Gesamtes Protokol
Guten Morgen! Icheröffne die 52. Sitzung, die erste reguläre Arbeitssitzungdes Deutschen Bundestages in Berlin, und heiße Sieherzlich willkommen.Ich freue mich, daß auf der Besuchertribüne vieleFrauen Platz genommen haben. Ich begrüße Sie alle sehrherzlich. Sie sind vom Deutschen Bundestag eingeladenworden, die heutige Frauendebatte mitzuverfolgen. Wirfühlen uns Ihnen allen sehr verbunden, die Sie aus derganzen Bundesrepublik Deutschland, aus den Kommu-nalparlamenten und den Frauenverbänden kommen unddie Sie ehemalige Kolleginnen dieses Hauses sind.Herzlich willkommen! Ich hoffe, daß wir eine gute De-batte zum Thema Frauenpolitik in der Bundesrepublikführen werden.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, teile ichmit, daß die frühere Kollegin Ingrid Matthäus-Maierzum 1. Juli 1999 auf ihre Mitgliedschaft im DeutschenBundestag verzichtet hat. Ihre Nachfolgerin, die Abge-ordnete Ingrid Arndt-Brauer, hat am 1. Juli 1999 dieMitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ichbegrüße die neue Kollegin sehr herzlich.
Wir wünschen Ingrid Matthäus-Maier für ihre neueAufgabe alles Gute. Wir vermissen sie hier. Sie war einegute Kollegin des Bundesparlamentes.
Sodann möchte ich einer Kollegin und einigen Kol-legen, die während der Sommerpause einen rundenGeburtstag gefeiert haben, nachträglich gratulieren. Ih-ren 60. Geburtstag feierten die Kollegen HermannBachmaier am 5. Juli, Dankward Buwitt am 6. Juli,Adolf Ostertag am 22. Juli, Bärbel Sothmann am20. August und Dieter Schloten am 26. August. Denneugebackenen Sechzigjährigen einen herzlichenGlückwunsch!
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung zu erweitern. Die Punkte entnehmen Siebitte der vorliegenden Zusatzpunktliste: 1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Eichhorn,Hannelore Rönsch , Wolfgang Dehnel, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Bekämpfungder Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland – Drucksache14/1549 – 2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Hal-tung der Bundesregierung zu den Äußerungen vonBundesminister Hans Eichel, die künftige Förderung derneuen Bundesländer mit deren Zustimmung zum „Spar-paket“ der Bundesregierung zu verbinden 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann OttoSolms, Hildebrecht Braun , Rainer Brüderle,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Ord-nungspolitisch vernünftige Steuergesetze verabschieden– Drucksache 14/1546 – 4. Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Pieper,Dr. Karlheinz Guttmacher, Joachim Günther, weiteren Abge-ordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfseines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Verkehrswege-planungsbeschleunigungsgesetzes – Drucksache 14/1540 – 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Türk, RainerBrüderle, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und derFraktion der F.D.P.: Aufbau Ost muß weitergehen – Druck-sache 14/1542 – 6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Dr.Karlheinz Guttmacher, Horst Friedrich, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der F.D.P.: Verkehrsprojekte Deutsche Ein-heit müssen zügig realisiert werden – Drucksache 14/1543 – 7.Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lilo Friedrich, ErnstBahr, Eckhardt Barthel, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der SPD sowie der Abgeordneten Cem Özdemir, Marie-luise Beck , Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneterund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Migrations-bericht – Drucksache 14/1550 – 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger,Ulrike Flach, Horst Friedrich, weiterer Abgeordneter und derFraktion der F.D.P.: Jahr 2000-Problem – Unterstützungzur Problemlösung – Drucksache 14/1544 –Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wi-derspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Die Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deut-scher BundestagIch eröffne die Debatte. Als erster Rednerin erteileich der Kollegin Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grü-nen, das Wort.
Metadaten/Kopzeile:
4372 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenHerren und Damen! Sehr verehrte Gäste! Die erste re-guläre Plenarsitzung des Deutschen Bundestages imReichstag beginnt mit einem zentralen Menschen-rechtsthema der Moderne: Bürgerrechte und Menschen-rechte als Frauenrechte. Das Besondere an dieser De-batte ist, daß es sie überhaupt gibt.
Denn bei allen Würdigungen von 50 Jahren Verfassungund Parlamentarismus in den vergangenen Monaten warvon einem nicht die Rede: von Frauen. Ich weiß, daß dasim allgemeinen immer so ist, und so wäre es auch imBundestag gewesen. Der Gedanke, der uns fünf Initiato-ren bewogen hat, war nicht nur, das nachzutragen, wasvergessen wurde, um es damit zu komplettieren; nein,wir werden von Politik im ganzen und von Frauenpolitikim besonderen reden. Bei all diesen Reden wird sichUnterschiedlichkeit zeigen. Es wird sich zeigen, daß dasgleiche Geschlecht die Frauen nicht gleichmacht unduns als Politikerinnen das gleiche auch nicht gleich be-werten läßt. Wir halten politische Differenz und partei-enübergreifende Solidarität aber für einen wunderbarenAusdruck gelebter Demokratie und staatsbürgerlichenSelbstverständnisses.
Damit ist dazu dann auch genug gesagt.Der Blick zurück auf 1949: Das neuentstehendeStaatswesen gab sich eine neue Verfassung. Es ist dergroßen Sozialdemokratin Elisabeth Selbert und den vie-len Frauen, die sie unterstützten, zu verdanken, daß esdiesen einen entscheidenden Satz gibt: „Männer undFrauen sind gleichberechtigt.“ Damit ist das Grundge-setz Gesellschafts- und Geschlechtervertrag zugleich.Der Weg dorthin war lang – wie in allen demokratischenAufbruchzeiten. Schauen wir zurück: Es war 1789,1848, 1918 und im gewissen Sinn auch 1989/90 so. Im-mer wenn um Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit ge-fochten wurde und immer wenn das Verständnis vonStaat sowie das Verhältnis von Bürger im und zum Staatneu festgelegt wurden, forderten die Frauen die gleichenRechte. Ziel und Zweck jedes politischen Zusammen-schlusses sei – so nannte es schon vor 200 Jahren Olym-pe de Gouges – der Schutz der natürlichen und unveräu-ßerlichen Rechte von Mann und Frau. So viel Feminis-mus gab es schon vor 200 Jahren.An der Verfassung der Paulskirche kritisierte LuiseOtto, Frauen würden in Zeiten nationaler Identität ver-gessen. Die Hoffnung auf die Erfüllung der Versprechender Weimarer Republik war dann auch nur von kurzerDauer. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialistenwar alle Emanzipation vorbei.Ich sehe, meine sehr geehrten Herren und Damen, dieVerankerung des Art. 3 nach 1945 im Grundgesetz alsnachholenden Erfolg früherer Frauenbewegungen. Ichwar aber geneigt, etwas zu übersehen: Es waren dieFrauen, die schon vor 1933 für Frauenrechte und Zivil-gesellschaft einstanden und die dafür in der Nazizeit ei-nen hohen Preis zahlten, die uns 1945 und 1949 zu die-sem Gleichstellungsauftrag verhalfen.Aber Art. 3 des Grundgesetzes war kein Resultat derAuseinandersetzung mit der NS-Frauenpolitik. Ich ha-be darüber nachgedacht: Fügte sich der errungene Kon-sens in die Reihe mit dem Asylrecht, dem Antimilita-rismus, dem Rechts- und Sozialstaatlichkeitsgebot ein?Gründe dafür gab es genug. Ich betrachte hier nur dasThema Mutterschaft: Die Überhöhung und zugleich Re-duzierung der Frau auf die Rolle als Mutter bedeutete inder Nazizeit für die einen Gebärpflicht und für die ande-ren die Zerstörung der Mutterschaft durch Zwangssteri-lisation und Abtreibung. Es gab sie, die spezifischenMenschenrechtsverbrechen an Frauen, die dadurch eineAbwertung bis zur absoluten Wertlosigkeit erlitten. Diedamalige grauenvolle Idee vom gesunden Volkskörperkonnte nicht ohne den Zugriff auf den Frauenkörperverwirklicht werden.Einen ungebrochenen Bezug auf die europäische Ge-schichte der Menschenrechte als Frauenrechte gibt es füruns Deutsche nicht. Um so vorsichtiger mußte sich dieVerfassung des Themas Männlichkeit und Weiblichkeitannehmen. Art. 3 des Grundgesetzes verstehe ich alsAusdruck dafür, daß das, was männlich oder weiblichist, offengehalten worden ist. Zuständig dafür, Ein-schränkungen aufzulösen, sind Männer und Frauen glei-chermaßen. Angenommen haben diese Aufgabe jedochmaßgeblich nur Frauen. Dies führt zur Nachrangigkeitund zu den bekannten Mühen der sogenannten Frauen-politik.Dennoch hat sich nach meiner Auffassung die Frau-enbewegung in den letzten 50 Jahren Bundesrepublikund Parlament zu der erfolgreichsten Bürgerrechtsge-schichte entwickelt. Was im Sozial-, im Zivil- und imStrafrecht mehr an Recht und Gerechtigkeit erreichtwurde, bedeutet eine gerechtere Gesellschaft. Ich bin derAuffassung: Ohne die neue Frauenbewegung und ohnedie grüne Quote wäre das sicherlich so nicht gekommen.
Doch wer mag heute noch von Feminismus und Pa-triarchat reden, ohne als hoffnungslos, out of fashion zugelten? Ich halte manches dennoch für nicht überholt,sondern sogar für Kernsätze: Das Private ist politisch.Wir sind nicht als Frauen geboren, wir werden zuFrauen gemacht. – Nichts davon hat seine Gültigkeitverloren. Ich bin tief davon überzeugt: Nur wenn Frauenim öffentlichen Raum Partei für Frauen ergreifen, fürFrauen, die Opfer und Verliererinnen sind, kann das in-dividuelle Erleben als Unrecht und damit als gesell-schaftlich veränderbar erkannt werden. Das gilt für dieeigene Kultur, und das ist in anderen Kulturen nicht an-ders. Es braucht diese weibliche Perspektive, es brauchtdiese Zuspitzung, damit man überhaupt von allgemein-gültigem Recht sprechen kann.Aber wir haben heute auch die Möglichkeit, danachzu fragen: Was ist denn eigentlich die weibliche Per-spektive, was zeichnet sie aus? Heißt Gleichberech-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4373
(C)
(D)
tigung, dem Manne gleich sein, der Mann als Muster,die Frau – ja, als was? Männliche Politik muß bekannt-lich nicht von Männern gemacht werden. Das könnenFrauen auch. Zweifellos ist der für Männer vorgeseheneLebensentwurf für viele Frauen sehr attraktiv. Er wirdauch von sehr vielen Frauen immer mehr gelebt.Jetzt will eine junge Frau vollwertiger Soldat werden.Sie klagt ihr Recht ein. Dazu zitiere ich aus der „FAZ“:Es könne dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen,wenn in der Wehrverfassung die Geschlechterdiffe-renz zum Ausdruck käme.Da hat der Autor recht und auch wieder nicht. Warumdenkt man nicht umgekehrt? Wäre es nicht auch eineAufgabe, das enge Rollenverständnis vom Mann zuüberwinden? Schließlich ist Gewaltfreiheit kein weibli-ches Privileg, aber sie ist Ziel einer jeden zivilen Gesell-schaft.
Wenn Frauen an Militär und Krieg gleichermaßenaktiv teilnehmen, mag das Gleichberechtigung sein,Emanzipation meint jedoch etwas anderes.
In bezug auf einen ganz allein weiblichen Bereichkann ich aus Art. 3 des Grundgesetzes eine unterschei-dende Rechtsstellung von Mann und Frau nicht heraus-lesen. Dennoch: In dem, was die Frau unauflösbar an-ders sein läßt als den Mann, nämlich ihre Gebärfähig-keit, haben Menschenrechte noch immer ein Geschlecht.Ich will hier nicht noch einmal auf den § 218 einge-hen; ich gehe darüber hinaus. Ich frage: Darf das allge-meine Menschenrecht als natürliches Recht der Frau mitVerweis auf ihre biologische Natur gegen sie gerichtetsein?
Oder anders gefragt: Kann der Mensch Frau Subjekt undObjekt zweier konkurrierender Grundrechte sein, näm-lich ihres eigenen auf körperliche und personale Inte-grität und des Grundrechts auf Leben, das Leben einesanderen, das nur in und durch sie ist?Meine Herren und Damen, ich frage damit auch da-nach, ob wir mit diesen Vorbedingungen überhaupt diegroßen Herausforderungen der Zukunft fassen können.Denn mit den sich rasch entwickelnden Erkenntnissenund Eingriffsmöglichkeiten in das vorgeburtliche Wer-den des Menschen ist eine bislang nie gekannte men-schenrechtliche Dimension eröffnet worden.Einerseits betrifft das die ethischen und rechtlichenAuswirkungen, die durch pränatale Diagnostik am Fötusim Mutterleib entstanden sind. Sie verändern die Ideevom Kind, weil die Frau Wissen über den genetischenZustand erhält, noch bevor sie sein Wesen kennt. DieEntscheidungskonflikte und der Beziehungscharakterverändern sich, und, wie ich meine, die Gesellschaft-lichkeit von Selbstbestimmung der Frau verliert an all-gemeiner Bedeutung.Andererseits machen es reproduktionsmedizinischeTechniken möglich, Embryonen außerhalb des Mutter-leibes entstehen zu lassen. Es ist generell möglich ge-worden, auf gentechnischem Weg festgestellte Merk-male des Menschen zum Bewertungskriterium dafür zumachen, ob seine Weiterentwicklung gewünscht wird.Es ist möglich geworden, in ganz frühe Entwicklungs-stadien manipulierend einzugreifen. Erst dadurch, glau-be ich, ist es zu einem Perspektivwechsel in der heutigenZeit gekommen: vom Kinderwunsch zum Wunschkind.Noch etwas zu diesem Thema: Der Mensch hat heuteInstrumente zur Verfügung, Menschenteile für die Ver-wendung in der Medizin herauszubilden; man sprichtvon „biologischem Material“. Weder die Forschungnoch ihre Anwendung ist in einer Welt der Globalisie-rung und insbesondere durch die Verbindung von In-formations- und Gentechnologie letztlich begrenzbar.Sie sprengt nationale und kulturelle Grenzen. Ich be-trachte diese Entwicklung auch als eine Form der Ent-sinnlichung, der Entsexualisierung und letztlich derEntleiblichung der Fruchtbarkeit der Frau.Wir müssen als Parlament die aufgekommenen Fra-gen beantworten. Sie stellen sehr hohe grundrechtlicheund ethische Anforderungen. Noch keine Kultur undkeine Gesellschaft vor uns stand davor, daß durch dieAnwendung einer Technik der Begriff vom Menschenselbst von seiner Auflösung bedroht ist. Das verändertunser Verständnis vom Menschen, wie wir ihn seitMenschengedenken kennen. Ab wann ist der Menschein Mensch als Subjekt des Menschenrechts?Mein Blick richtet sich auf die Frau. Mein Bezug dar-auf ist unsere Verfassung. Menschenrechte als Frauen-rechte – das Projekt der Moderne verlangt von uns alsParlamentarierinnen hochverantwortliche Entscheidun-gen für die Zukunft.Meine sehr geehrten Herren und Damen Mitinitiato-rinnen, ich freue mich, daß diese Debatte in diesemHause heute stattfindet. Ich bedanke mich insbesonderebei Herrn Bundestagspräsident Thierse und den Mitauto-rinnen im Zusammenhang mit diesem Tagesordnungs-punkt dafür, daß wir heute Gelegenheit haben, überMenschenrechte als Frauenrechte in der Vergangenheit,in der Jetztzeit und als Herausforderung für die Zukunftzu sprechen. Insgesamt, glaube ich, sind sie eingebettetin unsere Perspektive einer bürgerrechtlich-demokra-tischen Zivilgesellschaft. Wie wollen wir sie ausgestal-ten? Wie formulieren wir in Zukunft Menschenrechte alsFrauenrechte?Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich möchte Sie dar-auf hinweisen, daß wir uns in einer parlamentarischenDebatte befinden. Eine Folge des parlamentarischen Re-derechts ist, daß Beifall im Plenum, aber nicht auf denMonika Knoche
Metadaten/Kopzeile:
4374 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Besuchertribünen gestattet ist. Diese Regelung gilt imübrigen auch für die Regierungs- und Bundesratsbank.Es tut mir sehr leid, aber wir müssen die Spielregelneinhalten. Wenn ich nicht darauf achte, beschweren sichbei mir alle Geschäftsführer.Das Wort hat die Kollegin Ulla Schmidt.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es zeigt sich ja, daßdann, wenn Frauen einmal die Hauptrolle spielen, nichtdie ganze Welt auseinanderbricht, sondern daß vieles inden bisherigen Bahnen weitergeht.Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen undliebe Frauen oben auf den Besuchertribünen, daß wirden heutigen Tag miteinander begehen können. Ich bindankbar dafür. Ich halte das, was die Parlamentarierin-nen der ersten Stunde hier gesagt haben, insgesamt füreine Bereicherung unserer Parlamentsarbeit und unseresUmgangs miteinander.Ich weiß nicht, ob es allen aufgefallen ist, aber ichbetrachte es als ein gutes Zeichen, daß die erste Plenar-sitzung des Deutschen Bundestages, nachdem der Deut-sche Bundestag seine reguläre Arbeit in Berlin aufge-nommen hat, mit der Debatte „Die Parlamentarierinnenin 50 Jahren Deutscher Bundestag“ beginnt.
Es wurde heute schon deutlich gemacht, daß es an ei-nem solchen Tag eigentlich naheliegt, daran zu erinnern,daß nach unserem Grundgesetz Frauen und Männergleichberechtigt sind. Über die damit verbundenenHoffnungen, Erwartungen und die damit verbundeneparlamentarische Arbeit haben uns heute morgen – stell-vertretend für viele andere – die Parlamentarierinnen derersten Stunde eindrucksvoll ins Bild gesetzt. Sie gabenund geben uns allen auch heute noch ein Beispiel. Vonnichts kommt nichts. Nein, gesellschaftliche Gleichstel-lung der Geschlechter ergibt sich nicht durch den ent-sprechenden Artikel des Grundgesetzes, aus dem darinenthaltenen Angebot, sondern daraus, daß wir ihn an-nehmen und ihn engagiert – wenn auch manchmal mü-hevoll und sehr langsam – umsetzen. Trotz jahrzehn-telanger Bemühungen in diese Richtung fehlt unsererDemokratie bis heute ein selbstverständliches gleichbe-rechtigtes Mit- und Nebeneinander von Frauen undMännern.Wir haben gestern abend festgestellt: Wer die Redender Parlamentarierinnen zu Beginn der letzten 50 Jahremit denen vergleicht, die wir heute führen, der muß fest-stellen, daß sich in manchen Bereichen nicht viel geän-dert hat. Die Forderungen und die Wünsche sind diegleichen geblieben. Das sollte uns Anlaß sein, dies vonBerlin aus zu verändern. So freuen wir uns einerseits,daß der Bundestag im Reichstagsgebäude in seiner er-sten Sitzung zu Beginn nur Frauen zu Wort kommenläßt. Andererseits bleiben wir Frauen zu Recht skeptischund fragen: Ist es ein gemeinsamer Aufbruch? Oderhandelt es sich bloß um eine Geste?Den Aufbruch können wir nur gemeinsam gestalten.Allein ein Blick in das Plenum macht deutlich: Ein An-teil von 30 Prozent Parlamentarierinnen ist nicht genug.Wenn ich auf die Regierungsbank schaue, dann muß ichfeststellen, daß heute dort zwar viele Frauen vertretensind. Aber auch hier könnte der Anteil der Frauen an derBevölkerung deutlicher als bisher repräsentiert werden.Ich hoffe, daß das im Laufe der nächsten Jahre auch derFall sein wird.
Wir alle im Saal wissen: Nach 50 Jahren Grundgesetzund parlamentarischer Demokratie können wir mit derUmsetzung des schlichten Satzes „Männer und Frauensind gleichberechtigt“ nicht zufrieden sein. CarloSchmid hat 1949 frühzeitig und – wie wir heute wis-sen – leider zu Recht Zweifel an der Wirkung desGleichberechtigungsartikels geäußert: Die Gleichstel-lung der Frau auf allen Gebieten, so sagte er damals, seizwar im Grundgesetz proklamiert worden, aber der„Umsetzung des Artikels in die Realität des individuel-len, sozialen und politischen Lebens“ müsse absolutePriorität eingeräumt werden. Das Ergebnis kennen wiralle nur zu gut. Es dauerte 50 Jahre – leider sind wir bisheute immer noch nicht fertig damit –, alle Gesetze undVerordnungen vom traditionellen Frauenbild zu entrüm-peln. Vieles wurde dabei nicht im politischen Meinungs-streit beschlossen; vielmehr mußte es – auch das wurdeschon heute morgen erwähnt – durch die obersten Ge-richte erkämpft werden.Es dauerte wirklich bis 1957, ehe das Bundesarbeits-gericht die sogenannte Zölibatsklausel, nach der einerFrau nach der Eheschließung gekündigt werden kann,als verfassungswidrig abschaffte. Erst 20 Jahre späteränderte die sozialliberale Koalition das Ehe- und Famili-enrecht. Für junge Frauen ist es heute unvorstellbar, daßbis zu diesem Zeitpunkt eine Ehefrau die Zustimmungdes Ehemannes benötigte, um zum Beispiel erwerbstätigsein zu dürfen. Wie nahe diese Zeit liegt, sehen wir dar-an, daß viele von Ihnen, so wie auch ich, zu diesemZeitpunkt schon verheiratet waren. Meine Tochter wardamals schon geboren, und heute kann sie sich nichtmehr vorstellen, daß es so etwas gegeben hat.In diesem Schneckentempo ging es weiter. Wiedervergingen viele Jahre, bis Frauen auch nach der Ehe-schließung ihren Familiennamen behalten durften. Alsdas geschah, schrieben wir schon das Jahr 1993. Ich wardamals in meiner ersten Legislaturperiode Mitglied desDeutschen Bundestages. Ich erinnere mich – so, als wärees heute geschehen –, daß diese Debatte um das Na-mensrecht wirklich zu den heftigsten Beiträgen im altenWasserwerk geführt hat. Es war eine der seltenen De-batten, in der die Männer in der Überzahl waren. Das istbei Frauendebatten ansonsten nicht der Fall.Ich konnte damals gar nicht verstehen, was die Her-zen der Männer so tief bewegte und was sie so kämpfenließ. Sie machten Zwischenrufe und zeigten wirklichesEngagement. Schließlich sagte eine der Kolleginnen zumir – ich sehe sie dort sitzen; ihren Namen will ich nichtnennen –: Wenn sich Mann und Frau nicht entscheidenVizepräsidentin Anke Fuchs
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4375
(C)
(D)
können, ob die Kinder immer den Namen der Mutterbekommen, dann hat das schon Konsequenzen. – MeineSchwiegermutter macht mir bis heute Vorwürfe, daß ichkeine Söhne, sondern nur Töchter geboren habe. – Dawurde mir klar, daß das neue Namensrecht dazu führenkönnte, daß es in Zukunft heißt: Warum hast du nureinen Jungen geboren? Das neue Namensrecht trug dazubei, den jungen Mädchen mehr Chancen zu eröffnen.Vielleicht lag darin der Widerstand der Herren im Par-lament begründet, der sie zu so unmäßigen Debatten-beiträgen geführt hat. Diejenigen, die dabei waren, kön-nen sich daran vielleicht noch erinnern.
Nach der Wiedervereinigung gelang es uns – UrsulaMännle hat es eben schon erwähnt –, Art. 3 Abs. 2 GGzu ergänzen. Auch wenn es nur ein Kompromiß gewor-den ist, ist der Staat nunmehr immerhin verpflichtet, aufdie Beseitigung bestehender Nachteile von Frauen hin-zuwirken. Dies war einer der Punkte, wo Frauen überPartei- und Fraktionsgrenzen hinweg mit den Ministe-rinnen aus den Ländern zusammengearbeitet haben.Wir waren uns einig: Wenn wir nicht alle unsereZiele erreichen können, dann müssen wir Frauen sehen,wo wir uns auf einen Level einigen, den wir über Partei-grenzen hinweg vertreten. Ich bin froh, daß wir dies ge-schafft haben. Wir haben es nur geschafft, weil uns alldiejenigen, die in den entsprechenden Verbänden undOrganisationen – und heute zum Teil auf der Tribüne –sitzen, dabei unterstützt haben. Daß dies auch weiterhingeschieht, wünsche ich mir für die weitere frauenpoliti-sche Arbeit.
Ich glaube, an diesen Beispielen wird deutlich, daßzur Demokratie auch Gestaltung gehört. Demokratiegeht von Freiheit und Gleichheit aller aus. Aber das be-stehende Geschlechterverhältnis, das Verhältnis der Un-gleichheit zwischen den Geschlechtern, wird im Rah-men von Debatten über die Umsetzung von Demokratiesehr selten thematisiert. Das Ungleichverhältnis wurdeund wird heute leider noch immer als gegeben hinge-nommen.Dabei ist für mich eines ganz klar: Wenn ich vonGleichheit rede, dann darf es kein natürliches Vorrechtvon Menschen eines bestimmten Geschlechtes mehr ge-ben. Manche sagen dann vielleicht, das ist ja übertrie-ben, weil Demokratie und Gleichheit mehr beinhalten:So wollen wir keine Benachteiligung von Menschen aufGrund der Hautfarbe, der Zugehörigkeit zu einer Religi-on oder auf Grund anderer Merkmale. Aber dort, woAbhängigkeiten und Dominanzen vorherrschen – dasgilt immer, wenn ein Geschlecht über das andereherrscht –, kann es kein freies und gleiches Verhältnisder Menschen zueinander geben. Deshalb ist einer derKernpunkte der demokratischen Entwicklung eines Lan-des die Lösung der Geschlechterfrage. Wenn wir davonausgehend von Berlin aus genau diese Frage lösen, dannwird dadurch die parlamentarische Demokratie im ver-einigten Deutschland für die nächsten 50 Jahre zumBlühen gebracht werden, wie wir alle es wollen; das ha-ben wir gestern ja auch beschworen.
Deshalb beginnt mit unserer Arbeit hier in Berlin eineneue Phase, keine Änderung der demokratischen Politik.Ich spüre so stark wie nie zuvor, daß der nationalenPolitik Grenzen gesetzt werden, da sich Produktionsbe-dingungen, Arbeitsabläufe und Erwerbsbiographien mitrasantem Tempo verändern, und daß all dies nicht ohneAuswirkungen auf die sozialen Beziehungen von Men-schen und Familien bleibt. Daraus ergibt sich, daß derKampf für die gleichberechtigte und eigenständige Teil-habe von Frauen an dieser gesellschaftlichen Entwick-lung immer wichtiger wird, weil in Zukunft die eigen-ständige und gleichberechtigte Frau gerade angesichtsder veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ein sehrstarkes Fundament für die familiären Beziehungen derMenschen untereinander sein wird. Das sollte uns wirk-lich anspornen und sollte eine der Hauptaufgaben diesesParlamentes sein. Es wird sehr viel davon abhängen, wiewir diese Fragen diskutieren, welche Außenwirkungendieses Parlament hat und ob es uns gelingt, diesen Pro-zeß positiv zu gestalten und für die Frauen mittels dergesetzlichen Rahmenbedingungen eine positive Ent-wicklung zu ermöglichen.Ich bin in dieser Frage nicht pessimistisch, weil diejungen Frauen wie die Generation meiner Tochter oderdie der Jüngeren sehr selbstbewußt sind und sehr vielweiter sind, als ich es in diesem Alter war. Sie fordernihre Rechte ein, sehen aber das, was wir Altfeministin-nen gefordert haben, nicht immer als richtig an; so glau-ben sie, ohne Quoten auskommen zu können. Ich würdees ihnen wünschen. Ich erinnere aber nur an die sozialli-berale Bildungsreform. Damals dachten wir Frauen, daßuns dann, wenn wir erst den Zugang zur Bildung haben,auch alles andere offenstehe. Leider war es nicht so!Viele der jungen Mädchen sind gut ausgebildet oderwollen, daß wir ihnen die Chance dazu geben. Sie for-dern ihre Rechte ein, wollen einen Beruf und ein eigenesEinkommen, wollen Kinder haben und einen Mann, dersich das alles mit ihnen teilt. Die Aufgabe, die dem Par-lament hierbei zukommt, ist, die gesetzlichen Rahmen-bedingungen dafür zu schaffen, daß die jungen Frauenim nächsten Jahrhundert ihr Leben so gestalten können,wie sie es wollen. Ich glaube, daß das ihren Familienund der Entwicklung ihrer Kinder wirklich zugutekommen wird.
Für die jungen Männer bedeutet das, daß von ihnenmehr als von den Männern meiner Generation partner-schaftliches Verhalten gefordert wird. Das ist aber auchgut so, denn wir alle wissen, daß sich nur dann etwasändern wird, wenn sich auch die Männer verändern undauf die Frauen zugehen.Ulla Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
4376 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Mein Kollege Christoph Zöpel hat einmal auf dieFrage, was denn Zukunft sei, geantwortet: Zukunft sinddie Entscheidungen der Gegenwart, genauso wie dieEntscheidungen der Vergangenheit die Gegenwartbestimmen. Insofern hat das Selbstbewußtsein der jun-gen Frauen von heute etwas mit der Arbeit der Frauenund Mütter in diesem Lande zu tun sowie mit dem, waswir in diesem Parlament und außerhalb der Parlamentealles erreicht haben.Wenn ich über die Zukunft dieser jungen Mädchennachdenke – Ursula Männle hat es angesprochen –,wünsche ich mir eine Zukunft, in der Frauen und Män-ner gleichberechtigt miteinander arbeiten können, in deres keinen Zweifel mehr gibt, daß Frauen gleichgestelltsind, und in der niemand mehr erwartet, daß allein dieFrauen für die Erziehung und Betreuung der Kinder zu-ständig sind, sondern Väter begriffen haben, daß Kin-dererziehung und Familienarbeit genauso ihre Arbeit ist.Wenn das so sein soll, dann müssen wir heute Entschei-dungen treffen, dann gehört dazu, daß wir in der Ar-beitsmarktpolitik Frauen wirklich eine Chance geben,daß das Programm „Frau und Beruf“ auf den Weggebracht wird, daß es endlich ein Elternurlaubsgesetzstatt eines Erziehungsgeldgesetzes gibt, daß eine Steuer-reform vorliegt, durch die tatsächlich die individuelleLeistungsfähigkeit besteuert und die Förderung vonKindern vor die Förderung eines Trauscheines gesetztwird,
und wir wirklich Perspektiven eröffnen. Da haben wireine ganze Menge zu tun.Heute morgen hat Frau Agnes Hürland überlegt, obsie nicht lieber ein Mann geworden wäre. Dabei fiel mirein, daß auch ich nicht lieber ein Mann geworden wäre.Aber vielleicht ist es an der Schwelle zum neuen Jahr-hundert Zeit, daß wir neben dem Amt der Frauenmi-nisterin das Amt eines Ministers für Männerfragen ein-richten, eines Ministers, der eine einzige Aufgabe hat,nämlich die Emanzipation des Mannes, die zur Emanzi-pation der Frau gehört, wirklich voranzubringen und aufsein Geschlecht einzuwirken, weil es nicht einzusehenist, daß wir alleine die ganzen Lasten dieser Aufgabetragen müssen.
– Herr Müntefering hat sich schon hingesetzt.
Es werden sich vielleicht viele bewerben. – Aber daswäre ein Blick in die Zukunft. Ich bin sicher, der ent-sprechende Kanzler würde dann als Kanzler der Gleich-berechtigung in die Geschichte eingehen.Danke.
Ich erteile nun das
Wort der Kollegin Professor Rita Süssmuth.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Liebe Frauen und Männerauf den Tribünen! Ich möchte zunächst sagen: Ich binfroh, daß wir diesen Akt nach dem gestrigen Tag heutehier durchführen. Da mögen viele sagen: Das hätten wirdoch auch nachlesen können, was die Frauen der erstenStunde uns hier berichtet haben. Gewiß hätten wir dasnachlesen können. Aber es geht hier um die Frage: Wiekommen Frauen in der Öffentlichkeit vor, ganz beson-ders an dem zentralsten Ort der Demokratie, dem Parla-ment? Deswegen kann und sollte das nicht nachgelesenwerden, sondern im Sinne von authentischen Zeitzeugenhier gehört und in der Republik verbreitet werden.Warum ist mir das wichtig? Weil ich glaube, daß wiralle – für mich war das jedenfalls sehr eindrucksvoll –nachvollzogen haben, daß diese Frauen seit Beginn die-ser Republik 50 Jahre lang – wir sagen: 40 plus zehnJahre, die vergangenen zehn Jahre haben wir gemeinsamverbracht – immer das Ganze im Blick gehabt haben, dieverschiedensten Lebensbereiche. Ihr Ansatzpunkt wardie Demokratie. Deswegen rufe ich hier noch einmal inErinnerung: Als dieser Reichstag 1894 eröffnet wurde,gab es ein Plenum ohne Frauen. Erst 1918 haben Frauenhier Eingang gefunden. Sie waren sehr widerständig, alses um die Machtergreifung ging. Sie haben nach 1945eben nicht, wie viele behaupten, unpolitisch, entpoliti-siert die Welt ihrem Schicksal überlassen, sondern amAnfang dieser Republik stand der Kampf um Bürger-rechte, um Bürgerinnenrechte. Denn das, was sie wäh-rend des Krieges und nach dem Krieg mitten in Ruinen,oft als „Trümmerfrauen“ bezeichnet, als Vertriebene, alsKriegerwitwen geleistet haben, steht dem, was Frauenheute leisten, in nichts nach. Sie haben genausoweit ge-dacht, wie wir heute denken. Deswegen ist es wichtig,das in Erinnerung zu rufen und uns bewußt zu machen.
In die Zukunft ohne dieses Wissen zu blicken macht nichtnur vermessen, sondern leugnet auch die Fortschritte.Heute morgen wurde gesagt, es sei langsam gegangen.Für mich ist dieses Jahrhundert trotzdem revolutionär: inbezug darauf, was in der Geschlechterfrage und in derFrage von Geschlechterbeziehungen – übrigens weltweit– in diesem Jahrhundert thematisiert worden ist.Es geht – dies ist ein weiterer Punkt – auch um Men-schenrechte. Deswegen müssen wir heute morgen nocheinmal das Bewußtsein für Teilhabe und Ausgrenzungschärfen. Dabei ist die Ausgrenzung sehr oft latent. Eswurde auf das Vereinsrecht 1908 hingewiesen. Als ichin die Politik eintrat, habe ich mich wahnsinnig gestoßenan den Berichten der Bundesanstalt für Arbeit, in denenes immer wieder hieß: Besonders benachteiligt sind dieRandgruppen der Gesellschaft: Frauen, Behinderte undAusländer.Auch wenn dieses Reichstagsgebäude die Inschrift„Dem Deutschen Volke“ trägt, so war dies damals dochUlla Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4377
(C)
(D)
sehr ausgrenzend. Wir dagegen sollten wissen: Wir sindfür alle da.
Auch die sogenannten Randgruppen gehören alle mittenin diese Gesellschaft hinein.Wenn es also im Parlamentarischen Rat um Teilhabeversus Ausgrenzung ging, dann haben diese Frauenmehr behandelt als eine Petitesse. Bei aller hohen Wert-schätzung für Theodor Heuss als Demokraten und Präsi-denten sage ich: Diesen Vorgang hat er – das hat Elisa-beth Selbert in ihren Interviews mehrfach belegt – wieeine Petitesse behandelt, mit Schmunzeln quittiert undgemeint, die Frauen entfachten einen Sturm im Wasser-glas. Die Geschlechterfrage sei eigentlich selbstver-ständlich und doch unwichtig, es gebe in dieser Repu-blik wichtigere Fragen zu behandeln. – Nein, dies isteine zentrale Frage: Wie gehen Frauen und Männer mit-einander um?Zu der Frage von Gleichheit und Differenz, die da-mals ganz intensiv diskutiert worden ist, gehört einWeiteres: Wie gehen wir mit Unterschieden um? DerBegriff der Gleichwertigkeit ist zentral, aber kann teuf-lisch sein; denn er ist immer wieder mißbraucht worden,um aus Gleichwertigkeit Unterschiedlichkeit und Nach-rangigkeit abzuleiten. So kam es, daß unsere Rechtelange Zeit nicht selbstverständlich waren, sondern – wiemehrere Vorrednerinnen betont haben – abgeleitet. Ichsage: Es waren gewährte Rechte.In der Tat war es so, daß Gleichberechtigung unterdem Gesichtspunkt von Selbstbestimmung gegenFremdbestimmung betrachtet wurde. Selbstbestimmungist uns Frauen oft zum Vorwurf gemacht worden. Malhieß es: Das könnt ihr gar nicht verantworten; auchwenn ihr im familiären Bereich alles verantwortet, inden zentralen Fragen, wenn es um „Leben und Tod“geht, geht das nicht. Mal ist gesagt worden: Ihr nutzt dieSelbstbestimmung nur zur Selbstverwirklichung. Ichmöchte heute morgen einmal die Frage stellen, welcheFrauen die Chance zu dieser egoistischen Selbstver-wirklichung gehabt haben und ob sie dies in ihrer Mehr-heit gewollt haben. Denn jeder sieht, daß dies in dieIsolation führt und daß neben dem Ich das Wir ganz ent-scheidend ist – aber nicht im Sinne von Unterordnung,sondern von Gleichrangigkeit und Partnerschaft.
Von dieser Partnerschaft in der Gesellschaft sind wirnoch weit entfernt. Denn die Tradition ist bestimmt vonHerrschaft und Unterordnung. So hat auch die Weltpoli-tik ausgesehen: Sie war nicht nur von Ausgrenzung,sondern von Herrschaft und Unterordnung bestimmt.Die Ziele der Zukunft müssen heißen: Kooperation,Partnerschaft, Miteinander. Sonst ist das Desaster in derWelt vorprogrammiert.
Ich danke an diesem Morgen auch den Männern, inmeiner Fraktion jenen, die den Mut bewiesen haben,sich der Frauenfrage anzunehmen. Denn damit konnteman eigentlich keinen Blumentopf gewinnen.
Es ist gesagt worden: Wir brauchen die Frauen. Esdarf aber nicht nur heißen: „Wir brauchen sie“, sondernes ist eine Erfahrung von Erweiterung und Bereiche-rung, wenn Frauen und Männer gemeinsam an diesemThema arbeiten.Ich sage unserem Fraktionsvorsitzenden: Wir hättenschon früher eine Generalsekretärin verkraften können;
wir hätten auch schon früher eine Präsidentschaftskan-didatin verkraften können.
Kompetenzen haben den Frauen, insbesondere im Deut-schen Bundestag, nicht gefehlt; es gibt sie reichhaltig.Und die Frage: „Wo sind denn die Frauen, die sich in-teressieren?“ ist ein Killerargument, und wir sollten esnicht länger gelten lassen.
Ich möchte diesem Parlament aber noch einmal sa-gen: Frauen haben wie die sie unterstützenden Männerauch darauf geachtet, Eindimensionalität zu vermeiden.Gerade gegenüber meiner Partei ist häufig gesagt wor-den: Ihr habt ein völlig rückständiges Frauenbild, beieuch bewegt sich nichts. Ich denke, das, was wir mitein-ander gelernt haben, ist, daß es nicht genügt, nur einenBereich, den Erwerbsbereich, für die Frauen als den Ortder Gleichberechtigung und Emanzipation zu sehen. Un-sere Zukunftsaufgabe besteht vielmehr darin, den plura-listischen Lebenskonzepten und Lebensformen Gleich-rangigkeit – und, wie ich sage, Gleichwertigkeit – zuverschaffen.
Wir können nicht einen Bereich ausbauen und denanderen vernachlässigen. Die Männer haben sehr frühbegriffen, daß Frauen in den Familien und im Ehrenamtjenen sozialen Kitt in der Gesellschaft darstellen, demwir heute nachspüren und bei dem wir fragen: Wie stel-len wir ihn eigentlich her? Denn keine Gesellschaftkommt ohne das fürsorgliche, ohne das füreinander undmiteinander Eintreten aus.Deswegen kämpfen wir dafür, daß Frauen in allenPolitikbereichen vertreten sind, aber wir werden wederSoziales noch Familie, Kultur, Sport, Jugend, noch denPetitionsausschuß aufgeben. Dabei denke ich an Frauenwie Lilo Berger und Frau Nickels. Sie haben deutlichgemacht, daß es wichtig ist, wie Bürgerbelange unddiejenigen, die sich besonders benachteiligt fühlen, inunserem Parlament behandelt werden.Dr. Rita Süssmuth
Metadaten/Kopzeile:
4378 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Zur Globalisierung. Lassen Sie mich noch einmal sa-gen: Ich wünsche mir sehr viel mehr Frauen in Gremien,in denen über Globalisierung und Arbeitsplätze gespro-chen wird. Ich bitte auch den Bundeskanzler, nein, ichbitte ihn nicht nur, ich fordere ihn auf: Machen Sie darinihre Frauenministerin noch viel sichtbarer!
Die Frage von Zukunft der Arbeit ist eine Frage vonFrauen und Männern. Wir wissen: Bei der Bekämpfungvon Armut und Verstößen gegen Menschenrechte sowiein der Familienplanung kommt kein Land ohne dieFrauen aus.Es gibt zwar Bücher, in denen „Abschied von derMännergesellschaft“ steht, aber wir sind erst am Anfang.Wir brauchen wirklich partnerschaftliche Strukturen, indenen die Leistungen der Frauen sichtbar werden und indenen auch die Macht geteilt wird. Wir haben zwar un-seren Anteil, wenn auch mühsam durch die Quote – diemeisten hätten es sich demokratisch, ohne Quote, ge-wünscht –, erweitert, aber heute ist es an der Zeit, dieStrukturen zu verändern und uns Frauen wirklich jenenGestaltungseinfluß zu geben, den wir brauchen, wennwir die Welt verändern wollen.Wir wären in Fragen wie beispielsweise der Alterssi-cherung viel weiter, wenn dieses Thema schon früherein zentrales im Parlament gewesen wäre. Mit ein, zweiFrauen in den Ausschüssen verändern wir die Wirklich-keit nicht. Dies setzt einen bestimmten Anteil an Frauenund eine Priorität für das Thema voraus.Wir sind jetzt auf dem Weg, aber wie lange sollen dieFrauen noch warten, bis ihre Arbeit zu eigenständigerAlterssicherung führt? Dabei haben wir wichtigeSchritte in der Bewertung von Erziehungszeiten in derRente getan, aber wir können doch nicht bei drei Jahrenstehenbleiben.
Wie lange hat es gedauert, bis wir das überhaupt durch-gesetzt hatten? Das war Mitte der 80er Jahre.
– Warten Sie ruhig einen Augenblick ab.Ich habe eben schon gesagt, daß wir für rückständiggehalten wurden. Heute sagt niemand mehr, daß Erzie-hungsgeld oder Erziehungsurlaub – beides hat dieCDU/CSU eingeführt – etwas Rückständiges seien;vielmehr heißt es, das sei nicht genug. Ich erinneremich, wie wir dafür bekämpft worden sind. Nun solltenwir dies gemeinsam weiter ausbauen. Auch müssen diegroßen Debatten sowohl zur Bildungsreform als auchzur Rentenreform hier stattfinden, und zwar am liebstenohne Vorliegen eines Gesetzentwurfes, damit wir nichtpolarisieren, sondern gemeinsam Lösungen suchen kön-nen, ohne daß jeder seine Vorbedingungen zur Voraus-setzung für Zusammenarbeit macht.Ein Letztes möchte ich sagen. Das große Thema, daswir Frauen interfraktionell behandelt haben, war Ge-walt: individuell, kollektiv, Gewalt als Instrument desKrieges, Gewalt als Instrument der Beherrschung undUnterdrückung im höchst privaten Kreis, Gewalt anKindern. Unsere Gesellschaft ist nicht weniger gewalt-tätig. Wir haben zwar ein Tabu gebrochen und das Un-recht in das Strafrecht einbezogen; aber die Zivilgesell-schaft ist von Gewaltfreiheit noch weit entfernt. Deswe-gen glaube ich, daß es ganz wichtig war, das ThemaGewalt in der Weise, wie wir es getan haben, hier ein-zubringen. Auch bei diesem Thema sind wir also aufdem richtigen Wege.Wenn ich abschließend sage, daß es jetzt um Verän-derung der Strukturen geht, dann nenne ich folgendeBeispiele: Einen Rechtsanspruch auf einen Kindergar-tenplatz haben wir in den 90er Jahren durchgesetzt. Wirhaben zwar zunächst die Individualrechte gestärkt, abernicht gleichzeitig die Strukturen verändert. Das gleichegilt für einen weiteren Rechtsanspruch, dessen Fehlendie Frauen in den meisten Nachbarstaaten nicht begrei-fen: den Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung beiGrundschulkindern.
Dies setzt sich in der Frage fort, wie wir mit den Fa-milien- und Erwerbszeiten umgehen. Hier ist weit mehran Flexibilität der Arbeitszeiten möglich, als wir bisherdurchgesetzt haben. Zu den Strukturen gehört auch, daßes keine Gremien mehr geben darf, die nicht ihren be-stimmten Frauenanteil ausweisen. Ebenso genügt esnicht, daß wir in der Bundesanstalt für Arbeit eine Frau-enbeauftragte haben, wenn wir nicht Frauen, die in denFamilien gearbeitet haben, einen Rechtsanspruch aufFort- und Weiterbildung geben, der auch Zukunftsberufeumfaßt; anderenfalls benachteiligen wir diese Frauen,anstatt ihnen einen Bonus zu geben.Die jungen Frauen werden erwarten, daß wir alteThemen aufgeben. Aber die Wirklichkeit zeigt, daß wirnoch mit den alten Themen zu tun haben. Ich wünschemir für Frauen weiterhin nicht nur berufliche Qualifika-tion, Kompetenz und Selbstbewußtsein, sondern ichdenke auch an das, was hier heute morgen eindrucksvollgesagt wurde: Es muß ihnen selbstverständlich bewußtsein, daß es keine Demokratie gibt, ohne daß wir uns inihr engagieren und für ihren Erhalt und Ausbau kämp-fen. Wer meint, das Politische betreffe die anderen, eroder sie selbst könne unpolitisch sein, darf sich nichtwundern, wenn seine oder ihre Rechte verlorengehenund nicht erweitert werden.
Liebe Kolleginnen undKollegen, ich möchte darauf hinweisen, daß auch hier –wie im alten Bundestag in Bonn – ein Signallämpchenblinkt, wenn die Redezeit abgelaufen ist. Ich bitte Sie,das zu beachten.
Das Wort hat nun die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.Dr. Rita Süssmuth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4379
(C)
(D)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-ehrte Gäste, sehr geehrte Damen und Herren auf derBesuchertribüne! Wie meine Vorrednerinnen als Mit-initiatorinnen dieser heutigen Sonderveranstaltung freueich mich, daß Ihre Anwesenheit auf den Tribünen unsdie Möglichkeit gibt, sehr viel breiter und vielschichti-ger das nach außen zu transportieren, was wir zurFrauenpolitik und zu dem zu sagen haben, was Frauenbewirken können. Denn wir befinden uns zweifellos aneinem Zeitpunkt, der markiert ist durch den Umzug vonBonn nach Berlin – 50 Jahre nach der Konstituierungdes Deutschen Bundestages –, der eine Zäsur im Parla-mentarismus sein wird. Wir bekommen nicht eine neueRepublik. Wir werden aber hoffentlich mit noch sehrviel mehr Elan, Engagement und so mutig wie die Par-lamentarierinnen in den ersten 50 Jahren Forderungenund berechtigte Ansprüche von Frauen hier in diesemParlament artikulieren. Ich glaube, gerade wenn manliest, was Frauen in den ersten 50 Jahren, in einem ganzanderen gesellschaftlichen Umfeld, gefordert haben, wiesie aufgetreten sind, wie sie sich in einer Minderheiten-rolle ganz anderer Art als wir heute hier im Bundestagdurchsetzen mußten, wie sie in Wettbewerb um Positio-nen und wichtige Funktionen getreten sind, erkennt man,daß das etwas ist, das uns noch heute Vorbild sein kann.
Dem sollten wir – ohne Rücksicht darauf, was das allesnach sich ziehen kann – nacheifern.Der Topos Frauen und Politik ist – das zeigt dieheutige Debatte – nach wie vor ein Politikum. Frauen inder Politik werden nach wie vor als bemerkenswerte Er-scheinung rezipiert. Ihre relative Unterrepräsentanz wirdvon manchen als Resultat freier weiblicher Willensbil-dung, von anderen, zumal von Frauen, zu Recht als einErgebnis einer hinsichtlich der Partizipationschancenvon Frauen verzerrten und deshalb veränderungsbedürf-tigen gesellschaftlichen Wirklichkeit angesehen. Sonimmt es auch nicht wunder, daß sich das Nachdenkenüber das Wirken weiblicher Parlamentarier weniger aufihre Leistung bei der Lösung allgemeiner, geschlechts-neutraler politischer Probleme bezieht – wir haben heutemorgen noch einmal die Beweise dafür wahrnehmenkönnen, daß sie bei der Lösung solcher Probleme vielgebracht haben –, sondern sehr viel mehr auf ihren Bei-trag zur Änderung der zuungunsten der Frauen verzerr-ten gesellschaftlichen Realität.Aus diesem frauenpolitischen Blickwinkel kann mandas Wirken unserer Parlamentarierinnen gewiß als Ge-schichte vieler kleiner, aber auch großer Erfolge nacher-zählen. Nicht nur, daß – wie schon mehrfach betont –der Anteil der Parlamentarierinnen von 6,8 Prozent imJahre 1949 auf jetzt über 30 Prozent gestiegen ist.Schriebe man diesen etwa in der achten Legislaturperi-ode – 1976 bis 1980 – einsetzenden steilen Trend linearfort, so würden wir in der 21. Wahlperiode, also zirka imJahr 2030, einen Anteil weiblicher Bundestagsabgeord-neter haben, der dem Frauenanteil in der Bevölkerungentspräche. Das ist noch ein langer Weg. Aber ganz soschlecht ist das, was in den ersten 50 Jahren auf diesemGebiet geleistet wurde, nun auch nicht.Es sind erhebliche Verbesserungen in der Rechts-stellung der Frau erzielt und versteckt oder offen dis-kriminierende Vorschriften aus unserem Rechtssystementfernt worden, was ohne die ständig gewachseneweibliche Repräsentanz im Bundestag nicht – oder zu-mindest nicht derart durchschlagend – geschehen wäre.Ich muß hier nicht die Bilanz aufmachen: Familienrecht,ein verschärftes Recht beim sexuellem Mißbrauch, dieReform des § 218 in über 30 Jahren, eine verbesserteRahmensituation für die Erwerbstätigkeit von Frauenund die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehrAusbildung und mehr Möglichkeiten der Kinderbetreu-ung. Vieles ist verbessert worden.Nicht, daß frauenpolitisch nun nichts mehr zu tunbliebe. Dennoch befinden wir uns in einem Zustand, derFrauenpolitikerinnen schon eine gehörige Portion vonScharfsinn abverlangt, um die bestehenden Lücken undUnzulänglichkeiten in unserem Recht aufzuspüren, die –gewollt oder nicht gewollt – den Frauen und ihren Mit-wirkungs- und Entfaltungsmöglichkeiten zum Nachteilgereichen. Das heißt, wir haben heute eine Situation, inder die rechtliche Gleichberechtigung doch in weitenTeilen in unserer Gesellschaft durchgesetzt worden ist,und das ist eine erfreuliche Bilanz frauenpolitischer Er-folge der letzten 50 Jahre.Können wir nun diese Konsequenz mit Genugtuungund Zufriedenheit quittieren? Ich bin der Meinung, souneingeschränkt nicht, denn sie steht in einem deutli-chen, ja geradezu in einem krassen Gegensatz zur Situa-tion der Frau in unserer zivilgesellschaftlichen Wirk-lichkeit. Nüchtern müssen wir feststellen, daß sich trotzder gestiegenen Anzahl von Parlamentarierinnen an derfaktischen Benachteiligung von Frauen in vielen gesell-schaftlichen Bereichen kaum etwas, vielleicht nur Akzi-dentielles geändert hat. Nach wie vor ist der gesell-schaftliche Einfluß, den Frauen kraft ihrer gesellschaftli-chen Position ausüben, marginal. An den Schaltstellenvon Macht und Einfluß, Wirtschaft und Wissenschaft,aber genauso in Parteien und Verbänden wie in Behör-den sind Frauen in den entscheidenden Führungsetagenhoffnungslos unterrepräsentiert.Nach wie vor sind es Frauen, denen Unabhängigkeitstiftende Erwerbstätigkeit durch die ihnen auferlegtenPflichten in Familie, Haushalt und bei der Kindererzie-hung unmöglich gemacht oder bis zur Unzumutbarkeiterschwert wird. Nach wie vor sind es die Frauen, dievon ökonomischen Krisen, von Arbeitslosigkeit über-proportional betroffen werden, und nach wie vor sind esdie Frauen, auf die der zynische Begriff der Reservear-mee nicht ganz zu Unrecht angewendet werden kann.Es ist also nicht von der Hand zu weisen, daß sichhier ein Dilemma der Frauenpolitik andeutet, als sie sicheben als machtlos erweist, wenn es über die Verbesse-rung der Rechtsstellung von Frauen hinaus um die realeVeränderung traditioneller zivilgesellschaftlicher Struk-turen und Verhältnisse zugunsten von Frauen geht.Müssen wir vielleicht damit rechnen, daß trotz allerErfolge auf der politischen Ebene faktische Änderungen
Metadaten/Kopzeile:
4380 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
zugunsten von Frauen an der Widerständigkeit tradierterVerhaltensmuster und Rollenerwartungen und den dar-aus resultierenden gesellschaftlichen Machtstrukturenscheitern? Geraten wir in ein Dilemma, dem die zukünf-tige Frauenpolitik entweder durch einen kompensatori-schen Aktionismus oder durch eine die freiheitlich-rechtsstaatliche Grundnormen und Prinzipien mißach-tende Radikalisierung ihrer Forderungen entgehen kön-nen will? Beides wäre schlecht, auf lange Sicht schlechtfür unser gemeinsames Anliegen.Nicht alles, was vorgeblich und anscheinend denFrauen zugute kommt, ist auch geeignet, diesem Ziel zudienen. Manches dürfte sich geradezu gegenteilig aus-wirken, und hier sei beispielhaft nur die im politischenRaum angestellte Überlegung genannt, ein sogenanntesErziehungsgehalt für nichtberufstätige Mütter einzufüh-ren. Wem es wirklich – aus welchen Gründen auch im-mer – um die Stärkung und den Erhalt der Familie, ge-rade auch der kinderreichen Familie, geht, der wird nachfrauenpolitischen Lösungen suchen müssen, die den ge-rechtfertigten Anspruch der Frauen auf Unabhängigkeitund volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wozunun gerade die Erwerbstätigkeit gehört, mit einbeziehen,und der wird nicht Wege beschreiten, die das eher er-schweren oder versuchen unmöglich zu machen.
Versuche, durch Anreizsysteme Frauen auf ihre tra-dierte Rolle als Hausfrau und Mutter zu fixieren, werdenscheitern und an Unabhängigkeit und Teilhabe interes-sierte Frauen unwiderruflich in ihrem Drang bremsen,Kinderreichtum zu bescheren.Ebenso falsch wäre es allerdings, wenn sich die Frau-enpolitik angesichts ihrer noch nicht ausreichendenDurchschlagskraft radikalisierte und den Staat zumOberaufseher, zum Wächter oder Polizisten privater Le-bensgestaltungen machte. So verständlich die Enttäu-schung über die anscheinend unerschütterliche Rigiditätüberkommener zwischengeschlechtlicher Zustände undVerhältnisse sein mag – die zukünftige Frauenpolitikwäre schlecht beraten, würde sie unter der Flagge derGleichberechtigung in die Freiheits- und Selbstbestim-mungsrechte der Bürgerinnen und Bürger, also derFrauen und ihrer Lebenspartner, eingreifen. Die jüngstgeäußerte Idee, einen durchsetzbaren Anspruch auf Mit-arbeit des Lebenspartners im Haushalt zu gewähren,geht in diese Richtung. Auch das kann nicht der richtigeAnsatz einer zukünftigen Frauenpolitik sein.
Natürlich kommen wir auch künftig nicht ohne Frau-enförderpolitik aus. Dabei setze ich auf Chancen, dieuns auch Europa bieten wird. Denn in anderen europäi-schen Ländern – schauen wir gerade einmal in die skan-dinavischen – gibt es einen ganz anderen Grad desSelbstverständnisses und des Selbstbewußtseins, was diegleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen gesell-schaftlichen Bereichen angeht. Als Beispiel sei hier dasselbstverständliche, kostengünstige Netz von Betreu-ungseinrichtungen – ich beziehe mich noch einmal aufdie skandinavischen Länder – genannt. Von daher istEuropa auch für die Frage einer besseren Durchsetzungder Gleichberechtigung von Frauen für mich eine Rie-senchance. Wir müssen die Integration Europas nutzen,um in einer Charta der Grundrechte, in einer europäi-schen Verfassung Frauen die Grundlage dafür zu geben,daß sie auch unter Ausnutzung des Wettbewerbes dereuropäischen Gesellschaften mehr für sich erreichen, alses bisher der Fall war. Die Anregungen und Vorschläge,die das Europäische Parlament macht, sind, denke ich,sehr wohl geeignet, daß wir sehr fruchtvoll und sehr er-folgreich in der Zukunft wirken können.Wir brauchen neben einer Politik für Frauen aberauch eine Politik der Frauen.
Das heißt, daß Frauen sehr viel stärker, als sie es bishererfolgreich etwa beim § 218, bei Art. 3 Abs. 2 des Grund-gesetzes oder in der Frage der Vergewaltigung in der Ehegetan haben, interfraktionell Meinungen bilden und dasauch auf Themenbereiche ausdehnen können, die nichtauf den ersten Blick frauenrelevant sind. Dann können sieversuchen, mit sehr viel mehr Druck und Einfluß denProzeß der Meinungsbildung voranzubringen.Wenn wir uns manche Beratung der letzten Jahre an-schauen und uns überlegen, was vielleicht anders ent-schieden worden wäre, wenn Frauen die Mehrheit imBundestag gehabt hätten, dann werden wir einsehen, daßsehr viel früher eine steuerliche Freistellung des Exi-stenzminimums erreicht worden wäre, daß sehr viel frü-her gerade die von meiner Kollegin und finanzpoliti-schen Expertin Gisela Frick ausgearbeiteten Vorschlägezur Weiterentwicklung des Ehegattensplittings hin zueiner Ergänzung um eine Familienkomponente in dieGesetze Eingang gefunden hätten. Darauf hätten sich dieFrauen in der Mehrheit mit Sicherheit verständigt.
Auch die Verpflichtung des Staates zur Bereitstellungeiner ausreichenden Zahl von Kindergartenplätzen wärefrüher gekommen. Wahrscheinlich hätten wir die Ge-genfinanzierung für kostenintensive sozialpolitischeMaßnahmen bei manchen gigantischen Projekten ausanderen Bereichen gemeinsam gefunden. Die Bekämp-fung des internationalen Frauenhandels wäre durcheinen sehr viel umfangreicheren Einsatz von Zeugen-schutzprogrammen für die zur Prostitution gezwungenenFrauen und durch einen flexibleren Umgang mit auslän-derrechtlichen Bestimmungen mit Sicherheit früher ver-bessert worden. Es gäbe mehr Selbständigkeit von Frau-en, weil es nicht die unberechtigten Vorbehalte gegen-über der Fähigkeit von Frauen gäbe, eine eigene wirt-schaftliche Existenz zu gründen und dafür auch Unter-stützung zu bekommen. Denn alle Untersuchungen zei-gen: Frauen sind auf alle Fälle die pünktlichen und frist-gerechten Rückzahler bei Darlehen, die sie im Rahmendieser Programme erhalten haben.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4381
(C)
(D)
Wir hätten darüber hinaus schon längst den freiwilli-gen Dienst von Frauen in der Bundeswehr ermöglicht.Wir hätten stärker nichtstaatliche politische Verfolgungals Asylgrund anerkannt, weil das gerade Frauen betrifft,die in Gesellschaften, in denen Menschenrechte undFrauenrechte nicht beachtet werden, diskriminiert wer-den und deren Menschenwürde im Kern verletzt wird.Ferner hätten wir vielleicht die Selbstmandatierung derNATO zur Intervention in Krisengebieten und auch dievorgesehenen Änderungen in der NATO-Strategie kriti-scher bewertet und hätten gefragt: Welche Konsequenzhat eine Entscheidung, die man in einer schwierigenSituation trifft, für die nächsten Jahre? Wenn wir unsmit Ost-Timor beschäftigen, dann, glaube ich, merkenwir, wie in diesem Fall die Debatte anders geführt wirdals früher.
Mit dieser Liste nur beiläufig zustande gekommenersubjektiver Einschätzungen möchte ich zum Ausdruckbringen, daß gerade politikrelevante, frauenspezifischeHaltungen und Wertungen vielschichtig sind und sichnicht, wie es heute gern getan wird, auf das reichlichverfängliche Stereotyp einer besonderen sogenanntensozialen Kompetenz festlegen lassen.
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an die Redezeit.
Machen wir, meine Damen und Herren, eine Politik der
Frauen – und dann mit Überzeugung gemeinsam mit den
Männern in diesem Parlament, damit das, was wir alle
auf der Agenda haben, am Ende dieser Legislaturperiode
nicht mehr nur eine Vorstellung bleibt, sondern Realität
geworden ist!
Vielen Dank.
Jetzt erteile ich der
Kollegin Petra Bläss, PDS-Fraktion, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Liebe ehemalige Parlamentarie-rinnen! Liebe geladene Frauen auf der Zuschauerinnen-und Zuschauertribüne! Als vor 50 Jahren die erstenFrauen im Deutschen Bundestag ihre Arbeit aufnahmen,waren sie noch eine kleine Minderheit im Parlament. Siehatten gegen ein öffentliches Bild anzukämpfen, dasFrauen als Mütter und treusorgende Ehefrauen zeigteund nicht als politisch und wirtschaftlich eigenständigePersonen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Da-bei waren es die Frauen, die den Wiederaufbau nachKriegsende vorantrieben, die Trümmer wegräumten undsozialen Zusammenhalt organisierten. Elisabeth Selbertbrauchte wäschekörbeweise Eingaben von anderenFrauen, um im Grundgesetz wenigstens die verfassungs-rechtliche Gleichberechtigung von Männern und Frauendurchzusetzen. Verfassungswirklichkeit wurde sie damitnoch lange nicht. Sie ist es bis heute nicht.
Das Frauenbild heute ist ein völlig anderes als vor50 Jahren. Es ist bei weitem nicht einheitlich: Selbstbe-wußte, selbständige Frauen als Gewinnerinnen auf dereinen Seite stehen aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten,ökonomisch abhängigen Verliererinnen auf der anderenSeite gegenüber. Was hart erkämpft wurde und sich alsnotwendiges Instrument für die Gleichstellung der Ge-schlechter erwiesen hat, erscheint vielen heute als alterZopf.Frauenförderung und Quotierung, so höre ich oft,seien Hilfsmittel für diejenigen, die es nötig hätten. Weitgefehlt! Wenn wir nach der realen Verteilung von Machtund Einfluß in der Gesellschaft fragen, zeigt sich, daßwir seit Jahrzehnten Quoten haben. Die Männerquotebei den Professuren beträgt über 90 Prozent, bei denFührungspositionen in der Wirtschaft und im öffentli-chen Dienst über 80 Prozent, in den allerhöchsten Füh-rungspositionen sogar 97 Prozent. Auch die Bundesre-gierung liegt zu 75 Prozent noch immer in Männerhand.Selbst hier im Parlament haben wir noch eine Männer-quote von knapp 70 Prozent.Zweifellos haben Mädchen und Frauen im Ausbil-dungssektor erheblich aufgeholt. Dennoch liegt dieMännerquote in besonders zukunftsträchtigen Studien-gängen wie Maschinenbau, Elektronik und Informatikbei rund 90 Prozent. Das bedeutet Ausgrenzung vonjungen Frauen aus zukunftsträchtigen Berufen. 1997 be-trug die Männerquote bei den geringfügig Beschäftigten25 Prozent und bei den Teilzeitbeschäftigten geradeeinmal 12 Prozent.Helene Weber forderte in ihrer Rede im DeutschenBundestag am 2. Dezember 1949: „Wir verlangen underwarten gleichen Lohn für gleiche Leistung.“ DieseForderung hat bis heute nichts, aber auch gar nichts vonihrer Aktualität verloren. Frauen verdienen noch immerrund ein Viertel weniger als Männer; in einigen Bran-chen ist der Abstand noch größer. Selbst wenn sie diegleiche Ausbildung haben, verdienen Frauen weniger alsMänner. Das Risiko von Akademikerinnen, Jobs weitunterhalb ihrer Qualifikationsstufe annehmen zu müs-sen, ist doppelt so hoch wie das ihrer männlichen Kolle-gen.Selbstverständlich erkenne ich auch die Erfolge an.Ja, heute gibt es mehr Frauen in den Parlamenten, nichtnur hier im Bundestag, als je zuvor. Frauen haben es bisin die höchsten Ebenen geschafft. Zwei ehemalige Bun-destagspräsidentinnen haben heute schon zu uns gespro-chen. Ihnen und vielen anderen hat geholfen, daß dieneue Frauenbewegung der 70er Jahre die Politik ganzentscheidend beeinflußt hat.Meine Damen und Herren, Frauenpolitik ist zu einemwahlentscheidenden Faktor geworden.
Ohne Quoten wären wir heute nicht so weit; denn kaumein Mann ist bereit, freiwillig auf Macht und Privilegienzu verzichten. Frauen, die sich durchgesetzt haben, zah-Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Metadaten/Kopzeile:
4382 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
len in der Regel einen hohen Preis. Sie passen sich ent-weder erbarmungslos dem männlichen Karrieremusteran, oder sie gelangen nicht an die Spitze der Stufenleiter.Dort nämlich ist kein Platz für Familie. Kinder gehörennoch immer nicht in die Welt der Karrieren.Die Ellenbogengesellschaft dominiert. Werte wie So-lidarität und ziviles Miteinander, ohne die unsere De-mokratie nicht leben kann, bleiben auf der Strecke.Auch wenn uns die Medien oftmals die zuckersüße Weltdes Lifestyle verkaufen wollen, ist es für mich ein Trug-schluß, daß dies das Erstrebenswerte sein soll. Das hatnichts, aber auch gar nichts mit der Realität hierzulandezu tun.
Niemand ist hundertprozentig flexibel, verfügbar undmobil. Tatsächlich gibt es nur wenige Frauen, die in derBundesrepublik trotz kleiner Kinder die Spitze dieserLeiter erreicht haben. Der Anteil der Männer, die Erzie-hungsurlaub nehmen, liegt nach wie vor bei 2 Prozent.Jüngste Untersuchungen zeigen, daß Männer im soge-nannten Familienalter gerade ein Fünftel ihrer Zeit fürFamilie und Freizeit aufbringen, vier Fünftel für den Be-ruf. Frauen im gleichen Alter müssen dagegen60 Prozent ihrer Zeit für die Familie und können nur 40Prozent für den Beruf verwenden.Keineswegs kann man in der Arbeitswelt von heutefrauen- und familienfreundliche Rahmenbedingungenerkennen. Doch die Vereinbarkeit von Berufsarbeit mitErziehungs- und Pflegearbeit ist der Dreh- und Angel-punkt des Geschlechterverhältnisses. Wenn Frauen nichtum ihre Rechte kämpfen und Männer ihr Verhalten nichtändern, wird sich an diesem antiquierten Zustand nichtsändern.Zukunft ist für mich nicht in erster Linie mehr Ge-winn, mehr Macht und mehr Prestige. Zukunft ist fürmich ein solidarisches und friedliches Miteinander. Zu-kunft ist für mich Chancengleichheit für alle, unabhän-gig von ihrer Herkunft.
Doch genau das wirft der derzeit Hochkonjunktur ha-bende Neoliberalismus über den Haufen. Der Neolibe-ralismus als Idee ist ein in sich geschlossenes, scheinbarunfehlbares System. Das macht ihn offenbar für vieleMenschen in Politik und Wirtschaft attraktiv und zu-gleich unangreifbar. Arbeitslosigkeit und Armut entste-hen nach dieser Theorie prinzipiell dadurch, daß Refor-men nicht konsequent durchgesetzt werden oder daß dieMenschen schlicht selber schuld an ihrem Schicksalsind. Löhne sind nach dieser Theorie zu hoch, Soziallei-stungen zu umfangreich und die Bedingungen für dieUnternehmen am jeweiligen Standort zu ungünstig.Tatsächlich ist der Neoliberalismus nur eine Ideolo-gie. Er beantwortet eben nicht eine der zwingenden glo-balen Fragen. Statt dessen sind die Menschen inzwi-schen weltweit zum Wettbewerb „Jeder gegen jeden“gezwungen. Länder, die einmal Standortvorteile errun-gen hatten, versinken nach wenigen Jahren des Wirt-schaftsaufschwungs wieder in Armut und Elend. Unter-nehmen wandern in noch billigere Länder ab.Die Folgen tragen einmal mehr die Schwächsten.Häufig sind es junge Frauen, die unter menschenunwür-digen Bedingungen für sehr, sehr wenig Geld14 Stunden am Tag – und das 7 Tage in der Woche – inden Exportfabriken arbeiten müssen. Diese Frauen ha-ben häufig keinerlei Rechte und können sich nur untersehr großen Gefahren organisieren.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Anzeichendafür, daß solche Verhältnisse global zur Normalitätwerden. Gewerkschaftliche Errungenschaften wie Flä-chentarife werden in der Bundesrepublik zur Dispositiongestellt. In vielen Gebieten, vor allem in den neuenBundesländern, sind die Löhne längst ins Bodenlose ge-sunken. Stundenlöhne von 5 oder 6 DM sind keine Sel-tenheit, sondern Normalität. Am unteren Ende sitzenFrauen, vor allem Frauen ohne deutschen Paß. Neulichhörte ich von einem Textilbetrieb in Mainz, der portu-giesischen Arbeiterinnen sage und schreibe 3,98 DM proStunde zahlte. Für diese Frauen sind die Diskussionenüber die Ausweitung von Niedriglohnsektoren im Rah-men des Bündnisses für Arbeit der reine Hohn.
Soziale Ungleichheit ist im neoliberal bestimmtenöffentlichen Diskurs kein Problem, sondern soll sogarfür gesellschaftliche Dynamik sorgen. So will es die Lo-gik der Marktkräfte. Doch ich frage mich oft, welcheKonsequenzen ein solches Denken für unsere Kulturhat. Die kulturelle, soziale und wirtschaftliche Zukunftunserer Gesellschaft wird entscheidend davon abhängen,ob die junge Generation genügend Chancen hat, sich zubilden und auszubilden, und zwar unabhängig von Ge-schlecht, sozialer Herkunft und Staatsangehörigkeit. DerAnteil von Studierenden aus unterprivilegierten sozialenVerhältnissen ist in den letzten Jahren zurückgegangen.Es sollte ein Alarmzeichen für alle sein, wenn ein Studi-um wieder denjenigen vorbehalten bleibt, deren Elternes sich finanziell leisten können. Ich bin fest davonüberzeugt, daß es ein Irrglaube ist, zu meinen, Demo-kratie sei allein nach dem Marktprinzip organisierbar.Im Gegenteil: Soziale Ungerechtigkeit greift die Basisunserer Demokratie an.
Wie zwingend es ist, um unsere Demokratie jeden Tagaufs Neue zu ringen, haben wir am letzten Wochenendebei den Landtagswahlen in Brandenburg erlebt: Einerechtsradikale Partei ist mit populistischen, menschenver-achtenden Sprüchen auf offene Ohren gestoßen. Und alledemokratischen Parteien haben den Ernst der Lage augen-scheinlich zu spät erkannt. Um so mehr verpflichten uns50 Jahre Grundgesetz, heute stärker denn je über Erhaltund Weiterentwicklung der Demokratie im nächstenJahrhundert zu diskutieren und zu streiten. Dabei muß dieTeilhabe von Frauen zentral sein. „Eine Demokratie, dieLebenslagen und Interessen von Frauen in der politischenPraxis permanent ignoriert und die zugleich deren poli-tische Teilhabe auf ein Minimum reduziert, steht auftönernen Füßen“, so die Sozialwissenschaftlerin BeatePetra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4383
(C)
(D)
Hoecker. Ich meine, sie hat recht. Eine demokratischeGesellschaft muß sich also daran messen lassen, wie siesoziale Sicherheit organisiert, wie sie Arbeit – und zwarbezahlte und unbezahlte – verteilt und wie Ansprüche andas Sozialprodukt entstehen, wenn die traditionellen For-men der bezahlten Arbeit seltener werden. Sie muß diegesamte Lebensleistung von Frauen und Männern einbe-ziehen, wenn es um diese Frage geht.Eine demokratische Gesellschaft muß sich daranmessen lassen, wie sie mit dem Selbstbestimmungs-recht der Frau verfährt. Die Diskussion um den § 218des Strafgesetzbuches hat vielleicht an Lautstärke ab-genommen, aber sie ist aktueller denn je. Denn in die-sem Punkt ist das Selbstbestimmungsrecht einer jedenFrau berührt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hier im Parlamentsind gefordert, klare Verhältnisse für alle Frauen zuschaffen und verfassungsfeste Wege zu finden, um die-sen unseligen Paragraphen endlich aus dem Strafgesetz-buch zu streichen.
Zu einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft ge-hört, daß Frauen sich frei entscheiden und daß sie überihr Leben selbst bestimmen können.Die Frauenkonferenz des Internationalen BundesFreier Gewerkschaften stellte kürzlich in Rio fest, dieGlobalisierung bedeute eine Katastrophe für Frauen.Die jüngsten Wirtschaftskrisen hätten erneut unter Be-weis gestellt, daß in erster Linie Frauen vom Arbeits-markt verdrängt werden. In Rußland zum Beispiel sind70 Prozent der Arbeitslosen Frauen. In Brasilien kannein Drittel aller beschäftigten Frauen nur noch als Haus-angestellte arbeiten – zu Niedriglöhnen und ohne sozialeAbsicherung.Im „Schröder-Blair-Papier“ lese ich: „Teilzeitarbeitund geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Ar-beit.“ Vom Anspruch, qualifizierte und gut bezahlte Ar-beit zu organisieren, rücken die Regierenden mehr undmehr ab. Augenscheinlich geht es nicht in erster Linieum die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, sondernvor allem um die Interessen der Wirtschaft. Ost-deutschland dient dabei hierzulande als arbeitsmarkt-und wirtschaftspolitisches Experimentierfeld. Zehn Jah-re nach dem Fall der Mauer hat nur noch die Hälfte derostdeutschen Frauen bezahlte Arbeit. Wenn es nach demWillen der Herren Biedenkopf und Stoiber ginge, könn-ten noch mehr Frauen zu Hause bleiben und sich umHeim und Herd kümmern. Denn die Herren haben aus-gemacht, daß die „ungebrochene Erwerbsneigung“ ost-deutscher Frauen schuld an der Arbeitsmarktmisere ist.
In der DDR waren 91 Prozent der Frauen berufstätig.
Auch wenn sich die meisten von ihnen bewußt für dieBerufstätigkeit entschieden hatten, waren in erster Liniesie es, die die Haus- und Erziehungsarbeit zu erledigenhatten. Aber die Frauen hatten eine eigenständige, sozialabgesicherte Existenz. Davon sind wir heute weit ent-fernt.
Nehmen wir einmal die Renten. Noch immer erhal-ten 87 Prozent aller westdeutschen Rentnerinnen weni-ger als 1 500 DM aus der gesetzlichen Rentenversiche-rung, 42 Prozent gar weniger als 600 DM. Ich braucheIhnen nicht zu erklären, daß man von 600 DM im Monatnicht in Würde leben kann. Frauen mit solch niedrigenRenten sind entweder von ihren Männern oder vonÄmtern abhängig. Sie wissen alle, daß der Gang zumSozialamt gerade für ältere Frauen eine erhebliche Hür-de darstellt.Wir brauchen aber eine politische Kultur, in der jederund jedem klar ist, daß sie oder er ein Recht auf sozialeExistenzsicherung hat. Dieses Recht muß ein sozialesBürgerinnen- und Bürgerrecht unabhängig von Ge-schlecht und Staatsangehörigkeit sein. Das – so scheintmir – paßt in keine neoliberale Strategie. Wenn dieseGesellschaft eine Zukunft haben soll, müssen wir eineandere politische Strategie einschlagen, eine feministi-sche Strategie. Die ist mehr als bloße Gleichstellungs-politik. Sie muß alle Politikfelder durchdringen. SozialeGerechtigkeit muß endlich Leitmotiv der Politik werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die 5. UN-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 wird zu Recht alsMeilenstein im Kampf um die Rechte der Frauen be-zeichnet. Auf ihr hat sich auch die Bundesregierung ver-pflichtet, der Diskriminierung von Frauen auf allen Ebe-nen ein Ende zu machen. Gertrude Mongella, die Gene-ralsekretärin der 5. UN-Weltfrauenkonferenz, hat sei-nerzeit deren Beschlüsse als Ausgangspunkt einer so-zialen Revolution und kritischen Wendepunkt in der Ge-schichte der Menschheit bezeichnet. Ich denke, wir sindgefordert, das jetzt endlich umzusetzen.Ich danke Ihnen.
Nun erteile ich derBundesministerin für Frauen – ich nenne dies bewußtzuerst –, Familie, Senioren und Jugend, Frau ChristineBergmann, das Wort.Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste!Was Frauen in 50 Jahren Deutscher Bundestag bewegthaben und was sie bei ihrem politischen Engagementselbst bewegt hat, ist uns heute schon sehr eindrucksvollund für mich auch sehr bewegend vor Augen geführtworden.Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
4384 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Für mich wurde aus dem Gesagten vor allem eineswieder klar: Frauen ist auf diesem Weg nichts geschenktworden. Sie haben um jeden Zentimeter, den sie in un-terschiedlichen Lebensbereichen an Boden gewonnenhaben, hart gerungen. Sie haben es für sich getan, siehaben es für ihre Töchter in dem Bewußtsein getan, daßeine menschlichere demokratische Gesellschaft diegleichberechtigte Teilhabe von Frauen erfordert. Füruns ist wieder klargeworden: Wir stehen immer auch aufden Schultern unserer Vorgängerinnen. Ich bin sehrdankbar für die Vorgängerinnen, die wir in dem Bereichgehabt haben.
Ich möchte noch ein Stückchen weiter zurückgehen.Vor gut 80 Jahren, am 19. Februar 1919, sprach erstmalseine Frau, die Sozialdemokratin und spätere Begründe-rin der Arbeiterwohlfahrt Marie Juchacz, vor einemdeutschen Parlament. Wenige Wochen vorher konntensich die Frauen in Deutschland erstmals an Wahlen be-teiligen und ihr für uns heute selbstverständlichesWahlrecht ausüben.Marie Juchacz begann ihre Rede mit der Bemerkung:Ich möchte hier feststellen, daß wir deutschenFrauen dieser Regierung, die das Frauenwahlrechteinführte, nicht etwa in dem althergebrachten SinneDank schuldig sind.Was diese Regierung getan hat, das war eineSelbstverständlichkeit; sie hat den Frauen gegeben,was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten wor-den ist.Ich denke, das gilt noch immer für das, was wir habenwollen und was uns noch immer zu Unrecht vorenthal-ten wird.
Inzwischen haben wir gelernt: Allein die rechtlicheGleichstellung sichert noch nicht die gleichberechtigteBeteiligung von Frauen an gesellschaftlichen Entschei-dungsprozessen. Intervention – auch staatliche – ist nachwie vor unverzichtbar, wenn es darum geht, Chancen-gleichheit zwischen den Geschlechtern zu verwirkli-chen.Ich möchte noch einige Bemerkungen zu etwas ma-chen, das heute noch nicht zur Sprache gekommen ist:Wenn wir heute den Blick auf 50 Jahre Wirken der Par-lamentarierinnen im Deutschen Bundestag richten, dannist es für mich als eine Frau, die den ersten bis letztenTag der DDR miterlebt hat, wichtig, darauf hinzuwei-sen, daß wir Frauen in Deutschland uns in sehr unter-schiedlichen Lebenssituationen befunden haben. Das giltfür die Zeit der Trennung, das gilt aber auch für die Zeitdanach. In einer Diktatur wie der DDR mit Scheinpar-lament, ohne politischen Wettbewerb von Parteien undohne die freie Wahl von Volksvertreterinnen und Volks-vertretern stellt sich nämlich die Frage nach der Beteili-gung von Frauen und nach ihrer Gestaltungsfähigkeit imparlamentarischen Raum so nicht. Das Geschlecht der-jenigen, die die ZK-Beschlüsse abnickten, war wirklichnicht von Bedeutung.In einer Gesellschaft wie der DDR, in der die Über-nahme zum Beispiel von Leitungsfunktionen in der Re-gel nur um den Preis einer verstärkten Anpassung zu er-reichen war, wurde der Geschlechterkonflikt durch an-dere massive Macht- und Unterdrückungskonstellatio-nen überlagert.
Ein Blick auf die absolute Männerdominanz in dendie Geschicke der DDR bestimmenden Gremien zeigtden Widerspruch zwischen der verkündeten Durchset-zung der Gleichberechtigung und der Weigerung, im ei-genen Machtbereich damit ernst zu machen; ganz zuschweigen davon, daß die Namen von Frauen der prole-tarischen Frauenbewegung, wie Clara Zetkin und RosaLuxemburg, zwar gern im Mund geführt wurden, es aberfür DDR-Bürger und -Bürgerinnen nicht unbedingt rat-sam war, deren Vorstellungen einer menschlicheren Ge-sellschaft für die DDR zu reklamieren. Ich erinnere dar-an, wie es Demonstranten und Demonstrantinnen erging,die Rosa Luxemburgs Wort von der Freiheit der An-dersdenkenden auf ihren Transparenten vor sich hertru-gen.Ich glaube, es gehört auch zu dieser Stunde, daß mandaran erinnert, wie wenig GestaltungsmöglichkeitenFrauen in der DDR-Geschichte im parlamentarischenRaum hatten – Männer übrigens auch nicht –; das isteben so in einer Diktatur.
Ich komme jetzt noch zu einem anderen Punkt: Aufder anderen Seite gab es einen tatsächlichen Gleich-stellungsvorsprung von Frauen in bezug auf Erwerbs-arbeit; das wurde übrigens auch von allen Soziologenkonstatiert. Bis heute ist die Erwerbsquote von Frauenin Ostdeutschland höher als die in Westdeutschland,und im Rahmen des Transformationsprozesses sindviele Frauen zu Haupternährern der Familie geworden.Das Einkommen der Frauen macht heute in den neuenBundesländern knapp 50 Prozent des Haushaltsein-kommens aus; in den Altbundesländern sind es etwa30 Prozent. Das hat natürlich Einfluß auf die Ge-schlechterbeziehungen. Denn ökonomische Unabhän-gigkeit ist nicht nur für den Fall gut, daß eine Partner-schaft scheidet; sie ist auch für die Gestaltung einerPartnerschaft gut.
Nicht umsonst weisen wir immer auf die Rolle der Er-werbsarbeit hin. Ich komme nachher noch darauf zusprechen.Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4385
(C)
(D)
Bei allen Schwierigkeiten, die ostdeutsche Frauen –übrigens auch Männer – auf dem Arbeitsmarkt haben,gibt es keine Hinwendung zu einem traditionellen Ge-schlechtermodell. Es spricht für das ungeheure Durch-haltevermögen und den wohlverstandenen Eigensinn derostdeutschen Frauen, wenn sie dem gewaltigen Druck,sie an den Rand des Arbeitsmarktes oder gar hinaus zudrängen, standhalten.Was ostdeutsche Frauen nach der Wende erlebt ha-ben, ist, historisch gesehen, nicht neu. Die Akzeptanzweiblicher Erwerbsarbeit hing immer davon ab, obFrauen auf dem Arbeitsmarkt benötigt wurden odernicht. Wurden sie benötigt, war nämlich die passendeIdeologie immer da.Damit sind wir an einem zentralen Punkt der Gleich-stellung. Die Ursachen sowohl für politische als auch fürsoziale Ungleichheiten, auf die ich hier im einzelnennicht eingehen kann, liegen vor allem in der ge-schlechtsspezifischen Arbeitsteilung und dem damitzusammenhängenden Rollenverständnis. Das eine istuntrennbar mit dem anderen verbunden. Deshalb ist esso notwendig zu sagen, was wir an dieser Arbeitsteilungund dem Rollenverständnis verändern müssen. Wir dür-fen die Rückwärtsentwicklung nicht zulassen, daß dieArbeitsteilung, die zu Lasten der Frauen geht, noch sta-bilisiert wird.
Noch immer gilt – das ist angesichts hoher Frauener-werbsbeteiligung um so skandalöser –, daß Erziehungs-und Familienarbeit in aller Regel von Frauen geleistetwird. Während Männer den Rücken für ihre beruflicheKarriere freigehalten bekommen, haben Frauen im Kon-kurrenzkampf die schlechteren Karten, auch wenn ihnenformal alle Möglichkeiten offenstehen.Diskriminierungen abzubauen kann sich deshalbnicht darin erschöpfen, daß wir den Frauen den Zugangzum Arbeitsmarkt erleichtern, zum Beispiel durch ver-besserte Qualifikationen; das ist natürlich auch wichtig.Wir müssen endlich ernst machen mit dem so oft ange-mahnten neuen Geschlechtervertrag, mit der Verände-rung tiefsitzender Rollenklischees und geschlechtsspezi-fischer Arbeitsteilung.
Da ich heute viel in dieser Richtung gehört habe, solltenFrauen das nun gemeinsam vorantreiben.Das ist Voraussetzung dafür, daß Frauen ihre Mög-lichkeiten auch umsetzen können. Aber wir wissen: Einsolcher Bewußtseinswandel ist schwieriger durchzuset-zen als zum Beispiel ein Existenzgründungsprogrammfür Frauen. Trotzdem werden wir hier nicht lockerlas-sen.Wie das von Männern selbst eingeschätzt wird, kannman von Daniel Goeudevert hören, einem Manager, wiewir wissen, aus der Autoindustrie. Ich will Ihnen dasZitat einmal vortragen; es ist nämlich sehr schön. Ersagte vor einiger Zeit:Ich halte Frauen inzwischen für sozial kompetenterund teamfähiger als Männer,
sie kommen schneller auf den Punkt– auch das haben wir alle schon erlebt –und haben eine deutlich niedrigere Neigung zumGeschwätz.
Aber Frauen– so sagt er weiter –kommen nicht durch, solange Männer ihnen denWeg nach oben freimachen müßten. Und die wer-den den Teufel tun.Ökonomisch ist die Benachteiligung von Frauenkontraproduktiv. Auch das müßte sich mittlerweile her-umgesprochen haben. Warum wir hier nicht schnellervorankommen, kann mir niemand erklären. Daß einhohes Qualifikationsniveau von Frauen und eine stei-gende Erwerbstätigkeit Katalysatoren für eine dyna-mische Wirtschaft sind, gilt heute ja nicht nur für dieentwickelten Industrieländer, sondern global. Wirbrauchen also einen Bewußtseinswandel, der dazuführt, daß die Gleichstellung von Frauen in den Köpfender Männer ankommt. In dieser Beziehung haben wirin Deutschland noch eine Menge zu tun. Deshalb habenwir einen Schwerpunkt mit unserem Programm „Frauund Beruf“ gesetzt, über das wir heute noch redenwerden.Heute nehmen nur knapp 2 Prozent der Väter in derBundesrepublik Deutschland Erziehungsurlaub in An-spruch – und dies, obwohl viele Männer verbal durchausfür mehr Gleichberechtigung bei der Kindererziehungeintreten. Diese Kluft hat der Soziologe Ulrich Beck als„verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhal-tensstarre“ bezeichnet. Wir wissen also, wo wir ansetzenmüssen:
Wir brauchen neben einer flexibleren Gestaltung des Er-ziehungsurlaubs, die wir jetzt angehen werden, eineKampagne zur stärkeren Einbeziehung der Männer indie Erziehungsarbeit. Die Voraussetzungen, die Frau-en heute mitbringen, sind so gut wie nie zuvor: Noch niehatten wir so viele qualifizierte Frauen in so vielen Be-reichen. Noch nie hatten wir so viele Frauen, die sich indie gesellschaftliche Debatte um die zukünftige Ausge-staltung der Arbeitswelt einmischen und die Chancender Umgestaltung für sich nutzen wollen.
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
Metadaten/Kopzeile:
4386 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Noch nie hatten wir so viele junge Frauen, die ihregleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft alsselbstverständlich betrachten. Noch nie hatten wir soviele Frauen, die über alle weltanschaulichen und politi-schen Grenzen hinweg bei ihrem Weg durch die männ-lich dominierten Institutionen Erfahrungen gemacht ha-ben, die sie nachfolgenden Frauen vielleicht ersparenmöchten. Lassen Sie uns diese Erfahrungen nutzen, umnational und transnational neue Handlungsebenen in derFrauenpolitik auszuloten, um den Blick auch auf Spiel-räume jenseits staatlicher Institutionen zu richten undum auch neue Bündnisse zu schmieden; denn es giltnoch immer, was Louise Otto-Peters vor 150 Jahren ge-sagt hat:… die Geschichte aller Zeiten hat es gelehrt und dieheutige ganz besonders, daß diejenigen, welcheselbst an ihre Rechte zu denken vergessen, auchvergessen werden.Das wollen wir uns doch nicht nachsagen lassen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Bärbel Sothmann.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Als Olympe de Gouges, die großeKämpferin für die Rechte der Frauen in der Französi-schen Revolution, erklärte „Die Frau ist frei geboren“,war dies für die damalige Zeit sensationell. Heute er-scheint uns das selbstverständlich – dank der zahlrei-chen Vorkämpferinnen, die den Frauen den Weg zumehr Gleichberechtigung geebnet haben. Wir könnenauf die Leistungen und Erfolge stolz sein, die Frauen inden letzten Jahrzehnten in allen Bereichen des gesell-schaftlichen Lebens erreicht haben. Unsere Vorreite-rinnen in Sachen Emanzipation haben vor 80 Jahrendas Wahlrecht für die deutschen Frauen erstritten. Dieoft vergessenen Mütter des Grundgesetzes – das habenwir heute schon gehört – setzten vor 50 Jahren gegenganz massiven Widerstand die Festschreibung derGleichberechtigung in Art. 3 unseres Grundgesetzesdurch.Ich begrüße es deshalb sehr, daß wir anläßlich des50jährigen Bestehens des deutschen Parlaments beson-ders an den Einsatz und auch an den Einfluß der Frauenim Deutschen Bundestag erinnern. –Wir danken den Zeitzeuginnen.Ich erinnere hier – stellvertretend für viele – nur nocheinmal an einige herausragende Parlamentarierinnen dervergangenen Jahre. Dr. Marie Elisabeth Lüders warAlterspräsidentin des zweiten und dritten DeutschenBundestages. Sie war übrigens schon damals davonüberzeugt, daß ein gesamtdeutsches Parlament künftigwieder in Berlin tagen wird – und sie behielt recht! Ichmuß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin dankbar, daß ichheute hier stehen darf.
Dr. Elisabeth Schwarzhaupt war von 1961 bis 1966die erste Bundesministerin der Bundesrepublik. AenneBrauksiepe war von 1949 bis 1972 Mitglied des Deut-schen Bundestages. Von 1968 bis 1969 war sie Bun-desministerin für Familie und Jugend. Dr. Helga Wexwar von 1972 bis 1986 Mitglied des Bundestags. Siewar in der CDU Vorreiterin für die neue Partnerschaftvon Mann und Frau. All diese Frauen waren in allenPolitikbereichen aktiv. Das war wichtig.Es ist gut für uns alle, daß der Einfluß von Frauenin der Gesellschaft stetig wächst. Die „weibliche Sichtder Dinge“ und das große Wissenspotential der zahlrei-chen, hervorragend ausgebildeten Frauen sind ein un-schätzbares Kapital. Auch die 4. Weltfrauenkonferenzin Peking zog das Fazit – es wurde schon einmal er-wähnt –: Die Zukunft der Menschheit liegt in der Zu-kunft der Frauen.Der Übergang in das neue Jahrtausend ist nur mit derKreativität von allen Mitgliedern unserer Gesellschaft,von Männern und von Frauen, erfolgreich zu bewälti-gen. Nur eine partnerschaftliche Gesellschaft ist zu-kunftsfähig. Aber auf dem Weg dahin müssen wir nochviele Defizite abbauen. Das haben wir schon gehört.Wir müssen die Chancen von Frauen auf dem Ar-beitsmarkt verbessern und sie darin unterstützen, stärkerals bisher auch die technischen Möglichkeiten der Wis-sens- und Informationsgesellschaft des 21. Jahrhundertszu nutzen. Die adäquate Aus- und Weiterbildung vonMädchen und Frauen in den Berufsfeldern des digita-len Zeitalters bleibt daher eines der wichtigsten Zielemoderner Frauenpolitik.
Bereits frühzeitig müssen wir Mädchen mit technischenund naturwissenschaftlichen Themen vertraut machen.Vor allem im Multimediabereich besteht sonst die Ge-fahr, daß Frauen den Anschluß an die Zukunft verpas-sen.Darüber hinaus gilt es – auch das klang heute immerwieder an –, die teilweise noch immer beschämend ge-ringe Repräsentanz von Frauen in den Entschei-dungsgremien von Politik, Wirtschaft und Wissenschaftzu korrigieren und die Karriere von Frauen in diesen Be-reichen zu fördern. Nutzen wir also die Chance, bei demin den nächsten Jahren anstehenden Generationswechselan den Hochschulen den Frauenanteil in den entschei-denden Stellen deutlich zu erhöhen.Eine wichtige Voraussetzung dafür, daß Frauen ihreChancen auf dem Arbeitsmarkt optimal nutzen können,ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.Deshalb brauchen wir bedarfsgerechte Kinderbetreu-ungseinrichtungen und flexiblere, familiengerechte Ar-Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4387
(C)
(D)
beitszeiten und Arbeitsformen. Man kann das gar nichtoft genug erwähnen. Entscheidend ist jedoch vor allemein Bewußtseinswandel. Unsere Gesellschaft muß be-greifen, daß nur eine partnerschaftliche Arbeitsteilungzwischen Männern und Frauen zu echter Chancen-gleichheit führt. Denken Sie daran: Demokratie heißtauch Miteinander von Männern und Frauen.Lassen Sie uns nun den Weg ins neue Jahrtausendwagen, in dankbarer Erinnerung an unsere bekanntenund – auch das möchte ich sagen – an unsere unbe-kannten Wegbereiterinnen und mit viel Mut und Ver-trauen in unsere eigene Kraft!Ich danke Ihnen.
Das Wort hatdie Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen,Kerstin Müller.Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren!Bei der Vorbereitung der heutigen Debatte bin ich – wieso viele – auf ein Zitat gestoßen, das ich Ihnen nichtvorenthalten möchte:Als einzelne wirkt die Frau im Parlament wie eineBlume, aber in der Masse wie ein Unkraut.
Dieser Satz – man findet wahrscheinlich noch viele sol-cher Blüten, wenn man die Protokolle durchschaut –stammt von Dr. Michael Horlacher, Mitglied des Bun-destages in der 1. und 2. Wahlperiode. Er war sichernicht der einzige Abgeordnete, der damals so dachte. Ichbin mir trotz dieser sehr schönen Debatte auch nichtsicher, ob diese frauenfeindliche Sicht heute tatsächlichder Vergangenheit angehört. Daß wir heute diese Debatte führen, zeigt mehr alsdeutlich: Die Frauen der Frauenbewegung und auch dieFrauen im Parlament haben dieses Land geprägt undverändert.
Ich möchte deshalb an dieser Stelle für meine Fraktionzunächst allen Initiatorinnen für ihr Engagement danken,ganz besonders auch meiner Fraktionskollegin MonikaKnoche, die mit anderen den Anstoß für die heutigeSonderveranstaltung gegeben hat. Vielen Dank ihnenallen.
In der ersten Wahlperiode – es wurde heute schonhäufig gesagt – gab es unter 410 Abgeordneten nur28 Frauen. Heute sind allein 28 grüne Frauen Mitgliederdieses Hohen Hauses.
Insgesamt sind wir 207 Frauen in diesem Parlament. Daszeigt: Wir waren im Kampf um mehr Macht und um mehrEinfluß erfolgreich. Diese rund 30 Prozent sind ein ganzgutes Zwischenergebnis und zugleich der höchste Pro-zentanteil an Parlamentarierinnen seit Gründung der Bun-desrepublik. Das zeigt aber auch: Unser Ziel ist nochnicht erreicht. Wir wollen nach wie vor mindestens dieHälfte von allem, also auch der Mandate, liebe Frauen.
Daß wir so weit gekommen sind, daran haben seit1983 die Grünen einen ganz wesentlichen Anteil. Mitder ersten Grünen-Fraktion kam nicht nur das erste Fe-minat, das heißt der erste nur mit Frauen besetzte Frak-tionsvorstand, sondern die grünen Frauen haben von An-fang an ein wirklich wirksames Instrument – das wurdeheute schon das ein oder andere Mal angesprochen – zurparitätischen Besetzung von Gremien und auch vonParlamentsfraktionen durchgesetzt: die Quotierung.Was sind wir – ich meine meine Kolleginnen der erstenGrünen Fraktion – dafür verspottet worden! Heute hatsich das geändert. Das ist mir auch in dieser Debattedeutlich geworden. Um noch einmal klarzumachen, umwas es geht: Die Quotierung ist nicht, wie ihre haupt-sächlich männlichen Kritiker immer noch behaupten, einMittel der Bevorzugung von Frauen, sondern sie ist daswirksamste Mittel, um die Benachteiligung von Frauen,die immer noch vorhanden ist, Schritt für Schritt zu be-seitigen.
Es ist richtig: Wir haben schon viel erreicht. Hier imParlament sind zum Beispiel von sechs Präsidiumsmit-gliedern drei Frauen, auch in klassischen Männerdomä-nen finden wir Frauen: als Vorsitzende im Finanzaus-schuß, als Mitglied in der Wehrstrukturkommission, imPräsidium des Bundesverfassungsgerichtes und an vie-len anderen Stellen. Ich bin aber überzeugt, daß es im-mer noch ein weiter Weg ist, bis Gleichberechtigungauch bei der Verteilung von Macht zur Selbstverständ-lichkeit wird. Das muß unser Ziel bleiben.Chauvinismus und männliche Arroganz habenFrauen in diesem Hohen Hause in den vergangenenWahlperioden zu spüren bekommen.
Ich möchte noch einmal über den Fall berichten, denmein Kollege Rezzo Schlauch gestern schon angespro-chen hat: Der Umgang mit der grünen AbgeordnetenWaltraud Schoppe, als sie vor einigen Jahren ein gesell-schaftliches Tabu brach, indem sie erstmals in einer öf-fentlichen Plenardebatte Ehemänner als VerantwortlicheBärbel Sothmann
Metadaten/Kopzeile:
4388 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
für häusliche Gewalt und eheliche Vergewaltigung an-klagte – ich war zu diesem Zeitpunkt nicht im Parla-ment, aber ich habe mir dieses extra noch einmal in ei-nem Filmausschnitt angeschaut –, war wirklich fürch-terlich und ein ganz schlechtes Beispiel für den Parla-mentarismus in diesem Hause. Sie wurde von den Kol-legen ausgepfiffen, und das Präsidium hatte nicht wenigMühe, diese Tumulte wieder in den Griff zu bekommen.
14 Jahre danach haben wir in diesem Hause die Verge-waltigung in der Ehe unter Strafe gestellt. Das ist unsgelungen, weil wir Frauen fraktionsübergreifend an ei-nem Strang gezogen haben. Das ist, liebe Kolleginnenund Kollegen, der Weg, der zum Erfolg führt; ihn müs-sen wir gemeinsam fortsetzen.
Auch wir jungen Frauen heute können auf diesen Er-folgen aufbauen. Junge Frauen machen die besserenSchulabschlüsse und die besseren Examina. Sie blickenganz selbstbewußt in die Zukunft. Aber dann müssen sieimmer wieder feststellen: Sie verdienen nach wie vor oftimmer noch weniger als ihre männlichen Kollegen.Wenn sie sich für eine betriebliche Ausbildung ent-scheiden, dann schrumpft die Auswahl der Ausbil-dungsberufe auf ganze 13 zusammen. Gerade für dieFrauen im Osten ist es ein schwerer Rückschritt, daß sieüberdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen sind.Das heißt, Frauen sind nach wie vor benachteiligt, ob esdabei um den Berufseinstieg, um berufliche Aufstiegs-chancen oder auch um eine eigene Alterssicherung geht.Deshalb werden wir weiter für gleiche Rechte, fürgleiche Berufschancen, für eine eigenständige Alterssi-cherung, für die Gleichstellung lesbischer Paare undnicht zuletzt für die gleiche Teilhabe an Macht undEinfluß kämpfen.
Wir sind da sehr selbstbewußt. Dieses Lebensgefühlfordert uns heraus und gibt uns Mut, weiter für Verände-rungen zu streiten. Wir brauchen veränderte Arbeits-strukturen. Wir müssen Erwerbsarbeit sowie Haus- undBetreuungsarbeit neu organisieren, und zwar nicht mehrso – wie es heute noch immer ist –, daß die Frauen zweiDrittel der Arbeit machen und die Männer zwei Dritteldes Geldes, des Vermögens bekommen. Das Gleichbe-rechtigungsgesetz, um das wir Frauen schon so langeringen, wird ein Meilenstein auf dem Weg dahin sein.Ich möchte am heutigen Tag aber auch über denTellerrand des deutschen Parlaments hinausblicken: Essind sehr häufig Frauen, die weltweit das Überleben derFamilien sichern. In Afrika zum Beispiel wird ein Drittelder Haushalte von alleinerziehenden Frauen geleitet.Auch der Einsatz von Frauen für die Achtung derMenschenwürde wird heute nicht hoch genug einge-schätzt.Ich möchte an einige Frauen erinnern, zum Beispielan die Inderin Vandana Shiva, Trägerin des alternati-ven Nobelpreises. Sie setzt sich international gegen dieAusbreitung der Biotechnologien in der Landwirtschaftzur Wehr, weil diese das Überleben der Bäuerinnen undBauern in den Ländern des Südens bedrohen.Ich erinnere an die Pakistanin Nafis Sadik, die 1994die UNO-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo geleitethat. Sie hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, daß dieBegrenzung des Bevölkerungswachstums nicht auf Ko-sten der Gesundheit und der Entscheidungsfreiheit derFrauen geht.Unsere Aufgabe ist es, solche Frauen zu unterstützen.
Denn Frauenrechte sind Menschenrechte; das müssenwir immer wieder deutlich machen.Mit Gro Harlem Brundtland ist jetzt eine Frau Che-fin der Weltgesundheitsorganisation geworden. Durchsie besteht die berechtigte Hoffnung, daß die Lebenssi-tuation von Frauen in den Ländern des Südens verbes-sert wird.Außerdem – Sie werden es mir nachsehen, aber ichmöchte natürlich auch dieses Beispiel nennen – wird mitMichaele Schreyer eine grüne Frau Wächterin des eu-ropäischen Haushaltes. Ich bin mir sicher: Wir könnenuns darauf verlassen, daß sie den zum Teil äußerst fahr-lässigen Umgang mit den Finanzen der EuropäischenUnion zukünftig beenden wird.
Das ist eine Politik, die auch die Rechte der zukünftigenGenerationen im Blick hat.Genau darum geht es in allen wesentlichen Fragen,die wir in diesem Hause in den kommenden Wochen,Monaten und Jahren diskutieren werden: bei der Konso-lidierung des Haushaltes, bei der Rentenreform, bei derökologischen Erneuerung der Wirtschaft und beimGleichberechtigungsgesetz. Es geht immer um die Zu-kunftsfähigkeit unserer Gesellschaft, die eben auchentscheidend davon abhängt, welche Chancen Frauen indieser Gesellschaft haben werden.Frauen sind Hoffnungsträgerinnen der Zukunft. Des-halb müssen die Frauen des Südens und wir Frauen desNordens die Aufgaben des dritten Jahrtausends gemein-sam in Angriff nehmen. Ich wünsche mir, daß wir Frau-en im Deutschen Bundestag – auch über die Fraktions-grenzen hinweg – dazu gemeinsam unseren Beitrag lei-sten.Danke schön.
Das Wort hatjetzt die Abgeordnete Ina Lenke.Kerstin Müller
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4389
(C)
(D)
Sehr verehrte Gäste! Sehr ge-ehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kollegin-nen! Ein halbes Jahrhundert Einfluß von engagiertenPolitikerinnen hat sich gelohnt. Liselotte Funcke und ih-re Kolleginnen haben uns heute ihre Erfahrungen alsParlamentarierinnen in bewegten Zeiten geschildert.Mich hat das sehr beeindruckt. Liberale Frauen, zumBeispiel in der ersten Wahlperiode des Deutschen Bun-destages von 1949 bis 1953 Herta Ilk und MargareteHütter, haben ihren Beitrag geleistet, Frauenrechte imParlament zu erstreiten. Sie haben wie ihre Nachfolge-rinnen zum eigenständigen liberalen Profil der Partei derF.D.P. beigetragen und für das Ziel liberaler Frauen-politik gestritten. Die wirkliche, vor allem selbstver-ständliche Teilhabe von Frauen in Politik und Wirtschaftmuß aber noch durchgesetzt werden. Das haben alleRednerinnen unterstrichen.Ich denke, daß die Kluft zwischen Verfassungsan-spruch und gesellschaftlicher Realität, die noch existiert,nur dann überwunden werden kann, wenn mehr Frauenim Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, sich einmi-schen und damit anderen Frauen ein Vorbild geben, dasheißt Mut und Lust auf gesellschaftliches Engagementwecken. In den vergangenen Jahren ist für Frauen vieleserreicht worden. Was gab es nicht alles für Kuriositätenim deutschen Recht! Kuppelparagraph, Kranzgeld oderGehorsam der Ehefrau per Gesetz wären hier zu nennen.Das alles ist glücklicherweise Vergangenheit.
Allen Anfeindungen zum Trotz wurde besonders durchden Einsatz unserer Kollegin Uta Würfel die Reform des§ 218 in der zentralen Frage des Schwangerschaftsab-bruches erreicht – ein Meilenstein in der Politik vonFrauen für Frauen.Meine Damen und Herren, bei allen meinen politi-schen Aktivitäten habe ich immer wieder festgestellt,daß besonders Frauen ermutigt und unterstützt werdenmüssen, wenn sie in Politik einsteigen. Frauen scheuensich viel zu häufig, das öffentliche Interesse auf sich zuziehen und für ihre Überzeugungen auch öffentlich zustreiten. Gerade wir Parlamentarierinnen im DeutschenBundestag wie auch in den Länderparlamenten müsseneine solche Grundstimmung in der Gesellschaft herbei-führen, um weiteren Frauen den Weg zu bereiten, sich inPolitik einzumischen. Auch wir brauchen nämlich Nach-folgerinnen, und dafür sollten wir selber sorgen.
Welchen Aufgaben müssen sich Frauen im Parlamentheute stellen? Im Jahr der deutschen Einheit hat sichvieles verändert. Ich war in den letzten Wochen in denneuen Bundesländern und habe festgestellt, daß wir aufzweierlei Ebenen denken müssen: Zum einen müssenwir Politik für die Frauen in den neuen Bundeslän-dern machen, zum anderen müssen wir Politik für dieFrauen in den alten Bundesländern machen. Mancheskann gemeinsam gemacht werden. Aber bei genauerBetrachtung sollten wir die Tatsache, daß die Geschichtedie Frauen in den beiden deutschen Staaten unterschied-lich geprägt hat, in unsere Entscheidungen einbeziehenund manchmal auch unterschiedlich entscheiden.Vor allem die Frauen in den neuen Bundesländernmußten ihr Leben neu einrichten. Veränderte Bedingun-gen in Arbeit – besonders bei Arbeitslosigkeit –, Familieund Beruf sind seit der Wiedervereinigung für Frauen inden neuen Bundesländern ein großes Problem. Dabeiging der Transfer auch diesmal von West nach Ost. Daskritisieren die Frauen in den neuen Bundesländern zuRecht: daß wir nicht die guten Kinderbetreuungsmög-lichkeiten übernommen haben, sondern unser Systemübergestülpt wurde und das vorhandene sehr schnellweggebrochen ist. Auch deshalb muß die Vollendungder inneren deutschen Einheit eine ganz besondere Auf-gabe von uns Parlamentarierinnen sein. Wir haben zwarwenig Zeit; das politische Geschäft fordert uns. Aber wirsollten Schwerpunkte setzen, und das sollte ein gemein-samer Schwerpunkt von Frauen im Parlament sein.Ich möchte noch auf eine weitere Sache zu sprechenkommen: Die bestehende Vielfalt von Lebensgemein-schaften in unserer Gesellschaft, die sich in den letztenJahrzehnten entwickelt hat, muß von der Politik nunendlich aufgenommen und berücksichtigt werden. UnserLeitbild, das Leitbild der Liberalen, ist jegliche Art vonVerantwortungsgemeinschaft, in der Menschen fürein-ander einstehen und füreinander Verantwortung über-nehmen. Dazu gehören für uns ganz selbstverständlichauch die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften.Auch die Frau, die mit ihrer Frau eine Lebensverbin-dung eingehen will, muß die nötige Unterstützung vomGesetzgeber haben. Unser Gesetzentwurf liegt demParlament vor.
Es sind nicht nur die großen Fragen, die die Men-schen, unsere Bürgerinnen und Bürger, bewegen, son-dern es ist der ganz normale Lebensalltag, der immernoch gesellschaftlichen und gesetzlichen Restriktionenunterliegt. Der heuchlerische Umgang mit sogenanntenRandgruppen wie den Prostituierten, die zwar Pflichten,aber nur wenige Rechte haben, muß auf den parlamenta-rischen Prüfstand. Daß auch Frauen das Recht habenmüssen, in der Bundeswehr gleichberechtigt Dienst zutun, mag manchem als Randthema erscheinen, für dieBetroffenen aber ist das kein Randthema; denn es han-delt sich in Wahrheit um eine Diskriminierung und umein geschlechtsspezifisches Berufsverbot, welches dersofortigen Aufhebung bedarf.
Ich möchte zum Schluß sagen: Ein wiederkehrendesÄrgernis für mich – und sicher auch für andere Frauen –ist das dauernde Störfeuer gegen § 218 StGB. Konserva-tive Kreise und die katholische Kirche finden immer wie-der Ansatzpunkte, den gesellschaftlichen Konsens, der in§ 218 getroffen wurde, in Frage zu stellen. In dieser Wo-che werden wir uns wieder mit einer parlamentarischenInitiative, die mit diesem Thema zu tun hat, befassen.Dann werden wir sehen, wie die Diskussion abläuft. Ich möchte noch kurz sagen – –
Metadaten/Kopzeile:
4390 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Frau Kollegin,
Ihre Zeit ist schon überschritten. Bitte greifen Sie keinen
neuen Punkt auf.
Dann mache ich Schluß.
Abschließend möchte ich mich bei den männlichen
Politikern bedanken, die Frauen fördern, die vielleicht
ihre künftigen Konkurrentinnen werden könnten.
Meine Herren und Damen, ohne Frauen ist kein Staat
zu machen. Lassen Sie uns weiter gemeinsam daran ar-
beiten.
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Heidi Knake-Werner.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben heuteschon sehr viel über unterschiedliche Phasen gehört, dieFrauen in Parlament und Politik durchlebt haben. Ichwill mich auf eine ganz kurze konzentrieren, die fürmich und, wie ich denke, für meine Frauengenerationinsgesamt von entscheidender Bedeutung war und diezudem die Gesellschaft insgesamt nachhaltig prägte.Frau Professor Süssmuth hat vorhin von Revolution ge-sprochen; ich kann ihr nur zustimmen.Der gesellschaftliche Aufbruch der 60er Jahre er-mutigte viele Frauen nicht nur in linken Parteien, Ge-werkschaften oder anderen kritischen Organisationen,sondern gerade auch außerhalb solcher Institutionen –,sich gegen Diskriminierung, zementierte Rollenaufteilun-gen und Gewaltverhältnisse zu wehren. „Ich habe abge-trieben“, „Mein Bauch gehört mir“, „Das Private ist öf-fentlich“ und „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ warennur einige Positionen, mit denen Frauen in der Öffent-lichkeit auf Unterdrückung und Beschränkung ihrer eige-nen Entwicklungsmöglichkeiten aufmerksam machten.Sie machten sich gleichzeitig auf, ihre private Isolierungzu durchbrechen, sich einzumischen und gemeinsam mitanderen Frauen dem Alleinvertretungsanspruch der Män-ner eine selbstbestimmte Frauenidentität entgegenzuset-zen. Der gleichberechtigte Zugang zu allen gesellschaft-lichen Bereichen war ein Ziel, das Frauen – unabhängigvon ideologischen Differenzen – verband.Aber gestritten haben wir uns natürlich reichlich undauch nicht immer sehr produktiv. Anlässe für gemein-sames Handeln gab es jedoch mehr. Es waren oft nichtdie großen gesellschaftlichen Konzepte, die Frauen zu-sammenführten, sondern die alltäglichen Erfahrungenmit dem Frausein in einer Gesellschaft, die durch unddurch männlich dominiert war. Das betraf die erwerbs-arbeitenden Frauen ebenso wie die Frauen in der Fami-lie. Frauen wehrten sich gegen ihre Reduzierung aufKüche und Kinderzimmer. Sie forderten Chancengleich-heit in Bildung und Beruf, traten gegen Doppel- undDreifachbelastungen auf und empörten sich darüber, daßsie zwar nicht darüber entscheiden sollten, ob sie Kinderhaben wollten oder nicht, daß sie aber, wenn sie diesehatten, allein und privat für ihr Großwerden verantwort-lich sein sollten. Mit Frauenhausgruppen und Notrufenfür geschlagene und vergewaltige Frauen entstandenHilfekonzepte gegen öffentliche und private Gewalt.Kulturelle Gruppen durchkreuzten die Ausgrenzungfeministischer Themen ebenso wie Frauenbuchläden,Frauenverlage und Hunderte von Veröffentlichungen,die das Frauenleben beschrieben.Frauen aus der Wissenschaft und den Medien, Juri-stinnen und andere schlossen sich zusammen, weil siedie Geschlechtsspezifik ihrer Arbeitssituation als dis-kriminierend – nicht nur für sich, sondern für vieleFrauen – erkannten. Streitbare Frauen zum Beispiel inden Gewerkschaften und in der SPD – so ist jedenfallsmeine ganz persönliche Erfahrung – nutzten die relativeigenständigen Strukturen ihrer Organisationen zurEntwicklung emanzipatorischer Gesellschaftskonzepteund erzeugten damit bei den männlichen Altvorderennicht selten mehr Kopfzerbrechen als Veränderungswil-len.Die Stärke der Frauenzusammenschlüsse bestanddarin, daß sie nicht eine Ein-Punkt-Bewegung blieb,sondern alle gesellschaftlichen Bereiche durchdrang.Dazu gehörte auch, daß zur Lebensperspektive vonFrauen immer mehr die Berufstätigkeit gehörte. DieBildungsoffensive der ersten sozialliberalen Koalitionsowie der damalige Ausbau der sozialen Infrastrukturbeförderten die wachsende Berufsorientierung vonFrauen und trugen maßgeblich dazu bei, daß die Forde-rung „Wir wollen alles“ zum Selbstverständnis vielerbewegter Frauen geworden ist. Um so härter – das willich auch sagen – traf uns alle, daß wenig später derfrauenfeindliche Roll-back einsetzte und vieles zunichtemachte, was wir damals so hoffnungsvoll begannen.Wenn wir heute nach 30 Jahren Bilanz ziehen, isteines vermutlich unbestritten: Die Frauenbewegung hateine andere Perspektive in die politische Landschaft ge-bracht. Aber es ist auch unübersehbar, daß wirklichestrukturelle Veränderungen in dieser Gesellschaft nochnicht stattgefunden haben. Daß wir in diesem Parlamentmehr geworden sind, ist einerseits natürlich unsererKompetenz, Zielstrebigkeit und Zähigkeit zu verdanken,andererseits aber auch der mehr oder weniger freiwilli-gen Erkenntnis unserer männlichen Kollegen geschul-det, daß ohne Frauen kein Staat mehr zu machen ist.Daß die Erwerbsquote von Frauen ebenso wie ihr Bil-dungsniveau stetig angestiegen ist und Frauen auch inFührungsetagen aufgestiegen sind, ändert leider nichtsan der Tatsache des fortbestehenden geschlechtsspezi-fisch geteilten Arbeitsmarktes, der Niedriglöhne undprekäre Beschäftigungsverhältnisse vor allen DingenFrauen zuweist, sowie der Tatsache, daß sie nach wievor den Löwenanteil an unbezahlter Arbeit zu leistenhaben.Daß nach 30 Jahren endlich die Vergewaltigung inder Ehe als Gewaltdelikt strafbar geworden ist, ist ganzgewiß ein Verdienst der Frauen. Das darf uns allen abernicht den Blick dafür verstellen, daß unter anderem mitdem § 218 noch immer in ein selbstbestimmtes Lebenvon Frauen hineinregiert wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4391
(C)
(D)
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, patriarchali-sche Strukturen wirken fast ungebrochen fort und ge-fährden in der Tat die Zukunftsfähigkeit dieser Gesell-schaft.
Frau Kollegin,
denken Sie bitte an die Zeit.
Ich komme zu
meinem letzten Satz. – Wie sagte sinngemäß schon der
alte Bebel? Der Fortschritt einer Gesellschaft mißt sich
daran, welche Entwicklungsmöglichkeiten den Frauen
geboten werden. Dafür, liebe Kolleginnen, haben wir
gemeinsam noch viel zu tun, auch schon jetzt und heute
als Tagesaufgabe.
Danke schön.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christel Hanewinckel.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte, liebeFrauen und Männer auf der Tribüne! Von den 50 Jahren,in denen Frauen den Deutschen Bundestag und damitdie Bundesrepublik Deutschland mitgeprägt haben, habeich neun Jahre als Abgeordnete aus den sogenanntenneuen Bundesländern, nämlich als Abgeordnete ausHalle an der Saale, miterlebt. Von Anfang an habe ich inder Frauenpolitik mitgearbeitet. Das hat bedeutet, daßich habe mitgestalten können. Das hieß aber auch zukämpfen, Enttäuschungen in Kauf zu nehmen, begeistertzu sein, selber Hoffnung zu haben und Hoffnung zuwecken, Ermutigung zu brauchen. Das hieß vor allenDingen, zäh und penetrant zu sein.
Ich denke nur an das Kapitel § 218 und § 219. Mit derdeutschen Einheit galt in Deutschland zweierlei Recht.Die unterschiedlichen Rechtslagen waren im Eini-gungsvertrag nicht geregelt worden; fast wäre er andiesem zentralen frauenpolitischen Thema sogar ge-scheitert. Fünf Jahre dauerte es, bis wir 1995 den müh-sam gefundenen Kompromiß endlich ins Leben bringenkonnten. Mit ihm kann und muß die Mehrheit derFrauen leben – im Westen besser als im Osten.Die Geschichte des § 218 ist sehr viel länger. Siesteht dafür, daß Frauen in ihren Möglichkeiten, in ihrenFähigkeiten und in ihrer Verantwortlichkeit stets von deranderen Hälfte der Menschheit dominiert worden sind.Trotz aller Festschreibungen in den Verfassungen derbeiden deutschen Staaten bis 1989, in denen stand:„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, sind wirvon der tatsächlichen Gleichberechtigung und Gleich-stellung noch weit entfernt. Beide verfassungsgebendenOrgane haben damals übersehen, wie gern Männer alleMacht für sich in Anspruch nehmen.Ein kurzer Exkurs in die Frauenbewegung derDDR. Diesen muß ich heute hier vornehmen; denn vonder Frauenpolitik in der Volkskammer ist leider wederetwas zu berichten noch viel davon zu erzählen. In derDDR gab es eine Frauenorganistation, den DFD. DieGründung war ziemlich basisdemokratisch. Doch da-nach wurden seine Ziele – ein Kampf für die Frauen,eine geschlechterspezifische Interessenvertretung derFrauen – dem Einfluß der SED geopfert, bzw. die SEDhat über ihre Funktionärinnen ihren Platz im DFD ein-genommen. Leitende Stellen wurden mit ihnen besetzt.Mit dem Motto „Schöner unsere Städte und Gemeinden“wurde die Arbeit des DFD mehr und mehr aus den Be-trieben hinausgedrängt. Das Privatleben bzw. die Frei-zeit der Frauen sollte damit organisiert und strukturiertwerden; so wurden Beratungsstellen eingerichtet. Poli-tisch hatte der DFD aber keinerlei Wirkung mehr. In den80er Jahren war er im Grunde genommen völlig bedeu-tungslos.Die magere Bilanz des Frauenbundes nach 40 Jahrenhieß 1987,daß sich die Mitglieder, Frauen aus allen Klassenund Schichten, von den Beschlüssen der Partei derArbeiterklasse in nie gekannter Weise angesporntfühlen. Die Frage ist nur: wozu? – Für Frieden, Freiheit undVölkerverständigung. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will das nichtnur karikieren, es war damals für die Frauen, die in derDDR gelebt und gearbeitet haben, bitterer Ernst. Frau-enpolitische Änderungen in der Gesetzgebung wurdenweder diskutiert noch von den Frauen wirklich vorange-bracht. Es waren höchstens „Segnungen“ von oben:Gleichberechtigung war angeordnet –, aber letztlich hieltsich niemand daran.In den 80er Jahren wurde der Widerspruch in derDDR immer stärker. Frauen haben dagegen aufbegehrt,daß sie plötzlich mit der „Muttipolitik“ beglückt wur-den; sie haben dagegen aufbegehrt, daß sie im Verteidi-gungsfalle eingezogen werden sollten. Vor allem durchdie Gruppen „Frauen für den Frieden“ und den Arbeits-kreis „Feministische Theologie“ in der evangelischenKirche hat sich in der gesamten DDR mehr und mehreine außerparlamentarische Gruppe organisiert.Heute sitzen Frauen aus Ost und West mit ihren un-terschiedlichen Erfahrungen zusammen in einem deut-schen Parlament – unterschiedlich sind sie vor allem ineinem Punkt: In der DDR war die GleichberechtigungTeil der Ideologie der SED; aber nie aus frauenpoliti-schen Interessen, sondern sie wurde da umgesetzt, wo esfür das Staatswesen, für die patriarchale SED sinnvollund nützlich war.In der Bundesrepublik Deutschland hatten Frauenbe-wegungen Stück für Stück gegen eine vorherrschendebürgerliche Ideologie gekämpft.Diese unterschiedlichen Erfahrungen in 40 Jahrenmachen es uns heute oft leicht, uns gemeinsam auf daszu verständigen, was wir wollen, weil diese Erfahrungennatürlich auch geprägt haben und weil für die Frauen imDr. Heidi Knake-Werner
Metadaten/Kopzeile:
4392 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Osten der Arbeitsmarkt ein Thema ist, das sie besetzenwollen und bei dem sie dann auch Mühe haben zu sa-gen: Wir schaffen das nur, wenn wir uns auf Quotenre-gelungen und anderes einlassen.An dieser Stelle haben die Frauen aller Parteien auchhier im Parlament aus meiner Sicht noch einiges zu tun.In der Gemeinsamen Verfassungskommission vonBundestag und Bundesrat in der 12. Legislaturperiodewar die Ergänzung des Art. 3 durch den Zusatz: „DerStaat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleich-berechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf dieBeseitigung bestehender Nachteile hin“ ein wichtigerSchritt hin zu einer tatsächlichen Gleichstellung der Ge-schlechter.Der Obmann der CDU/CSU-Fraktion, Herr Jahn, hatdamals sehr laut und deutlich gesagt: Wenn ihr wirklicheine tatsächliche Gleichstellung wollt, wenn das mit die-sem Zusatz herauskommen soll, dann werde ich dem nieund nimmer zustimmen. – Ich bin noch immer der Mei-nung, daß wir das tatsächlich wollen.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine Damen undHerren, wir sind auf dem Weg zu einer menschlichenPolitik. Die haben wir dann, wenn Männer und Frauentatsächlich in allen Bereichen gleichgestellt sind, aberdie tatsächliche Gleichstellung muß sich dann auch inZahlen widerspiegeln.Wenn ich unseren Arbeitsbereich nehme, dann mußsie sich in der Zahl der Frauen und Männer im Parla-ment widerspiegeln. Sie muß sich widerspiegeln in derAnzahl der Ministerinnen und Minister, bei den Aus-schußvorsitzenden, im Fahrdienst, bei den Sekretärenund Sekretärinnen, die die Abgeordneten und der Deut-sche Bundestag haben. Sie wissen alle, wie dort das Ge-fälle ist. Die Gleichstellung muß aber auch deutlichwerden an den Ladenkassen, beim Erziehungsurlaub, beiLohn und Gehalt und in der Leitungsebene der Privat-wirtschaft.Wenn wir das alles geschafft haben und dort voneiner Gleichstellung reden können, dann können wir dieFrauenministerin abschaffen, dann können wir den frau-enpoltiischen Ausschuß abschaffen. Wir werden dannsehen müssen, ob wir den Männern dafür einen Platzeinräumen müssen, aber ich glaube es nicht, denn wenndas geschafft ist, dann sind wir endlich so weit, daßFrauen in allen Politikbereichen, in allen Lebensberei-chen und in allen Arbeitsbereichen tatsächlich gleicheRechte haben und das mit durchsetzen, was für dieseGesellschaft notwendig ist.Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! LiebeGäste! Wir würdigen heute die Arbeit der Parlamentarie-rinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag. Nicht längerist die Zeitspanne, in der ein gewandeltes Rollenbild derFrau die Lebensplanung der Familie entscheidend ver-ändert hat. Dazu ist heute schon vieles gesagt worden.Meine Damen und Herren, unsere heutige gesell-schaftliche Realität hat als Entwicklung erst imDeutschland der Nachkriegszeit begonnen. War es frü-her selbstverständlich, daß Frauen die Hausfrauen- undMutterrolle als das wünschenswerte Ziel betrachteten,haben heute eine qualifizierte Ausbildung und die Er-werbstätigkeit selbstverständlich den gleichen Stellen-wert. Vielfach gründen junge Paare erst dann eine Fa-milie, wenn beide Partner im Berufsleben Fuß gefaßthaben und über ein ausreichendes Einkommen verfügen.So muß moderne Familienpolitk dafür sorgen, daßEltern Beruf und Familienarbeit miteinander kombinie-ren können. Politik hat nicht die Aufgabe, Lebensmo-delle vorzuschreiben, sondern Rahmenbedingungen fürdie Wahlfreiheit des einzelnen und der einzelnen zuschaffen, und so verstehen wir von der CDU/CSU dieFamilien- und Frauenpolitik.
Die Bundesregierung unter Helmut Kohl hat vielfälti-ge Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Beruf undFamilie auf den Weg gebracht. Ein Meilenstein war dasGesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Er-ziehungsurlaub.Wir haben auch den Rechtsanspruch auf einen Kin-dergartenplatz verwirklicht und mit zahlreichen Initiati-ven, Modellprojekten und gesetzlichen Maßnahmen dieRahmenbedingungen für familienfreundlichere Arbeits-zeiten geschaffen. Eine entscheidende Voraussetzungfür die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist die An-erkennung der Kindererziehungszeiten in der Rentenver-sicherung.
– Ich denke, das ist wirklich den Beifall wert, weil dasdamals bahnbrechende Entscheidungen waren.1986 wurden die diesbezüglichen Bestimmungenerstmals eingeführt. Seit 1992 werden drei Erziehungs-jahre pro Kind anerkannt.Moderne Familienpolitik muß natürlich den Erfor-dernissen unserer Zeit Rechnung tragen. Wir brauchennoch mehr qualifizierte Teilzeitarbeitsplätze und flexib-lere Arbeitszeiten für Mütter und Väter. Die Arbeits-welt muß familienfreundlicher werden. Das kann jedochdie Politik allein nicht leisten. So fordere ich Arbeitge-ber und Gewerkschaften auf, auch ihren Beitrag dazu zuleisten. Im Blick auf einen Wandel der Arbeitszeit müs-sen wir die sozialen Sicherungssysteme so weit entwik-keln, daß sie sich den Veränderungen im Arbeitslebendes einzelnen und vor allem dem Wechsel zwischen Er-werbstätigkeit und Kindererziehung anpassen. Ein wei-terer Ausbau der Anerkennung der Kindererziehungs-zeiten in der Rentenversicherung ist notwendig, damitdiejenigen, die Kinder erziehen – das sind überwiegendFrauen –, eine eigenständige Alterssicherung aufbauenkönnen.Christel Hanewinckel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4393
(C)
(D)
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ohne ein gu-tes Kinderbetreuungsangebot nicht möglich. Wichtigist daher eine Betreuung von Klein- und Schulkindern,die auf individuelle Arbeitszeiten abgestimmt ist. Dieandere Seite der Vereinbarkeit von Familie und Beruf istdie Anerkennung der Arbeit in der Familie. Junge Fami-lien wünschen sich einen Wandel der gesellschaftlichenEinstellung, so daß Familien stärker respektiert und dieLeistungen in der Familie höher geachtet werden, als esvielfach leider zu beobachten ist. Notwendigerweise ge-hört dazu die Anerkennung der Familienarbeit der Vä-ter. Viele Väter würden zum Beispiel gerne Erzie-hungsurlaub nehmen, treffen aber auf Vorbehalte undUnverständnis und lassen diesen Gedanken dann sehrschnell wieder fallen. So ist es eine wesentliche Aufgabeder Familienpolitik, diese Barrieren in den Köpfen ab-zubauen.Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann nichtlänger ein frauenspezifisches Thema sein. Eine wirklichpartnerschaftliche Aufteilung der Aufgaben und derVerantwortung in Beruf und Familie muß mehr undmehr Lebenswirklichkeit werden.
Dazu Anstöße zu geben und die Schaffung geeigneterRahmenbedingungen zu erleichtern – das ist unsereAufgabe.Verordnen lassen sich weder ein Wandel in der Ein-stellung noch Partnerschaft. Glücklicherweise wünschensich junge Paare Kinder, und wir wollen, daß sie diesenKinderwunsch auch wahrmachen können. Dazu ist aberVoraussetzung, daß junge Familien frei beschließenkönnen, ob und wie sie Familien- und Erwerbstätigkeitpartnerschaftlich aufteilen. Wir wollen niemandem et-was vorschreiben, wollen aber die Rahmenbedingungenfür eine bessere Vereinbarkeit weiter ausbauen.
Das Wort hatjetzt die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Kollegen! Verehrte Gäste! Zugegeben, in den letzten50 Jahren hat sich für Frauen viel verändert. Das habenwir unter anderem Waschkörben zu verdanken, Wasch-körben, sonst Symbol für unbezahlte Frauenarbeit,diesmal voller Briefe von Bürgerinnen, die 1949 ihreRechte einklagten und den Parlamentarischen Rat auf-forderten, die Gleichberechtigungsklausel im Grundge-setz zu verankern. Der von Elisabeth Selbert für die Ver-fassung eingebrachte Satz „Männer und Frauen sindgleichberechtigt“ ging damals den Männern zu weit.Erst eine Woge weiblichen Emanzipationswillens er-zeugte schließlich den Druck und führte zum Erfolg. Das war das Fundament für viele frauenpolitischeInitiativen, und dafür danke ich den Frauen der erstenStunde.
1994 waren es wieder die Parlamentarierinnen, diedie Verpflichtung des Staates zur Durchsetzung derGleichberechtigung und zur Beseitigung bestehenderNachteile als Staatsziel erreichten. Trotzdem könnenwir uns heute nicht auf diesen Erfolgen ausruhen. Auchim Deutschen Bundestag sind Frauen noch immer inder Minderheit. Elisabeth Selbert hatte damals dreiKolleginnen; das entsprach einem Frauenanteil vonknapp 6 Prozent. 40 Jahre mußten vergehen, bis die10-Prozent-Hürde im Bundestag überschritten wurde!In 40 Jahren gab es gerade einmal 4 Prozent mehrFrauen!Noch Mitte der 80er Jahre dominierte das „Gruppen-bild mit Dame“. Mit dem Einzug der Grünen in denBundestag fand sich nicht nur die Frauenbewegung imParlament wieder; der Frauenanteil stieg rasant. Und mitzeitlichem Abstand – der Herr Präsident hat es heutemorgen ein wenig anders gesagt – folgten die anderenParteien diesem Beispiel, so daß wir jetzt einen Frauen-anteil von 30 Prozent haben. Quote sei Dank!Der Bundestag ist zwar spürbar weiblicher geworden;die tatsächlichen Entscheiderinnen sind Frauen jedochimmer noch nicht. Alle drei Spitzenämter im Staate sindwie 1949 mit Männern besetzt.
Ich möchte eine französische Feministin zitieren. Siesagt: Eine Demokratie, in der 50 Prozent der Bevölke-rung, nämlich die Männer, die Entscheidungen treffenund die anderen 50 Prozent, die Frauen, diese befolgenmüssen, ist die Karikatur einer Demokratie. – Ich finde,da hat sie recht.Dabei sind die Interessen der Frauen für die Politikerkein Maßstab ihres Handelns – ich habe bewußt von Po-litikern gesprochen –, so zeigt zumindest eine Umfrage,die Ende der 80er Jahre im Bundestag durchgeführtwurde. Kein einziger männlicher Abgeordneter hattesich nämlich als Vertreter von Fraueninteressen be-zeichnet. Politik nur für die Hälfte der Gesellschaft?,frage ich da.Politikerinnen haben in der Regel, auch wenn sie an-dere Schwerpunkte vertreten haben – das haben wirheute morgen von den Parlamentarierinnen der erstenStunde sehr deutlich gehört –, immer die unterschiedli-chen Auswirkungen eines Gesetzes, bestimmter Maß-nahmen auf die Geschlechter im Auge gehabt. Politike-rinnen haben auch neue Themen ins Parlament einge-bracht: das Selbstbestimmungsrecht der Frau, sexuali-sierte Gewalt gegen Frauen und Kinder, genitale Ver-stümmelung, geschlechtsspezifische Verfolgung undnicht zuletzt das Thema Sexualität.Parlamentarierinnen haben aber immer auch ethischeFragen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt, bei-spielsweise in den Bereichen Gen- und Reproduktions-technologie, Biomedizin oder Transplantation. Ich erin-nere mich sehr gerne an die Bonner Debatte um dasTransplantationsgesetz, wo wir maßgeblich durch un-sere Kollegin Monika Knoche vertreten waren. Wie in-tensiv wurde diese Diskussion geführt!Maria Eichhorn
Metadaten/Kopzeile:
4394 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Frauenpolitische Themen einten Parlamentarierinnenhäufig über Fraktionsgrenzen hinweg. Bei dem Gesetzzur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe wurdedies am deutlichsten; denn es gab in allen FraktionenMänner, die Sonderregelungen für Ehemänner wollten.Das muß man hier einmal ganz deutlich sagen. Darumdanke ich an dieser Stelle auch den Kolleginnen derjetzigen Opposition. Sie haben Mut bewiesen, sie habendies gegen ihre eigene Regierungsfraktion durchgesetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Frauen-politik stoßen wir an Grenzen. Noch so gute Gleich-berechtigungsgesetze, wie wir sie heute nachmittag be-sprechen werden, die den Frauen ihren Erwerbsarbeits-platz sichern, können nicht darüber hinwegtäuschen, daßendlich auch eine Veränderung der Männer ansteht. Ausder Frauenfrage muß eine Gesellschaftsfrage werden.Deshalb bedarf es auch der Mitwirkung der Parlamen-tarier.Liebe Kollegen, wir erwarten von Ihnen, daß Sie sichzukünftig auch für die Interessen der anderen Hälfte derGesellschaft einsetzen, daß Sie es als ein Demokratiede-fizit ansehen, wenn Frauen die gleichberechtigte Teilha-be verwehrt wird, oder daß Sie es als Problem der inne-ren Sicherheit empfinden, wenn der unsicherste Ort fürFrauen die eigenen vier Wände sind, und daraus für Ihrepolitische Arbeit auch Konsequenzen ziehen. Denn ohneeine Geschlechterdemokratie wird es keine wirklicheDemokratie geben.Als Zeichen für eine Demokratisierung der Gesell-schaft galten vor 50 Jahren die Waschkörbe voller Brie-fe. Heute möchte ich Ihnen, meine Herren Kollegen,symbolisch diese Waschkörbe überreichen.Ich halte die von Ulla Schmidt vorhin vorgebrachteIdee, das Amt eines Staatssekretärs für Männerfrageneinzurichten, für nicht schlecht. Männer müssen ihreKompetenzen und die Tatsache, daß sie Verantwortungfür Haus und Kinder tragen, beweisen können. Hier be-steht ein großer Nachholbedarf. Wir sollten gemeinsamdaran arbeiten, dies umzusetzen.Ich danke Ihnen.
Ich erteile jetzt
der Kollegin Irmgard Schwaetzer das Wort.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich begrüße allemännlichen Kollegen, die sich noch in diesem Raum be-finden, ganz besonders herzlich.
Nach einer Debatte von zwei Stunden fragt man sichnatürlich: Was bringt ein solcher Morgen? Ich finde esgut, daß am ersten ordentlichen Parlamentstag in Berlineine Frauendebatte stattfindet. Aber allein die Tatsache,daß die allermeisten und vor allen Dingen alle wichtigenMänner – mit Ausnahme von Michael Glos natürlich –
das Haus inzwischen verlassen haben, läßt mich fragen,ob diese Debatte richtig angepackt worden ist und wassie bringen soll.Das führt natürlich zu der Frage: Warum sind keineMänner mehr hier? – Liebe Kolleginnen, weil sie ganzoffensichtlich erwarten, daß wir mit dieser Debattenichts bewegen, und weil sie sicher sein können, daß sieuns am Ende wieder in das einbinden, was sie in ihrenMännerklübchen sowieso vorgedacht und vorgestrickthaben.Lassen Sie mich den heutigen Rückblick deswegen et-was weiter spannen, als es heute morgen schon getanworden ist. Es geht ja um die Parlamentarierinnen in denletzten 50 Jahren. Ich möchte trotzdem ein paar Jahr-zehnte weiter zurückgehen, nämlich in die Jahre derFrauenbewegung. Vor ungefähr 150 Jahren hat LouiseOtto-Peters die Hausgehilfinnen agitiert. Das hat keinemgefallen; aber sie hat eine Menge erreicht, nämlich daßsich die Arbeitsbedingungen dieser sehr häufig unter sehrschlechten Verhältnissen Beschäftigten verbessert haben.Die Suffragetten sind für die Durchsetzung desWahlrechts ins Gefängnis gegangen. Lily Braun, Sozial-demokratin, hat für ihre Überzeugung mit ihrer gesam-ten Familie gebrochen, und viele andere auch. HeleneLange und Gertrud Bäumer, die Begründerinnen derbürgerlichen Frauenbewegung, waren durchaus geach-tet, aber nicht geliebt, durchaus angefeindet, aber sehrmutig und durchsetzungsstark.Liebe Kolleginnen, alle diese Frauen haben sich dasWort nicht zuteilen lassen; sie haben es sich für ihreÜberzeugungen genommen.
Sie sind an die Öffentlichkeit gegangen und haben sichnicht einbinden lassen.Ich möchte hier auch an Marie-Elisabeth Lüders erin-nern; Liselotte Funcke hat heute schon von ihr gespro-chen. Dieses Parlament hat zweimal eine Alterspräsiden-tin gehabt, nämlich 1953 und 1957, und zwar mit Marie-Elisabeth Lüders, einer streitbaren Liberalen, die bereits1919 der Nationalversammlung angehört und von 1920bis 1930 im Reichstag gesessen hat. Sie hat übrigensschon damals dafür gefochten, daß das Schuldprinzip imEhescheidungsrecht durch das Zerrüttungsprinzip abge-löst wird. Das gefiel den liberalen Männern auch damalsnicht. Sie hat trotzdem weiter dafür gestritten; allerdingsist dies erst sehr viel später umgesetzt worden.Natürlich ist die heutige Situation damit nicht mehrvergleichbar. Wir sollten uns aber bewußt sein, daß wirbei unserer Arbeit auch auf dem aufbauen können, wasdiese mutigen Frauen erreicht haben. Mein Plädoyer ist:Vielleicht ist es gefährlich, daß es für uns heute etwaseinfacher ist. Wir sagen ja immer wieder, wir dürftenuns auf dem Erreichten nicht ausruhen. Ist das nichtschon das Signal an alle Männer, daß nichts passiert?Irmingard Schewe-Gerigk
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4395
(C)
(D)
Sicherlich, wir haben viel erreicht. Es gibt eine MengeMinisterinnen. Die Zahl ist ständig gestiegen.Es gibt noch mehr Staatssekretärinnen; es sind immermehr geworden. Aber jeder weiß: Staatssekretär ist diePosition Nummer zwei. Wir haben also vieles erreicht,haben aber nicht die wirklichen Machtpositionen. Dasist das Problem, liebe Kolleginnen, vor dem wir stehen.Läuten wir eine neue Runde in der Diskussion umEmanzipation und Gleichberechtigung ein, indem wirdie Machtfrage stellen! Bisher ist das, glaube ich, nochnicht sehr nachdrücklich geschehen. Es soll auch nichtin einer Weise geschehen, daß die Macht anschließendnicht mehr geteilt werden soll. Ich glaube, wir sind kluggenug, daß uns klar ist, daß sie auch geteilt werden muß– allerdings in anderer Weise, als Männer heute dieMacht mit Frauen teilen. Die Frage ist aber, ob wir daswollen. Ich plädiere nachdrücklich dafür, jetzt die Kurvezu kriegen.
Was brauchen wir dazu? Zunächst einmal brauchenwir – ich glaube, das ist heute hinreichend deutlich ge-worden – das Wollen; wir brauchen aber noch etwas an-deres, und zwar keine Gesetze, sondern Netzwerke. Wirbrauchen für solche Netzwerke das Vertrauen vonFrauen untereinander und die gegenseitige Förderung.Ich meine vor allen Dingen ein Vertrauen untereinanderüber die Fraktionsgrenzen hinweg.Früher lautete das Schlagwort „Männerstolz vor Kö-nigsthronen“, mit dem Machtverhältnisse beschriebenworden sind. Heute geht es um „Frauenstolz vor Män-nerthronen“. Laßt uns, liebe Kolleginnen, deswegen aufeinem solchen Weg aufbrechen! Ich denke, Gleichbe-rechtigung erfordert diese Auseinandersetzungen. Nie-mand wird sie auf dem Silbertablett servieren. Nur,wenn wir uns die Macht organisieren, dann werden dieMänner sie auch mit uns teilen.Danke schön.
Vielen Dank. –
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christina Schenk.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Ich begrüße es sehr, daß Vertrete-rinnen aller Fraktionen dazu beigetragen haben, daß dieheutige Veranstaltung in dieser Form stattfindet. Dennaus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen: Die De-batten, in denen sich Frauen fraktionsübergreifend ver-ständigt haben, gehören zu den Sternstunden des Parla-ments. Ich erinnere an das Ringen um die Strafbarkeitder Vergewaltigung in der Ehe, in dessen Ergebnis einsubstantieller Schritt nach vorn für die Frauen in diesemLand erreicht werden konnte. Ich wünsche mir einfach,daß diese Verfahrensweise, dieses Vorgehen und diesesUmgehen miteinander noch sehr viel selbstverständli-cher werden, als es bislang der Fall war.Allerdings muß man auch sagen: So wertvoll derheutige Austausch unter uns Frauen auch ist, so mangeltes in Parlament und Regierung ausgerechnet am wirkli-chen Interesse derjenigen, die einen immensen Nachhol-bedarf in bezug auf die heute angesprochenen Themenhaben. Ich verweise – wobei ich meine eigene Fraktionallerdings ausdrücklich ausnehmen möchte – auf dieweitgehende Abstinenz unserer männlichen Kollegen inder heutigen Debatte und auch darauf, daß der Bundes-kanzler sein Wort vom „Gedöns“ bis heute nicht aus derWelt geschafft hat. Angesichts dessen verwundert esnicht, daß weder von der alten noch von der neuen Re-gierung wirklich entschiedene Schritte hin zu mehr De-mokratie zwischen den Geschlechtern initiiert wordensind.Die Gesetzgebung ist in vielen Punkten hinter den ge-sellschaftlichen Entwicklungen zurückgeblieben. Wäh-rend man sich in diesem Hause noch nicht einmal auf sokleine Schritte wie beispielsweise die Abschaffung desEhegattensplittings verständigen kann, gestalten Frauenheute ihr Leben längst nach eigenen Vorstellungen undversuchen, staatliche Normierungsversuche zu umgehen.Dies findet seine stärkste Widerspiegelung in der wach-senden Vielfalt weiblicher Lebensmuster. Frauen lebenheute zunehmend außerhalb tradierter Lebensformen: alsSingle – mit oder ohne Kinder –, verheiratet oder innichtehelichen Lebensgemeinschaften, auch in lesbi-schen Beziehungen. Sie leben zu zweit, zu dritt oder zumehreren. Sie können das, weil ihre Teilnahme an derErwerbsarbeit ihnen die notwendige ökonomische Un-abhängigkeit und das entsprechende Selbstbewußtseinverschafft.Der Beitritt der DDR hat dieser Entwicklung nocheinmal einen deutlichen Impuls verpaßt, und zwar inumgekehrter Richtung, als es die meisten in diesemHause erwartet haben. Die Ostfrauen haben sich nichtvon den scheinbaren Verlockungen eines Lebens nur alsHausfrau und Mutter einfangen lassen, sondern ihre Er-fahrungen mit einem ganzheitlichen Leben, in dem bei-de Lebensbereiche, also Beruf und Kinder, einen Platzhaben, in den Westen eingebracht. Der subversiven Wi-derständigkeit der Ostfrauen haben wir es auch zu ver-danken, daß heute niemand mehr ernsthaft bezweifelnkann, daß der Osten bezüglich der Geschlechterverhält-nisse der modernere Teil dieser Republik ist.Entscheidend für die Situation von Frauen auf demArbeitsmarkt sind die Bedingungen für die Vereinbar-keit von Beruf und Kinderbetreuung. Solange sie sounzureichend sind wie hierzulande, kann von Chancen-gleichheit von Frauen und Männern keine Rede sein.Dieses Problem hat zwei Aspekte, von denen der eineetwas vergessen wird. Zum einen müssen endlich dieDefizite in der außerhäuslichen Kinderbetreuung besei-tigt werden, und zum anderen – das ist heute auch schonmehrmals angeklungen – muß die Männerfrage zumThema werden. Kritische Männerforscher konstatierenseit langem bei Männern in Sachen Familienarbeit eineverbale Aufgeschlossenheit bei jedoch weitgehenderVerhaltensstarre. Es dürfte auch klar sein, daß man derübersteigerten Erwerbsneigung der Männer nicht in er-ster Linie mit Werbekampagnen für ein neues Männer-leitbild beikommt. Hier sind schon handfestere Maß-Dr. Irmgard Schwaetzer
Metadaten/Kopzeile:
4396 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
nahmen wie beispielsweise die drastische Einschrän-kung der Überstunden erforderlich.Meine Damen und Herren, wir sind als Parlament ge-fordert, nicht zuzulassen, daß die Kluft zwischen dem,was notwendig ist, und der jetzigen Gesetzeslage immergrößer wird. Angesichts der Jahrtausendwende bleibt zuhoffen, daß dieses Parlament endlich ernstzunehmendeBemühungen unternimmt, damit diese Bundesrepublikin der Geschlechterfrage den Anschluß an die Modernefindet.Danke schön.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Angela Merkel.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Werte Gäste! Die Frage,warum wir eine solche Debatte machen, ist heute schonan vielen Stellen beantwortet worden. Es ist spannend zusehen, wie sich in 50 Jahren Lebensläufe verändern, wieDinge für uns heute normal sind, die damals schwierigwaren.Aber die Debatte geht natürlich auch darum – FrauSchwaetzer hat dies eben gesagt –, was uns dies alles fürdie Zukunft sagt. Ich finde, daß eine nächste Debatte zudem Thema Geschlechter in unserer Gesellschaft viel-leicht nur von Männern über die Frage geführt werdensollte, was sich in ihrem Leben dadurch geändert hat,daß sich bei den Frauen etwas geändert hat. Wahr-scheinlich wäre sie kürzer, weil sich die hohe Belast-barkeit von Frauen als einer der wesentlichen Faktorenauf dem Wege zur Gleichberechtigung vielleicht alswirksameres Mittel als die Veränderungsbereitschaft derMänner herausgestellt hat.
Weil Frauen dadurch, daß sie in die Politik, in dieErwerbsarbeit, in die Selbständigkeit hineingegangensind, heute im Grunde das gesamte Spektrum des gesell-schaftlichen Lebens abdecken, glaube ich, daß wir dieProbleme unserer Gesellschaft, die auch politisch zu lö-sen sind, dann besonders gut kennenlernen, wenn wiruns mit der Lebenssituation von Frauen beschäftigen.Die deutsche Einheit ist heute schon an vielen Stellenangesprochen worden. Eines meiner ersten Erlebnisseals Frauenministerin war, daß ich, als mir in Nordrhein-Westfalen vorgehalten wurde, daß nun die Ostfrauenmehr Rente kriegen als die Westfrauen, im Brustton derÜberzeugung sagte, das sei normal, denn die hätten auchgearbeitet. Schlagartig gab es ein Getöse im Saale, undmir wurde klar, daß der Begriff „Arbeit“ in unserer Ge-sellschaft ein außerordentlich restriktiver ist und daßdurch die deutsche Einheit plötzlich die Frage, was einsinnerfülltes gearbeitetes Leben ist und wie diese Artvon Arbeit bewertet wird, wieder offen ist. Wir werdenuns auch seitens der CDU und CSU weiterhin mit die-sem Thema beschäftigen. Es ist wichtig, für die Zukunftzu sagen: Was ist Arbeit in unserer Gesellschaft, undwie kommen wie in dieser Richtung weiter?
Wenn wir über die Schlüsselrolle und die Lebenssi-tuation von Frauen sprechen, will ich noch auf einenzweiten Aspekt der deutschen Einheit hinweisen, dernoch nach zehn Jahren völlig unbearbeitet schlummertund zu großen geistigen oder emotionalen Eruptionenführt. Es ist die Frage: Wer erzieht wann wie seine Kin-der gut? Das Thema Erziehung und diktatorischeStrukturen, aber auch das Thema Erziehung und Verein-barkeit von Beruf und Familie und die Frage, was guteund schlechte Eltern sind, bewegen die Menschen ineinem hohen Maße und führen zu großen Emotionen.Auch hier sollten wir den Mut haben, diese politisch an-zusprechen, ohne die Leute zu bevormunden.
Ich will einen dritten, davon stark abweichendenPunkt hier noch kurz benennen: Wenn wir uns als Frau-en mit der gesellschaftlichen Lebenssituation auseinan-dersetzen wollen, dann müssen wir in Zukunft unserenBlick auch in Richtung dessen wenden, was wir mit demSchlagwort Globalisierung beschreiben. Wir inDeutschland plagen uns mit der Frage herum: Wieschaffen wir es, Eltern zu ermutigen, Kinder zu haben,und Lebensbedingungen mit kinderfreundlichen Gesell-schaftsstrukturen herzustellen? Zur gleichen Zeit be-schäftigen wir uns jetzt mit der Geburt des sechsmilli-ardsten Erdenbürgers. Die Schlüsselfragen lauten: Wel-che Lebenssituationen finden die Frauen in den Ent-wicklungsländern vor, und wie können wir mit unserenErfahrungen des Wohlstandes die richtigen Strukturenschaffen?Da Frauen in der Politik genauso streitlustig sind wieMänner und die Parteipolitik hier nicht endet, muß ichzumindest mahnend an diesem ansonsten sehr harmo-nisch verlaufenden Tag sagen: Ob die Streichungen imEntwicklungshilfeetat gerade im Bereich der Bevölke-rungsentwicklung, der Familien- und Geburtenplanungund ähnlichem besonders gute und zukunftsträchtigepolitische Maßnahmen sind, wage ich zu bezweifeln,aber, um es klar zu sagen: Ich halte das für falsch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wennwir im Sinne von Frau Schwaetzer darangehen, Macht-strukturen neu zu benennen, wird es darauf ankommen,daß Frauen Themen frühzeitig ansprechen. Ich halte dasThema Globalisierung im Zusammenhang mit der Frage,wie wir zu humanen und im übrigen auch ökologischverträglichen Lebensbedingungen kommen, für einespannende Aufgabe für Frauen über alle Parteigrenzenhinweg.Herzlichen Dank.
Christina Schenk
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4397
(C)
(D)
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Inge Wettig-Danielmeier.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren im Saal und auf den Rängen!Vor zehn Jahren hätten wir Mühe gehabt, diese Debattehier überhaupt zu führen; denn wir hätten, wenn ich dasrichtig überblicke, gar nicht so viele Frauen gehabt. Hierist deutlich geworden, daß vor 50 Jahren und auch nochin den Folgejahren Frauen eher in der Größenordnungvon Spurenelementen in den deutschen Parlamentenvorgekommen sind.Auch wenn der Übervater der SPD und einer der gro-ßen Redner in diesem Hause, August Bebel, proklamierthat, es gebe keine Befreiung der Menschen ohne dieUnabhängigkeit und Gleichheit der Geschlechter, so hatdas auch bei der SPD nicht viel genutzt. Sie ist 1949 miteinem Frauenanteil von 9,5 Prozent in den Bundestageingezogen; das war nicht mehr als 1919.Ich erinnere mich an bestimmte Regelungen, die wirgeschaffen haben. Meine parlamentarische Arbeit star-tete damit, daß mich die im Bundestag hochgeschätzteElinor Hubert 1968 nach 19jähriger Mitgliedschaft imBundestag in ihrem Wahlkreis ins Gespräch brachte.Das stieß auf eisige Ablehnung. In diesem Wahlkreiswar ich nicht fremd: Ich hatte dort 20 Jahre gelebt undgearbeitet; meine Familie wohnte dort. Es gab auch kei-nen mehrheitsfähigen Konkurrenten in diesem Wahl-kreis. Trotzdem hieß es: Zu jung, als Frau in einemländlichen Wahlkreis nicht durchsetzbar. Es wurde einMann von außen geholt.Als ich drei Jahre später überraschend in den Nieder-sächsischen Landtag nachrückte, war die einzige Frauunter 74 Männern hochbeglückt. Zu sagen hatten wir zuzweit wenig. Frauen waren Dekoration und hatten sichso zu verhalten. Im übrigen konnten sie Sacharbeit ma-chen. Meine Partei sorgte dafür, daß ich zwei Jahre spä-ter einen Wahlkreis bekam – zwar ungewinnbar, aberimmerhin mit einem Anspruch auf eine Listenabsiche-rung. Später sammelte ich zusätzliche Erfahrungen alsVorsitzende der SPD-Frauen.Vor jeder Landtags- und Bundestagswahl wurdenBriefe an die Vorstände geschickt und Gespräche mitihnen geführt. Die Antwort war immer die gleiche: Wirhaben keine qualifizierten Frauen. Die Genossin ist gut,aber nicht vermittelbar. Es gibt schon einen Anspruchdes Fraktionsvorsitzenden.Viele von Ihnen wissen: Ich war eine engagierte Geg-nerin der Quote in der SPD. Das war ziemlich ideali-stisch und blauäugig; denn ich glaubte wie viele Mit-kämpferinnen, in der SPD könnten wir im Vertrauen aufunsere hehren Programmsätze und auf August Bebel dieGleichstellung der Frau ohne Quote und ohne sonstigeRegelungen durchsetzen. Den allgemeinen Grundsatz,daß Frauen in allen Gremien entsprechend ihrem Mit-gliederanteil vertreten sein müssen, gab es seit 1908.Doch obwohl der Mitgliederanteil der Frauen 1949 bei19 Prozent lag, betrug der Frauenanteil bei der SPD imBundestag nur 9,5 Prozent. 1972 lag er schließlich bei5,4 Prozent. Dieser Anteil wuchs bis Anfang der 80erJahre mühselig auf 10 Prozent an. Deswegen haben wir1985 schließlich die Hälfte der Posten und Mandate ge-fordert. Satzungsgemäß sollte abgesichert werden, daßin jedem Gremium der Anteil der Frauen und der Män-ner bei mindestens 40 Prozent liege. Das wurde 1988nach mühseliger und hartnäckiger Überzeugungsarbeit –sozusagen durch Mund-zu-Mund-Beatmung – auchdurchgesetzt.Ein Gespenst geht um. Unbedarft und ohne Weit-blick kommt es auf Stöckelschuhen daher, lehrtselbst den mannhaften Bürger das Fürchten: dieQuotenfrau.So kommentierte die „Stuttgarter Zeitung“. Aber dasGespenst zeigte umgehend Wirkung: Lag der Frauen-anteil zwischen 1919 und 1990 in den deutschen Parla-menten nie höher als bei 10 Prozent, so stieg er schon1990 im Deutschen Bundestag auf 20 Prozent, und zwaram meisten in der SPD, aber auch in den anderen Frak-tionen. 1994 stieg der Frauenanteil auf gut 25 Prozent,und inzwischen – wie heute schon erwähnt wurde – liegter bei 30 Prozent. Der Beispielwirkung einer großenVolkspartei konnten sich auch die anderen Parteien nichtentziehen. Die eine Alibifrau war in der Politik passé.Danach konnten wir – jedenfalls ich habe es so empfun-den – auch über Parteigrenzen hinweg mit mehr Frauensehr viel besser zusammenarbeiten, weil die Frauen auchUnterstützung gegenüber ihren Fraktionsführungen hat-ten; das ist doch klar. Wir hätten sicherlich den Kom-promiß zum § 218, den ich über Jahre zu moderierenversucht habe, gar nicht zustande gebracht, wenn nichtso viele Frauen in diesem Parlament vertreten gewesenwären.
Dies ist eine ganz wichtige Voraussetzung für dieDurchsetzung von Fraueninteressen.Natürlich wohnt jedem Erfolg auch die Gefahr desRückschlags inne, das um so mehr, als der normal so-zialisierte Mann als Macho keineswegs ausgestorben ist.Bei allen Bemühungen um Gleichheit: In unserer Ge-sellschaft vereinbaren vor allem die Männer Beruf undFamilie. Verheiratete Frauen werden durch eine eigeneFamilie in ihrer Karriere nachhaltig gestört, währendverheiratete Männer um so besser vorankommen undaufsteigen. Wenn nicht deutlich wird, daß Frauen eineaktive Gleichstellungspolitik fordern und unterstützen,dann wird es nichts mit der Gleichstellung unsererTöchter und Enkelinnen. Wir selber müssen jeden Tagfür die Gleichstellung eintreten. Ich bin wie FrauSchwaetzer und andere Parlamentarierinnen der Mei-nung, daß es dann, wenn wir Frauen in der Politik unsnicht nachhaltig gegenseitig unterstützen, nichts mit derTeilhabe der Frauen an der Macht wird. Alle Instru-mente wie Quoten, Gleichstellungsgesetze und Förder-pläne sind hilfreich und notwendig. Aber sie behebennicht automatisch die real existierende Frauendiskrimi-nierung. Frauen wollen keine Männer sein.Unsere Erfahrungen haben uns auch gelehrt, daß be-scheidenes Abwarten nicht nur nichts bringt, sondernuns zurückfallen läßt und deshalb falsch ist. Wer diemenschliche Gesellschaft will, der muß die männliche
Metadaten/Kopzeile:
4398 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
überwinden, und das heißt: Frauen, wir müssen an aller-erster Stelle selber anfassen! Wenn Männer uns helfen,ist es um so besser.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Antje Hermenau.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich
weiß, wir alle sitzen schon etwas länger zusammen, als
wir ursprünglich geplant hatten. Ich danke Ihnen, daß
Sie alle noch da sind. Ich finde das toll.
Wenn wir schon einmal dabei sind, uns freundlich
zu unterhalten, dann möchte ich eine Anekdote erzäh-
len. Vor zwei Tagen habe ich meinen Mitarbeiter ge-
beten, sich bei der Pressestelle des Sächsischen Land-
tages zu erkundigen, wie hoch in Sachsen in den zwei
Legislaturperioden seit 1990 der Frauenanteil in den
Fraktionen gewesen ist, welche Frauen Fraktionsvor-
sitzende waren, welche Frauen stellvertretende Parla-
mentspräsidentinnen waren usw. Die Antwort der Pres-
sestelle des Sächsischen Landtages war: Eine solche
Statistik führen wir nicht. Der wissenschaftliche Dienst
dieses Parlamentes, den ich danach bemühte, rechnet
noch handschriftlich aus, wieviel es denn gewesen sein
könnten.
Wenn ich darüber nachdenke, stelle ich fest, wie
kennzeichnend dies ist. Wir könnten zwei Thesen auf-
werfen: Gibt es a) die Möglichkeit, daß wir Ostdeut-
schen die Gleichberechtigung für so selbstverständlich
halten, daß wir nicht einmal eine Statistik darüber füh-
ren, wieviel Frauen im Sächsischen Landtag sind und
was sie da machen, oder – diese These möchte ich hier
anbieten; wir sollten zusammen über sie nachdenken –
liegt es b) vielleicht auch daran, daß wir daran gewöhnt
waren, in der Machtlosigkeit der DDR ganz selbstver-
ständlich gleichberechtigt zu sein – eine Selbstverständ-
lichkeit, die es jetzt nicht mehr gibt? Darüber würde ich
mich heute gerne unterhalten.
Es handelt sich um eine Beobachtung, die auch meine
politischen Schritte der letzten zehn Jahre prägt. Gleich-
berechtigung ist uns Frauen aus dem Ostteil Deutsch-
lands eher zugeteilt worden – übrigens meistens von
Männern. Wir haben sie angenommen, denn einem ge-
schenkten Gaul guckt man nicht ins Maul. Aber wir ha-
ben nie gefragt, welchen Charakter und welche Qualität
diese Gleichberechtigung hat. Eigentlich haben wir sie
in der Substanz nicht wirklich hinterfragt.
Wenn jetzt ein größerer Teil der Ostdeutschen sagt,
man sei unzufrieden damit, wie die Gleichberechtigung
umgesetzt werde und es werde noch nicht genug für
die Gleichberechtigung getan, dann stelle ich fest, daß
mehr Ostdeutsche als Westdeutsche unzufrieden sind.
Ich grüble, ob es daran liegen kann, daß es vielleicht
eine gewisse verzerrte DDR-Optik gibt, so daß man
das, was damals gewesen ist, für eine tolle Gleichbe-
rechtigung gehalten hat. Das wäre eine mögliche Erklä-
rung. Ich versteige mich nicht dazu zu sagen: Es ist so.
Oder hat diese Ansicht vielleicht etwas damit zu tun,
daß es einfach nicht ganz klar ist, was wir mit Gleich-
berechtigung eigentlich meinen und was wir eigentlich
wollen?
Ich komme zu einer psychologischen Ebene, die mir
in diesem Parlament aufgefallen ist. Wir haben alle mit-
einander zu tun. Hier mischen sich ost- und westdeut-
sche Betrachtungsweisen mehr und mehr. Wir sind viel
näher aneinandergerückt. Dieses Parlament ist ein Ort in
Deutschland, an dem sich Ost- und Westdeutsche näher-
gekommen sind. Das ist eindeutig. Ich verstehe inzwi-
schen viel besser, was nonverbal bei den Westdeutschen
abläuft, und die Westdeutschen verstehen auch mich
immer besser.
Die meisten ost- und westdeutschen Frauen teilen
diesen engen Grad der Verzahnung in der Arbeit nicht.
Sie sind nicht auf dem Stand der Verständigung, den wir
hier erreicht haben. Ich halte es für wichtig, daß wir uns
über diese Sache unterhalten. Ich nehme wahr, daß viele
ostdeutsche Frauen sehr selbstverständlich nach der
Macht greifen, wenn sie eine Gelegenheit dazu sehen.
Das geschieht aber nicht immer unbedingt mit der Vor-
stellung, es müsse jetzt ganz dramatisch erkämpft wer-
den.
Gleichzeitig bekomme ich von westdeutsch geprägten
Frauen das Feedback: Mein Gott, wie kann man denn
nur so naiv sein; man muß natürlich immer kämpfen,
weil einem nichts nachgeschmissen wird, wenn es um
die Macht geht. – Auch das ist richtig. Die zehn Jahre
westdeutsche Praxis haben mich gelehrt, daß ich an die-
ser Stelle noch eine Menge dazulernen muß.
Ich frage mich, ob es möglich ist, die westdeutsch
geprägten Frauen aufzufordern, ein bißchen von der
Selbstverständlichkeit der ostdeutschen Frauen anzu-
nehmen. Es ist schade, daß wir uns selber immer wieder
sagen müssen, wie selbstverständlich das, was wir ma-
chen, eigentlich ist. Daß wir so viel darüber reden müs-
sen, ist ein Zeichen dafür, daß Gleichberechtigung nicht
selbstverständlich ist. Das haben wir heute in vielen
Beiträgen gehört. Vielleicht können wir diesen Gedan-
ken vermitteln, ohne dafür als naiv diffamiert zu wer-
den.
Ich wünsche mir, daß mehr ostdeutsche Frauen ler-
nen, welche Mittel man einsetzen muß, wie und wofür
man kämpfen muß, wenn man möchte, daß Frauen in
Deutschland gleichberechtigt sind. Dafür würde ich ger-
ne werben, und dafür würde ich mich gerne stark ma-
chen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hatjetzt die Kollegin Hannelore Rönsch.Inge Wettig-Danielmeier
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4399
(C)
(D)
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine
sehr geehrten Damen auf den Tribünen! Wir haben sel-
ten die Gelegenheit und selten den breiten Raum, um so
konzentriert über Frauenfragen zu diskutieren. Es ist für
mich eine besondere Freude, heute über 50 Jahre Parla-
mentarierinnen in der Politik diskutieren zu können. Wir
haben Sie dazu eingeladen. Das eine oder andere mag
Sie an Ihre eigene Biographie erinnert haben, die eine
oder andere Wegbereiterin für uns, die wir jetzt in den
Parlamenten sitzen, mag dabeisein; aber es mag auch
vielen von Ihnen so ergangen sein, daß sie sagen: Wir
möchten jetzt einmal unsere eigenen Erfahrungen in die
Diskussion einbringen. Ich hätte mir schon gewünscht –
aber das ist bei der Struktur von Plenardebatten nun
einmal nicht möglich –, daß breiterer Raum für die Dis-
kussion zur Verfügung gestanden hätte, denn dann hät-
ten wir auch von Ihnen etwas lernen können.
In unserer Feierstunde heute haben vier Parlamenta-
rierinnen gesprochen, denen ich, als ich 1983 als Neu-
ling in den Bundestag kam, noch begegnet bin. Sie wa-
ren diejenigen, die für uns Frauen Wegbereiter und ein
Stück Vorbild waren. Zu dieser Zeit wurde man als Frau
in der Politik – auch im Wahlkreis – noch gefragt: „Sag
doch einmal, wie du das mit Ehe und Familie machst.“
Meinen Sie, diese Frage wäre je an einen männlichen
Kollegen gestellt worden? Wenn man darauf antwortete:
„Nicht anders als auch meine männlichen Kollegen“,
dann galt diese Antwort zumindest in meiner Partei als
relativ salopp. Wir haben uns in unserer Partei, wie ich
denke, durchgesetzt und die Kolleginnen in den anderen
Parteien mit Sicherheit auch.
Gerade in bezug auf die Gleichstellung haben wir
sehr viel zusammen erreichen können; über das eine
oder andere haben wir sehr stark gestritten, aber einer
Feststellung möchte ich doch ein wenig widersprechen:
Wenn von der großen Frauensolidarität und von Netz-
werken gesprochen wird, verhalten wir Frauen uns
eigentlich gar nicht anders als unsere männlichen Kolle-
gen,
obwohl wir teilweise im Parlament noch ein Diasporada-
sein führen. Hier würde ich mir schon wünschen, daß wir,
wenn es um Interessen und Anliegen von Frauen geht,
parteienübergreifend wesentlich stärker zusammenarbei-
ten. Sie, meine Damen von der SPD-Fraktion, hätten,
wenn Sie sich stark dafür eingesetzt hätten, mit Sicherheit
eine Bundestagspräsidentin vorschlagen können. Wir ha-
ben Ihnen eine Kandidatin für das Amt des Bundespräsi-
denten mit hoher Reputation präsentiert. Es war Ihnen
aber nicht möglich, hier Gemeinsamkeit zu zeigen.
Ich will noch ein Weiteres an uns hier unten im Ple-
num und auch an die Frauen auf den Rängen gerichtet
sagen: Wenn wir Frauen mit Hilfe von Kolleginnen
und sehr oft auch von Kollegen bestimmte Positionen in
der Politik, in gesellschaftlichen Bereichen oder in den
Wohlfahrtsverbänden – wo auch immer in unserer Gesell-
schaft – erreicht haben, sollten wir sicherstellen, daß auch
Raum für andere Frauen ist. Viele von uns wissen sicher,
wovon ich rede. Wir müssen sicherstellen, daß den nach-
folgenden Generationen, den Jüngeren, auch Wege ge-
ebnet werden, und dürfen nicht permanent den Minder-
heitenschutz für uns in Anspruch nehmen und ein Stück
weit als Schutzklausel dafür sehen, daß andere Frauen ne-
ben uns keine Chance haben. Lassen Sie uns gemeinsam
daran arbeiten. Wir sollten in unserer Gesellschaft als
Frauen unsere Positionen erkämpfen und verteidigen, aber
nie die besseren Männer werden wollen. Wir brauchen die
Männer auf dem Weg in die Partnerschaft.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Hanna Wolf.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frauen da obenauf den Tribünen! Es ist schön, daß Sie noch da sind undnicht abgeschlafft wie einige hier unten im Plenum.Liebe Frau Rönsch, mir fiele jetzt natürlich auch et-was ein, was ich zitieren könnte, wo Ihre Stimme nichtbei den Stimmen war, aber ich lasse das heute.Weil wir heute unsere Parlamentsarbeit erstmalig imGebäude des Reichstages aufnehmen, möchte ich zu-nächst nicht nur an die 50 Jahre erinnern, in denen Frau-en parlamentarisch an der demokratischen Entwicklungder Bundesrepublik mitgewirkt haben. Auch in derWeimarer Republik von 1919 bis 1933 gab es gestande-ne Parlamentarierinnen. Heute morgen wurden schoneinige von ihnen genannt.Weil ich aus München komme, möchte ich von dieserStelle aus der Münchner Lehrerin und SPD-Reichstagsabgeordneten Toni Pfülf gedenken. Sie warMitglied der Verfassunggebenden Versammlung von1919 und danach bis 1933 Reichstagsabgeordnete. Siehatte ihr Abgeordnetenzimmer im Obergeschoß diesesHauses, im Plenum saß sie auf Platz 28. Toni Pfülfnahm sich am 8. Juni 1933 mit 56 Jahren das Leben. Sieertrug die Machtergreifung der Nazis nicht, die sie schonaus der sogenannten „Hauptstadt der Bewegung“ kannte.Sie konnte auch den Kompromiß nicht mittragen, dendie durch die Verfolgungen dezimierte SPD-Fraktiongegenüber Hitler einschlagen wollte.Toni Pfülf hat sich nicht als sogenannte Frauenrecht-lerin verstanden. Ihre Sicht von Frauenpolitik war – jetztzitiere ich aus ihrem Redemanuskript für eine Parteiver-sammlung von 1922 –,daß es überhaupt keine Frauenfrage gibt, daß alles,was heute als Frauenfrage deklariert wird, etwasganz Selbstverständliches ist. Aber– das war an die anwesenden Männer gerichtet –wenn Sie das nicht sehen wollen, dann müssen al-lerdings wir Frauen den Teil vertreten, den Sienicht sehen oder sehen wollen.Wie recht hatte sie, und wie recht hat sie noch immer.
Metadaten/Kopzeile:
4400 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Toni Pfülf stritt für die Reform des § 218, die Re-form des Ehe- und Familienrechts, die Reform desScheidungsrechts, die Gleichberechtigung nicht ehelichgeborener Kinder, die Gleichberechtigung von Beamtin-nen gegenüber Beamten. Sie stritt auch vehement für dieAbschaffung der Todesstrafe.Was ist aus diesen Themen geworden? 14 JahreWeimarer Republik haben keine Lösung gebracht. Diefolgende Naziherrschaft hatte bekanntlich andere Ziele.Erst die letzten 50 Jahre brachten uns weiter, wenn auchmeist nur nach zähem, langwierigem Ringen. Zumindestdie Todesstrafe wurde gleich 1949 durch das Grundge-setz abgeschafft. Beamtinnen sind seit 1953 zur Be-rufsausübung nicht mehr zum Zölibat verpflichtet. DasEhe- und Familienrecht wurde in den 50er Jahren refor-miert. Seit 1958 gibt eine Frau durch Heirat nicht mehrihre Geschäftsfähigkeit an den Ehemann ab. Die Reformdes Scheidungsrechts wurde von der sozialliberalen Ko-alition in den 70er Jahren durchgesetzt. Seitdem giltnicht mehr das Schuld-, sondern das Zerrüttungsprinzip,wie es schon Toni Pfülf 1928 in einer Reichstagsredegefordert hatte.Die Reform des § 218 – das wurde heute immer alseine der größten Debatten erwähnt, die auch ich selberin diesem Hause mitmachen durfte – war schon in den70er Jahren als Fristenregelung angedacht und durchge-setzt, wurde aber dann doch vom Bundesverfassungsge-richt gestoppt. Erst die deutsche Einheit gab uns in den90er Jahren die Gelegenheit, eine neue Lösung zu fin-den. Ein überfraktioneller Antrag führte nach vielen Wi-derständen erst in der vorigen Wahlperiode zum Erfolg.Erst seit August 1995 liegt die Letztentscheidung übereine Abtreibung bei der schwangeren Frau. Wir dachten,das Thema wäre damit abgeschlossen. Aber nein, diekatholischen Bischöfe wollen diese Lösung gerade wie-der in Frage stellen.Das neue Kindschaftsrecht stellt nichteheliche Kin-der endlich mit ehelichen Kindern gleich. Gerade dieReformen in den 90er Jahren waren nur möglich, weilimmer mehr Frauen ins Parlament kamen und bereit wa-ren, über die Fraktionsgrenzen hinweg Koalitionen zuschmieden. Diese Themen standen einfach zu lange an.Auch das war für mich eine große parlamentarische Er-fahrung, wie spannend es ist, über die Fraktionsgrenzenhinaus so etwas durchzusetzen.Toni Pfülf sprach von der Durchsetzung der Men-schenwürde, wenn es um ihre – um unsere – Themenging. Heute sprechen wir von Gesellschaftspolitik. Ge-sellschaftspolitik geht alle an, Frauen wie Männer. ToniPfülf argumentierte bei diesen Themen vor allem auchdamit, daß der Gesetzgeber die gesellschaftliche Reali-tät nachzeichnen müsse. Das Gesetz dürfe der Wirk-lichkeit nicht hinterherhinken.Wir wissen jedoch, daß Gesetze auch bewußtseins-bildend wirken müssen. Gewalt gegen Frauen und Kin-der waren die tabuisierten Bereiche, die zuerst dieFrauenbewegung auf die Tagesordnung bringen mußte.Wir mußten durch Gesetze dem allgemeinen Unrechts-bewußtsein nachhelfen. Sexuelle Belästigung am Ar-beitsplatz, Vergewaltigung in der Ehe, sexueller Miß-brauch von Kindern, Kinderpornographie sind Proble-me, für die wir auch im Parlament erst ein Bewußtseinschaffen mußten. Welch ein Armutszeugnis für einParlament, welch ein Armutszeugnis für eine Gesell-schaft!Welch ein Armutszeugnis auch, daß diese Gesell-schaft ein Programm „Frau und Beruf“ nötig hat. Füreine demokratische, emanzipierte, daß heißt für micherwachsene Gesellschaft sollten die Ziele dieses Pro-gramms Selbstverständlichkeit sein. Dann bräuchten wirnur noch ein paar Gesetze, die Verstöße gegen den all-gemeinen Konsens der Gleichberechtigung von Frau-en und Männern ahnden. Das wäre meine Vision.Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes hätte dann auchnicht des Zusatzes von 1994 bedurft:Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung derGleichberechtigung von Frauen und Männern undwirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteilehin.Nach meinen parlamentarischen Erfahrungen aus die-sen 90er Jahren weiß ich, daß wir auch an der Schwellezum nächsten Jahrtausend nicht auf die bewußtseinsbil-dende Funktion von Gesetzen verzichten können, wennes um Frauen geht. Deshalb laßt uns weiter kämpfen, imParlament und draußen!
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Claudia Nolte.
Sehr geehrte Frau Prä-sidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frauenauf der Tribüne! Daß wir diese Sonderdebatte heute imDeutschen Bundestag führen, hat sicher viele Gründe,doch es ist ein Zeichen dafür, daß wir die Gleichberech-tigung nicht erreicht haben. Denn wir gedenken ja nichtnur der Frauen der ersten Stunde im Parlament – dahatte man aus geschichtlichen Gründen vielleicht nochVerständnis dafür, daß sie nicht so oft vorkamen –, son-dern wir kommen nicht umhin, festzustellen, daß wirauch heute von einem ausgewogenen Verhältnis zwi-schen Männern und Frauen in unserem Parlamentweit entfernt sind.Ich möchte besonders darauf hinweisen, daß dies kei-ne spezifische Ost-West-Thematik ist. Denn egal ob wirim Osten oder im Westen gewählt worden sind und egalob wir in Frankfurt/Main oder Frankfurt/Oder leben – esist für uns ein Ärgernis, daß wir eine derart begrenzteZahl stellen. Deswegen möchte ich noch einmal daranerinnern, daß „50 Jahre Deutscher Bundestag“ nur fürden einen Teil Deutschlands gilt. Ich bin in dem TeilDeutschlands groß geworden, in dem es 40 Jahre keinenfreien Parlamentarismus gab, sondern eine führendePartei herrschte, die sich selbst die „Diktatur des Prole-tariats“ nannte. Klar, in der Schule habe ich gehört,eines ihrer Ziele sei die Gleichberechtigung der Frau.Demgegenüber aber waren die Kader, die dann die poli-Hanna Wolf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4401
(C)
(D)
tische Entscheidung gefällt haben, fast ausschließlichMänner. Vielleicht versuchte dies die damalige, fürFrauenfragen zuständige ZK-Sekretärin Ingeborg Langezu rechtfertigen, indem sie sagte: „Die Rolle der Frau imProduktionsprozeß bestimmt ihre Stellung in der soziali-stischen Gesellschaft.“ Und da man es ja schaffte, dieFrauen in das Dreischichtsystem einer Revolverdrehereifest einzubinden, war die politische Beteiligung nichtmehr ganz so wichtig.Mit der friedlichen Revolution gab es für die Frauender ehemaligen DDR erstmals die Chance, ihr Parlamentfrei zu wählen und selber frei gewählt zu werden. Fürmich beispielsweise wurde dies sehr reell. In der Rück-schau bin ich sehr dankbar für diese Möglichkeit derpolitischen Gestaltung unseres Landes.Die Tatsache, daß seit dem 18. März 1990 alle Bürge-rinnen und Bürger in Deutschland in Freiheit und De-mokratie leben können, daß es freie Wahlen gibt, freieMeinungsäußerung, halte ich für den größten Erfolg in50 Jahren Deutscher Bundestag.
Die Wiedervereinigung hat darüber hinaus aber auchganz konkrete Impulse für mehr Gleichberechtigung vonFrauen und Männern gebracht. Ich messe dabei dem Ei-nigungsvertrag so etwas wie eine Katalysatorwirkungzu; denn er hat ausdrücklich den Auftrag an den gemein-samen zukünftigen Gesetzgeber enthalten, die Gleichbe-rechtigung voranzubringen, vor allen Dingen im Bereichder besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.Es ist im Verlauf der Debatte schon vieles genanntworden, was seitdem erreicht worden ist, so daß man eshier nur noch kurz benennen muß: Der Art. 3 desGrundgesetzes wurde erweitert. Wir haben das ZweiteGleichberechtigungsgesetz verabschiedet. Das Arbeits-förderungsgesetz ist um die Frauenförderung erweitertworden. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergarten-platz wurde durchgesetzt, der Aufbau einer pluralenStruktur von Frauenverbänden in den neuen Bundeslän-dern wurde vorangetrieben und vieles andere mehr.Daß die Beteiligung von Frauen an der politischenMacht noch weiterreichende Implikationen hat, ist mirin besonderer Weise bewußt geworden, als ich als da-malige Bundesfrauenministerin die BundesrepublikDeutschland auf der Vierten Weltfrauenkonferenz inPeking vertreten durfte. Für mich war es in der Tat be-eindruckend, zu erleben, wie Frauen aus allen Teilen derWelt mit ungeheurem Engagement, mit vielen Ideen undviel Kraft ihre Rechte einforderten. Es wurde deutlich,daß unsere Welt anders aussehen könnte, wenn man denFrauen ihre Rechte auch zubilligen würde: Zugang zurBildung und zum Kapital und das Selbstbestimmungs-recht. Ohne Frauen ist eine nachhaltige Entwicklung un-seres Globusses nicht denkbar, kann man die globalenProbleme nicht lösen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir Frauen po-litische Macht einfordern, hat wenig damit zu tun, daßwir meinen, eventuell die besseren Politiker oder Men-schen zu sein. Es hat vielmehr damit zu tun, daß Frauennicht zuletzt auf Grund ihrer Verschiedenheit zummännlichen Geschlecht unterschiedliche Erfahrungs-hintergründe, Sicht- und Herangehensweisen habenals Männer, die aber genauso in die politischen Ent-scheidungen einfließen müssen, damit Politik der ge-samten Bevölkerung gerecht wird.Außerdem gibt es keinen vernünftigen Grund, warumFrauen nicht an der Macht beteiligt sein sollten.
Wir brauchen die Frauen in allen Parlamentsausschüssenund nicht nur in einigen wenigen, von denen vielleichtmanch ein Kollege heimlich denkt, daß sie eigentlichüberflüssig sind.Deshalb möchte ich den Themen, die Angela Merkelgenannt hat, noch eines hinzufügen, das aus meinerSicht sehr entscheidend ist, nämlich die Frage: Wie kön-nen wir dazu beitragen, ethnische Konflikte friedlich zulösen und Frieden auf Dauer zu sichern? Manchmal istdie Aussöhnung zwischen Ethnien durch die Frauen er-folgt, durch informelle Treffen, durch Gespräche.
Frau Kollegin,
denken Sie ein bißchen an die Zeit. Sie müssen sich jetzt
kurzfassen.
Ich denke, gerade we-
gen unserer Kompetenzen im sozialen Bereich, wegen
unserer Kommunikationsfähigkeit sind wir Frauen gute
Vermittlerinnen und sollten mehr daran beteiligt werden.
Ich wünsche mir für die nächsten 50 Jahre, daß es
überhaupt nichts Besonderes mehr ist, nicht Herr, son-
dern Frau Abgeordnete zu sein.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Hildegard Wester.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Liebe Gäste! Es ist heute schon sounglaublich viel über die Fortschritte bei den Bemühun-gen um die Gleichberechtigung gesagt worden, daß essicherlich schwer ist, als eine der letzten Rednerinnennoch neue Aspekte zu bringen. Es ist viel über Erfolgegeredet worden, es ist aber auch davon geredet worden –das möchte ich dick unterstreichen –, daß wir noch langenicht am Ende des Weges sind und daß es noch vielergemeinsamer Aktivitäten und Initiativen bedarf, um dorteines Tages hinzugelangen.Trotzdem gibt es Erfolge – das ist unzweifelhaft –, siesind bereits genannt worden. Es gab sie in vielen Berei-chen, sowohl in der Gesetzgebung als auch im Rollen-verhältnis der Geschlechter zueinander. Sie spiegeltensich auch in Äußerlichkeiten wider. In diesem Zusam-Claudia Nolte
Metadaten/Kopzeile:
4402 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
menhang möchte ich einmal an eine Situation erinnern,die wir uns heute gar nicht mehr so gut vorstellen kön-nen: Noch in den 70er Jahren hieß es im Parlament, alseine Frau es wagte, in Hosen zu erscheinen, daß sie ein„unanständiges und würdeloses Gebaren“ an den Taglege. Wenn wir heute sehen, wie viele von uns in Hosenerschienen sind, dann ist da ein sehr schöner Fortschrittzu erkennen, auch wenn es sich hier lediglich um eineÄußerlichkeit handelt, die wir schmunzelnd zur Kennt-nis nehmen sollten.Auch in der Gesetzgebung wurde einiges getan. Aber,wie gesagt, wir haben einen weiten Weg vor uns. Vonall den Problemen, die wir noch zu lösen haben, möchteich eines hervorheben – dieser Punkt wurde heute viel-fach angesprochen; aber gerade dies zeigt, daß es einzentraler Punkt ist –: Für mich ist ein entscheidenderAspekt für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft,wie wir mit der gerechten Aufteilung von Arbeit undinsbesondere mit der Aufteilung von Erwerbsarbeitund Familienarbeit zwischen den Geschlechtern um-gehen.Seit 1977 wird gesetzlich auf eine Rollenzuweisungin der Ehe verzichtet; auch das hörten wir schon. DasModell der Hausfrauenehe mit einem Haupt- und Al-leinernährer wurde zugunsten einer partnerschaftlichenAufgaben- und Rollenverteilung verlassen. Gut 20 Jahrespäter sieht die Realität für den Großteil der Familienallerdings nicht wesentlich anders als vor dieser Rechts-änderung aus. Zwar haben Frauen hinsichtlich ihrerschulischen Bildung und Berufsabschlüsse gewaltig auf-geholt, und auch ihr Anteil an den Berufstätigen istenorm gestiegen. Aber wenn man genau hinsieht, dannstellt man fest, daß diese Indikatoren für sich alleine be-trachtet unzureichende Aussagen über die Beteiligungvon Frauen am Erwerbsleben machen. Angesichts derTatsache, daß mittlerweile über 50 Prozent der Abitu-rienten und ebenfalls mehr als 50 Prozent der Studienan-fänger Frauen sind, fragt man sich schon, wo dieseFrauen bleiben, wenn man sich anschaut, auf welche Be-rufe nachher die Geschlechter verteilt sind.Von ebenso großer Bedeutung ist die genaue Be-trachtung der Zahlen im Hinblick auf Berufstätigkeit.Festzustellen ist, daß die höhere Zahl von berufstätigenFrauen nicht etwa durch eine Ausweitung des Be-schäftigungsumfangs an sich erfolgte, sondern viel-mehr dadurch, daß sich die Zahl der teilzeitbeschäftig-ten Frauen enorm erhöht hat. Fast siebenmal so vieleFrauen wie Männer arbeiten zwischen 15 und 20 Stun-den in der Woche. Vollzeitbeschäftigt sind rund dop-pelt so viele Männer wie Frauen. Demgegenüber ist dieBereitschaft von Männern, den Umfang ihrer Arbeit zureduzieren, äußerst gering; denn gerade dann, wenn dieKinder klein sind, leisten sie zusätzliche Arbeit, umihrer traditionellen Ernährerrolle gerecht zu werden.Sie entziehen sich somit weitgehend der Problematikder Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Andersherumkönnte man sagen, sie hätten sie gelöst, denn sie sinddie einzigen, die Familie und Beruf tatsächlich mitein-ander verbinden können.Wenn Frau trotz Kind berufstätig sein will, ist sie mitdieser Problematik in aller Regel auf sich allein gestellt.So richten sich auch fast alle Angebote zur Vereinbar-keit von Familie und Beruf an Frauen. Schon die Spra-che ist in diesem Bereich sehr verräterisch. Die Verein-barkeit von Familie und Erwerbstätigkeit ist also einFrauenproblem. Dieser Entwicklung leisten verschiede-ne alte Zöpfe in den Gesetzen Vorschub, die wir allegemeinsam noch nicht haben abschaffen können; dieSpanne reicht vom Steuerrecht bis zum Sozialrecht.Als besonders kontraproduktiv nenne ich in diesemZusammenhang das Gesetz über die Gewährung vonErziehungsgeld und Erziehungsurlaub. Es wurdeheute zwar vielfach lobend erwähnt, und es gibt sicheinen modernen Klang, indem es beide Elternteile an-spricht. In Wirklichkeit aber trägt es dazu bei, das Rol-lenverhalten zwischen den Geschlechtern zu verfestigen.
Hat Frau nämlich einmal eingewilligt, Erziehungsur-laub zu nehmen – meistens geschieht das, weil der Mannder Besserverdienende ist –, hat Mann den Rücken frei,um beruflich voranzukommen, während die Frau imLaufe des Erziehungsurlaubs hinnehmen muß, daß ihreberuflichen Qualifikationen an Wert verlieren. Ihr naht-loser Wiedereinstieg in den Beruf ist ebenfalls gesetzlichgeregelt. Aber die Zahlen sprechen eine deutliche Spra-che, wenn man einmal überprüft, wie viele Frauen inden Beruf zurückgegangen sind.Frauen und Männer müssen aber möglichst frei vonäußeren Zwängen und Bedingungen ihre Lebensweisewählen können. Das ist eine Herausforderung an diePolitik des neuen Jahrtausends, der wir uns alle stellenmüssen. Gesellschaftlich können wir es uns nicht leisten,gut ausgebildeten Frauen mit all ihren Fähigkeiten denWeg ins Berufsleben zu erschweren. Den Frauen per-sönlich können wir es nicht zumuten, ihre Ressourcennicht voll ausschöpfen zu können, und sie mit der Ge-fahr alleine zu lassen, durch lückenhafte Erwerbsverläu-fe oder durch Ehescheidung in Armutssituationen zugelangen. Noch so viele richtige und gesetzliche Initiati-ven im sozialen Bereich wie z. B. die Anrechnung derKindererziehungszeiten oder die soziale Grundsiche-rung, die ich persönlich als sehr große Neuerung emp-finde, werden es nicht vermögen, Frauen eine leistungs-gerechte Absicherung im Alter oder im Fall des Allein-lebens zu gewähren. Sie müssen den Zugang zur Be-rufstätigkeit haben.
Auch das von der CDU/CSU wiederholt ins Spiel ge-brachte Erziehungsgehalt gibt genau die falsche undkontraproduktive Antwort.
Es geht nicht um eine Rollenfestlegung mit Hilfeeines Staatsgehaltes, sondern um eine Rollenflexibilisie-rung, weil das dem Wunsch der Menschen und den An-forderungen einer modernen Gesellschaft entspricht. Fä-higkeiten von Männern und Frauen werden in allen ge-sellschaftlichen Bereichen gebraucht. Diese Einsicht istweder schwer noch neu. Die Rahmenbedingungen hier-Hildegard Wester
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4403
(C)
(D)
für zu schaffen ist allerdings schon wesentlich schwieri-ger; denn Rollenflexibilisierung hat immer auch etwasmit Abgeben und Übernehmen zu tun: Frauen, die zu-sätzliche Aufgaben übernehmen wollen, sind keine Sel-tenheit; Männer, die Aufgaben und damit verbundenePrivilegien abgeben wollen, schon eher.Deshalb ist es so wichtig, daß Frauen überall an derDurchsetzung ihrer Interessen arbeiten und dafür sorgen,daß sie oder andere Frauen an Entscheidungen beteiligtsind. Konsequent werden sie dafür eintreten müssen, daßdas Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes Rea-lität werden kann. Das, meine Herren, ist nicht nur eineHerausforderung für uns Frauen, sondern auch und ge-rade für Sie. Die Männer müssen ihre Rolle stärker hin-terfragen. Ebenso wie es die Frauen getan haben, solltenauch die Männer dafür kämpfen, aus ihren traditionel-len Rollenmustern ausbrechen zu können.Doch leider erntet man für solche Forderungen auchheute noch von seiten der Männer und von manchenFrauen Gelächter. Ich kann nur hoffen, daß dieses La-chen in 20 oder 30 Jahren genauso weltfremd wirkt wiedie Bemerkungen einiger Männer über den vermeintli-chen Untergang des Abendlandes durch die schlichteAufnahme des Satzes „Männer und Frauen sind gleich-berechtigt“ in das Grundgesetz vor 50 Jahren.Vorrangige Ziele unserer Arbeit, die sich aus demGesagten ergeben, sind für mich: Konsequente Durch-forstung der Gesetzgebung auf immanente Geschlechts-diskriminierung; das Gesetz über die Gewährung vonErziehungsgeld und Erziehungsurlaub muß dringendreformiert werden; Männern und Frauen soll die Mög-lichkeit zur Erziehungs- und Erwerbsarbeit mit mög-lichst geringen Erwerbsunterbrechungen ermöglichtwerden;
Bundesländer und Kommunen müssen noch größereKraftanstrengungen machen, um Betreuungsmöglich-keiten für Kinder jeder Altersgruppe mit möglichst fle-xiblen Zeiten anbieten zu können.
Frau Kollegin,
denken Sie daran, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Auch die Wirtschaft ist
dringend aufgefordert, statt über maschinenlauffreund-
liche Arbeitszeiten jetzt auch endlich über familien-
freundliche Arbeitszeiten nachzudenken und dabei
beim Wort „Familie“ auch an den Mann zu denken und
ihm, genau wie der Frau, qualifizierte Teilzeitbeschäfti-
gung anzubieten.
Ein letzter Wunsch, den ich hier formulieren möchte:
Wenn wir es schaffen würden, nicht nur in Fragen der
Gewalt gegen Frauen, sondern auch bei den Fragen der
gerechten Verteilung von Arbeit zwischen Männern und
Frauen ein Bündnis in diesem Haus herzustellen, dann
würde ich mich darüber sehr freuen. Ich lade alle Frauen
ein, das mit uns gemeinsam zu tun.
Ich danke Ihnen.
Jetzt hat das
Wort die Abgeordnete Irmgard Karwatzki.
Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Frau Präsidentin!Ich möchte mich zuerst bei Ihnen, liebe Frauen aus denParteien und aus den Verbänden, für Ihre ehrenamtlicheund hauptberufliche Arbeit für Frauen bedanken und rufeIhnen herzlich gerne zu: Wir sitzen bei der Durchsetzungder Forderungen von Frauen alle in einem Boot.
Daß Sie, sehr geehrte Damen, Geduld, Ausdauer undDurchhaltevermögen kennen, sieht man daran, daß Sie fastalle noch anwesend sind. Auch dafür herzlichen Dank.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Agnes Hür-land hat heute morgen bereits einen Einblick in die Bun-deswehr gegeben. Schwerpunkt meiner Ausführungenist das Thema „Frauen in die Bundeswehr“. Nun wer-den einige von Ihnen staunen, insbesondere auch dieKolleginnen der SPD, wenn ich heute für eine Öffnungder Bundeswehr für Frauen plädiere.
Vor einigen Jahren lag für mich persönlich der Einsatzvon Frauen in der Bundeswehr noch in weiter Ferne.
– Das stimmt, aber ich möchte jetzt nicht das wiederho-len, was die sehr geehrten Vorrednerinnen hervorragendausgeführt haben.
Damit war ich einig, bei allen Parteien, mit Ausnahmevon ganz links. Darum bin ich der Meinung, daß maneine solche Gelegenheit nutzen muß, etwas Neues anzu-stoßen, eine neue Debatte über Fragestellungen zu füh-ren, die die jungen Frauen interessieren, doch nicht unsEtablierte.
Darum meine ich auch, daß man diese Gelegenheitbeim Schopfe fassen muß, um etwas für die junge Frau-engeneration und ihre beruflichen Chancen bei der Bun-deswehr zu tun.
Hildegard Wester
Metadaten/Kopzeile:
4404 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“; so heißt esin unserer Verfassung. Das stimmt nicht ganz, dennauch das steht im Grundgesetz: Die Frauen „dürfen aufkeinen Fall Dienst mit der Waffe leisten.“ Die Wehr-pflicht trifft nur Männer. Das, meine sehr geehrten Da-men und Herren – das wird Sie nicht wundern –, mußauch so bleiben.Seit Jahren gibt es zu diesen Themen große und in-haltsreiche Debatten. Die Forderung, auch Frauen zumDienst an der Waffe zuzulassen, ist nicht neu: schonMitte der 60er Jahre, Ende der 70er Jahre und dann zumSchluß Anfang der 80er Jahre. Da wurde es dann zuviel.Damals setzte Verteidigungsminister Hans Apel eineKommission ein, die sich mit der Frage beschäftigte,wie man dem Personalbedarf in der Bundeswehr besserentsprechen könnte. Die Kommission empfahl nebenanderen Maßnahmen auch die Einführung des freiwilli-gen waffenlosen Dienstes von Frauen in den Streitkräf-ten.Ein anderer Aspekt, der bei der Beurteilung diesesThemas wichtig ist: 1956 hat der Rechtsausschuß desDeutschen Bundestages die Frage, ob Frauen Waffentragen und einsetzen dürfen, mit einem Nein beantwor-tet. Die Begründung lautete: Frauen sollen keine Waffentragen, weil dies ihrer Natur und ihrer Bestimmung zu-widerlaufe. Einen Widerspruch zum Gleichberechti-gungsgebot sah man damals nicht.Namhafte Verfassungsrechtler, meine sehr geehrtenDamen und Herren, vertreten heute die Meinung, daßgegen eine Öffnung von weiteren Laufbahnen für weib-liche Soldaten nichts einzuwenden sei.
Einzige verfassungsrechtliche Grenze sei der Kriegs-dienst mit der Waffe und der Einsatz von weiblichenSoldaten als Kombattanten. Aber, liebe Kolleginnen, dashaben wir heute morgen zu anderen Themen ausgeführt:Es ist eine Frage des politischen Willens und des poli-tisch Machbaren, natürlich auch – das muß berücksich-tigt werden – des militärischen Bedarfs, ob wir Frauenmehr Chancen bei der Bundeswehr geben oder nicht.Die im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Erfah-rungen aus der Zeit des Nationalsozialismus und desZweiten Weltkrieges verlieren zunehmend an Legitima-tionskraft. Irgendwann verlangt die Wirklichkeit ihrRecht.Das Bild von den Polizistinnen und Bundesgrenz-schutzbeamtinnen, die Waffen tragen und sie auch be-nutzen, ist für uns zu einer Selbstverständlichkeit ge-worden. Es gibt in der Bundeswehr gute Ausbildungs-möglichkeiten und Arbeitsplatzchancen mit einer gutensozialen Absicherung. Davon dürfen wir Frauen nichtmehr ausschließen.
Da das Licht hier leuchtet, lasse ich jetzt ganz vielweg – schade.Eines möchte ich nachdrücklich sagen: Eine Wehr-pflicht für Frauen darf es nicht geben, wohl aber dieMöglichkeit des freiwilligen Dienstes. Frauen habenkeinen Nachholbedarf in Sachen Dienst an der Gemein-schaft. Sie leisten ihre Arbeit in der Familie, bei derKindererziehung, der Organisation des Haushalts, in denehrenamtlichen Bereichen. Dieses sind nur wenigeAspekte.Es gibt heute keine überzeugende Begründung mehrdafür, Frauen den Dienst an der Waffe zu verweigern.Es kommt schließlich heute bei unseren vielen hoch-technisierten Arbeitsplätzen nicht auf die physischeStärke an.Welche Einsatzbereiche in der Bundeswehr kommenfür Frauen grundsätzlich in Frage? Frauen können nebendem Sanitätsbereich und dem Militärmusikdienst bei-spielsweise auch in der Logistik, im technischen Dienst,den Fernmeldetrupps, in den Stäben und bei militärgeo-graphischen Ämtern arbeiten.Ich halte es gerade jetzt für richtig, über die Öffnungder Bundeswehr für Frauen auf freiwilliger Basis zu dis-kutieren, da kein äußerer Druck dazu besteht. Der per-sonelle Bedarf der Bundeswehr ist gesichert. Die Bun-deswehr sollte auf die großen Fähigkeiten der Frauennicht verzichten.Meine Damen und Herren, ein Tag, an dem man auf50 Jahre Arbeit zurückblickt, sollte meines Erachtensauch einen Akzent setzen, der eine neue Debatte anstößt.Dazu – zu nichts mehr – wollte ich beitragen.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Nina Hauer.
Frau Präsidentin! Verehrte Da-men und Herren! Mich haben die Frauen der erstenStunden dieses Parlaments, die heute morgen gespro-chen haben, sehr beeindruckt. Nicht weniger beein-druckt haben mich die Ausführungen meiner Kollegin-nen, die jetzt hier als Abgeordnete mit uns zusammenar-beiten. Sie haben für sich, für die Frauen ihrer Generati-on und nicht zuletzt für Frauen wie mich, die jetzt neuim Parlament sind, einen Platz erobert, von dem aus po-litische Entscheidungen getroffen werden und Gesell-schaft gestaltet wird. Ich glaube, wir sollten ihnen dafürdankbar sein.
Sie haben sichtbar gemacht, daß es Frauen in politi-scher Verantwortung gibt, und uns damit immer wiederdie Forderung eingeprägt, daß Frauen überall dort, woEntscheidungen getroffen werden, auch beteiligt werdensollten. Das gilt auch für Frauen, die sich an anderenOrten, an solchen außerhalb des Parlaments, in Wirt-schaft und Gesellschaft, ihren Platz und ihre Positioneroberten. Ich glaube, daß sie sich in vielen Punkten anIrmgard Karwatzki
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4405
(C)
(D)
den Politikerinnen orientiert haben, und ich hoffe, daßauch ich dazu beitragen kann, ein Beispiel für diejenigenzu geben, die das in meiner Generation und den zukünf-tigen Generationen versuchen.Wir haben uns einen Platz in der politischen Kulturgesichert, und wir haben uns die Beteiligung an gesell-schaftlichen Entscheidungen erobert. Ich glaube, daß esdie Aufgabe meiner Generation von Frauen sein wird,sich die vollständige und eigenständige ökonomischeTeilhabe zu erobern. Ich brauche nicht zu wiederholen,was hier an vielen Stellen gesagt wurde: Diese Teilhabeist nicht überall und in allen Bereichen der Gesellschafterreicht. Es gibt das Problem der unterschiedlichenEntlohnung; die Chancen im Erwerbsleben sind unter-schiedlich; die Chancen an den Universitäten sind unter-schiedlich.Wir sollten aber den jüngeren Frauen draußen unddenen, die nach uns kommen, Mut machen und ihnensagen, was wir erreicht haben. Es saßen noch nie soviele Frauen in einem deutschen Parlament wie in die-sem, und wir haben es erreicht, daß viel mehr Frauen,die sich selbständig machen und Existenzen gründen,erfolgreich sind. Wir haben es mit einer Generation vonFrauen zu tun, die so gut qualifiziert ist wie noch keineGeneration vorher. Ich denke, man sollte den jüngerenFrauen sagen, was erreicht wurde, woran sie teilhabenund worauf wir alle stolz sein können.
Bei der ökonomischen Teilhabe geht es aber an dasEingemachte. Ich habe den Eindruck, daß das der Punktist, warum in vielen Reden und Beiträgen der Eindruckvermittelt wird, die Frauenbewegung sei an ihrem Endeangelangt. Der gesetzlich verankerte Anspruch auf Er-ziehungsurlaub ist ein Erfolg,
weil damit anerkannt wird, daß Frauen einer eigenstän-digen Erwerbstätigkeit nachgehen wollen. Ein weitererErfolg wäre es, wenn wir erreichen könnten, daß Kinderkein Hindernis für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeitsind und daß es auch möglich ist, die Erwerbstätigkeitzu unterbrechen. Kinder sollten keinen Karriereknickdarstellen, und es sollte auch kein Problem sein, wenndie Frau den Erziehungsurlaub nicht für sich in An-spruch nehmen will. Ich denke, daß das Ziel einer Poli-tik, die die Gleichstellung auch in der Gesellschaftbefördern will, darin liegen muß, eine gleichberechtigteTeilhabe an der Erwerbsarbeit zu gewährleisten undsicherzustellen, auch über die Regelungen des Erzie-hungsurlaubs hinaus. Das wird dazu führen, daß wir unspolitische Macht erobern.Ich habe mich schon heute morgen gewundert, abereben wurde dieses Thema noch einmal angesprochen:Ich finde es mutig, Frau Abgeordnete Karwatzki, daßSie hier das Thema „Frauen in die Bundeswehr“ ange-sprochen haben. Ich glaube, dies ist ein Beispiel füreinen Bereich, in dem wir etwas in unseren Köpfen undin unserer Politik ändern müssen. Es gibt einen gutenGrund zu sagen: Wir wollen nicht mitmachen bei etwas,was sich die Männer über Jahrzehnte hinweg aufgebauthaben. Dies geschieht aus der politischen Überlegungheraus, daß wir Alternativen zu der Organisation Bun-deswehr schaffen müssen. Wir kommen aber nicht um-hin festzustellen, daß wir diese Organisation brauchen.Ich glaube, daß wir uns in diesem Punkt nicht daraufverlassen können, daß uns alle glauben, wenn wir sagen,wir als Frauen lehnen diese Organisation auf Grundeiner anderen Sozialisation ab. Ich gebe zu: Mein per-sönliches Verhältnis dazu ist auch etwas gespalten. Ichglaube, wir sollten uns überlegen: Was ist das für eineOrganisation? Können wir es ablehnen, daran beteiligtzu sein? Das Militär ist, wie viele andere Bereiche auch,ein Bereich, wo gesellschaftlicher Einfluß ausgeübt wirdund wo sich gesellschaftliche Macht konzentriert. Ichglaube, wir Frauen sollten es uns nicht entgehen lassen,darauf in Zukunft Einfluß zu haben.
Das gilt auch für viele andere Bereiche, zum Beispielfür die Beteiligung in der privaten Wirtschaft, für dieBeteiligung an der Gründung eigener Existenzen, für dieBeteiligung an politischen Auseinandersetzungen, wo esum Macht geht. Ich glaube, wenn wir dies mitnehmenund den jungen Frauen das Signal geben; wir Frauen ha-ben in vielen Jahrzehnten dieses Parlaments, in vielenJahrzehnten dieser Republik gemeinsam etwas erreicht,dann haben sie den Mut und das Vertrauen, daß ihreigenes Engagement in der Politik dazu führen wird, daßihre Gleichstellung demnächst wieder einen Sprung um20 Jahre macht.Vielen Dank.
Als letzte
Rednerin in dieser Debatte erteile ich jetzt der Abgeord-
neten Annette Widmann-Mauz das Wort.
Meine lie-ben Kolleginnen und lieben Kollegen! Liebe Gäste! FrauPräsidentin! Die Debatte dieses Tages zeigt ganz deut-lich: So kämpferisch frauenbewegt, wie die Zeiten derersten Parlamentarierinnen im Deutschen Bundestag wa-ren, sind sie heute leider nicht mehr. Der Zeitgeist flirtetmittlerweile mit einem pflegeleichten Klischee moder-ner Weiblichkeit. Der Anspruch auf Gleichberechtigungspielt in der Wirklichkeit nur eine vordergründige Rolle.Die Frau von heute ist angeblich schon voll gleichbe-rechtigt. Sie ist imstande, Beruf, Kinder und Ehe erfolg-reich und glücklich unter einen Hut zu bringen: immergut drauf, das „Superweib“ schlechthin. Dieses fröhli-che, allzu fröhliche Bild ist aber höchst problematisch.Es ist eine Suggestion, die uns über viele Zeiten hinwegsicherlich stark motiviert hat. Es ist aber gleichzeitigeine Art Selbsttäuschung von uns Frauen.Was meine ich damit? Der alltägliche Blick in dieMedien zeigt doch: Das Bild, das diese Gesellschaftzeichnet, ist das Produkt aus Feminismus und Konsum-Nina Hauer
Metadaten/Kopzeile:
4406 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
gesellschaft; es ist ein gestyltes Bild. Es greift zwar diezahlreichen Lebensentwürfe, die junge Frauen heute ha-ben, auf, entspricht aber nicht ihren Lebensrealitäten.Hier verbergen sich alte Klischees in neuer Verpackung.Sie kaschieren die nach wie vor bestehenden realen Un-gleichheiten zwischen Frauen und Männern: höhere Ar-beitslosigkeit, niedrigere Löhne und Gehälter, schlechte-re Jobs, niedrigere Renten, häufigeres Abrutschen in dieSozialhilfe.Welche Perspektiven bieten sich in dieser Gesell-schaft für eine junge Frau, 30 Jahre alt, alleinerziehend,zwei Kinder? Das Hinübertasten aus einer Bindung, dienicht mehr trägt, endet zumeist in sozialer Unsicherheit,in ständiger Geld- und Zeitnot, zwischen Halbtagsjobs,dem Haushalt und den Kindern. In 30 oder 35 Jahrenwird dann der Rentenbescheid diesem Menschen sagen,daß sie das Leben einer Frau gelebt hat und daher nurdie halbe oder zumindest eine geringere Rente beziehenkann.Das Bild vom Superweib hält den Spannungen nichtstand, die sich aus den berechtigten Ansprüchen jungerFrauen und den gegensätzlichen Beanspruchungen erge-ben. Die Wirklichkeit der meisten Frauen in Deutsch-land ist eine andere – auch nach 50 tatkräftigen und er-folgreichen Jahren für Frauen, derer wir heute hier imParlament gedenken.In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, sozialpolitischer undwirtschaftlicher Stagnation, in Zeiten, in denen sichWerte wandeln, Bindungen auflösen und Erziehungsfä-higkeiten nachlassen, tendiert immer noch jede Gesell-schaft dazu, die Probleme zunächst über die Frauenbio-graphien zu lösen. Da wird das Superweib auch ganzgerne in die 50er Jahre „zurückgebeamt“. Das, meineDamen und Herren, wird meine Generation nicht mitsich machen lassen.
Unsere Politik muß sich daran messen lassen, ob dieeigenständige, vom Einkommen des Ehemannes unab-hängige soziale Sicherheit der Frau verbessert wird, obFamilienarbeit in bezug auf die Renten gewürdigt wird,ob die Arbeitswelt entsprechend den sich veränderndenLebens- und Erwerbsverläufen von Frauen und Männernumstrukturiert wird. Das, was uns Walter Riester in denletzten Wochen und Monaten hierzu präsentiert hat, istkeine Antwort auf die Forderung nach einer eigenstän-digen sozialen Sicherung, sondern nur ein Hin- und Her-schieben. Da haben wir noch einiges vor uns.
Die Zukunft ist eine Schwester der Gleichberechti-gung. Die Frauen haben für uns in den letzten 50 Jahrenin allen gesellschaftlichen Bereichen mehr Beteiligungund mehr Akzeptanz erkämpft. Jetzt heißt es für meineGeneration, die Strukturen zu verändern. Frauenpolitikist Querschnittspolitik. Sie muß aber Gesellschaftspoli-tik werden. Es wird nicht reichen, wenn Frauen mitFrauen über Frauen diskutieren. Wir laufen sonst wie ineinem Hamsterrad immer schneller auf der Stelle; aberwir kommen im Grunde nicht vom Fleck.Um substantiell weiterzukommen, dürfen wir nichtnur Selbstgespräche führen. Wir müssen vielmehr zueiner Modernisierung der Frauenpolitik kommen. Dieskann nur eine Frauenpolitik sein, die auch die Männerstärker herausfordert, vielleicht sogar so stark, daß, wiein anderen Debatten üblich, auch Zurufe gemacht bzw.Zwischenfragen gestellt werden. Das würde die Debat-ten sicherlich beleben. Ich glaube, das ist der richtigeDialog, den wir führen müssen.Nicht ausschließlich wir Frauen müssen uns den Be-dürfnissen neuer gesellschaftlicher Fragestellungen an-passen, sondern die Fragen müssen sich auch unserenBedürfnissen stellen. Dies wird die Welt der Männer be-rühren und zwangsläufig ändern. Genau diese Ausein-andersetzung findet in meiner Generation immer häufi-ger in den Partnerschaften, aber auch hier im Parlament,in der jungen Gruppe meiner Fraktion statt, wo mittler-weile einem Kollegen immer auch eine Kollegin gegen-übersitzt. Eine gleichberechtigte, also 50prozentige Teil-habe in der jungen Generation, dies ist der „point of noreturn“, den wir mittlerweile erreicht haben.Es wird höchste Zeit, daß uns mehr Männer – wiezum Beispiel Heiner Geißler – hier im Plenum konkretsagen und mit uns darüber diskutieren, wie sie mit unsund mit Kindern leben und arbeiten wollen. Das wirdeine wirklich spannende Debatte.
Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, ich schließe damit die Debatte
über dieses besondere Thema. Das möchte ich in diesem
Fall nicht tun, ohne noch einmal den Initiatorinnen zu
danken. Diese Debatte war nicht nur eine gute Idee,
sondern es war auch durchaus viel Arbeit damit verbun-
den, sie am heutigen Tag umzusetzen. Ich möchte eben-
so allen Rednerinnen für ihre Debattenbeiträge sehr
herzlich danken.
Jetzt sind Sie im Namen des Präsidiums zu einem
Empfang eingeladen. Ich möchte Ihnen mitteilen, daß er
nicht, wie ursprünglich vorgesehen, auf der Präsidial-
ebene, sondern auf der Fraktionsebene, das heißt im
3. Stock des Reichstagsgebäudes, stattfindet. Diese Ein-
ladung gilt selbstverständlich auch für Sie auf der Besu-
chertribüne, die Sie uns so geduldig zugehört haben.
Die Sitzung wird um 15 Uhr weitergeführt. Auch
dann geht es um das Thema Frauen.
Ich unterbreche die Sitzung.
Die unterbrocheneSitzung ist wieder eröffnet – leider, weil wir oben beimEmpfang in so schöne Gespräche vertieft waren. AberPflicht ist nun einmal Pflicht. Zwar finde ich es unfair,daß nun nicht alle wieder zurückkommen, sondern wirhier arbeiten müssen, während die anderen feiern dürfen– das ist nicht die feine englische Art –, aber so ist esnun einmal.Annette Widmann-Mauz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4407
(C)
(D)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und b sowieZusatzpunkt 1 auf: 2.a) Beratung des Antrags der Abgeordneten ChristelHumme, Dr. Hans-Peter Bartels, Anni Brandt-Elsweier, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD sowie der Abgeordneten MarieluiseBeck , Ekin Deligöz, Kristin Heyne,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENNeue Initiativen zur Frauenbeschäftigung– Drucksache 14/1195 –
Bläss, Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs, weitererAbgeordneter und der Fraktion der PDSGleichstellung von Frauen und Männern imErwerbsleben– Drucksache 14/1529 – ZP1 Beratung des Antrags der Abgeordneten MariaEichhorn, Hannelore Rönsch , Wolf-gang Dehnel, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSUBekämpfung der Frauenarbeitslosigkeit inDeutschland– Drucksache 14/1549 –
Das macht sehr deutlich, was wir heute früh gemein-sam festgestellt haben: Wir haben noch keine Gleich-stellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt. Dieshat auch etwas – das möchte ich jetzt nicht wiederholen– mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, alsodamit zu tun, wer eigentlich die undankbare Arbeit inder Familie, wer die Erziehungsarbeit macht, die mit denBenachteiligungen im Beruf verbunden ist.Nun kann man dies nicht dem Selbstlauf überlassen,auch wenn wir uns heute vormittag in vielen Punkten ei-nig waren, auch einig darin, wieviel schon erreicht wur-de. Das heißt, daß wir jetzt sehr genau schauen müssen,was eigentlich in der nächsten Zeit dran ist. Das gilt fürdie nationale Ebene genauso wie für die europäische.Ich möchte einige Worte zu der europäischen Ebenesagen. Wir haben mit dem Amsterdamer Vertrag, der am1. Mai dieses Jahres in Kraft getreten ist, eine guteGrundlage auch für die Gleichstellungspolitik im Be-reich der Erwerbsarbeit. Der Vertrag enthält ein umfas-sendes Diskriminierungsverbot. Wir haben in Europamit dem Konzept des „mainstreaming“ einen Ansatz,der auch in den beschäftigungspolitischen Leitlinien1999 der Europäischen Union eine zentrale Rollespielt. „Mainstreaming“ bedeutet mehr, als irgendwo einkleines Programm zu machen, mit dem man wieder einebestimmte Gruppe von Frauen ein bißchen weiter bringt.„Mainstreaming“ heißt, daß die Interessen und Bedürf-nisse von Frauen in allen Politikfeldern berücksichtigtwerden müssen. Das ist also noch mehr als Quer-schnittspolitik; es ist wirklich Gesellschaftspolitik.Vizepräsidentin Anke Fuchs
Metadaten/Kopzeile:
4408 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Die beschäftigungspolitischen Leitlinien fordern dieMitgliedsstaaten dazu auf, klare, konkrete und überprüf-bare Ziele zu setzen, sei es bei Maßnahmen zum Abbauder geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Ent-lohnung – ich hatte das gerade schon angeführt –, sei esbei der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeitoder bei der Rückkehr von Frauen ins Erwerbsleben, umnur einige Beispiele zu nennen. Das ist ein ganz wichti-ger gleichstellungspolitischer Fortschritt; das ist eineChance für Frauen.Wir müssen dazu aber immer ganz klar sagen: Das istauch eine Chance für den Arbeitsmarkt in Europa.
Es geht nämlich nicht nur darum, zu sagen: Frauen müs-sen ihre Chance bekommen. Vielmehr muß auch gefragtwerden: Was ist in diesem Land und in Europa eigent-lich ökonomisch vernünftig? Mich ärgert immer, wennnicht einmal das, was ökonomisch vernünftig ist, näm-lich die gut qualifizierten Frauen ordentlich einzubezie-hen und auf diese Ressourcen zuzugehen, angegangenwird.Wir haben als Bundesregierung diese Leitlinien – dassind wirklich gleichstellungspolitische Steilvorlagen –aufgegriffen. Die Maßnahmen der Bundesregierungwerden im Programm „Frau und Beruf“ gebündelt,das wir im Juni im Kabinett beschlossen haben. Ich den-ke, wir werden uns noch manches Mal über das Pro-gramm unterhalten; denn es ist ein Arbeitsprogramm. Eswird fortgeschrieben und laufend überprüft. Es wird alsonicht nur gesagt: Hier haben wir eine Million DM. Wasmachen wir mit der Million? Prima, jetzt haben wir denPlan erfüllt – oder auch übererfüllt; das kennen wir ja ineinigen Teilen Deutschlands. Vielmehr wird wirklichauch gefragt: Was brauchen wir rechtlich? Was könnenwir in den unterschiedlichen Bereichen tun? Was hatsich bewährt? Wie kommen wir mit dem „mainstrea-ming“ weiter?Eine interministerielle Arbeitsgruppe wird sich alsomit dem Thema „mainstreaming“ beschäftigen müssen.Alle Ministerien müssen sich nun damit befassen: Wel-che Kriterien haben wir, um zu erkennen, ob wir in derGleichstellungspolitik weitergekommen sind? Wofürwird das Geld in diesem Lande eigentlich ausgegeben?Was kommt davon Frauen zugute, was kommt Familienzugute? Das geht also wirklich in die Tiefe, und daswird natürlich Zeit kosten; davon bin ich überzeugt.Aber ich denke, das ist der richtige Weg.Daneben müssen wir ganz konkrete Maßnahmen um-setzen. Wir können natürlich nicht sagen: Wir machenjetzt „mainstreaming“ und gucken einmal, was dabei he-rauskommt; in der Zwischenzeit stoppen wir unsere spe-ziellen Programme.Wir haben in dem Programm „Frau und Beruf“ ge-zielt ganz bestimmte Bereiche aufgenommen; einigeswurde bereits umgesetzt, oder wir sind noch dabei. Den-ken wir nur an das Sofortprogramm zur Bekämpfungvon Jugendarbeitslosigkeit. Natürlich enthält diesesProgramm schon die Quotierung, daß also Mädchen ent-sprechend berücksichtigt werden müssen. Aber es gehtnicht nur um Quantitäten. Vielmehr geht es auch darum,das Programm so zu nutzen, daß Mädchen im gewerb-lich-technischen Bereich entsprechend vorkommen.Man kann gezielt bestimmte Frauenprojekte fördern,insbesondere in Bereichen, in denen Frauen unterreprä-sentiert sind.Wir haben auf dem Arbeitsmarkt mit den vorhande-nen Veränderungen schon wichtige Forderungen erfüllt.Der Arbeitsminister hat eine veränderte Regelung zurAltersteilzeit vorgelegt, die vom Kabinett bereits be-schlossen ist. Liebe Frauen, wir haben das die ganze Zeitgefordert! Wir wollen den Zugang von Teilzeitkräften indie Altersteilzeitregelungen. Das betrifft nämlich dieFrauen. Diese Regierung hat das nun vorgelegt; das istsehr wichtig.Das Vorschaltgesetz enthält eine Regelung, daß55jährige Arbeitslose an Fünfjahresmaßnahmen teil-nehmen können. Als ich in dieser Stadt noch als Ar-beitssenatorin tätig war, habe ich davon immer geträumt.Wir haben das immer gefordert. Zu der alten Bundesre-gierung hat es in dieser Hinsicht nie einen Zugang gege-ben. Jetzt haben wir das. Ich will damit zeigen, daß wirnicht lange gewartet, sondern gleich „geklotzt“ haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssennatürlich an den Bereich der Wirtschaft heran; das wis-sen wir; das ist ein Teil des Programmes. Wir müssenfragen: Wie können wir die Chancen der Frauen inder Wirtschaft verbessern? Wir debattieren darüberschon. Es gibt eine Expertengruppe mit Vertretern ausGewerkschaften, aus der Wirtschaft, aus der Wissen-schaft, aus der Politik.Wir gehen dabei von den bereits existierenden gutenBeispielen aus; glücklicherweise ist bei dem einen oderanderen Unternehmen der Groschen schon gefallen. Siehaben erkannt: Es arbeitet sich gut mit Frauen; mankommt gut voran. Es ist ein Wettbewerbsvorteil für Un-ternehmen, wenn sie Frauen entsprechend einbeziehen.Es geht jetzt darum, zu sagen, welche Maßnahmengeeignet sind, die Gleichstellung in den Unternehmenumzusetzen und Frauen bessere Chancen zu geben. Ichsage ganz klar: Es geht auch um gesetzliche Regelun-gen. Wir unterhalten uns nicht nur einfach nett mitein-ander und fragen nicht nur: Was ist ganz schön, und waskann man empfehlen? Am Ende geht es auch darum, zusagen, welche gesetzlichen Regelungen das Ziel erfüllenund gleichzeitig geeignet sind, bei der Unterschiedlich-keit der Unternehmen vernünftig umgesetzt zu werden.Für den öffentlichen Dienst werden wir in den näch-sten Wochen ein Gleichstellungsgesetz auf den Wegbringen, zumindest in die Ressortabstimmung. Hierkann einiges einfacher geregelt werden, wie wir wissen.Wir müssen hier auch deshalb etwas tun, weil das alteGesetz nicht genügend gegriffen hat. Das sage ich ganzvorsichtig.
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4409
(C)
(D)
Die Frauenbeauftragten benötigen mehr Kompeten-zen. Es müssen verbindliche Vorgaben geschaffen wer-den, die gewährleisten, daß tatsächlich mehr Frauen inFührungspositionen gelangen. Hier muß es weitereMaßnahmen geben.Ich möchte auch noch etwas zu dem Thema „Mannund Familie“ sagen. Wir haben heute darüber ausgiebigdiskutiert und waren uns darin einig, daß bei der Ein-stellung der Männer und bei der Regelung des Erzie-hungsurlaubs etwas passieren muß. Ich weise nicht zumerstenmal daraufhin: Wir werden demnächst das Erzie-hungsgeldgesetz ändern. Wir werden den Erziehungs-urlaub in einen Elternurlaub umwandeln. Beide El-ternteile, also Väter und Mütter, sollen zur gleichen ZeitErziehungsurlaub nehmen können. Eine solche Rege-lung ist durch Teilzeitarbeit möglich. Wir hoffen, daßdadurch die verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeiti-ger Verhaltensstarre der Männer – darüber haben wir jaschon gesprochen; das gilt natürlich nicht für alle Män-ner – in tatsächliche Verhaltensänderungen umgesetztwerden kann.
Für uns ist das ein wichtiger Punkt. Wir hoffen, durcheine solche Regelung den Familien besser gerecht zuwerden und ihnen bessere Möglichkeiten zu bieten, Er-werbs- und Familienarbeit partnerschaftlich miteinanderzu teilen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt.
Meine Redezeit läuft allmählich ab. Ich möchte nochdeutlich machen, daß wir in den Bereichen der zu-kunftsträchtigen Arbeitsplätze bereits versuchen,Wirkungen zu erzielen. Wir haben schon Gespräche mitden Verantwortlichen in den großen Informationsunter-nehmen geführt, um zu sehen, welche Projekte gemein-sam auf den Weg gebracht werden können, damit Frau-en in diese zukunftsträchtigen Bereiche hineinkommen,in denen im Moment schon Arbeitskräftemangelherrscht und in denen ein Arbeitsmarkt vorhanden ist,der für Frauen unbedingt erschlossen werden muß.Aber vor allem ist der berühmte Bewußtseinswan-del, über den wir heute vormittag lange diskutiert haben,in den Köpfen der Männer notwendig. Es muß einfachakzeptiert werden, daß Frauen das gleiche Recht aufErwerbsarbeit wie Männer haben. Wir wollen nieman-den in die Erwerbsarbeit zwingen. Aber die Möglich-keiten müssen vorhanden sein. Zudem dürfen Erzie-hungs- und Familienarbeit nicht als Frauenprobleme undFrauenthemen abgehandelt werden.Ich denke, unser Programm kann sich sehen lassen. Ichhoffe, daß es viele Anregungen geben wird. Schon in derheutigen Debatte gab es viele Vorschläge für ein gemein-sames Handeln. Bitte, liebe Frauen, liebe Männer, machtalso mit, damit wir ein Stück weiter vorankommen.Danke.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Renate Diemers.
Frau Präsidentin!Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen undKollegen! Heute hier im Plenum reden zu dürfen ist fürmich etwas Besonderes; denn nach der Feierstunde „DieParlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag“und zugleich in der ersten Plenarsitzung im Reichstags-gebäude zu sprechen ist nicht alltäglich. Sehr alltäglich istes mittlerweile allerdings geworden, von Anträgen derrotgrünen Regierungskoalition immer wieder enttäuschtzu werden. In Anbetracht des heutigen Rahmens der Son-derveranstaltung und der Ergebnisse auf dem Gebiet derFrauenförderung in den letzten Jahrzehnten ist es mehr alspeinlich, einen Antrag einzubringen, der im Jahr 1949– zugegebenermaßen – Aufsehen erregt hätte.Wir alle kennen den Bericht des Europäischen Parla-ments über die besonderen Auswirkungen der Frauenar-beitslosigkeit, auf dem Sie sich in Ihrem Antrag bezie-hen. Er ist allgemein gehalten, um alle Mitgliedstaatenunter einen Hut zu bringen. Aber warum werden Sie mitIhren Forderungen an die Bundesregierung nicht kon-kreter? Wir sind doch über die ursprüngliche Debatteder bloßen Festlegung der Ziele schon hinaus. Oder etwanicht?
Was soll denn noch Ihre Forderung, die Gleichstel-lung von Frau und Mann als Querschnittsaufgabe zu be-trachten und – nachlesbar im Programm „Frau und Be-ruf“ – eine interministerielle Arbeitsgruppe einzusetzen?Die notwendigen Gesetze sind doch schon vorhanden.Wir brauchen keine neuen Regelungen, sondern Impul-se, daß die bestehenden Regelungen konsequent ange-wendet werden, zum Beispiel das Gleichstellungsgesetz,das Betriebsverfassungs- und das Bundespersonalver-tretungsgesetz, das Arbeitsförderungsrecht mit den Ein-gliederungshilfen nach Kinderbetreuungszeiten, das ar-beitsrechtliche Gleichbehandlungsgesetz und viele ande-re Regelungen.Außerdem: Wenn es Ihnen mit der Gleichstellungvon Frauen in allen Politikfeldern ernst wäre – FrauRönsch hat schon heute morgen darauf hingewiesen –,dann hätten Sie ohne weiteres Frau Schipanski IhreStimme geben können; denn sie war eine erstklassige,eine kompetente und eine hervorragend geeignete Kan-didatin für das Bundespräsidentenamt.
Wir brauchen also keine neuen Gesetze auf geduldi-gem Papier, sondern Zivilcourage bei uns selbst,
einen Stimmungswechsel – Frau Ministerin, Sie habenrecht – und eine Einstellungsänderung in unserer Gesell-schaft und in der Wirtschaft mit der Folge, daß sich dieSituation auf dem Arbeitsmarkt und in den von Ihnenangesprochenen Politikfeldern auch für die Frauen bes-sern wird.Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
Metadaten/Kopzeile:
4410 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Wir sind uns einig: Die Arbeit und das beruflicheEngagement von Frauen, auch von Frauen mit Kin-dern, muß von der Gesellschaft und besonders von denUnternehmen stärker akzeptiert und im wahrsten Sinnedes Wortes besser honoriert werden. Das neue Frauen-bild wird sich in unseren Köpfen um so leichter als Leit-bild durchsetzen, je mehr Frauen verantwortungsbe-wußtere Positionen einnehmen, das gleiche Gehalt wieihre männlichen Kollegen erhalten und – als Krönungdes Ganzen – auch noch die eventuell notwendige Kin-derbetreuung organisiert bekommen.Realistisch ist: Die Familien- und Erziehungsarbeitwird zunächst weiterhin an den Frauen hängenbleiben,auch wenn die Zahl der Väter, die den Erziehungsurlaubin Anspruch nehmen und sich freiwillig engagieren,steigen wird – vom täglichen Überlebenstraining der al-leinerziehenden Frauen ganz zu schweigen. Sie fordernmit Recht die Verbesserung der Vereinbarkeit vonFamilie und Erwerbsarbeit. Dazu gehört unabdingbardie Weiterentwicklung der Anerkennung von Kinderer-ziehungszeiten bei der Rente. Aber auch diese Notwen-digkeit lassen Sie in Ihrem Antrag dezent unter denTisch fallen.Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist aus-drücklich nicht das individuelle Problem erwerbstätigerFrauen. Je eher die Männer, die Unternehmen und dieGesellschaft insgesamt das erkennen, desto besser. Daserreichen wir Frauen aber nicht, wenn wir die Doppel-belastung immer wieder wie ein Schild negativ vor unshertragen. Ich zitiere noch einmal Frau Schipanski, dieauf die doppelte Freude, nämlich Kinder zu haben undeinen Beruf und eine Karriere erfolgreich zu meistern,mehrfach hingewiesen hat.
Bei allen Schwierigkeiten, dies unter einen Hut zu be-kommen, sollten wir diesen speziellen Aspekt nicht ganzaus den Augen verlieren. Dieses Umdenken wäre einSchritt dahin, daß auch Väter den Erziehungsurlaubattraktiver finden.
Wichtig ist für Väter und Mütter, nach dem Erzie-hungsurlaub wieder einen adäquaten Posten mit Auf-stiegschancen, Weiterbildungsmöglichkeiten und ent-sprechender Bezahlung zu haben. Das bedeutet zunächsteinmal, daß wir in Deutschland die Arbeitslosigkeit inden Griff bekommen. Davon sind Sie mit Ihrer Politikein ganzes Stück weiter entfernt als wir vor Ihrer Regie-rungsübernahme.
Wir waren mit unseren Reformen nachweisbar auf demrichtigen Weg. Auch Sie erkennen das heute.
Meine Kolleginnen von der SPD, Sie fordern zuRecht den Ausbau von Angeboten für Kinderbetreu-ungseinrichtungen. Aber meinen Sie ernsthaft, daß 30DM mehr Kindergeld im Monat abzüglich der Belastun-gen durch Ökosteuer usw. – ich will jetzt nicht alles auf-führen – für eine Ganztags- oder Halbtagsbetreuung aus-reichen?
Ich will damit sagen: Sie fordern Maßnahmen und höh-len das Ziel dieser Maßnahmen durch eine unsozialeSteuerpolitik von vornherein aus.
Positiv kann man die im Programm „Frau und Beruf“angedeuteten Pläne bewerten, die frauenpolitischen We-ge der alten Bundesregierung im Hinblick auf die Hoch-schulförderung, die Förderung von Frauen in Führungs-positionen und bei der Auszeichnung familienfreundli-cher Betriebe und Existenzgründungen fortzusetzen.
Dies ist eine Bestätigung unserer Politik, und wir wer-den Sie bei der Fortführung dieser Politik unterstützen.Voraussetzung ist selbstverständlich, daß Sie das imHinblick auf Existenzgründungen gänzlich kontrapro-duktive Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbständig-keit zurücknehmen.
Frauen als Existenzgründer brauchen eine gute Aus-bildung, um auf einem hart umkämpften Markt bestehenzu können. Dazu gehören heutzutage Kenntnisse derneuen Technologien. Die Bedienung von Computernund eine bestmögliche Ausnutzung der zum Teil sehrspeziell zugeschnittenen Software ist nahezu selbstver-ständlich geworden. Die CDU/CSU fordert daher kon-kret, daß Frauen und Mädchen sehr früh, schon in denSchulen und vor der Berufswahl, über den Informations-und Medienbereich beraten werden und die neuen Tech-nologien der Informations- und Kommunikationswelt inbesonderen frauenspezifischen Weiterbildungen erler-nen. Diesem Bereich gehört die Zukunft; dort liegt auchdie große Chance für Frauen. Dazu gehört auch die all-gemeine Ausweitung der Telearbeit und insbesondereder Teleheimarbeit. Mir ist im übrigen sehr unangenehmaufgefallen, daß all diese Begriffe in Ihrem Antrag nichtauftauchen.Die Entwicklung der Teleheimarbeit besitzt eineSchlüsselfunktion. Wir müssen für diese Arbeitsformder Zukunft mehr werben und sie als Abgeordnete mutigden Unternehmen vorleben. Die CDU/CSU hat einenentsprechenden Antrag zu alternierenden Telearbeits-plätzen eingebracht, der unseren eigenen, derzeit vonUmzugsschwierigkeiten geplagten Mitarbeiterinnen undMitarbeitern zugute kommen kann. Dies wird vorbild-haft auf viele Unternehmen wirken. Mit einer Zustim-mung zu diesem Konzept können auch Sie von der Re-gierungskoalition Farbe bekennen.Renate Diemers
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4411
(C)
(D)
In unserem Antrag „Bekämpfung der Frauenarbeits-losigkeit in Deutschland“ sind die notwendigen Initiati-ven und Richtungswechsel aufgeführt, die in Ihrem An-trag fehlen. Meine Kollegen gehen darauf noch ein. MitIhrem Antrag werden unsere – ich darf sicher sagen,gemeinsamen – Anliegen nicht erreicht. Daher könnenwir ihm nicht zustimmen und bitten statt dessen umUnterstützung unseres Antrages.
Ich will noch kurz auf einen bestimmten Bereich desArbeitsmarktes hinweisen, der meistens zu kurz kommt:die Freizeit- und Tourismusbranche. Diese Brancheist aus verschiedenen Gründen für Frauen interessant.Der Schaffung von Arbeitsplätzen in Eigenregie unddamit auch von modernen Ausbildungsplätzen in diesemBereich sollten wir mehr Beachtung schenken.In ländlichen Räumen beweisen Frauen, daß sienicht nur ihren Beitrag zum Familieneinkommen lei-sten, sondern gänzlich neue Wege gehen. Ich nenne nurdie Bauerncafés, die Selbstvermarktung oder auch dieAngebote „Ferien auf dem Bauernhof“. Es handelt sichhierbei um kleine Unternehmen zur Sicherung des ei-genen Lebensunterhaltes, die meistens von Frauen ge-managt werden und den Effekt haben, daß weitere zu-sätzliche Arbeitsplätze entstehen, gerade auch fürFrauen. Ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit:Diesen Frauen legen Sie durch Ihre Politik große Stei-ne in den Weg.
Ich erteile das Wortder Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Kolleginnen! Frau Diemers, ich habe ja viel Verständ-nis dafür, wenn Sie sagen, daß Ihnen der Antrag nichtweit genug geht und Sie die Bundesregierung auffor-dern, noch viel mehr zu tun. Auch ich habe vier Jahrelang für die Opposition gesprochen. Deshalb gehe ichdavon aus, daß es sich dabei um einen bestimmten Re-flex handelt.Ich kann aber nicht verstehen, daß die CDU seit Mo-naten wie eine Monstranz vor sich herträgt, daß dieFrauen der Regierungsfraktionen schuld daran seien, daßwir keine Bundespräsidentin hätten.
– Das ist nicht so.
Sie selbst haben gesagt, daß Sie dann, wenn Sie noch ander Regierung wären und die Mehrheit gehabt hätten,Frau Schipanski nicht vorgeschlagen hätten.
Ich halte es für unglaublich und für ein Verheizen vonFrauen, immer dann Frauen vorzuschlagen, wenn manweiß, daß ihre Kandidatur aussichtslos ist.
Bei diesem Verheizen von Frauen machen wir nicht mit.
Jetzt zum Thema: Schon vor den Wahlen hat sichRotgrün dazu bekannt, daß eines der wichtigsten Re-formprojekte der Aufbruch in der Frauenpolitik ist. Ichgestehe gerne ein, daß es auch mir manchmal zu lang-sam geht, aber die Häme der Opposition kann ich über-haupt nicht verstehen. Sie ist in dieser Weise nicht an-gebracht, weil Sie uns einen Riesenreformstau hinterlas-sen haben.
Sie waren es auch, die das Wort Reform zu einemUnwort gemacht haben. Menschen hatten doch Angstvor diesem Wort, weil Reform immer Schlechterstellungund Abbau von Leistungen bedeutete. Deshalb habenwir doch jetzt die Probleme, daß die Menschen, wennwir etwas Neues wollen oder etwas reformieren wollen,Angst haben und sagen: Um Gottes willen, was kommtda auf mich zu; es kann nur alles schlechter werden.
Wir halten daran fest. Die Gleichstellung der Ge-schlechter ist für uns d a s Reformprojekt. Dieser Re-formwille wird durch das Programm „Frau und Beruf“deutlich – Frau Bergmann hat gerade darauf hinge-wiesen –, das im Juni im Kabinett beschlossen wurde.Rückenwind haben wir jetzt über das Europäische Par-lament bekommen. In der Entschließung, die Ihnen hiervorliegt, sind vielfache Maßnahmen zum Abbau der Be-nachteiligung vorgesehen, an denen wir uns auch orien-tieren. Das ist notwendig, weil die Lage auch hier beiuns in Deutschland desolat ist. Von Chancengleichheit –wir haben heute morgen viel darüber gesprochen – kannin der Bundesrepublik nach wie vor nicht die Rede sein.Frauen sind häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen,ganz besonders im Osten. Sie verdienen im Westen inder Regel ein Viertel weniger als die Männer, im Ostenbekommen sie 90 Prozent der Löhne, die die Männer er-halten. Die Tendenz geht allerdings nach unten; dieOstlöhne der Frauen werden Stück für Stück auf das Ni-veau der Westlöhne der Frauen heruntergefahren. Und –wen wundert es? –:In den Chefetagen sitzen 3,5 ProzentFrauen. Die Kindererziehung bringt dann allerdingsendgültig den Karriereknick, und Teilzeitarbeit beschertden Frauen die schlechten Plätze.
Renate Diemers
Metadaten/Kopzeile:
4412 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Im Erwerbssystem werden sie benachteiligt. Wie danndie entsprechende Rente aussieht, können Sie sich vor-stellen. Sie hatten als alte Bundesregierung den Frauenaußer salbungsvollen Reden nicht viel zu bieten. Sie ha-ben sie aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt. Sie habenes nicht verhindert, daß die bezahlte Arbeit den Män-nern, die unbezahlte den Frauen gelassen wird.Die Erwerbsquote von Frauen stagniert bei uns seitJahren. Bei den Frauen zwischen 15 und 65 Jahren liegtsie bei knapp über 60 Prozent, in den skandinavischenStaaten liegt sie bei über 90 Prozent. Ich denke, hier ha-ben wir viel Nachholbedarf. Die Erwerbslosigkeit derFrauen im Osten beträgt 22 Prozent mehr als im Westen,und das ist schon sehr viel weniger, als es noch vor zweiJahren war, denn es gibt eine hohe Dunkelziffer. DieFrauen im Osten haben inzwischen, ähnlich wie dieFrauen im Westen, resigniert und sagen: Wir melden unsgar nicht mehr erwerbslos, weil es für uns sowieso keineChance gibt. Das heißt, diese Zahlen sind vielleichtdoppelt so hoch. Es wird höchste Zeit, daß wir da etwastun und daß wir dieses Demokratiedefizit endlich besei-tigen. Ich finde, es ist mehr als fehlende Demokratie,wenn der Hälfte der Gesellschaft die gleichberechtigteTeilhabe vorenthalten wird und wenn es für Frauen dieberühmte gläserne Decke gibt, wenn der Weg nach obenabgeschnitten ist und sie einfach nicht mehr weiter-kommen.Dieses Demokratiedefizit ist vorprogrammiert. Siehaben von dem Gleichberechtigungsgesetz gesprochen,das 1994 für den öffentlichen Dienst für 1 Prozent allererwerbstätigen Frauen ohne verbindliche Vorgaben er-lassen wurde. Da wundert es auch nicht besonders, daßdieses Gesetz wirkungslos war. Wir haben von der Mi-nisterin schon Zahlen gehört, wie es im öffentlichenDienst der Bundesbehörden aussieht.Ich frage Sie: Wie ist es denn eigentlich zu rechtferti-gen, daß es bisher keinerlei gesetzliche Frauenförderungfür die gesamte private Wirtschaft gibt? Wir haben 1994doch nicht rein zufällig die Grundgesetzänderung mitaufgenommen. Der Staat ist in der Pflicht, etwas zu tun.Wir haben jetzt 1999. Bisher wurde noch nichts unter-nommen. Ich denke, die Vergabe von öffentlichen Auf-trägen muß endlich an frauenfördernde Maßnahmen ge-bunden werden. Das ist der richtige Weg.Was ist so schwierig an dem Gedanken, daß Frauen-förderung auch für Unternehmen lukrativ ist? Es hapertbei Ihrem Gleichberechtigungsgesetz. Wir werden esändern. Die Ministerin hat vorhin schon erwähnt, daßdie ersten Entwürfe für den öffentlichen Dienst bereitsvorliegen. Dieses von Ihnen vorgelegte Gesetz hattekeine Erfolge. Und wenn immer gesagt wird, die Frauenhätten noch so viel nachzuholen, muß ich sagen: Siestellen 54 Prozent der Abiturienten, 52 Prozent der Stu-denten, und ihr Anteil im höheren Dienst der Bundesbe-hörden liegt bei mageren 9 Prozent. Bei den Abtei-lungsleitern ist es ungefähr 1 Prozent. Ich denke, daß wirhier Handlungsbedarf haben, darf von den Damen undHerren des gesamten Hauses nicht bestritten werden.Wen wundert es, daß Frauen häufig bei der Stellen-vergabe oder auch bei der Beförderung benachteiligtwerden, wenn die Diskriminierung für die Arbeitgeberso preiswert ist, wie es jetzt der Fall ist? Wir haben imBürgerlichen Gesetzbuch das Diskriminierungsverbot.Es ist nicht effektiv ausgestaltet. Der Europäische Ge-richtshof hat uns seit Jahren ermahnt und gesagt: Hiermuß eine Änderung herbeigeführt werden; es darf nichtso billig sein, Frauen zu diskriminieren. Wir haben Vor-schläge gemacht, wie bei Diskriminierung zusätzlicheMaßnahmen, Schadenersatzansprüche oder auch einEinstellungsanspruch für die bestqualifizierte Personumgesetzt werden können. Wir brauchen diese wir-kungsvollen Maßnahmen; sonst wird man in 50 Jahrentatsächlich feststellen müssen: Wir sind kein Stück wei-tergekommen.An dieser Stelle werden wir mit unseren Reformenansetzen. Wir werden ein Gesetz für die Privatwirt-schaft vorsehen. Dabei werden wir – das ist doch über-haupt keine Frage – natürlich auf die unterschiedlichenBetriebsgrößen der verschiedenen Einrichtungen Rück-sicht nehmen. Aber: Frauenförderung ist notwendig. Wirmüssen die Situation der Frauen in den Betrieben stär-ken, auch durch verbindliche Gleichstellungspläne ingroßen Unternehmen – ob ab 50 oder ab 100 Beschäf-tigten, darüber müssen wir uns noch verständigen. Wenneine Zuwiderhandlung ohne Sanktionen bleibt, dannwird sich kein Mensch daran halten. Sie wissen, wie esbeim Gesetz für den öffentlichen Dienst in den Bundes-behörden war: Bis vor kurzem gab es noch zwei oderdrei Ministerien, die noch überhaupt keine Gleichstel-lungspläne erstellt hatten. Die Vorgaben blieben ohneFolgen. Ob etwas getan wurde oder nicht, spielte keineRolle.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-rung hat durch das JUMP-Programm inzwischen150 000 Stellen für junge Menschen geschaffen. Aberwir müssen der Wirtschaft weitere Anreize bieten, Aus-bildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Dafür gibt esviele Möglichkeiten, unter anderem das marktwirt-schaftliche Instrument, die Auftragsvergabe an die Aus-bildung von Lehrlingen zu koppeln. Aber es gibt auchandere Wege, um den jungen Menschen den Einstieg indas Erwerbsleben zu ermöglichen.Das deutsche Recht hinkt in vielem dem europäi-schen Recht hinterher. Hier haben wir noch eine Mengeanzupassen. Dabei gibt es für uns gute Vorbilder, zumBeispiel die Schweiz, wo es hinsichtlich der Sanktionendas Recht einer Verbandsklage für Frauenverbände, fürGewerkschaften gibt. Der Kreativität sind also keineGrenzen gesetzt.Letztendlich müssen wir bei der Lohndiskriminie-rung ansetzen. Wir können nicht hinnehmen, daß diegut ausgebildeten Frauen 25 bis 30 Prozent weniger alsdie entsprechend qualifizierten Männer verdienen. Wirhaben einen ersten Schritt gemacht, indem wir beschlos-sen haben, daß über die Lohndiskriminierung und derenUrsachen – das ist ja nicht gottgegeben – ein ausführli-cher Bericht erstellt wird. Nach diesem Bericht werdenwir vorsehen müssen, Diskriminierungen auch für kol-lektive Arbeitsverträge zu verhindern.Aber es geht nicht nur um die gerechte Verteilung derErwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern, sondernauch um die Umverteilung von bezahlter und unbezahl-Irmingard Schewe-Gerigk
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4413
(C)
(D)
ter Arbeit, das heißt die Aufteilung der Familienarbeitzwischen Müttern und Vätern. Da gibt es schon einigepositive Beispiele. Wir wollen, daß den jungen Vätern,die bei der Geburt des Kindes häufig noch „mitatmen“,nicht so schnell die Luft ausgeht und sie ihrer Aufgabegerecht werden können. Darum möchten wir Bündnis-grünen dem Programm „Frau und Beruf“ ein Programm„Mann und Familie“ zur Seite stellen. Ich denke, dasist der richtige Weg, um den vielen motivierten Männern– diese gibt es ja; sie können die guten Vorschläge nurnicht umsetzen – Hilfestellung zu leisten, damit sie dasleben können, was sie leben möchten.Es gibt bisher kein Gesetz zur Vereinbarkeit von Fa-milie und Beruf, das die gleichberechtigte Erziehungsar-beit tatsächlich ermöglichen würde. Auch das haben wirvorgefunden: daß die alte Regierung Kindererziehungausschließlich als Frauensache verstanden hat. ZweiProzent der Väter nehmen Erziehungsurlaub. – An die-ser Stelle möchte ich einmal sagen: Wir müssen, wennwir ein neues Gesetz erarbeiten, endlich von den altenBegriffen Abschied nehmen. Ich habe zweimal „Erzie-hungsurlaub“ genommen und kann Ihnen sagen: Das istalles andere als Urlaub; es ist eine ziemlich anstrengen-de Angelegenheit. Ich schlage vor, wir nennen das ein-fach „Erziehungsarbeitsgesetz“.
Wir brauchen – auch die Ministerin hat dies ausge-führt – bessere Betreuungsmöglichkeiten. Sie habenmit Stolz darauf verwiesen, daß Sie den Rechtsanspruchauf einen Kindergartenplatz umgesetzt haben. Daß fürKinder im Alter von drei bis sechs Jahren die Plätze ein-gerichtet wurden, hatte doch aber zur Folge, daß esüberhaupt keine Chance mehr gab, Kinder unter drei undüber sechs Jahren unterzubringen, weil diese Plätze ab-gebaut wurden. Kinderbetreuung, Ganztagsschulen – daswird eine wichtige Sache sein, damit Väter und Mütterder Erwerbstätigkeit nachgehen können.Heute nehmen etwa 400 000 Frauen jährlich Erzie-hungsurlaub. Sehen sie sich die Statistiken an: Nur jedezweite Frau kehrt wieder an ihren Arbeitsplatz zurück –und das nicht, weil sie gerne zu Hause bleiben möchte,sondern weil es keine familiengerechten Arbeitszeitengibt, weil es keine Gesetze gibt, die dies unterstützen.Darum haben wir einen Rechtsanspruch auf Teilzeitar-beit während des Erziehungsurlaubs mit dem Rückkehr-recht auf Vollarbeitszeit vorgesehen.Ich glaube, das ist eine wirksame Maßnahme, durchdie es auch den Vätern ermöglicht werden kann, wäh-rend des Erziehungsurlaubs ihre Familienarbeit mit einerTeilzeitbeschäftigung zu vereinbaren. Wir wollen, daßdie Anzahl der Stunden, die jetzt während des Erzie-hungsurlaubs gearbeitet werden dürfen, von 19 auf 30Stunden erhöht werden kann; denn diejenigen, die Teil-zeitarbeit nachfragen, fragen nicht ungesicherte 19Stunden nach, sondern sie wollen zwischen 25 und 30Stunden arbeiten. Das würde dazu beitragen, daß dasGeld innerhalb der Familie ausreicht; denn mit einemEinkommen aus 19 Stunden Erwerbstätigkeit plus600 DM Erziehungsgeld sind die Möglichkeiten sehrschnell versperrt.Wir haben ebenso vor, den Erziehungsurlaub in einflexibles Zeitkonto umzuwandeln. Auch dazu hat esschon in der letzten Legislaturperiode eine Anhörunggegeben. Es spricht überhaupt nichts dagegen, nach denersten zwei Jahren Erziehungsurlaub ein flexibles Jahrbis zum 8. Lebensjahr des Kindes einzurichten. Der star-re Erziehungsurlaub während der ersten drei Lebensjah-re müßte endlich der Vergangenheit angehören, er hatnämlich dafür gesorgt, daß viele Frauen nicht mehr zu-rückgekommen sind und Väter ihre Verantwortung nichtübernehmen konnten.Ich möchte zum Schluß einen Punkt ansprechen, denich für zentral halte und über den wir diskutieren müs-sen. Das sind die Einkommensgrenzen beim Erzie-hungsgeld. Seit 1986 haben Sie die Einkommensgren-zen nicht erhöht, was zur Folge hatte, daß nur noch 40Prozent der Eltern das geschmälerte Erziehungsgeld be-kommen haben. Wir denken, es ist an der Zeit, das etwaszu erhöhen. Ich weiß, daß die finanzielle Situationschwierig ist, aber wir müssen sehen, wie wir die Fami-lien besser ausstatten können.Es ist schon ein Problem: Wenn das erste Kind in eineFamilie hineingeboren wird, wird aus den zwei Einkom-men für vormals zwei Personen ein Einkommen für dreiPersonen. Wenn man dann die 600 DM Erziehungsgeldreduziert, wird die Situation für die Familien wirklichschwierig. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, überden wir in den nächsten Monaten diskutieren sollten; undwir müssen sehen, wie wir das finanzieren können.Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine gerechte Ge-sellschaft – darüber haben wir heute morgen gesprochen– ist eine Gesellschaft, die die Rechte der Frauen und dieDemokratie zwischen den Geschlechtern nicht hintan-stellt. Wir hatten heute morgen eine große Überein-stimmung. Wenn wir Ihnen jetzt unsere konkreten For-derungen vorstellen, hoffen wir, daß wir auch darinÜbereinstimmung finden und gemeinsam für die Sacheder Frauen ein Stück vorankommen.Vielen Dank.
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Ina Lenke, F.D.P.-Fraktion.
Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Initiativen zur Frauen-beschäftigung: gut. Neue Initiativen zur Frauenbeschäfti-gung: noch besser. Meine Damen und Herren, vor unsliegt ein Antrag, in dem meines Erachtens sehr vielLyrik und wenig Initiative zu finden ist. Man muß einmalden Begriff „Initiative“ betrachten. Was meinen Sie mit„Initiative“? Meinen Sie das Aufschreiben der Wünsche,oder haben Sie ganz konkrete Vorstellungen? Wenn Siekonkrete Vorstellungen haben, dann muß in diesem An-trag auch eine konkrete Vorstellung zu sehen sein, dannmüssen wir ganz genau wissen, was Sie wollen.
Irmingard Schewe-Gerigk
Metadaten/Kopzeile:
4414 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Sie kündigen Initiativen an, nennen aber nicht denInhalt, und die Opposition kann dazu nur sagen: Hier istviel heiße Luft enthalten. Der gesamte Antrag verliertsich meines Erachtens im Allgemeinen und wird nurwenig konkret. Frau hat geradezu Glück, wenn Ziele be-schrieben werden und der Antrag über das Niveau desgefälligen Allgemeinen und einer puren Zustandsbe-schreibung hinausgeht.Meine Damen und Herren von der Koalition, ichmöchte wirklich wissen, wo die Initiativen sind. Ichmöchte auch gern, daß Sie das halten, was Sie im Wahl-kampf versprochen haben. Wo sind denn die Wege? Woist in diesem Antrag die Beschreibung des Wann undWie? Wo ist die Beschreibung der Kosten? Was ist mitder Finanzierung? Sie sagen, Sie wollen mehr Kinder-betreuungsmöglichkeiten haben. Dabei wissen Sieganz genau, daß wir als Bundestagsabgeordnete Kinder-betreuungsmöglichkeiten in den Kommunen gar nichtinitiieren können. Das müssen die Kommunalpolitikertun. Sie wissen ebenfalls ganz genau, daß die Länderden Kommunalpolitikern immer mehr Geld abziehen.Was soll das also eigentlich? Sie versprechen, was Sieselber im Bundestag nicht halten können.
Sie haben in Ihrem Bundestagswahlprogramm ganzkonkrete Maßnahmen angekündigt, auch was das Akti-onsprogramm „Frau und Beruf“ anbelangt. Im Januar1999 – ich habe die Broschüre hier – gab es ein Arbeits-programm der Bundesregierung, und als drittes gibt eseine schöne Broschüre mit dem Titel „Aufbruch in derGleichstellungspolitik“. Der Reformstau soll beseitigtwerden. Wir sind Frauenpolitikerinnen und haben heutemorgen gesagt, daß wir sehr viel für Frauen tun wollen.Dafür bin ich auch. Aber ich bin nicht für Ankündigun-gen, weil die Bürgerinnen und Bürger, die wirklich ein-mal in die Papiere schauen und uns fragen, was wir ei-gentlich machen, dann nur heiße Luft finden. Dafürstelle ich mich jedenfalls nicht zur Verfügung.
Ich nenne in diesem Zusammenhang als ganz kon-kretes Beispiel die Existenzgründerinnen. Von 1990bis 1994 war ich im Landtag. Von daher weiß ich, daßwir auf Landkreisebene den Existenzgründerinnen hel-fen. Auf Bundesebene gibt es Existenzgründerinnenpro-gramme. Jetzt sagen Sie, Sie wollten den Existenzgrün-derinnen helfen, und tun so, als sei das etwas ganz Neu-es. Wissen Sie, was Sie für die Existenzgründerinnengetan haben? Sie haben im letzten Dreivierteljahr denFrauen, die eine Existenz gründen wollten, durch IhrScheinselbständigkeitsgesetz Steine in den Weg gelegt.Ein Weiteres: Ich bin dafür, daß Frauen sozialversiche-rungspflichtig beschäftigt sind. Wenn Frauen aber nurzwei oder drei Stunden in der Woche arbeiten können,dann sollten sie es auch im Rahmen eines 630-DM-Vertrages tun können. Sie wissen ganz genau, daß dasehr viele Arbeitsplätze weggefallen sind. Ich rede hiervon Arbeitsplätzen, weil es keine Schwarzarbeit ist; dassind ordentlich angemeldete Arbeitsplätze, bei denenauch im Bereich des Sozialversicherungsrechts keinSchindluder mehr getrieben werden kann. Wir warenuns ja auch alle einig, daß solche Regelungen kommen.
Sie haben versprochen, die Vergabe öffentlicherAufträge an familienfördernde Maßnahmen zu binden.Ich habe im Aktionsprogramm wenig dazu gefunden. Eswürde mich aber wirklich freuen – das meine ich jetzternsthaft –, wenn die nachfolgenden Rednerinnen vonSPD und Grünen dazu noch etwas sagen könnten.Frau Ministerin Bergmann wurde am 9. Dezember1998 – das genaue Datum wissen Sie vielleicht nichtmehr; aber ich habe mir diesen Artikel aufgehoben – im„Expreß“ mit der Ankündigung zitiert, daß die Privat-wirtschaft ab einer bestimmten Betriebsgröße zu Frau-enförderplänen verpflichtet werden solle. In Bonn ha-ben wir, Frau Ministerin Bergmann, zusammen mit einerVertreterin der Grünen, die heute nicht anwesend ist, vor200 bis 300 Frauen „gefightet“. Sie haben bei dieserDiskussion natürlich ein zwingendes Gleichstellungsge-setz angekündigt. Als Vertreterin der F.D.P. sah ichziemlich alt aus, weil wir den Betrieben Anreize gebenwollen und an „total e-quality“ – Prädikatspreise den-ken. Mit solchen Aussagen sieht man immer älter aus alsdiejenigen, die behaupten, wenn sie an die Regierungkämen, gäbe es gleich ein Gesetz. Die Vertreterin derGrünen hat bei dieser Podiumsdiskussion auf die Frage,was passieren werde, wenn eine Firma das Gleichbe-rechtigungsprogramm nicht durchsetzt, sogar von Sank-tionen gesprochen.Von diesen beiden Punkten – öffentliche Auftrags-vergabe und ein Gleichberechtigungsgesetz, das für Be-triebe ab 80 bis 100 Mitarbeiter zwingend sein soll – istin diesem Aktionsprogramm nichts enthalten. Ich fühlemich als Bürgerin also ziemlich veralbert, wenn ich die-ses Programm lese. So geht es meines Erachtens nicht.
Wir sind jetzt in der Opposition. Aber so kann es nichtsein: Man kann nicht vor der Bundestagswahl den Frau-en schöne Berge versprechen, wenn es hinterher nurTäler werden.
In Ihrem Aktionsprogramm steht, daß Sie einen Dia-log mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften wollen.Das finde ich toll; da „dialogen“ wir mit. Ansonsten for-dere ich Sie auf, bei Ihrem Leisten zu bleiben. Als Poli-tikerinnen können wir lediglich in den Behörden solchePläne konkretisieren. Wir haben ja schon Frauenförder-pläne und Gleichstellungsvorschriften in den Behörden.Das können wir für die Bundestagsverwaltung machen.Wir haben im Frauenausschuß den Entwurf zu demBundesgremienbesetzungsgesetz besprochen. Ich hattemir seinerzeit damit viel Mühe gemacht. Einvernehm-lich sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß ein sol-ches Gesetz nichts bringt.
Ina Lenke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4415
(C)
(D)
– Frau Schewe-Gerigk, wissen Sie, an welchem PunktSie das ändern können? An dem Punkt, wenn die Bun-desregierung selbst Gremien besetzt.
Sie wissen ganz genau – wenn Sie das noch im Augeund im Ohr haben –: Es gibt andere Gremien, bei denenSie wenig Einfluß auf die Besetzung haben. Es war auchdem Bundesgremienbesetzungsgesetz zu entnehmen,daß die Bundesregierung wenig Einfluß auf die Beset-zung von Gremien hat. Frau Nolte hatte dazu ganz ent-schuldigend gesagt: Das ist eine tolle Sache, es sindzwei bis drei Prozent mehr geworden; aber wir haben jakeinen Einfluß. Wir wollen einmal sehen, ob Sie auf dieBesetzung von Gremien, über die es jetzt zu entscheidengilt, mehr Einfluß haben werden.
– Es ist aber die Frage, ob Sie zum Beispiel bei einemGremium, das entsendet und das von der Wirtschaft undvielleicht auch aus Steuerkassen gespeist wird, über-haupt die Möglichkeit haben, gesetzlich einzugreifen.
– Wir können darüber gerne im Ausschuß streiten. So-weit ich mich daran erinnern kann – das kann ich sehrgut –, ist es aber so. Ich meine sowieso, daß mit diesenGesetzen wenig zu machen ist und daß wir es lieber an-ders versuchen sollten. Darüber können wir dann imAusschuß reden.Die Frauenerwerbstätigkeit steht im Brennpunktdes öffentlichen Interesses. Ich finde es schon recht wit-zig, daß auf der ersten Seite Ihres Antrages ganz deut-lich steht – in Prozentzahlen –, wie hoch die Männerar-beitslosigkeit ist, wie hoch die Frauenarbeitslosigkeit istund wie hoch sie im Osten ist. Die Frauenarbeitslosig-keit im Osten ist wirklich erschreckend hoch; das wissenwir alle. Aber in Ihrem Aktionsprogramm gehen Sie aufdie speziellen Ost-Probleme nicht ein. Ich habe jeden-falls nichts davon gesehen. Ich weiß nicht, wo in IhremProgramm irgendein Punkt dazu zu finden ist. Ich kom-me aus den alten Bundesländern. Ich bin sehr dafür, daßin den neuen Bundesländern dort, wo eine überpropor-tional hohe Frauenarbeitslosigkeit herrscht, mehr ge-macht wird. Das muß ich ganz deutlich sagen.
Geld steht nur begrenzt zur Verfügung. Ich finde aber, indiesem Punkt müssen die Frauen im Osten wirklich ge-fördert werden. Ob das geschieht, ist eine Frage, die ichgerne noch beantwortet bekommen würde; denn in Ih-rem Programm steht dazu nichts.Ich habe außerdem noch drei Fragen. Dazu habe ichmir das Bundestagswahlprogramm der SPD mit demTitel „Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit“ vorge-nommen. Sie haben in dem Antrag, über den wir jetztreden, zum Ausdruck gebracht: Die Kinderbetreu-ungsmöglichkeiten sollen verbessert werden. Ich bintotal dafür – ich nenne dazu einmal die volle Halbtags-grundschule. Bis zum zehnten Lebensjahr des Kindesmüssen wir eine Betreuung ermöglichen. Danach – ichhabe das als Mutter mitgemacht – kann man ein Kindschon einmal zwei Stunden alleine zu Hause lassen. DasKind kann sich dann auch schon selber Spaghetti mitKetchup kochen – das geht. Im SPD-Programm steht ei-ne Lösung: „Zur besseren Vereinbarkeit von Familieund Beruf sind mehr Kinderbetreuungseinrichtungennotwendig. Dazu werden wir die Finanzkraft der Länderund Gemeinden stärken.“
Sagen Sie mir einmal, wo Sie die stärken wollen! Es gibtja immer weniger Finanzmittel für die Länder undKommunen. Die Länder bekommen von Ihnen weniger:Sie werden am Unterhaltskostenvorschußgesetz betei-ligt. Sie sollen auch am Arbeitslosengeld und an allemmöglichen beteiligt werden. Das sind Millionenbeträge.Nichtsdestotrotz machen Sie hier Versprechungen. Ge-hen Sie mit dem Programm doch einmal zu Herrn Ei-chel, und sagen Sie ihm, er solle die Lösungsvorschlägebringen.
Sie haben das ganz bewußt nicht in Ihren Antrag ge-schrieben, weil Sie das einfach nicht durchführen kön-nen und weil das eine Farce ist.Als zweites würde ich gerne etwas zu folgendem wis-sen, das auch auf der ersten Seite steht: Gleichberechti-gung in Bildung und Ausbildung. Die Mädchen und diejungen Frauen sollen grundsätzlich die Hälfte aller Aus-bildungsplätze erhalten. Das ist eine totale Quotierungvon Ausbildungsplätzen. Frau Bergmann, Sie haben –ich habe sehr genau zugehört – von Quotierung gespro-chen. Sie haben aber von einer weichen Quotierung ge-sprochen, nicht von einer harten 50 : 50-Quotierung.Davon steht gar nichts in Ihrem Programm. Ich will jetzthier im Parlament erfahren, ob Sie eine 50 : 50-Quotierung bei den Ausbildungsplätzen wollen oder obSie eine weiche Quotierung – zum Beispiel 30 : 70 oder20 : 80 – wollen. Da müssen wir einmal Tacheles reden.Da müssen Sie mir jetzt bitte einmal die Auskunft ge-ben, was Sie wollen: Das, was Sie gesagt haben, oderdas, was an wenigem in Ihrem Programm steht.
Denken Sie bitte an
Ihre Redezeit.
Ich bin jetzt fertig.Meine dritte Frage betrifft das zwingende Gleichbe-rechtigungsgesetz: Kommt es jetzt oder kommt esnicht? Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn wirandere Regelungen für die Wirtschaft fänden; denn dieseGesetze vernichten Arbeitsplätze, sie vernichten auchFrauenarbeitsplätze.Ich freue mich auf die intensive Diskussion im Aus-schuß. Dort wollen wir ja sehr fachspezifisch und in-haltlich diskutieren. Vielleicht ergeben sich dann nochIna Lenke
Metadaten/Kopzeile:
4416 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
die einen oder anderen Problemlösungsmöglichkeiten,die Sie heute in Ihrem Programm nicht vorgetragen ha-ben. Ich würde mich freuen, wenn etwas für die Frauenerreicht wird. Sie sind die Regierung, Sie machen dasalles. Wir wollen einmal schauen, wie das letztlich en-det.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Petra Bläss, PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Ja, es bedarf dringend verbindli-cher politischer Entscheidungen, die die Chancengleich-heit von Frauen und Männern im Beruf und in der Fa-milie mit Nachdruck voranbringen – so der Anspruchdes vorgelegten Aktionsprogramms.Die Bundesregierung beschreibt die Mißstände treff-lich, die Frauen in allen Bereichen des Erwerbslebensbenachteiligen und ihnen die unbezahlte Arbeit überpro-portional aufhalsen. Sie kritisiert, daß Frauen zu wenigin höheren beruflichen Positionen und besser bezahltenTätigkeiten vorkommen, und sie sagt zu Recht, das seiweder gerecht noch ökonomisch klug; Staat und Gesell-schaft könnten sich dies auf Dauer nicht leisten.Frau Kollegin Diemers, sosehr ich mich freue, jetztaus den Reihen der abgewählten Bundesregierung ver-schiedene Akzente und Töne neu zu vernehmen,
so muß ich doch sagen: Ich kann mich nur wundern, wieSie, die den Frauen eine solche Misere hinterlassen ha-ben,
jetzt hier solche Töne anschlagen können.
16 Jahre Kohl-Regierung haben dafür gesorgt, daß derArbeitsmarkt dermaßen geschlechtshierarchisch struktu-riert ist, daß die Bundesregierung jetzt wirklich einenziemlichen Berg zu bearbeiten hat.
– Ich habe auch noch genug an der Bundesregierung zukritisieren, aber man sollte in dieser Frage die Kirche imDorf lassen.
Die Unterbeschäftigung von Frauen ist volkswirt-schaftlich gesehen eine riesige Verschwendung. Sie aberzur unbezahlten Arbeit zu zwingen und den größten Teilder Arbeit erledigen zu lassen, die für das Weiterlebender Gesellschaft unerläßlich ist, ist zutiefst ungerecht.Aber, meine Damen und Herren, es gibt jede MengeProfiteure der patriarchalen Arbeitsteilung, übrigensnicht nur in der Wirtschaft. Selbst der Staat gehört dazu,wenn er Kosten für öffentliche Aufgaben auf die Schul-tern von Frauen verlegt wie bei der Kinderbetreuung.Das andauernde geschlechtshierarchische Gefälle aufdem Arbeitsmarkt beweist: Die gleichberechtigte Teil-habe von Frauen im Erwerbsleben läßt sich nicht durchAppelle und gutes Zureden erreichen, schon gar nicht indie Privatwirtschaft. Es wird zu gar nichts führen, an dieprivaten Betriebe zu appellieren und sie zu Maßnahmengegen Frauendiskriminierung aufzufordern. Das habenbekanntlich alle Frauenministerinnen in den vergange-nen Legislaturperioden versucht, und sie sind alle damitgescheitert.Wo haben sich die Unternehmer für gleichen Lohnbei gleichwertiger Arbeit eingesetzt, obwohl die Gesetzedies fordern? Wo bleibt der unternehmerische Einsatzfür die Umsetzung des Art. 3 des Grundgesetzes, in demes heißt, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind?Die Entwicklung in den neuen Ländern zeigt dieAusmaße auf erschreckende Weise. Hunderttausendfachwurden im Osten die Entscheidung, ob ein Arbeitsplatzan einen Mann oder an eine Frau geht, zugunsten desMannes getroffen. Diskriminierung von Frauen ist inganz Deutschland in der Privatwirtschaft ein ganz nor-maler Vorgang, und dennoch, liebe Kolleginnen undKollegen von der Regierungskoalition, setzen Sie nunausgerechnet auf Freiwilligkeit bei den Unternehmen.Viele Frauen haben gehofft, daß mit Rotgrün endlichein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaftkommt. Das hatten Sie den Frauen auch versprochenund in die Koalitionsvereinbarung geschrieben. Dortsteht übrigens auch, daß Sie die Vergabe öffentlicherAufträge an frauenfördernde Maßnahmen binden wol-len. Davon ist keine Rede mehr. Nun soll erst einmalgeprüft werden, ob bei Vergabe öffentlicher Aufträgeauch soziale Kriterien berücksichtigt werden können.Das ist für die Frauen der blanke Hohn, denn da gibt esgenauso wenig zu prüfen wie bei der Frage, ob einRechtsanspruch auf Teilzeit bei Elternschaft sinnvoll istoder nicht. Frauenpolitik, meine Damen und Herren,darf nicht zur Prüfaufgabe verkommen.
In weiten Teilen liest sich das Programm wie einKatalog zur Besänftigung der Unternehmer und Wirt-schaftsbosse. Für die Frauen bleiben Absichtserklärun-gen, und über die, die auf dem Arbeitsmarkt doppeltdiskriminiert sind, wird erst gar kein Wort verloren. Dassind Frauen ohne deutschen Paß, und das sind Frauenmit Behinderungen.Ich begrüße es, daß Sie im Frauenfördergesetz desBundes mehr Verbindlichkeit durchsetzen wollen, daßSie dort eine Ergebnisquote einführen wollen und Frau-en bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt werdensollen, bis sie nicht länger unterrepräsentiert sind. Abergenau die gleichen Regelungen brauchen wir auch fürdie Privatwirtschaft. Diskriminierung von Frauen istkeine Privatangelegenheit der Wirtschaft.
Ina Lenke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4417
(C)
(D)
Wir unterstützen ausdrücklich das Vorhaben, Frauenin Lehre und Forschung weiter zu fördern. Im übrigenist für mich das Engagement der Bildungs- und For-schungsministerin Bulmahn ein Zeichen für den Poli-tikwechsel, den ich mir auf anderen Politikfeldern beider Bundesregierung immer wünsche, denn Sie machendeutlich, daß Gleichstellungspolitik keine ausschließli-che Aufgabe für das Ressort von Frau Bergmann, son-dern tatsächlich Aufgabe des gesamten Kabinetts ist.
Ich hoffe, daß Ihre Ministerkolleginnen und -kollegenIhnen bei diesem Engagement folgen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur mit Quotenre-gelungen läßt sich heute an der Benachteiligung vonFrauen wirksam etwas ändern. Weil Frauen als Gruppediskriminiert werden, brauchen wir gruppenbezogeneInstrumente dagegen. Deswegen warten wir auch aufeine Entscheidung für Quotenregelungen in der Arbeits-förderung.In diesem Zusammenhang eine kurze Bemerkungzum Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit. Es istmeines Erachtens bisher kein frauenpolitischer Erfolg.Denn wenn wir uns die Zahlen genau anschauen, stellenwir folgendes fest: Von den 107 489 Teilnehmendensind nur 45 583 Frauen; das sind 42 %. Nun hat FrauBergmann zu Recht gesagt, wir sollten hier nicht immernur über Quantitäten diskutieren. Ich habe mich deshalbgenau darüber informiert, wie die Beteiligung von Mäd-chen und jungen Frauen an den wirklich attraktiven –ich nenne sie einmal so – Fördermaßnahmen – das heißt,den Lohnkostenzuschüssen und Qualifizierungs-ABM –aussieht. Das Bild ist noch nicht so – das wissen Sie,Frau Bergmann –, wie wir es gerne hätten: Ihr Anteilliegt nur bei 32 bzw. 34 Prozent. Hier besteht konkreterHandlungsbedarf. Das Programm ist damit auch einBeleg dafür, daß gute Absichten allein nicht ausreichen.
Wir fordern Gleichstellungsbeauftragte in privatenBetrieben, die von den weiblichen Beschäftigten ge-wählt werden. Wir fordern selbstverständlich auch heu-te, daß nicht nur die Vergabe öffentlicher Aufträge anAntidiskriminierungsmaßnahmen der Betriebe gebundenwird, sondern daß dies zukünftig auch für öffentlicheSubventionen und Fördermittel gilt. Keine staatlichenMittel mehr für Frauendiskriminierung – das muß inZukunft klar sein.Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit Frauen in derPrivatwirtschaft von mehr Rechten profitieren können,müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Hier-zu brauchen wir endlich eine Novellierung des Arbeits-zeitgesetzes, die eine wöchentliche Höchstarbeitszeitvon 40 Stunden und eine regelmäßige tägliche Arbeits-zeit von 7 Stunden vorsehen sollte. Schließlich brauchenwir Freistellungsmöglichkeiten bei Elternschaft, dienicht zu einem faktischen Ausschluß vom Arbeitsmarktführen. Eltern sollen zwischen voller Erwerbstätigkeit,einer zeitweisen Freistellung oder einer vorübergehen-den Arbeitszeitverkürzung wählen können. Darüber hin-aus müssen öffentliche Angebote für Kinderbetreuungunbedingt Priorität bekommen.Vom angekündigten Aufbruch zu einer neuen Frau-enpolitik ist das Programm „Frau und Beruf“ meines Er-achtens noch ein ganzes Stück entfernt. Damit es einerwird – ich glaube, das wünschen wir alle –, muß dieFrauenministerin – und hoffentlich nicht nur sie im Ka-binett – den Bossen tatsächlich Paroli bieten. Dabei un-terstützen wir sie gerne.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun
die Kollegin Christel Humme.
Sehr geehrte Frau Präsi-dentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! FrauLenke, an dem heutigen Tag hätten sich eigentlich alleFraktionen auf einen Text zu einem gemeinsamen frau-enpolitischen Antrag einigen können. Leider waren Sieund auch die CDU/CSU nicht in der Lage, mit uns zu-sammen einen Text zu erarbeiten.
Ich glaube, Sie haben sich keine Gedanken darüber ge-macht, wie Sie in der Zukunft eine bessere Gleichstel-lungspolitik betreiben könnten als in den vergangenenJahren.
Jetzt wieder zur Sache. Lassen Sie mich mit einerkleinen Rückschau beginnen. Vor 24 Jahren erklärte dieUNO das Jahr 1975 zum Jahr der Frau. Die anschlie-ßenden Jahre bis 1985 erklärte sie zur Dekade der Frau.Viele Frauen, so auch ich, waren damals von diesemsymbolischen Akt eher negativ berührt, kannten wir die-se Art von Hervorhebungen doch nur für Pflanzen undTiere, die vom Aussterben bedroht waren. Diesen Ein-druck habe ich manchmal heute noch.Meine Herren und Damen, Frauen brauchen keineSonderbehandlung, damals nicht und auch heute nicht.Sie wollen nicht geschont und nicht protegiert werden.Was sie aber wollen, ist, daß ihre Fähigkeiten undPotentiale anerkannt und auch genutzt werden, und zwarin Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Kultur, Medien undGesellschaft. Das ist ihr gutes Recht, de jure garantiertin Art. 3 des Grundgesetzes.Darüber hinaus können wir es uns schon aus ökono-mischen Gründen gar nicht leisten, Frauen außen vor zulassen; denn keine Gesellschaft kann es sich erlauben,Frauen erst gut auszubilden, um sie dann aus dem Er-werbsleben auszugrenzen. Das gilt erst recht für dieBundesrepublik Deutschland, deren wichtigster Stand-ortfaktor gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer sind.
Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
4418 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Meine Herren und Damen, die Frauen, die vor24 Jahren skeptisch waren, fühlen sich heute bestätigt.Allein ein Jahr oder ein Jahrzehnt der Frau auszurufenhat noch keine Gleichstellung gebracht. Die Politik warund ist gefordert. Aber Sie, meine Herren und Damenvon der CDU/CSU und der F.D.P., haben die 16 JahreIhrer Regierungszeit ungenutzt verstreichen lassen.
Sie haben keine moderne Frauen- und Familienpolitikbetrieben und damit die Gleichstellung nicht vorange-bracht.
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Nein.Das ist der Grund, warum unser Antrag „Neue Initia-tiven zur Frauenbeschäftigung“ auf der Tagesordnungsteht. Dieser Antrag greift die Kritikpunkte des Europäi-schen Parlaments auf. Das Europäische Parlament hat inseinem Bericht und in der dazugehörigen Entschließungdie zu hohe Arbeitslosigkeit der Frauen in Europa kriti-siert und von seinen Mitgliedstaaten entsprechendeMaßnahmen gefordert. Die dort beschriebenen Ver-säumnisse gehen auf Ihr Konto, meine Herren und Da-men der Opposition.
Ich weiß, daß bei Ihnen ein Antrag diskutiert wird,der sich „Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland“ nennt.Aber auch dieser kleine Antrag, auf den ich gleich nocheinmal eingehe, kann über Ihre Verantwortung nichthinweg täuschen. Die Folge Ihrer Untätigkeit ist derheutige Zustand. Was wir tatsächlich haben, ist Gleich-berechtigung ohne Gleichstellung.So verzeichnet die Bundesrepublik noch immer eineFrauenerwerbsquote, die niedriger ist als die in vielenanderen hochentwickelten Industriestaaten. Die Löhneund Gehälter der Frauen – Frau Ministerin hat dies gera-de schon erwähnt – sind um ein Drittel niedriger als dieder Männer. Dementsprechend und auf Grund der meistfamilienbedingt lückenhaften Erwerbsbiographien sindauch die Renten der Frauen niedriger als die der Män-ner. Allgemein gilt: Frauen sind häufiger von Armut be-troffen. – In den neuen Bundesländern, in denen die Ar-beitslosigkeit ohnehin ein trauriges Niveau aufweist,sind es wiederum Frauen, die stärker von Arbeitslosig-keit betroffen sind als ihre männlichen Kollegen. Das istdas Ergebnis Ihrer Politik in den letzten Jahren.
Ich möchte jetzt nicht noch auf die Defizite beimThema „Frauen in Führungspositionen“ eingehen. Mini-sterin Christine Bergmann hat dies bereits erwähnt. Ichmöchte nur aufnehmen, daß wir heute die Situation ha-ben, daß Frauen wesentlich besser qualifiziert sind, alses früher der Fall war – sogar besser als die Männer.Meine Herren und Damen, Sie sehen, es liegt nicht anden Frauen, wenn sie im Berufsleben den kürzeren zie-hen, sondern an den Hürden, die vor ihnen aufgebautwerden.Hürde Nummer eins: Viele Unternehmen ziehen nochimmer die männlichen Konkurrenten ihren weiblichenKonkurrentinnen vor. Und warum? Die Leistungsfähig-keit und die Qualifikationen der Frauen können, wie wirhier gerade festgestellt haben, nicht der Grund sein.Nach wie vor aber gilt, daß viele Unternehmer geradebei jungen Frauen annehmen, daß sie nach der Realisie-rung des Kinderwunsches ganz oder zumindest teil-weise aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Mit anderenWorten: Für den Unternehmer lohnt es sich offensicht-lich nicht, in seine Arbeitnehmerinnen, in ihr spezifi-sches Humankapital, zu investieren.Hürde Nummer zwei: Die Frauen entscheiden sichnicht so häufig für zukunftsträchtige, technisch orien-tierte Berufsausbildungen wie Männer. Aber warum?Ein Grund ist, daß es Frauen hier einfach an Vorbildernfehlt. Es gibt eben kaum Ingenieurinnen, Nachrichten-technikerinnen, Informatikerinnen usw. Das Eindringenin von Männern dominierte Berufsfelder ist deshalbschwierig. Und es wird den Frauen darüber hinaus viel-fach unnötig erschwert: Professoren ingenieurwissen-schaftlicher Studiengänge, die die Studierenden mit„meine Herren“ begrüßen, die Studentinnen wohlweis-lich übersehend, sind nur ein kleines Beispiel für dieSchwierigkeiten, mit denen Frauen konfrontiert werden.Hürde Nummer drei: Auf Grund der meist niedrige-ren Löhne und Gehälter der Frauen ist es dann tatsäch-lich ökonomischer, wenn nach der Geburt eines Kindesdie Frau ihre Erwerbstätigkeit unterbricht und nicht derMann. Was aber wird dadurch ausgelöst? Die Annah-men des Arbeitgebers haben sich bestätigt. Die Be-triebszugehörigkeit der Frau ist tatsächlich kürzer, In-vestitionen sind damit weniger lohnend. Und zu Hause?Zu Hause zementiert sich derweil die geschlechtsspezi-fische Arbeitsteilung. Ein Teufelskreis entsteht, ein Teu-felskreis, den wir durchbrechen werden.
Die zuvor genannten Hürden abzubauen, das ist unserZiel, und zwar durch entsprechende gesetzliche Rah-menbedingungen einerseits und einen gesamtgesell-schaftlichen Reformprozeß andererseits. Genau hiersetzt die Bundesregierung mit ihrem Programm „Frauund Beruf“ an. Meine Herren und Damen, mit diesemProgramm machen wir einen großen Sprung in die rich-tige Richtung. Wir möchten aber die Männer hierbeimitnehmen und auch ihnen auf die Sprünge helfen,
ihre tradierten Rollenbilder zu überdenken, aufzulösenund zu modernisieren.An dieser Stelle greift der Antrag, den Sie von derCDU/CSU-Fraktion vorgelegt haben, zu kurz. Denn SieChristel Humme
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4419
(C)
(D)
– das hat man in Ihren vorherigen Reden gehört – for-dern Veränderungen nur bei den Frauen. Wiederum istes nur das Problem der Frauen, Familie und Beruf mit-einander zu vereinbaren.
Sie lassen die Männer völlig unberücksichtigt und dieFrauen mit ihrer Doppel- und Dreifachbelastung allein.
– Von Freude, Frau Diemers, kann hierbei keine Redesein.
Denn solange sich bei den Männern nichts ändert, kannsich bei den Frauen trotz Quote, Frauenförderung undFrauenbeauftragter wenig bewegen.Das im Rahmen des Programms „Frau und Beruf“geplante Gleichstellungsgesetz bezüglich der privatenWirtschaft wird natürlich nur dann greifen, wenn gleich-zeitig Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familien-und Erwerbsarbeit gefördert und Männer in die Fami-lienarbeit einbezogen werden. Das steht den Interessender Männer keineswegs entgegen. Denn auch vieleMänner wollen nicht einseitig auf ihre Rolle im Er-werbsleben festgelegt werden. Auch sie wollen Zeit fürPartnerschaft und Kindererziehung haben. Deshalb be-grüßen wir ausdrücklich die geplante Kampagne für einneues Männerbild und ebenso die Weiterbildung männ-licher Führungskräfte. So bietet bereits ein EU-ProjektVäterförderung – dies ist also möglich – im Rahmeneiner Managerschulung an.Wir möchten auch, daß Teilzeitarbeit in Füh-rungspositionen anerkannt und akzeptiert wird, wie inDänemark, wo es Betriebe gibt, in denen Spitzenposi-tionen mit zwei Teilzeitkräften, einer männlichen undeiner weiblichen, besetzt werden. Auch bei uns gibt esbereits Unternehmen, die die Vorteile der Beschäfti-gung von Frauen erkannt haben. Diese Unternehmenversuchen, ihre Arbeitnehmerinnen mit gezielten Pro-grammen, an sich zu binden. Denn sie wissen um diespezifischen Fähigkeiten ihrer Mitarbeiterinnen wiesoziale Kompetenz, Teamfähigkeit, Kreativität, Belast-barkeit und Organisationstalent. Dies alles sind Fähig-keiten, die heute – und noch mehr morgen – in einervernetzten und globalisierten Welt dringend gefragtsind. Wir möchten die Unternehmen ermuntern, dieseWege fortzusetzen.Meine Herren und Damen, mit den an dieser Stellegenannten Maßnahmen, die nur einen kleinen Ausschnittaus dem Programm „Frau und Beruf“ darstellen, hat dieBundesregierung die richtigen Antworten auf unserenAntrag gefunden. Wir überwinden damit die HürdeNummer eins und erreichen, daß Frauen gleiche Chan-cen auf dem Arbeitsmarkt eingeräumt werden. Das Pro-gramm „Frau und Beruf“ fördert Frauen unter anderemin technischen Berufen und räumt damit die HürdeNummer zwei ebenfalls aus.Das Sofortprogramm wurde von Ministerin ChristineBergmann bereits erwähnt. Man sollte noch darauf hin-weisen, daß eine berufliche Förderung von Frauen inden Schwerpunkten Informatik und Technologie durch-geführt wird. Darüber hinaus werden Frauen gefördertund unterstützt, die eine Ausbildung im Handwerk an-streben.
Darlehens- und Beratungsprogramme unterstützenExistenzgründerinnen und ermuntern Frauen, eineeventuelle Firmennachfolge anzutreten.Die Reform des Arbeitsförderungsrechts 2000 enthältdie Überprüfung dieser Regelungen auf ihre frauenpoli-tische Wirkung. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträgewird geprüft, inwieweit soziale Kriterien berücksichtigtwerden können.Meine Herren und Damen, sind die entscheidendenHürden erst überwunden, sind die Voraussetzungen ge-schaffen, den von mir zuvor beschriebenen Teufelskreiszu durchbrechen. „Frau und Beruf“ heißt dann auch„Mann und Familie“. Mit dem Programm „Frau und Be-ruf“ schaffen wir einen neuen Aufbruch in der Gleich-stellungspolitik und setzen wir die Forderungen des Eu-ropäischen Parlaments nach einer nachhaltigen Bekämp-fung der Arbeitslosigkeit und nach einer Verbesserungder Stellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt um.Meine Herren und Damen, ein UNO-Jahr des Manneshat es nie gegeben. Ich setze darauf, daß das Programm„Frau und Beruf“ dazu beiträgt, daß auch zukünftigniemand mehr auf den Gedanken kommen wird, ein Jahrder Frau auszurufen, und zwar deshalb, weil gleich guteLebens- und Erwerbsbedingungen für Frauen und Män-ner zur Selbstverständlichkeit geworden sind.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Kollegin
Humme, das war Ihre erste Rede in Berlin, im Deut-
schen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen im Namen des
ganzen Hauses
und freue mich, daß Sie Ihre Redezeit sogar unterschrit-
ten haben. Das ist ja eine unglaubliche Disziplin. Herzli-
chen Glückwunsch!
Das Wort hat nun die Kollegin Dorothea Störr-Ritter.
Frau Präsiden-tin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!Demokratie setzt die Verwirklichung einer echtenPartnerschaft zwischen Männern und Frauen beider Führung der Angelegenheiten der Gesellschaftvoraus. Wenn wir einen demokratischen Staat er-reichenChristel Humme
Metadaten/Kopzeile:
4420 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
– ich möchte sagen: praktizieren –wollen, müssen Männer und Frauen gleichberech-tigt und sich gegenseitig ergänzend daran arbeitenund ihre Unterschiede zu einer Bereicherung fürbeide Seiten werden lassen.So sagte es gestern an dieser Stelle Frau ProfessorinHeptulla.Es ist wichtig, solche Aussagen immer wieder zu zi-tieren. Zu schnell geraten solche – wie manche vielleichtmeinen – Selbstverständlichkeiten im Alltagsgeschehenin Vergessenheit. Vor allem ist diese Erkenntnis demAlltagsgeschehen an vielen Stellen weit voraus. Im Ide-alfall sollen Männer und Frauen also bei der Führungaller Angelegenheiten der Gesellschaft, das heißt im po-litischen, im beruflichen und im privaten Bereich, sichgegenseitig ergänzend arbeiten. Unsere heutige Debattezeigt, daß wir alle, meine sehr verehrten Kollegen undKolleginnen, Interesse daran haben, vor allem auch beiden beruflichen Angelegenheiten ein Defizit zu beseiti-gen, das heißt, Frauen Chancen zu geben, gleichberech-tigt am Erwerbsleben teilzunehmen.Wir haben in den letzten Jahren bereits Positives er-reicht. Auch daran sollten wir in einer ehrlichen Debatteerinnern und nicht alles nur schlechtreden.
Laut einer aktuellen Studie zum Thema „Männer undFrauen in Führungspositionen in der Wirtschaft“ steigenin Deutschland immer mehr Frauen in Führungspositio-nen in Unternehmen auf. Auch das kann man positiv se-hen, Frau Ministerin. Der Wunsch nach Kindern undFamilie stellt dabei offenbar kein Hindernis dar. Ange-stellte Frauen in den alten Bundesländern holen im Ver-dienst gegenüber ihren weiterhin besser gestelltenmännlichen Kollegen auf. Im Januar 1999 erhieltenFrauen im Durchschnitt rund 70 Prozent des Gehaltesvon Männern. Das ist deshalb interessant, weil es – sodas Statistische Bundesamt – im Jahr 1960 erst 55 Pro-zent waren. Ich meine, auch das ist ein Schritt auf demWeg in die richtige Richtung.Wirkliche Chancengleichheit auf dem Arbeits-markt herzustellen und Frauenarbeitslosigkeit zu besei-tigen ist unser gemeinsames Ziel. Während Sie, meinesehr verehrten Herren und Damen der Koalition, jedochglauben, mit Ihrem Antrag den großen Coup zu landen,aber nichts anders als die altbekannten Phrasen liefern –das wurde von meinen Vorrednerinnen schon gut her-ausgearbeitet –, sind wir mit unserem Antrag ein Stückkonkreter. Viel schwerwiegender ist jedoch, daß Sie inIhrem ersten Regierungsjahr am laufenden Band Geset-ze produzierten, die in Lebenswirklichkeiten, wo Frauentatsächlich Arbeit haben, wo Frauen anderen Frauen Ar-beit bieten, die Zukunftschancen dieser Frauen aufsGröbste beschnitten, wenn nicht gar unmöglich mach-ten.
Sie haben in bestehende Erwerbsbiographien eingegrif-fen und Frauenarbeitspläne verhindert, so daß Sie vorScham eigentlich noch röter werden müßten, wenn Sienun eine neue Initiative zur Frauenbeschäftigung ver-langen.Ich will Ihnen deutlich machen, daß Sie offensichtlichkeine Ahnung davon haben, daß sich viele Frauen längstvon der Gesellschaft emanzipierten, ohne großes Ge-schrei einer Arbeit nachgehen, die Existenz einer Fami-lie stützen, Beruf und Familie ohne große staatliche Hil-fe verbinden und anderen Frauen dabei frauenfreundli-che Arbeitsplätze bieten. Ich spreche von den mitarbei-tenden Ehefrauen in mittelständischen Betrieben undvon den vielen Frauen, die als Unternehmerinnen – oftKleinstunternehmerinnen – sich selbst und anderenFrauen Arbeitsplätze bieten. Mitarbeitenden Ehefrauenim Handwerk, die im übrigen von Mitarbeitern und Ge-schäftspartnern längst als Chefinnen anerkannt werdenund heute durch Eigeninitiative sowie durch die Unter-stützung von Kammern und Verbänden seit langem übereine ausgezeichnete Professionalität verfügen, muß eswie glatter Hohn vorkommen, wenn Sie nun die Förde-rung von Frauen im Handwerk fordern, während Siediese Familienbetriebe weiterhin durch zu hohe Steuer-belastungen, zum Beispiel durch die Ökosteuer,
durch die Wiedereinführung der Lohnfortzahlung imKrankheitsfall, durch Änderung des Kündigungsschutz-gesetzes und durch die chaotische Neuregelung der ge-ringfügigen Beschäftigung so belasten, daß viele vordem Ruin stehen und keine Nachfolgerinnen finden.
Das liegt keineswegs an der Managementunfähigkeitdieser Unternehmerinnen, sondern an der Tatsache, daßnicht jede Frau, die ein Geschäft hat, auch unendlich ge-schröpft werden kann. – Das hören Sie nicht gern, aberich habe so viele Gespräche geführt, die mich in der Ab-sicht bestärkt haben, dies hier noch einmal ganz deutlichzu machen. –
Dasselbe gilt im übrigen für den Bereich der Gastrono-mie, des Fremdenverkehrs und der Landwirtschaft.
Wenn Sie nun ein Gesetz zur Entlastung von Kapi-talgesellschaften planen, so liegen Sie wieder volldaneben, weil von zirka 3 Millionen Unternehmen in derBundesrepublik nur rund 400 000 GmbHs sind, nur rund2 500 Aktiengesellschaften, aber über 2 Millionen Ein-zelunternehmen. Der Rest sind Kommanditgesellschaf-ten und OHGs, sprich: ebenfalls mit dem Privatvermö-gen haftende Unternehmen; von den 600 000 Selbstän-digen in freien Berufen ganz zu schweigen.Die den Betrieben auferlegten Belastungen in ihrerGesamtheit führen häufig dazu, daß Mann und Fraupartnerschaftlich als Unternehmer arbeiten, für humaneDorothea Störr-Ritter
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4421
(C)
(D)
Arbeitsplätze verantwortlich zeichnen und am Ende desMonats so viel für ihre Familien übrig haben wie einmittlerer Angestellter. Was muten Sie diesen Frauen zu,meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen?
– Ich lasse mich nicht unterbrechen.
– Das soll er auch. Ich vertrete die mittelständischenUnternehmen und da insbesondere Frauen.
Ist es nicht zumindest auch lächerlich, wenn Sie verbes-serte Chancen für Existenzgründerinnen fordern und ih-nen gleichzeitig, sofern sie den Gründungsmut hatten,nichts als Belastungen auferlegen?
– Sie könnten mir freundlicherweise zuhören.Die Beschaffung von Start- und Fremdkapitalsollten Sie nicht auch noch unterstützen, wenn Sie die-sen Frauen bei florierendem Geschäft keinen Gewinnübrig lassen wollen. Wer selbständig tätig ist und haftet,braucht wenigstens Vermögen, um überhaupt haften zukönnen. Wenn Sie nun daran denken, die Vermögen-steuer oder eine Vermögensabgabe einzuführen, bestra-fen Sie alle Frauen, die bereits etwas erwirtschaftet ha-ben oder durch ihrer Eltern Arbeit etwas erbten und die-se Vermögen für einen eigenen Betrieb einsetzen wol-len.
Vielleicht sind Sie auch noch gar nicht auf die Ideegekommen, daß viele qualifizierte junge Frauen denvollen Ertrag aus einer Lebensversicherung der Elternbrauchen könnten und ihn nutzen würden, um sich undanderen damit eine Existenz aufzubauen.
– Habe ich nicht vergessen. Aber man muß schließlichdie Gesamtzusammenhänge sehen. Vielleicht sollten Siewirklich einmal mit den 25 Prozent weiblichen Unter-nehmerinnen sprechen, die wir in Deutschland zumGlück schon haben. Das ist noch zuwenig, aber so vielehaben wir. Dann würden Sie auch erkennen, daß geradediese große Bereitschaft zeigen, andere Frauen einzu-stellen, und die Vereinbarkeit von Familie und Beruffördern. Dazu brauchen diese Frauen keinen Staat, son-dern die Möglichkeit, flexibel zu handeln und vor allemGeld zu verdienen.Apropos Förderung von Frauen im Dienstlei-stungsbereich: Gerade dort gehen Frauen bewußt gernden Weg der Selbständigkeit. Ihr Gesetz zur Regelungder Scheinselbständigkeit hat diesen Weg für viele Frau-en unmöglich gemacht.
Zumindest haben Sie viele Frauen entmutigt und ver-ängstigt, einen solchen Weg einzuschlagen. Sie bekla-gen mangelhaften Zugang zu Start- und Fremdkapitalfür Frauen. Sie selbst aber werfen diesen Frauen diedicksten Knüppel zwischen die Beine.Mir scheint, Sie haben auch nie darüber nachgedacht,daß Frauen für den Umsatz in ihren Betrieben und fürihre Mitarbeiterinnen auch Kunden brauchen, alsoNachfrage nach Produkten und Leistung. DieSchneidermeisterin lebt nun einmal von den Kunden, diedas Geld haben, sich etwas nähen zu lassen. – Dazu ge-hören übrigens auch die Rentner. – Die Raumausstatte-rin lebt von Kunden, die sich neue Vorhänge in größe-rem Stil leisten können. Die Architektin lebt von Men-schen, die sich ein Haus bauen können. Die Wirtin lebtvon Gästen, die es sich leisten können, essen zu gehen.Die Bäuerin lebt von Kunden, die teure Ökoproduktekaufen können. Wenn Sie nicht schnellstens dafür sor-gen, daß auch die Spitzensteuersätze bei der privatenEinkommensteuer gesenkt werden und die Mitte unse-rer Gesellschaftspyramide,
die das wirtschaftliche Fundament darstellt, am Monats-ende von ihren Einkünften genügend übrig hat, werdendie willigsten und engagiertesten Frauen in ihren Ge-schäften immer weniger Umsatz machen.
Solange Sie nicht begreifen, daß Sie mit Ihren völligfalschen Ansätzen – wir sind auf dem besten Weg ineine Staatswirtschaft; das haben wir vorhin zur Genügehören können –
in der Wirtschafts- und Steuerpolitik ständig Arbeits-plätze und Existenzen von Frauen gefährden oder ver-nichten und damit für andere Frauen Chancen auf einenArbeitsplatz verhindern, sollten Sie Ihre Forderungenwieder einstampfen.
Sie sind nichts als scheinheilig und vor dem aufgezeig-ten Hintergrund, den Sie offensichtlich nicht zu änderngewillt sind, alles andere als ein erfolgversprechenderSchritt.Danke.
Dorothea Störr-Ritter
Metadaten/Kopzeile:
4422 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetztdie Ministerin für Bildung und Forschung, EdelgardBulmahn.Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!Wir stehen vor der Wende zum nächsten Jahrtausend.Ich werde in den letzten Wochen als Forschungsministe-rin immer wieder gefragt, wie unsere Zukunft im21. Jahrhundert aussehen wird. Ich sage Ihnen eines,meine Herren und Damen: Unsere Zukunft ist vor allemweiblich.
Die Frauen- und Emanzipationsbewegung der 70erJahre war wichtig und wertvoll. Sie hat der Gleichstel-lung den nötigen Schwung gebracht und dem Bewußt-seinswandel einen gehörigen Schub gegeben. Eine Er-kenntnis hat sich längst durchgesetzt: Überall, ob in denChefetagen der Wirtschaft, in den Universitäten und inder Forschung, sind die Kompetenzen von Frauen ge-fragt. Junge Frauen verstecken sich nicht mehr. Sie sindselbstbewußt. Sie wissen, was sie können und was siewollen. Sie stellen sich nicht mehr die Frage: Familieoder Beruf? Sie wollen beides, und das ist selbstver-ständlich für sie.
Eine Menge von dem, was Frauen in diesem Jahrhundertwollten und wofür sie gekämpft haben, ist erreicht.Wir haben in den letzten 30 Jahren große Fortschritteerreicht, vor allem im Bildungsbereich. Die Bildungsre-form, der Bildungsaufbruch der sozialliberalen Koaliti-on, hatte vor allem ein Ergebnis: Nicht mehr die Frage,ob Junge oder Mädchen ist entscheidend für die Bil-dungschancen von Menschen, sondern das Können, dieFähigkeiten und der Wille des Menschen.
Das Ergebnis, meine Herren und Damen, läßt sich se-hen: Der Anteil der Abiturientinnen lag bei über 50 Pro-zent – ganz genau sind es 54,9 Prozent – im Jahre 1997.Der Anteil der Universitätsabsolventinnen, nicht nur derweiblichen Studierenden, lag im gleichen Jahr knappunter 50 Prozent – eine Steigerung über 50 Prozentwerden wir auch hier in den nächsten Jahren noch errei-chen –, und das nicht nur in den sogenannten frauentypi-schen Studiengängen. Die Betriebswirtschaftsstudentin-nen zum Beispiel sind in vielen Hörsälen inzwischen dieMehrheit der Studierenden.Ich finde, wir können darauf stolz sein. Aber wir dür-fen nicht den Fehler machen, zu glauben, jetzt sei alleserreicht, der Fortschritt werde nun automatisch weiter-gehen, Frauen und Männer hätten jetzt automatischüberall die gleichen Chancen. Es liegt noch ein ziemlichweiter Weg vor uns.Der Frauenanteil an Professuren zum Beispiel istzwar in den letzten Jahren gestiegen, aber liegt nochimmer deutlich unter 10 Prozent. Das ist zuwenig. Inden Chefetagen der Wirtschaft finden wir nur 6 ProzentFrauen, wenn wir die mittlere Ebene hinzunehmen.Auch das ist noch viel zuwenig. Bei den Führungsposi-tionen der großen Forschungseinrichtungen – da hat derBund eine ganze Menge zu sagen – macht der Anteil so-gar nur 4 Prozent aus! Bei der Helmholtz-Gesellschaft,wo der Bund 90prozentiger Finanzier ist, gibt es sogarnur 2 Prozent Frauen. Das muß man einfach einmal sa-gen. Da ist viel zuwenig geschehen, gerade dort, wo dieBundesregierung, wo der Bund unmittelbar einwirkenkann.
Ich finde, das ist wirklich beschämend; das zwingt unsauch, zu handeln.Die Wählerinnen haben uns im letzten Jahr deutlichgesagt: Jetzt ist Schluß mit den Lippenbekenntnissen,wir wollen Taten sehen. Und sie haben uns den Auftragdafür gegeben.Die Bundesrepublik braucht die Fähigkeiten undKompetenzen von Frauen für den Fortschritt in Wirt-schaft, Wissenschaft und Gesellschaft insgesamt.
Wir sind ein rohstoffarmes Land. Wir leben von denFähigkeiten und vom Wissen der Menschen. Das heißt.wir leben von den hochqualifizierten Frauen und Män-nern. Es ist schlicht dumm, meine Herren und Damen,wenn wir darauf verzichten, das Potential der Hälfte derMenschen in diesem Land zur vollen Entfaltung zubringen.
Es muß auf die Intelligenz, auf das Können, auf das Wis-sen und auf die Fähigkeiten aller Menschen ankommen.Wir müssen dafür sorgen, daß die Professorinnen nichtnur als Raritäten an den Hochschulen vorkommen; viel-mehr müssen sie das Bild der Hochschulen genauso prä-gen wie die Professoren. In anderen Ländern geht es dochauch, und zwar nicht nur in Dänemark, sondern auch inSpanien. Wir müssen unsere Chance der Zukunftsgestal-tung jetzt ergreifen. Bildung und Forschung spielen dabeieine Schlüsselrolle. Es geht jetzt darum, nicht die altenVerhältnisse zu zementieren, sondern den Generationen-wechsel in Wissenschaft und Wirtschaft zu nutzen.Wir haben damit bereits angefangen. Die Bundesre-gierung hat gleich zu Beginn ihrer Arbeit das Sofort-programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosig-keit gestartet. Wir haben hierbei unser besonderes Au-genmerk auf die Gleichstellung von jungen Frauen undMädchen gerichtet. Wir haben vorgeschlagen – die Vor-schläge sind auch umgesetzt worden; Erfolge sind er-kennbar –, daß junge Frauen entsprechend ihrem Anteilan der Bevölkerung berücksichtigt werden und daß zumBeispiel die regionalen Projekte, durch die ausdrücklichjunge Frauen in zukunftsträchtige Berufe vermitteltwerden sollen, besonderen Vorrang erhalten. Genau dasist der richtige Ansatz. Damit sind die Weichen gestellt.Aber das ist nur ein kleines Segment aus dem, was wirschon getan haben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4423
(C)
(D)
Ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit bestand in derBekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Das ist eine derentscheidenden und wichtigsten Aufgaben der Bundes-regierung.
Ich appelliere an dieser Stelle an die jungen Frauen:Gehen Sie nicht nur in die klassischen Berufe! Frauenkönnen beides. Sie können sowohl die typischen undklassischen Frauenberufe gut ausfüllen, aber auch eineMenge in den sogenannten Nichtfrauenberufen leisten.Nutzen Sie die Chancen der neuen Berufe in den Infor-mations- und Kommunikationstechnologien! Geradein diesen Bereichen sind neue Ausbildungsberufe fürFrauen entwickelt worden. Gerade in diesen Bereichengibt es für junge Frauen exzellente Beschäftigungschan-cen. Nutzen Sie die Möglichkeiten, die Ihnen gebotenwerden! Zum Beispiel gibt es die Mediengestalterin fürDigital- und Printmedien, die Kauffrau für audiovisuelleMedien, die Fachangestellte für Medien- und Informati-onsberufe und – ganz neu – die Informationselektronike-rin. Das sind alles wichtige, zukunftsträchtige Berufe.Im „Bündnis für Arbeit“ haben wir uns in der Ar-beitsgruppe „Aus- und Weiterbildung“ darauf verstän-digt, bis Oktober dieses Jahres neue Ausbildungsberufezu schaffen, und zwar in den Bereichen Freizeit, Ver-kehr, Gesundheit, Kultur, Tourismus, Logistik und Um-welt. Das sind Dienstleistungsbereiche mit außerordent-lich guten Beschäftigungschancen für Frauen. Ich bin si-cher, daß die neuen Ausbildungsberufe in diesen Berei-chen gerade bei Frauen gut ankommen werden.Damit aber nicht genug. Wir motivieren, fördern undunterstützen Frauen zum Beispiel auch bei der Ablegungder Meisterinnenprüfung. Mir reicht es – ganz offen ge-sagt – nicht, wenn eine Frau im Unternehmen nur mitar-beitet. Das finde ich zwar richtig, aber ich möchte auch,daß sie selber die entsprechende Qualifikation hat, umein Unternehmen zu leiten.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Wir habenes durch unsere politischen Entscheidungen den kleinenund mittleren Unternehmen nicht schwerer gemacht, imGegenteil: Wir haben zum erstenmal seit 16 Jahren dieSozialversicherungsabgaben gesenkt. Das hilft geradeden kleinen und mittleren Unternehmen.
– Wenn Sie schon davon sprechen, dann heißt es„Milchbübchenrechnung“. Aber auch das ist es nicht.Meine Herren und Damen, an den Hochschulen unse-res Landes findet zur Zeit ein umfassender Generatio-nenwechsel statt. Diese Chance müssen wir nutzen, umgerade den Anteil der Frauen an den Professorenstellenzu erhöhen. Wir brauchen mehr Professorinnen. Wirwollen das nicht über Quoten, sondern über Strukturver-änderungen erreichen. Das ist ein ganz wichtiger Grundfür mich, warum ich das Dienstrecht ändern möchte. Ichmöchte mit der Einführung von Assistenzprofessorinnenund Assistenzprofessoren gerade jüngeren Frauen einebessere Chance für das Erreichen einer Professorstellengeben. Ich möchte, daß unser wissenschaftlicher Nach-wuchs unabhängig von persönlichen Abhängigkeitsver-hältnissen sehr früh – deutlich früher als bisher – wirk-lich selbständig lehren und forschen kann. Alle Erkennt-nisse zeigen eines deutlich: Es motiviert und hilft geradeFrauen, wenn sie selbständig arbeiten können. Deshalbist diese Strukturveränderung auch eine ganz klare Frau-enfördermaßnahme.Die Herstellung von Chancengleichheit für Frauen anHochschulen und Forschungseinrichtungen, meine Her-ren und Damen, ist keine Sonderaufgabe, auch wennAufgaben dieser Art in der Vergangenheit immer alsSonderprogramm formuliert wurden. Es ist – sicherlichnoch für die nächsten 20 Jahre – eine Daueraufgabe. Ichhabe mit den großen Forschungseinrichtungen inDeutschland vereinbart, daß sie entsprechende Perso-nalentwicklungspläne zur Chancengleichheit mit kon-kreten Zielvorgaben vorlegen. Das gab es bisher nicht.
Der Rückenwind für die Frauen in den großen For-schungseinrichtungen ist spürbar. Das sagen mir dieFrauen selbst.Mit den Ländern verhandle ich über Frauenförderun-gen für die Hochschulen. Mit dem Präsidenten der Deut-schen Forschungsgemeinschaft und mit den Ländern ha-be ich das Emmy-Noether-Programm auf den Weggebracht. Es handelt sich um ein Programm für Nach-wuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissen-schaftler, das die Selbständigkeit der Forschung aus-drücklich in den Vordergrund stellt und deshalb geradevon Wissenschaftlerinnen sehr gut angenommen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Das mache ich immer sehr gerne.
Frau Bulmahn, ich habe eineernsthafte Frage. Wenn Sie Frauen an den verschiedenenStellen in den Hochschulen fördern wollen, dann wollenSie auch junge Frauen fördern. Frauen sind in ihrerAusbildung oftmals bis zum 30. Lebensjahr an denHochschulen. Das gilt auch für Assistenzprofessorinnen.Was tun Sie, um mehr Kinderbetreuungsmöglichkeitenzu schaffen, damit die Frauen neben ihrem Studium undneben ihrem Beruf Kinderbetreuungsplätze an Hoch-schulen vorfinden können und in Ruhe Kinder bekom-men können? Wir wissen, daß die kommunalen Kinder-gärten ganz andere Öffnungszeiten haben, als die Stu-dentinnen und Beschäftigte an den Hochschulen brau-chen.Bundesministerin Edelgard Bulmahn
Metadaten/Kopzeile:
4424 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Bei den Großforschungseinrichtungen,für die ich unmittelbare Verantwortung trage, war daseine derjenigen Angelegenheiten, die ich sehr schnellumgesetzt habe. Ich habe mit den Großforschungsein-richtungen vereinbart – inzwischen ist es geschehen –,daß in den Großforschungseinrichtungen Kindergärteneingerichtet werden. Im übrigen, ist das von der altenBundesregierung blockiert worden.
Ich habe in der ersten Senatssitzung der Max-Planck-Gesellschaft, an der ich teilgenommen habe, gemeinsammit dem Präsidenten und der Geschäftsführerin im Senatdurchgesetzt, daß Kinderbetreuung zu einer Aufgabe derMax-Planck-Gesellschaft wird und auch finanziert wer-den kann. Das war bis dahin nicht möglich.
Ich habe darüber hinaus gezielt für Forscherinnen inden Großforschungseinrichtungen 100 Stellen zurVerfügung gestellt. Es handelt sich um eine Vereinba-rung mit der Helmholtz-Gemeinschaft. Ich werde alsMinisterin dafür sorgen, daß die weibliche wissen-schaftliche Elite in Deutschland immer größer wird.
Ich kann nicht alles aufzählen, was ich noch gemachthabe. Ich bin aber erst ein Jahr im Amt, und meine Be-mühungen werden sich fortsetzen.Ich versichere zum Schluß, daß die Frauen in diesemLand in der Bundesregierung und erst recht in ihren Mi-nisterinnen verläßliche Partnerinnen haben, auf die siebauen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner indieser Debatte ist der Kollege Gerald Weiß, CDU/CSU-Fraktion.Gerald Weiß (CDU/CSU): Frau Vize-präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Ich ergreife als erster Mann in dieser Debatte das Wort.
Ich wollte mich in geziemender Weise einsichtig undmoderat verhalten. Aber so manchem, was in dieser De-batte zutage gefördert wurde, zum Beispiel von FrauBergmann und auch von Frau Schewe-Gerigk, mußenergisch widersprochen werden. Wenn ich diese Mix-tur einer – ich greife das Wort von Frau Lenk auf –„Ankündigungslyrik virtueller Familienpolitik“ vonFrau Bergmann und Frau Schewe-Gerigk nehme undzugleich zu einem angekündigten Gruselkabinett staatli-cher Interventionen Stellung nehmen soll, dann sage ich:Mit dieser Politik verlieren Sie noch mehr Akzeptanzbei den Wählerinnen und Wählern.
Die Zukunft kann auch im Zusammenhang mit die-sem Thema nicht mit staatlichem Zwang gemeistertwerden, sondern der Staat muß die Kräfte der Selbst-verwaltung auf der Basis der Freiwilligkeit stärken undunterstützen.
Frau Schewe-Gerigk sagte zum Beispiel – dabei hat siesich selber glatt widersprochen –, daß Frauenförderungfür die Unternehmen lukrativ ist. Ja, das ist so. Deshalbkönnen wir doch diese Selbstheilungskräfte der Wirt-schaft ermuntern, initiieren und anstoßen, statt den Be-trieben mit dem großen Knüppel der Staatsinterventionzu drohen.
Wir können doch ein wenig auf diesen Mechanismusvertrauen. Die Politikvorstellungen, die Sie hier vortra-gen, sind in keiner Weise konsistent.Übertroffen wurde alles von der Bemerkung von FrauBläss – ich greife jetzt nicht die Vizepräsidentin, son-dern die Abgeordnete an –, als sie von der Hinterlassen-schaft von CDU/CSU und F.D.P. sprach. Sie als Ver-treterin der Nachfolgepartei der SED wagen das zu sa-gen, Frau Abgeordnete Bläss, nachdem Sie ein Landruiniert, ein Volk deprimiert und in eine Revolution ge-trieben haben? Was Sie uns hier in der Debatte zuge-mutet haben, ist schon eine Ungeheuerlichkeit.
Ich komme jetzt darauf, was in Verantwortung vonCDU/CSU und F.D.P. auf familienpolitischem Gebietgeleistet wurde. In bezug auf das Problem Chancenge-rechtigkeit von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und imErwerbsleben existiert, wenn ich die Aussagen diesesTages resümiere, eine beachtliche Schnittmenge. Vielgeringer ist diese, wie ich eben schon deutlich machte,in der Frage, welche Folgerungen daraus gezogen wer-den sollen. Das Problem ist natürlich nicht gelöst: Trotzhoher Motivation, stark gestiegener Qualifikation undeiner über lange Jahre gestiegenen Erwerbsneigung vonFrauen ist – da würde ich nicht die sozialliberale Bil-dungspolitik als Vorbild heranziehen, da der von derCSU regierte Freistaat Bayern viel bessere Qualifikati-onsmerkmale in der Bildungspolitik erfüllt – auf demArbeitsmarkt noch keine Chancengerechtigkeit für Frau-en eingetreten.Wir stimmen in der Analyse einiger Punkte mit Ihnendurchaus überein, beispielsweise darin, daß zuwenigFrauen fachspezifische Ausbildungen und Berufe in derInformations-, Medien- und Kommunikationstechnolo-gie wählen. Wir müssen hier gezielte Frauenförderunghinsichtlich zukunftsträchtiger Berufe betreiben. Diesemuß in der Schule anfangen und nicht erst bei der Be-rufsberatung. Wir müssen Mädchen und junge Frauenganz gezielt auf diese Berufe hinlenken und ihr Interessedafür wecken.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4425
(C)
(D)
Weiterhin sehen wir erfreut, daß in der Unterneh-menswirklichkeit – das bestätigen ja die Aussagen vonFrau Schewe-Gerigk – zunehmend Frauenbeauftragtebestellt werden und Frauenförderung praktiziert wird.Beides ist zu einem integralen Bestandteil des Unter-nehmensalltags geworden. Es haben aber immer nochviel zuwenig Frauen Führungspositionen erreicht. DieUrsachen dafür sind ja hier beschrieben worden. Mankann natürlich jetzt sagen, das Glas sei halbvoll oderhalbleer. Meine Kollegin Störr-Ritter hat ja zu Rechtfestgehalten, daß wir bei der Beteiligung von Frauen anFührungspositionen erhebliche Fortschritte erzielt ha-ben. Es gilt also, diesen Trend zu verstärken und weiterin diese Richtung zu wirken.
Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Wenn esein Leitmotiv der heutigen Debatte gab, war es bestimmtdieses Thema. Die Vereinbarkeit von Familie und Berufist hauptsächlich das Problem von Frauen. Die meistenjungen Frauen wollen heute nicht nur Beruf oder Fami-lie; sie wollen Beruf und Familie in Einklang bringen.Die Kollegin Eichhorn hat heute vormittag von den Bar-rieren im Kopf gesprochen. Ja, wir müssen neue Ein-stellungen gewinnen. Wenn ich „wir“ sage, meine ichdie Männer und auch mich selber.
Wir müssen neue Grundeinstellungen gewinnen. DieFrauen von heute sind nicht mehr die Frauen von ge-stern. Deshalb brauchen wir Männer und Väter vonheute mit einem partnerschaftlichen Rollenverständ-nis und mit der Bereitschaft, Verantwortung zu über-nehmen.
Sie sehen: Ich zeige mich angesichts der erdrückendenMehrheit der Frauen in diesem Saal einsichtig, und nichtnur deshalb. – Wir brauchen neue Männer und neueVäter mit einem neuen Rollenverständnis.
Ich glaube, das ist wichtig für die Zukunft. Wenn wir diePflichten im Arbeits- und Erwerbsleben teilen, dannmüssen wir, um den Frauen in diesem Prozeß Chancen-gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, auch die Pflichtenin der Erziehung und im Hausmanagement zwischenMännern und Frauen fair teilen.
Andernfalls behindern wir Frauen im Wettbewerb aufdem Arbeitsmarkt.Das Hauptthema im Zusammenhang mit der Verein-barkeit von Familie und Beruf ist das Thema Kinderbe-treuung. Da sind wir ebenfalls ein ganzes Stück weiter-gekommen. Der Rechtsanspruch auf den Kindergarten-platz, geschaffen und statuiert in der RegierungsäraKohl, hat doch einen Entwicklungsschub bei der Dek-kung mit Kindergartenplätzen in Deutschland gebracht.
Wir sind noch nicht am Ende des Prozesses. Wir brau-chen jobgerechte, noch viel flexiblere, qualitativ hoch-wertige und zugleich bezahlbare Angebote der Kinder-betreuung. Das ist eine gemeinsame Aufgabe für dieZukunft, übrigens natürlich vor allem eine Aufgabe fürdie Kommunen und für die Länder. Aber auch der Bundhat, wie Sie wissen, ein Stück gesetzgeberische Verant-wortung, die er in der Zeit der CDU/CSU-F.D.P.-Regierung sehr positiv genutzt hat, indem er auch dieKräfte der Kommunen zum Wohl der Kinder förderndeingebunden hat.Ich will im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit vonBeruf und Familie – ich fürchte, daß mir die Zeit da-vonläuft – von einer perversen Korrelation sprechen, dieeine Untersuchung des Verbandes der Rentenversiche-rungsträger zutage gefördert hat. Sie liegt darin, daßeindeutig ein Zusammenhang zwischen Kinderlosigkeitund relativ hohem Alterseinkommen sowie zwischenKinderreichtum und relativ niedrigem Alterseinkommenbesteht. Das heißt, diejenigen, die den Generationen-vertrag physisch fortsetzen, sind in der Absicherung dieBenachteiligten.
Ja, was wurde getan? Mit der Anerkennung der Erzie-hungszeit und deren Erweiterung 1992 wurde ein Rie-senschritt getan, ein Riesensignal zur Gleichsetzung vonErziehungsarbeit und Erwerbsarbeit gegeben.
Wir sind nur noch nicht am Ende des Weges. Eine Fol-gerung – ich hoffe, wir ziehen sie gemeinsam – mußsein, daß wir die Anerkennung von Erziehungsarbeit inder Rente weiter ausbauen.
Wir müssen die Kräfte der Selbstverantwortung stär-ken und auch im „Bündnis für Arbeit“ dafür werben,daß die Tarifpartner eine verbesserte Frauenförderungrealisieren, was Führungspositionen und die Schaffungvon Teilzeitarbeit, auch für weibliche Führungskräftenach ihrer familiären Bedarfslage, mit einschließt.Allerdings muß ich eines festhalten: Oft haben wir inTarifverträgen bereits Voraussetzungen für familienge-rechte Flexibilisierungen der Arbeitszeit geschaffen.Zum Teil werden sie in den Unternehmen nicht genutzt.Wir müssen auch darauf hinarbeiten, daß Tarifverträge,die das möglich machen, umgesetzt und angewandtwerden.Gerald Weiß
Metadaten/Kopzeile:
4426 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Zu der Förderung von Existenzgründungen durchFrauen hat meine Kollegin Störr-Ritter etwas gesagt, mitdem berechtigten positiven Touch.Ich will noch etwas zu den Frauen sagen, die Sozial-hilfe beziehen. Frauen, die – oft nach einer Eheschei-dung – alleinerziehend mit einem oder zwei Kindern le-ben, fallen, wie Sie wissen, oft in die Sozialhilfe. Fak-tisch bedeutet dies vielfach, daß ihnen die Rückkehr inden Arbeitsmarkt versperrt ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Weiß, den-
ken Sie bitte an die Redezeit!
Gerald Weiß (CDU/CSU): Ja. – Die
Koordination der Arbeits- und Sozialämter muß verbes-
sert werden, um tragfähige Brücken zum Ausbildungs-
und Arbeitsmarkt zu eröffnen. Wir wollen – auch das ist
eine unserer Forderungen –, daß Arbeits- und Sozial-
ämter in der Dienstleistungsaufgabe Vermittlung kun-
denorientiert zusammenarbeiten und in ihrer Funktion
zusammenwachsen.
Frau Präsidentin, ich will noch ein Schlußwort sagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie sind weit über Ih-
re Redezeit. Ich bitte Sie, das ganz kurz zu machen.
Gerald Weiß (CDU/CSU): Ein Satz. –
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Dis-
kussion dieses Themas darf man eines nicht vergessen:
Die Frauenarbeitslosigkeit ist Teil der Gesamtarbeitslo-
sigkeit. Wir tun sehr viel für die Behebung der Frauen-
arbeitslosigkeit, wenn wir die Gesamtarbeitslosigkeit
bekämpfen. Was Sie von Rotgrün mit Ihrer Gesetzge-
bung angerichtet haben – in den Dienstleistungszweigen,
der Touristik, der Gastronomie und wo auch immer –, ist
verheerend.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, kom-
men Sie zum Schluß!
Gerald Weiß (CDU/CSU): Und was
Sie mit Ihrer allgemeinen Wirtschafts- und Finanzpolitik
angerichtet haben, ist eine Katastrophe. Deshalb sagen
wir: Kehren Sie zu einer konsequenten und konsistenten
Wirtschafts- und Finanzpolitik zurück, dann werden die
Zukunftschancen gewahrt und die Arbeitsplätze entste-
hen, die wir für alle, ganz besonders auch für Frauen,
brauchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich
muß Ihnen den Saft abdrehen. Es tut mir leid.
Letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Re-
nate Gradistanac, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Mei-ne sehr verehrten Damen und Herren! Gestern, anläßlichder Feier zum 50. Geburtstag des Deutschen Bundesta-ges, hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse heraus-gestellt: Demokratie muß gerechte Chancen bieten,
gerechte Chancen selbstverständlich auch für Frauen inihrem privaten, gesellschaftlichen und – das ist heuteunser Thema – beruflichen Leben.Die Erwerbstätigkeit nimmt im Leben der Menscheneinen zentralen Platz ein, da sie nicht nur der Sicherungdes Lebensunterhaltes dient, sondern auch Einfluß aufdie Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit hat.Die eigenständige Existenzsicherung jeder Frau, unab-hängig von ihrem Familienstand, ist eines unserer wich-tigsten frauenpolitischen Ziele.
Frauen bilden mit 52 Prozent die Mehrheit der Be-völkerung, Frauen haben den Ausgang der Bundestags-wahl entschieden. Sie wollen, daß die Gleichstellungvon Frauen und Männern wieder zu einem großen ge-sellschaftlichen Reformprojekt in der BundesrepublikDeutschland wird. Dieser Aufgaben werden wir – aller-dings Schritt für Schritt – gerecht werden. Es gibt guteGründe, jetzt offensiv zu werden. Ich greife zwei Punkteheraus: Erstens. Die Arbeitslosigkeit von Frauen isthöher als die der Männer. Zweitens. Die Lohndiskrimi-nierung von Frauen ist ein Skandal.
Nach wie vor besteht ein enormer Abstand zwischenden durchschnittlichen Arbeitseinkommen von Frauenund Männern. Frauen erhalten – das ist heute schonmehrfach gesagt worden – im Durchschnitt ein Drittelweniger Lohn und Gehalt als Männer. Für die Frauen inOstdeutschland hat sich die Situation seit der Wendegravierend verändert. Lagen die durchschnittlichenFraueneinkommen vor der Wende bei zirka 80 Prozentder Einkommen von Männern, so hat sich das Mißver-hältnis mit der Übernahme der westdeutschen Tarif-strukturen noch verstärkt. Wir haben schon einen ent-sprechenden Antrag vorgelegt.Was – das ist sicher spannend – hatte nun die alteCDU/CSU-F.D.P.-Bundesregierung in ihrem Koaliti-onsprogramm 1994 festgeschrieben? Ich habe selbstzwischen den mageren Zeilen vergeblich nach Maß-nahmen gesucht, die die Hoffnung auf eine gleichbe-rechtigte Teilhabe in dieser Gesellschaft erfüllen könn-ten.Es war nicht die Rede davon, die überproportionaleArbeitslosigkeit von Frauen durch gezielte Programmeund Qualifizierungsmaßnahmen zu beseitigen oder übereine Beschäftigungs- und Strukturpolitik zukunftssiche-re Arbeitsplätze für Frauen zu schaffen. Es war auchGerald Weiß
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4427
(C)
(D)
nicht die Rede davon, ein Gleichstellungsgesetz für diePrivatwirtschaft vorzulegen
oder – damit will ich die Vergangenheit auf sich beruhenlassen – die sozialversicherungsfreien Beschäftigungs-verhältnisse zu begrenzen.
Die SPD-geführte Bundesregierung hat in ihrem Pro-gramm „Frau und Beruf“, von dem heute die Rede war,umfassende Vorschläge ausgearbeitet. Damit werdenwir Versäumtes nachholen und die Weichen für einezukunftsorientierte Frauenpolitik stellen.Zum aktuellen CDU/CSU-Oppositionsantrag möchteich nur eine persönliche Bemerkung machen. Sie schrei-ben in Punkt 4 – ich zitiere –:Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stelltweiterhin große Anforderungen an die Frauen, ins-besondere in Hinsicht auf Kinderbetreuung …Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,haben vergessen, die Männer mit einzubeziehen. Auchwenn Sie, Herr Weiß, sehr wortgewaltig darüber gespro-chen haben, werde ich das noch ein wenig überprüfen.
Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie und Er-werbsarbeit für Mütter und Väter verbessern und somitdie partnerschaftliche Teilhabe von Männern an Erzie-hungs- und Familienarbeit stärken. Das bedeutet unteranderem, daß wir die Inanspruchnahme des Erziehungs-urlaubs sowohl für Mütter als auch für Väter attraktivgestalten wollen und daß wir an der Sicherung und demAusbau eines preiswerten, bedarfsdeckenden und diffe-renzierten Angebots von Betreuungseinrichtungen fürKinder mitwirken wollen. So steht es in unserem An-trag.Nicht nur in diesem Punkt sind wir Ihnen, meine Da-men und Herren von der Opposition, mit unseren Vor-stellungen eine Nasenlänge voraus, sondern wir sind esauch, wenn es darum geht, ein Gleichstellungsgesetzvorzustellen, das verbindliche Regelungen zur Frauen-förderung nicht nur für den öffentlichen Bereich, son-dern auch für die Privatwirtschaft fordert.
– Daß Sie, Frau Lenke, davon nichts wissen wollen,wissen wir. –Wir wissen aber auch alle ganz genau, daß die über-wiegende Mehrheit der Frauen nicht im öffentlichenDienst arbeitet.Ich wünsche mir – damit haben wir mit unseremJUMP-Programm begonnen –, daß junge Frauen undMänner eine gute Ausbildung erhalten und einen Beruferlernen, der ihren Fähigkeiten und Kompetenzen ange-messen ist, und daß sie Berufe mit Zukunfts- und Auf-stiegschancen wählen, die in den Bereichen Informati-ons- und Kommunikationssysteme, in der Pflege, Bil-dung und im Tourismus, kurz: im Dienstleistungsbe-reich, liegen.Meine Damen und Herren, ich gratuliere meinerMinisterin Christine Bergmann zu ihrem umfassenden,intelligenten und ehrgeizigen Programm „Frau undBeruf“.
Damit kommen wir der Forderung von Wolfgang Thier-se, Demokratie muß gerechte Chancen bieten, umge-hend nach.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vor-
lagen auf den Drucksachen 14/1195, 14/1529 und
14/1549 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/1528 –
Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß wir höchst-
wahrscheinlich nicht zwei Stunden brauchen. Es wird
ungefähr eine Stunde dauern. Sie wissen, daß wir ein
bißchen flexibel sein müssen. Ich sage das deshalb, weil
wir unmittelbar im Anschluß an die Fragestunde mit der
Aktuellen Stunde beginnen werden.
Ich rufe zunächst den Bereich des Bundesministeri-
ums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Frage 1
des Kollegen Neumann wird schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich das Ressort des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Zur Be-
antwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Dirk Niebel,
F.D.P., auf:
Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, in wie vielen Fäl-len Sprachkurse für jugendliche Aussiedler und Ausländer abge-brochen werden mußten, um an gegenüber der Sozialhilfe vor-rangigen Maßnahmen im Rahmen des Programms der Bundes-regierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit teilzunehmen?
Herr Kollege Niebel, das Bundesministerium fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend fördert aus demsogenannten Garantiefonds unter anderem Deutsch-Sprachkurse für junge, nicht mehr schulpflichtige Spät-aussiedler, Kontingentflüchtlinge und Asylberechtigte.Im Garantiefonds stehen 1999 insgesamt 166 Millio-nen DM zur Verfügung. Die Mittel für die Maßnahmenaus dem Garantiefonds werden den Bundesländern jähr-lich zugewiesen, die über die Bewilligungsstellen vorOrt den Sprachkursträgern die Kurskosten zuwenden.Renate Gradistanac
Metadaten/Kopzeile:
4428 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Neben Intensivsprachkursen von zehnmonatiger Dau-er werden Integrationssprachkurse mit berufsorientiertenBestandteilen bzw. mit dem Ziel des qualifiziertenHauptschulabschlusses von jeweils zwölfmonatigerDauer angeboten. Bundesweit stehen rund 5 800 Sprach-kursplätze zur Verfügung, auf denen 1998 12 366 Ju-gendliche gefördert wurden.Um sich in Förderfragen eng mit den Bundesländernabzustimmen, lädt unser Haus, das Bundesministeriumfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dreimal imJahr zu Bund-Länder-Besprechungen zum Garantie-fonds ein. Bei der letzten Bund-Länder-Besprechung am20. April 1999 wurde von Einzelfällen aus Sachsen-Anhalt und Berlin berichtet, in denen Jugendliche dieGarantiefondskurse abgebrochen hätten, um am Sofort-programm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit teilzu-nehmen. Das Sofortprogramm ist eine zusätzliche So-forthilfe zum nachhaltigen Abbau der Jugendarbeitslo-sigkeit. Leistungen nach diesem Programm sind gegen-über vergleichbaren Leistungen Dritter nachrangig. Fäl-le, in denen die Sozialämter die Jugendlichen zum Kurs-abbruch veranlaßt hätten, sind uns nicht bekannt gewor-den.Weitere Erkenntnisse liegen der Bundesregierungnicht vor. Vizepräsidentin Petra Bläss: Kollege Niebel, bitteIhre Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wenn ich
Ihnen – nicht jetzt von dieser Stelle aus, sondern viel-
leicht später unter vier Augen – konkrete Fälle benennen
würde, in denen nachgewiesen werden kann, daß Sozial-
ämter unter der Androhung des Wegfalls der Leistungen
zum Lebensunterhalt Jugendliche aus ihren Sprachkur-
sen herausgelöst haben, um sie in Betriebspraktika nach
dem Jugendarbeitslosigkeitsprogramm zu zwingen,
würden Sie dann eine solche Praxis gutheißen?
Herr Kollege Niebel, das ist für mich eine
hypothetische Frage, weil aus den Gesprächen im Bund-
Länder-Kreis nicht ersichtlich ist, daß irgendein Sozial-
amt so tätig geworden ist, wie Sie es hier vermuten. In-
sofern kann ich Ihre hypothetische Frage nicht beant-
worten.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Eine zweite Zusatz-
frage, Kollege Niebel.
Frau Staatssekretärin, dann
möchte ich Ihnen die konkrete Frage stellen, ob es im
Sinne des Jugendarbeitslosigkeitsprogrammes ist, Be-
triebspraktika durchzuführen, wenn bei den Jugendli-
chen noch keine Sprachkenntnisse vorhanden sind. Ich
werde Ihnen mehrere ganz konkrete Fälle belegen, in
denen Jugendliche gezwungen wurden, den Sprachkurs
abzubrechen, um ohne jedwede Sprachkenntnisse in
Betriebspraktika zu gehen, nur damit die Quoten für die
Öffentlichkeit erfüllt werden.
Herr Kollege Niebel, das Letzte ist nun wirklich
eine Unterstellung, die ich zurückweise. Ich habe bereits
gesagt, daß die Maßnahmen des Sofortprogramms nach-
rangig sind. Insofern ist all das, was Sie mir hier be-
richten, was wo auch immer geschehen sein soll, nicht
im Sinne des Programmes und des Gesetzes.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich rufe nunmehr den
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesund-
heit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parla-
mentarische Staatssekretärin Christa Nickels zur Verfü-
gung.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Hans-Joachim Otto,
F.D.P., auf:
Wie konkret sind Pläne des Bundesministeriums für Ge-sundheit, die Werbung für alkoholische Getränke drastisch zubeschränken, und werden diese Überlegungen vom Kabinett ge-tragen?
Sehr geehrter Herr Kolle-ge Otto, ich beantworte Ihre Frage 3 wie folgt: Wissen-schaftlich ist erwiesen, daß eine Vielzahl von Erkran-kungen bei Männern und Frauen durch Alkohol mitver-ursacht werden und daß es einen engen Zusammenhangzwischen Alkohol und Gesundheitsschäden in der Be-völkerung gibt. Auswirkungen auf die Gesamtsterblich-keit, auf spezielle Todesursachen, Zirrhosesterblichkeit,Verkehrsunfälle, Suizide, Gewaltverbrechen usw. wer-den in Studien und Abhandlungen beschrieben.Die Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren gehtdavon aus – das ist durch Prävalenzstudien und andereStudien nachgewiesen –, daß in der Bundesrepublik biszu 40 000 Todesfälle im Jahr durch Alkoholmißbrauchbedingt sind und daß auf Grund von Alkoholeinfluß inDeutschland rund 33 000 Verkehrsunfälle passieren. BeiGewaltausübungen aller Art spielt Alkohol eine erhebli-che Rolle. Bei über der Hälfte der Fälle von Widerstandgegen die Staatsgewalt, bei jedem vierten Gewaltdelikt,bei jedem dritten Raubmord, bei jeder dritten Vergewal-tigung – ganz zu schweigen von der alltäglichen Gewaltin den Familien – spielt Alkohol leider eine erheblicheRolle.Wissenschaftlich erwiesen ist auch, daß die kommer-zielle Alkoholwerbung Auswirkungen auf die Konsum-menge haben kann, wobei mehrere Effekte auftretenkönnen: So kann die Alkoholwerbung den Alkoholkon-sum von bereits trinkenden Personen steigern oder diesedavon abhalten, ihren Konsum zu reduzieren oder ganzParl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4429
(C)
(D)
einzustellen, wenn das unter Umständen gesundheitlichgeboten ist.Von besonderer Bedeutung sind diese Erkenntnissenatürlich im Hinblick auf Jugendliche. Auch am Bei-spiel Tabakwerbung wurde das schon wissenschaftlichbelegt. Wenn Sie hier nach Expertisen fragen, will icheine nennen, die 1998 für das Bundesministerium fürGesundheit erstellt worden ist, und zwar von Reiner Ha-newinkel und Johannes Pohl: „Werbung und Tabakkon-sum“. Es ist eindeutig festgestellt worden, daß Jugendli-che durch Werbeaussagen in besonderer Weise an-sprechbar sind und vor den Gefahren des riskanten Kon-sums von Alkohol somit auch in besonderer Weise ge-schützt werden müssen. Vizepräsidentin Petra Bläss: Zu einer ZusatzfrageKollege Otto, bitte.
Es ist gar
k
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie konkret sind Pläne des Bun-
desministeriums für Gesundheit, die Werbung für alko-
holische Getränke drastisch zu beschränken?
Die Frau Präsidentin hat
die Frage 3 aufgerufen. Die habe ich Ihnen beantwortet.
Es ist mir
verschlossen geblieben, in welche Richtungen die
Überlegungen gehen. Vielleicht haben Sie die Frage 3
und die Frage 4 verwechselt, Frau Staatssekretärin.
Nein, ich habe die Fragen
3 und 4 nicht verwechselt. Ich lese die Frage 3 , die Sie
mir gestellt haben und die mir vom Kabinettsreferat
übermittelt worden ist, vor. Ihre Frage 3 lautet – auch
nach der entsprechenden Fragestundenauflistung –: Ver-
fügt das Bundesministerium für Gesundheit über wis-
senschaftliche Grundlagen – –
Entschul-
digung, das ist die Frage 4.
Das ist bei mir die Frage
3. Die habe ich Ihnen beantwortet.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Parlamentari-
sche Staatssekretärin, ich glaube, hier liegt ein Mißver-
ständnis vor. Frage 3 ist, wie konkret die Pläne sind.
Frage 4, die ich jetzt aufrufe, lautet: Verfügt das Bun-
desministerium für Gesundheit über wissenschaftliche
Grundlagen, die den durch ein möglichses Verbot von
Alkoholwerbung drohenden Eingriff in die Freiheiten
der Unternehmen, der Bürger sowie in die Freiheit der
Erwerbsmöglichkeit der Medien rechtfertigen?
Ich stelle
jetzt meine erste Zusatzfrage zu Frage 4: Liebe Frau
Staatssekretärin, ist dem Bundesgesundheitsministerium
bekannt, daß in den letzten zehn Jahren die Ausgaben
für Werbung für alkoholische Getränke gestiegen sind,
demgegenüber aber der Konsum alkoholischer Getränke
gesunken ist, so daß doch der Schluß sehr nahe liegt,
daß es einen wissenschaftlich belegbaren Zusammen-
hang zwischen der Werbung für alkoholische Getränke
und dem tatsächlichen Alkoholgenuß überhaupt nicht
gibt?
Der Bundesregierung ist
bekannt, daß der Alkoholkonsum auch durch die viel-
fältigen Bemühungen im Bereich der Prävention bei
Kindern und Erwachsenen in einigen Bereichen tatsäch-
lich zurückgegangen ist. Andererseits – ich habe dazu
eben schon zitiert; ich denke, das ist auch noch im Raum
– liegen Studien vor – unter anderem eben auch von un-
serem Haus aus dem letzten Jahr –, die belegen, daß be-
sonders bei Kindern und Jugendlichen zweifelsfrei eine
Beeinflussung durch Werbung gegeben ist und daß zum
anderen bei bestimmten Konsummustern und bestimm-
ten Gruppen, die gerade unter gesundheitlichen Ge-
sichtspunkten Risikogruppen sind, ein Gefahrenpotential
besteht. Das ist nachgewiesenermaßen so. Das ist auch
der Grund für den Aktionsplan Alkohol, der 1997 von
der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, und zwar
einstimmig von allen Bundesländern, beschlossen wor-
den ist. Er ist jetzt noch einmal überarbeitet worden. Das
Land Sachsen hat auch eigene Studien gemacht, die be-
stätigen, daß dieser einstimmig beschlossene Maßnah-
menkatalog sinnvoll ist, der auch noch einmal novelliert
worden ist. Das ist der Hintergrund, vor dem unser Haus
sagt: Wir knüpfen an die Bemühungen an – die übrigens
schon Herr Seehofer in Angriff genommen hat –, sich in
Gesprächen mit der Alkoholindustrie zu bemühen, im
Rahmen der freiwilligen Selbstbeschränkung weitere
Verbesserungen mit den genannten Zielen zu erreichen.
Der Hintergrund ist zweifelsfrei wissenschaftlich abge-
sichert.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Otto,
eine zweite Zusatzfrage zu dieser Frage.
Frau
Staatssekretärin, teilen Sie meine Einschätzung, daß ein
so schwerwiegender Eingriff wie eine Werbebeschrän-
kung jedenfalls nur dann erfolgen darf, wenn der von
Ihnen vermutete Zusammenhang zwischen Werbung
und gesteigertem Alkoholkonsum zweifelsfrei belegt
werden kann?
Herr Kollege Otto, ichhabe Ihnen eben dargelegt, in welchen speziellen Fällenbesonders im Bereich von Gesundheitsschutz, im Be-reich von Risikogruppen und von Jugendlichen der Zu-sammenhang belegt ist.Parl. Staatssekretärin Christa Nickels
Metadaten/Kopzeile:
4430 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Natürlich sind die Werbefreiheit und die Freiheit derGewerbetreibenden sehr hoch einzuschätzen. Allerdingssind diese Freiheitsrechte auch im Kontext mit demGrundgesetz zu sehen. Der Schutz der körperlichen Un-versehrtheit und der Jugendschutz spielen eine großeRolle. Vor diesem Hintergrund, in diesem Spannungs-feld bewegen sich die Maßnahmen, die die Gesund-heitsministerkonferenz, und zwar alle Bundesländer, zu-sammen mit dem Bundesgesundheitsministerium mit derIndustrie noch einmal erörtern will. Vizepräsidentin Petra Bläss: Da wir die Nummernvertauscht hatten, kommen wir jetzt tatsächlich zur Fra-ge 3 des Abgeordneten Hans-Joachim Otto.
Ja.
– Ja, ich denke, das haben wir jetzt.
Ein Stück weit habe ich die Frage in Beantwortung
der Zusatzfragen schon beantwortet. Es ist so, daß wir
von seiten des Gesundheitsministeriums den Aktions-
plan Alkohol, der 1997 beschlossen, aber nicht umge-
setzt worden ist – es hat unter der alten Regierung erste
Sondierungsgespräche gegeben –, aufgegriffen haben.
Wir haben zusammen mit der Gesundheitsministerkon-
ferenz, mit den Ländern, mit den Fachbereichen diesen
Aktionsplan Alkohol auf den neuesten Stand gebracht.
Das ist, wie gesagt, im engen Austausch mit den Län-
dern passiert.
Auf der Gesundheitsministerkonferenz im Juni hat
Ministerin Fischer das nochmals besprochen. Es hat jetzt
auch noch einmal Gespräche mit einigen Ländern gege-
ben. Vertreter der Gesundheitsministerkonferenz werden
zusammen mit Frau Ministerin Fischer in absehbarer
Zeit einen Termin mit der Alkoholwirtschaft vereinba-
ren, um auszuloten und zu sondieren, was im Wege der
freiwilligen Werbebeschränkung auf dem Boden dieses
gemeinsamen Aktionsplans noch zu machen ist, denn
die Unternehmen – das wissen Sie auch – agieren nicht
im luftleeren Raum. Uns ist vor allen Dingen auch der
Kinder- und Jugendschutz wichtig.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Kollege Otto, bitte
Ihre Zusatzfrage.
Wir sind
jetzt bei der Frage 3. Deswegen möchte ich Sie fragen:
Können Sie bestätigen, daß ganz konkrete Pläne Ihrer
Ministerin bestehen, die darauf zielen, die komplette
Ausschaltung der TV- und Hörfunkwerbung einschließ-
lich Sponsoring für alle alkoholhaltigen Produkte zwi-
schen 6 Uhr und 22 Uhr vorzusehen?
Können Sie mir bestätigen, daß Ihre Ministerin ein
Verbot jeglicher Marktkommunikation dieses Sektors im
Sportbereich plant?
Ich kann noch einmal bestäti-
gen, daß wir hier auf der Grundlage des Aktionsplans
Alkohol arbeiten. Ich kann hier drei große Komplexe
nennen: Jugendliche sollen analog der Selbstbeschrän-
kung bei der Tabakwerbung nicht Zielgruppe und Medi-
um von Alkoholwerbung sein. Der Bereich des Sports
soll von Alkoholwerbung ausgenommen werden. Es soll
nicht mit vermeintlich positiven Folgen des Alkohol-
konsums geworben werden.
Das sind Übertragungen der Vorgaben der EG-
Fernsehrichtlinie auf alle Werbungen, was unter ande-
rem auch im Aktionsplan Alkohol im Einvernehmen mit
den Ländern niedergelegt ist. Auf dieser Grundlage wird
unser Haus, unsere Ministerin zusammen mit Vertretern
der GMK in absehbarer Zeit, sobald wie möglich, Ge-
spräche mit der Alkoholindustrie aufnehmen.
Zum zweiten kann ich Ihnen noch sagen, daß Ge-
sundheitsministerin Frau Fischer im Rahmen des zwei-
ten europäischen Aktionsplans Alkohol der WHO, der
von 2000 bis 2005 gilt, auch Warnhinweise auf alkoho-
lischen Getränken vogeschlagen hat. Es ist im Rahmen
dieser WHO-Kampagne geplant, daß Frau Ministerin Fi-
scher sich mit einem Schreiben an die Europäische
Kommission wenden und darum bitten wird, dem Rat
und dem Europäischen Parlament den Vorschlag einer
Richtlinie über Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen
bei Getränken mit hohem Alkoholgehalt vorzulegen.
Das war ja auch Gegenstand von Presseberichten. Ich
nehme an, darauf beziehen Sie sich. Das ist im Augen-
blick in der Planung.
Gesetzliche Maßnahmen sind nicht geplant und damit
auch keine Verbote, sondern wir planen zusammen mit
der GMK, im Rahmen von Gesprächen zu sondieren,
inwieweit die Industrie bereit ist, im Rahmen von frei-
willigen Vereinbarungen im Interesse von Kinder- und
Jugendschutz und Gesundheit entsprechend auch etwas
umzusetzen.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Eine letzte Zusatzfra-
ge, bitte, Herr Kollege Otto.
FrauStaatssekretärin, nachdem es nunmehr in rascher Folgegeradezu eine Kaskade von Werbebeschränkungen gibt,angefangen bei der Werbung für Tabakerzeugnisse, de-ren Verbot im übrigen durchaus mit einem Gesetzdurchgesetzt worden ist, bis zum nunmehr geplantenVerbot der Werbung für alkoholische Getränke, frageich Sie allen Ernstes: Wohin soll das eigentlich nochführen?
Parl. Staatssekretärin Christa Nickels
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4431
(C)
(D)
Wird zukünftig auch noch ein Werbeverbot für Süßig-keiten ausgesprochen? Wo wollen Sie denn eigentlichhin in Ihrem Beglückungswahn?
Ich glaube, daß weder
ich noch unser Haus einem Beglückungswahn erlegen
sind. Vielmehr setzen wir schlicht und ergreifend das
um, was schon im Rahmen der Weltgesundheitsorgani-
sation beschlossen worden ist. Wir tun das in enger
Absprache mit sämtlichen Bundesländern; alle Bun-
desländer haben an dem Aktionsplan Alkohol mitgear-
beitet und unterstützen ihn. Ich habe schon darauf hin-
gewiesen, daß die Vorgängerregierung die Grundlage
hierzu im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation
gelegt hat.
Das setzen wir um, und zwar nicht im Sinne eines
Beglückungswahns und auch nicht im Sinne des Mottos
„Knüppel aus dem Sack“. Vielmehr rechnen wir hier mit
der Vernunft der Unternehmer, die genau wie wir in die-
ser Gesellschaft leben, die Kinder haben, die an Jugend-
schutz interessiert sind. Wir versuchen, auf dem Wege
der Freiwilligkeit solche Maßnahmen voranzutreiben.
Das hat in der Vergangenheit in vielen Bereichen funk-
tioniert.
Das will die Bundesregierung in der von mir darge-
stellten Art und Weise tun. Zu all dem anderen, was Sie
mutmaßen, etwa hinsichtlich der Süßigkeiten, sage ich:
Dem Abgeordneten ist freigestellt, sich alles mögliche
vorzustellen. Das ist aber nicht Gegenstand der Arbeit
bei uns im Haus.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Damit rufe ich den
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwor-
tung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gila
Altmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Paul Laufs
auf:
Wann wird die Bundesregierung das Transportverbot für ab-gebrannte Brennelemente aus deutschen Kernkraftwerken auf-heben?
Herr Kollege Dr. Laufs, in der Hoffnung, daß ich
die richtige Frage habe, damit Sie also die richtige Ant-
wort bekommen,
gebe ich Ihnen folgende Antwort: Transporte können
erst dann zugelassen werden, wenn die erforderlichen
Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Ge-
nehmigungsvoraussetzungen sind erst dann erfüllt, wenn
Kontaminationsüberschreitungen während der gesamten
Transportdauer mit hinreichender Sicherheit ausge-
schlossen werden können und die Behälter selbst die er-
forderliche Sicherheit gewährleisten.
Diese Voraussetzungen sind zur Zeit nicht erfüllt.
Den Prüfungen des Eisenbahn-Bundesamtes, zuständig
für die Kontamination, und der Bundesanstalt für Mate-
rialprüfung – das betrifft die Behälterfragen – kann nicht
vorgegriffen werden.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Eine Zusatzfrage,
bitte, Herr Kollege Laufs.
Frau Staatssekretärin,
habe ich Ihre Antwort dahin gehend richtig verstanden,
daß Sie der Antwort des Staatssekretärs Rainer Baake
widersprechen, der am 13. August auf die Frage des Ab-
geordneten Gunnar Uldall, ob alle Auflagen und gut-
achterlichen Empfehlungen durch das nun vorliegende
Gesamtsystem erfüllt sind, mit einem klaren Ja geant-
wortet hat?
Ich kann dem, was ich gerade geantwortet habe,
bezogen auf die drei Transporttypen, die zur Zeit unter-
sucht werden, folgendes zur Verdeutlichung hinzufügen:
Es handelt sich dabei zum einen um die innerdeutschen
Transporte zu den Zwischenlagern. Das Gutachten über
diese Frage ist Ende Mai fertiggestellt worden. Es liegen
zirka 60 Empfehlungen für die Betreiber vor. Die Gut-
achter müssen anschließend bestätigen, daß diese Emp-
fehlungen umgesetzt worden sind.
Zum zweiten geht es um den Transport der Glasko-
killen aus dem Ausland, das heißt aus Sellafield und La
Hague. Das Gutachten dazu ist Ende Juni fertig gewor-
den. Dazu gibt es zirka 30 gutachterliche Empfehlungen.
Die Gutachter müssen hinterher ebenfalls bestätigen,
daß sie umgesetzt worden sind.
Zum dritten geht es um die Transporte ins Ausland
zur Wiederaufarbeitung, also nach England und Frank-
reich. Dazu sind die Unterlagen im letzten Juli ange-
kommen. Das heißt, in dieser Frage befinden wir uns
noch in der Prüfung.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Eine weitere Zusatz-
frage.
Frau Staatssekretärin,
wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß die
Atomtransporte in der Schweiz und in Frankreich, die
mit den gleichen Behältern durchgeführt werden, schon
längst wiederaufgenommen worden sind, nachdem dort
die gleichen Sicherheitsfragen sehr sorgfältig abgear-
beitet worden waren?
Herr Kollege, ich habe keine konkreten Einblicke,wie sich die Lage in der Schweiz gestaltet, zum Bei-Hans-Joachim Otto
Metadaten/Kopzeile:
4432 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
spiel wieviel Zeit für das Herbeischaffen der Unter-lagen für die Transportgenehmigung benötigt wurde.Ich kann als Vertreterin der Bundesregierung nur sa-gen, daß wir hier sehr sorgfältig nach Recht und Gesetzzu prüfen haben. Wir sollten sehr vorsichtig sein, einepolitische Einflußnahme auch nur anzudeuten, vonwelcher Seite auch immer. Insbesondere durch dieVorkommnisse im April letzten Jahres, die zu einemTransportstopp durch Ministerin Merkel geführt haben,sind wir gehalten, nach Recht und Gesetz zu entschei-den. Dafür sind noch nicht alle Voraussetzungen gege-ben. Das ist belegbar.Ich kann Ihnen aber mitteilen, daß Ihnen als Mitglieddes Umweltausschusses in den nächsten Tagen ein ent-sprechender Bericht zugehen wird. Vizepräsidentin Petra Bläss: Damit sind wir beider Frage 6 des Abgeordneten Dr. Laufs:Wann kann die Genehmigung der von der Energiewirtschaftbeantragten Atomtransporte durch das Bundesamt für Strahlen-schutz erwartet werden?
Zu dieser Frage kann ich eigentlich nur auf das
verweisen, was ich bereits zu Ihrer vorhergehenden
Frage ausgeführt habe. Ich möchte Ihnen aber noch eini-
ge Hintergrundinformationen geben, die vielleicht Ihre
Zweifel, was die zeitlichen Unterschiede zwischen der
Schweiz und Deutschland angeht, ausräumen.
Die Prüfung der eingereichten Unterlagen im Bun-
desamt für Strahlenschutz erfolgt auf der Grundlage des
§ 4 Atomgesetz. Dementsprechend ist die Erteilung ei-
ner Beförderungsgenehmigung durch das Bundesamt für
Strahlenschutz erst dann möglich, wenn die Erfüllung
der in § 4 Abs. 2 Atomgesetz genannten Genehmi-
gungsvoraussetzungen durch den Antragsteller – das ist
in diesem Fall die Firma Nuclear Cargo Service, eine
Tochter der DB AG – nachgewiesen und die erforderli-
che Einbeziehung anderer zu beteiligender Behörden
abgeschlossen worden ist.
Hiervon ausgehend läßt sich gegenwärtig folgender
Stand zu den genannten Genehmigungsverfahren zu-
sammenfassen:
Das Gutachten zu den Transporten bestrahlter Brenn-
elemente zur Wiederaufarbeitung in Frankreich und
Großbritannien steht noch aus.
Die Anerkennungsverfahren für die Zulassung der
englischen und französischen Transportbehälter sind
noch nicht abgeschlossen. Fehlende Unterlagen zu den
französischen Behältern sind bis Ende September 1999
von Transnuclear-Paris angekündigt. Zu den englischen
und französischen Behältern ist eine Stellungnahme der
Bundesanstalt für Materialprüfung zur Dekontaminier-
barkeit ausstehend.
Die Gutachten zu Transporten bestrahlter Brennele-
mente in die Zwischenlager Ahaus und Gorleben sowie
verglaster hochradioaktiver Abfälle nach Gorleben lie-
gen vor. Die Industrie hat Unterlagen zu den Empfeh-
lungen und Hinweisen der Gutachter vorgelegt; sie wer-
den zur Zeit von diesen geprüft.
Bei den vorgesehenen Castor-Behältern haben sich
technische Fragestellungen im Zusammenhang mit dem
verwendeten Moderatormaterial – dabei handelt es sich
um die Abschirmung der Neutronenstrahlung – ergeben,
die zur Zeit noch von der Industrie bearbeitet werden
und anschließend von den Behörden zu bewerten sind.
In allen vorliegenden Genehmigungsverfahren sind
die zu beteiligenden Innenbehörden der Länder zur Ge-
währleistung der Sicherungsmaßnahmen einbezogen.
Die Abarbeitung dieser Schwerpunkte bestimmt im
wesentlichen die Fortführung und den Abschluß der ein-
zelnen Genehmigungsverfahren. Nach Vorlage der ge-
nannten noch fehlenden Unterlagen werden für den Ab-
schluß der Genehmigungsverfahren noch maximal vier
Wochen gebraucht.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Dr.
Laufs, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin,
ist sich der Bundesumweltminister der wiederholt öf-
fentlich vorgetragenen Äußerung des Bundeskanzlers
bewußt, daß keine Verstopfungssituation eintreten wer-
de, und was tut der Bundesumweltminister, um diese
demnächst drohende Situation abzuwenden?
Herr Kollege Laufs, wenn ich das Wort „Verstop-fung“ höre, habe ich eine Assoziation, die ein ganz an-deres Ressort betrifft. Ich kann Ihnen aber trotzdem sa-gen, daß es darum natürlich nicht geht, sondern darum,nach Recht und Gesetz zu entscheiden und auf Grundder Vorkommnisse, die ich beschrieben habe, keinepolitische Einflußnahme zu betreiben.Ansonsten ist es so, daß die Zuständigkeiten genaugeregelt sind. Das heißt, das Bundesamt für Strahlen-schutz genehmigt gemäß dem Atomgesetz – das habeich Ihnen bereits vorgetragen – die Transporte. Voraus-setzung ist, daß die Behälter zugelassen sind. Im Mo-ment ist es so, daß es, da die Genehmigungen abgelau-fen sind, keine zugelassenen Behälter gibt. Es liegt nurdie Genehmigung für den eventuellen Transport einesBehälters nach Gorleben vor. Diese Genehmigung läuftaber am 31. Oktober dieses Jahres ab.Weitere Zuständigkeiten liegen beim Bundesamt fürMaterialprüfung, beim Eisenbahn-Bundesamt und beiden Aufsichtsbehörden der Länder. Wenn diese die Be-reiche, für die sie zuständig sind, nach Recht und Gesetzgeprüft haben und wenn alle Unterlagen vorliegen – dashabe ich Ihnen bereits vorgetragen –, dann können dieGenehmigungen innerhalb von vier Wochen erteilt wer-den. Vizepräsidentin Petra Bläss: Eine letzte Zusatz-frage, bitte, Herr Kollege.Parl. Staatssekretärin Gila Altmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4433
(C)
(D)
Frau Staatssekretärin,
da alle technisch komplizierten Vorgänge beliebig lange
problematisiert werden können, ist zu fragen: Erkennt
die Bundesregierung, daß es zu einer systematisch ver-
zögerten und ständig problematisierten Bearbeitung von
Genehmigungsanträgen kommt, was zu einer Rechts-
verweigerung führt und damit Schadensersatzforderun-
gen zur Folge hat?
Herr Kollege Laufs, die Bundesregierung erkennt
vor allem ihre jetzige Verantwortung an, die sie beson-
ders auf Grund der Vorkommnisse im letzten Jahr bzw.
in den Jahren davor hat. Das, was Sie gerade ausgeführt
haben, sind Unterstellungen. Ich bin auf diese Proble-
matik bereits in einer vorherigen Antwort eingegangen.
Ich habe Ihnen darüber hinaus schon zu Beginn der
Beantwortung Ihrer Fragen gesagt, daß Ihnen im Um-
weltausschuß ein Bericht vorgelegt wird, den Sie dann
auf Herz und Nieren prüfen können. Die Bundesregie-
rung hat nicht nur den Anspruch, sondern auch die
Pflicht, daß, bevor Transporte genehmigt werden, alle
Fragen ausgeräumt und alle Unterlagen beigebracht
worden sind, damit die Bevölkerung sicher sein kann,
daß dieses Mal wirklich das stimmt, was in den vergan-
genen Jahren auch immer behauptet worden ist, nämlich
daß die Transporte sicher sind.
Insofern sollten wir bei diesem Thema Polemik und
Politik vermeiden.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Wir kommen damit
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Finanzen. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentari-
sche Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfü-
gung.
Die Fragen 7, 8 und 10 werden schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich sofort die Frage 9 des Abgeordneten
Hans Michelbach auf:
Plant die Bundesregierung eine erhöhte Besteuerung desVermögens im Rahmen einer der derzeit nicht mehr erhobenenVermögensteuer ähnlichen Vermögensabgabe, und, wenn ja,welche Beweggründe veanlassen sie hierzu?
Herr Kollege, ich beant-
worte Ihre Frage wie folgt: Nein.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Was für ein Wunder,
es gibt eine Zusatzfrage des Kollegen Michelbach.
Frau Staatssekretärin,
ich weiß nicht, wie klar und deutlich Ihre Neins sind.
Fragen werden ja letzten Endes in Form eines Zickzack-
kurses oft mit Jein beantwortet.
Meine Zusatzfrage zielt darauf ab, daß eine Vermö-
gensabgabe natürlich auch dann vorliegt, wenn eine Er-
höhung der Erbschaftsteuer stattfindet. Schließt Ihr Nein
in bezug auf eine Vermögensabgabe auch die Erhöhung
der Erbschaftsteuer aus?
Herr Kollege Michelbach,
die Bundesregierung verfolgt konsequent das Ziel der
Steuersenkung und der Haushaltskonsolidierung. Dieser
doppelten Herausforderung müssen wir uns stellen, da
Sie uns im Rahmen Ihrer Bundesregierung einen Scher-
benhaufen hinterlassen haben.
Wir beabsichtigen nicht, unser Programm von Steuer-
senkungen und Haushaltskonsolidierung mit Steuerer-
höhungen zu verbinden.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Es gibt eine zweite
Zusatzfrage des Kollegen Michelbach. Bitte.
Frau Staatssekretä-
rin, wie verstehen Sie denn die einzelnen Hiobsbot-
schaften Ihrer Fraktionskolleginnen und -kollegen, ins-
besondere die von Frau Fraktionsvorsitzende Gleicke,
die in jedem Fall die Forderung nach einer Vermögens-
abgabe oder nach einer Erbschaftsteuererhöhung durch-
setzen will? Wie sehen Sie denn in dieser Verbindung
die Verunsicherung der Wirtschaft auf Grund dieser
Aussagen, die von den Kolleginnen und Kollegen aus
Ihrer Fraktion immer wieder in die Runde geworfen
werden? Ist es nicht so, daß diese Verunsicherung Ar-
beitsplatzverluste in erheblicher Zahl gerade in der mit-
telständischen Wirtschaft durch Attentismus und durch
Verlagerung von Investitionen hervorruft?
Herr Kollege Michelbach,Sie können mich in dieser Fragestunde lediglich nachden Absichten der Bundesregierung fragen. Darüberhinaus kann ich keine Auskunft geben. Ich darf Ihnennoch einmal sagen: Die Bundesregierung beabsichtigtnicht, die Erbschaftsteuer zu erhöhen.Ich möchte aber die in Ihrer Frage enthaltene Bewer-tung zurückweisen. Es ist schlechterdings kaum vor-stellbar, daß Investitionsentscheidungen wegen einerwie auch immer geänderten Erbschaftseuer zurückge-stellt werden. Dazu kann es nun in der Tat keinen in-haltlichen Sachzusammenhang geben. Investitionsent-scheidungen werden nach Marktanalysen und in der Er-wartung getroffen, daß man mit der Investition, die mantätigt, einen Gewinn macht und weitere Marktchancen
Metadaten/Kopzeile:
4434 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
erschließt. Das hat mit einem Erbschaftsvorgang über-haupt nichts zu tun.
– Sie hatten aber nicht die Generationsbrücke angespro-chen, sondern von Investitionsattentismus geredet.
Vizepräsident Petra Bläss: Herr Kollege Hollerith,Sie hatten ebenfalls eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
Sie hatten in einer Ihrer Antworten wieder den allseits
gebetsmühlenhaft wiederholten Vorwurf der Erblast in
die Debatte eingebracht.
Ich spreche von der Erblastenlüge und frage Sie: Teilen
Sie die Einschätzung, daß von den 1 500 Milliarden DM
Schulden etwa 350 Milliarden DM aus der Zeit der
Kanzlerschaft Willy Brandts und Helmut Schmidts bis
zum Ende des Jahres 1982 stammen, daß etwa 450 Mil-
liarden DM aus der Hereinnahme des Erblastentilgungs-
fonds und der Treuhandaltschulden herrühren und daß
etwa 600 Milliarden DM aus dem Nettotransfer in die
neuen Bundesländer stammen und deshalb Kosten, La-
sten bzw. Schulden aus der wiedergewonnenen Einheit
Deutschlands sind und in Wirklichkeit aus der Zeit des
Kommunismus herrühren?
Herr Kollege Hollerith,
ich bin Ihnen dankbar, daß Sie das Wort Erblast in diese
Debatte eingeführt haben. Ich hatte es nicht getan, darf
aber im übrigen darauf hinweisen, daß der Schul-
denstand am Ende des Jahres 1982 rund 300 Milliarden
DM betrug. Allerdings bezog sich diese Zahl auf die
Entwicklung von 1949 bis 1982, also auf einen Zeitraum
von 33 Jahren und nicht nur auf die Zeit der soziallibe-
ralen Koalition. Ich darf Sie des weiteren darauf auf-
merksam machen, daß dieser Schuldenstand in der Zeit
bis 1989 – also in den ersten acht Jahren der Kanzler-
schaft Kohl und damit vor der deutschen Einheit –
ziemlich genau verdoppelt worden ist und daß seit der
deutschen Einheit in der Tat rund 900 Milliarden DM
zusätzliche Schulden aufgelaufen sind. Es waren also
600 Milliarden DM bis 1989, davon die eine Hälfte von
1983 bis 1989, die andere Hälfte in den 33 Jahren davor;
und es waren 900 Milliarden DM seit der deutschen
Einheit. Es ist überhaupt nicht von der Hand zu weisen,
daß die Kosten der deutschen Einheit darin ihren Nie-
derschlag gefunden haben müssen.
– Das hat doch niemals jemand bestritten. – Selbstver-
ständlich wissen wir, daß die deutsche Einheit nicht zum
Nulltarif zu haben war. Das haben wir sogar schon vor
Ihnen erkannt und deshalb andere Finanzierungsvor-
schläge vorgelegt, die von der alten Bundesregierung
abgelehnt worden sind. Zum Beispiel ist das Stichwort
Lastenausgleich von Ihnen niemals aufgegriffen worden,
obwohl im Zusammenhang mit der deutschen Einheit in
der Tat eine Opferbereitschaft in der deutschen Bevölke-
rung bestand. Die ist von Ihnen nicht angenommen wor-
den, weil Sie über eine gewisse Zeit davon ausgegangen
sind, diese große Aufgabe würde sozusagen aus der
Portokasse gezahlt werden können. Dies war schlechter-
dings nicht möglich. Sie wissen – bei Ihnen ging es ja
noch hin und her mit Soli einführen, Soli abschaffen,
Soli doch wieder einführen –, daß es ohne eine Sonder-
finanzierung nicht gehen würde.
Wir freuen uns jedenfalls alle über die deutsche Ein-
heit. Wir wissen, daß sie viel Geld kostet. Wir müssen
jetzt natürlich die Vergangenheit abarbeiten. Aber dies
kann nicht unsere einzige Aufgabe sein. Wir müssen
auch die Zukunft zurückgewinnen. Deswegen müssen
wir ein striktes Konsolidierungsprogramm fahren.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.
Frau Staatssekretärin, da
Sie die Frage nach einer Neueinführung der Vermögens-
steuer mit Nein beantwortet haben: Darf ich Sie fragen,
ob der Bundesfinanzminister beabsichtigt, mit der
schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Si-
monis zu sprechen, die die Wiedereinführung fordert,
um sie von der Haltung der Bundesregierung zu über-
zeugen? Darf ich Sie weiter fragen, ob der Bundesfi-
nanzminister auch mit den Mitgliedern der SPD-
Fraktion sprechen wird, die täglich durch die Medien
geistern, indem auch sie die Wiedereinführung der Ver-
mögensteuer fordern?
Herr Kollege Koppelin,
bitte seien Sie sicher, daß es sogar in der Sozialdemo-
kratie so ist, daß nicht nur extern, sondern auch intern
kommuniziert wird.
Selbstverständlich.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Es gibt eine weitere
Zusatzfrage der Kollegin Dr. Barbara Höll.
Frau Staatssekretärin, muß ichIhre Antwort so verstehen, daß Sie sich damit auch aus derVerpflichtung verabschieden, die im Koalitionsvertragsteht, nämlich daß Sie zumindest prüfen wollten, wie eineNeuerhebung der Vermögensteuer aussehen könnte – sonoch nachzulesen im Vertrag vom vergangenen Jahr?
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4435
(C)
(D)
Der Koalitionsvertrag hat
die Möglichkeit einer Vermögensbesteuerung zur Prü-
fung gestellt. Es sind in der Tat Vorarbeiten auf techni-
scher Ebene insbesondere bezogen auf die Bewertung
des Grundvermögens geleistet worden. Diese Vorarbei-
ten werden von einer Beamtenkommission aus Vertre-
tern von Bund und Ländern geleistet. Demnächst, wahr-
scheinlich im Frühjahr, wird es einen Bericht geben.
Gleichwohl wird politisch zu entscheiden sein, wie man
damit umgeht. Die Bewertung des Grundvermögens ist
aber so oder so eine Frage, die ansteht, nämlich für die
Grundsteuererhebung und natürlich auch für die Von-
Fall-zu-Fall-Bewertung bei der Erbschaftsteuer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir stehen in der schwie-
rigen Situation, daß ich in meiner früheren Funktion als
Vorsitzende des Gesprächskreises Kommunalpolitik
entschieden gegen dieses Energiewirtschaftsgesetz war,
weil ich wußte, welche Folgen es für die Regionen ha-
ben würde.
– Nein, ich würde nicht so sprechen; das ist ein europäi-
scher Bereich. Wir haben über Parteigrenzen hinweg
gemeinsam versucht, bei den Stromversorgungsunter-
nehmen die Geschäftsfelder Erzeugung, Übertragung
und Verteilung zu trennen, um für die regionalen Unter-
nehmen wenigstens etwas zu retten.
Herr Kollege Lensing, ich teile Ihre Sorge. Ich sage
Ihnen nur voraus: Das wird sich noch stärker bemerkbar
machen, weil bei den Energieeinsparungsmöglichkeiten,
die wir in der Zukunft haben werden, und durch die
technischen Veränderungen zum Beispiel regionale
Heizkraftwerke und ähnliche Dinge wahrscheinlich
nicht mehr notwendig sein werden.
Die Folgen für die Stadtwerke kann die Bundeswehr
nicht auffangen. Dafür ist sie übrigens auch zu unbe-
deutend. Die Bundeswehr selbst hat beim Verbrauch
von nationaler Energie nur einen Marktanteil in Höhe
von 0,2 Prozent.
Nun hat sich auch Ih-
re Fraktion dafür ausgesprochen, zunächst einmal Ver-
fassungsbeschwerde zu erheben. Kann ich auf Grund
Ihrer Ausführungen davon ausgehen, daß Sie diese Be-
schwerde zurückziehen werden?
Ich vermute, daß sich die-
Metadaten/Kopzeile:
4436 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
se Verfassungsbeschwerde, die natürlich auch im Inter-esse der regionalen Energieunternehmen war, sehrschnell durch die Notwendigkeit der EU-Gesetzgebungerübrigen wird. Ich weiß aber nicht, wie das Verfas-sungsgericht entscheiden wird. Es ist wohl auch nichtunsere Aufgabe zu entscheiden. Vielmehr sind dieRichter unabhängig.
Mit Verlaub, ich hatte
nicht gefragt, wie es entscheidet – –
Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Len-
sing, Sie haben leider nur die Möglichkeit zu zwei Zu-
satzfragen.
Was ich gut verstehen
kann, Herr Kollege.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Aber Sie haben im-
merhin noch eine Chance im Zusammenhang mit Ihrer
Frage 12.
Aber zunächst hat der Kollege Hauser noch eine Zu-
satzfrage.
Frau Staatsse-
kretärin, ich möchte die Frage des Kollegen aufnehmen:
Beabsichtigen Sie im Hinblick auf Ihre Antwort, die
Verfassungsbeschwerde zurückzunehmen – was man
durchaus machen kann –, so daß es gar erst nicht zu
einer Entscheidung kommt, und war Ihre Antwort so zu
verstehen, daß durch die europäische Entscheidung
möglicherweise eine nationale Entscheidung hinfällig
werden könnte?
Herr Kollege Hauser,
wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie im Kommu-
nalparlament in Bonn gesessen.
– Dann wissen Sie sehr genau, mit welchem gespaltenen
Herzen auch die christdemokratischen Kommunalpoliti-
ker dieses Energiewirtschaftsgesetz, das von der EU
kam, begleitet haben. Wir wissen auch, welche hervor-
ragende Infrastruktur wir im Vergleich zu anderen Län-
dern der Europäischen Union in diesem ganzen Bereich
erarbeitet haben.
Inzwischen stellen wir fest, daß dieses über nationale
Grenzen hinweg zu einer Konzentration auf dem Ener-
giemarkt führt. Meine persönliche Meinung ist – sicher-
lich ist es auch die des Kollegen Hauser –: Es ist bedau-
erlich, was wir alles zerschlagen werden, wieviel Ar-
beitsplätze dadurch regional verlorengehen werden.
Aber ich vermute einmal, die Richter sind unabhängig.
Sie werden sich allerdings an die europäische Gesetzge-
bung zu halten haben.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Jetzt rufe ich die
Frage 12 des Abgeordneten Werner Lensing auf.
In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung, die imjüngsten Jahresbericht der Wehrbeauftragten des Deutschen Bun-destages festgestellten und in der Stellungnahme des Bundesmini-sters der Verteidigung zu diesem Bericht zugegebenen Defizite imBereich der politischen Bildung aufgrund der „objektiv vorhande-nen Belastungen der Truppe“ durch Auslandseinsätze – vor demHintergrund noch weiter steigender Anforderungen durch den er-höhten personellen Ansatz einer Beteiligung der Bundeswehr ander Kosovo-Friedenstruppe – zu verbessern?
Sehr geehrter Herr Kolle-ge Lensing, Minister Scharping hat bereits mehrfach öf-fentlich dargestellt, daß die Auslandseinsätze der Bun-deswehr nicht nur für diejenigen Truppenteile, die sichderzeit im Ausland befinden, belastend sind. Auch dieanderen Truppenteile, die sich in der Einsatzvorberei-tung oder -nachbereitung befinden oder zur Auffüllungvon wichtigem Personal für die Krisenreaktionskräftedienen, haben ein großes Problem: Sie werden außeror-dentlich belastet. Das führt dazu, daß in dem einen oderanderen Fall die Notwendigkeit der politischen Bildungnicht genügend beachtet wird.Dies hat die Wehrbeauftragte in ihrem letzten Berichtja auch kritisch angemerkt. Sie wissen, daß dieser Be-richt der Wehrbeauftragten die Beurteilung des Jahres1997/98 betrifft, also einen Zeitraum, für den noch dievorangegangene Bundesregierung verantwortlich war.Aber ich wäre unfair, wenn ich nicht zugeben würde,daß wir im Rahmen der normalen Friedensausbildungnatürlich mehr Mittel für die politische Bildung vorge-sehen hatten. Aber jetzt müssen die Streitkräfte zuerstfür den Einsatz ausgebildet werden. Dennoch sind wiruns völlig bewußt darüber, daß gerade weil die Soldatenin den Einsatz gehen müssen oder sich schon in einemsolchen befinden, die politische Bildung für sie beson-ders wichtig ist. Nach meiner Kenntnis ist die Bundes-wehr die einzige Armee, die versucht, ihre Soldatennicht nur während des Friedensdienstes sorgfältig, son-dern auch noch im Einsatz politisch auszubilden. Den-ken Sie nur an die Unterrichtsfahrten nach Mostar.Der Generalinspekteur, Herr von Kirchbach, der sichgenauso wie seine Vorgänger ganz besonders um dasThema der politischen Bildung gekümmert hat, hat aus-drückliche Weisung gegeben. Ich möchte nur daran er-innern, daß sich die Vorgesetzten in der Truppe um diepolitische Bildung durch Beraterteams der Großverbän-de und durch das Zentrum „Innere Führung“ bemüht ha-ben, keine Defizite entstehen zu lassen. Ganz besonderswichtig ist in diesem Zusammenhang die Entwicklungeines Seminars über den Nationalsozialismus. Wenn SieGelegenheit dazu haben, sollten Sie sich dieses Modellwirklich einmal ansehen. Das alles ist vorbildlich. Aberes bleibt natürlich Tatsache, daß trotz allen Bemühensunsererseits die politische Bildung in dem einen oderanderen Fall zu kurz kommt. Ich kann Sie als Wahl-kreisabgeordneten nur ermutigen, darauf zu achten, daßdas nicht geschieht.Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4437
(C)
(D)
|Werner Lensing : Vielen Dank, daswerden wir mit Sicherheit tun. Aber wird sich dieschwierige Situation, die Sie gerade anschaulich be-schrieben haben, nicht sehr wahrscheinlich noch weiterdurch die Reduzierung des Verteidigungsetats verschär-fen, obwohl im Rahmen des sogenannten „Beutelsba-cher Konsens“ Klarheit darüber gewonnen wurde, wiewichtig politische Bildung ist? Wird trotz der Rückfüh-rung der Mittel für die politische Bildung in der Truppewenigstens der Ausbildungsbetrieb aufrechterhaltenwerden können?B
Herr Kollege, ich wußte,
daß solche Fragen gestellt werden. Ich habe Verständnis
dafür, daß Sie in der neuen Rolle der Opposition solche
Fragen stellen. Trotzdem muß ich Ihnen antworten: Das
Herunterfahren der Kosten für die politische Bildung hat
im Jahr 1991 begonnen. Dies hat dazu geführt, daß 1991
noch 8,1 Millionen DM und 1997 nur noch 6,2 Mil-
lionen DM für die politische Bildung ausgegeben wur-
den. Dann hat die Zahl rechtsextremer Vorfälle drama-
tisch zugenommen. Schon Volker Rühe und seine Crew
haben versucht, hier Korrekturen vorzunehmen. 1998
und 1999 standen für die politische Bildung wesentlich
mehr Mittel zur Verfügung.
Ich kann Ihnen versichern, daß wir an dieser Stelle
bestimmt nicht sparen werden, zumal wir für die inter-
nationalen Einsätze – auch mit Hilfe der Kollegen aus
dem Haushaltsausschuß – im Einzelplan 60 entspre-
chende Mittel zur Verfügung gestellt haben, die auch für
die Ausbildung genutzt werden. Bei der Ausbildung
geht es nicht nur um die militärisch-technische, sondern
auch um die politische Ausbildung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine Zusatz-
frage. Bitte, Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin,
sind die Angaben in einer Zeitung für Wehrpflichtige
richtig, denen zufolge die Mittel für das vom Bundes-
kanzler und anderen Regierungsmitgliedern gelobte
Programm zur Schaffung von 100 000 Arbeitsplätzen
für Jugendliche im Rahmen des Bundeswehretats zu-
rückgenommen worden sind? Ist es richtig, daß statt der
5 000 jungen Soldaten, die ursprünglich ausgebildet
werden sollten, maximal nur noch 1 900 in die Ausbil-
dungsmaßnahmen hineinkommen? Ist es richtig, daß da-
durch eine Menge junger Wehrdienstleistender, darunter
auch Soldaten, die freiwillig länger Wehrdienst leisten,
in die Arbeitslosigkeit entlassen werden?
B
Liebe Frau Kollegin, ich
kann den Zusammenhang mit der politischen Bildung,
über die wir im Moment reden, nicht erkennen. Hier
ging es um die berufliche Qualifikation der jungen Leu-
te. Ich will ausdrücklich sagen, daß wir dies prüfen.
Wenn es keine anderen finanziellen Möglichkeiten gibt,
dies zum Beispiel als Ausbildungsbereich in einen ande-
ren Einzelplan hineinzulegen, dann werden wir in der
Tat überprüfen, wie viele Fälle wir im Jahre 1999 hatten.
Wenn es ein entsprechendes Interesse gibt, dann werden
wir nicht gerade an dieser Stelle sparen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fragen 13 und
14 werden schriftlich beantwortet.
Ich komme damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen. Alle Fragen dieses Geschäftsbereichs, das heißt die
Fragen 15, 16 und 17, werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts
auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsmi-
nister Dr. Ludger Volmer bereit. Die Frage 18 wird
schriftlich beantwortet. Ich rufe jetzt die Frage 19 des
Abgeordneten Wolfgang Börnsen auf:
Inwiefern will die Bundesregierung nach der geplantenSchließung der Generalkonsulate Apenrade und Oppeln für diedeutschen Minderheiten im Königreich Dänemark und der Re-publik Polen sowie nach der geplanten Haushaltskürzung für diesorbische Minorität in Deutschland von 16 auf 14 Millionen DMeine effiziente wie nachhaltige Minderheiten- und damit Kon-fliktpräventionspolitik in Zukunft betreiben, und sind weitereKürzungsschritte zu Lasten der deutschen Minderheiten im In-und Ausland in den kommenden Jahren vorgesehen?
D
Herr Börnsen, Ihre Frage beantworte ich wie folgt:
Die Kürzungen sind Bestandteil des allgemeinen Spar-
programms der Bundesregierung. Der Grund hierfür ist
die bekannte dramatische Finanzlage des Bundes. Die
Bundesregierung mißt dem Minderheitenschutz für die
Erhaltung des Friedens in der Völkergemeinschaft und
das gedeihliche Zusammenleben innerhalb der Staaten
große Bedeutung bei und wird dies auch künftig tun. Die
Kürzungen sind deshalb lediglich in einem Umfang ge-
troffen worden, der eine effiziente und nachhaltige Min-
derheiten- und damit Konfliktpräventionspolitik insge-
samt nicht in Frage stellt. Der Status der deutschen Min-
derheiten in Dänemark und Polen steht auf rechtlich ab-
gesicherter Grundlage. Konkrete Aussagen über das Jahr
2000 hinaus können zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
getroffen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Börnsen, Ih-
re Zusatzfrage, bitte.
HerrStaatsminister, ich höre mit großem Wohlgefallen IhrenHinweis darauf, daß die Bundesregierung Minderheiten-politik ernst nimmt. Sie wissen so gut wie ich, daß dieKonflikte der letzten Jahrzehnte durchweg Minderhei-tenkonflikte gewesen sind und daß Minderheitenpolitikauch Friedenspolitik bedeutet. Können Sie mir erklären,warum es gerade zu einer Häufung von Kürzungen undStreichungen bei Minderheiten kommt?Sie schließen das Generalkonsulat in Apenrade, ineinem Kerngebiet deutscher Minderheit mit 20 000 Ein-wohnern. Sie schließen die Generalkonsulate in Oppelnund Stettin. Überall dort, wo Minderheiten den Eck-pfeiler deutscher Repräsentanz brauchen, schließen Sie
Metadaten/Kopzeile:
4438 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
|die Generalkonsulate, und gleichzeitig kürzen Sie. DerKollege, der eben bei Ihnen war, kürzt bei den Sorbenvon 16 Millionen DM auf 14 Millionen DM. Bei derdeutschen Minderheit in Nordschleswig kürzen Sie um1,3 Millionen DM. Stimmt vor diesem Hintergrund IhreBehauptung, Minderheitenpolitik ernst zu nehmen, nochmit dem überein, was Sie in der Praxis vorleben?D
Herr Börnsen, Sie haben mit Ihrer These recht, daß
die Konflikte der letzten Jahre im wesentlichen Minder-
heitenkonflikte waren. Das heißt aber umgekehrt nicht,
daß jede Minderheitensituation zu einem Konflikt füh-
ren muß. Gerade die deutsche Minderheit in Dänemark
oder die dänische Minderheit in Deutschland sind so in
beste bilaterale Beziehungen und in eine funktionierende
Europäische Union integriert, daß Konflikte dieser Art
überhaupt nicht zu erwarten sind. Ähnliches kann man
über die deutsche Minderheit in Polen sagen.
Im übrigen wird die Betreuung der jeweiligen Grup-
pen nicht eingestellt, sondern von den entsprechenden
Botschaften übernommen. So sind zum Beispiel der
Deutschen Botschaft in Kopenhagen zusätzliche Mittel
an die Hand gegeben worden, um Reisen von Minder-
heitenvertretern nach Kopenhagen zu ermöglichen und,
falls es dazu kommt, Probleme immer bearbeiten zu
können.
Herr
Staatsminister, Sie kennen sich in der deutsch-dänischen
Region aus. Sie wissen, daß die Generalkonsulate auf
dänischer Seite in Apenrade und auf deutscher Seite in
Flensburg dazu beitragen, daß das dort praktizierte aus-
gezeichnete Modell inzwischen den Charakter eines
Beispiels für ganz Europa bekommen hat. Wenn Sie
jetzt das eine Generalkonsulat streichen, dann bringen
Sie damit auch das Modell zum Einsturz. Es gab Ein-
wendungen von seiten der schleswig-holsteinischen So-
zialdemokraten, von seiten der Ministerpräsidenten und
der IHK, und auch viele andere haben sich an Sie ge-
wandt; aber alle werden mit dem Hinweis auf die fiska-
lische Situation kurz abgefertigt.
D
Herr Börnsen, wir tun so etwas bestimmt nicht
gerne, da das in der Tat gut funktioniert hat. Wenn wir
aber Dinge tun, die uns selber keine Freude machen,
dann deshalb, weil es triftige Gründe dafür gibt. Der
Hinweis auf die fiskalische Situation ist eben kein un-
wichtiger Hinweis, sondern ein entscheidender Hinweis
auf das Hauptproblem, mit dem sich die Bundesregie-
rung im Moment beschäftigen muß, nämlich das Haus-
haltsdefizit, das von den Vorgängerregierungen syste-
matisch aufgebaut wurde. Die Deckungslücke in Höhe
von 30 Milliarden DM im Haushalt hat doch nicht die
jetzige Regierung verschuldet, sondern es ist eine Erb-
schaft, die uns von den Vorgängerregierungen, die ja
auch von Ihnen politisch unterstützt wurden, hinterlas-
sen wurde.
Wir haben nun die sehr undankbare Aufgabe, entweder
weiterhin eine Verschuldungspolitik zu betreiben – das
wollen wir nicht – oder aber nach Einsparmöglichkeiten
zu suchen. Dabei muß man viele Dinge tun, die ziemlich
bitter sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt die
Frage 20 des Kollegen Börnsen auf:
Hat sich in den vergangenen zwei Wochen, insbesonderenach einem Gespräch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schrö-der und der Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, HeideSimonis, eine Änderung der Position der Bundesregierung be-züglich der Schließung des deutschen Generalkonsulats in Apen-rade, wie sie im diesbezüglichen Antwortschreiben des Staats-ministers im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen, vom 19. Au-gust 1999 dargestellt wird, dahin gehend ergeben, daß der Bun-deskanzler in den Haushaltsetat des Bundesministers des Aus-wärtigen, Joseph Fischer, eingegriffen und die Entscheidung zurSchließung des Generalkonsulats zum 1. Januar 2000 durch ein„Machtwort“ zurückgenommen hat?
D
Diese Frage berührt das gleiche Thema. Herr
Börnsen, seit dem 19. August hat sich keine Änderung
der Position der Bundesregierung zur Schließung des
Generalkonsulats in Apenrade ergeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erste Zusatzfrage.
Das
heißt, Herr Staatsminister, daß die Intervention aller, die
sich für Apenrade eingesetzt haben, keinen Zweck hat-
ten, daß die Gespräche der schleswig-holsteinischen Mi-
nisterpräsidentin mit dem Bundeskanzler zu keinem Er-
folg geführt haben und daß alle anderen, die Einwände
erhoben hatten, auch dänische Institutionen bis hin zum
Amtsbürgermeister Kristen Philippsen, gegen eine
Wand gelaufen sind?
D
Herr Börnsen, das Auswärtige Amt sieht sich in
der unbequemen Situation, zirka 20 Auslandsvertre-
tungen schließen zu müssen. So wie es durchaus trif-
tige Einwände gegen die Schließung von Apenrade
gibt, gibt es ebenfalls ähnlich triftige Einwände gegen
die Schließung fast aller anderen Auslandsvertretun-
gen. Dennoch kommt das Auswärtige Amt, das seinen
Sparbeitrag leisten muß, nicht darum herum, auch Ein-
sparungen in strukturellen Bereichen vorzunehmen, da
politische Programmittel und disponible Mittel, die
man vielleicht ohne strukturelle Auswirkungen kürzen
könnte, dem Auswärtigen Amt kaum zur Verfügung
stehen. Das ist seit Jahren ein Strukturproblem des
Bundeshaushaltes.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, eine zweite
Zusatzfrage, Herr Kollege.
HerrStaatsminister, haben Sie Verständnis dafür, daß ichnoch einmal wegen Apenrade nachfrage. Sie sagten, daßfiskalische Gründe ausschlaggebend seien, und habenWolfgang Börnsen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4439
(C)
(D)
|darauf hingewiesen, daß es um 30 Milliarden DM gin-ge, die es abzutragen gilt. Sie wissen ja genausogut wieich, daß die Erhöhung des Haushaltsansatzes 1999 um 6Prozent ungefähr diese 30 Milliarden DM ausmacht, diejetzt wieder abgebaut werden müssen.
Jetzt argumentieren Sie im Grunde genommen mit denselbstgemachten Schulden, und kleine Auslandsvertre-tungen müssen darunter leiden.Ich frage Sie in diesem Zusammenhang, ob es wirk-lich notwendig ist, bei den kleinen Auslandsvertretungenwie dem Generalkonsulat in Apenrade, das jährlich19 000 Visa ausstellt und 7000 Pässe ausgeben muß,Anlaufstelle und Konzentrationsstelle für 20 000 Deut-sche in Nordschleswig ist, zu streichen. Warum müssenwir einen Botschafter bei der EU oder bei der NATOhaben, wo wir doch selber Mitglied sind? Wo liegt daeigentlich die Logik?D
Herr Börnsen, das Auswärtige Amt muß im
Rahmen des Haushalts 2000 etwa 270 Millionen DM
einsparen. Da die meisten Mittel des Amtes entweder
für Auslandsvertretungen oder Personal oder Leistun-
gen, die wir völkerrechtlich verpflichtend zugesagt ha-
ben, gebunden sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als
dort unseren Sparbeitrag zu leisten, wo wir die politi-
sche Entscheidungsfreiheit besitzen. Dabei trifft es lei-
der auch solche Institutionen, die man, wenn es nur um
die Funktionalität ginge, sicherlich nicht schließen
würde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe nun den Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf.
Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staats-
sekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Klaus Hof-
bauer von der CDU/CSU auf:
Bis wann wird das Abkommen zwischen der Regierung derBundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tschechi-schen Republik über die Zusammenarbeit der Polizeibehördenund der Grenzschutzbehörden in den Grenzgebieten unterzeich-net?
F
Herr Kollege Hofbauer, ich be-
antworte Ihre Frage wie folgt: Anläßlich des Treffens
von Herrn Bundesinnenminister Otto Schily am 3. Juni
1999 in Prag mit seinem Amtskollegen wurde verein-
bart, die Vertragsverhandlungen baldmöglichst wieder-
aufzunehmen. Der tschechischen Seite liegt ein von
deutscher Seite überarbeiteter Entwurf des deutsch-
tschechischen Abkommens über die polizeiliche Zu-
sammenarbeit in den Grenzgebieten vor. Die tschechi-
sche Seite hat zugesagt, nach eingehender Prüfung zu
einer Verhandlungsrunde einzuladen.
Herr Staatssekretär,
trifft es dann nicht zu, daß der Vertragsentwurf schon
wieder zurückgesandt worden ist und bei Ihnen in Ihrem
Hause liegt?
F
Das trifft nicht zu.
Zweite Frage: Was
werden Sie zur Beschleunigung dieses Verfahrens ma-
chen? Denn ich habe schon den Eindruck, daß dieser
Vertrag in dem praktischen Bemühen, die Kriminalität
zwischen dem ostbayrischen und dem tschechischen
Raum zu beschränken, von ganz entscheidender Bedeu-
tung ist.
F
Herr Kollege, daß dieser Vertrag
notwendig ist, ist völlig richtig; da stimmen wir überein.
Allerdings muß man auch wissen, daß einige der Verzö-
gerungen unsererseits produziert worden sind. Sie müs-
sen wissen, daß wir als neue Bundesregierung bei-
spielsweise etliche Verträge und Übereinkommen über-
nommen haben, die an bestimmten Stellen scheiterten,
was die Frage Datenschutzregelungen anbelangt. Da gab
es in der Vergangenheit immer heftige Kontroversen
zwischen Bundesjustizministerium und Bundesinnenmi-
nisterium. Das haben wir geregelt und gelöst.
Sie müssen allerdings wissen, daß der überarbeitete
Entwurf – den Sie übrigens gerne einmal einsehen kön-
nen, wenn Sie das wollen; ich habe ihn auch dabei – von
der tschechischen Seite geprüft werden muß. Man hat
gesagt, daß das eine gewisse Zeit dauert. Aber die Über-
arbeitung unsererseits hat natürlich auch für die tsche-
chische Seite einige Neuheiten gebracht, über die dort
intern abgestimmt werden muß.
Gibt es
weitere Fragen? – Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir nun zur Frage 22 des Kollegen
Hofbauer:
Welche Verbesserungen sind durch dieses Abkommen fürdie Arbeit der Polizei beider Staaten zu erwarten, insbesondereim Hinblick auf die grenzüberschreitende Kriminalität in denGrenzgebieten sowie bei der Verhütung und Bekämpfung vonStraftaten?
F
Mit dem vorgesehenen Abkom-men, Herr Kollege, sollen der Informationsaustauschverbessert und die gegenseitige Kommunikation intensi-viert werden, insbesondere durch die Zusammenarbeitbei Maßnahmen der Aus- und Fortbildung sowie bei derDurchführung gemeinsamer Arbeitstagungen und vonProgrammen zur Kriminalprävention. Die Koordinationund Durchführung polizeilicher Einsätze soll durch Er-stellung polizeilicher und grenzpolizeilicher Lagebilderund Einsatzpläne sowie durch neue Formen operativerZusammenarbeit verstärkt werden.Wolfgang Börnsen
Metadaten/Kopzeile:
4440 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
|Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: EineZusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
nur eine Zusatzfrage: Haben Sie einen Fahrplan, bis
wann dieser Vertrag abgeschlossen werden kann?
F
Da wir leider nicht Herr des
Verfahrens sind – wir sind natürlich auch auf den Ver-
tragspartner angewiesen –, kann ich Ihnen jetzt kein ge-
naues Datum nennen. Aber Sie können versichert sein,
daß die Bundesregierung ein großes Interesse daran hat,
den Abschluß dieses Vertrages auch auf Grund der Ih-
nen und mir bekannten Probleme in diesem Bereich zu
forcieren und zu versuchen, ihn in ähnlicher Form wie
mit Polen hinzubekommen. Denn da ist eine sehr positi-
ve Entwicklung zu verzeichnen, und das ist eigentlich
ein Stück Vorbild für diesen Bereich.
Frage 23
soll schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe jetzt Frage 24 des Kollegen Norbert Hauser
auf:
Besteht die Absicht, die Aufgaben des Bundesamtes für Zi-vilschutz mit dem heutigen Personalbestand an das Bundesver-waltungsamt zu überführen oder drückt der Artikel 33 Absatz 1i.V.m. Artikel 33 Absatz 7 des Entwurfs der Bundesregierungzum Haushaltssanierungsgesetz mitseinen unterschiedlichen Zeitpunkten des Inkrafttretens von Ar-tikel 2 (Auflösung des Bundesamtes für Zivilschutz zum 1. Ja-nuar 2001) und Artikel 3 (Zuweisung der Verwaltungsaufgabendes Bundes nach dem Zivilschutzgesetz zum Bundesverwal-tungsamt bereits zum 1. Januar 2000) aus, daß die Bundesregie-rung die Aufgabenübertragung mit wesentlich reduziertem Per-sonalbestand vornehmen will, so daß mindestens ein Jahr eineBehörde mit Personal aber ohne Aufgaben fortbesteht?
F
Herr Präsident, wenn Sie mir ge-
statten, möchte ich gerne die Fragen 24 und 25 vom
Kollegen Hauser gemeinsam beantworten.
Bitte,
Herr Körper, das ist sicher möglich. – Dann rufe ich
auch die Frage 25 auf:
Welche organisatorische und personelle Konzeption bestehtfür die neu zugewiesenen Zivilschutzaufgaben, und wie vielePlanstellen sollen im Bundesverwaltungsamt hierfür zusätzlicheingerichtet werden?
F
Über die im Zusammenhang mit
der Schließung des Bundesamtes für Zivilschutz und der
Übertragung der Aufgaben gemäß § 4 des Zivilschutz-
gesetzes auf das Bundesverwaltungsamt anstehenden
organisatorischen und personalwirtschaftlichen Fragen
wird im Zuge der Umsetzung entschieden. Hierzu wird
derzeit eine Aufgabenevaluierung durchgeführt. Ab-
schließende Ergebnisse liegen noch nicht vor.
Da eine Übertragung der Verwaltungszuständigkeit
des Bundes vom Bundesamt für Zivilschutz auf das
Bundesverwaltungsamt zu dem Zeitpunkt erforderlich
ist, an dem das Bundesamt für Zivilschutz aufgelöst
wird, sollen auch Art. 2 und 3 des Haushaltssanierungs-
gesetzes am 1. Januar 2001 in Kraft treten. Eine entspre-
chende Anpassung des Regierungsentwurfs ist vorgese-
hen.
Eine Zu-
satzfrage, Herr Kollege Hauser, bitte schön.
Selbst wenn
Si
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gibt es zumindest erste Vorstellungen dar-
über, wie viele Abteilungen und Referate im Bundes-
verwaltungsamt, das jetzt diese Aufgaben übernehmen
soll, neu eingerichtet werden und wieviel Personal durch
die Auflösung und die Eingliederung in das Bundesver-
waltungsamt betroffen ist?
F
Zu den Personalzahlen kann
derzeit nichts Konkretes gesagt werden, weil wir voll in
der Planungsphase sind. Aber, Herr Kollege Hauser, Sie
werden mit Sicherheit mit mir darin übereinstimmen,
daß bei einem solchen Vorgang zunächst einmal Aufga-
benkritik notwendig ist, das heißt: Welche Aufgaben
sollen auch zukünftig weiter bearbeitet werden, und
welche Organisationseinheiten braucht man dafür? Der-
zeit beschäftigt sich eine Gruppe mit der Aufgabenkritik
dieses Bereiches, und auf Grund dieser Ergebnisse wer-
den die entsprechenden organisatorischen und personel-
len Entscheidungen getroffen. Wir gehen davon aus, daß
sie eine Eingliederung in das Bundesverwaltungsamt
bringen werden.
Eine
weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Können wir
davon ausgehen, daß im Zusammenhang mit diesen
Überlegungen bereits die notwendigen Voraussetzungen
für eine Qualifizierung dieser dann mit sachfremden
Aufgaben betrauten Mitarbeiter im Bundesverwaltungs-
amt geschaffen wurden bzw. die entsprechenden Vorbe-
reitungen getroffen werden, damit das Fachwissen, das
in der aufzulösenden Behörde vorhanden ist, rechtzeitig
im Bundesverwaltungsamt anzutreffen ist?
F
Wir werden uns mit Sicherheit
des Fachwissens der betroffenen Beschäftigten bedie-
nen. Ich gehe davon aus, daß dem dort Rechnung getra-
gen wird, wo Fort- und Ausbildung zur Übernahme
einer neuen Aufgabe im Zuge der Umorganisation not-
wendig sind.
Herr Staatsse-kretär, ist das Bundesverwaltungsamt mit dem Tag der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4441
(C)
(D)
|Übernahme der Zivilschutzaufgaben – weil Sie ebenvon Art. 33 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 des Haus-haltssanierungsgesetzes sprachen, gehe ich davon aus,daß es sich jetzt nicht mehr um das Jahr 2000 mit denunterschiedlichen Terminen, sondern insgesamt um2001 handelt – auf die Zusammenarbeit mit der Bun-deswehr vorbereitet? Ich beziehe mich insbesondere aufdie Aspekte der Sicherheit und dort vor allen Dingen aufdie bis dato gesetzlich unterschiedlich geregelten Ge-heimhaltungsfragen. Die Bundeswehr unterhält an dreiNATO-Befehlsständen Verbindungsstellen, deren Mit-arbeiter hinsichtlich dieser Geheimhaltungsvorausset-zungen gemäß der heutigen gesetzlichen Regelungenkeine Entsprechung im Bundesverwaltungsamt hätten.Daß heißt, den Sicherheitsaspekten könnte nach denheutigen gesetzlichen Regelungen im Bundesverwal-tungsamt nicht Rechnung getragen werden. Damit wür-den die Informationen, die den Mitarbeitern bei derNATO bisher zur Verfügung stehen, entfallen.F
Ich gehe davon aus, daß dies
dann, wenn sich noch gesetzlicher Änderungsbedarf er-
geben würde – ich formuliere jetzt bewußt im Konjunk-
tiv –, erfolgt. Das zeigt das Beispiel, das Sie eben ge-
nannt haben.
Nun
kommen wir zu der Frage 26 des Kollegen Norbert
Röttgen:
Welche Behörden sollen die übrigen Aufgaben des Bundes-amtes für Zivilschutz übernehmen , wenn das Bundesamt für Zivilschutz – wie von derBundesregierung geplant – aufgelöst und die Aufgaben nachdem Zivilschutzgesetz dem Bundesverwaltungsamt zugewiesenwerden?
F
Nach einer Organisationsüber-
prüfung im Rahmen der Haushaltskonsolidierungsmaß-
nahmen wird eine eigenständige Bundesbehörde für die
Wahrnehmung der dem Bund obliegenden Zivilschutz-
aufgaben nicht mehr für erforderlich gehalten. Nach
derzeitigem Planungsstand werden die Aufgaben des
Bundesamtes für Zivilschutz gemäß § 4 des Zivilschutz-
gesetzes dem Bundesverwaltungsamt zugewiesen. Eine
entsprechende Gesetzesänderung steht im Rahmen des
Haushaltssanierungsgesetzes an.
Derzeit wird eine umfassende Evaluation aller Auf-
gaben des BZS und eine Neuorganisation der Aufga-
benwahrnehmung vorgenommen. Danach soll ein Ge-
samtkonzept erstellt werden, das mit den Ländern – das
ist wichtig – und den Hilfsorganisationen erörtert wer-
den soll. Da zum jetzigen Zeitpunkt alle Umsetzungs-
maßnahmen im Prüfungsstadium sind, können keine
konkreteren Ausführungen gemacht werden.
Eine Zu-
satzfrage.
Die Tatsache, daß
Sie die Behörde auflösen wollen, steht fest. Jetzt kün-
digen Sie an, wie Sie das machen wollen. Welche Auf-
gaben wahrgenommen werden sollen, überlegen Sie
sich anschließend. Vielleicht wäre die umgekehrte
Reihenfolge sinnvoller, daß man zunächst die Konzep-
tion macht und dann zu den Ergebnissen kommt. Sie
haben sich aber für den umgekehrten Weg entschieden
und mit der Ankündigung der Auflösung der Behörde
große Verunsicherung ausgelöst. Insofern ist es sicher-
lich für die betroffene Region und für die betroffenen
Arbeitnehmer – es sind einige hundert – von Interesse,
zu erfahren, wann sie mit dieser Konzeption rechnen
können.
F
Ich habe gesagt, daß wir derzeit
bei diesen Überlegungen sind. Ich glaube, daß dieser
Vorgang kein Vorgang ist, der irgendwelche Unruhe
verursacht; denn die betroffenen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter brauchen nichts zu befürchten. Wie Sie wis-
sen, gehen die Planungen davon aus, daß die Arbeits-
plätze in der Region bleiben.
Wir
kommen zur Frage 27 des Abgeordneten Röttgen, die
gleichzeitig die letzte Frage der Fragestunde ist:
Welche Wirtschaftlichkeitserwägungen liegen der geplantenAuflösung des Bundesamtes für den Zivilschutz unter Berück-sichtigung des Umstandes zugrunde, daß alle Aufgaben auchweiterhin erfüllt und nur auf unterschiedliche Behörden verteiltwerden sollen?
F
Herr Kollege Röttgen,
durch die Übertragung der Kompetenzen des BZS auf
das Bundesverwaltungsamt können nach unserer Mei-
nung Rationalisierungs- und Synergieeffekte erzielt
werden.
Eine Zu-
satzfrage.
Ich will nur eine kur-ze Bemerkung machen. Die Frage stellt sich so dar: Siewissen gar nicht, welche Aufgaben in Zukunft wahrge-nommen werden sollen. Das haben Sie gerade ausge-führt. Sie wissen auch nicht, durch welche Behörde, inwelcher Form, welche Bereiche wegfallen, welche zen-tralisiert werden sollen, aber Sie kennen schon das Er-gebnis, daß nämlich dadurch Rationalisierungs- undSynergieeffekte eintreten werden. Ich glaube, das paßtnicht zusammen. Sie nennen bereits alle positiven Ef-fekte, wissen aber noch nicht – das haben Sie hier aucherklärt –, wie es verwirklicht werden soll, daß diese ein-treten.Ich glaube, der Sachverhalt ist folgender: Sie wollendie Behörde auflösen, und alles andere ist im ungewis-sen.Norbert Hauser
Metadaten/Kopzeile:
4442 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
|Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beimBundesminister des Innern: Wir gehen von der Aufga-benkritik aus. Ich habe Ihnen gesagt, daß die Überle-gungen darüber, welche Aufgaben zukünftig noch erle-digt werden müssen und welche mehr oder weniger ob-solet sind, derzeit im Gange sind. Ich gehe davon aus,daß durch die Veränderung in der Organisation auchSynergieeffekte eintreten. Es gibt in jeder Behörde einenbestimmten zentralen Bereich, in dem Sie diese Effektedurch Umorganisation erzielen können. Insofern ist esschlüssig und gut, was wir an dieser Stelle tun.
Gibt es
eine weitere Zusatzfrage? – Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende
der Fragestunde.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen
von Bundesminister Hans Eichel, die künftige
Förderung der neuen Bundesländer mit deren Zu-
stimmung zum „Sparpaket“ der Bundesregierung
zu verbinden
Die Aktuelle Stunde wurde von der Fraktion der PDS
beantragt.
Als erster Redner ist der Kollege Gerhard Jüttemann,
PDS, gemeldet.
Herr Präsident! Sehrverehrte Damen und Herren! BundesfinanzministerHans Eichel hat in einem Zeitungsinterview die Fortfüh-rung des Solidarpaktes zur Ostförderung über das Jahr2004 hinaus von der Zustimmung zum sogenanntenSparpaket im Bundesrat abhängig gemacht. Solche Er-pressungsversuche sind nicht neu. Vor der letzten Bun-destagswahl hatte der Berliner CDU-Fraktionsvor-sitzende Landowsky hinsichtlich der hohen Stimmen-anteile der PDS im Ostteil der Stadt davor gewarnt, diematerielle Solidarität der Westdeutschen überzustrapa-zieren. Anfang dieses Jahres forderte der bayerischeCSU-Staatsminister Huber, Aufbau-Ost-Gelder wegenpartieller Zusammenarbeit von SPD und PDS zu sper-ren.Neu an derlei grundgesetzwidrigem Geschwätz ist,daß es nun direkt aus höchsten Regierungskreisenkommt. Vor einem Jahr klang alles noch anders. DieVollendung der inneren Einheit Deutschlands habe fürdie SPD höchste Priorität,
tönte es im Wahlprogramm der vergangenen Bundes-tagswahl. Von einem Sparprogramm auf dem Rückender Schwächsten der Gesellschaft, das die gleichnami-gen Streichorgien der Kohl-Regierung weit in denSchatten stellen wird, war dort allerdings nichts zu le-sen.Wäre das Ganze nur dilettantische Parteipolitik,könnte man zur Tagesordnung übergehen. Schließlich istes Sache der SPD, wenn sie sich, wie die Wahlergebnis-se des vergangenen Sonntags zeigen, sozusagen selberabschafft. Aber es ist eben mehr als Parteipolitik, es istRegierungspolitik. Deswegen muß das, was die SPD mitihrer als Sparpaket deklarierten Katastrophenpolitik be-treibt, klar als das benannt werden, was es ist, nämlichWahlbetrug. Die SPD hat die Bundestagswahl mit La-fontaines Vision von mehr Gerechtigkeit gewonnen.Was aber die kleinen Leute jetzt bekommen, ist nochmehr Ungerechtigkeit.Das SPD-Sparpaket soll angeblich die Staatsfinanzenkonsolidieren. Die Höhe der Staatsschulden liegt derzeitbei 2 500 Milliarden DM. Eingespart werden sollen jetzt30 Milliarden DM. 30 von 2 500 Milliarden DM – mitKonsolidierung – das sieht jedes Schulkind – kann dasschon wegen der lächerlichen Höhe des Sparvolumensim Vergleich zu den ohnehin nicht mehr zurückzahlba-ren Gesamtschulden nichts zu tun haben.In seiner Wirkung ist das Sparpaket allerdings leiderüberhaupt nicht mehr lächerlich, besonders für jenenicht, die es zu bezahlen haben. Das sind fast zur HälfteArbeitslose und Rentner. Das ist der größte sozialpoliti-sche Skandal in der Geschichte der Bundesrepublik. EinZeitungskommentator hatte zum erwarteten Sieg derSPD bei der Bundestagswahl 1998 geschrieben, mitKohl und Blüm ende die sozialdemokratische Ära inDeutschland.
Diese Idee scheint die SPD so begeistert zu haben, daßsie unentwegt darüber nachdenkt, wie sie sie am schnell-sten umsetzen kann.Das führt zu der Frage, was diese Regierung eigent-lich wirklich mit dem Sparpaket finanzieren will. Denteuren Krieg, den sie sich gegen Jugoslawien geleistethat? Die deutsche Vereinigung? Die Fortsetzung der gi-gantischen gesellschaftlichen Umverteilung von untennach oben? Die Fragen sind die Antworten, wobei indiesem Zusammenhang ebenfalls auf den Tisch muß,daß die Transferzahlungen für Ostdeutschland zu einembeträchtlichen Teil Profitsubventionen für Unternehmersind.Die Wachstumsraten verlangsamen sich dagegen undfallen wieder hinter die westdeutschen Werte zurück.Die Kapitalausstattung in ostdeutschen Betrieben sta-gniert, die Mittel für Forschung und Entwicklung sindviel zu niedrig, die Löhne stagnieren bei 70 bis 80 Pro-zent, die Arbeitslosenquote liegt bei verheerenden 17,6Prozent, Tendenz steigend. Dennoch kürzen Sie inIhrem Sparpaket auch noch diverse Zuschüsse für Ost-deutschland, ganz davon zu schweigen, daß ostdeutscheRentner und Arbeitslose doppelt belastet werden, weilihre nach dem Willen der Regierung sinkenden Ein-künfte ohnehin schon deutlich unter denen der West-deutschen liegen.Würde der Erpressungsversuch des Bundesfinanzmi-nisters umgesetzt, hätte das katastrophale Folgen nichtnur für Ostdeutschland, das für sehr lange Zeit von der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4443
(C)
(D)
|Entwicklung in Westdeutschland abgekoppelt würde.Um das zu verhindern, sind erstens eine spürbare Erhö-hung der Transfers – versehen mit einer solchen Len-kungswirkung, daß im Osten selbsttragende Wirtschafts-strukturen entstehen – und zweitens die unbedingte Ab-lehnung des Sparpaketes erforderlich, das diesem Zieldirekt zuwiderläuft.Ich danke vielmals für die Aufmerksamkeit.
Als
nächster Redner hat der Herr Parlamentarische Staatsse-
kretär Karl Diller das Wort.
K
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-men und Herren! Solide Staatsfinanzen sind eine unver-zichtbare Grundlage für Wachstum, Beschäftigung undStabilität. Die Staatsverschuldung, die diese Koalitionvon der alten Regierung Kohl übernommen hat, ist un-glaublich.
Fast ein Viertel der Steuereinnahmen des Bundes müs-sen wir ausgeben, nur um Zinsen für Schulden zu be-zahlen, die in ihrer Regierungszeit entstanden sind.
1982 und übrigens auch 1990 genügte noch jede achteMark, die der Bund von den Steuerzahlern bekommenhat, zum Bezahlen von Zinsen.Mit dem Zukunftsprogramm 2000 leiten wir diegrundlegende Sanierung des Bundeshaushaltes ein. DieSparmaßnahmen sind notwendig, um mit der unsolidenund unsozialen Schuldenpolitik der Vorgängerregierungzu brechen,
aber auch, um den finanziellen Spielraum zu gewinnen,um für Familien, für Arbeitnehmer und für die Unter-nehmen die Steuern senken zu können. Wir haben un-ser Sparziel von 30 Milliarden DM im Bundeshaushalt2000 und von 50 Milliarden DM für das Jahr 2003 er-reicht.
Um die Zukunftsprobleme unseres Landes zu lösen,belassen wir es aber nicht beim Sparen. Trotz des strik-ten Sparkurses haben wir die notwendigen strukturellenReformen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritteingeleitet. Nicht das Sparpaket ist unsozial, sondern dievon CDU/CSU und FDP zu verantwortende extrem hoheVerschuldung des Bundes.
Sie führte zu einer unsozialen Umverteilung von untennach oben.
Deshalb ist die Rückführung der Verschuldung auch einGebot der sozialen Gerechtigkeit.
Trotz dieses Sparkurses gilt: Der Aufbau Ost hat füruns höchste Priorität,
ja mit unserem Zukunftsprogramm schaffen wir erst dieVoraussetzungen dafür, den Aufbau Ost auf hohemNiveau fortführen zu können. Deshalb gilt: Die Bundes-regierung steht zum Solidarpakt für die neuen Bundes-länder.
Die im Rahmen des Föderalen Konsolidierungspro-gramms beschlossene überproportionale Finanzausstat-tung der neuen Länder bleibt vom Sparpaket unberührt.Wir führen die Bundessonderergänzungszuweisungen andie neuen Länder in Höhe von 14 000 Millionen jährlichunverändert fort.
Wir leisten die Hilfen im Rahmen des Investitionsförde-rungsgesetzes Aufbau Ost von 6 600 Millionen DM proJahr unverändert weiter.Einsparungen bei ostspezifischen Programmen set-zen, soweit sie nicht nur eine Anpassung an den bisheri-gen Mittelabfluß darstellen, im wesentlichen dort an, woes entweder gelungen ist, zukünftig verstärkt Rückflüsseder Europäischen Union zu sichern, oder wo Effizienz-steigerungen zurückgehende Ansätze ermöglichen. Bei-spielhaft nenne ich die Bundesanstalt für vereinigungs-bedingte Sonderaufgaben: Sie kann ihre Aufgaben inden nächsten Jahren wie geplant fortführen.
Wie in den letzten Jahren auch benötigt die BvS im Jah-re 2000 keine Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt.Bei der Sanierung der ostdeutschen Braunkohlegebietekönnen trotz Einsparungen die vorgesehenen Sanie-rungsarbeiten auf Grund von Kostensenkungen wie ver-einbart – ich unterstreiche: wie vereinbart – durchge-führt werden.Im übrigen werden auch die Haushalte der neuenBundesländer durch das Sparpaket entlastet. Zwar profi-tieren die neuen Länder wegen ihres geringen Beam-tenanteils bei den Personalkosten weniger als die altenLänder von der Begrenzung des Besoldungs- und Pen-sionszuwachses, den wir beabsichtigen. Sie werden je-doch entsprechend stärker entlastet durch den vor-Gerhard Jüttemann
Metadaten/Kopzeile:
4444 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
ge|sehenen Rückgang bei den Beiträgen zur Rentenver-sicherung für ihre Angestellten und Arbeiter. Bei dennotwendigen Anpassungen im Sozialbereich werden dieBürgerinnen und Bürger in Ost und West gleich behan-delt. Die Abschichtungen dürften die neuen Länder undGemeinden sogar weniger berühren als die alten Länder,da beispielsweise die Ausgaben für pauschaliertesWohngeld in den neuen Ländern einen geringeren finan-ziellen Umfang haben.Für die neuen Länder ist die von dieser Bundesregie-rung betriebene Verstetigung der Arbeitsmarktpolitikvon besonderer Bedeutung. Dies gilt auch für die Be-kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Von den 2 000Millionen DM, die wir in diesem und im nächsten Jahrfür dieses Sonderprogramm ausgeben wollen, kommtfast die Hälfte den neuen Bundesländern zugute. Damitwird die Sozialhilfe in den neuen Ländern spürbar entla-stet.
Der Erfolg des Zukunftsprogramms liegt also im Inter-esse der Länder und Gemeinden Ostdeutschlands;
denn die Konsolidierung des Bundeshaushaltes ist dieVoraussetzung dafür, daß der Bund wieder den notwen-digen finanziellen Spielraum gewinnt, um seinen Auf-gaben auch künftig nachzukommen.Die Bundesregierung steht voll zum Solidarpakt undbekennt sich zur bundesstaatlichen Solidarität. Wir wer-den dies bei der Anschlußregelung für den Solidarpaktunter Beweis stellen.Ich bedanke mich.
Als
nächster Redner hat der Kollege Manfred Grund von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen undKollegen! Anlaß dieser Aktuellen Stunde sind Äußerungendes Bundesfinanzministers Eichel und nicht des Staatsse-kretärs Diller. Insofern wäre zu erwarten gewesen, daß sichder Bundesfinanzminister heute dem Parlament stellt undAuskunft gibt.
Herr Kollege Diller, Sie haben auch nicht gesagt, woder Bundesfinanzminister heute ist. Ich halte es ein biß-chen für Feigheit, sich dem Parlament nicht zu stellen.
Es geht darum, daß der Minister Eichel es von derZustimmung der neuen Bundesländer zum sogenanntenSparpaket abhängig gemacht hat, ob der Bund bereit ist,den Solidarpakt mit den neuen Bundesländern über dasJahr 2004 hinaus zu verlängern. Die Reaktionen in denneuen Bundesländern reichten von „ziemlich schreck-lich“ über „unglückliche Äußerung“ bis hin zu „räuberi-sche Erpressung“. Als ehemaliger Ministerpräsidentmüßte Bundesfinanzminister Eichel eigentlich wissen,daß ein Ministerpräsident auf die Interessen seines Frei-staates oder seines Bundeslandes vereidigt ist und dieseInteressen zur Not auch gegen den Bund durchzusetzenhat.
Der Bundesfinanzminister erwartet von den neuenBundesländern Zustimmung zu folgenden Einsparungendes Sparpaketes: Kürzung von 915 Millionen DM beider Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderauf-gaben – selbst Ministerpräsident Stolpe hat die größtenProbleme mit diesen Kürzungen –, 800 Millionen DMweniger für Strukturanpassungsmaßnahmen Ost, 500Millionen DM weniger für sonstige Förderprogrammewie das Eigenkapitalhilfeprogramm, 300 Millionen DMweniger für Verkehrsinfrastruktur und unter anderem109 Millionen DM weniger für Investitionen in Pflege-einrichtungen der neuen Bundesländer, die nach Art. 52des Pflege-Versicherungsgesetzes festgeschrieben sind.
Diese Zustimmung kann man ernsthaft von einem Mi-nisterpräsidenten, auch nicht von einem Ministerpräsi-denten der neuen Bundesländer, erwarten.Für den Freistaat Thüringen würde das folgendes be-deuten. Ministerpräsident Dr. Vogel müßte darauf ver-zichten, daß die ICE-Strecke von Nürnberg nach Erfurtweitergebaut würde. Das bedeutete, Thüringen würdenicht zu einer internationalen und einer nationalen Ver-kehrsdrehscheibe. 1 Milliarde DM Investitionen wärenin den Sand gesetzt, und 8 Milliarden DM Bauinvesti-tionen würden in Thüringen in Zukunft nicht mehr getä-tigt.Ich wollte den Bundesfinanzminister fragen, was erdagegen hat, daß die Landeshauptstadt von Thüringen,Erfurt, zu einer Verkehrsdrehscheibe aufgewertet wird,so wie es seine Heimatstadt Kassel bereits ist. Ich wollteihn fragen – Kollege Diller, vielleicht richten Sie ihmdiese Frage aus –, warum ausgerechnet bei den Ver-kehrsprojekten in den neuen Bundesländern gespartwird.
Es ist nicht bekannt, daß der Bau der ICE-Trasse zwi-schen Frankfurt und Köln verschoben wird oder dieMittel dafür gekürzt oder eingespart werden sollen.
Des weiteren wird das Sparpaket, da es ja als einEntwurf in den Bundesrat eingebracht wird, mit denKürzungen, mit den willkürlichen Eingriffen in dieRentenversicherung verknüpft.
Parl. Staatssekretär Karl Diller
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4445
(C)
(D)
|Das bedeutet, daß in den nächsten beiden Jahren 2000und 2001 die Rentensteigerungen nur entsprechend demInflationsausgleich gewährt werden.
Das heißt, ab dem Jahr 2001 fehlen jedem Rentner inden neuen Bundesländern monatlich 95 DM. Das istüber das Jahr gerechnet eine Monatsrente, die fehlt, undbei einer Rentenlaufzeit von 15 Jahren sind es knapp15 000 DM.
– Herr Kollege Weißgerber, ich sage gleich noch etwaszu Ihnen.So haben wir uns den Aufbau Ost und die Anglei-chung der Lebensbedingungen Ost an West nicht vorge-stellt.
Die Nettolöhne in den neuen Bundesländern werdensich den Nettolöhnen in den alten Bundesländern anglei-chen. Die aktuelle Rentnergeneration in den neuen Bun-desländern wird nie die Westrente erhalten. Sie schaffendamit Rentner erster und zweiter Klasse.
Dem kann guten Gewissens kein Ministerpräsident inden neuen Bundesländern zustimmen, auch nicht Dr.Vogel aus dem Freistaat Thüringen.Ich gehe davon aus, daß im Bundesrat das Paket aus-einandergeschnürt werden wird, daß sehr differenziertüber die einzelnen Bestandteile gesprochen werdenwird. Ich gehe weiter davon aus, daß die Ministerpräsi-denten der neuen Bundesländer, insbesondere diejenigender CDU-geführten Regierungen, Garant sein werden,daß diese Kürzungsorgien in den neuen Bundesländernnicht durchschlagen.Ich muß davon ausgehen, weil ich nicht der Annahmebin, daß die Kolleginnen und Kollegen der SPD aus denneuen Bundesländern dies tun werden, obwohl sie sichin einer Ausgabe der „Leipziger Volkszeitung“ selbstzur „Einsatzgruppe für den Osten“ erklärt haben. HerrKollege Weißgerber, ich halte schon diese Bezeichnungfür eine geschichtliche Unsensibilität. Sie haben gesagt,Sie wollten Ihre Muskeln spielen lassen, wenn es umOstanliegen geht. Es geht hier um Ostanliegen. Wir sindgespannt, wie Sie Ihre Muskeln spielen lassen werden.Herzlichen Dank.
Alsnächster Redner hat der Kollege Werner Schulz vomBündnis 90/Die Grünen das Wort.Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Wenn wir hier über das Sparen sprechen, hätte icheigentlich die größte Lust, darüber zu reden, daß wir unseigentlich diese Aktuelle Stunde hätten sparen können.
Sie ist gar nicht aktuell. Morgen haben wir das Themaauf der Tagesordnung; dann können wir ausgiebig überdie Probleme reden, die hier nur verzerrt werden, zumTeil durch falsche Behauptungen.
Sie ist auch deswegen nicht mehr aktuell, weil der Bun-desfinanzminister sofort jegliche Zweifel hinsichtlichder Bedeutung seiner – durchaus unglücklichen – Äuße-rung ausgeräumt hat.
In der Sache hat er doch vollkommen recht.Kollege Grund, ich habe bei Ihnen überhaupt keineGründe gehört, die gegen das Sparen sprechen würden.Ich habe aber nicht gehört, wie Sie sparen wollen.
Denn wir sind ja in einer außerordentlich bedrückendenSituation, die nicht durch diesen Bundesfinanzministerausgelöst worden ist.
– Günter Nooke, nicht der Bundesfinanzminister schaffthier eine Druck- oder Erpressungssituation. Vielmehrbesteht ein Sachzwang, der mit acht Jahren Regierungder christlich-liberalen Koalition zu tun hat, mit einerdeutschen Einheit, die auf Pump, durch Schulden finan-ziert worden ist. Wir haben einen gigantischen Schul-denberg abzutragen.
Normalerweise hätte der Bund in die Schuldnerberatunggemußt!Was würde die Finanzlage des Bundes für eine Fami-lie bedeuten? Führen wir uns das einmal vor Augen: Bei45 000 DM Jahreseinkommen und 150 000 DM Ver-schuldung – das sind die Proportionen wie beim Bund –hätte sie pro Jahr 9 000 DM für Schuldendienst zu zah-len. Bei 23 000 DM Fixkosten, die für Miete, Energieund dergleichen draufgehen, bleiben 12 000 DM für denLebensunterhalt übrig, obwohl vielleicht 16 000 DMgebraucht werden. Also muß man wieder 4 000 DMSchulden machen und kommt aus diesem Kreislauf nieheraus. Ein Finanzminister, der aus diesem Schulden-kreislauf ausbrechen will, der Spielräume für den Auf-bau Ost eröffnen will, wird von Ihnen angegriffen, alswäre daran etwas ganz besonders Aktuelles oder Bri-santes.
Manfred Grund
Metadaten/Kopzeile:
4446 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
|Ich stelle hier fest, daß Sie uns in diese Situation ge-bracht haben.
Es ist ausgesprochen billig, hier eine von der PDS ver-langte Aktuelle Stunde auf diese Weise zu nutzen. Dabeiist die PDS im Grunde genommen die zweite Hauptur-sache für diese Misere.
An dieser Stelle können Sie ruhig einmal applaudieren.
– Das ist nicht immer nur mit Fröhlichkeit verbunden.Das ist eine ziemlich harte Angelegenheit; das ist eineziemlich unbequeme Sache, die wir jetzt vorhaben. Aberwir lassen uns davon nicht abbringen.Sie wollen ja keine Blockadepolitik machen, wie ichgehört habe.
Wenn Sie wesentlich bessere Vorschläge haben, könnenSie diese im Bundesrat einbringen.
Sie geben sich die größte Mühe, dort Verantwortung mitzu übernehmen – zwar spät, aber immerhin. Ich freuemich darauf und bin auf Ihre Vorschläge echt gespannt.– Sie winken ab. So haben Sie es früher schon gemacht.Aber damit ist es nicht getan.Der Bundesfinanzminister gibt sich die größte Mühe,mit diesem Konsolidierungsprogramm, mit diesem Zu-kunftsprogramm,
finanzielle Spielräume zu erkämpfen, die wir für denAufbau Ost brauchen. Das hat er deutlich gemacht: Esliegt im Interesse der neuen Bundesländer, diesem Spar-paket zuzustimmen.Wer Vorschläge hat, wie man besser und mehr ein-sparen kann, der möge sie auf den Tisch legen. Die PDShat wunderbare Vorschläge.
– Herr Jüttemann, Sie applaudieren. Aber ich kenneauch das Papier aus dem Liebknecht-Haus, in dem manfeststellt, daß diese Vorschläge völlig unrealistisch undüberhaupt nicht bezahlbar sind. Sie schlafen immer nochim siebten sozialistischen Himmel, glaube ich.Nein, so kommen wir nicht weiter. Wie gesagt: Indieser Aktuellen Stunde gibt es vielleicht einen ganz in-teressanten Schlagabtausch, aber keine Lösung. Ichfreue mich auf die morgige Diskussion. Ich freue michauf Ihre Vorschläge; ich bin sehr gespannt.
Als
nächster Redner hat der Kollege Jürgen Türk von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrter Herr Präsident! Um es klar zu sa-gen: Die F.D.P. ist auch in der Opposition nicht gegendas Sparen. Das ist und bleibt vielmehr das Gebot derStunde, damit die öffentliche Hand nicht durch Tilgun-gen und Zinsen aufgefressen wird. Da sind wir uns ei-nig.Richtig ist zweifellos, daß durch die hohe Schulden-last die Grundlagen für den Aufbau Ost in Mitleiden-schaft gezogen werden. So aber, wie sich der Bundesfi-nanzminister das Sparen vorstellt, geht es natürlichnicht.
– Das sage ich Ihnen.Erstens muß klargestellt werden, daß im Vergleichzum Haushalt 1999 nicht 30 Milliarden DM eingespartwerden, sondern lediglich 7,5 Milliarden DM. Hier istwieder einmal getürkt worden.
Genauso ist es übrigens beim Aufbau Ost. Dort sollteangeblich um fast 10 Milliarden DM aufgesattelt wer-den; unterm Strich sind aber letztlich minus 3 MilliardenDM herausgekommen.
Auch daß zum Beispiel die ICE-Strecke zwischen Nürn-berg und Erfurt nicht gebaut wird, ist einfach kontrapro-duktiv.
Dies ist ebenso unverständlich wie die Planung, dieVerkehrsinfrastrukturprojekte an der strukturschwachenöstlichen EU-Außengrenze zu stoppen. So kommen wirins Hängen.Zweitens ist es nicht seriös, wenn nicht wirklich ge-spart wird. Etwas anderes bringt uns gar nicht vorwärts.Das aber passiert: Derzeit ist der Bund dabei, seinen ei-genen Rucksack leichter zu machen und die Lasten denLändern und Gemeinden aufzubürden. Die Spargerech-tigkeit bleibt hier auf der Strecke.
Werner Schulz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4447
(C)
(D)
Drittens ist es schlichtweg Erpressung – man muß diesimmer wieder sagen, weil es wahr ist –, die Ostförde-rung nach 2004 von der Zustimmung der ostdeutschenLänder zum Sparpaket abhängig zu machen.
Dies hat er nun einmal gesagt. Deswegen muß er dasaushalten.
Die Alternative ist nicht, blind zu streichen und die La-sten von einer Ebene auf die andere Ebene zu verschie-ben. Die Alternative ist vielmehr, substantiell zu sparen.Das machen Sie nicht.
– Wir haben das in Ansätzen gemacht, Sie aber machenes nicht. – Das müßte aus meiner Sicht vor allem be-deuten, am Verschwendungspotential in Ost und Westzu sparen.
Ohne Frage gibt es in Deutschland Verschwendungen.Das machen alle Jahre wieder der Bund der Steuerzahlerund der Bundesrechnungshof klar. Leider wurden bis-lang noch keine Konsequenzen gezogen. Es nützt dochnichts, wenn dies immer wieder festgestellt wird, aberkeine Konsequenzen gezogen werden. Sie wollen dochimmer Beispiele hören: Zum Beispiel muß die Prognoseüber den Havel-Ausbau, das deutsche VerkehrsprojektNr. 17, noch einmal überprüft werden. Können wir andiesem Projekt einsparen? Und sollten diese eingespar-ten Mittel nicht gestrichen, sondern für ein sinnvollesVerkehrsprojekt genutzt werden? Das verstehe ich untereffizientem Mitteleinsatz.
Die Alternative zum jetzigen Aktionismus ist ein na-tionaler Sparpakt; das jedenfalls ist unser Vorschlag.Dies könnte gleichzeitig ein Einstieg in die bereits über-fällige Reform des Bund-Länder-Ausgleichs und derkommunalen Finanzverfassung sein. Es muß endlichaufhören, daß sich eine Ebene hinter der anderen Ebeneverstecken kann. Das ist die jetzige Praxis. Dies wurdenicht von Ihnen allein geschaffen – das ist schon langeso –, aber so kann es nicht weitergehen. Das wäre wirk-lich Sparen. Zu dem nationalen Sparpakt sollte der Bundesfinanz-minister die Länder, den Städte- und Gemeindetag, denBund der Steuerzahler und den Bundesrechnungshofeinladen; denn diese haben wirklich Erfahrung. Vonihnen kann man tatsächlich Sparvorschläge bekommen.Ziele sind die Konsolidierung der öffentliche Haushalteund Vorschläge zu wirklichen Einsparungen. Dies bleibtdie Pflicht der Verantwortlichen auf allen Ebenen. Die EU-Staaten haben es uns vorgemacht. Dort gab eseinen Stabilitätspakt, und die Haushalte wurden konsoli-diert. Dies ist wirklich ein Vorbild. Ich glaube, daß mandies auch endlich auf nationaler Ebene umsetzen muß,und zwar auf der Grundlage klarer Vorgaben. WeitereSparvorschläge können Sie von uns noch bekommen;wir haben eine ganze Liste. Wenn dies eingefordertwird, können Sie auch einige von den Bürgern bekom-men. Der Punkt, glaube ich, ist, daß man die Bürger hiereinbezieht. Warum schreiben Sie nicht einfach einenWettbewerb nach dem Motto „Wer hat die besten Spar-vorschläge?“ aus?
– Ich bin ganz sicher, daß die Bürger Ihnen aufschreibenwürden, an welchen Stellen verschwendet wird. Sie la-chen darüber. Das ist ein ganz ernst gemeinter Vor-schlag. Die Bürger zeigen uns die Stellen auf, an denen– fast hätte ich gesagt: Volkseigentum – eingespart wer-den kann.
Auf diese Art und Weise können Sie die Akzeptanzder Bürger für das Sparen erhöhen. Ich glaube, es istnotwendig, daß das so gemacht wird. Aber wir könnenauch weiterhin unter uns abgehoben diskutieren. Dannwird es mit dem Sparen wieder nichts. Dann bekommenwir diesen ganzen Laden nie in den Griff. Aber: keineErpressung, sondern ein nationaler Sparpakt!
Herr
Kollege Türk, kommen Sie bitte zum Schluß.
Damit bin ich am Schluß.
Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Gunter Weißgerber von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Türk, den Wettbewerbum die besten Einsparmöglichkeiten gibt es hier imParlament. Sie alle sind aufgerufen, Ihre Vorschläge miteinzubringen.
Die Formulierung des Themas der von der PDS bean-tragten Aktuellen Stunde ist, wie meistens von jenerSeite, ein gehöriges Stück realitätsfern.
Richtiger wäre es doch wohl – wenn überhaupt – gewe-sen, nach der Haltung der Bundesregierung bezüglichder veröffentlichten Verkürzung von Eichels Aussage zuJürgen Türk
Metadaten/Kopzeile:
4448 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
fragen. Denn zwischen dem, was der Finanzminister ge-sagt hat, und dem, was die berichtende Zunft vermurk-ste, klafft ein gewichtiger Unterschied. Und Sie wissen das.
Hans Eichel hat die ostdeutschen Länder keinesfalls un-ter Druck gesetzt. Er hat lediglich eine Binsenweisheitverkündet. Es muß doch uns allen klar sein: Bekommenwir die Sanierung des Bundeshaushalts nicht hin, dannwird irgendwann das Geld für alle verbraucht sein, unddas nicht nur für den Osten. Außer den Zinszahlungenfür Kohls Billionenschulden, für Mietzahlungen und fürPersonalvergütungen wird der Bundeshaushalt dannnichts mehr hergeben können. Das kann doch hier imHause niemand ernstlich wollen. Eichels Sanierung vonWaigels Schuldenhaushalt ist also auch im InteresseOstdeutschlands.
Die ostdeutschen Länder müssen im Interesse Ge-samtdeutschlands noch sehr lange gefördert werden. Da-zu stehen wir; das erwarten wir. Doch dies erforderteinen langen Atem. Kohls Hinterlassenschaft sind diederzeitigen Atembeschwerden. Unsere Aufgabe ist es,für Genesung zu sorgen. Deshalb brauchen wir das Zu-kunftsprogramm 2000 als Grundlage für die wirksameFortsetzung des Aufbaus Ost.
Bestandteile des Zukunftsprogramms sind die unge-kürzte Fortführung der Hilfen für den Aufbau Ost,
die unveränderte Fortführung des Solidarpaktes und diebleibende Jahresmarge in Höhe von 6,6 Milliarden DMim Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost. Auch wennSie das schon einmal gehört haben: Wiederholungensind immer gut; dann merkt man sich das besser.
Zu den angeblichen Kürzungen sei folgendes gesagt:Die noch von Waigel veranschlagten Zuschüsse in Höhevon 915 Millionen DM für die BvS werden nicht benö-tigt. Seit 1995 kommt die BvS ohne Zuschuß aus.
Das ist auch Ihnen bekannt. Die Sanierung im Braun-kohlebereich wird weiterhin unverändert mit 600 Mil-lionen DM sichergestellt. Auf Grund von Kostensen-kungen ist es jedoch möglich, die Ansätze für 2001 und2002 um jeweils 50 Millionen DM unter Beibehaltungder vereinbarten 12 000 Arbeitsplätze zu senken. Für dienach 2002 notwendigen Maßnahmen wird die Bundes-regierung die Anschlußfinanzierung sicherstellen. Die von Waigel vorgesehenen Zinszuschüsse fürERP-Kredite in Höhe von 400 Millionen DM sind nichterforderlich. Dieser Bereich kommt wie in diesem Jahrohne Zuschüsse aus. Der Aufbau Ost hat für uns höchste Priorität. Die vonder PDS beantragte Aktuelle Stunde ist eine der übli-chen Nebelkerzen, und der Rest der Opposition fällt dar-auf herein. Danke schön.
Als
nächster Redner hat der Kollege Dietrich Austermann
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Die Äußerung des Bundesfi-nanzministers zu dem Thema „Sparpaket und neue Bun-desländer“ war in doppelter Hinsicht unanständig.
Sie war unanständig, weil sie das Thema „Sparen undKonsolidieren“ zu einem Ost-West-Thema gemacht hat.
Kein Mensch kommt auf die Idee, zu sagen: Wenndies und das nicht der Fall ist, dann werden wir imKohlebereich kürzen. Kein Mensch kommt auf die Idee,zu sagen: Wir werden an anderer Stelle in anderen Bun-desländern Maßnahmen treffen, wenn das Wohlverhal-ten der jeweiligen Landesregierung nicht vorhanden ist.Wie wollen Sie denn darauf reagieren, daß Herr Clementheute gesagt hat, er stimme in einem bestimmten Punktnicht zu? Heißt das künftig: Wenn dieses oder jenesnicht hilft, werden wir die Kohlehilfe reduzieren? – Siekönnen jedes andere Thema nehmen, bei dem Subven-tionen Platz greifen. Zudem war die Aussage Eichels deshalb unanständig,weil Sie über den Druck, der erzeugt werden soll, einWohlverhalten bestimmter Länder herbeiführen, ja er-zwingen wollen.
Dafür gäbe es möglicherweise einen anderen Ausdruck.Ein Jurastudent hört im zweiten Semester in seinerStrafrechtsvorlesung, daß man unter bestimmten Vor-aussetzungen jemanden erpressen darf, nämlich dann,wenn der Zweck rechtmäßig und das Ergebnis positivist.
Herr Kollege Diller, das, was Sie hier machen, ist abernicht geeignet, das Problem zu lösen, nämlich die Situa-tion der Staatsfinanzen zu verbessern. Sie machen genaudas Gegenteil.Gunter Weißgerber
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4449
(C)
(D)
Ich greife einmal einen Punkt heraus. Das Ganze läuftunter der Überschrift „Sparprogramm“. Wir sagen mitRecht: sogenanntes Sparprogramm. Die Schulden desBundes wachsen in den nächsten vier Jahren um 220Milliarden DM. Sie sagen, Sie entlasten die Betriebe beiden Steuern. Die Steuern des Bundes steigen in dennächsten vier Jahren um 50 Milliarden DM. Ähnlichesgilt für jedes Datum – welches auch immer Sie wollen –aus dem sogenannten Sparpaket. „Sparpaket“ ist jaüberhaupt ein hübsches Bild. Nach den letzten Wahlenkann man sagen: Adressat verweigert die Annahme.
Bei der Wahl in Brandenburg und bei den Wahlen inanderen Bundesländern haben die Leute nämlich gesagt,daß sie das nicht haben wollen, und zwar deshalb, weiles offensichtlich nicht zu dem Ziel führt, das beabsich-tigt ist. Wir haben über Jahre hinweg Konsolidierungspolitikgemacht – auch gegen den Willen des BundeslandesHessen. Wir wurden mit dem Hinweis attackiert, wirwürden das Land „kaputtsparen“. Jetzt wollen Sie sotun, als hätten wir in Saus und Braus gelebt. Da schaueich doch einmal auf den Kollegen Schulz. Ich bewunde-re ja Ihre Biegsamkeit in der Argumentation: Vor einemJahr haben Sie sich noch hergestellt und festgestellt, woder Bund überall – auch in den neuen Bundesländern –zuwenig tut. Jetzt sagen Sie, das, was wir getan haben,wäre viel zu viel gewesen, und wollen sich gewisserma-ßen von der Gesamtschuldenlast des Staates abkoppeln.Dazu sage ich einmal etwas: Ich werde bei jeder Debat-te, die dazu geeignet ist, feststellen, wo die Schuldendieses Landes eigentlich herkommen und wer dazu wel-chen Beitrag geleistet hat.
– Der Overhaus? Na, lassen wir das lieber. Wir haben 350 Milliarden Schulden im Jahre 1982übernommen. Ich betrachte diesen Betrag im folgendeneinmal unverzinst. Wir haben mit steigenden Beträgenin den letzten Jahren Geld in die neuen Bundesländergeschafft. Zuletzt waren das netto 90 Milliarden DM imJahr. Sie fahren das zurück; die Leistungen in die neuenBundesländer gehen im nächsten Jahr – der KollegeKolbe wird dazu gleich etwas sagen – deutlich zurück.Wenn ich die Beträge für die zehn Jahre nach der Wie-dervereinigung – Reparatur der Sozialismusschäden –aufsummiere, so kommen 600 Milliarden DM zusam-men. Wollen Sie von dieser Belastung und von derPflicht, diese Belastung gemeinsam zu tragen, nichtswahrhaben und nichts übernehmen? Ist das eine Bela-stung von der CDU/CSU? Das ist doch eine Gesamtlast!Dafür haben wir unseren Beitrag geleistet: im Bundes-haushalt 600 Milliarden DM. Wie gesagt, 350 Milliar-den DM sind die Altlast von Helmut Schmidt, wobei ichdie Zinsen noch weglasse. Dann kommt das, was wir alsAufbau geleistet haben. Und schließlich kommt dasThema Fonds Deutsche Einheit, an dem die Bundeslän-der doch irgendwo beteiligt waren, und das Thema Erb-lastentilgungsfonds. Wir haben dazu gesagt, innerhalb einer Generationsollen bestimmte Dinge abgetragen werden. Wir habenGeld bereitgestellt, um sogar etwas zurückzuführen.Aber was haben Sie gemacht? Sie haben einen Teil desGeldes genutzt, um den Haushalt 1999 zu finanzieren,weil Sie diesen vorher aufgebläht haben. Schauen Siesich doch einmal die Situation an! Vergleichen Sie diemittelfristige Finanzplanung für die nächsten Jahre nachden Entwürfen von Waigel mit dem, was Sie vorlegen.Ich kann da nur sagen: Jeder, der sich weigert, das zuunterstützen, der tut eine im Staatssinne gute Arbeit,weil hier nicht gespart wird, sondern Schulden aufge-bläht werden und den neuen Bundesländern geschadetwird.
Herr
Austermann, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich kann das an
einer Fülle von Beispielen deutlich machen. Auf der ei-
nen Seite wird – damit will ich schließen – allgemein,
auch von Eichel, unterstrichen, daß die Gemeinschafts-
aufgabe der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruk-
tur eine wichtige Aufgabe ist und daß das Anreize für
neue Arbeitsplätze gibt. Wenn das denn so ist, dann ver-
stehe ich nicht, warum Sie die entsprechenden Mittel für
die neuen Bundesländer – und zwar nur dort – kürzen.
Das ist unsolidarisch, und deswegen – ich wiederhole
mich – war die Äußerung Eichels unanständig.
Als
nächster Redner hat der Kollege Oswald Metzger vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten habeich in Debatten um Zahlen so unredliche Argumentatio-nen gehört wie jetzt gerade von Ihnen, Herr KollegeAustermann.
Erster Gesichtspunkt: Gleich anschließend kommenwir zu einem Tagesordnungspunkt betreffend die Jahres-rechnung 1997. Soll ich Ihnen sagen, was damals imJahre 1997 Ihre Regierung unter Waigel schuldenfinan-ziert hat? – Nachtragshaushalt, Störung des gesamtwirt-schaftlichen Gleichgewichts, 78 Milliarden DM Netto-Neuverschuldung. Das lag deutlich über der Höhe derInvestitionsquote. Dies war verfassungswidrig und wur-de von der Wissenschaft kritisiert. Das alles behandelnwir beim nächsten Tagesordnungspunkt. Sie stellen sichnun hier hin und machen einer Regierung Vorwürfe, dieselbst im 99er Haushalt weniger Schulden macht, als inder alten Finanzplanung von Theo Waigel für diesesJahr enthalten waren. Ich würde mich schämen. DieDietrich Austermann
Metadaten/Kopzeile:
4450 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Unredlichkeit der Debatte geht mir über die Hutschnur.Bleiben Sie bitte bei den Fakten!
Zweiter Gesichtspunkt: Trotz Ihrer Wiederholungstimmt es nicht: Die Integration des Erblastentilgungs-fonds in den Bundeshaushalt 1999 hat diesen Haushaltnicht entlastet. Wissen Sie warum? Weil Sie noch imletzten Jahr für die Entwurfsplanung des Jahres 1999die Zuführung an den Erblastentilgungsfonds aus demBundeshaushalt so reduziert hatten, daß nicht einmal dienötigen Zinsaufwendungen gedeckt waren.
Deshalb hat der Bundeshaushalt im Jahre 1999 davonnicht profitiert. Ich habe das bereits dem Kollegen Merzin der Debatte um das Konsolidierungsprogramm im Ju-ni entgegnet. Die Aussage stimmt nicht.
Ein weiterer Gesichtspunkt: Es wurde hier schon wie-derholt festgestellt, daß es natürlich eine Binsenwahrheitist, daß ein Bundeshaushalt konsolidiert werden muß,der sich dermaßen in einer Notlagensituation befindet,der, was die Zins-Ausgaben-Quote und die Zins-Steuer-Quote anbelangt, mit Bremen und dem Saarland ver-gleichbar ist, Notlagenländern, die auf Grund einer Bun-desverfassungsgerichtsentscheidung Bundesergänzungs-zuweisungen bekommen. Wir machen mit dieser Kon-solidierung ernst. Sehen Sie sich eines an: Die gleichen Leute, die frü-her den demographischen Faktor verteidigen mußten,stellen sich jetzt auf die Marktplätze – schwarze Bewer-berinnen und Bewerber, Ihre Leute – und attackiereneine Regierung, die in der Rentenpolitik eine notwendi-ge Maßnahme angeht, um tatsächlich einen Konsolidie-rungsbeitrag dieser Altersgruppe herbeizuführen.
Wir sind so redlich, obwohl die Wahlen jetzt amSonntag natürlich auch Quittungen dafür darstellen, daßSparen in einer Gesellschaft polarisiert. Wir sind so kon-sequent zu sagen: Das ist jetzt notwendig. Wir erklärenes den Menschen, auch wenn es schwierig genug ist.
– Lafontaine hat im Bundeshaushalt dieses Jahres dieNetto-Neuverschuldung auch reduziert. Die Mär, daßnur 7,5 Milliarden DM gespart werden, kann ich genau-so wenig hören. Allein die Tatsache, daß Sie früher einegroße Ausgabenposition im Postbereich, nämlich diePensionen für die früheren Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter, als Schattenhaushalt geführt haben, wir aber diesePosition in den Bundeshaushalt integriert haben, hat dasVolumen dieses Jahres im Interesse von Haushaltsklar-heit und -wahrheit um rund 8 Milliarden DM aufgebläht. Allein bei der Vergleichsrechnung 1998/99 hat die vonIhnen herbeigeführte Mehrwertsteuererhöhung zum 1.April letzten Jahres, die im letzten Jahr nur für ein Drei-vierteljahr als Einnahme berechnet wurde, den Haushaltum rund 6 Milliarden DM für ein weiteres Vierteljahraufgebläht. Das verschweigen Sie. Sie machen praktischeine Verdummung der Bevölkerung, wenn Sie einfachZahlen nebeneinanderstellen und nicht akzeptieren, daßHaushalte nicht nur in den Nominalzahlen, sondern auchin ihrer Struktur verglichen werden müssen.
Deshalb ist die Aussage falsch, daß diese Regierungunter dem alten Finanzminister in diesem Jahr expansiveFiskalpolitik betrieben hat. Ich darf hier einmal den damaligen FinanzministerLafontaine von einer Seite zitieren, die hier im Hausvielleicht selten gesehen wird. Er hat damals erklärt: DerHaushalt 1999 dieser Regierung ist ein Übergangshaus-halt. Wir müssen konsolidieren, von der Verschuldungherunter. Er hat die Zahlen, die Zins-Ausgaben-Quoteund die Zins-Steuer-Quote, im März in der Parlaments-debatte offengelegt. Jetzt machen wir mit der Finanzplanung, die dieseRegierung vorlegt, mit dem Ausstieg aus dem Verschul-dungsstaat ernst. Kollege Austermann, in den letztenvier Jahren lag die Durchschnittsneuverschuldung unterCSU-Finanzminister Theo Waigel bei über 60 Milliar-den DM pro Jahr. Wir schaffen in diesem Jahr 53,5 Mil-liarden DM, im nächsten Jahr 49 Milliarden DM, imübernächsten Jahr annähernd 40 Milliarden DM, und imletzten Jahr der Finanzplanung liegt das Ziel bei30 Milliarden DM. Wir leiten einen Sinkflug ein, damitder Marsch in den Verschuldungsstaat aufhört.
Wir als Parlament haben eine Verantwortung, auch vorden nächsten Generationen. Fremdfinanzierung heuteheißt nichts anderes als Steuererhöhungen morgen.
Gerade Parteien, die in der Vergangenheit in der Steuer-politik immer von Nettoentlastungen gefaselt haben,sollten jetzt zugeben, daß an einer Zurückführung derVerschuldung ökonomisch überhaupt kein Weg vorbei-führt.
Herr
Kollege Metzger, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich komme zum Schluß mit einem Hinweis, der in die-ser Parlamentsdebatte über das Sparen immer zu kurzkommt: 1994 haben die Länder einen Anteil am gesam-ten Steueraufkommen in einer Größenordnung von 34bis 35 Prozent gehabt. Der Bund hatte damals noch ei-nen Anteil von etwa 45 Prozent.
Oswald Metzger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4451
(C)
(D)
Seit Inkrafttreten des Föderalen Konsolidierungspro-gramms haben die Länder auf über 40 Prozent beimAnteil an der gesamtstaatlichen Steuerquote zugelegt.Der Bund ist auf deutlich unter 40 Prozent abgestürzt.Wenn es um eine gerechte Lastenverteilung im Staatgeht, muß man der Tatsache Rechnung tragen, daß dieLänder in den letzten Jahren strukturell profitiert habenund der Bund gelitten hat.
Auch das bitte ich zu berücksichtigen, wenn es um dieGerechtigkeit zwischen den staatlichen Ebenen bei derDiskussion über das Sparpaket geht. Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Barbara Höll von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Herr Schulz hatte sicher recht:ein Erbe der CDU/CSU-F.D.P.-Koalition,
ein Riesenschuldenberg. Aber Sie von der SPD und denGrünen haben nun etwas wirklich Fragliches erreicht.Die alte Koalition hat den Begriff „Reformen“ völligumdefiniert. Sie definieren den Begriff „Sparen“ um. Bei mir zu Hause läuft das anders: Wenn ich 20 DMspare, bringe ich sie auf das Sparbuch. Dann habe ichetwas; dann habe ich ein Vermögen. Wenn jemand et-was einsparen will – das weiß selbst mein Kind –, dannmuß er entweder seine Ausgaben kürzen, oder er brauchteine Taschengelderhöhung, oder er muß seine Einnah-men auf irgendeine andere Art und Weise erhöhen.
Sie definieren hier Sparen ohne Vermögensbildungals Selbstzweck, ohne eine Diskussion darüber zu füh-ren, was dahintersteht. Sie sind völlig blind auf dem Au-ge der Einnahmenerhöhung. Wenn in der Vergangenheit Riesenschulden aufgehäuftwurden, so hat doch irgend jemand an diesen Schuldenauch partizipiert. Schulden zu machen ist natürlich eineRiesenumverteilungsmaschine von Vermögen und Ein-kommen von unten nach oben. Das müssen Sie stoppen.
Dann diskutieren wir bitte über die Vermögensbesteue-rung oder über eine Vermögensabgabe oder/und über dieErbschaftsbesteuerung. Vorhin kam wieder einmal so lässig-pauschal, diePDS hätte keine Vorschläge vorzubringen. Hier sind un-sere Alternativen; die können Sie sich ansehen.
Da ist das aufgelistet. Sie wissen auch, daß wir dazuparlamentarische Initiativen ergriffen hatten. In der bisherigen Debatte wurde auch sehr viel überdie Äußerungen des Finanzministers gesprochen.Eigentlich ist das ein Stilbruch gewesen. Es entsprichtihm nicht ganz. Ich denke, das hat auch damit zu tun,daß die ostdeutschen Länder unabhängig davon, ob sievon CDU und SPD oder von SPD und PDS regiert wer-den, verstanden haben, daß sie aus ureigenstem Interesseund nicht aus Parteitaktik gegen dieses Sparpaket an-kämpfen müssen. Ich will mich jetzt nicht auf den Zahlensalat einlas-sen; das können die anderen hier, zum Beispiel dasPublikum, eh nicht nachvollziehen. Ich möchte nur dieDinge heranziehen, die die Bürgerinnen und Bürger inOst- wie in Westdeutschland scheinbar gleichermaßenbetreffen. Aber das ist nicht so. Betrachten Sie doch einmal das, was nicht ein richti-ges Sparen, sondern nur ein Verschiebebahnhof auf dieKommunen ist: die Frage der Unterhaltsvorschußlei-stungen, die Frage des pauschalisierten Wohngeldes unddie Frage der Umwandlung der originären Arbeitslosen-hilfe. Wenn man damit eine ostdeutsche Kommune belastet,hat das einen ganz anderen Wert, weil die ostdeutschenKommunen – das wissen Sie alle in diesem Haus – demgrundgesetzlich verankerten Gebot der kommunalenSelbstverwaltung wesentlich weniger nachkommenkönnen als der Großteil der westdeutschen Kommunen,weil sie eine viel geringere eigene Finanzkraft haben.Auf jemanden, der eh schon schwächer ist, wirkt natür-lich eine scheinbar gleiche Belastung stärker als auf einewestdeutsche Kommune. Das verhält sich natürlich auch in anderen Bereichenso, zum Beispiel bei den Belastungen durch die Öko-steuer. Die Löhne im Osten sind nicht so hoch wie dieim Westen. Das wissen alle. Wenn ein Arbeitnehmer imOsten bei gleicher Qualifikation nur 67 bis 80 Prozentdes Lohnes eines in den alten Bundesländern Beschäf-tigten erhält, dann ist er durch die Erhöhung der Preisefür Benzin und Heizöl, die scheinbar für alle gleich hochist, wesentlich stärker betroffen als der im Westen, weiler von seinem kleineren Kuchen nun einmal wenigerabgeben kann als die Bürgerinnen und Bürger in den al-ten Bundesländern. Das heißt, es gibt eine ganz spezifi-sche Belastung in den neuen Bundesländern. Ein Ren-tenwertpunkt Ost bedeutet noch immer rund 10 DM we-niger als ein Rentenwertpunkt West. Dazu kommt, daßdie Rente im Osten bei fast allen Rentnerinnen undRentnern den einzigen Altersbezug darstellt. Die An-gleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West wirdsich durch das jetzt vorgelegte Sparpaket auf Jahre hin-aus verzögern. Diesen Zustand können und sollen dieostdeutschen Kommunen und Länder nicht in Kaufnehmen. Er widerspricht dem Grundgesetz.
Im Grundgesetz ist verankert, daß annähernd gleicheLebensbedingungen für alle Bürgerinnen und Bürger indiesem Lande geschaffen werden müssen. Ich mußOswald Metzger
Metadaten/Kopzeile:
4452 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Ihnen sagen: Wir in den neuen Bundesländern sindvielleicht auch ein bißchen feinfühliger. Früher hattenwir einen großen Bruder. Damals hieß es immer: Wennihr nicht artig seid, wird euch der Hahn der Erdölpipeli-ne zugedreht. Heute gibt es einen großen Solidaritäts-pakt. Wir hören immer, wie toll er ist. Ich bin froh, daßder Finanzminister mit aller Klarheit deutlich gemachthat, welchen Stellenwert die Menschen in den neuenBundesländern haben. In dieser Beziehung hat sich zwi-schen der alten und der neuen Regierungskoalition leidernicht so viel verändert. Sie müssen hier wirklich ruhigsein! Mein Kollege Herr Jüttemann hat vorhin genügendentsprechende Äußerungen vorgebracht.
Frau
Kollegin Höll, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ja, ich möchte zum Ab-
schluß darauf hinweisen: Die PDS hat hier ihre alterna-
tiven Vorschläge eingebracht. Wir werden die Benach-
teiligung der neuen Bundesländer auf keinen Fall so
durchgehen lassen; vielmehr werden wir unseren Wider-
stand auch organisieren.
Ich danke Ihnen.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Manfred
Hampel von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Das Thema der Aktuellen Stunde istvon den Rednern der Oppositionsfraktionen ständig ver-fehlt worden. Wir sprechen heute nicht über dasZukunftsprogramm. Wir können morgen darüber reden.Nächste Woche gehen wir in die erste Lesung des Haus-halts. Ende November dieses Jahres gibt es die zweiteund dritte Lesung des Haushalts. Jetzt in Details zu ge-hen ist völliger Blödsinn. Wir sollten jetzt über die Äußerungen von Eichel re-den, die er – damit komme ich auf den Kernpunkt zu-rück – in einem Interview mit der „Leipziger Volkszei-tung“ gemacht haben soll. Ich möchte die entsprechendeStelle aus dieser Zeitung, die ich mir besorgt habe, zitie-ren, um Ihnen zu zeigen, auf welche Grundlage Sie IhreVorwürfe stellen. Der Journalist fragt in diesem Inter-view:Konkret nachgefragt: Ehe es einen ordentlichenneuen Solidarpakt mit dem Bund gibt, erwarten Sievorab eine Zustimmung der neuen Länder zu IhremKonsolidierungskurs für die Bundesfinanzen alsVoraussetzung? Die Antwort von Eichel lautete:Ja, sicher. Ich habe mich immer dazu bekannt, dassdas, was für den weiteren Aufbau Ost notwendigist, auch gemacht werden muss. Das gilt auch fürdie Anschlussregelung nach 2004. Noch am 31. August wurde in den Überschriften derGazetten von Drohung, Erpressung und Nötigung ge-sprochen. Schon am 1. und 2. September lauteten dieÜberschriften ganz anders. Plötzlich konnte man lesen,daß Eichel recht habe. Es war von Eichels Binsenweis-heit die Rede.
Es ist doch klar, daß der Bund nur dann Finanzhilfen lei-sten kann, wenn er selber dazu in der Lage ist, also überdie notwendige Finanzkraft dafür verfügt.
Das ist eine Binsenweisheit, die Eichel zum Ausdruckgebracht hat. Ihn hierfür zu schelten ist – Entschuldi-gung, daß ich Ihnen von der PDS das so sagen muß – einbilliges Nachkarten, das zu nichts führt.
Ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen,nämlich auf das Thema BvS. Ich habe mich mit diesemThema lange beschäftigt. Es ist auch von einem Vor-redner angesprochen worden. Der Kollege Kolbe hatvorhin dazwischengerufen: Weil sie nix gemacht hat!Ich war damals in der Opposition und muß jetzt dieBvS in Schutz nehmen. Sie waren damals durchaus inder Lage, zu veranlassen, daß noch mehr Mittel in dieBvS hineingesteckt werden. Seit 1995 sind rund 5,5Milliarden DM im Jahr eingestellt worden. In den Fol-gejahren senkte sich der Betrag auf 2,7 Milliarden DM,1,8 Milliarden DM usw. ab. Aber niemals ist eine mü-de Mark geflossen. Das Geld kam immer aus der Spar-kasse des Bundesfinanzministeriums. Das wird jetztbereinigt. Herr Kollege Kolbe, Sie wissen ganz genau – ich mußdie damalige Regierungskoalition ein bißchen in Schutznehmen –, daß es in den vergangenen Jahren nicht anden Mitteln gelegen hat; denn genügend Mittel standenzur Verfügung. Das Problem waren und sind noch heutedie EU-Genehmigungen. Problematisch war nämlich,Zweit- und Drittprivatisierungen genehmigt zu bekom-men. Ich kenne eine Vielzahl von Fällen, die hiervonbetroffen sind. Die Bereitstellung der Mittel scheitertdaran, daß die EU nicht zustimmt. Das ist die Crux. Eswäre notwendig gewesen, daß Sie sich schon damalsintensiver eingesetzt hätten.
Wir brauchen das Thema nicht weiter auszudehnen.Vieles ist schon gesagt worden. Jetzt auf Details einzu-gehen will ich mir ersparen. Wie gesagt, wir haben mor-gen und auch in den nächsten Wochen ausreichend Ge-legenheit dazu. Ich danke Ihnen.
Dr. Barbara Höll
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4453
(C)
(D)
Als
nächster Redner hat der Kollege Manfred Kolbe von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Hampel, wir alle habendie „LVZ“ gelesen, einige früher und andere später. Ichkann nur noch einmal vorlesen:Konkret nachgefragt: Ehe es einen ordentlichenneuen Solidarpakt mit dem Bund gibt, erwarten Sievorab eine Zustimmung der neuen Länder…?Antwort:Ja, sicher.Es ist doch ganz klar, was damit gemeint ist. Der Kollege Austermann hat zu Recht gesagt: Das istunanständig. Denn dasselbe ist eben bei anderen Ländernnicht passiert. Ich habe nicht gehört, daß Herr Eichel nachDüsseldorf gefahren ist und Herrn Clement gesagt hat:Also, ohne Zustimmung zum Sparpaket gibt es keineweiteren Steinkohlesubventionen. Ich habe auch nicht ge-hört, daß Herr Eichel nach Saarbrücken gefahren ist undHerrn Klimmt etwas Entsprechendes vorgeschlagen hat.
Das Unanständige besteht darin, daß Sie sich gegen-über dem Osten trauen, etwas Derartiges zu sagen, weilSie meinen, die seien vermeintlich schwach, währendSie es sich gegenüber dem Westen nicht trauen. Dassollte auch Sie, Herr Hampel, ärgern. Wahrscheinlich tutes das auch, nur können Sie es hier nicht sagen. Natürlich wollen wir alle sparen; aber Sie sparen jagar nicht. Der Bundeshaushalt 2000 geht gegenüber demBundeshaushalt 1999 in der Tat um 7,5 Milliarden DMzurück. Aber das geschieht doch bloß, weil Lafontainezwischenzeitlich 28 Milliarden DM auf den Haushaltdraufgelegt hatte. Gegenüber dem letzten Waigel-Haushalt 1998 steigt der Eichel-Haushalt 2000 um 21Milliarden DM, Herr Diller. Wenn Hans Eichel dereiserne Sparkommissar ist, was ist denn dann TheoWaigel? Sie müßten Loblieder auf den SparkommissarTheo Waigel singen.
Wir haben bis 1998 gespart, und der arme Hans Eichelkehrt jetzt ein Viertel der Mehrausgaben wieder zusam-men, die Oskar Lafontaine 1999 verursacht hat. Herr Metzger, Sie sprachen von einer redlichenDebatte und davon, daß wir einen Schuldenberg von 1,5Billionen DM von Helmut Kohl geerbt hätten. Landauf,landab hört man, das Zukunftsprogramm fange angeb-lich mit dem Abbau dieses Schuldenberges an. DieWahrheit aber ist, daß zum Jahresende 1998 die Bundes-schuld 954 Milliarden DM betrug. Aus der Altbundesre-publik kamen noch zwei Schattenhaushalte dazu. Eshandelte sich um weitere rund 100 Milliarden DM. Dasist gut 1 Billion DM. Das ist zuviel. Darin sind wir unseinig. Aber es sind nicht 1,5 Billionen DM. Es ist dochwirklich unredlich, die 400 Milliarden DM, die aus derWiedervereinigung dazugekommen sind – Treuhand,Altlastschulden usw. –, in einen Topf mit der allgemei-nen Bundesschuld zu werfen.
Natürlich sind beide Schulden des ganzen Landes; aberder Entstehungsgrund ist doch ein ganz anderer. Daskönnen Sie doch nicht allein Helmut Kohl in die Schuheschieben.
Lieber Kollege Metzger, das ist unredlich, und das wis-sen Sie auch. Sie wissen auch, daß wir die Erblastschulden der DDRbis 1998 getilgt haben. Wir haben ungefähr 50 MilliardenDM dieser Schulden getilgt, Herr Metzger. Das war dieeinzige Tilgung, die wir in diesem Jahrzehnt überhaupthatten. Es ist das einzige Mal gewesen, daß Schuldenüberhaupt getilgt worden sind. Diese Tilgung haben Siebeseitigt, um sich zusätzlichen Ausgabespielraum zu be-schaffen. Das ist intellektuell unredlich.
Worin liegt nun unsere Hauptkritik an Eichels Spar-paket? Das sollten sich die Kollegen der SPD zu Herzennehmen. Wir kritisieren die überproportionalen Einspa-rungen im Osten, Herr Hampel.
Wir sind zu gesamtdeutschen Einsparungen bereit.Natürlich muß dazu jeder Landesteil seinen Beitrag lei-sten. Wir lehnen aber überproportionale Einsparungenab. Von den 7,5 Milliarden DM, um die der Haushalts-ansatz zurückgenommen wird, entfallen 3 MilliardenDM auf den Aufbau Ost: 900 Millionen DM bei derTreuhand – darüber können wir, Herr Hampel, langeGespräche führen –, 285 Millionen DM bei der Gemein-schaftsaufgabe, 500 Millionen DM bei sonstigen För-derprogrammen und 300 Millionen DM bei den Ver-kehrswegen – eines der Verkehrsprojekte „DeutscheEinheit“ haben Sie komplett gestrichen –, 800 MillionenDM bei den Lohnkostenzuschüssen und 109 MillionenDM bei den Pflegeeinrichtungen. Im Osten sparen Sieüberproportional. Das kritisieren wir und nicht den ge-samtdeutschen Sparbeitrag. Sie können auch die Renten nehmen: Wir alle wissen,daß auf Grund der demographischen Entwicklung beiden Renten etwas passieren muß. Auch die Union hattehier ja angesetzt. Wir wollten eine berechenbareGrundlage gesetzlich verankern, nämlich den demogra-phischen Faktor. Mit der von Ihnen jetzt vorgenomme-nen Anpassung an die Inflationsrate bringen Sie die An-gleichung der Renten in Ost und West zum Stillstand.Das ist der eigentliche Kritikpunkt, den wir im Ostenhaben. Ich bin gespannt, ob diese Anpassung irgend-wann einmal wieder einsetzt.
Metadaten/Kopzeile:
4454 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Lassen Sie mich abschließend sagen: Sie begannenmit der angeblichen Chefsache Aufbau Ost und einemStaatsminister im Kanzleramt, der wieder einmal nichthier im Saal ist; herausgekommen ist unter Schröder,Eichel und Schwanitz, daß der Aufbau Ost von derChefsache zur Nebensache verkümmerte. Das werdenwir nicht hinnehmen.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Simone Violka von
der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts einer
Staatsverschuldung von 1,5 Billionen DM und einer Ge-
samtverschuldung von 2,341 Billionen DM, wenn man
die Verschuldung von Ländern und Kommunen noch
dazurechnet, ist es schon fast paradox, von Erpressung
oder dem Herstellen von Abhängigkeiten zu reden. Wer
Minister Eichels Aussage als solche mißinterpretiert, hat
entweder den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt
oder will sich in der Öffentlichkeit profilieren.
Wir alle – auch Hans Eichel – kennen und akzeptieren
die Notwendigkeit eines weiteren Aufbaus in den neuen
Ländern. Aber angesichts dieser Staatsverschuldung, die
fast ein Viertel aller Steuereinnahmen in Form von Zinsen
verschlingt, muß man auch von allen Länderchefs
Deutschlands erwarten können, daß sie die Notwendigkeit
von Sparen einsehen, ganz gleich, aus welchem Territori-
um sie stammen oder welche Farbe ihr Parteibuch hat.
Wenn wir von diesem Schuldenberg, der in den letzten
Jahren immer höher gewachsen ist, nicht herunterkommen,
werden immer mehr Steuergelder für die Zinstilgung zum
Einsatz kommen müssen. Dadurch steht in absehbarer Zeit
immer weniger oder überhaupt kein Geld mehr für die
Weiterführung des Aufbaus Ost zur Verfügung,
ganz zu schweigen von anderen sozialen und wirtschaft-
lichen Projekten in ganz Deutschland. Das hat nichts mit
politischem Willen, sondern mit Tatsachen zu tun. Die-
sen Tatsachen muß man sich stellen, wenn man eine zu-
kunftsfähige und zukunftssichernde Politik machen will.
Wer diese Fakten verschweigt oder beschönt, führt die
Bevölkerung absichtlich hinters Licht. Ehrlichkeit ist
aber etwas, was ich mir auf meine politische Fahne ge-
schrieben habe. Dies können die Menschen auch zu
Recht erwarten.
Wenn man den Menschen in Ost und West zur Wen-
dezeit nicht vorgegaukelt hätte, daß die deutsche Einheit
aus der Portokasse zu bezahlen wäre,
würde es heute nicht so viel Unzufriedenheit und Unver-
ständnis auf beiden Seiten geben.
Die jetzige Regierung ist nicht bereit, die gleichen Feh-
ler wie die damalige Koalitionsregierung zu machen,
nämlich mit Seitenblick auf Wählerstimmen die Wirk-
lichkeit zu ignorieren.
Ich finde es ungeheuerlich, wie viele Politikerin-
nen und Politiker der Opposition nach Finanzminister
Eichels Aussage das große Wort geschwungen haben.
Da war von einem unglaublichen Skandal zu lesen, von
Kasernenhofton gegenüber den neuen Ländern und gar
von räuberischer Erpressung, um nur einiges zu nennen.
Nicht eine dieser Kolleginnen bzw. einer dieser Kolle-
gen hat sich nach meiner Erinnerung einmal ähnlich ge-
äußert, wenn Bayern, Hessen oder Baden-Württemberg
den Länderfinanzausgleich in Frage stellten, auf den
derzeit einige alte und alle neuen Länder angewiesen
sind.
Das, sehr geehrte Damen und Herren, halte ich für einen
großen Skandal.
An die Adresse der Opposition auf der linken Seite
dieses Hauses, der Sie zu verdanken haben, daß ich hier
rede, will ich nur eines sagen: Wenn man ständig nur
etwas finanziert, was man politisch will, ohne danach zu
schauen, was man real überhaupt kann, geht man ganz
schnell finanziell zugrunde. Da brauchen wir uns nur die
alte DDR anzuschauen; das wissen, glaube ich, alle
noch. Weil wir das aber nicht wollen und den richtigen
Weg erkannt haben, wie man in Zukunft wieder mehr
Steuergelder zur Verfügung hat, gibt es vom Bundesfi-
nanzminister Hans Eichel ein Zukunftsprogramm, das
die Verantwortung für ein zukunftsfähiges Gemeinwe-
sen bezeichnet. Mit diesem Zukunftsprogramm über-
nimmt die Bundesregierung die Verantwortung für die
Zukunft.
Wir sparen doch nicht um des Sparens willen. Aber
wenn man auch in der Zukunft noch ein funktionieren-
des demokratisches Gemeinwesen haben will, muß man
dafür sorgen, daß wieder genügend Steuergelder für die
Umsetzung der politischen Ziele vorhanden sind und
diese dem Gemeinwohl zugeführt werden können. Das
geht aber nicht, wenn die Zinsbelastung immer weiter
steigt. Sparen ist derzeit die einzige Möglichkeit, lang-
fristig wieder genügende finanzielle Spielräume für ei-
nen aktiven und handlungsfähigen Staat zu schaffen.
FrauKollegin Violka, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer erstenwirklich gehaltenen Rede im Bundestag, denn die ei-gentliche erste Rede ist damals zu Protokoll gegebenworden. Herzlichen Glückwunsch!
Manfred Kolbe
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4455
(C)
(D)
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Su-sanne Jaffke von der CDU/CSU-Fraktion.
Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen!
Wir wollen uns doch wieder einmal an dem orientieren,
was der Ausgang der ganzen Geschichte ist. Da hat es
eine Äußerung eines Ministers gegeben, bei dem man
eigentlich sagen muß: Er ist ein Profi. Das ist er doch,
euer Minister?
Denn er ist ja nicht nur Profi als Minister, sondern er
war lange Zeit auch Profi als Ministerpräsident. So ein
Lapsus hätte ihm eigentlich nicht unterlaufen dürfen.
– Na gut, soweit, so schön; es ist ja auch alles in Ord-
nung, das kann ja mal passieren. – Ich könnte eigentlich
auch sagen: Es ist wunderschön, daß das gerade in dem
Moment passiert, in dem die Koalitionshaushälter im
wunderschönen Lande Mecklenburg-Vorpommern, in
Wismar, unterwegs sind. Ich glaube, es war sehr, sehr
schön. Sie müssen mir doch zustimmen: Es ist ein wun-
derschönes Land. Da können auch einmal so kleine Ver-
sprecher vorkommen.
– Wenn Sie mir sagen, daß das kein Versprecher war –
um so schlimmer.
Denn eines muß ich Ihnen dazu auch sagen: Das Lebens-
gefühl, Wohlergehen für Wohlverhalten, hatten wir bis
1990. Daran möchte ich mich nicht so gerne erinnern,
und ich möchte mich auch nicht gerne wieder da hinein-
versetzt wissen.
Ich glaube schon, daß es ganz wichtig ist – wenn Sie
schon die vielen Presseechos zitieren, die auf diese Äu-
ßerung des Ministers im Blätterwald erfolgt sind –, auch
einmal die wunderschönen Zeitungsmeldungen aus dem
Lande Mecklenburg-Vorpommern zu zitieren, in denen
es heißt: Herr Minister Eichel hat bei Ministerpräsident
Ringstorff seinen Antrittsbesuch gemacht. Justament hat
dieser Ministerpräsident Ringstorff in vorauseilendem
Gehorsam gesagt: Selbstverständlich unterstütze ich die-
ses Paket, welches auch immer da kommt. Er mußte den
Journalisten sogar sagen, er kenne es nicht. Die Frau
Finanzministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern
hat dies dann bestätigt. Außerdem hat sie zu Protokoll
gegeben und in der Öffentlichkeit gesagt, sie zweifle
diese Zahlen an. Da kommen wir wieder in eine lustige
Veranstaltung. Worüber reden wir hier jetzt eigentlich?
Wir wollen alle unendlich viel zur Konsolidierung der
Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland beitragen.
Das tun wir aber nicht, indem wir den Bürgern über
Ökosteuer, Benzin, Strom und alles mögliche erst das
Geld aus der Tasche ziehen, dieses dann wieder irgend-
wo verteilen und bei dieser Verteilung die neuen Bun-
desländer ein Stück außen vorlassen. Das ist leider Got-
tes so.
Ich denke, wir sollten uns in den Detailverhandlun-
gen, die wir im Haushaltsausschuß nachher noch führen
werden und hoffentlich führen müssen, darauf verstän-
digen, daß es in dieser Richtung bedeutende Korrekturen
gibt.
Denn ich kann nicht erst Geld ausgeben, das ich eigent-
lich nicht habe, es mir hinterher einfordern und dann
über eine, ich sage einmal: recht zweifelhafte Diskussi-
on in der Öffentlichkeit verlangen, daß nur eine be-
stimmte Region in der Bundesrepublik Deutschland für
dieses Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen und
vielleicht auch zur Kasse gebeten wird.
Deshalb kann ich uns allen nur raten, von diesem
Kurs abzulassen, in vernünftige Verhandlungen einzu-
treten und alle diese Anstrengungen, die eigentlich dazu
führen sollen, unsere Haushaltsfinanzen zu konsolidie-
ren, ernsthaft zu unternehmen.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zur BvS, weil ich als
Berichterstatterin schon eine Weile in diesem Metier tä-
tig bin. Ich glaube, die Crux in der Debatte um Steuerer-
höhungen ist, daß die SPD den Sündenfall begeht, Steu-
ern und Sozialabgaben ein wenig miteinander zu vermi-
schen,
sowohl bei der Rente als auch bei der Gesundheit. Sie
haben den Haushalt um 30 Milliarden DM aufgebläht,
durch Steuererhöhungen durchlaufende Posten geschaf-
fen und diese in die Sozialversicherungssysteme verla-
gert. Dabei bewegen Sie sich auf einem gefährlichen
Pfad, nämlich weg von der Generationenverantwortung
und hin zu einer – wenn auch vielleicht staatsgenehmen
– steuerfinanzierten Versorgung. Das führt zu nichts.
Daran ist 1990 auch die DDR pleite gegangen.
Herzlichen Dank.
Als
letztem Redner in der Aktuellen Stunde gebe ich das
Wort dem Kollegen Rainer Fornahl von der SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Es ist nicht unanständig, was Fi-Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Metadaten/Kopzeile:
4456 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
nanzminister Eichel im Zusammenhang mit Sparpaket,Zukunftsprogramm und Solidarpakt für die Zeit nach2004 gesagt hat.
Vielmehr ist es ausgesprochen unanständig, wenn man,wie man hier mehrfach hören konnte, Zitate aus demZusammenhang reißt und nur zur Hälfte, nur zu einemDrittel oder nur zu einem Viertel anführt. Herr Hampelhat hier schon eines der beiden Zitate gebracht. Ich willdas hier wiederholen, vor allem für Herrn Austermannund Herrn Kolbe:Konkret nachgefragt: Ehe es einen ordentlichenneuen Solidarpakt mit dem Bund gibt, erwarten Sievorab eine Zustimmung der neuen Länder zu IhremKonsolidierungskurs für die Bundesfinanzen alsVoraussetzung?Ja, sicher. Ich habe mich immer dazu bekannt, dassdas, was für den weiteren Aufbau Ost notwendigist, auch gemacht werden muss. Das gilt auch fürdie Anschlussregelung nach 2004. Wenn der Bundsich da solidarisch gegenüber den Ländern verhält,muss er sich auch auf die Solidarität der Länderihm gegenüber verlassen können. Das ist immer inbeiderseitigem Interesse.Ich glaube, an der Richtigkeit dieser Äußerung kannkeiner einen Zweifel haben.
Für Herrn Austermann, der hier einen Ost-West-Konflikt herbeireden wollte, will ich aus diesem Inter-view noch folgendes zitieren:Im Unterschied beispielsweise zu Bayern meineich, fundamental für den Föderalismus ist auch dieSolidarität zwischen den Ländern und die Solidari-tät zwischen Bund und den Ländern. Das war schonimmer meine Position. In diesem Sinne erwarte ichauch von den neuen Ländern, dass sie begreifen,und ich habe da bisher sehr viel Zustimmung ge-funden, dass die Konsolidierung des Bundeshaus-haltes jetzt die Voraussetzung dafür ist, dass derBund auch in Zukunft weiter seinen Verpflichtun-gen für den Aufbau Ost nachkommen kann unddass damit die ostdeutschen an die westdeutschenLänder herangeführt werden können.
Damit könnte man diese ganze Scheindebatte derAktuellen Stunde abbrechen. Sie war und ist verlogenvon seiten derer, die sie initiiert haben, und von seitenderer, die auf diesen Zug aufgesprungen sind.
Ich will aber noch zusammenfassen, was ich hierheute in der Debatte erleben mußte: Kürzlich hat sich –sogar unabgesprochen – eine illustre Allianz gefunden.Eine Allianz für den Aufbau Ost – Fragezeichen oderAusrufezeichen? Zumindest haben diejenigen, die sovollmundig getönt haben, schon den Totengräber desAufbaus Ost dingfest gemacht. Wer sind denn überhauptdie Aufrechten? Einige Zitate von heute brauche ichnicht zu wiederholen; sie sprechen für sich und disquali-fizieren diejenigen, von denen sie stammen. Aber einigeder brilliantesten will ich hier wiederholen. Ein HerrRehberg – in Klammern: CDU –: einmaliger Vorgangräuberischer Erpressung. Das ist im Sinne des § 255StGB ein Angriff auf Leib und Leben der Ostdeutschen.Das muß man sich einmal vorstellen.
So blöd kann man doch nicht sein, und das ist ein ver-antwortlicher Landespolitiker. Nein, pfui Deibel, kannich dazu nur sagen. Herr Dr. Luther – auch in Klammern: CDU –: Kohlegegen Kadavergehorsam, Frau Gramkow von der PDS:Meine Partei wird sich nicht erpressen lassen, Eichelhandelt illegitim.
Mein sächsischer Landsmann Herr Dr. Herle sprichtauch vom Erpressungsversuch. Das Wort „unanständig“haben fast alle erwähnt, das will ich gar nicht noch ein-mal ausbreiten.
Wer wird mit solchen Vorwürfen konfrontiert unddiskreditiert? Der Bundesfinanzminister Eichel, stellver-tretend für die Regierung und die Koalition. Warum? Dasist der Kern der ganzen Geschichte: In einigen Bundes-ländern wurde und wird gewählt, und dann kommt jedesMittel recht – egal, wie anrüchig es auch sein mag –, umden politischen Zielen Unterstützung zu geben. Das istder Punkt, über den wir heute zu reden haben.
Die Allianz wird noch erweitert durch Vertreter desFreistaats Bayern. So hebt beispielsweise Herr Faltlhauserden Zeigefinger und sagt: „An der Notwendigkeit derFortführung des Solidarpakts nach 2004 besteht über-haupt kein Zweifel.“ – und das ausgerechnet voneinem Repräsentanten der CSU, die nicht nur in Bierzel-ten die Solidarität der Menschen in den neuen Bundeslän-dern über Jahre hinweg schon in Zweifel gezogen hat
und den Solidarpakt plus Länderfinanzausgleich nachbayerischem Gusto so schnell wie möglich cancelnwollte und will. Das, meine Damen und Herren, ist dieunheilige und verlogene Allianz aus CDU/CSU, F.D.P.und PDS, die wahrlich wider besseres Wissen – bei derPDS kann man das nicht unterstellen – handeln. HerrSchulz von Bündnis 90/Die Grünen hat klar und deutlichgesagt, wo Sie stehen, wenn Sie über Wirtschaftspolitikund die Entwicklung der neuen Länder reden.
HerrFornahl, kommen Sie bitte zum Schluß.Rainer Fornahl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4457
(C)
(D)
Ja, ich komme zum Schluß
und will sagen: Aus meiner Sicht ist eine Konsolidie-
rung des Bundeshaushalts bei solidarischer und gerech-
ter Beteiligung der Länder und Kommunen die einzige
Chance für die Erreichung des Ziels der wirtschaftli-
chen, gesellschaftlichen und sozialen Vollendung der
Einheit Deutschlands über die staatliche und politische
Vollendung hinaus. Darüber werden wir morgen sicher-
lich noch ausführlich reden.
Zum Schluß möchte ich noch ein Zitat aus einer gro-
ßen deutschen Tageszeitung – –
Nein,
Herr Kollege. Sie haben Ihre Zeit lange genug über-
schritten. Kein Zitat mehr.
O. k. Dann gebe ich es zu
Protokoll.
Vielen Dank, meine Damen und Herren. Ich glaube,
trotzdem ist klargeworden, was ich für unsere Koalition
sagen wollte. Wir stehen zum Sparpaket.
Die
Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses
– zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 1997 – Vorlage der Haus-
haltsrechnung und Vermögensrechnung des
Bundes –
– zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
nungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
1998 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-
– Drucksachen 13/10378, 14/29, 14/153 Nr. 1,
14/1257 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Antje-Marie Steen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hö-
re und sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlos-
sen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, begrüße ich auf
der Tribüne die Präsidentin des Bundesrechnungshofes,
Frau Dr. Hedda von Wedel, sehr herzlich.
Ich freue mich, daß Sie zur ersten Debatte im Deut-
schen Reichstag zu uns gekommen sind. Vielen Dank.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Josef Hollerith von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich muß Ihnen sagen, daß ich mich au-ßerordentlich freue, heute abend zum erstenmal amRednerpult im neuen Reichstag sprechen zu dürfen.
Ich empfinde diesen Raum als Symbol dafür, daß dieDemokratie in Deutschland eine positive Entwicklunggenommen hat: in den ersten Kämpfen um mehr Rechtein der Kaiserzeit, die Weimarer Republik; dann kam derunselige 30. Januar vor den Märzwahlen 1933, als dieNazis dieses Gebäude angezündet hatten; dann dasNachkriegsdeutschland, als der Reichstag noch als Rui-ne als Symbol der Freiheit an der Nahtstelle der Grenzezwischen Ost und West stand. Wir haben den Kolleginnen und Kollegen zu danken,die in den 50er Jahren der Versuchung – die es vielfachgegeben hat –, dieses Gebäude abzubrechen, widerstan-den und den Mut hatten, nach einer ersten Renovierungdiesen Reichstag wieder als Plenargebäude für Debattenim Rahmen unserer demokratischen Verfassung zu nut-zen.
Ich freue mich, daß die vibrierende Stadt Berlin uns for-dert und uns auch viel stärker mit der Wirklichkeit kon-frontiert, als dies im eher beschaulichen Bonn der Fallwar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben heuteüber 87 Prüfungsbemerkungen zu debattieren und zuentscheiden, die im Rechnungsprüfungsausschuß gründ-lich und qualifiziert behandelt worden sind. Ich ersparemir deshalb, auf diese 87 Bemerkungen im Detail einzu-gehen.
Nicht erspare ich mir, zu würdigen, daß die Arbeit imRechnungsprüfungsausschuß sachlich erfolgt und dasKlima menschlich ist. Dafür möchte ich den Kollegin-nen und Kollegen ganz herzlich danken; namentlichdanke ich der Vorsitzenden, der Kollegin Uta Titze-Stecher, für ihre menschlich geprägte Führung diesesAusschusses. Es ist nicht von ungefähr, daß allein imRechnungsprüfungsausschuß im Unterschied zu allen
Metadaten/Kopzeile:
4458 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
anderen Ausschüssen nur ein Berichterstatter für den ge-samten Ausschuß zu einem Tagesordnungspunkt einge-setzt ist. Ich betone ausdrücklich, daß in diesem Aus-schuß die Frage, wer auf der Oppositions- und wer aufder Regierungsbank sitzt, die geringste Rolle spielt undim Vordergrund die sachliche und qualifizierte Arbeitsteht, fernab jeder Polemik. Ich empfinde es auch alsangenehm, daß sich dies im Wechsel von Regierung undOpposition nicht verändert hat. Dafür herzlichen Dankan die Kolleginnen und Kollegen!
Allein von der Zeit her wären die Abgeordneten nichtin der Lage, die qualifizierte Arbeit des Controlling zuleisten, wenn uns nicht ein hervorragender Apparat mitArgumenten, mit qualifizierten Analysen und mit Sach-verstand dabei unterstützte. Dies würdige ich in beson-derer Weise und verbinde die Würdigung mit einemausdrücklichen Dank an Sie, Frau Präsidentin Dr. Heddavon Wedel. Wir schätzen Ihre Arbeit, und ich bitte Sieherzlich, unseren Dank, unsere Würdigung und unsereAnerkennung auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern zu übermitteln.
Ich empfehle, der Beschlußempfehlung des Haus-haltsausschusses auf Drucksache 14/1257 zu folgen undder Bundesregierung die Entlastung für das Haushalts-jahr 1997 mit den Maßgaben zu erteilen, daß den Fest-stellungen des Haushaltsausschusses und den Bemer-kungen des Bundesrechnungshofes zu folgen ist, daß dieSteigerung der Wirtschaftlichkeit nachhaltig zu betrei-ben ist, daß die Berichtspflichten fristgerecht zu erfüllensind
– natürlich auch vom BMF – und daß die Verhandlun-gen über einen innerstaatlichen Stabilitätspakt zügigvoranzutreiben sind.Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlichgibt der Blick auf den Haushalt 1997 und auf die aktu-elle Debatte über Mogelpackungen, über sogenannteoder vermeintliche Sparpakete auch Anlaß, in den Zeit-reihen einmal zu vergleichen, was denn tatsächlich pas-siert ist. In diesem Zusammenhang stelle ich fest, daßsich die Höhe des Haushaltes 1997, verglichen mit derHöhe des Haushaltes 1994, um 30 Milliarden DM ver-ringert hat. Obwohl 30 Milliarden DM weniger für denBundeshaushalt 1997 angesetzt wurden, ist die Investi-tionsquote von 12,8 Prozent im Jahre 1997, verglichenmit der Investitionsquote von 13 Prozent im Jahre 1994,nahezu unverändert geblieben.Ich stelle fest, daß wir als Ergebnis dieser bere-chenbaren Politik in dieser Zeit ein reales Wachstumzwischen 2 und 3 Prozent hatten. Dies führte im wei-teren Verlauf dazu, daß im Jahre 1998 die Zahl derArbeitsplätze in Deutschland um 300 000 zugenom-men hat.Es ist natürlich redlich, in der heutigen Debatte dieseErgebnisse mit den Ergebnissen zu vergleichen, die dieneue Bundesregierung nach einem Jahr erzielt hat. Indiesem Zusammenhang müssen wir feststellen, daß dieZahl für das Realwachstum eine Null vor dem Kommahat. Wir müssen ferner feststellen, daß die Zahl der Ar-beitsplätze um 360 000 abgenommen und nicht um300 000 zugenommen hat. Wenn wir auf die Haushalts-zahlen und auf die Finanzplanung blicken – ich denkedabei an die Vorlage des BMF –, müssen wir außerdemfeststellen, daß das Soll des Jahres 1999 in Höhe von485,7 Milliarden DM nach der Finanzplanung im Jahre2003 auf 503,8 Milliarden DM steigen soll.
Dies ist eine Aufblähung um einen zweistelligenMilliardenbetrag. Das Bemerkenswerte in diesem Zu-sammenhang ist – das ist ein Zeichen für eine bemer-kenswert falsche Politik –, daß die Investitionsquotedes Bundeshaltes im Jahre 1999 von 12 Prozent nach derFinanzplanung auf 10,6 Prozent sinken wird. Die Aus-gaben, die Arbeitsplätze schaffen und sichern, sollen al-so dramatisch sinken.Wenn wir der Redlichkeit halber die Finanzplanungvon Theo Waigel mit der Finanzplanung des Jahres1999 von Eichel vergleichen, dann können wir feststel-len, daß wir am Ende des Finanzplanungszeitraums imJahre 2002 eine Erhöhung von 45,3 Milliarden DM ha-ben werden. Die Investitionen im Bereich der Bundes-fernstraßen weisen im gleichen Finanzplanungszeitraumein Minus von 1,3 Milliarden DM auf, obwohl bekanntist, daß überall dort, wo Autobahnen entstanden sind,sich Wirtschaft angesiedelt hat, neue Arbeitsplätze ent-standen sind und Wohlstand gewachsen ist. Das besteBeispiel ist die Autobahn Deggendorf in Niederbayern.
Die Politik der neuen Bundesregierung ist eben keinePolitik, die dazu führt, daß Arbeitsplätze in Deutschlandentstehen und Wohlstand und Staatseinkommen steigenkönnen.Wenn man auf die Finanzplanung schaut, dann müs-sen wir ferner feststellen: Entgegen anderslautenden Be-hauptungen wird die Höhe der Eigenmittelabführung desBundes an den EU-Haushalt von 42,9 Milliarden DM imJahre 1998 im Finanzplanungszeitraum bis zum Jahre2003 auf 49,6 Milliarden DM steigen.Ich komme nun zu der Höhe der Schulden. Wir sindnicht dagegen, daß gespart wird – ganz im Gegenteil.Wir haben den Menschen vor der Wahl ehrlich gesagt,daß gehandelt werden muß.
Wir haben vor der Wahl die Einführung des Demogra-phiefaktors beschlossen, um die Rente zu stabilisieren undum die Auswirkungen auf Grund der höheren Lebenser-wartung nicht allein auf die Beitragszahler abzuwälzen.Wir wollten, daß die steigenden Belastungen von den län-ger lebenden alten Menschen mitgetragen werden.
Josef Hollerith
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4459
(C)
(D)
Wir haben dies vor der Wahl beschlossen, weil wir denHandlungsbedarf erkannt haben und weil wir in der Po-litik ehrlich bleiben wollen.
Wir wenden uns aber gegen das Täuschungsmanöverund gegen die Rentenlüge von Schröder. Er hat nämlichgesagt, er werde den Rentnern nicht in die Tasche lan-gen. Diese Aussage hat unter anderem zu dem Erfolgder Wahl am 27. September 1998 geführt. Wir wendenuns gegen diese Lügen.
– So ist es. – Ebenso wenden wir uns gegen die Schul-denlüge, die jetzt neu entwickelt wird, um von der eige-nen Sprache abzulenken, ein ehrliches Sparpaket auf denWeg zu bringen, wie es unter Theo Waigel erfolgreichgeleistet worden ist.
Es ist übrigens bemerkenswert: Wenn man – wie vor-hin in der Fragestunde – nachfragt, polemisiert FrauStaatssekretärin Hendricks erst einmal wie auf der Straße.Wenn man dann weiter nachfragt, wie das mit der Altla-stenbeseitigung des Kommunismus war, dann gibt sie zu:Das sind schon Schulden, zu denen wir uns bekennen.
Herr
Kollege Hollerith, kommen Sie bitte zum Schluß.
Meine Damen und Her-
ren, ich fordere von dieser Bundesregierung mehr Ehr-
lichkeit ein, mehr Ehrlichkeit und Anstand in der Politik.
Herzlichen Dank.
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Uta Titze-
Stecher von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hollerith, beiallem Respekt vor Ihrer motivierten Mitarbeit im Aus-schuß und Ihren kollegialen Verhalten, Ihrem Umgangs-stil. Was Sie eben gemacht haben, das war nicht die Ar-beit eines Berichterstatters zum aufgerufenen Thema,sondern das war eine veritable Haushaltsrede mit Be-wertung des Haushalts 1999 und 2000 sowie der mittel-fristigen Finanzplanung.
– Sie nicken, Sie geben mir auch noch recht. Das heißt,als Lehrerin würde ich sagen, eine glatte Themenver-fehlung.
Lassen Sie mich, ehe ich zu dem hier wirklich anste-henden Thema, nämlich der Bewertung der Haushalts-und Wirtschaftsführung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 1997 auf der Grundlage der Bemerkungendes Bundesrechnungshofes, komme, eine kurze, aber ausmeiner Sicht doch notwendige Vorbemerkung machen.Natürlich entscheidet das Parlament, also Sie alle, dielieben Kolleginnen und Kollegen, über die Entlastungder Bundesregierung für ein bestimmtes Haushaltsjahr.Sie dürfen auch dann ausgehen, daß die Ausschüsse, diesich mit diesem Thema befaßt haben, insbesondere derRechnungsprüfungs- und der Haushaltsausschuß, dievorliegende Beschlußempfehlung auf Grund sorgfältigerBeratung verantworten können.Aber – auch das hat der Berichterstatter vor mir zuRecht betont und sich auch dafür bedankt – ohne dieständige Mitarbeit und Zuarbeit, ohne die unbestechli-che, beharrliche, sachverständige Prüfung des Bundes-rechnungshofs wäre eine Finanzkontrolle, die diesenNamen verdient, nicht möglich. Deshalb bedanke ichmich bei der anwesenden Präsidentin – bitte geben Siediesen Dank an Ihr Haus weiter – ganz besonders imNamen des Rechnungsprüfungsausschusses, denn wirwären ohne ihre Arbeit schlicht verloren; wir könntensie nicht leisten.Diese Arbeit ist allerdings nicht leichter geworden inZeiten zunehmender Privatisierung von ehemals staatli-chen Unternehmen, drückender Haushaltssorgen, stei-gender Zinsbelastungen, angesichts unakzeptabler hoherStaatsschulden und – auch das muß hier gesagt werden –sinkenden Bewußtseins in der Gesellschaft dafür, wasdes Staates ist, damit er die Aufgaben noch vollziehenkann, deren Erfüllung wir von ihm erwarten.In der beschriebenen Situation besteht die reale Ge-fahr, Prüfungsfeststellungen und Beanstandungen desBundesrechnungshofes zu bagatellisieren, wegzudrük-ken, und sie – ja, auch das kommt vor – von seiten derKolleginnen und Kollegen als unangemessen abzuquali-fizieren. Der Grund ist leicht nachvollziehbar, denn diePrüfbemerkungen des Bundesrechnungshofes legen denFinger in die Wunden, die nicht er, der Rechnungshof,verursacht hat, sondern eben jene geprüften und bean-standeten Institutionen. Diese begreifen die Feststellun-gen leider häufig als Majestätsbeleidigung und überse-hen dabei, daß jede Prüfungsfeststellung immer auchBeratungselemente enthält und konkrete Maßnahmenempfiehlt, also eigentlich und dem Grunde nach als Hil-festellung anzusehen und auch so geplant ist.Ich habe den Eindruck, daß der Spielraum für die an-gemessene und unabhängige Arbeit des BRH in den Jah-ren seit der Einheit ab und an in Gefahr war, beschnittenund verengt zu werden. Wir alle können daran kein In-teresse haben. Wir müssen daran interessiert sein, denSpannungsbogen zwischen dem, was für eine unabhän-gige Prüfung erforderlich ist, und dem, was dann dieparlamentarische Prüfung ergibt und für politisch ge-rechtfertigt hält, auszuhalten.Rüde Attacken wie die des seinerzeitigen Bundes-verteidigungsministers Rühe an die Adresse der Rech-nungsprüfer im Zusammenhang mit dem 4. Bericht desJosef Hollerith
Metadaten/Kopzeile:
4460 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
BRH zum Eurofighter – ich erinnere mich noch daran,als wäre es heute gewesen – sind die Ausnahme.
– Ja, Herr Austermann, da hören Sie auf zu reden; das istklar, Sie sind im Wahlkampf. – Angesichts dieser seriö-sen Arbeit erlaubte sich der damalige Bundesverteidi-gungsminister die Attacke, der Rechnungshof verstehenichts von der Materie. Solche direkten Ausfälle kom-men allerdings zum Glück sehr selten vor.
Sie schwächen nämlich das Instrument der Kontrollezum Schaden von uns allen. Deswegen mein Appell andie Kollegen: Stärken wir unseren Partner Bundesrech-nungshof zum Nutzen von uns allen. Meine Bitte an denBundesrechnungshof: Zu Resignation besteht kein An-laß; bleiben Sie ein loyaler, unabhängiger und hartnäk-kiger Berater. Dann wird es uns gemeinsam gelingen,zum Beispiel die notwendigen Strukturreformen in deröffentlichen Verwaltung und anderen Bereichen durch-zusetzen.
Ich komme nun zum Thema, der Entlastung der Bun-desregierung für das Haushaltsjahr 1997 und den Be-merkungen des Bundesrechnungshofes dazu. Mir istvollkommen klar, warum mein Vorredner über die Be-merkungen elegant mit dem Satz hinwegwischte, es sei-en so viele – nämlich 87 –, daß wir sie nicht alle aus-breiten könnten; sonst müßten wir bis morgen früh re-den. Herr Hollerith, ich verstehe das; denn diese Bemer-kungen beleuchten ein veritables Sündenregister. – Dalachen Sie nur; das sagt mir genug.Der Bundesrechnungshof hat bei seiner Prüfung derJahresrechnung 1997 hinsichtlich des kassenmäßigenErgebnisses keine für die Entlastung der Bundesregie-rung relevanten Abweichungen festgestellt. Dieser Be-wertung haben sich die zuständigen Ausschüsse ein-stimmig angeschlossen.Aber es wurde einzelnes beanstandet, zum Beispieldas ewige Ärgernis unvollständiger und unzutreffenderAngaben insbesondere bei der Ausweisung überplan-mäßiger Ausgaben. Das Thema hat uns zu Recht sehrhäufig beschäftigt. Ich erwarte und hoffe – in Anwesen-heit des zuständigen Staatssekretärs –, daß die sorgfälti-ge Anwendung der bestehenden haushaltsrechtlichenBestimmungen durch die jetzige Bundesregierung sol-che Beanstandungen in Zukunft überflüssig macht.Auch die Entwicklung der Ausgabereste gibt Anlaßzur Kritik. Seit 1992 sind die Ausgabenreste Jahr fürJahr gestiegen. Das ist zum Teil eine Folge der Flexibili-sierung des Haushaltsrechts, der wir alle zugestimmt ha-ben. Aber um die Tendenz, Haushaltsrisiken in Folge-jahre zu verlagern, zu stoppen, müssen wir diese Ent-wicklung sorgfältig beobachten, um unter Umständenzusammen mit dem Bundesrechnungshof die geeignetenInstrumente zu entwickeln, um das parlamentarischeBudgetrecht sicherzustellen.Ein echtes Ärgernis ist für uns das Thema globaleMinderausgaben. Die im Nachtragshaushalt 1997 aus-gebrachte globale Minderausgabe von 5,1 MilliardenDM wurde zwar voll erbracht. Es wurde aber nicht dar-gestellt, bei welchen Haushaltsstellen eingespart wurde.Die Begründung für diese Unterlassung ist mehr als fa-denscheinig: Der Haushaltsgesetzgeber habe den genauuntergliederten Ausweis in der Jahresrechnung nichtvorgegeben.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der jetzigenOpposition, damals verantwortlich für diese Misere, dakann ich nur laut lachen. Die damalige Opposition hatvernehmlich – aber angesichts der Mehrheitsverhältnisseleider vergeblich – gegen diese Praxis protestiert, die derBundesrechnungshof jetzt kritisiert.
Sie führt dazu, daß der Haushaltsgesetzgeber, nämlichdas Parlament, nicht vollständig über den Haushaltsvoll-zug unterrichtet wird. Sie werden diese Art des Um-gangs mit dem Budgetrecht, die sogenannte haushalts-mäßige Selbstkastrierung, bei uns nicht erleben.
– „Haushaltsmäßig“ habe ich vor das Wort „Kastrie-rung“ gesetzt.Die Nettokreditaufnahme lag im Haushaltsvollzug1997 um 7,325 Milliarden DM höher als die Summe derAusgaben für Investitionen. Kenner wissen, was dasheißt – da klingeln einem die Ohren –: Dann ist einBundeshaushalt schlicht verfassungswidrig. Das habenSie sich nicht nur 1996, sondern noch einmal 1997 ge-leistet. Dem Vorwurf, einen verfassungswidrigen Haus-halt zu fahren, sind Sie nur dadurch knapp entgangen,daß Sie bei der Aufstellung des Nachtragshaushaltsge-setzes 1997 die Überschreitung der verfassungsrechtli-chen Kreditobergrenze – Art. 115 des Grundgesetzes –mit einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichge-wichts begründet haben. Ich habe dafür sogar Verständ-nis: Die Lage auf dem Arbeitsmarkt und der Rückgangder Beschäftigung mit den entsprechenden Auswirkun-gen auf die Staatskassen waren der Grund. Aber das warvoraussehbar. Sie haben bei der Aufstellung des Haus-haltsplans schlicht gemogelt. Ich stelle aber fest, daß –im Gegensatz zum Haushaltsjahr 1996 – mit der Ent-scheidung des Haushaltsgesetzgebers, einen Nachtrags-haushalt vorzulegen, die Verfassungsmäßigkeit desBundeshaushalts hergestellt war. Daran ist also nicht zurütteln.Kritisch sehen wir auch die Kreditermächtigungenfür das Haushaltsjahr 1998; dabei handelt es sich umeinen Brocken von 10 Milliarden DM. Wir denken, einRückgriff darauf sollte erst dann erfolgen, wenn die imHaushaltsplan veranschlagte Ermächtigung zur Netto-kreditaufnahme bis zum Anschlag verbraucht ist. Sonstist der Vorwurf der Trickserei angebracht.Ich kann mich Ihrer Bewertung, Herr Hollerith, ein-fach nicht anschließen, daß bei Waigel alles okay warUta Titze-Stecher
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4461
(C)
(D)
und Sie uns einen geordneten Haushalt übergeben ha-ben. Wovon reden wir eigentlich?
Wir reden sicher nicht von derselben Sache. Was michin meiner Kritik bestärkt, ist, daß ich mich auf Zahlenund Fakten des Bundesrechnungshofes, nun wirklich einunparteiischer Berater und Prüfer, beschränke.Die Höhe der Finanzschulden des Bundes ist be-kannt; darauf bräuchte ich nicht einzugehen. Ich kommeIhnen aber trotzdem einmal mit der alten Leier, damit esauch die hören, die es bisher noch nicht vernommen ha-ben: Bis zur deutschen Einheit haben sich die Schulden,die Sie von Ex-Kanzler Schmidt übernommen haben,verdoppelt, und zwar ohne Grund. Nach der Einheit ha-ben Sie die bereits verdoppelten Schulden noch einmalverdoppelt. In Zahlen: Von 1987 bis 1997 sind ausweis-lich des Bundesrechnungshofes die Schulden des Bun-des auf rund 955 Milliarden DM angestiegen. Dies istim Rahmen der Aktuellen Stunde von einer Kollegin be-reits lang und breit erklärt worden. Der Schuldenstanderreicht im Jahre 2002 rund 1 554 Milliarden, also gut1,5 Billionen DM.
Und da reden Sie von geordneten Staatsfinanzen! Wirtreten eine Erblast an, gekennzeichnet – jetzt zitiereich aus dem Bericht des Bundesrechnungshofs –durch ein hohes Finanzierungsdefizit, stark steigen-den Schuldenstand und steigende Zins- und Tilgungs-ausgaben.Das Problem ist, daß wir uns für die schönen Dinge,zum Beispiel für Kunst und Kultur, kaum noch rührenkönnen. Um aus dieser Finanzwirtschafts- und Zinsen-falle herauszukommen, wird durch die Auflage des Zu-kunftsprogramms 2000 zum ersten Mal eine seriösePerspektive für die Sanierung der Staatsfinanzen eröff-net. Ich kann nur hoffen, liebe Kolleginnen und Kolle-gen von der jetzigen Opposition, daß Sie es bei der Sa-nierung der Staatsfinanzen ehrlich meinen mit Ihrenewigen Versprechungen „Sparen ja; es kommt nur dar-auf an, wie“. Wir hoffen auf Ihre massive Hilfe, damituns solche Berichte, wie sie hier zu debattieren sind, inder Zukunft nicht mehr vorgelegt werden.
Ich muß allerdings hinzufügen, daß uns Festlegun-gen aus früheren Haushaltsjahren mit entsprechendenErmächtigungen durch Haushaltsgesetze noch schwer zuschaffen machen – Stichwort Eurofighter.
Allein bis Ende 1997 haben wir 170 Milliarden DM anErmächtigungen zusammenbekommen. Bis zum Jahre2008 werden die Verpflichtungen zur Leistung von Ver-sorgungsaufgaben vermutlich 30 Milliarden DM betra-gen. Dabei lasse ich die demographische Entwicklungzunächst einmal außer acht. Auch das, was über die EU-Beamtenschaft an Versorgungsverpflichtungen auf unszukommen wird, ist noch gar nicht einbezogen.
Herr Eichel hat mit diesem Sparpaket, so denke ich,Herr Kollege Kalb, die Notbremse gezogen, um auch inZukunft für künftige Verpflichtungen unseren Gestal-tungsspielraum wahrnehmen zu können.Da wir schon bei den Details der Erblast sind und Siedies ständig brüllenderweise bestreiten, habe ich noch einanderes Stichwort auf Lager: Gewährleistungen. HerrKalb, was ist denn damit? Schon Mitte des Jahres 1997lag die Haftungssumme des Bundes bei knackigen 433Milliarden DM. Wenn uns auch noch die hohen Bela-stungen für künftige Bundeshaushalte durch verstärkte In-anspruchnahme des Bundes aus diesen Gewährleistungen,die Sie zu verantworten haben, treffen, dann gnade unsGott. Deswegen müssen wir national – das macht dieneue Regierung – die Verschuldung zurückfahren. Aller-dings muß uns daran gelegen sein, international verbindli-che Regularien für die Finanzmärkte zu entwickeln.Wir bitten Sie, der Empfehlung des Bundesrates zufolgen und der Bundesregierung die Entlastung für 1997zu erteilen.In einem letzten Satz möchte ich allerdings noch et-was ansprechen, was wir von Ihnen geerbt haben: Seit1992 verhandeln Sie ergebnislos, erfolglos. Sie wissen,was ich meine, nämlich die koordinierte Finanzpolitikzwischen Bund und Ländern. Wegen des finanziellenSanktionsrisikos der EU müssen wir hier zu Ergebnissenkommen. Wir haben in diesem Bereich ein Nullum vor-gefunden. Das heißt: Wenn wir jetzt den Referenzwertum nur einen Punkt überschreiten, dann trifft uns eineSanktion in zweistelliger Milliardenhöhe, und zwar nurden Bund, weil sich die Länder bisher weigern, bei derinterstaatlichen Haftung mitzumachen, einen innerstaat-lichen Stabilitätspakt zu verankern.Ich bitte das Finanzministerium dringend, zu einer füralle Ebenen – inklusive der Sozialversicherung – einver-nehmlichen Lösung zu kommen, weil wir alle dafürVerantwortung tragen.
Frau
Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
Herr Präsident, ichschließe mit dem Dank an all die Personen, die uner-müdlich – oft ohne Blick auf die Uhr – für unser leib-liches und mentales Wohl gesorgt haben, insbesonderean die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den beidenAusschußsekretariaten des Haushalts- und Rechnungs-prüfungsausschusses.Ich danke auch meinem Vorgänger im Amt – so wieSie es mir gegenüber getan haben, Herr Hollerith –; HerrPützhofen hat die Sitzungen straff, charmant und effi-zient durchgeführt.
Uta Titze-Stecher
Metadaten/Kopzeile:
4462 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Dafür bedanke ich mich.Ich bedanke mich bei all denen, die in verantwortlicherPosition für uns gearbeitet haben, zum Beispiel bei HerrnMüller, und bei denen, die jetzt für uns arbeiten, zum Bei-spiel bei Frau Pendzich von Winter, sowie bei Ihnen, meinelieben Kollegen und Kolleginnen aus dem Rechnungsprü-fungsausschuß, für Ihre motivierte Arbeit, unsere gute Zu-sammenarbeit und auch unsere gegenseitige Geduld.
Als
nächster Redner hat der Kollege Oswald Metzger vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kol-lege Austermann, man hat als Mitglied einer kleinerenFraktion manchmal das arbeitsame Vergnügen, in ver-schiedenen Ausschüssen zu sitzen. Ich bin auch hier alsBerichterstatter zuständig. Deshalb kommt es hier zudieser Doppelrolle.Das Sprichwort „Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mitSteinen werfen“ fiel mir ein, als Kollege Hollerith nacheinem charmanten Auftakt und dem Dank an den Rech-nungshof und die zuständigen Mitarbeiterinnen undMitarbeiter plötzlich ein gigantisches Ablenkungsmanö-ver startete. Er sprang nämlich vom Jahre 1997 auf dasHier und Jetzt. Zudem hat er von damaligen hohenWachstumsraten gesprochen.Ich komme auf die Jahresrechnung 1997 zurück, fürdie wir der ehemaligen Bundesregierung Entlastung er-teilen wollen, und stelle fest: Die damalige Regierungmußte auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit das Instru-ment der Feststellung der Störung des gesamtwirt-schaftlichen Gleichgewichts in Anspruch nehmen –dies war in der Wissenschaft außerordentlich umstrittenund wurde auch von den Ökonomen kritisiert –, um dieÜberschreitung der Verschuldungsgrenze grundgesetz-konform möglich zu machen.
Das war ein finanzpolitischer Offenbarungseid, dendie damalige Opposition, die SPD und das Bündnis 90/Die Grünen, bereits bei der Haushaltsverabschiedung imFrühjahr 1997 beklagt hatte. Eine Überveranschlagungbei den Einnahmen und eine Unterveranschlagung beiden Ausgaben hat damals mit dramatischer Stärkedurchgeschlagen. Sie alle wissen – Kollegin Titze-Stecher hat zu Recht darauf hingewiesen –: 1996 wurdeim Haushaltsvollzug die Verschuldungsgrenze sogarüberschritten. Dazu ist ja in Karlsruhe eine Verfas-sungsklage einer großen Fraktion anhängig.Wer also in der jüngeren Vergangenheit – das ist jaerst zwei Jahre her – gräbt, merkt, daß die ehemaligeRegierung höllisch aufpassen muß, wenn sie jetzt solide-re Haushalte wie zum Beispiel den des Jahres 1999 unddas Konsolidierungsprogramm angreift.Ich möchte auf einen Punkt im Zusammenhang mitdem Thema Glaubwürdigkeit und Umgang der neuenRegierung mit den Empfehlungen des Rechnungshofeshinweisen. Der Rechnungshof hat in bezug auf die Kre-ditermächtigungen einen sehr richtigen Hinweis gege-ben, nämlich den auf die Untugend, daß sich Finanzmi-nister in der Vergangenheit mehr Kreditermächtigungenvom Parlament haben genehmigen lassen, als tatsächlichin Anspruch genommen wurden. Sie haben dann die al-ten, nicht verbrauchten Kreditermächtigungen jeweilsklammheimlich auf das neue Haushaltsjahr übertragen,so daß sie eine richtige Bugwelle von Ermächtigungenzur Schuldenaufnahme vor sich hergeschoben haben.Daraus hat die neue Regierung glaubwürdige Konse-quenzen gezogen.
Wir haben mit dem Haushaltsgesetz dieses Jahres damitSchluß gemacht – denn als Opposition haben wir diedamalige Praxis kritisiert – und haben eine Begrenzungder Übertragbarkeit von alten Kreditermächtigungen auffolgende Haushaltsjahre auf sehr niedrige, einstelligeMilliardenbeträge durchgesetzt.Daran ist zu erkennen: Der Rechnungshof, dem nurdie Kraft seiner Argumente zur Verfügung steht – erwird ja oft als Ritter ohne Schwert bezeichnet –, hatimmer dann, wenn Regierungen glaubwürdig bleiben,wenn sie also die Kritik, die sie als Opposition geäußerthaben, in konkretes Handeln umsetzen, eine Chance,sich durchzusetzen. Beim Stichwort Kreditermächtigun-gen haben wir entsprechende Konsequenzen gezogen.Ein weiteres Stichwort ist die globale Minderaus-gabe.
Nächste Woche können wir erleben, daß die heutigeOpposition der heutigen Regierung vorwerfen wird, daßglobale Minderausgaben in Höhe von rund 5 MilliardenDM im Etat 2000 veranschlagt worden sind, die nochnicht kapitelgenau belegt sind. Wir, der Finanzministerund die haushaltspolitischen Sprecher der Regierungs-fraktionen, haben im Juni dieses Jahres in diesem Par-lament erklärt: Im Rahmen der Haushaltsberatungen2000 werden diese globalen Minderausgaben titelgenauaufgelistet. Warum haben wir das erklärt? Weil in derJahresrechnung des Jahres 1997 der damaligen Regie-rung ins Stammbuch geschrieben wurde, sie habe denHaushaltsgesetzgeber nicht komplett über die Haushalts-rechnung aufgeklärt, weil in der Jahresrechnung über5 Milliarden DM nicht titelgenau in der Ausgabenüber-sicht belegt waren. Was der Rechnungshof zu Rechtanmahnt, lassen wir bei der Aufstellung des Etats 2000auch gegen uns gelten.
Uta Titze-Stecher
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4463
(C)
(D)
Wir werden die globalen Minderausgaben belegen. Dasind wir im Wort, und das werden wir auch tun.Letzter Gesichtspunkt. Ich habe es schon angedeutet:Der Rechnungshof lebt von der Kraft seiner Argumente.Ich wünsche mir, daß auch diese Regierung – in Oppo-sitionszeiten haben wir beklagt, daß bestimmte Ministermit Berichten des Rechnungshofs, höflich ausgedrückt,fahrlässig umgegangen sind, um nicht zu sagen, sie ha-ben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rechnungsho-fes in Sitzungen der Berichterstattergruppen wie Schul-jungen abgekanzelt – in der Lage ist, auch sie treffendekritische Berichte entgegenzunehmen, die Aufgabe, diedem Bundesrechnungshof zukommt, zu akzeptieren –auch wenn es wehtut –,
und, wenn nötig, die notwendigen Konsequenzen darauszu ziehen.Ich sage zumindest für meine Fraktion: Wir werdendem Bundesrechnungshof auch aus einem verändertenBlickfeld heraus – jetzt als Regierungspartei – nach wievor die notwendige Aufmerksamkeit schenken.
Ich hoffe, daß der Rechnungshof seine wichtige Con-trolling-Aufgabe gegenüber dem Parlament und dem Fi-nanzministerium mit Engagement wahrnimmt.Vielen Dank.
Das
Glockenzeichen, das wir eben gehört haben, war kein
Telefon, sondern die Glocke, die zur Abstimmung ruft.
Das schallt vom Gang so in den Plenarsaal hinein. Ich
denke, das muß man technisch noch anders lösen. Damit
wollte ich erklären, woran das liegt.
– Es braucht niemand geweckt zu werden; alle sind
wach und voll bei der Debatte.
Als nächster Redner hat der Kollege Jürgen Koppelin
von der F.D.P-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Zuerst einmal möchte ich fürdie F.D.P. den Dank für die gute Zusammenarbeit, diewir im Rechnungsprüfungsausschuß haben, ausspre-chen. Das mag auch an der guten Führung gelegen ha-ben: In der letzten Legislaturperiode war es der KollegePützhofen, dem ich ausdrücklich danke, und jetzt ist esdie Kollegin Titze-Stecher, die die Führung des Rech-nungsprüfungsausschusses übrigens viel netter macht,als sie sich heute bei ihrer Rede teilweise präsentiert hat.Das will ich einmal sagen, liebe Kollegin. Einen rechtherzlichen Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternim Ausschußsekretariat und natürlich auch dem Rech-nungshof, an seine Präsidentin und an die dortigen Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter!Vor dem Hintergrund immer knapper werdenderMittel in den öffentlichen Haushalten auf der einen Seiteund der Fülle auch neuer Staatsaufgaben auf der anderenSeite gewinnt, so meine ich, die Haushaltskontrollezukünftig immer mehr an Bedeutung. Ich würde mir,Frau Präsidentin, wünschen, wenn der Bundesrech-nungshof uns zukünftig mit seinen Bemerkungen viel-leicht noch etwas zeitnäher begleiten und unterrichtenkönnte. Das wäre für unsere Arbeit sicher von großemVorteil. Auf diesem Weg können wir anstehende Vor-haben und deren Umsetzung im Vorfeld schnell undwirksam kontrollieren und gegebenenfalls – das halteich für wichtig – auch beeinflussen.Mit den Feststellungen zur Haushalts- und Vermö-gensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1997wird ein Jahresabschlußbericht vorgelegt, der Auskunftüber den gesetzestreuen Vollzug der Parlamentsbe-schlüsse und darüber gibt, ob es einen sparsamen undwirtschaftlichen Umgang mit den Steuergeldern gegebenhat.Im Jahr 1997 hatten wir – das ist bei den Ausführun-gen des Kollegen Metzger leider verschwiegen worden,weil er ein bestimmtes Szenario für das fragliche Jahrgezeichnet hat – eine schwierige Arbeitsmarktentwick-lung und ein deutliches Zurückbleiben der Steuerein-nahmen. Das hatte natürlich schwerwiegende Belastun-gen für den öffentlichen Haushalt des Bundes zur Folge.Aus diesem Grund mußte der Bund – das ist heute schonangesprochen worden – einen Nachtragshaushalt erstel-len. Die Belastungen mit einer Höhe von etwa 30 Milli-arden DM waren immens. Bei der Gelegenheit darf icheinmal sagen, daß es uns gelungen ist, über 5 MilliardenDM im Haushalt einzusparen. Von Haushaltsüberschüs-sen will ich gar nicht sprechen,
um es nicht zu kompliziert zu machen und um nicht alldas zu konterkarieren, was der Kollege Metzger vorge-tragen hat; denn darüber hat er natürlich nicht gespro-chen, weil das eine positive Seite war. 1997 war ein au-ßerordentlich schwieriges Jahr. Ich kann für die F.D.P.feststellen, daß in diesem Jahr haushaltsmäßig solide ge-arbeitet worden ist und daß der Bundesregierung deswe-gen Entlastung zu erteilen ist.Ich will in dieser Aussprache einen Punkt ansprechen,der mir bisher in allen Bemerkungen noch gefehlt hat.Ich meine die internationalen Einrichtungen. Dazugibt es im Bericht des Rechnungshofes nur eine kurzeBemerkung. Wenn die Bundesrepublik Deutschlandschon Mitglied in vielen internationalen Einrichtungenist – im Bericht wird ausgeführt, daß wir etwas über6 Milliarden DM dafür zahlen –, dann kann es, finde ich,nicht nur die Aufgabe des Rechnungshofes sein, zuschauen, ob diese Zahlungen auch erfolgt sind. Unsfehlen nämlich die Informationen über die Verwendung.Ich meine, es ist dringend notwendig, als großerZahler bei internationalen Einrichtungen mehr Über-Oswald Metzger
Metadaten/Kopzeile:
4464 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
prüfungsmöglichkeiten zu bekommen, ob die gezahltenGelder wirklich zweckmäßig eingesetzt wurden und obdie Mitgliedschaft – ich würde sogar so weit gehen – beieiner Organisation überhaupt noch sinnvoll ist. Es gibtdurchaus Bereiche – ich will das hier bewußt nicht an-sprechen –, wo man sagen könnte: Hier könnten wir unsaus der Mitgliedschaft verabschieden. Hier wünsche ichmir noch mehr Kontrolle.Wir als F.D.P. – ich wäre gar nicht darauf eingegan-gen, aber das will ich sagen, weil hier vom sogenanntenSparpaket des Ministers Eichel die Rede war – sindnatürlich bereit, den jeweiligen Minister bei jedemSparkonzept, das vernünftig gehandhabt wird, zu unter-stützen. Ich glaube sogar, das wollen alle Mitglieder desHaushaltsausschusses. Hierüber gibt es überhaupt keineDiskussion.
– Lieber Kollege Andres, vielleicht wäre es besser, aufder Regierungsbank zu sitzen und nicht dort, aber ichkenne den aktuellen Stand hinsichtlich der Bildung derBundesregierung nicht.
Aber wenn Sie schon von Sparpaket und von Spar-zielen reden, dann muß ich sagen: Die Vorwürfe an diealte Regierung, die ich heute gehört habe, sind heißeLuft. Sie müssen sich erst einmal das Sparpaket vonHerrn Eichel ansehen. Herr Eichel präsentiert uns einSparpaket von 30 Milliarden DM. Das verkauft er denMedien und der Öffentlichkeit. Wenn man sich das an-sieht, stellt man fest – dazu braucht man sich noch nichteinmal eine Brille aufzusetzen –, daß es unglaublichviele Positionen gibt, die überhaupt nicht geklärt sindoder bei denen man sagen muß: Man bedient sich beianderen.[Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Bri-gitte Baumeister [CDU/CSU]: Das stimmt!)Man bedient sich bei den Ländern. Man bedient sichbeim Wohngeld, man bedient sich hier, man bedient sichda. Sie gehen sogar so weit – das wird die Haushaltsbe-ratung demnächst zeigen, das müssen Sie sich einmalvorstellen; das hätte ich von Sozialdemokraten nie ge-dacht –, daß Sie sich bei den deutschen sozialen Ver-bänden bedienen; Stichwort: Zivildienst. Dort bedienenSie sich mal eben mit 600 Millionen DM.
Sie kassieren bei den sozialen Verbänden ab. Das darfdoch wohl nicht wahr sein.
Auch die globale Minderausgabe von über 5 Milliar-den DM ist schon angesprochen worden. Wir schaueneinmal, wie das aussieht.
– Wenn diese Zurufe kommen, will ich Ihnen noch eineGruppe nennen, die Sie unverschämt radikal abkassie-ren. Das sind zum Beispiel die Landwirte.
An diese gehen Sie in einer Weise ran, die ein einzigerSkandal ist.Man sollte sich nicht nur hier hinstellen und auf diealte Regierung schimpfen. Schauen Sie sich Ihr eigenesSparpaket an. Aber das wird Sie alles wieder einholen.Ich meine, daß so manche Ausgabe, die diese Regierunggetätigt hat, ein Fall für den Rechnungshof sein wird.Ich bin sicher, daß wir im Rechnungsprüfungsausschußso manchen guten Ausgabenbekannten dieser Bundesre-gierung bald wiedertreffen werden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als
nächster Redner hat der Kollege Uwe-Jens Rössel von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Auch die PDS-Fraktion be-fürwortet die Entlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 1997. Die politische Quittung für den da-maligen Haushalt hat die Kohl-Waigel-Regierung ohne-hin schon mit der Bundestagswahl 1998 erhalten.
Auch ich will gern die Gelegenheit nutzen, um michan dieser Stelle bei Frau Präsidentin von Wedel und beiihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlichfür die wertvollen Prüfungsergebnisse zu bedanken. DieArbeit des Bundesrechnungshofes genießt in der PDS-Fraktion eine hohe Wertschätzung. Wir erwarten vonder jetzigen Bundesregierung, daß sie weit mehr Enga-gement und weit mehr Konsequenz als die Vorgänger-koalition bei der Umsetzung der Kontrollfeststellungendes Hofes zeigt.Dank sagen will ich auch ausdrücklich für das Wir-ken des Rechnungsprüfungsausschusses unter der Lei-tung der verdienstvollen Kollegin Uta Titze-Stecher.
Die Prüfung der Haushaltsrechnung 1997 macht er-neut die immense Verschwendung öffentlicher Gelderund auch Mißwirtschaft von Bundesbehörden deut-lich. Daran hat sich leider bis heute nur wenig geändert.Damals war und heute ist sehr kritikwürdig die Arbeitmit Investitionszulagen, deren Bedeutung für die Wirt-schaftsförderung in den neuen Bundesländern spürbarzugenommen hat. Durchschnittlich jeder dritte Antrag inden Finanzämtern wird falsch bearbeitet. Allein dadurchJürgen Koppelin
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4465
(C)
(D)
entstehen dem Bund jährlich Einnahmeausfälle bis zu500 Millionen DM.Überhaupt lassen Bund und Länder – etwas zuge-spitzt formuliert – Steuergelder in mehrfacher Milliar-denhöhe auf der Straße liegen, weil Betriebsprüfungenunkontinuierlich und teilweise mangelhaft durchgeführtwerden. Das ist unverantwortlich, meinen wir, gerade ineiner Situation, in der die Schröder-Eichel-Regierungmit dem sogenannten Sparpaket 2000 die Verschuldungdes Bundeshaushaltes überwiegend auf Kosten vonRentnerinnen und Rentnern, von Sozialhilfeempfänge-rinnen und -empfängern abbauen will. Zugleich soll einDrittel des Einsparvolumens den ohnehin arg gebeutel-ten Kommunen aufgedrückt werden. Solche Praktikenlehnen wir ganz entschieden ab.Vergegenwärtigen wir uns: Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer werden hinsichtlich ihres Einkommens hun-dertprozentig überprüft, Kleinbetriebe nur zu 4,3 Pro-zent, Groß- und Mittelbetriebe zwischen 7,9 und 20 Pro-zent.Betriebsprüfungen müssen dringend ausgebaut wer-den; der Veränderungsbedarf ist unerhört. Das Problemder unzureichenden Betriebsprüfung und auch der unge-nügenden Steuerfahndung liegt nach Ansicht des Bun-desfinanzministeriums allein in der Steuerhoheit derLänder begründet. Dem ausdrücklich widersprechend,stellt der Bundesrechnungshof jedoch fest, daß im Rah-men seiner Fach- und Rechtsaufsicht das Bundesfi-nanzministerium für die zutreffende Besteuerung imBundesgebiet verantwortlich ist. Minister Eichel undStaatssekretär Diller können sich also um diese Aufgabewohl nicht mehr länger herummogeln, da sie ja mitMacht und Konsequenz das Sparpaket gegen den Willenvon Millionen Wählerinnen und Wählern durchpeit-schen wollen.
Herr
Kollege Rössel, kommen Sie bitte zum Schluß.
Daher bitten wir um
Unterstützung für den Antrag der PDS-Fraktion, die
Betriebsprüfungen deutlich auszubauen und die Steuer-
fahndung zu qualifizieren. Es ist eine Aufgabe, die uns
allen hilft, soziale und ökologische Projekte durchzuset-
zen.
Vielen Dank.
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem
Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Entla-
stung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1997
und zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
1998, Drucksache 14/1257. Wer stimmt für diese Be-
schlußempfehlung? – Gegenstimmen! – Enthaltungen? –
Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig ange-
nommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich, Michael Goldmann, Dr. Karlheinz
Gutmacher, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der F.D.P.
CO2-Ausstoß im Gebäudebereich senken
– Drucksache 14/660 –
Überweisungsvorschlag:
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesinstitutfür Arzneimittel und Medizinprodukte hat am 6. Juli imRahmen eines Verfahrens der gegenseitigen Anerken-nung innerhalb der Europäischen Union dem Antrag aufZulassung von Mifegyne zugestimmt. Durch eine Ände-rung des Arzneimittelgesetzes hat dieses Parlament vorder Sommerpause den Vertriebsweg geregelt, so daß ge-sichert ist, daß wenigstens vom Gesetz her die Vor-schriften der §§ 218ff. gewahrt bleiben können.Dr. Uwe-Jens Rössel
Metadaten/Kopzeile:
4466 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Der Zulassung ist harte Kritik vorausgegangen, ins-besondere von der Katholischen Kirche, hier besondersvon Kardinal Meisner,
der diese Zulassung für einen Rechtsbruch hält. Kriti-siert hat diese Zulassung auch die Ministerin für Sozia-les in Bayern, Barbara Stamm, die in der Zulassung eineBagatellisierung der Tötung ungeborener Kinder sieht.Kritik kam auch von ganz unvoreingenommener Seite,nämlich von amerikanischen und französischen Femini-stinnen, die für sich den Anspruch auf Abtreibung rekla-mieren, die aber wegen der Nebenwirkungen vor Mife-gyne warnen, ebenso der deutsche Abtreibungsarzt Stapf.Die Zulassung von Mifegyne wurde dagegen aus denReihen der F.D.P., der Grünen und der SPD begrüßt. Ei-ne lange Kampagne hat ihr Ziel erreicht, eine Kampa-gne, der sich zum Schluß auch der Bundeskanzler ange-schlossen hat.Ich meine jedoch, daß die Freigabe von Mifegynenicht auf eine Methodenfrage reduziert werden kann, aufdie Frage, ob eine Alternative zum chirurgischen Ab-bruch vorgesehen werden sollte. Es geht bei dem Einsatzvon Mifegyne um die Tötung noch nicht geborener Kin-der. Das ist die Realität. Darauf muß man sich besinnen,wenn man über diese Frage diskutiert. Der Staat ist dazuda, Leben zu schützen. Das ist sein eigentlicher Auftrag.Deswegen gibt es ihn überhaupt. Darin liegt seine Be-rechtigung. Deshalb hat auch ein so profilierter Rechts-politiker wie Adolf Arndt von der SPD so leidenschaft-lich gegen die Freigabe der Abtreibung gekämpft. Wirmeinen, daß in der Abtreibung selbst ein Bruch derstaatlichen Verpflichtung, Leben zu schützen, zu sehenist. Wir meinen, daß dieser Bruch durch Mifegyne ver-stärkt werden könnte. Das ist unsere Befürchtung.Mit unserem Gesetzentwurf wenden wir uns deshalbgegen die Genehmigung dieses Mittels. Aber wir fassenunseren Gesetzentwurf weiter. Wir wollen die Herstel-lung und den Vertrieb von jeglicher chemischer Sub-stanz verbieten, die dazu geeignet ist, menschliches Le-ben zu töten. Ein solches Verbot ist einem Kulturstaatgemäß. Der Staat – ich habe das schon gesagt – hat dieAufgabe, menschliches Leben zu schützen. Er kannnicht Mittel einsetzen und zulassen, mit denen mensch-liches Leben getötet werden kann. Das ist jedenfalls un-sere Auffassung.
Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir klarstellen,daß ein Arzneimittel ausschließlich den Zweck hat, zuheilen, zu lindern oder Krankheiten zu verhindern. Mi-fegyne ist in diesem Sinn kein Arzneimittel, ganz gewißnicht; denn die Schwangerschaft ist keine Krankheit,und die Tötung des ungeborenen Lebens ist kein Hei-lungsvorgang. Das kann man jedenfalls so nicht sehen.Deshalb stimmen wir mit Kardinal Meisner überein,wenn er ankreidet, daß das Institut für Arzneimittel undMedizinprodukte eigentlich falsch gehandelt hat. Eshätte mangels Kompetenz dieses Mittel nicht zulassendürfen. Es war dafür nicht zuständig.Man muß bedenken, daß dieses Institut bei der Zulas-sung von Arzneimitteln zwei Punkte zu berücksichtigenhat, nämlich zum einen die Frage, ob die Nebenwirkun-gen zu hart und zu groß sind und ob sie in den Griff zubekommen sind – das muß bei jedem Arzneimittel ge-prüft werden –, und zum anderen die Frage, ob über-haupt die medizinische Wirkung erzielt werden kann,die man sich von dem Arzneimittel verspricht. Diesezwei Punkte muß das Institut prüfen. Schon beim erstenPunkt gibt es große Schwierigkeiten. Es gibt viele Mel-dungen, die besagen, daß die Nebenwirkungen von Mi-fegyne so groß sind, daß es eigentlich nicht zugelassenwerden sollte. Ich habe vorhin die amerikanischen undfranzösischen Feministinnen ebenso wie den Abtrei-bungsarzt Stapf zitiert. Es wird darauf hingewiesen, daßdas Mittel zu übermäßigen Blutungen führe. Es gebe dieGefahr von Kreislaufstörungen, ja sogar die des Herzin-farktes. All diese Umstände zwingen die Frau, sich einerstarken Kontrolle durch den Arzt zu unterziehen. Das istrichtig und auch notwendig. Nur durch diese Kontrollekönnen die Nebenwirkungen in den Griff bekommenwerden. Aber dadurch entstehen auch große psychischeBelastungen für die Frau, die nicht übersehen werdendürfen; denn sie erlebt ja durch das Einnehmen des Prä-parats den langsamen Tod des Kindes, das regelrechtverhungert. Dies ist die Wirkung des Präparates. Daserlebt die Frau und gerät dadurch natürlich in große psy-chische Probleme, die oft weit länger dauern als derAbtreibungsvorgang selbst. Häufig rufen betroffeneFrauen nach der Einnahme des Präparates beim Arzt an– jedenfalls wird es so berichtet – und fragen, ob esnicht möglich sei, dies rückgängig zu machen. Die Ne-benwirkungen sind nach meiner Meinung also nicht soohne. Man muß sie bedenken. Auch das wollen wir inunserem Antrag mit berücksichtigen.Der zweite Prüfungspunkt ist, ob durch dieses Mitteldie medizinische Wirkung erreicht werden kann. Esstockt einem der Atem; denn die medizinische Wirkungdieses Mittels ist die Tötung menschlichen Lebens.Deswegen kann dieses Mittel niemals als Arzneimittelverstanden werden, es sei denn, man macht einen geisti-gen Salto mortale. Das wollen wir mit unserem Gesetz-entwurf ebenfalls klarstellen. Ich meine, eine solcheKlarstellung ist dringend erforderlich.Das Hauptargument gegen diejenigen, die sich gegendie Einführung des Mittels wenden, ist, sie wollten lie-ber den chirurgischen Eingriff, um auf diese Weise dieFrauen vor der Abtreibung abzuschrecken. Da die Ab-treibung in Deutschland aber grundsätzlich möglich ist,müsse es, so ist das Argument, grundsätzlich erlaubtsein, der Frau ein schonenderes Mittel zu bieten. Ge-messen an dem, was ich vorhin über die Nebenwirkun-gen sagte, lautet die Frage doch, ob dieses Präparat inder Tat ein schonenderes Mittel ist. Ich glaube, darübermuß man nachdenken. Darum bitte ich Sie.
Herr
Kollege Geis, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lenke?
Aber bitte.Norbert Geis
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4467
(C)
(D)
Bitte
schön, Frau Kollegin.
Herr Geis, ich möchte gern von
Ihnen wissen, ob Sie auch gegen die chirurgische Me-
thode des Schwangerschaftsabbruchs sind?
Ich bin gegen jeglichen
Schwangerschaftsabbruch. Ich bin der Meinung, daß der
Schwangerschaftsabbruch eine Tötung menschlichen
Lebens ist. Ich halte Schwangerschaftsabbruch für Un-
recht, und ich bin nicht der Auffassung, daß unsere der-
zeitige gesetzliche Lage unserer Verfassung entspricht.
Ich halte sie nicht für verfassungskonform. Ich trete ge-
gen die Abtreibung ein, wie es einst – ich nehme das für
mich in Anspruch, erlauben Sie mir das – Adolf Arndt
getan hat, wenngleich ich mich nicht mit diesem bedeu-
tenden Rechtspolitiker messen will.
Das Hauptargument gegen diejenigen, die sich ge-
gen die Einführung wenden, ist, man wolle lieber den
chirurgischen Eingriff, um auf diese Weise die Frau ab-
zuschrecken. Das Hauptargument für dieses Präparat ist
der sogenannte schonendere Eingriff. Ich habe aber dar-
gelegt, daß es größte Zweifel daran gibt, ob es sich
wirklich um einen schonenderen Eingriff handelt.
Wie ich meine, gibt es ein weiteres wichtiges Argu-
ment gegen dieses Präparat. Gerade wenn man die bei
uns bestehende Abtreibungsgesetzgebung der §§ 218 ff.
bejaht, wenn man den mühsam zustande gekommenen
Kompromiß vom 21. August 1995 mit seinem Bera-
tungskonzept bejaht, dann muß man doch darüber nach-
denken, ob durch diesen Einsatz von Mifegyne dieser
mühsame Kompromiß nicht unterlaufen werden kann.
Die Gefahr besteht zumindest. Wenn die Frau am
43. Tag der Schwangerschaft erstmals als feststehende
Tatsache erfahren kann, daß sie schwanger ist, und wenn
dieses Mittel bereits am 49. Tag der Schwangerschaft
eingesetzt werden muß, weil es zu einem späteren Zeit-
punkt nicht mehr wirksam ist, dann sind die dazwi-
schenliegenden Tage nur eine ganz kurze Frist. Inner-
halb dieser Frist muß sie sich entscheiden. Wir wissen
doch, daß eine Frau, die das Kind nicht will, in größte
Zweifel gerät. Wir wissen doch, daß eine solche Frau
allen möglichen Ratschlägen ausgesetzt ist, guten und
schlechten. Wir wissen vor allen Dingen auch, daß eine
solche Frau Pressionen aus ihrem eigenen Umfeld aus-
gesetzt sein kann.
– Richtig, immer, verehrte Frau Kollegin. – Aber wie
soll in einer solch kurzen Frist von drei, vier oder fünf
Tagen eine vernünftige Beratung stattfinden und eine
vernünftige Entscheidung für die Frau in ihrem eigenen
Inneren heranreifen, so daß diese Entscheidung auch ge-
genüber späteren Zweifeln in ihrem eigensten Bewußt-
sein Bestand haben kann. Ich meine, das muß man eben-
falls bedenken.
Es gibt in einem Rechtsstaat, in einem Kulturstaat
wie unserem viele Argumente gegen den Einsatz solcher
Mittel. Deshalb bitte ich Sie, diese Argumente – alle
konnte ich auf Grund der Kürze der Zeit nicht vortra-
gen – in den Ausschußberatungen in aller Ruhe zu be-
denken.
Danke schön.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Regina Schmidt-
Zadel von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Am 24. Juni hat der Deut-
sche Bundestag mit Mehrheit einen Gesetzentwurf der
Koalition zur Änderung des Arzneimittelgesetzes verab-
schiedet. Der Bundesrat hat am 9. Juli diesem Gesetz
zugestimmt. Das Gesetz ist am 30. Juli im Bundesge-
setzblatt veröffentlicht worden, und es ist seitdem in
Kraft. Seitdem steht nun endlich auch den deutschen
Frauen die Möglichkeit offen, sich bei einem Schwan-
gerschaftsabbruch für die medikamentöse Methode zu
entscheiden.
Die 9. Novelle des Arzneimittelgesetzes hat für den
Vertrieb der Präparate für den medikamentösen
Schwangerschaftsabbruch einen streng kontrollierten
Sondervertriebsweg geschaffen. Die F.D.P. und die
Mehrheit der CDU/CSU im Gesundheitsausschuß haben
sogar für einen Vertriebsweg über die Apotheken plä-
diert. F.D.P. und Union hätten der 9. AMG-Novelle
ebenfalls mehrheitlich zugestimmt, wäre ihr Änderungs-
antrag auf Einbeziehung der Apotheken berücksichtigt
worden. Deswegen ist es – lassen Sie mich, meine Da-
men und Herren, auch dieses sagen – sehr verwunder-
lich, daß die Fraktion der CDU/CSU diesen Antrag, den
wir heute beraten, mit unterstützt hat.
Ihnen, meine Damen und Herren, die Sie den vorlie-
genden Gesetzesentwurf auf Drucksache 14/1184 einge-
bracht haben, sage ich: Alle Argumente, aber auch alle
Argumente in dieser Sache sind in jahrelangen Debatten
ausgetauscht worden. Die Zulassung für Mifegyne ist in
Deutschland und mittlerweile in vielen anderen europäi-
schen Ländern erfolgt. Der Vertriebsweg ist gesetzlich
geregelt. Der Hersteller wird das Präparat voraussicht-
lich im November auch hier auf den Markt bringen. Es
gibt daher aus meiner und unserer Sicht keinen Grund,
längst abgeschlossene Debatten neu zu entfachen und
weiter darüber zu diskutieren.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ina Lenke von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter
Metadaten/Kopzeile:
4468 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Herr Geis, ich finde es schon merkwürdig, daß Sie dieArgumente des Kardinals Meisner hier wieder in dieDiskussion bringen und nicht sagen, was er sonst nochüber Frauen gesagt hat. Jemand, der das Medikamentmit dem Zyklon B der Nazis vergleicht, kennt offenbardie Nöte der Frauen nicht.
Außerdem sind wir hier im Deutschen Bundestag undnicht in einem Entscheidungsgremium der katholischenKirche.
Ich habe durch meine Zwischenfrage, so meine ich,auch von Ihnen erfahren, daß der von Ihnen einge-brachte Antrag eigentlich nur ein Umweg ist, um wiederin die Diskussion des § 218 einzusteigen. Sie habennämlich eben zu mir gesagt, daß Sie auch die operativeMethode ablehnen. Warum sind Sie dann so einseitigund stürzen sich nur auf dieses Medikament? Ich finde,daß das ein leicht durchschaubarer Versuch ist.
– Wir können darüber gerne reden; Sie können auch eineFrage stellen. Ich denke, daß die Mehrheit des Parla-ments diesen Antrag zu verhindern weiß.
Gerade wir Frauen haben 1995 in einem parteiüber-greifenden Konsens die Regelung des § 218 hart er-kämpft. Die Frauen und auch Männer der F.D.P. habensich doch in der Mehrheit der Fraktion wirklich dafüreingesetzt. Ein Schwangerschaftsabbruch ist seitdemstraffrei. Wir dürfen den Frauen nicht wieder von einerGruppe von Parlamentariern, die mehrheitlich aus Män-nern besteht – ich finde es sehr merkwürdig, daß vonden 40 Antragstellern nur zwei Frauen sind und Sienicht mehr Frauen Ihrer Fraktion überzeugen konnten,ihren Namen unter den Antrag zu setzen –, ihre Ent-scheidungsfreiheit nehmen lassen.Ganz klar und ganz deutlich möchte ich sagen, daßSie offensichtlich nichts verstanden und nichts dazuge-lernt haben. Ich möchte den Blick auf Ihre Begründungrichten. Hier steht wörtlich:Die Verwendung solcher Mittel als „Arzneimittel“ist geeignet, die Tötung als Heilmaßnahme erschei-nen zu lassen ...Sie glauben doch nicht, daß irgendeine erwachsene Frauin der Bundesrepublik einer solchen Meinung ist.
Sie verharmlosen hier, um diesen Antrag ins Parlamentzu bringen. Das tut keine Frau.
Das zweite ist – ich will weiter aus Ihrer Begründungzitieren –:Insbesondere die Verwendung von „Arzneimitteln“zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchenfördert die Vorstellung, eine unerwünschteSchwangerschaft sei eine Krankheit, von der dieEinnahme solcher Mittel heilen könne.Für wie dumm halten Sie die Frauen eigentlich?
Frau
Kollegin Lenke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Geis?
Ja. Ich will nur noch zu Ende zi-
tieren:
Die dadurch für das Leben Ungeborener entstehen-
de erhöhte Gefahr liegt auf der Hand.
So, jetzt kommt Ihre Zwischenfrage. Bitte.
Herr
Kollege Geis.
Vielleicht ist es Ihnen
möglich, weniger arrogant hier vorzutragen.
– Na ja, da haben Sie nicht zugehört.
Ich möchte Ihnen eine Frage stellen. Sie wissen, daß
in dem Gesetz vom 21. August 1995 für die Beratungs-
zeit eine lange Frist vorgesehen ist und daß der Gesetz-
geber dies ausdrücklich deshalb gemacht hat, um dem
Schutzzweck, dem die Beratung dient – denn die Bera-
tung ist ja nur deshalb da, um die Lebensinteressen des
Kindes in den Blick zu bringen –, Raum zu geben. Wie
können Sie dann sagen, daß bei dieser kurzen Frist, vom
43. bis 49. Tag, nicht die Bedenken bestehen, die ich
vorgetragen habe, daß durch die Verkürzung der Fristen
dieser Beratungszweck unterlaufen werden könnte?
Herr Geis, ich bin wirklich nichtarrogant, dann haben Sie mich mißverstanden; ich bin em-pört und auch innerlich verletzt. Das muß ich schon sagen.
Aber es ist gut; man weiß ja nie, wie man wirkt, HerrGeis. Schön, daß Sie das sagen; ich finde das richtig.Aber ich will das nun richtigstellen. Ich bin wirklich innerlich verletzt und empört dar-über, daß Frauen so ein lascher Umgang mit dem Lebenvorgeworfen wird.
Ina Lenke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4469
(C)
(D)
– Sie nicht, aber in der Begründung kommt das deut-lich zum Ausdruck. Herr Geis, es ist doch so: Für dieeinen ist bis zur siebten Woche zu früh, für die anderenbis zur zwölften Woche zu spät. Das ist ja wirklich dieFrage; da kann man so oder so argumentieren. Ich mei-ne, daß eine Frau, die sich das überlegt, sich das Tagund Nacht überlegt und das wirklich nicht leichtfertigmacht.
Sie haben doch vielleicht in Ihrer familiären Umge-bung oder ihrem persönlichen Umfeld solche Fälle, undSie wissen auch, daß, egal welche Art von Schwanger-schaftsabbruch vorgenommen wird – fragen Sie einmalÄrzte –, Frauen immer Gewissensbisse haben: vorher,während der Sache und hinterher.Wir als F.D.P. und auch ich haben nie gesagt, daß daseine leichtfertige Methode ist. Wir haben uns, bevor sol-che Diskussionen hier im Parlament stattfinden, sehr ge-nau kundig gemacht. Man muß ja nicht alles selbst er-leben, um hier im Parlament darüber zu sprechen. Ichfinde, es wäre ehrlicher, wenn noch einmal der Antragkäme: Schafft den § 218 ab, als das jetzt mit diesemGesetz über die Hintertür zu machen.
Herr
Kollege Geis, Ihre Zwischenfrage war beantwortet.
– Natürlich, aber sie war beantwortet. Wenn Sie eine
weitere Zwischenfrage stellen wollten, müßten Sie mich
fragen, und dann würde ich wiederum die Rednerin fra-
gen.
Frau Kollegin Lenke, fahren Sie bitte fort.
Ich habe Ihnen doch geantwor-
tet, Herr Geis.
Dann möchte ich Herrn Geis, weil er das für die
CDU/CSU-Fraktion vorgetragen hat, doch einmal fra-
gen: Was ist denn beim Schwangerschaftsabbruch aus
medizinischen Gründen? Wollen Sie den Frauen das
Präparat auch dann verwehren? Denn es gibt ja sehr
wohl Gründe, die es wirklich medizinisch notwendig
machen, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen.
Dann müssen Sie ebenfalls klar sagen, ob Sie dann auch
wollen, daß der Arzt als Fachmann der Frau nicht mehr
selbst den Rat geben kann, zwischen der operativen
Methode und der Präparatmethode zu wählen. Da
könnten Sie vielleicht noch einmal in Ihrer Fraktion be-
raten, ob Sie auch das nicht wollen.
Sie haben gesagt, diese Methode erfordere die Akti-
vität der Frau, während der chirurgische Eingriff für sie
passiv ist. Insofern ist die Einleitung eines Schwanger-
schaftsabbruchs für die Frau ja wesentlich schwerer.
Von daher kann man nicht, wie Sie in der Begründung,
von leichtfertig reden.
Ich will zum Schluß sagen, daß sich die F.D.P. für
den Schutz des menschlichen Lebens einsetzt. Für uns
geht das – das ist für mich jetzt auch kein Spruch – nur
mit der Frau und nicht gegen die Frau. Daß Sie gerade
Herrn Kardinal Meisner mit seinen Aussagen, die er zu
diesem Thema getätigt hat, als moralische Instanz ange-
führt haben, wundert mich schon sehr.
Ich als Frau jedenfalls lasse mir nichts mehr von Herrn
Kardinal Meisner sagen.
– Ich bin in der evangelischen Kirche, und ich bin
Christin. Sie kennen ja meine innere Einstellung nicht.
Meine innere Einstellung gründet sich sehr wohl auf
dem, was ich Ihnen eben erzählt habe.
Wir sind ja nicht für uns im Bundestag,
sondern wir müssen versuchen, für alle Frauen in der
Bundesrepublik Lösungsmöglichkeiten zu finden.
Deshalb, meine Damen und Herren: Lassen wir es nicht
zu, daß konservative Männer über uns bestimmen und
die wenigen hart erkämpften Entscheidungen auf Um-
wegen wieder zunichte machen!
Ich danke Ihnen.
DerKollege Geis bittet um eine Kurzintervention.
Bitte schön, Herr Kollege Geis, Sie haben das Wort zueiner Kurzintervention.Ina Lenke
Metadaten/Kopzeile:
4470 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier
ist die Frage aufgeworfen worden, ob wir dieses Parla-
ment als Instrument der katholischen Kirche ansehen
wollen. Kardinal Meisner hat nichts anderes getan, als
auf den Lebensschutz hinzuweisen. Der Lebensschutz
steht in unserer Verfassung. Was wir hier tun – das
nehme ich wirklich ernsthaft für mich in Anspruch –,
entspricht der Verfassung. Ich tue hier nichts anderes.
Wenn mir jemand etwas anderes unterstellt, dann ist
er weit weg von der Wahrheit, dann lebt er auf einem
anderen Stern, dann kennt er auch unsere Verfassung
und vor allem meine parlamentarischen Rechte, die ich
als einfacher Abgeordneter habe, nicht. Das bitte ich zu
respektieren, anstatt hier falsche Parolen zu verkünden.
Danke schön.
Kollegin
Lenke, Sie hätten das Recht auf eine Antwort.
– Gut. Als nächste Rednerin hat die Kollegin Christa
Nickels vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der heute von einer Gruppe von Abgeordne-ten der CDU/CSU eingebrachte Entwurf eines Gesetzeszur Änderung des Arzneimittelgesetzes sieht ein gesetz-liches Verbot von Arzneimitteln vor, die zum Schwan-gerschaftsabbruch bestimmt sind. Unsere Fraktion lehntdieses Gesetz ab, weil ein solches Verbot unter jedemGesichtspunkt von uns für den falschen Weg gehaltenwird, um dieses Arzneimittel und generell Arzneimitteldieser Art, die in vielen Staaten gerade ein europäischesZulassungsverfahren durchlaufen haben, zu reglementie-ren.Wenn es in der Begründung des Gruppenantragesheißt, daß die Verwendung solcher Arzneimittel geeig-net sei, eine Abtreibung als Heilmaßnahme erscheinenzu lassen, und deshalb zur Verharmlosung beitrage, undwenn es weiter heißt, daß die Arzneimittelzulassung vonAbtreibungsmitteln die Schutzpflicht des Staates für dasmenschliche Leben senke, so kann man hier nur von ei-nem völlig verqueren Frauenbild und von einem völliglebensfremden Antrag sprechen.
Genauso ist die Vorstellung – überhaupt ein derarti-ger Gedanke –, daß sich eine Frau, die sich in einerschweren Konfliktsituation befindet und nach Beratungeinen Schwangerschaftsabbruch überlegt oder beabsich-tigt, bei dieser grundsätzlichen Frage von Überlegungenzu Methoden leiten läßt, völlig lebensfremd und wirdder Konfliktsituation dieser Frau nicht gerecht. DiesesFrauenbild muß – da muß ich meiner Vorrednerin zu-stimmen – eigentlich jede Frau empören, die von diesenProblemen Ahnung hat oder in diesem Bereich arbeitet.Das entspricht nicht den Tatsachen.Die Verfügbarkeit von Arzneimitteln zum medika-mentösen Schwangerschaftsabbruch hat keinen Einflußauf die Entscheidung über eine Abtreibung. Deshalbmöchte ich feststellen, daß es bei dem In-den-Verkehr-Bringen und der Anwendung von Arzneimitteln zumSchwangerschaftsabbruch eben nicht um eine grund-sätzliche Frage des Schwangerschaftsabbruchs geht, diein § 218 Strafgesetzbuch eine Regelung gefunden hat,die parteiübergreifend zustande gekommen ist. Dafürbin ich dankbar und möchte noch einmal in Erinnerungrufen, Herr Kollege Geis, daß das auch von wichtigenRepräsentanten Ihrer eigenen Fraktion in aller Deutlich-keit gesagt worden ist.Vielmehr geht es bei diesem Arzneimittel um einebestimmte Methode, die medikamentöse Methode desSchwangerschaftsabbruchs, die nunmehr neben demherkömmlichen instrumentellen Eingriff dem Arzt undder Patientin zur Verfügung steht. Keine dieser Metho-den ist von vornherein die geeignetere. Welche Methodeim Einzelfall gewählt wird, ist in erster Linie eine medi-zinische Frage, die Arzt und Patientin miteinander be-sprechen sollen, und keine Aufgabe des Gesetzgebers.Ich sehe also keinen Grund dafür, von Staats wegeneine bestimmte Methode des Schwangerschaftsabbruchszu verbieten. Staatliche Aufgabe ist es, daß ein Arznei-mittel, das zum Schwangerschaftsabbruch bestimmt ist,wie jedes andere neue Arzneimittel auch nach den stren-gen Anforderungen des Arzneimittelgesetzes geprüftwird und daß alle notwendigen Vorkehrungen gegeneine mißbräuchliche Anwendung getroffen werden.Beide Aufgaben sind bekanntermaßen erfüllt.Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro-dukte hat im Zusammenwirken mit den anderen europäi-schen Behörden das Anerkennungsverfahren zu derfranzösischen Zulassung abgeschlossen. Wie Sie wissen,hat es Gesundheitsministerin Fischer im Vorfeld desZulassungsverfahrens wegen ihrer politischen Verant-wortung gegenüber dem Arzneimittelinstitut eindeutigabgelehnt, gegenüber dem Antragsteller eine Aussage zutreffen, die irgendeinen Zweifel an der normalen undordnungsgemäßen Durchführung des Zulassungsverfah-rens hätte begründen können.Der Deutsche Bundestag hat mit dem Neunten Gesetzzur Änderung des Arzneimittelgesetzes umfassende undwirksame Regelungen gegen eine mißbräuchlicheVerwendung des Arzneimittels getroffen. Dazu gehörenbesonders ein spezifischer Vertriebsweg, besondereKennzeichnungs- und Aufbewahrungsregelungen sowiestrenge Nachweispflichten. Das sind die arzneimittel-rechtlichen Instrumente, die sinnvoll und notwendig sindund die unverzüglich und rechtzeitig eingesetzt wordensind.Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen anschlie-ßen. Warum sollte eigentlich das Arzneimittel, das zumSchwangerschaftsabbruch bestimmt ist, gesetzlich ver-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4471
(C)
(D)
boten werden, demgegenüber aber diejenigen Arznei-mittel, die in Verbindung mit einem instrumentellenSchwangerschaftsabbruch eingesetzt werden, anders be-handelt werden? Das ist natürlich eine rhetorische Frage.Aber sie zeigt auf, daß die von den Antragstellern ange-führte – ich zitiere – „Perversion des Arzneimittelbe-griffs“ kein nachvollziehbarer oder irgendwie weiterfüh-render Begriff ist.Den Arzneimittelbegriff hat der Gesetzgeber in Über-einstimmung mit dem europäischen Recht bewußt weitgewählt, damit die Schutzvorschriften des Arzneimittel-gesetzes auf all die Stoffe und Gegenstände Anwendungfinden, die zur Beeinflussung der Körperfunktionen be-stimmt und nicht in anderen Gesetzen mit entsprechen-dem Schutzzweck geregelt worden sind. Damit sind ge-setzesfreie Räume oder sogenannte Grauzonen wirksamvermieden worden. Lassen Sie uns bei dieserGrundsatzentscheidung bleiben.Ethische Fragen der Anwendung zugelassener Arz-neimittel sind grundsätzlich nicht im Arzneimittelgesetzzu regeln, sondern sind Gegenstand allgemeiner Gesetzeund der Regelung zur ärztlichen Berufsübung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Zulassungvon Arzneimitteln zum Schwangerschaftsabbruch befin-den wir uns im übrigen in Übereinstimmung mit nahezuallen Staaten der Europäischen Union. Bei allen Unter-schieden, die die Staaten Europas in gesellschaftlichenFragen aufweisen, zeigt auch diese Rückkopplung, daßArzneimittel zum Schwangerschaftsabbruch allgemeindem Bereich der Methodenwahl zugeordnet werden undmit ihnen gerade nicht die Grundsatzfrage der Behand-lung des Schwangerschaftsabbruchs durch die Rechts-ordnung verbunden wird.Nach allem, was wir als Ergebnis des europäischenAnerkennungsverfahrens wissen, sind Arzneimittel zumSchwangerschaftsabbruch eine in bestimmten, medizi-nisch zu beurteilenden Fällen geeignete Methode.Herr Kollege Geis, wir haben schon in den 80er Jah-ren intensiv in dieser Debatte gestritten und gerungen.Ich möchte Sie bitten, damit aufzuhören, über alle mög-lichen, teilweise absurden Hintertüren diese Frage, diewir mit großem Ernst diskutiert und über die wir be-schlossen haben, immer wieder in einer unwürdigen Artund Weise auf die Tagesordnung zu setzen.
Als
nächste und letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungs-
punkt hat das Wort die Kollegin Petra Bläss, PDS.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Die jetzige Debatte ist in der Tat anSkurrilität kaum noch zu übertreffen. Hinzu kommt, daßwir heute die außerordentliche Gelegenheit hatten, übermehrere Stunden hier im Parlament die Leistungen vonFrauen zu würdigen. Nun fehlen mir angesichts einersolchen frauenverachtenden Vorlage und solcher frau-enverachtenden Töne fast die Worte.
Herr Kollege Geis, Ihr verfassungsrechtliches Engage-ment wird doch überhaupt nicht in Zweifel gezogen.
Sie werden als Experte für Verfassungsrecht sehr ge-schätzt. Aber ich habe eine Frage: Für wen ist dasGrundgesetz, für wen ist unsere Verfassung? – Für dieBevölkerung, und Frauen machen in diesem Land mehrals die Hälfte der Bevölkerung aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt vermutlichwenige Medikamente, an denen sich ein derartigerideologischer Streit entzündet hat, wie es bei der soge-nannten Abtreibungspille RU 486 der Fall war und ist.Der hier zur Debatte stehende Gesetzentwurf einigerUnionsabgeordneter ist für mich ein neuerlicher Ver-such, Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht abzusprechen.Die betreffenden Kolleginnen und Kollegen wollen mitihrem Gesetzentwurf verhindern, daß die RU 486 zuge-lassen wird, und das nicht etwa, weil sie Gesundheitsge-fährdungen für die Frauen befürchten, sondern deswe-gen, weil sie generell der Ansicht sind, daß Frauen nichtdie Freiheit haben dürfen, selbst über Leben und eineSchwangerschaft zu bestimmen.
Ich habe es heute bereits in der Debatte „Die Parla-mentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag“ ge-sagt und wiederhole es an dieser Stelle ganz bewußt:Eine demokratische Gesellschaft muß sich daran messenlassen, wie sie mit dem Selbstbestimmungsrecht derFrauen verfährt. Dazu gehört, daß Frauen im Falle einerungewollten Schwangerschaft die für sie am wenigstenbelastende Methode des Abbruches wählen können.Auch wenn die sogenannten Lebensschützerinnenund Lebensschützer uns immer wieder etwas anderesglauben machen wollen – es gibt kaum eine Frau, diesich die Entscheidung für oder gegen ein Kind leicht-macht. Vielmehr hat sie einen sehr schwierigen Ent-scheidungsprozeß zu durchstehen, der sie tief bewegt.RU 486 ist bekanntlich nur eine von verschiedenenMöglichkeiten, einen Schwangerschaftsabbruch vorzu-nehmen. Im übrigen ging es in unseren Debatten hierimmer nur um ein politisches Signal der Zulassung undnie darum, dieses Medikament hochleben zu lassen.Übrigens ist diese Abtreibungspille bei weitem nichtdas einzige Abtreibungsmedikament auf dem Markt. Aberan dieser Pille entzündet sich die Debatte, weil die soge-nannten Lebensschützerinnen und Lebensschützer ihrefrauenfeindliche Propaganda um ein Element erwei-tern: Jetzt gibt es „Kindstötung auf Rezept“. Sie wissengenau, daß das so nicht ist. Der Abbruch mit RU 486kann wie jeder konventionelle chirurgische Abbruch auchnur nach einer Zwangsberatung und nur unter ärztlicherChrista Nickels
Metadaten/Kopzeile:
4472 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999
(C)
Aufsicht durchgeführt werden. Die gesamte Behandlungdauert drei Tage und ist mit erheblichen Schmerzen ver-bunden. Man kann also schwerlich behaupten, einSchwangerschaftsabbruch mit RU 486 sei ein Kinder-spiel. Allerdings erspart sie den Frauen die Narkose, unddie Gefahr von Gebärmutterverletzungen ist geringer.Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines wird an die-sem Streit einmal mehr deutlich: Die Debatte um denSchwangerschaftsabbruch ist nach wie vor aktuell. Es istunsere Aufgabe, hier im Parlament endlich für Rechts-klarheit zu sorgen, das Selbstbestimmungsrecht derFrauen verfassungsfest zu verankern und den § 218endlich aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.
Ich
schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überwei-
sung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/1184 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das
ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Ursula Löt-
zer, Eva-Maria Bulling-Schröter, weiteren Abge-
ordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch
– Drucksache 14/139 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung
– Drucksache 14/863 –
Berichterstattung: Abgeordneter Adolf Ostertag
Hier haben alle Fraktionen mit Ausnahme der PDS
beantragt, die Reden zu Protokoll geben zu dürfen. Gibt
es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann
eröffne ich die Aussprache und gebe der Kollegin Dr.
Heidi Knake-Werner von der PDS-Fraktion das Wort.
Bitte schön.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gott sei dank ist dochnicht alles in diesem Berliner Reichstag so neu; ein paarRituale sind geblieben. Die PDS ist mit ihrem Tagesord-nungspunkt wieder an die letzte Stelle der Tagesordnunggerückt, und die lieben Kolleginnen und Kollegen ent-ziehen sich der Diskussion. Sie wollen die Berliner Luftgenießen. Das finde ich zwar sehr menschlich; ich mußaber trotzdem sagen, daß dieses Verhalten bei manchenThemen, wozu das jetzige Thema gehört, einfach gegenden sozialen Anstand verstößt.
– Ich finde, schon. Aber diesen Sachverhalt kann man jaunterschiedlich bewerten.Eigentlich – auch das möchte ich deutlich sagen –könnte ich es mir ersparen, die Argumente für unserenAntrag zur Abschaffung des Anti-Streik-Paragraphen andieser Stelle noch einmal auszubreiten, weil die Mehr-heit in diesem Parlament und zahlreiche Mitglieder derBundesregierung über ein Jahrzehnt lang leidenschaft-lich für seine Abschaffung gestritten haben und sich fürdie Wiederherstellung des Streikrechts eingesetzt haben.
Es besteht also vollkommene Übereinstimmung dar-über, diesen Anti-Streik-Paragraphen abzuschaffen unddie strukturelle Benachteiligung der Gewerkschaftenim Hinblick auf die Arbeitskampfsituation endlich zubeseitigen.Für die Abschaffung des damaligen § 116 des AFGsind in den Jahren nach 1986 Hunderttausende auf dieStraße gegangen. Viele von uns können sich noch daranerinnern. 1992 zogen SPD-Bundestagsabgeordnete undsozialdemokratisch geführte Länder vor das Bundesver-fassungsgericht, um die Chancengleichheit der Tarif-vertragsparteien im Arbeitskampfrecht wiederherzustel-len. Beide heutigen Regierungsparteien haben in der 13.Legislaturperiode Anträge zur Wiederherstellung derNeutralität der Bundesanstalt für Arbeit eingebracht. DiePDS versucht mit einem Antrag inzwischen zum drittenMal, den alten Rechtszustand wiederherzustellen – imInteresse der Kampfparität von Gewerkschaften und Ar-beitgebern.Bereits 1994 sagte Kollege Ostertag, bei Regierungs-antritt würde eine sozialdemokratisch geführte Bundes-regierung in einem Sofortprogramm der ersten 100 Tage§ 116 AFG entsprechend ändern. Er hat weiter gesagt,daß diese Korrektur zu einer glaubwürdigen sozialde-mokratischen Politik gehöre – wie wahr.
– Entschuldigen Sie, Sie müssen einmal Ihre eigenenDebattenbeiträge lesen! Wenn Sie sich nicht daran erin-nern können, dann lesen Sie einmal die Rede des Kolle-gen Ostertag nach! Sie wissen doch sehr wohl, daß derBeschluß des Bundesverfassungsgerichtes andere Re-gelungen zuläßt.
– Kollege Niebel, diesen Streit müssen wir auf andererEbene austragen. Daß Sie nicht für eine Neuregelungsind, ist mir hinreichend bekannt.
– Unser Verhalten ist nicht scheinheilig, sondern konse-quent. Viele wissen aber nicht, wie man konsequenthandelt.Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 1999 4473
(C)
(D)
Die ersten 100 Tage sind längst vorbei. Liebe Kolle-ginnen und Kollegen von der SPD, Ihre Glaubwürdig-keit steht ein bißchen auf dem Spiel.
– Darüber mache ich mir keine Sorgen; ich stelle diese Tat-sache nur fest. Aber viele Ihrer Mitglieder und vor allenDingen die Wählerinnen und Wähler machen sich Sorgen.
Sie haben ja bereits ein Vorschaltgesetz zum SGB IIIvorgelegt. Aber leider haben Sie dabei die Neuregelungdes Streikrechtes ausgelassen. Dieses Verhalten wundertmich schon, weil Sie diese Neuregelung für ein Gebotdes sozialstaatlichen Anstandes halten. Auch unsereparlamentarische Initiative werden Sie heute wiedereinmal ignorieren, was Ihnen zunehmend schwerer fal-len wird, weil Sie schon zu häufig auf Demonstrationenund Gewerkschaftstagungen diesbezügliche Verspre-chungen gemacht haben.Dieses Thema wird auf vielen Ebenen der Gewerk-schaft diskutiert. Heute und morgen findet hier in Berlineine Festveranstaltung der IG Metall zum 50. Jahrestagder Verabschiedung des Tarifvertragsgesetzes statt.Staatssekretär Andres hat auf dieser Veranstaltung er-klärt, § 146 SGB III stehe auf dem Prüfstand – immer-hin. Aber ehrlich gesagt, mir ist diese Aussage zu vage.Ich bin schon gespannt darauf, was der Kollege Ostertagauf der entsprechenden Podiumsdiskussion zum Novel-lierungsgebot des Streikparagraphens sagt.
Natürlich nennen Sie für Ihre Ablehnung Gründe. Siebehaupten zum Beispiel, daß heute manches rechtlichfragwürdig sei. Ich frage Sie: Kann heute etwas rechtlichfragwürdig sein, was Sie bis zu Ihrem Regierungsantrittwortgetreu gefordert haben? Sie werfen uns wieder –diesen Vorwurf lassen Sie ja nie aus – Aktionismus undPopulismus vor. Das ärgert mich aus zwei Gründen:Auch wir haben das Recht, Wahlversprechen einzufor-dern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ärgert michauch deshalb, weil das durchaus mit Ihrem überholtenAlleinvertretungsanspruch korrespondiert, von dem Siesich endlich einmal verabschieden sollten.
Frau
Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich sage einen
letzten Punkt. Sie wollten die Novellierung des Streik-
paragraphen in einer großen Reform des Arbeitsförde-
rungsrechtes verabschieden. Ich habe Zweifel, ob Sie
dazu noch die Chance haben, denn die Politik der Neuen
Mitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, verträgt sich
nicht mit der Wiederherstellung des gewerkschaftlichen
Streikrechts. Das Schröder/Blair-Papier läßt keinen
Platz für Verteilungskämpfe, und wen das leiseste
Hüsteln der Unternehmerseite zum heftigen Rückwärts-
rudern bringt, der bringt es nicht mehr zustande, den
Herren Hundt und Henkel ein verbessertes Streikrecht
zuzumuten. Schade, leider.
Ich würde mich freuen, wenn ich mich geirrt hätte.
Vielen Dank.
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion der PDS zur Änderung des III. Buches
des Sozialgesetzbuches, Drucksache 13/139. Der Aus-
schuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf
Drucksache 13/863, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Druck-
sache 13/139 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. –
Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Dann ist der
Gesetzentwurf gegen die Stimmen der PDS mit allen
anderen Stimmen abgelehnt worden.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundesta-
ges ein auf morgen, Donnerstag, den 9. September 1999,
9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.