Sie auf Asylbe-werber abheben. Sie sollten sich daran erinnern – Siesollten zuhören, damit Sie den von Ihnen dargestelltenBlödsinn nicht weiter erzählen –,
daß für alle diejenigen, die hier um Asyl bitten, über de-ren Antrag noch nicht entschieden worden ist und dieaus irgendwelchen Gründen noch nicht nach Hause ge-hen können, und für Bürgerkriegsflüchtlinge nur noch-mals eingeschränkte Leistungen gelten. Sie erhalten aus-schließlich bei akuten Erkrankungen und Schmerzzu-ständen Leistungen und Zahnersatz nur dann, wenn erunaufschiebbar ist. Das heißt: Die Leistung für diesegroße Personengruppe liegt noch weit unter der Lei-stung, die alle anderen bekommen.
Wer an Anhörungen zu diesem Thema teilgenommenhat, wird sich daran erinnern, daß sich Ärzte vehementdagegen gewehrt haben, so verfahren zu müssen, weil esnämlich nicht ihrem ärztlichen Eid entspricht.
Wir bringen Ärzte damit in eine ganz unangenehmeSituation. Hören Sie also auf, Menschen einzureden, daßalle anderen gegenüber den gesetzlich Krankenversi-cherten bevorzugt werden! Das ist schlichtweg gelogen.Ich finde es schlimm, auf diese Art und Weise Wahl-kampf zu machen.
Dasselbe Spielchen treiben Sie mit Strafgefangenen.Was wollen Sie eigentlich damit erreichen? Auch diesePersonengruppe bekommt nur die notwendige Behand-lung. Soll man einem Patienten mit offener Tb odereinem HIV-Erkrankten keine angemessene Behandlungzukommen lassen? Was wollen Sie eigentlich? DiesePatienten müssen die Medikamente bekommen, die siebrauchen.
– Was ist eigentlich Ihr Thema?
Es ist nicht wahr, was Sie sagen.Ich sage Ihnen zum Abschluß: Wäre es nicht besser,wenn wir alle gemeinsam diejenigen Ärzte, die sorgsammit dem Budget umgehen und die Medikamente ver-schreiben, die genauso wirksam, aber preiswerter sind,in ihrem Tun unterstützen?
Frau Kollegin, Sie
müssen zum Schluß kommen.
Wäre es nicht besser, den Pa-tientinnen und Patienten zu sagen: „Ihr braucht keineAngst zu haben, weil das andere Medikament die glei-chen Wirkstoffe hat“? Lassen Sie uns gemeinsam in die-se Richtung arbeiten! Ich hätte etwas anderes von Ihnenerwartet, als gerade im Wahlkampf Vorurteile zu ver-stärken.
Brigitte Lange
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5353
(C)
(D)
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Detlef Parr, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! „Lachen allein macht nicht gesund.“ Unterdiesem Motto demonstrierten vor wenigen Tagen über25 000 Menschen im Rahmen des „Bündnisses Gesund-heit 2000“ gegen die Gesundheitsreform. Sie spieltendamit vielleicht auf Roncalli an, den Patienteninformati-onszirkus, den Sie, Frau Ministerin, vor wenigen Mo-naten als ersten Veranstaltungsort Ihrer Aufklärungs-kampagne gewählt haben.
Leider sind, Frau Schmidt-Zadel, die dort vorgeführtenKunststücke nicht nach dem Geschmack der Betroffe-nen. Bei näherem Hinsehen vergeht den am Gesund-heitswesen Beteiligten das Lachen in starkem Maße.Vielleicht hätte man einen anderen Veranstaltungsortwählen sollen. Man hätte in das Kabarett-Theater „Barjeder Vernunft“ in Wilmersdorf gehen sollen.
Dieser Name hätte besser gepaßt; denn bar jeder Ver-nunft sind die Grundlagen dieser Gesundheitsreform,über die wir schon lange diskutieren, zum Beispiel dieDeckelung der Ausgaben über ein Globalbudget, dasjetzt zur Debatte steht.Der Widersinn der Budgetierung wird an dem heuteverhandelten Sachverhalt besonders deutlich. Nur weildie Bundesregierung die Gesundheitsausgaben um jedenPreis budgetieren will, entsteht die Situation, daß ge-setzlich Versicherte dem Budget und damit auch derEinschränkung von Gesundheitsleistungen unterliegen,Sozialhilfeempfänger aber nicht.Auch wenn man natürlich nicht vergessen darf, daßAsylbewerber laut § 4 des Asylbewerberleistungsgeset-zes an Gesundheitsleistungen ohnehin nur das bekom-men, was unabwendbar ist – diesen Punkt haben Sie,Frau Kollegin Lange, schon erwähnt –, und daß bei So-zialhilfeempfängern und bei Strafgefangenen nur dasgeleistet wird, was notwendig ist: Sie können unserenBürgerinnen und Bürgern nicht erklären, warum dieseauf Grund des Aktionsprogrammes der Ärzte, der Kran-kenkassen und des Bundesgesundheitsministeriums vonBehandlungseinschränkungen betroffen sind, andereGruppen aber nicht.Deshalb ist es gut, daß wir heute in der AktuellenStunde an diesem Beispiel den ganzen Widersinn derReform deutlich machen und konkret belegen können.Wir müssen den Patientinnen und Patienten darlegen,daß Zuteilungsmedizin und Behandlungseinschränkun-gen das Ergebnis der beabsichtigten staatlichen Plan-wirtschaft sind, statt daß die Eigenverantwortung deseinzelnen gestärkt wird und der mündige Patient an Ent-scheidungsprozessen kompetent beteiligt wird.
– Frau Fuchs, das ist das Thema,
weil genau das, was die CDU/CSU-Fraktion auf die Ta-gesordnung gesetzt hat, die Folge ist.
– Nein, das alles hängt zusammen. – Auch den Pati-enten wird langsam klar, Frau Fuchs, daß sie das Wahl-geschenk einer geringfügigen Rücknahme der Zuzah-lungen am Ende teuer bezahlen. Viele Medikamentewerden durch die Positivliste nicht mehr auf Rezept zuhaben sein. Das sogenannte Benchmarking – auch die-sen Punkt will ich erwähnen – wird ein Weiteres dazutun, die Arzneimittelversorgung deutlich zu verschlech-tern. Das müssen wir den Menschen immer wieder sa-gen, auch wenn es Ihnen nicht gefällt.
Wer ohne Ansehung der regionalen Besonderheiten ein-fach das untere Drittel der Arzneimittelausgaben für alleMenschen gleich vorgibt, der handelt dilettantisch.
Die regionalen Budgetverhandlungen sollen sich näm-lich an dem Mittelwert der drei Gebiete Deutschlandsmit den niedrigsten Pro-Kopf-Arzneimittelausgaben ori-entieren. Damit steht für uns und viele Fachleute fest:Die Qualität der Versorgung der Patienten ist sehr wohlgefährdet. In der Konsequenz bewirkt das in den Regio-nen, in denen der Gesundheitszustand der Menschen oh-nehin schon schlechter ist als anderswo, eine starke Her-absetzung des Arzneimittelbudgets und damit eine wei-tere Verschlechterung der Volksgesundheit. Diese Formder Ausgabenbegrenzung könnte in einem Kellertrep-peneffekt enden, wenn sich die Regionen mit den ge-ringsten Arzneimittelausgaben abwechseln und somitdas Budget immer weiter heruntergeschraubt wird.Meine Damen und Herren, die Erkenntnis, daß dieKollektivhaftung der Ärzte für Budgetüberschreitungenein überholtes, ungerechtes und ungeeignetes Mittel derAusgabenbegrenzung ist, scheint sich so langsam auchin Regierungskreisen breitzumachen. Wie Sie, Frau Mi-nisterin, allerdings Ihr Richtgrößenkonzept, das langsambekannt wird, unter Budgetbedingungen umsetzen wol-len, ohne dabei letztendlich wieder die Allgemeinheitfür Überschreitungen haftbar zu machen, bleibt unsschleierhaft. Das gilt letztlich für das ganze Konzept desGlobalbudgets.
– Herr Dreßler, wir sind hier anderer Meinung; das müs-sen Sie ertragen. – Aus Planwirtschaft wird Mangelver-waltung. Wir wollen nicht mehr Staat und immer mehrDirigismus, sondern weniger Staat und mehr Eigenver-antwortung beim einzelnen.
Die Budgetierung ist das schwankende Fundament,auf dem Sie eine Gesundheitsreform aufbauen, die nicht
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5354 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
(C)
halten wird. Das Beispiel von heute ist besonders kurios,aber nur eines von vielen für die negativen Auswirkun-gen, die diese Reform haben wird.Aus der „Süddeutschen Zeitung“ von gestern ist MarcHujer zu zitieren. Er schreibt:An den Erfolg der Gesundheitsreform, die nur nochauf mehr Staat setzt, glaubt niemand mehr.Dies steht unter der Überschrift: „Andrea Fischer ver-rennt sich“.Zu Beginn der Parlamentsdebatten über die Gesund-heitsreform hatte ich Robert Musil zitiert: Sie irren vor-wärts. – Mit zunehmender Beratungsintensität wird die-ser Eindruck immer deutlicher bestätigt.
Als nächster erteile
ich der Kollegin Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grü-
nen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Kollege Kues! Sehr geehrter Herr
Parr! Ich hätte erwartet, daß Sie so viel parlamentarische
Korrektheit haben, den Mut aufzubringen und zu sagen,
daß Sie eine Diskussion über das Globalbudget und die
Gesundheitsstrukturreform führen möchten. Ich hätte
nicht erwartet, daß Sie so feige sind, auf Asylbewerbe-
rinnen und Asylbewerber abzustellen und eine Sozial-
neidkampagne daraus zu machen.
Darüber rege ich mich wirklich auf. Eine seriöse, öko-
nomisch korrekte, emanzipatorische Debatte über die
Ziele und Wege der Gesundheitsstrukturreform aber be-
grüße ich jederzeit.
Was haben wir in der letzten Legislaturperiode hier
im Bundestag erlebt, Herr Seehofer? Ich nenne nur das
Asylbewerberleistungsgesetz. Man hat Menschen, die
aus begründeten Anlässen hier leben, Leistungen der
Gesundheitsversorgung vorenthalten, obwohl es unserer
Gesellschaft nicht würdig ist, sie davon auszunehmen.
So ist es gewesen. Allein allerschwierigste Krankheits-
bilder und Schmerzzustände, im Grunde genommen
äußerst krisenhafte Lebenssituationen sollten diese Men-
schen berechtigen, an unserem Versorgungssystem
teilzuhaben. Das waren die Seehoferschen Zeiten. Da
wurde viel Sozialneid geschürt.
Worüber ich allerdings staunen mußte, Herr Kues,
war, daß Sie in Ihren Darstellungen kein einziges
belastbares Argument angeführt haben.
Wie sieht denn die Realität aus? Der größte Teil der So-
zialhilfeempfängerinnen und -empfänger ist gesetzlich
krankenversichert. Daß ein Teil nicht gesetzlich kran-
kenversichert ist, hat viel damit zu tun, daß man mit den
Ländern nicht zu einer Regelung gekommen ist, alle
Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger in die ge-
setzliche Krankenversicherung einzubeziehen.
Dieses Problem konnten Sie nicht lösen. Aber wir sagen
nicht, daß dies objektiv kein Problem darstellt. Man arbeitet
weiterhin daran. Aber wenn Sie sagen, daß die Sozialhil-
feempfängerinnen und -empfänger, die nicht gesetzlich
versichert sind, Objekte der Bereicherung der niedergelas-
senen Ärzteschaft sind, dann allerdings hoppla!
Sie unterstellen den niedergelassenen Ärztinnen und
Ärzten, daß sie mit Sozialhilfeempfängerinnen und
-empfängern Reibach machen! Ich muß doch sehr stau-
nen, wie weit Sie da gehen.
Eigentlich – so offenbart es sich – haben Sie in der
Rolle der Opposition den Zielen – Integration, Ausbau,
Verstetigung und Verstärkung des Solidarprinzips in der
gesetzlichen Krankenkasse, Qualitätssteigerung, mehr
sektorenübergreifende Kooperation – gar nichts entge-
genzusetzen.
Das ist Ihr großes Problem. Ich streite mich sehr gerne
darüber, ob die Instrumente richtig gewählt sind usw.
Aber worüber ich mich aufrege und wobei ich nicht
mitmache, ist die Tatsache, daß Sie hier eine Sozial-
neidkampagne initiieren wollen.
Das Wort hat nun
Kollege Gregor Gysi, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Über das von der Bundesregierung vorgesehe-ne Generalbudget muß man selbstverständlich diskutieren.Wir teilen die vielfach geäußerte Kritik, die daran geübtwird. Man kann ein Gesundheitswesen, eine Gesundheits-struktur nicht auf Kosten von Ärztinnen und Ärzten,Schwestern, Patientinnen und Patienten reformieren.
Aber ich sage genauso deutlich: Das gehört in eine De-batte über die Gesundheitsstrukturreform und nicht ineine Aktuelle Stunde.
Aber darum geht es der CDU/CSU-Fraktion nicht.Detlef Parr
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5355
(C)
(D)
Es ist nicht so – das will ich als zweites feststellen –,daß ich nicht akzeptiere, daß der Bundestag auch fürWahlkampfzwecke benutzt wird.
– Nein, ich sage ja nicht, daß ich das nicht akzeptiere.Das versuchen zu gegebener Zeit alle Fraktionen – mitmehr oder weniger Erfolg. Das ist einfach so. Aber ichfinde, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,man darf dabei eine Grenze nicht überschreiten, und diehaben Sie überschritten.
– Nein, die setze nicht ich, sondern die setzt Art. 1 desGrundgesetzes, und den verletzen Sie. Was Sie hiermachen, ist eine ganz miese Kampagne.
Sie hätten ja auch schreiben können: „Geringere Lei-stungsansprüche gesetzlich Krankenversicherter gegen-über denjenigen, bei denen der Staat für die Kosten haf-tet“, aber Sie benennen extra drei Gruppen. Die Absichtist doch deutlich.
Diese Situation im Berliner Wahlkampf zu nutzen, umnoch einmal Stimmung zu machen gegen die Ärmsten inder Gesellschaft – die Sozialhilfeempfängerinnen undSozialhilfeempfänger, die Asylbewerberinnen und Asyl-bewerber und die Strafgefangenen –, ist Ihr einzigesZiel. Sonst hätten Sie diese Aktuelle Stunde nicht ge-braucht, denn die eigentliche Debatte steht an.
Ich sage Ihnen: An einem solchen miesen Wahlkampfbeteiligen wir uns nicht. Auf dieses Niveau lassen wiruns nicht herunterziehen.
Deshalb werde ich dazu auch nicht mehr sagen, als daßSie nicht einmal die deutsche Sprache beherrschen.Sonst hätten Sie nämlich das Thema ganz anders nennenmüssen. Sie behaupten hier im Ernst, es gebe geringereLeistungsansprüche gesetzlich Krankenversicherter „ge-genüber“ Sozialhilfeempfängern etc. Diese haben denengegenüber aber keine Ansprüche.
Sie meinen etwas völlig anderes, nämlich wahrscheinlich
„im Vergleich zu“, „gegenüber der Versicherung“ oder„gegenüber dem Staat“; Aber daß Sie das so hingehauenhaben, daß der Satz nicht einmal stimmt, beweist, daß Sienur ein einziges Ziel hatten, nämlich auf der Grundlageder Diffamierung der Schwächsten in der GesellschaftWahlerfolge zu erzielen. Da machen wir nicht mit!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der
Kollege Heinz Schemken, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wirhaben hier keine Germanistikstunde,
sondern eine Aktuelle Stunde, in der es um eine wichti-ge Sache geht. Vorab möchte ich erklären, daß das Bun-dessozialhilfegesetz ein Kind der CDU/CSU-Fraktionaus den 60er Jahren ist, daß wir dazu stehen und daßdas, was im Bundessozialhilfegesetz verankert ist, einenRechtsanspruch begründet. Trotzdem muß man sich mitGefühlslagen auseinandersetzen,
– zu den Gefühlslagen werde ich schon noch etwas sa-gen –, um genau das zu verhindern, was soeben gesagtworden ist, nämlich daß hier eine Neidkampagne aufge-zogen werde.
Die Position der CDU/CSU im Gesundheitswesen isteindeutig: Wir wollen die Eigenverantwortung stärken.
Rotgrün bringt die Budgetierung. Das bedeutet am Endedie Rationierung. Das wollen wir nicht. Sie, Rotgrün,haben durch das „Aktionsprogramm im Gesundheitswe-sen“ und das Gesetzesvorhaben, das auf dem Tisch liegt,
die Eigenverantwortung zurückgenommen.
Dies ist – das muß ich Ihnen sagen – ein Dilemma, dassich die Regierungskoalition selber geschaffen hat
und aus dem sie so schnell nicht wieder herauskommt.
Dr. Gregor Gysi
Metadaten/Kopzeile:
5356 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
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Dies gilt sowohl für den ambulanten als auch für denstationären Bereich.
Wir haben gerade durch die Härtefall- und durch dieÜberforderungsklausel die medizinisch notwendigen Lei-stungen für jeden gesichert und möglich gemacht. Daswar immer unser Prinzip. Wir wollen eben keine Zwei-klassengesellschaft in der Gesundheitsvorsorge einführen.
Am vergangenen Sonntag stand in einem Pressebe-richt der „Welt am Sonntag“ – ich zitiere; lasten Sie dasdurch Ihre Vorurteile bitte nicht mir an –,
Sozialhilfeempfänger,
deren Gesundheitskosten direkt von den Sozialämternabgerechnet werden, bekommen bessere und teurereMedikamente.
– Ich habe zitiert. Entschuldigung, ich darf doch wohlzitieren.
– Entschuldigen Sie mal! Der Grund ist eben diese Ge-fühlslage. Da kommt es darauf an, daß wir den Bürgerndraußen etwas sagen.
Liebe Kollegen, las-
sen Sie doch den Kollegen Schemken zu Wort kommen!
Er hat es doch.
Grund dafür könnte
in Zukunft auch die Arznei- und Heilmittelbudgetierung
sein, weil sie den Krankenversicherten möglicherweise
in die schwierige Lage bringt, daß er die gewünschte
Leistung nicht bekommt. Dies ist die Lage, die wir ganz
nüchtern sehen müssen. Hier gilt es nicht zu kritisieren,
daß die Leistungen erbracht werden. Hier gibt es über-
haupt nichts zu kritisieren. Wer sagt denn das?
Allerdings müssen wir feststellen, daß zwischen den
Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern, die ge-
setzlich versichert sind, und denen, die nicht versichert
sind, ein Unterschied besteht.
Das alleine schon ist eine Diskriminierung unter denen,
die in gleicher Lage sind:
Der eine hat Zutritt zum Gesundheitswesen über seine
Versicherung, der andere über die steuerfinanzierte
Sozialhilfe. Das muß man hier einmal feststellen.
Damit die Zahlen und die Betroffenheit hier keine
Rolle spielen – das sage ich bewußt an die Adresse von
Herrn Gysi; er ist nicht mehr da; vielleicht ist er schon
wieder im Wahlkampf –, darf ich die Regierung bitten,
Aufklärung über diesen Tatbestand herbeizuführen, da
insbesondere die örtlichen Träger der Sozialhilfe hier in
einer besonderen Weise belastet sind und zukünftig
durch entsprechende Gesetze noch stärker belastet wer-
den. Es wäre sinnvoll – ich wiederhole es –, hier Aufklä-
rung zu betreiben. Das heißt nicht, daß hier eine Diskri-
minierung stattfinden soll.
Es darf nicht sein – das sage ich ganz offen –, daß der
Rentner, der Arbeiter und auch der in der Beitragszah-
lung befindliche Sozialhilfeempfänger anders behandelt
werden als der, der über den steuerlichen Sektor, über
den Rechtsanspruch nach dem BSHG, abgesichert ist –
was richtig ist; woher sollte er sonst die Absicherung
bekommen?
Deshalb bitte ich, diese Aktuelle Stunde so zu verste-
hen, daß wir Klarheit über den Handlungsbedarf – da
besteht Handlungsbedarf – schaffen wollen,
um Auskunft über diesen Tatbestand geben zu können,
zumal das große Gesetzesvorhaben uns wie auch die
Bürger in nächster Zeit in hohem Maße beschäftigen
wird. Sonst könnte Sozialneid entstehen, insbesondere
dann, wenn wir ungeordnete Verhältnisse haben.
Schönen Dank.
Das Wort hat nun die
Kollegin Regina Schmidt-Zadel, SPD-Fraktion.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Herr Schemken, bezüglichIhrer Rede zum Thema Zweiklassengesellschaft muß ichsagen: Wir sind gerade dabei, die Zweiklassengesell-schaft im Gesundheitswesen, die Sie haben entstehenlassen, abzubauen.
Das war Ihr Werk. Sie haben in der vergangenen Legis-laturperiode eine Zweiklassengesellschaft herbeigeführt.Heinz Schemken
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5357
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Ich muß Ihnen sagen: Sie können weder lesen, nochkönnen Sie die Dinge richtig aufnehmen. Sonst würdeIhre Begründung anders aussehen.
Sie scheinen zur Zeit keine Gelegenheit auslassen zuwollen, um mit eilig beantragten Aktuellen Stunden vordem Wahlsonntag Stimmung zu machen.
Natürlich ist klar, daß der Zeitungsbericht vom Sonntag– ich möchte den Namen der betreffenden Zeitung garnicht nennen – über die angebliche Bevorzugung vonSozialhilfeempfängerinnen und SozialhilfeempfängernSie gereizt hat, vor der Wahl in Berlin eine AktuelleStunde dazu durchzuführen. Sie haben wohl den Ein-druck, daß Sie heute zwei Fliegen mit einer Klappeschlagen können: Zum einen haben Sie die Gelegenheit,gegen die Gesundheitspolitik der Koalition zu polemi-sieren, zum anderen können Sie Ihre alten Klischees vonvermeintlich gut gestellten Sozialhilfeempfängerinnenund -empfängern aus der Mottenkiste holen und sie umeine neue Variante bereichern.
– Es nützt nichts, wenn Sie laut schreien. Sie sollten dasbesser wissen. Das ist der Punkt.Sie drängen den Menschen den Eindruck auf, als obdie Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger, faul inder sozialen Hängematte liegend jetzt auch noch teureEdelmedikamente schlucken dürfen, während der nor-male Arbeitnehmer mit billigen Generika vorliebnehmenmuß. Meine Damen und Herren, eine solch perfideKombination aus Sozialneidkampagne und Gesundheits-reformprotest verschlägt einem wirklich die Sprache.
Daß Sie aber noch nicht einmal davor zurückschrecken,Sozialhilfeempfängerinnen bzw. -empfänger und Ar-beitnehmer gegeneinander auszuspielen, um gegen dieGesundheitsreform Front zu machen, finde ich wirklichein ganz starkes Stück. Sie sollten sich schämen, daß Siedies heute hier machen!
Herr Schemken, während Ihrer Rede hatte ich den Ein-druck, daß Sie sich dessen, was Sie hier veranstalten, be-reits geschämt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Siestützen sich auf den Bericht einer Zeitung. Lassen Siesich folgendes gesagt sein: So, wie diese Zeitung dieWirklichkeit gerne darstellt, ist sie nicht. Hier wird auf-gebauscht. Das ist der Punkt. In Wahrheit besteht über-haupt kein Problem. Tatsache ist – hören Sie jetzt gutzu; vielleicht begreifen Sie es ja noch –:
Das gemeinsam von der Kassenärztlichen Vereinigung,den Spitzenverbänden der Krankenkassen und demBMG vereinbarte Aktionsprogramm sieht keinerlei Lei-stungseinschränkungen vor.
Ziel der Vereinbarung ist es, das Arzneimittel- undHeilmittelbudget einzuhalten, indem bestehende Mög-lichkeiten zur Ausschöpfung vorhandener Einspar-potentiale genutzt werden.
Worin soll eigentlich der vermeintliche Vorteil fürden geringen Anteil der Sozialhilfeempfängerinnen undSozialhilfeempfänger bestehen, der nicht Mitglied dergesetzlichen Krankenversicherung ist? Meine Vorrednerund Vorrednerinnen und ich vermögen hier keinen Vor-teil zu sehen,
zumal dann nicht, wenn der behandelnde Arzt in Kennt-nis der Wirkungsgleichheit auch bei dieser Patienten-gruppe Generika statt Originalpräparaten verordnet.
Täte er es nicht, wäre die Bevorzugung eines Sozial-hilfeempfängers bewiesen. Es wäre wieder einmal einBeleg dafür erbracht, wie unwirtschaftlich – das un-terstellen Sie – das Verordnungsverhalten einiger Ärzteist. Es wäre wirklich sehr interessant zu erfahren, inwelchen Praxen Sozialhilfeempfängerinnen und -emp-fänger demnächst gern gesehene Patienten sein werden.
Der größte Teil der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger – das dürfte auch bis zu Ihnen vorgedrungensein – ist in der GKV versichert. Ihre Medikation wirdbis Ende dieses Jahres gemäß dem Aktionsprogrammerfolgen.
Meine Damen und Herren von der Union, Ihr Geredevon der Bevorteilung der Sozialhilfeempfänger ist eineSeifenblase, die schnell zerplatzt, eine Spitzfindigkeit,die mit der Realität in Arztpraxen und Sozialämternnichts zu tun hat. Es ist nichts anderes als der populisti-sche Versuch, mit plumpen Klischees über Sozialhilfe-empfänger gegen die Gesundheitspolitik der KoalitionStimmung zu machen und Vorurteile zu schüren. DaßSie dies im Hinblick auf die Ereignisse der letztenWochen und des letzten Sonntags tun, finde ich beson-ders perfide.Regina Schmidt-Zadel
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5358 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
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Sie sollten sich wirklich schämen – ich muß es nocheinmal sagen –,
daß Sie eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema bean-tragt haben.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Aribert Wolf, CDU/CSU.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Die Debatte zeigt eigentlich, inwelch falscher Denke sich die Kolleginnen und Kolle-gen von Rotgrün befinden. Es geht überhaupt nicht dar-um, daß wir jemandem das, was er hat, nehmen wollen,so wie Sie das dauernd vorbringen, daß wir Sozialhilfe-empfängern etwas wegnehmen möchten,
ganz im Gegenteil. Für uns geht es nicht darum, Stim-mung gegen jemanden zu machen, sondern wir wollenden gesetzlich Krankenversicherten mindestens die Ver-sorgung zur Verfügung stellen, die auch Sozialhilfeemp-fängern zur Verfügung gestellt wird.
Das ist das Thema.Ich frage mich, wie weit es gekommen ist, wenn wirin bezug auf die medizinische Versorgung den Men-schen nicht mehr das Gefühl geben, daß sie gut versorgtwerden, wenn die Politik in eine solche Schieflage gerät,daß viele Menschen draußen das Gefühl haben: Wirschreiten weiter auf dem Weg in einen unsozialen So-zialstaat. Sie können es doch niemandem begreiflichmachen, daß ein Sozialhilfeempfänger besser versorgtwerden soll als 90 Prozent der Bevölkerung, die in dergesetzlichen Krankenversicherung versichert sind.
Das müssen Sie sich natürlich vorhalten lassen. Dennschließlich ist Ihr Kanzler ja mit dem hehren Wort an-getreten, er wolle nicht alles anders, aber vieles bessermachen. Wir wollen heute gar nicht vom Rentenbetrugreden, den der Kanzler inzwischen selber einräumt undfür den er sich jetzt entschuldigt hat. Damit kann esnatürlich nicht sein Bewenden haben. Vielmehr mußman auch über die Bereitschaft verfügen, eine falschePolitik zu korrigieren. Wir wollen auch nicht davonreden, daß in der Pflegeversicherung durch einen bei-spiellosen Sozialraub den Pflegeversicherten der Spar-groschen genommen wird.
Nein, wir wollen den Blick auf die Krankenversiche-rung lenken. Hier haben Sie in einem Jahr verflixt vielzerstört und kaputtgemacht.
Begeben Sie sich doch einmal nach draußen, auf dieStraßen! Sind Sie wirklich so weit weg von der Bevölke-rung? Eine Demonstration jagt die nächste. Alle prote-stieren gegen Ihre Gesundheitsreform in seltener Ein-helligkeit:
Ärzte, Krankenschwestern, Zahnärzte, Pfleger,
Krankengymnasten, Apotheker, Patienten. Glauben Siedenn im Ernst, daß Sie auf Dauer gegen den versam-melten medizinischen Sachverstand und gegen den ge-meinsamen Widerstand der Bürger regieren können?Wie weit wollen Sie sich eigentlich noch von derLebenswirklichkeit entfernen? Ihr Kanzler gibt jetzt dieParole aus: Helm auf und durch. Er raucht zwar nichtmehr ganz so dicke Zigarren und trägt auch nicht mehrso edle Tücher, aber es geht doch immer noch weiter indie falsche Richtung.Auch im Gesundheitswesen reicht es nicht aus, wennSie die Verbände nur anhören; Sie müssen auch bereitsein, Ihre falsche Politik zu korrigieren.
Das Schlimmste, was Sie mit Regelungen wie der Budge-tierung bewirken, ist der fatale Ansehensverlust der ge-setzlichen Krankenversicherung. Hören Sie sich einmal inIhren Wahlkreisen um und finden Sie heraus, was dieMenschen denken, wenn sie sagen: Ich bin bei einerAOK, einer BKK, einer IKK oder einer Ersatzkasse ver-sichert. Viele Menschen haben auf Grund Ihrer Politikheute schon das Gefühl, sie hätten nur noch Anspruch aufeine minderwertige Versorgung. Das kommt ja nicht vonungefähr; das sind die direkten Folgen ihrer Reglementie-rungs- und Budgetierungspolitik. Wie wollen Sie dennden Menschen klarmachen, daß jemand, der hart arbeitet,der Monat für Monat seine Beiträge einzahlt, am Schlußdank Ihrer Arznei- und Heilmittelbudgetierung schlechterversorgt wird als ein Sozialhilfeempfänger?Am Anfang konnte ich es gar nicht glauben, was ichda in den Zeitungen lesen mußte.
Ich habe extra noch einmal nachgefragt, bei Ärzten undin den Sozialämtern.
Regina Schmidt-Zadel
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– Ja, sie haben mir bestätigt, daß es leider traurigeWirklichkeit ist, daß heute ein Sozialhilfeempfänger,dessen Kosten direkt von den Sozialämtern übernom-men werden, nicht unter das Arznei- und Heilmittelbud-get fällt.
– Ja, „das ist logisch“, aber doch falsch, oder? Ist dasvielleicht der richtige politische Weg? Darum geht esdoch!Der Sozialhilfeempfänger wird damit medizinischmehr und besser als ein gesetzlich Krankenversicherterversorgt. Das ist die traurige Lebenswirklichkeit nacheinem Jahr Rotgrün in Deutschland.
Deswegen meine ich: Eine solche Politik ist armselig.
Mit sozialer Gerechtigkeit und richtigem Sparen hat dasnichts, aber auch gar nichts mehr zu tun.
Sie müssen erkennen: Ihre Reglementierungs- und Bud-getierungspolitik führt in eine Sackgasse. Sie sind aufdem Holzweg.
Sie sollten endlich die Kraft aufbringen, umzukehrenund Ihre Politik zu korrigieren, und nicht dauernd nurdazwischenrufen. Das ist das richtige Rezept, mit demSie die Probleme lösen können.
Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Sie mit den Re-zepten von gestern und vorgestern die Probleme vonheute und morgen lösen können.Die richtige Devise im Gesundheitswesen muß hei-ßen: mehr Freiheit und mehr Eigenverantwortung. Trau-en Sie den Versicherten doch etwas zu. Geben Sie dengesetzlich Versicherten Wahlmöglichkeiten in der Kran-kenkasse.
Geben Sie den Krankenkassen mehr Spielraum für un-terschiedliche Versorgungsangebote. Geben Sie denLeistungserbringern ein Signal, daß wissenschaftlicherund medizinischer Fortschritt willkommen ist und wirden Einsatz der Gesundheitsberufe zur Verbesserungunserer Lebensqualität dringend brauchen. Hören Sieendlich auf, in Ihrem Wahn alles staatlich regeln zuwollen. Geben Sie den Beteiligten und den Selbstver-waltungen mehr Luft! Wir von der Union sind bereit,dabei mitzuhelfen, aber – das ist der Punkt – nicht unterden Bedingungen eines Globalbudgets und nicht um denPreis, die gesetzliche Krankenversicherung unter dasNiveau der Sozialhilfe zu drücken.
Ich bedanke mich bei meinen Kollegen dafür, daß wirdies ansprechen können, damit die Öffentlichkeit er-fährt, welch falsche Politik Sie hier betreiben.
Ich erteile das Wort
Bundesministerin Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist dasgute Recht eines jeden, gegen die Gesundheitsreform zusein. Es ist das gute Recht der parlamentarischen Oppo-sition, jede Woche neu eine Aktuelle Stunde zu diesemThema zu beantragen; wir werden das jede Woche neuerklären. Wenn es Ihnen um die Sache geht, machen wirda mit, denn das gehört dazu.In derselben Zeitung, in der Sie den Artikel, der Ih-nen Anlaß für diese Aktuelle Stunde war, gefunden ha-ben, hätten Sie einen Artikel mit Äußerungen von mirfinden können, die allemal Anlaß geboten hätten, in ei-ner Aktuellen Stunde über Veränderungen bei der Ge-sundheitsreform zu diskutieren. Das aber ist nicht ge-schehen. Jetzt wird es interessant: Warum nehmen Siediese Äußerungen nicht zum Anlaß für die Beantragungeiner Aktuellen Stunde, wenn es Ihnen um eine Ausein-andersetzung mit der von Ihnen für – das ist Ihr gutesdemokratisches Recht – falsch gehaltenen Gesundheits-reform geht? Nein, Sie wollen, daß wir über Sozialhilfe-empfänger, Asylbewerber und Strafgefangene reden.Das erregt unser Mißtrauen, da machen wir nicht mit.
– Er ist völlig zu Recht über Sie erregt.Es geht um Äußerungen der Kollegen Kues undSchemken, von mir sehr geschätzte Kollegen. Ich ver-lange auch von Mitgliedern der Opposition, daß sie einbißchen mehr tun als Zeitung lesen.
Dann können wir darüber reden, was passiert ist. Bereitsin diesem Artikel – Sie wollen gar nicht ernsthaft überdie Frage reden, wie das mit den Asylbewerbern oderden Strafgefangenen ist – wird erwähnt, daß der KollegeThomae die Sache für einen Skandal hält und der Kol-lege Kues für eine Ungeheuerlichkeit. Jetzt haben Siegesagt, Herr Kues, es gebe neue Ungerechtigkeiten. AlsAribert Wolf
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5360 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
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stärksten Satz in Ihrer Rede empfand ich den Satz: Sie– gemeint sind Sozialhilfeempfänger, Asylbewerber undStrafgefangene – genießen Privilegien, ohne nur einenPfennig Beitrag zu leisten. – Das finde ich eine Unge-heuerlichkeit.
Was Sie da sagen, ist auch wider besseres Wissen. Dasist nicht in Ordnung.Wir haben es hier mit einer Gesetzeslage zu tun – ne-benbei bemerkt, sie ist von uns nicht geändert worden –,die besagt, daß die Krankenhilfe für Sozialhilfeempfän-ger – –
– Ich weiß schon, worum es geht, Herr Kollege. Siemüssen mich nicht belehren. Daß Sie so aufgeregt wer-den, deutet darauf hin, daß Sie schon wissen, daß IhrVorgehen eine Sauerei ist.
Ich habe jahrelang gegen das Asylbewerberleistungs-gesetz gekämpft. Jetzt behaupten Sie, Herr Kollege Kues– dieser Satz von Ihnen, gewisse Leute würden Privile-gien genießen, steht –, Asylbewerber seien bessergestelltals Menschen in der gesetzlichen Krankenversicherung.Wir haben es mit einer Unterversorgung bei Asylbewer-bern zu tun. Da wird nur das Allernötigste gemacht, be-vor sie dann abgeschoben werden.
Ich finde das nicht richtig. Daß Sie sich jetzt hier hin-stellen und behaupten, diese Gruppe werde besser be-handelt als die Mitglieder der GKV, das finde ich einebodenlose Frechheit.
Offenkundig wollen Sie Stimmung gegen diesen Perso-nenkreis machen.
Jetzt zur Krankenhilfe in der Sozialhilfe: Zunächsteinmal muß man feststellen – es ist von vielen schondarauf hingewiesen worden –, daß überhaupt nur10 Prozent aller Sozialhilfeempfänger Krankenhilfebekommen; die anderen sind gesetzlich krankenver-sichert. Wer war denn bis zum letzten Jahr an der Regie-rung und hatte 1993 ein Gesetz beschlossen, in demstand, daß alle Sozialhilfeempfänger Mitglieder der ge-setzlichen Krankenversicherung werden sollen? Daß Siedies in den Verhandlungen nicht hinbekommen haben,ist ein Versäumnis. Ich habe vor einigen Wochen eineVerabredung mit dem Landkreis- und dem Städtetagdarüber getroffen, daß wir im nächsten Jahr einen neuenVersuch machen werden, sie zu integrieren. Mit Ver-laub: Das ist Ihre Hypothek, die wir übernommen haben.
Herr Kollege Kues, Sie haben eben gesagt, daß SieAusgaben nach medizinischem Bedarf und nicht nachKassenlage tätigen wollen. Ich war dabei, als der Kolle-ge Lohmann zustimmend reagiert hat, als Herr Mur-mann letzte Woche beim Wirtschaftsrat der CDU gesagthat: 12 Prozent Beitrag sind genug. Das sind knappezwei Prozent weniger als heute. Offensichtlich ist das,was wir jetzt mit Beitragssatzstabilität festschreibenwollen, nicht ausreichend.Sie sagen immer, Sie wollten Freiheit und Eigenver-antwortung stärken. Freiheit stärken, bedeutet das fürSie 20 Mark Eintrittsgeld beim Arzt?
Es wurde von der linken Seite des Hauses mit allemNachdruck deutlich gemacht, daß wir nicht bereit sind,die Debatte um die gesetzliche Krankenversicherung,die notwendig ist und die wir in den nächsten Wochenzu führen haben, mit Sozialneid, mit Kampagnen gegenAusländer und weiteren spalterischen Kampagnen zuführen. Das wird von uns niemand mehr mitmachen.
Wir wollen stabile Beitragssätze, weil die Leute nichtimmer mehr zahlen können. Deswegen brauchen wir ei-ne Strukturreform innerhalb des Systems, damit wir mitdem Geld gut arbeiten können. Was setzen Sie dagegen?Sie sagen: Alles soll so bleiben, wie es ist, wir brauchenaber mehr Geld im System.
Das sollen die Patienten zahlen. – Zwischen diesenbeiden Ansätzen müssen sich die Bürgerinnen und Bür-ger entscheiden.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Johannes Singhammer von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsi-dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirwollen, daß Mitglieder der gesetzlichen Krankenversi-cherung nicht schlechter behandelt werden als eine be-stimmte Gruppe von Sozialhilfeempfängern. Darumgeht es uns.
Diese Gesundheitsreform – darüber muß man natür-lich ein Wort verlieren – ist von Grund auf mißglückt.Eine verhängnisvolle Systematik bringt ständig neueBundesministerin Andrea Fischer
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Ungerechtigkeiten an die Oberfläche. Es werden zweiKlassen geschaffen. Die große Masse von Patienten inder gesetzlichen Krankenversicherung wird unter denFolgen der Budgetierung zu leiden haben. Verschontbleibt, wer entweder genügend Geld hat, alles selbst zubezahlen, oder wer einer bestimmten Gruppe von Sozi-alhilfeempfängern angehört. Nicht nur wir, sondern auchdie große Mehrheit der Menschen in unserem Land be-merken, daß aus einer Gerechtigkeitslücke ein Gerech-tigkeitsgraben wird. Die unterschiedliche Behandlung,die ich geschildert habe, ist für viele Menschen in unse-rem Land ein Lackmustest für die Verschlechterung ih-rer Situation.Wer muß fürchten, unter der Budgetierung zu leiden?Es muß sicherlich nicht derjenige irgend etwas befürch-ten, der die neuesten und besten Arzneimittel seinerWahl selbst bezahlen kann
und der in der Lage ist, Gesundheitsleistungen aller Arteinzukaufen. Nichts befürchten muß auch eine Gruppevon Sozialhilfeempfängern.
Damit wir uns richtig verstehen: Es entspricht dem Ge-bot der Menschlichkeit, denjenigen unter uns, denen esam Nötigsten mangelt, Unterstützung zu gewähren. Dasist nie von irgend jemandem bestritten worden.Immer weniger Menschen in der gesetzlichen Kran-kenversicherung verstehen, warum Unterschiede ge-macht werden und warum diese Unterschiede, wenn siezutage treten, nicht endlich ausgeglichen werden; dasist der Punkt der heutigen Debatte. Budgetierung be-deutet doch letztendlich, daß ein Arzt beim Kassen-patienten überprüfen muß, ob eine Verschreibung imRahmen des Budgets noch möglich ist. Diese Prüfungwird bei einer bestimmten Gruppe von Sozialhilfeemp-fängern nicht durchgeführt. Das hat natürlich Konse-quenzen.
Es wird zu Nachfragen beispielsweise eines Facharbei-ters führen, der in der gesetzlichen Krankenversicherungist und natürlich auch weiß, daß er Steuergelder zahlt,mit denen die Leistungen der Sozialhilfe finanziert wer-den.Meine sehr verehrten Damen und Herren von seitender Regierung, deshalb sage ich Ihnen: Ändern Sie IhrePolitik. Sie ist von Grund auf falsch. Notwendig ist einenachhaltige Gesundheitspolitik, die durch Effizienzstei-gerungen Kosten minimiert, die die Eigenverantwortungfördert und jeglichen Mißbrauch verhindert.
Als nächste hat die
Kollegin Helga Kühn-Mengel, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Dieseunsägliche Aktuelle Stunde spiegelt die politischeMarschrichtung wider, die die CDU/CSU-Fraktion seitder verlorenen Bundestagswahl eingeschlagen hat.
Dieses Vorgehen kann mit einfachen Worten be-schrieben werden: Polemik statt Konzeption, Diskrimi-nierung statt eigener Lösungen. Außer einem Abzockender Patienten ist Ihnen in der Vergangenheit auch nichtviel mehr eingefallen.
Im übrigen ist es wohl so – korrigieren Sie mich,wenn es anders ist –, daß auch die Mitglieder des Ge-sundheitsausschusses Ihrer Fraktionen von dieser Aktu-ellen Stunde nicht hellauf begeistert waren. Der populi-stische Versuch, soziale Gräben zwischen den Bürgerin-nen und Bürgern und der neuen Bundesregierung aufzu-reißen, wird nicht aufgehen. Das Reformprojekt „Ge-sundheitsreform 2000“ ist richtig und wird auch von derbreiten Masse der Experten und der Patientinnen undPatienten angenommen.
Wir stellen nach 16 Jahren Ungleichgewicht wiedersicher, daß die Versicherten der gesetzlichen Kranken-versicherung zukünftig angemessen versorgt werden undzu angemessenen Beiträgen eine ausgewogene und guteGesundheitsversorgung bekommen. Diese Versorgungbezieht sich nicht nur auf die akute Schmerzbehandlung,sondern umfaßt auch Leistungen der Prävention und derGesundheitsförderung.Der Vorwurf der CDU/CSU-Fraktion, daß die Re-form unweigerlich zu Rationierungen von Gesundheits-leistungen führen würde,
wurde bereits durch die Expertenanhörung im Deut-schen Bundestag ad absurdum geführt.
Was Sie, meine Damen und Herren von derCDU/CSU-Fraktion, vertreten, ist – außer Polemik –ganz klare Klientelpolitik. Ich habe den Eindruck, daßSie diejenigen im Gesundheitssystem unterstützen, dienur wirtschaftliche Ziele verfolgen und sich nicht für dasWohl und die Gesundheit der Patientinnen und Patientenin Deutschland einsetzen.Ich möchte an dieser Stelle verdeutlichen: Durch dasProjekt „Gesundheitsreform 2000“ wird kein Krankenver-sicherter, keine Krankenversicherte schlechtergestellt.
Johannes Singhammer
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5362 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
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Wir wollen die Versorgung chronisch Kranker verbes-sern. Wir fördern Selbsthilfe, Prävention und den Pati-entenschutz.
Die Gesundheitsreform hat weiterhin zum Ziel, beistabilen Beitragssätzen durch strukturelle Reformen einegesundheitliche Versorgung auf hohem Niveau auch fürdie Zukunft zu sichern. Die Bundesregierung hat zu Be-ginn des Jahres einen ersten Schritt gemacht und eindeutliches Signal für alle Bürgerinnen und Bürger ge-setzt: Die Zuzahlung für Medikamente, die Sie kontinu-ierlich erhöht haben, haben wir auf ein vernünftiges undfür alle Beitragszahler und Beitragszahlerinnen ange-messenes Maß gesenkt.
Wir steigern die Qualität bei der medizinischen Ver-sorgung und Betreuung und beseitigen Versorgungsdefi-zite. Aber das muß ich Ihnen, meine Damen und Herrenvon der Opposition, eigentlich nicht sagen; das wissenSie. Sie wollen nur polemisch argumentieren. Strafge-fangene – das wissen Sie auch – haben eine freie Heil-fürsorge, die über Länder und Bund abgewickelt wird.Wir haben das alles schon mehrere Male gehört, aber of-fensichtlich dringt es nicht durch. Dieser Personenkreiswird nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt.
Von den Sozialhilfeempfängern und -empfängerinnen– auch das haben wir gehört – sind 90 Prozent in derGKV. Die anderen 10 Prozent erhalten einen Behand-lungsschein. Der Rest liegt am Versorgungsverhaltendes Arztes, liegt am Sozialamt, liegt am Amtsarzt,
der die Möglichkeit hat, alle Vorgänge hinreichend zuüberprüfen.Die letzte Gruppe, die nach Ihrer Aussage besser be-handelt wird als die normal Versicherten, sind die Asyl-bewerber und -bewerberinnen. Auch hier Fehlanzeige:Sie müssen ebenso wie die Sozialhilfeempfänger einenBehandlungsschein beantragen. Das sieht dann so aus –auch das haben wir schon mehrmals gehört, aber es mußwohl noch einmal gesagt werden –:In den ersten drei Jahren bekommt der Asylbewerberoder die Asylbewerberin lediglich die Schmerzbehand-lung und die Behandlung in akuten Notfällen vom So-zialamt bezahlt. Hierunter fällt noch nicht einmal derZahnersatz. Erst nach Ablauf der drei Jahre erhält eroder sie Leistungen entsprechend dem Leistungskatalogfür Sozialhilfeempfänger.Sie sehen, meine Damen und Herren, kein gesetzlichKrankenversicherter wird durch unser Reformprojektschlechter gestellt sein als Sozialhilfeempfänger, Asyl-bewerber oder Strafgefangene.
Gesetzlich Krankenversicherte haben das Recht aufeine gute und ausgewogene Behandlung auf einem ho-hen medizinischen Niveau, und genau das werden wirsicherstellen und garantieren. Wir werden unsere guteReform einführen und fortführen, den eingeschlagenenKurs beibehalten.
Das Lamentieren der Opposition bezeugt Konzeptions-losigkeit und das Eingestehen eigener Fehler währendIhrer Regierungszeit.
Sie waren verantwortlich für den Einstieg in die Zwei-klassenmedizin und deren fortschreitende Zementierung.
Wir haben den Kurs korrigiert. Polemik und der Ver-such, die Gesellschaft zu spalten, werden uns nicht da-von abbringen, den Weg einer sozialen und gerechtenGesundheitsreform zu gestalten.
Als nächster hat
Kollege Wolfgang Lohmann, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir tun uns mit derzunehmenden Gewohnheit, mit der Verbalkeule auf denjeweils anderen einzuschlagen, mit Sicherheit keinenGefallen.
– Ich habe ja gerade erst angefangen.Wenn hier beispielsweise Frau Lange sagt: „schlichtgelogen“, Frau Schmidt-Zadel von „perfide“ spricht, FrauFischer sagt – der Höhepunkt –: „Sauerei“, dann kann ichnatürlich den Präsidenten nicht kritisieren, der dasohne jede Abmahnung hinnimmt, aber ich meine, wirsollten uns besinnen, daß die Öffentlichkeit bei solcherArt von Diskussion sich eher von der Politik abwendet alssich ihr zuwendet. Das ist meine feste Überzeugung.
Jetzt kommt der nächste Punkt – bevor Sie weiter-schreien.
– Wenn Sie glauben, Sie könnten mir die fünf Minutendadurch wegnehmen, daß Sie mich durch Ihr Dazwi-schenrufen daran hindern, die Tatsache einmal klarzu-stellen, dann irren Sie sich.Helga Kühn-Mengel
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999 5363
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Sie sagen, Frau Schmidt-Zadel, Sie stützen sich aufeinen Zeitungsbericht. Das haben ja mehrere gesagt.
Ich zitiere jetzt einmal aus einem Schreiben des Prä-sidenten des Hessischen Rechnungshofes, des HerrnProfessor Dr. Müller.
– Das haben Sie natürlich verschwiegen. Sie haben esbekommen, aber Sie haben es verschwiegen. – Er hat am22. September 1999 unter anderem geschrieben:Es bedarf keiner Erläuterung, daß die Budgetierungfür die gesetzlich Krankenversicherten zu einemanderen Verhalten der Ärzteschaft gegenüber denPatienten geführt hat.– Weiter schreibt er:Ich habe allerdings in meinem Bericht zum Aus-druck gebracht, daß ich in der mangelnden Budge-tierung der Krankheitskosten für Asylbewerber eineGerechtigkeitslücke zum Nachteil der gesetzlichversicherten Bevölkerung erkenne.
– Dann sagt er – das ist das Schreiben an Herrn Bun-desminister Riester – auch noch:Ich habe daher die Bitte an Sie, dieser Frage nach-zugehen und in Zusammenarbeit mit den Ländernund den kommunalen Spitzenverbänden eine Lö-sung zu entwickeln, ...
Wir haben dieses Schreiben zum Anlaß genommen,eben nicht die Bevorteilung von Asylbewerbern hier zukritisieren, sondern die Frage der Benachteiligung durcheine Budgetierung, die unzweifelhaft gegeben ist.Nun versuchen Sie dauernd, den Spieß herumzudre-hen. Und dann wird unter anderem auch entgegengeru-fen, das sei Sozialneid. Meine Damen und Herren, inden letzten 50 Jahren, so will ich einmal sagen, war esdoch das Privileg des linken Flügels dieses Hauses, an-deren Sozialneid vorzuwerfen.
Natürlich ganz besonders von Herrn Gysi, aber auchdurch Sie, Herr Dreßler.
– Herr Dreßler, Sie sind ja einer von denen, die inzwi-schen gesagt haben, Sie seien bei einigen Maßnahmendes Solidaritätsstärkungsgesetzes wohl zu voreilig ge-wesen, zumal bei den Festzuschüssen; das müßte geän-dert werden. Selbst Sie sind sicher noch lernfähig.
Wir wollen mit dieser Diskussion noch einmal klar-machen, daß die Budgetierung, vor allem auch die Bud-getierung, die bereits in diesem Jahr durch das soge-nannte Solidaritätsstärkungsgesetz wirkt, dazu führt, daßgesetzlich Versicherten weniger Leistungen als in derVergangenheit zuerkannt werden.Den letzten Beweis, daß dem so ist, hat doch FrauMinisterin Fischer selbst vor nicht allzu langer Zeit ge-liefert, als sie nach einer polemisch geführten Debatteüber das Notprogramm der Ärzte das inzwischen umbe-nannte Aktionsprogramm unterschrieben hat. In diesemProgramm sind eine Reihe von Maßnahmen vorgesehen,die dazu führen werden, daß der Arzt dem Patienten sa-gen muß: Tut mir leid, das, was ich in der Vergangen-heit verordnet habe, kann ich nicht mehr verordnen. Ichmuß Generika nehmen. Ich darf keine Originalpräparatemehr verordnen. Das, worauf du, lieber Patient, dichbislang verlassen konntest, weil es wirksam und medizi-nisch notwendig war, kann ich dir nicht mehr verordnen.
Man kann noch darüber streiten, ob die Verordnungvon Generika sinnvoll ist oder nicht. Aber man kannnicht bestreiten, daß die gesetzlich Versicherten durchdie Fortentwicklung des hier skizzierten Systems in eineschlechtere Lage hineinmanövriert werden als diejeni-gen, von denen wir eben gesprochen haben.
Es ging uns um nichts anderes, als dies klarzumachen.Es geht nicht darum, anderen etwas wegzunehmen.
Gehen Sie in sich! Werden Sie sich bewußt, daß Budge-tierung schrittweise und teilweise schleichend zu Ratio-nierung führt! Dies kann für die Versicherten und Pati-enten nicht gut sein.
Deshalb appelliere ich an Sie, sich die Reform des Ge-sundheitswesens noch einmal zu überlegen.Danke schön.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Gudrun Schaich-Walch, SPD-Fraktion.
Werte Kolleginnenund Kollegen! Herr Präsident! Liebe Kollegen von derOpposition! Ich bin der Meinung, Sie sollten doch we-nigstens die Gesetze kennen, die während Ihrer Regie-rungszeit verabschiedet wurden. Wenn die Versichertenjemals benachteiligt worden sind, dann dadurch, daßWolfgang Lohmann
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5364 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 1999
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Herr Seehofer durch seine Gesetze die Zuzahlungenimmer mehr erhöht hat. Dadurch sind Benachteiligungenentstanden.
Wir haben seit unserem Regierungsantritt einen Teil die-ser Benachteiligungen zurückgeführt, indem wir die Zu-zahlungen vermindert haben. Wir hätten sie gerne nochmehr vermindert, wenn es die Finanzsituation der GKVerlaubt hätte.
Noch ein Punkt: Jemand, der nicht in die Versiche-rung einzahlt – ausgenommen Familienmitversicherte –,erhält keine Leistungen von der gesetzlichen Kranken-versicherung. Asylbewerber und Sozialhilfeempfänger,die nicht versichert sind, bekommen keine Leistungenaus der gesetzlichen Krankenversicherung. Kein Mit-glied der gesetzlichen Krankenversicherung kann durchdiese Gruppen geschädigt werden.
– Ich verstehe die Relationen sehr wohl. Ich versteheeure Perfidität. Ihr habt nur einen Aufhänger gesucht.Ich bin froh, daß es nicht die Kolleginnen und Kollegenaus dem Gesundheitsausschuß waren. Im Gesundheits-ausschuß haben wir andere Debatten geführt. Wir habenuns im Ausschuß keine Gruppe herausgepickt, an derwir uns dann abgearbeitet haben. Wir haben keineGruppe als Aufhänger benutzt, um Vorurteile und Neidin unserer Gesellschaft zu schüren und dadurch be-stimmte Dinge in Mißkredit zu bringen, die menschlichgeboten und notwendig sind.Niemand erhält mehr Leistungen und gesundheitlicheVersorgung durch die gesetzliche Krankenversicherungals der gesetzlich Versicherte. Wenn es anders ist, dannhaben entweder die Ärzte falsch verordnet – darübermüßten wir dann diskutieren –, oder das Sozialamt, aufdas Ihr Kollege aus München vorhin hingewiesen hat,hat einen Fehler gemacht. Wenn Sie uns das Sozialamt,das mehr Geld für medizinische Behandlungen als üb-lich ausgegeben hat, benennen, dann können wir unsdarum kümmern; denn dieses Sozialamt hätte gegenRecht und Gesetz verstoßen.
– Mir ist es völlig egal, ob es sich dabei um einen Partei-freund handelt. Recht und Gesetz gelten für alle, egal,ob sie in einer Partei sind und – wenn ja – in welcher.
Ich möchte jetzt etwas zur Gesamtsituation der ge-setzlichen Krankenversicherung sagen. Wir haben dieAusgaben an den Einnahmen orientiert. Dies ist nichtsNeues. Dieser Paradigmenwechsel begann bereits 1978.Wir haben das Arzneimittelbudget im vorigen Jahrum nahezu 4 Milliarden DM, das sind weit über 12 Pro-zent, erhöht.
Wir hatten noch nie ein Arzneimittelbudget, das sohoch wie dieses war. Wir haben im letzten Jahr nichterleben müssen, daß mehr Patienten zu versorgen waren.Auch sind die Patienten in der Bundesrepublik innerhalbeines Jahres nicht um 10 oder 20 Jahre gealtert. Es istuns kein Fall bekannt, in dem jemandem in dieser Bun-desrepublik Deutschland das medizinisch Notwendigevorenthalten worden ist. Daß dies nicht geschehen darf,steht schon seit langem in unserem Gesetz. Wenn je-mandem das medizinisch Notwendige vorenthalten wor-den wäre, dann wäre es zwar widerrechtlich, aber nichtaus Gründen des Finanzmangels geschehen. Wir habenein ausgeglichenes Budget: Das, was finanziert werdensoll, kann finanziert werden.Kolleginnen und Kollegen, ein schöner Nebeneffektder heutigen Diskussion wäre es gewesen, wenn wirendlich einmal erfahren hätten, was Sie denn machenwollen. Wollen Sie die Beiträge erhöhen und damit dieArbeit belasten? Wollen Sie die Zuzahlungen erhöhen,wie wir es von Ihrem Sprecher Uldall – er hat von einerjährlichen Selbstbeteiligung der Patienten in Höhe von300 DM geredet – gehört haben? Oder wollen Sie dafürsorgen, daß man jedesmal 20 DM Eintrittsgebühr be-zahlen muß, wenn man zum Arzt geht? Na klar, dieLeute gehen schließlich genauso zum Arzt, wie sie insKino, ins Theater oder ins Fußballstadion gehen. – Dassind Ihre Alternativen.
Sie vertreten nichts anderes als bisher. Sie sprechen vonEigenverantwortung und belasten die kranken Menschen.Sie sind nicht bereit, an den Strukturen, die die Ursacheunserer Probleme sind, etwas zu ändern. Wir haben falscheStrukturen: ein Zuviel an der einen Stelle und ein Zuwenigan manch anderer Stelle. Wenn Sie bereit sind, mit uns überdie Veränderungen der Strukturen zu reden, dann werdenwir es gerne tun. Wenn Sie mit uns aber nur über höhereZuzahlungen der Patienten – Sie nennen es Eigenverant-wortung – reden wollen, dann sagen wir: Nein, danke.
Die Aktuelle Stunde
ist damit beendet. Wir sind am Schluß unserer heutigen
Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 7. Oktober,
9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.