Protokoll:
14045

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 45

  • date_rangeDatum: 17. Juni 1999

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:51 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/45 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 45. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 I n h a l t : Präsident Wolfgang Thierse zum Volksauf- stand in der ehemaligen DDR am 17. Juni 1953 ................................................................. 3685 A Erweiterung der Tagesordnung........................ 3685 B Nachträgliche Ausschußüberweisung .............. 3685 D Absetzung von Punkten von der Tagesord- nung ................................................................. 3685 D Tagesordnungspunkt 4: Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1999 .................................... 3686 A Agrar- und ernährungspolitischer Be- richt der Bundesregierung (Drucksachen 14/347, 14/348 [Materialband]) ................. 3686 A Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär BML................................................................. 3686 B Meinolf Michels CDU/CSU........................ 3687 C Albert Deß CDU/CSU ..................................... 3688 B Waltraud Wolff (Zielitz) SPD.......................... 3690 B Ulrich Heinrich F.D.P. .................................... 3691 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 3693 D Ulrich Heinrich F.D.P. ............................... 3695 A Dr. Gerald Thalheim SPD................................ 3696 A Ulrich Heinrich F.D.P...................................... 3696 C Kersten Naumann PDS .................................... 3696 C Gustav Herzog SPD......................................... 3698 A Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU .. 3699 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ............................................................ 3700 D Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.... 3702 A Klaus Buß, Minister (Schleswig-Holstein) ...... 3703 C Norbert Schindler CDU/CSU...................... 3705 B Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU ........... 3706 A Ulrich Heinrich F.D.P. ............................... 3706 D Heino Wiese (Hannover) SPD......................... 3708 C Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Michael Luther, Dr. Angela Merkel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der beruf- lichen Rehabilitation der Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (SED- Opfer-Rehabilitations-Verbesserungs- gesetz) (Drucksache 14/1001) ................... 3710 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Verbesserung der SED-Unrechtsberei- nigungsgesetze (Drucksache 14/1165) ................................ 3710 B Dr. Michael Luther CDU/CSU........................ 3710 C Hans-Joachim Hacker SPD.............................. 3712 B Rainer Funke F.D.P. ........................................ 3714 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 3715 B Gerhard Jüttemann PDS .................................. 3716 C Rolf Schwanitz, Staatsminister BK ................. 3717 C II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 Gerhard Jüttemann PDS................................... 3720 A Rolf Schwanitz, Staatsminister BK.................. 3720 B Günter Nooke CDU/CSU ................................ 3720 C Dr. Ilja Seifert PDS ..................................... 3723 A Tagesordnungspunkt 14: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Zusatzprotokoll vom 26. März 1998 zum Übereinkommen vom 18. Au- gust 1948 über die Regelung der Schiff- fahrt auf der Donau (Belgrader Donau- konvention) (Drucksache 14/1007)........... 3723 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zum Abkommen vom 20. April 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und Japan über Soziale Sicherheit (Drucksache 14/1018) ................................ 3723 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zum Abkommen vom 2. Mai 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Republik Ungarn über Soziale Sicherheit (Drucksache 14/1019) . 3723 D d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 4. Mai 1998 zwischen der Regierung der Bun- desrepublik Deutschland und der Re- gierung der Republik Armenien über den Luftverkehr (Drucksache 14/1020) ... 3723 D e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 15. Juni 1998 zur Ergänzung des Luftverkehrsab- kommens vom 2. März 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten (Drucksache 14/1021) ................................ 3724 A f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 12. November 1997 zur Ergänzung des Abkommens vom 2. November 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Neu- seeland über den Luftverkehr (Druck- sache 14/1022) ........................................... 3724 A g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 10. März 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Süd- afrika über den Luftverkehr (Drucksa- che 14/1023)............................................... 3724 A h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 29. Mai 1998 zwischen der Regierung der Bun- desrepublik Deutschland und der Re- gierung der Mongolei über den Flug- linienverkehr (Drucksache 14/1024) ........ 3724 B i) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 23. April 1998 zwischen der Regierung der Bun- desrepublik Deutschland und der Re- gierung der Tschechischen Republik über den Luftverkehr (Drucksache 14/1025) ..................................................... 3724 B j) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 3. Dezem- ber 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Belarus über den Luftverkehr (Drucksache 14/1026) ..................................................... 3724 B k) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Übereinkommen vom 5. September 1998 zwischen der Regie- rung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung des Königreichs Däne- mark und der Regierung der Republik Polen über das Multinationale Korps Nordost (Drucksache 14/1103) ................. 3724 C l) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Kraftfahrzeug- steuergesetzes (Drucksache 14/864) ......... 3724 C m) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern (... Zuständigkeitslok- kerungsgesetz) (Drucksache 14/640)........ 3724 C n) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines ... Strafrechts- änderungsgesetzes – Graffiti-Bekämp- fungsgesetz – (Drucksache 14/872)........... 3724 D o) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Ver- fassungsorganen des Bundes (Druck- sache 14/1147) ........................................... 3724 D q) Antrag der Abgeordneten Sabine Leut- heusser-Schnarrenberger, Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P. Haltung der Bundesregierung zu den Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China (Drucksache 14/661) . 3725 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 III r) Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Andrea Voßhoff und der Fraktion CDU/CSU Entschädigungspflicht nach dem Ver- mögensgesetz bei Einziehung von be- weglichen Sachen regeln (Drucksache 14/1003) ..................................................... 3725 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1999 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1999) (Drucksache 14/1088) ................................ 3725 B b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Neun- ten Gesetzes zur Änderung des Arznei- mittelgesetzes (Drucksache 14/1161)........ 3725 B Tagesordnungspunkt 15: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 17. Januar 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Unabhängigen Staat Papua- Neuguinea zur Vermeidung der Dop- pelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 14/486) ............... 3725 C b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 8. Dezember 1997 über wirtschaftliche Partnerschaft, politische Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemein- schaft und ihren Mitgliedstaaten einer- seits und den Vereinigten Mexikani- schen Staaten andererseits (Drucksachen 14/684, 14/1167) ........................................ 3725 C Ursula Lötzer PDS (Erklärung nach § 31 GO) ............................................................ 3727 A c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 21. Dezember 1995 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zu dem Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen ver- bundenen Unternehmen (Drucksachen 14/748, 14/984) .......................................... 3725 D d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Übereinkommens vom 4. Au- gust 1963 zur Errichtung der Afrikani- schen Entwicklungsbank (Drucksache 14/907) ....................................................... 3726 A e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie zu dem Antrag der Abgeordneten Hans Martin Bury, Ernst Schwanhold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz (Leipzig), Margareta Wolf (Frank- furt) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Förderung der Luftfahrttechnologie (Drucksachen 14/395, 14/686) ................... 3726 A f) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu dem Antrag der Abgeord- neten Christine Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS Fortführung des Wohnraum-Moderni- sierungsprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau bis zum Jahr 2000 (Drucksachen 14/126, 14/652) ................... 3726 B Christine Ostrowski PDS (Erklärung nach § 31 GO) .................................................... 3728 A g) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu dem Antrag der Abgeord- neten Christine Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf und der Fraktion der PDS Verbesserte Förderung der Woh- nungsmodernisierung im Altbaube- stand und bei Wohnhochhäusern nach dem Investitionszulagengesetz 1999 (Drucksachen 14/127, 14/767) ................... 3726 B h) Beschlußempfehlung des Rechtsausschus- ses Übersicht 1 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Druck- sache 14/842) ............................................. 3726 C i) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu der Unterrich- tung durch den Bundesrechnungshof Bericht des Bundesrechnungshofes ge- mäß § 99 BHO über die Aufgaben- IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 wahrnehmung in ausgewählten Ser- vicebereichen der Bundesverwaltung (Drucksachen 14/220, 14/305 Nr. 1.2, 14/846) ....................................................... 3726 C j) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie Rechnungslegung über das Sonderver- mögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsat- zes“ für das Wirtschaftsjahr 1997 (Drucksachen 14/258, 14/847) ................... 3726 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde betr. Situation der Flüchtlinge nach Beendigung der Kampfhandlungen im Kosovo................. 3729 A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN......................................................... 3729 A Ursula Lietz CDU/CSU ................................... 3730 A Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär BMVg .... 3731 B Ulrich Irmer F.D.P. .......................................... 3732 D Dr. Eberhard Brecht SPD................................. 3733 D Wolfgang Gehrcke PDS................................... 3734 D Ulrike Merten SPD .......................................... 3735 D Dr. Christian Schwarz-Schilling CDU/CSU.... 3737 A Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 3738 B Dietmar Schlee CDU/CSU .............................. 3739 C Günter Verheugen, Staatsminister AA............. 3740 C Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU...................... 3742 A Angelika Graf (Rosenheim) SPD..................... 3742 D Otto Schily, Bundesminister BMI.................... 3743 C Eckhardt Barthel (Berlin) SPD ........................ 3745 A Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Birgit Schnie- ber-Jastram, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU 630-DM-Gesetz und Neuregelung der Scheinselbständigkeit zurücknehmen (Drucksache 14/1005) ................................ 3746 A Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU ............... 3746 B Leyla Onur SPD............................................... 3747 B Dankward Buwitt CDU/CSU ...................... 3748 D Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P......................... 3749 D Wolfgang Meckelburg CDU/CSU .............. 3751 A Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 3752 B Dr. Heidi Knake-Werner PDS ......................... 3754 C Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU........................ 3755 D Peter Dreßen SPD............................................ 3757 B Johannes Singhammer CDU/CSU .............. 3757 D Klaus Riegert CDU/CSU................................. 3759 B Franz Thönnes SPD .................................... 3759 D Jürgen Koppelin F.D.P................................ 3760 D Dr. Ruth Fuchs PDS.................................... 3761 A Franz Thönnes SPD......................................... 3761 C Jürgen Koppelin F.D.P. ................................... 3762 B Klaus Riegert CDU/CSU................................. 3762 C Thomas Dörflinger CDU/CSU ........................ 3762 D Tagesordnungspunkt 9: Große Anfrage der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Klaus Haupt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion F.D.P. Wettbewerbsbedingungen für die deut- sche Tourismuswirtschaft im Euro- Land (Drucksachen 14/591, 14/1079) ....... 3763 D Ernst Burgbacher F.D.P. ................................. 3764 A Jürgen Koppelin F.D.P................................ 3764 C Eckhard Ohl SPD............................................. 3765 C Klaus Brähmig CDU/CSU............................... 3767 B Rosel Neuhäuser PDS...................................... 3768 D Ernst Burgbacher F.D.P. ............................ 3769 A Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 3770 A Anita Schäfer CDU/CSU................................. 3771 A Renate Gradistanac SPD.................................. 3773 A Ernst Hinsken CDU/CSU ................................ 3774 B Brunhilde Irber SPD.................................... 3775 D Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi. 3776 B Dr. Ilja Seifert PDS ..................................... 3777 A Ernst Hinsken CDU/CSU ................................ 3778 B Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi. 3778 D Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktion CDU/CSU „Wort halten“ – Umsetzung der Bonn/Berlin-Beschlüsse (Drucksache 14/1004) ................................ 3779 A Norbert Hauser (Bonn) CDU/CSU.................. 3779 A Achim Großmann SPD.................................... 3780 B Dr. Guido Westerwelle F.D.P. ........................ 3782 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 3783 C Dr. Guido Westerwelle F.D.P. ................... 3784 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 V Norbert Hauser (Bonn) CDU/CSU .................. 3785 A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 3785 B Petra Pau PDS.................................................. 3785 C Siegfried Helias CDU/CSU ............................. 3786 C Friedhelm Julius Beucher SPD ........................ 3787 C Norbert Röttgen CDU/CSU ............................. 3789 B Ingrid Matthäus-Maier SPD............................. 3790 B Norbert Röttgen CDU/CSU ............................. 3790 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Keine weitere Unterstützung der Atomkraftwerke Khmelnitski 2 und Rovno 4 in der Ukraine – zu dem Antrag der Abgeordneten Kurt- Dieter Grill, Dr. Klaus W. Lippold (Of- fenbach), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU Festhalten an den Zusagen zum Bau von sichereren Ersatzreaktoren in der Ukraine – zu dem Antrag der Abgeordneten An- gela Marquardt, Eva-Maria Bulling- Schröter, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion PDS Investitionen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in Khmelnitski 2 und Rovno 4 (Drucksachen 14/795, 14/819, 14/708, 14/1143) ..................................................... 3790 D Horst Kubatschka SPD .................................... 3791 A Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi .... 3791 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU............................ 3793 D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 3795 A Ulrike Flach F.D.P. ......................................... 3797 B Eva-Maria Bulling-Schröter PDS .................... 3798 B Dagmar Wöhrl CDU/CSU ............................... 3799 B Monika Griefahn SPD ..................................... 3800 B Bernward Müller (Jena) CDU/CSU................. 3801 C Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU............................. 3802 C Namentliche Abstimmung ............................... 3803 D Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte (Drucksache 14/979) ....................................................... 3806 B b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Präsidialverfassung der Gerichte (Drucksache 14/597) .................. 3806 B c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung (Drucksache 14/980) ....... 3806 B d) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (Drucksache 14/870) ....................................................... 3806 C Jochen Dieckmann, Minister (Nordrhein- Westfalen)........................................................ 3806 C Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Norbert Geis, Ronald Pofalla, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zum verbesserten Schutz der Bun- deswehr vor Verunglimpfung (Drucksa- che 14/985) ................................................ 3807 C Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU..................... 3807 D Alfred Hartenbach SPD ................................... 3809 B Jörg van Essen F.D.P. ...................................... 3810 C Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 3811 B Dr. Evelyn Kenzler PDS.................................. 3812 B Gerd Höfer SPD .............................................. 3813 A Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion PDS Einführung einer Steuer auf speku- lative Devisenumsätze (Tobin-Steuer) (Drucksache 14/840) .................................. 3814 B Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Hans-Peter Repnik, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion CDU/CSU VI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung anläßlich der Hochwasserkatastrophe Pfingsten 1999 in Süddeutschland (Drucksache 14/1144) ................................ 3814 B b) Antrag der Abgeordneten Birgit Hombur- ger, Hildebrecht Braun (Augsburg), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P. Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung anläßlich der Hochwasserkatastrophe in Süddeutschland (Drucksache 14/1152) 3814 C Hans-Peter Repnik CDU/CSU......................... 3814 D Ludwig Stiegler SPD ....................................... 3815 D Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU................. 3816 C Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU....... 3817 A Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU................. 3817 C Kurt J. Rossmanith CDU/CSU.................... 3817 D Birgit Homburger F.D.P. ................................. 3818 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 3819 B Eva-Maria Bulling-Schröter PDS .................... 3820 C Horst Kubatschka SPD .................................... 3821 B Birgit Homburger F.D.P.............................. 3822 A Ilse Aigner CDU/CSU................................. 3822 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU .................... 3822 D Karl Diller SPD ........................................... 3823 D Ilse Aigner CDU/CSU................................. 3824 B Birgit Homburger F.D.P. ................................. 3825 B Dr. Gerd Müller CDU/CSU ............................. 3825 C Klaus Brähmig CDU/CSU .......................... 3825 D Nächste Sitzung ............................................... 3827 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten............ 3829 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Carsten Hübner (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 8. Dezember 1997 über wirtschaft- liche Partnerschaft, politische Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen der Europäi- schen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaa- ten einerseits und den Vereinigten Mexikani- schen Staaten andererseits (Tagesordungs- punkt 15 b)....................................................... 3829 D Anlage 3 Erklärung der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember 1997 über wirtschaftliche Partner- schaft, politische Koordinierung und Zusam- menarbeit zwischen der Europäischen Gemein- schaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den Vereinigten Mexikanischen Staaten ande- rerseits (Tagesordnungspunkt 15 b) ...................... 3830 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zum a – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte b – Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Präsidialverfassung der Gerichte c – Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung d – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfas- sungsgesetz (Tagesordnungspunkt 11) Alfred Hartenbach SPD................................... 3831 A Volker Kauder CDU/CSU................................ 3832 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 3833 C Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ.... 3834 B Rainer Funke F.D.P. ....................................... 3835 B Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 3836 A Dr. Evelyn Kenzler PDS .................................. 3837 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu dem Antrag der Fraktion PDS: Einführung einer Steuer auf spekulative Devisenumsätze (Tobin- Steuer) (Tagesordnungspunkt 13) Detlev von Larcher SPD.................................. 3837 D Otto Bernhardt CDU/CSU............................... 3838 D Klaus Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 3840 C Gisela Frick F.D.P. ........................................ 3841 D Dr. Barbara Höll PDS..................................... 3842 D Lydia Westrich SPD......................................... 3843 C Anlage 6 Amtliche Mitteilungen..................................... 3844 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3685 (A) (C) (B) (D) 45. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3829 (A) (C) (B) (D) Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Adam, Ulrich CDU/CSU 17.6.99* Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.6.99 Balt, Monika PDS 17.6.99 Behrendt, Wolfgang SPD 17.6.99* Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 17.6.99* Bonitz, Sylvia CDU/CSU 17.6.99 Borchert, Jochen CDU/CSU 17.6.99 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 17.6.99* Bulmahn, Edelgard SPD 17.6.99 Buwitt, Dankward CDU/CSU 17.6.99* Dr. Däubler-Gmelin, Herta SPD 17.6.99 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.6.99 Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.6.99 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 17.6.99 Friedrich (Altenburg), Peter SPD 17.6.99 Gebhardt, Fred PDS 17.6.99 Geis, Norbert CDU/CSU 17.6.99 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 17.6.99 Glos, Michael CDU/CSU 17.6.99 Gröhe, Hermann CDU/CSU 17.6.99 Hanewinckel, Christel SPD 17.6.99 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 17.6.99* Hornung, Siegfried CDU/CSU 17.6.99* Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 17.6.99 Jäger, Renate SPD 17.6.99* Kampeter, Steffen CDU/CSU 17.6.99 Kolbow, Walter SPD 17.6.99 Lensing, Werner CDU/CSU 17.6.99 Lintner, Eduard CDU/CSU 17.6.99* Lippmann, Heidi PDS 17.6.99 Dr. Lucyga, Christine SPD 17.6.99* Maaß (Wilhelmshaven), Erich CDU/CSU 17.6.99* Michels, Meinolf CDU/CSU 17.6.99* Müller (Berlin), Manfred PDS 17.6.99* Müntefering, Franz SPD 17.6.99 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Neumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 17.6.99 Neumann (Gotha), Gerhard SPD 17.6.99* Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.6.99 Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 17.6.99 Pflug, Johannes SPD 17.6.99 Reiche, Katherina CDU/CSU 17.6.99 Schenk, Christina PDS 17.6.99 Schloten, Dieter SPD 17.6.99* Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 17.6.99 Schmidbauer (Nürnberg), Horst SPD 17.6.99 von Schmude, Michael CDU/CSU 17.6.99* Schröder, Gerhard SPD 17.6.99 Schütz (Oldenburg), Dietmar SPD 17.6.99* Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 17.6.99 Schulz (Leipzig), Werner BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.6.99 Siebert, Bernd CDU/CSU 17.6.99* Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie SPD 17.6.99 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 17.6.99 Willner, Gert CDU/CSU 17.6.99 Zierer, Benno CDU/CSU 17.6.99* –––––––––––* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Carsten Hübner (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember 1997 über wirtschaftliche Partnerschaft, politi- sche Koordinierung und Zusammenarbeit zwi- schen der Europäischen Gemeinschaft und ih- ren Mitgliedstaaten einerseits und den Verei- nigten Mexikanischen Staaten andererseits (Tagesordnungspunkt 15b) Ich werde dem vorliegenden Gesetzentwurf, bei dem es um nicht mehr und nicht weniger geht als um das Glo- balabkommen für den Freihandel zwischen EU und Mexi- ko, nicht zustimmen. Und natürlich nicht, weil ich ein Geg- ner bilateraler Wirtschaftsabkommen an sich wäre. Aber ich bin ein Gegner von Abkommen, die eine ungerechte 3830 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) Weltwirtschaftsordnung zementieren und weiter ausbauen sollen. Denn die vorgesehene völlige Liberalisierung von Handel und Dienstleistungen zwischen offenkundig un- gleich entwickelten Wirtschaften und Gesellschaften zu gleichen Austauschkonditionen, ist gerade aus entwick- lungspolitischer Sicht nicht zu akzeptieren. Wir können doch nicht unser Eintreten für gerechtere Nord-Süd-Beziehungen dadurch zu reiner Rhetorik ver- stümmeln, daß wir eilends das insgesamt äußerst kritik- würdige Vorhaben mit kurzen, wenn auch gutgemeinten Klauseln versehen. Daran haperte es nämlich auch in der Vergangenheit nicht. Woran es statt dessen fehlte, waren konzeptionelle Konsistenz und vor allem ein wirkungsvolles Monito- ring der Praxis solcher Abkommen. Aber wieder einmal mehr wird deutlich, daß dies offenbar gar nicht gewollt ist. Und wir stehen in dieser Hinsicht mit unserer Ein- schätzung durchaus nicht alleine da. Zahlreiche Nicht- regierungsorganisationen hierzulande und in Mexiko ebenso wie breite zivilgesellschaftliche Kräfte dort, u.a. Gewerkschaften, wehren sich verzweifelt gegen dieses Abkommen. Und die Gründe dafür brauche ich hier nicht noch mal anzuführen. Wir haben das in den Aus- schüssen erörtert. Auch kann ich Ihnen etwa die Lektüre eines am 7. Juni in der „Frankfurter Rundschau“ erschienenen Artikels unter der Überschrift „Wo die Tortillas heiß sind“ nur wärmstens empfehlen, der sich mit den Ar- beitsbedingungen und dem massiven Druck auf die Ge- werkschaften in Mexiko ausführlich befaßt. Aber was ist eigentlich das Interesse der EU und damit auch Deutschlands in dieser Frage? Doch allein die Tatsa- che, daß sich die EU und die Bundesrepublik durch das NAFTA-Abkommen zwischen Mexiko und den USA be- nachteiligt fühlen und nun versuchen, im Dienste ihrer Konzerne dieses Manko aus der Welt zu schaffen, indem man auch ein für die soziale Situation in Mexiko ähnlich verheerendes Abkommen abschließt. Darum geht es. Die Fragen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung oder der Menschenrechte sind dabei doch nichts als lästige Ran- daspekte. Das Durchpeitschen der Ratifizierung des vorlie- genden Abkommens in den nationalen Parlamenten weist darauf eindrucksvoll hin. Und das, obwohl die Details, also die Handelsklauseln und damit die Wirtschaftsverhandlun- gen zwischen der EU und Mexiko, noch längst nicht abge- schlossen sind, owohl sie doch den Kern des Abkommens und damit auch unsere Entscheidung begründen müßten. Nur eines steht für mich jetzt schon fest und ist ein wesentliches Motiv meiner Ablehnung: Mit dem Ab- kommen kommen die verheerenden Klauseln des MAI durch die Hintertür wieder rein. Was auf der OECD- Ebene verhindert werden konnte, wird nun auf diese Weise zur bitteren Realität. Eine bittere Realität gerade für Entwicklungs- und Menschenrechtspolitiker, weil uns zukünftig die Möglichkeit zur politischen Gestal- tung auch ökonomischer Prozesse zum Wohle der Men- schen dort noch mehr abhanden kommt. Eine bittere Realität aber vor allem für viele viele Menschen in Me- xiko. Und das wissen Sie auch! Denn internationale Standards in bezug auf Arbeitnehmerrechte und Men- schenrechte schlechthin sowie ihre Überwachung blei- ben als erstes auf der Strecke, weil sie gar nicht ver- ankert sind bzw. nur als eine für alle Verträge obligato- rische Absichtsbekundung zu Demokratie und Men- schenrechten enthalten sind. Die PDS hat sich in den Ausschüssen dafür einge- setzt, daß zumindest diese Absichtserklärungen als mi- nimale Verbesserungen aufgenommen werden, bzw. die in dieser Hinsicht von der Koalition vorgeschlagenen Erweiterungen. Aber ich kann es natürlich nicht unterstützen, daß sie zum Feigenblatt werden für ein vom Wesen her falsches Vertragswerk, das wieder nur auf Kosten unzähliger Ar- beitsplätze gehen wird – in Mexiko wie hier in der EU. Ein Vertragswerk, das die Menschen bezahlen mit ihrer Würde, mit Entwickungschancen und sozialer Sicherheit und an dem die transnationalen Konzerne Unmengen verdienen werden. Denn allein die Erweiterung ihrer Marktchancen sind mit diesem Abkommen ins Zentrum jeglichen politischen Handelns gesetzt worden. Dem kann und dem will ich nicht zustimmen. Ich hoffe sehr, daß sich zumindest die Fachkollegen der an- deren Fraktionen ähnlich verhalten. Anlage 3 Erklärung der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember 1997 über wirtschaftliche Partnerschaft, politi- sche Koordinierung und Zusammenarbeit zwi- schen der Europäischen Gemeinschaft und ih- ren Mitgliedstaaten einerseits und den Verei- nigten Mexikanischen Staaten andererseits (Tagesordnungspunkt 15b) Versehentlich stimmte die PDS-Fraktion zu der auf- gerufenen Beschlußempfehlung mit Nein. Hiermit er- kläre ich, daß die PDS-Fraktion der Beschlußempfeh- lung ausdrücklich zustimmt. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zum a – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte b – Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Präsidialverfassung der Gerichte c – Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung d – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfas- sungsgesetz (Tagesordnungspunkt 11) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3831 (A) (C) (B) (D) Alfred Hartenbach (SPD): Wir beraten heute über vier Gesetzesvorlagen, die eigentlich mehr Aufmerk- samkeit verdient hätten, als in einer Art Gemischtwa- renladen miteinander vermengt zu werden; eine Recht- fertigung für die verbundene Debatte besteht indes nur in der Überschrift: Justiz. Mit der Änderung des Einführungsgesetzes zum Ge- richtsverfassungsgesetz vollziehen wir ein weiteres Stück der Deutschen Einheit. In Berlin werden künftig die Wahlen der Schöffen von einem gemeinsamen Amtsgericht durchgeführt. Das ist angesichts der Neu- ordnung der Verwaltungsbezirke dort nötig und richtig. In zwei weiteren Gesetzen wollen wir von der Koali- tion und der Bundesrat die richterliche Selbstverwaltung reformieren und stärken. Ich werde mich dabei auf unse- ren Entwurf konzentrieren, auch weil er zusätzlich die Unabhängigkeit der Richter und Gerichte stärkt. Nach unserem Verständnis von einer demokratischen Justiz kann es nicht angehen, daß im 50. Jahr des Grundgesetzes innerhalb der Selbstverwaltungsgremien der Gerichte einzelnen Richtern besondere Privilegien zustehen. Nach den bisherigen Vorschriften haben die gewählten Vorsitzenden Richter zusammen mit den Ge- richtspräsidenten stets die Mehrheit im Präsidium, ob- wohl ihre Zahl nicht einmal ein Viertel der Richter des Gerichts ausmacht. Dieses Zweiklassensystem entspricht nicht der von unserer Verfassung geforderten Gleich- wertigkeit der Richterämter. Dazu gehört auch, daß künftig innerhalb der Spruchkörper die Stimme des Vor- sitzenden nicht mehr privilegiert, sondern den anderen gleichgestellt ist. Wir wollen erreichen, daß die Richte- rinnen und Richter in das Präsidium gewählt werden, die von der Mehrheit des Kollegiums gewollt sind. Wir schaffen dadurch mehr Transparenz, die zusätzlich ge- fördert wird durch eine begrenzte Öffentlichkeit der Prä- sidiumssitzungen. Wir tragen mit unserer Reform auch der mit der weitgehenden Übertragung der Zivilprozesse auf den Einzelrichter geänderten Lage Rechnung und bereiten der großen Justizreform, die eine Stärkung der Eingangsgerichte und der Einzelrichter vorsieht, den Weg. Wir sind aber auch überzeugt, das Selbstverständ- nis und die Motivation der Richterinnen und Richter zu stärken. Wenden wir uns nun Gesetz Nummer drei zu: der außergerichtlichen Streitschlichtung. Heute morgen wurden wir ja schon mehrfach durch unser allzeit waches Medium Fernsehen auf dieses Thema einge- stimmt. Mir hat danach mein Frühstück richtig gut ge- schmeckt, als ich sehen konnte, wie gut sich zwei Schiedsmänner, die ja als eine von mehreren möglichen Schlichtungsstellen in Betracht kommen, dargestellt haben. Worum geht es denn bei diesem „Gesetz zur Förde- rung der außergerichtlichen Streitschlichtung“? Trotz verschiedener Entlastungsversuche durch mehrere Ge- setze hat sich der Geschäftsanfall in der Ziviljustiz wei- ter erhöht. Mehrfache Streitwerterhöhungen und Ver- schärfungen des Zugangs zu den Rechtsmittelgerichten haben keine Entlastung gebracht, sondern eher eine Justizverdrossenheit der Parteien gefördert. Wir werden mit diesem Gesetz die Amtsgerichte in Bagatellstreitig- keiten entlasten. Darin sind wir uns ja in allen Fraktio- nen einig. Wir hätten diese Entlastung schon in der ver- gangenen Legislaturperiode erreichen können, aber wir wissen, daß dies an Taschenspielertricks der vormaligen Koalition gescheitert ist. Nun wollen wir uns aber nicht über verschüttete Milch unterhalten, wir wollen nach vorn blicken. Wir wollen, daß in allen Verfahren mit einem Streit- wert bis zu 1 500 DM, allen Nachbarschaftsklagen und bei allen Streitigkeiten über Ansprüche wegen Ehrver- letzungen zunächst ein Einigungsversuch vor einer die- ser Schlichtungsstellen unternommen wird. Ausgenom- men davon sind die Verfahren, die über das Mahnver- fahren ihren Anfang nehmen, und einige andere Streitig- keiten, wie etwa aus dem Familienrecht oder Urkunds- prozesse. Die Schlichtungsstellen – oder wie wir es im Gesetz nennen: die Gütestellen – sollen nun nicht Recht sprechen und einen Rechtsstreit mit einem Urteil been- den. Das sollen und dürfen sie nicht; die Entscheidungen durch Urteile bleiben den Richtern vorbehalten. Sie sol- len, so wie es im Gesetz steht, versuchen, Streitigkeiten einvernehmlich beizulegen. Ich verkenne nicht, daß auch bei Nachbarrechtsstreitigkeiten und Bagatellklagen komplizierte juristische Sachverhalte vorkommen. Aber, ich wiederhole es noch einmal, die Gütestellen sollen ja gerade nicht komplizierte Sachverhalte entscheiden, sie sollen ja auf eine einvernehmliche Lösung hinwirken. Dazu bedarf es keiner juristischen Vorbildung. Wir brauchen hierfür insbesondere Menschen, die mit Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen und einer guten Portion gesunden Menschenverstandes die zerstrittenen Parteien wieder auf einen gemeinsamen Weg führen. Das wird insbesondere im Nachbarrecht die wichtigste Aufgabe sein. Nun glauben einige, die Vorschaltungen der Güte- stellen würde keine Entlastung bringen, weil Bagatell- streitigkeiten ohnehin im Mahnverfahren erledigt wür- den. Die Zahlen bei den Gerichten widerlegen diese Be- hauptung indes. Wir sind überzeugt, daß die Gütestellen eine Vielzahl der an sie herangetragenen Streitigkeiten durch Vergleich erledigen werden und damit zu einer deutlichen Entlastung der Eingangsgerichte, der Amts- gerichte, beitragen. Wir als Gesetzgeber wollen es dabei den einzelnen Bundesländern überlassen, ob sie die Gütestellen ein- richten und welche Personen dort als Schlichter tätig werden. Dies können ausgebildete Juristen ebenso sein wie örtlich anerkannte Persönlichkeiten, also die Schiedspersonen, Schiedsämter, Schiedsstellen oder auch neue, von den Ländern zu schaffende Stellen. Da sind die Rechtsanwälte natürlich ebenso angesprochen wie möglicherweise pensionierte Richter. Wichtig ist, daß diese Personen willens und in der Lage sind, auf eine gütliche Beilegung des Streites hinzuwirken. Erfolgt eine gütliche Regelung nicht, erteilt die Güte- stelle eine entsprechende Bescheinigung, die mit der Klage vorgelegt werden muß. Gelingt allerdings die Einigung, kann aus diesem Vergleich die Zwangsvoll- streckung betrieben werden. 3832 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) Die Sorge, die Vorschaltung einer Gütestelle verzö- gere den Prozeß, ist unbegründet. Die Gütestellen kön- nen unbürokratisch und damit sehr rasch einen Termin anberaumen. Zum anderen setzt das Gesetz schon eine sehr kurze Frist: Ist nach Ablauf von drei Monaten das Güteverfahren nicht durchgeführt, erhält der Kläger gleichwohl die Bescheinigung, daß er die Einigung ver- sucht habe. Die kurze Zeitspanne kann deshalb nicht als Argument der Verzögerung gelten. In der Mehrzahl der Streitigkeiten, die erst gar nicht zu den Gerichten gelan- gen, werden dafür aber beide Parteien alsbald in ihrem Vergleich Rechtssicherheit haben. Wir sind überzeugt, daß sich die Öffnungsklausel in der Praxis bewähren wird. Wir wünschen uns mutige Bundesländer, die die ihnen eingeräumten Möglichkei- ten, ihre Amtsgerichte zu entlasten, nun auch bald in die Tat umsetzen. Volker Kauder (CDU/CSU): Der Bundesrat und die Regierungskoalition haben Gesetzentwürfe eingebracht, mit denen die Präsidialverfassung der ordentlichen Ge- richte geändert und angebliche Privilegien einzelner Richter abgebaut werden sollen. Drei wesentliche Ände- rungsvorschläge beinhalten diese Gesetzentwürfe: Das in § 21a Gerichtsverfassungsgesetz festgelegte Quorum für Vorsitzende Richter im Präsidium soll abgeschafft werden. Die Verteilung der Geschäfte in einem mit meh- reren Richtern besetzten Spruchkörper soll nicht mehr vom Vorsitzenden Richter allein, sondern durch Mehr- heitsentscheidung mit Stichentscheid des Präsidiums bei Stimmengleichheit erfolgen. Die immer wieder disku- tierte Richteröffentlichkeit der Sitzungen des Präsidiums soll nun gesetzlich eingeführt werden. Diese Änderungsvorschläge sind nichts Neues. Es könnte allenfalls neue Argumente im Für und Wider geben. Die Gesetzentwürfe sprechen von in den letzten 25 Jahren eingetretenen Rechtsentwicklungen und ver- änderten Anforderungsprofilen, denen sich die Justiz stellen müsse und die Strukturveränderungen zur Steige- rung der Effizienz der Justiz und der Eigenverantwort- lichkeit der Richter notwendig machten. Da die Gesetz- entwürfe diese Aussagen ohne jede weitere Erläuterung lassen, stehen sie eher als behauptende Aussage da, die eine Begründung verlangt, denn als Begründung selbst. Diesen Charakter trägt noch deutlicher die weitere Behauptung in den Gesetzentwürfen, daß eine Effizienz- steigerung der Justiz gerade dadurch erreicht werden könne, indem die Stellung des einzelnen Richters im zentralen Organ richterlicher Selbstverwaltung den ge- stiegenen Anforderungen angepaßt wird. Auch wenn man den einen oder anderen Gedanken- gang der Regierungskoalition oder des Bundesrates nachvollziehen kann, fällt es doch schwer zu glauben, daß durch den vorgelegten Gesetzentwurf tatsächlich Binnenreserven zum Zweck der Gerichtsentlastung akti- viert werden können. Der Geschäftsanfall verändert sich durch dieses Gesetz nicht. Also bleibt doch nur die Vermutung, daß Regierungskoalition und Mehrheit des Bundesrates unterstellen, daß die bisherigen Strukturen zu einer weniger effektiven oder gar schlechten Aufga- benerfüllung geführt haben. Dazu werden aber keine konkreten Positionen benannt, und so wird es im Ge- setzentwurf auch nicht formuliert. Entweder traut sich die Regierungskoalition nicht, dieses so klar zu formu- lieren oder – was ich für eher wahrscheinlich halte – sie hat für eine solche Einschätzung überhaupt keinen rea- len Anhalt. So kommen mir diese Begründungen eher wie ein Alibi vor, um die wahren Gründe für diesen Ge- setzentwurf zu verbergen. Die vorliegenden Gesetzentwürfe nehmen Diskussio- nen der 70er Jahre wieder auf, die von der Gleichwer- tigkeit aller Richterämter geprägt waren. So drängt sich der Eindruck auf, daß eher ideologische Vorstellungen diesen Gesetzentwurf tragen, denn sachlich zwingende Notwendigkeiten. Das alte sozialdemokratische Ziel der sogenannten Demokratisierung der Gerichte, der vollen Gleichwertigkeit aller Richter an einem Gericht, wird mit den vorliegenden Gesetzentwürfen neu aufgegriffen. In der Vergangenheit sind entsprechende Vorstöße ge- scheitert. Deshalb hat die SPD nun versucht, das alte Anliegen mit einem verführerisch klingenden Titel zu versehen und neu zu verpacken. Ganz deutlich wird dies in der Zielsetzung, angeblich überkommene Privilegien abzubauen. Daß dieser Abbau angeblicher Privilegien eine Effizienzsteigerung der Justiz nach sich ziehe, er- schließt sich schlüssig in keinster Weise aus den Gesetz- entwürfen und dürfte in der Praxis auch durch kein be- kanntes Meßverfahren nachweisbar sein. Da die Gesetzentwürfe also nicht offen die Gleich- wertigkeit aller Richterämter als Zielsetzung ausweisen, werden auch die in diesem Zusammenhang dringend notwendigen Fragen nach Führung und Sachkompetenz durch Gremien in der Justizverwaltung nicht angespro- chen. Das Präsidium eines ordentlichen Gerichtes ist kein rechtspolitisches Parlament. Das Präsidium ist im we- sentlichen ein geschäftsleitendes Verwaltungsorgan. Und da gibt es sehr wohl Gründe, die dafür sprechen, Erfahrung und Sachverstand der Vorsitzenden Richter einer Spruchkammer besonders einzubeziehen. Dies ist eine Sachfrage, die man unterschiedlich behandeln kann, die aber den Vorwurf einer Privilegierung von Vorsit- zenden Richtern überhaupt nicht verdient. Ich meine, daß mehr für die bisherige Praxis spricht. Vergleichbar sehe ich dies auch bei der Entschei- dungskompetenz Vorsitzender Richter bei der Ge- schäftsverteilung in mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörpern. Ich weiß, daß die in diesem Gesetzent- wurf vorgesehene Mehrheitsentscheidung inhaltlich be- reits mit dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Ver- einfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit in das Ge- setzgebungsverfahren eingeführt wurde. Wir haben diese Regelung in dem ansonsten von uns ursprünglich mitgetragenen Gesetzentwurf immer abgelehnt. Auch bei diesem Thema setzt sich der Gesetzentwurf der Re- gierungskoalition mit den Fragen von Führung und Ver- antwortung überhaupt nicht auseinander. Hier von De- mokratisierung zu sprechen ist deshalb wenig überzeu- gend, weil gerade auch Demokratie der Führung bedarf. Ist denn die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers mit dem Recht, Minister zu berufen und zu entlassen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3833 (A) (C) (B) (D) undemokratisch? Da dies nicht der Fall ist, kann es doch bei der Frage von Führung und Verantwortung im Ge- richt nur darum gehen, inwieweit richterliche Unabhän- gigkeit und das richterliche Selbstverständnis Führung begrenzen. Eine solche begrenzende Notwendigkeit sehe ich bei der Festlegung der Geschäftsverteilung in einem Spruchkörper nicht notwendigerweise. Der Mangel der Gesetzentwürfe liegt aber darin, daß sie sich mit dieser Frage überhaupt nicht auseinanderset- zen. Ferner wird verkannt, daß die Vorsitzenden Richter bereits jetzt und nach den Vorstellungen der Landes- justizverwaltungen künftig zunehmend leitende Auf- gaben übernehmen sollen. Die Beschneidung der Stel- lung der Vorsitzenden Richter ist deshalb sachlich nicht geboten. Die Vorschläge sind kontraproduktiv und können so gedeutet werden, daß auf mittlere Sicht, zusammen mit den Überlegungen zur Justizreform, die Vorsitzenden Richter, zumindest an den Landgerichten, weiter ent- machtet und gänzlich durch Einzelrichter ersetzt werden sollen. Letztlich stellt sich auch die Frage, warum ein Vorsitzender Richter noch in einer höheren Besoldungs- stufe stehen soll als ein einfacher Richter, wenn ihm klassische Führungsaufgaben entzogen werden. Daß im Präsidium künftig die einfachen Richter die Mehrheit stellen werden und daß über den Geschäftsverteilungs- plan die Vorsitzenden Richter – entsprechend einer weit verbreiteten Fehlvorstellung – zusätzlich mit Arbeit ein- gedeckt werden sollen, wird sich langfristig schädlich auf die Stellung der Vorsitzenden Richter und damit auch auf die Personalentwicklung innerhalb der Justiz auswirken. Da es auch innerhalb der Arbeitsgruppe Recht der SPD-Fraktion kritische Stimmen zu dem Ge- setzentwurf gibt, ist eine Sachverständigenanhörung, bei der auch die betroffenen Vorsitzenden Richter zu Wort kommen sollten, unverzichtbar. Dies bestärkt mich im Eindruck, daß es hier wirklich um eine politisch ideolo- gische und weniger um eine sachlich gebotene Frage geht. Etwas anders verhält es sich mit dem dritten Rege- lungskomplex: der Richteröffentlichkeit der Sitzungen des Präsidiums. Hier gab es Rechtsunsicherheit, die dann zu einer Entscheidung des Dienstgerichts des Bun- des 1995 geführt hat, die die Entscheidung eines Präsi- diums, richteröffentlich zu tagen, zum Kernbereich richterlicher Tätigkeit erklärt hat. Damit ist eine inhalt- liche Kontrolle der Dienstaufsicht über die Frage der Richteröffentlichkeit nicht mehr möglich. Das Präsidium kann also jetzt in einer Geschäftsordnung festlegen, ob richteröffentlich getagt wird oder nicht. Wenn ich den Gesetzentwurf richtig interpretiere, wird aber genau diese Rechtslage formuliert, wenn es im Gesetzestext heißt, daß das Präsidium beschließen kann, daß die Richter des Gerichts bei den Beratungen und Abstim- mungen des Präsidiums zugegen sein können. Ich kann nicht erkennen, wo hier eine neue Rechtslage formuliert wird. Zur Sache selbst wäre aber erneut auf das Bundes- dienstgericht zu verweisen, daß in der Entscheidungsbe- gründung klar zum Ausdruck bringt, daß nach seiner Auffassung mehr gegen die Richteröffentlichkeit spricht als dafür. Obwohl Bundesrat und Regierungskoalition durchaus die auch vom Bundesdienstgericht angesprochenen Pro- bleme erkennen, wird in der Begründung nur völlig un- zureichend darauf hingewiesen, und zwar mit der Be- merkung, daß in angemessener, sachlicher und schonen- der Weise auf persönliche Eigenschaften der betroffenen Richter einzugehen ist, wenn dies im Laufe der Beratun- gen notwendig wird. Diese Anforderung der zurückhal- tenden, abwägenden, nicht auch nur im Ansatz negativ qualifizierenden Äußerung dürfte eine sachgerechte, die Entscheidung fördernde Diskussion kaum erleichtern. Diese beiden vorliegenden Gesetzentwürfe hinterlassen den Eindruck, daß es also weniger um sachliche Not- wendigkeiten denn um politische Zielsetzungen geht. Da die sachlichen Notwendigkeiten nicht zwingend gegeben sind, lehnen wir diese Gesetzentwürfe auch ab. Ich äußere die Hoffnung, daß die weiteren Reformvor- haben in der Justizpolitik dieser Bundesregierung weni- ger von Ideologie als von sachlichen Zielsetzungen ge- prägt sind. Dies wünsche ich mir vor allem als Abge- ordneter eines Flächenlandes beim Reformvorhaben der Eingangsgerichte. Alle sachlichen Argumente sprechen für die Erhaltung der amtsgerichtlichen Strukturen. Ich hoffe, daß wir uns darauf verständigen können. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ich komme zunächst zu Tagesordnungspunkt 11a und b. Ziel beider Entwürfe ist die Reform der Präsidialver- fassung und die Stärkung der richterlichen Selbstver- antwortung. Überkommene Strukturen in der Gerichts- verfassung sollen abgeschafft und die Justizstrukturen demokratisiert werden. Die Stellung der einzelnen Richter wird gestärkt und der Gleichwertigkeit aller Richterämter Ausdruck verliehen. Der Bundesratsent- wurf wird diesem Ziel nicht in gleicher Weise gerecht wie der Koalitionsentwurf, der „mutiger“ vorgeht. So soll im Gegensatz zum bisherigen Recht nicht mehr der Vorsitzende allein die Geschäftsverteilung in- nerhalb der Kammer festlegen, sondern der Spruchkör- per (§ 21g). Soweit auf Grund Stimmengleichheit keine Entscheidung herbeigeführt werden kann, soll das Präsi- dium entscheiden. Im Gegensatz dazu soll nach dem Bundesratsentwurf die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag geben. Das nach bisherigem Recht geltende Vorsitzenden- quorum im Präsidium – das heißt die Vorgabe, daß die- ses mindestens zur Hälfte mit Vorsitzenden Richtern be- setzt sein muß – wird abgeschafft. Es wird zudem festgelegt, daß Präsidiumssitzungen in Zukunft grundsätzlich für die Richter des Gerichts öf- fentlich sind. Kommen jedoch Personalangelegenheiten zur Sprache, besteht die Möglichkeit, die Öffentlichkeit auszuschließen (§ 21e Abs. 8). Zwar bleibt es bei der Regelung, wonach die Wahl zum Präsidium grundsätzlich nach dem Mehrheitswahl- recht erfolgt (§ 21b Abs. 3). Hierdurch werden „klei- nere“ Organisationen, wie zum Beispiel die „Neue Richtervereinigung“, benachteiligt. Es soll aber den 3834 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) Ländern ermöglicht werden, auch andere Wahlverfahren festzulegen, was im Bundesratsentwurf nicht vorgesehen ist. Nun meine Stellungnahme zu Tagesordnungspunkt 11c. Ziel dieses Entwurfes ist es, vermehrt Zivilrechts- streitigkeiten einer außergerichtlichen – einvernehmli- chen – Streitlösung zuzuführen. Wir wollen erreichen, daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, zu einer für die Beteiligten befriedigenden Beendigung eines Streites zu gelangen. Dies ist außerhalb des streng for- malisierten Gerichtsverfahrens weitaus besser zu reali- sieren als innerhalb eines solchen. Hiermit ist dem Rechtsfrieden und letztlich auch dem Vertrauen in den Rechtsstaat gedient. Den Ländern soll durch eine Öffnungsklausel ermög- licht werden, in bestimmten Fällen dem zivilrechtlichen Verfahren ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vor einer von den Landesjustizverwaltungen eingerichteten oder anerkannten Gütestelle vorzuschalten. Dieser Eini- gungsversuch soll Zulässigkeitsvoraussetzung für eine spätere Klage sein. In Betracht kommt das Schlichtungsverfahren für vermögensrechtliche Streitigkeiten vor den Amtsge- richten mit einem Streitwert unter 1 500 DM, bestimmte Nachbarrechtsstreitigkeiten, Ansprüche wegen Ehrver- letzungen unter Privaten. Es soll aber ausreichen, wenn die Parteien einver- nehmlich einen Einigungsversuch vor einer sonstigen Gütestelle, die Streitschlichtung betreibt – was auch Verbraucherberatungsstellen sein können – unternom- men haben. Für Rechtsanwälte wird ein Gebührentatbestand ge- schaffen; die Gebühr wird aber in einem etwaigen spä- teren Prozeß angerechnet. Insolvente Parteien erhalten – wie im „normalen“ Gerichtsverfahren – Anspruch auf Beratungshilfe. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin der Justiz: Eine starke, eine unabhängige, eine effizient arbeitende Justiz ist einer der wesentlichen Pfeiler unseres demokratischen Rechtsstaats. Die Bundesregierung hat sich deshalb dem rechtspolitischen Ziel verschrieben, der Justiz mit grundlegenden Verfahrensvereinfachungen und anderen flankierenden Maßnahmen den Rücken zu stärken. Deshalb begrüßen wir natürlich die heute zur Be- ratung anstehenden Gesetzentwürfe. Das gilt zunächst für die Gesetzesinitiative der Ko- alitionsfraktionen zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte und den in dieselbe Richtung zie- lenden Gesetzentwurf des Bundesrates zur Reform der Präsidialverfassung der Gerichte. Beiden Entwürfen liegt die zutreffende Erkenntnis zugrunde, daß sich die gesetzlichen Regelungen zur richterlichen Selbstver- waltung zum Teil als unzulänglich erwiesen haben. Angesichts des veränderten Anforderungsprofils der Justiz – vor allem im Hinblick auf die stärker gewordene Stellung des Einzelrichters – ist die überkommene Prä- sidialverfassung, die seit mehr als einem Vierteljahrhun- dert unverändert besteht, nicht mehr zeitgemäß. Ent- sprechende Strukturveränderungen sind daher geboten, die zur Steigerung der Effizienz der Justiz und der Ei- genverantwortlichkeit der Richter beitragen. So ist zum Beispiel heute in der Tat nicht mehr einzu- sehen, warum die Präsidien zur Hälfte mit Vorsitzenden Richtern besetzt sein müssen, die auf diese Weise zu- sammen mit dem Vorsitzenden, der geborenes Präsidi- umsmitglied ist, immer die Mehrheit bilden. Dieses Pa- ritätsprinzip – das sogenannte Vorsitzenden-Quorum – führt zu einer Überrepräsentierung der Vorsitzenden im Präsidium, die demokratischen Grundsätzen zuwider- läuft. Denn die Vorsitzenden machen zahlenmäßig häu- fig nur ein Drittel bis ein Viertel der an einem Gericht tätigen Richter aus – manchmal sogar noch weniger. Die Neuregelung sieht also zu Recht die ersatzlose Beseiti- gung des Vorsitzenden-Quorums vor. Nicht mehr zeitgemäß erscheint auch die Regelung, wonach der Vorsitzende die Geschäftsverteilung inner- halb der einzelnen Spruchkörper allein bestimmt. Dies widerspricht dem modernen Verständnis einer prinzipi- ellen Gleichwertigkeit der Richterämter, das vor allem durch die Stärkung des Einzelrichters zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die in den Entwürfen vorgesehene interne Geschäftsverteilung durch Beschluß der dem Spruchkörper angehörenden Berufsrichter trägt dem Prinzip der Gleichwertigkeit der Richterämter wesent- lich besser Rechnung. Wie die gesetzliche Regelung im einzelnen auszugestalten ist – wie z.B. bei Stimmen- gleichheit zu verfahren ist –, darüber wird im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu reden sein. Dasselbe gilt – um einen weiteren und für mich zu- gleich letzten Punkt der beiden Gesetzentwürfe heraus- zugreifen – für die geplante Einführung der Richter- öffentlichkeit der Präsidiumssitzungen. Dies entspricht einem vielfach geäußerten Bedürfnis innerhalb der Richterschaft. Außerdem wird dies – wie man hört – an einigen Gerichten ohne Rücksicht auf die entgegenste- hende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits heute praktiziert. Die beiden Entwürfe unterscheiden sich zwar gering- fügig in der Frage, ob die Öffentlichkeit fakultativ oder regelmäßig zugelassen werden soll. Aber auch hier wird die Diskussion im weiteren Verlauf des Gesetzgebungs- verfahrens ergeben, welchem der beiden Konzepte der Vorzug zu geben ist. Ich komme zum zweiten Thema: Die Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung ist ein wesentliches Ziel der Rechtspolitik der Bundesregierung. Die außer- gerichtliche Streitbeilegung kann nicht nur einen Beitrag leisten zu der dringend gebotenen Entlastung der Zivil- justiz. Sie kann vielmehr auch in dafür geeigneten Be- reichen eher und besser Rechtsfrieden zwischen den streitenden Parteien schaffen. Ich denke hier insbesondere an Nachbarschaftsstrei- tigkeiten. Die Parteien müssen in diesen Fällen auch weiterhin miteinander auskommen. Ihnen ist mit außer- gerichtlicher Streitschlichtung häufig viel besser gedient als mit einem Streit vor Gericht und einem anschließen- den Urteil. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3835 (A) (C) (B) (D) Bei anderen Streitigkeiten sind Gerichtsverfahren schon im Hinblick auf das Verhältnis von Aufwand und Bedeutung der Sache wenig geeignet. Die Gerichts- und Anwaltskosten einschließlich etwaiger Auslagen für Zeugen und Sachverständige können in solchen Fällen leicht die Höhe der im Streit stehenden Forderung über- steigen. Solche Konflikte können durch außergerichtli- che Streitbeilegung rascher und kostengünstiger berei- nigt werden. Ich halte es deshalb für wichtig, Institutio- nen, die im Vorfeld der Gerichte Konflikte beilegen, zu fördern. Die mit dem vorliegenden Entwurf vorgeschlagene Öffnungsklausel zugunsten der Bundesländer bietet aus- reichend Flexibilität, um alternative Wege zur außerge- richtlichen Streitbeilegung zu gehen. Da sich fast alle Länder in diesem Bereich experimentierfreudig zeigen, verspreche ich mir viel von der Umsetzung dieser Re- gelung. Die jetzt vorgeschlagene Regelung war auch Be- standteil der Bundesrats-Initiative der vergangenen Le- gislaturperiode, des Gesetzentwurfs zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die CDU/CSU- Fraktion hat allerdings diesen Entwurf in der laufenden Legislaturperiode nahezu unverändert wieder einge- bracht. Die Bundesregierung teilt den Gesamtansatz die- ses Entwurfs nicht. Mit ihm soll die „Flickschusterei“ in der Justizpolitik durch Rechtspflegevereinfachungs-, Beschleunigungs- und Entlastungsgesetze fortgesetzt werden. Die Bundesregierung setzt im Gegensatz dazu auf eine grundlegende Reform des Rechtsmittelrechts in Zivilsachen noch in dieser Legislaturperiode. Dies ändert indessen nichts daran, daß ein wichtiger Ansatz, der mit dem heute zu beratenden Entwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf- gegriffen wird, schon jetzt zügig verabschiedet werden kann, um eine möglichst rasche Entlastung der Zivilge- richte zu erreichen. Angesichts der Vorgeschichte dieses Vorschlages bin ich mir sicher, daß wir großes Einver- nehmen erzielen werden. Zum dritten Thema: Auch dem Entwurf des Bundes- rates für ein Gesetz zur Änderung des Einführungsgeset- zes zum Gerichtsverfassungsgesetz stimmt die Bundes- regierung zu. Mit der beantragten Änderung soll dem Land Berlin wegen der dortigen Bezirksreform die Möglichkeit eingeräumt werden, die Schöffenwahl bei einem Gericht zu konzentrieren und damit zu vereinfa- chen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat ein klares Konzept für ihre Rechtspolitik in dieser Le- gislaturperiode. Wie ein roter Faden ziehen sich durch dieses Konzept Maßnahmen zur Stärkung der Judikative – ihre Stellung, ihrer Selbstverantwortlichkeit, ihrer Lei- stungsfähigkeit. Die heute beratenen Entwürfe passen wie Mosaiksteine in dieses Konzept. Ich bitte darum, sie positiv aufzunehmen. Rainer Funke (F.D.P.): Uns begegnet heute mit dem Gesetzentwurf zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung ein alter Bekannter, denn dieses Gesetz hat schon die frühere Bundesregierung eingebracht. Sie war mit diesem Gesetzentwurf zugegebenermaßen aus anderen Gründen im Vermittlungsausschuß gescheitert. Inhaltlich kann ich daher diesem Gesetz über die außer- gerichtliche Streitbeilegung durchaus zustimmen. Die F.D.P. hat stets der außergerichtlichen Streitbei- legung eine große und wichtige Rolle zugedacht. Aus diesem Grunde haben wir in der letzten Legislaturperi- ode auch die §§ 1025ff. ZPO reformiert und das Schiedsgerichtswesen dadurch auch international geför- dert. Je mehr außergerichtliche Streitbeilegung und außer- gerichtliche Streitentscheidungen möglich sind, desto schneller und häufig effektiver wird der Rechtsfrieden hergestellt, als es Gerichte mit ihrer hoheitlichen Funk- tion leisten können. Der Spruch „Schlichten ist besser als richten“ hat viel Wahres für sich. Die außergerichtliche Streitbeilegung hat ja in einigen Bundesländern großen Erfolg gehabt. Schiedsmänner und Schiedsfrauen, aber auch die Mitarbeiter der öffent- lichen Rechtsauskunft und Vergleichsstelle in Hamburg haben wesentlich zur Entlastung der Gerichte und zur Herstellung des Rechtsfriedens beigetragen. Der Ansatz des Gesetzes, durch eine Länderöffnungsklausel diese bewährten Institutionen, die von Land zu Land ja unter- schiedlich ausgestaltet sind, zu nutzen, erscheint mir nach wie vor richtig. Im Rechtsausschuß werden wir aber darüber zu be- raten haben, ob die Länder nicht doch in einem be- stimmten Rahmen und nicht in völlig unterschiedlicher Weise diese außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen ausgestalten sollen. Insbesondere in der Nähe von Län- dergrenzen wird es der Bevölkerung schwer verständlich zu machen sein, daß zum Beispiel in Hamburg- Schnelsen, also am nördlichsten Ende von Hamburg, Regelungen gelten, und 300 Meter von meinem Wohn- sitz entfernt, in Schleswig-Holstein, andere Vorausset- zungen bestehen. Auf jeden Fall wird es zusätzlichen Personalbedarf im Bereich der Schiedsmänner und Schiedsfrauen ge- ben. Ich glaube, daß als Schlichter vor allem Rechts- anwältinnen und Rechtsanwälte in Frage kommen, in- soweit könnte auf die Vorbildfunktion des Entwurfs eines Landesausführungsgesetzes in Baden-Würt- temberg hingewiesen werden. Die Bundesjustizministerin hat bereits mehrfach den großen Entwurf einer Justizreform angekündigt. Dabei soll insbesondere der bisherige Instanzenweg in Frage gestellt werden. Insoweit könnte der außergerichtlichen Streitbeilegung vor Inanspruchnahme der Eingangs- gerichte eine große Bedeutung zukommen. Wir sollten daher auch in der Beratung in den Ausschüssen mit überdenken, ob die außergerichtliche Streitbeilegung nicht gemeinsam mit den Vorschlägen zur Justizreform behandelt werden sollte. Mit dem Gesetzentwurf zur Stärkung der Unabhän- gigkeit der Richter und der Gerichte begegnet uns wie- der ein alter Bekannter, nämlich das alte sozialdemokra- tische Ziel der sogenannten Demokratisierung der Ge- richte. 3836 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) Aber die Idee der Gleichwertigkeit aller Richterämter, die ja hinter diesem Gesetzesantrag steht, verkennt, daß unter- schiedliche Verantwortlichkeiten und unterschiedliche Be- fugnisse letztlich auch mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten der betroffenen Richter einhergehen müssen. Wenn man bedenkt, daß den Vorsitzenden Richtern künftig noch zunehmend einige Aufgaben übertragen werden sollen, be- steht zumindest kein sachliches Gebot für die Beschneidung der Position der Vorsitzenden Richter. Aber auch bei diesem Gesetzentwurf sieht die F.D.P. einen Zusammenhang zu den Überlegungen der Justizreform. Eine tragende Überlegung bei der Justizreform ist ja nun einmal die noch weitere Zu- rückführung der Kammerentscheidung. Aus diesem Grunde plädiere ich sehr dafür, diesen Gesetzentwurf zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte erst dann zu beraten, wenn die Vorstellungen der Justizministerin zur Ju- stizreform im Bundestag beraten werden. Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Reform der Präsidialverfassung der Gerichte sieht eine sogenannte Richteröffentlichkeit vor und soll eine größere Transpa- renz der Entscheidungen ermöglichen. Ich habe Zweifel, ob dieses Ziel mit diesem Mittel erreicht wird. Ich prophezeie, daß die Verstärkung der Richter- öffentlichkeit letztlich dazu führt, daß die Entscheidun- gen noch viel stärker als bisher in den von uns allen im- mer wieder kritisierten Runden vorbereitet und letztlich auch gefällt werden. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Eigentlich ist es eine Zumutung, über den vorliegenden Ge- setzentwurf im Bundestag zu diskutieren, nachdem wir be- reits im letzten Jahr die Frage der Entlastung der Gerichte im Bundestag verabschiedet hatten, durch Uneinsichtigkeit der damaligen Opposition, der SPD und der Grünen, ein Inkrafttreten verhindert wurde und wir bereits am 28. Janu- ar dieses Jahres den Gesetzentwurf so vorstellten, der ur- sprünglich auch Ihre Zustimmung gefunden hat, mit Aus- nahme der eigentlich vernünftigen Versuchsregelung, das Handelsregister den Industrie- und Handelskammern zu übertragen. Dies haben wir, weil wir die Mehrheiten ken- nen, gestrichen, und trotzdem haben Sie uns vergeblich im Januar diskutieren lassen mit der mehr als faulen Ausrede – und ich darf Sie zitieren, lieber Kollege Hartenbach –: „Wenn wir etwas tun, dann muß es eine Reform sein, die aus einem Guß ist. Ich bin froh, daß Herr Pick darüber nachher noch sprechen wird. Da kann ich mir weitere Aus- führungen ersparen.“ Ich darf weiter zitieren: Herrn Staatssekretär Dr. Pick auf eine Intervention von Herrn Geis: Wissen Sie, Herr Geis, wir haben … die Chance – auch im Konsens mit den Bundesländern –, tat- sächlich in eine echte Reform einzusteigen. Des- wegen werden wir in allen Schritten, die dieser Re- form nicht zuwiderlaufen, sondern sie befördern und ihr entsprechen, zustimmen. Später fährt er fort: Meine Damen und Herren, in der Koalitionsver- einbarung ist festgelegt, daß wir eine umfassende Justizreform mit den Aspekten der Dreistufigkeit, von der ich bereits sprach, der Aufwertung der einheitlichen Eingangsgerichte, der Reform der Gerichte und Instanzen und der Vereinfachung und Angleichung der Verfahrensordnungen durchset- zen werden. Dies waren alles Ankündigungen, um unseren ver- nünftigen Gesetzentwurf zu Fall zu bringen, nun muten Sie uns diesen mickrigen Gesetzentwurf zur Förderung der außerordentlichen Streitbeilegung – sozusagen als Vorgesetz – zu und alle anderen großen Reformvorha- ben bleiben, mindestens vorläufig, auf der Strecke. Sie haben es zu verantworten, daß die Gerichte nicht schon längst durch außergerichtliche Verfahren entlastet wurden, daß immer noch mindestens bei den Eingangs- gerichten übermäßiger Arbeitsanfall für Richter und Mitarbeiter der Gerichte besteht und die rechtsuchenden und letztlich auch streitenden Bürger mit hohen Kosten belastet werden. Wir waren Ihnen im Januar weit entgegengekommen und haben es als Arroganz der Macht empfunden, daß sie unseren – ich darf wiederholen – vom Bundestag verabschiedeten, von Ihnen mit Ausnahme der Register- änderung akzeptierten Entwurf abgelehnt haben. Wir haben überhaupt kein Verständnis dafür, daß wir nun den Ländern und auch den Gerichten sowie den Rechtsuchenden Brotkrümel vorwerfen sollen. Es ist schon erstaunlich, lieber Kollege Hartenbach, Sie verkündeten am 28. Januar 1999 – ich zitiere –: Wir werden in den nächsten Tagen einen Gesetzentwurf in das parlamentarische Verfahren einbringen, der den Ländern das gibt, was sie dringend brauchen, nämlich den Einstieg in die außergerichtliche Streitschlichtung und haben für dieses Kleinstgesetz nicht Tage, sondern fast fünf Monate gebraucht. Eine tolle Leistung! Wenn ich daran denke, was alles noch zu erledigen ist und von Ihnen angekündigt wurde, wird das wohl diese Legisla- turperiode nichts mehr werden. Was wir wollen, ist die letztes Jahr im Bundestag be- schlossene Verabschiedung einer echten Justizreform – und das schnell, ohne ideologische Scheuklappen. Diese ideo- logische Scheuklappen haben das Justizministerium und die Rechtsexperten in der SPD-Fraktion wohl gehabt, und es hat ihnen die Sicht, zum Beispiel bei dem 630-Mark- Gesetz und dem Gesetz über die Scheinselbständigkeit ge- trübt. Denn sonst hätten solche schlampigen, Recht und Ordnung mit Füßen tretende und vermutlich verfassungs- widrige Gesetze nicht das Justizministerium passieren kön- nen. Unsere Warnungen bei den Beratungen im Rechtsaus- schuß wurden höhnisch zurückgewiesen. Ein Teil der Wahlschlappen am letzten Sonntag – und es ist ja nicht nur die Europawahl gewesen, sondern auch eine große Reihe von Kommunalwahlen – ist auf diese schlampige und arro- gante Behandlung zurückzuführen. Verehrter Herr Hartenbach, in der Vergangenheit hatten wir einen guten Ton und waren stolz darauf, daß wir im Gegensatz zu anderen Ausschüssen ordentlich und fair mit- einander umgingen. Das hat sich in den letzten Monaten leider geändert, und ich bin der Meinung: Das muß wieder- hergestellt werden. Der insbesondere auch beim Staatsbür- gerrecht mehrfach geäußerte Satz ,,Ihr könnt machen, was ihr wollt, wir haben die Mehrheit“ wurde von uns so in 16 Jahren nicht gebraucht. Wir haben mit Ihnen als Opposition auch dann Gesetze besprochen, wenn wir wußten, daß Sie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3837 (A) (C) (B) (D) sie aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Sie sollten zu dieser fairen und fruchtbaren Zusammenarbeit zurück- kehren und uns als Opposition rechtzeitig in die Gesetzes- vorhaben mit einbeziehen, sonst können Sie nicht damit rechnen, daß Sie unsere Unterstützung finden. Insbesonde- re darf es nicht wieder vorkommen, wie mehrfach gesche- hen, daß im Schweinsgalopp morgens Gesetze eingebracht werden, die noch am gleichen Tag im Rechtsausschuß be- handelt und abgeschlossen werden müssen. Der Rechtsausschuß war eine solide Plattform recht- lichen Wirkens – und das muß er wieder werden. Wir schlagen daher vor, daß wir den am 28. Januar von uns im Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf zusammen mit ihrem heutigen Gesetzentwurf im Rechtsausschuß behandeln und vernünftige, den Gerichten wirklich hel- fende Ergebnisse zustande bringen. Wir sind dazu bereit, aber nur dann, wenn wir gleichberechtigt und ernsthaft mitarbeiten können. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Die Justiz ist bekannter- maßen reformbedürftig. Mit Blick auf das zur Debatte stehende GVG von 1871 kann man nur vermerken: „Die Justiz der Gegenwart ist eine Justiz der Vergangenheit“. Von daher begrüße ich jede Initiative, die hierarchische Strukturen in der Gerichtsverfassung beseitigt und die Unabhängigkeit der Richter im Interesse einer Demo- kratisierung der Justiz stärkt. Das gilt auch für jeden Ge- setzentwurf, der die Bürgerfreundlichkeit, Transparenz und die Friedensfunktion von Recht und Justiz bewahrt und fördert. Die PDS hat deshalb in der vergangenen Wahlperiode den „Entwurf eines Gesetzes zur Demo- kratisierung und Vereinfachung des Gerichtsverfas- sungsgesetzes“ vorgelegt. Es besteht insofern Einigkeit darüber, daß die über- kommenen Strukturen des GVG in einer demokratischen Reform der Gerichtsverfassung beseitigt werden müssen. Die Stärkung der richterlichen Selbstverwaltung und die Beseitigung von ungerechtfertigten Privilegien innerhalb der Richterschaft gehen deshalb in die richtige Richtung. An dem Gesetzentwurf ist jedoch nicht der Regelungsvor- schlag, sondern die Aussparung wichtiger Regelungserfor- dernisse zu kritisieren. Von einem Entwurf der Koalitions- parteien zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter darf man eigentlich mehr erwarten als „nur“ die Änderung der Präsidialverfassung. Ich halte die Reform der geltenden Präsidialverfassung nicht für die einzige oder vordringlich- ste rechtspolitische Maßnahme hierbei. Die Reform der so- genannten Richterkarriere wie auch der Besoldung ist ebenso wichtig. Der Gesetzentwurf zur Förderung der außergerichtli- chen Streitbeilegung geht zwar in die richtig Richtung. Er ist aber nur ein vorsichtiges Schrittchen dahin. Zunächst: Ich unterstützte das rechtspolitische Bemü- hen, den Weg für alternative und vor allem frühzeitige Möglichkeiten der Konfliktbehandlung durch eine Expe- rimentierklausel für die Länder zu öffnen. Dies tue ich allerdings nicht vorrangig, um angesichts der sinkenden Finanzkraft der öffentlichen Haushalte lediglich die Zahl der Gerichtstverfahren zu senken. Der Filter „alternative Verfahren“ muß – ohne die Kostenseite zu ignorieren – in erster Linie einer bürgerfreundlichen, zugleich aber auch qualifizierten Konfliktlösung dienen. Nur so ist auf diesem Wege eine effektive Herstellung des Rechtsfrie- dens möglich. Das Schlichtungsverfahren darf auf kei- nen Fall zu einer uneffektiven Zwangsinstanz verkom- men, die auf dem Weg zum gerichtlichen Verfahren pro forma durchlaufen werden muß, weil die notwendige juristische Sachkenntnis und damit auch Akzeptanz bei den Rechtssuchenden fehlt. Ich halte es auch für wichtig, daß die Initiativen zur au- ßergerichtlichen Konfliktlösung möglichst früh ansetzen. Ganz im Sinne von Radbruch, der „Rechtshygiene“ vor „Rechtschirurgie“ plazierte, geht es doch zunächst um die Vermeidung der Eskalation von Konflikten, das heißt um ein breites Angebot zur rechtlichen Beratung und Aufklä- rung. Die Einrichtung von sogenannten Bürgerinforma- tions- und -beratungsstellen wäre hierfür sehr dienlich. Grundsätzlich ist eine möglichst breite Palette von Verfah- rensformen für Streitschlichtungen wünschenswert. Dabei denke ich sowohl an evaluative Verfahren, bei denen es vor allem um eine neutrale und sachverständige Bewertung geht, z. B. bei Streitigkeiten über die Höhe von Sachschä- den nach Verkehrsunfällen oder bei den so häufig vor- kommenden Pauschalreisemängeln. Ich denke aber auch an Kombinationen von evaluativen und konfliktregelnden Verfahren wie sie z. B. im privaten Baurecht, dem Archi- tekten- und Arzthaftungsrecht von Interesse sind, wo es um eine sachverständige Feststellung und bzw. oder eine Eini- gung geht. Und auch außerhalb der streitigen Gerichtsbarkeit könnten z. B. unproblematische Ehescheidungen behan- delt werden. In einer Reihe von Staaten ist dies heute selbstverständlich. Hier wäre eine wirkliche Erleichte- rung für die Bürger und eine Entlastung der Justiz zu er- zielen. Doch dies hat die Regierung offenbar nicht im Blick. Bedenken möchte ich auch hinsichtlich der Begren- zung bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auf Ge- genstandswerte bis 1 500,– DM anmelden. Allein der Streitwert scheint mir kein geeignetes Kriterium. Auch oder gerade manch wirtschaftlich bedeutsame Streitig- keit kann für ein Schlichtungsverfahren besonders ge- eignet sein. Und warum soll nicht den Gerichten die Möglichkeit gegeben werden, Fälle, die für eine außer- gerichtliche Schlichtung geeignet sind, mit Einverständ- nis der Parteien an eine entsprechendes Schlichtungs- stelle zu verweisen. Es bleiben bei den vorliegenden Entwürfen viele Fra- gen und Wünsche offene, die im Interesse der Rechtssu- chenden noch gelöst werden müssen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu dem Antrag der Fraktion PDS: Einführung einer Steuer auf spekulative Devisenumsätze (Tobin-Steuer) (Tagesordnungspunkt 13) Detlev von Larcher (SPD): Vor gut einem Jahr haben wir hier schon einmal Anträge zur sogenannten Tobin- Steuer auf Devisentransaktionen beraten. Damals habe ich darauf hingewiesen, daß der Dollar 1995 einen Tief- 3838 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) stand von 1,35 DM erreicht hatte und seitdem 35 Pro- zent – auf 1,82 DM – an Wert gewonnen hatte. Heute steht der Dollar nur 3 Prozent höher – von einer drama- tischen Schwäche des Euro kann ich daher nichts erken- nen. Dennoch haben die letzten Jahre gezeigt, daß die Entwicklung der Wechselkurse der realwirtschaftlichen Entwicklung nur bedingt folgt und deshalb Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit es nicht zu einer weite- ren Entkoppelung mit all ihren negativen Auswirkungen kommt. Nur noch 1 bis 2 Prozent der Umsätze auf den internationalen Devisenmärkten entfallen auf die Ab- wicklung des internationalen Handels. Mit anderen Worten: Die Realwirtschaft steht auf den Devisenmärk- ten einer hundertfachen Übermacht der Spekulation, der Absicherungsgeschäfte und des Geldhandels gegenüber. Ginge es dabei nur um einen Casino-Kapitalismus, dann müßte uns dieses Thema nicht weiter beschäftigen. Aber Spekulation ist mehr als ein Glücksspiel unter Finanz- marktakteuren, Spekulation ist mehr als der Kampf zwi- schen Reichen und Superreichen um ein möglichst gro- ßes Stück von einem Kuchen. Immer deutlicher werden die negativen Rückwirkun- gen der Devisenspekulation auf die realwirtschaftlichen Prozesse. Diejenigen, die angesichts der Krise in Süd- ostasien nur geringe Wachstumseinbußen – von etwa 0,2 Prozent – für Europa vorhergesagt haben, haben sich leider geirrt. Sie haben sich auch geirrt bei der Beurtei- lung der Frage, wann die Krisenregion wieder in eine Aufschwungphase eintritt. Wir sehen heute, daß die Zer- störungskraft der Devisenspekulation die Entwicklung der gesamten Weltwirtschaft empfindlich stören kann. Die Devisenspekulation beeinträchtigt die realwirt- schaftliche Entwicklung auf mehreren Ebenen: Im Außenhandel können Preise nicht mehr sicher kalkuliert werden. Die Absicherung gegen Kursrisiken führt zu zusätzlichen Kosten, z.B. für Optionen, und be- hindert damit den Welthandel. Die Verteidigung der Wechselkurse gegen spekula- tive Attacken durch die Notenbanken durch kurzfristige Interventionen und durch geldpolitische Maßnahmen verursacht erhebliche volkswirtschaftliche Kosten. Die Stillegung von Produktionskapazitäten in Län- dern mit überbewerteter Währung vollzieht sich in der Regel schneller als umgekehrt der Produktionsanstieg bei Unterbewertung. Das Auf und Ab der Währungen führt damit zu einer Vernichtung produktiver Ressour- cen. Nicht zuletzt führen die Unsicherheiten an den Devi- senmärkten auch zu einer nachteiligen Disziplinierung der Wirtschafts-, Finanz-, Geld- und Lohnpolitik. Immer mehr Länder beteiligen sich an einem überzogenen und schädlichen realwirtschaftlichen Abwertungswettlauf, um die Gefahr spekulativer Währungsabwertungen mit all ihren destabilisierenden Folgen zu verringern. Letztlich handelt es sich bei allen genannten Wegen der Beeinträchtigung der Realwirtschaft auch um eine Umverteilung von Einkommen aus dem produktiven realwirtschaftlichen Sektor in den Bereich der Finanz- märkte. Und genau hier liegt das zentrale Problem. Inve- stitionen in Sachkapital haben im Zuge der Deregulie- rung der internationalen Finanzmärkte gegenüber kurz- fristigen Geldanlagemöglichkeiten immer mehr an At- traktivität verloren. Das ist auch ein Grund für die nach wie vor zu geringen Sachinvestitionen und damit ein entscheidender Faktor für die nach wie vor zu hohe Ar- beitslosigkeit. Deshalb gibt es gute Gründe, über Instrumente nach- zudenken, die die Spekulation eindämmen und eine Glättung der Kursschwankungen am Devisenmarkt be- wirken können. Der Vorschlag einer Tobin-Steuer, also einer Steuer auf Devisenumsätze, kann dazu durchaus beitragen. Die große Anzahl der Transaktionen, die auf die Mitnahme geringster Zinsdifferenzen und Kursge- winne gerichtet ist, könnte damit uninteressant werden. Das heißt allerdings nicht, daß damit jeglicher Devisen- spekulation der Boden entzogen würde. Großangelegte Attacken auf einzelne Währungen, wie etwa 1992 auf die italienische Lira und das Pfund Sterling mit der Fol- ge des Ausstiegs aus dem Europäischen Währungs- system, hätten sich für ihren Initiator trotz einer Tobin- Steuer gelohnt. Deshalb ist die Tobin-Steuer allein mit der Vermei- dung von spekulationsbedingten Finanzkrisen überfor- dert. Eine Besteuerung von Devisentransaktionen wäre eher das I-Tüpfelchen auf einer umfassenderen Reform des Weltfinanzsystems. Eine solche Reform muß ver- bindliche Standards etwa für die Eigenkapitalausstattung von Finanzinstitutionen festlegen und mehr Transparenz und damit bessere Kontrollmöglichkeiten schaffen. Da- mit können das Risiko von Finanzkrisen und die Mög- lichkeit, daraus spekulativ Profit zu ziehen, von vorn- herein verringert werden. Die Bundesregierung hat im Rahmen der G 7 Initiativen hierfür ergriffen. Sie hat sich auch – was mir besonders wichtig ist – für ein Krisenmanagement eingesetzt, das auch den Pri- vatsektor einbezieht. Es kann ja nicht sein, daß private Investoren hohe Gewinne für von vornherein riskante Geschäfte erzielen und im Krisenfall aus öffentlichen Geldern bedient werden. In ihrem Bericht an den Kölner Gipfel werden die G 7-Finanzminister hierzu ausführlich Stellung nehmen. Die deutsche EU-Präsidentschaft geht in zwei Wochen zu Ende. Sie, Kolleginnen und Kollegen von der PDS, mögen bedauern, daß die Bundesregierung die Tobin- Steuer in den letzten Monaten nicht so forciert hat, wie Sie dies in ihrem Antrag fordern. Aber diese Forderung ist auf einen Show-Effekt gerichtet, nicht auf eine sinnvolle Stra- tegie. Die sinnvolle Strategie der Bundesregierung, die die volle Unterstützung der SPD-Fraktion findet, besteht darin, zunächst den Ursachen von Finanzkrisen vorzubeugen, in- dem die Transparenz und Funktionsfähigkeit der Finanz- märkte verbessert werden. Das schließt nicht aus, daß auch die vorgeschlagene Einführung einer Tobin-Steuer ein sinnvolles Instrument sein kann. Sie kann dies aber nur dann sein, wenn wir einen möglichst lückenlosen weltwei- ten Konsens darüber erzielen. Mit Schnellschüssen, wie in dem vorliegenden Antrag gefordert, werden wir dies nicht erreichen. Otto Bernhardt (CDU/CSU): In dem vorliegenden An- trag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, im Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3839 (A) (C) (B) (D) Rahmen ihrer Präsidentschaft innerhalb der EU das Thema einer Devisen-Umsatzsteuer kurzfristig auf die Tagesord- nung des Ecofin-Rates zu setzen und eine Regierungskon- ferenz anzuregen, die einen Vertrag zur Einführung einer international einheitlichen Devisen-Umsatzsteuer erarbei- ten soll. Schließlich wird in dem PDS-Antrag die Bundes- regierung aufgefordert, sich für eine bestimmte Ausgestal- tung dieses Vertrages einzusetzen. Die Idee einer Devisen-Umsatzsteuer wurde erstma- lig im Jahre 1972 von dem amerikanischen Wirtschafts- wissenschaftler und Nobelpreisträger James Tobin in die Diskussion gebracht. Er forderte eine einheitliche inter- nationale Steuer auf alle Transaktionen, die einen sofor- tigen Devisenaustausch zur Folge haben (sogenannte Kassa-Geschäfte). Ziel dieser Steuer sollte es sein, den Handel mit Währungen zu verteuern, um so die Speku- lation abzuschrecken. Der Erfinder dieser nach ihm be- nannte Steuer begründete seine Idee mit der Aussage: „Das internationale Finanzsystem braucht etwas Sand im Getriebe.“ Es gibt heute keinen ernst zu nehmenden Fachmann aus der Wirtschaftswissenschaft oder der wirtschaftli- chen Praxis, der für die Tobin-Steuer eintritt. Auch der Erfinder selber hat sich inzwischen weitgehend davon distanziert. Unter Politikern hat diese Steuer aber einige Popularität erlangt. Immer, wenn es zu großen Schwan- kungen auf den Finanzmärkten kommt, gibt es Forde- rungen, der Spekulation durch eine gezielte Steuer zu begegnen. Populär sind solche Forderungen sicher. Ich will im folgenden aufzeigen, warum die Tobin- Steuer kein geeigneter Weg ist, um die Devisenspekula- tion zu beschränken, geschweige denn zu verhindern. Das internationale Finanzsystem gewinnt durch die Glo- balisierung ständig weiter an Größe und Komplexität. Unbe- stritten ist, daß die Zahl der Devisengeschäfte in letzter Zeit zugenommen hat. Ausschlaggebend für die starke Expansion des Umsatzvolumens an den internationalen Finanzmärkten waren und sind die Internationalisierung von Unternehmun- gen, die Integration von Ländern, die bisher keinen Zugang zu den internationalen Finanzmärkten hatten, die weltweite Liberalisierung nationaler Finanzmärkte, die Erleichterung des Marktzutritts sowie Fortschritte in der Informationstech- nologie. Dadurch sind aber auch umgekehrt die Abhängig- keiten zwischen den Märkten und den Marktteilnehmern ge- stiegen: eine Störung in einem Land oder in einer Region wirkt sich schneller auf die gesamte Weltwirtschaft aus, als dies früher der Fall war. Beispiele dafür sind die Krisen in Asien, Mexiko und Lateinamerika. In dieser Interdependenz zwischen den Märkten liegt bekanntlich der wesentliche Unterschied zu den Gütermärkten. Auf der einen Seite darf nicht vergessen werden: Grundsätzlich sind Devisentransaktionen nicht schäd- lich, sondern nützlich. Sie fallen im Rahmen völlig nor- maler Handelsgeschäfte an. Sie erlauben es Unterneh- men, sich gegen Risiken, insbesondere Wechselkursrisi- ken, abzusichern, und sie ermöglichen es durch das Ausnutzen von Arbitrage, Differenzen in den nationalen Finanzmärkten zum Beispiel bei den Zinsen zu glätten. Bereits in der letzten Legislaturperiode hat sich der Bundestag auf Grund von Anträgen der Grünen und der PDS mit der Einführung der sogenannte Tobin-Steuer beschäftigt. Bereits damals, Anfang 1998, wurden beide Initiativen insbesondere mit der Begründung, daß dies lediglich an den Symptomen und nicht an den Ursachen währungspolitischer Fehlentwicklungen wie verfehlte Zinspolitik, verfehlte Stabilitätspolitik und überzogene Verschuldungspolitik in den jeweiligen Ländern ansetzt, von der damaligen Regierungskoalition, das heißt von den Unionsparteien und der F.D.P., aber auch von den Sozialdemokraten abgelehnt. Eine Steuer auf Devisen-Transaktionen kann aus ei- ner falschen Politik keine richtige machen. Die Asien- Krise hätte durch eine solche Steuer nicht verhindert werden können. Ursache dieser Krise war nicht die Währungsspekulation, sondern die falsche Wirtschafts- politik in den Krisenstaaten. Übrigens: Das, was wir zur Zeit an den Devisen- märkten, bezogen auf den Euro erleben, hat auch nichts mit Spekulation, sondern mit falscher Wirtschafts- und Finanzpolitik zu tun, und zwar nicht zuletzt in der Bun- desrepublik Deutschland. Während Deutschland als stärkster Staat innerhalb der EU über einen langen Zeit- raum ein Stabilitäts- und Wachstumshort für die gesamte EU war, wird Deutschland zunehmend ein schwaches Glied in der EU-Kette. Der Hinweis, daß wir mit Italien im Wirtschaftswachstum inzwischen auf dem letzten Platz innerhalb der EU liegen, unterstreicht dies. Dies meint auch die weltweit angesehene Finanzzeitschrift „The Economist“ in ihrer Ausgabe vom 5. Juni 1999. Ich zitiere: „Die bedeutendste Wirtschaft im Euro-Raum ist auf einem schlechten Weg, und ihre Krankheiten sind ein Hauptgrund für die Schwäche des Euro.“ Doch zurück zur Tobin-Steuer. Die Fähigkeit dieser Steuer, Devisenspekulationen einzuschränken, ist nach Einschätzung der wirtschaftswissenschaftlichen For- schung sehr begrenzt. Bei niedrigem Steuersatz werden nur Spekulationen auf kleinere Abweichungen des ent- sprechenden Wechselkurses verringert, diese stellen al- lerdings keine Stabilitätsprobleme dar. Die Tobin-Steuer verliert ihre Durchschlagskraft, wenn deutliche Kursän- derungen erfolgen, da dann die Spekulation profitabel bleibt. Gravierende Wechselkurs- und Zinsänderungen sind schon bei geringeren Umsätzen möglich, die durch eine Tobin-Steuer nicht verhindert werden können. Der Wirkungsmechanismus dieser Steuer wird häufig falsch eingeschätzt. Gegen hohe kurzfristige Spekula- tionswellen ist die Tobin-Steuer wirkungslos. Sie würde aber die längerfristigen, durch Warenhandel begründe- ten Devisentransaktionen, die sie eigentlich schützen möchte, über Gebühr verteuern und unter Umständen verhindern. Sie beeinträchtigt somit das Wirtschafts- wachstum des Landes. Sie wirkt also letztendlich kon- traproduktiv und steht der beabsichtigten Wirkung, nämlich den geschädigten Ländern finanziell zu helfen, entgegen. Hinzu kommen drei weitere sehr kritische Punkte: Erstens. Unterscheidung zwischen nützlichen und schädlichen Devisenumsätzen ist nicht möglich. Was immer man auch unter spekulativen Devisenumsätzen oder schädlichen Devisenspekulationen verstehen mag, 3840 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) sie sind nicht von „nichtspekulativen“ oder „nützlichen Devisentransaktionen“ oder Devisenumsätzen zu unter- scheiden. Jeder, der sich intensiver mit dieser Problema- tik beschäftigt hat, wird mir Recht geben, daß es keine objektiven Kriterien für eine Trennung von nichtspeku- lativen Devisenumsätzen gibt. Zweitens. Alle müßten mitmachen. Im PDS-Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, die sogenannten G-7-Staaten, Singapur, die Schweiz, China/Honkong, Australien und weitere interessierte Staaten, womit of- fensichtlich auch alle übrigen EU-Länder gemeint sind, zu der gewünschten Regierungskonferenz einzuladen. Mit dieser Teilnehmergruppe würden etwa 98 Prozent der durchschnittlichen täglichen Devisenumsätze – so- weit sie von der Bank für internationalen Zahlungsver- kehr erfaßt werden – einbezogen sein. Nichts spricht dafür, daß auch nur einige der ge- nannten Staaten einer solchen Steuer zustimmen wür- den, geschweige denn die Mehrheit oder gar alle. Aber selbst dann würde die Gefahr bestehen, daß sogenannte Steueroasen entstehen, zu denen der Devisenhandel ab- wandern würde. Das Nachsehen hätten die Staaten, die eine solche Steuer einführen würden. Der Tatbestand, daß es völlig unrealistisch ist, weltweit eine solche Steu- er einzuführen, hat den Erfinder der Steuer, Herrn To- bin, bewogen, seine eigene Idee letztlich als nicht durch- setzbar zu bezeichnen. Drittens. Eine Tobin-Steuer würde zu einer erhebli- chen neuen Bürokratie im nationalen und internationalen Bereich führen. Ein großer Teil der möglicherweise zu erwartenden Einnahmen würde durch den Erhebungs- aufwand verbraucht. Im übrigen kann die Tendenz für die Zukunft nicht sein, immer neue Steuern zu entwickeln, sondern eher die Frage zu stellen, auf welche Steuern man zukünftig verzichten kann. Noch ein Wort zum Aufkommen und zur Verwen- dung der beantragten Steuer. Als Aufgaben werden ins- besondere die Förderung von Entwicklungsmaßnahmen, die Finanzierung von Umweltmaßnahmen, die Ent- schuldung von Entwicklungsländern und die Schaffung eines Stabilitätsfonds für mögliche Währungskrisen ge- nannt. Im März 1995 im Rahmen des Weltsozialgipfels in Kopenhagen wurden im Zusammenhang mit der Tobin- Steuer weltweite Steuereinnahmen in einer Größenord- nung von 500 Milliarden US-Dollar genannt bei An- nahme eines Steuersatzes von 1 Prozent. Diese Zahlen entbehren jedoch jeder Grundlage. Der vorliegende An- trag geht von einem Steuersatz von 0,25 Prozent aus. Bezogen auf die in Kopenhagen genannten Zahlen wür- de es somit um Bruttoeinnahmen von über 100 Milliar- den US-Dollar gehen. In Wirklichkeit dürften keine nennenswerten Steuereinnahmen zu erwarten sein. Ich verweise auf meine bisherigen Ausführungen: Ein gro- ßer Teil des Devisenhandels würde in Steueroasen ab- wandern. Ich komme zum Schluß und fasse einige wesentliche Argumente noch einmal zusammen: Das internationale Finanzsystem gewinnt durch die Globalisierung ständig an Bedeutung und die Devisengeschäfte haben in letzter Zeit überproportional zugenommen. Eine Relation mag dies verdeutlichen. In den letzten Jahren haben sich die Devisenumsätze fast doppelt so stark erhöht wie das Wachstum des Welthandels. Währungskrisen können einen verheerenden Einfluß auf die wirtschaftliche Ent- wicklung einzelner Staaten, ganzer Regionen, ja der ge- samten Weltwirtschaft haben. Die Tobin-Steuer ist aber kein geeigneter Beitrag, um diese Probleme zu verrin- gern oder gar zu beseitigen. Was wir brauchen, ist eine bessere Zusammenarbeit des internationalen Währungs- fonds mit der Bank für internationalen Zahlungsaus- gleich und der Weltbank, insbesondere aber eine Stabi- litätspolitik in den starken Volkswirtschaften. Hier liegt unsere gemeinsame Aufgabe auch im Deutschen Bun- destag. Wir sollten unsere Kraft nicht in Instrumente wie die Tobin-Steuer investieren, die keine Chance haben, weltweit eingeführt zu werden, sondern in eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik für die Bundesrepublik Deutschland. Damit stärken wir die Europäische Union und leisten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Weltwirtschaft. Klaus Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Bundestags-Wahlprogramm sprechen sich BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN für eine ökologisch-solidarische Weltwirtschaftsordnung aus. In der Analyse dessen, was entfesselte Kapitalmärkte und Finanzmärkte für die Weltwirtschaft bedeuten, stimme ich durchaus mit eini- gen Passagen Ihres Antrages überein, sehr geehrte Frau Dr. Höll. Voraussetzungen für eine Weltwirtschaft, die der nachhaltigen Entwicklung nicht entgegensteht, ist ein funktionierendes und stabiles internationales Geldsy- stem. Die internationalen Finanzmärkte entwickeln sich zu einem globalen und wirtschaftlichen Risiko. Über 1 Billion US-Dollar werden täglich in Devisengeschäften umgesetzt. Dem stehen nur in ca. 2 Prozent der Fälle reale Geschäfte mit Gütern und Dienstleistungen entgegen. Die spekulativen Operationen an den internationalen Finanzmärkten treten immer mehr an die Stelle mögli- cher Investitionen. Es entstehen Risiken, denen keine ausreichenden Sicherheiten gegenüberstehen. Die real- wirtschaftliche Entwicklung wird dabei beeinträchtigt. In den 15 Jahren von 1979 bis 1994 ist der Umsatz an den Devisenmärkten um etwa das 80fache gestiegen. Im gleichen Zeitraum hat sich der Welthandel um das Zweieinhalbfache erhöht. Vor allem die Kurzfristanla- gen sind dramatisch angestiegen. 80 Prozent der Finanz- geschäfte haben eine Laufzeit von weniger als sieben Tagen. Die Hälfte davon wiederum hat eine Laufzeit von max. 48 Stunden. Hier herrschen überwiegend spe- kulative und kurzfristige Motive. An den Aktien-, Ren- ten- und Devisenmärkten werden Währungen gehandelt wie „Bananen“. Die Beschränkung des kurzfristigen Kapitalverkehrs könnte gerade schwächere Währungen schützen. Die Krise in Ostasien, die sich bis nach Lateinameri- ka ausbreitet, hat auf schonungslose Weise die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3841 (A) (C) (B) (D) Schwachstellen des internationalen Finanzsystems of- fengelegt. So purzelten nicht nur Aktien- und Devisen- kurse. Auch die unumstößlichen Prediger marktwirt- schaftlicher Glaubenssätze sind ins Wanken geraten. Sogar Herr Tietmeyer äußerte Verständnis für Schwel- lenländer, die unter dramatischen Umständen den Kapi- talverkehr zu bremsen versuchten. Nur wenn es auf in- ternationaler und nationaler Ebene zu durchgreifenden Veränderungen kommt, kann das Risiko künftiger Fi- nanzkrisen eingedämmt werden. Eines der wichtigsten Voraussetzungen für funktionie- rende Märkte ist eine solide Informationsgrundlage. Der IWF selbst hat die Krise nicht rechtzeitig erkannt, ge- schweige denn verhindert. Deshalb müssen zusätzliche In- formationssysteme auf internationaler Ebene eingezogen werden. Zu prüfen ist, auf welcher Ebene und durch welche Organisationseinheiten umfassende Informationen über das Weltfinanzsystem besser und verbindlicher bereitgestellt werden können. Das „Forum für Finanzstabilität“, das vor wenigen Wochen von den G-7-Staaten auf dem Petersberg beschlossen wurde, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Herr Tietmeyer, Initiator dieses Beschlusses, spricht sich dafür aus, daß bekannt wird, „wie verschuldet eigentlich die Länder sind, wie verschuldet die großen Firmen sind, wie engagiert die Banken sind“. Auf alle Fälle ist ein früh- zeitigeres Einbeziehen von Schwellen- und Entwicklungs- ländern sinnvoll. Auch führende Rating-Agenturen haben sich in der asiatischen Finanzkrise gründlich blamiert. Sie haben asiatische Schuldtitel zur Anlage empfohlen, als die pre- käre Situation sich bereits offen abzeichnete. Kurzfristig mußten sie die Anlagen auf das Niveau von hochspeku- lativen „Junk-Bonds“ herabstufen. Auch Bündnis 90/Die Grünen hat in der letzten Le- gislaturperiode die Einführung einer Tobin-Steuer ge- fordert. Viele werden sich sicher daran erinnern, denn die abschließende Beratung des Antrages liegt gerade mal ein Jahr zurück. Parallel zu unserem Antrag wurde auch ein entsprechender Antrag der PDS beraten. Es ist der gleiche, der uns heute vorliegt. Schon vor einem Jahr konnten wir aber Ihren Vorschlag nicht unterstützen. Ich möchte diese Haltung hier noch einmal verdeutlichen. Scheinbar hat mein Fraktionskollege und unser damali- ger Redner, der heutige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Vollmer, Sie vor einem Jahr nicht über- zeugen können. Grundsätzlich unterstützen wir den Gedanken einer Tobin-Steuer. Durch eine Devisensteuer kurzfristige Ge- schäfte so zu versteuern, daß sich Kurzfristspekulationen nicht mehr lohnen, halten wir immer noch für einen gu- ten und auch notwendigen Ansatz. Damit diese Steuer aber Ihren Sinn nicht verfehlt, muß sie, und das ist für uns eine wichtige Bedingung, zum verbindlichen Mit- gliedskriterium des IWF gemacht werden. Sie beschränken aber ihre Forderungen nur auf „Staaten, die den Vertrag ratifizieren“. Ich nehme an, daß Sie damit die Durchsetzbarkeit der Steuer erhöhen wollen. Das finde ich ein edles Anliegen, denn hieran wird die Umsetzung einer Tobin-Steuer am ehesten scheitern: dem supranationalen Konsens. Allerdings wird dieser Schuß nach hinten los gehen. Die Tobin-Steuer verfehlt ihren Zweck, wenn sie nicht flächendeckend – zumindest in den IWF-Mitgliedstaaten – durchgesetzt wird. Gerade in Ihrer Problembeschrei- bung streichen Sie doch die hohe Reagibilität im Fi- nanzsektor heraus. Gleichzeitig wollen Sie auf der ande- ren Seite Eingriffsmöglichkeiten des IWF stärken, um auf diese Weise regionale Umgehung zu unterbinden. An dieser Stelle überschätzen Sie meines Erachtens die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten des IWF erheb- lich. Die Befugnis, in nationale Zuständigkeiten einzu- greifen, greifen nicht so weit, wie Sie sich das vorstel- len. Ein weiterer kritischer Punkt findet sich unter der Unterschrift „Ausnahmen“. Sie wollen nicht nur regio- nale, sondern auch andere Ausnahmeregelungen: „Die Besteuerung soll den internationalen Austausch von Gütern- und Dienstleistungen nicht beeinträchtigen“. Auch hier verstehe ich Ihre inhaltliche Motivation, die Realwirtschaft nicht zu beeinträchtigen. Aber was heißt diese nebulöse Forderung? Wollen Sie Güter und Dienstleistungen jetzt ausnehmen oder nicht? Und wenn ja – was sich aus dem Aufbau Ihres Antrages ergeben würde –, wie wollen Sie da Unterscheidungen treffen? Eine Abgrenzung scheint kaum durchsetzbar. So öffnen Sie doch nur neuer Umgehung einer solchen Steuer Tür und Tor. Der dritte Grund, Ihren Antrag nicht zu unterstützen, ist die Form: Sie wollen, daß die Bundesregierung das Thema kurzfristig auf die Tagesordnung des Ecofin- Rates setzen möge und sich für Ihren Vorschlag einset- zen möge. Die nächste Sitzung des Ecofin-Rates findet am 12. Juli statt. Es ist völlig illusorisch, daß bis dahin auf den verschiedenen EU-Ebenen und auf Bot- schafter-Ebene diese Initiative angemessen vorbereitet werden kann. Zudem ist Ihr Vorschlag leider als Grundlage für in- ternationale Verhandlungen nicht zu gebrauchen. Ihr Antrag liest sich vielmehr wie das Ergebnis einer sol- chen Verhandlung: Dort eine Ausnahme, hier eine wei- che Formulierung, und am deutlichsten wird dies an der Aufteilung des Steueraufkommens: Das klingt nicht nach politischem Konzept, sondern nach dem Ergebnis zäher Verhandlungen: Das Bruttosteueraufkommen ab- züglich der Erhebungs- und Kontrollkosten, die sich nach Sockel und Anteil bemessen ergeben, das Netto- einkommen, das nach den verschiedensten Quoten an die Mitgliedsländer, drei verschiedene Fonds und – da- mit nicht genug – auf die entstehenden Kosten bei den internationalen Ergebnissen aufgeteilt wird. Wir halten insgesamt das Projekt Tobin-Steuer aber für sinnvoll, wenn auch die Einführung einen langen Atem brauchen wird. Eine solche Steuer sollte aber nicht als Ersatz für umfassende Reformen der Institutionen gesehen werden. Gisela Frick (F.D.P.): Die PDS wiederholt auch in dieser Legislaturperiode ihren Antrag der 13. Legisla- turperiode auf Einführung einer Steuer auf spekulative Devisenumsätze (Tobin-Steuer). Es wird Sie sicher nicht verwundern, daß ich für die F.D.P.-Fraktion, genau wie 3842 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) in der letzten Legislaturperiode, diesen Antrag der PDS ablehne. Die Gründe für die Einführung der sogenannten Tobin-Steuer sind nicht überzeugend. Ganz im Gegen- teil, es gibt aus Sicht der F.D.P. nur Gründe, die gegen eine Einführung dieser Steuer sprechen. Zunächst einmal würde es sich bei Einführung der Tobin-Steuer um die Einführung einer gänzlich neuen Steuer handeln. Die Einführung einer neuen Steuer ist aber das Letzte, was wir im Augenblick brauchen kön- nen. Das Gebot der Stunde lautet: „Wir müssen die Steuerbelastung senken und das Steuerrecht vereinfa- chen.“ Das heißt aber nicht nur: „Weg mit steuerlichen Vergünstigungen und Sondertatbeständen“, sondern auch „weg mit vielen Steuerarten und besonders weg mit den Bagatellsteuern“. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode – als wir noch Regierungsverantwor- tung trugen – damit schon recht erfolgreich begonnen: Wegfall der Vermögensteuer, Abschaffung der Gewer- bekapitalsteuer sowie Absenkung des Solidaritätszu- schlages. Die Liberalen halten auch nach wie vor die Abschaffung der Gewerbeertragsteuer und des Solidari- tätszuschlages für die richtige Lösung. Eine neue Steuer ist deshalb mit uns nicht zu machen. Im übrigen ist vor dem Hintergrund der Globalisie- rung der Finanzmärkte mit einer nationalen Steuer nichts zu erreichen. Die PDS sagt in der Begründung ihres Antrages ausdrücklich: „Nach einer langen Periode der monetaristischen Deregulierung muß einer Politik mit ökonomischer und sozialer Prägung global Geltung ver- schafft werden. Gerade die globale Einführung einer Steuer auf spekulative Devisenumsätze wird aber nicht gelingen. Eine weltweite Einführung dieser Steuer ist deshalb absolut unrealistisch. Wir bauen internationale Handelsschranken ab und liberalisieren die Weltmärkte. Wir haben zu Beginn dieses Jahres die Währungsunion für Europa verwirklicht. Internationales Kapital sucht sich seinen Weg. Es fließt dorthin, wo die günstigsten Rahmenbedingungen herrschen. Weiterhin ist zu bedenken, daß die wachsenden Finanzmärkte auch große Bedeutung für den Arbeits- markt haben. Da die Arbeitsplatzproblematik für die Politik absolute Priorität besitzen muß, ist dieses Argu- ment besonders durchschlagend. Von den rund 750 000 Beschäftigten im deutschen Sparkassen- und Bankge- werbe sind rund 23 800 in Derivategeschäft einschließ- lich Devisenhandel tätig. Daneben sind nach Schätzun- gen noch ca. 60 Prozent (also rund 14 100) zusätzlich mit Zuarbeiten, wie beispielsweise mathematische Dienstleistungen, Produktentwicklung, Länder- und Konkurrenzbeobachtung u. ä. im Bankenbereich selbst beschäftigt. Zusammen ergibt das 37 900 Beschäftigte, also schon mehr als 5 Prozent der Gesamtbeschäftigten im deutschen Sparkassen- und Bankgewerbe. Dieser Be- schäftigungskreis wächst sehr schnell und bietet deshalb zukunftssichere Arbeitsplätze. Die Entwicklung dieser Bankgeschäfte ist eng ver- knüpft mit der Entwicklung von Soft- und Hardware für die speziell erforderliche Informationstechnologie (IT) sowie für die Mathematisierung des Bankgeschäftes. Dieser Tätigkeitsbereich ist aber nur zum Teil in den Banken selbst organisiert. Zu einem überwiegenden Teil außerhalb der Banken, oft in „Garagenunternehmen der Turnschuhgeneration“ und in Universitätsnähe. Die Zahl derer, die in diesen „Bastelunternehmen“ oder auch in den großen IT-Firmen für die speziellen Bankbelange arbeiten, ist nicht abzuschätzen. Die Zahl dürfte aber recht eindrucksvoll sein. Ursache vieler Finanz- bzw. Bankkrisen waren und sind: eine verfehlte nationale Wirtschaftspolitik und eine schwache Bankenaufsicht. Deshalb ist der richtige Weg, Fehlentwicklungen im Devisengeschäft möglichst zu verhindern, eine starke und gut funktionierende Banken- aufsicht. Den von den internationalen Bankenaufsichts- behörden (Basler Ausschuß) entwickelten „Grundsätzen für eine wirksame Bankenaufsicht“ haben die Zentral- bankpräsidenten der Zehnergruppe auf der letzten Welt- bank-/Internationalen Währungsfonds-Tagung zuge- stimmt. Diese Grundsätze verbindlich weltweit einzu- setzen und schnell einzuhalten, stellt den richtigen Weg dar. Vor allem müssen sie in den vielen Staaten mit Finanz- und Bankproblemen Praxis werden. Weltbank- wie IWF-Hilfen müssen von der Einhaltung dieser Grundsätze abhängig gemacht werden. Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit dem 3. Finanzmarktförde- rungsgesetz bereits einen wichtigen Schritt in die rich- tige Richtung getan und hoffen, daß in dieser Legis- laturperiode das 4. Finanzmarktförderungsgesetz – wie in einer Entschließung des Finanzausschusses in der letzten Legislaturperiode bereits festgelegt – folgen wird. Vernünftiger Anlegerschutz und eine funktionie- rende Marktaufsicht sind die besten Mittel, um Störun- gen im Devisengeschäft weitestgehend zu verhindern. Die PDS sollte sich besser an den Erfinder dieser Steuer, James Tobin, den amerikanischen Wirtschafts- Nobelpreisträger von 1981, halten, der später von sei- nem eigenen Vorschlag abgerückt ist und nach eigenen Angaben einen Stein ins Wasser geworfen und damit viele Wellen verursacht hat. Tobin selbst hoffte, daß das Wasser sehr tief ist, so daß niemand diesen Stein mehr findet. Die F.D.P. schließt sich dieser reiferen Erkennt- nis von Tobin gerne an und lehnt deshalb den Antrag der PDS entschieden ab. Dr. Barbara Höll (PDS): Gerhard Schröder und Tony Blair legten in der vergangenen Woche ein The- senpapier vor, mit dem sie keinen geringeren Anspruch hatten, als Europas Sozialdemokraten „den Weg nach vorne“ zu weisen. Darin heißt es u.a., daß die „EU auch weiterhin als entschiedene Kraft für die Liberalisierung des Welthandels eintreten soll“ und daß die Kapital- märkte „flexibel“ sein sollen. Wer sich also von diesem strategischen Papier einen Hinweis auf einen Politik- wechsel gegenüber der Kohl-Regierung erhoffte, sieht sich enttäuscht. Was hier präsentiert wird, ist alter Wein in alten Schläuchen und wird auch davon nicht besser, daß es fast inflationär mit der Beschwörungsformel „Modernisierung der Gesellschaft“ belegt wird. Wohin diese Politik der immer stärkeren Deregulie- rung und Liberalisierung u. a. der internationalen Finanzmärkte in den letzten Jahren geführt hat, wurde in asiatischen Schwellenländern, aber auch in Südamerika in erschreckender Weise deutlich: Seit Ausbruch der Asienkrise 1997 leiden, laut dem thailändischen UN- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3843 (A) (C) (B) (D) Botschafter, mehrere Länder an „dramatischen und schwerwiegenden sozialen Problemen“. Arbeitslosigkeit und Armut haben rapide zugenommen. Die Zahl der Armen in Indonesien hat sich zwischen 1991 und 1998 von 11 auf 40 Prozent fast vervierfacht, in Thailand stieg die Armut von 11 auf 15 Prozent. Gleichzeitig er- höhte sich die Arbeitslosenrate in Indonesien von 4,7 auf 21 Prozent, in Malaysia von 2,7 auf 6,4 Prozent oder in Südkorea von 2,6 auf 7,7 Prozent. Diese traurigen Daten sind in einem aktuellen Report nachzulesen, der von der UN-Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifik veröffentlicht wurde. Selbst die privaten Bankinstitute haben inzwischen internationale Finanzkrisen mit all ihren Auswirkungen als Problem erkannt: Ihnen wird sicher bekannt sein, Herr Schröder, daß im Vorfeld des Kölner G-7-Gipfels führende Vertreter von Banken über Reformen der glo- balen Finanzmärkte mit dem Ziel ihrer Stabilisierung diskutiert haben. Um so verwunderlicher ist es, daß die für viele Men- schen in den betroffenen Staaten grausamen Erfahrun- gen und – wenn schon das nicht – die Sorge der Bankin- stitute Herrn Schröder und Herrn Blair auf ihrem „Weg nach vorne“ nicht beirren, sondern sie im Gegenteil ge- betsmühlenartig an der Liberalisierungslitanei der Kon- servativen festhalten. Sie selbst, Herr Schröder, haben doch gestern auf die Notwendigkeit hingewiesen, Stabi- lität im internationalen Finanzsystem zu erreichen. Doch die Menschen erwarten auch auf diesem Gebiet nicht nur Worte, Herr Schröder, sondern zumindest einen konkreten Vorschlag, so z.B. die Erhebung einer Devi- senumsatzsteuer. Die PDS hat diese Idee des Nobelpreisträgers Tobin aufgegriffen und einen konkreten Vorschlag entwickelt. Alle Devisentransaktionen, die sofort wirksam werden (also Kassageschäfte, Devisentermin- und Optionsge- schäfte sowie Währungsswaps), sollen mit einem Steu- ersatz von 0,25 Prozent belegt werden. Mit diesem Steu- ersatz kann ein Großteil kurzfristiger Spekulationsge- schäfte, die wesentliche Ursache für Finanzkrisen sind, eingedämmt werden, da sie gegenüber langfristigen Anlagen unattraktiv werden. 300 bis 500 Milliarden DM Dollar Einnahmen könnten bei einem Prozentsatz von 0,25 erzielt werden. Geld, das UNO-Projekten oder eben dem Aufbau in Kosovo und Jugoslawien zur Verfügung gestellt werden könnte. Verehrte Kolleginnen und Kol- legen, obwohl dieser Vorschlag inzwischen 30 Jahre alt ist, hat er doch an Aktualität nicht verloren, dies hat Pro- fessor Tobin in einem Interview mit der Zeitung „Le Monde“ im November vergangenen Jahres selbst noch einmal bekräftigt. Diese Idee der Devisenumsatzsteuer wurde übrigens bis vor kurzem auch seitens der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gefordert. Beide Fraktionen reichten in der 13. Legislaturperiode, nach der PDS, Anträge ein, die die damalige Bundesregierung aufforderten, in die Richtung der Erhebung einer Devisenumsatzsteuer tätig zu werden. Trotzdem hat die rotgrüne Regierung, ob- wohl Sie es jetzt in der Hand hat, ihre Ratspräsident- schaft in der EU nicht dazu genutzt, dieses Thema mit den anderen europäischen Staaten zu diskutieren und auf die Agenda zu setzen. Auch auf der Tagesordnung des Weltwirtschaftsgipfels ist die Behandlung dieses The- mas bisher nicht zu finden. Diese Verhinderungspolitik, der sich nun scheinbar auch die rotgrüne Koalition bedient, beweist einmal mehr: Die Einführung einer Devisenumsatzsteuer nach Tobins Vorbild scheitert nicht an der Realität, sondern am politischen Willen. Meine Damen und Herren von der Regierung, zeigen Sie, daß Sie Ihre eigenen Wil- lensbekundungen von einem Politikwechsel ernst neh- men, bringen Sie das Thema der Tobin-Steuer nach ka- nadischem Vorbild auf die Tagesordnung des Gipfels, sammeln Sie politische Kräfte, um diese Idee endlich in die Realität umsetzen zu können! Lydia Westrich (SPD): Die Debatte heute zur Tobin- Steuer ist gewissermaßen eine Wiederholung der De- batte gestern über den Wirtschaftsgipfel in Köln. Die PDS hat ihren alten Antrag vom Vorjahr wieder hervorgeholt, wie sie es in vielen anderen Fällen, z.B. Schlechtwettergeld, auch getan hat. Sie beweist dadurch ihr statisches Denken, ihr Behar- ren in alten Strukturen, weil sie Veränderungen rund- herum nicht wahrzunehmen scheint. Das heißt, es geht Ihnen, liebe Kolleginnen und Kol- legen von der PDS, mehr um die Populistik als um die Lösungen konkreter Probleme. Dabei ist die Globalisierung ein derart atemberauben- der Prozeß, dem wir nicht ausweichen können und den wir gemeinsam bestehen sollten. Dazu brauchen wir In- strumente und Wege, die sich diesem Tempo anpassen können, und nicht die alte Mottenkiste. Wir haben zwar gestern schon ausführlich über die Weltwirtschaft und vor allem über das internationale Finanzwesen diskutiert. Alles muß nicht wiederholt werden. Aber man muß sich die Schnelligkeit der welt- weiten Entwicklungen immer wieder vor Augen führen um die notwendige internationale Zusammenarbeit ver- bessern zu können. Noch vor kurzem sprachen wir von asiatischen Ti- gern, wir staunten über Japans Erfolge – auch hier im Bundestag wurden sie uns als Beispiel vorgehalten. Das Wunder in Asien ist zum Debakel geworden, statt Dy- namik Domino-Effekt. Vor kurzem sagten wir, Rußland sei zu groß, um Konkurs zu machen. Heute sagen wir, Rußland ist zu groß, um seine Wirtschaft zu retten. Auf einmal sind viele, viele Millionen Menschen weltweit ärmer gewor- den als je zuvor durch diese weltweiten Finanzkrisen, und das alles in einem rasenden Tempo, von Thailand, Indonesien über Lateinamerika bis Mexiko. Natürlich wirken sich die internationalen Finanzkri- sen auch in unserer eigenen Wirtschaftsentwicklung aus. Das heißt, keiner kann sich absichern und schon gar nicht durch Einführung einer neuen Steuer, die, wie der Erfinder James Tobin selbst sagt, allenfalls ein wenig Sand ins Getriebe der internationalen Finanzmärkte streuen kann. 3844 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) Diese kleine Bremse wirkt natürlich auch nur, wenn die wichtigsten Mitgliedstaaten des internationalen Währungsfonds gleichzeitig handeln. Glauben Sie das? Nicht mal James Tobin glaubt daran, und Sie selbst ha- ben der Sicherung der Steuer gegen Umgehung in Ihrem Antrag breiten Raum gewidmet. Als hätten wir nicht schon genug leidvolle Erfahrungen gesammelt, wie schwierig es ist, Steueroasen auszutrocknen und Steuer- flucht zu verhindern! Und Sie machen da ein neues Faß auf, statt daran mitzuarbeiten, endlich gemeinsame und verbindliche Regelungen gegen Steuer und Sozialdum- ping zu erreichen. Wir Sozialdemokraten sind froh, daß sich unsere Re- gierung der Stärkung der Architektur des internationalen Finanzsystems annimmt, und wir Sozialdemokraten be- greifen die Stärkung des internationalen Finanzsystems und die Vermeidung von Finanzkrisen als andauernde Aufgabe. Sie ist mit dem Wirtschaftsgipfel in Köln kei- neswegs abgeschlossen. Reformen in diesem Bereich werden immer notwendig sein bei diesem atemberau- benden Prozeß der Globalisierung. Natürlich ist das viel mühsamer als eine neue Steuer einzuführen und Geld zu verteilen. Und noch mühsamer ist es, in der Steuerpolitik zu mehr internationaler Zu- sammenarbeit zu kommen. Andere Länder, nicht Deutschland, haben schon auf den Wirtschaftsgipfeln 1996 in Lyon und 1997 in Den- ver vor einer schädlichen Konkurrenz der Staaten im Steuerwesen gewarnt, die das Risiko einer Verzerrung von Handel und Investitionen berge und die nationalen Steuergrundlagen aushöhle. Schädlicher Steuerwettbewerb untergräbt die Ge- rechtigkeit des Steuersystems und auch seine Neutralität. Der Bundesfinanzminister hat zusammen mit den Finanzministern und Notenbankchefs der G-7-Länder in Vorbereitung des Weltwirtschaftsgipfels jetzt ausdrück- lich die Arbeit der OECD gegen schädlichen Steuer- wettbewerb begrüßt. Dazu noch die Bemühungen der OECD, Steueroasen und Steuerausweichmöglichkeiten überhaupt zu identifizieren. Mit der Tobin-Steuer wird die OECD ziemlich über- fordert, fürchte ich. Sie wissen doch, wie das funktioniert. Unternehmen nutzen die gute Infrastruktur ihres Landes, versteuern aber ihre Gewinne mittels Gestaltung von Verrech- nungspreisen oder durch Nutzung von speziellen Steu- ervergünstigungen in anderen Ländern mit geringen Steuern. Private Haushalte genießen die Daseinsvorsor- ge der öffentlichen Hand und die Absicherung des Sozi- alstaates, schaffen aber ihr Geld in Steueroasen. Kurzfristig mag es sich für gewisse Länder tatsäch- lich lohnen, Unternehmen oder Haushalte mit speziellen, auf ausländische Unternehmen und Haushalt zuge- schnittene Steuervergünstigungen anzulocken. Aber mittel- und langfristig schadet dies allen Ländern, auch denen, die sich an einem solchen schädlichen Steuer- wettlauf mit Steuervergünstigungen aktiv beteiligen. Nur, diese Erkenntnis ist noch lange nicht überall ver- breitet und Sie können sich ausrechnen, daß bei Einfüh- rung einer Devisenumsatzsteuer gerade Länder, die jede Mark Steuereinnahmen nötig brauchten, der Versuchung nicht widerstehen können, durch Nichtteilnahme Fi- nanzkapital, die dazugehörigen Dienstleistungen, hoch- qualifizierte Arbeitnehmer oder einkommens- und ver- mögensstarke Privathaushalte aus anderen Ländern an- zuziehen. Dann haben Sie zwar eine Beruhigungspille Devisenumsatzsteuer, die eigentlichen Probleme der in- ternationalen Finanzmärkte sind aber nicht gelöst. Sie könnten damit sogar verschärft werden. Von einer ef- fektiven Kontrolle brauchen wir gar nicht zu reden. Wir sehen ja, wie die vorhandenen Kontrollmechanismen funktionieren oder besser gesagt nicht funktionieren, siehe Singapur u.a. Die Kompliziertheit Ihres Antrags zeigt deutlich: Zur Transparenz der internationalen Finanzmärkte trägt die- se Steuer nicht bei. Wenn ich lese, was der IWF als von Ihnen gewünschter Verwalter der Tobin-Steuer zu ma- chen hätte, könnte er sich sonstige Aufgaben abschmin- ken. Eine Steuer, die sich durch Verwaltung und Kon- trolle selbst auffrißt, ist sinnlos und schon gar kein In- strument im heutigen Globalisierungsprozeß. Die SPD-Fraktion unterstützt vielmehr die Bemühun- gen der Bundesregierung, einen geeigneten internatio- nalen Ordnungsrahmen zur Beseitigung der Schwach- stellen im Finanzsystem einzurichten. Wir sind zuver- sichtlich, daß wir nach dem Wirtschaftsgipfel in Köln ein Stück weiter sind. Der Bundeskanzler hat gestern in seiner Rede deut- lich gemacht, daß es nicht um die nackten Zahlen geht, wenn Länder durch Währungsspekulationen in die Krise geraten. Es geht um die Schicksale Tausender Men- schen, die ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden. Umso wichtiger ist der Aufbau und die Sicherung eines krisenfreien Weltfinanzsystems mit hoher Trans- parenz und wirksamer Aufsicht. Dazu gibt es keine Patentrezepte. Es muß Neues gemacht werden, Neues durchdacht werden auf internationaler Basis. Es ist schwierig und braucht Mut. Rezepte der 50er Jahre sind dabei nicht mehr anwendbar. Die SPD-Fraktion wird die Bundesregierung auf die- sem mühsamen Weg unterstützen. Wir Sozialdemokra- ten unterstützen weiter alle Bemühungen, schädliche wettbewerbsverzerrende Steuerkonkurrenz mit immer neuen Steueroasen und Steuerausweichmöglichkeiten langsam aber sicher auszumerzen. Wir werden nicht mit Einführung einer neuen kom- plizierten und ineffektiven Steuer dazu beitragen, die Möglichkeiten, auf Steueroasen auszuweichen, noch zu vergrößern. Anlage 6 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 738. Sitzung am 21. Mai 1999 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3845 (A) (C) (B) (D) – Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfe- gesetzes – Drittes Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichsge- setzes und Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanz- reformgesetzes – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushalts- plans für das Haushaltsjahr 1999 (Haushaltsgesetz 1999) – Gesetz zur Eingliederung der Schulden von Sonder- vermögen in die Bundesschuld – Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts Der Bundesrat hat in seiner 739. Sitzung am 11. Juni 1999 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen gemäß Artikel 84 Abs. 1 Grundgesetz zuzustimmen: – Gesetz zu dem Notenwechsel vom 29. April 1998 über die Rechtsstellung der dänischen, griechischen, italienischen, luxemburgischen, norwegischen, portu- giesischen, spanischen und türkischen Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland – Gesetz zu dem Abkommen vom 17. Oktober 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Seeschiffahrt
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404500000
Die Sitzung ist er-
öffnet.

Heute vor 46 Jahren begann die Erhebung gegen das
stalinistische Herrschaftssystem in der DDR mit einer
Demonstration der Bauarbeiter in der Ostberliner Stalin-
allee, die sich bald zu einem allgemeinen Volksaufstand
mit dem Ziel freier Wahlen, mit der Forderung nach
einem Rücktritt der Regierung ausweitete. Die spontane
Erhebung zeigte die allgemeine Unzufriedenheit der Be-
völkerung mit den politischen und wirtschaftlichen Ver-
hältnissen in der DDR, die sich in Protestzügen, in Pro-
testversammlungen und in dem Marsch von 12 000
Hennigsdorfer Arbeitern entlud.

Nach dem Eingreifen der sowjetischen Streitkräfte,
die mit Panzern gegen die Aufständischen vorgingen,
brach die Volkserhebung zusammen. Die Zahl der To-
desopfer ist niemals genau bekanntgeworden. Eine gro-
ße Zahl von Beteiligten wurde inhaftiert und zu hohen
Freiheitsstrafen verurteilt.

Im Jahre 1989, 36 Jahre nach dem Volksaufstand,
ließen erneute friedliche Demonstrationen der Bevölke-
rung in der DDR den SED-Staat in sich zusammenbre-
chen. Wir gedenken heute an dieser Stelle der Opfer des
Volksaufstandes und erinnern uns mit Stolz an die muti-
gen Bürger, die sich 1953 und 1989 unbewaffnet der
Diktatur entgegenstellten.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, interfraktionell ist vereinbart worden, die ver-
bundene Tagesordnung um die Ihnen in einer Zusatz-
punktliste vorliegenden Punkte zu erweitern:
ZP1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren


(Ergänzung zu TOP 14)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst-und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1999

(Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz1999 – BBVAnpG 99) – Drucksache 14/1088 –


b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachtenEntwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung desArzneimittelgesetzes – Drucksache 14/1161 –
ZP2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen SPD undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Situation der Flüchtlingenach Beendigung der Kampfhandlungen im Kosovo

ZP3 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Aus-schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit(16. Ausschuß)
– zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN
Keine weitere Unterstützung der AtomkraftwerkeKhmelnitski 2 und Rovno 4 in der Ukraine

– zu dem Antrag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Dr.Klaus W. Lippold (Offenbach), Cajus Julius Caesar, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Festhalten an den Zusagen zum Bau von sichereren Er-satzreaktoren in der Ukraine

– zu dem Antrag der Abgeordneten Angela Marquardt, Eva-Maria Bulling-Schröter, Dr. Gregor Gysi und der Fraktionder PDS
Investitionen der Europäischen Bank für Wiederauf-bau und Entwicklung in Khmelnitski 2 und Rovno 4

– Drucksachen 14/795, 14/819, 14/708, 14/1143 –
ZP4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. ChristianRuck, Hans-Peter Repnik, Ilse Aigner, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der CDU/CSU: Hilfsmaßnahmennder Bundesregierung anläßlich der Hochwasserkata-strophe Pfingsten 1999 in Süddeutschland – Drucksache14/1144 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger,Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, weitererAbgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Hilfsmaßnah-men der Bundesregierung anläßlich der Hochwasserka-tastrophe in Süddeutschland – Drucksache 14/1152 –
Nachträgliche Ausschußüberweisung
Der in der 19. Sitzung des Deutschen Bundestages überwie-sene nachfolgende Antrag soll nachträglich dem Ausschuß fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend zur Mitberatung über-wiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Erika Reinhardt, Dr. Norbert Blüm,Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSU: Gegen den Mißbrauch von Kindern alsSoldaten – Drucksache 14/310 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend Außerdem sollen der Tagesordnungspunkt 6 – es handelt sich um die Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch –, der Tagesordnungspunkt 7 – Änderung des Arzneimittelgesetzes – sowie der ohne Debatte vorgesehene Tagesordnungspunkt 14 p – Nationale Verkehrssicherheitskampagne – abgesetzt werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1999 Agrarund ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung – Drucksachen 14/347, 14/348 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten(federführend)Ausschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuß für GesundheitAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuß für Angelegenheiten der neuen LänderAusschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungAusschuß für TourismusHaushaltsausschuß Es liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, der Fraktion der CDU/CSU, der Fraktion der F.D.P. sowie der Fraktion der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Gerald Thalheim. Dr Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über den Agrarbericht 1999 wird von der belgischen Dioxin-Affäre überschattet, über die wir hier in den letzten Tagen schon mehrfach diskutiert haben. Die Dioxin-Affäre ist auch auf Grund des deutschen Drängens auf dem letzten Agrarrat am 14. und 15. Juni in Luxemburg beraten worden. Der Rat hat keinen Zweifel daran gelassen, daß wirksame Konsequenzen gezogen werden müssen, insbesondere im Hinblick auf die effektive Durchsetzung der EU-Frühwarnsysteme sowie die Prüfung der Kennzeichnung von Futtermitteln. Der Rat hat dabei die Verantwortlichkeit der Futtermittelhersteller für die Produktsicherheit besonders betont. Vielleicht brauchen wir auf diesem Gebiet auch so etwas wie ein deutsches Reinheitsgebot. In der gemeinsamen Erklärung wurde gefordert – ich zitiere –, „durch ausreichende Kontrollen die umfassende Einhaltung des EU-Rechts sicherzustellen, damit der Schutz der Gesundheit der Verbraucher gewährleistet wird“. Der Dioxin-Skandal zeigt einmal mehr die Notwendigkeit einer Neuorientierung der Agrarpolitik in Richtung auf eine stärkere Berücksichtigung der Verbraucherinteressen sowie eine größere Eigenverantwortung und Eigeninitiative der landwirtschaftlichen Unternehmen am Markt. Diese Zielvorgaben sind bereits mit unserer Koalitionsvereinbarung niedergelegt worden. Auch im Agrarbericht 1999 wird deutlich, daß die rotgrüne Koalition angetreten ist, unsere Landwirtschaft auf die künftigen Anforderungen vorzubereiten und die Weichen für eine umweltverträgliche, gesellschaftlich akzeptierte Agrarproduktion zu stellen. Wir haben die deutsche Präsidentschaft genutzt, um diese Neuorientierung in der Agrarpolitik einzuleiten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





(B)


(A) (C)


(D)

Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1404500100

Gerade auf dem letzten Agrarrat wurden dazu zu-
kunftsweisende Entscheidungen getroffen. Insbesondere
ist es Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke
gelungen, eine Legehennenhaltungsverordnung zu ver-
abschieden. Damit wurde eine fast 20jährige Diskussion
zu diesem Thema abgeschlossen. Wir haben eine euro-
paweite Regelung erreicht, die künftig mehr Tierschutz
für die Legehennen bedeuten wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein zweiter wichtiger Erfolg auf dem letzten Agrarrat
war die Verabschiedung der Ökoverordnung im tieri-
schen Bereich. Ich halte gerade die EU-Ökoverordnung
für ein wichtiges Signal in der jetzigen Situation, um
Verbrauchervertrauen wiederzugewinnen. Wichtig ist,
daß dieses Signal von der Verarbeitungsindustrie, vom
Handel und von den Verbrauchern anerkannt wird. Die
Marktbeteiligten müssen sich entscheiden, ob künftig
Qualität und Sicherheit oder nach wie vor immer niedri-
gere Preise im Vordergrund stehen sollen.

Die größte Herausforderung für die deutsche Präsi-
dentschaft bestand zweifellos darin, die von der Kohl-
Regierung ausgebremsten Agenda-Verhandlungen wie-
der in Schwung zu bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


– Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen genau,
wovon ich rede.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Du weißt es nicht, du nicht!)


Durch Ihr Nein zum Landwirtschaftsteil hat sich
Deutschland in eine Position manövriert, bei der alle an-
deren Staaten anderer Auffassung waren. Es war das Ver-
handlungsgeschick von Karl-Heinz Funke, das Deutsch-
land hier aus der Sackgasse herausgeführt hat


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und am Ende einen tragfähigen Kompromiß herbeige-
führt hat, der in den wichtigsten Teilen den Interessen
der deutschen Landwirtschaft Rechnung trägt.

Die Botschaft des Berliner Kompromisses ist: weg
von der Intervention hin zu mehr Marktorientierung. Für
diese schwierige Umorientierung wird es umfangreiche
Beihilfen geben. Darauf können sich die Bauern bis zum

Präsident Wolfgang Thierse






(A) (C)



(B) (D)


Jahre 2006 – so lange ist der Finanzzeitraum – verlas-
sen.


(Zuruf von der CDU/CSU)

– Hören Sie doch bitte einmal zu! – Ihre Einkommens-
entwicklung wird aber davon abhängen, wieviel Geld
am Markt verdient wird. Das ist weniger eine Frage der
Einflußmöglichkeit der Politik. Die Frage wird vielmehr
sein: Wie effizient wird künftig die Verarbeitungsindu-
strie gestaltet, und wie wird die Verhandlungsposition
der Verarbeitungsindustrie gegenüber dem Lebensmit-
teleinzelhandel sein?

Zusätzlich wird im Agrarbericht deutlich, daß die
Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern vermehrte
Anstrengungen unternimmt, die Lebensverhältnisse der
Menschen auf dem Lande zu verbessern. Mit der Agen-
da 2000 bestehen gute Voraussetzungen dafür; denn der
Ausbau der Politik für den ländlichen Raum gehört zu
einem zentralen Element der Agenda-Beschlüsse. Es
wurde als sogenannte zweite Säule mit der Agenda 2000
neu geschaffen.

Die Bundesregierung hat für ihre zielstrebige Ver-
handlungsführung von den europäischen Partnern große
Anerkennung erfahren. Ich konnte mich erst jüngst auf
dem Agrarministertreffen in Dresden persönlich davon
überzeugen. Hier ging es nicht nur um Höflichkeitsflos-
keln gegenüber Bundeslandwirtschaftsminister Funke;
die deutsche Präsidentschaft hat auf diesem Gebiet eine
große Anerkennung erfahren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren von
der Opposition, geht Ihre Kritik hier eindeutig ins Leere.
Im Gegenteil: Es gehört eine gehörige Portion Heuchelei
dazu, wenn Sie hier die Bundesregierung für die
Beschlüsse kritisieren. Tatsache ist, daß die Agenda-
Beschlüsse die logische Konsequenz aus der Agrar-
reform von 1992 sind, die bekanntlich Ignaz Kiechle
und die alte Bundesregierung zu verantworten haben.

Sie werden auch zugeben müssen, daß die Uruguay-
Runde – im übrigen ebenfalls in Ihrer Regierungszeit
zustande gekommen – eine unumkehrbare Entwicklung
in Richtung Markt und Wettbewerb forciert hat. Die
Agenda 2000 folgt genau dieser Entwicklung. Meine
Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß der
Verlust der Mehrheit häufig mit dem Verlust des Ge-
dächtnisses verbunden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Zu Ihren Zwischenrufen muß man sich nur einmal die
Beschlüsse der Uruguay-Runde und ihre Konsequenzen
für die Agrarpolitik vor Augen führen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404500200
Herr Kollege Thal-
heim, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Michels?

Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1404500300
Aber bitte.


Meinolf Michels (CDU):
Rede ID: ID1404500400
Herr Staatssekretär,
Sie haben eben gesagt, Sie seien angetreten, um die Le-
bensverhältnisse der Menschen auf dem Land zu verbes-
sern. Sind Sie der Meinung, daß es dazu paßt, innerhalb
eines guten halben Jahres die Mehrwertsteuerverrech-
nung um einen Prozentpunkt zu senken, Ökosteuern ein-
zuführen, Kürzungen bei der Unfallversicherung vorzu-
nehmen und jetzt 900 Millionen DM bei der Dieselkraft-
stoffrückvergütung zu streichen? Hinzu kommt noch die
Agenda 2000. Meinen Sie, daß dies alles der Landwirt-
schaft im Lande dient?

Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1404500500
Kollege Michels, Sie vermischen schon bei Ihrer
Frage, das, was gegenwärtig in der Diskussion ist, und
das, was beschlossen wurde.

Zu dem, was beschlossen wurde: Sie wissen, daß mit
dem Steuerreformgesetz eine deutliche Entlastung der
unteren Einkommen zustande gekommen ist, sowohl
was den Grundfreibetrag anbelangt, als auch was den
Steuertarif anbelangt. Auch bei Ihren Vorschlägen zur
Steuerreform war eine Verbreiterung der Bemessungs-
grundlage vorgesehen. Wenn Sie sich noch einmal mit
dem Petersberg-Papier auseinandersetzen würden, wür-
den Sie sehen: Alles, was wir beschlossen haben, steht
bereits in Ihren Vorschlägen aufgeführt.

Was die künftigen Sparmaßnahmen anbelangt, so
reicht ein Blick auf die Entwicklung der Verschuldung.
Von rund 400 Milliarden DM, die bei Antritt Ihrer Re-
gierung 1982 übernommen wurden, sind wir heute im-
merhin bei einer Verschuldung von 1,5 Billionen DM
angelangt. Wer angesichts dieser Tatsache leugnet, daß
Sparmaßnahmen notwendig sind, geht an den Realitäten
vorbei.

Aber zurück zur Agenda 2000: Die Bundesregierung
wird ihren Kurs der agrarpolitischen Neuorientierung
fortsetzen. Wir kümmern uns momentan intensiv um die
noch offenen Teile der nationalen Ausgestaltung der
Agenda-Beschlüsse, damit möglichst noch im Juni alle
grundsätzlichen Entscheidungen fallen können. Hierbei
werden in der kommenden Woche mit den Länder-
agrarministern die einzelnen Themen beraten.

Hierzu gehört ebenfalls das nach wie vor strittige
Milchthema. Auch hier haben wir es mit einer schweren
Erblast zu tun. Von allen wird gefordert, die aktiven
Milcherzeuger zu entlasten, nicht zusätzliche Bürokratie
einzuführen, aber auf der anderen Seite auch den not-
wendigen Strukturwandel zu flankieren. Dies sind drei
Ziele, die kaum miteinander in Übereinstimmung zu
bringen sind. Es stellt sich damit die Frage, ob wir nicht
so schnell wie möglich aus diesem System aussteigen
müssen, um hier tatsächlich für die aktiven Milcherzeu-
ger zu einer Entlastung zu kommen.


(Beifall bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie wissen nicht, was Sie wollen!)


Zumindest hat es die deutsche Präsidentschaft er-
reicht, daß die Flächenbindung aufgehoben wird und

Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim






(B)



(A) (C)



(D)


damit wichtige Voraussetzungen geschaffen worden
sind, um hier zu einer Verbesserung zu kommen.


(Jochen Borchert [CDU/CSU]: „Zumindest“! Das war verräterisch!)


Natürlich werden bei der nationalen Umsetzung auch
die finanziellen Erwägungen eine Rolle spielen. In der
Zwischenfrage bin ich darauf ja schon angesprochen
worden. Ich habe begründet, weshalb auch im Agrar-
haushalt gespart werden muß. Wir haben uns allerdings
hinsichtlich der Sparbeschlüsse die Ziele gesetzt, daß
erstens der Strukturwandel in der Landwirtschaft nach
wie vor vom Staat abgefedert wird, daß zweitens die
Wettbewerbsfähigkeit der Agrarwirtschaft und die Ent-
wicklung der ländlichen Räume gestärkt werden und daß
drittens, soweit Eingriffe in die Leistungen der Agrar-
sozialpolitik unabdingbar sind, die Symmetrie mit den
Sozialversicherungssystemen erhalten bleibt.

Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wer-
den im Herbst noch ausreichend Gelegenheit haben, das
zu diskutieren. Ich bin aber zuversichtlich, daß wir Be-
schlüsse hinbekommen, die der von mir vorgetragenen
Zielsetzung für eine ordentliche Perspektive der deut-
schen Landwirtschaft dienen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404500600
Für die CDU/CSU-
Fraktion hat nun der Kollege Albert Deß das Wort.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1404500700
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wie wir erfahren haben, ist
Herr Minister Funke krank. Ich darf ihm von hier aus
beste Genesungswünsche überbringen.


(Beifall)

Wir hätten uns natürlich gefreut, wenn er heute hier an-
wesend gewesen wäre.

Welche Wertschätzung die Regierungskoalition der
Landwirtschaft entgegenbringt, sieht man auch daran,
daß nicht ein Minister auf der Regierungsbank Platz ge-
nommen hat.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr! Leider, leider!)


Im Gegensatz dazu ist die Opposition mit dem Partei-
vorsitzenden der CDU, mit dem stellvertretenden Partei-
vorsitzenden der CSU und mit dem Parteivorsitzenden
der F.D.P. vertreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herrn, die Rah-
menbedingungen für unsere Bäuerinnen und Bauern
waren schon immer Veränderungen unterworfen. Ich
kann mich jedoch an keine Zeit erinnern, in der sich die
Situation für unsere Bäuerinnen und Bauern so gravie-

rend verändert hat wie seit der Regierungsübernahme
durch Rotgrün.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Im vergangenen Jahr betrugen die Betriebsaufgaben
1,9 Prozent – die geringste Zahl seit mehr als 20 Jahren.
Daran sieht man, daß die bisherige Bundesregierung
durchaus Erfolge in der Agrarpolitik zu verzeichnen
hatte, ist eine geringe Zahl von Betriebsaufgaben doch
Ausdruck des Erfolgs der Agrarpolitik.

Agrarpolitik ist eingebunden in aktuelle Entwicklun-
gen, die nicht spurlos an uns vorübergehen. Die Land-
wirtschaft pflegt unsere Kulturlandschaft und versorgt
unsere Bevölkerung mit frischen und gesunden Nah-
rungsmitteln. Die Versorgung mit gesunden Nahrungs-
mitteln gerät durch Skandale immer wieder in Mißkre-
dit. Ich bin davon überzeugt, daß diese Skandale – ich
sage über alle Parteigrenzen hinweg: es werden nicht die
letzten sein – Ergebnis einer vom Ansatz her falschen
Agrarpolitik in Europa sind.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Die Sie in den letzten 16 Jahren betrieben haben!)


Eine Agrarpolitik, die ohne Rücksicht auf unsere Um-
welt nur auf Kostendruck setzt, ist mitverantwortlich für
Skandale wie BSE und Dioxin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


In diesem harten Wettbewerb gibt es auch keine Rück-
sicht auf unterschiedliche Produktionsbedingungen und
soziale Standards.

Interessant dazu ist eine Aussage von Jacques San-
ter, über die wir nachdenken sollten. Nach Auffassung
Santers bestehen erhebliche Zweifel, ob die BSE-Krise
wirklich ein Unfall der Natur ist. Er sagte vor mehr als
einem Jahr – ich zitiere –: Ist die BSE-Geschichte nicht
vielmehr die Folge eines Landwirtschaftsmodells, das
auf Produktivität um jeden Preis ausgerichtet ist? Die
Konsequenzen dieser Produktionsweise zu minimalen
Kosten setze die Grundgesetze der Natur außer Kraft
und führe letztendlich zu höheren Belastungen der Ge-
sellschaft.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich muß dem noch amtierenden Kommissionsprä-
sidenten vorwerfen, daß er zwar die verfehlte EU-
Agrarpolitik erkannt, aber nichts daraus gelernt hat.
Unter seiner Präsidentschaft durfte ein Agrarkommissar
Fischler diesen agrarpolitischen Irrweg weiter perfektio-
nieren.

Und was hat Herr Minister Funke getan, um diesen
Irrweg zu verlassen? Außer großen Sprüchen nichts.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Unerhört!)

In einer Presseerklärung vom 18. Juli 1997 hat er noch
erklärt


(Zurufe von der SPD)


Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim






(A) (C)



(B) (D)


– jetzt hören Sie einmal zu, was der Minister vor zwei
Jahren gesagt hat –:

Die Agenda-2000-Vorschläge sind eine Kampfan-
sage an den ländlichen Raum.

(Karsten Schönfeld [SPD]: Deshalb haben wir sie ja geändert!)

Und was hat er in seiner Verantwortung als Bundesmi-
nister getan, um diese Kampfansage an unsere Bäuerin-
nen und Bauern zu verhindern? Wieder nichts.


(Zuruf von der SPD: Borchert war es! Das ist eine Lüge!)


Im Gegenteil, er ist als agrarpolitischer Zwillingsbruder
Fischlers aufgetreten. Mit einer dilettantischen Ver-
handlungsstrategie


(Karsten Schönfeld [SPD]: Das ist unerhört!)

hat er gemeinsam mit dem Bundeskanzler die Interessen
unserer Bäuerinnen und Bauern, aber auch unserer
Steuerzahler verraten und verkauft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [F.D.P.])


Empfehlenswert ist ein Blick in die Rede von Herrn
Funke, die er als niedersächsischer Landwirtschaftsmi-
nister vor drei Jahren auf einem Bauerntag in Leipzig
gehalten hat. Dort stellte er sein Konzept zur „Europäi-
schen Agrarpolitik 2000“ vor. Von den damaligen Vor-
stellungen sind die jetzigen Agenda-2000-Beschlüsse
meilenweit entfernt. Wer so schnell seine Überzeugun-
gen ändert wie Herr Minister Funke, kann nur als agrar-
politischer Wendehals bezeichnet werden.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Die Wendehälse sitzen doch bei euch!)


Ich habe doch in Leipzig miterlebt, wie er vor 1 000
Wiedereinrichtern eine degressive Gestaltung der Flä-
chenausgleichszahlungen gefordert hat und wie er von
Obergrenzen, von weniger Bürokratie für unsere Bauern
und von Instrumenten gesprochen hat, mit denen unter
anderem ökologischem und sozialem Dumping entge-
gengewirkt werden kann.

Was davon hat er in der Agenda 2000 durchgesetzt?

(Zuruf von der CDU/CSU: Nichts!)


Übriggeblieben sind mehr Bürokratie und mehr Unge-
rechtigkeit in Europa. Das englische Königshaus hat
nach Presseberichten vor diesem Agenda-2000-Ab-
schluß 9,8 Millionen DM Ausgleichszahlungen aus
Brüssel erhalten. Nach diesem Abschluß wird das engli-
sche Königshaus weit über 10 Millionen DM erhalten.
Das ist die neue soziale Gerechtigkeit, die dieser Bun-
desminister mit zu verantworten hat.

Minister Funke hat nach dem Agenda-2000-Abschluß
die deutschen Bauern aufgefordert, schlagkräftiger zu
werden. Wer den „Focus“ von vor drei Wochen gelesen
hat, der weiß, daß er von Schlägen einiges versteht. Er
könnte auf seinem Hof Kurse abhalten, wie man schlag-
kräftiger wird.

Und wie ist es mit seinen Aussagen zur Milchquote?
Wir Landwirte sind schon sehr gespannt, was er von
seinen Ankündigungen umsetzt. Wahrscheinlich bleiben
wieder nur Sprüche, Schall und Rauch.

Genausoviel ist auch von der Ankündigung des
Bundeskanzlers übriggeblieben. Auch er hat vor der
Wahl gefordert, daß im Zusammenhang mit der Finan-
zierung der europäischen Agrarpolitik ein Kofinanzie-
rungssystem – wie es die CSU schon lange gefordert hat
– eingeführt wird. Auch auf dem Parteitag in Saarbrük-
ken hat er sich in einer ähnlichen Richtung geäußert. Ich
zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 9. Dezem-
ber 1998:

In der Agrarpolitik, welche die EU das meiste Geld
kostet, forderte Schröder, wieder zu einer nationa-
len Finanzierung zurückzukehren.

Das Ergebnis auch hier: totale Fehlanzeige, was die Um-
setzung der Ziele betrifft, die die Bundesregierung selbst
vorgegeben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es wurde weder mehr Beitragsgerechtigkeit noch eine
eiserne Haushaltsdisziplin durchgesetzt. Zusätzliche Mil-
liardenbeträge wurden auf dem Berliner Gipfel verteilt,
für die der deutsche Steuerzahler aufkommen muß.

Der „Spiegel“, unverdächtig, der Union nahezuste-
hen,


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann?)


schreibt mit Recht:
Die EU-Ratspräsidentschaft von Gerhard Schröder
endet, wie sie begonnen hat: mit großen Sprüchen.

Wo der „Spiegel“ recht hat, hat er recht.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Nicht nur dem „Spiegel“ sind die leeren Phrasen auf-
gefallen. Auch die Wählerinnen und Wähler in unserem
Land haben diese Sprücheklopferei durchschaut. Das
Ergebnis der Europawahl am vergangenen Sonntag war
mehr als eindeutig. Auch die Bauern haben bei dieser
Wahl auf das Chaos reagiert, das hier in Bonn regiert.
Dieses rotgrüne Chaos zerstört die Wettbewerbsfähig-
keit der deutschen Landwirtschaft.

In Deutschland werden die Landwirte durch die rot-
grünen Steuerbeschlüsse in einem Ausmaß belastet, wie
es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
noch nie der Fall war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Vergleich dazu werden in Österreich die Landwirte
gerade im steuerlichen Bereich entlastet. Es bleibt das
Geheimnis des Landwirtschaftsministers Funke, wie
durch diese Politik unsere Bauern wettbewerbsfähiger
gegenüber ihren europäischen Kollegen werden sollen.

In keiner Rede vor dem Deutschen Bundestag – dar-
um bedauere ich auch, daß er heute nicht hier ist – hat er
sich bisher mit den Zukunftsängsten unserer Bäuerinnen

Albert Deß






(B)



(A) (C)



(D)


und Bauern auseinandergesetzt. Mit kabarettreifen Auf-
tritten, mit Bibelzitaten und höhnischen Bemerkungen
wird er seiner Verantwortung als Bundeslandwirt-
schaftsminister nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ehrlich gesagt, ich habe dies von ihm auch nicht erwar-
tet. Von jemandem, der während seiner Amtszeit als
Minister in Hannover eine Halbierung des niedersächsi-
schen Agrarhaushaltes mitgetragen hat,


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Eben!)

können die bundesdeutschen Bauern nicht erwarten, daß
er ihre Interessen hier in Bonn vertritt.

Ich fordere aber auch die Verbraucher auf, daß sie ge-
rade im Angesicht der Skandale, die wir erleben, kriti-
scher einkaufen. Auch die Lebensmittelkonzerne sind
aufgefordert, endlich mit dem brutalen Preisdruck ge-
genüber den Erzeugern der Land- und Ernährungswirt-
schaft aufzuhören.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Ach, guck!)


Der Handel hat nichts davon, wenn das Vertrauen der
Verbraucher in die angebotenen Lebensmittel schwin-
det. Wenn die Handelsunternehmen gezielt Qualitäts-
produkte einkaufen und ihrerseits dazu beitragen, bei
den Kundinnen und Kunden Qualitäts- und Herkunfts-
bewußtsein zu schärfen, ist das zum Nutzen aller.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die
CDU/CSU-Fraktion wird auch in Zukunft die Interessen
der bäuerlichen Landwirtschaft mit Nachdruck vertreten.
Daß die Bauern wissen, daß deren Interessen bei uns
besser aufgehoben sind, haben sie auch bei der Wahl am
vergangenen Sonntag zum Ausdruck gebracht. Ich
komme aus einer Gemeinde, in der überwiegend Land-
wirte – vor allem solche im Nebenerwerb – wohnen.
Dort betrug das Wahlergebnis am vergangenen Sonntag
für die CSU 94 Prozent,


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


alle anderen Parteien sind an der 5-Prozent-Hürde ge-
scheitert.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so wie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404500800
Für die SPD-
Fraktion hat nun das Wort die Kollegin Waltraud Wolff.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1404500900
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge-
ehrter Herr Kollege Deß! Ihre Angriffe auf den Bun-
desminister Karl-Heinz Funke und die Aussagen über
ihn, das sei wohl lächerlich und er habe nichts geschafft,
will ich kurz aufgreifen. Ich will verdeutlichen, daß das

nicht der Fall ist. Außerdem möchte ich folgende kleine
Bemerkung machen: Wenn Sie hier von Wendehälsen
reden, dann sollten Sie vielleicht erst einmal in Ihre
eigene Partei schauen. Im Osten Deutschlands gibt es
nämlich dort die meisten Wendehälse.


(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Damit ihr nicht in Verdacht kommt, koaliert ihr mit der PDS!)


Aber jetzt zum Agrarbericht.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Durch die Koalition mit der PDS sind sie über jeden Verdacht erhaben!)


Wenn man den Agrarbericht 1999 liest, ist ein roter Fa-
den klar erkennbar: die Agenda 2000. Die Verhandlun-
gen waren langwierig, hart, und sie bewegen auch heute
noch die Bauern. Aber sie waren erfolgreich. Mit der
Einigung auf das Agenda-2000-Paket am 25. März gibt
es jetzt Planungssicherheit für alle Bauern in Nord und
Süd, in Ost und West, und das bis in das Jahr 2006.


(Beifall bei der SPD)

Die Interessen der Bauern sind weitgehend berücksich-
tigt worden.

Ich will Ihnen die Ergebnisse für die neuen Bundes-
länder verdeutlichen. Dank der Verhandlungsführung
von Bundesminister Funke sind wichtige Belange der
Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sach-
sen-Anhalt, Sachsen und Thüringen durchgesetzt wor-
den: Erstens ist die größenabhängige zeitliche Degres-
sion der Ausgleichszahlung verhindert worden, zweitens
braucht die 90-Tiere-Grenze nicht eingeführt zu werden,
und drittens sind die 150 000-Hektar-Grundflächen dau-
erhaft zugewiesen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundesregierung wird keine Modulation der

Ausgleichszahlungen vornehmen, und sie wird auch
nicht die 90-Tiere-Grenze einführen. Das heißt, es gibt
eine Chancengleichheit für die landwirtschaftlichen Be-
triebe in Mitteldeutschland.


(Lachen des Abg. Ernst Burgbacher [F.D.P.])

– Sie brauchen gar nicht zu lachen. – Auch für die hier
typischen Großbetriebe sind die europäischen Direkt-
zahlungen gesichert.

Die neuen Bundesländer bleiben Ziel-1-Gebiet
und erhalten insgesamt 20 Millionen Euro, das sind
2,85 Milliarden Euro jährlich – ich hatte mich bei den
20 Millionen Euro versprochen, aber kein Mensch hat
dazwischengerufen, es sind 20 Milliarden Euro – und
zirka 350 Millionen Euro pro Jahr mehr als bisher. Ost-
berlin wird als ausscheidendes Ziel-1-Gebiet eine Über-
gangsunterstützung in Höhe von 729 Millionen Euro er-
halten. Das ist ein großer Erfolg! Nun müssen diese gu-
ten Voraussetzungen in den nächsten Jahren zielstrebig
umgesetzt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Albert Deß






(A) (C)



(B) (D)


Die Verordnung des Europäischen Ausrichtungs- und
Garantiefonds für die Landwirtschaft bildet den inhaltli-
chen Rahmen für die ländliche Entwicklung insgesamt,
also auch für die Ziel-1-Gebiete. Mittel in Höhe von zir-
ka 4,35 Milliarden Euro stehen über die Abteilungen
Garantie und Ausrichtung zur Verfügung.

In den neuen Bundesländern werden diese Mittel für
die flankierenden Maßnahmen und die Ausgleichszah-
lungen verwendet. Die Fördermöglichkeiten wurden
deutlich ausgebaut und eigenständige Förderung der
ländlichen Entwicklung in die Zuständigkeit der Agrar-
ressorts gegeben.

Es steht zweifellos fest, daß es in Zukunft mehr Risi-
ken, aber auch mehr unternehmerische Freiheit geben
wird. Ich denke, daß unsere Landwirte, die seit der
Wende zehn Jahre lang viele Dinge meistern mußten,
auch diesen Übergang bewältigen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Viele Landwirte sagten mir bei Veranstaltungen in
Sachsen-Anhalt, daß es nach dem Beschluß zum Agen-
da-2000-Paket zwar gilt, den Gürtel enger zu schnallen,
aber sie könnten doch sicher in die Zukunft planen.
Deshalb, denke ich, muß endlich Schluß sein mit der
Schwarzmalerei, wie Sie, Herr Deß, sie gerade betrieben
haben.


(Beifall bei der SPD)

Es muß Schluß damit sein, daß Sie ständig den Bauern
ein schlechtes Gewissen einreden und Schwarzmalerei
betreiben.


(Albert Deß [CDU/CSU]: 94 Prozent sind Schwarzmalerei?)


– Nein, überhaupt nicht. – Sie müssen damit aufhören,
zu sagen, die Landwirtschaft steht am Abgrund. Das
stimmt nicht.

Ich möchte an dieser Stelle den Staatsminister für
Umwelt und Landwirtschaft des Landes Sachsen, Herrn
Dr. Jähnichen, zitieren. Er hat nach der Agrarminister-
konferenz in Ludwigsburg am 12. März, auf der es keine
Einigung gegeben hat, am 23. März einen Brief an Bun-
desminister Funke geschrieben, in dem steht:

Ich danke Ihnen ausdrücklich für die Lösung exi-
stentiell wichtiger Probleme der ostdeutschen
Landwirtschaft, für die ich mich in der Vergangen-
heit mit ganzer Kraft eingesetzt habe, und kann
Ihnen versichern, daß ich bei der Umsetzung der
Vorschläge jederzeit zu einer engen und vertrau-
ensvollen Zusammenarbeit bereit bin.

Das sagt ein sächsischer Staatsminister.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Detlev von Larcher [SPD]: Der wird aus der CDU ausgeschlossen!)


Mit der konsequenten Haltung unseres Bundesmi-
nisters bei den Beschlüssen des Reformpakets sind die
Weichen für die deutsche Landwirtschaft zum Positiven
gestellt, und gleichermaßen ist Kompromißfähigkeit

bewiesen worden. Die Bauern im Lande – ich denke,
alle Bauern – und durch die Bank, behaupte ich, alle
Agrarpolitiker wußten, daß nicht alles beim alten blei-
ben kann.

Ich verstehe die Europäische Gemeinschaft als eine
Solidargemeinschaft. Ich denke, daß der Solidargedan-
ke des Agendawerks auch von uns Zugeständnisse er-
forderlich macht. Vertritt jedes Land eigennützig nur
seine eigenen Interessen, dann brauchen wir uns meiner
Meinung nach nicht an einen gemeinsamen Tisch Euro-
pa zu setzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Politik erfordert Kompromißbereitschaft, und dazu müs-
sen auch wir unseren Beitrag leisten.

Nachdem wichtige ostdeutsche Belange Berücksich-
tigung gefunden haben, liegt es an den Betrieben selbst,
diese guten Voraussetzungen zu nutzen und so zur mo-
dernsten Landwirtschaft Europas zu werden.

Lassen Sie mich jetzt noch einmal kurz den Solidar-
gedanken aufgreifen. Ich habe zu den Ergebnissen der
Europawahl vom vergangenen Wochenende eine ganz
andere Meinung als die bisher geäußerte. Die geringe
Wahlbeteiligung ist für mich sehr erschreckend gewe-
sen. Wir als Politikerinnen und Politiker stehen in der
gesellschaftlichen Verantwortung, hier europäische
Politik transparent zu machen und unsere Bevölkerung
einzubeziehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Zuruf von der CDU/CSU: Eine vernünftige Politik muß gemacht werden!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404501000
Dies war die erste
Rede der Kollegin Wolff im Bundestag. Unsere herzli-
che Gratulation!


(Beifall)

Nun hat für die F.D.P.-Fraktion der Kollege Ulrich

Heinrich das Wort.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1404501100
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! In der Broschüre „Land
und Forstwirtschaft in Deutschland – Daten und Fakten“
sind unter anderem auch die Ziele der Agrarpolitik der
Bundesregierung dargestellt. Ich zitiere aus dieser Bro-
schüre:

… die Entwicklung einer wettbewerbsfähigen und
umweltverträglichen Land- und Forstwirtschaft und
Ernährungswirtschaft voranbringen zu wollen.

Dieses agrarpolitische Ziel ist auch unser Ziel. Zwar
werden die Probleme der Landwirtschaft in dieser Bro-
schüre hervorragend aufbereitet. Sie ist deshalb sehr gut
auch für Nichtlandwirte geeignet, die sich informieren
wollen. Deshalb möchte ich mich besonders bei den Per-
sonen bedanken, die diese Broschüre erarbeitet haben.
Mit ihr kann man wirklich etwas anfangen.

Waltraud Wolff (Zielitz)







(B)



(A) (C)



(D)


Der Anspruch aber, der in dieser Broschüre postu-
liert wird, und die Wirklichkeit klaffen meilenweit
auseinander. Deshalb möchte ich den von mir eben
zitierten Halbsatz etwas genauer analysieren und etwas
tiefer in die konkrete Agrarpolitik einsteigen. Ich
möchte mit der Agenda 2000 anfangen. Als Ratsvor-
sitzender und als Mitglied der Bundesregierung hatte
Herr Funke natürlich das Interesse, das ursprüngliche
Paket, das im Rahmen der Agenda 2000 geschnürt
worden ist, vom Tisch zu bekommen. Das hat er auch
geschafft. Aber der Beschluß ist dennoch eher beschei-
den ausgefallen. Wer diesen bescheidenen Beschluß
auch noch lobt und so tut, als würde er der deutschen
Landwirtschaft eine Perspektive eröffnen, mit der sie
auch in der Zukunft erfolgreich auf den Märkten sein
könnte, der sollte sich zuerst einmal die eigenen Zahlen
verinnerlichen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Herr Staatssekretär hat das gerade eben getan. Er

hat den Abschluß der Agenda 2000 als brauchbare
Grundlage für die Zukunft bezeichnet.


(Detlev von Larcher [SPD]: Recht hat er!)

Ich sage dagegen, daß dieser Abschluß keine brauchbare
Grundlage ist. Ich erkläre Ihnen auch, warum. Selbstver-
ständlich brauchen wir eine Agrarreform. Auch wir
konnten und wollten nicht so weitermachen wie bisher.
Es mußte eine Reform eingeleitet werden, allein schon
auf Grund der WTO-Runde, die Ende dieses Jahres be-
ginnt. Aber die Reform, die letztendlich beschlossen
worden ist, sollte nach unserer Auffassung eigentlich
Perspektiven für unsere Bauern eröffnen. Wir Freien
Demokraten lehnen eine Politik ab, die teurer für den
Steuerzahler wird, die die Probleme der WTO nicht an-
geht und die schließlich – das ist das besonders Be-
dauerliche an den Ergebnissen – den landwirtschaft-
lichen Betrieben keine Chancen am Markt eröffnet, son-
dern die Entwicklung der landwirtschaftlichen Einkom-
men in weiten Bereichen ausschließlich von politischen
Entscheidungen abhängig macht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Welches Selbstverständnis hat eigentlich diese Regie-
rung, wenn sie die Agenda 2000 lobt, weil mit ihr an-
geblich das freie Unternehmertum in die Landwirtschaft
Einzug hält?


(Zuruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD])

– Wenn Sie, Herr von Larcher, nichts davon verstehen,
sollten Sie nicht so laut dazwischenrufen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ich verstehe mehr davon als Sie!)


Wissenschaftler, die Sie selber zu Ihren eigenen An-
hörungen eingeladen haben, haben Ihnen bestätigt, daß
die deutsche Landwirtschaft in den Bereichen Milch
und Rindfleisch auf Dauer auf Transferzahlungen an-
gewiesen sein wird und auf Grund der Agenda 2000
nicht in der Lage sein wird, ihr Einkommen auf den
Märkten selber zu erwirtschaften. Genau dieser Fall ist

eingetreten. Das kann für uns überhaupt keine Zukunft
bedeuten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Landwirte sind Unter-
nehmer und wollen nicht am Tropf der Steuerzahler
hängen und in ihrer erfolgreichen Bewirtschaftung ihrer
landwirtschaftlichen Betriebe nicht von politischen Ent-
scheidungen in Brüssel oder sonstwo abhängig sein.

Ich übertrage die Wettbewerbsfähigkeit, die an-
fänglich so gut klingend in der Broschüre dargestellt
worden ist, noch einmal auf die nationale Agrarpolitik.
Lassen Sie mich nur einige Punkte herausnehmen. Der
erste ist die Gasölverbilligung. Wir sind heute schon auf
Grund bestehender Gesetze im Wettbewerb gegenüber
Frankreich im Nachteil. Das macht sich bei einem
50-Hektar-Betrieb schon bemerkbar. Wissen Sie, wie-
viel das Ganze ausmacht? Nach heutiger Regelung
macht das bei einem 50-Hektar-Betrieb im Schnitt sage
und schreibe 2 400 DM aus. Jetzt nehmen Sie die Ver-
billigung einmal weg, dann haben Sie genau das Dop-
pelte. Dann belasten Sie diesen Betrieb im Wettbewerb
mit Frankreich – nicht mit außereuropäischen Ländern –
mit sage und schreibe 5 000 DM.

Es kommt noch dazu, daß unser Pflanzenschutzgesetz
natürlich das strengste ist. Wenn wir von Wettbewerbs-
fähigkeit reden, müssen wir auch dies berücksichtigen.
Wir belasten unsere deutschen Landwirte – gehen wir
von genau diesem 50-Hektar-Betrieb aus, der 20 Hektar
Mais anbaut – mit zusätzlich über 2 000 DM. Das sind
round about schon 7 000 DM.

Dann haben Sie Ihre glorreiche Ökosteuer eingerich-
tet. Wenn Sie die Petersberger Beschlüsse zitieren, Herr
Staatssekretär, dann vergessen Sie immer den einen Teil
total, nämlich den der Steuersenkung. Wir hatten keine
Ökosteuer in dieser Form in den Petersberger Beschlüs-
sen drin. Die Petersberger Beschlüsse belasten diesen
Betrieb natürlich auch noch einmal mit 1 000 DM.

Es geht weiter bei der Umsatzsteuer. Willkürlich ha-
ben sie 1 Prozent bei der Umsatzsteuer weggenommen.
Einem Betrieb – das Beispiel eines 50-Hektar-Betriebs
ist nicht von ungefähr, es entspricht in etwa meinem
Betrieb zu Hause –, der etwa einen Umsatz von einer
halben Million DM hat, nehmen Sie durch das Streichen
des 1 Prozent der Umsatzsteuer noch einmal 5 000 DM
weg.

Meine Damen und Herren, jetzt sind wir schon bei
über 10 000 DM, die den Wettbewerb zu Lasten der
deutschen Bauern innerhalb Europas verzerren. Im Ge-
gensatz dazu steht die Überschrift in dieser Broschüre.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen meilenweit ausein-
ander.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir lehnen es ab, im Haushalt weitere Kürzungen

hinzunehmen. Wir haben einen Haushalt, der zu über
zwei Drittel aus Sozialem besteht, und das nicht, weil
der einzelne Landwirt zuviel Geld bekommt, sondern
weil der Einzelplan 10 den Strukturwandel finanzieren

Ulrich Heinrich






(A) (C)



(B) (D)


muß, den die Landwirtschaft durchmacht. Das müssen
wir doch einmal erkennen. Die 900 Millionen DM für
die Berufsgenossenschaft rühren doch aus der „alten
Last“. Die Defizithaftung des Bundes bei der Alters-
sicherung der Landwirte betrifft im Haushalt den Ein-
zelplan 10, nicht den Sozialhaushalt. Wer dann anfängt,
im sozialen Bereich streichen zu wollen, der muß einmal
begründen, wieso er so vorgehen will. Ich sage Ihnen
eines: Wir machen dieses Spielchen nicht mit.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie jetzt die Beiträge zur Berufsgenossenschaft
abermals absenken wollen – man weiß ja noch nicht,
was kommen wird, wie man so schön sagt; wir sind sehr
gespannt –, dann belasten Sie die aktiven Landwirte im
Wettbewerb innerhalb Europas noch einmal. Das kön-
nen und wollen wir auf keinen Fall akzeptieren.

Lassen Sie mich noch einmal auf die aktuelle Situa-
tion eingehen. Herr Staatssekretär, ich war schon erstaunt,
daß Sie Dioxin mit der Agrarpolitik in Zusammenhang
gebracht haben. Entweder habe ich es völlig falsch ver-
standen, oder ich bin auf dem falschen Dampfer.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das sind Sie! Das haben wir schon die ganze Zeit über bemerkt!)


Hier geht es um ein verbrecherisches Unternehmen: Es
wurden hochgiftige Öle, die normalerweise auf eine Son-
dermülldeponie gehören, nicht aus Versehen, sondern
bewußt und absichtlich eingemischt. Wer nun aber diesen
Vorfall zum Anlaß nimmt, Dioxin mit der Agrarpolitik in
Zusammenhang zu bringen, der verunsichert erst recht die
Bürger und Verbraucher. Meine Damen und Herren, was
hier gemacht wird, ist unverantwortlich.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sprechen Sie doch statt dessen von dem verbrecheri-
schen Tun einiger Weniger, denen wir auf die Finger
hauen müssen.

Dann geht es noch um die Informationspflicht der
Staaten gegenüber der Europäischen Union. Auch den
Regierungen müssen wir auf die Finger klopfen, seien es
nun Freunde oder nicht so enge Freunde. Hier darf
nichts unter den Teppich gekehrt werden, hier muß
wirklich Klartext gesprochen werden; denn es geht um
die Gefährdung der Gesundheit unserer Mitbürgerinnen
und Mitbürger.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich hätte mir eigentlich gewünscht,
daß Sie hier sagen, die logische Konsequenz aus dem
Dioxin-Skandal sei, auf regionale Produkte, auf deut-
sche Produkte zurückzugreifen. Dann hätten die Men-
schen Gewißheit, mit solchen Dingen nicht konfrontiert
zu werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das ist jetzt der Werbeblock!)


– Lieber Herr Vorsitzender Gerhardt, der Werbeblock
geht weiter, um Informationen zu transportieren, die

wichtig sind und über die die Menschen leider Gottes
immer weniger verfügen.

Auch was Coca-Cola angeht, ist einiges nicht in Ord-
nung. Wenn die Softdrinks so in Verruf kommen, dann
müssen wir uns doch fragen, was denn die Ernährungs-
industrie unserer Bevölkerung auf den Tisch stellt.


(Unruhe bei der SPD)

– Verbraucherschutz wird in meiner Fraktion sehr groß
geschrieben, und ich wundere mich, daß Sie von der
SPD-Fraktion hier über meine Aussagen lästern. Ich
wundere mich wirklich über die SPD-Fraktion, die, als
sie in der Opposition saß, den Verbraucherschutz selbst
in Bereichen hochgehalten hat, die mit Verbraucher-
schutz gar nichts mehr zu tun hatten. Aber hier, wo wir
definitiv Aussagen zum Verbraucherschutz machen
können, begleiten Sie sie mit Hohngelächter.

Die Konsequenz der Vorfälle bei Coca-Cola kann
sein, auf Apfelsaft auszuweichen. Sie kann aber auch
eine bessere Kontrolle sein. Hier sind wirklich Kontrol-
len angesagt. Einen Dioxinskandal können Sie mit
Kontrollen nicht vermeiden. Aber bei dieser Form der
Gefährdung unserer Lebensmittel wäre mit Kontrollen
sehr viel zu erreichen.

Lassen Sie mich zum Schluß – der Herr Präsident
signalisiert mir, daß meine Redezeit zu Ende ist – ein-
deutig und klar feststellen: Die F.D.P. steht auf der Seite
der Landwirtschaft.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Sie steht auf der Seite der unternehmerischen Landwirt-
schaft, die ihr Einkommen am Markt erwirtschaften und
nicht von Gottes Gnaden, von der Politik abhängig sein
will.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404501200
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat nun Kollegin Ulrike Höfken
das Wort.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404501300
Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her-
ren! Wenn Herr Heinrich behauptet hat, die F.D.P. stehe
auf der Seite der Landwirtschaft, dann ist es sicherlich
an der Zeit, einmal Bilanz zu ziehen.

Herr Deß, Sie haben sich darüber beklagt, daß hier
Minister fehlen. Aber wo waren Sie denn gestern wäh-
rend der Ausschußsitzung?


(Albert Deß [CDU/CSU]: Ich mußte bei der Landesgruppe sein!)


Zwei Abgeordnete der CDU/CSU haben da gesessen, als
die Agenda 2000 das Thema von 17 geladenen Experten
war. Das war das große Interesse der CDU/CSU!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ulrich Heinrich






(B)



(A) (C)



(D)


Auch wenn es nicht direkt zum Agrarbericht gehört,
möchte ich darauf hinweisen, daß dies jetzt meine Ab-
schiedsrede von Bonn sein wird. Ich bin schon ein biß-
chen traurig, daß wir eine grüne Stadt am Rhein, ein
volksnahes Parlament verlassen. Zum Abschied winkt
uns allerdings der Schürmann-Bau als Hinterlassen-
schaft der Wirtschaftspartei F.D.P.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ein blöderes Beispiel gibt es ja nicht!)


Nichts gegen Berlin; Berlin ist auch schön. Aber „dat
kost“. Als Abgeordnete der nächsten Generation darf ich
sicherlich auf die 20 Milliarden DM hinweisen, die für
den Berlin-Umzug ausgegeben werden. Alle Einspar-
vorschläge unserer Fraktion sind hartnäckig mißachtet
worden. Wer die Musik bestellt, der muß auch bezahlen.
Nun steht das Orchester auf der Bühne, und die Rech-
nungen sind – wie viele andere – noch offen.

Wi
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1404501400
Von 340 Milliarden
DM 1982 auf 1,5 Billionen DM – eine unglaubliche
Zahl. Kann sich das jemand vorstellen? Unsere Steuer-
zahler müssen jede vierte Mark nicht für die Tilgung,
sondern für die Zinsen ausgeben. Herr Ulrich Heinrich,
es sollte wohl offensichtlich sein, daß Handlungsbedarf
besteht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ihr müßt doch jetzt die Renten kürzen!)


Sehr geehrte Damen und Herren besonders von der
CDU/CSU und der F.D.P., in den Agrarbereich sind die-
se Milliarden jedenfalls nicht geflossen, ganz im Ge-
genteil. Der Agrarhaushalt wurde in der Regierungszeit
der alten Bundesregierung gerupft und gerupft: seit 1991
minus 16,8 Prozent. Besonders wurde die GA – die
Gemeinschaftsaufgabe – geplündert. Sie war die einzi-
ge Möglichkeit, investiv zu unterstützen, Wirtschafts-
spielräume und neue Handlungsspielräume zu eröffnen.
Zu Lasten der Landwirtschaft und zu Lasten der länd-
lichen Räume wurden Mittel für die Gemeinschaftsauf-
gabe von 2,6 Milliarden DM 1983 auf 1,7 Milliarden
DM 1998 gekürzt. Die Kürzung lag also bei fast 1 Mil-
liarde DM.

Gleichzeitig gingen die Komplementärmittel verlo-
ren. Wenn man das anspricht, entgegnen Sie immer so-
fort: Die Bundesländer wollen ja nicht usw., usf. Aber
das ist doch nicht das Problem. Sie haben ihnen die
Komplementärmittel genommen und damit im übrigen
auch die Möglichkeiten, auf EU-Mittel zuzugreifen. Es
handelt sich um Komplementärmittel von über 1,2 Mil-
liarden DM. So sieht Ihre Bilanz aus. Darauf sollten Sie
wahrhaftig nicht stolz sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Ergebnisse dieser Agrarpolitik lassen sich auch
im Agrarbericht oder in den Situationsberichten des
Bauernverbandes ohne weiteres nachlesen: Arbeits-
platzvernichtung in einem hohen Ausmaß – über eine
halbe Million Arbeitsplätze sind in der Landwirtschaft

verlorengegangen, eine große Zahl von Betrieben mußte
aufgeben. Herr Deß, darauf sind Sie doch nicht etwa
auch noch stolz? Sie haben den Bauern und ebenfalls
dem ländlichen Raum die Perspektive genommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist nun Aufgabe der neuen Regierung, eine neue
Weichenstellung vorzunehmen. Mit der Kritik an der
Agenda 2000 übertünchen Sie doch nur Ihre eigene Un-
fähigkeit, diese Fehlentwicklungen aufzuhalten. Die
Agenda ist in der ersten Säule ganz klar die Fortsetzung
Ihrer Politik der Agrarreform von 1992, nämlich eine
Politik der Preissenkung und des staatlichen Ausgleichs.
In der zweiten Säule, die wir und im übrigen auch die
Kommission unterstützt haben, hat die Agenda 2000
durch Ihre Bundesregierung und durch Ihren Minister
überhaupt keinen Rückhalt erfahren. Sie haben auf ein
„Weiter so“ gesetzt. Sie haben sehenden Auges das
Schiff an den Eisberg gefahren. Minister Funke hat
einen Kompromiß geschaffen, er hat die Situation ent-
schärft, und dafür ist er zu unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was Sie hier machen, ist reiner Populismus und
Wählertäuschung. Auf Dauer trägt auch diese Strategie
nicht. Die Agenda 2000 ist nicht die Ursache, sondern
das Ergebnis einer falschen Agrarpolitik der letzten
Jahrzehnte. Was wir machen, ist der Ansatz der Kor-
rektur und eine Erneuerung.

Das ist auch das Ergebnis der Anhörung gestern.
Auch Ihre eigenen Experten haben deutlich gemacht,
was es in den letzten Jahrzehnten und insbesondere in
den letzten Jahren Ihrer Bundesregierung für einen Re-
formstau gegeben hat. Selbstverständlich habt ihr jetzt
eine komfortable Rolle. Wir müssen die Suppe auslöf-
feln, die ihr uns eingebrockt habt. Wir müssen den
Schmutz wegräumen, den Sie gemacht haben; aber dafür
müssen Sie die Verantwortung übernehmen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die alte Bundesregierung, die abgelöste Firmenleitung,
hätte Konkurs anmelden müssen.

Zum Agrarbericht. Die noch gestern getroffene Be-
wertung hinsichtlich der Subventionspolitik ist doch in-
teressant. Nach wie vor kommen allenfalls 50 Prozent,
eher noch 40 Prozent der Subventionen in der Landwirt-
schaft an. Herr Professor Wolffram hat das „Diebstahl“
genannt. Es handelt sich um Geldverschwendungs- bzw.
Geldvernichtungspolitik zu Lasten der Steuerzahler. Es ist
doch nicht die Aufgabe, eine solche Politik weiterzufüh-
ren, sondern vielmehr, etwas ganz anderes zu tun, näm-
lich dafür zu sorgen, daß neue Rahmenbedingungen ge-
schaffen werden, die nicht auf einer solchen Art von staat-
lichen Leistungen oder eben Nichtleistungen bestehen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404501500
Kollegin Höfken, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?

Ulrike Höfken






(A) (C)



(B) (D)



Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404501600
Ja.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1404501700
Verehrte Frau Kollegin
Höfken, Sie haben gerade eben Professor Wolffram zi-
tiert. In der Tat, die Zitate waren richtig. Aber würden
Sie bitte zur Kenntnis nehmen und bestätigen wollen,
daß sich diese Aussagen auf die verabschiedete Agenda
2000 und auf ihre Wirkung bezogen haben?


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404501800
Das
war alles?


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das war alles!)

Ich will nur sagen, daß genau diese Agenda 2000 das

ist, was Sie politisch letztendlich immer gewollt haben.
1992 haben Sie die Grundlagen geschaffen; das ist die
Fortsetzung, und es hat kein einziges Konzept und kei-
nen Gegenvorschlag dieser Bundesregierung gegeben.
Das ist nichts anderes als die reine Wahrheit. Nichts an-
deres haben Sie gewollt, sondern Sie haben auf ein
„Weiter so“ gesetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Zukunft kommt es nun darauf an, die Akzente

neu zu setzen und die Rahmenbedingungen für die zu-
kunftsfähigen Wirtschaftsweisen neu zu gestalten.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404501900
Kollegin Höfken,
Herr Kollege Heinrich will noch einmal nachfragen.


(Zuruf von der F.D.P.: Sie sollen sich steigern können!)



Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404502000
Ja.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1404502100
Frau Kollegin Höfken, es
geht heute auch um die Bewertung der Agenda 2000.
Herr Staatssekretär hat sie als eine brauchbare Grundla-
ge bezeichnet und hat sie gelobt. Sie gehen jetzt sehr,
sehr kritisch mit der Agenda 2000 um, bzw. Sie teilen
die Kritik der Professoren an der Agenda 2000. Die
Agenda 2000 wurde in Berlin unter der Ratspräsident-
schaft der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet.
Teilen Sie die Auffassung der Bundesregierung, oder
teilen Sie die Auffassung der Bundesregierung nicht?


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404502200
Es
ist ein Unsinn, hier zu erzählen, die Agenda 2000 sei ein
Kind dieser rotgrünen Bundesregierung. Es war nur die
Aufgabe und auch nur die Möglichkeit dieser Bundes-
regierung, hier korrigierend und unterstützend in die
zweite Säule, wo es positive Ansätze gibt, hineinzuwir-
ken, und nicht, die Politik fortzusetzen, die in der ersten
Säule angelegt worden ist. Das war einzig und allein
Ihre Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es geht jetzt darum, daß es gesunde und rückstands-
freie Nahrungsmittel gibt, das heißt, die Nachfrage der

Verbraucher und die Anforderungen der Gesellschaft zu
erfüllen. Die Skandale kosten doch mehr Geld, als durch
Subventionen je ausgeglichen werden kann. Nicht die
Bauern sind dabei die Hauptschuldigen – damit diese
Unterstellung nicht wieder kommt –, sondern diese Art
von Agrarpolitik, die zum Beispiel in den Futtermehl-
skandalen ihren Höhepunkt findet.

Wir werden alles daran setzen, die Ökologisierung
der Produktion und die regionale Produktion durch die
Herkunftskennzeichnung, die immer noch nicht umge-
setzt wird, durch die Förderung von regionaler Verar-
beitung und Vermarktung, durch eine Förderung der
ökologischen Landwirtschaft, die Stärkung der Agrar-
umweltprogramme und eine entsprechende Absicherung
der Gemeinschaftsaufgabe zu unterstützen, die wir nicht
so rupfen werden, wie Sie das getan haben.

Zum zweiten geht es darum, die Umwelt zu erhalten.
Gesellschaftliche Leistungen müssen honoriert werden.
Auch hier haben wir einen Ansatz geliefert. Ich meine
wirkliche, nachvollziehbare Leistungen; es dürfen nicht
nur scheinbare Leistungen sein. Wir werden dazu die
Agenda 2000 und die Gemeinschaftsaufgabe nutzen.
Das Förderprogramm für erneuerbare Energien ist ein
Ansatzpunkt, hier Einkommenswirkungen zu erzielen,
Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen und auch die Natur
und die Umwelt zu schützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das hilft den Bauern!)


Zum dritten geht es um die artgerechte Tierhaltung.
Auch das ist eine Nachfrage dieser Gesellschaft, die
nicht ausreichend befriedigt wurde. Auch hier werden
wir die Abschaffung der Käfighaltung anstreben, die
Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung unterstüt-
zen und durch eine Verbesserung der Haltungsverord-
nung endlich die große Nachfrage nach tiergerechten
Produktionen befriedigen. Das ist eine Nachfrage, die
auch bezahlt wird. Die bisherige Agrarpolitik und die
Strategie des Bauernverbandes haben diese kaufkräftige
Nachfrage niemals befriedigt.

Ich will nur einen Satz zum Thema Wettbewerbsfä-
higkeit sagen. Es geht um die Milchpolitik. Diese Bun-
desregierung wird jetzt regelrecht mit Drohungen er-
preßt, es werde geklagt werden, wenn man etwa den
Eigentumswert der Quote unterlaufen wolle. Dieser
Eigentumswert – das muß man sagen – wurde einmal
durch eine staatliche Zuteilung geschaffen. Auf diese
Seite schlagen Sie sich jetzt. Das nennen Sie auch noch
Marktmodell. Da müßte der F.D.P. doch eigentlich die
Zunge im Mund gebrechen! Was man damit will, ist, ein
durch staatliche Zuteilung erfolgtes Privileg zu verteidi-
gen. Nur das läßt sich zu den Punkten Wettbewerb und
Kostenreduzierung sagen.

Man kann den Hund nicht zum Jagen tragen, und man
kann die Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen. Aber
nichtsdestotrotz muß man feststellen: Wenn ein Erfolg
unserer Koalition auf diesem Gebiet nicht möglich ist,
dann haben die Bauern das Ihnen und dem Bauernver-
band zu verdanken, der nicht bereit ist, eine Reform an-
zugehen, sondern der in puncto Wettbewerbsfähigkeit






(B)



(A) (C)



(D)


und Belastungen der Bauern alles so lassen will, wie es
ist.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie erzählen genau das Gegenteil der Kollegin Wolff!)


Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, daß es zu
einer realen Stärkung der aktiven Betriebe kommt. Falls
das von uns Geplante nicht zustande kommen sollte,
dann liegt das in Ihrer Verantwortung.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404502300
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich das Wort dem Kollegen Gerald Thal-
heim.


Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1404502400
Vielen Dank, Herr
Präsident! Herr Kollege Heinrich, Sie haben mir den
Vorwurf gemacht, daß ich in meiner Rede einen
Zusammenhang zwischen dem Dioxinskandal und der
Agrarpolitik hergestellt habe. Diesen Vorwurf möchte
ich ausdrücklich zurückweisen.

Erstens. Wenn Sie richtig zugehört hätten, dann hät-
ten Sie erkennen können, daß der Kollege Deß die glei-
che These vertreten hat.


(Lachen bei der F.D.P.)

Wenn ich mich richtig erinnere, haben alle durch Beifall
zugestimmt.

Zweitens. Ihr Vorwurf stimmt auch in der Sache
nicht. Natürlich gibt es diesen Zusammenhang. Wir ha-
ben im Bereich der landwirtschaftlichen Produkte einen
fast ruinösen Preiswettbewerb, der am Ende natürlich zu
solchen Skandalen, wie wir sie gegenwärtig in Belgien
erleben, führt.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sondermüll zu beseitigen hat doch mit Preiswettbewerb nichts zu tun!)


Wenn Sie, Herr Kollege Heinrich, meine Rede richtig
verfolgt hätten, dann hätten Sie in Erinnerung behalten,
daß ich ausgeführt hatte: Die Marktbeteiligten müssen
sich entscheiden, ob künftig Qualität und Sicherheit oder
ob weiterhin niedrige Preise im Vordergrund stehen
sollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke, Sie haben das gleiche gesagt. Wir werden das
Ziel, daß Qualität und Sicherheit im Vordergrund ste-
hen, nur erreichen, wenn wir gemeinsam dafür eintreten
und nicht versuchen, mit billiger Polemik Punkte zu ma-
chen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404502500
Herr Kollege Hein-
rich, wollen Sie reagieren? – Bitte.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1404502600
Herr Staatssekretär, ich
hätte mich gefreut, wenn ich mich verhört hätte. Dann
hätte ich alles zurückgenommen. Dann wäre die Sache
erledigt gewesen.

Da Sie aber den Dioxinskandal mit der Höhe der Le-
bensmittelpreise bzw. mit der in der Landwirtschaft be-
stehenden Situation eines starken Preisdrucks in Zu-
sammenhang bringen, war meine Aussage richtig, daß
das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Selbstver-
ständlich beklagen wir alle die bestehende Preisdruck-
situation. Das ist doch gar keine Frage. Das tun wir von
morgens bis abends, und wir versuchen, dagegen anzu-
gehen.

Das aber, was in Belgien stattgefunden hat, betraf die
Beseitigung von Sondermüll, was normalerweise 2 000
DM pro Tonne kostet. Wenn ich diesen Sondermüll dem
Futtermittel beigebe, dann habe ich sogar noch einen
Vorteil. Das war die eigentliche Ursache, und dies hat
mit der Preisdrucksituation überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404502700
Für die PDS-
Fraktion erteile ich das Wort der Kollegin Kersten
Naumann.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1404502800
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Berichte und Unter-
richtungen der Bundesregierung werden vorgelegt, um
sich mit der Politik kritisch auseinanderzusetzen. Ich
hätte deshalb von meinen Vorrednern aus der CDU/CSU
und der F.D.P. eine selbstkritische Einschätzung bezüg-
lich der Agrarpolitik erwartet.


(Beifall bei der PDS – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das haben wir im ersten halben Jahr der Opposition getan!)


Zur Bilanz des Agrarberichtes gehört, daß in der
deutschen Landwirtschaft der langjährige Trend der Sta-
gnation, ja sogar des sogenannten negativen Wachstums
anhält. Deutlicher Ausdruck dafür ist die rückläufige
Entwicklung der Nettowertschöpfung von 3,6 Prozent.
Ein Wachstum der landwirtschaftlichen Produktion wäre
durchaus möglich. Dazu müßte allerdings eine Ent-
wicklung gefördert werden, die zum Beispiel zur Ablö-
sung der Futtermittelimporte durch Eigenproduktion
führt. Damit könnte zugleich ein wirkungsvoller Beitrag
zur Bekämpfung des Hungers auf der Welt geleistet
werden.


(Beifall bei der PDS)

Wachstum wäre auch durch die Förderung regionaler

Märkte und des Marketings für ökologisch erzeugte
Produkte möglich. Und schließlich ließe sich eine Stär-
kung des Binnenmarktes durch den weiteren Anbau von
nachwachsenden Rohstoffen und von regenerativen
Energieträgern erreichen.

Ergebnis der Politik der abgewählten Regierung ist,
daß ein weiteres Mal die gesetzliche Verpflichtung des
Landwirtschaftsgesetzes verfehlt wird, den Landwirten

Ulrike Höfken






(A) (C)



(B) (D)


vergleichbare Einkommen zu sichern. In über 80 Pro-
zent der Haupterwerbsbetriebe liegt das Einkommen
unter dem Vergleichseinkommen anderer Berufsgrup-
pen. In etwa der Hälfte der Betriebe verringert sich das
Eigenkapital. Diese Landwirte, meine Damen und Her-
ren, leben von der Substanz. Das sollte einmal dem
Wirtschafts- und Finanzkapital passieren!

Es ist nicht zu erkennen, was die neue Bundesregie-
rung unternimmt, um dem Gewinnrückgang in den
Haupterwerbsbetrieben von 2 bis 6 Prozent im laufenden
Wirtschaftsjahr entgegenzutreten. Sie setzt vielmehr auf
Verdrängungswettbewerb. Außerdem hofft sie auf die
„Leidensfähigkeit der Bauern“, auf die Bereitschaft, den
Gürtel noch enger zu schnallen und auf ein höheres Ein-
kommen zu verzichten.

Eines der gravierendsten Probleme ist – wie man im
Agrarbericht lesen kann – die rückläufige Beschäfti-
gung. Gegenüber 1995 sank in Ost und West die Zahl
der Beschäftigten und die Gesamtarbeitsleistung auf
89 Prozent. Laut Agrarbericht will die Bundesregierung
die Förderung von „alternativen Beschäftigungsmög-
lichkeiten in den ländlichen Räumen“ vor allem durch
„die einzel- und überbetriebliche investive Förderung“
erreichen. Dabei läßt sich doch überall beobachten, daß
Investitionen vor allem der Rationalisierung dienen und
damit Arbeitsplätze vernichten.

Zu den Prozessen, die die Agrarentwicklung bestim-
men, gehört die weitere Öffnung der Preisschere. Wäh-
rend die Preise für Nahrungsgüter seit 1991 auf 109 Pro-
zent und die für Betriebsmittel auf 107 Prozent gestie-
gen sind, fielen die Erzeugerpreise auf 92 Prozent.
Hauptursache für diesen Preisverfall ist die marktbe-
herrschende Stellung der hochmonopolisierten Handels-
ketten und Verarbeitungsbetriebe. Der von der neuen
Bundesregierung verfolgte Kurs der weiteren Liberali-
sierung heizt diesen Prozeß des Preisdiktates und des
ruinösen Konkurrenzkampfes weiter an.

Im Ergebnis der deutschen Einheit sind zwei sehr
unterschiedliche Landwirtschaften aufeinandergetroffen.
Dieser Konflikt ist nicht vorrangig ein Ost-West-
Konflikt, sondern wird zunehmend ein Konflikt zwi-
schen den wettbewerbsfähigen und den nicht wettbe-
werbsfähigen Agrarunternehmen. Auch die neue Bun-
desregierung besitzt kein Konzept zur Überwindung die-
ser wachsenden Konflikte. Sie setzt auf die wettbe-
werbsfähigen Betriebe und überläßt die anderen ihrem
Schicksal. Der Agrarbericht macht deutlich, daß die
Bauern mit der neuen Bundesregierung vom Regen in
die Traufe gekommen sind. Mit der Agenda 2000 hat
sich die Regierung zum Strukturwandel, zur Wettbe-
werbsfähigkeit, zu Weltmarktpreisen und somit – auf
gut deutsch – zum Arbeitsplatzabbau, zum Höfesterben
und zum Abbau des sozialen Sicherungssystems in der
Landwirtschaft bekannt.


(Beifall bei der PDS)

Fast eine halbe Milliarde DM sollen laut Minister

Funke im Agrarhaushalt im Jahr 2000 und 1,4 Milliar-
den DM im Jahr 2003 eingespart werden. Das ist ein
weiterer Beweis dafür, daß die Landwirtschaft dem
Profitsystem untergeordnet wird. Unter diesen Bedin-

gungen werden sich Ihre Sprüche vom „Leitbild nach-
haltig wirtschaftender Betriebe“, von der Herstellung
„möglichst geschlossener Stoffkreisläufe“ und von der
„Erzielung angemessener Einkommen“ als das erwei-
sen, was sie wirklich sind – als bunt schillernde Sei-
fenblasen.

Im Gegensatz zur Bundesregierung stehen wir, die
PDS, zu regionalen Wirtschaftskonzepten und zum
ökologischen Landbau und nicht nur zu „unseren
Strukturen“, wie Herr Minister Funke in seiner Rede am
Freitag behauptet hat. Erstens sind es auch seine Struk-
turen, denn er ist Landwirtschaftsminister von Gesamt-
deutschland, und zweitens vertreten wir ein sozialorien-
tiertes Agrarkonzept, das sehr wohl die kleinbäuerliche
Struktur einbezieht.


(Beifall bei der PDS)

Denn diese Familienbetriebe leisten ebenso ihren Bei-
trag zur Nettowertschöpfung, zur Kulturlandschaftspfle-
ge und zum Erhalt der ländlichen Räume.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber mindestens soviel!)


Mit der Logik des Ministers – die PDS würde nur die
großen Betriebe und Agrargenossenschaften vertreten –
ignoriert er die Familien der Wieder- und Neueinrichter
in den neuen Bundesländern; denn er weiß genauso gut
wie ich, daß selbst diese sich größere Betriebsstrukturen
als Familienbetriebe im Westen aufgebaut haben, um
überleben zu können. Außerdem ist eine Zusammenfüh-
rung von Ökonomie und Ökologie gut möglich – unab-
hängig von Betriebsgrößen –, wenn es politisch und ge-
sellschaftlich nur gewollt ist und entsprechende Rah-
menbedingungen gesetzt werden.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Das haben Sie bis 1990 gemacht!)


Es dürfte auch ihm nicht entgangen sein, daß ökologi-
sche Landbaubetriebe gerade in Mecklenburg-Vorpom-
mern und Brandenburg Flächen in Größenordnungen
von unter 100 Hektar bis über 1 000 Hektar bewirt-
schaften.

Meine Damen und Herren, die PDS hat sich in ihrem
Entschließungsantrag für eine Änderung der Agrarpo-
litik ausgesprochen, erwartet aber eine Qualifizierung
des Berichtes. Dazu gehört für uns, die Vergleichbarkeit
von Daten über einen längeren Zeitraum zu sichern, zum
Beispiel in der Einkommensentwicklung, die differen-
zierte Entwicklung in der Landwirtschaft in Ost und
West weiterhin zu dokumentieren und die Entwicklung
der Eigentumsformen, der Betriebsgrößen und Struktu-
ren detailliert darzustellen.

Auch wenn Ihnen, Herr Kollege Schönfeld von der
SPD, beim Lesen der ersten drei Sätze unseres Ent-
schließungsantrags schlecht geworden ist, wie Sie mir
gestern ja unbedingt mitteilen mußten,


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber er hat sich wieder erholt!)


hätten Sie unseren Antrag ruhig zu Ende lesen können.
Denn in ihm steht zum großen Teil das, was Sie in Ihren

Kersten Naumann






(B)



(A) (C)



(D)


Wahlkämpfen den Wählerinnen und Wählern vor der
Wahl vermittelt haben.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb dürfte es Ihnen und Ihrer Fraktion nicht schwer-
fallen, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404502900
Für die SPD-
Fraktion spricht unser Kollege Gustav Herzog.


Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1404503000
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Der Dioxinskandal in unserem
Nachbarland Belgien hat viele Leidtragende. Dazu gehö-
ren unsere Landwirte sowie die vor- und nachgelagerten
Betriebe der Lebensmittelindustrie und des Handels, die
sich völlig unschuldig mit Nachfragerückgängen der
Verbraucher herumärgern müssen. Wie so oft bei Le-
bensmittelskandalen: der ökologische Landbau und der
Naturkosthandel sowie – und das hat nichts mit Öko zu
tun – die regionalen Erzeugungsinitiativen mit nachvoll-
ziehbaren Warenströmen sind in der Gunst der Verbrau-
cher gestiegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber auch vor diesem Skandal gab es eindeutige

Hinweise für den weiter wachsenden Erfolg der ökologi-
schen Erzeugung. Von einem boomenden Absatz bei
Bioprodukten im britischen Einzelhandel berichtete der
Absatzförderungsfonds im Mai dieses Jahres, nachzule-
sen in der regelmäßigen Berichterstattung der ZMP im
Mai 1999. Die Prognosen für das Wachstum im Jahr
2000 gegenüber 1997 scheinen schwindelerregend: über
800 Prozent bei Schweinen und immerhin 150 Prozent
bei Milchprodukten. Begrenzend hierfür, so sagen die
Marktforscher, seien nur die Lieferschwierigkeiten,


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist das Problem!)


weil die inländische britische Erzeugung gar nicht so
schnell von konventioneller Wirtschaftsweise auf ökolo-
gische Erzeugung umstellen könne.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es nicht
hierhergehört, will ich, weil es meiner persönlichen
Überzeugung entspricht, hinzufügen: In den britischen
Regalen bleiben die gentechnisch veränderten Produkte
stehen. Das sind Ladenhüter, die vom Handel wieder zu-
rückgenommen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Geschäft in Großbritannien allerdings wollen vor
allem die Dänen machen. In den nächsten fünf Jahren
sollen mit Hilfe eines großen Aktionsplans im Auftrag
des Landwirtschaftsministeriums 10 Prozent der ge-
samten dänischen Nutzfläche umgestellt werden. Dann
wollen die Dänen vor allem auch deutsche Supermärkte
mit Bioprodukten beliefern. Das, meine Damen und
Herren, wäre ausgesprochen ärgerlich. Tatsache ist aber:

Deutschland ist längst nicht mehr Europas großer Öko-
vorreiter.

Der Grund dafür: In Deutschland ist unter der alten
Regierung die Entwicklung auf dem Sektor ökologische
Erzeugung verschlafen worden. Die Phrase von der
„kleinen Marktnische“, aus der der Ökolandbau ohnehin
niemals herauskommen werde, haben wir uns viele Jah-
re lang fast gebetsmühlenhaft anhören müssen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wir ermutigen jeden, der darin Chancen sieht!)


Alle parlamentarischen Initiativen, die aus den Rei-
hen der SPD-Bundestagsfraktion und von Bündnis 90/
Die Grünen immer wieder in Richtung einer Ökologisie-
rung des Landbaus eingebracht worden sind, sind von
der damaligen Regierung abgeschmettert worden. Die
Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umwelt-
fragen, die sich kritisch mit den Folgewirkungen des
Pflanzenschutzes auseinandersetzten, sowie die von uns
in Anträgen aufgegriffenen Warnungen vor den zuneh-
menden bakteriellen Resistenzen auch durch antibioti-
sche Leistungsförderer und vieles andere mehr ver-
schwanden in den Schubladen der alten Bundesregie-
rung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Forschungsmittel des BML waren lange Zeit Fehlan-
zeige.

Durch diese Politik von gestern haben unsere Land-
wirte erhebliche Marktanteile auf dem Biomarkt nicht er-
obern können. Das haben andere für sie erledigt. Wenn
einmal Förderungsmittel bewilligt wurden, dann gingen
sie immer nur in die Erzeugung. Daran, die Förderung der
Vermarktung voranzutreiben, haben Sie nicht gedacht.
Österreich hat bereits 30 Prozent seiner Fläche auf ökolo-
gische Bewirtschaftung umgestellt; in Deutschland sind es
weniger als 3 Prozent.

Auch wenn wir in Deutschland wie beschrieben hin-
terherhinken: Der wirkliche Durchbruch für Ökopro-
dukte kann kommen, wenn die Verbraucher größeres
Vertrauen in die Ökokennzeichnung haben. In einer
CMA-Umfrage haben kürzlich noch zwei Drittel der Be-
fragten Skepsis geäußert, ob „Bio“ drin ist, wo „Bio“
draufsteht. Nach Jahren des Verhandelns haben sich
CMA und die Anbauverbände des ökologischen Land-
baus endlich auf ein gemeinsames Zeichen geeinigt. Es
wird neue Absatzwege eröffnen und für den Verbrau-
cher hoffentlich Licht in den Kennzeichnungsdschungel
bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der gestrigen Anhörung zu den Folgen der Agenda
2000 haben die Experten in schriftlichen Ausführungen
fast ausnahmslos steigende Absätze für den ökologi-
schen Landbau vorhergesagt.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Sie haben nicht zugehört!)


Meine Damen und Herren, der Agrarbericht weist
wieder einmal aus, wie schwierig die Einkommensver-

Kersten Naumann






(A) (C)



(B) (D)


hältnisse der landwirtschaftlichen Betriebe sind. Das
gilt auch für die ökologische Landwirtschaft. Sie ist ins-
besondere gefordert, ein hohes Maß an Kreativität und
Risikobereitschaft sowie die Fähigkeit zu zeigen, neue
Wege zu erkennen und Partner dafür zu finden, sie be-
gehbar zu machen. Das heißt auch für die Ökolandwirte,
daß sie sich zusammenschließen müssen, um größere
Partien zu erstellen und um den Markt mit Ökoproduk-
ten zu beliefern. Hierzu müssen eine Reihe von Durch-
führungsverordnungen verändert werden. Hiervon wird
die gesamte Landwirtschaft profitieren.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Sicherlich nicht!)


Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404503100
Dies war die erste
Rede des Kollegen Gustav Herzog im Bundestag. Dazu
unsere herzliche Gratulation.


(Beifall)

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Peter Car-

stensen, CDU/CSU-Fraktion.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1404503200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Zuerst ein Wort zu Albert Deß. Lieber Kollege Deß, ich
kann mir gut vorstellen, daß du sehr stolz auf das Wahl-
ergebnis in deiner Gemeinde bist. Ich darf dir sagen, daß
die CDU in Nordfriesland ähnliche Ergebnisse erreicht
hat.


(Lachen bei der SPD)

– Nun hört doch einmal zu und freut euch mit mir! – In
meiner Gemeinde Elisabeth-Sophien-Koog hat die CDU
mehr als 94 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von weit
über 60 Prozent erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In meiner Gemeinde haben wir nur ein kleines Pro-

blem: Ein Einwohner hat Grün gewählt, und wir wissen
nicht, wer das unter den 29 Wahlberechtigten ist.


(Heiterkeit)

Aber bei nur 29 Wahlberechtigten finden wir ihn heraus.


(Heiterkeit – Zuruf von der SPD: Dann war er es!)


– Nein, diese Vermutung kam zwar auf, aber ich war es
nicht. Das Wahllokal ist nämlich das Wohnzimmer mei-
nes Bruders, der der Bürgermeister ist. Wer richtig
wählt, bekommt von ihm ein Frühstück. Deswegen ha-
ben wir immer eine ganz gute Übersicht.


(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, der Agrarbericht ist ein

Spiegelbild für die Agrarpolitik der letzten Jahre. Lieber
Herr Staatssekretär Thalheim, in all den Jahren, in denen
ich im Deutschen Bundestag bin, habe ich es noch nie

erlebt, daß ein Agrarbericht so kümmerlich vorgetragen
worden ist wie heute. Sie sind nicht auf eine Zahl einge-
gangen, die im Agrarbericht enthalten ist. Ich kann dies
natürlich verstehen: Sie hätten über eine Ernte sprechen
müssen, für deren Aussaat und Pflege Sie die Verant-
wortung nicht zu übernehmen brauchten, weil Jochen
Borchert und der Bundeskanzler in den letzten Jahren
dies für die Landwirtschaft getan haben. Deswegen ha-
ben Sie sich gescheut, die Zahlen über diese gute Arbeit
aus dem Agrarbericht vorzutragen.

Wenn im Agrarbericht die Aussage enthalten ist, daß
wir einen Strukturwandel von weniger als 2 Prozent ha-
ben, dann bin ich einmal gespannt, wie sich in den näch-
sten Jahren der Strukturwandel nach Ihrer Agrarpolitik
darstellen wird.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Daran werden wir sie messen!)


Es hat sich etwas in der Agrarpolitik geändert. Das
war auch die Meinung des Staatssekretärs Wille auf der
Grünen Woche. Er hat nämlich gesagt: Die Agrarpoli-
tik hat bei der jetzigen Bundesregierung einen anderen
– einen niederen – Stellenwert.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Oder keinen!)


Wenn man sich einmal mit Beamten des Ministeriums
und mit Beamten, die in den letzten Jahren mit Agrar-
politik zu tun gehabt haben, unterhält, dann hört man
von ihnen: Die alte Regierung hat uns aufgefordert, Be-
gründungen zu finden, um den Bauern Geld zu geben,
wie zum Beispiel im Fall der Vorsteuerpauschale, des
Währungsausgleichs und ähnlicher Dinge. Heute werden
wir aufgefordert, Begründungen zu suchen, um bei den
Bauern Geld einsparen zu können. – Das ist eine funda-
mental andere Agrarpolitik und Einstellung, Herr Kolle-
ge Weisheit. Ich staune darüber – darauf komme ich
gleich noch zu sprechen –, wie ihr in der Arbeitsgruppe,
wie ihr in der Fraktion da noch mitmacht.

Meine Damen und Herren, die Neuentwicklung der
Agrarpolitik wird von drei Punkten geprägt sein. Sie
wird geprägt sein von der Agenda 2000, die vollzogen
ist, aber in einigen Punkten noch ausgefüllt werden soll.
Sie wird geprägt sein von WTO-Verhandlungen. Sie
wird davon geprägt sein, wie die Bundesregierung mit
diesen beiden Punkten umgeht. Bei allen drei Punkten
verheißt es für die Bauern nichts Gutes.

Ein paar Worte zur Agenda 2000. Wir haben gestern
die Anhörung gehabt. Wie die SPD in einer Pressemit-
teilung behaupten kann, daß der eingeschlagene Kurs
bestätigt worden ist, kann ich nach der Anhörung – ich
bin die ganze Zeit dabeigewesen – überhaupt nicht
nachvollziehen. Frau Wolff, Sie haben von Planungs-
sicherheit gesprochen. Die ersten Sachverständigen ha-
ben alle gesagt, Planungssicherheit sei überhaupt nicht
mehr gegeben. Nun verzeihen wir Ihnen das; in die erste
Rede kann man so etwas einmal hineinbringen. Aber
dadurch wird es nicht richtiger. Planungssicherheit ist
überhaupt nicht mehr vorhanden.

Es ist bei dieser Anhörung auch nichts schöngeredet
worden. Wenn die Nordrhein-Westfalen, die wirklich

Gustav Herzog






(B)



(A) (C)



(D)


nicht in Verdacht stehen, in ihrer Politik CDU-
freundlich zu sein, gestern über die Agenda 2000 gesagt
haben, das seien Kompromisse gewesen, die niemanden
zufriedenstellen, dann können Sie doch nicht sagen, das
sei ein spitzenmäßiges Ergebnis. Karl-Heinz Funke ist
doch nicht hier für eine Büttenrede. Insofern brauchen
wir das nicht zu wiederholen. Die Leute wissen doch,
was Sie mit der Agenda gemacht haben. Die Quittung
habt ihr doch am letzten Sonntag gekriegt.


(Zurufe von der SPD: Nein!)

– Aber natürlich habt ihr sie gekriegt. Nun erzählt mir
noch, daß das ein Wahlsieg von euch war; dann werde
ich aber verrückt.

Wenn Mecklenburg-Vorpommern erzählt, Matthias
Weisheit – es ist ja auch kein CDU-Minister, der da
sitzt; ich sehe Herrn Backhaus gerade hier; schön, daß
zwei Länderminister hier sind –, daß es in seinem Land
wahrscheinlich zu Verlusten in Höhe von 180 DM pro
Hektar kommen wird, wobei der Bauernverband von ge-
ringeren Verlusten spricht – er spricht von 1,5 Milliar-
den DM Verlusten in der deutschen Landwirtschaft –,
dann können Sie doch nicht sagen, daß das ein spitzen-
mäßiges Ergebnis ist.

Wenn die Länder sagen: „Leute, ihr bringt uns einen
bürokratischen Aufwand, der überhaupt nicht mehr zu
finanzieren ist, mit Anlastungsgefahren und ähnlichen
Dingen,“ – wenn ich es richtig im Ohr habe, Kollege
Ronsöhr, hat Niedersachsen gesagt, daß 150 Beamte
mehr notwendig sind, um das zu vollziehen – „mit riesi-
gen Kosten, mit mehreren 100 Millionen DM an Ver-
waltungskosten in Deutschland“, dann muß man das
doch ernst nehmen, wenn jemand sagt, es werde schwer
werden, den Bauern zu erzählen: Paßt mal auf, wir ha-
ben einen höheren Verwaltungsaufwand für das, was wir
euch dann weniger geben. – Da kann man sich doch
nicht hierhinstellen und sagen, das sei ein Erfolg mit der
Agenda 2000 gewesen.

Der Verwaltungsaufwand wird riesengroß. Herr Mi-
nister Buß, Klaus, ich habe gehört, daß es in Nordfries-
land schon eine Initiative gibt. Da wollen die Leute von
der Bullenmast runter. Sie wollen in den Betrieben jetzt
Känguruhs züchten, und zwar nicht wegen des besseren
Fleisches, sondern weil sie in ihren Beuteln die Formu-
lare tragen können, die gebraucht werden, um die An-
träge zu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das zeigt doch, daß diese Agrarpolitik wirklich in die
Hose geht.

Ich zitiere einmal, was der Minister vor wenigen
Tagen beim Raiffeisenverband in Lübeck gesagt hat:

Die deutsche und europäische Ernährungswirtschaft
muß von den sich abzeichnenden Chancen auf dem
Weltmarkt profitieren können. Dazu muß ihre
Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden.

Jetzt geht es los mit der Wettbewerbsverschärfung.
Wenn man den Wettbewerb stärken will, dann muß man
in der Agrarpolitik doch auch einmal ein paar Ziele se-
hen können. Haben Sie, meine Damen und Herren, bei

irgendeiner Rede des Ministers schon einmal Ziele for-
muliert bekommen und gehört?


(Zuruf von der SPD: Ja!)

– Ja? Dann kennt ihr diese Rede. – Es ist ja so, daß man-
ches, was in dieser Regierung an neuen Perspektiven
formuliert wird, nicht in Deutschland gesagt wird. Der
Herr Schröder macht das mit Blair zusammen in Lon-
don, und Karl-Heinz Funke nennt die Ziele bei der
SPÖ in Österreich. Da finde ich in einer Rede, die er im
März in Österreich gehalten hat:

Die amtierende Bundesregierung hat sich insbeson-
dere folgende Ziele in der Agrarpolitik gesetzt und
wird diese nicht nur national, sondern auch auf
europäischer Ebene verfolgen:
Erstens die Landwirtschaft muß umweltverträg-
licher werden. Die Flächennutzung muß künftig
natur- und landschaftsverträglich gestaltet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da möge man mir bitte einmal sagen, ob das vorher
eigentlich nicht der Fall gewesen ist.


(Matthias Weisheit [SPD]: Nein!)

– Das ist vorher nicht gewesen? Herr Weisheit, dann er-
zählen Sie das bitte auch vor den Bauern, daß sie vorher
keine natur- und landschaftsverträgliche Landwirtschaft
gemacht haben. Dann stellen Sie sich hier hin und sa-
gen: Ihr habt in den letzten Jahren keine naturverträgli-
che Landwirtschaft gemacht.

Ich fahre aus der Rede des Ministers fort:
Zweitens ist ein großflächiges Biotopverbundsy-
stem mit 10 Prozent der Landesfläche zu schaffen.

Seid ihr eigentlich von allen guten Geistern verlassen?

(Jörg Tauss [SPD]: Nein!)


Glaubt ihr, daß das die Zukunftsfähigkeit der Landwirt-
schaft nach der Agenda und nach der WTO stärkt? Nein,
ganz im Gegenteil. Man müßte dort andere Punkte se-
hen. Man muß dort andere Punkte anpacken, um etwas
zu erreichen.

Nun könnte man fragen: Was machen die Jungs
denn? Was bekommen sie hin? Was tun sie denn? Läßt
sich hier nicht etwas finden, das die Position der Land-
wirtschaft am Weltmarkt stärkt?


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404503300
Kollege Carstensen,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1404503400

Aber natürlich.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404503500
Herr
Carstensen, zum Thema eines Biotopverbundsystems
möchte ich auf die FFH-Richtlinie zu sprechen kommen.
Ist es nicht reine Heuchelei, zu sagen, es sei ein Unding,
die Naturata 2000 sowie Natur- und Umweltschutz zu
unterstützen, und das noch als gegen die Bauern gerich-

Peter H. Carstensen (Nordstrand)







(A) (C)



(B) (D)


tet zu begreifen, wenn gleichzeitig die alte Bundesregie-
rung 1992 die FFH-Richtlinie mit allen Konsequenzen
unterschrieben hat


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Da steht aber nichts von 10 Prozent!)


und Sie nun plötzlich, gerade Sie aus Schleswig-
Holstein, einen Kampf um sogenannte Enteignung füh-
ren?

Das ist ein Politikverständnis, das jenseits der guten
Sitten liegt und das ignoriert, daß die Landwirtschaft,
die Bauern mit der Honorierung gesellschaftlicher Lei-
stungen im Natur- und Landschaftsschutz Einkom-
mensmöglichkeiten haben, die akzeptiert sind, die die
Gesellschaft unterstützen möchte und die auch diese
Bundesregierung unterstützen möchte.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1404503600
Ich
habe gar nichts dagegen, wenn Leistungen in der Natur
wie Biotopverbesserungen und ähnliche Dinge gemacht
und dann auch finanziert werden, Frau Kollegin Höfken.


(Dankward Buwitt [CDU/CSU]: Aber gegen Entschädigung der Betroffenen!)


Sie wissen, daß die Diskussion bei der FFH-
Richtlinie über die Entschädigung ging. Wir haben eines
der wenigen klaren Worte, die von Karl-Heinz Funke im
Ausschuß gekommen sind, gehört, indem er gesagt hat:
Wer Auflagen macht, die über die ordnungsgemäße
Landwirtschaft hinausgehen, muß sie auch finanzieren.


(Dankward Buwitt [CDU/CSU]: So ist es!)

Da haben wir gesagt: Das kennen wir doch, das haben

wir doch im letzten Jahr diskutiert. Er hat dann gesagt:
Nein, euer Vorschlag war ein anderer. Ihr habt immer
gesagt, die Länder müssen das finanzieren, und ich sage,
jeder der die Auflagen macht, muß das finanzieren. –
Legen Sie das doch bitte einmal auf den Tisch! Legen
Sie einen Antrag vor! Wir werden ihn unterstützen.

Zur Ihrer Frage zu den von mir diskutierten Punkten,
Frau Kollegin Höfken: Sie können doch nicht erwarten,
daß die Bauern, die Sie im Moment in tieferes Wasser
schicken, denen Sie schwerere Bedingungen für ihr
Wirtschaften auferlegen – es ist unbestritten, daß es so
ist –, denen Sie ohne Schwimmweste noch zusätzliche
Belastungen ans Bein binden, dann besser schwimmen.
Das kann ich nicht begreifen.

Ich kann nicht begreifen, daß Sie über eine bessere
Wettbewerbsfähigkeit für die Landwirte sprechen, daß
Sie davon sprechen, daß Sie die Landwirte in den Markt
stellen wollen, und dann mit Maßnahmen kommen, wie
Sie sie in den letzten Wochen ergriffen haben. Die ge-
genwärtige Haushalts- und Steuerpolitik führt zu Ein-
kommensverlusten, und ihr macht das mit. Die Absen-
kung der Vorsteuerpauschale bringt für die Landwirt-
schaft eine Belastung von 400 Millionen DM mit sich,
und ihr macht das mit. Die Streichung und Absenkung
von Freibeträgen machen für die Landwirtschaft 350
Millionen DM aus, und ihr macht das mit. Der Abbau
der allgemeinen Regelungen im Steuerrecht bedeutet
noch einmal 500 Millionen DM Einbußen, und ihr

macht das mit, ohne daß hier von euch Protest kommt.
Die Ökosteuer bedeutet 350 Millionen DM Belastung
für die Landwirtschaft. Ihr macht das mit, ohne daß
Protest kommt.

Ihr sagt, das ist richtig, und ihr sagt, es ist richtig, daß
sich die Landwirte in den Markt stellen. Ihr sagt, es ist
richtig, daß man den Landwirten Klötze ans Bein bindet.

Matthias, ihr habt in der Fraktion die neuen Schwei-
nereien schon mitgemacht, die offensichtlich noch
kommen: Da haben wir den Abbau von Vergünstigun-
gen wie der Dieselkraftstoffrückvergütung, die berech-
tigt gewesen sind, sowie einen Prozentpunkt weniger bei
der Vorsteuerpauschale. Die Österreicher erhöhen die
Vorsteuerpauschale, und ihr senkt die Vorsteuerpau-
schale. Wenn ihr da einen weiteren Prozentpunkt her-
untergeht, wißt ihr genau, daß die Vorsteuerpauschale
damit gestorben ist. Dann braucht ihr sie überhaupt nicht
mehr. Dann müßt ihr das den Bauern aber mal ehrlich
sagen.

Nein, meine Damen und Herren, nur andersherum
kann das etwas werden: Wir brauchen die Mittel, die für
die Gemeinschaftsaufgabe zur Verfügung stehen, für die
wirtschaftenden Betriebe. Ich sehe, daß die mir verblei-
bende Redezeit schon auf Null ist, aber ich will noch das
eine sagen: Klaus Buß, bei aller Freundschaft, das, was
in Schleswig-Holstein gemacht wird – daß in den letz-
ten Jahren, von 1996 an, nahezu 30 Millionen DM Bun-
desmittel nicht ausgegeben worden sind, damit 49 Mil-
lionen DM Zuschuß nicht an Bauern gingen und da-
durch mehr als 200 Millionen DM Investitionen in der
Landwirtschaft nicht getätigt worden sind –, kann nicht
angehen.

Ich habe natürlich gesagt: Wenn Klaus Buß im Amt
ist, wird sich das ändern. An den Zahlen des letzten Jah-
res konnte man erkennen, daß nicht noch mehr zurück-
geführt wurde. Aber ihr macht einen schönen Trick: Ihr
ruft weniger ab. Dann wird natürlich auch nichts mehr
zurückgegeben. Hier habe ich die Zahlen: Für Schles-
wig-Holstein waren im Rahmenplan 93,6 Millionen DM
bewilligt, und davon wurden nur 87,6 Millionen DM
abgerufen. So kann man das natürlich auch machen, um
die Bilanz zu schönen.

Nein, das Geld, das zur Verfügung steht, muß in die
wirtschaftenden Betriebe fließen. Darüber hinaus muß
– auch das ist gestern bei der Anhörung deutlich gewor-
den – der Abbau von Restriktionen in Angriff genom-
men werden. Ihr in den Ländern habt doch die „schwar-
ze Liste“ der Wettbewerbsverzerrungen zwischen den
einzelnen Bundesländern. Wir können doch nicht auf
der einen Seite Wettbewerbsverzerrungen zwischen den
Bundesländern zulassen und auf der anderen Seite das
Ziel verfolgen, unsere Bauern wettbewerbsfähiger zu
machen. Leute, es ist doch genügend zu tun. Aber dann
müßt ihr, Matthias Weisheit, die ihr in der Fraktion et-
was von Landwirtschaft versteht, auch einmal aufschrei-
en, wenn euer Finanzminister solche Sachen vorhat.

Das, was im Moment passiert – mehr Wettbewerbs-
fähigkeit zu fordern, aber dann zusätzlichen Belastungen
zuzustimmen –, geht nicht. Das ist ein Knoten, den auch
ihr nicht auflösen könnt. Wir werden uns wundern, wie

Ulrike Höfken






(B)



(A) (C)



(D)


die Agrarberichte in den nächsten Jahren aussehen. Ein
weiterer Strukturwandel wird dazu führen, daß die Bau-
ern ersaufen, weil sie angesichts dieser Belastungen
nämlich nicht mehr schwimmen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404503700
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Kollegin Steffi
Lemke.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404503800
Herr
Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Der Agrar-
bericht 1999 ist der erste Agrarbericht der rotgrünen
Bundesregierung. Ihm liegen allerdings vorwiegend die
Daten des letzten Wirtschaftsjahres zugrunde. Insofern
handelt es sich im Feststellungsteil um eine Dokumen-
tation des Zustandes der deutschen Landwirtschaft im
Zeitraum vor dem Regierungswechsel. Herr Carstensen,
Sie haben sich als bisher einziger Redner der Opposition
bemüht, sich wenigstens mit dem Agrarbericht ausein-
anderzusetzen.


(Gert Willner [CDU/CSU]: Ist ihm auch gelungen!)


Sie hätten aber nicht selektiv nur die positiven Zahlen
herausziehen sollen, sondern hätten eine Gesamtbe-
trachtung der positiven und der negativen Aussagen an-
stellen müssen. Dann könnten Sie, Herr Carstensen,
nicht ausblenden, daß Sie uns mit Ihrer Politik ein
strukturelles Haushaltsdefizit von 30 Milliarden DM
hinterlassen haben.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist doch ein Märchen! Deshalb kürzen Sie auch die Renten!)


Glauben Sie, mir macht die Politik, die wir jetzt hier zu
vertreten haben, in allen Punkten Spaß? Auch ich würde
lieber die Gasölbeihilfe aufstocken oder die Vorsteuer-
pauschale für bestimmte Betriebe auf ihrem Niveau be-
lassen bzw. erhöhen. Aber das Haushaltsdefizit, das Sie
zu verantworten haben und das abzutragen die rotgrüne
Bundesregierung sich zum Ziel gesetzt hat, lastet auf
meiner und den nachfolgenden Generationen. Dafür tra-
gen Sie die Verantwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Agrarbericht 1999 dokumentiert die neue
Schwerpunktsetzung in der Agrarpolitik der Koalition.
Er stellt deshalb die Ziele der Bundesregierung an zen-
traler Stelle des Berichtes, nämlich am Anfang, dar und
thematisiert erstmals und ausdrücklich die Wechselwir-
kung mit anderen Politikbereichen. Die Bundesregie-
rung hebt mit diesem Agrarbericht auch die zentrale
Rolle des Verbraucherschutzes für die Zukunft der
landwirtschaftlichen Betriebe hervor und wird darin lei-
der durch den aktuellen Dioxinskandal bestätigt. Im
Agrarbericht heißt es:

Die Bundesregierung wird den vorsorgenden ge-
sundheitlichen Verbraucherschutz und den Schutz

vor Täuschung stärken sowie die Verbraucher-
information verbessern.

(Beifall des Abg. Karsten Schönfeld [SPD])


Diesem Ziel messen wir allerhöchste Priorität bei.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Herstellung und der Vertrieb gesundheitsgefährden-
der Lebensmittel – sei die Gefährdung nun durch
Schlamperei oder durch kriminelle Energie verursacht –,
sind kein Kavaliersdelikt. Hier geht es nicht nur darum,
die akute Gefährdung von Personen abzuwehren, son-
dern es geht gleichermaßen um die wirtschaftliche Exi-
stenz der Betriebe. Denn auch wenn die deutsche Land-
wirtschaft für den aktuellen Dioxinskandal nicht die
Verantwortung trägt – das will ich deutlich sagen –,


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


so sitzt sie doch mit der europäischen Landwirtschaft in
diesem Punkt in einem Boot.

Verehrter Kollege Heinrich – –

(Zuruf von der SPD: Der ist weg!)


– Er ist weg? – Gut, macht nichts. – Was er hier darge-
stellt hat, hat nichts mit Landwirtschaftspolitik zu tun.
Genau diese Art von „Augen zu und durch“ ist es, wel-
che die Verbraucher immer wieder in Verunsicherung
stürzt und von bestimmten Produkten Abstand nehmen
läßt. Der belgische Dioxinskandal stellt nur einen Höhe-
punkt in der langen Liste von Lebensmittelskandalen
dar. Wir sollten deren Auswirkungen auf das Verbrau-
cherverhalten und vor allem auf das damit verbundene
Marktgeschehen nicht unterschätzen.

Die Bundesregierung hat im Dioxinfall umgehend
reagiert, und die zuständigen Landesbehörden haben
sämtliche verdächtige Ware überprüft. Was wir aber
brauchen, ist ein viel umfassenderer Vorsorgeansatz zur
Vermeidung derartiger Entwicklungen. Dazu hat die
Bundesregierung erstens im Dezember im Agrarmi-
nisterrat das Verbot für antibiotisch wirksame Futter-
mittelzusatzstoffe, die in der Humanmedizin sehr stark
eingesetzt werden, durchgesetzt, eine Entwicklung, die
Sie längst hätten vorantreiben müssen, wenn es Ihnen
mit dem Verbraucherschutz so ernst wäre, wie Sie es
heute dargestellt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Bundesregierung wird zweitens entgegen der
WTO-Entscheidung der Aufrechterhaltung des Import-
verbots für Hormonfleisch aus den USA höchste Prio-
rität beimessen, und sie wird sich ebenso massiv für die
Aufrechterhaltung des Exportverbots für britisches
Rindfleisch einsetzen, solange ein wissenschaftlicher
Nachweis für die Minimierung des BSE-Risikos nicht
vorliegt.

Ein dritter Punkt in diesem Sinne ist der Beschluß des
Agrarministerrates vom vergangenen Dienstag zur Ab-
schaffung der Käfigbatteriehaltung von Legehennen.
Auch wenn mir dieser Schritt nicht weit genug geht, so

Peter H. Carstensen (Nordstrand)







(A) (C)



(B) (D)


ist er doch ein deutliches Signal, daß aus diesem Hal-
tungsverfahren ausgestiegen wird, so daß mit dieser Kä-
fighaltung in Zukunft Schluß sein wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: 2012!)


Damit wird übrigens ein Wirtschaftszweig für die land-
wirtschaftliche Produktion zurückgewonnen, der für
Bauern in der Vergangenheit doch weitgehend verloren
war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Abgeordnete aus den neuen Bundesländern will

ich hier noch einmal die positiven Entwicklungen der
Agenda 2000, die für die neuen Bundesländer erreicht
worden sind, herausstellen, denn das haben selbst die
ostdeutschen Oppositionsabgeordneten bisher nicht fer-
tiggebracht.

Die vorgesehene Degression der Ausgleichszahlun-
gen ab einer bestimmten Betriebsgröße wurde ersatzlos
fallengelassen. Damit wurde einer großen Anzahl von
wirtschaftlichen Betrieben Planungs- und Investitions-
sicherheit gegeben. Die 90-Tiere-Förderobergrenze bei
den Rinderprämien wird zugunsten der ostdeutschen
Landwirte nicht eingeführt. Außerdem konnten im Inter-
esse der neuen Bundesländer die 150 000 Hektar Grund-
flächen gesichert werden.

Ich denke, daß diese positiven Entwicklungen eine
Ursache in den Verhandlungen der Bundesregierung
haben,


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Eine Katastrophe bezeichnen Sie als positiv!)


weil vor dem Regierungswechsel klar war, daß
CDU/CSU und F.D.P. keineswegs bereit gewesen wä-
ren, sich in diesem Sinne für die neuen Bundesländer
einzusetzen.

Herr Carstensen, Sie haben die Entwicklung der
Agenda 2000 heftig kritisiert, Sie haben die Steuerent-
scheidungen der rotgrünen Bundesregierung heftig kriti-
siert,


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Loben Sie die etwa?)


Sie haben die Entscheidungen zur Ökosteuer heftig kriti-
siert, und Sie haben immer wieder auf die Wettbewerbs-
fähigkeit der deutschen Betriebe abgehoben. Ich darf
darauf hinweisen – das ist auch gestern in der Anhörung
gefallen –, daß die Steuerbelastung in europäischen
Vergleichsstaaten um 25 000 DM pro Betrieb höher
liegt. Ich bitte Sie, das in die Wettbewerbsdiskussion mit
einzubeziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zum Schluß. Nur dann, wenn es die deut-
schen Betriebe schaffen, den Anforderungen der Ver-
braucher an saubere und gesunde Lebensmittel aus der
Region gerecht zu werden, bleiben sie wettbewerbsfähig
und haben sie die Möglichkeit, ihre Marktstellung in

Zukunft noch zu verbessern. Vor dieser Aufgabe steht
die Landwirtschaft. Die Bundesregierung wird sie bei
der Bewältigung dieser Aufgabe tatkräftig unterstützen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404503900
Das Wort hat nun
der Minister für ländliche Räume, Landwirtschaft, Er-
nährung und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein,
Klaus Buß.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404504000
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist
in den letzten Jahren zu einer guten Tradition geworden,
daß sich Landesminister an der Debatte zum Agrarbe-
richt beteiligen. Auch auf diese Weise wird die notwen-
dige Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der
Weiterentwicklung und Durchführung der Agrarpolitik
auch hier im Bundestag dokumentiert.

Nach meinem Amtsantritt vor einem Jahr war die
Sonderkonferenz der deutschen Agrarminister zur
Agenda 2000 für mich ein herausragendes Ereignis und
eine wichtige Erfahrung; eine wichtige Erfahrung des-
halb, weil die Agrarminister über Parteigrenzen hinweg
erfolgreich um eine gemeinsame Haltung gerungen ha-
ben. Ich war und bin davon überzeugt, daß wir nur so
günstige politische Rahmenbedingungen für die Land-
wirtschaft und die ländlichen Räume schaffen können.
Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, möglichst vielen
Landwirten die Chance zu geben, die vielfältigen Funk-
tionen der Landwirtschaft für die Gesellschaft und ins-
besondere die ländlichen Räume wirtschaftlich erfolg-
reich zu erfüllen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Man darf aber die Agenda nicht vorher kritisieren und sie hinterher loben!)


Wenn Herr Abgeordneter Carstensen hier derartig
negativ im Hinblick auf die Landwirtschaft allgemein
spricht, dann, lieber Peter Harry, wundere ich mich ein
bißchen und frage mich: Was hat eigentlich die vorige
Bundesregierung getan?


(Beifall bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was tut denn die jetzige Bundesregierung? – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Fällt euch eigentlich nicht mal was Neues ein?)


Der Agrarbericht ist im Laufe der Jahre zu einer In-
formationsquelle von ungewöhnlicher Qualität gewor-
den. Er hat in diesem Jahr durch die Aufnahme des Ka-
pitels „Agrarpolitische Aspekte anderer Politikbereiche“
noch an Wert gewonnen. Politischen Signalcharakter hat
sicherlich auch die stärkere Gewichtung des Abschnittes
„Verbraucherorientierte Agrar- und Ernährungspolitik“.
Der aktuelle Dioxinskandal in Belgien, der hier ja auch
schon erwähnt worden ist, zeigt ganz deutlich: Wenn sie
nicht gesunde Nahrungsmittel von hoher Qualität
bereitstellt, kann sich die Landwirtschaft die schwer
erkämpfte finanzielle Solidarität der Gesellschaft

Steffi Lemke






(B)



(A) (C)



(D)


abschminken. Auch hier gilt es im Interesse unserer
Bauern zusammenzustehen, um die Schäden nicht ver-
meidbarer krimineller Handlungen so gering wie mög-
lich zu halten.

Viele Landwirte stehen wirtschaftlich mit dem Rük-
ken zur Wand. Der Agrarbericht zeigt im einzelnen eine
große Bandbreite zwischen erfolgreichen und weniger
erfolgreichen Betrieben. Bei 39,4 Prozent der Betriebe
war im eigentlich nicht schlechten Wirtschaftsjahr
1997/98 die bereinigte Eigenkapitalbildung negativ. Das
heißt im Klartext – das ist hier schon einmal gesagt
worden –: Diese Betriebe haben von der Substanz
gelebt. Man braucht dies gar nicht als Kritik an der alten
Bundesregierung zu interpretieren. Vielmehr zeigt es
schlicht, daß die Grenzen der klassischen Agrarpolitik
erreicht sind.

Der Strukturwandel läßt sich schon lange nicht
mehr aufhalten. Ich füge hinzu: Wir sollten es auch gar
nicht versuchen. Der Agrarbericht zeigt: Es gibt in allen
Regionen eine wettbewerbsstarke Gruppe landwirt-
schaftlicher Betriebe, die sich in der Regel durch eine
wachsende Faktorausstattung und eine hervorragende
Betriebsführung auszeichnen. Im Zeichen der Markt-
orientierung, wie sie in der Agenda 2000 vorgesehen ist,
kommt es darauf an, durch eine entsprechende nationale
Agrarpolitik die wettbewerbsstarke Gruppe durch mög-
lichst viele Betriebe zu vergrößern. Hierfür gibt es kein
Leitbild von der Stange. Die Agrarpolitik darf einzelne
Betriebs- und Rechtsformen nicht benachteiligen.

Wenn der Abgeordnete Carstensen vorhin ein Bei-
spiel aus Nordfriesland brachte, wo angeblich ein be-
stimmtes Beuteltier gezüchtet wird, dann mag man dar-
über lachen, aber man kann bei ihm nie völlig ausschlie-
ßen, daß auch etwas Ernstes dahintersteckt. Das Ver-
halten des betreffenden Bauern zeigt, daß er sich offen-
sichtlich marktwirtschaftlich verhält; er produziert näm-
lich das, was er am Markt am besten losschlagen kann.
Das ist das Ziel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In Schleswig-Holstein haben wir den höchsten Anteil
an Vollerwerbsbetrieben; sie bewirtschaften 87 Prozent
der landwirtschaftlich genutzten Fläche und haben
Schleswig-Holstein zu einer Spitzenregion gemacht. Das
gilt sowohl im Hinblick auf die Agrarstruktur als auch
im Hinblick auf die Produktivität und die Gewinne in
der Landwirtschaft. In Schleswig-Holstein haben die
Landwirte im letzten Wirtschaftsjahr einen Rekordge-
winn erzielt. Es ist Ihnen vielleicht nicht unbekannt, daß
dort nicht die CDU regiert.

Ministerpräsidentin Simonis hat kürzlich in Molfsee
bei Kiel die Ausstellung über das schleswig-
holsteinische Expo-Projekt „Sicherung der Welternäh-
rung“ eröffnet. Sie hat dabei zu Recht herausgestellt,
daß nur die moderne nachhaltige Landwirtschaft eine
globale Ernährungssicherheit gewährleisten kann. Auf
der Expo 2000 zeigen wir Schleswig-Holsteiner, wie es
geht.

Ein entscheidender Punkt ist aus meiner Sicht die
hohe Ausbildungsleistung und der hohe Ausbildungs-

stand in der Landwirtschaft. Vor diesem Hintergrund
muß ich sagen, daß in der Landwirtschaft etwas sehr gut
klappt, was uns in der mittelständischen Wirtschaft sonst
einige Sorgen bereitet, nämlich der Technologietrans-
fer. Hierzu trägt auch ein hochwertiges Netz landwirt-
schaftlicher Berater bei. Solche Aspekte sind es, die
meinen Optimismus in die Zukunftsfähigkeit der Land-
wirtschaft begründen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der agrarpolitische Kompromiß bei der Agenda 2000
bestärkt meine Zuversicht.

Ich möchte an dieser Stelle Bundesminister Karl-
Heinz Funke, der heute leider nicht hier sein kann,
ausdrücklich für seine umsichtige und erfolgreiche
Verhandlungsführung danken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu möchte ich einige Argumente nennen:
Als erstes sollten wir alle froh sein, daß die monate-

lange Diskussion endlich abgeschlossen ist. Es ist ein
unerträglicher Zustand, wenn das Politikrisiko größer ist
als das Marktrisiko. Jetzt sind die Eckpunkte bis zum
Jahre 2005 festgeklopft.

Als zweites möchte ich anerkennen, daß die europäi-
schen Haushaltsmittel für den Agrarbereich gesichert
worden sind. Die vereinbarten Ausgleichszahlungen
sind jetzt planungsfest und damit betriebswirtschaftlich
besonders wertvoll.

Als drittes ist wichtig, daß die Marktanpassung mit
ihren Preissenkungen in zeitlich gestreckter Form er-
folgt. Wir haben jetzt die Chance eines Gleitflugs in die
richtige Richtung. Diese Richtung heißt Marktorientie-
rung, Vorbereitung auf die Osterweiterung und Aufbau
einer zweiten Säule der europäischen Agrarpolitik.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Dann muß man das denen auch leichtermachen!)


Zu dieser Richtung gibt es keine ernstzunehmende poli-
tische Alternative, Herr Carstensen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Kein Problem!)


Das haben die Diskussionen der vergangenen Monate
auch mit Ihnen deutlich gezeigt.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Kein Problem mit mir!)


– Wir haben noch nie Probleme gehabt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Auch der Deutsche Bauernverband hat seine Blok-
kadehaltung dankenswerterweise aufgegeben. Der Be-
rufsstand erkennt nun an, daß die Berliner Beschlüsse
kein vorzeitiges Einknicken, sondern im Gegenteil eine
gute Ausgangsposition für die anstehenden WTO-
Verhandlungen sind, die es gemeinsam zu verteidigen
gilt. Die Haltung von Herrn Sonnleitner ist in den eige-

Minister Klaus Buß (Schleswig-Holstein)







(A) (C)



(B) (D)


nen Veröffentlichungen nachlesbar. Diese sollte man
natürlich hin und wieder lesen.

Lassen Sie mich noch etwas zur sogenannten zweiten
Säule der europäischen Agrarpolitik sagen. Hiermit ist
die neue Verordnung zur Entwicklung der ländlichen
Räume gemeint. Sie ermöglicht eine integrierte Förde-
rung, die die multifunktionale Rolle der Land- und
Forstwirtschaft in den Mittelpunkt stellt.

Für die Länder heißt das konkret: Wir können auch in
Zukunft unsere bewährten Förderprogramme mit euro-
päischer Unterstützung fortsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke zum Beispiel an die einzelbetriebliche Inve-
stitionsförderung, die Agrarumweltprogramme und die
Förderung des ökologischen Landbaus. Zusätzlich kön-
nen wir auch Neuland betreten, etwa bei der Fortschrei-
bung unserer Dorfentwicklungsmaßnahmen oder bei der
Verbesserung der Infrastruktur für den ländlichen Tou-
rismus.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404504100
Kollege Buß, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schindler?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404504200
Ich bin
knapp dran, aber bitte.


(Zuruf von der SPD: Die Zeit wird nicht angerechnet!)



Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1404504300
Herr Minister, im
Parlament wird immer – man kommt sich fast miß-
braucht vor – der Deutsche Bauernverband zitiert. Das
ist vorhin schon einmal passiert, jetzt wieder. Es wird
gesagt, daß der Deutsche Bauernverband – so wird es
herausgestellt – die Beschlüsse von Berlin lobt. Das hat
auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen bereits getan.

Wenn man herausstellt, daß der Vorschlag von Herrn
Funke im ersten Agrarkompromiß noch einmal auf
Druck der Franzosen nachgebessert wurde und wir nur
noch 2,5 Milliarden DM Verluste haben, und wenn das
dann so umgemünzt wird, daß es heißt, wir begrüßen
das, dann halte ich das für eine unverschämte Fehlinter-
pretation.

Haben wir als Deutscher Bauernverband – das ist
meine nächste Frage – je begrüßt, daß man jetzt im
Haushalt bis zu 1 Milliarde DM für die agrarische Un-
terstützung streichen will? Hat das die CDU/CSU-
Fraktion je begrüßt? Haben wir je das Zurücknehmen
der Bundeszuschüsse für die Berufsgenossenschaft be-
grüßt? Haben wir die Verluste in Höhe von über 2 Milli-
arden DM bei der Steuerbelastungsreform begrüßt?

Herr Minister, ist es fair, so immer wieder als Zeuge
in Anspruch genommen zu werden?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404504400
Ich weiß
nicht, so lange habe ich gar nicht zu diesem Punkt gere-
det. Ich habe lediglich Herrn Sonnleitner sinngemäß

zitiert, der vor einiger Zeit gesagt hat, daß er die Berli-
ner Beschlüsse für eine gute Grundlage hält, um in die
WTO-Verhandlungen zu gehen. Nicht mehr und nicht
weniger habe ich gesagt, und das ist nachlesbar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Leider ist die zweite Säule von ihrer Finanzausstat-

tung her noch ein zartes Pflänzchen. Um so wichtiger ist
es, so meine ich, sorgsam mit ihr umzugehen und für ein
gutes Gedeihen zu sorgen. Die Agrarminister der Länder
werden sich am nächsten Dienstag mit Bundesminister
Funke treffen – ich hoffe, daß er dann wieder gesund ist
– und über die Hausaufgaben reden, die nach dem
Agendabeschluß umgesetzt werden müssen.

Obenan steht natürlich die Ausgestaltung der Milch-
quotenregelung. Die Milchbeschlüsse in der Agenda
wirken auf den ersten Blick positiv für die Landwirte.
Die Reform ist auf das Jahr 2005 verschoben worden,
erst dann sollen die Marktordnungspreise in drei Schrit-
ten gesenkt werden. Aber die Kehrseite der Medaille ist:
Auf diese Weise ist die Quotenregelung bis 2008 ver-
längert worden. Das ist für die Planungen gerade der
Jungbauern, die investieren wollen, schlecht. Ich bin mir
sehr sicher, daß wir eine Regelung finden werden, die
nicht Schall und Rauch ist, Herr Deß, sondern sehr ver-
nünftig sein wird. Die Mehrzahl der Länder wird ein-
deutig für eine möglichst unbürokratische und markt-
wirtschaftliche Lösung eintreten. Wir müssen für unsere
Bauern so schnell wie möglich Klarheit erzielen.

Lassen Sie mich zum Schluß einen Punkt aufgreifen,
auf den Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages
unmittelbar Einfluß haben – er ist hier auch schon ange-
sprochen worden – und der aus meiner Sicht für die
Umsetzung der Agenda 2000 in Deutschland von ent-
scheidender Bedeutung ist. Ich meine damit die Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruk-
tur und des Küstenschutzes“ in Verbindung mit der
schon erwähnten zweiten Säule der europäischen Agrar-
politik. Es ist wohl nicht übertrieben, diese Gemein-
schaftsaufgabe als Vorbild für die zweite Säule der eu-
ropäischen Agrarpolitik zu bezeichnen, und zwar sowohl
hinsichtlich der Inhalte als auch hinsichtlich der charak-
teristischen Mischfinanzierung. Aus meiner Sicht ist die
Gemeinschaftsaufgabe das zentrale Instrument für eine
erfolgreiche Etablierung der zweiten Säule in Deutsch-
land. Die meisten Länder können ohne die Gemein-
schaftsaufgabe keine zweite Säule aufbauen, weil die
Landesmittel allein schlicht nicht zur Kofinanzierung
der EU-Gelder ausreichen.

Herr Carstensen hat natürlich recht, wenn er darauf
hinweist, daß Schleswig-Holstein nicht alle Mittel abge-
rufen hat. Wir haben nur die Mittel abgerufen, die wir
abrufen konnten. Das werden wir auch weiterhin tun.
Ich hoffe zwar, daß es mehr wird. Aber dieses Geld fehlt
natürlich nicht nur im Bereich der Agrarwirtschaft, son-
dern auch im Bereich des Küstenschutzes, besonders für
die Ostsee. Das muß man deutlich sehen.

Zweifellos müssen wir die Gemeinschaftsaufgabe in-
haltlich verschlanken und weiterentwickeln. Zentrale
Ansatzpunkte sind im Koalitionsvertrag genannt. Aber
unzweifelhaft ist auch, daß der Finanzrahmen der Ge-

Minister Klaus Buß (Schleswig-Holstein)







(B)



(A) (C)



(D)


meinschaftsaufgabe erhalten bleiben muß. Nur so kann
der Bund seine koordinierende Funktion bei der Förde-
rung der ländlichen Räume behalten. Ich weiß, daß
Bundesminister Funke das ganz genauso sieht. Er hat es
mir erst vor kurzem gesagt. Ich bitte Sie alle sehr herz-
lich, ihn in diesem Punkt besonders bei den Haushalts-
beratungen intensiv zu unterstützen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404504500
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, CDU/CSU-
Fraktion.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1404504600
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen
Sie auch mich zunächst auf meine Vorredner eingehen.
Als erstes hat der Parlamentarische Staatssekretär
Gerald Thalheim hier festgestellt, daß er weiß, was er
weiß. Das will ich Ihnen gar nicht bestreiten. Aber hof-
fentlich wissen Sie, Herr Thalheim, immer, was Sie tun.

Ich habe hier einen Zeitungsartikel vorliegen, den ich
Ihnen nachher gerne geben kann. Dieser Artikel ist nicht
vor irgendeiner Wahl erschienen, wenn man die Hes-
senwahl außer acht läßt. In diesem Artikel wird Herr
Thalheim mit dem Satz zitiert, daß die Gasölbeihilfe
und die Berufsgenossenschaftsmittel in vollem Um-
fang gerettet seien. Er hat dies auch hier im Parlament
gesagt. Was gilt denn jetzt eigentlich? Der hier vorlie-
gende Zeitungsartikel stammt vom 16. Februar dieses
Jahres.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das sind die Halbwertszeiten dieser Regierung!)


Kurze Zeit später, nach den hessischen Landtagswahlen,
werden die Mittel für die Berufsgenossenschaften ge-
kürzt, obwohl Herr Thalheim hier dafür eingetreten ist,
daß die Berufsgenossenschaftsmittel nach der Agenda
2000 – in einer ganz schwierigen Situation für die
Landwirtschaft – unbedingt erhalten werden müssen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das ist Wahlbetrug!)


Was ist aus der Gasölbeihilfe geworden? Ich habe
heute keine Aussage – komischerweise auch nicht von
Ihnen, Herr Buß – über die Gasölbeihilfe gehört. Wenn
Sie hier schon über die Interessen der schleswig-
holsteinischen Landwirtschaft referieren – das erachte
ich für sehr sinnvoll –, muß ich fragen, warum Sie nicht
ein Wort zur Gasölbeihilfe gesagt haben. Wird hier
der nächste Anschlag auf die deutsche Landwirtschaft
geplant?

Zur Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft ha-
be ich von Ihnen, Herr Thalheim, eine ganz interessante
Aussage gehört, nämlich daß wir angeblich in unserer
Wettbewerbsposition ungeheuer gestärkt worden seien.
Gestern haben die Professoren etwas ganz anderes dazu
gesagt. Diese Professoren sind hier schon zitiert worden.
Ich möchte Frau Ulrike Höfken nur raten, etwas vor-

sichtiger zu sein, wenn sie sich auf Herrn Wolfram
bezieht. Ich bin der Meinung, daß ihr dann, wenn ihr
davon ausgeht, daß sich die bisherigen Tendenzen fort-
setzen, nicht der Agenda 2000 hättet zustimmen und sie
verabschieden dürfen.

Im übrigen – das sage ich einmal ganz klar –: Wenn
man die Kritik aufnähme, gäbe es in Deutschland keine
Landwirtschaft mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich dachte immer noch, daß wir das in diesem Hause
gemeinsam verhindern wollten.

Sie haben zur Gasölbeihilfe nichts gesagt. Was ist da
denn schon wieder geplant? Warum hört man hier von
keinem Koalitionsredner etwas? Vielleicht wird ja der
Koalitionsredner, der nach mir spricht, noch etwas dazu
sagen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die werden doch überhaupt nicht mehr gefragt!)


Ich muß wohl gestern auch auf einer anderen Veran-
staltung gewesen sein.


(Zuruf von der SPD: Das waren viele von euch!)


Peter Harry Carstensen hat das hier schon ausgedrückt.
Selbst die sozialdemokratisch regierten Länder haben
dort ausgeführt, daß die Agenda 2000 im Bereich Rind-
fleisch kaum zu administrieren ist. Sie haben von dem
Anlastungsrisiko für die Länder und für die einzelnen
Betriebe gesprochen, das in dem Bereich herrscht. Herr
Backhaus, Sie waren selbst da. Ich glaube, Sie haben es
sogar mit gesagt. Das Ganze wird so kompliziert gestal-
tet, daß alleine die Einrichtung eines EDV-Programms
in Bayern 18 Millionen DM kosten wird.

Ich sage Ihnen schon heute, da werden auch Mittel
für eine aktive Gestaltung der Agrarpolitik entzogen;
manchmal hat man ja den Eindruck, daß es heute in der
Agrarpolitik darum geht. Mir hat neulich einmal ein
Landwirt gesagt: Mein Vater war Bauer, ich bin Land-
wirt, und mein Sohn hat höchstens noch eine Chance,
Agrarbürokrat zu werden. Wenn das die Perspektiven
sind, die Sie hier vermitteln, dann sind es schlimme Per-
spektiven für die deutsche Landwirtschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1404504700
Herr Kollege Ron-
söhr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Heinrich?


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1404504800
Bitte,
gerne, dann kann ich solange trinken.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1404504900
Lieber Herr Kollege Ron-
söhr, Sie haben gerade Professor Wolfram zitiert bzw.
die Aussage gegenüber seiner Person gemacht: Wenn
das die Agrarpolitik wäre, gäbe es heute keine Landwirt-
schaft mehr. Frage: Sind Sie nicht mit mir der Meinung,
daß es Aufgabe der Wissenschaft ist, Fehlentwicklungen

Minister Klaus Buß (Schleswig-Holstein)







(A) (C)



(B) (D)


der Politik aufzudecken und ihre negativen Auswirkun-
gen bei Anhörungen schonungslos darzustellen?


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1404505000
Selbst-
verständlich ist das eine Aufgabe der Wissenschaft.
Aber alle anderen Wissenschaftler haben ausgesagt, daß
die Landwirtschaft in Deutschland auf keinen Fall unter
Weltmarktbedingungen existieren kann.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das hat er auch nicht gesagt! Im Gegenteil!)


Wenn ich das mit den Ausgleichszahlungen so kriti-
siere: Wir sind hier dafür eingetreten, daß die Landwirte
vor allem über Marktpreise ihr Einkommen erzielen.
Das ist aber bei der Agenda 2000 von dieser Bundes-
regierung nicht durchgesetzt worden.

Nun halte ich zwar diese Politik, die Bundesminister
Funke dort gefahren ist, für sehr katastrophal, aber ich
muß doch heute die Realitäten erkennen. Ich muß er-
kennen, daß wir in der Politik jetzt leider mit dieser
Agenda 2000 umgehen müssen.


(Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)


– Nein, ich habe eine Zwischenfrage gestattet. Ich bitte,
jetzt keine zweite mehr zu stellen.

Ich muß doch feststellen, daß es kaum Alternativen
gibt. Wenn ich dem Landwirt jetzt die unzureichenden
Ausgleichszahlungen auch noch nehme, wie können wir
dann überhaupt noch Existenzsicherung betreiben? Na-
türlich müssen wir die Landwirtschaft wettbewerbsfähi-
ger machen. Das ist von vielen Rednern zum Ausdruck
gekommen. Deswegen wirkt eine Kürzung oder Strei-
chung der Gasölbeihilfe so verheerend. Sie wirkt doch
wirklich verheerend; denn die Franzosen bezahlen über-
haupt keine Mineralölsteuer. Unsere Landwirte werden
unter dieser Koalition ständig mit Mineralölsteuererhö-
hungen konfrontiert. Sie bekommen dann nicht einmal
mehr die Gasölbeihilfe, die sie vorher immer bekommen
haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich kann nur unterstützen, was Herr Thalheim hier

gesagt hat. Ich kann es Ihnen vorlesen. Herr Thalheim
ist für die Beibehaltung der Gasölbeihilfe und für die
vollständige Beibehaltung der Berufsgenossenschafts-
mittel eingetreten. Setzen Sie es doch bitte um, Sie be-
kommen von uns dann Rückenstärkung! Wir sind gerne
bereit, Sie zu stärken.

Was ist denn bei der Agenda 2000 zitiert? Herr Buß,
Sie haben hier davon gesprochen, daß Sie einen gemein-
samen Beschluß zwischen Bund und Ländern geschaf-
fen haben. Nur, wer ist denn von dieser Gemeinsamkeit
abgerückt? – Diese Bundesregierung, Herr Thalheim
und Herr Minister Funke.

Herr Minister Funke hat damals davon gesprochen,
daß es, wenn die Agenda 2000 auch nur teilweise umge-
setzt werde, einen Kahlschlag im ländlichen Raum gebe.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Ich kann ihm da folgen. Nur, wer ist jetzt eigentlich der
Holzfäller? Das ist Karl-Heinz Funke neben Fischler
und einigen anderen; das muß hier doch einmal ganz
deutlich gesagt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wo bleiben denn nun die

Perspektiven, die diese Bundesregierung den Bauern
aufzeigt? Ich bedaure ja sehr, daß Karl-Heinz Funke
heute nicht anwesend ist. Ich will das nicht kritisieren.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Er ist krank! Das ist geradezu unverschämt von Ihnen! – Gegenruf des Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Die Genesungswünsche kamen von der Opposition! Beschweren Sie sich einmal beim Staatssekretär, der ihn nicht entschuldigt hat!)


– Ich habe ihn nicht kritisiert, und ich wollte ihn auch
nicht kritisieren. Ich bitte Sie, einmal zuzuhören.

Wenn Herr Minister Funke hier das Wort ergriffen
hat, dann hat er weder darüber gesprochen, wie die Ziel-
setzung seiner Agrarpolitik aussieht, noch darüber, wie
sich die Agrarpolitik in Deutschland und in Europa
weiterzuentwickeln hat. Es geht doch jetzt auch um die
konkrete Ausgestaltung der Agenda 2000, um das innere
Regime dieser Agenda 2000. Wir möchten wissen, was
eigentlich mit dem passiert, was in Berlin festgelegt
worden ist. Zuvor hat man in Brüssel unter der Regie
von Karl-Heinz Funke beschlossen, daß es beim Rind-
fleisch keine Interventionen mehr geben soll. In Berlin
hat man dagegen von Ad-hoc-Interventionen gespro-
chen. Gibt es sie, oder gibt es sie nicht? Wie wird denn
jetzt intern ausgestaltet?

Zur internen Ausgestaltung des Milchquotenregimes
ist faktisch gar nichts gesagt worden. Jeden Tag wird der
Bauer in Deutschland mit einer neuen internen Ausge-
staltung des Milchquotenregimes durcheinanderge-
bracht. Bei uns in Niedersachsen – ich sage das jetzt für
Niedersachsen, weil ich es für andere Teile Deutsch-
lands nicht nachvollziehen kann – steigen die Quoten-
preise deswegen ganz extrem. Die Bauern werden stän-
dig verunsichert; sie wollen jetzt aber endlich Sicherheit
haben. Dazu sagt die Regierung kein Wort.

Zwar hat es auch früher Unsicherheiten gegeben.
Allerdings war die Agenda 2000 die einzige Chance, in
diesen Bereich wieder Sicherheit hineinzubringen und
Fehlentwicklungen bei der Milchquote abzubauen. Dies
haben Sie ständig angekündigt. Aber Sie haben sich
schon bei den Verhandlungen nicht durchgesetzt, und
heute ist von der Koalition nichts dazu gesagt worden.
Es geht hier doch um Fragen, die wir zu stellen und
gemeinsam zu beantworten haben.

Der Bauernverband, den Sie immer zitieren, hat ein
Modell vorgelegt. Wo bleibt das Modell dieser Bundes-
regierung? Wo bleibt eine gewisse Planungssicherheit
für die Landwirte? Frau Wolff, ich rufe Ihnen in Erinne-
rung, daß gestern bei der Anhörung überhaupt nicht über
Planungssicherheit gesprochen wurde. Die meisten Be-
schlüsse im Rahmen der Agenda 2000 laufen im Jahre
2006 aus. Wie kann ich angesichts dessen von Planungs-

Ulrich Heinrich






(B)



(A) (C)



(D)


sicherheit sprechen, wenn ich in meinen landwirtschaft-
lichen Betrieb investieren will? Ich glaubte immer, daß
ich Investitionen für einen längeren Zeitraum und nicht
für einen Zeitraum von nur fünf oder sechs Jahren tätige.
Planungssicherheit ist hier doch nicht gegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Hinzu kommt dann noch eine hausgemachte Verunsi-

cherung. Früher haben wir auf den bäuerlichen Betrie-
ben mit vom Eingemachten gelebt. Heute geht es bei
Rotgrün nicht mehr nur an das Eingemachte, sondern
ganz massiv an die Substanz der Bauern. In diesem Zu-
sammenhang erinnere ich an die Vorsteuerpauschale:
Ihr habt sie vor der Wahl gemeinsam mit uns auf
10 Prozent erhöht, Gerald Thalheim. Nach der Wahl
wird sie auf 9 Prozent, jetzt möglicherweise auf 8 Pro-
zent gesenkt. Hätten wir das gemacht, hättest du von
dieser Stelle aus von Wahlbetrug gesprochen. Ich tue
dies nicht; aber ihr solltet euch einmal überlegen, was
ihr dort tut. Es wird immer weiter gekürzt. Das bringt
doch keine Sicherheit in den Wettbewerb, dem sich die
bäuerlichen Betriebe zu stellen haben.

Jetzt wird deutlich, daß die Agenda 2000 offenbar
nicht reicht. Ich habe hier eine Pressemitteilung, die
über das berichtet, was Karl-Heinz Funke vor dem Mäl-
zerbund gesagt hat. Nach diesem Bericht geht er davon
aus, daß die Preise für landwirtschaftliche Rohstoffe
noch weiter sinken würden. Ich hatte sogar den Ein-
druck, daß er die Auffassung vertrat, sie müßten weiter
sinken, weil die Mälzer möglichst günstig an Rohstoffe
herankommen wollen. Er hat natürlich gewußt, vor wem
er dort spricht. Nur, ob das der Interessenlage der deut-
schen Bauern entspricht, wagen wir wohl alle zu be-
zweifeln, wenn wir mit den Bauern in diesem Lande
noch ehrlich umgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kann nur sagen: Führt die Agrarpolitik endlich

einmal aus der Flickschusterei heraus. Ihr reißt Löcher
im Haushalt auf, und die deutschen Bauern müssen
dafür geradestehen.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Wir schütten eure Löcher zu!)


Lest doch einmal den Bundesbankbericht: Ihr habt die
30 Milliarden DM doch ausgegeben, über die ihr hier
gesprochen habt. Jetzt müssen die Bauern dafür gerade-
stehen. Das kann nicht sein.

In einer Zeit, in der ihr diese Bauern mit großen Bela-
stungen durch die Agenda 2000 konfrontiert, wäre es
wichtig, daß sich die Bauern zumindest national wieder
auf eine zuverlässige Politik verlassen können. Aber
offenbar sind sie bei Rotgrün nur verlassen, weil die jet-
zige Bundesregierung zumindest im agrarpolitischen
Bereich unzuverlässig ist


(Zurufe von der CDU/CSU: In allen Bereichen!)


und weil sich die Agrarpolitik von Minister Funke nur
darauf beschränkt, Rabattgeber für die agrarpolitische
Unvernunft der grünen und der roten Fraktion zu sein.

Vielen Dank, daß Sie mir zugehört haben. Herr
Schwanhold, auch Ihnen vielen Dank. Es mußte Ihnen
einmal gesagt werden, was für eine Politik Sie betreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ernst Schwanhold [SPD]: Das habe ich auch verstanden!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404505100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Heino Wiese. Wie ich gehört
habe, ist es seine erste Rede.


Heino Wiese (SPD):
Rede ID: ID1404505200
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon etwas
Besonderes, das erste Mal im Deutschen Bundestag zu
reden. Ich finde das sehr spannend, und ich bin ein biß-
chen aufgeregt. Dennoch sollte ich ein bißchen ruhiger
als Herr Ronsöhr reden,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


weil ich diese Temperamentsausbrüche nicht nachvoll-
ziehen kann. Es ist mir immer wieder ein Rätsel, wie
man sich über eine Politik, die in großen Teilen schon
von der alten Regierung in die Wege geleitet worden ist,
so erregen kann.

Was die Planungssicherheit betrifft, Herr Ronsöhr:
Diese Planungssicherheit ist zumindest im letzten Jahr
deutlich größer geworden, auch wenn sie vielleicht noch
nicht optimal ist.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404505300
Wollen Sie
gleich eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ronsöhr
beantworten?


Heino Wiese (SPD):
Rede ID: ID1404505400
Ich möchte in mei-
ner ersten Rede keine Zwischenfragen beantworten. Das
bringt mich nur durcheinander.


(Beifall bei der SPD – Arne Fuhrmann [SPD]: Das weiß Herr Ronsöhr auch genau!)


Ich möchte mich in meinem Beitrag zum Agrarbe-
richt der Bundesregierung mit der Entwicklung des
ländlichen Raumes beschäftigen. Der Strukturwandel
in der Landwirtschaft vollzieht sich schrittweise im
Zuge des Generationenwechsels. Die gesteigerte Wett-
bewerbsfähigkeit führt zu einem immer geringeren Be-
schäftigungsgrad in der Landwirtschaft, und zwar nicht
erst seitdem wir an der Regierung sind, sondern schon
etwas länger. Von 1960 bis 1998 sind 3,6 Millionen
Arbeitsplätze weggefallen, und über 1 Million Betriebe
wurden aufgegeben. Heute sind nur noch etwa 2 Prozent
der Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft
tätig. Die Zahl, über die wir hier reden, ist also gar nicht
so groß. Auch im Agrarsektor ist Rationalisierung eine
Folge des immer stärkeren Wettbewerbes. Unsere
Landwirte machen eine hervorragende Arbeit mit außer-
ordentlichen Produktivitätssteigerungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr






(A) (C)



(B) (D)


Man könnte in diesem Zusammenhang vielleicht sogar
sagen: Vielleicht arbeiten sie sogar ein wenig zu gut.

Ökonomische Nachhaltigkeit durch wettbewerbs-
fähige Betriebe ist unter regionalpolitischen Gesichts-
punkten nur die eine Seite der Medaille. Die Landwirt-
schaft hat ohne Zweifel als erste Aufgabe, möglichst
kostengünstig und umweltverträglich Nahrungsmittel zu
produzieren.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das tut sie!)

– Das tut sie an vielen Stellen.

Ein nicht hoch genug zu bewertender Beitrag der
Landwirtschaft für die Gesellschaft ist aber auch in der
Erhaltung der historisch gewachsenen Kulturlandschaft
zu sehen. Das abwechslungsreiche Nebeneinander von
Ackerflächen, Wald, Bauernhöfen und Weiden ist das
Spiegelbild der Lebensbedingungen unserer Vorfahren.
Dies soll auch so bleiben.

Die Entwicklung ländlicher Räume soll zu einer
zweiten Säule der gemeinsamen Agrarpolitik werden.
Das ist in der Agenda 2000 festgelegt worden. Über
8 Milliarden DM jährlich werden von der EU in den
nächsten sieben Jahren für die Entwicklung der länd-
lichen Räume ausgegeben. Natürlich ist das nicht hinrei-
chend, aber auf der anderen Seite kann man damit auch
schon eine ganze Menge bewegen.

Die Leitlinien einer neuen ländlichen Entwick-
lungspolitik sind Dezentralisierung und Flexibilisie-
rung. Die Länder sind aufgefordert, ihre Vorschläge für
Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum vor-
zulegen.


(Zuruf des Abg. Albert Deß [CDU/CSU])

– Das will ich gar nicht bestreiten. – Sie können dabei
aus dem Menü, das die neue Verordnung zur ländlichen
Entwicklung anbietet, entsprechend ihren Bedürfnissen
auswählen. Dabei ist es eine deutliche Vereinfachung,
daß die bisher neun Verordnungen zu einer einzigen
Verordnung zusammengefaßt wurden. Zu den geför-
derten Maßnahmen gehören zum einen Investitionen
für landwirtschaftliche Betriebe zur Verbesserung der
Betriebsführung, Investitionen zur Verbesserung der
Hygiene und des Tierschutzes, alternative Vermark-
tungsformen von Agrarprodukten, Weiterbildungsmaß-
nahmen und Niederlassungsbeihilfen für Jungbauern.
Daneben können auch Vorruhestandsregelungen, Unter-
stützung von Dorferneuerungsprogrammen sowie Maß-
nahmen des Natur- und Umweltschutzes gefördert wer-
den.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was tut die Bundesregierung dazu?)


– Es hätte mich gewundert, wenn ich heute keinen Zwi-
schenruf von Ihnen gehört hätte, Herr Hornung. Als jun-
ger Abgeordneter liest man ja zur Vorbereitung, was im
vergangenen Jahr zum Agrarbericht gesagt worden ist.
Ich habe in der damaligen Debatte 29 Zwischenrufe des
Kollegen Hornung zählen können.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Er kommt auch sonst nicht zu Wort!)


Es waren aber nicht unbedingt Zurufe, aus denen ich
etwas lernen konnte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Grundsätzlich sollen die Fördermaßnahmen der
zweiten Säule künftig nicht ausschließlich auf die
Landwirtschaft fokussiert werden, sondern die gesamte
wirtschaftliche und soziale Dimension der ländlichen
Räume berücksichtigen.

Im übrigen gab es in der 70er Jahren während der
Ölkrise in Frankreich den Spruch: On n'a pas de petrol,
mais on a des idées. Das heißt soviel wie: Wir haben
zwar keinen Sprit, aber wir haben gute Ideen. Dies sollte
man in den Zeiten der knappen Kassen berücksichtigen.
Gute Ideen sind immer in der Lage, fehlende Subventio-
nen zu ersetzen.

An dieser Stelle muß ich sagen, daß ich immer sehr
erstaunt bin, wenn Herr Heinrich über Wettbewerb und
Wettbewerbsfähigkeit redet, aber dabei eigentlich die
Erhöhung von Steuersubventionen meint.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Das ist deren Konzept! – Walter Hirche [F.D.P.]: Sie haben nicht zugehört!)


Ich denke, daß wir gute Ideen brauchen. Deshalb be-
grüße ich sehr, daß das Landwirtschaftsministerium ein
Expoprojekt aufgelegt hat, in dem zwölf ausgewählte
deutsche Dörfer ihre Ideen zum idealen Dorf 2000 zu-
sammengetragen haben. Gute Beispiele sind immer der
erfolgreichste Weg zur Verbesserung der Verhältnisse.

Ich möchte zum Abschluß noch ein paar Dinge zu
Herrn Carstensen sagen. Er ist nicht mehr hier.


(Zuruf von der SPD: Den interessiert die Agrardebatte nicht!)


Herr Carstensen, von Ihnen habe ich heute und auch ge-
stern schon eine Menge gelernt. Zum einen haben wir
eine Vorstellung von der nordfriesischen Demokratie
bekommen: Die 4 Prozent, die ihn noch nicht wählen,
bekommen wir auch noch heraus. Zum anderen hat er
mir gestern erzählt, daß man als Landwirt eines lernen
müsse: jammern ohne zu leiden. Das beherrschen so
manche Landwirte doch sehr gut.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb ist es dann weniger glaubwürdig, wenn diejeni-
gen, die wirklich leiden, ihre Argumente vorbringen.

Zum Abschluß eine kleine Geschichte, die mir aufge-
fallen ist.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404505500
Herr Kollege,
auch bei ganz großzügiger Auslegung Ihrer Redezeit:
Eine ganze Geschichte dürfen Sie jetzt nicht mehr
erzählen.


(Heiterkeit)



Heino Wiese (SPD):
Rede ID: ID1404505600
Es ist ein ganz kur-
zes Zitat, das ich Ihnen aus einer Debatte der 13. Wahl-

Heino Wiese (Hannover)







(B)



(A) (C)



(D)


periode vorlesen möchte. Da sagte Herr Carstensen, von
dem ich immer dachte, er sei ein Mann, der zu seinem
Wort steht:

Schröder hat bei der Vorstellung seiner Kernmann-
schaft nicht einmal Andeutungen über die Beset-
zung eines eigenständigen Ministeriums für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Forsten gemacht. Ich
verwette mein volles Haupthaar, daß wir im Herbst
dieses Jahres keinen SPD-Landwirtschaftsminister
haben werden.

Ich sehe nicht, daß er sein Haupthaar geopfert hat.
Danke schön.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404505700
Herr Kollege,
der Beifall hat Ihnen schon gezeigt, daß Ihnen das ganze
Haus zu Ihrer ersten Rede gratuliert.


(Beifall)

Ich weiß aus eigener Erfahrung: In Agrardebatten gibt es
nicht nur besonders viele Zurufe, sondern da wird auch
besonders viel geduzt.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Trotzdem finde ich es unfair, daß er Peter Harry Carstensen zur Glatze aufgefordert hat!)


Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 14/347 und 14/348 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Entschließungsanträge auf den Drucksachen
14/1155, 14/1156 und 14/1158 sollen an dieselben Aus-
schüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 sowie Zusatzpunkt 5
auf:
5. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.

Michael Luther, Dr. Angela Merkel, Ulrich
Adam, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verbesserung der beruflichen Reha-
bilitation der Opfer politischer Verfolgung im

(SED-Opfer-Rehabilitations-Verbesserungsgesetz)

– Drucksache 14/1001 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder(federführend)InnenausschußRechtsausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungHaushaltsausschuß

ZP5 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verbesserung der SED-Unrechtsbereinigungs-
gesetze
– Drucksache 14/1165 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Widerspruch
höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen.

Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Dr. Michael
Luther.


Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1404505800
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist der
17. Juni 1999. Vor 46 Jahren, am 17. Juni 1953, for-
derten Arbeiter, Angestellte, Bauern und auch Studenten
in der damaligen DDR Demokratie, Rechtsstaatlichkeit
und soziale Gerechtigkeit. Warum ist dieser 17. Juni für
uns noch heute von so großer Bedeutung? Der 17. Juni
war Höhepunkt und Ende des ersten Versuches, das
SED-Regime im Osten Deutschlands zu beseitigen.

Erinnern wir uns: Vorausgegangen war der Tod Sta-
lins am 5. März 1953. Hierdurch geriet das politische
System der damaligen DDR in Bewegung. Es kursierten
Gerüchte, daß Walter Ulbricht abgelöst werden soll. Die
innenpolitische Situation der DDR war durch schlechte
Versorgung mit Lebensmitteln, staatlichen Terror und
willkürliche Verhaftungen geprägt. Hinzu kam eine vom
Ministerrat Ende Mai 1953 beschlossene allgemeine Er-
höhung der Arbeitsnormen, was erhebliche Unruhen
hervorrief und die Fluchtbewegung aus der DDR ver-
stärkte.

Auch wenn ein neuer Kurs und wirtschaftliche Zuge-
ständnisse verkündet wurden: Am 16. Juni 1953 streik-
ten und demonstrierten Bauarbeiter in der Ostberliner
Stalinallee, dem Vorzeigeobjekt in Berlin. Daraus ent-
wickelte sich dann am 17. Juni der Arbeiteraufstand in
der gesamten DDR, in dessen Verlauf es in mehr als 250
Orten – darunter in allen Industriezentren – zu Streiks
und Demonstrationen kam. Rund 10 Prozent der Arbei-
ter haben sich damals an diesem Aufstand beteiligt.

Die SED war der innenpolitischen Situation nicht
mehr Herr und hat deshalb die sowjetischen Truppen
aufgefordert, diesen Aufstand niederzuschlagen, was
diese dann auch getan haben. Der Aufstand forderte
viele Todesopfer. Hiernach erfolgte eine Verhaftungs-
welle. Rund 1 200 Menschen wurden verhaftet.

Meine Damen und Herren, nach dem Selbstverständ-
nis der DDR verkörperte sich im Staat die Herrschaft
des Volkes. Kritik und Opposition richteten sich dem-
nach gegen das Volk und mußten entsprechend verfolgt
werden. Auf diese Weise wurde Opposition kriminali-
siert. Nicht nur der politischen Opfer des 17. Juni ist
heute zu gedenken, sondern es ist an die politischen Op-
fer des DDR-Regimes insgesamt zu erinnern. Denn die
Betrachtungsweise, daß Opposition kriminell ist, zieht
sich durch die gesamte Zeit der SED-Herrschaft. Sie
prägte das politische und gesellschaftliche Verständnis
der Mitglieder der SED.

Für Oppositionelle, auch wenn sie sich nur in einem
ganz geringen Maße gegen das Regime wandten und es
in nur geringem Maße kritisierten, war das mit verhee-
renden Folgen verbunden: Sie wurden politisch verfolgt
und inhaftiert. Ihre Lebensbiographie war von Diskrimi-
nierung und Ausgrenzung gekennzeichnet. Das waren

Heino Wiese (Hannover)







(A) (C)



(B) (D)


nicht wenige. Wir wissen heute, daß weit über 100 000
Menschen in der DDR politisch verfolgt wurden. Des-
halb haben wir in der Vergangenheit das Strafrechtliche-,
das Berufsrechtliche- und das Verwaltungsrechtliche
Rehabilitierungsgesetz beschlossen. Diese drei Gesetze
bringen zum Ausdruck, welch vielfältige Nachteile Op-
positionelle im Zuge politischer Verfolgung in der DDR
hinnehmen mußten.

Ich gestehe ein: Die bisherigen Rehabilitierungsge-
setze können nicht alle Probleme lösen. Deshalb ist es
richtig, daß wir über Nachbesserungen nachdenken. Ich
freue mich darüber – das sage ich an dieser Stelle un-
verblümt –, daß sich die jetzige Bundesregierung vorge-
nommen hat, auch hier etwas zu tun und zum Beispiel
eine Haftentschädigung in Höhe von 600 DM für alle
einzuführen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was mich allerdings wundert, ist – diese Bemerkung
sei an dieser Stelle gestattet –: Es gab zur ersten Sitzung
des Bundestages in Berlin im umgebauten Reichstags-
gebäude eine Regierungserklärung. Heute gibt es wieder
nur einen Antrag; der Gesetzentwurf liegt noch immer
nicht vor. Darauf warten wir noch. Wir werden, wenn
der Gesetzentwurf vorgelegt wird, diesen Überlegungen
nicht entgegenstehen und konstruktiv mitarbeiten.

Ich will aber auf folgenden Punkt aufmerksam ma-
chen: Ein zentrales Problem von Opfern politischer Ver-
folgung lösen wir mit den Überlegungen der Bundesre-
gierung nicht. Das Strafrechtliche-, das Verwaltungs-
rechtliche- und das Berufsrechtliche Rehabilitierungsge-
setz versuchen jeweils, einzelne Benachteiligungen aus-
zugleichen. So versuchen wir zum Beispiel seit Jahren,
dem Problem der Anerkennung von gesundheitlichen
Haftschäden Herr zu werden. Es ist aber schwierig,
dramatische psychologische Haftschäden zu fassen.

Wie können wir zum Beispiel benachteiligte Le-
bensschicksale von verfolgten Schülern ausgleichen?
Wir gleichen Rentenzeiten für den Zeitpunkt der Verfol-
gung aus und versetzen die Opfer in den Stand, als wä-
ren sie beruflich nicht zurückgesetzt worden. Aber was
gerade bei verfolgten Schülern besonders deutlich wird,
ist, daß man keine hypothetischen Lebensbiographien
zeichnen kann. So geht es Schülern, die damals politisch
verfolgt wurden, heute schlechter, als hätten sie sich
unter freiheitlich-demokratischen Verhältnissen entwik-
keln können.

Hinzu kommt: Wer einmal als politisch Verfolgter
stigmatisiert war, war für sein ganzes Leben gekenn-
zeichnet. Er hatte es schwer, Arbeit zu finden. Es war
für ihn schier unmöglich, eine qualifizierte Ausbildung
zu bekommen oder abzuschließen. Damit sind sowohl
die Rentenbiographien – wenn ich beim Thema Rente
bleiben darf – als auch das Einkommen derjenigen, die
heute noch keine Rentner sind, wesentlich schlechter als
die derjenigen, die sich systemkonform verhalten haben.
Weder das Strafrechtliche- noch das Verwaltungsrecht-
liche-, noch das Berufliche Rehabilitierungsgesetz
konnten dieses Problem bislang umfänglich lösen.

Vergleicht man aber auf der anderen Seite die Situa-
tion der Täter, dann zeigt sich, daß diese durch ihre be-
sondere Systemnähe in der DDR ein hohes Einkommen
hatten, was heute in der Regel zu einer guten Rente
führt. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem
Punkt jüngst noch einmal nachgebessert und festgestellt,
daß es sich hierbei um ein schützenswertes Eigentum
nach Art. 14 GG handelt. Das heißt, der Rentenanspruch
von Verantwortlichen, von Systemkonformen ist hoch,
der Rentenanspruch derjenigen, die politisch verfolgt
wurden, ist niedrig. Deshalb ist dieses Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts für die politisch Verfolgten ein
besonderer Schlag ins Gesicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerade vor dem Hintergrund dieser Entscheidung des

Bundesverfassungsgerichtes muß etwas für die Opfer
getan werden. Da hilft der Ansatz der jetzigen Koalition
nicht. Die Forderungen der Opferverbände nach einer
Ehrenrente werden gerade vor dem Hintergrund dieses
Verfassungsgerichtsurteils lauter – aus meiner Sicht zu
Recht.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat das Problem
der Nichtausgleichbarkeit von Lebensbiographien schon
in der letzten Legislaturperiode erkannt. Deshalb haben
wir § 8 des Berufsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
geändert. Danach bekommen Opfer zusätzliches Ein-
kommen, wenn es ihnen besonders schlechtgeht. Auch
wenn momentan eine Einkommensgrenze für diesen
Anspruch besteht, ist vom Grundansatz her dem Anlie-
gen Rechnung getragen: Denjenigen, die politisch ver-
folgt worden sind, muß, weil es ihnen heute oftmals be-
sonders schlechtgeht, ein zusätzliches Einkommen ge-
währt werden. Vor dem Hintergrund des jüngsten Ur-
teils des Bundesverfassungsgerichts, das den deutschen
Steuerzahler sehr viel Geld kosten wird, fordere ich des-
halb diesen Anspruch für alle.

Ich glaube, daß der Ansatz, den die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion gewählt hat, einen Schritt in die
richtige Richtung darstellt. Es ist ein moderater Schritt,
und er ist bezahlbar. Es ist keine überhöhte Forderung.
Ich verstehe auch die andere Seite, die Opferverbände,
die unseren Gesetzentwurf kritisieren und sagen, die
Höhe der Ehrenrente – oder wie auch immer man das
bezeichnet – ist mit 200 oder 300 DM viel zu niedrig.
Aber das können wir in der parlamentarischen Beratung
noch besprechen, und vielleicht kommen wir zu einem
besseren Ergebnis.

Meine Damen und Herren, wir haben heute den
17. Juni 1999. Ich erinnere mich, Herr Hacker, an Ihre
Worte anläßlich eines Gespräches mit politischen Op-
fern in Ihrer Heimatstadt Schwerin. Sie sagten damals,
daß diese Koalition jetzt ein Abschlußgesetz in den
Bundestag einbringen will. Ich glaube, wir sollten dieses
Signal nicht aussenden. Es wird den 17. Juni nicht nur
1999, sondern auch 2000, 2001 und in den folgenden
Jahren geben. Ich meine, es ist mehr als notwendig, die-
sen Tag im Gedächtnis des deutschen Volkes zu bewah-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Michael Luther






(B)



(A) (C)



(D)


Wir sollten an diesem Tag immer wieder daran erin-
nern, daß es eine Diktatur im Osten Deutschlands gab,
und wir sollten daran erinnern, daß es dafür Verantwort-
liche gibt. Die Menschen sind Erinnerungsoptimisten;
sie verfallen manchmal in DDR-Nostalgie. Aber bei al-
lem Erinnerungswerten: Die DDR war eine Diktatur mit
einem Unterdrückungsapparat, die viele Menschen in
Stasi-Gefängnisse gebracht hat. Das gehört zur Wahr-
heit, und daran müssen wir erinnern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich würde mir wünschen, daß wir jedes Jahr am

17. Juni im Deutschen Bundestag eine Debatte zu die-
sem Thema führen. Der 17. Juni hat gezeigt, daß des
Menschen hohes Gut Frieden und Freiheit sind. Die
politischen Opfer vom 17. Juni 1953, aber auch aus der
ganzen DDR-Zeit haben dafür gestritten. Sie waren
Kristallisationspunkt für die Wende vor zehn Jahren.
Diese Wende, die uns diese Debatte im Deutschen
Bundestag überhaupt erst ermöglicht, hat vor zehn Jah-
ren – auch daran möchte ich erinnern – in Ungarn, in
Sopron, begonnen. Dort wurde das Loch in den Zaun
geschnitten.

Wir alle profitieren heute von der Lebensleistung die-
ser Menschen, die sich für Frieden und Freiheit einge-
setzt haben. Deshalb ist es mir am heutigen Tage ein be-
sonderes Anliegen, ihnen einen besonderen Dank zu sa-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404505900
Das Wort hat
jetzt der Kollege Hacker.


Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1404506000
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute, am 17. Juni,
kann die Debatte im Plenum zu dem Gesetzentwurf der
CDU/CSU nicht geführt werden, ohne den historischen
Bezug zum 17. Juni 1953 herzustellen – ein Datum in
der deutschen Geschichte, das für Widerstand gegen
Diktatur und Gewalt und für Freiheit, Demokratie und
deutsche Einheit steht.

Am 17. Juni 1953 unterdrückten sowjetische Panzer
in Ostberlin und an anderen Orten der DDR den Volks-
aufstand gegen das Ulbricht-Regime. Erst im Herbst
1989 konnte erreicht werden, was am 17. Juni 1953 mit
Waffengewalt verhindert wurde. Das Scheitern des
SED-Regimes war die logische Konsequenz, weil es
sich von Anfang an auf Unfreiheit und Mißachtung der
bürgerlichen Rechte gründete.

Der Untergang der DDR war sicherlich auch das En-
de einer Illusion – vor allen Dingen bei einigen West-
deutschen –, daß es mit der DDR vielleicht doch die
bessere Bundesrepublik Deutschland geben könnte.

Herr Luther, in der Bewertung der historischen Be-
deutung des 17. Juni 1953 sind wir uns sicherlich einig.
Die Schlußfolgerungen, die wir ziehen, sind aber andere.
Wir sind dafür, daß wir jetzt handeln, daß wir schnell
handeln und daß wir denen, die sich um die Werte Frei-

heit, Demokratie, deutsche Einheit verdient gemacht ha-
ben, jetzt Hilfe anbieten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Dann legt doch einen Gesetzentwurf vor!)


Gegenüber den Opfern politischer Verfolgung in der
DDR haben wir die Pflicht, ihr Schicksal zu würdigen
und alles Mögliche zu tun, um ihre heutige Lebenssitua-
tion zu verbessern. Rehabilitierung und materielle Aus-
gleichsleistungen können nicht die Jahre der politischen
Haft, den Tod an der Berliner Mauer, die Schäden an der
Gesundheit und die beruflichen Benachteiligungen mil-
dern oder ungeschehen machen. Die Opfer bzw. ihre
Angehörigen fordern jedoch zu Recht, daß die offen-
sichtlichen Defizite in der Rehabilitierungsgesetzgebung
endlich beseitigt werden. Dies – das sage ich hier wie
auch in Schwerin – wird die jetzige Bundesregierung
leisten. Die Koalitionsfraktionen haben sich über den
Handlungsrahmen, der dazu notwendig ist, abgestimmt.
Wir werden alsbald einen Gesetzentwurf in den Deut-
schen Bundestag einbringen; unser Antrag ist dafür die
Grundlage.

Ich möchte Sie, Herr Dr. Luther, daran erinnern, daß
Sie bis 1994 gebraucht haben, um die Anstöße, die die
letzte Volkskammer, wie Sie wissen, noch im September
1990 mit dem Rehabilitierungsgesetz gegeben hatte, im
Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz umzusetzen.
Ungefähr sieben Monate nach der Bundestagswahl stre-
ben wir an, Ihren Zeitplan deutlich zu unterschreiten.
Das kann ich Ihnen versprechen.

Wir alle tragen die moralische und geschichtliche
Verantwortung gegenüber dem Schicksal der Opfer des
SED-Regimes und halten die Zusagen ein, die die SPD
und insbesondere Bundeskanzler Gerhard Schröder den
Opfergruppen vor und nach der Wahl gegeben haben.

Wenn sich Diktatur – in welcher Form auch immer –
in Deutschland nicht wiederholen soll, ist dafür nicht
zuletzt die Auseinandersetzung mit dem Unrecht des
SED-Systems notwendig. Wenn sich bei den Bürgerin-
nen und Bürgern in Deutschland das Bewußtsein stärken
soll, daß es richtig ist, sich für Demokratie und Recht
einzusetzen, dann muß für die Opfer der politischen
Verfolgung in der SBZ und DDR Gerechtigkeit ge-
schaffen werden. Diese Menschen haben sich nicht ge-
beugt und sind trotz Druck aufrecht geblieben. Sie haben
dafür in Tausenden Fällen in Haft gesessen – in Baut-
zen, Hoheneck, Brandenburg, Bützow und anderswo.
An der Berliner Mauer, die nach dem Willen der SED
noch hundert Jahre stehen sollte, an der innerdeutschen
Grenze und auf der Ostsee haben Hunderte Menschen
ihr Leben verloren, nur weil sie in die Freiheit wollten.
Für sie alle stehen die Namen Peter Fechter und Chris
Gueffroy. Wir werden ihr Schicksal und das ihrer Fami-
lien nicht vergessen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Bevor ich zu Inhalten der notwendigen gesetzlichen
Regelungen und zu den Vorschlägen der CDU/CSU

Dr. Michael Luther






(A) (C)



(B) (D)


komme, möchte ich unterstreichen, daß bei aller Kritik
an der Inkonsequenz der früheren Bundesregierung in
der Rehabilitierungsgesetzgebung der Deutsche Bun-
destag mit der Ehrenerklärung vom 17. Juni 1992 ein
deutliches Zeichen gesetzt hat. Ich bedaure zugleich, daß
diese Ehrenerklärung für alle Verfolgtengruppen in
der Öffentlichkeit Deutschlands kaum wahrgenommen
wurde.


(Zuruf von der SPD: Das ist leider wahr!)

Deshalb rege ich an, in den Rehabilitierungsbehörden
der Länder diese Bundestagserklärung in geeigneter
Form für jedermann sichtbar darzustellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Ein guter Vorschlag!)


Das wäre ein weiteres öffentliches Bekenntnis, daß sich
Gesetzgeber und Landesbehörden der Verantwortung
gegenüber den Opfern bewußt sind. Ich appelliere an
die zuständigen Landesminister und Behördenleiter, die-
sen Gedanken aufzugreifen und umzusetzen. Das kostet
wahrlich nicht viel – weder Arbeitszeit noch Geld.

Ich möchte jetzt auf den vorliegenden Gesetzentwurf
der CDU/CSU kurz eingehen. Auch dieser Gesetzent-
wurf wird den Erfordernissen und meines Erachtens den
berechtigten Erwartungen der Opfer nicht gerecht. Er
enthält im wesentlichen zwei Vorschläge: Leistungsver-
besserungen für verfolgte Schüler und zusätzliche finan-
zielle Ausgleichsleistungen bei mindestens drei Jahren
Verfolgungszeit, also eine Art Opferrente. Diese Vor-
schläge, Herr Dr. Luther, die wir in den Berichterstatter-
gesprächen ausführlich erörtern werden, bleiben unzu-
reichend und enthalten Widersprüche in sich. Ich meine,
es gibt insbesondere Widersprüche hinsichtlich der Zu-
gangsvoraussetzung drei Jahre Verfolgungszeit. Aber
darüber werden wir sprechen.

Was mich besonders irritiert, ist die Tatsache, daß die
CDU/CSU die Notwendigkeit schnellstmöglicher Ver-
besserungen – ich zitiere jetzt aus Ihrer Begründung –
der Situation der Opfer des SED-Regimes mit den
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom
28. April 1999 in einen rechtsstaatlich nicht haltbaren
Zusammenhang bringt.


(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Dr. Luther, ich denke auch, Ihre heuti-

gen Ausführungen waren nicht hilfreich. Wir haben hier
im Plenum des Deutschen Bundestages immer wieder
Nebeldebatten um Stasi-Renten, um Renten aus Son-
der- und Zusatzversorgungssystemen geführt. Dies
hat mit unserer Gesetzgebung zum Rehabilitierungsrecht
formaljuristisch nichts zu tun.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber auch nur formaljuristisch! – Dr. Michael Luther [CDU/ CSU]: Aber politisch!)


Die Begründung dafür, daß wir die Defizite in der Re-
habilitierungsgesetzgebung jetzt ausgleichen wollen,
brauchen wir nicht aus Stasi-Renten abzuleiten. Wir
leiten sie aus einer Verantwortung gegenüber den Op-

fern ab. Ich denke, da ist ein grundsätzlicher Unter-
schied in der Betrachtungsweise.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wo liegt bei der CDU/CSU die Logik, frage ich Sie,
wenn Sie die Gerechtigkeit gegenüber den Opfern des
SED-Systems abhängig machen von der Gestaltung der
Rentenansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und
Sonderversorgungssystemen der DDR? Wo liegt da die
Logik? Es gibt keine Logik.


(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Da haben Sie bei dem, was ich gesagt habe, nicht zugehört!)


Sie bleiben sich also treu: Weder in der Regierungs-
verantwortung noch in der Oppositionsrolle bringen Sie
bei der Rehabilitierungsgesetzgebung Entscheidendes
auf den Weg, um Gerechtigkeit zu schaffen. Auch dieser
Gesetzentwurf bleibt Stückwerk. Er wird von den Op-
ferverbänden nicht ernst genommen werden, weil die
Defizite der beiden SED-Unrechtsbereinigungsgesetze
und der unvollkommenen Novellierungen entweder
nicht erkannt oder ignoriert werden.

Die Schwachstellen Ihrer Gesetzgebung sind bekannt.
Wir haben sie Ihnen in den Berichterstattergesprächen,
in den Beratungen im Rechtsausschuß und auch im Ple-
num aufgezeigt.

Die Defizite der bisherigen Gesetzgebung und die
daraus resultierende Enttäuschung bei den Opfern und
ihren Angehörigen ergeben sich daraus, daß Sie wegen
Ihres fiskalisch bestimmten Ansatzes den Blick für die
Situation der Opfer verloren haben.

Mit dem Gesetzentwurf vom 19. März 1996 haben
wir Ihnen den Mängelkatalog Ihres Handelns aufgezeigt.
Wir haben noch in der letzten Runde der Beratungen zu
Ihrem damaligen Gesetzentwurf mit Änderungsanträgen
in der Drucksache 13/7502 versucht, die entscheidenden
Probleme zu lösen. Sie haben damals blockiert; das muß
man auch heute so deutlich sagen. Mit dem von Ihnen
vorgelegten Gesetzentwurf gewinnen Sie keine Glaub-
würdigkeit zurück.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich rufe noch einmal die Punkte in Erinnerung, die

aus der Sicht der SPD von besonderer Bedeutung sind
und mit dem Koalitionspartner abgestimmt sind und die
in einen Gesetzentwurf und dann in ein Gesetz für die
Betroffenen Eingang finden werden.

Es ist dies die einheitliche Kapitalentschädigung in
Höhe von 600 DM pro angefangenen Haftmonat. Es
sind Verbesserungen bei der Anerkennung von haftbe-
dingten Gesundheitsschäden und bessere Leistungen für
die Verschleppten jenseits von Oder und Neiße.

Warum sind das für uns die entscheidenden Rege-
lungspunkte? Sie sind es, weil ein Jahr Haft in Bautzen
für alle Betroffenen die gleiche Wirkung hatte, egal ob
der Betroffene später in der DDR blieb, in die Bundes-
republik Deutschland flüchtete oder freigekauft wurde.

Hans-Joachim Hacker






(B)



(A) (C)



(D)


Sie sind es zum anderen deshalb, weil seit den schä-
digenden Ereignissen Jahrzehnte vergangen sind und
heute der Kausalzusammenhang zwischen der politi-
schen Haft und den Schädigungsfolgen, den menschen-
unwürdigen Haftbedingungen und den heutigen Ge-
sundheitsschäden schwer nachweisbar ist und das
Schicksal der Verschleppten aus Gebieten jenseits von
Oder und Neiße – es handelt sich um etwa 80 000 Men-
schen, vor allem Frauen und Mädchen – nun endlich im
Rehabilitierungsgesetz Berücksichtigung finden muß.

Ich will an dieser Stelle auch zum Ausdruck bringen,
daß ich die Bemühungen aller Mitglieder des Rechtsaus-
schusses, die sich in Vorbereitung auf die Ausschußreise
vor wenigen Wochen nach Moskau mit diesem Thema
befaßt und sich in den offiziellen Gesprächen in Moskau
für die Rehabilitierung der Verschleppten eingesetzt ha-
ben, als hilfreich empfinde.

Nicht zuletzt kommt es uns darauf an, endlich eine
gesetzliche Regelung über Ansprüche derjenigen zu
schaffen, die ihre Angehörigen in politischer Haft verlo-
ren haben oder deren Angehörige an der Mauer zu Tode
gekommen sind.

Dies, meine Damen und Herren, sind Regelungsvor-
schläge, die von den Betroffenen erwartet werden und
die wir, die SPD-Fraktion und die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen, einfordern. Unser Antrag auf Druck-
sache 14/1165 greift genau diese Fragen auf.

Herr Dr. Luther, ich habe schon gesagt, daß wir auch
bereit sind, alle weiteren Fragen, die insbesondere von
Opferverbänden vorgetragen werden, auch jene, die Sie
vortragen werden, im Kreise der Berichterstatter gründ-
lich zu beraten und uns ihnen nicht zu verschließen.

Auch wir wissen, daß Gesetzentwürfe, die Fraktionen
in den Deutschen Bundestag einbringen, das Haus nicht
so verlassen, wie sie ursprünglich geschrieben waren. In
diesem Sinne lade ich Sie alle ein, sich in die Diskussion
zu der vielleicht doch abschließenden Regelung in der
Rehabilitierungsgesetzgebung einzubringen, Ihre Vor-
schläge vorzulegen und einen Weg zu finden, nunmehr
eine tragfähige und gerechte Regelung zur Rehabilitie-
rung und Wiedergutmachung für die Opfer der kommu-
nistischen Diktatur in der SBZ/DDR zu schaffen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404506100
Das Wort hat
jetzt Herr Kollege Rainer Funke.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1404506200
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Auch in der 14. Legislaturperiode
müssen wir uns mit dem gesellschaftlichen Trümmer-
haufen, den uns die DDR hinterlassen hat, beschäftigen.
Der Einsatz vieler Bürger der DDR für Freiheit und
Demokratie hat regelmäßig zu persönlichen Nachteilen
bei denjenigen geführt, die sich auf ihr Menschenrecht
der Meinungsfreiheit berufen haben, und das nicht nur
am 17. Juni, sondern die ganzen Jahre über. Die Unter-

drückungsmittel der SED-Diktatur waren dabei viel-
fältig. Wir haben lange gebraucht, auch hier im Bun-
destag, um diese vielfältigen Repressionsarten überhaupt
auflisten zu können.

Das wiedervereinigte Deutschland hat in den letzten
Legislaturperioden auch im Bereich der beruflichen
Rehabilitierung, über den wir heute im wesentlichen
sprechen, vieles erreicht. Aber die vielfältigen und un-
terschiedlichen Behinderungen, mit denen sich die Bür-
ger und Bürgerinnen konfrontiert sahen, werden – hier
sollte der Gesetzgeber auch keine falschen Hoffnungen
machen – nie vollständig durch Rehabilitationsvor-
schriften wiedergutgemacht werden können.


(Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es!)

Wir werden als Gesetzgeber auch nie alles Furchtba-

re, das Bürgern der DDR im Berufsleben widerfahren
ist, gesetzlich aufgreifen können. Auch heute noch sehen
wir Auswirkungen von Maßnahmen gegenüber Bürgern,
die in ihrem beruflichen Fortkommen behindert worden
sind, ohne daß sie überhaupt eine Entschädigung be-
kommen haben.

Allerdings müssen wir auch ehrlich zugeben, daß es
noch keiner Gesellschaft gelungen ist, alles Unrecht, das
in der Vergangenheit geschehen ist, wieder gutzuma-
chen. Dasselbe gilt zum Beispiel für die „alte“ Gesell-
schaft der Bundesrepublik Deutschland, was das Un-
recht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern betrifft,
das die Nazidiktatur über uns gebracht hat.

Dabei ist auch die geldliche Entschädigung, die
finanzielle Entschädigung letztlich keine Wiedergut-
machung im engeren Sinne, sondern nur der Tropfen auf
den heißen Stein, der das erlittene Unrecht im nachhin-
ein ein wenig erträglicher macht.


(Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es!)

Deshalb darf neben der Verbesserung der materiellen

Entschädigung der Opfer nicht vergessen werden, daß
der Vorgang der Rehabilitierung im Rechtsstaat wesens-
notwendig auch eine immaterielle, nämlich eine symbo-
lische Seite hat oder, wie es Professor Schmidt-Jortzig
einmal formulierte, das für alle sichtbare Wieder-ins-
Recht-Setzen der Opfer bedeutet.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Symoblik, diese Wirkung nach außen ist ganz
wichtig.

Ich begrüße es daher, daß die CDU/CSU einen Ge-
setzentwurf zur Verbesserung der beruflichen Rehabili-
tation der SED-Opfer vorlegt. In allerletzter Minute ha-
ben nun auch die Koalitionsfraktionen einen – wenn
auch wenig präzisen – Antrag mit Absichtserklärungen
eingebracht. Wir werden den Antrag bzw., wenn er als
Gesetzentwurf eingebracht wird, gemeinsam mit dem
der CDU/CSU intensiv im Rechtsausschuß beraten müs-
sen. Ich nehme Ihre Anregung, Herr Hacker, auf: Wir
werden gemeinsam mit den Berichterstattern im Rechts-
ausschuß, aber auch in den anderen Ausschüssen inten-
siv daran zu arbeiten haben, zunächst einmal das „fact
finding“ vorzunehmen, also festzustellen, wo noch Fälle

Hans-Joachim Hacker






(A) (C)



(B) (D)


zu regeln sind, was an Unrecht geschehen ist, und dann
festzulegen, wie dies finanziell einigermaßen angemes-
sen entschädigt werden kann. Ich weiß aus der Vergan-
genheit, wie schwierig es ist, die vielfältigen Repressi-
onsmittel überhaupt zu erfassen. Wir sollten uns im
Rechtsausschuß und in den anderen Ausschüssen aber
große Mühe geben, hier zu einem vernünftigen Ergebnis
zu kommen. Dazu werden wir sicherlich mit beitragen.

Schon beim Abschluß der Arbeit der Enquete-
Kommission waren alle der Ansicht, daß noch einige
Lücken zu schließen sind. Der Gesetzentwurf der
CDU/CSU ist schließlich ein Teil der Umsetzung der
Handlungsempfehlungen, und auch der Antrag der Ko-
alitionsfraktionen findet sich fast wortwörtlich in dem
Abschlußbericht wieder, was um so mehr die gute Ar-
beit der Kommission – das sollte man auch hier noch
einmal erwähnen – aufzeigt.

Der Gesetzentwurf der CDU/CSU wird hoffentlich
auch von denjenigen Kollegen aus der CDU/CSU, die
ich hier nicht sehe, unterstützt, die jene Forderungen, die
die Fraktion jetzt erhebt, noch in der letzten Legislatur-
periode aus finanzpolitischen Gründen abgelehnt haben.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: So ist es, ganz genau!)


Beispielsweise die Mitarbeit von Herrn Waigel möchte
ich gerne einfordern.

Die F.D.P. wird jedenfalls alle notwendigen und
finanzierbaren Maßnahmen zur Verbesserung der Situa-
tion der Betroffenen unterstützen; denn gerade die
Rehabilitierung ist eine essentielle Notwendigkeit für
das Einfinden der von der SED-Diktatur Verfolgten in
die Gesellschaft des wiedervereinigten Deutschlands.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404506300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich gehöre
zu denen hier im Deutschen Bundestag, für die der
17. Juni ein Tag gewesen ist, an dem feierliche Reden
gehalten wurden, die immer den Eindruck hatten, daß
viele aus dem Westen Deutschlands den 17. Juni, das
Engagement und den Kampf der Menschen im Ostteil
Deutschlands für ihre politischen Zwecke zu mißbrau-
chen versucht haben, und die deshalb an den Feierlich-
keiten zum 17. Juni entweder gar nicht teilgenommen
oder diesen Reden mit einem sehr unguten Gefühl zuge-
hört haben.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist sicherlich richtiger und besser, daß sich der
Deutsche Bundestag am 17. Juni 1999 mit denjenigen in
der ehemaligen SBZ – zunächst hieß sie ja so – und
dann in der DDR befaßt, die tatsächlich gekämpft und

gelitten haben und Nachteile erdulden mußten. Dem tra-
gen die beiden heute vorgelegten Papiere Rechnung, der
von der CDU/CSU vorgelegte Gesetzentwurf und der
von der Koalition vorgelegte Antrag. Hier kann es nicht
darum gehen, den Menschen eine Wiedergutmachung zu
verschaffen. Es ist sicherlich mit materiellen Zahlungen
– und seien sie noch so hoch – nicht möglich, ihnen die
in den Gefängnissen verbrachten Jahre, die Bildungs-
und Berufschancen, die ihnen auf Grund politischer Ver-
folgung genommen wurden, zurückzugeben. Es kann
nur darum gehen, ein Signal zu setzen und auch durch
Zahlungen anzuerkennen, was sie erduldet und erlitten
haben, und ihnen damit eine angemessene Entschädi-
gung zuteil werden zu lassen.

Wir kommen damit auch einer Forderung des Eini-
gungsvertrages nach. Art. 17 des Einigungsvertrages
erlegt der Bundesrepublik Deutschland – jetzt der ge-
samten Bundesrepublik Deutschland – die Verpflichtung
auf, eine angemessene Entschädigung zu leisten. Das
wollen wir nun tun, auch wenn inzwischen viele Jahre
vergangen sind.

Der Antrag von CDU und CSU ist ein Antrag, den
wir eigentlich vor vier oder fünf Jahren erwartet hätten,
als diese Parteien die Möglichkeiten hatten, hier im
Deutschen Bundestag Gesetze zu verabschieden, Zah-
lungen zu bewilligen und das zu tun, was sie jetzt for-
dern. Dieser Antrag entspricht in wesentlichen Teilen
einem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vom Novem-
ber 1995. Die Forderung ist deshalb nicht falsch; sie ist
und bleibt richtig. Es ist nur traurig, daß Sie sich in der
Zeit, als Sie die Möglichkeit hatten, diese Zahlungen zu
bewilligen und zu leisten, unseren Forderungen nicht
angeschlossen haben und jetzt, wo Sie in der Minderheit
sind, wo Sie nicht mehr die Verantwortung für den
Haushalt tragen, alle möglichen Zahlungen verlangen
und aufsatteln.

Wir haben in unserem Antrag das berücksichtigt, was
an der bisherigen Rehabilitations- und Entschädigungs-
regelung eigentlich das Offensichtlichste an Ungerech-
tigkeit ist. Ich als Rechtsanwalt, der immer auch mit In-
haftierten in der Bundesrepublik zu tun hatte, habe nie
begriffen und konnte nie nachvollziehen, wieso ein Mo-
nat, von einem Gefangenen in einem Gefängnis in der
DDR unschuldig verbracht, nur die Hälfte von dem wert
sein sollte, was ein Lebensmonat für einen Menschen,
der unschuldig in einem Gefängnis in der Bundesrepu-
blik Deutschland in Haft gewesen ist, wert war. Ein In-
haftierter in der Bundesrepublik bekam 20 DM pro Tag,
ein Inhaftierter in der ehemaligen DDR bekam 10 DM
pro Tag als Entschädigung. Das ist nicht nachzuvollzie-
hen. Das ist sogar am Rande der Diskriminierung derer,
die lange Zeit in DDR-Gefängnissen unter den dort viel
dramatischeren und viel schlechteren Bedingungen in-
haftiert waren.

Wir sehen nun mit der Regelung, wie wir sie auch in
vielen Gesprächen – deshalb dauert das auch so lange –
mit den Opferverbänden besprochen haben, eine Zah-
lung von 600 DM pro Monat vor. Damit wird die Ent-
schädigung für DDR-Häftlinge der Entschädigung, die
im Westen für unschuldig erlittene Haft gezahlt wurde,
angeglichen. Ich denke, das ist richtig und angemessen.

Rainer Funke






(B)



(A) (C)



(D)


Es ist an der Zeit, daß diese Regelung endlich Gesetzes-
kraft erlangt und daß die Zahlungen geleistet werden.

Wir versuchen weiterhin, denen zu helfen, denen bald
nicht mehr zu helfen ist, weil sie dann nicht mehr leben.
Das sind die Menschen aus den Gebieten jenseits der
Oder und Neiße, die in die UdSSR verschleppt worden
sind. Es sind alte Menschen, sehr häufig alte Frauen.
Wir müssen jetzt – wenn nicht jetzt, wann denn dann? –,
so viele Jahre nach dem Krieg und nach der Verschlep-
pung, endlich dafür sorgen, daß diese Menschen wenig-
stens einen Teil der materiellen Entschädigung bekom-
men.

Wir versuchen, denen zu helfen – daß dies nicht ge-
schah, war immer schwer nachvollziehbar und einsehbar
für mich –, die Angehörige verloren haben. Es ist hier
beklagt worden, daß Menschen an der Mauer erschossen
worden sind, daß Menschen, auch während der Ereignis-
se vom 17. Juni 1953, gestorben sind und daß die Hin-
terbliebenen dieser Menschen keine Entschädigung, je-
denfalls keine angemessene Entschädigung, erhalten ha-
ben. Ich denke, es ist auch hier an der Zeit zu helfen.
Das sind die am heftigsten Betroffenen, bei denen über-
haupt nicht einzusehen ist, warum eine Entschädigung
angemessener Art bis heute verweigert wird. Auch für
sie wollen wir endlich eine Regelung schaffen. Auch das
wird von den Opferverbänden gefordert; es ist in den
Gesprächen immer wieder ganz nachdrücklich verlangt
worden.

Zu diesen drei Punkten haben wir eine gesetzliche
Regelung vor. Ich gehe davon aus, daß diese gesetzliche
Regelung noch dieses Jahr in Kraft treten kann.

Zu guter Letzt ist daran zu denken, daß wir es den
Menschen nicht vorwerfen können, wenn sie die An-
tragsfristen, die in den Gesetzen vorgesehen waren,
nicht eingehalten haben. Viele Menschen erinnern sich
überhaupt erst dann, wenn sie in das Rentenalter kom-
men und ihre Renten beantragen, daran, daß es die
Möglichkeit gibt, zusätzliche Leistungen zu erhalten. Sie
wollen dann Anträge stellen, aber die Fristen sind abge-
laufen. Deshalb ist es dringend erforderlich, die Fristen,
wie es ja auch in der Vergangenheit geschehen ist, im-
mer wieder zu verlängern. Es kann nicht sein, daß we-
gen Fristablaufs einer Person, die in den Gefängnissen
der DDR gelitten hat oder die in der DDR durch Verfol-
gung staatlicher Organe nächste Angehörige verloren
hat, die angemessene Entschädigung nicht gezahlt wird.
Deshalb muß auch hier eine großzügige Verlängerung
der Fristen in das Gesetz aufgenommen werden, damit
die Unsicherheit beseitigt wird und Gerechtigkeit herge-
stellt wird.

Wir denken, wir sind mit diesem Gesetz, das in Ar-
beit ist, auf einem guten Weg. Es gab viele Gespräche.
Es gab eine weitgehende Übereinstimmung mit den
Vertretern der Opferverbände. Wir wollen dieses Gesetz
nunmehr im Deutschen Bundestag einbringen; wir wol-
len es verabschieden, und wir wollen erreichen, daß es
noch in diesem Jahr zu Zahlungen auf Grund der verän-
derten gesetzlichen Lage kommt.

Damit können wir für die Verfolgten ein wirkliches
Signal setzen, daß die rotgrüne Regierung die Verspre-

chen einlöst, die gerade diejenigen der Bündnisgrünen,
die vom Bündnis 90 her kommen, immer wieder ge-
macht haben. Wir haben im Wahlkampf diese Verspre-
chen gemacht. Ich denke, dabei handelt es sich durchaus
um eine Verbesserung, die sich sehen lassen kann, wenn
die Menschen, die in DDR-Gefängnissen gelitten haben,
nun mit einer Verdoppelung der Beträge rechnen kön-
nen, die ihnen von der vorherigen Bundesregierung, von
den vorherigen Koalitionsparteien zugebilligt wurden.
Wir lösen damit ein Versprechen aus dem Wahlkampf
ein; wir lösen damit ein Versprechen ein, das die neue
Regierung beim Regierungsantritt durch den Kanzler
persönlich gegeben hat. Ich denke, das ist zum 17. Juni
1999 das richtige Zeichen, das dieser Bundestag setzen
kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404506400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gerhard Jüttemann.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1404506500
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Die PDS hat sich dem Gedanken
und der Forderung der Rehabilitierung von Menschen,
die in der DDR Unrecht erlitten haben, nie entzogen, im
Gegenteil: Auch wir haben das immer für eine notwen-
dige Voraussetzung für die Herstellung der inneren
Einheit Deutschlands und für die Grundlage der Her-
stellung des Rechtsfriedens in unserem Land gehalten.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Darum haben wir im Mai 1997 dem seinerzeitigen Ent-
wurf der SPD zur Gesetzesverbesserung zugestimmt,
den Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
ablehnten.

Damals wie heute verkennen wir nicht, daß für die
einzelnen Betroffenen gerechte Lösungen nötig sind –
und das nicht nur im Interesse des Rechtsfriedens im
Lande, sondern auch und vor allem, um diesen Men-
schen ganz individuell späte Gerechtigkeit widerfahren
zu lassen.

Im besonderen Maße ergibt sich diese Forderung na-
türlich für jene, die auf Grund staatlichen Unrechts in
der DDR ihren Beruf nicht mehr ausüben konnten oder
ihre Ausbildung aufgeben mußten, womit die Grundlage
ihrer späteren Existenz gefährdet wurde. Wie viele Men-
schen das betrifft, vermag ich nicht zu sagen.

Daß die für die Entschädigung vorgesehenen Mittel
bisher nicht ausgeschöpft wurden, hat gewiß viele
Gründe, denen man sorgfältig nachgehen muß. Offen-
sichtlich ist, daß es sich als Thema für politische Propa-
ganda nicht eignet.


(Beifall bei der PDS)

Ich möchte Sie auf ein weiteres Problem aufmerksam

machen: Das geltende Recht ermöglicht es, auch Straf-
täter, die nach damals gültigem DDR-Recht, also recht-
mäßig, verurteilt worden sind, heute zu rehabilitieren
und zu entschädigen. Das hat zum Beispiel dazu geführt,

Hans-Christian Ströbele






(A) (C)



(B) (D)


daß die frühere KZ-Aufseherin Margot Kunz für eine in
der DDR wegen ihrer Verbrechen im faschistischen
Deutschland verbüßten Haftstrafe im Jahre 1994 64 000
DM Entschädigung erhalten hat.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ein unmöglicher Vergleich!)


Zu solchen Ergebnissen kann es kommen, wenn die
notwendige Rehabilitierung zu Unrecht politisch Ver-
folgter zu einer Generalabrechnung mit dem besiegten
politischen Gegner mißbraucht wird.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das war ein unzulässiger Vergleich!)


Leider wird der vorliegende CDU/CSU-Gesetz-
entwurf nicht seinem im Titel genannten Anliegen ge-
recht. Es geht Ihnen nicht vorrangig um die Opferent-
schädigung, sondern um eine Abrechnung mit der DDR
als Unrechtsstaat. Die Verfasser unterscheiden offenbar
nur noch zwischen SED-Mitgliedern als Tätern auf der
einen Seite und Opfern auf der anderen Seite. Diese Op-
fer wiederum werden unterteilt in allgemein Benachtei-
ligte und in – als politisch Verfolgte besonders – Benach-
teiligte.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Wer hat Ihnen die Rede geschrieben?)


Ein zweiter problematischer Punkt ist ein Teil der
unter „A. Problem“ gemachten Ausführungen im CDU/
CSU-Gesetzentwurf. Darin heißt es:

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsge-
richtes vom 28. April 1999 zu Fragen der Überlei-
tung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zu-
satz- und Sonderversorgungssystemen der DDR in
die gesetzliche Rentenversicherung des wiederver-
einigten Deutschland

verändern die bisherige Situation erheblich. – Die Aus-
sage an sich geht in Ordnung. Rentenkürzungen als
Strafmaßnahmen sind Unrecht und können so nicht
weiter praktiziert werden. Das ist das, was dahintersteht.
Inwiefern das jedoch die Besserstellung von Opfern po-
litischer Verfolgung in der DDR nach sich ziehen muß,
bleibt unklar. Logisch ist der Schluß jedenfalls nicht. Im
Grunde kritisieren Sie mehr oder weniger unverhohlen
ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das heißt, Sie
suchen sich aus, wann Ihnen der Rechtsstaat paßt und
wann nicht. Wahrscheinlich steht jedoch der Gedanke
einer Gleichstellung bzw. Nichtschlechterstellung da-
hinter.

Auch wenn es hier nicht zum Thema paßt, möchte ich
Sie daran erinnern, daß Sie sich dem Grundsatz der
Gleichbehandlung der Bergleute in Ost und West in
Sachen sozialer Leistungen seit Jahren verweigern,


(Beifall bei der PDS)

und zwar zu Lasten der ostdeutschen Bergleute. Hier
findet tatsächlich eine allgemeine Benachteiligung statt.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Die Bergleute sind gleichgestellt! Nehmen Sie das zur Kenntnis!)


– Das stimmt ja nicht! Wir können noch öfter darüber
streiten, und wir werden noch darüber streiten. Ich sage
Ihnen: In Berlin werde ich dieses Thema weiter voran-
treiben.


(Beifall bei der PDS – Manfred Grund [CDU/CSU]: Weil Sie politisch davon leben! Die Bergleute sind gleichgestellt! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ein Hetzer sind Sie!)


Aber zurück zum Thema: Eine Gleichstellung ist
noch in anderer Hinsicht geboten. Es ist nicht einzuse-
hen, warum die Opfer politischer Verfolgung in der
Bundesrepublik Deutschland – das sind zwischen
1952 und 1968 immerhin 8 000 bis 10 000 Personen –
weiterhin von Rehabilitierung und Entschädigung aus-
geschlossen bleiben sollen.


(Beifall bei der PDS)

Ebenso müßten Tausende Opfer der vom Europäischen
Gerichtshof für völkerrechtswidrig erklärten Berufsver-
botspraxis auf der Basis des sogenannten Radikalener-
lasses von 1972 rehabilitiert und entschädigt werden,


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

ganz zu schweigen davon, daß auch heute noch viele
Opfer des deutschen Faschismus vergeblich auf Rehabi-
litierung und Entschädigung warten.


(Beifall bei der PDS)

Solange wir nicht auch für diese Personengruppen trag-
fähige Lösungen erarbeiten, werden wir mit der Gegen-
wart und Zukunft vor allem im Hinblick auf die Her-
stellung der deutschen Einheit große Probleme haben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404506600
Das Wort hat
jetzt Staatsminister Rolf Schwanitz.


Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1404506700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Herr Jüttemann, zu Ihren Redebeiträgen zu Themen
wie dem heutigen Thema fällt mir meistens nichts mehr
ein. Ich will zunächst in aller Form zurückweisen, daß es
bei der Würdigung und Rehabilitierung von politisch
Verfolgten in der Zeit der SBZ bzw. DDR in irgendeiner
Form um ein ideologisches Rehabilitierungsrecht geht.
Es geht einfach um einen Auftrag aus der deutschen
Einheit, den wir nicht diffamieren lassen dürfen, schon
gar nicht in einer solchen Debatte.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P)


Herr Jüttemann, ich möchte in aller Ruhe feststellen:
Daß Ihre Fraktion zu diesem Thema ein besonderes
Verhältnis hat oder haben müßte, kann man – bei aller
Vorsicht – sagen. Dabei kann es nicht nur darum gehen,
Herr Jüttemann, daß Sie einem Antrag zustimmen, der
von einer Seite des Parlaments eingebracht wird. Ich
würde mir durchaus etwas mehr Tätigkeit von Ihrer

Gerhard Jüttemann






(B)



(A) (C)



(D)


Seite wünschen, vor allem dann, wenn Sie in der
Öffentlichkeit darstellen, Sie seien die reformierte,
gewandelte politische Kraft. Ich mache Ihnen einen
Vorschlag, Herr Jüttemann: Führen Sie einen Sonder-
beitrag für die Mitglieder der PDS ein! Helfen Sie finan-
ziell mit, Wiedergutmachung zu leisten. Das wäre ein
Aufarbeitungsbeitrag.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Seit 1990 debattiert und streitet der Deutsche Bun-
destag über Möglichkeiten zur Verbesserung der
Situation der SED-Opfer und über Möglichkeiten zur
Verbesserung der völlig unzureichenden SED-
Unrechtsbereinigungsgesetze aus der 12. und 13. Legis-
laturperiode. Allein die Sozialdemokraten haben in den
zurückliegenden acht Jahren fünfzehn parlamentarische
Initiativen gestartet. Bündnis 90/Die Grünen waren hier
ähnlich intensiv tätig. Diese parlamentarischen Initiati-
ven wurden allerdings in den letzten acht Jahren von der
damaligen Mehrheit im Deutschen Bundestag entweder
verschleppt oder einfach „abgebügelt“. Auch das muß
man sich in Erinnerung rufen.

Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich die heuti-
ge Debatte; denn die Verbesserung der Regelungen für
Rehabilitierung und Wiedergutmachung ist ein zentrales
Anliegen der Bundesregierung. Dies hat der Bundes-
kanzler in seiner Regierungserklärung zum Stand der
deutschen Einheit am 19. April dieses Jahres in Berlin
ausdrücklich bekräftigt.

Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, daß ich in der
heutigen Debatte – neben der positiven Würdigung der
Leistungen der Bundesregierung – in einer deutlichen
Sprache auch auf den Gesetzentwurf der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion näher eingehe, um die Hintergründe,
die ich für wichtig halte, aufzuzeigen. Ich möchte es auf
den Punkt bringen: Den Gesetzentwurf, der heute von
der CDU/CSU-Fraktion eingebracht worden ist, halte
ich für völlig unzureichend. Ich halte ihn für inhaltlich
verfehlt und auch handwerklich für das Schlechteste,
über das wir in den letzten Jahren zu diesem Thema de-
battiert haben. Ich möchte meine Behauptung an fünf
Punkten festmachen.

Daß hier handwerklich schlechte Arbeit geleistet
worden ist, kann man schon am Titel des Gesetzent-
wurfs sehen. Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß es hier um
„Rehabilitierung“ und nicht um „Rehabilitation“ geht?


(Lachen bei der SPD)

Ist Ihnen das wirklich nicht aufgefallen? Ist der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht aufgefallen, daß es
bei der Wiedergutmachung um Rehabilitierung und
nicht um Rehabilitation, um gesundheitliche Wiederher-
stellung geht, etwa nach Abnahme eines Beines, nach
einem Autounfall? Ist Ihnen das allen Ernstes entgan-
gen?


(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Das ist wohl das letzte!)


Soll Wiedergutmachung künftig zu einer Unterabteilung
des Kur- und Reha-Wesens werden? Oder was haben

Sie sich unter dem Begriff „Rehabilitation“ vorgestellt?
Das möchte ich gern einmal wissen. – Herr Luther, ich
bin sehr enttäuscht. Ich registriere, daß Sie das nicht
ernst nehmen. Ich unterstelle, daß Ihnen hier ein Mißge-
schick unterlaufen ist.


(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Ich hoffe, Sie haben das Gesetz gelesen!)


Der Begriff „Rehabilitation“ steht schon in der Über-
schrift des Gesetzentwurfs, die ja das Aushängeschild
eines Gesetzes ist, Herr Luther. Ich möchte hier keine
Absicht unterstellen; vielmehr gehe ich von einem Miß-
geschick aus. Aber Sie sollten diesen peinlichen Ausrut-
scher im parlamentarischen Verfahren aus der Welt
schaffen. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie zum Bei-
spiel einen Änderungsantrag stellen und daß sich die
Fraktionen der Opposition diesem Änderungsantrag
nicht verschließen werden. Diese Peinlichkeit in Ihrem
Gesetzentwurf muß dringendst korrigiert werden.

Zweitens. Ich möchte mir den Hinweis erlauben, daß
Sie acht Jahre Zeit hatten, um im Deutschen Bundestag
Verbesserungen durchzusetzen. Ich erinnere mich noch
an die Debatte, die wir 1996 geführt haben. Damals hat
die SPD-Bundestagsfraktion ihren Entwurf zu einem
Verbesserungsgesetz eingebracht. Diesen Entwurf haben
Sie ein Jahr lang im parlamentarischen Verfahren – in
den Ausschüssen – hängenlassen und verschleppt. An-
schließend haben Sie einen eigenen, aber ganz dünnen
Gesetzentwurf unter der Überschrift unseres Gesetzent-
wurfes hier präsentiert. Sie haben jeglichen Kredit bei
den Opferverbänden verspielt. Daran wird auch Ihre
jetzige parlamentarische Initiative überhaupt nichts än-
dern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Sie bedienen sich eines perfiden Kunstgrif-
fes – der ist vom Kollegen Hacker auch schon angespro-
chen worden –, nämlich der Verknüpfung des Themas
der Rehabilitierung und Wiedergutmachung mit der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die
Renten aus den Sonder- und Zusatzversorgungs-
systemen. In Ihrem Gesetzentwurf – ich will das einmal
zitieren – heißt es:

Die aufgrund dieser Entscheidung
– gemeint ist eine Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts –

notwendig werdende Verbesserung der renten-
rechtlichen Ansprüche der Staats- und Systemna-
hen des SED-Regimes macht es zwingend, auch die
Situation der Opfer des SED-Regimes schnellst-
möglich zu verbessern.


(Beifall des Abg. Dr. Michael Luther [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, welch eine Heuchelei, und
das am 17. Juni! Als ob die Situation der Opfer vor die-
sem Urteil eine bessere gewesen wäre.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Staatsminister Rolf Schwanitz






(A) (C)



(B) (D)


Was sollen denn die Opferverbände, die seit Jahren
gegen Ihre Gesetze Sturm laufen, denken, wenn sie so
etwas in Ihrem jüngsten Gesetzentwurf lesen? Die müs-
sen sich doch vorkommen, als hätten sie gegen etwas
geklagt, wofür es überhaupt keine moralische Legitima-
tion gibt. Das ist wirklich pure Heuchelei!

Außerdem – auch das muß in dieser Runde gesagt
werden; ich gehe etwas weiter als Kollege Hacker in
seiner freundlichen Zurückhaltung – muß an dieser
Stelle noch einmal etwas über die Motivlage gesagt
werden. Sie verwischen mit dieser Kombination zwei
Dinge: Sie decken erstens ganz bewußt Ihr eigenes un-
zureichendes Handeln gegenüber den Opfern des SED-
Regimes zu,


(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])

und Sie verknüpfen es zum zweiten mit einer verfas-
sungsrechtlich höchst fragwürdigen Rentenentschei-
dung, die Sie selber herbeigeführt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich erinnere mich noch an die lebhaften Debatten hier
im Deutschen Bundestag über die verfassungsrecht-
lichen Risiken bei den Sonder- und Zusatzversorgungs-
systemen. Tun Sie doch nicht so, als hätten Sie nichts
gewußt! Ich kann mir sogar vorstellen, daß es eine
Motivlage gab, das Ganze so zu machen, weil für die
Seite der Opfer nichts geschehen war. Nun stellen Sie
sich hin und tun so, als sei der Urteilsspruch aus Karls-
ruhe wie ein Naturereignis über uns hereingebrochen.
Meine Damen und Herren, das ist Heuchelei! Das muß
man an der Stelle öffentlich deutlich ansprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will noch einmal ausdrücklich sagen: Sie wissen
– das macht die Sache ganz besonders bitter – um die
Sensibilität der Opferverbände – Herr Luther, liebe
Kolleginnen und Kollegen, wir debattieren diese Fragen
seit Jahren – bezüglich der Situation der Opfer auf der
einen und der Renten für die Staatsnahen auf der ande-
ren Seite. Sie wissen, wie sensibel dieses Thema ist. Sie
scheuen nicht davor zurück, diese Dinge in einem Ge-
setzentwurf miteinander zu verknüpfen. Sie spielen mit
der Frustration und mit den Enttäuschungen der Opfer-
verbände. Es geht Ihnen nicht um eine sachliche Verbes-
serung der Situation, sondern es geht Ihnen darum,
etwas politisch zu instrumentalisieren. Das ist einfach
unwürdig, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viertens: Man muß ansprechen, daß Ihr Gesetzent-
wurf ganz handfeste inhaltliche Mängel hat. Wenigstens
ein paar will ich noch erwähnen: Es gibt bei Ihnen keine
Bereitschaft, in Kernbereiche der Defizite des Ersten
und Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes hinein-
zugehen. Der Schwerpunkt Ihrer Novelle ist die berufli-
che Rehabilitierung. Nicht bei der strafrechtlichen Re-
habilitierung – wo der größte Defizitbereich bei den
Leuten ist, die aus politischen Gründen „gesessen“ ha-
ben – soll etwas verbessert werden, sondern bei der be-

ruflichen Rehabilitierung. Da bieten Sie eine Verbesse-
rung an. Sie sind nicht bereit, in den wirklichen Kernbe-
reich hineinzugehen. Allein das ist inhaltlich eine völli-
ge Fehlleistung, gemessen an den Defiziten, über die wir
eigentlich zu reden haben.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Botschaft, die aus Ih-

rem Gesetzentwurf spricht – ich will es deutlich anspre-
chen –, ist ganz klar: Noch immer ist Ihnen die eigene
politische Selbstrechtfertigung – bezogen auf das, was
Sie in den zurückliegenden acht Jahren gemacht oder
nicht gemacht haben – wichtiger, als wirklich einen
Schritt zur Beseitigung von zentralen inhaltlichen Defi-
ziten bei diesem Thema zu tun. Deswegen definieren Sie
den Anlaß neu. Deswegen ist der Anlaß für Sie nicht das
Defizit, sondern der Spruch aus Karlsruhe. Deswegen
gehen Sie auch nicht in den Kernbereich hinein, nämlich
in den Bereich der Rehabilitierung von Haftopfern. Sie
sprechen hier vielmehr von der Frage der beruflichen
Rehabilitierung.

Zum fünften will ich noch etwas zum Krebsschaden
der Regelung sagen, die Sie vorgelegt haben, nämlich
zur Ungleichbehandlung und zur Spaltung der Opfer.
Bei dem zentralen Entschädigungsinstrument, der Ka-
pitalentschädigung, wird überhaupt nichts geändert. Das
haben Sie gar nicht angesprochen. Statt dessen führen
Sie eine neue Spaltung ein, indem Sie zum Beispiel
– Herr Hacker hat es angesprochen – Ausgleichsleistun-
gen bei der beruflichen Rehabilitierung künftig erst dann
ermöglichen wollen, wenn eine Verfolgung mehr als
drei Jahre angedauert hat. Wie kommen Sie denn darauf,
ein solches Entscheidungskriterium zu definieren? Soll
der Student, der aus politischen Gründen drei Jahre in
die Produktion geschickt worden ist, für diese Zeit poli-
tischer Verfolgung künftig eine verbesserte Ausgleichs-
leistung bekommen, derjenige aber, der eineinhalb Jahre
aus politischen Gründen im Knast war und dann viel-
leicht durch Freikauf in die alte Bundesrepublik kam,
wegen seiner geringeren Verfolgungszeit außen vor
bleiben? Hier fügt man dem alten Unrecht eine neue
Ungleichbehandlung hinzu, und das kann nicht sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, den
Sie vorgelegt haben, wird – dessen bin ich mir sicher –
parlamentarisch sorgfältig beraten werden. Wir werden
unseren Gesetzentwurf einbringen, sobald er im Rahmen
der Länderkoordinierung von allen Ländern gesichtet
und bewertet worden ist. Wir wollen eine Verabschie-
dung unseres Gesetzentwurfs noch in diesem Herbst er-
reichen.

Ich bin sehr dankbar dafür, daß die beiden Koali-
tionsfraktionen mit ihrem Antrag genau die vier zen-
tralen Punkte markieren, an die wir uns nach meiner
festen Überzeugung heranbegeben müssen. Das kostet
natürlich Geld, das ist klar. Aber wir müssen uns doch
wenigstens dem Anspruch unterwerfen, daß der Gesetz-
geber und die Bundesregierung es ernst damit meinen,
die zentralen Defizite zu beseitigen. Deswegen auch von
meiner Seite die Bestätigung: Wir werden die Kapital-

Staatsminister Rolf Schwanitz






(B)



(A) (C)



(D)


entschädigung einheitlich auf 600 DM festlegen. Wir
werden das Thema der Hinterbliebenenregelung für die
am schwersten Verfolgten, nämlich für die zu Tode Ge-
kommenen, für die Maueropfer, aufgreifen. Wir werden
die Frage der östlich von Oder und Neiße Verschlepp-
ten, die bisher völlig außen vor geblieben sind, zum
politischen Thema machen und in unsere Novelle auf-
nehmen. Schließlich werden wir auch die Anerkennung
der gesundheitlichen Haftschäden, zu denen Sie in
Ihrem Entwurf überhaupt nichts gesagt haben, auf die
politische Tagesordnung setzen. Darauf können sich die
Opferverbände verlassen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404506800
Zu einer Kurz-
intervention erhält der Kollege Jüttemann das Wort.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1404506900
Herr Kollege Schwa-
nitz, Sie haben mich angegriffen und gesagt, ich hätte zu
scharf formuliert und übertrieben. Ich habe zu DDR-
Zeiten als Katholik im Eichsfeld keine Karriere ge-
macht. Ich bin nicht der SED beigetreten, ich habe kei-
ner Kampfgruppe angehört, und ich habe bei der Muste-
rung verweigert, an der Grenze zu dienen. Aber ich habe
bereits zu DDR-Zeiten den Mut gehabt, das kritisch zu
sagen, was kritisch gesagt werden muß. Das tue ich auch
heute; denn vieles ist kritikbedürftig. Im Handbuch ist
mir jedoch aufgefallen, daß Sie als Diplomjurist zu
DDR-Zeiten eine gewisse Karriere gemacht haben. Was
haben Sie in der Zeit getan, um sich für die Opfer einzu-
setzen?


(Beifall bei der PDS – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404507000
Herr Staatsmi-
nister, Sie können darauf antworten.


Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1404507100

Herr Jüttemann, Sie erwarten von mir hoffentlich jetzt
nicht, daß wir Biographien diskutieren. Ich habe über-
haupt keinen Grund, mich hier persönlich angegriffen zu
fühlen. Aber ich kenne Ihre Strategie. Immer, wenn ein
Argument unbequem ist, dann wendet man es gegen
denjenigen, der es vorbringt. Das kennen wir; das kenne
ich übrigens auch schon aus DDR-Zeiten. Insofern hat
sich nichts geändert.

Das zentrale Problem ist nicht Ihre Kritik. Ich kann
mit Kritik leben; Kritik gehört zum Parlament. Das zen-
trale Problem ist – das habe ich deutlich zu machen ver-
sucht –, daß immer dann, wenn es im Deutschen Bun-
destag um Rehabilitierungsfragen geht, Ihre Fraktion
– früher waren Sie eine Gruppe – andere Defizitbereiche
nennt und es ihr um die eigentliche Frage überhaupt
nicht geht. Sie reden von ganz anderen Dingen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Herr Jüttemann, das geschieht in der Situation, in der
Sie sich befinden.

Ich kann Ihnen nur sagen: Solange es Ihrer Fraktion
und auch Ihrer Partei nicht gelingt, wirklich deutlich zu
machen, daß sie diesen Schritt durch einen außerordent-
lichen persönlichen Akt selber tut, durch einen Akt, den
eine andere Partei einfach nicht erbringen kann, weil
keine der Fraktionen im Deutschen Bundestag hinsicht-
lich dieses Themas eine Vergangenheit hat wie Ihre
Partei, werden Sie sich solchen kritischen Bemerkungen
nicht entziehen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404507200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Günter Nooke.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1404507300
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Staats-
minister Schwanitz, Sie haben den Mund sehr voll ge-
nommen; allerdings haben Sie nichts zum 17. Juni ge-
sagt. Für die Vertreter der Bundesregierung, die heute
sprechen, ist das vielleicht nicht notwendig. Im übrigen,
ich gebe zu, Sie haben recht: Es muß „Rehabilitierung“
und nicht „Rehabilitation“ heißen; 1 : 0 für Sie. Auf
meinem Zettel steht es aber richtig. Sie können also si-
cher sein, daß wir das beherrschen.

Zu einem anderen Punkt sage ich für alle Anwesen-
den: Wer erst am gestrigen Abend seinen Antrag einge-
bracht hat, der hat gar nicht gemerkt, daß unser Gesetz-
entwurf am 17. Juni hier auf der Tagesordnung steht, der
hat überhaupt nicht daran gedacht, daß der heutige Tag
eigentlich ein Tag ist, an dem dieses Thema in die öf-
fentliche Debatte gehört.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Zu dem entscheidenden Punkt, der hier mehrfach kri-
tisiert wurde: Berufliche Rehabilitierung hat sehr wohl
mit dem zu tun, was an Renten aus Sonder- und Zusatz-
rentensystemen gezahlt wird; insofern hat sie durchaus
mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu tun.
Wir können sehr wohl sagen, daß wir darüber politisch
streiten dürfen. Wir sind nämlich der Deutsche Bundes-
tag und nicht das Verfassungsgericht. – Herr Staatsmi-
nister, vielleicht hören Sie einmal zehn Minuten zu, um
zu verstehen, wie die Dinge zusammenhängen.

Letzten Freitag sagte der Direktor der Bundesversi-
cherungsanstalt für Angestellte, Klaus Michaelis, in
einem dpa-Gespräch zu den Nachzahlungen für „Staats-
und Systemnahe des SED-Regimes“ auf Grund des
Karlsruher Rentenurteils:

Im Interesse der Betroffenen sollten bald Entschei-
dungen getroffen werden.

In der Pressemitteilung des Bundesministeriums für Ar-
beit und Sozialordnung vom 28. April 1999 heißt es:

Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts führen
nach Auffassung der Bundesregierung die notwendi-
ge Klärung herbei und tragen zum Rechtsfrieden bei.

Staatsminister Rolf Schwanitz






(A) (C)



(B) (D)


Viele sorgen sich in Deutschland um den inneren
Frieden. Aber leider hat es in Deutschland auch eine
gewisse Tradition, daß den Mächtigen der Friede mit
den Tätern politisch wichtiger erscheint als der Friede
mit den Opfern. Zu einem Zeitpunkt, in dem den Opfern
der SED-Diktatur wenigstens Genugtuung widerfahren
sollte, sind Täter, Profiteure und Mitläufer dieser zwei-
ten Diktatur in Deutschland bereits ins Recht gesetzt,
Herr Funke. Sie sprachen an, daß heute die SED-Opfer
ins Recht zu setzen sind. Ich will nur deutlich machen:
Das ist für Täter, Profiteure und Mitläufer bereits seit
langem geschehen.

Ich bin weit davon entfernt, diese etwa 500 000 vom
Karlsruher Urteilsspruch betroffenen Personen alle als
Täter oder auch nur als „Staats- oder Systemnahe“ zu
bezeichnen. Dazu kenne ich all die Gruppen viel zu ge-
nau. Aber angesichts dieses Urteils des Bundesverfas-
sungsgerichts ist eine schnelle und unbürokratische Lö-
sung für die Verfolgten des SED-Regimes unausweich-
lich geworden. Wer jetzt nicht handelt, der will den
Frieden mit den Tätern. Wer jetzt nicht handelt, der trägt
die Verantwortung, wenn Menschen nur funktionieren
– gleich, ob in Rechts- oder Unrechtssystemen – und
wenn demokratische Gesinnung, Freiheitsstreben und
Engagement für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit
in Deutschland wenig gelten.

Die nicht angemessene Entschädigung der Opfer
der zweiten Diktatur in Deutschland, wie sie in den
Jahren seit der Wiedervereinigung geregelt oder eben
nicht geregelt wurde, ist beschämend. Die alte Bundes-
regierung aus CDU/CSU und F.D.P. hat hier große Ver-
säumnisse einzugestehen. Offensichtlich wurde schon
früher manchmal weniger politisch als vielmehr nach
Kassenlage entschieden.

Eine im allgemeinen großartige Erfolgsbilanz der
deutschen Einheit wird gerade jenen Menschen persön-
lich vorenthalten, die nicht an die Ewigkeit des Sozia-
lismus, sondern an die Freiheit des Westens glaubten.
Diejenigen, die sich gegen das SED-Regime einsetzten,
die deshalb zu DDR-Zeiten politisch verfolgt wurden
und Nachteile in Kauf nehmen mußten, sind heute viel-
fach enttäuscht, nicht selten resigniert und manchmal
sogar sozial am Ende. Ihnen ist – anders als den Bezie-
hern von Renten aus Sonder- und Zusatzrentensyste-
men – bisher nicht Gerechtigkeit widerfahren. Nicht
einmal hinreichende öffentliche Anerkennung wurde ih-
nen zuteil.

Heute ist der 17. Juni. Der Bundespräsident hat der
Opfer und Kämpfer dieser Junitage von 1953 kurz ge-
dacht, wofür ich ihm danke. Es ist ja inzwischen schon
etwas wert, wenn wir diesen Tag im Tagesgeschäft nicht
völlig vergessen. Übrigens wäre es meines Erachtens in
vielerlei Hinsicht sogar sinnvoller – vielleicht sollten wir
darüber hier einmal gemeinsam nachdenken –, diesen
Tag der deutschen Einheit und nicht das Verwaltungs-
datum 3. Oktober zu feiern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es geht uns mit unserem Gesetzentwurf zuerst um die-

se Menschen, um Menschen, deren berufliche Entwick-
lung in der DDR abgeschnitten wurde und die im verein-

ten Deutschland für eine zweite oder dritte Karriere schon
zu alt waren. Es geht, meine sehr verehrten Damen und
Herren, vor allem und zuerst um die politischen Häftlinge,
die unter unmenschlichen Bedingungen in Bautzen, Ber-
lin-Hohenschönhausen oder Cottbus oft jahrelange Haft-
strafen abbüßten – für erfundene und konstruierte Straf-
taten, auf die die Schubladenparagraphen der SED-
Diktatur paßten. Kein Rechtsstaat hätte sie je verurteilt.
Aber so manche Scheinjuristen von damals sind heute
verbeamtet, und so mancher, der die gegebenen Hand-
lungs- und Entscheidungsfreiräume bewußt und eifernd
zum Nachteil der politisch Angeklagten nutzte, bezieht
heute als Anwalt der Täter oder als Richter eines Rechts-
staates gutes Gehalt und hohe Pension.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Uns, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht

es um die Menschen, die zum Beispiel völlig unschuldig
in NKWD-Lager kamen und zu DDR-Zeiten nicht ein-
mal darüber reden durften, Herr Jüttemann. Deshalb
müssen wir genau hinschauen und hinhören, wie unser
Umgang hier im Deutschen Bundestag mit 40 Jahren
SED-Diktatur bei diesen Opfern ankommt.

Die Forderungen der Opferverbände sehen ganz
anders aus. Sie fordern nicht nur, die Entschädigung der
im Antrag der Koalitionsfraktionen angesprochenen
Problemfälle oder auch die Entschädigung für geleistete
Zwangsarbeit zu verbessern. Die Opferverbände fragen
auch nach einer Verfolgtenrente, die sich in der Höhe an
den VdN-Renten für die Verfolgten des Naziregimes
orientiert.


(Markus Meckel [SPD]: Das hättet ihr doch acht Jahre lang machen können!)


Diese wurden mit dem Einigungsvertrag übernommen
und 1992 einheitlich auf 1 400 DM festgesetzt.


(Markus Meckel [SPD]: Das ist doch absurd!)

– Hören Sie erst einmal zu, Herr Meckel. – Gerade des-
halb kann uns nicht billiger Opportunismus vorgeworfen
werden. Wir haben mit einer Rente für die Opfer des
SED-Sozialismus von lediglich 300 DM monatlich
einen Vorschlag gemacht, den fast alle anderen Frak-
tionen des Hohen Hauses noch um den gleichen Betrag
aufbessern können, ehe wir zum Beispiel diese 1 400
DM erreichen. Wir erheben keinen Prioritätsanspruch
und wollen auch nicht die Autorenschaft für dieses Ge-
setz. Wir wollen wirklich die Lage der Betroffenen ver-
bessern, und deshalb spreche ich hier. Es könnte sein,
Herr Schwanitz, daß Ihre Verhandlungsposition auch in
bezug auf das Geld dadurch verbessert wird.

Um diese Forderung angesichts der knappen Kassen
der Finanzminister von Bund und Ländern ins rechte
Licht zu rücken, lassen Sie mich auf das Rentenurteil des
Bundesverfassungsgerichts zurückkommen. Zum Ver-
gleich: Seit der Wiedervereinigung hat die Bundesrepu-
blik Deutschland für die Opfer des Nationalsozialismus
insgesamt etwa 1 Milliarde DM ausgegeben. Für die Op-
fer des SED-Regimes ginge es, selbst wenn wir die von
den Opferverbänden geforderten Monatsrenten von 1 400
DM ins Auge faßten, um weniger als 1 Milliarde DM
jährlich. Aber: Allein bei den Nachzahlungen aus den

Günter Nooke






(B)



(A) (C)



(D)


Sonder- und Zusatzversorgungssystemen, allein für dieje-
nigen unter den 500 000 vom Bundesverfassungsge-
richtsurteil Betroffenen, die SED-Kader, Mitarbeiter des
MfS und anderer bewaffneter Organe waren, und diejeni-
gen, die als sogenannte Gesellschaftswissenschaftler
Marxismus-Leninismus oder sozialistisches Recht lehrten
und exekutierten, geht es schon um zweistellige Milliar-
denbeträge. Und in Zukunft bekommen Tausende, die
keine Not leiden, nicht 300 DM mehr im Monat, sondern
einige tausend Mark. Der Ausgleich der durch die politi-
sche Verfolgung bedingten Minderanwartschaften bei
SED-Opfern ist im Vergleich zur Regelung der Sonder-
renten geradezu lächerlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen, was heißt hier eigent-
lich Rechtsfrieden? Herr Staatsminister, was meinen Sie,
was in diesem Kontext „soziale Gerechtigkeit“ bedeu-
tet? Der ehrenwerte Urologe Professor Mebel hat vor
dem Bundesverfassungsgericht geklagt und recht be-
kommen. Der Staat und die Partei, für die er 18 Jahre als
Kandidat bzw. Mitglied im Zentralkomitee saß, haben
ihm nur dieses halbe Leben soziale Sicherheit bieten
können. Die Renten in der DDR waren keineswegs
sicher. Nach Kassenlage war 1989 Schluß. All das, was
der Rechtsstaat heute zahlt, ist Geld, das in einem ande-
ren System erwirtschaftet wurde, das die meisten der
SED-staatsnahen Bediensteten bekämpften und das für
sie historisch zum Untergang verurteilt war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber auch eine andere Ungeheuerlichkeit muß hier

benannt werden. Es steht einem Bundestagsabgeordne-
ten an dieser Stelle nicht zu, das Bundesverfassungsge-
richt zu kritisieren.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – Zuruf von der SPD: So ist es!)


Aber ich habe Fragen zum Rentenurteil vom 28. April
1999. Ich kann das sehr wohl auseinanderhalten. Denn
angesichts der dargestellten Spannungen zwischen De-
Luxe-Zahlungen für Täter, zu denen wir – rechtsstaat-
lich akzeptabel – verpflichtet wurden, und schäbigen
Almosen für Opfer, für die kein Geld vorhanden ist, darf
ich folgende Fragen schon stellen:


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ihre Almosen!)

Reichen für uns hier in der politischen Debatte rechts-
positivistische Positionen bei hochbrisanten politischen
Urteilen aus, wenn der Sache wirklich gedient werden
und das Recht nicht zum Selbstzweck verkommen soll?
Natürlich weiß ich, daß es nicht um das Gute und schon
gar nicht um das Gutgemeinte geht. Aber ist es wirklich
gut, wenn es nur noch um das Rechte, um das Paragra-
phenmäßige geht?

Sollen wir dieses Rentenurteil wirklich so verstehen,
daß damit in einem freiheitlich-demokratischen Rechts-
staat jedes Raubgut einer Diktatur durch Art. 14 des
Grundgesetzes, dem Schutz des Eigentums, unantastbar
geworden ist?


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404507400
Herr Kollege
Nooke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Seifert?


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1404507500
Am Ende meiner Rede,
bitte. Ich bin gleich fertig.

Geht hier diese „Verrechtsstaatlichung im nachhin-
ein“, die selbst die „FAZ“ als „grotesk“ bezeichnete,
nicht entschieden zu weit? Welchen Dienst am Grund-
gesetz leisten wir wirklich, wenn diejenigen, die an das
Recht einer Diktatur nicht glaubten, jetzt vom demokra-
tischen Rechtsstaat vorgeführt werden und zu den Ver-
lierern gehören?

Jene aber, die den freiheitlichen Rechtsstaat mit allen,
selbst mit staatsterroristischen Mitteln bekämpften und
zu bekämpfen bereit waren, können mit dem politischen
Scheinrecht aus DDR-Zeiten ihren neuen Reichtum im
freiheitlichen Westen begründen? Werden dadurch bei
den Staatsbürgern Eigenverantwortung sowie politi-
sches, rechtsstaatliches und demokratisches Bewußtsein
gestärkt? Woher wissen wir eigentlich, daß wir das zu-
künftig nicht mehr brauchen werden? Wenn wir es brau-
chen, darf auch ein Urteil unseres höchsten Gerichtes
diese Werte nicht mit Füßen treten.

Aber ich will unserem höchsten Gericht – das ist der
entscheidende Punkt – auch bei diesem Urteil gerne
einen verantwortlichen Abwägungsprozeß zugestehen.
Es steht zwar nicht im Urteil des Bundesverfassungsge-
richts; aber es kann kein Zweifel daran bestehen, daß
nach einer unangemessenen Entscheidung für viele
Mitläufer und Täter wenigstens eine angemessene Ent-
schädigung der Opfer folgen muß. Je länger und je öfter
ich darüber nachdenke, um so deutlicher wird mir, daß
eine Entschädigung eher bei 1 400 DM als bei den von
uns vorgeschlagenen 300 DM liegen muß.


(Beifall des Abg. Dr. Michael Luther [CDU/CSU])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404507600
Herr Kollege
Nooke, leider ist Ihre Redezeit jetzt weit überschritten.
Bitte kommen Sie zum Schluß.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1404507700
Ich bin fast fertig. –
Verehrter Herr Staatsminister, angesichts Ihres Vor-
schlages, Opfergruppen besserzustellen, möchte ich Ih-
nen versichern, daß wir Sie unterstützen werden. Aber
ich möchte Sie auffordern, unseren Vorschlag der Op-
ferrente aufzugreifen. Noch haben Sie die Chance, für
die SED-Opfer mehr zu erreichen als die Vorgängerre-
gierung. Unser Entwurf ermöglicht ein schnelles und
unbürokratisches Handeln. Ich würde mich freuen, wenn
Sie Ihre Ankündigungen beenden und begreifen würden,
daß für die Opfer die Zeit drängt.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404507800
Dann kommen
wir jetzt zur Nachfrage des Kollegen Seifert. – Bitte.

Günter Nooke






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1404507900
Herr Kollege Nooke, Sie
sprachen sehr oft davon, daß der Rechtsstaat geschützt
werden muß. Glauben Sie nicht auch, daß dazu gehört,
die Biographie von einzelnen Menschen nicht zu verun-
glimpfen? Glauben Sie nicht auch, daß die Tatsache, daß
Sie einen Mann wie Professor Moritz Mebel, der ein
weltweit geachteter Nierenspezialist ist, der viele Men-
schen aus der Bundesrepublik Deutschland operiert hat,
der ihnen geholfen bzw. ihr Leben gerettet hat, als je-
manden darstellen, der sich unverdienterweise Westgeld
unter den Nagel reißen will, weit über das hinausgeht,
was unter Persönlichkeitsschutz zu verstehen ist?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1404508000
Das ist eben der Irrtum,
den Sie begehen. Ich habe deutlich gemacht, daß ich die
DDR nicht für ein rechtsstaatliches und freiheitlich-
demokratisches System im Sinne der Bundesrepublik
Deutschland halte.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Wir reden hier von Moritz Mebel!)


Man muß damit leben, daß nicht alles, was man zum
Beispiel als ZK-Mitglied für diesen Staat, der dann un-
tergegangen ist, erreichen wollte, von einem anderen
Staat übernommen wird. Wenn es Ihnen wirklich um
Freiheit und Demokratie ginge, dann müßten Sie sich für
die Opferrenten genauso einsetzen wie für die Renten
der anderen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das machen wir doch!)

Seit dem Urteil müssen wir über ganz andere Sum-

men reden, damit der Rentenausgleich auch für die Op-
fer gewährleistet ist.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Wir reden hier von Persönlichkeitsschutz!)


Wir können in diesem Bereich keinen Unterschied zu-
lassen. Wenn Sie sich nicht dafür einsetzen, dann sind
Sie nichts weiter als eine Lobbyorganisation der Täter.
Das kommt bei Ihnen immer mehr oder weniger durch.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Dann haben Sie nicht zugehört! – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sie haben die Frage nicht beantwortet!)


– Es geht darum, daß Sie zwischen dem, was Renten-
sicherheit zu DDR-Zeiten bedeutet hat – nur politisch
Privilegierte waren in diesem System –, und dem, was
sichere Renten heute bedeuten, einen Unterschied ma-
chen müssen. Darüber reden wir noch.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Ich merke schon, Sie wollen die Frage nicht beantworten!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404508100
Herr Kollege
Seifert, es geht nicht, daß Sie dazwischensprechen.
Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, dann müssen Sie
die Antwort so nehmen, wie sie kommt.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Entschuldigung, Frau Präsidentin!)


Ich möchte im Namen des Hauses Herrn Günter Nooke
zu seiner ersten Rede in diesem Plenum gratulieren


(Beifall)

und schließe damit die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfes auf Drucksache 14/1001 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die
Federführung soll beim Ausschuß für Angelegenheiten
der neuen Länder liegen. Der Antrag der Koalitions-
fraktionen auf Drucksache 14/1165 soll an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen
werden. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zu einer ganzen Reihe von Ab-
stimmungen und zu einigen persönlichen Erklärungen.

Ich rufe zunächst die Tagesordnungspunkte 14a bis
14o und 14q bis 14r sowie die Zusatzpunkte 1a und 1b
auf:
14. Überweisungen im vereinfachten Verfahren

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Zusatzprotokoll vom 26. März 1998 zum
Übereinkommen vom 18. August 1948 über
die Regelung der Schiffahrt auf der Donau

(Belgrader Donaukonvention)

– Drucksache 14/1007 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen(federführend)Auswärtiger AusschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Abkommen vom 20. April 1998 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und Ja-
pan über Soziale Sicherheit
– Drucksache 14/1018 –

(federführend c)

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Abkommen vom 2. Mai 1998 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Re-
publik Ungarn über Soziale Sicherheit
– Drucksache 14/1019 –

(federführend d)

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 4. Mai 1998 zwi-
schen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der Regierung der Re-
publik Armenien über den Luftverkehr
– Drucksache 14/1020 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen(federführend)Finanzausschuß






(B)



(A) (C)



(D)


e) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 15. Juni 1998 zur Er-
gänzung des Luftverkehrsabkommens vom
2. März 1994 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und den Vereinigten Arabi-
schen Emiraten
– Drucksache 14/1021 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 12. November 1997 zur
Ergänzung des Abkommensvom 2. No-
vember 1987 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und Neuseeland über den
Luftverkehr
– Drucksache 14/1022 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 10. März 1998 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland
und der Republik Südafrika über den
Luftverkehr
– Drucksache 14/1023 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen(federführend)Finanzausschuß

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 29. Mai 1998 zwi-
schen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der Regierung der Mon-
golei über den Fluglinienverkehr
– Drucksache 14/1024 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen(federführend)Finanzausschuß

i) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 23. April 1998
zwischen der Regierung der Bundesrepu-
blik Deutschland und der Regierung der
Tschechischen Republik über den Luftver-
kehr
– Drucksache 14/1025 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen(federführend)Finanzausschuß

j) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 3. Dezember 1997
zwischen der Bundesrepublik Deutschland

und der Republik Belarus über den Luft-
verkehr
– Drucksache 14/1026 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen(federführend)Finanzausschuß

k) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Übereinkommen vom 5. September
1998 zwischen der Regierung der Bundes-
republik Deutschland, der Regierung des
Königreichs Dänemark und der Regierung
der Republik Polen über das Multinatio-
nale Korps Nordost
– Drucksache 14/1103 –

(federführend l)

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
– Drucksache 14/864 –

(federführend m)

brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Erleichterung der Verwaltungsreform in

(… Zuständigkeitslockerungsgesetz)

– Drucksache 14/640 –

(federführend n)

brachten Entwurfs eines … Strafrechtsände-
rungsgesetzes – Graffiti-Bekämpfungs-
gesetz – (... StrÄndG)

– Drucksache 14/872 –

(federführend o)

und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
regelung des Schutzes von Verfassungsor-
ganen des Bundes
– Drucksache 14/1147 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-ordnung(federführend)InnenausschußRechtsausschuß

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer






(A) (C)



(B) (D)


q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sa-
bine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Hel-

(Augsburg)

tion der F.D.P.
Haltung der Bundesregierung zu den Men-
schenrechtsverletzungen in der Volksrepu-
blik China
– Drucksache 14/661 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe(federführend)Auswärtiger AusschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung

r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Michael Luther, Andrea Astrid Voßhoff und
der Fraktion der CDU/CSU
Entschädigungspflicht nach dem Vermö-
gensgesetz bei Einziehung von beweglichen
Sachen regeln
– Drucksache 14/1003 –

(federführend ZP1 a)

fahren

(Ergänzung zu TOP 14)

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Anpassung von Dienst- und Versorgungs-
bezügen in Bund und Ländern 1999

(Bundesbesoldungsund -versorgungsanpassungsgesetz 1999 – BBVAnpG 99)

– Drucksache 14/1088 –

(federführend b)

eingebrachten Entwurfs eines Neunten Ge-
setzes zur Änderung des Arzneimittelgeset-
zes
– Drucksache 14/1161 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Gesundheit

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Das Bundesbesoldungs- und -versorgungs-
anpassungsgesetz 1999 auf Drucksache 14/1088 – Zu-
satzpunkt 1a – soll zusätzlich an den Haushaltsausschuß
zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15a bis 15j auf:
Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des

von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 17. Januar 1995 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und dem Unabhän-
gigen Staat Papua-Neuguinea zur Vermei-
dung der Doppelbesteuerung auf dem Ge-
biet der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen
– Drucksache 14/486 –

(Erste Beratung 30. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuß)

– Drucksache 14/880 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Detlev von Larcher
Heinz Seiffert

b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 8. Dezember 1997 über wirtschaftliche
Partnerschaft, politische Koordinierung
und Zusammenarbeit zwischen der Euro-
päischen Gemeinschaft und ihren Mitglied-
staaten einerseits und den Vereinigten Me-
xikanischen Staaten andererseits
– Drucksache 14/684 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie

(9. Ausschuß)

– Drucksache 14/1167 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz

c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom-
men vom 21. Dezember 1995 über den Bei-
tritt der Republik Österreich, der Republik
Finnland und des Königreichs Schweden
zu dem Übereinkommen über die Beseiti-
gung der Doppelbesteuerung im Falle von
Gewinnberichtigungen zwischen verbun-
denen Unternehmen
– Drucksachen 14/748, 14/984 –

(Erste Beratung 35. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuß)

– Drucksache 14/1153 –
Berichterstattung:

(Rednitzhembach)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer






(B)



(A) (C)



(D)


d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Übereinkommens vom 4. August 1963 zur
Errichtung der Afrikanischen Entwick-
lungsbank
– Drucksache 14/907 –

(Erste Beratung 39. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (20. Ausschuß)

– Drucksache 14/1154 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. R. Werner Schuster
Dr. Christian Ruck
Hans-Christian Ströbele
Carsten Hübner

e) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie (9. Ausschuß) zu dem Antrag
der Abgeordneten Hans Martin Bury, Ernst
Schwanhold, Klaus Barthel (Starnberg), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Werner Schulz

(Leipzig), Margareta Wolf (Frankfurt) und

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Förderung der Luftfahrttechnologie
– Drucksachen 14/395, 14/686 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Max Straubinger

f) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen (15. Ausschuß) zu dem
Antrag der Abgeordneten Christine Ostrows-
ki, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf, Dr.
Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Fortführung des Wohnraum-Modernisie-
rungsprogramms der Kreditanstalt für
Wiederaufbau bis zum Jahr 2000
– Drucksachen 14/126, 14/652 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig

g) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen (15. Ausschuß) zu dem
Antrag der Abgeordneten Christine Ostrows-
ki, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf und der
Fraktion der PDS
Verbesserte Förderung der Wohnungsmo-
dernisierung im Altbaubestand und bei
Wohnhochhäusern nach dem Investitions-
zulagengesetz 1999
– Drucksachen 14/127, 14/767 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christine Lucyga

h) Beratung der Beschlußempfehlung des
Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

Übersicht 1
über die dem Deutschen Bundestag zuge-
leiteten Streitsachen vor dem Bundesver-
fassungsgericht
– Drucksache 14/842 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rupert Scholz

i) Beratung der Beschlußempfehlung und des

(8. Ausschuß)

desrechnungshof
Bericht des Bundesrechnungshofes gemäß
§ 99 BHO über die Aufgabenwahrneh-
mung in ausgewählten Servicebereichen
der Bundesverwaltung
– Drucksachen 14/220, 14/305 Nr. 1.2,
14/846 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Werner Hoyer
Gunter Weißgerber
Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft

j) Beratung der Beschlußempfehlung und des

(8. Ausschuß)

ums für Wirtschaft und Technologie
Rechnungslegung über das Sondervermö-
gen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Si-
cherung des Steinkohleneinsatzes“ für das
Wirtschaftsjahr 1997
– Drucksachen 14/258, 14/847 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Hampel
Dankward Buwitt
Antje Hermenau
Dr. Werner Hoyer
Dr. Christa Luft

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 15 a. Der Fi-
nanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 14/880, den
Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich
zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen
worden.

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 15 b. Es
bestehen Wünsche zur Abgabe einer persönlichen Erklä-
rung, zunächst von der Abgeordneten Ulla Lötzer.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer






(A) (C)



(B) (D)



Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1404508200
Frau Präsidentin! Kolleginnen
und Kollegen! Ich lehne den Gesetzentwurf ab, weil die
Verhandlungen zwischen der EU und Mexiko noch nicht
abgeschlossen sind, zentrale Fragen noch nicht geklärt
wurden und deshalb zu diesem Zeitpunkt keine Notwen-
digkeit der unmittelbaren Ratifizierung besteht.

Ich lehne ab, weil das gesamte Verfahren in hohem
Maße nicht transparent war und eine kritische Diskus-
sion in den Parlamenten und mit den zivilgesellschaft-
lichen Akteuren in der EU und in Mexiko verhindert
hat.

Ich lehne ab, da die Durchsetzung und Überwachung
der Menschenrechts- und Demokratisierungsklausel
nicht konkretisiert ist und keine Sanktionsfähigkeit bei
Verstößen vorgesehen ist.

Ich lehne ab, da die in Art. 4 bis 6 getroffenen Ver-
einbarungen zum Handel keine Sozialklauseln beinhal-
ten und keine Sanktionsfähigkeit hinsichtlich der Durch-
setzung und Überwachung, wie sie beispielsweise im
Handelsvertrag zwischen den USA und Guatemala fest-
gelegt sind.

Ich lehne ab, weil die in Art. 8 und 9 geforderte Libe-
ralisierung und Deregulierung des Kapitalverkehrs der
notwendigen Regulierung der Finanzmärkte zuwider-
läuft und die Gefahr von zukünftigen Finanzmarktkrisen
erhöht – und das, obwohl Mexiko bereits zweimal eine
solche leidvolle Erfahrung gemacht hat.

Ich lehne ab, weil in Art. 11 eine Wettbewerbsord-
nung vorgesehen ist, die den Schutz ausländischer Di-
rektinvestitionen in der Weise erhöht, daß eine „Positiv-
diskriminierung“ mexikanischer Unternehmen nicht
mehr möglich sein wird und damit zentrale Instrumente
einer nationalen und regionalen Wirtschaftspolitik abge-
schafft werden, die insbesondere dem Schutz der Land-
wirtschaft dienen, nachdem den durch die NAFTA her-
vorgerufenen Krisen nicht Rechnung getragen wird.

Ich lehne ab, da in Art. 10 die zuvor geschilderte In-
tention der Wettbewerbsordnung auch noch auf den öf-
fentlichen Bereich ausgedehnt wird und damit der ge-
samte mexikanische öffentliche Sektor bei der Auftrags-
vergabe der Konkurrenz überlegener Anbieter aus den
EU-Staaten unterworfen wird.

Ich lehne ab, da die Vereinbarung zwischen der EU
und Mexiko wesentliche Elemente des zur Zeit unter-
brochenen MAI-Prozesses beinhaltet, sie auf bilateraler
Ebene festschreibt und somit die darüber zu führende
kritische Diskussion umgeht.

Ich lehne vor allem deshalb ab, weil insbesondere die
Ignoranz gegenüber den Bedenken und Forderungen von
48 Menschenrechtsorganisationen – unter ihnen die
mexikanischen Gewerkschaften, Kleinunternehmer und
Bauern – und ihren dringenden Aufforderungen an die
EU-Parlamentarier, diesen Vertrag nicht zu ratifizieren,
eines demokratischen Miteinanders der Völker unwürdig
ist.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404508300
Eine weitere
persönliche Erklärung des Abgeordneten Carsten Hüb-
ner wird zu Protokoll gegeben.*) Sind Sie damit einver-
standen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


– Dann können wir jetzt abstimmen.
Zur Abstimmung über den von der Bundesregierung

eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen über
wirtschaftliche Partnerschaft, politische Koordinierung
und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen
Gemeinschaft und den Vereinigten Mexikanischen
Staaten, Drucksache 14/684. Der Ausschuß für Wirt-
schaft und Technologie empfiehlt auf Drucksache
14/1167 unter Ziffer 1, den Gesetzentwurf unverändert
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt
dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS
angenommen worden.**)

Der Ausschuß für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt unter Ziffer 2 seiner Beschlußempfehlung auf
Drucksache 14/1167 die Annahme einer Entschließung.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlußempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS
angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 15 c, Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu
dem Übereinkommen über den Beitritt der Republik
Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs
Schweden zu dem Übereinkommen über die Beseitigung
der Doppelbesteuerung. Das sind die Drucksachen
14/748 und 14/984. Der Finanzausschuß empfiehlt auf
Drucksache 14/1153, den Gesetzentwurf unverändert
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gibt es Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall.
Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 15 d, Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Übereinkommens zur Errichtung der
Afrikanischen Entwicklungsbank. Das ist die Drucksa-
che 14/907. Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung empfiehlt auf Drucksache
14/1154, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen, sich zu
erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei
einigen Enthaltungen aus der Fraktion der PDS ange-
nommen worden.

Tagesordnungspunkt 15 e, Beschlußempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem
––––––––––––
**) Anlage 2**) Siehe hierzu Anlage 3






(B)



(A) (C)



(D)


Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen zur Förderung der Luftfahrttech-
nologie, Drucksache 14/686. Der Ausschuß empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/395 anzunehmen. Wer
stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU,
F.D.P. und einige Stimmen aus der PDS sowie Enthal-
tungen aus der PDS angenommen worden.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 15 f. Auch hier
liegt der Wunsch nach einer persönlichen Erklärung vor.
Diese Erklärung wird von der Abgeordneten Christine
Ostrowski abgegeben.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1404508400
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich auch
den zweiten Antrag, der gleich zur Abstimmung ansteht,
in diese Erklärung mit einbeziehe.

Der erste Antrag beschäftigt sich mit der Fortführung
des Modernisierungsprogrammes der Kreditanstalt für
Wiederaufbau; der zweite Antrag beschäftigt sich mit
der Gleichstellung der Investitionszulage im Wohnungs-
bestand Ostdeutschlands mit der Investitionszulage für
den Neubau. Ich werde aus folgenden Gründen für beide
Anträge stimmen:

Erstens. Diese Anträge sind vor allem deshalb not-
wendig, weil die konkrete Situation des ostdeutschen
Wohnungsmarktes und der Wohnungswirtschaft ein ent-
sprechendes Handeln dringend erfordert. Zirka 40 Pro-
zent des dortigen Wohnungsbestandes müssen noch
saniert werden. Darunter sind Häuser des Althausbe-
standes und Hochhäuser mit vorwiegend hohem Investi-
tionsaufwand, demzufolge hohen Investitionskosten und
damit hohen Mieten nach der Modernisierung. Schon
unter den momentanen Bedingungen, das heißt unter
Nutzung beider Instrumente, klettern die Kaltmieten
nach der Modernisierung auf 10 bis 11 DM pro Qua-
dratmeter und sind damit analog den Miethöhen im frei
finanzierten Wohnungsbau. Modernisierung und Sanie-
rung sind in den neuen Ländern der Preistreiber Num-
mer eins.

Zweitens. Wenn die Investitionszulage im Rahmen
des Modernisierungsprogramms nicht erhöht wird, wer-
den für einen großen Teil der Mieter bezahlbare Woh-
nungen zu einem echten Problem, auch und gerade weil
die Mieter auf dem Wohnungsmarkt nicht mehr auf eine
preiswertere Wohnung ausweichen können. Die Anzahl
dieser Wohnungen sinkt zunehmend durch Sanierung
und Modernisierung.

Drittens. Auch die Notwendigkeit, die staatliche För-
derung auf den Wohnungsbestand und nicht auf den
Neubau zu konzentrieren – dies ist erklärtes Ziel der
Koalitionsvereinbarung –, spricht für die Annahme un-
serer Anträge.

Nicht zuletzt verweise ich auf den Beschäftigungsef-
fekt und auf den positiven finanziellen, steuerpolitischen
Effekt für Bund, Länder und Kommunen, die die Fort-
setzung des Modernisierungsprogramms und die Gleich-
setzung der Investitionszulage für den Altbau mit sich

bringen würden. Diese Effekte entgehen aber dem Bund,
den Ländern und den Kommunen, wenn unsere Anträge
nicht angenommen werden.

Im übrigen greifen beide Anträge Forderungen der
ostdeutschen Landesregierungen – unabhängig, von
welcher Partei sie gestellt werden –, der Kommunen, der
Verbände von Mieterinnen und Mietern und der Ver-
bände von Vermieterinnen und Vermietern auf.

Zum Schluß möchte ich noch deutlich machen, daß
sich Positionen ändern, wenn man an der Regierung ist.
Die Koalitionsparteien hatten, als sie noch in der Oppo-
sition waren, analoge Forderungen an die damalige
Bundesregierung gestellt. Diese Forderungen sind, so
scheint es, heute vergessen.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404508500
Wir kommen
nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
dem Antrag der Fraktion der PDS zur Fortführung des
Wohnraum-Modernisierungsprogramms der Kreditan-
stalt für Wiederaufbau bis zum Jahr 2000, Drucksache
14/652. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/126 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlußempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS ange-
nommen worden.

Tagesordnungspunkt 15 g, Beschlußempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
dem Antrag der Fraktion der PDS zur verbesserten
Förderung der Wohnungsmodernisierung im Alt-
baubestand und bei Wohnhochhäusern nach dem
Investitionszulagengesetz 1999. Der Ausschuß emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/127 abzulehnen.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschus-
ses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlußempfehlung des Ausschusses ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS ange-
nommen worden.

Tagesordnungspunkt 15 h, Beschlußempfehlung des
Rechtsausschusses zu Streitsachen vor dem Bundesver-
fassungsgericht, Drucksache 14/842. Das ist die Über-
sicht 1. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
– Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlußemp-
fehlung ist einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 15 i, Beschlußempfehlung des
Haushaltsausschusses zu dem Bericht des Bundesrech-
nungshofs über die Aufgabenwahrnehmung in ausge-
wählten Servicebereichen der Bundesverwaltung,
Drucksachen 14/220 und 14/846. Wer stimmt für diese
Beschlußempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 15 j, Beschlußempfehlung des
Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesmi-
nisteriums für Wirtschaft und Technologie zu der Rech-

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer






(A) (C)



(B) (D)


nungslegung über das Sondervermögen des Bundes
„Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsat-
zes“ für das Wirtschaftsjahr 1997, Drucksachen 14/258
und 14/847. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
– Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlußemp-
fehlung ist damit ebenfalls einstimmig angenommen
worden.

Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Situation der Flüchtlinge nach Beendigung der
Kampfhandlungen im Kosovo

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Abgeordnete Marieluise Beck.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Am 9. Juni wurde zwischen der serbischen
Führung und den NATO-Kommandeuren das Abkom-
men zum Abzug der serbischen Militärs, Paramilitärs
und Polizeieinheiten aus dem Kosovo unterzeichnet.
Damit wurde das barbarische Morden auf dem Kosovo
endlich beendet.

Wer hat nicht in den vergangenen Monaten mit Ban-
gen darauf geschaut, ob es gelingen würde, der archai-
schen Gewalt im Kosovo Einhalt zu gebieten? Wer hat
nicht das Entsetzen geteilt, daß man nur ahnen konnte,
welchen gnadenlosen Torturen die eingeschlossenen
Menschen und auch die Flüchtlinge, die rausgegangen
sind, ausgeliefert waren? Hin- und hergeschoben die
Eingeschlossenen als Flüchtlingstrecks im Land von
einer unbarmherzigen Soldateska, ohne Versorgung mit
Lebensmitteln und, was vielleicht das Dramatischste
war, ohne Kontakt nach außen.

Ich bin mir in den vergangenen Wochen nicht immer
sicher gewesen, ob NATO und UNO in der Lage sein
würden, den Menschen wirklich die Rückkehr in ihr
Heimatland vor dem Wintereinbruch zu ermöglichen.
Wie gut ist es, nun zu sehen, daß der Abzug der jugo-
slawischen Einheiten nach Plan verläuft und daß die
KFOR-Truppen als Schutzmacht für die Menschen ins
Land einziehen konnten.

Der UNHCR ist seit Sonntag mit mehreren Teams
wieder im Kosovo vertreten. Das Büro des UNHCR in
Prizren soll schnellstmöglich wieder eröffnet werden.
Von dort aus sollen Hilfskonvois die Dörfer im Südwe-
sten des Kosovo anfahren und die Menschen mit Le-
bensmitteln und Medikamenten versorgen, die zum Teil
seit zweieinhalb Monaten von jeder Versorgung abge-
schnitten waren.

Doch die Situation im Kosovo selbst ist nach wie vor
labil. Es entladen sich jetzt lang angestauter Haß und
Wut der albanischen Bevölkerung gegenüber den abzie-
henden serbischen Militärs, aber auch gegen die serbi-
sche Zivilbevölkerung, die nun selber zu Flüchtlingen

wird und zu Tausenden das Kosovo in Richtung Monte-
negro und Serbien verläßt.

Wenn es nicht gelingt, auch der serbischen Bevölke-
rung glaubhaft zu machen, daß die KFOR-Truppen auch
für sie da sind, wird es wieder eine ethnische Trennung
geben und der Geist des Milosevic wird unter der Hand
wieder ein Stück gesiegt haben. Das wäre ein Drama.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])


Die UCK-Kämpfer versuchen, das Machtvakuum,
das durch die abziehenden serbischen Truppenverbände
entsteht, zu nutzen. Die Gefahr, von Heckenschützen
beschossen zu werden, ist weiterhin gegeben, und vor
allem besteht Minengefahr. Es gibt erste Nachricht von
zurückkehrenden Flüchtlingen, die auf den Feldern von
Minen getötet worden sind.

Nahezu alle Hilfsorganisationen warnen daher davor,
daß die Kosovo-Flüchtlinge zu schnell in ihr Land zu-
rückkehren. Bis zum vollständigen Abzug der Truppen-
verbände sollten die Flüchtlinge in den Anrainerstaaten
verbleiben, weil es ansonsten sehr schwer wird, für ihre
Sicherheit zu garantieren. Dennoch drängen schon viele
Flüchtlinge jetzt zurück; wir alle sehen die Bilder in den
Medien. Sie können es kaum erwarten, Haus und Hof
oder das, was davon übriggeblieben ist, zu besichtigen
und mit dem großen Aufräumen zu beginnen.

Den Berichten des Auswärtigen Amtes ist zu ent-
nehmen, daß Malteser, Deutsches Rotes Kreuz, Caritas,
THW und GTZ sich vornehmlich an Standorten des
deutschen KFOR-Kontingents betätigen werden. Ich
glaube, eine der besten Ideen ist, dort Bauhöfe einzu-
richten, damit mit dem Wiederaufbau auch durch die
Kosovaren selbst schnell begonnen werden kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Aber niemand hat bisher einen Überblick über das
Ausmaß der Zerstörung, und niemand weiß, ob die La-
ger in Albanien und Mazedonien überhaupt bis zum
Winter geleert werden können. 800 000 Menschen zu-
rückzuführen ist eine gigantisch große Aufgabe.

Deswegen finde ich es absolut daneben, jetzt in
Deutschland eine Rückkehrdebatte loszutreten, hier in
Deutschland, wo wir 15 000 Menschen aufgenommen
haben und wo wir als reiches Land uns wirklich Zeit las-
sen können, mit der Rückführung zu beginnen. Wenn
ein Land wie Bosnien-Herzegowina, selbst noch vom
Krieg gezeichnet, es sich leisten kann, 70 000 Kosova-
ren als Flüchtlinge aufzunehmen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


dann haben wir noch einige Monate Zeit, um mit der
Rückführung der Kosovaren aus Deutschland zu begin-
nen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer






(B)



(A) (C)



(D)


Ich möchte die Worte des Bosnien-Beauftragten,
Herrn Koschnik, aufnehmen, der sagt: Wir müssen uns
sogar darauf vorbereiten, daß möglicherweise noch ein-
mal eine vorübergehende Notaufnahme von Flüchtlin-
gen hier notwendig ist, wenn die Lager im Winter nicht
befestigt sein können und bis dahin die Rückkehr nicht
gelingt.

Die Hilfsorganisationen weisen darauf hin, daß sie
nach wie vor dringend auf Spenden, auch private Spen-
den, angewiesen sind. Ich möchte von diesem Platz aus
alle Menschen noch einmal auffordern, nicht nachzulas-
sen mit der Großzügigkeit, die es in unserer Bevölke-
rung in ganz bewundernswerter Weise gegeben hat.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404508600
Ich gebe jetzt
der Kollegin Lietz das Wort.


Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1404508700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!
Der Krieg im Kosovo ist aus – das ist gut –, aber es
herrscht noch kein Frieden. Wir befinden uns in einem
Schwebezustand, und die Zukunft der Menschen im Ko-
sovo und damit auch die Zukunft des ganzen Balkans
wird davon abhängen, wie wir jetzt handeln und welche
Entscheidungen wir jetzt treffen. Deshalb wollen diese
Entscheidungen gut überlegt sein.

Es beginnt ein schwerer Teil unserer Aufgabe, der
uns noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird. Neben
der militärischen Sicherung eines von beiden Kon-
fliktparteien akzeptierten Friedens gilt es jetzt, humani-
täre und medizinische Hilfe für geschundene und viel-
fach entwurzelte Menschen zu gewähren. Wir alle haben
noch sehr deutlich die Bilder vor Augen, wie Hundert-
tausende von Flüchtlingen über die Grenzen in die
Nachbarländer drängten, um unter schwierigsten Bedin-
gungen in riesigen Flüchtlingslagern untergebracht zu
werden. Sie alle kommen jetzt zurück. Sie kommen zu-
rück, weil wir ihnen die Rückkehr versprochen haben.
Sie zählen auf uns, und sie müssen wissen, daß sie auf
uns zählen können, meine Damen und Herren.

Was zu befürchten steht, ist allerdings, daß dieser
Rückzug nicht ganz so kontrolliert ablaufen wird, wie
wir uns das vielleicht wünschen. Diese Menschen haben
zum Teil keinen Nachweis für ihren Besitz. Sie haben
Angst um ihren Besitz, und sie werden zurückkommen,
wenn sie es für richtig halten, und nicht dann, wenn wir
es ihnen sagen.

Am wichtigsten ist es, die Flüchtlinge zunächst ein-
mal mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen, ihre
Grundbedürfnisse zu befriedigen. Hilfe vor Ort muß zu-
nächst heißen, ihnen Nahrungsmittel zur Verfügung
stellen. Sie sind Hunderte von Kilometern gegangen, um
dieses Land zu verlassen; sie kommen Hunderte von
Kilometern zurück. Sie sind entkräftet. Sie brauchen un-
sere Hilfe.

Wir haben hier im Deutschen Bundestag entspre-
chende Beschlüsse gefaßt, wie den Einsatz von AFOR
zur humanitären Hilfe in Albanien und die Hilfe der
Bundeswehr beim Aufbau von Zeltstädten und der hu-
manitären und medizinischen Versorgung der Lager in
Mazedonien. Gerade auf Grund dieser Hilfe für die
Flüchtlinge ist das Ansehen der Bundeswehr auf der al-
banischen Seite sehr hoch. Wir haben bewiesen, daß wir
helfen können.


(Beifall des Abg. Georg Janovsky [CDU/CSU])


Wir brauchen aber vermehrt auch die Hilfe ziviler Orga-
nisationen wie THW, Care, Rotes Kreuz und „Cap
Anamur“. Und ich wünschte mir, daß wir auch auf
„Ärzte ohne Grenzen“ und andere „non government or-
ganizations“ zählen können, um für die Koordination
der Flüchtlingshilfe sorgen.


(V o r s i t z : Vizepräsident Petra Bläss)

Wir brauchen außerdem – das hat Staatssekretär Kol-

bow gestern schon kurz in der Fragestunde angedeutet –
Material und Gerät, damit diese Flüchtlinge vor Ort ihre
Häuser wieder aufbauen und sie winterfest machen kön-
nen, um sich im Winter dann selber zu schützen. Wir
brauchen Material, damit sie Schulen bauen und ihren
Kindern möglichst bald wieder Unterricht erteilen kön-
nen. Wir brauchen landwirtschaftliche Hilfen wie Saat-
gut, damit sie, nachdem die Minen geräumt sind, wieder
den Boden bearbeiten können.

Lassen Sie mich noch kurz etwas zur Finanzierung
der humanitären Hilfe sagen. Tatsache ist, daß
Deutschland den Wiederaufbau nicht alleine bewäl-
tigen kann. Wer das leichtsinnig verspricht, weckt
Erwartungen, die wir nicht halten können. Wir müssen
dieses Land zusammen mit den Amerikanern und
den anderen Europäern wiederaufbauen, wobei ich
sicher bin, daß auf die Europäische Union eine ganz
besondere Verantwortung zukommt. Wir, die anderen
europäischen Länder und die Amerikaner werden
uns nicht auseinanderdividieren lassen. Der Druck, den
wir über fast drei Monate in Jugoslawien gemein-
sam aufrechterhalten haben, wird auch nötig sein, um
die zivile Wiederaufbauhilfe gemeinsam durchzufüh-
ren.

Jetzt dürfen nicht nur Ankündigungen, nicht nur leere
Worte folgen, wie das im Zusammenhang mit Europa-
politik in diesem Plenum so oft der Fall war, jetzt müs-
sen Taten folgen. Ich fordere die Regierung und Herrn
Bundeskanzler Schröder auf: Nutzen Sie die letzten Ta-
ge Ihrer Ratspräsidentschaft, um eine solidarische euro-
päische Finanzierung des Wiederaufbaus zu verhandeln
und zu beschließen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Diese Menschen glauben an uns, sie brauchen unsere
Hilfe. Es ist auf alle Fälle besser, jetzt zu investieren,
jetzt Geld in den Kosovo zu geben, als nach weiteren
ungeschickten Vorgehensweisen eine erneute, womög-
lich bewaffnete Auseinandersetzung zu riskieren, die
dann wiederum von uns finanziert werden muß. Das
Geld ist anders besser angelegt.

Marieluise Beck (Bremen)







(A) (C)



(B) (D)


Unbedingt erhalten bleiben muß eine zufriedenstel-
lende medizinische Versorgung unserer eigenen Trup-
pe, aber auch der Bevölkerung. Wenn ich höre, daß mit
den serbischen Truppen und den insgesamt 40 000 Ser-
ben, die ins restliche Jugoslawien zurückkehren, auch
das gesamte serbische medizinische Personal aus den
Krankenhäusern abgezogen wird, dann wird mir angst
und bange. Denn ich bin der Meinung, daß wir zum jet-
zigen Zeitpunkt die medizinische Versorgung der Be-
völkerung nicht garantieren können. Deshalb muß ge-
prüft werden, inwieweit Ärzte aus den Nachbarländern
dazu überredet werden können, neben den NGOs und
dem Roten Kreuz vorübergehend in den Kosovo zu
kommen, um dort zusammen mit den Soldaten der
KFOR die medizinische Versorgung sicherzustellen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404508800
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit! Wir sind in einer Aktu-
ellen Stunde.


Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1404508900
Ich bin sofort am Ende. –
Lassen Sie mich zum Schluß noch das eine sagen: Wenn
wir die Sanitätstruppen, die wir jetzt drüben haben,
weiter bereitstellen wollen, dann müssen wir uns dar-
über unterhalten, wie wir die Versorgung hier vor Ort
sicherstellen wollen. Die Soldaten hier in Deutschland
müssen schon jetzt mit 20 Prozent weniger Personal ver-
sorgt werden.

Ich glaube, daß wir diesen Einsatz im Kosovo auch
als eine Chance sehen müssen, neu über unser Sanitäts-
personal und die personelle Ausstattung nachzudenken
im Sinne unserer Bundeswehr als der Armee unserer
Söhne und Töchter mitten in der Gesellschaft, die sich
gerade im Kosovo bewähren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404509000
Es spricht jetzt für
die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Walter Kolbow.

W
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1404509100
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Zunächst herzlichen Dank, daß
ich an dieser Stelle sprechen darf, weil ich um 14.15 Uhr
zurück nach Mazedonien möchte, aber doch in dieser
Debatte einige Punkte aus der Sicht des von der Bundes-
regierung mit der Koordinierung der humanitären Hilfe
Beauftragten machen möchte.

Es ist zweifelsohne so, daß die Lage der Flüchtlinge
in Mazedonien, aber auch in Albanien und selbstver-
ständlich im Kosovo selbst durch die jüngsten Entwick-
lungen im Kosovo neue Aktualität gewonnen hat. Wäh-
rend es sich bisher darum drehte, die humanitäre Situa-
tion außerhalb des Kosovo zu meistern, wird es nun
– das ist beredt angesprochen worden – vorrangig darum
gehen, im Rahmen unserer Möglichkeiten ein unkon-

trolliertes Zurückfluten der Flüchtlinge, Vertriebenen
und Deportierten in ihre Heimat zu vermeiden.

Aus eigenem Erleben verfüge ich über ein detail-
liertes Bild von der Lage der Flüchtlinge, die sich wie
folgt beschreiben läßt. Die Lebensverhältnisse, gerade
in Mazedonien, haben sich durch die politischen Ereig-
nisse der vergangenen Woche nicht grundlegend ver-
ändert. Allerdings hat sich die psychologische Situa-
tion signifikant gewandelt. Deutlich sind Auf-
bruchstimmung und Unruhe spürbar. Dies äußert sich
vehement vor allem in politischen Diskussionen in den
Lagern. Die Menschen in den Camps sind verständ-
licherweise ungeduldig und suchen ständig nach siche-
ren Nachrichten aus der Heimat. So sind bereits am
13. Juni mehrere hundert Familienväter zu ersten Lage-
feststellungen in den Kosovo aufgebrochen. Heute sind
etwa 8 000 über den Ort Blace aus Mazedonien in
Richtung Kosovo unterwegs. Deshalb kommt einer
umfassenden, verläßlichen und allen Vertriebenen zu-
gänglichen Informationspolitik durch die Hilfsorgani-
sationen eine ganz besondere Bedeutung zu. Wir kön-
nen sie vor Ort auch leisten.

Die Zahl der Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus
Albanien und Mazedonien wird derzeit mit zirka 8 000
angegeben. Es ist bereits jetzt erkennbar, daß es ohne
eine die mazedonische Regierung unterstützende Orga-
nisation – das gleiche gilt für die albanische Seite – an
den Grenzübergängen zu chaotischen Verhältnissen
kommen kann. Denn in den Lagern in Mazedonien be-
finden sich derzeit noch immer zirka 105 000 Flüchtlin-
ge. 120 000 Vertriebene halten sich in diesem Land in
Gastfamilien auf. In Albanien sind die Zahlen weit hö-
her, wie Sie wissen. Wir sprechen hier von etwa 450 000
bis 500 000 Vertriebenen.

Mit einer Ausnahme sind die Camps frei zugänglich.
Von den gerade erwähnten 105 000 in mazedonischen
Lagern untergebrachten Personen sind etwa 80 000
Menschen in den drei Massenlagern Cegrane, Stenko-
vac I und II untergebracht, was ungeheure Probleme in
der sanitären und der hygienischen Versorgung gebracht
hat, die wir mit der tatkräftigen Hilfe insbesondere, Herr
Bundesinnenminister, des THWs, aber auch der GTZ
und in der anfänglichen Notsituation mit Hilfe unserer
Soldatinnen und Soldaten einigermaßen haben bewälti-
gen können. Aber es ist gerade in diesen Lagern noch
immer viel zu tun.

Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist durch die
Angebote an den Verkaufsständen örtlicher Händler si-
chergestellt. Auch das World Food Program hilft zuse-
hends. Die Wasserversorgung und die sanitären Ein-
richtungen – ich spreche es noch einmal an – entspre-
chen zwar noch immer nicht dem Standard des UNHCR,
sind aber inzwischen deutlich verbessert. Die medizini-
sche Versorgung ist sichergestellt. Es gibt nun in jedem
Lager Einrichtungen für Vorschulkinder, Frauen- und
Mütterberatungsstellen sowie Informationsstände. Wo
immer möglich, werden nun auch in der Nähe der Lager
in ortsansässigen Schulen Klassenräume und Lehrkräfte
zur Verfügung gestellt.

Ursula Lietz






(B)



(A) (C)



(D)


Die soziale und wirtschaftliche Lage der zirka
120 000 Flüchtlinge in Mazedonien, die in den Gastfa-
milien Aufnahme gefunden haben, ist äußerst ange-
spannt. Dies gilt vor allen Dingen auch für die Gastfa-
milien selbst, die durch ihre Aufnahme- und Hilfsbereit-
schaft vielfach unter die Armutsgrenze gerutscht sind.
Inzwischen haben die Regierungen in Mazedonien und
auch in Albanien die Unterstützung der Gastfamilien
leider eingestellt. Die Hilfsorganisationen, von unserer
Seite insbesondere ADRA, Caritas, Arbeiter-Samariter-
Bund, Kinderberg und Rotes Kreuz, versuchen mit gro-
ßem Einsatz, guter Organisation und in enger Koopera-
tion mit der albanischen Hilfsorganisation El Hilal zu-
mindest den Grundbedarf an Lebens- und Hygienemit-
teln, aber auch an Bekleidung zu decken. Ich gehe davon
aus, daß auch aus den Spenden, die für das Kosovo vor-
behalten sind, nunmehr wesentliche Mittel gerade von
den Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt werden.

Der UNHCR, der mit unseren Kräften vor Ort in en-
ger Kooperation steht, mißt einer weiteren Unterstüt-
zung der Gastfamilien auch deswegen höchste Bedeu-
tung zu, weil sonst – je nach zeitlicher Streckung der
Rückkehr aller Flüchtlinge in ihre Heimat – Ausgaben in
erheblichem Umfang für das Herstellen der Winterfe-
stigkeit zumindest einiger Lager entstehen könnten.
Diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort wa-
ren, Besuche gemacht haben, die sich durch Inaugen-
scheinnahme informiert haben, wissen, wie kompliziert
es sein wird, in den Lagern Winterfestigkeit herzustel-
len. Es könnte sein, daß wir auf feste Gebäude auswei-
chen müssen, die aber auch erst gefunden werden müß-
ten.

Der UNHCR hat zur finanziellen Unterstützung der
Gastfamilien ein Programm in einer Größenordnung von
mittlerweile 2,5 Millionen US-Dollar aufgelegt, aus dem
in erster Linie Ausgaben für Wasser und Strom gedeckt
werden sollen. Da sich die Flüchtlinge in den Gastfami-
lien vorwiegend in den Ballungszentren des Landes auf-
halten – in Skopje zum Beispiel 40 000, in Tetovo zirka
50 000, in Gostivar 20 000 oder in Kumanovo 10 000
Menschen –, erhöht sich durch die beginnende Verelen-
dung das bevölkerungspolitische Konfliktpotential, das
zu innerstädtischer Polarisierung und natürlich auch zu
Unruhen führen kann und auch schon geführt hat.

Seit dem 12. Juni ist die Flüchtlingswelle aus dem
Kosovo faktisch zum Erliegen gekommen. Wir haben
bisher zirka 14 000 Flüchtlinge nach Deutschland aus
humanitären Gründen evakuiert und stehen damit im
Vergleich mit anderen Ländern, bezogen sowohl auf
den Gesamtumfang als auch auf die Quotenerfüllung,
in der Spitze. Dies ist in Mazedonien und in der Region
bekannt und wird als Beweis unserer Verbundenheit
und Verläßlichkeit gewertet. Vor dem Hintergrund der
trotz aller Anstrengungen der internationalen Staaten-
gemeinschaft bedrückenden Lebensverhältnisse der
Flüchtlinge ist deren Bereitschaft zur Rückkehr in das
Kosovo grundsätzlich ungebrochen. Es kann davon
ausgegangen werden, daß die Rückkehr jetzt schnell
erfolgen wird. Dabei wird sicher eine organisatorische
Unterstützung durch die Hilfsorganisationen gerne an-
genommen.

Zusammenfassend ist nach diesen ersten Erkenntnis-
sen über die veränderte Lage festzustellen, daß die all-
gemeine Lage im Kosovo, auch was die Schadensfest-
stellung angeht, unterschiedlich ist. Sie ist in Teilen von
Städten besser als in der Fläche. Wir mußten auch auf
Grund der Erkenntnisse unserer Aufklärung per Droh-
nen feststellen, daß bis zu 300 Ortschaften nach der
Methode „Im Untergeschoß eine Gasflasche, im Ober-
geschoß eine brennende Kerze“ in die Luft gesprengt
worden sind. Dabei sind natürlich die Dächer wegkata-
pultiert worden.

Neben der rein humanitären Hilfe kommt der Schaf-
fung eines sicheren Umfeldes große Bedeutung zu. Da-
bei wird der Einsatz von Streitkräften zumindest in einer
länger andauernden Anfangsphase zum großen Teil auch
humanitäre Aufgaben beinhalten. In Mazedonien und
Albanien wird es zunächst darauf ankommen, in enger
Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Organisatio-
nen im Kosovo eine annähernd geordnete Rückkehr zu
organisieren.

Ebenso dringlich ist es, möglichst bald Klarheit dar-
über herbeizuführen, welche und wie viele Flüchtlinge
in Mazedonien und Albanien während des Winters blei-
ben müssen. Die Bereitschaft beider Regierungen, dies
zu unterstützen, wird um so größer sein, je sichtbarer der
Wille der Staatengemeinschaft und besonders der Euro-
päischen Union ist, zur Herstellung von Stabilität in der
Region die notwendigen wirtschaftlichen, gesellschaftli-
chen und gesamtpolitischen Maßnahmen auf den Weg
zu bringen. Hier gilt es, jetzt gemeinsam die richtigen
Zeichen zu setzen.

Ich danke den vielen Mitgliedern aller Fraktionen
dieses Hauses, die mich und meine Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter nicht nur vor Ort besucht, sondern auch tat-
kräftige Ratschläge erteilt haben. Ich danke den Spende-
rinnen und Spendern in Deutschland, die die NGO in die
Lage versetzt haben, kompetent und ihrem Leistungs-
profil entsprechend zu helfen.

Ich danke den Soldatinnen und Soldaten und den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Technischem
Hilfswerk und GTZ für ihre Hilfe in höchster Not für die
Vertriebenen.

Ich danke für die Geduld.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404509200
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Ulrich Irmer.


Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1404509300
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Knapp eine Woche nach dem politi-
schen Durchbruch in New York ist die Rückkehr der
Vertriebenen und Flüchtlinge in den Kosovo in vollem
Gange. Dies zeigt eines: Es herrscht Vertrauen in die
politischen und militärischen Rahmenbedingungen. Das
ist eine gute Nachricht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Parl. Staatssekretär Walter Kolbow






(A) (C)



(B) (D)


Es ist sehr bedauerlich, daß sich offensichtlich Zehn-
tausende gegen den Rat von Experten und Hilfsorgani-
sationen voreilig in Gang gesetzt haben, weil sie sich
dadurch selbst gefährden. Es wäre tragisch, wenn dieje-
nigen, die Vertreibung und Flucht überlebt haben, jetzt
bei der Rückkehr in die Heimat noch durch explodieren-
de Minen, durch Heckenschützen usw. zu Schaden kä-
men. Wir wünschen, daß die Flüchtlinge, die zurückkeh-
ren wollen, dies unbeschadet an Leib und Leben tun
können.

Für uns alle ist klar, daß Europa eine umfassende An-
schubhilfe für den Wiederaufbau im Kosovo leisten
muß. Gerade wir Deutsche, die wir unseren Weg zurück
nach Europa durch den Marshallplan erlebt haben, ste-
hen in besonderer Verantwortung.

Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung mit den
Vorarbeiten für die Eröffnung eines deutschen Koordi-
nierungsbüros für die zivile Aufbauhilfe im Kosovo in
Prizren bereits begonnen hat. Das Büro muß alsbald sei-
ne Arbeit aufnehmen können.

Ebenso wichtig ist die Eröffnung eines zentralen Ko-
ordinierungsstabs für den Wiederaufbau des Kosovo.
Wir bitten die Bundesregierung, die verbleibende Zeit
ihrer EU-Präsidentschaft dafür zu nutzen, eine Initiative
zu ergreifen, um die möglichst baldige Benennung eines
Sonderbeauftragten der UNO für das Kosovo zu bewir-
ken. Die schlechten Erfahrungen in dieser Hinsicht aus
Bosnien-Herzegowina haben gezeigt, daß eine enge Ko-
ordinierung der internationalen Hilfe die erste Voraus-
setzung für einen Erfolg ist.

Meine Damen und Herren, es ist sicher richtig, daß es
vorrangige Aufgabe ist, die Häuser im Kosovo wieder
bewohnbar zu machen. Zugleich muß dafür gesorgt
werden, daß diejenigen, die vor Einbruch des Winters
nicht in den Kosovo zurückkehren können, winterfeste
Quartiere in ihren Lagern vorfinden.

Empfinden Sie es bitte nicht als kleinlich, wenn ich in
diesem Zusammenhang sage, wir sollten als Deutsche
darauf achten, daß deutsche Anbieter in ausreichendem
Maß berücksichtigt werden, wenn es um die Durchfüh-
rung von Aufträgen geht. Das ist nicht kleinlich. Es geht
nämlich nicht an, daß hier erneut nach dem Motto ver-
fahren wird: Die Deutschen zahlen, und die anderen füh-
ren durch.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Auf jeden Fall muß verhindert werden, daß die Hilfe,

die zu leisten ist, mittelbar oder unmittelbar dem
Kriegsverbrecher in Belgrad zugeschrieben wird. Es wä-
re unerträglich, wenn sich Milosevic jetzt als Friedens-
fürst und Verteiler der internationalen Hilfsgelder auf-
spielen könnte und damit seiner eigenen Bevölkerung
gegenüber die eigenen Greueltaten vergessen machen
könnte.

Ich betonte aber zugleich, daß die Aufbauhilfe im
Kosovo nicht nur den vertriebenen Albanern zugute
kommen darf. In gleichem Maße müssen auch die Ser-
ben im Kosovo von dieser Hilfe erfaßt werden. Ich emp-
finde es als geradezu schrecklich, daß jetzt so viele Ser-
ben aus Angst vor Racheakten der zurückkehrenden Al-

baner ihr Land, das auch ihre Heimat ist, verlassen. Es
wäre wirklich schön – das ist nur eine vage Hoffnung –,
wenn es doch noch ein multiethnisches Zusammenleben
im Kosovo geben könnte.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und der CDU/ CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die politischen und militärischen Voraussetzungen dafür
sind gegeben. Wir können jetzt nur an die Menschlich-
keit aller dort lebenden Menschen appellieren, daß sie
wirklich alles in ihren Kräften Stehende tun, um die
Aussöhnung zu suchen und sie auch zu finden.

Für uns Europäer ist ganz entscheidend, daß wir ein
internationales Konzept für die zukünftige politische
Ordnung auf dem Balkan entwerfen. Wir fordern eine
überregionale Südosteuropa-Konferenz, auf der die
OSZE eine entscheidende Rolle spielen muß. Es müssen
dauerhafte Voraussetzungen für Demokratie, Minder-
heitenschutz und regionale Zusammenarbeit geschaffen
werden. Allen Ländern der Region muß jetzt konkret in
Aussicht gestellt werden, daß sie in Europa willkommen
sind. Es muß sich auszahlen und sichtbar werden, daß
anständiges, zivilisiertes menschliches Verhalten von
der Staatengemeinschaft auch honoriert wird. Wir halten
es daher für dringend angezeigt, daß jetzt alsbald den
Ländern Albanien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina
und Kroatien Assoziierungsabkommen mit der Europäi-
schen Union angeboten werden. Das wird eine der
wichtigsten politischen Aufgaben der näheren Zukunft
sein.


(Beifall bei der F.D.P.)

Lassen Sie mich zum Schluß sagen, daß wir selbst-

verständlich auch Restjugoslawien, also auch Serbien,
die Tür nach Europa nicht endgültig versperren dürfen.
Voraussetzung dafür ist, daß in diesem Land demokrati-
sche Zustände eintreten. Es liegt im eigenen Interesse
der Serben, sich dafür einzusetzen; denn dann werden
auch sie bei uns in Europa willkommen sein.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404509400
Es spricht jetzt der
Kollege Dr. Eberhard Brecht, SPD-Fraktion.


Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1404509500
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
gen! Es gibt unter den Paradigmen, die wir für die west-
liche Balkanpolitik definiert haben, zwei, die besonders
herausragen. Das eine Prinzip ist, daß wir keine neuen
Grenzen auf dem Balkan akzeptieren. Das andere Prin-
zip ist, daß wir eine ethnische Säuberung auch nachträg-
lich nicht akzeptieren. Das sind, glaube ich, Grundprin-
zipien, die bisher in diesem Hause unstreitig waren.
Aber schon der Krisenfall Bosnien-Herzegowina hat ge-
zeigt, wie schwierig es ist, diese Prinzipien durchzuhal-
ten. Trotz des Dayton-Vertrages ist die ethnische Tei-
lung in Bosnien-Herzegowina – jedenfalls in Teilen –
Realität. Die Rückkehr von etwa 100 000 kroatischen

Ulrich Irmer






(B)



(A) (C)



(D)


und muslimischen Bürgern in die Republika Srpska ge-
staltet sich außerordentlich schwierig.

Ich möchte auch noch an ein totgeschwiegenes Pro-
blem erinnern. Noch immer warten 40 000 Krajina-
Serben auf die Rückkehr in ihre Heimat. Die Öffentlich-
keit schweigt zu diesem Skandal.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])


Wir sehen uns jetzt auf ähnliche Weise mit einem an-
deren Konflikt konfrontiert, nämlich daß die Serben
– von uns nicht gewollt – aus dem Kosovo abziehen,
und zwar nicht nur die Militärkräfte und diejenigen Ser-
ben, die sich irgendwelcher Menschenrechtsverletzun-
gen schuldig gemacht haben, sondern auch ganz nor-
male serbische Familien, die nun Angst um ihr Leben
haben. Natürlich bleibt uns nichts anderes übrig, als zu
akzeptieren, daß sich Menschen entscheiden, nicht mehr
mit ihren Nachbarn zusammenzuleben. Aber wir stehen
in der Verantwortung, für die Sicherheit derjenigen zu
garantieren, die sich entscheiden, in ihrer Heimat zu
bleiben. Genauso sind wir auch dafür verantwortlich,
daß diese Menschen in die Hilfe einbezogen werden, die
wir allen Menschen im Kosovo gewähren.

Meine Damen und Herren, wir stehen gleichzeitig
natürlich in der Pflicht, dafür zu sorgen, daß nun endlich
geklärt wird, welchen Status die UCK bekommen kann.
Der Begriff „Entmilitarisierung“ ist etwas vage. Derzeit
scheint sich eine Entwicklung abzuzeichnen, bei der die
UCK quasi zur Polizei im Lande wird. Es muß sicherge-
stellt werden, daß wir zu einer Polizeistruktur kommen,
die weit über das hinausgeht, was wir IPTF in Bosnien-
Herzegowina zugestanden haben: Die internationale
Gemeinschaft muß der Garant für die Sicherheit der dort
lebenden Menschen sein. Wir können die Sicherheit im
Kosovo nicht alleine in die Hand nur einer Konfliktpar-
tei legen.


(Beifall der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dazu gehört ebenfalls, meine Damen und Herren, daß
die in Bosnien-Herzegowina etwas unterbeschäftigten
ECCM-Monitore tatsächlich schwerpunktmäßig im Ko-
sovo präsent sind.

Es gibt auch eine ganze Reihe anderer Erfahrungen,
die wir aus Bosnien-Herzegowina übernehmen können.
Bei meinem Besuch im März in Bosnien-Herzegowina
hörte ich überall dieselbe Klage. Es tummeln sich eine
Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen im Lande.
Jede dieser Nichtregierungsorganisationen moniert, es
gäbe praktisch keine Koordination, hingegen einen bru-
talen Wettbewerb. Dies heißt, es fehlt eigentlich an einer
koordinierenden Hand. Ich glaube, hier und im Kosovo
sind die westlichen Staaten gefordert, ein Stückchen re-
gulierend einzugreifen, damit die von Menschen frei-
willig gespendeten Mittel auch richtig plaziert und Dop-
pelausgaben vermieden werden können.

Umgekehrt sind die NGO mit einem Problem kon-
frontiert, was ihre eigene Arbeit betrifft. Immer wieder
stoßen engagierte Aufbauhelfer in Bosnien-Herzego-

wina bei der Bewilligung von EU-Projekten auf Proble-
me. Wenn sie dann schließlich bewilligt sind, fließt der
Finanzstrom so spärlich, daß diese NGO im Prinzip zwi-
schenzeitlich gar nicht mehr arbeitsfähig sind.

Bilaterale Projekte dagegen arbeiten relativ unbüro-
kratisch. Die alte Bundesregierung hat dieses Problem
aufgegriffen. 1998 wurde auf deutsches Betreiben hin
die EU-Wiederaufbauverordnung geändert, um eine Be-
schleunigung der Mittelabgabe zu ermöglichen und
gleichzeitig den Verwaltungsaufwand zu minimieren.
Zur gleichen Zeit wurde eine EU-Präsenz vor Ort ge-
schaffen, nämlich in Sarajevo, wogegen die EU-Juristen
gleich wieder Einwände vorgebracht haben.

Ich will damit nur etwas zur Übertragung auf den Fall
Kosovo sagen: Wir brauchen eine seriöse, aber gleich-
zeitig auch schnelle Mittelvergabe, damit wir dem Ziel,
ziviles Leben im Kosovo noch vor dem Winter wieder
zu ermöglichen, möglichst rasch näherkommen.

Ich glaube, daß eine spezielle Aufgabe des Nachfol-
gers von Herrn van den Broek sein sollte, für einen ra-
schen Mittelabfluß zu sorgen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404509600
Herr Kollege, kom-
men Sie bitte zum Schluß.


Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1404509700
Der letzte Satz.
Kollege Irmer hat gerade auf eine Notwendigkeit

hingewiesen, die ich aus meiner Sicht nur unterstützen
kann. Alle Anstrengungen für eine langfristige Befrie-
dung des Kosovo werden erfolglos bleiben, wenn es
nicht gelingt, in Belgrad eine demokratische Regierung
zu installieren. Ich glaube, an dieser Stelle sind wir mit
in der Verantwortung.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404509800
Für die PDS-
Fraktion spricht jetzt Kollege Wolfgang Gehrcke.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404509900
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! So erleichtert wir und mit
Sicherheit eine Mehrheit der Menschen waren, daß end-
lich die Waffen im Kosovokrieg schweigen, war uns
dennoch klar, daß es nicht Friede ist, der erreicht wurde.
Ob aus dem Zustand des Nichtkrieges Friede wird oder
ob heute die Keime für neue Kriege gelegt werden,
hängt aus meiner Sicht auch davon ab, wie mit der Re-
solution des UN-Sicherheitsrates umgegangen wird. Wir
sollten darauf bestehen, daß sie nach Geist und Buchsta-
be erfüllt wird.

Uns sollte klar sein, daß Unrecht nicht mit neuem Un-
recht beantwortet werden kann. Massenflucht und Ver-
treibung der nichtalbanischen Bevölkerung des Kosovo
dürfen nicht die Antwort auf Massenflucht und Vertrei-
bung der Kosovo-Albaner sein. Unrecht kann man nicht
gegeneinander aufrechnen. Aber ich befürchte, daß ge-

Dr. Eberhard Brecht






(A) (C)



(B) (D)


nau das passieren wird: daß mit der Auf- und Abrech-
nung begonnen wird.

Eine gesicherte Rückkehr von Flüchtlingen in den
Kosovo erfordert aus meiner Sicht neben humanitärem
Engagement vor allen Dingen eine rasche Behebung der
Kriegsschäden und berechenbare politische Entschei-
dungen. An berechenbaren politischen Entscheidungen
mangelt es nach wie vor. Zur Berechenbarkeit gehört
auch, unsere Bevölkerung über die Kosten des Krieges
aufzuklären. Wir müssen sagen, was wir gemeinsam
aufbringen wollen, wenn wir uns engagieren, und dürfen
nicht weiterhin dazu schweigen. So überzeugt man
Menschen nicht.


(Beifall bei der PDS)

Ich möchte über politische Berechenbarkeit als Be-

dingung auch für die Rückkehr der Flüchtlinge laut
nachdenken: Im Bundestag ist immer wieder betont
worden, welch großes Verdienst Rußland an der Reso-
lution des UN-Sicherheitsrates zukommt. Mit Danksa-
gungen ist Rußland von dieser Stelle aus förmlich über-
schüttet worden. So weit, so gut. Aber jetzt, da es um die
Regelung der Nachkriegsordnung im Kosovo geht, wird
Rußland erneut ausgegrenzt und gedemütigt.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Für das Ende des Krieges brauchte man Rußland, für
den Frieden offenbar nicht.

Das Argument, kein einziger Flüchtling werde in
einen Sektor gehen, der unter russischer Kontrolle steht,
und überhaupt sei ein solcher Sektor im nachhinein ein
Sieg Milosevics, stempelt Rußland nachträglich zu
einem Komplizen Milosevics und zeigt, daß Vertrauens-
bildung in nur eine Richtung betrieben wird.


(Beifall bei der PDS)

Nötig ist aber – auch für eine gesicherte Rückkehr der

Flüchtlinge und für die Verhinderung von neuer Mas-
senflucht – die Sicherheit, gemeinsam mit Rußland den
Wiederaufbau gestalten zu wollen. Wir sollten den Men-
schen klar sagen, der Friede werde nur tragfähig sein,
wenn er von Rußland mitgetragen wird. Dies sollte auch
der Deutsche Bundestag klar und deutlich sagen.


(Beifall bei der PDS)

Ebenso muß gesichert werden, daß die UCK entmili-

tarisiert und entwaffnet wird. Die UCK marschiert der-
zeit wie eine siegreiche Armee in den Kosovo ein. Die
Antworten, die man erhält, wenn man jemanden auf die-
se Tatsache anspricht, sind in der Politik doppeldeutig.
Die Bundesregierung sagt, man sei mit der UCK im Ge-
spräch. Wenn man in der Lage war, den Abzug der ser-
bischen und jugoslawischen Einheiten verbindlich zu
regeln, sollte man auch die Demilitarisierung der UCK
verbindlich durchsetzen. Das hat ebenfalls mit der gesi-
cherten Rückkehr der Flüchtlinge zu tun.

Ein weiteres Problem, das auch ich sehe, ist von den
Kollegen Irmer und Brecht angesprochen worden. Al-
lerdings ziehe ich aus diesem Problem eine ganz andere
Schlußfolgerung als sie. In den letzten Wochen wurde

immer wieder lanciert, daß Hilfen für den Wiederaufbau
im jugoslawischen Staatsgebiet an die Bedingung ge-
knüpft würden, daß Milosevic verschwindet. Auch ich
kann mir Demokraten besser als Regierungschefs vor-
stellen; ich wünsche mir Demokraten. Aber darüber
wird das jugoslawische Volk, werden die Serben selbst
entscheiden müssen; das kann nicht von hier aus dekre-
tiert werden. Die Wiederaufbauhilfen an den Rücktritt
Milosevics zu binden halte ich aus mehreren Gründen
für fatal und katastrophal.


(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie mich Ihnen zunächst die rechtliche Di-

mension vorstellen. Man will im Kosovo, in Montenegro
und in der Vojvodina Wiederaufbauhilfe leisten. Gleich-
zeitig haben wir uns verpflichtet, die territoriale Integri-
tät Jugoslawiens nicht anzutasten. Nun gehören aber der
Kosovo, Montenegro und die Vojvodina zu Jugoslawi-
en. Mit wem wollen Sie also die Aufbauhilfe vereinba-
ren? Es widerspricht der Festlegung des UN-
Sicherheitsrates, daß die territoriale Integrität Jugosla-
wiens nicht angetastet wird, wenn diese Integrität hin-
tenherum über das Instrument der Wiederaufbauhilfe
aufgelöst wird. So legt man den Keim für neue Ausein-
andersetzungen, die später ausgetragen werden.

Ich halte es auch moralisch für bedenklich. Die Men-
schen in Jugoslawien haben unter dem Krieg gelitten.
Wer wird ihnen helfen? Wer macht die Donau wieder
schiffbar, beseitigt die ökologischen Schäden, baut
Wohnungen, Brücken usw.? Sind Leiden und Wieder-
aufbau denn politisch teilbar? Oder soll mit dem Wie-
deraufbau der Krieg mit anderen Mitteln fortgesetzt
werden?

Letztlich fördert Isolation Nationalismus. Armut för-
dert nicht gerade demokratisches Verhalten. Wer Natio-
nalismus auch in Serbien überwinden will, muß Serbien
aus der Isolation heraushelfen. Dazu sollten wir die
Hand reichen. Wir dürfen aber nicht durch eine aben-
teuerliche Politik der Ausgrenzung neue Gräben aufrei-
ßen, wenn alte noch nicht zugeschüttet worden sind.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404510000
Das Wort hat die
Kollegin Ulrike Merten, SPD-Fraktion.


Ulrike Merten (SPD):
Rede ID: ID1404510100
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Ich habe gestern etwas gelesen, das mir gut
gefallen hat, weil es das, was die NATO in den vergan-
genen Wochen getan hat, in den richtigen Zusammen-
hang stellt: „Die Gewinner sind die Menschen in Jugo-
slawien und die Menschen im Kosovo“, sagte der EU-
Beauftragte Martti Ahtisaari, als er nach den Siegern des
Kosovo-Konfliktes gefragt wurde. Die Menschen in Ju-
goslawien hätten nun eine Chance, in Zukunft in einer
demokratischen Gesellschaft zu leben.

Nach all den bedrückenden Wochen des Krieges auf
dem Balkan ist der Frieden zwar noch lange nicht er-

Wolfgang Gehrcke






(B)



(A) (C)



(D)


reicht – ich glaube, darüber sind wir uns alle im klaren –;
denn Frieden bedeutet viel mehr als die Abwesenheit
von Gewalt. Ob wirklich Frieden entsteht, hängt nicht
zuletzt von der Bereitschaft der Menschen ab, den Weg
der Aussöhnung zu gehen, zu vergeben, ohne die Erin-
nerung zu verdrängen und Demokratie als unabdingbare
Voraussetzung für Menschenrechte und Menschenwürde
zu begreifen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])


Ob Demokratie entsteht und der Frieden damit wahr-
scheinlicher wird, hängt natürlich auch von den Rah-
menbedingungen ab, bei denen wir helfen können.
Letztlich hängt es aber von dem Willen und dem Wollen
der Menschen ab, ihre politische Zukunft selbst in die
Hand zu nehmen. Das können und wollen wir ihnen
nicht abnehmen.

Was wir tun können, ist, den Prozeß der Demokrati-
sierung und des Wiederaufbaus zu begleiten und abzusi-
chern. Erste Aufgabe wird es sein, Sicherheit zu schaf-
fen. Wir tun das durch die deutsche Beteiligung an der
militärischen Absicherung der Friedensregelung für den
Kosovo. 8 500 Soldaten der Bundeswehr werden es
letzten Endes sein, die mithelfen, das Erreichte zu si-
chern und das Aufflackern neuer Gewalt zu verhindern.
Nur so wird es möglich sein, allen Vertriebenen und
Flüchtlingen eine sichere und freie Rückkehr in ihre
Heimat zu gewährleisten und den humanitären Hilfsor-
ganisationen den ungehinderten Zugang – das ist beson-
ders wichtig – in den Kosovo zu verschaffen.

Hilfe ist dringender denn je nötig. Wir haben das
eben schon gehört. Etwa 580 000 Albanerinnen und Al-
baner irren seit Monaten im Kosovo herum. Sie sind
überwiegend in Bergen und Wäldern versteckt. Man
spricht von Ansammlungen von mehreren 10 000 Perso-
nen. Dort herrschen katastrophale Bedingungen: Die
Menschen haben keine Nahrungsmittel, kein Wasser und
keine ärztliche Versorgung – das alles bei sengenden
Temperaturen.

Der UNHCR und die Caritas sind inzwischen – das
ist gut so – von Mazedonien aufgebrochen, um erste
Hilfsgüter über die Straßen nach Pristina in den Kosovo
zu transportieren. Wir haben es der Bundeswehr zu ver-
danken, daß die Transportstraßen von Minen geräumt
wurden. Es gibt nur Vermutungen, wo sich die Flücht-
linge im Kosovo aufhalten; aber es bleibt zu hoffen, daß
sie schnell gefunden werden, damit ihnen die Hilfe zu-
teil werden kann.

Außer den Vertriebenen im Kosovo warten in den
Lagern oder bei den aufnahmebereiten Gastfamilien
noch über 900 000 Vertriebene darauf, endlich zurück-
zukehren, in ein Land, in dem die Felder brachliegen,
das Vieh verendet ist, Häuser und Ställe zerstört sind.
Das bedeutet, daß etwa 1,5 Millionen Menschen über
mehrere Monate mit Lebensmitteln und allen anderen
Gütern versorgt werden müssen. Der geschätzte Bedarf
pro Tag liegt bei 1 000 Tonnen Lebensmitteln.

Dies ist eine unglaubliche logistische Herausforde-
rung, die auf die Bundeswehr und die internationalen
Hilfsorganisationen wartet. Wir wissen, daß dies nur ge-
lingen kann, wenn die Zusammenarbeit zwischen der
Bundeswehr und den Hilfsorganisationen weiterhin so
hervorragend klappt, wie dies in den letzten Monaten
gelungen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle ist es mir wichtig, auf den großen
Anteil der Bundeswehr an der humanitären Hilfe hinzu-
weisen: Cegrane in Mazedonien und Quatrum in Alba-
nien sind das Synonym für die tatkräftige Hilfe beim
Aufbau von Lagern, die die Größe von Kleinstädten ha-
ben – mit all den Erfordernissen im Hinblick auf die In-
frastruktur. Es bleibt zu hoffen, daß auch in Zukunft die
Hilfe so gut organisiert und geleistet werden kann, wie
es in der Vergangenheit war, als nämlich Albanien und
Mazedonien der innere Kollaps drohte, weil sie aus
eigener Kraft die Flüchtlingsströme nicht mehr bewälti-
gen konnten. Der Bundestag hat damals beschlossen, zu-
sätzlich 1 000 Soldaten im Rahmen der Aktion „Allied
Harbour“ zu entsenden.

Damit ist damals ein wesentlicher Beitrag geleistet
worden, die bedrohliche Situation in den Aufnahmelän-
dern zu stabilisieren. Seit dem Beginn des humanitären
Einsatzes der Bundeswehr im März 1999 sind bis An-
fang Mai nahezu 2 550 Tonnen Güter, bestehend aus
Lebensmitteln, Medikamenten, Decken und Zeltmate-
rial, in mehr als 250 Flügen nach Albanien und Maze-
donien gebracht worden.

Es sind 96 Millionen DM an humanitärer Hilfe ge-
leistet worden, die aber – abgesehen von der sehr großen
persönlichen Spendenbereitschaft vieler Menschen hier
in Deutschland – nur deshalb umgesetzt werden konnte,
weil die Bundeswehr mit ihren Möglichkeiten und Fä-
higkeiten mit den Organisationen zusammengearbeitet
hat.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das zum
Schluß noch einmal sagen: Aus vielen persönlichen Ge-
sprächen in den letzten Wochen mit Soldaten der deut-
schen Bundeswehr habe ich erfahren, daß sie besonders
motiviert und gut vorbereitet sind und daß gerade dieser
humanitäre Einsatz ihr Selbstbewußtsein erheblich ge-
stärkt hat, waren sie doch in besonderer Weise von der
Sinnhaftigkeit dieser Einsätze überzeugt.


(Beifall bei der SPD und der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404510200
Frau Kollegin Mer-
ten, denken Sie bitte an Ihre Redezeit?


Ulrike Merten (SPD):
Rede ID: ID1404510300
Ja, danke schön.

(Heiterkeit)


– Für den Hinweis danke schön.

Ulrike Merten






(A) (C)



(B) (D)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404510400
Es ist die erste Rede
der Kollegin Merten, deshalb bin ich etwas großzügiger.


Ulrike Merten (SPD):
Rede ID: ID1404510500
Ich glaube, wir sind uns dar-
über einig, daß alle unsere guten Wünsche die Soldaten
der Bundeswehr begleiten. Wir hoffen, daß sie unver-
sehrt wieder nach Hause zurückkehren. Ich möchte den
Soldaten der Bundeswehr an dieser Stelle noch einmal
ausdrücklich für ihren großartigen Einsatz danken.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404510600
Wie bereits ange-
merkt, Frau Kollegin Merten, das war Ihre erste Rede
hier im Deutschen Bundestag. Im Namen aller Kolle-
ginnen und Kollegen möchte ich Sie dazu beglückwün-
schen.


(Beifall)

Für die Fraktion der CDU/CSU hat jetzt Kollege

Christian Schwarz-Schilling das Wort.


Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1404510700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Die Hölle, nämlich Mord und Vertreibung von Zi-
vilisten durch staatliche und parastaatliche Stellen, ist
vorüber. Wir kommen jetzt in die gefährliche Über-
gangsphase, in der Ungesetzlichkeit, Ausschreitungen
und persönliche Racheakte eine Landschaft überziehen
können, und wir sind gefordert, damit dies nicht ge-
schieht.

Wir waren gerade mit dem Ausschuß für Menschen-
rechte und humanitäre Hilfe vor einigen Tagen in Tirana
und in Skopje, und wir haben uns dort wirklich überzeu-
gen können, mit welchem Einsatz die Bundeswehr auch
gerade diese humanitären Fragen beachtet und sich be-
müht, sie zu lösen, natürlich auch die Nichtregierungs-
organisationen und das Büro des Beauftragten des Ver-
teidigungsministeriums.

Meine Damen und Herren, ein Vergleich mit der Si-
tuation in Bosnien legt aber nahe, daß wir einen Fehler
nicht wieder machen dürfen. Die Voraussetzung für
Rückkehr und Lebensqualität von Flüchtlingen ist deren
persönliche Sicherheit an den Orten, an die sie zurück-
kehren. Da wir das im Dayton-Vertrag nicht beachtet
hatten, sondern nur für militärische Sicherheit Vereinba-
rungen getroffen hatten und dann zivilen Aufbau ohne
Sicherheit glaubten voranbringen zu können, ist hier die
erste Schlußfolgerung zu ziehen. Ich meine, es wird ent-
scheidend sein, dieses Sicherheitsvakuum dort nicht ent-
stehen zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Insofern hat dieser russische Handstreich eine von
uns gar nicht vorausgesehene gute Seite. Die NATO ist
nämlich schneller einmarschiert, als es vorgesehen war,
um ja nicht den Russen das Feld zu überlassen.


(Heiterkeit)


Aus diesem Grunde sind vielleicht viele Menschen nicht
umgekommen, keine Plünderungen erfolgt und Massen-
gräber nicht verwischt worden. – Die List der Ge-
schichte ist manchmal unerforschlich.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist wahr!)

Das, was wir bisher von General Harff und dem ober-

sten NATO-Kommandierenden, Michael Jackson, zu
diesen Fragen gehört haben, ist ermutigend. Es ist gut,
daß Sie sich auch um den entsprechenden Schutz der
Bevölkerung kümmern. Im übrigen war im Antrag der
Bundesregierung nicht ganz klar – das habe ich dem
Kollegen Verheugen schon gesagt –, daß dieser Schutz
auch für die dortige Bevölkerung und nicht nur für die
dort hingehenden eigenen Truppen bzw. zivilen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter gilt.

Jetzt kommt es darauf an, die Flüchtlingsfrage ratio-
nal und humanitär zu lösen:

Der erste wichtige Punkt ist dabei die Rückkehr der
Flüchtlinge innerhalb des Kosovo. Sie halten sich in den
Bergen auf, sind verschollen und irren umher. Das sind
die ersten, denen geholfen werden muß.

Ein zweiter Punkt ist die Stabilisierung der Region.
Es muß eine Rückkehr der Vertriebenen aus den umlie-
genden Nachbarstaaten erfolgen. Denn wenn man von
„vollen Schiffen“ spricht, dann sollte man dort hingehen
und sich das einmal anschauen. Ich nenne das Beispiel
Mazedonien: Von den insgesamt 830 000 bis 850 000
Flüchtlingen befinden sich dort 280 000. Die Bevölke-
rungszahl beträgt 2 Millionen. In dieses Land sind
plötzlich, also innerhalb von vier Monaten, 14 Prozent
der eigenen Bevölkerung – in Deutschland wären das
11,3 Millionen Flüchtlinge – hinzugekommen. – Das
sage ich, damit man einmal eine Vorstellung hat, um
was es geht.

Wir müssen also dafür sorgen, daß diese Schiffe dort
nicht noch nachträglich absaufen. Denn das wäre für die
Stabilisierung dieser Region das Schlimmste.

Flüchtlinge aus den umliegenden Nachbarstaaten
werden – darüber müssen wir uns im klaren sein –
schneller zurückkehren, als wir wollen. Aber es werden
auch Flüchtlinge dort bleiben, die noch gar nicht zu-
rückgehen können. Das heißt, wir müssen mit einer
Vielzahl von Fällen aller Art rechnen. Diejenigen, die
schnell zurückkehren, werden wir davon nicht abhalten
können. Das ist eine Art Naturgewalt. Da müssen wir
begleitend Hilfe leisten, so sehr es geht. Das betrifft die
Entminung und den Schutz der Bevölkerung sowie die
Verhinderung von persönlichen Racheakten aller Art.

Denjenigen, die dort bleiben, müssen wir ihre Über-
lebensfähigkeit garantieren. Die Läger sind nicht winter-
fest. Daher muß geklärt werden, ob diejenigen, die dort
bleiben, in Privatfamilien untergebracht werden. Oder
richten wir dort winterfeste Läger her? Machen wir sie
transportabel, daß sie später auch in das Kosovo umge-
setzt werden können? Das sind Fragen, die noch offen
sind.

Wie viele Menschen in der Nachbarstaaten bleiben,
weiß man noch nicht. Bezüglich derjenigen, die jetzt






(B)



(A) (C)



(D)


privat untergebracht sind – das ist fast die Hälfte –, ist
festzustellen, daß die Ressourcen dieser Familien am
Ende sind. Sie können nicht mehr das Notwendige kau-
fen, was sie zum Leben brauchen, weil sie das Dreifache
bis Fünffache der Zahl ihrer eigenen Familienangehöri-
gen in zwei oder drei Räumen aufgenommen haben.

Ein dritter Punkt ist, daß der Druck auf die Flüchtlin-
ge zur Rückkehr aus den Drittstaaten nicht so stark aus-
geübt wird, daß er für die betroffene Region destabilisie-
rend wirken würde. Aber wir dürfen diejenigen, die jetzt
freiwillig gehen wollen, davon nicht abhalten. Ich glau-
be, das wäre genauso falsch. Es wird in Deutschland, in
den Niederlanden, in Schweden und in anderen Staaten
eine Menge Menschen geben, die sagen: Jetzt ist der
Zeitpunkt gekommen; ich gehe wieder zurück bzw.
schicke meine Söhne vor. Dann dürfen wir nicht sagen:
Ihr seid noch nicht an der Reihe. – Hier müssen diese
persönlichen Schicksale, aber auch in umgekehrter Hin-
sicht die Tatsache, daß jemand noch nicht zurückkehren
kann, stärker beachtet werden, als dies bisher der Fall
ist.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404510800
Herr Kollege
Schwarz-Schilling, denken auch Sie bitte an Ihre Rede-
zeit.


Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1404510900
Ich
komme sofort zum Ende.

Herr Kollege Verheugen, ich hoffe, daß das, was
heute in der Münchener „AZ“ über die deutsche Bot-
schaft, die Hilfe für Menschen, die ausgeflogen werden
mußten und die nach Rom umgeleitet wurden, verwei-
gert hat, erschienen ist, nicht wahr ist. Ich weiß, wie es
in der dortigen Botschaft zugeht.


(Staatsminister Günter Verheugen: Welche?)

– Tirana. Es wurden in diesem Zusammenhang mehrere
Fälle genannt. Das Internationale Rote Kreuz spricht
sonst wenig über solche Fälle. Von daher gesehen halte
ich es für außerordentlich wichtig, sich um diese Frage
in Tirana zu kümmern.

Mein Eindruck, was die Botschaft in Tirana angeht,
ist, daß so etwas möglich ist. Daher möchte ich Sie bit-
ten, sich auch darum zu kümmern.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404511000
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Dr. Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/
Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Zu Beginn meiner Ausführungen, die sich mit
einem etwas anderen Aspekt der hier vorgetragenen
Themen befassen, komme ich auf den Kollegen Kolbow

zurück, der von psychologischer Aufbruchstimmung ge-
sprochen hat. Ich möchte davor warnen, daß man im
Rahmen dieser psychologischen Aufbruchstimmung, die
im Moment herrscht, über die langfristigen Schäden
hinwegsieht, die durch die extremen Traumatisierungen
entstanden sind.

Die Hilfsmaßnahmen für die Flüchtlinge aus Kosovo
konzentrieren sich bislang vorrangig auf die Sicherstel-
lung des physischen Überlebens, darauf, daß die Flücht-
linge ein Dach über dem Kopf haben – sei es im winter-
festen Lager außerhalb des Kosovo oder im Kosovo sel-
ber. Die Traumatisierungen durch Vertreibung, Folter
Vergewaltigung und Demütigungen aller Art bedürfen
aber besonderer Aufarbeitung, insbesondere durch psy-
chosoziale Betreuung, durch Beratungsangebote und
durch Langzeittherapien. Besonders sensibel müssen wir
an die Lage von Frauen, Mädchen und Kindern heran-
gehen, die über ihre Erfahrungen nicht mit jedem spre-
chen werden.

In diesem Zusammenhang begrüße ich es, daß vom
Bundesinnenministerium, vom Kollegen Schily ein So-
fortprogramm auf den Weg gebracht worden ist, das
insbesondere in diesem Rahmen wirksam werden soll.
Dieses Sofortprogramm greift nicht nur bei den Flücht-
lingen, die hier bei uns vor Ort untergebracht werden,
sondern in der Folge auch dort, wo sie – nachdem sie im
nächsten Jahr bzw. schon vorher dorthin zurückgeführt
worden sind – vor Ort ihre familiären Zusammenhänge
wiederaufbauen müssen.

Vorgesehene Schritte in diesem Sofortprogramm, in
diesem Hilfsangebot, das über die Wohlfahrtsverbände in
Zusammenarbeit mit den psychosozialen Zentren in der
Bundesrepublik Deutschland organisiert werden soll, sind
die Inanspruchnahme von Kompetenzen in bezug auf die
speziellen Behandlungsmethoden im Umgang mit trau-
matisierten Personen aus Kriegsgebieten und Bürger-
kriegsgebieten, die von schweren Menschenrechtsverlet-
zungen betroffen waren. Hier ist insbesondere das Zen-
trum für Folteropfer in Ulm zu nennen, das in diesem Zu-
sammenhang Handlungsbedarf skizziert hat. Ich bin aus
Baden-Württemberg darüber informiert worden, daß mo-
bile Teams gebildet werden sollen, die interdisziplinär be-
setzt sind und die in den Aufnahmeeinrichtungen tätig
werden sollen. Außerdem sind Schulungen für Personal
geplant. Das Generalsekretariat des Deutschen Roten
Kreuzes hat diese Aufgabe übernommen.

Ich möchte an alle Kolleginnen und Kollegen drin-
gend appellieren, daß vor Ort – sowohl in den Kommu-
nen als auch in den Regionen, wie auch in den Regie-
rungsbezirken – darauf hingewirkt wird, daß diese
Teams aufgestockt werden, unter Umständen auch durch
die Koordination von freiwilligen Leistungen. Denn im
Moment reicht die personelle Ausstattung einfach nicht
aus, um den Anforderungen Genüge zu leisten.

Über das Sofortprogramm hinaus, das hier zunächst
greift, möchte ich vorstellen, was nicht allgemein be-
kannt ist, was aber im Rahmen des Stabilitätspaktes für
Südosteuropa wichtig werden wird: Ich möchte die
Mittel und Programme vorstellen, die zur Verfügung ge-
stellt werden und die von seiten des Bundesministeriums

Dr. Christian Schwarz-Schilling






(A) (C)



(B) (D)


für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
angesetzt werden. In dem Aktionsplan zur Bekämpfung
von Gewalt gegen Frauen soll die Unterstützung gerade
von Kosovo-Flüchtlingen ins Auge gefaßt werden. Es
wurden aus den Mitteln des BMZ 1,9 Millionen DM für
die psychologische Betreuung insbesondere von trau-
matisierten Frauen und Kindern aus dem Kosovo bereit-
gestellt. Diese Maßnahme wird zusammen mit der Ge-
sellschaft für technische Zusammenarbeit und dem Köl-
ner Verein Medica Mondiale durchgeführt. Inzwischen
findet die Aufbauarbeit dieses Dienstes vor allem in Al-
banien statt, aber sie muß natürlich auf Mazedonien und
auch auf Kosova selber erweitert werden.

Ich denke, in diesem Zusammenhang ist es auch noch
wichtig, zu erwähnen, daß wir über den militärischen
Erfolgen, sage ich einmal, die wir dadurch erzielt haben,
daß die Flüchtlinge jetzt wieder in der Lage sind zurück-
zukehren, nicht vergessen dürfen, welche Langzeitwir-
kungen auch für den Wiederaufbau durch die Folge-
schäden der Vertreibung zu erwarten sind. Ebenfalls
wichtig ist es, darauf hinzuweisen, daß wir, wenn über-
haupt eine Stabilisierung der Region erreicht werden
soll, diesen Aspekten keine zu geringe Bedeutung geben
dürfen. In diesen Zusammenhang ist auch das einzuord-
nen, was wir mit einem zivilen Friedensdienst versu-
chen, der die verschiedenen Bevölkerungsgruppen mit-
einander versöhnen soll – auch nach solchen Auseinan-
dersetzungen.

Es ist hier vorhin beklagt worden, daß jetzt die serbi-
sche Bevölkerung – auch diejenigen, die sich nicht an
Übergriffen beteiligt haben – aus Kosova flieht, weil sie
Angst vor Racheakten hat. Das zeigt nur, in welch ver-
zweifelter Situation sich die Bevölkerung insgesamt dort
befindet. Aus den Erfahrungen früherer Bürgerkriege
– nicht nur in Europa – können wir ganz klar die Schluß-
folgerung ziehen: Wenn es keine Gerechtigkeit gibt, ist
auch keine Versöhnung möglich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das bedeutet in diesem Zusammenhang natürlich, daß
diejenigen, die sich Verbrechen gegen die Menschlich-
keit haben zuschulden kommen lassen, auch vor Gericht
gestellt und abgeurteilt werden müssen, daß es also nicht
angeht, daß mit Kriegsverbrechern jetzt Verträge ge-
schlossen werden –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404511100
Frau Kollegin, Sie
müssen jetzt zum Schluß kommen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

hier auch darauf geachtet werden muß, daß sie sich nicht
die Lorbeeren anstecken können, die Stabilisierung der
Region herbeigeführt zu haben. Deswegen müssen wir
für die Demokratisierung, aber auch für die innere Aus-
söhnung der Bevölkerung in diesem Rahmen arbeiten.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404511200
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dietmar Schlee.


Dietmar Schlee (CDU):
Rede ID: ID1404511300
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Beitrag
des Kollegen Kolbow hat deutlich gemacht, welch her-
ausragende Arbeit von vielen, vielen Helferinnen und
Helfern von Organisationen jeder nur denkbaren Art in
den letzten Monaten geleistet worden ist, natürlich auch
von unseren Soldaten. Dies verdient Dank und Aner-
kennung, und diesen Dank und diese Anerkennung
möchte ich in dieser Stunde aussprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, je größer die Notlage ist,
desto konkreter müssen die Dinge angesprochen werden.
Ich meine auch, daß wir die Dinge an all dem messen
müssen, was sich in Bosnien ereignet hat. Wir müssen
auch aus dem zu lernen versuchen, was in Bosnien
falsch gemacht wurde. Was muß jetzt ganz konkret ge-
schehen?

Erster Punkt: Auf die Binnenvertriebenen im Kosovo
und auf ihre aktuellen Probleme haben Sie, Frau Beck,
hingewiesen. Das können die humanitären Organisatio-
nen leisten, wenn wir sie entsprechend unterstützen.

Der zweite Punkt: Es werden – Sie haben das ja in
den letzten 48 Stunden erlebt – jetzt immer mehr
Flüchtlinge aus Mazedonien, aus Albanien und aus
Montenegro zurückkehren. Wir werden das nicht steuern
können, das ist meine feste Überzeugung. Ich möchte
einmal wissen, wie wir das machen sollen. Deshalb muß
den Leuten geholfen werden. Ich habe gestern gesagt:
mit Startpaketen, Folien, Essen, Handwerkszeug – wenn
sie mit Traktoren kommen, kann man ihnen auch Bau-
stoffe mitgeben –, damit sie ganz konkret etwas bewe-
gen können.

Dritter Punkt: Wir müssen so rasch wie möglich
– Herr Irmer hat das angesprochen – dafür Sorge tra-
gen – ich wende mich in diesem Punkt natürlich auch an
die Mitglieder der Regierung –, daß die Serben zurück-
kehren können. Je schneller, desto besser. Je länger es
dauert, desto größer wird das Problem. Das ist meine
feste Überzeugung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der nächste Punkt: Wir brauchen sofort – das muß

die Bundeswehr und damit die militärische Seite über-
haupt federführend in die Hand nehmen – Programme
zur Minenbeseitigung, zur Wiederherstellung der
Stromversorgung und zur Lösung der Wasserprobleme,
sonst werden wir – trotz unserer Bemühungen – nicht
schnell genug vorankommen. Zu den Sofortmaßnahmen
gehört auch, daß die Bundeswehr und die CIMIC ver-
gleichbaren Organisationen ander Armeen unverzüglich
beginnen, sich ein Bild davon zu machen, wo was wann
getan werden muß. Danach müssen die Projekte koordi-
niert und so rasch wie möglich umgesetzt werden.

Wenn wir die Probleme lösen wollen, dann ist es
dringend notwendig, daß wir auf internationaler Ebene

Dr. Angelika Köster-Loßack






(B)



(A) (C)



(D)


zu anderen Lösungen kommen, als wir sie in Bosnien
hatten. Das gilt zunächst einmal für die EU. Es kann
nicht sein, daß Anträge in Brüssel gestellt werden und
der Bescheid monatelang auf sich warten läßt. Eine
Lösung dieses Problems wäre die Schaffung eines Be-
auftragten des Präsidenten der Europäischen Kommis-
sion oder einer Agentur vor Ort. Diese Agentur muß
aber entscheiden können. Herr Dr. Brecht hat schon
darauf hingewiesen, daß die EU in Sarajevo eine
Außenstelle hatte; diese aber hat überhaupt nicht funk-
tioniert, weil sie keine Zuständigkeiten hatte. Es muß
also in Zukunft mit einem Beauftragten oder mit einer
Agentur gearbeitet werden, die ein Budget und Ent-
scheidungsbefugnis haben, um einzelne Projekte sofort
umsetzen zu können. Ansonsten können wir keinen
Fortschritt erreichen.

Entsprechende Maßnahmen kann man mit dem Euro-
päischen Rechnungshof verabreden. Vom Präsidenten
und den Mitgliedern des Europäischen Rechnungshofes
hören wir, daß sie entsprechende Maßnahmen in diesem
Ausnahmefall akzeptieren würden. Wir sollten uns jetzt
diesbezüglich politisch durchsetzen.

Ich will noch darauf hinweisen, daß in Bosnien die
Zusammenarbeit mit der Weltbank, mit der EBRD und
der EIB in Luxemburg in der Anfangsphase – später war
es anders – alles andere als ideal verlief. Als die Pro-
bleme den Menschen besonders auf den Nägeln ge-
brannt haben, sind die entsprechenden Vorhaben über
Monate nicht rund gelaufen.

Zur Rolle eines nationalen Beauftragten: Sie kennen
die Arbeit von Hans Koschnick. Ich glaube, daß ich vor
ihm schon einen Beitrag leisten konnte, der zeigte, daß
die Einsetzung eines Beauftragten im nationalen Bereich
unerläßlich ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang
darauf hinweisen, daß das Anbinden an ein Ressort, das
für mich schon im Sommer 1997 eine große Rolle ge-
spielt hat, völlig falsch ist. Auch Herr Koschnick hält
dieses Vorgehen für völlig falsch. Der Beauftragte muß
mit allen Ressorts in etwa auf gleicher Ebene Verabre-
dungen treffen können. Vor allem muß er ein ständiger
Ansprechpartner für die Bundesländer sein. Senator
Wrocklage ist anwesend; er kann dies gut bestätigen.
Wenn die Maßnahmen zwischen Bund und Ländern
nicht koordiniert werden, werden wir nie eine vernünfti-
ge Regelung erreichen.

Abschließend noch zwei kurze Bemerkungen. Lieber
Herr Kollege Schily, wir müssen sicherlich noch einmal
über den unkontrollierten Zustrom von Kosovo-
Albanern sprechen. Im Augenblick schlägt die Diskus-
sion darüber in der Schweiz hohe Wellen. Wir haben
genaue Zahlen darüber, wie viele Menschen Tag für Tag
unkontrolliert ins Land hereinkommen. In diesem Zu-
sammenhang spielt natürlich die Problematik der Ver-
teilung auf die Bundesländer eine große Rolle.

Meine letzte Bemerkung – im Sinne eines Ceterum
censeo –: Das Problem Kosovo zeigt, lieber Herr Kolle-
ge Schily, daß es ganz dringend notwendig ist, zu einer
europäischen Flüchtlingskonzeption zu kommen. Sie
brauchen sich nur die entsprechenden Zahlen anzu-
sehen, –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404511400
Herr Kollege, ich
bitte Sie, nicht noch einen neuen Gedanken anzufangen.


Dietmar Schlee (CDU):
Rede ID: ID1404511500
– und zwar die Zahlen
derjenigen, die zum Flüchtlingskontingent gehören, aber
auch derer, die illegal ins Land gekommen sind. Deshalb
meine Bitte an die Regierung, in diesem Bereich zu ver-
suchen, die Probleme zu lösen.

Wenn die Bevölkerung bei uns den Eindruck ge-
winnt, sie hilft, während die anderen über die Hilfe nur
reden, dann wird das zu einer ganz schwierigen politi-
schen Situation führen. Das kann niemand wollen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so wie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404511600
Für die Bundesregie-
rung spricht jetzt der Staatsminister im Auswärtigen
Amt, Günter Verheugen.

G
Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1404511700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Ich freue mich, feststellen zu können, daß
hier im Hause sowie zwischen diesem Hause und der
Bundesregierung in der Beurteilung der Situation und
der Notwendigkeiten eine große Übereinstimmung be-
steht. Ich kann mich nahezu allem anschließen, was hier
gesagt worden ist.


(Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

– Nahezu. Sie, Herr Gehrcke, beziehe ich ausdrücklich
nicht ein.

Ich möchte zunächst eine Feststellung treffen: Wir
sind noch nicht am Ziel unserer Kosovo-Politik. Das
Ziel ist erst dann erreicht, wenn die Menschen zurück-
gekehrt sind und dort dauerhaft in Frieden und in Si-
cherheit leben können.

Sie werden dort nur dann dauerhaft in Frieden und in
Sicherheit leben können, wenn es uns gelingt, nicht nur
im Kosovo selbst, sondern in der gesamten Region die
Strukturen zu schaffen, die es uns erlauben, die Region
an die Europäische Union heran- und in die Europäische
Union hineinzuführen.

Dieses Angebot gilt – dies betone ich – für die ge-
samte Bundesrepublik Jugoslawien. Wir haben immer
gesagt, wir führen keinen Krieg gegen das serbische
Volk oder gegen die Serben. Europa muß sich öffnen,
auch für die Bundesrepublik Jugoslawien einschließlich
Serbien. Für sie gelten dieselben Regeln wie für alle an-
deren auch. Es gibt die Kopenhagener Kriterien. Es gibt
die Normen, die Prinzipien und die Standards. Wer sich
an die Standards hält, wer bereit ist, sich auf den Weg zu
machen, diese Standards zu erfüllen, der darf mit unse-
rer Hilfe rechnen.


(Beifall bei der SPD)

Wer es aber nicht tut, der darf doch nicht im Ernst

erwarten, daß wir auch noch die Stabilisierung seines

Dietmar Schlee






(A) (C)



(B) (D)


Unrechtsregimes finanzieren! Das wäre nun wirklich
etwas zuviel verlangt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Bei dem, was hier zu tun ist, stehen drei Aspekte im
Vordergrund. Erste Priorität hat die Herstellung von
Sicherheit im Lande. Hierzu muß ein Wort an die
Adresse der UCK gesagt werden. Die UCK hat in Ram-
bouillet die Verpflichtung zur Demilitarisierung unter-
schrieben. Diese Verpflichtung gilt. Die Demilitarisie-
rung muß in dem Augenblick energisch beginnen, in
dem die internationale Friedenstruppe vollständig im
Kosovo präsent ist und ihre Aufgaben wahrnehmen
kann. Es kann nicht sein, daß die UCK ihre künftige
Rolle so versteht, daß sie eine militärische oder parami-
litärische Ordnungsmacht im Kosovo wird. Dann wird
Sicherheit für alle Menschen, die dort leben, nicht her-
zustellen sein. „Sicherheit für alle“ bezieht ausdrücklich
den serbischen Bevölkerungsteil im Kosovo mit ein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU und der F.D.P.)


Von der UCK muß erwartet werden – wir haben dies
in einer Reihe von Gesprächen zum Ausdruck gebracht –,
daß sie sich in eine politische Bewegung transformiert,
die am demokratischen Aufbau im Kosovo mitwirkt. Das
ist unsere Forderung an die UCK. Als eine paramilitäri-
sche oder militärische Organisation kann sie bei der Be-
wältigung der Aufgaben dort keine positive Rolle spielen.

Zweiter zentraler Aspekt ist der Aufbau wirksamer
Strukturen zur Lösung der unmittelbaren Aufgaben. Es
gibt hier eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die
über große Erfahrungen verfügen und nicht vergessen
haben, was in Bosnien alles schiefgelaufen ist. Ich habe
schon mit Nachdruck gesagt: Ich unterstütze das aus-
drücklich.

Die Vereinten Nationen sind mit der zivilen Imple-
mentierung der Sicherheitsratsresolution selbst befaßt.
Es hat dazu in dieser Woche in Genf bereits intensive
Beratungen gegeben. Das Schema dafür, wie die Ver-
einten Nationen diese Aufgabe erfüllen wollen, liegt be-
reits vor. Es ist ein gutes Schema. In diesem Schema
wird die Europäische Union, wird die OSZE, werden
einzelne große Organisationen ihre Aufgabe finden. Die
auf uns als Europäische Union zukommende Aufgabe
wird der Wiederaufbau sein. Dies ist der dritte Aspekt,
der für uns im Vordergrund stehen wird.

In der Tat ist es richtig, daß wir hier aus Bosnien Leh-
ren ziehen müssen. Ich habe selber von diesem Pult aus
so oft kritisiert, daß die Europäische Union in der Bos-
nienfrage durch verkrustete, starre bürokratische Struk-
turen notwendige Entscheidungen zu lange hinausgezö-
gert hat. Das darf diesmal nicht so sein. Darum ist die
Idee einer Agentur der Kommission, die vor Ort ist und
dort selber über die Mittel verfügt und über die Mittel
auch entscheiden kann, eine Idee, die wir unterstützen.

Was die deutsche Seite angeht, so habe ich gestern
mit den Hilfsorganisationen, den Bundesressorts und
den Ländern ein Koordinierungsgespräch geführt und

dabei den Wunsch der Bundesregierung an die Hilfsor-
ganisationen herangetragen, soweit sie es können und
wollen – da kann kein Druck ausgeübt werden –, ihre
Maßnahmen auf den Raum Prizren zu konzentrieren.
Ich glaube, es spricht eine Menge dafür, daß wir in
dem Raum, wo die Bundeswehr die Sicherheitsfunk-
tion übernimmt, auch die deutschen humanitären Maß-
nahmen konzentrieren. Wir werden in Prizren selber
sehr schnell wieder ein Zentrum für deutsche humani-
täre Hilfe einrichten – das hat sich sehr bewährt – und
dann auch, sobald wir die Strukturen kennen, die die
Europäische Union und die Vereinten Nationen schaf-
fen, die entsprechenden personellen Entscheidungen
treffen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, mittelfristig kommt es jetzt dar-
auf an, daß wir eine weitere Lehre aus Bosnien nicht
vergessen. In Bosnien ist es sehr wohl gelungen, das
sichere Umfeld zu schaffen, in dem sich dann die zivil-
gesellschaftlichen Prozesse hätten entwickeln sollen.
Aber um diese zivilgesellschaftlichen Prozesse hat sich
die internationale Gemeinschaft zuwenig gekümmert.
Ich drücke es sehr vorsichtig aus.

Das darf jetzt weder in Bosnien noch in der gesamten
Region geschehen. Es ist eine Aufgabe, auch für die
politischen Parteien, die Stiftungen, die Gewerkschaften,
die Kirchen, auch alle großen gesellschaftlichen Grup-
pen bei uns, die vorhandenen demokratischen Potentiale
in diesem Raum anzusprechen, zu fördern und ihnen
jede nur denkbare Hilfe zu leisten. Wir brauchen demo-
kratische Kräfte in der Region selbst. Es kann auf Dauer
nicht möglich sein, Frieden, Sicherheit und Demokratie
in einem Teil Europas durch Truppen aufrechtzuerhal-
ten, die von auswärts kommen. Dies kann nur aus den
Gesellschaften selber kommen. Darum scheint mir das
die wichtigste und zentralste Aufgabe zu sein.

Es wird anhaltenden, stabilen Frieden in diesem Teil
Europas nur dann geben, wenn dort die Demokratie
fest und stabil verankert ist. Das halte ich für die wich-
tigste Aufgabe, die wir gemeinsam zu lösen haben: die
Demokratisierung des ganzen Raumes einschließlich
Serbien.

Es ist hier gefragt worden, was das im Zusammen-
hang mit Milosevic und dem serbischen Volk bedeutet.
Ich will Ihnen das gern sagen: Humanitäre Hilfe für lei-
dende Menschen in Serbien ist etwas, worüber nicht dis-
kutiert werden muß. Das versteht sich von selbst. Hu-
manitäre Hilfe kann nicht von dem Regime abhängig
gemacht werden, unter dem die Menschen leiden. Wie-
deraufbauhilfe, die Einbeziehung in den Stabilitätspakt –
das setzt jedoch politische Veränderungen in Serbien
voraus. Wir alle sollten unsere Möglichkeiten nutzen,
den Menschen in Serbien zu verdeutlichen, daß sie uns
als europäische Partner willkommen sind und daß es
ihre Verantwortung und ihre Aufgabe ist, die politischen
Verhältnisse im eigenen Land zu ändern.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Staatsminister Günter Verheugen






(B)



(A) (C)



(D)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404511800
Das Wort hat jetzt
der Kollege Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU-Fraktion.


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1404511900
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der
Diskussion zu den Flüchtlingen aus dem Kosovo fallen
ein paar Dinge auf, die es nicht sehr häufig in diesem
Haus gibt. Da ist zunächst die breite Übereinstimmung
in der Analyse der Situation bei der Opposition und der
Regierung, auch über die Konsequenzen, die wir als
Land daraus zu ziehen haben.

Herr Verheugen hat gerade gegenüber der PDS klarge-
stellt, daß Demokratie eine Grundvoraussetzung für den
Wiederaufbau Serbiens ist, und deshalb kann Ihr Ansatz,
Herr Kollege Gehrcke, daß Wiederaufbauhilfe auch dann
geleistet werden sollte, wenn sich dort noch keine demo-
kratischen Verhältnisse eingestellt haben, keine Zustim-
mung finden. Das muß schon klar sein: Wir können eine
Diktatur nicht unterstützen, indem wir Wiederaufbauhilfe
leisten. Da hat Herr Verheugen völlig recht: humanitäre
Hilfe – ja, aber Wiederaufbauhilfe – nein.

Ob wir als Teil Europas in der jetzigen Lage von uns
aus die Frage der Kriegsverbrecher anschneiden sollten,
muß ich mit einem Fragezeichen versehen. Denn wer
heute nach Bosnien-Herzegowina, nach Srpska schaut,
muß zugeben, daß das nicht geklappt hat: Dort sitzen
nach wie vor schwerbewaffnete Kriegsverbrecher. Of-
fensichtlich war der freie Westen nicht in der Lage, sie
nach Den Haag zu bringen. Dabei habe ich großes Ver-
ständnis dafür, daß die Verantwortlichen ihre eigenen
Leute nicht in Gefahr bringen wollen, um solche Ver-
brecher zu fassen. Ich erhebe da keinen Vorwurf; ich
stelle das nur fest.

Deshalb weiß ich nicht, ob in der jetzigen Situation
Rechtspflege aufoktroyiert werden kann. Ein Rechtsstaat
muß sich im Rahmen der demokratischen Entwicklung,
die Restjugoslawien demnächst hoffentlich nehmen
wird, aus eigener Kraft bilden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir können – einverstanden – alle möglichen Hilfestel-
lungen geben. Aber ich fürchte, daß wir aufpassen müs-
sen mit Aussagen wie denen, die ich heute gehört habe:
„Wir müssen dieses Land aufbauen.“ Meine Damen und
Herren, überheben wir uns nicht! Wir sollten alle Hilfe-
stellungen leisten, aber letztlich muß dieses Land von
der dortigen Bevölkerung aufgebaut werden. Bei aller
gebotenen Hilfe dürfen wir nicht in unserer Bevölkerung
den Eindruck erwecken, wir müßten dort von uns aus
tätig werden. Wir können lediglich Hilfe zur Selbsthilfe
– bitte, in beliebig hohem Umfang – leisten.

Ich möchte noch das in Erinnerung rufen, was der
Kollege Schlee gesagt hat: Daß von uns eine EU-
Agentur gefordert wird, ist sicher richtig und konse-
quent. Das, was wir in den letzten Monaten aus Bosnien-
Herzegowina gehört haben, hat bewiesen, daß sich die
EU dort verzettelt hat, daß die Zuständigkeiten unge-
klärt, die bürokratischen Hemmnisse zu hoch waren.
Dies muß – das ist keine Frage – sich ändern. Nur, wir

müssen bei uns anfangen. Der Beauftragte der Bundes-
regierung darf eben nicht einem Ministerium zugeordnet
sein. Er muß Vollmachten gegenüber anderen Häusern
haben. Er muß ein Beauftragter in vollem Umfang sein
– wenn Sie so wollen: ein Bevollmächtiger – und nicht
nur der verlängerte Arm eines Hauses. Deswegen halte
ich den Vorschlag des Kollegen Schlee für so wichtig.

Wenn wir im eigenen Hause Ordnung geschaffen ha-
ben, gelingt es uns sicher auch, die EU dazu zu bewe-
gen, eine mit aller Vollmacht, mit Geld und mit Ent-
scheidungsrechten vor Ort ausgestattete Agentur zu
schaffen, um die Dinge in den Griff zu bekommen.

Ich will noch einen Satz zur Rückführung sagen. Ich
will keine Debatte darüber anstoßen, ob eine Rückfüh-
rung jetzt notwendig ist. Keine Frage: Die Menschen
gehen, wenn sie es für notwendig halten. Aber wir müs-
sen der Erfahrung Rechnung tragen, die wir in Bosnien
gewonnen haben: Wenn ganz freigestellt wird, wer
wann zurückkehrt, dann wird ein erheblicher Teil hier-
bleiben. Denn es ist natürlich keine so besonders schöne
Perspektive, in ein zerstörtes Land zurückzukehren. Die
Verhältnisse bei uns sind doch bei weitem besser. Des-
wegen, fürchte ich, werden wir irgendwann gelinden
Druck gegenüber denjenigen ausüben müssen, die bei
uns Zuflucht gefunden haben. Wir werden nicht überse-
hen können: Immerhin haben wir nicht nur die 15 000
Kontingentflüchtlinge, sondern einen Bestand von mehr
als 300 000 Kosovo-Albanern aus den vergangenen
Bürgerkriegen. Sie alle müssen irgendwann zurückge-
führt werden. Heute aber ist nicht die Stunde, darüber zu
diskutieren.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404512000
Es spricht jetzt die
Kollegin Angelika Graf, SPD-Fraktion.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1404512100
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe an der
von Herrn Dr. Schwarz-Schilling schon angesprochenen
Reise in den Kosovo bzw. nach Albanien und Mazedo-
nien vor zwei Wochen teilgenommen. Diese Reise hat
zu einem historischen Moment stattgefunden, denn es
war genau das Wochenende, an dem die Friedensver-
handlungen stattgefunden haben.

Wir haben feststellen können, daß es eine überwälti-
gende Hilfsbereitschaft unserer Mitbürger gegeben hat.
Wir haben auch feststellen können, daß diese Hilfsbereit-
schaft bei den Menschen, die vor Not und Vertreibung ge-
flohen sind, gut angekommen ist. Diese Hilfsbereitschaft
hat geholfen, nicht nur das Elend der Flüchtlinge zu min-
dern, sondern auch die Situation in den aufnehmenden
Ländern zu verbessern. Ich danke infolgedessen allen, die
dazu beigetragen haben, daß sich die Situation dort so
entwickelt hat. Ich danke insbesondere den vielen NGOs,
die in dem Bereich tätig sind, und der Bundeswehr, die
geholfen hat, die großen Lager aufzubauen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Denn es sind für uns unvorstellbare Mengen von
Flüchtlingen, die unterwegs sind und die in die Armen-
häuser Europas geströmt sind. Deswegen möchte ich
Ihnen, Herr Irmer, doch widersprechen, wenn Sie sagen,
wir müßten schauen, daß wir von dem Aufbaukuchen
möglichst ein Stück abschneiden. Wichtig ist meiner
Ansicht nach, daß die Wirtschaft Albaniens und Maze-
doniens, die durch den Krieg so stark beschädigt worden
ist, möglichst schnell wieder auf die Füße kommt. Dazu
sollte meiner Ansicht nach auch der Wiederaufbau sei-
nen Teil leisten.

Beim Besuch eines solchen Lagers wird einem klar,
daß diese Hunderttausende von Flüchtlingen im Endef-
fekt lauter Einzelschicksale sind. Jede Frau hat um ihr
Leben und das ihrer Kinder gefürchtet. Jedes Kind hat
Schreckliches gesehen, und diese schrecklichen Dinge
haben sich im Gehirn der Kinder eingebrannt wie auf
einer fotografischen Platte. Deswegen ist es, Herr
Zeitlmann, wichtig, daß wir gegen die Verbrecher, die
das herbeigeführt haben, entsprechende Konsequenzen
durchsetzen. Das kann nicht irgendwann sein, sondern
das muß möglichst schnell passieren, damit nicht der
Eindruck entsteht, daß Verbrechen hingenommen wer-
den.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In dem Lager in der Innenstadt von Tirana haben wir
mit einem alten Ehepaar gesprochen, das sieben Kinder
hatte. Es hat durch die Umstände der Flucht nicht erfah-
ren können, wo seine Kinder hingekommen sind. Zum
Teil sind sie im Kosovo geblieben, zum Teil sind sie
wohl auf die einzelnen Lager und die einzelnen Länder
verteilt. Wir müssen schauen, daß wir die Familien
möglichst schnell wieder zusammenführen, denn auch
das ist für den Wiederaufbau im Kosovo dringend not-
wendig.

All die Menschen, die wir in den Lagern gesprochen
haben, wollen möglichst schnell zurück in ihre Heimat,
denn die Unterbringung in den Zeltstädten, zumal wenn
es dort 35 Grad im Schatten sind, ist völlig indiskutabel,
und der Winter kommt bald. Deshalb muß die Rückfüh-
rung schnell gehen. Dabei müssen wir auf der einen
Seite versuchen, Sicherheit herzustellen, und auf der an-
deren Seite helfen, die Gefahr der Minen möglichst
schnell zu beseitigen. Das ist dringend notwendig für
den Aufbau in diesem Land.

Es müssen aber auch noch andere Voraussetzungen
für die Rückführung geschaffen werden. Die Hilfspakete
sind zum Beispiel angesprochen worden. All das kann
man diskutieren. Ich glaube aber, wir sollten etwas nicht
vergessen, nämlich daß neben diesen materiellen Hilfen
auch die Hilfe für die Seele der Menschen, die dort le-
ben, geleistet werden muß, damit diese in ein ganz nor-
males Leben zurückkehren können, soweit das möglich
ist.

Dazu ist ein ganzheitlicher Ansatz der Hilfe erforder-
lich. Wir haben zum Beispiel in einem italienischen La-
ger, das wir gesehen haben, positiv bemerkt, daß man
nicht zwischen dem technischen Bereich und dem für
die Seele getrennt, sondern alles zusammengeführt hat.

Frauen müssen wie in Bosnien in die Lage versetzt wer-
den, nach dem Tod ihrer Männer und Söhne selbständig
für die Familie zu sorgen und nicht auf einen anderen
Mann angewiesen zu sein. Ich halte das für ganz wichtig
und freue mich, daß das BMI und das BMZ in dieser
Hinsicht schon tätig geworden sind.

Es muß dringend zur Erarbeitung von regionalen
Konfliktlösungen kommen, die von den Betroffenen ak-
zeptiert werden. Das ist wichtig, wenn wir nicht sehen-
den Auges in die nächste Katastrophe rennen wollen.
Denn solange die Großmutter den Enkeln den Haß wei-
tergibt, wird das Thema immer und immer wieder kom-
men.

Wir sind dabei alle gefordert. Das Schweigen der
Waffen ist noch lange nicht der Frieden und das Ende
von Not und Krieg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404512200
Für die Bundesregie-
rung spricht jetzt der Bundesminister des Innern, Otto
Schily.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1404512300
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Auch ich
freue mich, daß wir eine sehr konstruktive Debatte ge-
führt haben, die weitgehende Übereinstimmung gezeigt
hat. Ich glaube, wir alle zusammen sind sehr glücklich,
daß die Waffen schweigen und daß nun mit dem Aufbau
begonnen werden kann. Ich erlaube mir, in dem Zu-
sammenhang auch daran zu erinnern, daß die Vorausset-
zungen dafür, daß die Menschen jetzt in ihre Heimat zu-
rückkehren können, auch dadurch positiv beeinflußt
worden sind, daß wir in der Europäischen Union und in
der internationalen Staatengemeinschaft durch die Zu-
sammenarbeit mit dem UNO-Flüchtlingskommissar die
Grundlage dafür geschaffen haben, indem wir nämlich
das Prinzip befolgt haben, das lautet: Die Hilfe für die
Vertriebenen hat in erster Linie in den Nachbarregionen
stattzufinden; es darf keine weitgehende Evakuierung
geben. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für
diese Zusammenarbeit bedanken.

Die Evakuierungsmaßnahmen, die es gegeben hat,
betrafen nur Mazedonien und wurden getroffen, um eine
Destabilisierung dieser Region zu vermeiden. Ich
möchte mich dafür bedanken, daß wir auch bei der Eva-
kuierung aus diesem Nachbarland des Kosovo gut ko-
operiert haben.

Herr Schlee hat daran erinnert, daß wir, was den vor-
übergehenden Schutz für Flüchtlinge anbelangt, doch im
europäischen Rahmen zusammenarbeiten sollten und
daß hier eine stärkere Koordinierung und auch eine bes-
sere Lastenverteilung notwendig seien. Herr Kollege
Schlee, ich weiß, daß hier bei einigen Dingen sicherlich
noch ein Ungleichgewicht herrscht. Aber ich möchte
doch die Situation, die wir damals im Falle Bosniens
hatten, mit der vergleichen, die wir jetzt haben. Ich kann
feststellen, daß sich die Situation deutlich verbessert hat.

Angelika Graf (Rosenheim)







(B)



(A) (C)



(D)


Das ist sicherlich ein Ergebnis auch des Drucks und der
Bemühungen der deutschen Ratspräsidentschaft in den
zurückliegenden Monaten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn ich die Zahlen vergleiche, muß ich feststellen:
Wir sind sicherlich immer noch an der Spitze. Wir sind
mit gutem Beispiel vorangegangen, und wir haben das
Lob des UNO-Flüchtlingskommissars für mustergültige
Politik auf diesem Gebiet erhalten. Es ist immerhin ge-
lungen, daß jetzt insgesamt etwas über 57 000 Vertrie-
bene auch in den Mitgliedstaaten der Europäischen Uni-
on Aufnahme gefunden haben. Ich finde, wir sollten das
auch gegenüber unseren Freunden in den Mitgliedstaa-
ten anerkennen und ihnen Dank sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Da wir nun so vielen danken, möchte ich mich auch
bei meinen Länderministerkollegen – ich sage das, weil
heute auch ein Kollege aus den Ländern zugegen ist –
ausdrücklich bedanken, die ja in sehr konstruktiver Wei-
se an diesen Maßnahmen mitgewirkt haben.

Was die Zukunft angeht, so möchte ich sagen, daß ich
die Auffassung aller teile, die gesagt haben: Bevor man
nun auf eine schnelle Rückkehr drängt, muß man sich
zunächst einen Überblick darüber verschaffen, wie denn
die Lage im Kosovo aussieht. Wir müssen bei der Rück-
führung eine Reihenfolge einhalten, von der ich glaube,
daß es notwendig ist, sie einzuhalten: Die Flüchtlinge,
die jetzt in Mazedonien und in Albanien in Zelten leben,
die also dort im Winter nicht bleiben können, müssen in
erster Linie zurückkehren können. Da, wo das nicht
möglich ist, müssen wir uns darum kümmern, daß win-
terfeste Quartiere hergerichtet werden. In Mazedonien
betrifft das etwa 103 000 Menschen, die dort in Zelten
leben. In Albanien sind 50 000 in Zeltlagern und
140 000 in nur notdürftig hergerichteten öffentlichen
Gebäuden.

Die Bundesregierung geht selbstverständlich davon
aus, daß, wie im Fall von Bosnien-Herzegowina, die
Mehrzahl der aus dem Kosovo Vertriebenen freiwillig in
ihre Heimat zurückkehren wird. Das heißt aber nicht
– das sage ich zum Kollegen Zeitlmann –, daß wir das
dem freien Belieben überlassen. Es ist selbstverständ-
lich: Bürgerkriegsflüchtlinge haben bei uns ein Aufent-
haltsrecht auf Zeit, und wenn man die Bereitschaft der
Bevölkerung aufrechterhalten will, Bürgerkriegsflücht-
linge in Deutschland aufzunehmen, dann muß es bei die-
sem Grundsatz bleiben.

Ich gebe Herrn Zeitlmann selbstverständlich auch
recht, wenn er sagt, daß auch diejenigen, die in früherer
Zeit, noch unter der alten Bundesregierung – das sind in
der Tat beträchtliche Zahlen; ich habe die genauen Zah-
len bisher noch nicht auf dem Tisch, aber manche spre-
chen von 180 000 ausreisepflichtigen Personen; das ist
in etwa die Zahl, die ich kenne, es können aber auch
mehr sein –, in die Bundesrepublik gekommen sind, in
ihre Heimat zurückkehren müssen.

Für die Rückkehr der Vertriebenen ist der Wieder-
aufbau im Kosovo wichtig. Das haben schon viele ge-
sagt. Um ein koordiniertes und effektives Vorgehen si-
cherzustellen, erarbeitet die Bundesregierung derzeit ein
Gesamtkonzept für den deutschen Beitrag zum Wieder-
aufbau im Kosovo und zur Schaffung der Voraussetzun-
gen für die Flüchtlingsrückkehr. Sie geht dabei von ver-
schiedenen Zeitphasen aus, die zu berücksichtigen sein
werden.

Aus deutscher Sicht ist auch die Einsetzung eines
dem Beauftragten der Bundesregierung für die Flücht-
lingsrückkehr und den rückkehrbegleitenden Wieder-
aufbau in Bosnien-Herzegowina entsprechenden Beauf-
tragten überlegenswert. Das werden wir sicherlich im
Einvernehmen mit den Ländern prüfen. Auch von Län-
derseite ist das ins Auge gefaßt worden.

Im übrigen, Herr Kollege Schlee, kann ich nur sagen:
Der Kollege Koschnick arbeitet genauso, wie Sie es
während Ihres Mandats getan haben, sehr gut mit den
Ländern zusammen. Ich glaube, hier ist keine Mahnung
erforderlich.

Nach dem Konzept wird sich auch das Bundesinnen-
ministerium mit seinen angegliederten Institutionen
stark engagieren. Das Engagement des Bundesinnenmi-
nisteriums wird sich insbesondere auf den Wiederaufbau
zerstörter Wohnungen sowie der zerstörten Infrastruktur
durch das Technische Hilfswerk konzentrieren. Wichtig
sind Bauhofprojekte. Das Technische Hilfswerk hat da-
zu schon Planungen vorgenommen. So etwas haben wir
auch schon in Bosnien-Herzegowina praktiziert. In sol-
chen Bauhöfen wird der Bevölkerung nach dem Prinzip
der Hilfe zur Selbsthilfe Baumaterial zur Verfügung ge-
stellt.

Für den Wiederaufbau ist auch wichtig, die notwen-
dige Sicherheit für die Menschen im Kosovo zu ge-
währleisten. Das kann nicht allein dem Militär überlas-
sen bleiben, sondern für eine solche Sicherheitsstruktur
brauchen wir auch Polizeibeamte. Das Bundesinnenmi-
nisterium wird sich im Einvernehmen mit den Ländern
an einer internationalen Polizei im Auftrag der UN im
Kosovo beteiligen. Bereits in den nächsten Tagen wird
das Bundesinnenministerium einen Beamten des Bun-
desgrenzschutzes entsenden, der gemeinsam mit den
Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes und des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung beim Aufbau ziviler Strukturen helfen soll.

Wir werden mit Vorsicht und Bedachtsamkeit zu
Werke gehen. Ich will aber bereits jetzt meinen Dank
und meine Anerkennung denjenigen aussprechen, die
sich an der sehr schwierigen und gefahrvollen Arbeit,
auch im zivilen Sektor, im Kosovo beteiligen werden.
Das gilt sowohl für die BGS-Beamten als auch für die
Polizeibeamten der Länder und ebenso für die Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Bundesminister Otto Schily






(A) (C)



(B) (D)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404512400
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Eckhardt Barthel, SPD.


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1404512500
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Auch wenn wir uns unter in-
nenpolitischen Gesichtspunkten dem heutigen Thema
nähern, merken wir trotzdem sehr schnell, daß sich die
Bilder von den Flüchtlingen im Kosovo in unseren Köp-
fen sehr stark eingeprägt haben. Es waren Bilder von
Frauen und Kindern, Alten und Kranken. Diese Bilder
haben gezeigt, wie die Situation in Serbien und im Ko-
sovo während des Krieges war; wie sie auch vor der
Bombardierung war, eine Tatsache, die meines Erach-
tens zu häufig übersehen wird. Ich glaube, daß diese
Bilder jeden einzelnen von uns gezwungen haben, sich
für oder gegen militärisches Eingreifen zu entscheiden.

Es ist richtig, daß man bei der Entscheidung für oder
gegen den Militäreinsatz nicht fragen kann, wer schuldig
ist. Aber wenn wir uns fragen – das ist für mich die
richtige Frage –, bei welcher Entscheidung wir mehr, bei
welcher weniger schuldig geworden wären, dann rückt
natürlich sofort die Frage nach der Hilfe für Flüchtlinge
in den Mittelpunkt der Diskussion. Wenn ich diese Fra-
ge unter innenpolitischen Gesichtspunkten beantworte,
dann muß ich auf die große Spendenbereitschaft der Be-
völkerung verweisen, die für mich an erster Stelle steht.
Wenn man schon vielen dankt – das ist auch richtig –,
dann sollte die Bevölkerung, die soviel gespendet hat,
bei unserer Danksagung an erster Stelle stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dies ist auch schon deshalb nötig, weil wir heute von
mehreren Rednern gehört haben, wie notwendig auch in
Zukunft Spenden sind. Vielleicht hilft unser Dank, diese
Spendenbereitschaft aufrechtzuerhalten. Deswegen dan-
ke ich noch einmal allen, die gespendet haben.

Es gibt aber nicht nur Positives zu berichten. Im Ge-
gensatz zu der Spendenbereitschaft hat mich am Anfang
der Diskussion das Gezerre um die Frage gestört, wel-
ches europäische Land wie viele Flüchtlinge aufnimmt.
Herr Schily hat recht: Es ist besser geworden, wenn man
die Situation mit Bosnien oder mit dem Anfang des Ko-
sovo-Konfliktes vergleicht. Aber am Anfang war es
schlimm. Die Medien waren voller Zahlen darüber, wel-
ches Land wie viele Flüchtlinge aufnimmt. Es wurde
diskutiert, daß wir zu viele Flüchtlinge aufnehmen, wäh-
rend andere Länder zu wenige aufnehmen. Diese Dis-
kussion wurde den Verhältnissen im Kosovo, wo es
Flucht und Vertreibung gab, nicht gerecht.

Es zeigt sich weiterhin die Notwendigkeit koordi-
nierten Handelns der EU-Staaten, auch wenn es inzwi-
schen Verbesserungen gibt. Das heißt für mich, daß es
schlicht und einfach um mehr europäische Solidarität
mit Flüchtlingen geht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundesregierung ist viel gelobt worden, wie ich

finde, zu Recht. Das Lob, über das ich mich am meisten
gefreut habe, war das, das von den Flüchtlingen selbst

kam, weil sie am besten unsere Leistung beurteilen kön-
nen. Das Lob kam sowohl von Flüchtlingen in Mazedo-
nien und Albanien als auch in Deutschland.

Ich möchte einen Punkt hervorheben, um einen Ver-
gleich zum Bosnien-Konflikt zu ziehen. Ich war sehr
froh, daß die Bundesregierung die Fehler, die während
der Aufnahme der Bosnien-Flüchtlinge passiert sind,
nicht wiederholt hat. Ich bin sehr froh, daß sie die Bun-
desländer bei der Finanzierung der Aufnahme der
Flüchtlinge nicht alleine gelassen hat. Das war damals
ein ganz großes Problem. Ich freue mich besonders dar-
über, daß wir endlich die gesetzliche Regelung ange-
wandt haben, die eigentlich für die jetzt zu uns kom-
mende Gruppe von Flüchtlingen geschaffen worden ist,
nämlich den berühmten § 32 a des Ausländergesetzes.
Dieser Paragraph ist für Bürgerkriegsflüchtlinge ge-
schaffen worden. Nun haben wir ihn endlich angewandt.
Das war insofern wichtig, als durch ihn die „Lasten“ viel
besser auf die einzelnen Länder verteilt werden konnten.
Welches Bundesland wie viele Flüchtlinge aufnimmt, ist
nicht nur eine materielle Frage, sondern auch eine Frage
der in den einzelnen Ländern existierenden Aufnahme-
bereitschaft der Bevölkerung.

Ich werde mir allerdings nichts in die Tasche lügen:
Eine große Spendenbereitschaft ist nicht mit einer gro-
ßen Aufnahmebereitschaft gleichzusetzen. Das ist wohl
wahr. Hier gibt es einen großen Unterschied, der besei-
tigt werden muß.

Wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland es
nicht schaffen, die Flüchtlinge auf die einzelnen Bun-
desländer gerecht zu verteilen – diesmal ging es ja gut;
ich hoffe, es bleibt dabei –, dann verpuffen auch unsere
Appelle an die europäischen Staaten, sich solidarisch zu
verhalten. Wir müssen schon im eigenen Land deutlich
machen, daß wir zur Aufnahme bereit sind, damit sich
alle Länder in gleicher Weise daran beteiligen, was
wichtig ist unter dem Gesichtspunkt der Kosten.

Ein Punkt, der mir auch in dieser Diskussion negativ
aufgestoßen ist: Wir haben in der Bundesrepublik
Deutschland schon von der Rückkehr von Flüchtlingen
in den Kosovo schwadroniert, als die Waffen noch nicht
geschwiegen haben. Da gab es bereits die ersten Diskus-
sionen. Das fand ich ausgesprochen peinlich. Ich freue
mich, daß jetzt die Diskussion über die Rückkehr von
Flüchtlingen in den Kosovo in sehr sachliche Bahnen
gelenkt worden ist. Dies sollte man unterstützen.

Eines ist klar – jeder, der in der Flüchtlingspolitik tä-
tig ist, weiß das –: Der Status eines Bürgerkriegsflücht-
lings ist ein Status auf Zeit. Die Frage ist – das ist poli-
tisch zu entscheiden –: Zu welchem Zeitpunkt können
die Flüchtlinge zurück? Dafür gibt es nur ein Kriterium:
Das ist die Situation im Herkunftsland. Sie ist heute
mehrfach beschrieben worden, so daß man hier zur Zeit
nichts tun kann.

Wir sollten deutlich sagen: Die Diskussion über die
Frage der erzwungenen Rückkehr von Bürgerkriegs-
flüchtlingen steht frühestens im Frühjahr nächsten Jah-
res auf der Tagesordnung. Wir sollten uns in der Zu-
kunft bei allen großen Problemen, die wir zu lösen ha-
ben, nicht darauf konzentrieren, über Rückkehrtermine






(B)



(A) (C)



(D)


zu reden, sondern darauf, über den Wiederaufbau in der
Region zu sprechen. Dies ist nicht nur ein Kriterium für
die Rückkehr, sondern auch eine Frage für den Frieden
in der Region und damit in Europa.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404512600
Herr Kollege
Barthel, auch für Sie war diese Rede die erste hier im
Hohen Hause. Ich beglückwünsche Sie im Namen aller
Kolleginnen und Kollegen dazu.


(Beifall)

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Schnieber-Jastram, Dr. Maria Böhmer, Rainer
Eppelmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
630-DM-Gesetz und Neuregelung der Schein-
selbständigkeit zurücknehmen
– Drucksache 14/1005 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin ist die Kollegin Birgit Schnieber-Jastram für die Fraktion der CDU/CSU. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mir das hier anders vorgestellt. Nach dem Wahldesaster in Hessen hat diese Regierung gelobt: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Das sollte das neue Motto nach den ersten 100 Tagen der rotgrünen Regierung Schröder sein. Der Bundeskanzler hat versprochen: Was wir politisch machen wollen, müssen wir vorher an der Realität messen, nicht nachher. Und jetzt? Jetzt sind alle guten Vorsätze offensichtlich vergessen. Das Chaos der Bundesregierung ist schlimmer denn je. Politik machen Sie nicht nur ohne die Menschen, sondern inzwischen gegen die Menschen. Vor den Wahlen hat diese Bundesregierung vollmun dig mehr Arbeitsplätze und mehr soziale Gerechtigkeit versprochen. Sie erinnern sich hoffentlich. Wenn ich an das Beispiel der Renten und die Diskussion darüber denke, dann läuft es mir kalt den Rücken herunter. Das ist der größte Wahlbetrug, der hier je stattgefunden hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Gelinde gesagt!)

Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1404512700

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Kommen wir wieder auf das 630-DM-Gesetz und
Scheinselbständigkeit zurück. Mit diesen Gesetzen ha-
ben Sie genau das Gegenteil von dem erreicht, was Sie
angekündigt haben. Hunderttausende von Arbeitsplätzen
werden vernichtet, Zehntausende von Existenzen zer-
stört.


(Konrad Gilges [SPD]: Alles falsch! Dummes Zeug!)


Mit diesen Gesetzen wird eben nicht gezielt der Wild-
wuchs, den es unbestritten gibt, beschnitten, sondern es
wird über die ganze Gesellschaft hinweg gemäht.


(Konrad Gilges [SPD]: Sie haben keine Ahnung!)


Schauen Sie sich an, wen Sie treffen: Rentner und
Zeitungsausträger, Sporttrainer und Chorleiter, alleiner-
ziehende Mütter, private Haushalte und junge Ingenieu-
re. Millionen kleiner Leute müssen sich als Opfer füh-
len. Das ist Politik paradox: Die Schaffung von Arbeits-
plätzen und Jobs schlägt in ein Förderprogramm für
Schwarzarbeit um. Davon weiß am allermeisten der
Herr Momper ein Lied zu singen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Sozialkassen bleiben leer, und es wird weiter

gemompert. Diese Gesetze sind gerade für die kleinen
Leute eine Ohrfeige, für die Sie sich hier einsetzen
wollten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Getroffen wird aber auch die von Herrn Schröder um-
worbene neue Mitte: die Gruppe der Flexiblen, der
Mutigen, der Risikobereiten.

Zusammen mit Tony Blair fordert Herr Schröder nun
eine neue Kultur der Selbständigkeit. Gleichzeitig zer-
tritt er wie kein anderer in diesem Land mit seinen Ge-
setzen unternehmerische Eigeninitiative. Unternehme-
rische Eigeninitiative und Mut zur Selbständigkeit wer-
den zerstört. Die Vorschläge von Blair und Schröder
entpuppen sich als der größte Bluff aller Zeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der SPD: Oh!)


Wenn Sie das nach Manier von Schröder und Blair für
Modernität halten, dann muß ich sagen: Es kommen auf
die Menschen in diesem Lande schlimme Zeiten zu.

Dieser Kanzler hat sich zum fahrenden Raubritter
gewandelt, der auf seinen Fahrten durch Europa die neue
Mitte sucht, die ihm in der Politik leider abhanden ge-
kommen ist. Mit oder ohne Blair, die neue Mitte glaubt
ihm nicht mehr. Ich sage Ihnen eines: Sie hat recht.

Eckhardt Barthel (Berlin)







(A) (C)



(B) (D)


Ich möchte Ihnen ein Angebot machen. Die Union
wird sich der Verantwortung als konstruktive Opposi-
tion nicht entziehen und bietet hier noch einmal die
Mitwirkung bei der Ausarbeitung zukunftsweisender
und tragfähiger Reformen im Sozialbereich an. Aber
bei der Nachbesserung von Murks machen wir nicht mit.
Die von Ihnen hier diskutierten Nachbesserungsvor-
schläge zur Scheinselbständigkeit – ich freue mich, daß
ich auch Sie sehe, Herr Mosdorf; Sie haben gerade ge-
stern verkündet, daß das 630-Mark-Gesetz nachgebes-
sert werde – führen nur zu neuem Murks.

Deswegen fordere ich Sie auf, zuzugreifen, bevor es
zu spät ist. Stimmen Sie heute unserem Antrag zu, diese
Gesetze zurückzunehmen und in Ruhe über ein neues
Gesetz nachzudenken, das auch alle anderen sozialen
Sicherungssysteme berücksichtigt! Denn wir brauchen
in diesen Bereichen tragfähige Konzepte und nicht das,
was Sie hier machen, Herr Riester, nämlich einen
Rundumschlag, der unsere Sozialsysteme zerstört und
kaputtmacht. Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie unserem
Antrag zu!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Konrad Gilges [SPD]: Nein! – Peter Dreßen [SPD]: Ein demonstratives Nein!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404512800
Für die SPD-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Leyla Onur.


Leyla Onur (SPD):
Rede ID: ID1404512900
Sehr verehrte Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin
Schnieber-Jastram, wenn dieser Antrag ein Beispiel für
kraftvolle, konstruktive Oppositionsarbeit ist, dann kann
ich Ihnen nur mein tiefempfundenes Mitleid aussprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: Die Wähler haben es am letzten Sonntag honoriert!)


In meinen politischen Sturm- und Drangjahren – das ist
fast 30 Jahre her – hätte ich vielleicht auch einen sol-
chen Antrag geschrieben. Damals war ich auch der Auf-
fassung, erst einmal weg mit dem Alten, und mußte
nicht dazusagen, wofür ich bin. Aber so etwas habe ich
selbst Ihnen nicht zugetraut. Ich habe Ihnen mehr Sub-
stanz und mehr Verantwortungsbewußtsein zugetraut.


(Beifall bei der SPD)

Das, was Sie mit Ihrem Antrag machen, ist ganz ein-

fach: Sie stellen falsche und unhaltbare Behauptungen
auf, kommen dann zu dem Schluß, diese Gesetze müß-
ten zurückgenommen werden, und schlagen vor, einen
Dialog einzuleiten, der sich wahrscheinlich bis 2050
hinziehen würde. Wir sollen also genau das tun, was Sie
in den letzten 16 Jahren getan haben: Obwohl Sie das
Problem und die Mißstände erkannt hatten – alles war
Ihnen bekannt –, haben Sie nichts zustande gebracht.
Jetzt schlagen Sie uns vor, genauso untätig zu sein. Mit
uns ist das nicht zu machen. Wir haben gehandelt, und
wir bleiben bei unserem Gesetz. Punktum, Schluß.


(Beifall bei der SPD)


Mit diesem Antrag setzen Sie sich an die Spitze der
Bewegung derjenigen, die mit ihrer infamen Kampagne
Betroffene und Nichtbetroffene verunsichern.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Genau!)

Sie machen sich zu der Wortführerin derjenigen, die
eine Ausnahmeregelung, für die wir ja alle sind, syste-
matisch zu Lasten der ehrlichen Beitragszahler ausge-
nutzt haben. Sie machen sich zur Wortführerin derjeni-
gen, die Teil- und Vollzeitarbeitsplätze gezielt zerstük-
kelt haben


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Richtig!)

und darüber hinaus den Mißbrauch in einer wirklich un-
vorstellbaren Weise und ohne Skrupel betrieben haben.
Wir haben ja gar nicht gewußt, in welcher Form und in
welchem Umfang Mißbrauch betrieben worden ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt, Sie wissen nichts!)


Das kommt jetzt heraus.
Vielleicht hilft Ihnen ein Beispiel weiter, das zeigt,

daß die Menschen überhaupt keine Hemmungen mehr
haben, den Mißbrauch zuzugeben. Ich lese von einem
bayerischen Bestattungsunternehmer – der sich natürlich
bitterlich beklagt –, daß er ohne irgendwelches Un-
rechtsbewußtsein zugibt, daß der Telefondienst in sei-
nem Unternehmen von Ehefrauen der Mitarbeiter über-
nommen wurde, die – jetzt hören Sie genau zu –
mit mehreren 630-Mark-Tätigkeiten das Familienauf-
kommen aufgebessert haben. Das war, ist und bleibt
Betrug.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Aber das war doch vorher schon strafbar!)


Dieser Herr scheut sich nicht, diesen Betrug auch noch
öffentlich zuzugeben.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Was ist denn da Betrug?)


Dieser Herr hat nicht einmal mehr eine Hemmung ver-
spürt, in einer Zeitung öffentlich zuzugeben, daß er die
Sozialversicherungssysteme dieses Staats betrogen hat.
Soweit sind wir dank Ihrer Untätigkeit nämlich gekom-
men.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich spreche jetzt nicht davon, daß mehrere Lohn-
steuerkarten im Umlauf waren und daß Mehrarbeit
schwarz bezahlt worden ist, natürlich aus der schwarzen
Kasse.


(Konrad Gilges [SPD]: Sie haben dem Betrug Vorschub geleistet!)


Der Mißbrauch stinkt zum Himmel. Es ist unerträg-
lich. Sie haben nichts getan, obwohl Sie wußten, daß
gehandelt werden muß.

Wir haben, wie wir es im Wahlprogramm angekün-
digt haben, mit unserem Gesetz sofort dafür gesorgt, daß

Birgit Schnieber-Jastram






(B)



(A) (C)



(D)


der Mißbrauch gestoppt wird, daß Wettbewerbsverzer-
rung


(Thomas Strobl [CDU/CSU]: Schwarzarbeit kommt jetzt!)


– auf Schwarzarbeit komme ich gleich zu sprechen –
und die Flucht aus der Sozialversicherung gestoppt wer-
den.

Bei dieser Gelegenheit will ich einmal sagen: Wir ha-
ben der Schwarzarbeit nie das Wort geredet. Sie for-
dern die Menschen geradezu zur Schwarzarbeit auf. Sie
erklären die Schwarzarbeit zu einer völlig normalen
Handlung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wo sind wir eigentlich? Warum fordern Sie denn
nicht die Konsumenten auf, die Brötchen zu klauen,
wenn sie beim Bäcker teurer werden? Das ist doch ge-
nau dasselbe.

Ich will gar nicht darüber sprechen, was Sie noch al-
les in Ihrem fundamentalen Antrag aufgeschrieben ha-
ben. Eines steht fest – Sie wissen es, und wir wissen es –:
Ihre Behauptung, durch unser Gesetz würden Arbeits-
plätze vernichtet, ist falsch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch bei der F.D.P.)


Sie wissen es und wir wissen es, daß Arbeit weiterhin
geleistet werden muß und geleistet wird. Allerdings muß
Arbeit umorganisiert werden.


(Thomas Strobl [CDU/CSU]: Schwarzarbeit!)

Darauf stellen sich auch die Unternehmer längst ein.

Einige sind schneller, und andere bestraft das Zuspät-
kommen. Das ist völlig klar. Es gibt namhafte Bei-
spiele für bekannte Unternehmer, die sich rechtzeitig
darauf vorbereitet haben. Andere handeln jetzt. Ein
Beispiel ist die Real-Gruppe. Die Real-Gruppe hat alle
Untergliederungen angewiesen, ab sofort keine gering-
fügigen Beschäftigungsverhältnisse mehr einzugehen,
weil es sich nicht mehr rechne und auch viel zu riskant
sei, da man unter Umständen bei einer Prüfung er-
wischt werde. Genau das wollten wir: Wir wollten
durch Kontrolle sicherstellen, daß für alle Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer Sozialversicherungsbei-
träge gezahlt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


In dem Moment, wo die Kassen für diese Beschäfti-
gungsverhältnisse Geld bekommen, werden sie sich ge-
nauer und besser um die Kontrolle kümmern. Das weiß
die Kaufhausgruppe Realkauf, das wissen andere. Des-
wegen haben wir – dafür gibt es zahlreiche Beispiele –
schon jetzt die Beweise dafür, daß wir unser Ziel errei-
chen: Aus geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen
werden versicherungspflichtige Teilzeit- und Vollzeitar-
beitsplätze. Genau das wollten wir, und genau das errei-
chen wir.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Seien Sie einmal ganz friedlich, Frau Schnieber-
Jastram.

Zu Ihrem zweiten Spiegelstrich. Daß Sie sich nicht
schämen, die Behauptung in die Welt zu setzen, der
Verwaltungsaufwand sei gar nicht mehr zu bewerkstel-
ligen – –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404513000
Frau Kollegin Onur,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Leyla Onur (SPD):
Rede ID: ID1404513100
Von wem denn?

(Heiterkeit)


– Herr Kollege, bitte schön, Sie dürfen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404513200
Dafür ist Ihnen der
Kollege dankbar.


Leyla Onur (SPD):
Rede ID: ID1404513300
Sie geben mir die Gelegenheit,
meine Redezeit beliebig zu verlängern. Dafür bin ich
dankbar.


Dankward Buwitt (CDU):
Rede ID: ID1404513400
Ich bezweifle, ob
das eine Freude für Sie ist.


Leyla Onur (SPD):
Rede ID: ID1404513500
Na, das wollen wir einmal sehen.


Dankward Buwitt (CDU):
Rede ID: ID1404513600
Ich habe eine Frage,
Frau Kollegin – Argumente überzeugen Sie ja nicht
sehr –: Ist Ihnen bekannt, daß 630-DM-Angestellte frü-
her schon, also unter der alten Gesetzgebung, angemel-
det werden mußten, oder ist Ihnen das nicht bekannt?


(Dr. Heidi Knake-Werner [PDS]: Aber nicht namentlich!)


Alles, was Sie hier von Betrug usw. und so fort vortra-
gen, bezieht sich doch auf solche Fälle, in denen Leute
an Gesetzen vorbei etwas machen.


(Peter Dreßen [SPD]: Sie haben es noch nicht einmal kontrolliert!)


– Aber ich bitte Sie, durch ein Gesetz können Sie doch
den Mißbrauch nicht verhindern, sondern durch ein Ge-
setz können Sie gesetzmäßiges Handeln vorschreiben.
Es war bereits vorgeschrieben, daß diese Jobs angemel-
det werden müssen. Ist Ihnen das überhaupt bekannt?
Wenn es Ihnen bekannt wäre, dann könnten Sie diese
Rede hier nicht halten.


Leyla Onur (SPD):
Rede ID: ID1404513700
Sehr verehrter Kollege, selbst-
verständlich ist uns das immer bekannt gewesen, offen-
sichtlich aber nicht denjenigen, die diesen Antrag ge-
schrieben haben. – Bleiben Sie ruhig stehen, ich brauche
länger für die Antwort. – Sie haben nämlich aufge-
schrieben, daß jetzt ein unerhörter zusätzlicher Verwal-
tungsaufwand entstehe.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Ja, sicher!)


Leyla Onur






(A) (C)



(B) (D)


Ich sage Ihnen, das ist falsch, und zwar genau mit der
Begründung, die Sie mir eben schon in den Mund gelegt
haben.

Es gab vorher schon Regeln. Es war selbstverständ-
lich so, daß ein Unternehmer auch den geringfügig Be-
schäftigten bei der Krankenkasse anmelden mußte, sich
einen Sozialversicherungsausweis vorlegen lassen
mußte, die Lohnunterlagen führen und aufbewahren
mußte, für diesen geringfügig Beschäftigten beim
Finanzamt pauschal Steuern entrichten oder wenigstens
in der Lohnsteuerkarte das entsprechende Einkommen
vermerken mußte und auch die Unfallversicherungsbei-
träge entrichten mußte. Nur, Herr Kollege, was Sie
offensichtlich nicht wissen: Viele, insbesondere diejeni-
gen, die jetzt am lautesten schreien, haben Schlupflöcher
gesucht und gefunden, um dies zu umgehen. Nachweis-
lich sind diese Regeln, weil die Kontrolle nicht ausrei-
chend funktioniert hat, unterlaufen worden.


(Dankward Buwitt [CDU/CSU]: Momper!)

– Moment, ich bin noch nicht fertig, Herr Kollege. Sie
haben mir eine Frage gestellt und müssen auch bis zum
Ende der Antwort zuhören.

Es hat sich etwas bei den Privathaushalten geändert.
Das war früher etwas einfacher. Wenn Sie hier von
Schwierigkeiten sprechen, dann sage ich Ihnen aber
auch einmal ganz freundlich: Es gibt im Ausschuß bei
uns eine Kollegin, die immer behauptet, Hausfrauen sei-
en zu dumm, ein Formular auszufüllen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Wer hat denn das gesagt?)


Das werde ich mit Ekel und Abscheu jederzeit von mir
weisen.


(Beifall bei der SPD und des Abg. HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dirk Niebel [F.D.P.]: Wer war das?)


– Ich habe keine Namen genannt, Herr Niebel.
Es ist völlig klar, daß in Zukunft auch für Mitarbeiterin-

nen und Mitarbeiter in privaten Haushalten ein Arbeits-
vertrag geschlossen werden muß und die Anmeldung, so
wie bisher bei der Pauschalbesteuerung, in der gesetzli-
chen Unfallversicherung und natürlich auch bei der Kran-
kenkasse erfolgen muß. Bauen Sie doch hier nicht so
einen Popanz auf! Dieses Verfahren ist so einfach, daß es
jeder ohne Schwierigkeiten bewerkstelligen kann.


(Beifall bei der SPD)

Ich zeige Ihnen einmal – Sie wissen ja immer nicht, wie
die Realität aussieht –


(Zurufe von der CDU/CSU: Sie!)

ein solches Formular. Schauen Sie sich das einmal an.
So einfach sieht ein Arbeitsvertrag aus. Da müssen Sie
einige wenige Zeilen ausfüllen. Das schaffen Sie auch,
Herr Strobl. Die Anmeldung zur Sozialversicherung ist
auch nicht viel schwieriger. Auch das ist weder Auf-
wand noch besonders schwierig, sondern dies kann ge-
leistet werden.


(Zuruf von der SPD: Für die F.D.P.-Klientel ist das schwierig!)


Damit, meine Damen und Herren, erreichen wir end-
lich, daß alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den
ihnen im Gesetz längst zugesicherten Arbeitnehmer-
schutz auch bekommen. Das gab es schon längst; das
wissen wir. Aber wer hat denn diesen Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmern den ihnen zustehenden Urlaub
gewährt, das Weihnachtsgeld gezahlt, im Falle von
Krankheit Lohnfortzahlung geleistet? Es ist doch alles
unterlaufen worden. Das steht jetzt expressis verbis in
den Verträgen, das muß eingehalten werden, kann jeder-
zeit nachgeprüft werden. Auch die Sozialkassen haben
ein Interesse daran, sozusagen den Sündern, den Miß-
brauchstätern auf die Spur zu kommen.


(Beifall bei der SPD)

Damit erreichen wir, daß die Flucht aus dem Sozial-

system gestoppt wird – eine alte Forderung von Herrn
Blüm, von der ich glaubte, daß Sie immer dahinterste-
hen –, daß die Wettbewerbsverzerrung gestoppt wird,
daß wir – zugegebenermaßen schrittweise – mehr Schutz
für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und daß wir
wieder Ordnung auf dem Arbeitsmarkt erreichen, weil
wir in Zukunft weniger geringfügige Beschäftigungs-
verhältnisse und dafür mehr sozialversicherungspflichti-
ge Teilzeit- oder Vollzeitarbeitsplätze haben werden.

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Ihr
Antrag ist als traurig zu bezeichnen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das Gesetz ist traurig!)

Er ist nicht konstruktiv, er zeigt keine Richtung auf und
ist schon deshalb negativ geprägt, weil Sie selbst nichts
beizutragen haben.


(Beifall bei der SPD)

Deswegen verdient Ihr Antrag nur eine einzige Be-
handlung: Ablehnung und anschließend ab in den
Papierkorb!

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404513800
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Dr. Irmgard Schwaet-
zer.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1404513900
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen
acht Monaten haben wir etwa ein Dutzend Debatten zu
diesem Thema hier im Plenum geführt.


(Zuruf von der SPD: Leider!)

Ich vermute einmal, daß dies die vorletzte sein wird;

denn nun wird die Rentendebatte das Thema 630-Mark-
Jobs ablösen.


(Heiterkeit und Zustimmung bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Sie haben ja darauf spekuliert, daß nach einer Weile ein
anderes Thema im Mittelpunkt steht. Aber ich kann
Ihnen eines sagen: Die Unzufriedenheit in der Bevöl-

Leyla Onur






(B)



(A) (C)



(D)


kerung, bei denjenigen, denen Sie ihre Möglichkeiten,
Geld zu verdienen, genommen haben, wird bestehen-
bleiben, und die werden Sie noch zu spüren bekommen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Konrad Gilges [SPD]: Nur Unternehmer beschweren sich, keine Arbeitnehmer!)


Erstaunlich finde ich, daß Sie selbst das Thema für
eine Ablösungsdebatte bestimmt haben. Ausgesprochen
leichtfertig ist es, das Thema Rente zu nehmen und da-
mit eine Bevölkerungsschicht zu verunsichern, die
eigentlich unsere gesamte Solidarität verdient hätte.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das aus Ihrem Munde hört sich spannend an!)


Die Rentendebatte wird genauso verlaufen – da muß
man kein großer Prophet sein, um das festzustellen –
wie die über die geringfügigen Arbeitsverhältnisse. Herr
Riester macht einen Entwurf. Die SPD-Fraktion verän-
dert ihn einmal, zweimal und dreimal.


(Peter Dreßen [SPD]: Wann denn?)

Dann kommt ein Kanzlerwort, und dann wird nachge-
bessert. Nur, das, was dann herauskommt, ist immer
noch falsch.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Deswegen, Herr Riester, sollten Sie nicht nur das Ge-

setz über die 630-Mark-Jobs und die Regelung der so-
genannten Scheinselbständigkeit aufheben. Sie sollten
vielmehr Ihre verheerenden Rentenpläne zurücknehmen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie verunsichern alte Menschen, und Sie erwecken den
Eindruck, als käme es Ihnen nur darauf an, diejenigen,
die zwar der SPD im September zu Ihrer Wahl, am letz-
ten Sonntag aber der CDU zu einem Sieg verholfen
haben, mit Ihren Plänen zu bestrafen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Erst nehmt ihr den alten Leuten die 630-Mark-Jobs und dann die Rente!)


Deswegen möchte ich darauf hinweisen, liebe Frau
Onur, daß man hier nicht Ursache und Wirkung ver-
wechseln sollte. Von uns kommt dieses bürokratische
Monster, das Sie in die Welt gesetzt haben, nun wirklich
nicht, sondern von Ihnen.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Es ist nicht die Aufregung wegen der Abschaffung des
Mißbrauchs. Das, was die Leute aufregt, ist, daß Sie
Leistung bestrafen. Das ist es, was den Menschen drau-
ßen wirklich gegen den Strich geht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Leyla Onur [SPD]: So ein Unsinn!)


Ihre Regelungen zur sogenannten Scheinselbständig-
keit sind auch nicht besser. Heute morgen habe ich den
Zeitungen entnommen, daß es zu Nachbesserungen
kommen soll. Von Ihnen habe ich dazu noch nichts ge-
hört. Offensichtlich ist dieses Thema zwischen der Bun-

desregierung und der SPD-Bundestagsfraktion wieder
umstritten.


(Zuruf von der SPD: Warten Sie erst einmal ab!)


Die Frage, die ich mir stelle, ist, wann sich der Kanzler
einmal durchsetzt.


(Zuruf von der F.D.P.: Nie!)

Ich freue mich ja, wenn die SPD dazulernt. Ich freue

mich auch, wenn die Grünen dazulernen.

(Thomas Strobl [CDU/CSU]: Die Resultate sind doch dürftig!)

Ich fürchte nur, daß die Nachbesserung durch die Ein-
führung von Ausnahmen das Ganze so kompliziert
macht, daß keiner weiß, woran er wirklich ist, daß die
Gerichte beschäftigt werden und nichts verbessert wird.


(Beifall bei der F.D.P.)

Darüber hinaus muß das, was man über die zusätzli-

che Altersvorsorge hört, die anerkannt werden soll, ja
wohl geprüft werden. Das, meine Damen und Herren,
wird wieder nur eine zusätzliche Bürokratie durch
Prüfverfahren bezüglich einer angemessenen Alters-
sicherung in Gang setzen. Nein, das alles ist es nicht. Sie
sollten Ihr Vorhaben aufheben und es beim ursprüngli-
chen Rechtszustand belassen. Das wäre wirklich besser.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch über die CDU kann man in dieser Debatte
wirklich nur staunen. Dieser Antrag stammt von der
CDU. Da muß ich leider feststellen, daß unser früherer
Koalitionspartner offensichtlich unter akutem kollekti-
ven Gedächtnisschwund leidet.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Im Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und

Sozialordnung – ich kann auch noch ein paar Sachen aus
nichtöffentlicher Sitzung zitieren; aber dies ist wirklich
öffentlich zugänglich – vom 5. März 1998 zum damali-
gen SPD-Entwurf zur Versicherungspflicht der gering-
fügigen Beschäftigungsverhältnisse bestätigt die CDU/
CSU ausdrücklich, daß es einen Regelungsbedarf gibt,


(Thomas Strobl [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber eine große Neuigkeit!)


daß es aber leider wegen des kleinen Koalitionspartners
nicht möglich sei, etwas zu regeln.


(Konrad Gilges [SPD]: Das stimmt doch auch!)


Nun muß ich Ihnen sagen: Der kleine Koalitionspartner
agiert jetzt selbständig in der Opposition. Wieso, zum
Teufel, haben Sie dann noch nichts vorgelegt? Ich kann
es Ihnen sagen: weil Sie alles verdrängt haben und ver-
gessen wollen, was Sie früher gesagt haben, und weil
Sie hier auf einer Welle mitreiten und dadurch wohlfeile
Wählerstimmen bekommen wollen.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Irmgard Schwaetzer






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404514000
Frau Kollegin
Schwaetzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Meckelburg?


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1404514100
Selbstverständ-
lich.


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1404514200
Verehrte Frau
Kollegin Schwaetzer, würden Sie bitte zur Kenntnis
nehmen, daß Sie zu Recht zitiert haben, daß die
CDU/CSU-Fraktion in diesem Bereich, gerade was den
Mißbrauch angeht, in der Tat Handlungsbedarf gesehen
hat und auch nach wie vor sieht


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und daß wir in der letzten Legislaturperiode nicht etwa
deswegen keine Regelung mehr vorgelegt haben, weil
wir uns in der Koalition nicht haben einigen können,


(Widerspruch bei der SPD)

sondern weil uns völlig klar war, daß das eine der
schwierigsten Regelungen ist und daß eine solche Re-
gelung nur im Zusammenhang mit einer Steuerreform
gefunden werden kann, durch die die Tarife für Arbeit-
nehmer und Unternehmer zurückgehen


(Peter Dreßen [SPD]: Wo ist denn die Frage? Das ist ja eine Kurzintervention!)


und durch die insgesamt ein Klima geschaffen werden
kann, in dem man über diesen Bereich reden kann, weil
nämlich der Unternehmer auf der einen Seite – –


(Peter Dreßen [SPD]: Wo ist denn die Frage?)

– Ich bin immer noch bei der Frage, es war nur ein
Komma dazwischen.


(Heiterkeit)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404514300
Lieber Herr
Kollege, eine Frage muß auch einmal ein Ende finden.


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1404514400
Ich bin beim
letzten Weil-Satz, wenn Sie mir den noch gestatten: Ein
solches Klima muß geschaffen werden, weil dann
nämlich der Druck aus der Kiste ist und weil Unter-
nehmer dann für ihren Bereich nicht mehr sagen müs-
sen: Der Tarifdruck und der steuerliche Druck sind
so hoch, daß wir nicht anders können, als solche Jobs
zu machen.


(Weitere Zurufe von der SPD: Fragen! – Wo ist denn die Frage?)


Dann ist auch bei Arbeitnehmern nicht mehr der
Druck da, solche Jobs machen zu müssen.


(Konrad Gilges [SPD]: Jetzt hör doch mit der Eierei auf!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404514500
Herr Kollege,
ich erlaube Ihnen nicht, noch länger zu reden. Sie disku-

tieren mit der anderen Seite des Hauses, Sie stellen aber
keine Frage an die Rednerin.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Ich war beim Fragezeichen!)


Wenn Sie diskutieren wollen, müssen Sie eine Kurz-
intervention beantragen. Das geht dann aber erst nach
dem Ende der Rede.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die Frage war am Anfang!)



Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1404514600
Frau Präsidentin,
das war ein so lang gedehntes Fragezeichen, weil Herr
Meckelburg versucht, sich in der Frage, warum die
CDU/CSU noch keine Antwort gefunden hat, herauszu-
reden.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollten in der letzten Legislaturperiode nun wirklich
etwas anderes, Sie wollten nämlich die Sozialversiche-
rungspflicht für die geringfügigen Beschäftigungsver-
hältnisse. Ich habe zwar nicht im Ausschuß gesessen,
aber eine ganze Reihe von Ihnen, die sich eigentlich
noch daran erinnern sollten, was Ihre Kollegen da gefor-
dert haben, haben im Ausschuß gesessen.


(Thomas Strobl [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nichts Neues! Das sind ganz alte Kamellen!)


Deswegen möchte ich Sie wirklich bitten, hier vielleicht
auch einmal daran zu denken, was Sie selbst früher ge-
dacht und getan haben. Herr Meckelburg, das hatte
nichts mit Steuersenkungen zu tun.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Natürlich!)


Aber lassen Sie uns – das ist eine Bitte an das ge-
samte Haus – doch bitte an eine konstruktive Diskussion
in dem Bereich herangehen, wo die Lösung des Pro-
blems liegen müßte: nämlich im Bereich niedrig ent-
lohnter Tätigkeiten Regelungen zu finden, so daß es
sich auch lohnt, diese Tätigkeiten aufzunehmen – und
zwar im ersten Arbeitsmarkt, nicht etwa im zweiten Ar-
beitsmarkt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Hier gibt es eine Beschäftigungslücke von etwa 2 bis 3
Millionen Arbeitsplätzen, die von Menschen besetzt
werden könnten, die heute arbeitslos sind. Dazu müssen
die Gewerkschaften aber einmal über ihren Schatten
springen. Leider haben Sie zu viele Gewerkschafter in
Ihren Reihen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – Dirk Niebel [F.D.P.]: 244 von 298!)


Deswegen wird das wohl auf absehbare Zeit noch nichts.

(Konrad Gilges [SPD]: Gott sei Dank sitzen bei Ihnen keine!)

Es müssen in dem Bereich schon einige Kriterien er-

füllt werden. Ich will einmal vier Kriterien ganz plakativ






(B)



(A) (C)



(D)


in den Raum stellen: Es muß erstens durch Leistungs-
anreize die Arbeitsaufnahme im ersten Arbeitsmarkt
erleichtert werden. Es muß zweitens ein angemessenes
Familieneinkommen sichergestellt werden. Es muß
drittens die Gefahr von Mitnahmeeffekten möglichst
minimiert werden. Es muß viertens die Flexibilität des
Arbeitsmarktes verbessert werden.

Das sind Dinge, die wir in unserem Bürgergeld-
Konzept aufgegriffen haben. Als Einstieg hatte die alte
Koalition bereits die veränderte Anrechnung des eigenen
Erwerbseinkommens auf die Sozialhilfe beschlossen.
Das war damals ein mühsames Stück Arbeit mit Herrn
Seehofer. Wir haben aber eine Regelung vorgelegt.
Warum knüpfen wir da nicht wieder an? Das würde den
Menschen wirklich mehr helfen als all dieser Murks im
630-DM-Gesetz, den Sie gemacht haben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Und lassen Sie uns einen zusätzlichen Schritt machen

– ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin –, indem wir
Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammenlegen –
natürlich mit einem entsprechenden Ausgleich für die
Gemeinden! Das erfordert Pragmatismus. Aber nur so
kann man Arbeitsmarktprobleme anpacken. Deswegen
appelliere ich wirklich an alle, die Verweigerungshal-
tung in diesem Bereich aufzugeben. Wenn wir dieses
Thema angehen, meine Damen und Herren von der
SPD, dann – da bin ich ganz sicher – werden Sie sehen,
daß das bürokratische Monster der 630-DM-Regelung
völlig überflüssig ist.

Danke.

(Beifall bei der F.D.P. – Zurufe von der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404514700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Margareta Wolf.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Jetzt aber die Wahrheit sagen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Nicht schwindeln!)


Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren! Frau Schnieber-Jastram, ich soll die
Wahrheit sagen, und das tue ich jetzt auch.

Frau Schwaetzer hat eines gesagt, was richtig ist,
nämlich daß Sie nach 14 Jahren Nichtstun damals, im
Herbst 1996 und dann 1997, einem Vorschlag der SPD-
Fraktion im Vermittlungsausschuß zugestimmt haben.
Dieser Vorschlag sah vor, geringfügige Nebenbeschäf-
tigungen mit einer Hauptbeschäftigung zusammenzu-
rechnen und somit beide sozialversicherungspflichtig zu
machen. Dieser Vorschlag unterscheidet sich in gar
nichts von unserer 630-DM-Lösung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


Verehrte Frau Schwaetzer, Sie haben gerade wieder
exemplarisch vorgeführt, in welchem Zustand sich Ihre
wunderbare Partei befindet. Auf der einen Seite docken

Sie immer noch an die wunderbaren Werbeformeln Ihres
phantastischen Generalsekretärs an, der zuerst sagte, Sie
sind die Partei der Besserverdienenden. Dann waren Sie
die Partei, die in den letzten Jahren die soziale Markt-
wirtschaft als Gefälligkeitsdemokratie denunziert hat.
Jetzt sind Sie in Bremen mit einem kleinen Antrag
durchgeflogen, der dazu dienen sollte, das Sozialimage
aufzupeppen, weil man genau weiß: Ein zukunftsfähiger
Staat muß die Brücke zwischen Sozialpolitik und Wirt-
schaftspolitik bauen. Und jetzt hängen Sie sich an die
Niedriglohndebatte an, die unsere beiden Fraktionen auf
den Weg gebracht haben, um dieses kleine soziale
I-Tüpfelchen da aufzusetzen. Ich finde das nur noch
peinlich, und die Rechnung haben Sie ja auch bekom-
men.


(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, ich frage mich in der Tat,
warum wir heute schon wieder über die 630 DM und
Scheinselbständigkeit diskutieren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt viele Menschen, die darüber diskutieren!)


Wir haben das schon zahlreiche Male getan. Sie wissen,
daß entsprechende Kommissionen an der Arbeit sind
und Ihnen ihre Ergebnisse präsentieren werden. Dann
wird die Debatte über dieses Ergebnis doch viel span-
nender sein.

Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen, daß sich diese
Gesellschaft im Übergang von der Industriegesellschaft
hin zur Dienstleistungsgesellschaft befindet. In diesem
Kontext, der zugegebenermaßen ein sehr schwieriger ist,
finde ich es naheliegend, Debatten zu führen über die
Zukunft der Arbeitswelt, über die Zukunft der Sozial-
versicherungssysteme und über die Brückenbildung zwi-
schen Flexibilität und Solidarität.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sagen Sie das doch etwas konkreter!)


– Was ich sage, entscheide ich immer noch alleine, Frau
Schwaetzer, und nicht Sie.

Wir befinden uns in diesem Wandel. In diesem Wan-
del weiß jeder, daß es keine einfachen Antworten gibt.
Sie haben die Rahmenbedingungen für diesen Wandel in
den letzten Jahren verschlafen. Das macht es uns so
schwer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Natürlich gibt es auch nicht immer nur richtige Ant-
worten, vor allen Dingen dann nicht, wenn man sich
immer nur hinstellt und sagt, wie Sie das jetzt wieder
getan haben: „weg mit …“.

Ich möchte Sie mit einem wunderbaren Zitat kon-
frontieren. Ich habe am Wochenende ein Buch eines
Philosophen gelesen. Er lebte im 18. Jahrhundert und
hieß Montaigne. Über diesen Satz sollten Sie vielleicht
einmal nachdenken:

Dr. Irmgard Schwaetzer






(A) (C)



(B) (D)


Welche Schande für einen Politiker, dessen Rolle
doch die Beobachtung der gesellschaftlichen Ent-
wicklung ist, wenn er durch die Macht der Ge-
wohnheit abgestumpfte Geister als Zeugen der
Wahrheit heranzieht!

Und das tun Sie, wenn Sie hier immer nur „weg mit …“
sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der F.D.P.)


Wir haben in zahlreichen Debatten in diesem Hause
dargestellt, daß wir grundsätzlich – Herr Niebel, daß Sie
immer nur schreien, aber hier keinen guten Beitrag lei-
sten können, das wissen wir schon – an der Sozialversi-
cherungspflicht für geringfügige Nebenbeschäftigun-
gen festhalten wollen, und zwar unter dem Aspekt der
Gerechtigkeit. Dieser Gerechtigkeitsaspekt erfordert,
daß diejenigen, die Überstunden machen, mit denen
gleichgestellt werden müssen, die eine geringfügige Ne-
benbeschäftigung haben. Dieses Gerechtigkeitsproblem
können Sie nicht auflösen, wenn Sie die geringfügige
Nebenbeschäftigung aus dieser Regelung wieder her-
ausnehmen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Eine der größten Herausforderungen – und ich würde
mich freuen, wenn wir ihr gemeinsam gerecht werden
könnten – hier in diesem Haus ist es, zu begreifen, daß
sich eine Politik der Modernisierung am Ziel der Zu-
sammenführung von Flexibilität und Solidarität orien-
tieren muß. Wir sind mit einer Flexibilisierung der
Märkte als Ergebnis einer immer stärker wachsenden
Globalisierung und damit einhergehender höherer exter-
ner Anforderungen konfrontiert.

Wir müssen uns darüber verständigen, was soziale
Sicherung überhaupt bedeutet. Wir sehen: Es gibt eine
Flucht aus den sozialen Sicherungssystemen, die unmit-
telbar damit zusammenhängt, daß die Grenze der Bela-
stungen auf Grund von Abgaben und Steuern bei den
Menschen erreicht ist. Wir wollen für die Wiederher-
stellung der Zustimmung zu den sozialen Sicherungs-
systemen werben.

Frau Kollegin Schwaetzer, wenn wir in den letzten
Jahren eine gesetzliche Regelung für die Beschäfti-
gungsverhältnisse im Sektor zwischen 630 und 1 300
DM gehabt hätten, dann hätten wir die Chancen für den
Dienstleistungsmarkt wie die anderen europäischen
Länder und wie die USA nutzen können. Durch die
Nichtregelung dieses Sektors haben Sie eine Teilzeit-
mauer aufgebaut. Nur 66 000 Menschen sind nämlich in
diesem Segment beschäftigt. Sie wissen genau, daß die
Nachfrage in diesem Sektor weitaus größer ist.

Wir haben im Rahmen des Bündnisses für Arbeit
Vorschläge gemacht, Modelle zu erproben, um hier zu
neuen Beschäftigungsverhältnissen zu kommen. Es gibt
in Berlin einen Modellversuch. Diese Modellversuche
müssen aber regionalspezifische Aspekte berücksichti-
gen. Nach einem Jahr kann man auswerten und ent-
scheiden, welches Modell die beste Lösung ist.

Zur Scheinselbständigkeit. Wir wissen alle, daß das
Blüm-Ministerium in den letzten Jahren fieberhaft nach
einer Regelung gesucht hat, wie mit diesem Phänomen
umgegangen werden kann. Wir wissen, daß Sie Studien
in Millionenhöhe in Auftrag gegeben haben, auf deren
Zahlen wir uns immer noch beziehen. Sie wußten auch
– deshalb haben Sie keinen entsprechenden Antrag ein-
gebracht –, daß Sie sich mit einem Gesetz gegen die
Scheinselbständigkeit auf ein vermintes Gelände bege-
ben und daß dieses Gesetz kein Sonntagsspaziergang
hinsichtlich der Wirkung in der Bevölkerung ist. Des-
halb haben Sie kein entsprechendes Gesetz vorgelegt.
Jetzt schütten Sie aber Häme über diesen Diskussions-
prozeß aus, den wir angefangen haben. Seit über einem
halben Jahr diskutieren wir mit den verschiedenen be-
troffenen Gruppen und den Berufsgruppen. Es wurde
eine Kommission eingerichtet, in der wir diskutieren,
um möglichst bald Vorschläge für Veränderungen vor-
legen zu können.


(Zurufe von der F.D.P.)

Ich sage Ihnen, welche Veränderungen ich für not-

wendig halte. Wenn Sie dies interessiert, sollten Sie ein
wenig leiser sein.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie nehmen doch die Menschen als Versuchskaninchen!)


– Ihr Zuruf, wir nähmen die Menschen als Versuchs-
kaninchen, ist eine so hummelblöde Aussage, wie ich sie
selten gehört habe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Sie haben ein Gesetz gegen die Scheinselbständigkeit
in Kraft gesetzt, das tatsächlich nicht funktionierte, weil
die Fälle bei den Gerichten gelandet sind. In diesem
Punkt sind wir uns mit allen Interessengruppen einig:
Wir wollen der Erosion der sozialen Sicherungssysteme
entgegenwirken, den offensichtlichen Mißbrauch be-
kämpfen, die Selbständigkeit fördern und die Rechts-
sicherheit wiederherstellen. Das ist ein sehr kompaktes
und ein sehr ambitioniertes Vorhaben.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist ein Feldversuch, den Sie machen!)


– Das ist kein Feldversuch, Herr Niebel.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404514800
Liebe Herren
Kollegen von der F.D.P., mir fällt auf, daß Sie fast nach
jedem Satz dazwischenrufen.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das machen die auch bei uns!)


Es ist natürlich Ihr Recht, dazwischenzurufen, aber die
Kollegin muß eine Chance haben, ein paar Sätze im Zu-
sammenhang sprechen zu können.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das wird ständig von den Grünen bei uns gemacht!)


Margareta Wolf (Frankfurt)







(B)



(A) (C)



(D)


Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ich bedanke mich ganz herzlich, Frau Prä-
sidentin. Dieses Verhalten der F.D.P. kenne ich.

Ich will Ihnen sagen, worüber wir in der Kommission
nachdenken. Wir denken über den Kriterienkatalog
nach.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ihr hättet vorher nachdenken müssen!)


– Sie haben immer alles richtig gemacht. Deshalb sind
Ihre Reformen in den letzten 16 Jahren so wahnsinnig
erfolgreich gewesen; deshalb liegt dieses Land in Euro-
pa vorne. Seien Sie auch einmal ein bißchen selbstkri-
tisch! Ich habe vorhin gesagt, daß es in dieser Situation
nicht immer einfache Lösungen gibt.


(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

– Wenn Sie meine Ausführungen nicht interessieren,
dann brauche ich nicht mehr weiterzureden.


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])

Wir diskutieren darüber, ob der Kriterienkatalog zeit-

gemäß ist und ob die Lebensversicherung als einziges
Instrument die Rentenversicherung ergänzen kann. Sie
sind überhaupt nicht an der Sache interessiert. Die Euro-
pawahl ist gelaufen. Seien Sie doch froh darüber! Jetzt
könnten Sie sich konstruktiv an der Diskussion beteili-
gen, damit die Wählerinnen und Wähler, die Sie aus
Protest gewählt haben, auch wirklich wissen, was Sie
auf der Pfanne haben, nämlich offensichtlich gar nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir diskutieren, ob das Kriterium von einem Auf-
traggeber angesichts der Tatsache, daß wir eine wach-
sende IT-Branche und eine wachsende Ingenieurs-
Branche mit oft nur einem Auftraggeber haben, noch
zeitgemäß ist. Nach dem Ende der Beratungen in der
Kommission werden wir dieses Kriterium entsprechend
ändern.

Ich bin ferner der Meinung, daß wir darüber reden
müssen, ob private Altersvorsorge nicht auch heißen
kann: lange Bindungsfristen in einem Aktienfonds.

Sie können gewiß sein – die Kommission wird bald
zu Ende getagt haben –, wir werden mit Hilfe der Bun-
desregierung einen ordentlichen Gesetzentwurf vorle-
gen. Dann können Sie Ihre Alternativkonzepte hier prä-
sentieren.

Ich bitte Sie auch im Interesse des Friedens in unse-
rem Lande, mit dieser unsäglichen Kampagne aufzuhö-
ren. Der Europawahlkampf war ein rein nationaler 630-
Mark-Wahlkampf.


(Zuruf von der CDU/CSU: Eben!)

Dabei handelt es sich um das gleiche Gesetz, dem Sie
damals im Vermittlungsausschuß zugestimmt haben. Ich
finde, das ist fast nicht mehr zumutbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404514900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Dr. Heidi Knake-Werner.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1404515000
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich hatte ge-
dacht, daß die Kampagne, die zu dem 630-Mark-Gesetz
und zur Scheinselbständigkeit außerhalb des Parlaments
geführt wird, an Verlogenheit nicht mehr zu überbieten
ist.


(Zurufe von der CDU/CSU: Und das aus Ihrem Munde! – Vielleicht begreifen Sie jetzt, daß das keine Kampagne ist, sondern daß es um die Sache geht!)


Aber das, was hier heute geboten wird, steht dem in kei-
ner Weise nach.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der CDU/ CSU: Jetzt kommen die Experten!)


Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, ist dafür ein beredtes Beispiel.

In der gesamten Auseinandersetzung hat sich vor
allem der Kollege Westerwelle als Bäckerbursche aus-
reichend lächerlich gemacht. Aber auch viele andere von
Ihnen haben sich angesichts der wirklichen Probleme
der geringfügigen Beschäftigung ordentlich blamiert.
Sie wissen so gut wie ich, daß mit den 630-Mark-Jobs in
den letzten Jahren millionenfach Mißbrauch getrieben
wurde. Wenn die Gesetze auch Mängel haben – das ist
von der PDS ausreichend kritisiert worden –, für eines
sind sie immer noch gut, nämlich den Mißbrauch zu be-
kämpfen


(Beifall bei der PDS)

und endlich die Ausplünderung der sozialen Sicherungs-
systeme zu stoppen. Das findet unsere nachdrückliche
Unterstützung.

Das übrigens erklärt natürlich auch, daß nun diejeni-
gen am lautesten schreien, die von diesem Mißbrauch in
den letzten Jahren am meisten profitiert haben:


(Beifall bei der PDS und der SPD)

die Funktionäre des Hotel- und Gaststättengewerbes, der
DIHT, die Zeitungsverleger, die Vertreter der Taxiun-
ternehmen – von wegen kleine Leute, kann ich da nur
sagen. Das ist die altbekannte Lobby, die sich schon
immer auf Kosten der Solidargemeinschaft bereichert
hat.


(Zuruf des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])

In den Kampagnen wird mit Halb- und Falschinfor-

mationen zur geringfügigen Beschäftigung agiert. Be-
troffene werden verunsichert, Angst wird geschürt.


(Zustimmung bei der PDS)

Insgesamt wird unterstellt, daß die Neuregelungen

des Gesetzes eine gigantische Kündigungs- und Jobver-
nichtungswelle zur Folge hätte.


(Zuruf von der F.D.P.: Genau so!)







(A) (C)



(B) (D)


Das aber ist Panikmache, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen; denn den Beweis bleiben Sie schuldig, im Gegen-
satz zum Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, der
sehr deutlich das Gegenteil belegt hat.

Geklagt wird bei Ihnen über zuviel Bürokratie.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da seid ihr Spe zialisten!)

Es geht Ihnen aber gar nicht um die Bürokratie. Darum
geht es den Unternehmern übrigens auch nicht, die sich
jetzt als Sachwalter der geringfügig Beschäftigten auf-
spielen. Sie ärgern sich am meisten darüber, daß sie nun
nicht mehr schummeln können oder – um es drastischer
zu sagen – betrügen können,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Welche Unterstellung! – Zurufe von der F.D.P.: Das ist ein starkes Stück! – Man sollte Ihre Rede einmal den Betroffenen zur Kenntnis geben!)


sondern daß endlich Licht in das Dunkel der geringfügi-
gen Beschäftigung gebracht wird. Genau das findet auch
unsere Unterstützung.

Zusätzlich belastet werden in der Tat diejenigen, die
neben ihrem Hauptberuf einen 630-Mark-Job als Ne-
benjob haben. Sie müssen nun Steuern und Sozialab-
gaben zahlen; das ist bekannt.


(Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Welche Leistungen kriegen sie denn?)


Aber was ist denn anderes passiert, als daß sie mit den-
jenigen gleichgestellt werden, die das für Überstunden
schon immer tun mußten?

Natürlich – das weiß auch ich – sind davon auch viele
betroffen, die wirklich wenig Geld haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Also doch die kleinen Leute!)


Wenn Sie sich die Einkommenssituation in Ost-
deutschland anschauen, dann wissen Sie, wovon ich re-
de. Daß sie sauer sind, wenn sie gleichzeitig erleben,
daß die Regierung viel darüber nachdenkt, wie sie die
Besserverdienenden und Vermögenden von Steuern
entlasten kann, kann ich noch am ehesten nachvollzie-
hen.


(Beifall bei der PDS)

Schließlich wird behauptet, für die Unternehmen

rechneten sich nun die 630-Mark-Jobs nicht mehr. Das
verstehe, wer will. Ich tue es nicht; denn gerade für die
Unternehmen hat sich nun wirklich überhaupt nichts ge-
ändert, es sei denn, sie haben früher gegen die Gesetze
verstoßen und können dies nun nicht mehr so leicht tun,
wie sie es früher getan haben,


(Beifall bei der PDS)

und sie müssen sich nun überlegen, auf welche andere
Art und Weise sie das Bier und die Brötchen an die Frau
und an den Mann bringen.

Erstaunlicherweise gibt es gerade bei den Unterneh-
men schon viel mehr Einsicht als bei Ihnen. Dort gibt es

eine Reihe von Lichtblicken, was die Umwandlung
von prekären Beschäftigungsverhältnissen in versiche-
rungspflichtige Teilzeit- und Vollzeitarbeitsplätze be-
trifft. Aber das macht natürlich keine Schlagzeilen in der
Öffentlichkeit.


(Zuruf von der SPD: Das ist richtig!)

Am ärgerlichsten ist – das will ich auch noch deutlich

sagen –, daß die wirklichen Lücken des Gesetzes in der
aktuellen Auseinandersetzung überhaupt keine Rolle
mehr spielen. Wer redet denn heute noch über die
alleinerziehende Mutter, die ihren Minijob als einzige
Einnahmequelle hat und trotz der Neuregelung weder
ausreichend gegen Arbeitslosigkeit noch gegen Alters-
armut gesichert ist? Kaum jemand regt sich darüber auf,
daß Ehefrauen unabhängig vom Einkommen ihrer Ehe-
männer bei einem 630-Mark-Job steuerfrei bleiben und
damit – das halte ich für das Fatale – in die Rolle der
Zuverdienerin abgedrängt werden. Wen kümmert es
noch, daß es bei den Scheinselbständigen um die Kellne-
rin und um den Transportfahrer und nicht um den Com-
puterfachmann, die Journalisten und die Volkshoch-
schuldozentin ging?


(Beifall bei der PDS – Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Das ist eine Heuchelei!)


Es ging um diejenigen, die wirklich sozialen Schutz
brauchen. Das war das eigentliche Anliegen des Geset-
zes. Genau das haben wir unterstützt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
wenn Sie jetzt Korrekturen vornehmen, dann hoffe ich
sehr, daß Sie nicht vor jenen einknicken, denen die
Schutzbedürftigkeit der Menschen und der Bestand un-
seres Sozialsystems sowieso relativ Wurst sind.


(Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])

Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der

F.D.P., muß ich sagen: Wenn Sie weiterhin gegen die
soziale Absicherung geringfügiger Beschäftigung so
polemisieren, dann müssen Sie sich nicht wundern,
wenn Sie auch in Zukunft ziemlich geringfügig gewählt
werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404515100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Peter Ramsauer.


(Konrad Gilges [SPD]: Hat er in seiner Mühle auch 630-Mark-Leute beschäftigt?)



Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1404515200
Sehr geehrte
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Damit es der SPD-Fraktion leichter fällt, beginne ich mit
einem Zitat aus einem Brief, den der SPD-Frak-
tionsvorsitzende Dr. Peter Struck – er ist auch da – mit
Datum vom 20. Mai 1999 an alle Mitglieder der SPD-
Bundestagsfraktion gerichtet hat. Hier heißt es:

Dr. Heidi Knake-Werner






(B)



(A) (C)



(D)


Laßt Euch nicht verunsichern durch Berichte über
eine neuerliche Änderung der 630-Mark-Regelung.
Das Gesetz bleibt unverändert. …


(Zurufe von der SPD: Richtig!)

Im übrigen ist feststellbar, daß die Kampagne ge-
gen dieses Gesetz schwächer wird.

(Konrad Gilges [SPD]: Recht hat der Mann!)


Ich glaube, Sie sehen hier eine Fata Morgana, ein Trug-
bild, ein Wunschbild.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dann fährt Peter Struck fort:
Es treten allmählich genau die Effekte ein, die wir
mit dem Gesetz bewirken wollten.

Wenn man sich dies vor Augen hält, erhält das Wahler-
gebnis der SPD vom letzten Sonntag eine völlig neue
Bedeutung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Gott sei Dank macht das Volk nicht jeden Blödsinn mit!)


Offensichtlich haben Sie noch nicht bemerkt, daß dieses
Wahlergebnis auch ein Aufschrei der Betroffenen war,
daß die Gesetze gegen Scheinselbständigkeit und gegen
den sogenannten Mißbrauch bei der geringfügigen Be-
schäftigung eine Gesetzgebung gegen den kleinen
Mann waren und gegen diejenigen, die gerade im mit-
telständischen Bereich mit der geringfügigen Beschäfti-
gung versucht haben, beispielsweise saisonale Spitzen
abzubauen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen erweisen sich diese Gesetze als regelrechte

Jobkiller, und sie sind praxisfern. Daher ist es auch
nicht verwunderlich, was wir aus der „Bild“-Zeitung
vom 17. Mai 1999 erfahren haben: „Rudolf Dreßler –
sein ganz persönliches 630-Mark-Problem. Betonsozi
kriegt keine Putzfrau.“ Dann spricht Kollege Dreßler
über seine Probleme und will erklären, warum er nie-
manden bekommt:

Verschreckt durch das Chaos bei der Neuregelung
von 630-Mark-Jobs, wollen alle Angesprochenen
statt Geld über Lohnsteuerkarte nur Bares auf die
Hand.

(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Wie bei Momper!)


– Ja, aber in diesem Fall war es Dreßler.
Dazu kann ich wirklich nur sagen: Besser kann man das
Problem nicht erklären.

Es ist dann weiter zu lesen, daß der stellvertretende
Fraktionsvorsitzende der SPD Ernst Schwanhold im
„Lindenhof“, seinem Stammlokal, von der Wirtin gesagt
bekommen hat: Lieber Ernst, macht doch vor eurem
nächsten Gesetz erst einmal einen Ausflug in die Wirk-
lichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dem kann man wirklich nichts hinzufügen.

Sie wissen, wie viele Arbeitsplätze schon verloren-
gegangen sind: 300 000 bei den Gebäudereinigern,
200 000 bei Kellnern im Gaststättenbereich, 150 000 bei
Verkäufern usw.


(Zuruf des Abg. Konrad Gilges [SPD])

– Herr Gilges, ich habe es eben schon gesagt: Nehmen
Sie Valium! Sie haben einen tüchtigen Fraktionsge-
schäftsführer. Es lohnt nicht, sich hier so aufzuregen. Sie
sind wohl immer noch wegen Ihres katastrophalen
Wahlergebnisses vom letzten Sonntag erzürnt. Hier lie-
gen wichtige Ursachen für den Schlamassel der SPD, in
den Sie sich selber hineingeritten haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir bekommen auch aus den Reihen von Rotgrün
ständig recht für unsere Kritik: Wolfgang Clement sieht,
wie er gesagt hat, Handlungsbedarf, um ungerechte zu-
sätzliche Belastungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer
zu korrigieren. Heide Simonis verlangt eine schnelle
Änderung der neuen Besteuerung. Kurt Beck sieht eine
bürokratische Überzeichnung bei der Neuregelung. Glo-
gowski stößt ins gleiche Horn. Und auch Peter Struck und
Bundeskanzler Schröder haben gesagt, für bestimmte
Branchen, etwa im Medienbereich, müßten Sonderrege-
lungen geschaffen werden. Alle sagen, es müsse sich
etwas ändern. Nur einer will nicht: Bundesarbeitsminister
Riester. Er ist genau das, was die „Bild“-Zeitung über
Dreßler geschrieben hat, ein „Beton-Sozi“.


(Renate Rennebach [SPD]: Das ist unverschämt, Herr Doktor!)


– Liebe Frau Rennebach, das waren nicht meine Worte;
ich habe die „Bild“-Zeitung zitiert. Aber sie hat nicht so
schlecht getroffen.

Am Wahlabend des vergangenen Sonntags hat Bun-
deskanzler Schröder gesagt: „Ich habe die Wähler ver-
standen.“ Wenn sich Rotgrün jetzt weigert, diesen Ge-
setzespfusch zurückzunehmen, dann hat Bundeskanzler
Schröder die Wähler ganz offensichtlich nicht verstan-
den. Er kann sie nicht verstanden haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich begreife auch nicht, warum er die Wähler erst jetzt
versteht. Wir haben von Anfang an massiv protestiert
und auf die Risiken einer solchen gesetzlichen Regelung
hingewiesen. Wir haben das von Anfang an so gesehen,
wir haben Sie immer gewarnt. Aber Sie wollten das
Problem nicht zur Kenntnis nehmen. Nach dem Wahler-
gebnis vom vergangenen Sonntag ist es für Sie zu spät.

Man kann das Schauspiel, das Rotgrün bei dieser Ge-
setzgebung aufführt, nicht besser charakterisieren als
Kurt Kister dies in dieser Woche in der „Süddeutschen
Zeitung“ getan hat. Er schrieb:

Nach Art der russischen Fallschirmjäger in Pristina
prescht ein Ministerium mit einem Entwurf vor, aus
der Fraktion gibt es Gegenfeuer, die Grünen sind
nicht informiert, Hombach interveniert auf dem klei-
nen Dienstweg, und wenn alles in Kraft tritt, mosern
die Länder, und eine Kommission muß die Nachteile
des bereits geltenden Gesetzes überprüfen.

Dr. Peter Ramsauer






(A) (C)



(B) (D)


Schröder hat Angst vor den Betonköpfen in Ihren
eigenen Reihen. Man muß ihm den Vorwurf machen,
daß er in solchen Fragen – zumal er sagt, er habe die
Botschaft der Wähler verstanden – nicht endlich von
seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch macht und die-
sen gordischen Knoten durchschlägt. Eines muß Ihnen
von Rotgrün und auch Bundeskanzler Schröder klar
sein: Schröder hat angesichts dieses Gesetzesschlamas-
sels – das bestätigt das Wahlergebnis vom letzten
Sonntag – auch die sogenannte zweite Chance, die ihm
die deutschen Medien nach dem Abgang von Lafontaine
eingeräumt haben, „vergeigt“. Eine dritte Chance wird
er nicht so ohne weiteres bekommen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404515300
Herr Kollege
Ramsauer, die abgemachte Redezeit ist jetzt vorbei.


Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1404515400
Ich komme zum
Schluß. – Im Schröder/Blair-Papier steht interessan-
terweise zu dem heutigen Thema:

Wir müssen: … Arbeitgeber durch … die Verringe-
rung der Steuer- und Sozialabgabenlast auf gering-
fügige Beschäftigungsverhältnisse ermutigen …
Ziel dieser Erklärung ist es, einen Anstoß zur Mo-
dernisierung zu geben. Wir laden alle Sozialdemo-
kraten in Europa dazu ein, diese historische Chance
zur Erneuerung nicht verstreichen zu lassen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404515500
Herr Kollege
Ramsauer, es ist nicht mehr möglich, jetzt längere Pas-
sagen vorzulesen. Ihre Redezeit ist vorbei. Bitte denken
Sie daran.


Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1404515600
Ich kann nur sa-
gen: Das ist ein Appell an die Fraktionen von Grün und
Rot in diesem Hause. Man kann nur der „Frankfurter
Rundschau“ folgen, die geschrieben hat: Diesen Punkt
haben CDU und CSU schon lange betont. – Schließen
Sie sich uns an und stimmen Sie für unseren Antrag!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404515700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Dreßen.


Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1404515800
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! In seiner Rede am 26. April 1997
„Aufbruch ins 21. Jahrhundert“ hat Bundespräsident
Roman Herzog gefordert, durch Deutschland müsse ein
Ruck gehen. Diesen Auftrag haben wir verstanden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Am Sonntag ist geruckt worden!)


Nachdem sich die alte Bundesregierung gequält hat, am
laufenden Band Ungerechtigkeiten produziert hat und
nicht in der Lage war, notwendige Reformen durchzu-
führen, haben wir gehandelt.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Wir haben durch eine Steuerreform und durch die Er-
höhung des Kindergeldes die Familien entlastet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In der Endphase, im Jahre 2002, sind das 50 Milliarden
DM, die Familien und Arbeitnehmer weniger zu bezah-
len haben. Dazu wären Sie nie imstande gewesen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben für 9 Millionen Arbeitnehmerinnen und

Arbeitnehmer den Kündigungsschutz wiederhergestellt

(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Deswegen gehen die Arbeitslosenzahlen ja wieder hoch!)

und, wie im Wahlkampf versprochen, die diversen
chaotischen Zustände auf dem Arbeitsmarkt, die Sie zu
verantworten hatten, beseitigt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Und den Demographiefaktor ausgesetzt!)


– Melden Sie sich doch zu Wort, wenn Sie etwas zu sa-
gen haben, Herr Niebel.

Thema Scheinselbständigkeit: Das Gesetz hat das
Ziel, Arbeitsverhältnisse, die, um die Sozialversicherung
zu sparen, in die Scheinselbständigkeit abgedrückt wor-
den sind, wieder in sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigungsverhältnisse zurückzuführen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404515900
Herr Kollege,
erlauben Sie eine Zwischenfrage?


Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1404516000
Bitte.

(Zuruf von der SPD: Aber wirklich eine Frage stellen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1404516100
Herr Kollege
Dreßen, der Bundeskanzler hat am Sonntag nach der
schlimmen Wahlniederlage der SPD die schon vom
Kollegen Ramsauer zitierten Worte gesagt: „Ich habe
verstanden.“ Was, glauben Sie, könnte er damit gemeint
haben?


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Könnte er unter Umständen die 630-DM-Jobs und die
Scheinselbständigkeit gemeint haben?


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sehr gute Frage!)



Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1404516200
Ich bin mir sicher, daß der
Bundeskanzler damit in erster Linie gemeint hat, daß
dieses Land wieder Arbeitsplätze braucht und daß wir
alles tun müssen, um in diesem Land wieder mehr Ar-
beitsplätze zu schaffen und die Arbeitslosigkeit zu be-
seitigen. Das war sicherlich sein wichtigstes Anliegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber ich bin natürlich nicht sein Psychologe, der irgend
etwas in seine Worte hineininterpretieren kann.

Dr. Peter Ramsauer






(B)



(A) (C)



(D)


Es entspricht nicht der Wahrheit, wenn Sie, die Op-
position, behaupten, wir wollten Selbständigkeit verhin-
dern. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist verständlich,
wenn Zeitungen und andere gegen die Scheinselbstän-
digkeit wettern, weil sie selber frei werdende Redakteur-
stellen an sogenannte freie Journalisten vergeben. Viele
dieser Freien oder auch „Pauschalisten“ sind voll in den
redaktionellen Ablauf eingebunden, also in Wirklichkeit
Festangestellte. Trotzdem hat die Bundesregierung unter
Vorsitz des Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts,
Herrn Dieterich, eine Kommission eingesetzt, die prüft,
ob es Verbesserungsmöglichkeiten gibt.

Nun sind heute Presseberichte erschienen, die den Ein-
druck erwecken, die Kommission sei schon soweit, Er-
gebnisse zu präsentieren. Dem ist nicht so. Tatsache ist,
daß diese Kommission zwei weitere Sitzungen im Juni
und Juli terminiert hat. Arbeitgeber und Gewerkschaften
sollen im Konsens über bestimmte Dinge reden. Sicher
werden wir dafür sorgen, daß der Umgang mit Vermu-
tungstatbeständen in der Praxis verbessert wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt das?)

– Das heißt, daß wir darüber nachdenken, wie man diese
Vermutungstatbestände besser formulieren kann.


(Thomas Strobl [CDU/CSU]: Bevor ihr die Gesetze macht, müßt ihr nachdenken!)


Die von der Rechtsprechung entwickelte Abgrenzung
zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Be-
schäftigung wird durch die Neuregelung nicht verscho-
ben. Entscheidend bleibt die Gesamtwürdigung in jedem
Einzelfall. Auch werden wir an der Rentenversiche-
rungspflicht für arbeitnehmerähnliche Verhältnisse fest-
halten. Wir werden also in Ruhe abwarten, welche Vor-
schläge die Kommission unter Vorsitz des Bundesar-
beitsgerichtspräsidenten Dieterich erarbeitet. Hektik ist
bei uns nicht angesagt.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die SPD-Bundestagsfraktion wird für Vorschläge, die
zur Verbesserung oder Klarstellung führen, immer ein
offenes Ohr haben.

Thema 630-Mark-Jobs: Immer mehr Bürgerinnen
und Bürger, auch die betroffenen, spüren, daß wir ein
gutes, sozial gerechtes und auch überschaubares Gesetz
gemacht haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thomas Strobl [CDU/CSU]: Das hat man bei der Europawahl gemerkt! Die Menschen jubeln euch zu!)


Mit diesem Gesetz ist Schluß mit den Wettbewerbsver-
zerrungen, wie sie zum Beispiel die Gebäudereiniger-
innung schon immer beklagt hat.


(Beifall bei der SPD)

Auch viele Unternehmer haben doch darüber geklagt,
daß sie diese unanständigen, sozial nicht abgesicherten
Arbeitsverhältnisse aus Wettbewerbsgründen schaffen
mußten. Es ist Schluß mit der Ungerechtigkeit, daß Ar-
beitnehmer, die Überstunden machen, dafür Steuern und
Sozialabgaben zahlen, während diejenigen mit einer ge-

ringfügigen Beschäftigung nichts zahlen. Und Schluß ist
auch mit Betrügereien derart, daß Oma oder Opa ange-
meldet wurde und so – rechtswidrig – sozialabgabenfrei
mehr 630-Mark-Jobs von einer Person ausgeübt werden
konnten, als sie eigentlich gedurft hätte. Die Unterneh-
men – das dürfen Sie sich ins Stammbuch schreiben –
beginnen nun mit der Umwandlung der 630-Mark-Jobs
in Teilzeitstellen – genau das, was wir wollten.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Glauben Sie das wirklich?)


Wie war denn die Situation vorher? Sie von der jet-
zigen Opposition haben zugelassen, daß die Sozialver-
sicherungsbeiträge von 1992 bis 1998 von 36,8 auf
42 Prozent gestiegen sind. Nun muß ich ehrlicherweise
die 1,7 Prozent für die Pflegeversicherung abziehen; es
verbleiben aber immer noch 40,3 Prozent, Frau
Schnieber-Jastram. Das heißt, Sie haben zugelassen,
daß Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die ordentliche
Arbeitsverhältnisse haben, der Kragen immer enger
zugeschnürt wurde,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Jetzt platzt ihnen der Kragen!)


und gleichzeitig haben Sie gepredigt: Die Lohnne-
benkosten müssen herunter. Ich frage: Was ist nun
richtig? Eine Steigerung um 10 Prozent in fünf Jahren –
das konnte doch so nicht weitergehen. Die Zahl der so-
zialversicherungspflichtig Beschäftigten ging im selben
Zeitraum, von 1992 bis 1998, von 29,1 Millionen auf
27,2 Millionen, also um 1,9 Millionen, zurück,


(Zuruf von der CDU/CSU: Die geht immer noch zurück!)


während die Zahl der 630-Mark-Jobs eine jährliche
Steigerungsrate von 20 Prozent aufweist.

Probleme auszusitzen, meine Damen und Herren von
der Opposition, oder Ungerechtigkeiten zu belassen, das
ist nicht Sache der neuen Bundesregierung und der sie
tragenden Koalitionsfraktionen.


(Beifall bei der SPD)

Die „Stuttgarter Zeitung“ berichtete am 22. Mai dieses
Jahres von einer Untersuchung der Landesversiche-
rungsanstalt Württemberg, wonach 8 000 in 630-Mark-
Jobs Beschäftigte älter als 90 Jahre sind – und makaber
genug: 2 000 solcher Beschäftigten kann man nur noch
zwei Meter unter der Erde, auf dem Friedhof, besuchen.
Das war Ihre Bilanz, und das war Ihnen bekannt, meine
Damen und Herren von der CDU. Sie haben ja selbst
schon erkannt, wie mit den 630-Mark-Jobs Mißbrauch
getrieben wurde. Ich will Ihnen daher nicht alles vor-
halten. Aber Norbert Blüm beklagte in einem Interview
vom 19. Oktober 1997, daß ganze Firmengruppen eine
Strategie daraus machten, sich der Sozialversicherung zu
entziehen, und stellte fest, dies könne der Sozialstaat
nicht hinnehmen. Übrigens hat der Kollege Louven, den
ich hier nicht sehe, vor kurzem ein Interview gegeben, in
dem er genau dasselbe sagt, was Blüm 1997 gesagt hat.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber Sie haben das Kind mit dem Bade ausgeschüttet! Das ist der Punkt!)


Peter Dreßen






(A) (C)



(B) (D)


Wenn ich Ihre unsachlichen Äußerungen zu diesem
Thema aus den letzten Wochen zur Kenntnis nehme,
dann werde ich das Gefühl nicht los, daß Sie uns den Er-
folg nicht gönnen, dem Sie jahrelang hinterhergehechelt
sind.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Das stimmt! Das ist richtig!)


Nach unseren eigenen Erhebungen wurden im übri-
gen in diesem Land schon über 2 Millionen Freistellun-
gen gewährt. Also kann es ja so schlimm nicht sein.
Jetzt wollen Sie, daß dieses Gesetz, das endlich dem
Mißbrauch Einhalt gebietet, wieder zurückgenommen
wird. Das ist doch paradox. Wir haben hier doch keine
Journalistendemokratie; hier, im Parlament, wird ent-
schieden. Aber Sie verlassen sich nur auf die Journaille.
Ich muß Ihnen sagen: Ich bin dem Bundesarbeitsmi-
nister dafür dankbar, daß er in dieser Frage standgehal-
ten hat – und das trotz der vielen ungerechten Angriffe,
die aus Ihren Reihen und aus den Reihen der Journa-
listen kamen. Ich bin ihm außerordentlich dankbar, daß
er hier standgehalten und gesagt hat: Das muß beseitigt
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daß Sie, Frau Schnieber-Jastram, und Ihre Par-
teifreunde aus Rücksicht auf die F.D.P. in Sachen 630-
Mark-Jobs in Ihrer Regierungszeit nichts unternommen
haben, mag man ja noch verstehen. Doch heute sind Sie
in der Lage, von den Liberalen nicht mehr abhängig zu
sein. Angesichts der Tatsache, die ich geschildert habe,
sollten Sie, meine Damen und Herren von der Oppositi-
on, insbesondere Sie von der CDU, sich für die haltlosen
Vorwürfe gegen dieses Gesetz und für Ihren Vorschlag
entschuldigen, das Gesetz einzustampfen. Sie sollten,
nachdem Sie sich das Problem genauer betrachtet haben,
sagen: Sorry, es tut uns leid; die Regierung hatte recht;
wir ziehen unseren Antrag zurück. Das wäre ein Ruck
von der Art, wie ihn der Bundespräsident verlangt hat.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404516300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Riegert.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1404516400
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Dre-
ßen, in mindestens einem Punkt irren Sie: Wir gönnen
Ihnen den Erfolg dieser Gesetze.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, gestern hat die Bundes-

sportwartin des Deutschen Behindertensportverbandes
im Rahmen einer Anhörung zum Behindertensport zu
Ihrem 630-DM-Gesetz folgendes festgestellt: Es steht zu
befürchten, daß das ehrenamtliche Engagement – mit
allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für behin-
derte Spitzensportler, die auf Grund ihrer Behinderung
ohnehin einer großen personellen Betreuung bedürfen –
rückläufig wird. Dies ist eine Facette aus dem Bereich
des Sports. Sie ist auf andere Bereiche des Sports und

gemeinnützige Organisationen zu übertragen: Betroffen
sind Chorleiter und Dirigenten von Musik- und Gesang-
vereinen, Platzwarte, nebenberufliche Geschäftsstellen-
leiter, Haus- und Nachbarschaftshilfe und viele Bereiche
mehr. Das unsinnige Gesetz von Rotgrün ist – praxis-
fern – in den Köpfen von Ideologen und Bürokraten ge-
reift und im Bewußtsein der Folgen durchgedrückt wor-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit diesem Gesetz kassieren Sie nicht nur bei Sport-

vereinen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung
ab, Sie kassieren nicht nur bei den geringfügig Beschäf-
tigten ab, nein, Sie zerstören gewachsene ehrenamtliche
Strukturen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Konrad Gilges [SPD]: Das Ehrenamt wird doch nicht vergütet!)


Mit diesem Gesetz hat der Bundeskanzler das von die-
sem Pult aus gegebene Versprechen gebrochen, Bela-
stungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht
zu erhöhen. Ziehen Sie Ihr Gesetz sofort zurück!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das sagen Ihnen die Sportvereine seit Monaten.

Ehrenamtliches Engagement bricht weg, wenn die
Vereine nicht mehr in der Lage sind, die zusätzlichen
Kosten aufzubringen, die Rotgrün ihnen aufgebürdet
hat. Geschröpfte Betroffene kündigen, Vereine und ge-
meinnützige Organisationen werden um Entlassungen
nicht herumkommen.

Von 630 DM verbleiben einem Übungsleiter mit
einem Hauptberuf gut 360 DM. Das sind fast 45 Prozent
Abzüge für eine gemeinnützige Tätigkeit, für die eh
schon nur ein geringes Entgelt gezahlt wird. Die Entloh-
nung hat in nicht wenigen Fällen ohnehin nur anerken-
nenden Charakter. Das ist soziale Gerechtigkeit à la
Rotgrün.

Das Zusammenwirken von Ehrenamt und neben-
beruflicher Tätigkeit sichert die Basis des Sports, der
Musik, des Gesangs und vieler anderer Bereiche. Viele
Vereine können sich keine hauptamtlichen Geschäfts-
führer, keine hauptamtlichen Kassierer und keine haupt-
amtlichen Platz- und Jugendwarte leisten. Nein, unsere
Vereine sind auf diese geringfügigen Beschäftigungen
angewiesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404516500
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thön-
nes?


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1404516600
Ja.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1404516700
Herr Kollege, glauben Sie
nicht, daß Sie einen großen Fehler machen, wenn Sie die
Frage der geringfügigen Beschäftigung mit der sehr
wichtigen Aufgabe des Ehrenamtes in der Gesellschaft

Peter Dreßen






(B)



(A) (C)



(D)


derartig miteinander verknüpfen, daß Sie sozusagen von
einem bezahlten Ehrenamt sprechen, was selbst die eh-
renamtlich Tätigen in dieser Gesellschaft nicht wollen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Seien Sie doch so ehrlich und nennen Sie es beim

Namen. Meinen Sie nicht, daß es besser wäre, darüber
zu sprechen, daß bislang eine Aufwandsentschädigung,


(Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])

die auch im Ehrenamt notwendig ist, gezahlt wurde? Sie
fiel auch schon früher unter die Grenze der Gering-
fügigkeit und hat durch die Steuerfreiheit mit einer Pau-
schale in Höhe von 200 DM im Monat auch die notwen-
dige Anerkennung erfahren. Jetzt wäre darüber zu dis-
kutieren, wie man das Ehrenamt fördern kann,


(Beifall bei der SPD und der PDS)

und nicht darüber, wie die Menschen in diesen Ämtern
entlohnt werden. Darum geht es doch!

Ich will noch eine dritte Frage hinzufügen: Bekommt
jemand bei der CDU als Ortsvereinsvorsitzender das Eh-
renamt bezahlt? Das ist doch wahrhaftig nicht der Fall.
Das ist auch bei uns nicht so.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1404516800
Lieber Herr Kollege,
wenn Sie die Geduld gehabt hätten, mir zuzuhören, dann
hätten Sie meinen Ausführungen entnehmen können,
daß sich in der Tat viele Vereine keine hauptamtlichen
Geschäftsführer, keine hauptamtlichen Platzwarte, keine
hauptamtlichen Jugendwarte und keine hauptamtlichen
Geschäftsstellenleiter leisten können.


(Abg. Franz Thönnes [SPD] nimmt wieder Platz)


Aber zur Unterstützung des Ehrenamtes, zum Beispiel
des Kassierers, des Jugendleiters und des Vereinsvorsit-
zenden, ist ein Nebenamt zwingend notwendig, damit
das Ehrenamt überhaupt funktionieren kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404516900
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1404517000
Ich habe die Fragen von
Herrn Thönnes noch nicht beantwortet.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404517100
Entschuldi-
gung. Sie wollen also noch weitere Ausführungen ma-
chen?


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1404517200
Ja.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404517300
Dann beant-
worten Sie in Ruhe zuerst die Fragen von Herrn Thön-
nes. Ich stoppe währenddessen die Zeit. Danach kann
der Kollege Koppelin seine Zwischenfrage stellen.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1404517400
Es ist ungewöhnlich,
daß jemand drei Fragen stellt, sich sofort nach dem er-
sten Satz der Antwort wieder hinsetzt und sich nicht die
Mühe macht, im Stehen die ganze Antwort abzuwarten.

Die Anhebung der Übungsleiterpauschale, die Sie
richtigerweise angesprochen haben und über deren Höhe
wir uns gegebenenfalls verständigen können, kann kein
Ersatz für ein vermurkstes Gesetz sein. Sie schaffen
neue Ungerechtigkeiten gegenüber dem Platzwart, dem
Geschäftsstellenleiter und anderen Funktionsträgern in
den Vereinen, wenn Sie die Übungsleiter besserstellen.
Hier ist ein Gesamtkonzept zur Verbesserung der Ver-
einsförderung notwendig. Ein solches Konzept haben
wir in dieser Woche im Bundestag eingebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich werden in der CDU/CSU die Vorsitzenden

der Gemeinde- und Stadtverbände genausowenig bezahlt
wie bei Ihnen. Aber wenn wir nicht die Möglichkeit
hätten, unsere Geschäftsstellen auch mit geringfügig Be-
schäftigten zu besetzen,


(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

dann hätten es die ehrenamtlichen Kräfte vor Ort noch
schwerer, ihre Arbeit zu erledigen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel [F.D.P.]: Bei der SPD machen das die hauptamtlichen Gewerkschaftssekretäre!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404517500
Bitte sehr,
Herr Kollege Koppelin.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1404517600
Herr Kollege, sind Sie
bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Kollege Thön-
nes, der eben eine Zwischenfrage gestellt hat, in seinem
Wahlkreis nach einem Gespräch mit Vertretern von
Volkshochschulen erklärt hat, daß das Gesetz über die
630-Mark-Jobs dringend geändert werden müsse?


(Lachen bei der CDU/CSU)

Stimmen Sie mir auch darin zu, daß dadurch, daß für
Referenten von Volkshochschulen – eventuell – eine
Änderung des 630-DM-Gesetzes angekündigt wird, die
Reinemachefrau, die die Räume der Volkshochschule
sauber macht, natürlich nicht berücksichtigt wird?


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)



Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1404517700
Herr Kollege, hier kann
ich Ihnen uneingeschränkt zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404517800
Herr Riegert,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fuchs
von der PDS?


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1404517900
Ja.

Franz Thönnes






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1404518000
Herr Kollege Riegert, wir
haben im Sportausschuß über die hier diskutierte Pro-
blematik lange gesprochen. Ich weiß, daß wir auch um
Verbesserungen für die Sportvereine gefochten haben.
Ich gebe Ihnen recht, daß sich nicht alle Sportvereine
hauptamtliche Mitarbeiter leisten können.

Würden Sie meine Auffassung teilen – da es sich hier
um eine gesellschaftspolitisch bedeutende Aufgabe han-
delt –, daß es möglich sein sollte, über eine steuerfreie
Aufwandspauschale für Sportvereine, die es auch in
anderen Bereichen gibt, zu reden? Es gibt nämlich
Übungsleiter, die steuerlich nichts abzusetzen haben.
Man sollte also den Weg einer Pauschale gehen und die-
se Pauschale nicht mit der Frage der 630-DM-
Beschäftigten verknüpfen. Man sollte vielmehr eine
Aufwandsentschädigung, die steuerfrei ist und vielleicht
eine Höhe von 630 DM hat, schaffen, die es auch schon
in anderen Bereichen gibt. Eine solche Aufwandsent-
schädigung sollte nicht nur für Sportvereine, sondern
zum Beispiel auch für Gesangsvereine gelten, die Sie
bereits erwähnt haben. Das wäre doch ein besserer Weg.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1404518100
Frau Kollegin Fuchs,
wir haben der Koalition im Sportausschuß die Chance
gegeben, diesen Weg einzuschlagen, indem wir den An-
trag gestellt haben, Sportvereine und gemeinnützige Or-
ganisationen von der Versicherungspflicht auszuneh-
men. Diese Chance hat die Koalition leider verpaßt.
Deshalb geben wir der Koalition mit unserem heutigen
Antrag eine erneute Chance, dies zu korrigieren.

In der Tat geht es aber bei gemeinnützigen Organisa-
tionen und Vereinen um ganz andere Dinge. Die Punkte,
die im vorhinein in Anhörungen und im Ausschuß dis-
kutiert wurden, wurden – wider besseres Wissen – in
dem schlampigen Gesetz nicht berücksichtigt, das jetzt
durchgezogen wurde. Deshalb sind wir der Meinung,
daß dieses Gesetz zurückgezogen werden muß.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch ein paar Worte zu der unerträglichen

Bürokratie sagen. Es ist keinem Bürger klarzumachen,
warum Vereine und nebenberuflich Tätige Energie für
staatlich verordnete Bürokratie verschwenden sollen:
Beantragung einer Freistellungsbescheinigung, Einho-
lung einer Lohnsteuerkarte bei der zuständigen Behörde,
Eintragung des Datums der Bescheinigung, der Steuer-
nummer und des ausstellenden Finanzamtes sowie des
steuerfrei ausgezahlten Arbeitsentgeltes im Lohnkonto,
Erteilung der Lohnsteuerbescheinigung auf der Frei-
stellungsbescheinigung, Anmeldung bei der Kranken-
kasse. Frau Kollegin Onur, Ihr einfaches Verfahren be-
deutet 20 verschiedene Fallgruppen und 57 steuerliche
Variationen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Das alles muten Sie einem ehrenamtlichen Kassierer,
einem ehrenamtlichen Vereinsvorsitzenden zu, der dies
abwickeln muß.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Keine Sozialdemokratie, sondern Sozialbürokratie!)


Wenn er diese komplizierten Gesetze zu den 630-DM-
Jobs und zur Scheinselbständigkeit nicht richtig anwen-
det, dann gibt es noch einen auf die Mütze. Wir wollen,
daß engagierte Übungsleiter junge Menschen trainieren,
ältere Menschen fit halten oder Behinderte betreuen.
Dies wollen auch die Übungsleiter. Statt dessen gibt es
Behördengänge und Formularkrieg.

Ich habe schon angeführt, daß die Koalition im
Sportausschuß den Antrag unserer Fraktion abgelehnt
hat, Sportvereine und gemeinnützige Organisationen
von der Versicherungspflicht auszunehmen. Sie haben
jetzt die Chance, diesen Fehler zu korrigieren. Nutzen
Sie diese Chance! Die Sportler, die nebenberuflich Täti-
gen, vor allem die ehrenamtlich tätigen Helferinnen und
Helfer werden dies zu schätzen wissen. Es bewahrt Sie
auch vor dem Ruf, Gelder in der Staatskasse seien Ihnen
lieber als millionenfach ehrenamtliches Engagement.
Ziehen Sie Ihr bürokratisches Monstrum zurück!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404518200
Zu einer Kurz-
intervention erhält jetzt der Kollege Thönnes das Wort.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1404518300
Lieber Kollege Jürgen Kop-
pelin, du solltest die Zeitung etwas genauer lesen und
auch etwas hinterfragen und nicht nur an den Wahr-
heitsgehalt der Leserbriefe glauben, die du selbst
schreibst.


(Zustimmung bei der SPD)

Diese Ausführungen, die du eben im Zusammenhang

mit mir angesprochen hast, habe ich nie gemacht, son-
dern ich habe mit den Volkshochschulen über die Aus-
wirkungen des Gesetzes zur Verhinderung von Schein-
selbständigkeit diskutiert. Ich habe ausdrücklich gesagt,
daß es bei dem 630-DM-Gesetz bleibt und daß man,
wenn man ernsthaft über die Förderung des Ehrenam-
tes nachdenken will, dies steuerlich ausgleicht und nicht
den Versuch macht, den die F.D.P. und, wie ich leider
feststellen muß, jetzt auch CDU/CSU machen, das
Ehrenamt in ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis
umzudefinieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das wird den vielen hunderttausend ehrenamtlich täti-
gen und engagierten Menschen in dieser Gesellschaft
nicht gerecht. Sie fragen nämlich nicht in erster Linie
danach „Was bekomme ich dafür?“, sondern „Wie kann
ich etwas für diese Gesellschaft tun?“. Dies ist zu ihrer
Anerkennung zu fördern.


(Beifall bei der SPD)

Im übrigen scheint bei der gesamten Argumentation

unterzugehen, daß hier immer nur für eine Gruppe plä-
diert wird, es aber viele Jugendgruppenleiter gibt, die
überhaupt nichts dafür bekommen. Wir arbeiten gemein-
sam daran – das ist gerade sinnvoll eingeführt worden –,
eine Jugendgruppenleitercard herauszubringen, um Er-
leichterungen im Alltag zum Beispiel bei der Nutzung
von Verkehrsmitteln, zu ermöglichen. Auch sollte es






(B)



(A) (C)



(D)


möglich sein, die in der Jugendarbeit erworbenen sozialen
Kompetenzen im Beruf besser anerkannt zu bekommen.

Aber im Kern geht es darum, daß wirklich endlich
Schluß gemacht wird damit, daß man dort, wo Geld ver-
dient wird, glaubt, man könne dieses Geld an der So-
zialversicherung vorbei verdienen. Wenn in unserer Ver-
fassung steht, daß die Bundesrepublik Deutschland ein
demokratischer und sozialer Rechtsstaat ist, dann muß
man auch sagen: Der Sozialstaat ist nicht zum Nulltarif
zu haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)


Wenn der Redner der CDU/CSU gerade zum Schluß
in seiner Begründung den Vorwurf erhoben hat, hier
fließe Geld in die Staatskasse, dann zeigt das, wie weit
er vom eigentlichen Thema entfernt ist. Hier geht Geld
in die Selbstverwaltung. Hier geht Geld in die selbst-
verwalteten Sozialkassen hinein, die Berufstätigen ein
Stück Schutz im Alltagsleben und im Alter gewährlei-
sten. Diesen Schutz wollen wir auch weiterhin gewähr-
leisten, und wir werden uns durch den Sturm im Was-
serglas, der gegenwärtig von der CDU/CSU und der
F.D.P. inszeniert wird, davon nicht abbringen lassen.
Niemand muß befürchten, daß wir umkippen. Aber wir
werden Sie fordern, wenn es darum geht, das Ehrenamt
zu fördern. Da werden Sie Farbe bekennen müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404518400
Es ist ein bißchen
strittig, ob die angemeldeten Kurzinterventionen statt-
haft sind. Aber zunächst gebe ich Herrn Kollegen Kop-
pelin Gelegenheit, auf Herrn Thönnes zu antworten.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1404518500
Ich mache es auch sehr
kurz, Frau Präsidentin.

Da der Kollege Thönnes mich angesprochen hat,
stelle ich fest: Er will nach seinen eigenen Aussagen im
Bereich der Scheinselbständigen, was gerade Werkver-
träge mit Volkshochschulen angeht – dazu kommen
dann noch die Universitäten und Fachhochschulen, Herr
Kollege Thönnes –, etwas machen, was in Schleswig-
Holstein über 3 000 Jobs betrifft. Er hat zugesagt, in die-
sem Bereich entscheidend etwas zu tun. Das werde ich
mir ansehen; ich erinnere ihn aber daran, daß er in dem
Zeitungsartikel, auf den ich hingewiesen hatte, seine
eigene Bundesregierung auch hinsichtlich der 630-
Mark-Jobs kritisiert. Wenn Sie, Herr Kollege Thönnes,
diesen Artikel nicht mehr haben, stelle ich ihn gern zur
Verfügung. Ansonsten bin ich gern bereit, Ihren Beitrag
heute im Bundestag und natürlich auch meinen den Me-
dien zur Verfügung zu stellen, die über Sie berichtet ha-
ben. Dann werden sich die Bürger ein Bild machen kön-
nen, und dann wollen wir einmal sehen, was die Bürger
dazu sagen. Ich vermute, daß ich den Artikel richtig in-
terpretiert habe.


(Peter Dreßen [SPD]: 2 Prozent für die F.D.P. sagen alles!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404518600
Ich habe gerade ge-
lernt, daß Sie eigentlich gar nicht hätten reden dürfen.
Gleichwohl haben wir alle Sie angehört.

Nun gebe ich Herrn Kollegen Riegert das Wort. Da-
nach wird der Kollege Thomas Dörflinger das Wort zu
seinem Redebeitrag erhalten.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1404518700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In der grundsätzlichen Ein-
schätzung des Ehrenamtes trennt uns nichts. Sie müssen
nur begreifen, daß bei Vereinen, die zum Teil bis zu 150
Übungsleiter haben, die Jugendarbeit in großem Stil ma-
chen und ihre Trainer als Honorarkräfte bezahlen, Ihr
Gesetz die Auswirkung hat, daß der Verein für jeden
Übungsleiter monatlich 110 DM an Sozialabgaben zu
bezahlen hat. Genau dort liegt die Krux. Dieses Geld
muß nämlich der ehrenamtliche Vereinsvorsitzende, der
ehrenamtliche Kassierer, der ehrenamtliche Vorstand bei
Sponsoren und bei staatlichen Institutionen einfordern.
Da er diese zusätzlichen Mittel dort nicht mehr be-
kommt, sind Beitragserhöhungen unumgänglich – Bei-
tragserhöhungen sind das Unsozialste, was da passieren
kann –, um die Mehrkosten Ihrer beiden Gesetze aufzu-
fangen. Gegen diese Form der Beschädigung des Ehren-
amtes habe ich mich deutlich gewandt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404518800
Jetzt hat der Kollege
Thomas Dörflinger das Wort.


Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1404518900
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß Gesetz-
entwürfe der Regierungsparteien mitunter die Haltbar-
keit eines Fruchtjoghurts nur geringfügig überschreiten,
ist man ja mittlerweile gewohnt.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Richtig! Sehr gut!)


Daß aber ausgerechnet diejenigen, die sich selbst auf die
Fahne geschrieben haben, etwas gegen Arbeitslosigkeit
zu tun, statt dessen etwas gegen Arbeitsplätze tun, ist
eine völlig neue Dimension politischen Handelns in
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich vermute, daß

die wenigsten von Ihnen – ich blicke nach links – in
letzter Zeit einmal eine Gaststätte besucht haben; denn
sonst wüßten Sie, daß Hotellerie, Gastronomie und Tou-
rismuswirtschaft durch das von Ihnen beschlossene 630-
Mark-Gesetz vor immensen Problemen stehen. Vermut-
lich gehen Sie deswegen in keine Gaststätten, weil Sie
fürchten, dort auf die Politik Ihrer Regierung angespro-
chen zu werden. Das kann ich nachvollziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Konrad Gilges [SPD]: Wir sind keine Trinker!)


Meine Damen und Herren, wie sieht die Situation in
der Praxis aus? Glauben Sie denn allen Ernstes, daß ein

Franz Thönnes






(A) (C)



(B) (D)


Gastwirt im Bayerischen Wald eine zusätzliche Voll-
zeitkraft beschäftigt, weil er an 52 Wochenenden im
Jahr Besuch von Busgesellschaften aus dem Norden be-
kommt? Oder können Sie dem Gastwirt erklären, wie er
diese zusätzliche Kraft in der Zwischenzeit, wenn gar
keine Arbeit da ist, also von Montag bis Freitag, be-
schäftigen soll? Glauben Sie allen Ernstes, daß eine
Kurverwaltung an der Nordseeküste eine zusätzliche
Kraft beschäftigt, deren einzige Aufgabe darin besteht,
mit einer Reisegruppe an 52 Wochenenden im Jahr eine
geführte Wanderung im Watt zu unternehmen? Oder
glauben Sie allen Ernstes, daß ein kleines Busunterneh-
men im Schwarzwald eine zusätzliche Voll- oder Teil-
zeitkraft beschäftigt, deren einzige Aufgabe wäre, der
erwähnten Reisegruppe an den erwähnten 52 Wochen-
enden den erwähnten Schwarzwald zu zeigen.


(Konrad Gilges [SPD]: Warum soll das nicht so sein?)


Ich habe drei Beispiele genannt, deren Reihe sich belie-
big fortsetzen ließe. Eines zeigt sich: Ihre Regelung der
630-Mark-Jobs ist praxisfern, vernichtet Arbeitsplätze
und bringt lediglich zweierlei, nämlich mehr Bürokratie
und mehr Schwarzarbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Unwahr! Das stimmt doch nicht!)


Wirte in meinem Wahlkreis sagen mir, Sie brauchten
die Aushilfen, könnten aber kein zusätzliches Personal
beschäftigen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann sollen sie sie versichern!)


Wenn die 630-Mark-Regelung so bleibt, wie sie jetzt ist,
dann gibt es eben 500 DM, und zwar schwarz. Das ist
für den Arbeitgeber 240 DM billiger, für den Arbeit-
nehmer 130 DM günstiger. Damit ist allen Beteiligten
– wenigstens diesen zweien – gedient. Das Resultat ist:
Wir haben mehr Schwarzarbeit. Sieht so Ihre revolutio-
näre Beschäftigungspolitik aus?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ihr Gesetz ist ein Sofortprogramm für mehr Schwarzar-
beit. Beredte Experten auf diesem Gebiet heißen Walter
Momper und Karl-Heinz Funke.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404519000
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Onur?


Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1404519100
Ich bitte um Ver-
ständnis, wenn ich angesichts – –


(Leyla Onur [SPD]: Das ist seine erste Rede! Wir nehmen Rücksicht darauf! Wir ziehen das zurück!)


– Danke schön.
Es gibt auch Lernwillige. Ich will das durchaus aner-

kennen. Oswald Metzger hat in der „Frankfurter Rund-
schau“ vom 17. Mai erklärt: Wir haben ein schlechtes
Gesetz gemacht, das eine Einladung zur Schwarzarbeit

darstellt. Er folgert daraus, das Gesetz müsse korrigiert
werden. Es bringt aber nichts, an einem Murks herum-
zudoktern, weil nicht nur die Tourismusbranche, son-
dern auch die Sportvereine, die Universitäten, die
Volkshochschulen und nicht zuletzt auch die Gemeinden
darunter leiden.

Die Konfusion Ihrer Politik zeigt sich auch an anderer
Stelle. In der Antwort auf die Große Anfrage der F.D.P.
zur Wettbewerbssituation der Tourismuswirtschaft – wir
reden noch davon – erklärt die Bundesregierung, sie wolle
die Auswirkungen der 630-Mark-Regelung auf die Tou-
rismusbranche beobachten. Einen Absatz weiter oben fin-
det sich die bemerkenswerte Aussage, Daten über gering-
fügig Beschäftigte in der Tourismuswirtschaft lägen über-
haupt nicht vor. Ich frage Sie: Wie wollen Sie dann die
Auswirkungen überprüfen? Das ist doch Chaos pur. Das
Chaos in Deutschland hat mittlerweile einen oder – wir
wollen gerecht sein – zwei Namen, nämlich Walter Rie-
ster und Gerhard Schröder.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Was steht uns ins Haus? Der Deutsche Hotel- und
Gaststättenverband rechnet mit 200 000 Beschäftigten,
die – wohlgemerkt – aus eigenem Antrieb nicht mehr
weiterarbeiten wollen, weil es sich schlicht und einfach
nicht mehr lohnt. Weiter geht es: Taxigewerbe minus
10 Prozent – die sind schon weg, weitere 30 Prozent
sind auf dem Sprung –; Bäckerhandwerk minus 50 Pro-
zent; Zeitungszusteller minus 35 Prozent.

Die heutige Debatte müßte eigentlich jedem in die-
sem Hause einmal mehr deutlich machen, daß diese
Ausgeburt an Bürokratie, die sich ein Gesetz schimpft,


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

nicht auf den Prüfstand gehört, sondern in den Reißwolf,
und das ganze schnell.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404519200
Herr Kollege
Dörflinger, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bun-
destag. Ich beglückwünsche Sie im Namen des ganzen
Hauses.


(Beifall)

Damit ist die Aussprache beendet.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 14/1005 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ernst Burgbacher, Klaus Haupt, Jürgen Türk,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.
Wettbewerbsbedingungen für die deutsche
Tourismuswirtschaft im Euro-Land
– Drucksachen 14/591, 14/1079 –

Thomas Dörflinger






(B)



(A) (C)



(D)


Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
F.D.P. vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen Ernst
Burgbacher, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1404519300
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Mit dieser Tourismusdebatte
wollen wir eine oft viel zu sehr unterschätzte Branche
ein Stück weit in den Mittelpunkt der Politik rücken.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hätten Sie schon voriges Jahr machen sollen!)


3 Millionen Arbeitsplätze, 8 Prozent Anteil am Brutto-
inlandsprodukt und geschätzt 400 000 potentielle Ar-
beitsplätze in den nächsten zehn Jahren – ich glaube, all
dies spricht für die Zukunft dieser Branche.

Die Branche ist weit mehr als andere von der Einfüh-
rung des Euro betroffen. Die positive Botschaft muß
heute eigentlich heißen: Reisen wird billiger. Das ist
eine gute Botschaft, aber der Wettbewerb wird auch
härter werden. Manche in diesem Hause werden das be-
dauern; wir als Liberale begrüßen das. Wir wollen Wett-
bewerb, weil wir Wettbewerb als Herausforderung und
als Chance für die ganze Tourismusbranche begreifen.

Wie schön und richtig klingt doch das Vorhaben der
Bundesregierung, wie sie es in der Antwort auf unsere
Anfrage beschreibt. Ich zitiere: Sie „will den Tourismus
als Motor der Beschäftigung weiterentwickeln und
durch geeignete Rahmenbedingungen in die Lage ver-
setzen, sich stärker am europäischen, aber auch globalen
Wachstum zu beteiligen“. Wenn aber Bekenntnis und
Handeln so weit auseinanderklaffen wie bei Rotgrün,
dann wird aus Politik ein Stück weit Heuchelei.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das ist eine Methode, die alt ist, sehr alt. In Matt-
häus 23, Kapitel 1 heißt es unter der Überschrift „Gegen
Heuchelei und Verstockung“:

Sie reden nämlich nur und handeln nicht danach.
Wie wahr!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wirtschaftsminister Müller hat auf der ITB einen re-
duzierten Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie ange-
kündigt. Am vergangenen Freitag hat die rotgrüne
Mehrheit einen Vorstoß der baden-württembergischen
Landesregierung im Bundesrat abgelehnt. Sie reden
nämlich nur und handeln nicht danach.


(Beifall bei der F.D.P.)

Der Vorsteuerabzug auf geschäftlich veranlaßte Be-

wirtung und Beherbergung ist abgeschafft worden. Jetzt
soll die steuerliche Abzugsfähigkeit betrieblich beding-
ter Bewirtungskosten gestrichen werden.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Unglaublich!)


Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Ihnen
klar ist, was Sie hier machen. Sie werden Betriebe in
ihrer Existenz gefährden, und zwar gerade die Betriebe,
die am meisten ausbilden. Sie gefährden Ausbildung im
ganzen Bereich. Linkes Neiddenken ersetzt rationale
Politik. Das ist ein Kahlschlag, der die Tourismuswirt-
schaft insgesamt treffen wird.


(Beifall bei der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404519400
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1404519500
Aber sehr gern.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404519600
Bitte sehr, Herr
Kollege.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1404519700
Herr Kollege Burg-
bacher, nachdem wir gehört haben, daß der Bundes-
finanzminister festlegen will, daß die Bewirtungskosten
künftig nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden
können, darf ich Sie fragen: Was halten Sie von meinem
Vorschlag, daß – wenn das abgeschafft wird – dann
auch der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister
zukünftig bei Einladungen die Bewirtung der Gäste aus
eigener Tasche bezahlen?


(Beifall bei der F.D.P.)



Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1404519800
Ich kann nur sagen, daß
ich das für eine sehr gute Idee halte, Herr Kollege Kop-
pelin.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hör mal, wir sind doch nicht im Kasperletheater!)


Ich fahre fort in der Aufzählung, denn wir müssen das
heute einmal zusammenstellen. In der Antwort der Bun-
desregierung finden sich zur Neuregelung der 630-DM-
Jobs keine Kenntnisse über deren Zahl vermerkt. Nega-
tive Folgen und Wettbewerbsnachteile sieht die Bundes-
regierung nicht.

Zur sogenannten Ökosteuer: Belastungen durch die
Ökosteuer lassen sich nicht beziffern. Es gibt keine
Stellungnahme zur DEHOGA-Aussage, daß das Gast-
gewerbe netto mit über 1 Milliarde DM belastet wird.

Sind das die versprochenen „geeigneten Rahmenbe-
dingungen“? Ich sage: Sie reden nämlich nur und han-
deln nicht danach.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben die Bundesregierung nach Wettbewerbs-
vor- oder -nachteilen gegenüber den anderen EU-
Ländern gefragt. Die Antwort heißt lapidar: Solche Vor-
oder Nachteile sind nicht bekannt. In der Praxis aber hö-
re ich von strikten Vorgaben und deren Umsetzung im
deutschen Baurecht, von kosten- und arbeitsintensiven
Auflagen zum Beispiel im Bereich der Hygiene- und
Gesundheitsvorschriften, vom Mangel an Möglichkeiten

Vizepräsidentin Anke Fuchs






(A) (C)



(B) (D)


des flexiblen Arbeitseinsatzes und von der langen Bear-
beitungsdauer bei Baugenehmigungen, vom Laden-
schluß- und Arbeitszeitgesetz und der Wochenendpro-
blematik. All das sind Verschlechterungen und Wettbe-
werbsnachteile. Nichts, aber auch gar nichts, kein Wort
davon findet sich in der Antwort der Bundesregierung.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Traurig, traurig!)

Meine Damen und Herren, vieles wurde in den ver-

gangenen Jahren positiv und im Konsens fertiggebracht,
vieles übrigens mit liberalen Wirtschaftsministern wie
Günter Rexrodt im Bund, Rainer Brüderle, Walter Hir-
che und Walter Döring in den Ländern. Konsens gab es
im Ausschuß und auch im Plenum.

Wir wollen die DZT; sie arbeitet gut. Wir sollten uns
daher über eine bessere Ausstattung der DZT unterhal-
ten, auch über eine mehrjährige Sicherheit, damit Wer-
bekampagnen durchgeführt werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Der Masterplan des Bundesverbandes der deutschen

Tourismuswirtschaft muß im Dialog zwischen Politik
und Tourismuswirtschaft umgesetzt werden. Erhöhung
des Stellenwerts der Dienstleistungen, Gleichgewicht
von Ökonomie und Ökologie, Sicherung der Mobilität
und Entwicklung regionaler Potentiale sind beispielhafte
Handlungsbereiche.

Wir wollen auch, daß die Expo 2000 gerade für die
deutsche Tourismuswirtschaft ein Erfolg wird.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)

Nach vielen Flops sind die Weichenstellungen jetzt ein
Stück weit richtig erfolgt.

Meine Damen und Herren, vieles ist im Konsens ge-
schehen. Aber einen Vorwurf muß ich der Regierung
machen: Günstige Rahmenbedingungen werden im
Augenblick massiv gefährdet. Wir, die Politik, müssen
dafür sorgen, daß die Rahmenbedingungen stimmen.
Dann wird die Tourismuswirtschaft ihre Leistungen
entfalten, und dann – da habe ich überhaupt keine Sor-
ge – wird sie sich im europäischen Wettbewerb be-
haupten.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die F.D.P. fordert deshalb die Bundesregierung auf,

im Interesse des Tourismusstandortes Deutschland ihre
Fehlentscheidungen schleunigst zu revidieren und gün-
stige Rahmenbedingungen zu schaffen, statt sie zu zer-
stören.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die in der Tourismuswirtschaft Beschäftigten und dieje-
nigen, die hier künftig eine Beschäftigung finden könn-
ten, haben mehr verdient als die vorliegende nichtssa-
gende Antwort. In deren Interesse hoffe ich, daß wir in
der nächsten Debatte sagen können: Sie reden nicht nur,
Sie handeln sogar danach.

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404519900
Ich erteile dem
Kollegen Eckhard Ohl, SPD-Fraktion, das Wort.


Eckhard Ohl (SPD):
Rede ID: ID1404520000
Werte Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Abgesehen von meiner
Meinung, daß die Große Anfrage der F.D.P. mit der
Überschrift „Wettbewerbsbedingungen der deutschen
Tourismuswirtschaft im Euro-Land“ die Kriterien einer
Großen Anfrage nur unzureichend erfüllt,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr richtig! – Marita Sehn [F.D.P.]: Na, na!)


weil nur reines Fachwissen abgefragt wird, freue ich
mich als neuer Abgeordneter aus den neuen Bundeslän-
dern besonders, die Beratung dieser Anfrage hinsichtlich
programmatischer Politikorientierung zu bereichern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Grundsätzlich ist die Einführung des Euro für die

deutsche Tourismuswirtschaft positiv zu bewerten,
wenngleich hinsichtlich der Wettbewerbsbedingungen
noch abzubauende regionale Unterschiede bestehen. Der
Euro selbst präsentiert sich momentan nicht wie bei sei-
nem von Euphorie geprägten Start. Aber ihn in seinen
Kinderschuhen bewußt schwachzureden ist wider besse-
res Wissen ganz sicher das falsche nationale Signal.


(Beifall bei der SPD)

Der momentan starke Dollar auf der Grundlage einer

zweifelsohne florierenden US-Wirtschaft erlebte in den
vergangenen Jahrzehnten gleichfalls viele Höhen und
Tiefen dieser Art. Nicht die seit September andauernde,
zum großen Teil ironische, hämische und unsachliche
Kritik, sondern die gemeinsame Verantwortung für die
Erzeugung einer breiten gesellschaftlichen Bereitschaft
zur Annahme der Herausforderung eines neuen Jahrtau-
sends schafft ein vereintes Europa mit einer stabilen
Währung. Davon wird auch die Tourismusbranche be-
sonders in den neuen Bundesländern profitieren, wo das
Erblühen der Tourismuswirtschaft sehnsüchtig erwartet,
aber auch im Prozeß des Aufbaus neuer wirtschaftlicher
Strukturen erarbeitet wird.

Ausgewiesene Fachleute wie der künftige Präsident
der Bundeszentralbank, Ernst Welteke, stärken dem
Euro durch ihren Optimismus den Rücken. Die Einfüh-
rung des Euro war und ist positiv zu bewerten. Ich
schließe mich hier der Meinung der Bundesregierung an.


(Beifall bei der SPD)

Die Einführung des Euro ist dementsprechend auch

für die deutsche Tourismuswirtschaft nützlich und vor-
teilhaft. Der Euro hat keine Schwächen gezeigt. Was
seine Preisstabilität betrifft, zeigt er keinerlei inflationä-
re Tendenzen. Er sorgt im Wettbewerb und so auch im
Tourismus als einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für
größere Preistransparenz.

Wenn Sie heute durch die momentan elf Euro-Staaten
reisen und in jedem Land beispielsweise 100 DM tau-
schen würden, hätten Sie am Ende von der Gesamtsum-
me des getauschten Geldes allein die Hälfte davon für
Gebühren ausgegeben. Das aber ändert sich mit der Ein-

Ernst Burgbacher






(B)



(A) (C)



(D)


führung des Euro als Zahlungsmittel im Jahre 2002.
Umtauschgebühren entfallen. Das kommt Millionen von
Touristen zugute, die ihren Urlaub in einem Euro-Staat
verbringen – somit auch Deutschland in der Hoffnung,
daß uns mehr ausländische Gäste besuchen. Schon jetzt
entfallen in den Euro-Staaten wettbewerbsverzerrende
Wechselkursschwankungen, was unserem Tourismus
bereits aktuell hilft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Von der politischen Verantwortung, Chancengleich-
heit zu garantieren, um den Wettbewerb in der Touris-
musbranche auch in den neuen Bundesländern anneh-
men zu können, um nicht nur national, sondern auch in
Europa zu bestehen – von der EU-Osterweiterung als
neuer Herausforderung gar nicht zu sprechen –, steht in
Ihrer Anfrage, meine sehr verehrten Damen und Herren
der F.D.P., kein Wort.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: In der Antwort steht nichts!)


Sie kehren die besondere Situation der neuen Bundes-
länder vollkommen unter den Tisch.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Heidemarie Lüth [PDS])


Ich finde es bedauerlich, diesen Punkt nicht vorzufin-
den, und bin froh, daß die aktuelle Politik der neuen
Bundesregierung dies anders sieht, praktiziert, erkennt
und berücksichtigt. Trotz aller Probleme ist die Touris-
muswirtschaft in den neuen Bundesländern ein Hoff-
nungsträger. Wenn Preistransparenz in Europa allge-
mein zu einem verstärkten Wettbewerb führt – worin ich
Ihnen recht gebe –, träfe das die neuen Länder ohne die
Chance der weiteren Angleichung besonders hart.

Touristische Hauptattraktionen in den neuen Ländern
wie Thüringer Wald, Harz, Eichsfeld, Ostsee, Ucker-
mark, Altmark oder Erzgebirge sind im Kommen. Städte
wie Sondershausen, Bad Langensalza, Mühlhausen,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eisenach oder die Kleinstadt Schlotheim im Umkreis
meines Thüringer Wahlkreises haben in den zurücklie-
genden Jahren Hervorragendes zur touristischen Ver-
marktung geleistet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber insgesamt konnten trotz aller Anstrengungen An-
ziehungskraft und Vermarktung noch nicht den Stand er-
reichen wie in gleichgelagerten Regionen in den alten
Bundesländern. Um ein Drittel müßte die Tourismus-
wirtschaft zunehmen, um mit dortigen Standards gleich-
zuziehen. Noch deutlicher: Dieses Drittel würde zirka
100 000 Arbeitsplätzen entsprechen.

Der hohen touristischen Attraktivität der neuen Bun-
desländer stand 1990 ein großer infrastruktureller Nach-
holbedarf gegenüber, der trotz guter Förderbedingungen
auch einen hohen Anteil Fremdfinanzierung bei Hoch-
zinsniveau notwendig machte, was sich heute im preis-
lichen Angebot zum Teil negativ niederschlägt. Diese

Umstände, gepaart mit noch zu geringer Auslastung
– was wiederum Mehreinnahmen verhindert –, werden
von steuerlichen Vorteilen und niedrigen Personalkosten
nicht kompensiert. Diese große Risikobereitschaft des
privaten Sektors braucht die finanzielle Begleitung der
öffentlichen Hand noch über Jahre. Aber genau hier
setzt die Stunde der Wahrheit ein: Staatliche Verant-
wortung und Begleitung und gerechtere Kostenvertei-
lung in besonderen Situationen sind Ihnen ein Dorn im
Auge. Zur Ehre gereicht Ihnen, daß Sie keinen Hehl dar-
aus machen.

Ein Beispiel zum Thema Ökosteuer: Am vergange-
nen Sonntag wurde gegen mich Wahlkampf gemacht mit
der Parole „In unserer Stadt im März Benzinpreis 1,48
DM, heute 1,67 DM – wollten Sie das?“. 1,48 DM plus
6 Pfennige sind für mich 1,54 DM. Wer kassiert unter
dem Deckmantel der Ökosteuer die restlichen 13 Pfen-
nige, so frage ich Sie. Ich beziehe mich dabei auf den
von jedem zu beobachtenden bundesweiten Trend.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heidemarie Lüth [PDS])


Diese Beispiele könnte ich fortsetzen – besonders aus
Sicht der Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundeslän-
der –, über die von Ihnen mit geschaffenen Rahmenbe-
dingungen der letzten Jahre bis hin zur Gebühren- und
Beitragsentwicklung, besonders in den neuen Ländern.
Unter gerechter Lastenverteilung verstehen Sie Steuer-
entlastung bei gleichzeitiger Erhöhung der Förderung
für das Großkapital. Sie vergehen sich dabei am Arbeit-
nehmer und am Mittelstand, selbstverständlich beson-
ders am Dienstleistungsgewerbe und somit an der Tou-
rismuswirtschaft. 1999, mitten in einem bisher nicht ge-
kannten Globalisierungsprozeß des Großkapitals bei zu-
nehmender Verabschiedung dieser Schicht von den na-
tionalen Problemen – dies geschieht weltweit –, täu-
schen Sie auf einmal Interesse für die kleinen Leute und
den Mittelstand vor. Erkennen Sie diese Schieflage, wo
wir einen mühsamen Reparaturprozeß begonnen haben!
Damit leisten Sie einen großen Beitrag auch für die Wett-
bewerbsfähigkeit der Tourismuswirtschaft in Europa.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Verabschiedung der Agenda 2000 unter der
Ratspräsidentschaft Deutschlands mit dem Ergebnis der
Eingliederung der neuen Länder in die Ziel-1-Förderung
war deshalb von größter Bedeutung für die Wettbe-
werbsfähigkeit der Tourismuswirtschaft. Dorferneue-
rung, Stadtsanierung und Ausbau der Versorgungs-
systeme sind für die nächsten Jahre gesichert und schaf-
fen die Voraussetzungen für die Teilnahme an einem
fairen Wettbewerb. Beseitigung verworrener Organisati-
onsstrukturen und falschen Konkurrenzdenkens sind
Hausaufgaben, die selbstverständlich regional erledigt
werden müssen.


(Beifall bei der SPD)

Erfreulich und hilfreich ist die neue Schwerpunktset-

zung der Förderung der Inlandsvermarktung durch die
neue Bundesregierung. Zugegebenermaßen gibt es auch

Eckhard Ohl






(A) (C)



(B) (D)


Negativbeispiele der Förderpolitik der letzten Jahre, bei-
spielsweise die Spaßbad-Entwicklung in Thüringen, durch
die wertvolles Geld nicht flächendeckend wirksam wird.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Grundlagen für faire Wettbewerbsbedingungen der
Tourismuswirtschaft im Euro-Land sind mehr als ein-
seitige Rahmenbedingungen für einen beispiellosen
Globalisierungsprozeß oder die Einführung einer ein-
heitlichen Währung oder eine überschnelle, unbedachte
Osterweiterung nur deshalb, um einen Absatzmarkt für
80 Millionen Menschen zu bekommen. Ohne die Ver-
antwortung für die daraus entstehenden Probleme für
uns und die Menschen der beitrittswilligen Länder zu
bedenken, würde dieser Weg in eine Sackgasse führen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404520100
Herr Kollege, den-
ken Sie an Ihre Zeit!


Eckhard Ohl (SPD):
Rede ID: ID1404520200
Annäherung der Steuersysteme,
Tarif- und Solidarsysteme stellt eine Herausforderung
für eine erfolgreiche europäische Politik dar. Dafür wa-
ren trotz aller Unkenrufe noch nie so deutliche Zeichen
erkennbar wie unter der neuen Bundesregierung. Große
und Kleine Anfragen ohne das Ziel programmatischen
Politikwettstreits erfüllen nicht den Anspruch unserer
Bürger, die Politik als gerechten Regulator zwischen
Klassen und Schichten zu sehen und somit für faire
Wettbewerbsbedingungen zu sorgen.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404520300
Herr Kollege Ohl,
das war die erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich
gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses.


(Beifall)

Nun hat das Wort der Kollege Klaus Brähmig,

CDU/CSU-Fraktion.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1404520400
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Die heutige Diskussion über
die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage
der F.D.P.-Fraktion zum Thema „Wettbewerbsbedin-
gungen für die deutsche Tourismuswirtschaft im Euro-
Land“ gibt dem Parlament zum ersten Mal in dieser Le-
gislaturperiode die Möglichkeit zu einer Generaldebatte
über die Tourismus- und damit natürlich auch über die
Mittelstandspolitik der Bundesregierung.

Einleitend schließe ich mich der Meinung meines
Kollegen Burgbacher an, der in einer Pressemitteilung
vom 27. Mai sinngemäß äußerte, die vorliegende Ant-
wort der rotgrünen Bundesregierung sei ein Zeugnis
mangelnder Branchenkenntnis. Leider äußert sich diese
mangelnde Branchenkenntnis nicht nur in der Theorie,
sondern auch in der Praxis. Kaum ein Wirtschaftssektor
hat eine solche Verschlechterung seiner Wettbewerbs-

situation durch die bisherigen politischen Entscheidun-
gen der rotgrünen Bundesregierung verkraften müssen
wie die Tourismusbranche.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ausdrücklich zu erwähnen sind hier das 630-DM-
Gesetz, die Ökosteuer und das Jahressteuergesetz.

Gleichzeitig weist Bundeswirtschaftsminister Werner
Müller auf einer internationalen Konferenz privater Wirt-
schaftsunternehmen in Dresden auf die großen – aber bis-
her ungenutzten – Potentiale für neue Arbeitsplätze im
Bereich Tourismus hin. Dies ist nicht nur widersprüch-
lich, sondern auch peinlich. Wir hoffen, daß wir nächste
Woche im Ausschuß mit Wirtschaftsminister Müller
Licht ins Dunkel des Tunnels bringen werden.

Meine Damen und Herren, der Bürger hat bei den
Europa- und Kommunalwahlen ein deutliches Zei-
chen gesetzt. Er ist nicht mehr bereit, die wachsende
Differenz zwischen rotgrünem Reform- und Modernisie-
rungsanspruch und der kläglichen Regierungswirklich-
keit zu akzeptieren. Die im Wahlkampf von Kanzler
Schröder umworbene Neue Mitte wendet sich angewi-
dert von der neuen Bundesregierung ab. Ein Beispiel ist
hier die DEHOGA-Demonstration vor wenigen Tagen
auf dem Münsterplatz. Dies mußte Kollegin Ulla
Schmidt ja vor zirka 5 000 Teilnehmern erfahren, als
man sich bei ihrer Rede tatsächlich abwendete.


(Brunhilde Irber [SPD]: 2 000 waren es, und 100 000 waren angekündigt!)


Angesichts dieser falschen und fatalen Wirtschafts-
politik haben die Tourismuspolitiker der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion bereits Ende Februar 1999 die Not-
bremse gezogen und ein „12-Punkte-Sofortprogramm
zur Sicherung und zum Ausbau des Tourismusstandorts
Deutschland“ verabschiedet. Dieses Papier ist von den
Fachverbänden mit großem Interesse aufgenommen
worden und stellt einen Kompaß für die Verbesserung
der Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen der
Tourismusbranche dar.

Angesichts der Kürze der Redezeit erlaube ich mir,
nur auf fünf Einzelmaßnahmen von besonderer Bedeu-
tung einzugehen.

Erstens. Das mittelstandsfeindliche Gesetz zur Neu-
regelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse
der rotgrünen Regierung muß zurückgenommen werden.
Gerade im Bereich des Hotel- und Gaststättenwesens
sind viele Unternehmen in der Saison oder in Kapazi-
tätsspitzen auf Beschäftigte aus dem Bereich der gering-
fügigen Beschäftigung existentiell angewiesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Stellen Sie sich nur im nächsten Jahr einmal die EXPO
vor, wo wir 20 Millionen Gäste und 40 Millionen Besu-
cher dieses Geländes erwarten und natürlich auch die
Gastronomie ein wichtiger Faktor ist, und das mit dem
jetzigen Gesetz! Ich denke, das ist ein unvorstellbarer
Zustand. Die mangelnde Flexibilität auf dem deutschen
Arbeitsmarkt darf nicht durch staatliche Eingriffe noch
weiter zementiert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eckhard Ohl






(B)



(A) (C)



(D)


Zweitens. Die sogenannte ökologische Steuerre-
form, die nachhaltig zur Mehrbelastung und Wettbe-
werbsbenachteiligung der deutschen Tourismus- und
Verkehrswirtschaft geführt hat, muß zurückgenommen
werden. Neben der Verteuerung von Strom und Kraft-
stoffen für die Anbieter touristischer Leistungen, die der
Kunde zu tragen hat, wird die Kaufkraft des Kunden
auch noch durch die erhöhten Anfahrts- und Transport-
kosten verringert. Die Kostenbelastung der Betriebe
liegt deutlich über der Entlastung durch die Senkung der
Lohnnebenkosten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Viele kleine, als Familienbetriebe geführte Unter-

nehmen profitieren nicht einmal von der Senkung der
Lohnnebenkosten.

Drittens. Die Abschaffung des Vorsteuerabzugs bei
Geschäftsessen und -reisen im Jahressteuergesetz, die
zu einer nachhaltigen Wettbewerbsverzerrung für die
Tourismusbranche geführt hat, muß zurückgenommen
werden. Weiterhin darf der angebliche Plan des Bundes-
finanzministers, wonach Bewirtungsspesen nicht mehr
steuerabzugsfähig sein sollen, gar nicht erst in die Rea-
lität umgesetzt werden. Dieser Vorschlag ist ein An-
schlag auf die Existenz vieler mittelständischer Unter-
nehmen im Hotel- und Gaststättengewerbe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Finanzminister Eichel: Hände weg vom Mittel-

stand, der Dienstleistungs- und Tourismusbranche, im
Rahmen Ihres Sparprogramms!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Viertens. Die Bundesregierung wird aufgefordert,

sich für eine Erhöhung der finanziellen Mittel für die
Marketingarbeit der Deutschen Zentrale für Touris-
mus einzusetzen, um den Tourismusstandort Deutsch-
land national und international noch effizienter zu ver-
markten und einen Beitrag zur Senkung des ständig
wachsenden Defizits in der deutschen Reiseverkehrsbi-
lanz von gegenwärtig über 50 Milliarden DM zu leisten.
Der DZT steht dieses Haushaltsjahr ein Budget von
55 Millionen DM für ihre Auslandsmarketingarbeit zur
Verfügung. Von diesem Betrag fließen wegen der hohen
infrastrukturellen Fixkosten nur rund 15 Millionen DM
in die operative Marketingarbeit. Im Vergleich dazu in-
vestiert unser europäischer Nachbar Schweiz umgerech-
net 63 Millionen DM in das Auslandsmarketing, wozu
die eidgenössische Bundesregierung 41 Millionen DM
beisteuert. Irland investiert 114 Millionen DM ins Mar-
keting – letztendlich mit Erfolg.

Fünftens. Nachdem sich die Bundesregierung trotz
der deutschen Ratspräsidentschaft auf keine Beibehal-
tung des innergemeinschaftlichen Duty-Free-Handels
mit den europäischen Partnern einigen konnte, werden
allein in Deutschland schätzungsweise 10 000 Arbeits-
plätze ersatzlos wegfallen, davon 5 700 in struktur-
schwachen Regionen der norddeutschen Küstenländer.
Daher rufen wir die Bundesregierung auf, eine sechs-
monatige Übergangsfrist für den Duty-Free-Handel zu
erwirken. Die gewonnene Zeit sollte von der Bundesre-
gierung gemeinsam mit den Ländern genutzt werden,

geeignete Fördermaßnahmen durch EU und Bund für die
betroffenen deutschen Ferienregionen zu koordinieren
und parallel dazu entsprechende finanzielle Mittel zur
Verfügung zu stellen.

Im großen und ganzen decken sich unsere Forderun-
gen mit dem Entschließungsantrag der F.D.P. Unsere
Zustimmung, lieber Herr Burgbacher, können wir dem
Entschließungsantrag dennoch nicht erteilen, da wir
einen völligen Wegfall der Trinkgeldbesteuerung aus
rechtlichen Bedenken ablehnen.

Die rotgrüne Bundesregierung ist mit dem Wahl-
kampfversprechen angetreten, die hohe Arbeitslosigkeit
massiv zurückzuführen. Der Erfolg kann aber nur dann
eintreten, wenn personalintensive Bereiche, wie bei-
spielsweise die Tourismusbranche, entsprechende Wett-
bewerbsbedingungen vorfinden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Re-
gierungskoalition: Lernen Sie aus den Wahlergebnissen
des letzten Wochenendes! Ein radikaler Neuansatz in
Ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik ist dringend geboten.

Unser Wunsch ist eindeutig: Entlasten Sie den Mittel-
stand und die deutschen Arbeitgeber von staatlicher Be-
vormundung und finanzieller Belastung! Sie werden es
unserer Gesellschaft mit der Sicherung und Schaffung
neuer Arbeitsplätze und Lehrstellen entlohnen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404520500
Ich erteile das Wort
der Kollegin Rosel Neuhäuser, PDS-Fraktion.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1404520600
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich möchte kurz auf den Antrag der
F.D.P.-Fraktion eingehen und danach die Zeit nutzen,
um einige Vorstellungen der PDS-Fraktion zu äußern,
wie sie sich die Tourismusentwicklung in der Europäi-
schen Union vorstellt.

Eine Forderung in dem Antrag der F.D.P. befaßt sich
mit der Einführung eines verminderten Mehrwertsteuer-
satzes für die deutsche Hotellerie. Eine Wende in dieser
Politik und eine Harmonisierung der Steuern in der
Europäischen Union ist für die nächste Zeit aus meiner
Sicht sicher ein wichtiges Thema, bei dem es sichtbare
Fortschritte geben muß. Wenn aber Markt und kapita-
listische Konkurrenz – Sie sprechen in Ihrem Antrag
allerdings von „verschärftem Wettbewerb“ – für alle Be-
reiche des gesellschaftlichen Lebens in Europa das ent-
scheidende Gestaltungsprinzip sein sollen, dann können
Sie doch nicht, wenn dieser Markt versagt, einseitig
nach einer staatlichen Lösung rufen. Sie von der F.D.P.-
Fraktion hätten übrigens während Ihrer Regierungszeit
Gelegenheit gehabt, diese Bedingungen zu ändern. Ich
möchte Sie auf die Richtlinien der Europäischen Wirt-
schaftsgemeinschaft vom Juli 1994 hinweisen, in denen
in Abschnitt IX, Artikel 12 Anhang H Punkt 11 Rege-
lungsmöglichkeiten gegeben waren.

Sie wissen sicherlich genausogut wie ich, daß auf-
grund der bisherigen Steuervergünstigungen in den

Klaus Brähmig






(A) (C)



(B) (D)


letzten Jahren Hotels und Pensionen, besonders in den
neuen Bundesländern, wie Pilze aus dem Boden ge-
schossen sind.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404520700
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Burg-
bacher?


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1404520800
Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404520900
Bitte sehr, Herr
Kollege.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1404521000
Frau Kollegin Neuhäu-
ser, würden Sie mir zustimmen, daß – so steht es auch in
unserem Antrag – jetzt die Notwendigkeit besteht, zu
einigermaßen vergleichbaren Steuersätzen, was die
Mehrwertsteuer betrifft, zu kommen? Denn wir haben
seit dem 1. Januar dieses Jahres den Euro, und der Euro
verändert den Wettbewerb fundamental, weil die Men-
schen jetzt Preise vergleichen können. Da die Preise
jetzt vergleichbar sind, macht es bei einem Nettopreis
von 100 Euro einen Unterschied, wenn ich in Deutsch-
land 116 Euro und in Frankreich 105,50 Euro bezahle.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1404521100
Ich kann Ihnen prinzipiell
zustimmen. Deswegen habe ich vorhin gesagt, daß eine
Gesamtharmonisierung des Steuerwesens im europäi-
schen Rahmen notwendig ist. Es geht nicht nur um die-
sen Punkt allein.

Es wäre sicherlich wichtig zu prüfen, ob Ihr Antrag
genau die Lobby bedient, die die günstigen Investitions-
und Abschreibungsmöglichkeiten genutzt hat, ohne zu-
vor den tatsächlichen Bedarf ermittelt zu haben. Sie
wollen mit Ihren Forderungen neue Steuergeschenke für
die Wirtschaft und benutzen die Schaffung von Arbeits-
plätzen als Alibi für Ihren Antrag.

Ich möchte nun einige Gesichtspunkte meiner Frak-
tion zur Zukunft des Tourismus in Deutschland in
einem vereinten Europa aufzeigen.

Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten hat die Tou-
rismusbranche ein sehr gutes Image, weil sie mit fest
programmierten Wachstumsraten gehandelt wird und so
die Gewähr für die Sicherung von Arbeitsplätzen bietet.
Derzeit beschäftigt die Tourismusbranche bundesweit
– das hat Herr Burgbacher vorhin schon dargelegt – fast
3 Millionen Menschen. Mit nahezu 70 000 Ausbil-
dungsplätzen und einem Frauenanteil von zirka 60 Pro-
zent erfüllt sie darüber hinaus eine wichtige soziale
Funktion.

Für mich und meine Fraktion steht auch unter markt-
wirtschaftlichen Bedingungen der Mensch im Mittel-
punkt aller Aktivitäten, in diesem Falle der touristischen
Aktivitäten, ob als Reisender, Beschäftigter, Auszubil-
dender oder auch als Gastgeber, wobei zu den Gastge-
bern für uns nicht nur die Hoteliers und Pensionsbesitzer
zählen, sondern auch und vor allem die Bevölkerung
und die regionalen Tourismusinstitutionen, die in mühe-
voller ehrenamtlicher Arbeit regionaltypische Besonder-

heiten nutzen, um aus ihnen heraus Angebote für die
große Bandbreite der Zielgruppen zu entwickeln.

Sie alle gehören für uns, wenn es um neue konzeptio-
nelle Überlegungen der deutschen Tourismuswirtschaft
in einem vereinten Europa geht, in die Beratungen um
eine neue Produktgestaltung und auch Produktentwick-
lung, in die Beratungen um ein stimmiges Preis-
Leistungs-Konzept und in die Beratungen um eine neue
Zielgruppenarbeit. Des weiteren muß es uns gelingen,
daß dafür die Tourismusbranche und die Politik auf
Bundes-, Landes- und Kommunalebene eine weitere
Verbesserung der Rahmenbedingungen erwirken.

Wichtige Rahmenbedingungen sind für uns – si-
cherlich gehen wir da, was die Forderungen der F.D.P.
betrifft, inhaltlich ein Stückchen auseinander –: der
weitere Ausbau der Tourismusbranche als Dienstlei-
stungsunternehmen, attraktivere Arbeitsbedingungen für
die dort Beschäftigten, die Frage der Entlohnung und
damit die Regelungen im Umgang mit geringfügigen
Beschäftigungsverhältnissen – das hat vor allem die
vorhin geführte Debatte gezeigt –, flexiblere Arbeits-
zeiten, der vorbeugende Arbeitsschutz, die Modernisie-
rung der touristischen Infrastruktur. Dazu gehören auch
Umgestaltungsprogramme zur Entwicklung eines nach-
haltigen Tourismus, kinder-, jugend- und familien-
freundliche Urlaubsangebote und Angebote für barriere-
freies Reisen.

Werte Damen und Herren, in diesem Zusammenhang
sei mir gestattet, auf ein Problem der neuen Bundeslän-
der hinzuweisen. Die Touristikinformationen, Fremden-
verkehrsämter, Tourismusverbände und weitere touristi-
sche Institutionen, die ich hier nicht weiter aufzählen
will, sind in den neuen Bundesländern zu mehr als
50 Prozent mit ABM-Kräften besetzt, etwas, was in den
alten Bundesländern undenkbar ist. Eine ABM-Kraft in
diesem Bereich ist da die Ausnahme. Arbeitsbeschaf-
fungsmaßnahmen können auf Dauer keine Lösung für
die Tourismusbranche sein. Dort, wo Erlebnistourismus
und eine nachhaltige Entwicklung des Tourismus ange-
strebt werden, sind Qualität und Kontinuität in der Be-
schäftigung der eingearbeiteten und ausgebildeten Per-
sonen dringend geboten. Im Rahmen einer Reform der
Kommunalfinanzen muß hier die notwendige finanzielle
Sicherheit der Kommunen und Landkreise gewährleistet
werden. Das Initiieren zeitweiliger, mehrjähriger ge-
meinsamer Fonds kommunaler Verwaltungen und tou-
rismusrelevanter bzw. tourismusfördernder Zweige der
Wirtschaft, des Gewerbes und der Dienstleistungen in
den neuen Ländern zur Überwindung der unbefriedigen-
den ABM-Lösungen ist ein weiteres Problem, das unbe-
dingt gelöst werden muß, um Provisorien auch in den
neuen Bundesländern schrittweise zu überwinden.

Vertreter der Fachwelt, insbesondere der Wissen-
schaft, warnen vor zu großer Euphorie. Der aktuelle
Aufwärtstrend ist erfreulich. Er berechtigt aber nicht zu
eindeutigen Rückschlüssen auf die Perspektive des Tou-
rismus insgesamt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Rosel Neuhäuser






(B)



(A) (C)



(D)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404521200
Ich erteile nun das
Wort der Kollegin Sylvia Voß, Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404521300
Werte
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 29 Jahre
lang hatte die F.D.P. Zeit, die Wettbewerbsbedingungen
für die deutsche Tourismuswirtschaft zu verbessern.
Man fragt sich doch, von welchem Sachverstand diese
Bemühungen getragen waren, wenn sich die F.D.P.-
Fraktion jetzt, acht Monate nach dem Gang in die Oppo-
sition, von der rotgrünen Bundesregierung über steuer-
liche, arbeitsrechtliche, bauwirtschaftliche, seuchen-
hygienische Wettbewerbsvor- und -nachteile der deut-
schen Tourismuswirtschaft informieren läßt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit der Einführung des Euro – die F.D.P. möchte ja
heute über die „Tourismuswirtschaft im Euro-Land“ de-
battieren – hat sich die Wettbewerbssituation der euro-
päischen und damit der deutschen Tourismuswirtschaft
verbessert. Wirtschaft und Konsumentinnen und Kon-
sumenten profitieren gleichermaßen davon bzw. werden
zukünftig davon profitieren: erstens davon, daß die
Fremdwährungskosten – immerhin bis zu 5 Prozent
der Reisekosten – grenzüberschreitende Wechsel und
Überweisungsvorgänge und für die Absicherung von
Wechselkurs- und Zinsrisiken entfallen. Diese Kosten
entstehen bisher hauptsächlich dadurch, daß die Touri-
stikunternehmen ihre Reisekapazitäten bereits ein bis
eineinhalb Jahre im voraus buchen und die Währungen
absichern müssen. Zweitens profitieren sie davon, daß
die Differenzen zwischen An- und Verkaufskursen der
benötigten Devisen nicht mehr anfallen, drittens davon,
daß Reisende, die oft mehrere Länder pro Urlaub besu-
chen, von den anfallenden Unannehmlichkeiten des De-
visenumtauschs und von Wechselgebühren befreit sind,
wenn auch in Gänze erst ab Januar 2002. Das Reisen in
Europa wird einfacher, und dies kommt letztlich Urlau-
berinnen und Urlaubern und Anbietern gleichermaßen
zugute. Sie profitieren viertens davon, daß die Euro-
Zone zusätzlich Investoren aus dem Nicht-Euro-Raum
anlockt, daß sie sich inzwischen zur weltweit führenden
Tourismusregion entwickelt,


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Die Grünen waren doch gegen den Euro!)


empfängt doch „Euro-Land“, wie Sie es nennen, schon
heute jährlich rund 90 Millionen Besucher von außer-
halb und damit fast doppelt so viele Gäste wie die USA.

Die mit dem Euro gegebene Möglichkeit zu einer
vergleichenden Reiseentscheidung wird nur langsam ge-
nutzt werden. Laut Forschungsgemeinschaft Urlaub und
Reisen läßt die Euro-Einführung die deutschen Urlauber
derzeit ganz und gar kalt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was?)

Nur 7 Prozent aller Deutschen glauben nämlich, daß die
Möglichkeit, Preise innerhalb Europas besser zu verglei-
chen, ihr Urlaubsverhalten beeinflussen wird. 77 Prozent
sind der Meinung, daß diese neue Währung bei ihren
Reiseplanungen keine Rolle spielen wird.

Noch eine Anmerkung zum derzeit beliebten Ka-
puttreden des Euro. Es ist unverantwortlich und es
schwächt das Vertrauen in die gemeinsame europäische
Währung, das in der deutschen Bevölkerung schließlich
erst während der vergangenen Monate ziemlich langsam
und immerhin parteiübergreifend aufgebaut werden
konnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der aktuelle Wechselkurs des Euro gegenüber dem
US-Dollar ist nichts so Außergewöhnliches, wie es
mancher Parteipolitiker hier glauben machen will, und
kann daher mit Gelassenheit betrachtet werden.

Claus Köhler, Ex-Direktoriumsmitglied der Deut-
schen Bundesbank, hat es klar ausgesprochen: Wie der
Euro war auch die deutsche Währung nach innen äußerst
stabil, schwankte aber nach außen stark. – Der Europäi-
sche Rat hat beschlossen, den Euro frei schwanken zu
lassen, und frei schwankende Währungen – wen wun-
dert's? – schwanken halt auch. Immer wieder kommt es
zu beachtlichen Kurssteigerungen und Kurssenkungen.
Die älteren Auslandsurlauber unter Ihnen werden sich
vielleicht noch entsinnen, daß sie 1985 auf den USA-
Trip verzichteten, als 3,47 DM für den Dollar zu zahlen
waren. Im April 1995, zehn Jahre später, bekam man
den Dollar dagegen für schlappe 1,42 DM. Tja, liebe
Kolleginnen und Kollegen, so ging es schon immer auf
und ab mit unserer schönen deutschen Mark. Wer beim
jetzigen Euro-Kurs das Flattern bekommt, sollte sich bei
den Deutsche-Bundesbank-Senioren therapieren lassen,
statt Unruhe zu stiften.


(Beifall bei der PDS und der SPD – Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Wer bekommt denn das Flattern? Worüber reden Sie denn, Frau Voß?)


Da die direkte Vergleichbarkeit der Preise in den
Euro-Ländern mittel- bis langfristig den Konkurrenz-
druck in der Tourismusbranche erhöhen wird – das
sollten die Damen und Herren der Marktliberalen aber
nicht beklagen, sondern freudig begrüßen –, setzen sich
Bündnis 90/Die Grünen für faire europäische Wettbe-
werbsbedingungen und die Stärkung des Tourismus-
standortes Deutschland ein.

Stellen wir uns doch einmal vor, CDU/CSU und
F.D.P. hätten die Wahl 1998 gewonnen.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Das wäre schön!)

– Das kann ich mir vorstellen. – Was wäre denn touris-
muspolitisch geschehen bzw. nicht geschehen?

Erstens. Die Zuschüsse für die DZT, jetzt immerhin
aufgestockt, wären trotz des sicherlich heroischen Wi-
derstandes eines einzelnen CDU-Abgeordneten so wie
geplant gekürzt worden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was? Das nehmen Sie sofort zurück!)


Zweitens. Der gastgewerbliche Mehrwertsteuersatz
bliebe, wie er ist. Die Begründung wäre die, die der da-
malige Parlamentarische Staatssekretär Hansgeorg Hau-
ser, CDU/CSU, 1997 gab:






(A) (C)



(B) (D)


Die Umsatzsteuer ist bei den in Rede stehenden
Umsätzen nur einer von vielen preisbestimmenden
Faktoren und dürfte nicht für die Entscheidung aus-
schlaggebend sein, ob ein Urlaub zum Beispiel in
Spanien oder Deutschland verbracht wird.

Weiter betonte er, daß das Hauptziel der Regierung die
Haushaltskonsolidierung sei und von daher von der um-
satzsteuerlichen Behandlung der Hotelumsätze nicht ab-
gegangen werden könne. Bündnis 90/Die Grünen sind
für einheitliche Mehrwertsteuern für Europas Hotels und
Gaststätten durch europäische Harmonisierung.

Drittens. Die Lohnnebenkosten wären, wenn Sie denn
an die Macht gekommen wären, obwohl das Gejammer
weiter groß wäre, hoch wie eh und je. Erst mit der Öko-
steuer wurden reale Verbesserungen in der Wettbe-
werbssituation arbeitsintensiver Unternehmen erzielt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das glauben Sie wohl selber nicht!)


Viertens. Familien, deren steuerliche Entlastung jetzt
durch das Steuerentlastungsgesetz erreicht wurde, wür-
den weiterhin vergeblich auf eine Verbesserung ihrer
finanziellen Situation warten. Statt dessen freuen sich
jetzt die Familien und die Tourismuswirtschaft. Letztere
sieht den Grund für die zu verzeichnende verstärkte Bu-
chungsfreude der Familien nämlich in der Steuerentla-
stung mit ihrem geldwerten, aber auch psychologischen
Moment.

Wir haben also einiges auf den Weg gebracht.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ja, das kann man wohl sagen!)

Vieles von der Hinterlassenschaft der F.D.P. und der
CDU/CSU, die für die Wirtschaftspolitik der vergange-
nen Jahre verantwortlich zeichneten, ist noch in Ord-
nung zu bringen.

Einen Satz aus Ihrem Antrag finde ich richtig gut; da
werde ich Sie noch einmal beim Wort nehmen. In ihm
wird die Bundesregierung nämlich aufgefordert,

darauf hinzuwirken, daß EU-Regelungen konse-
quent in das jeweilige nationale Recht umgesetzt
werden.

Sie haben das jahrelang nicht getan, zum Beispiel bei
der FFH-Richtlinie. Statt dessen haben Sie sozusagen in
Strafgelder investiert, die wir demnächst vielleicht zu
zahlen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte hier
aber auch daran erinnern, daß Bundesregierung, Länder-
regierungen und EU lediglich die Rahmenbedingungen
für die Tourismuswirtschaft schaffen. Entscheidend sind
die unternehmerischen Aktivitäten. Hier liegt noch
sehr vieles im argen. Es kann doch zum Beispiel nicht
sein, daß massiv in mehr und mehr Hotels investiert
wird und man dann klagt, daß diese nicht ausgebucht
sind. Dafür können Sie schwerlich die Bundesregierung
in Haftung nehmen.

Abschließend einige wenige und sehr kurze Bemer-
kungen zur Umweltproblematik, die sich in der Anfrage
der F.D.P. nur in der Winzigkeit eines Ligusterblätt-
chens – ich habe ein solches einmal mitgebracht; es hat
nicht einmal die Größe eines Feigenblattes – findet. Da-
bei ist der zentrale Ansatz für die Zukunft des Touris-
mus die Umweltpolitik. Intakte Landschaften zusammen
mit kultureller und biologischer Vielfalt sind nämlich
unersetzliche Ressourcen für jede touristische Aktivität,
und zwar überall in Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch wir hier in Deutschland tragen Verantwortung
für das Verbauen und Zerstören von Küsten in Südeuro-
pa, um bloß ein Beispiel zu nennen. Die Pflege der
Schönheit der Orte, des Brauchtums, traditioneller Ge-
werbe, Schutz der Natur und der Landschaft sind näm-
lich gleichzeitig eine Pflege der wichtigsten touristi-
schen Angebotspotentiale. Eine direkte Förderung stadt-
bildbewahrender und landschaftspflegender Aktivitäten
durch den Tourismus – damit kommen wir zu dem, was
wir schon heute früh hatten: als zweites Standbein für
die Bauern, die Sie so gern vertreten wollen – ist
gleichwohl eher selten anzutreffen. Hier gibt es noch er-
heblichen Nachholbedarf.

Den Wechselwirkungen zwischen Tourismus und
Umwelt muß erheblich stärker als bisher Rechnung ge-
tragen werden. Das schließt eine vernünftige Lenkung
von Besucherströmen ebenso ein wie faire Wettbe-
werbsbedingungen zwischen den Verkehrsmitteln. Des-
halb bleibt es auch bei unserer Forderung nach Abschaf-
fung der Kerosinsteuerbefreiung im Rahmen der Har-
monisierung der europäischen Steuern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Da die F.D.P. nun nicht im Europaparlament vertreten
ist – als öffentliches Zeichen, wie Herr Brähmig das vor-
hin sagte –, wäre es doch schön, wenn Sie uns mindestens
im Bundestag tatkräftig dabei unterstützen würden, den
Tourismus auch durch mehr Umwelt- und Naturschutz zu
stärken. Denn wenn wir das nicht tun, entziehen wir dem
Tourismus generell die Lebensgrundlage. Dann nutzt uns
im „Euro-Land“ auch ein Euro nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404521400
Ich erteile das Wort
der Kollegin Anita Schäfer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1404521500
Sehr verehrte Frau Prä-
sidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Keinem
Wirtschaftszweig in Europa kommt im Bereich Kultur
und Völkerverständigung eine größere Bedeutung zu als
dem der Tourismuswirtschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sylvia Voß






(B)



(A) (C)



(D)


Allein aus diesem Grund wären alle Anstrengungen zu
rechtfertigen, den deutschen Fremdenverkehr im euro-
päischen Binnenmarkt konkurrenzfähig zu machen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wir, die CDU/CSU-Fraktion, wollen unseren Beitrag

dazu leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Denn der Tourismus hat zudem einen nicht unerhebli-
chen Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Es ist daher gera-
de jetzt, nach der Einführung des Euro, von eminenter
Bedeutung, daß von der Bundesregierung Rahmenbe-
dingungen geschaffen werden, welche der deutschen
Tourismuswirtschaft faire Wettbewerbschancen bieten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber gerade das Gegenteil ist der Fall.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist es ja!)

Es ist schon reichlich kühn von der Bundesregierung,
den deutschen Beherbergungsbetrieben in der Antwort
auf die Große Anfrage der F.D.P. klipp und klar zu sa-
gen, daß sie, um die Finanzierungslücken der Regierung
Schröder zu stopfen, Wettbewerbsnachteile in Milliar-
denhöhe zu erdulden haben.


(Brunhilde Irber [SPD]: Die haben aber Kohl und Waigel hinterlassen!)


Statt, wie von meiner Fraktion gefordert, die Beherber-
gungsumsätze nach dem geltenden Gemeinschaftsrecht
mit einem ermäßigten Steuersatz zu belegen


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hätten Sie einmal voriges Jahr fordern sollen!)


und damit auch für eine Angleichung der Wettbewerbs-
bedingungen in der europäischen Tourismuswirtschaft
zu sorgen, betreibt die Bundesregierung mit ihrer
Steuerpolitik geradezu eine protektionistische Politik,
allerdings zugunsten der Beherbergungsbetriebe in den
benachbarten EU-Ländern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Gerade das Beispiel meiner ohnehin benachteiligten
Region, der Westpfalz, zeigt sehr deutlich, daß sich die
Gäste schon sehr gut überlegen, ob sie mit ihren Über-
nachtungen die Preispolitik der Bundesregierung unter-
stützen oder ob sie lieber ein paar Kilometer weiter ins
benachbarte Elsaß fahren, wo sie 10,5 Prozent weniger
an Steuern für die Übernachtung zu zahlen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich habe mit den Hoteliers in meiner Heimat gespro-
chen. Sie weisen zu Recht auf diesen Mißstand hin. Das
macht bei einem Preis von 120 DM rund 13 DM aus,
wohlgemerkt pro Nacht.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Auch in Belgien liegt der Steuersatz mit 6 Prozent, in
Luxemburg mit 3 Prozent und in den Niederlanden mit
6 Prozent erheblich unter den Forderungen des deut-
schen Finanzministers.

Meine Damen und Herren von der linken Seite, sor-
gen Sie dafür, daß dieser Wettbewerbsnachteil beseitigt
wird!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dem Fremdenverkehr wird damit außerdem das wirt-
schaftliche Entwicklungspotential genommen, das er
benötigt, um strukturschwache Regionen an einer wirt-
schaftlichen Entwicklung teilhaben zu lassen.

Die Koalition muß sich schon sagen lassen, daß sie
mit ihrer Politik ihr möglichstes tut, um den Tourismus-
standort Deutschland zu ruinieren.


(Widerspruch bei der SPD)

– Moment, das kommt jetzt. – Deflexibilisierung der
Arbeitsverhältnisse, Ökosteuer, erhöhte Umsatzsteuer,
und als ob das noch nicht genug wäre, droht die Koali-
tion auch noch mit der Streichung der steuerlichen Ab-
setzbarkeit von Bewirtungsspesen.

Was haben Sie vor der Wahl versprochen, und was
tun Sie jetzt? Sie lösen auch hier nicht ein, was Sie ver-
sprochen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das alles bedeutet ganz einfach, daß die Regierung

billigend einen gravierenden Wettbewerbsnachteil für
die deutsche Tourismusbranche in Kauf nimmt, um
ihren unsoliden Haushalt zu konsolidieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In diesem Zusammenhang ist es schon eine seltsame

Verfahrensweise, auf einen europäischen Beschäfti-
gungspakt hinzuweisen, während man im eigenen Land
eine arbeitsplatzvernichtende Politik betreibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das heißt im Klartext, daß man von einer gemeinsamen
Arbeitsmarktpolitik im Euro-Land die Ausbügelung
eigener Unzulänglichkeiten erwartet. Wenn das Ganze
auch noch unter der Ratspräsidentschaft von Gerhard
Schröder stattfindet, heißt das, in Europa Wein zu predi-
gen und den Menschen zu Hause Wasser einzuschenken.
Dafür haben Sie zu Recht am letzten Sonntag die Quit-
tung bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Statt mit der Vernichtung ungezählter geringfügiger
Beschäftigungsverhältnisse den Fremdenverkehr in
Deutschland zu einem Stiefkind der wirtschaftlichen
Entwicklung werden zu lassen, stünde es der Bundesre-
gierung besser zu Gesicht, endlich den Wettbewerbsver-
zerrungen entgegenzuwirken.

Meine Damen und Herren, es darf nicht soweit kom-
men, daß mit der Währungsunion, die allerorts als große
Chance begriffen wird, der Tourismus in Deutschland
durch die Politik der Bundesregierung schwer geschä-
digt wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Anita Schäfer






(A) (C)



(B) (D)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1404521600
Frau Kollegin Schä-
fer, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag.
Ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses.


(Beifall)

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Renate Gradi-

stanac.


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1404521700
Frau Präsidentin! Mei-
ne sehr verehrten Damen und Herren! Der Tourismus
wird ein immer wichtigerer Wirtschaftsfaktor. Der An-
teil am Bruttosozialprodukt von zirka 8 Prozent zeigt,
welch große beschäftigungs- und strukturpolitische Be-
deutung er hat. Die Wettbewerbsfähigkeit der Touris-
muswirtschaft ist deshalb durch qualitativ hochwertige
Angebote und günstige Rahmenbedingungen zu sichern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ernst Burgbacher [F.D.P.])


Als Tourismuspolitikerin fällt mir wie auch Ihnen, mei-
ne Damen und Herren von der Opposition, unter ande-
rem ein: Wir könnten den Mehrwertsteuersatz senken
oder halbieren oder eine Neuregelung der Trinkgeldbe-
steuerung für diese Branche ins Auge fassen.

Unser Wirtschaftsminister, Herr Müller, hat – daran
habe ich mich natürlich auch erinnert – auf der Touris-
musbörse in Berlin im Frühjahr das richtige Signal ge-
setzt.


(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])

– Ja. – Um die Wettbewerbsbedingungen zu verbessern,
hat er den Vorschlag gemacht, die Mehrwertsteuer für
das Hotel- und Gaststättengewerbe zu halbieren.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der Mann hat recht!)


Der Vorschlag muß ernsthaft geprüft werden. Er muß
jedoch in eine Steuerreform und in eine europäische
Harmonisierung eingebettet werden. Mit unserer Unter-
stützung kann er jedenfalls rechnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir nun einen Blick auf unsere Regelmehr-
wertsteuersätze werfen, stellen wir fest, daß wir im
europäischen Vergleich an zweitgünstigster Stelle lie-
gen; nur Luxemburg hat günstigere Sätze. Die niedrig-
sten Steuern und – nach Herrn Brähmig – die höchsten
Subventionen im Tourismus, das ist nicht zu finanzieren.

Wenn wir etwas bei den Mehrwertsteuersätzen ver-
ändern wollen, so sehe ich drei Möglichkeiten. Die erste
Möglichkeit wäre, die Beherbungsbetriebe mit einem
ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu besteuern, wie jetzt
auch Herr Ministerpräsident Teufel vorgeschlagen hat.
Dies würde zu Steuermindereinnahmen von 1,35 Mil-
liarden DM jährlich führen. Allerdings muß man sich
dann auch die Frage stellen, ob dies aus steuersystemati-
schen Gründen sinnvoll ist. Andere Branchen wollen
dann womöglich auch eine solche Bevorzugung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die zweite Möglichkeit ist, das Hotel- und Gaststätten-
gewerbe zusammen durch eine Halbierung des Mehr-
wertsteuersatzes zu entlasten. Die Steuerausfälle würden
dann bei 4 bis 5 Milliarden DM liegen. Die dritte Mög-
lichkeit ist, den gesamten Dienstleistungsbereich in
Deutschland entsprechend zu entlasten. Dazu müßte das
Gemeinschaftsrecht geändert werden. Ein Vorschlag der
Europäischen Kommission und ein einstimmiger Be-
schluß des EU-Ministerrates wären hierzu nötig. Steuer-
ausfälle – ich sage das, damit wir das einfach einmal ge-
hört haben – in einer Größenordnung von 30 bis 40 Mil-
liarden DM müßten veranschlagt werden. Natürlich
drängt sich nicht nur mir die Frage auf: Wie soll das ge-
genfinanziert werden? Nur nach dem Prinzip Hoffnung
kann man keinen seriösen Haushalt aufstellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei der kritisierten Trinkgeldbesteuerung gibt es
mehrere Wege. Ministerpräsident Teufel hat gefordert,
den Freibetrag von 2 400 DM auf 3 600 DM zu erhöhen.
Das ist eine Möglichkeit. Ich gebe aber zu bedenken,
daß er damit an der Systemgrenze in unserem Steuer-
recht rüttelt. Ich denke, es gibt einen eleganteren Weg,
den wir Ihnen bei gegebenem Anlaß vorstellen werden.


(Zuruf von der F.D.P.: Wann?)

– Wir müssen noch ein bißchen in petto behalten.

Ich möchte kurz daran erinnern, daß wir bei unserer
jüngsten Steuerreform den Mittelstand um zirka 5 Mil-
liarden DM entlastet haben


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und unsere geplante Umsatzsteuerreform, die von einem
maximalen Steuersatz in Höhe von 35 Prozent ausgeht,
nicht nur ein Schritt in die richtige Richtung ist, sondern
ein Sprung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bevor wir aber immer nur darauf schauen, wie der
Staat seine Einnahmen verringern kann, wende ich mich
den wirklichen Problemen der Tourismusbranche zu. Ich
stelle fest, daß erstens ein ruinöser Wettbewerb inner-
halb der Branche stattfindet und zweitens die Preise ein-
kommensbereinigt den niedrigsten Stand erreicht
haben. Diese haben drittens dazu geführt, daß Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter regelrecht ausgepreßt werden
und viertens die Servicebereitschaft darunter leidet.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Ich fordere daher die Branche auf, ihr Verhalten auf
dem Markt zu überprüfen. Eine weitere Abwärtsspirale
zu Lasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist nicht
zu verantworten.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte nun drei Schwerpunkte der Tourismus

AG in dieser Legislaturperiode ansprechen. Wir wollen
eine Qualifizierungs- und Weiterbildungsoffensive






(B)



(A) (C)



(D)


für die Beschäftigten unterstützen. Die neue Bundes-
regierung hat dafür im Haushalt 5 Millionen DM zu-
sätzlich eingestellt. Nur mit gut aus- und weitergebilde-
ten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern können wir
im Dienstleistungswettbewerb bestehen.


(Beifall bei der SPD)

Ich wünsche mir, daß unverwechselbare Regionen-

profile entstehen, die durch Regionalleitbilder Gestalt
annehmen könnten. Die Einzigartigkeit – das ist das
Zauberwort – der jeweiligen Tourismusregion, die zur
Unverwechselbarkeit führt und gleichzeitig Identität
stärkt, muß vor Ort herausgearbeitet werden. Diesen
Prozeß werden wir natürlich zusammen mit den Ländern
unterstützen.


(Beifall bei der SPD)

Nur wenn ich ein stimmiges Produkt habe, kann ich

es auch erfolgreich vermarkten. Die neue Bundesregie-
rung hat deshalb ein spezielles Standortmarketing für
Deutschland durch eine besondere Förderung der Deut-
schen Zentrale für Tourismus unterstützt, das neben der
gezielten Auslandsbewerbung seit Anfang 1999 ermög-
licht, auch ein länderübergreifendes Inlandsmarketing zu
betreiben. Ich wünsche mir, daß sich die Opposition mit
den wirklichen Problemen der Tourismuswirtschaft aus-
einandersetzt,


(Beifall bei der SPD)

anstatt populistische Forderungen aufzustellen, mit de-
nen sie nur den Bundeshaushalt belastet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ihrem Antrag werde ich übrigens nicht zustimmen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404521800
Frau
Kollegin Gradistanac, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen
Glückwunsch!


(Beifall)

Als nächster Redner hat der Kollege Ernst Hinsken,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1404521900
Herr Präsident! Ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Koffer sind für die
schönste Zeit des Jahres gepackt. Die Reiselust ist unge-
brochen, anscheinend auch bei der Bundesregierung,
weil ich festgestellt habe, daß in den ersten 50 Minuten
in dieser Debatte die Bundesregierung nur durch einen
einzigen Mann, nämlich durch Herrn Staatssekretär
Mosdorf, vertreten wurde. Zwischenzeitlich sind es zwei
Vertreter der Bundesregierung geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Parl. Staatssekretär Achim Großmann: Drei! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So fälschen Sie immer die Statistik!)


– Sie sind eben erst gekommen. Ich habe Sie gar nicht
eingerechnet, weil Sie 55 Minuten benötigt haben, um
hierherzukommen.

Ich möchte gleich eingangs zu dem heutigen Thema,
zu dem Herr Burgbacher und andere F.D.P.-Abge-
ordnete eine Große Anfrage eingebracht haben, feststel-
len, daß inzwischen in den verschiedenen Hotels und
Gaststätten die Preise auch in Euro ausgewiesen wer-
den. Das spricht dafür, daß unsere Gastronomie sehr
wohl weiß, worauf es ankommt, und daß sie damit der
übrigen Wirtschaft zum Teil um Meilen voraus ist. Des-
halb spreche ich dem Deutschen Hotel- und Gaststätten-
verband ein großes Kompliment aus, weil er seine Mit-
glieder in Sachen Euro schon auf Vordermann gebracht
hat.

91,4 Milliarden DM ließen sich die Bundesbürger im
Jahre 1998 ihre Ferienreisen kosten. Das waren 3 Pro-
zent mehr als im Jahre 1997. Für eine Reise wurden
1998 im Durchschnitt 1 441 DM ausgegeben. Das waren
wiederum 16 DM mehr als im Jahre 1997. 1999 planen
71 Prozent der Bundesbürger wieder einen Tapeten-
wechsel. Auch hier kann man eine Zunahme verzeich-
nen. Deshalb möchte ich auch im Namen vieler Kolle-
ginnen und Kollegen, die sich der Tourismuswirtschaft
verschrieben haben, feststellen, daß allenfalls im und
nicht am Urlaub gespart wird.

Ich möchte gerade heute darauf verweisen, wie wich-
tig der Tourismus für die Volkswirtschaft ist. Die Tou-
rismuswirtschaft hat insgesamt ein Volumen von
270 Milliarden DM. Das macht einen Anteil von 8 Pro-
zent an der Bruttowertschöpfung aus. Im Tourismus gibt
es fast 2,5 Millionen Arbeitsplätze und fast 80 000 Aus-
bildungsplätze. Ich möchte besonders darauf verweisen,
daß diese Zahlen höher sind als zum Beispiel die der ge-
samten deutschen Automobilindustrie. Gerade dadurch
wird ersichtlich, welches immense Potential im Touris-
mus steckt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Gerade im Bereich des Tourismus werden viele Inve-

stitionen getätigt, viele Arbeitsplätze vorgehalten und
Entwicklungspotentiale genutzt. Wenn ich hier über die
Wertschöpfungskette spreche, dann möchte ich als Bei-
spiel die Flughäfen in der Bundesrepublik Deutschland
herausgreifen, zum Beispiel den Frankfurter Flughafen
mit 58 400 Arbeitsplätzen und den Münchner Flughafen
mit immerhin noch 17 200 Arbeitsplätzen. Es müssen
auf allen Flughäfen die Grundlagen dafür geschaffen
werden, daß 120 Millionen Mitbürger jährlich von
Deutschland weg- und wieder zurückfliegen können. Ich
möchte bei dieser Gelegenheit auch darauf verweisen,
daß insbesondere auf den deutschen Flughäfen Bauinve-
stitionen in der Größenordnung von -zig Milliarden DM
getätigt werden.

Die Tourismuswirtschaft ist für mich auch deshalb so
wichtig, weil es sich hier um einen Wirtschaftszweig
handelt, der weniger konjunkturellen Schwankungen als
andere Branchen unterworfen und deshalb stabil ist. Seit
den 70er Jahren gibt es in keinem anderen Wirtschafts-
zweig der EU eine derart starke Expansion wie gerade
im internationalen Fremdenverkehr. Tourismus in Euro-
pa – das besagen verschiedene Studien – birgt in den
nächsten zehn Jahren ein Potential von 2,2 bis 3,3 Mil-
lionen zusätzlicher Arbeitskräfte in sich. Für Deutsch-

Renate Gradistanac






(A) (C)



(B) (D)


land dürfte das im gleichen Zeitraum einen Zuwachs
von 300 000 bis 450 000 Arbeitsplätzen bedeuten.

Es müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen,
damit diese Prognosen auch eintreten. Deutschland muß
vor allen Dingen versuchen, für seine Bewohner eben-
falls als Reiseziel attraktiv zu werden, um an dieser
Entwicklung teilzuhaben; denn von den 63,4 Millionen
deutschen Urlaubern reisten 44,6 Millionen ins Ausland.
Nur 18,8 Millionen deutsche Urlauber hatten inländische
Reiseziele. Das heißt, von drei Urlaubern blieb nur einer
hier. Dabei ist doch Deutschland mit seinen Bergen, mit
seinen Seen, mit seinen Schlössern, mit seinen Burgen,
mit seinen Kulturstätten usw. so attraktiv wie selten ein
anderes Land.


(Zuruf von der CDU/CSU: Er redet von Bayern!)


Man braucht nicht unbedingt den Wahlkreis des
Kollegen Dr. Ramsauer herauszugreifen, dort, wo
Deutschland mit am schönsten ist – es ist in anderen
Teilen natürlich auch schön –, aber, es ist ein Stück
Deutschland, in dem viel Urlaub gemacht wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Deutsche Zentrale für Tourismus sagt zu
Recht: Wenn richtig angesetzt wird, dann werden wir in
den nächsten fünf Jahren 30 Prozent mehr Gäste zwi-
schen Nordsee und Alpen erwarten können. Aber dann
dürfen keine Mittel bei der DZT gekürzt werden. Man
hört so einiges läuten, daß der Ansatz erneut gekürzt
werden soll.

Was ich hier sagen möchte, ist: Wir brauchen, um
mehr Urlauber in Deutschland haben zu können, auch
für die deutschen Mitbürger einen Aha-Effekt, nämlich
wieder zu erkennen, wie schön es ist, im eigenen Land
Urlaub zu verbringen, obwohl das nicht immer sein
muß. Aber ab und zu hier sein, um alles kennenzulernen,
ist nicht schlecht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Viele Mitbürger kennen zum Beispiel den Grand
Canyon oder den Yellowstone Park in Amerika. Wenn
ich nach Nationalparks in der Bundesrepublik
Deutschland frage, dann wird meistens gepaßt. Dabei
haben wir nicht nur den Bayerischen Wald, sondern
eben auch die Sächsische Schweiz, das Wattenmeer
usw.


(Marietta Böttcher [PDS]: Und den Spreewald!)


Wenn ich auch dem Kulturtourismus das Wort rede,
wer spricht denn heute – breit gesehen – davon, daß wir
im nächsten Jahr auch hier in der Bundesrepublik
Deutschland interessante Daten zu verzeichnen haben,
zum Beispiel den 250. Todestag von Johann Sebastian
Bach, den 600. Geburtstag von Johannes Gutenberg oder
die Expo in Hannover oder die Passionsspiele in Ober-
ammergau oder in diesem Jahr die Agnes-Bernauer-
Festspiele in Straubing? Wenn Sie noch nicht dort wa-
ren, würde ich Ihnen empfehlen, einmal dorthin zu

kommen, um zu erleben, wie Kultur im Laienspiel hier
gezeigt wird.

Ich meine aber, darauf verweisen zu müssen, daß es
vermehrten Urlaub in Deutschland nur gibt, wenn man
sich mehr auf Kundenwünsche einstellt. Da sind fünf
Punkte, die ich ansprechen möchte: Erstens: Der
Deutschlandurlaub muß billiger werden. Zweitens: Die
Dienstleistungsbereitschaft muß zunehmen. Drittens: Es
sind Angebote für Schlechtwetterphasen zu schaffen.
Viertens: Die touristischen Stärken unseres Heimatlan-
des müssen stärker herausgestellt werden. Fünftens:
Die Wettbewerbsbenachteiligungen und bürokratischen
Hemmnisse müssen weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deutschland ist momentan vielen zu teuer und wird

leider auf Grund einer falschen Politik von Ihrer Seite
noch teurer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte es mir ersparen, näher auf die 630-DM-
Regelung einzugehen. Aber ich sage schon: Eine Frau,
die mich am Sonntagnachmittag in einem Biergarten be-
dient, ist mir tausendmal lieber als eine Frau, die am
Montagmorgen um halb zehn, obwohl arbeitsfähig, zum
Sozialamt geht, um sich dort die Sozialhilfe abzuholen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404522000
Herr
Kollege Hinsken, kommen Sie bitte zum Schluß.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1404522100
Es gibt eine Wortmel-
dung.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404522200
Herr
Kollege Hinsken, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Irber?


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1404522300
Selbstverständlich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404522400
Aber
nach der Beantwortung der Zwischenfrage bitte ich Sie,
umgehend zum Schluß zu kommen.

Bitte schön.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1404522500
Herr Kollege Hinsken, ge-
ben Sie mir recht, daß auch mir eine Frau, die ein Ein-
kommen hat, lieber ist, als eine Frau, die darauf ange-
wiesen ist, zum Sozialamt zu gehen? Aber geben Sie mir
auch darin recht, daß ein ordentliches Arbeitsverhältnis,
in dem eine Frau gut bezahlt wird und sozialversichert
ist, noch besser als ein ungeschütztes Arbeitsverhältnis
auf der Basis eines geringen Verdienstes ist?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ernst Hinsken






(B)



(A) (C)



(D)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1404522600
Das kann man so und
so sehen. Für verschiedene Frauen ist eine Zuverdienst-
möglichkeit, um sich selbst einen Urlaub gönnen zu
können, Frau Kollegin Irber, angebracht. Dieser wollte
ich hier das Wort reden. Deshalb habe ich mich so ge-
äußert. Ich meine, in diesem Zusammenhang natürlich
schon sagen zu müssen, daß es insgesamt gesehen für
uns eine Aufforderung ist, die Grundlagen dafür zu
schaffen, daß es nicht zu weiteren Wettbewerbsbenach-
teiligungen und -verzerrungen kommt, wie dies auch auf
diesem Gebiet der Fall ist.

In diesem Zusammenhang muß ich die Frage stellen
– diese Frage, Herr Präsident, sei mir noch gestattet –,
wie es denn kommt, daß wir in einer Debatte über die
deutsche Tourismuspolitik in einem gemeinsamen Euro-
pa feststellen müssen, daß sich die deutsche Regelungs-
wut in vielen Betrieben negativ bemerkbar macht. Wenn
zum Beispiel dem erkrankten Gast an der Hotelrezeption
keine Schmerztablette ausgehändigt werden kann – –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404522700
Herr
Kollege Hinsken, ich habe Sie bereits zweimal gebeten,
zum Schluß zu kommen. Jetzt müssen Sie wirklich zum
Schluß kommen.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1404522800
Jawohl, Herr Präsident.
– Ich gehe davon aus, daß gerade wir mit unseren Kon-
zepten wissen, wo angesetzt werden muß, damit sich in
Zukunft die Tourismuswirtschaft auch in der Bundes-
republik Deutschland entfalten kann und sie nicht von
weiteren Entscheidungen der Regierung gehemmt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404522900
Als
letzter Redner in dieser Aussprache hat der Parlamenta-
rische Staatssekretär Siegmar Mosdorf das Wort.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1404523000
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal
muß ich auf das Frauenbild des Kollegen Hinsken zu
sprechen kommen. Warum sind Sie nicht damit zufrie-
den, wenn Sie von Männern im Biergarten bedient wer-
den? Das wäre doch einmal etwas anderes.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir haben die bestqualifizierte Frauengeneration in der
Geschichte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gerade in der Tourismusbranche fallen mir eine ganze
Reihe interessanter sozialversicherungspflichtiger Jobs
ein, die Frauen mit Erfolg ausüben. Deshalb möchte ich
zu Beginn meiner Rede allen Frauen, die in dieser Bran-
che arbeiten, für ihren Einsatz und die Qualität ihrer Ar-
beit danken.


(Beifall im ganzen Hause)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich nicht nur an
den kontroversen Punkten ansetzen möchte, weise ich
zunächst darauf hin – auch im Ausschuß haben wir ein
gutes Arbeitsklima, Herr Vorsitzender –, daß wir uns in
vielen Punkten sehr einig sind. Wir sind uns zum Bei-
spiel darin einig, daß wir in Deutschland eine Touris-
muswirtschaft, eine Gastronomie, eine Hotellerie haben,
die sich weltweit sehen lassen kann, deren Dienstlei-
stungen eine hohe Qualität aufweisen und die auf diese
Qualität stolz sein kann. Sie verdient es, daß mehr Leute
von dieser Qualität Gebrauch machen. Das muß ich am
Anfang einmal sagen, und da sind wir uns sicherlich
einig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Hier gibt es durchaus ein Defizit: Man muß mehr auf
diese Qualität hinweisen. Wenn große Unternehmen
ihre Hauptversammlungen in Deutschland – auch am
Standort ihres Unternehmens – durchführen, dann ist es
noch viel zu wenig üblich, daß sich die Versammlungs-
teilnehmer um diese Tagungsorte herum erholen und
daß man an solche Versammlungen auch touristische
Veranstaltungen anhängt.

Es geht uns also um die Perlen, die wir im Tourismus
haben, und zwar nicht nur, lieber Ernst Hinsken, bei
Peter Ramsauer in Traunstein. Das ist eine schöne Ge-
gend; aber ich hoffe, daß es keine diplomatischen Ver-
wicklungen gibt, weil vorhin nur Traunstein erwähnt
wurde. Man muß auch den Harz, die Ostsee und die
Nordsee nennen. Wir haben so viele schöne Gebiete, auf
die wir auch international hinweisen müssen.


(Zurufe von der SPD, CDU/CSU und der PDS)


– Natürlich ist die Schwäbische Alb besonders wichtig,
ebenso der Spreewald. Wir müssen die Heimat Theodor
Fontanes erwähnen. Es gibt so viele Möglichkeiten, die
wir nach meiner Überzeugung noch nicht ausgeschöpft
haben. Deshalb wollen wir eine Menge tun; Sie wissen
es.

Als Bundesregierung haben wir in den ersten 200
Tagen eine Reihe von wichtigen Signalen für diese
Branche gesetzt, die eine Wachstumsbranche von ho-
her Bedeutung ist. Manche haben noch nicht erkannt,
daß dies eine der wichtigsten Wachstumsbranchen für
die Zukunft ist, weil sie dienstleistungsintensiv ist und
hohe Qualität verlangt.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])


Gerade weil wir international nicht mehr über die
klassischen Kostenvorteile verfügen, müssen wir auf die
Qualität der Dienstleistungen und auf Inhalte, auch auf
kulturelle Inhalte setzen. Da haben wir in Europa und
besonders bei uns in Deutschland eine Menge zu bieten.
Insofern setzen wir in der internationalen Präsentation
unserer Standorte andere Akzente. Ein Schwerpunkt ist
die kulturelle Präsentation von Städten und Regionen,
die touristisch etwas zu bieten haben.






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404523100
Herr
Kollege Mosdorf, wie ich erkenne, erlauben Sie eine
Zwischenfrage. – Herr Seifert, bitte schön.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1404523200
Herr Staatssekretär, wenn Sie
schon die vielen Qualitätskriterien hier aufzählen, dann
möchte ich wissen, warum in Ihrer Antwort auf die Gro-
ße Anfrage nicht ein einziges Mal vorkommt, daß der
Ausbau aller Tourismusstandorte für Menschen mit den
verschiedensten Behinderungen ein wesentlicher Punkt
sein könnte, um neue Touristenkreise zu erschließen.
Das wäre wiederum nicht nur für den Tourismus, son-
dern für die Teilhabe am Leben der Gemeinschaft insge-
samt ein großer Schritt nach vorn.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1404523300
Lieber Herr
Kollege Seifert, ich muß Ihnen zunächst sagen: Große
Anfragen funktionieren so, daß man eine Frage stellt
und die Regierung darauf antwortet. Die Fragen haben
wir alle ordentlich beantwortet – man kann über Inhalte
streiten –, und wir sind durchaus der Meinung, daß es in
diesem Bereich Ansatzpunkte gibt. Das ist völlig klar.


(Beifall der Abg. Brunhilde Irber [SPD])

Nur, Sie können aus der Tatsache, daß wir bei der

Beantwortung eines Fragenkatalogs diese spezielle Fra-
ge nicht behandelt haben, nicht ableiten, daß wir diesen
Sachverhalt negativ sehen.


(Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

– Ich gebe Ihnen ja gerade eine Antwort. Wir sind der
Auffassung: Wenn man über Standorte mit Qualität
nachdenkt, dann gehören solche Fragen dazu.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Solche Fragen gehören genauso dazu wie die Tatsache,
daß wir darüber nachdenken können, wie man Familien
und auch alleinerziehende Väter oder Mütter mit ihren
Kindern – ich denke an die Kinderbetreuung – in sinn-
voller Weise in touristischen Standorten besser unterbrin-
gen kann. Das sind alles neue Fragen, die sich stellen und
auf die wir gemeinsam mit der Branche Antworten geben
müssen. Ich glaube, es gibt schon gute Bemühungen. Sie
sind allerdings in den jeweiligen Bereichen von Hotellerie
und Gastronomie sehr unterschiedlich.

Ich glaube trotzdem, daß auch die aktuellen Zahlen,
die wir alle kennen, die ich aber gern noch einmal in
Erinnerung rufen möchte, zeigen, daß wir eine leistungs-
fähige Branche haben, daß wir auch gute Bedingungen
haben und daß die Branche gewillt ist, dieses Potential
auszuschöpfen. In den 56 000 gewerblichen Beherber-
gungsbetrieben wurden 1998 96,4 Millionen Gäste und
rund 295 Millionen Übernachtungen registriert. Für das
erste Quartal dieses Jahres sieht es noch etwas erfreuli-
cher aus. Es gab 4 Millionen Übernachtungen mehr als
im gleichen Vorjahreszeitraum. Das sind mehr als
7 Prozent Zuwachs im Inland.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist wichtig, daß wir – Herr Hinsken hat diese
Frage aufgeworfen – nicht immer nur ins Ausland fah-
ren, sondern auch einmal im Inland Urlaub machen.
Dazu gibt es nämlich viele Möglichkeiten. Damit haben
sich die positiven Trends des letzten Jahres verstärkt
fortgesetzt. Wir müssen dazu beitragen, daß sie sich
weiterhin so positiv entwickeln.

Besonders erfreulich für mich ist, daß auch in den
neuen Ländern weiterhin überproportionale Anteile am
Wachstum mit fast 11 Prozent Leistungszuwachs bis
März 1999 bestehen. Herausragende Ergebnisse erzielt
zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern, das für die er-
sten drei Monate dieses Jahres auf mehr als 20 Prozent
Zuwachs verweisen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Angesichts der ausgeprägten Saisonproblematik in

Mecklenburg-Vorpommern ist das im ersten Quartal ein
gutes Ergebnis. Im Sommer wird es möglicherweise
noch wesentlich besser sein. Ich glaube ohnedies, daß es
eine Renaissance der Nord- und der Ostsee gibt, was das
Urlaubsbegehren der Menschen angeht. Die Branche
stellt sich darauf ein.

Gerade in den auch aus europäischer Sicht struktur-
schwachen Regionen – ich rede von den Ziel-1-Gebie-
ten – wird es weiterhin um einen effektiven Fördermit-
teleinsatz gehen. Der Tourismus partizipiert in hohem
Maße an der Regionalförderung im Rahmen der Ge-
meinschaftsaufgabe. In den vergangenen acht Jahren
waren mehr als 17 Prozent der durch Gemeinschaftsauf-
gaben geförderten Unternehmen Tourismusbetriebe.
7,4 Prozent der Investitionszuschüsse entfielen auf den
Tourismus.

Bei der Infrastrukturförderung ist der Tourismusanteil
mit 16 Prozent noch höher. Ich finde, es ist berechtigt,
daß wir diesen Weg gehen, weil wir gerade in dieser
Branche diese Infrastruktur brauchen. 1998 entfielen auf
diese Branche fast die Hälfte aller Vorhaben der regio-
nalen Wirtschaftsförderung. Damit wird auch von den
Ländern ganz klar der Vorrangigkeit des Infrastruktur-
ausbaus Rechnung getragen. Wir haben mit der Regio-
nalpolitik gezielt angesetzt, und wir haben gerade in
strukturschwachen Gebieten geholfen. Das wollen wir
auch in Zukunft tun.

Ich möchte auf einen Punkt zu sprechen kommen, der
in dieser Debatte mehrfach angesprochen wurde und der
auch in den Beratungen unseres Ausschusses immer
wieder eine Rolle spielt. Es geht um die Mehrwert-
steuersätze. Ich glaube für das ganze Haus sprechen zu
können, wenn ich sage, daß die Situation unbefriedigend
ist und zu wirklichen Wettbewerbsverzerrungen führt, die
wir nicht akzeptieren können. Deshalb bleibe ich bei mei-
ner Meinung: Wenn man in Europa über die Harmonisie-
rung von Steuersätzen nachdenkt – ich finde, wir müssen
darüber nachdenken –, dann muß man gerade auch hin-
sichtlich Hotellerie und Gastronomie darüber nachden-
ken, wie es zu einer Harmonisierung der Steuersätze
kommt. Dieses Ziel sollten wir gemeinsam verfolgen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)







(B)



(A) (C)



(D)


Wenn es bisher keine Gemeinsamkeit gab, dann will
ich das nicht simpel parteipolitisch denjenigen zuschie-
ben, die 16 Jahre dazu Zeit hatten, sondern ich will sa-
gen: Es ist ein komplizierter Prozeß, aber wir sind in
dem Anliegen, eine Harmonisierung der Steuersätze zu
erreichen, doch wohl einig. Denn es ist ein eklatanter
Wettbewerbsnachteil, wenn man in Saarbrücken 16 Pro-
zent Mehrwertsteuer zahlen muß und 500 Meter weiter
für ein gutes Essen nur 5 Prozent Mehrwertsteuer ent-
richten muß.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb sind wir für eine Harmonisierung der Steuer-

sätze, und zwar muß es dazu nicht nur bei den oberen,
sondern auch bei den unteren Steuersätzen kommen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluß kommen. Ich glaube, daß wir gerade auch anläß-
lich dieser Großen Anfrage eine wichtige Diskussion
über die Bedeutung und die Zukunftschancen der Tou-
rismusbranche geführt haben. Ich glaube, daß wir in
vielen Punkten gemeinsam der Auffassung sind, daß wir
aus dieser Branche noch mehr machen können, daß es
wirkliche Wachstumspotentiale gibt, daß Tourismus so-
gar eine Jobmaschine sein kann, wenn man es gescheit
macht, und wir haben es nötig, da anzusetzen.

Deshalb meine herzliche Bitte: Lassen Sie uns ge-
meinsam alle Anstrengungen unternehmen, um wirt-
schaftspolitisch der Branche zu helfen und um gleich-
zeitig dazu beizutragen, daß die schönsten Erlebnisse im
Jahr eben auch im Urlaub stattfinden können, auf quali-
tativ hohem Niveau, in einer guten Atmosphäre, damit
wir das, was wir leisten müssen, jeden Tag 16 Stunden
zu arbeiten, auch leisten können.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404523400
Herr
Kollege Hinsken ist persönlich angesprochen worden
und hat sich für eine Kurzintervention gemeldet. Bitte
schön, Herr Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1404523500
Herr Präsident, ich be-
danke mich, daß ich diese Kurzintervention vorbringen
kann.

Zum einen möchte ich dem Kollegen Mosdorf herz-
lich in meinen Wahlkreis einladen. Wir lassen uns dann
in einem schönen bayerischen Biergarten bewirten und
reden mit den 630-DM-Beschäftigten, welche Meinung
sie haben.

Zum anderen: Herr Kollege Mosdorf, Sie haben zu
Recht davon gesprochen, daß es sich bei der Touris-
muswirtschaft um eine Wachstumsbranche handelt. Das
kann doppelt und dreifach unterstrichen werden. Ich ha-
be auch sehr wohl zur Kenntnis genommen, daß man
ansetzen möchte, über die Regionalpolitik weiterhin
einen Beitrag zu leisten, damit sich die Tourismuswirt-
schaft entfalten kann. Aber ich darf bei dieser Gelegen-

heit schon darauf verweisen, daß es nicht nur um Förde-
rungen für die Tourismuswirtschaft insgesamt geht, son-
dern daß wir alle gefordert sind, über Parteigrenzen
hinweg Grundlagen dafür zu schaffen, daß die Rege-
lungswut der Deutschen ins Lot gebracht wird.

Meine Damen und Herren, ich verstehe es nicht, daß
jemand, der sich in einem Hotel aufhält und eine Aspi-
rin- oder eine andere Schmerztablette braucht, diese an
der Hotelrezeption nicht bekommen kann, weil dies dem
Arzneimittelgesetz widerspricht. Dieses Problem müs-
sen wir in Angriff nehmen. Es ist nicht zu verstehen,
wenn ein ausländischer Gast am Flughafen in München
ankommt, vom Hotelier abgeholt wird und dieser sich
dann größten Reglementierungen im Hinblick auf das
Transportgesetz ausgesetzt sieht. Ich verstehe es genau-
so nicht, wenn derjenige, der in einem Straßencafé die
Markise herunterlassen möchte, wegen der Nutzung des
Luftraumes gebührenpflichtig wird.


(Zuruf von der SPD)

– Nein, nein, das sind gesetzliche Regelungen, die wir
geschaffen haben.


(Beifall bei der SPD)

Deshalb möchte ich der Deregulierung das Wort reden.
– Alle haben wir das geschaffen, alle.


(Lachen bei der SPD)

Deshalb muß im Sinne von Deregulierung die

Grundlage dafür geschaffen werden, daß man nicht
mehr gegängelt wird, sondern daß man der Tourismus-
wirtschaft nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten
entgegenkommt, damit sie sich weiterhin trotz des be-
stehenden Konkurrenzkampfes in Europa behaupten
kann.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404523600
Herr
Kollege Mosdorf, wollen Sie erwidern?

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1404523700
Ja, nur
ganz kurz. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber
Kollege Hinsken, ich möchte die Einladung in den baye-
rischen Biergarten annehmen und vorschlagen, daß wir
beide dann statt der Frauen bedienen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404523800
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache.

Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag
der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/1159 feder-
führend an den Ausschuß für Tourismus und zur Mitbe-
ratung an den Ausschuß für Wirtschaft und Technologie,
den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen

Parl. Staatssekretär Sigmar Mosdorf






(A) (C)



(B) (D)


Union zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.

Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
„Wort halten“ – Umsetzung der Bonn/Berlin-
Beschlüsse
– Drucksache 14/1004 –

(federführend Nach interfraktionellen Vereinbarungen sind für die Aussprache drei Viertelstunden vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Norbert Hauser von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht ist es ganz sinnig, am 17. Juni, den wir früher als Tag der deutschen Einheit begangen haben, über das eine oder andere Problem der deutschen Einheit – wenn auch nicht über die größten Probleme – zu sprechen. In wenigen Tagen wird der Umzugsbeschluß des Bundestages vom 20. Juni 1991 Realität. Einigen Mitgliedern der Bundesregierung kommen jedoch acht Jahre nach dem Beschluß und annähernd fünf Jahre nach der Verabschiedung des Berlin/Bonn-Gesetzes vom 26. April 1994 Bedenken über Sinnhaftigkeit und Kosten. Infolgedessen beschloß das Bundeskabinett am 16. Dezember 1998, daß die Ministerien, die ihren ersten Dienstsitz in Bonn haben, nicht, wie ursprünglich festgelegt, 10 Prozent der Arbeitsplätze, sondern mehr in die Bundeshauptstadt verlagern können. Bundesumweltminister Trittin hat sich gleich 25 Prozent absegnen lassen. Wirtschaftsminister Müller will die Außenstelle der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe nicht von Berlin nach Bonn, sondern von Berlin nach Hannover verlagern. Der Bundesumweltminister schickt die Außenstelle der Bundesanstalt für Strahlenschutz nicht von Berlin nach Bonn, sondern nach Neuherberg bei München. Das Bundesinstitut für Wasser-, Bodenund Lufthygiene soll gegebenenfalls im Bundesumweltamt aufgehen, jedenfalls nicht nach Bonn verlagert werden. Bundeslandwirtschaftsminister Funke reklamiert für sich und sein Haus als ersten Dienstsitz Berlin. Der zukünftige Chef der Bundesbank, Ernst Welteke, schließt sich an und fordert für das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen an Stelle Bonns den Bankenplatz Frankfurt. Die Herren Minister, die dies fordern, sind sich offensichtlich nicht darüber im klaren, daß sie im Begriff sind, gegen ein Gesetz zu verstoßen, nämlich gegen das Berlin/Bonn-Gesetz, das die Umzüge bzw. die Dienstsitze der genannten Behörden und Ämter festlegt. Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger der Region Bonn/Rhein-Sieg haben den Umzugsbeschluß vom 20. Juni 1991 nach dem ersten Schock gut verdaut. Sie haben die Ärmel hochgekrempelt und den Strukturwandel in der Region in Angriff genommen. Diese Region hat sich aber auch auf die ihr gemachten Zusagen verlassen – Zusagen, für die wir alle dankbar sind. Um so ärgerlicher ist es, wenn jetzt bei der Umsetzung Schwierigkeiten bereitet und Zweifel gesät werden. Der Strukturwandel in dieser Region ist nur dann zu schaffen, wenn Klarheit für die Region herrscht. Forschungseinrichtungen, Verbände und Dienstleister müssen wissen, ob die Abteilungen bestimmter Ministerien in Bonn bleiben oder nicht, ob Bundesämter oder Institute nach Bonn ziehen oder nicht und ob es Schule macht, Einrichtungen der UNO nach Bonn zu holen, um im nächsten Schritt korrespondierende Abteilungen wie zum Beispiel die Unterabteilung für Internationales des BMU in die Bundeshauptstadt zu verlegen. In 14 Tagen findet in diesem Plenarsaal wahrscheinlich die letzte Debatte des Deutschen Bundestages statt. Danach werden die Mikrophone abgeschaltet, und niemand weiß, was in Zukunft mit den hiesigen Gebäuden geschehen wird. Wir ziehen aus, und draußen an der Tür wird ein Schild „Geschlossen“ angebracht. Wie geht dieser Staat mit den Orten seiner demokratischen Geschichte um? Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich die Konzepte zu verabschieden, die unter anderem in der Inneren Kommission des Ältestenrates einstimmig verabschiedet worden sind. Es kann nicht auf Kosten dieser Parlamentsgebäude gehen, daß keine Einigung zwischen der Bundesregierung, dem Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt Bonn über die Finanzen zu erreichen ist. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Norbert Hauser (CDU):
Rede ID: ID1404523900

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Unglaublich!)


(Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Unglaublich!)


(Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Unerhört!)


Die CDU/CSU-Fraktion will mit dem Antrag „Wort
halten“ Klarheit schaffen. Hier geht es nicht um die Fra-
ge „Bundeshauptstadt Berlin gegen Bundesstadt Bonn“.
Hier geht es darum, den Beschluß vom 20. Juni 1991,
der die Überschrift „Vollendung der Einheit Deutsch-
lands“ trägt und dieser Region eine faire Arbeitsteilung
zusagte, in allen seinen Teilen zu verwirklichen. Letzt-
lich geht es auch um Menschen und Familien, die man
nicht beliebig hin- und herschieben und verplanen kann.

Wir wissen, wie schwer sich der Bundeskanzler mit
der Umsetzung dieses Beschlusses tut. Schließlich
stammt von ihm das Zitat:

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(B)



(A) (C)



(D)


Das Parlament hat seine Entscheidung auf Druck
der parteiübergreifenden Bonn-Lobby gekippt.
Zwei Zentren halte ich für falsch und schädlich. Ein
demokratischer Staat braucht ein politisches Zen-
trum, nicht zwei, drei oder vier.

Soweit der Bundeskanzler.
Die Probleme des Bundeskanzlers mit der Umsetzung

von Beschluß und Gesetz dürfen aber nicht dazu führen,
daß der Chef des Bundeskanzleramtes, Herr Hombach,
ein Gesetz dieses Rechtsstaates lediglich als „Richt-
schnur“ bezeichnet, nach der man sich je nach Gusto
ausrichten wolle oder könne.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404524000
Herr
Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß.


Norbert Hauser (CDU):
Rede ID: ID1404524100
Sofort. – Es
ist geradezu eine Schande, daß das Bundeskabinett –
vorsichtig formuliert – ungeniert über die Umgehung,
die Nichterfüllung eines Gesetzes, und zwar des Ber-
lin/Bonn-Gesetzes – schärfer ausgedrückt: über Geset-
zesbruch –, diskutiert. Dieses Parlament hat ein Anrecht
darauf, daß Gesetze, die es einmal verabschiedet hat,
auch eingehalten werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404524200
Als
nächster Redner hat der Kollege Achim Großmann von
der SPD-Fraktion das Wort.


Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1404524300
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! 1991 war die Entscheidung für
Berlin sicherlich ein Schock für die Bonner Region. Es
gab anschließend aber einen breiten politischen Kon-
sens. Es gab den Konsens, daß es zu einer fairen Verab-
redung zwischen Berlin und Bonn kommen müßte. Alle
waren der Überzeugung und der Auffassung: Die Bon-
ner Region wird nicht allein gelassen. In Bonn war man
parteiübergreifend bei den Fraktionen im Rat der Stadt
ähnlich wie in den Gremien der Region, die Bonn um-
gibt, in den Landkreisen, dieser Auffassung. In Bund
und Land war man ebenfalls parteiübergreifend dieser
Auffassung.

Aus dieser Zusammenarbeit und dem Willen heraus,
die Bonner Region zu stützen, erwuchs 1994 die Ver-
einbarung über Ausgleichsleistungen für die Region
Bonn. Die Laufzeit dieser Ausgleichsvereinbarungen
reicht bis zum 31. Dezember 2004. Der Bund sollte für
den Ausgleich der Bonner Region 2,81 Milliarden DM
zur Verfügung stellen. Heute, meine Damen und Herren,
stellen wir fest: Nach nur der Hälfte der Laufzeit dieser
Vereinbarungen sind Maßnahmen mit einem Volumen

von 2,658 Milliarden DM entschieden. Das heißt, 98
Prozent der Ausgleichsmittel sind einvernehmlich für
den Bonner Raum, für die Bonner Region entschieden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.])


Das ist eine herausragende Leistung und zeigt die Ver-
läßlichkeit der Partner, die Qualität der Zusammenarbeit
und den Willen aller, die Region Bonn nach vorn zu
bringen.

Optimismus, Wille zur Gestaltung, Vertrauen in die
Zukunft: Das waren die Grundlagen für den politischen
Konsens über die Parteigrenzen hinaus. Damit wurden
in der Bonner Region Signale gesetzt. Das Signal an die
Bonnerinnen und Bonner war: Die Chancen, die daraus
erwachsen, sollen genutzt werden. Es bilden sich gute
Perspektiven, wenn alle gemeinsam an die Aufgabe her-
angehen, für die Zeit nach dem Umzug nach Berlin eine
Zukunft zu entwickeln. Das Signal an Unternehmer, an
nationale und internationale Behörden war: Jawohl,
Bonn ist eine optimistische Stadt mit Zukunft. Die welt-
offene und gastfreundliche Stadt Bonn ist weiterhin ein
sehr guter Standort für die Wirtschaft, für nationale und
internationale Politik und für Kultur und Wissenschaft.

Die Vereinbarungen und die politische Gemeinsam-
keit haben Bonn – ich wiederhole das – eine hervorra-
gende Perspektive gegeben. Daran waren Personen und
Persönlichkeiten über die Parteigrenzen hinweg betei-
ligt: Bärbel Dieckmann, die Oberbürgermeisterin der
Stadt Bonn, Franz Möller, der Landrat des Rhein-Sieg-
Kreises, Ingrid Matthäus-Maier, die ich stellvertretend
für die Abgeordneten erwähne, weil sie uns als Abge-
ordnete bald verläßt, und natürlich das Land Nordrhein-
Westfalen mit Wolfgang Clement, dem heutigen Mi-
nisterpräsidenten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und Editha Limbach!)


– Ich habe gerade gesagt, daß ich stellvertetend für die
Abgeordneten Ingrid Matthäus-Maier nenne; ich kann
gerne auch Frau Limbach erwähnen. Ich habe mehrfach
betont, daß es hier parteiübergreifende Initiativen gab,
und ich denke, das sollten Sie anerkennen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das mit MatthäusMaier war aber unnötig! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt haben wir sie alle im Protokoll, jetzt sind wir zufrieden!)


– Die Zwischenrufe beweisen, daß das, was ich im An-
schluß daran sagen wollte, zutrifft: Der breite poli-
tische Konsens hilft einer Region weiter. Wenn man
allerdings, vielleicht wegen kurzfristiger wahlpoliti-
scher Erfolge, die man anstrebt, versucht, auf kleinem
Karo Schach zu spielen, dann ist das für die Region si-
cherlich nicht gut.

Es ist weitgehend aus dem Auge verloren worden,
was das für die Region Bonn bedeutet. Deshalb ist es
ganz notwendig, daß man das einfach noch einmal er-
wähnt. Die Insider mögen das kennen, die meisten Bür-
gerinnen und Bürger in Bonn, um Bonn herum und vor

Norbert Hauser (Bonn)







(A) (C)



(B) (D)


allen Dingen auch im übrigen Deutschland wissen das
meistens nicht.

Ich will einmal aufzählen, welche Ausgleichsmaß-
nahmen im einzelnen angeschoben und auf den Weg
gebracht worden sind:

Das ist im Ausgleichsbereich Wirtschaft die Stiftung
CAESAR, die 1998 ihre Arbeit in angemieteten Räumen
aufgenommen hat und für die eine endgültige Unter-
bringung in einem Neubau am Rand der Rheinaue erfol-
gen soll. Das ist die Fachhochschule Rhein-Sieg, die an
den Standorten Sankt Augustin und Rheinbach den Stu-
dienbeginn zum Wintersemester 1995/96 aufgenommen
hat. Die Baumaßnahmen werden im Herbst 1999 in
Rheinbach und im Frühjahr 2000 in Sankt Augustin fer-
tiggestellt, die Bauten dann zur Verfügung stehen. Die
Fachhochschule Remagen hat den Studienbetrieb zum
Wintersemester 1998/99 aufgenommen. Die Baumaß-
nahme soll im Jahr 2000 fertiggestellt werden.

Ich nenne die Zentren für Europäische Integrations-
und Entwicklungsforschung, Institute der Universität
Bonn, 1995 gegründet, deren Unterbringung sukzessive
mit dem Ausbau erfolgt; die Erweiterung des Wissen-
schaftszentrums an der Ahrstraße mit der bereits abge-
schlossenen Erweiterung des DAAD-Gebäudes und mit
der ab 1998 laufenden Erweiterung des DFG-Gebäudes;
schließlich die Stiftung Begabtenförderungswerk beruf-
liche Bildung, die seit 1995 gefördert wird.

Im Ausgleichsbereich Kultur sind es die Errichtung
des Hauses der Kultur einschließlich der Anschubfinan-
zierung für drei ergänzende Einrichtungen der Kultur-
forschung und -dokumentation seit 1996 sowie die Ein-
richtung des Museums für Naturgeschichte in Königs-
winter und die Planung der Ökologieausstellung im Mu-
seum Koenig. Das ist zur Stärkung des Kulturstandorts
Bonn die ab 1996 geförderte Biennale für zeitgenössi-
sches europäisches Schauspiel sowie die 1997 mit dem
Museumsdepot in Meckenheim begonnene Erweiterung
des Rheinischen Landesmuseums. Und es ist schließlich
das Arp-Museum in Rolandseck, das ebenfalls aus die-
sen Mitteln gefördert wird.

Im Ausgleichsbereich Wirtschaftsstruktur ist es die
Stärkung der wirtschaftsnahen Infrastruktur, beispiels-
weise durch den Ausbau von Gewerbeflächen. Bis zum
Jahresende 1998 waren 166 Hektar Gewerbeflächen er-
schlossen und rund 2 600 Arbeitsplätze geschaffen wor-
den. Mit dem Investitionsprogramm für mittelständische
Wirtschaft – dort gibt es Zinszuschüsse – sind Investi-
tionen angestoßen worden, die bei 350 Unternehmen zu
rund 1 200 Arbeitsplätzen geführt haben. Mit dem
Technologie- und Transferzentrum Bonn, mit dem
Gründer- und Technologiezentrum Rheinbach und mit
dem Technologiezentrum für Oberflächentechnik in
Rheinbreitbach sind zukunftssichere Arbeitsplätze im
High-Tech-Bereich aufgebaut worden.

Weiterhin: Das Multimedia-Support-Center mit Sitz
in Köln und geplanter Dependance in Bonn wird – ein-
gepaßt in die Multimedia-Initiative des Landes Nord-
rhein-Westfalen – seit 1997 mit Ausgleichsmitteln ge-
fördert. Für die Förderung des Infrastrukturprogramms
zur Stärkung des Tourismus in der Region stehen Aus-

gleichsmittel bereit, unter anderem zur Anschubfinan-
zierung der Tourismus & Kongress GmbH in Bonn,
Rhein-Sieg und Ahrweiler.

Für die Förderung der Strukturförderungsgesellschaft
Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler wurden zur Unterstützung
des Standortmarketings und der Imagekampagne der
Stadt Bonn Mittel bereitgestellt.

Schließlich wurde zur Stärkung des Gesundheits-
standortes ein stattlicher Betrag für den Bau des Kinder-
herzzentrums in Sankt Augustin bewilligt.

Es gibt den Ausgleichsbereich Verkehr mit einem
Finanzierungsabkommen mit dem Land Nordrhein-
Westfalen und der Flughafen Köln/Bonn GmbH zur
Einbindung der Region in das nationale und internatio-
nale Verkehrsnetz. Im Zusammenhang mit Grund-
stücksleistungen sind Liegenschaften an die Stadt Bonn
übertragen worden.

Schließlich gibt es den Bereich der internationalen
Einrichtungen. 1996 wurde das Haus Carstanjen dem
Generalsekretär als Haus der Vereinten Nationen über-
geben. Dort sind zwischenzeitlich 5 VN-Einrichtungen
der Entwicklungszusammenarbeit und des Umwelt-
schutzes mit derzeit zirka 300 Mitarbeitern unterge-
bracht.

Das Internationale Paralympische Komitee und die
Zentraleinheit des Berufsbildungsprojekts der UNESCO
haben zumindest den Willen geäußert, in Bonn ihren
Sitz zu nehmen.

Die Bundesregierung hat Angebote unterbreitet und
verhandelt derzeit – vielleicht wissen Sie das – mit wei-
teren internationalen Organisationen und ist bemüht um
die Ansiedlung des Sekretariats der Konvention zum
Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Che-
mikalien. Sie ist ferner bemüht um die Ansiedlung des
europäischen Zentrums der Weltgesundheitsorganisation
WHO.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gestern noch hat der Haushaltsausschuß weitere
Mittel für drei weitere Maßnahmen bereitgestellt, auf die
der Kollege Beucher gleich noch eingehen wird.

Noch ein Wort zu dem Schild „Ab morgen geschlos-
sen“, das angeblich an die Tür genagelt wird. Die Innere
Kommission des Ältestenrates – der Bundestag und
nicht die Regierung entscheidet, was mit dem Plenarbe-
reich weiter geschehen wird – hat gestern dem Ältesten-
rat vorgeschlagen, daß die weitere Nutzung des
Plenarbereiches des Deutschen Bundestages die Er-
richtung eines internationalen Kongreß- und Tagungs-
zentrums vorsieht. Diese Lösung hat erhebliche positive
Auswirkungen für die Region Bonn. Dadurch wird bei-
spielsweise die geeignete Weiternutzung mit der Ver-
besserung der Ansiedlungschancen für internationale
Organisationen verbunden. Dies gibt natürlich Impulse
für die Bonner Region. Gutachter haben uns bestätigt,
daß dieses internationale Kongreß- und Tagungszentrum
bis zu 500 neue Arbeitsplätze schafft, erhebliche Steuer-
mehreinnahmen bringt und natürlich einen Beitrag zur

Achim Großmann






(B)



(A) (C)



(D)


Erhaltung des weltweiten Ansehens der Stadt Bonn und
der Region leistet. Dies ist eine Verbesserung des
Standortfaktors für weitere Ansiedlungen aus dem Be-
reich Wirtschaft.

Der Wettbewerb unter den Investoren zur Planung
und zum Betrieb soll in der Zwischenzeit durchgeführt
werden. Die Kosten – das ist fest vereinbart – teilen sich
der Bund auf der einen Seite und das Land und die Stadt
Bonn auf der anderen Seite hälftig.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Wo ist das vereinbart?)


Der Plenarbereich bleibt mit Leben erfüllt. Es gibt ab
dem 1. August 1999 einen Weiterbetrieb dieses Plenar-
bereiches. Das heißt, er steht für spontane Besuche und
für Führungen offen. Er steht ferner für Veranstaltungen
und Kongresse offen; die Bundestagsverwaltung hat uns
gestern mitgeteilt, daß bereits entsprechend nachgefragt
worden ist. Die technischen Ressourcen werden dafür
zur Verfügung gestellt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404524400
Herr
Kollege Großmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Hauser?


Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1404524500
Ich bin mit meiner Rede
sofort fertig. Danach kann sich der Kollege zu einer
Kurzintervention melden. Ansonsten würde meine Zeit
nicht ausreichen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404524600
Also
keine Zwischenfrage.


Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1404524700
Sie sehen also, meine
Damen und Herren, daß es ein herausragendes Ergebnis
bei der Umsetzung des Beschlusses gibt, die Region
Bonn und die Stadt Bonn nach dem Umzug des Bun-
destages nach Berlin nicht alleine zu lassen.

Ich will die wenigen verbleibenden Sätze meiner Re-
de dazu nutzen, mich bei der Stadt Bonn zu bedanken.
Wir haben uns hier immer sehr wohl gefühlt.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Es war auch im Hinblick auf die internationalen Besuche
nicht immer einfach mit uns. Aber die Bonner, denen man
immer rheinische Kleinbürgerlichkeit nachsagt, haben
sich als ganz weltoffene Bürgerinnen und Bürger erwie-
sen. Wir haben uns hier, wie gesagt, sehr wohl gefühlt.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das eine kann ich den Bonnerinnen und Bonnern heute
versprechen: Der Bund bleibt mit einem Standbein in
Bonn. Wir werden Bonn nicht vergessen; Bonn ist nach
wie vor als Bundesstadt ein ganz wichtiger Bestandteil
der Politik in der Bundesrepublik Deutschland.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404524800
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Guido We-
sterwelle von der F.D.P.-Fraktion. Bitte schön.


(Abg. Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Kurzintervention)


– Ihre Meldung kommt zu spät. Ich habe bereits den
nächsten Redner aufgerufen. Ich bitte um Verständnis,
daß wir in der Debatte fortfahren müssen. Wir sind be-
reits zwei Stunden im Verzug.

Herr Westerwelle, bitte.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1404524900
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatsse-
kretär, ich glaube, eine Sache sollten wir vorab klarstel-
len: Es geht nicht darum, daß parteipolitisch irgendwel-
che Vorteile in der Region hier gesucht werden. Es geht
nicht darum, in dieser Frage einer Bundesregierung, die
von SPD und Grünen gestellt wird, an den Karren zu
fahren. Das würde niemandem dienen, der hier in der
Bonner Region Verantwortung trägt. Es geht darum, daß
wir zu dem politischen Konsens zurückfinden. Für mich
heißt dieser Konsens: Pacta sunt servanda.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und der CDU/CSU)


Es geht nicht darum, in dieser Diskussion die
Schlachten von gestern noch einmal zu schlagen. Die
Entscheidung ist demokratisch mit Mehrheit gefällt
worden. Ich habe dem Parlament damals noch nicht an-
gehört. Ich hätte vermutlich anders abgestimmt als ande-
re Kolleginnen und Kollegen. Aber das Entscheidende
ist, jetzt nicht diesen Beschluß gewissermaßen zu torpe-
dieren. Es geht nicht darum, den Beschluß in Frage zu
stellen, sondern es geht darum – darauf haben wir Bon-
ner auch einen Anspruch –, daß dieser Beschluß wort-
getreu umgesetzt wird; denn man muß sich, wenn man
hier Verantwortung trägt, wirklich auf das verlassen
können, was beschlossen wurde.

Es heißt in diesem Umzugsbeschluß vom 20. Juni
1991, daß das Verwaltungszentrum der Bundesrepu-
blik Deutschland in Bonn bleibt, indem insbesondere
die Bereiche in den Ministerien und die Teile der Regie-
rung, die primär verwaltenden Charakter haben, ihren
Sitz in Bonn behalten. Wörtlich heißt es dort:

Dadurch bleibt der größte Teil der Arbeitsplätze in
Bonn erhalten.

Anschließend hat es das Berlin/Bonn-Gesetz gege-
ben. Darin ist festgelegt worden, daß von den Ministe-
rien, die in Bonn ihren Sitz behalten, nur 10 Prozent der
Arbeitsplätze nach Berlin verlagert werden können.

Wenn sich jetzt Herr Trittin in einem Interview des-
sen rühmt, daß es ihm als Bundesumweltminister gelun-
gen sei, diese Quote auf 25 Prozent anzuheben, dann
kann es niemanden verwundern, daß die Menschen, die
Planungssicherheit brauchen, irritiert sind.


(Beifall bei der SPD)

Das ist doch ganz normal. Das hat mit Parteipolitik

nichts zu tun. Es liegt im nationalen Interesse, daß der

Achim Großmann






(A) (C)



(B) (D)


Deutsche Bundestag, wenn er ein Gesetz macht, darauf
achtet, daß die Regierung dieses Gesetz auch wortgetreu
einhält, egal wer die Regierung stellt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es macht überhaupt keinen Sinn, daß wir in den ver-
gangenen Wochen bei zahlreichen Feierstunden eine
parteiübergreifende Einigkeit in der Bewertung der
50jährigen demokratischen Kultur, die von Bonn aus
geprägt wurde, festgestellt haben, wenn dann so ein
Prinzip Vergessen eintritt.

Die Sorge, die wir hier als Abgeordnete, als Verant-
wortungsträger aus Bonn und der Region haben, ist re-
lativ einfach: aus den Augen – aus dem Sinn. – Unsere
Sorge hier ist ganz einfach auf den Punkt zu bringen:
Wenn denn die sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
gen erst in Berlin sind, dann läßt das Verantwortungs-
gefühl für Bonn, das diesem Land 50 Jahre lang wert-
volle Dienste geleistet hat, nach. Das müssen wir ver-
hindern. Ich hoffe, daß wir auch über die Region hinaus
dafür in diesem Hause überparteiliche Zustimmung fin-
den können.


(Beifall bei der F.D.P., dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Es geht aus unserer Sicht vor allem darum, einen
Rutschbahneffekt zu verhindern – das ist das, was hin-
ter den besorgniserregenden Äußerungen steckt –, einen
Rutschbahneffekt, der dazu führt, daß man jeden Monat
etwas mehr in Frage stellt, was doch in Gesetzesform
vereinbart worden ist. Ich glaube, es kann nicht sinnvoll
sein, wenn wir bei diesen ganzen Bonn/Berlin-
Diskussionen künftig augenzwinkernd auf die Salami-
taktik warten: jede Woche, jeden Monat ein Scheibchen
weniger für die Region Bonn.

Ich möchte nicht, daß die Mittel, deren Einsatz dan-
kenswerterweise von der alten Regierungskoalition be-
schlossen wurde und die dankenswerterweise von der
neuen Regierung so eingesetzt werden, in Frage gestellt
werden. Aber ich möchte auch nicht, daß im Grunde ge-
nommen schleichend ein Rutschbahneffekt eintritt.
Wenn Sie sagen, der Bund behält ein Standbein in Bonn,
dann möchten wir, daß dieses Standbein auch eines ist,
auf dem man stehen kann, und daß es nicht nach einigen
Jahren zu einem läppischen Spielbein verkümmert. Dar-
auf sind wir in dieser Region angewiesen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Das hat nichts mit irgendwelchem Bejammern oder

mit irgendwelchen resignativen Gesichtspunkten oder
mit Verärgerung zu tun. Es geht einfach darum: Wenn
man in Deutschland Arbeitsplätze schaffen will, dann
muß man auch Vertrauen in den Standort schaffen.
Wenn man in Bonn Arbeitsplätze schaffen will, dann
braucht man auch hier für die Region Vertrauen in den
Standort. Das Wichtigste für Vertrauen ist, daß man sich
an das hält, was zugesagt wurde. Darauf legen wir gro-
ßen Wert.


(Beifall bei der F.D.P.)


Wir möchten, daß Bonn und die Region die Chancen
des Strukturwandels nutzen. Dafür werden alle Kräfte
hier in der Region gemeinsam kämpfen. Dazu braucht es
rheinischen Optimismus, aber eben auch preußische
Verläßlichkeit. „Wort halten“ ist deswegen sehr wohl
die richtige Devise für diese Debatte.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404525000
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Eichstädt-Bohlig von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Herr Hauser, Herr Westerwelle, ich verstehe
nicht ganz, warum Sie hier so eifern müssen und die
beiden Städte Bonn und Berlin und indirekt auch die von
der Föderalismuskommission festgelegten Standorte
jetzt noch einmal gegeneinander ausspielen müssen.


(Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das hat nun wirklich keiner getan!)


Wir wissen alle, daß es ein sensibles Problem war, den
gerechten Ausgleich zu schaffen und dann auch zu hal-
ten. Bisher sind alle Beteiligten sehr umsichtig mit die-
sem Thema umgegangen. Ich finde es schon etwas pro-
blematisch, wenn Sie jetzt meinen, Sie müßten dem
Bonner Wahlkampf zuliebe auf einen Putz hauen, den es
gar nicht gibt.

Denn was können Sie der neuen Regierung nachwei-
sen? Sie müssen feststellen, daß sie sehr achtsam mit
dem Berlin/Bonn-Gesetz umgeht und sehr genau darauf
achtet, daß entsprechend den Vorgaben des Gesetzes
vorgegangen wird. Da steht nichts von 10 Prozent; Sie
sollten das Gesetz einmal selber durchlesen, Herr Kolle-
ge Westerwelle.

Ich möchte Ihnen einfach nur sagen: Wie Frau
Dieckmann und die rotgrüne Stadtregierung selbstbe-
wußt und optimistisch mit den Bonner Veränderungen
umgehen, finde ich bewundernswert: ohne verkrampftes
Schreien und Jammern. Bonn wird mit diesen Verände-
rungen klarkommen. Das Problem ist inzwischen prak-
tisch gelöst: Die Bonner, die nach Berlin gehen, haben
sich inzwischen umgestellt; alle Bonner, die hier mit
Veränderungen umgehen müssen, haben das inzwischen
in einer sehr konstruktiven Weise geschafft, allen An-
fangsproblemen zum Trotz; die Berliner, die nach Bonn
kommen, tun das inzwischen auch nicht mehr mit Jam-
mern, sondern mit einer positiven Haltung.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404525100
Frau
Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Westerwelle?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist unglaublich! Herr Westerwelle, wir sind zwei Stunden in Verzug!)


Dr. Guido Westerwelle






(B)



(A) (C)



(D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404525200
Bitte
schön, Herr Westerwelle.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1404525300
Ich will eine Zwi-
schenfrage dazu stellen, weil ich glaube, daß es nicht um
Eifern geht. Es geht auch nicht darum, irgendwelche
Städte gegeneinander auszuspielen.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frage!)


Ich bin der Meinung – –

(Zuruf von der SPD: Fragen Sie doch!)


– Das ist meine Frage an Sie: Kann es richtig sein, daß,
wenn 10 Prozent vereinbart werden, jetzt plötzlich
25 Prozent in Interviews verkündet werden? Können Sie
sich vorstellen, daß eine Menge Dienstleister, die direkt
gar nicht vom Umzug betroffen sind, das sorgenvoll se-
hen? Wie erklärt es sich dann, daß ausgerechnet Herr
Metzger aus Ihrer Fraktion sagt, die Regierung müsse in
toto nach Berlin?


(Beifall der Abg. Renate Rennebach [SPD])

Können Sie sich nicht vorstellen, daß das zu Irritationen
auch hier in der Region führt?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

sieht. Ich dachte, Sie hätten eigentlich genug Gelegen-
heit, sich zu informieren. Aber ich antworte gerne auf
Ihre Frage.

Erstens. Genau wie unter der alten Regierung verein-
bart, verbleiben zwei Drittel der Beschäftigten hier in
Bonn. Das wird von der jetzigen Regierung ganz kon-
kret umgesetzt. Ein Drittel wechselt nach Berlin.

Zweitens. Sie beachten nicht, daß es um drei Betei-
ligte geht: die Interessen von Bonn, die Interessen von
Berlin und – dafür sind alle Beteiligten gemeinsam ver-
antwortlich – die Sicherstellung der Regierungsfähig-
keit in Berlin. Da müssen Sie der neuen Regierung
schon zugestehen, daß sie geringfügige Veränderungen
gegenüber dem, was zu Zeiten der Kohl-Regierung als
Regierungsfähigkeit definiert wurde,


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Also doch!)

im Rahmen des Berlin/Bonn-Gesetzes vornimmt.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Also doch! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Regierungsfähigkeit definieren die anders! Das ist wahr!)


Lesen Sie es bitte durch, Herr Kollege Westerwelle! Ich
sage Ihnen eines: Auch ein Kanzler Kohl könnte, wenn
er gewählt worden wäre und diese Regierung führen
würde, nicht einfach die Ministerialverwaltung ad ulti-
mum im Status quo festlegen. Auch er müßte Modifika-
tionen vornehmen, wenn er ein Interesse daran hätte, die
Regierung zukunftsfähig zu machen. Das sind kleine

Veränderungen im Rahmen des Berlin/Bonn-Gesetzes.
Wenn Sie sich genau anschauen, was die Regierung
macht, dann werden Sie feststellen, daß sie sich sehr
wohl an die Regeln des Berlin/Bonn-Gesetzes und wei-
testgehend an die Vereinbarungen hält, die die alte Re-
gierung mit den einzelnen Arbeitsbereichen und den
Mitarbeitern getroffen hat.

Das einzige, was verändert worden ist, ist folgendes:
Man hat festgestellt, daß die 10-Prozent-Formel für die
Erstdienstsitze in Bonn als Zwangskorsett nicht auf-
rechtzuerhalten ist, und hat den Ministerien etwas mehr
Spielraum gegeben. Nicht das Gesundheitsministerium
oder das Bildungsressort, nicht das Landwirtschaftsmi-
nisterium, nicht das Ministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit, sondern nur das Umweltministerium hat
das in Anspruch genommen, und zwar in ganz kleinem
Umfang. Es geht nur um 100 Beschäftigte mehr – wobei
teilweise andere Stellen wieder in Bonn verbleiben –, so
daß es wirklich albern ist, zu behaupten, damit werde
das Berlin/Bonn-Gesetz verletzt. Denn im Berlin/Bonn-
Gesetz ist von Politikbereichen die Rede und davon, daß
die Mehrheit der Beschäftigten in Bonn bleibt. Das alles
ist ganz eindeutig gewährleistet.

Ich finde das auch völlig richtig. Was ich nicht richtig
finde, ist, daß Sie jetzt zu zündeln anfangen


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Wir merken nur, was Sie machen!)


und meinen, man müsse auf Grund der Verschiebung
von Nuancen ein neues Faß aufmachen und den Bon-
nern erneut Ängste einreden, die überhaupt nicht ange-
messen sind.

Statt bei diesem Thema wieder für Verunsicherung zu
sorgen, sollte man ganz ruhig damit umgehen und die
kleinen Veränderungen, die übrigens im Einvernehmen
mit den Betroffenen, also auf freiwilliger Basis, erzielt
worden sind, akzeptieren.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Ha, ha, ha!)


– Doch, Herr Hauser, fragen Sie doch bei den entspre-
chenden Beteiligten nach!


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Zehn Tage Entscheidungsfrist!)


Regieren kann nicht starr definiert werden, und über-
dies müssen auch Sie die Ziele der Regierungsfähigkeit
und des sparsamen Umgangs mit Steuermitteln akzeptie-
ren. Denn auch dieses Problem haben wir von Ihnen ge-
erbt: Sie sind mit den Kosten sehr, sehr großzügig um-
gegangen. Aber die neue Regierung hat die Verantwor-
tung, jetzt keinen weiteren Kostenaufwuchs zuzulassen.
Auch das ist ein Grund dafür, daß die neue Regierung
jetzt nicht aufsattelt. Es geht also nicht nur um politische
Vernunft, sondern auch um Kostenbewußtsein und das
Interesse an der Fairneß der Arbeitsteilung zwischen
Bonn, Berlin und den Föderalismusstandorten.

Von daher meine dringende Bitte, jetzt nicht Wahl-
kampf zu machen, sondern mit dem Thema so umzuge-
hen, wie es Frau Dieckmann in Bonn tut: optimistisch
und selbstbewußt. Insofern stimmt es, was wir zur Zeit






(A) (C)



(B) (D)


überall in der Stadt sehen: „Bonn gewinnt“, und zwar
mit Rotgrün.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das war jetzt aber überhaupt nicht Wahlkampf! Das hat jetzt nichts mit Wahlkampf zu tun, oder?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404525400
Der
Kollege Norbert Hauser hat um eine Kurzintervention
gebeten. Ich erteile ihm das Wort, mache aber darauf
aufmerksam, daß ich mit diesem Instrument in der näch-
sten Zeit sehr restriktiv umgehen werde, weil wir bereits
viel Zeit verloren haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Herr Hauser, bitte schön.


Norbert Hauser (CDU):
Rede ID: ID1404525500
Vielen Dank,
Herr Präsident.

Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, der Kollege Wester-
welle hat gerade schon darauf hingewiesen: Ihr letzter
Satz war Wahlkampf, nichts anderes.

Ich will nur eines noch einmal deutlich machen, weil
Sie das aufgeworfen haben: Hier geht es überhaupt nicht
darum, Gegensätze zwischen Berlin und Bonn zu kon-
struieren. Sie wissen, daß es einen Initiativkreis Ber-
lin/Bonn gibt, der sich um die Bewältigung der Schwie-
rigkeiten des Umzugs bemüht. Ich glaube schon, daß die
Bundeshauptstadt Berlin und die Bundesstadt Bonn in
Zukunft sehr gut zusammenarbeiten und sich gegensei-
tig unterstützen können und daß beide Städte eine gute
Zukunft haben werden.

Frau Kollegin, Sie haben recht, wenn Sie sagen, die
10-Prozent-Formel stehe nicht im Gesetz. Dies beruht
auf einem Kabinettsbeschluß aus dem Jahre 1994; dar-
auf will ich mich jetzt gar nicht einlassen. Aber es geht
nicht, daß Vereinbarungen, die eindeutig im Gesetz ge-
regelt sind, nun in Frage gestellt werden, so etwa § 7
Abs. 1 Nrn. 3, 4, 5, 9 – betreffend die Institute, die ich
eben angesprochen habe. Hierauf hat diese Region einen
Anspruch. Ihre Minister, vorneweg Herr Trittin, stellen
diesen Anspruch in Frage. Nur darum geht es.

Nicht lamentieren, Wort halten im Sinne des Geset-
zes! Aber Sie sollten sich an das Gesetz halten und Ge-
setzesverstöße nicht auch noch im Parlament verteidi-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404525600
Frau
Eichstädt-Bohlig, bitte zur Erwiderung.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Die namentliche Abstimmung ist heute abend nur für Bonner und Berliner!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Interesse an den Bonnern und an einem fairen Ausgleich
haben, bitte ich Sie um eines: Sie sollten dieser Regie-
rung sehr dankbar dafür sein, daß sie so achtsam mit den
Grundprinzipien des Berlin/Bonn-Gesetzes umgeht und
in hohem Maße daran interessiert ist, trotz der vielen
Probleme, die das für die Regierungsfähigkeit bringt,
diesen Interessenausgleich weitestgehend zu beachten
und sich nach ihm zu richten. Daß sich eine Regierung
Richtung Zukunft weiterentwickelt, sollten Sie ihr als
Politiker ein kleines bißchen zugestehen.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Wortbruch ist kein Weiterentwickeln!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404525700
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Petra Pau
von der PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404525800
Ich habe wirklich sehr lange nach
dem Sinn dieses Antrages gesucht. Auch nach der De-
batte ist mir eigentlich nur einer eingefallen: Wahl-
kampfhilfe für die Bonner Bürgermeisterwahl.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Oberbürgermeister!)


– Ja, bitte, Oberbürgermeister, noch nicht Regierender
Bürgermeister, richtig.

Ich muß Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU und auch Ihnen, Herr Westerwelle, als
Bonner, sagen: Das ist ein legitimes Anliegen, aber bitte
nicht mit uns, sondern ganz standesgemäß gegen uns.
Das heißt übrigens nicht, daß wir uns in irgendeiner
Weise gegen Bonn oder auch gegen Berlin benutzen lie-
ßen. Aber schon der moralische Duktus, mit dem dieser
Antrag daherkommt – „Wort halten“ –, baut natürlich
auf inständiges Vergessen. Denn am 20. Juni 1991 hat
der Bundestag nicht nur den Umzug beschlossen, son-
dern auch, binnen vier Jahren die Arbeit in Berlin auf-
zunehmen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!)

Zumindest Herr Blüm und Herr Rüttgers, die heute als
Antragsteller „Wort halten“ fordern, müßten sich doch
daran erinnern, auch wenn sie seinerzeit, wie der heutige
Umzugsminister, gegen Berlin votiert haben.


(Zustimmung des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS])


Ich sage Ihnen auch, wie die Berlinerinnen und Berli-
ner diese Art von „Wort halten“ sehen. Sie sagen ein-
fach: Spät kommen sie und obendrein noch ganz schön
teuer.

Wir haben in den vergangenen Jahren viele Vor-
schläge für einen zügigen und einen finanziell vertretba-
ren Umzug gemacht. Mit anderen Worten: Wenn es
schon ums Worthalten geht, dann haben wir und dieje-
nigen, die solche Vorschläge unterbreitet haben, Wort
gehalten. Dazu brauchten wir diesen Antrag und diese
Debatte heute tatsächlich nicht.

Franziska Eichstädt-Bohlig






(B)



(A) (C)



(D)


Nun fordern Sie aber in diesem Antrag noch ein biß-
chen mehr. Wir sollen nämlich nachträglich alle Verträ-
ge gutheißen, die im Namen dieses Umzuges verbockt
wurden.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Die das Parlament beschlossen hat!)


Da sage ich Ihnen ganz deutlich: Sie werden weder mei-
ne nachträgliche Zustimmung zu dem unsäglichen
Hauptstadtvertrag bekommen, der insbesondere Berline-
rinnen und Berlinern in ihrer Stadt Nachteile bringt,
noch zu welchem Großprojekt auch immer, auch nicht
durch die Hintertür dieses Antrages.

Damit mich hier heute keiner mißversteht: Ich bin für
einen fairen Umgang mit Bonn, wie ich auch für einen
fairen Umgang mit Berlin bin. Vor allen Dingen bin ich
für einen fairen Umgang mit allen vom Umzug Betrof-
fenen. Das sind sehr viel mehr als diejenigen, die jetzt
tatsächlich umziehen und ihren Wohnsitz verlagern. Das
sage ich ausdrücklich auch den Bonnerinnen und Bon-
nern, die mich hier nicht nur fair, sondern auch sehr
rheinländisch aufgenommen haben.


(Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Rheinisch heißt das! – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das werdet ihr alle noch vermissen!)


– Das kann ja sein.
Aber das ist nicht der Punkt dieses Antrages, sondern

es geht um die Verteilung von Lasten und Privilegien. In
diesem Fall mache ich Ihnen einen Vorschlag: Lassen
Sie doch einfach zwei der Feiertage, die die Bonner hier
haben, mit umziehen. Die Bonner werden nichts verlie-
ren, und die Berliner werden etwas gewinnen. Bonn und
Berlin werden dadurch noch ein Stückchen mehr zu-
sammenwachsen.


(Beifall bei der PDS – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Aber für Karneval seid ihr zu steif!)


– Mir reichen auch die anderen beiden Feiertage, die ich
jüngst vorschlug.

Ein letzter Gedanke.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gedanke?)


Heute wurde mehrfach beschworen – das steht auch
in diesem Antrag –, daß sich nichts ändern soll. In acht
Jahren kann sich sehr viel ändern. Wir werden beide
Regionen und ihr Wohl im Blick behalten. Aber glauben
Sie mir: Wir haben sehr viel mehr Erfahrung damit,
wenn Leute jahrelang den Satz vor sich hertragen: Es
soll sich nichts ändern, weil es einmal beschlossen wur-
de. Wir sollten uns mit dieser schlechten Erfahrung nicht
nach Berlin begeben, und wir sollten mit dieser
schlechten Erfahrung auch die Bonner nicht belasten.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404525900
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Siegfried
Helias von der CDU/CSU-Fraktion.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Na, wartet!)



Siegfried Helias (CDU):
Rede ID: ID1404526000
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei dem Bei-
trag von Frau Eichstädt-Bohlig fühlte ich mich eher in
ein Wahlkampflokal versetzt und meinte, ich sei nicht
mehr im Deutschen Bundestag. Ich will versuchen, daß
wir wieder auf die Ebene einer vernünftigen Debatte zu-
rückfinden.

Ich habe vor einiger Zeit in einer großen Wochen-
zeitung gelesen: „Bonn bleibt unvergessen.“ Das klang
wie ein Nachruf, nach dem Motto: Ruhe sanft. Ich
meine, das hat Bonn nun wirklich nicht verdient. Bonn
ist zweifelsohne eine Stadt mit einer großen Vergangen-
heit, aber ist viel zu jung und zu aktiv, um seine Bedeu-
tung allein aus dem Geschichtsbuch zu beziehen. Bonn
hat eine sehr lebendige Gegenwart, und – mehr noch –
Bonn ist eine Stadt mit Zukunft.

Daß diese Zukunft Chance und Herausforderung zu-
gleich ist, hat mein Kollege Norbert Hauser beschrieben.
Im Wettbewerb der Regionen werden vor allem die zu
den Gewinnern zählen, die auf die eigenen Kräfte ver-
trauen, die Ärmel hochkrempeln und die Herausforde-
rungen der Zukunft aktiv annehmen. Dabei steht Bonn
ganz gut da. Es bleiben ja nicht nur die sechs Ministe-
rien am Rhein; Bonn erlebt den Ausbau zum Nord-Süd-
Zentrum, das in ein internationales Geflecht von Hilfs-
diensten, Entwicklungsplanung und friedlichem Interes-
sensausgleich eingebunden wird. Bonn entwickelt sich
zu einem Zentrum der Kommunikationstechnologie, und
Bonn kann zu einem bedeutenden Bildungs- und Kon-
greßzentrum werden. Zusammen mit Köln und dem
Rhein-Sieg-Kreis bildet Bonn eine starke, wettbewerbs-
fähige Region.

Wir haben gerade bei der Behandlung des vorigen
Tagesordnungspunktes von regionalen Leitbildern ge-
hört. Hier bildet sich ein neues heraus. Die Konturen
werden immer schärfer. Ich denke, die anstehenden Pro-
bleme, die es zweifelsohne gibt, werden wir nur in
einem engen Zusammenspiel von Ländern und nationa-
len Institutionen lösen.

Wer nun in der Bonner Region glaubt, durch den
Wegzug von Parlament und Regierung einen Macht-
und Bedeutungsverlust hinnehmen zu müssen, dem halte
ich entgegen, daß Machtaufteilung ein Grundprinzip
unserer föderalen Ordnung ist. Insofern präsentiert sich
die Bundesrepublik Deutschland als moderner föderaler
Staat mit seiner Bundeshauptstadt Berlin und der Bun-
desstadt Bonn. Sie betont dabei die Zentralgewalt durch
die Stärkung der Regionen und folgt damit einer guten
Tradition.

Lassen Sie mich dafür einige wenige Beispiele nen-
nen. So, wie wir Karlsruhe mit dem Bundesverfassungs-
gericht in Verbindung bringen und Nürnberg mit der
Bundesanstalt für Arbeit, werden Leipzig als künftiger
Sitz des Bundesverwaltungsgerichts und Erfurt als Sitz
des Bundesarbeitsgerichts ihre bisherige Bedeutung
steigern. Die Verlagerung staatlicher Aufgaben stärkt
also die Regionen und ermöglicht so neue Handlungs-
felder und auch ein neues Selbstbewußtsein.

Und die Bonner? Sie können schon darauf vertrauen,
daß wir, die Union, Wort halten. Sie können auch den

Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Berlinern vertrauen. Ob sie allerdings der Bundesregie-
rung trauen können, da bin ich mir nicht so ganz sicher.
Wer im Zeitalter eines neuen, modernen Arbeitsplatz-
managements noch nicht einmal die Pendlerfrage in den
Griff bekommt, wer noch nie etwas davon gehört hat,
daß es Zeitkonten gibt, daß es Arbeitszeitflexibilität gibt,
und wer an überkommenen wilhelminischen Traditionen
von anno Zopf in der Arbeitswelt festhält, dem kann ich
eigentlich nur zutiefst mißtrauen.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wer kleine Dinge schon nicht in den Griff bekommt,
wird auch das Große nicht meistern können.

Zum Abschluß möchte auch ich mich als neues Mit-
glied des Bundestages bei den Bonnern bedanken: zum
einen persönlich für die freundliche Aufnahme, zum an-
deren aber auch für den Beginn einer neuen Partner-
schaft in den Bereichen Wissenschaft, Kultur, Bildung
und Sport. Gerade im Sport hat es ja ein erstes ermuti-
gendes Zeichen dafür gegeben, wie man Dinge verbin-
den kann.


(Konrad Gilges [SPD]: Sie sind ja gar kein Rheinländer!)


Ich meine die Deutschlandrundfahrt der Radprofis.

(Konrad Gilges [SPD]: Hier sitzen die Rhein länder!)

– Beruhigen Sie sich einmal, Männeken.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU], zu Abg. Konrad Gilges [SPD] gewandt: Sehen Sie erst einmal zu, daß Sie mit dem 1. FC Köln klarkommen! – Heiterkeit)


Diese Rundfahrt hat ihren Start in Berlin und ihr Ziel in
Bonn. Wenn wir so etwas dauerhaft verankern können,
wäre das etwas Wunderbares.

Ein weiteres zartes Pflänzchen gibt es in der Kultur-
landschaft. Am nächsten Wochenende wird beim gro-
ßen Theatermarkt an der Deutschen Oper Berlin das
Bonner Theater am Ballsaal sein und dort das Sound-
projekt „Citysongs“ vorstellen. Ich denke, umgekehrt
wird auch ein Schuh daraus, wenn die kulturelle Reise
wieder an den Rhein geht. Warum soll man nicht Insze-
nierungen der Bonner Bühnen in Berlin zeigen oder um-
gekehrt? Das spart zum einen Kosten, zum anderen
schafft es Dinge, die verbinden.

Deswegen: Trennendes sollte der Vergangenheit an-
gehören. Partnerschaftlich werden Berlin und Bonn die
Zukunft meistern.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404526100
Herr
Kollege Helias, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede
im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch.


(Beifall)

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Fried-

helm Julius Beucher, SPD-Fraktion. Bitte schön.


Friedhelm Julius Beucher (SPD):
Rede ID: ID1404526200
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Wort halten ist eine edle Forde-
rung, die nicht nur in der Politik, sondern überall im
täglichen Leben Garant für fairen und vernünftigen Um-
gang miteinander ist. Insofern werden Sie uns immer auf
Ihrer Seite haben.

Wenn man Ihren Antrag liest, findet man vieles,
dem man zustimmen kann. Doch derjenige, der heute,
am 17. Juni 1999, Wort halten für die Umsetzung der
Bonn/Berlin-Beschlüsse einfordert, muß sich natürlich
fragen lassen, was er vor dem 27. September 1998 selbst
dazu beigetragen hat. Da bahnt sich für die heutige Op-
position bereits das Dilemma an, wenn man nicht sagen
will: Es ist ganz schön keck, was Sie als ehemalige Ver-
antwortliche für die Umsetzung der Beschlüsse von
1991 und 1994 hier fordern.

Meinen Sie wirklich, der Bürger sieht und weiß nicht,
was Sie alles der neuen Regierung ungelöst und unge-
klärt hinterlassen haben?


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Bei uns säße Kohl hier! Wo ist Schröder?)


Dazu gehört vor allen Dingen, Herr Westerwelle, auch
Ihr Zaudern und das Ihres Koalitionspartners vor der
letzten Wahl, die neue Bonn-Vereinbarung auf den
notwendigen Weg zu bringen. Sie konnten oder wollten
sich nicht gegen die Betonköpfigkeit des damaligen
Finanzministers durchsetzen.

Die Bonn-Vereinbarung, eine Finanzvereinbarung
über den Bundeszuschuß für die nächsten zehn Jahre,
haben Sie einfach liegenlassen. Sollten sich doch andere
damit herumschlagen.


(Beifall des Abg. Konrad Gilges [SPD] – Siegfried Helias [CDU/CSU]: Sie wollten es doch besser machen!)


Sie wissen ganz genau, daß die Stadt Bonn deshalb
große Probleme hat. Sie wissen, daß es mittel- und lang-
fristige Verträge gibt, die eingehalten werden müssen.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, war kein Ruh-
mesblatt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die nächste peinliche Hinterlassenschaft ist die im-

mer noch ungeklärte Nutzung des Plenarsaals. Das
Parlament zieht aus, und es gibt keine Entscheidung
darüber, was mit dem Plenarsaal passiert.


(Konrad Gilges [SPD]: Weil es sie überhaupt nicht interessiert!)


Sie waren es auch, die eine Chance vergeben haben, mit
einem attraktiven internationalen Konferenzzentrum hier
eine unmittelbare Anschlußnutzung zu garantieren. Das
kann man nicht von heute auf morgen. Es ist eine origi-
näre Aufgabe des Bundes, sich darum zu kümmern. Sie
hätten das bereits tun müssen.

Sie haben doch auch 50 Jahre lang das Reichstagsge-
bäude in Berlin unterhalten. Kann mir daher jemand er-

Siegfried Helias






(B)



(A) (C)



(D)


klären, wieso der Bund für diesen Plenarsaal nicht zu-
ständig sein soll?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wenn man inzwischen die Kurve genommen haben
sollte – wie ich es soeben dem Beitrag des Parlamentari-
schen Staatssekretärs entnehmen konnte –, so begrüßen
wir das natürlich; denn Weichen müssen zeitig und
richtig gestellt werden, wenn keine unübersehbaren Fol-
gen auf einen zukommen sollen.

In diesem Zusammenhang kann ich auch nicht die un-
rühmliche Art und Weise verschweigen, in der Sie den
Petersberg verramschen wollten. Das Hotel Petersberg
ist ein wichtiger Ort deutscher Nachkriegsgeschichte.
Herr Kinkel, den ich als Sportler sehr schätze und der im
Sportausschuß ein ganz hervorragender Zu- und Mitar-
beiter ist, hat sich in dieser Frage nicht mit Ruhm be-
kleckert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Während der Bund in Berlin Regierungsgebäude der
früheren NS-Regierung und der ehemaligen DDR-
Regierung selbstverständlich im Eigentum behält und
wieder bezieht, wird mit dem Petersberg, einem bau-
lichen Symbol der erfolgreichen Nachkriegsdemokratie
unseres Landes, ohne Einfühlungsvermögen der Immo-
bilienmarkt gefüttert.

Warum haben Sie es nicht fertiggebracht, ein sinn-
volles Konzept für den Petersberg zu erarbeiten? Bonn
soll doch zum Nord-Süd-Zentrum werden.


(Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Wo ist denn Herr Fischer?)


Einige UN- und andere internationale Organisationen
sind schon in Bonn oder werden noch kommen. Es geht
hier um einen fairen Ausgleich für die Region, Herr
Westerwelle. Es geht auch darum, daß Ministerien in
Bonn bleiben. Also bietet es sich an, das Gebäude auf
dem Petersberg dafür zu nutzen.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Das stimmt!)


Unter Bauminister Oswald wurde schließlich der
freundliche Stillstand zur Regierungskunst erhoben. Ich
möchte deshalb etwas über den Schürmannbau sagen.
Der Schürmannbau ist ein besonderes Denkmal für die
Unfähigkeit der vergangenen Regierung. Seit 1993
dümpelte diese Bauruine vor sich hin. Erst seit mein
Kollege, Minister Müntefering, die Dinge in die Hand
genommen hat, laufen die Arbeiten dort wieder auf
Hochtouren.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Konrad Gilges [SPD]: Frau Schwaetzer war die Hauptbeteiligte an dem Desaster! – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Die Überflutung des Schürmannbaus hat Herr Töpfer persönlich veranlaßt!? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Mein Herz ist ausreichend rot. Deshalb brauche ich
Ihre Hinweise nicht. Es ist auch ganz natürlich, daß Sie
jetzt so reagieren. Es ist ein ganz natürliches menschli-

ches Symptom, daß man dann, wenn man getroffen
wird, laut aufschreit. Ich sehe daran, daß ich getroffen
habe.

Den Liegenschaftsfonds haben Sie jahrelang blok-
kiert. Unter der Kohl-Regierung fand oft ein unerträgli-
ches Gezerre zwischen der administrativen Ebene der
Bundesministerien und den Gebietskörperschaften der
Region statt. Geradezu als mutig muß ich in diesem Zu-
sammenhang die Tatsache bezeichnen, daß sogar Ihr
Kollege Rüttgers Ihren Antrag unterschrieben hat. Der
gleiche Jürgen Rüttgers hat nichts, aber auch gar nichts
unternommen, als es darum ging, die DARA, die Deut-
sche Agentur für Raumfahrt, in Bonn zu halten, im Ge-
genteil: Er hat sie damals ohne Not aufgelöst. Gegen-
über der Stadt Bonn vertrat er dann die Auffassung, daß
Bonn doch schon genug bekommen und die DARA
nicht nötig habe.

Auch das Internationale Forschungszentrum CAE-
SAR hat unter Herrn Rüttgers Amtsführung als For-
schungsminister einen schweren Rückschlag erlitten.


(Konrad Gilges [SPD]: Sehr richtig!)

Der erste Gründungsrektor sprang ab. Die Suche nach
einem geeigneten Grundstück wurde mehr als dilettan-
tisch betrieben.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Vertrag nicht gemacht!)


Wenn ich Ihnen jetzt sage – Herr Hauser, hören Sie jetzt
gut zu –, daß der frühere Staatssekretär Stahl die Ver-
antwortung für dieses Desaster hat – der gleiche Stahl,
der jetzt in Bonn gegen die erfolgreiche Oberbürgermeiste-
rin Bärbel Dieckmann als CDU-Gegenkandidat antritt –,
dann wissen wir alle, woher der Wind weht.


(Beifall bei der SPD – Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aha! – Konrad Gilges [SPD]: Mit der DARA hat sich Herr Stahl disqualifiziert!)


Damit finden wir offensichtlich den Schlüssel zu den
Motiven für Ihren Antrag. Hier geht es nicht um Bonn.
Hier geht es nur vordergründig um Wort halten; viel-
mehr wird hier knallhart Kommunalwahlkampf durch
die Hintertür betrieben.

Zugleich kündigt die CDU damit aus Wahlkampfin-
teressen den bisherigen regionalen Konsens auf. Es war
wohltuend und hat der Region Bonn mit seinen 1 Mil-
lion Einwohnern sehr genutzt, daß die politischen Kräfte
– sei es im Landtag, im Bundestag, in den Kreistagen
oder in den Stadt- und Gemeinderäten – hier immer mit
einer Zunge gesprochen haben und im Konsens die Sa-
che Bonns vertreten haben. In den Bundestags-, Land-
tags- oder Kommunalwahlen wurde kein Kandidat mit
der Frage konfrontiert, ob er für oder gegen Bonn ge-
stimmt hat. Dieses Thema wurde im Wahlkampf nicht
mißbraucht. Von dieser erfolgreichen Strategie für diese
Region hat sich die CDU/CSU offensichtlich verab-
schiedet, es sei denn, daß Sie jetzt die Chance ergreifen
– ich hoffe, Herr Röttgen, Sie gehen darauf gleich ein –,
konstruktiv mitzuarbeiten und den Antrag, dessen In-
halte sehr wichtig sind, mit uns an die Ausschüsse zu

Friedhelm Julius Beucher






(A) (C)



(B) (D)


überweisen, um damit Stück für Stück die Bonn/Berlin-
Vereinbarung umzusetzen und somit zu ihrer Einhaltung
beizutragen.

Den Minister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
bitte ich, sich weiter intensiv, wie zum Beispiel gestern
im Haushaltsausschuß, um die Anschlußnutzungen zu
kümmern. In diesem Ausschuß wurde für weitere drei
Projekte eine Förderung von 27,5 Millionen DM aus
dem Ausgleichsfonds beschlossen. In diesem Zusam-
menhang will ich auch nicht die Bereitstellung des Hau-
ses in der Dahlmannstraße – das Haus der Parlamentari-
schen Gesellschaft – unerwähnt lassen, in das als erster
Mieter die Willi-Daume-Stiftung einziehen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das alles sind kleine, aber sehr wichtige Schritte ge-
gen die Haltung: Hier wird am 2. Juli dieses Jahres der
Schlüssel herumgedreht und dann nach mir die Sintflut.
Das zu verhindern ist eine gemeinsame Aufgabe im In-
teresse unserer Glaubwürdigkeit und im Interesse der
Menschen dieser Region.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404526300
Als
letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der
Kollege Norbert Röttgen das Wort.


(Dr. Willfried Penner [SPD]: Kandidiert der auch als Oberbürgermeister?)



Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1404526400
Herr Präsident! Mei-
ne sehr geehrten Damen und Herren! Als letzter Redner
in dieser Debatte muß ich Sie schon fragen: Warum tun
Sie sich so schwer, diesem Antrag zuzustimmen? Es ist
ein Antrag, in dem es nach seiner Überschrift, seinem
Inhalt und seinem Ziel nur darum geht, zu sagen, daß
Wort gehalten wird. Warum tun Sie sich so schwer, zu
sagen: Wir sind dafür, daß wir das, was Gesetz ist, auch
einhalten? Welche Passage, welches Wort gefällt Ihnen
in diesem Antrag nicht?


(Konrad Gilges [SPD]: Warum haben Sie ihn nicht vor einem Jahr gestellt?)


– Wir haben ein Gesetz verabschiedet. Es geht hier doch
nicht um irgendein Wort, sondern es geht um das Wort
des Parlamentes. Es geht um geltende Gesetze.

Ich kann Ihnen sagen, warum wir diesen Antrag stel-
len. Wir stellen diesen Antrag, weil wir begründete An-
haltspunkte dafür haben, weil es konkretes Verhalten
dieser Bundesregierung gibt, die geltende Gesetzeslage
nicht einzuhalten.


(Konrad Gilges [SPD]: Nennen Sie doch einen!)


– Lieber Herr Gilges, es ist bezeichnend, daß Sie dar-
über noch nicht einmal informiert sind. Aber ich möchte

gerne die Gelegenheit dieser Debatte nutzen, Sie zu in-
formieren.

Am 3. März hat der jetzt auch in der Debatte anwe-
sende Bundesumweltminister eine Kabinettsvorlage ein-
gebracht, die vorsieht, daß das Bundesamt für Strah-
lenschutz nicht von Berlin nach Bonn verlegt wird.
Obwohl es eindeutig so im Berlin/Bonn-Gesetz festge-
schrieben ist, bringt er einen Antrag ein, der gegen diese
gesetzliche Festlegung gerichtet ist. Das ist Gesetzes-
bruch, wenn Sie das machen. Das ist Wortbruch Ihrer
Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie als Kölner Abgeordneter wissen es noch nicht ein-
mal.


(Konrad Gilges [SPD]: Doch!)

Sie stellen sich hier selber ein tolles Zeugnis aus.

Der auch jetzt in der Debatte anwesende Bundeswirt-
schaftsminister hat in derselben Kabinettssitzung eine
Vorlage eingebracht, die Berliner Außenstelle der Bun-
desanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe von
Berlin nicht nach Bonn, sondern nach Hannover zu ver-
legen. Auch das steht im eindeutigen Widerspruch zum
geltenden Recht. Das ist das Handeln Ihrer Regierung.
Das ist der Grund dafür, warum wir im Parlament den
Antrag „Wort halten“ einbringen. Ihre Regierung gibt
Anlaß dazu, sie zu ermahnen, Wort zu halten.

Ich hätte mir gewünscht und habe auch erwartet, daß
zumindest die SPD-Fraktion diesem Antrag zustimmt;
denn es geht doch darum, daß auch das Parlament er-
warten kann, daß sich die Regierung an geltendes Recht
hält. Liebe Frau Eichstädt-Bohlig, Sie sagen, die Region
Bonn solle dafür dankbar sein, was die Regierung tut.
Meine Damen und Herren, es sollte eine Selbstverständ-
lichkeit sein, daß sich eine Regierung an geltendes Recht
und Gesetz hält. Aber bei dieser Bundesregierung ist es
nicht selbstverständlich.

Was ich wirklich enttäuschend finde: Wir haben in
dieser Debatte auch die Gelegenheit, für Klarheit zu
sorgen. Sowohl der Staatssekretär, der eben gesprochen
hat, als auch Sie, Herr Beucher, haben nicht für diese
Klarheit gesorgt. In NRW hat es gestern Schulzeugnisse

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404526500

Thema verfehlt, ungenügend. Sie haben keine Silbe zum
Thema gesagt, zu den Fragen, zu denen Sie Unklarheit
geschaffen haben, zu dem es Regierungshandeln gibt,
das gegen die Vereinbarung und gesetzlichen Regelun-
gen gerichtet ist. Sie haben die Chance gehabt, für Klar-
heit zu sorgen. Sie haben dieser Region diese Klarheit
nicht gegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Es ist ein im Grunde demokratischer Skandal, daß
sich die Regierung über Gesetze hinwegsetzt. Der Bun-
desumweltminister sagt in Interviews: Gesetze werden
ohnehin so interpretiert, wie das der jeweiligen Interes-
senlage gerecht wird. Die Region Bonn, Rhein-Sieg,
Ahrweiler, die einen schwierigen Strukturwandel zu be-
stehen hat und ihn konzeptionell gestalten will, ist aber

Friedhelm Julius Beucher






(B)



(A) (C)



(D)


auf Verläßlichkeit seitens der Bundesregierung existen-
tiell angewiesen. Wir brauchen sie wie die Luft zum
Atmen. Darauf haben wir auch einen Anspruch, weil es
gesetzliche Grundlagen gibt. Das ist der Appell dieses
Antrages. Sie haben heute leider diese Klarheit nicht ge-
schaffen.

Wir fordern deshalb ein, daß dem Berlin/Bonn-
Gesetz nach Buchstabe und Geist entsprochen wird. Wir
halten es mit dem Geist des Gesetzes für unvereinbar,
wenn die Unterabteilung „Internationale Zusammenar-
beit“ verlegt werden soll, obwohl der Politikbereich
Umwelt, Entwicklung, internationale Organisationen für
Bonn vorgesehen ist. Wir halten es für unverständlich,
warum der deutsche Sitz des Deutsch-Französischen Ju-
gendwerkes, eine binationale Einrichtung mit einem
politischen Bildungsauftrag, in Rhöndorf – der Heimat-
stadt Konrad Adenauers, der 1963 den deutsch-
französischen Vertrag mit de Gaulle abgeschlossen hat –,
in Frage gestellt wird. Völlig grundlos stellen Sie den
Politik- und Behördenstandort dieser Region in Frage.
Damit schlagen Sie an die Säule, die auch in Zukunft die
Entwicklung dieser Region tragen soll.

Am Schluß dieser Debatte möchte ich die Gelegen-
heit nutzen, an alle, auch an die Fraktionen, die diese
Regierung tragen, zu appellieren, nicht wegzuschauen,
sondern dafür zu sorgen, daß Gesetze eingehalten wer-
den. Wir sind es uns als Parlament schuldig, daß Gesetze
eingehalten werden und daß kein offener Gesetzesbruch
durch die Regierung betrieben wird. Wir sind dies auch
der Region Bonn schuldig, die den Deutschen Bundes-
tag 50 Jahre lang – das war die erfolgreichste Demokra-
tiegeschichte dieses Landes – beherbergt hat. Die Stadt
und die Region Bonn haben es verdient, daß wir verläß-
lich, fair und anständig mit ihnen umgehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404526600
Frau
Kollegin Matthäus-Maier hat den Wunsch nach einer
ganz kurzen Kurzintervention, die ich zulasse.


Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1404526700
Herr Kollege Rött-
gen, Sie fragen, warum wir Ihrem Antrag nicht einfach
zustimmen, sondern ihn an die Ausschüsse überweisen.
Das kann ich Ihnen sagen. In dem Antrag steht vieles,
was wir unterschreiben können. Das gilt gerade für die-
jenigen von uns, die aus dieser Region stammen; das ist
von Julius Beucher und auch von Achim Großmann
vorgetragen worden. Es gibt bei der Umsetzung des Ge-
setzes in der Tat Dinge, die uns nicht gefallen: Ich denke
etwa an die 25 Prozent bei Herrn Trittin. Aber ich weise
darauf hin, daß unsere Haushälter weniger Geld zur Ver-
fügung gestellt und dadurch Restriktionen herbeigeführt
haben.

Wir stimmen deswegen nicht mit Ja, sondern für
Überweisung, weil uns mißfällt, daß Sie, statt die tradi-
tionelle Übereinkunft der Politiker aus dieser Region
weiterhin zu nutzen, um der Region zu helfen, offen-
sichtlich simplen Wahlkampf machen. Das mögen wir

nicht, und das hilft der Region nicht. Wir werden ge-
meinsam dafür sorgen, daß die Vereinbarungen einge-
halten werden. Das ist unser Ziel; darauf können Sie
sich verlassen. Machen Sie bitte mit und lassen Sie die-
sen simplen, vordergründigen Wahlkampf!


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404526800
Herr
Röttgen zu einer Kurzantwort, bitte.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1404526900
Ich möchte nur in
aller Kürze dem, was Frau Matthäus-Maier eben sagte,
entgegentreten. Wenn das Parlament die Einhaltung
geltenden Rechts einklagt, darf man das nicht als Wahl-
kampf diffamieren. Vielmehr sollte man mitmachen;
denn so etwas kann ein Parlament einmütig beschließen.
Zu diesem Konsens sollten wir wieder zurückfinden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404527000
Ich
schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überwei-
sung der Vorlage auf Drucksache 14/1004 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich
an den Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Nun rufe ich den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuß)

– zu dem Antrag der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Keine weitere Unterstützung der Atom-
kraftwerke Khmelnitski 2 und Rovno 4 in
der Ukraine

– zu dem Antrag der Abgeordneten Kurt-Dieter
Grill, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Ca-
jus Julius Caesar, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Festhalten an den Zusagen zum Bau von si-
chereren Ersatzreaktoren in der Ukraine

– zu dem Antrag der Abgeordneten Angela Mar-
quardt, Eva-Maria Bulling-Schröter, Dr. Gre-
gor Gysi und der Fraktion der PDS
Investitionen der Europäischen Bank für
Wiederaufbau und Entwicklung in Khmel-
nitski 2 und Rovno 4

– Drucksachen 14/795, 14/819, 14/708, 14/1143 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Kurt-Dieter Grill
Michaele Hustedt
Ulrike Flach
Eva-Maria Bulling-Schröter

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P.
vor.

Norbert Röttgen






(A) (C)



(B) (D)


Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache
eine namentliche Abstimmung durchführen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort als erster Red-
ner hat der Kollege Horst Kubatschka von der SPD-
Fraktion. – Herr Kubatschka, bitte schön.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404527100
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die G-7-
Entscheidung von 1995 war falsch.


(Beifall der Abg. Monika Griefhahn [SPD])

Wir behandeln in diesem Parlament wieder einmal

eine Altlast der Regierung Kohl.

(Beifall der Abg. Monika Griefhahn [SPD])


Im Kreis der G 7 hatte man dabei weniger die Interes-
sen der Ukraine in den Mittelpunkt gestellt; es ging
vielmehr um die Interessen der Kernenergie-Industrie.

Für die Stillegung von Tschernobyl sollten zwei an-
dere Kernkraftwerke fertiggestellt werden, K 2 und R 4.
Können diese beiden Kernkraftwerke ein Ersatz für
Tschernobyl sein? Diese Frage muß mit einem klaren
Nein beantwortet werden. Nach den bisherigen Verein-
barungen soll Tschernobyl im Jahre 2000 abgeschaltet
werden. Die beiden Kernkraftwerke K 2 und R 4 wä-
ren aber frühestens 2004 bis 2006 fertig. Außerdem gibt
es überhaupt keine Garantie, daß Tschernobyl wirklich
abgeschaltet wird. Ich darf daran erinnern: 1991 hat das
ukrainische Parlament beschlossen, 1993 alle Blöcke in
Tschernobyl stillzulegen. Dieser Beschluß wurde wieder
aufgehoben. Es arbeitet immer noch ein Reaktor am Un-
glücksstandort.

Welche Gründe sprechen dagegen, mit unserer Hilfe
K 2 und R 4 zu Ende zu bauen? Es gibt vier Argumente
gegen den Weiterbau.

Erstens: Fragen der Wirtschaftlichkeit. Laut CDU/
CSU-Antrag sind die Kernkraftwerke zu 80 bis 90 Pro-
zent fertig. Aber der Löwenanteil der Finanzierung muß
noch geleistet werden. Für die restliche Finanzierung
sind 3,4 Milliarden DM notwendig. Wenn schon Neu-
bauten, dann sollten GuD-Kraftwerke gebaut werden.
Diese wären wirtschaftlicher und auch sicherer. Wäre es
nicht vernünftiger, die Kohlekraftwerke zu modernisie-
ren? Sie würden die Abhängigkeit der Ukraine von Gas-
und Uranimporten verringern. Wichtiger wäre es aber,
wenn die Ukraine das Problem der gigantischen Ener-
gieverschwendung durch Effizienzsteigerung bei der
Stromproduktion, beim Stromtransport und bei einer
besseren Energienutzung in den Griff bekäme.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens: Gibt es überhaupt einen Bedarf? Ich sage
auch dazu ein klares Nein. Beim Stromverbrauch im
Jahre 1997 war die Kraftwerkskapazität nur noch zu 50
Prozent ausgelastet. Der Strombedarf fällt laufend. Dazu
möchte ich einige Zahlen nennen – um unverdächtig zu

erscheinen, nenne ich Zahlen der OECD und aus der
Zeitschrift „Atomwirtschaft“ –: 1991 betrug die gesamte
Stromerzeugung in der Ukraine 298 Milliarden Kilo-
wattstunden. 75 Milliarden Kilowattstunden kamen aus
Atomkraftwerken, 223 Milliarden Kilowattstunden
stammten aus konventionellen Kraftwerken. 1997 wur-
den insgesamt 168 Milliarden Kilowattstunden in der
Ukraine erzeugt. Aus Atomkraftwerken kamen 79 Milli-
arden Kilowattstunden, 89 Milliarden Kilowattstunden
kamen aus konventionellen Kraftwerken. Der Strombe-
darf ist also dramatisch zurückgegangen – um über 40
Prozent.

Es wurden aber keine Atomkraftwerke stillgelegt, wie
damals in den neuen Bundesländern; vielmehr wurden
die fossilen Kraftwerke Zug um Zug heruntergefahren.
Es besteht also eine große Reserve. Wenn es Probleme
gibt, dann gibt es sie bei der Stromverteilung.

Drittens. Der erzeugte Strom wird also nicht für die
Ukraine benötigt, sondern für den Export. Die Ukraine
hat auch bereits den EVUs Offerten vorgelegt. Ein Preis
von 1,53 Pfennig pro Kilowattstunde wird genannt. Über
eine Gleichstromkoppelung können die Netze jederzeit
verbunden werden.

Viertens: Die Frage der Sicherheit. Für mich ist diese
Frage entscheidend. Wir wissen auf Grund der Erfah-
rungen mit Tschernobyl: Wir können sehr schnell be-
troffen sein. Die neuen Reaktoren sind zwar die jüngsten
Kinder einer Reaktorlinie; sie weisen trotzdem gravie-
rende Mängel auf. Die Vertreter der Atomindustrie
glauben, diese gravierenden Mängel durch Nachrüstun-
gen beheben zu können. Doch die Ukraine hat gar nicht
vor, diese Mängel bereits vor Fertigstellung zu beheben.
Später, bei Abschaltzeiten, könnte dann nachgerüstet
werden, so nach der Parole: Erst verdienen wir das Geld
im Westen, und dann könnten wir vielleicht nachrüsten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht auch um
Arbeitsplätze in Deutschland. Bei diesen niedrigen
Energiepreisen würde sich ein Energieproduktions-
standort Deutschland erübrigen.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404527200
Als
nächster Redner hat der Kollege Kurt-Dieter Grill von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Zurufe von der SPD: Er ist nicht da! – Zuruf von der CDU/CSU: Bitte der Minister zuerst!)


Herr Minister, wären Sie bereit, jetzt zu sprechen? –
Dann spricht als nächster Redner Herr Bundesminister
Dr. Müller.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich darf zunächst freundlicherweise um Ver-
ständnis bitten. Ich muß die Plenarsitzung spätestens um
19.20 Uhr verlassen, weil ich eine Unterschrift als EU-
Ratspräsident im Beisein des Kanzlers und des kanadi-

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(B)



(A) (C)



(D)


schen Premierministers leisten muß, die von der
Rechtslage her nur ich leisten kann. Deswegen muß ich
dann leider weg. Ich bitte um Verständnis und danke für
die Umstellung der Rednerliste.

Die Frage der Fertigstellung der ukrainischen Reakto-
ren Khmelnitski 2, K 2, und Rovno 4, R 4, ist ein Sach-
verhalt, der die westliche Staatengemeinschaft schon seit
einigen Jahren beschäftigt, der also von der neuen Bun-
desregierung im übernommenen Zustand und im Kon-
text weiter zu bearbeiten ist. Wenn ich von der westli-
chen Staatengemeinschaft spreche, dann meine ich die
EU und G 7.

Der Europäische Rat hat am 3./4. Juni in Köln zum
Thema K 2/R 4 folgende Schlußfolgerung des Vorsitzes
gezogen, die ich zitiere:

Der Europäische Rat erinnert an die Verständigung
„G 7-Ukraine“ über die Schließung des Kernkraft-
werkes Tschernobyl. Er unterstreicht die Notwen-
digkeit, alles Mögliche für eine Abschaltung im
Jahr 2000 wie vereinbart zu tun, und fordert die in-
ternationale Gemeinschaft auf, Maßnahmen zu prü-
fen, um die Folgen einer Schließung des Kern-
kraftwerks Tschernobyl für die Ukraine erträglich
zu machen.

Das ist also der Inhalt des EU-Beschlusses, und nun be-
reitet die Bundesregierung das G-7-Treffen vor. Bevor
ich darauf zurückkomme, gestatten Sie mir, daß ich den
Sachverhalt K 2/R 4 kurz beschreibe, wie er sich der
Bundesregierung darstellt.

Auf der Grundlage der G-7-Ukraine-Verständigung
vom 20. Dezember 1995 sollen die damals noch betrie-
benen Reaktorblöcke von Tschernobyl bis zum Jahr
2000 geschlossen werden. Das ist bis heute leider noch
nicht vollständig geschehen.

Im Abschnitt II dieses Memorandum of Unterstan-
ding, überschrieben als „Energy Investment Program“,
ist auch vorgesehen, daß zwei Kernkraftwerke mit west-
licher Unterstützung zu Ende gebaut werden sollen.

Der Stand zur Zeit ist, daß die Voraussetzungen für
die vom Westen gegebene Finanzierungszusage ge-
prüft werden. Zuständig für die Prüfung ist die Europäi-
sche Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Diese
Prüfung der Kreditvoraussetzungen ist weit vorange-
schritten, aber – ich sage es bewußt so – noch nicht ab-
schließend durchgeführt. Insofern ist der Zeitpunkt noch
nicht reif, um eine absolut definitive Entscheidung zur
Fertigstellung der im Bau befindlichen Reaktoren zu
treffen, da die Frage der internationalen Finanzierung
eben noch nicht abschließend geklärt ist. Das wird bis
September erwartet.

Folglich können wir vor diesem Hintergrund auf dem
G-7-Gipfel jetzt in Köln noch keine definitive Entschei-
dung zur Kreditvergabe für die Fertigstellung treffen.
Aber wir können uns auch nicht in eine Position bege-
ben, die als Absage an das Projekt verstanden werden
kann, denn was die kerntechnische Seite angeht, ist die
Prüfung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und
Entwicklung abgeschlossen. Damit meine ich die Wirt-

schaftlichkeit, die Umweltverträglichkeit und insbe-
sondere auch die nukleare Sicherheit.

All diese Voraussetzungen sieht die Europäische
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung definitiv als
gegeben an. Zu prüfen bleibt die wirtschaftliche Zuver-
lässigkeit, das heißt die Kreditwürdigkeit von Energo-
atom als Betreiber. Dazu wurde am 21. Mai dieses Jah-
res ein Aidemémoire abgestimmt, in dem Voraussetzun-
gen für Kreditwürdigkeit mit der Ukraine vereinbart
wurden. Dazu gehört insbesondere, daß die Bareinnah-
men des Betreibers erhöht werden müssen und daß wei-
tere Fortschritte bei der Privatisierung der Stromvertei-
lungsunternehmen zu erzielen sind. Die Europäische
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung wird dem-
nächst die abschließenden Verhandlungen mit der
Ukraine zur Sicherstellung der Kreditwürdigkeit des
Kreditnehmers beginnen. Es sei – nicht ganz nebenbei
– angemerkt, daß vorherige politische Beschlüsse zur
definitiven Kreditvergabe die Positionen der Bank im
Rahmen dieser – so will ich es einmal formulieren –
kaufmännischen Verhandlungen natürlich erheblich
schwächen.

Generell ist festzustellen: Würde die Bundesregie-
rung jetzt ein negatives Signal empfehlen, würde sie sich
innerhalb der G 7 isolieren müssen und von der EU-
Willensbildung entfernen, abgesehen von Schadwir-
kungen auf das gute Verhältnis zur Ukraine. Genau
diese Isolierung und solche Schäden will die Bundesre-
gierung nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich bitte Sie, einige nähere Angaben zur Situation

dieses ukrainischen Projektes ebenso nüchtern zu sehen
und zu werten, wie dies die Bundesregierung tun muß.
Die Reaktoren werden von der Ukraine – so unser Wis-
sensstand – unabhängig von unserer Entscheidung so
oder so fertiggestellt, nur daß dies bei Verweigerung
westlicher Unterstützung mit russischer Technik ge-
schehen würde und nicht mit westlicher Sicherheitstech-
nik, gleichgültig, ob sie von Framatome/Siemens oder
von anderen Anbietern stammt. Die Frage, ob die Re-
aktoren zu Ende gebaut werden, stellt sich also nicht. Es
stellt sich vielmehr die Frage, wie, sprich: wie sicher die
Reaktoren später im Betrieb sein werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ausgezeichnet!)

Die Bundesregierung hat diese Beurteilung von

der Vorgängerregierung übernommen. Bundeskanzler
Schröder seinerseits hat im März dieses Jahres diesen
Sachverhalt ausführlich mit dem ukrainischen Präsiden-
ten erörtert – mit dem Ergebnis, daß der Sachverhalt un-
verändert so ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Gregor Gysi [PDS]: Was ist denn hier los?)


Hernach hat das Kanzleramt am 6./7. Mai dieses Jahres
nochmals in der Ukraine zur Vorbereitung des G-7-
Gipfels etliche Gespräche auch mit dem Präsidenten ge-
führt, um alternative energiewirtschaftliche Varianten
anzubieten. Aber die ukrainische Haltung ist unverän-
dert auf den Fertigbau der Reaktoren fixiert.

Bundesminister Dr. Werner Müller






(A) (C)



(B) (D)


Gelegentlich höre ich, diese Verhandlungen seien
nicht ernsthaft geführt worden. Ich will das hier nicht
kommentieren, da sich solche unbegründeten Vorwürfe
demnächst ohnehin von alleine erledigen. Denn Anfang
Juli dieses Jahres wird in Kiew ein deutsch-
ukrainischer Gipfel stattfinden, an dem auch die Um-
welt- und Wirtschaftsressorts beider Länder teilnehmen
werden. Dabei werden wir ein weiteres Mal mit der
Ukraine über die Gesamtproblematik sehr ernsthaft be-
raten, und zwar mit dem nachdrücklichen Ziel, der
Ukraine eine sinnvollere Alternative zur Rekonstruk-
tion der Energieversorgung anzubieten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So kann ich mich als Gipfelteilnehmer persönlich davon
überzeugen, welche Haltung die Ukraine hat. Das gilt
ebenso für alle anderen Teilnehmer des Gipfels. Ich
werde Ihnen berichten, zu welchem Gesprächsergebnis
wir gekommen sind bzw. ob ich das Gesprächsziel er-
reicht habe. Auch das gilt selbstverständlich für alle
Teilnehmer dieses Gipfels. Die Bundesregierung fährt
zu diesem Gipfel auf der Basis einer festen freund-
schaftlichen Verbundenheit mit der Ukraine, die wir
pflegen und ausbauen wollen.

Die weitere Entwicklung der Ukraine liegt nicht zu-
letzt in unserem eigenen Interesse. Für die Ukraine ist
eine gesicherte und leistungsfähige Stromversorgung
unverzichtbare Voraussetzung. Hier liegen vitale Inter-
essen der Ukraine für eine erfolgreiche Energiepolitik;
denn das ist der Schlüssel für wirtschaftliche und politi-
sche Selbständigkeit in diesem Land.

Vor diesem Hintergrund mag man verstehen, daß die
Ukraine eine Abhängigkeit von russischen Gaslieferun-
gen nicht will, obwohl die Erdgasverstromung eine wirt-
schaftlich gute und sinnvollere Alternative wäre. Ich
werde das nochmals ansprechen, habe aber auch die Ab-
sicht, die Lage des Bergbaus in der Ukraine und die
Wandlung von Kohle in Strom zu erörtern.


(Beifall des Abg. Horst Kubatschka [SPD])

Die Ukraine hat große Kohlereserven und benötigt ge-
nau das, was wir in der Bundesrepublik haben: hochmo-
derne Bergbautechnik. Auch die Frage der Umrüstung
von Kohlekraftwerken in Richtung Einsatzmöglichkei-
ten ukrainischer Kohle will ich ansprechen, da dies
ebenso dem ukrainischen Autarkiedenken voll ent-
spricht.


(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Ich erwähne das alles, um Ihnen zu versichern, daß

die Bundesregierung die Gespräche über die Zukunft der
ukrainischen Energieversorgung ebenso ernsthaft wie
umfassend führen will, auch eingedenk der Tatsache,
daß wir unsere deutschen Hilfen und Kredite aus rein
deutscher Sicht lieber für nichtnukleare Strategien geben
würden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber eines sage ich ebenso klar: Als Alternative zur
Fertigstellung der Reaktoren kommt nur eine sachlich
tragfähige Lösung in Betracht, die sowohl die Ukraine
als auch die G-7-Partner und die EU überzeugt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das ist die Meßlatte für unsere Gespräche Anfang Juli.
Ich mache ich keinen Hehl daraus: Die Meßlatte ist hoch
gelegt. Wir müssen sie so hoch auflegen, denn wir müs-
sen die bisherige feste Haltung der Ukraine zur Kenntnis
nehmen, daß Tschernobyl nur geschlossen wird, wenn
die Reaktoren mit westlicher Hilfe zu Ende gebaut wer-
den. Wir haben auch die feste Willensbildung unserer
westlichen Partner zu respektieren.

Was die Bundesregierung in den Gesprächen errei-
chen will, habe ich gesagt. Was sie auf jeden Fall ver-
meiden will, sage ich jetzt: Erstens. Die Bundesregie-
rung will und darf keine Verantwortung dafür überneh-
men, daß Tschernobyl nicht geschlossen wird.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Zweitens. Die Bundesregierung will keinen außenpoliti-
schen Schaden durch einseitigen Ausstieg aus einem
jahrelang im Einvernehmen mit der Bundesrepublik ver-
folgten Konzept der G-7-Staaten verursachen.

Soweit die heute vorliegenden Anträge der Fraktio-
nen die Bundesregierung auffordern, den gesamten
Sachverhalt K 2/R 4 mit der Ukraine nochmals mit dem
Ziel durchzusprechen, nichtnukleare Strategien zu
empfehlen und möglichst im Gespräch durchzusetzen,
darf ich Ihnen versichern: Wir werden uns um dieses
Anliegen der Abgeordneten äußerst bemühen; denn es
ist auch das Anliegen der Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich füge aber hinzu: Wir sollten auch damit rechnen,
daß die bevorstehenden Gespräche trotz intensivster
Bemühungen leider keine Wende bewirken. Wenn ich
Ihre Anträge in diesem Sinne verstehe, dann bitte ich
auch um Verständnis dafür, daß die außenpolitische
Handlungsfähigkeit der Bundesregierung, namentlich
auch des Herrn Bundeskanzlers, unabhängig vom Aus-
gang der Gespräche keinen Schaden nehmen darf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404527300
Der
Kollege Kurt-Dieter Grill ist jetzt anwesend. Ich erteile
ihm das Wort.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1404527400
Herr Präsident! Mei-
ne Damen und Herren! Ich bin davon ausgegangen, daß
das stattfindet, was jetzt stattgefunden hat. Ansonsten
wäre ich sicherlich im Plenarsaal gewesen. Ich hatte nur
die außerordentlich gute Gelegenheit, mir noch eine

Bundesminister Dr. Werner Müller






(B)



(A) (C)



(D)


Pressemeldung von 18.15 Uhr anzueignen, der zu ent-
nehmen ist, daß der ukrainische Präsident Kutschma
deutlich macht, daß die Ukraine auf der Fertigstellung
der K 2/R 4-Reaktoren besteht. Damit könnte man ei-
gentlich die Debatte abschließen; denn das, was der
Bundeswirtschaftsminister hier gesagt hat, ist eine Be-
stätigung für all das, was die Union bisher in der Sache
selber vorgetragen hat,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und straft diejenigen Lügen, die – wie Frau Hustedt –
nicht müde werden, der alten Bundesregierung in übler
Nachrede sozusagen eine Erpressung der Ukraine an den
Hals zu reden.

Wenn in dieser Debatte unter dem Strich etwas zu
konstatieren ist, dann ist es dies: Abgesehen davon, daß
Sie außenpolitischen Schaden angerichtet haben, ist die-
se Debatte sinnlos. Ziehen Sie den Antrag zurück; denn
eines ist klar – nach dem, was der Bundeswirtschaftsmi-
nister heute hier und gestern im Wirtschaftsausschuß ge-
sagt hat, und nach dem, was Herr Trittin, Herr Fischer,
Herr Schröder und Herr Hombach am Montagabend be-
sprochen haben –: Wenn die Ukraine auf der Fertigstel-
lung der Reaktoren besteht, dann wird diese Bundesre-
gierung die Kredite im September zugeben. Deswegen
sage ich Ihnen: Ziehen Sie den Antrag zurück! Sie haben
diesem Land Schaden zugefügt und führen uns eine
Show vor, weil es um die Innenpolitik der Grünen und
nicht um die Energiepolitik und die Außenpolitik der
Bundesregierung dieses Landes geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In Anbetracht dessen, was der Bundeswirtschaftsmi-

nister hier gesagt hat, kann ich nur festhalten: Entweder
sagt er die Wahrheit oder Herr Trittin. Es kann nur eines
von beiden stimmen;


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

denn das, was Herr Müller hier vorgetragen hat, ist in
der Sache eine ganz andere Darstellung als das, was der
Bundesumweltminister im Umweltausschuß des Bun-
destages vorgetragen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich sage sehr deutlich: Sie, Frau Hustedt, haben öf-

fentlich behauptet, die Ukraine habe immer Gaskraft-
werke gewollt und sei erpreßt worden, und die Mög-
lichkeit von Gaskraftwerken sei nie geprüft worden. Ich
sage in diesem Parlament noch einmal öffentlich: 1995
– unter dem Vorsitz der Kanadier – ist eine Least-cost-
Planung gemacht worden, unter Einbeziehung der Mög-
lichkeit von Gaskraftwerken. Es hat sich herausgestellt,
daß Gaskraftwerke nicht tragfähig wären, insbesondere
unter dem Gesichtspunkt, daß die Ukraine darauf beste-
hen mußte, daß die Gaslieferungen mit westlichen Kre-
diten bezahlt werden. Dies konnte keiner auf sich neh-
men. Insofern kann ich nur sagen: Nach dem Theater,
das Herr Trittin am Anfang dieses Jahres mit Frankreich
und England angerichtet hat, ist er wie ein Elefant im
Porzellanladen ein weiteres Mal durch die Außenpolitik
gewandert und hat außer Schaden nichts hinterlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Was hier abläuft, meine Damen und Herren, ist vor
allen Dingen auch deswegen schäbig, weil nicht nur in
der hochsensiblen Frage der Stillegung von Tscherno-
byl, sondern auch in der Frage, wie ich mit osteuropäi-
schen Kernkraftwerken umgehe, die Zusammenarbeit
mit den Franzosen und insbesondere mit den Russen ei-
ne sehr wichtige Angelegenheit ist, weil wir nur mit den
Russen gemeinsam die Reaktoren, die dort noch pro-
blematisch sind, mit der richtigen Sicherheit ausstatten
können. In dem Sinne kann ich an dieser Stelle eigent-
lich nur festhalten: Am 30. März hat Herr Hombach,
wenn ich richtig informiert bin, den Franzosen zugesi-
chert, daß das mit den G 7 läuft. Herr Gretschmann hat
ja in Kiew verhandelt. Sie wissen ganz genau, was die
Ukraine will; es kann kein Zweifel darüber bestehen. In-
sofern kann ich nur sagen: Sie haben ein Chaos ange-
richtet, und dafür ist der Bundeskanzler höchstpersön-
lich verantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Denn es macht doch keinen Sinn, meine Damen und
Herren, daß Sie der Ukraine, daß Sie der G 7 sagen, wir
machen das, und anschließend in diesem Parlament eine
Antragslage zulassen,


(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Was heißt hier „zulassen“?)


von der Sie genau wissen, daß Sie sie nicht erfüllen
werden. Deswegen sage ich: Sie haben hier Mißbrauch
des Parlaments betrieben, und Sie tun der Sache selber
keinen Gefallen.

Was ich besonders schäbig finde – das will ich Ihnen
in aller Deutlichkeit sagen –, ist die Art und Weise, wie
Staatssekretär Baake sich ins „Frühstücksfernsehen“
stellt und die ukrainischen Menschen für unfähig,
dumm, faul und was weiß ich nicht alles erklärt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In diesem Stil werden Sie doch nicht einem souveränen
Staat eine Änderung seiner Politik vorschreiben können.
Sie sollten zuerst Benehmen lernen und sich dann in die
Außenpolitik begeben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen mit allem Nachdruck: Sie haben die

Bürger in diesem Land hinters Licht führen wollen. Nur,
erstens haben Lügen kurze Beine. Zweitens. Die Kern-
kraftwerke werden auch ohne Sie fertiggebaut, dann al-
lerdings möglicherweise nicht mit deutscher Sicherheit.
Und das dritte: Sie, meine Damen und Herren, haben das
getan, was Sie der alten Regierung im Grunde genom-
men vorgeworfen haben. Sie haben gedroht: Es gibt kein
Geld, wenn ihr nicht das tut, was wir wollen. Wenn es
den Vorwurf der Erpressung gibt, Frau Hustedt, dann
fällt er heute auf Sie zurück, weil mit dem Vortrag von
Herrn Müller hier deutlich wird, daß die alte Bundesre-
gierung, die im übrigen seit 1992 dafür gekämpft hat,
daß es überhaupt zur Stillegung von Tschernobyl kommt
– was ja immer eine Ihrer Forderungen gewesen ist –,
sauber und fair mit der Ukraine umgegangen ist.

Ich kann nur hoffen, daß das gilt, was der Bundes-
wirtschaftsminister hier am Schluß gesagt hat: daß man

Kurt-Dieter Grill






(A) (C)



(B) (D)


mit der Ukraine fair, freundschaftlich und im partner-
schaftlichen Sinne umgeht. Kehren Sie zu diesem Stil
zurück! Ziehen Sie den Antrag zurück! Wir brauchen
ihn nicht, weil sich niemand auf dieser Bank an das hal-
ten wird, was Sie heute hier beschließen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404527500
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Michaele Hustedt von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404527600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
für unseren Antrag eine große Unterstützung in der Be-
völkerung, auch von Gruppen, die häufig nicht auf unse-
rer Seite stehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wie bei der Europawahl!)


Zum Beispiel hat der Bund der Steuerzahler in einer
Presseerklärung erklärt, mehrere Gutachten hätten erge-
ben, daß eine Fertigstellung ökonomischer Unsinn sei.
Und dann wird ausgeführt, wenn man das Projekt ver-
hindere, spare der deutsche Steuerzahler rund 810 Mil-
lionen DM.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage eines einmal ganz deutlich: Heute steht vor

allem Ihre Politik, die Politik der alten Bundesregierung,
auf dem Prüfstand. Denn es war Ihre Politik, die dieses
Projekt so weit gebracht hat. Es war die Politik von Rex-
rodt, von Waigel, von Merkel und Kohl. Und jetzt
kommt eben ans Licht der Öffentlichkeit, wozu eine
ideologisch verblendete CDU und F.D.P. fähig wären.
Nur um für Siemens Absatzmärkte zu schaffen, die sie
in Westdeutschland nicht mehr haben, müssen also in
Osteuropa Kernkraftwerke gebaut werden.

Sie verteidigen sich nicht – in keinem Ausschuß und
auch hier nicht – gegen die Vorwürfe, daß die Sicher-
heitsstandards dieser AKWs absolut unzureichend sind,
daß diese AKWs in keinem westeuropäischen Land ge-
nehmigt würden. Sie verteidigen sich auch nicht gegen
den Vorwurf, daß Sie die Ukraine schnöde erpreßt ha-
ben.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Es ist unglaublich!)


– Herr Grill, Sie behaupten immer, das wäre gelogen.
Ich habe Ihnen die Originalquellen mitgebracht, und ich
werde sie Ihnen gleich überreichen. Unter anderem hat
Präsident Kutschma in einer Rede am 11. Mai 1998 an
die Adresse von Tony Blair gesagt: Das Vorhaben, diese
Kraftwerke fertigzustellen, wurde von den westlichen
Partnern als Alternative zu dem ukrainischen Vorhaben
eines Gas- und Dampfturbinenkraftwerks vorgeschla-
gen.
Mir liegen die Originalzitate vor; ich werde sie Ihnen
nachher übergeben.

Sie verteidigen sich auch nicht gegen den Vorwurf
– dazu habe ich jedenfalls bisher kein Wort von Ihnen
gehört –, daß diese AKWs ökonomisch absolut unsinnig
seien. Auch zu diesem Punkt möchte ich ein Zitat aus
einem Gutachten der EBRD von 1997 anführen, in dem
man zu dem Schluß kommt:

K2/R4 ist nicht wirtschaftlich. Die Fertigstellung
dieser Reaktoren bedeutet derzeit nicht die produk-
tivste Verwendung von 1 Milliarde US-Dollar.

Eine erst kürzlich in die Öffentlichkeit gelangte
streng geheime Studie der Europäischen Investitions-
bank besagt:

Ein erhebliches Ausmaß an Unsicherheit ist mit
mehreren Schlüsselfaktoren des Projektes verbun-
den. Dies führt zu einem großen finanziellen und
wirtschaftlichen Risiko, bezogen auf den Energie-
sektor.

Das ist Ihre Politik, die ökologisch und finanziell
nicht vertretbar ist. Sie haben die Ukraine zu diesem
Projekt gezwungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das einzige Argument, das Sie zur Verteidigung Ihrer
Politik nennen, ist die Frage der außenpolitischen
Verläßlichkeit. Ich finde, diese Verläßlichkeit ist ein
hohes Gut; man muß sorgsam damit umgehen. Aber es
ist durchaus so, daß das Memorandum of Understanding
– alle Gutachten zugrunde gelegt – keine vertragliche
Verpflichtung ist, sondern lediglich eine Absichtserklä-
rung, in der zudem auch noch steht, daß die finanziell
günstigste Lösung gesucht werden soll. Dieses sind nun
einmal nicht die Atomkraftwerke, sondern Varianten
wie Gaskraftwerke, Energieeinsparmaßnahmen oder an-
dere Möglichkeiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daher sage ich: Wir erfüllen mit unseren Vorgaben
das Memorandum of Understanding mehr als Sie mit
Ihrer Politik.

Ich halte die außenpolitische Verläßlichkeit nicht
immer für einen ausreichenden Grund, eine absolut un-
sinnige Politik zu machen, mit der Steuergelder für
ökologisch schädliche Projekte zum Fenster hinausge-
schmissen werden. Sie sind verantwortlich dafür, daß es
überhaupt so weit gekommen ist. Wir werden versuchen
– auch wenn es fast schon zu spät ist –, dieses Projekt
noch zu ändern.

Alle Argumente, zum Beispiel das Argument, daß die
Atomkraftwerke schon zu 80 Prozent fertiggestellt seien,
sind absolut falsch. Es handelt sich vielmehr um einen
Rohbau, der seit 15 Jahren Wind und Wetter ausgesetzt
ist – vergleichbar mit dem Schürmannbau. Die Welt-
bank sagt eindeutig: Es ist billiger und besser, gleich neu
zu bauen, anstatt solche Projekte zu Ende zu führen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kurt-Dieter Grill






(B)



(A) (C)



(D)


Es ist auch falsch, zu sagen, der Weiterbau von
K2/R4 werde den Reaktor von Tschernobyl ersetzen
können. Die Fertigstellung dieser beiden Atomkraftwer-
ke dauert vier bis sechs Jahre. Tschernobyl soll aber im
Jahre 2000 abgeschaltet werden. Das zeigt sehr deutlich,
daß diese Projekte nicht als Ersatz für Tschernobyl die-
nen können. Alle anderen Alternativmaßnahmen sind
aber in wesentlich kürzeren Zeiträumen zu realisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte dem sehr geschätzten Kollegen Werner
Müller widersprechen: Es ist nicht richtig, zu sagen,
Rußland baue so oder so zu Ende. Selbst die Ukraine hat
sehr deutlich gemacht, daß sie nicht damit rechnet, daß
Rußland diese AKWs zu Ende baut, wenn es kein Geld
hat. Es ist also falsch, zu sagen, die AKWs werden so
oder so gebaut.

Auch das Argument, daß die Ukraine AKWs
braucht, um von Rußland unabhängig zu sein, ist falsch.
Wenn die Ukraine Kernkraftwerke betreibt, ist sie in ho-
hem Grade von Rußland abhängig, weil die Brennstäbe
und das Know-how aus Rußland kommen; auch die Ent-
sorgung muß in Rußland erfolgen. Rußland hat zum
Beispiel die Preise für die Brennstäbe in der letzten Zeit
um 300 Prozent erhöht. Das zeigt, daß sich die Ukraine
in finanzieller Abhängigkeit von Rußland befindet,
wenn sie Atomkraftwerke betreibt. Besser wäre es, über
eine entsprechende Unabhängigkeit zu reden. Auf die
Kohlekraftwerke gehe ich gleich noch ein.


(V o r s i t z : Vizepräsident Rudolf Seiters)

All Ihre Argumente zur Verteidigung Ihrer damaligen

Politik sind also absolut an den Haaren herbeigezogen.
Sie wollen damit nur verdecken, daß Sie damals der
Atomindustrie bewußt und absichtlich mit deutschen
Steuergeldern unter die Arme greifen wollten. Das war
der einzige Grund, warum Sie diese Politik betrieben
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Den tollsten Vorwurf in dieser Debatte habe ich
allerdings von Frau Flach von der F.D.P. im Umwelt-
ausschuß gehört. Sie hat uns doch glatt vorgeworfen, wir
Abgeordnete hätten die Frechheit, eine andere Position
zu vertreten als die Bundesregierung. – Hört, hört! Ich
empfinde es als eine Sternstunde des Parlaments, daß die
Änderung dieser Politik von den Fraktionen dieses Par-
lamentes ausgegangen ist. Wir als Parlamentarier sind
im Gegensatz zu Ihnen von der F.D.P. und der
CDU/CSU durchaus selbstbewußt. Wenn Sie während
Ihrer Regierungszeit immer gekuscht haben, dann mag
das Ihrem Verständnis von Politik entsprechen. Wir
wollen, daß das Parlament Politik macht. Ich bin deswe-
gen sehr stolz darauf, daß wir das schon ein Stück weit
erreicht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich danke den SPD-Kollegen sehr ausdrücklich für die
konstruktive Zusammenarbeit und auch für die Ausdau-

er, die sie dabei mit uns zusammen an den Tag gelegt
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als ersten Zwischenerfolg werte ich es, daß es uns

gelungen ist, eine Festlegung im Abschlußdokument für
den Kölner G-8-Gipfel zu verhindern. Das eröffnet uns
jetzt den Spielraum für Verhandlungen. Die Zeit ist auf
unserer Seite. Die EBRD ist gegenüber diesem Projekt
außerordentlich skeptisch. Deswegen wollte sie eine
weitere Festlegung der G-7, denn sie wollte nicht den
Schwarzen Peter für dieses unsinnige Projekt haben. Ich
denke, daß wir durch die Absetzung dieses Punktes von
der Tagesordnung des G-7-Gipfels einen Impuls für die
internationale Debatte gegeben haben. Sie wissen, daß in
anderen Ländern – in Großbritannien, in Italien, in Slo-
wenien, ja selbst in Frankreich – auch auf Grund der
deutschen Diskussion jetzt die Debatte über die Sinn-
haftigkeit dieses Projektes beginnt. Ich denke, daß wir
mit der Absetzung dieses Punktes von der Tagesordnung
einen kleinen Zwischenerfolg auf dem Weg zu dem Ziel
erreicht haben, diese Projekte zu verhindern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt ist es Aufgabe – das hat Dr. Werner Müller
deutlich gemacht –, mit der Ukraine zu sprechen. Wir
werden die Reise der Bundesregierung in die Ukraine
sehr sorgfältig mit vorbereiten und aufmerksam beglei-
ten. Der ursprüngliche Wille, in der Ukraine Gaskraft-
werke zu bauen, ist dafür ein Ansatzpunkt. Aber auch
die Variante, Energieeinsparung zu finanzieren, ist ein
guter Weg, um Alternativen für den Ersatz von Tschern-
obyl zu schaffen.

Ich möchte als letztes noch eine dritte Variante ins
Gespräch bringen, nämlich die Frage von Kohlekraft-
werken. Ich habe heute mit ABB telefoniert. Sie haben
in Mannheim ein Verfahren entwickelt, um Kohlekraft-
werke so zu modernisieren, daß diese nicht mehr russi-
sche Kohle verarbeiten müssen, sondern ukrainische
Kohle verarbeiten können und einen höheren Wirkungs-
grad aufweisen.

Zunächst könnte man die Modernisierung von
Bushtin planen. Das ist in der Ukraine auch im Ge-
spräch. Würde man diese Effizienzsteigerung durchset-
zen, könnte man allein durch die Modernisierung dieses
einen Kohlekraftwerkes 720 Megawatt neu schaffen,
wobei man gleichzeitig einen großen Beitrag zum Kli-
maschutz leisten würde.


(Beifall bei der SPD)

Das heißt, durch die Modernisierung von drei Kohle-
kraftwerken in der Ukraine würden wir den Ersatz für
Tschernobyl zustande bringen. Dieses Verfahren ist bil-
liger, als wenn wir die Atomkraftwerke zu Ende bauten.

Auch Siemens hat für einen anderen Typ von Kohle-
kraftwerken, für Braunkohlekraftwerke, in der Ukraine
ein ähnliches Verfahren entwickelt und wartet auf die
Möglichkeit, dieses Projekt umzusetzen.

Sie wissen genau, daß die Ukraine große Schwierig-
keiten bei der Rückzahlung der Kredite hat – deswegen

Michaele Hustedt






(A) (C)



(B) (D)


sind alle Hermes-Bürgschaften für die Ukraine zur Zeit
auf Eis gelegt – und daß daher bei einer Finanzierung von
K2/R4 alle anderen Projekte nicht finanziert werden
könnten. Das heißt, sie stehen gegeneinander, man muß
sich also entscheiden. Ich meine, das Setzen auf eine Mo-
dernisierungsstrategie bei den Kohlekraftwerken wäre
eine Alternative zur Beendigung des Baus von K2/R4,
über die man mit der Ukraine sprechen sollte. Damit lie-
ßen sich fünf Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Die erste Fliege wäre: Die Ukraine hätte ausreichend
Energie.

Die zweite Fliege wäre: Die Ukraine würde – im Ge-
gensatz zum Bau von K2 und R4 – autarker.

Die dritte Fliege wäre: Die Betriebe in der Ukraine
müßten weniger für das aus ihrer Sicht teure Erdgas be-
zahlen. Damit wäre die gesamte ukrainische Schwerin-
dustrie wettbewerbsfähiger.

Die vierte Fliege wäre: Der Westen hätte seine Zusa-
ge im Memorandum of Understanding eingehalten.

Die fünfte Fliege wäre: Das wäre auch ein nicht un-
bedeutsamer Beitrag zum Klimaschutz.

Ich finde es schon unverantwortlich, daß Sie solche
Varianten damals, ganz am Anfang, als der Prozeß noch
offen war, nicht diskutiert haben. Ich freue mich deswe-
gen sehr, daß die Bundesregierung mit diesem Projekt
als Alternative in die Ukraine fährt. Ich hoffe, daß wir
die Ukraine überzeugen und ihr helfen können,
Tschernobyl abzuschalten und statt dessen sinnvolle Lö-
sungen umzusetzen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Eva-Maria Bulling-Schröter [PDS])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404527700
Als nächste Redne-
rin spricht für die F.D.P.-Fraktion die Kollegin Ulrike
Flach.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1404527800
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Frau Kollegin Hustedt, manchmal frage ich
mich bei Ihren Reden, von welcher Regierung Sie
eigentlich sprechen. – Aber lassen Sie mich ganz ohne
Polemik sagen: Manchmal ist es in der Hektik des politi-
schen Betriebes schon sehr nützlich, einmal einige Mi-
nuten innezuhalten und sich noch einmal zu überlegen,
warum wir heute das Ganze diskutieren und was wir er-
reichen wollen.

Das Ziel, das wir in der Ukraine erreichen wollen
– da, denke ich, sind wir alle hier uns einig –, ist die Ab-
schaltung von Tschernobyl. Tschernobyl ist ein welt-
weites Symbol für eine Katastrophe, deren Auswirkun-
gen die betroffenen Menschen und ihre Kinder immer
noch spüren. Frau Hustedt, nicht der Heilige Krieg ge-
gen die Kernkraft war der Anlaß für das Memorandum
of Understanding und die Kreditzusagen der G 7 für den
Bau von Ersatzreaktoren, sondern die Abschaltung die-
ses Unglücksreaktors.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, keiner von uns kann be-
haupten, daß bei der Umgestaltung des Energiesektors
in der Ukraine alles richtig gemacht worden sei. Seit
der Loslösung der Ukraine von der Sowjetunion haben
sich wichtige Bedingungen geändert. Die ukrainische
Wirtschaft ist weitgehend zusammengebrochen. Der
Energieverbrauch ist dramatisch zurückgegangen. Für
Gas und andere Rohstoffe sind hohe Schulden, zum Bei-
spiel bei Rußland, aufgelaufen, so daß eine regelmäßige
Lieferung nicht mehr stattfindet. Auch für die bestehen-
den Kraftwerke sind massive Erhaltungsinvestitionen
notwendig.

Meine Damen und Herren, Herr Minister Trittin hat
ernsthafte Zweifel daran geäußert, daß die Ukraine in
der Lage sei, den sicheren Betrieb der Reaktoren zu ge-
währleisten. – Wie wir – erstaunt – erfahren haben, sieht
Herr Müller das völlig anders. – Auch wenn es so sein
sollte, löst eine Nichtgewährung der Kredite diese
komplexen Probleme an keiner Stelle.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie fügt nur weitere hinzu: Sie schafft zwei zu 80 Pro-
zent fertiggestellte Bauruinen, die keinen Strom liefern,
sie gefährdet die Abschaltung von Tschernobyl, und sie
gibt unserer Außenpolitik geradezu rambohafte Züge.

Hinzu kommt der übliche Koalitionsstreit auf der
Regierungsebene, den wir eben sogar im Plenum erlebt
haben. Herr Trittin spricht sich in der „Welt am Sonn-
tag“ inbrünstig für Gaskraftwerke aus. Herr Hombach ist
in der gleichen Ausgabe der Meinung, daß „die Ukraine
ein Gaskraftwerk als Ersatz für K2/R4 nicht akzeptie-
ren wird“; Herr Grill hat uns eben vorgelesen, daß Herr
Kutschma dem zustimmt. Herr Staatssekretär Baake
macht unseren osteuropäischen Nachbarn im Früh-
stücksfernsehen gar zu einer Bananenrepublik, während
Herr Minister Müller im Wirtschaftsausschuß und ge-
rade eben hier vor Ihnen die Ihnen vorliegende F.D.P.-
Meinung vertritt und kaltschnäuzig das bekannte Schau-
ermärchen von Kollegin Hustedt zurückweist, die
Ukraine sei von der Regierung Kohl so lange strangu-
liert worden, bis sie dem Bau von Kernkraftwerken zu-
stimmte.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kanzlerberater Gretschmann erklärt, wenn sich
Deutschland aus der Finanzierung zurückziehe, werde
die Ukraine Tschernobyl nicht vom Netz nehmen, wäh-
rend Trittin-Berater Renneberg meint, die neuen Kern-
kraftwerke seien aus Sicherheitsgründen nicht zu ver-
antworten.

Meine Damen und Herren, ich als Oppositionspoliti-
kerin könnte mich freuen, wenn es bei Ihnen im Kabi-
nett, wie wir im Ruhrgebiet so schön sagen, wieder ein-
mal wie bei Hempels unterm Sofa zugeht. Ich könnte
mich auch freuen, wenn die Fraktionen von SPD und
Grünen ihre eigene Regierung in den Regen stellen.
Aber haben Sie einmal darüber nachgedacht, wie dieses
Chaos im Ausland, bei unseren G-7-Partnern und vor
allen Dingen in der Ukraine wirkt?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Michaele Hustedt






(B)



(A) (C)



(D)


Wenn Ihre Fraktionen im Gegensatz zur eigenen Re-
gierung Signale der Europäischen Bank für Wiederauf-
bau haben, daß die derzeit laufende Kreditprüfung das
Projekt platzen läßt, wenn Sie Signale der Ukraine ha-
ben, daß sie den Kernkraftweg nicht mehr weitergehen
will oder kann, wenn Sie das Einverständnis der G 7 zu
einem Kurswechsel haben, dann kann der Weg doch
nicht die Sperrung von Krediten und die öffentliche
Diskreditierung der Ukraine sein, sondern dann müssen
alle beteiligten Partner an einen Tisch. Ich kann Herrn
Minister Müller zu dieser Erkenntnis, die er uns gerade
vorgetragen hat, nur gratulieren. Wenn das aber nicht
der Fall ist, wenn dies wieder nur heiße Luft ist, um in
Wahlkampfzeiten der Kernkraft zumindest im Ausland
den Garaus zu machen, dann hören Sie endlich auf, in-
ternational den wilden Mann zu spielen!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Stehen Sie zu getroffenen Vereinbarungen, helfen Sie
Osteuropa bei der mehr als schwierigen Restrukturie-
rung und stellen Sie damit vor allen Dingen eines sicher:
daß Tschernobyl abgeschaltet wird!

Ein deutscher Alleingang kann uns sehr teuer kom-
men und viel außenpolitisches Porzellan zerschlagen.
Das mag Herrn Trittin – wir kennen ihn ja inzwischen –
gleichgültig sein. Aber wenn es eines gibt, was Sie von
der Außenpolitik liberaler Außenminister lernen sollten,
dann dies: daß europäische Probleme im Konsens und
nicht im Konflikt mit den europäischen Partnern ange-
gangen werden müssen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unser Änderungsantrag zum Antrag von SPD und
Grünen hält am ursprünglichen Ziel fest: Tschernobyl
muß abgeschaltet werden. Die Menschen in Ost und
West erwarten von der Politik, daß sie dieses Ziel nicht
aufgibt. Wenn der Antrag der Regierungsfraktionen hier
beschlossen wird, dann laden Sie selbst der Bundesre-
gierung für die deutsch-ukrainischen Regierungsgesprä-
che Anfang Juli eine sehr schwere Last auf. Und gestat-
ten Sie mir die sehr provokante Frage – nach meinen In-
formationen werden die Minister Müller und Trittin an
diesen Verhandlungen teilnehmen –: Wollen Sie dort
eigentlich zwei Meinungen vertreten?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mindestens!)

Unser Änderungsantrag eröffnet der deutschen Ver-

handlungsposition neue Optionen. Ihr Antrag treibt uns
weiter in die europäische Isolation.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404527900
Für die Fraktion der
PDS spricht nun die Kollegin Eva-Maria Bulling-
Schröter.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1404528000
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Kein AKW in
Brokdorf und auch nicht anderswo!“ Das war 1976 auf
einer der größten Anti-AKW-Demos in der Geschichte

der Bundesrepublik die Parole. Ein späterer saarländi-
scher Umweltminister – seit Sonntag frischgebackener
Europaabgeordneter – rief gar dazu auf, das Land unre-
gierbar zu machen, wenn man nicht aus der Atomkraft
aussteige.

Heute haben wir die Chance, zu zeigen, daß wir es
ernst meinen mit der Beendigung der Atomkraft.


(Beifall bei der PDS)

Allerdings fangen wir dann doch erst einmal woanders
an. Doch nicht nur die Glaubwürdigkeit beim Ausstieg
steht heute auf dem Prüfstand; wir erleben hier auch ein
demokratisches Lehrstück. Die Auseinandersetzung um
die Kreditvergabe für die beiden ukrainischen Reak-
toren zeigt folgendes – zunächst einmal zur Ausgangs-
lage –: Es ist richtig, daß der Westen den MOE-Staaten
bei der Lösung ihrer Energieprobleme helfen muß. Dies
trifft insbesondere auf die Ukraine und den havarierten
Reaktor in Tschernobyl zu. Richtig ist aber auch, daß
der Westen der Ukraine die neuen Reaktoren geradezu
aufgenötigt hat und die Ukraine mangels angebotener
Alternativen keine Möglichkeit sah, den Atomkurs ab-
zulehnen. Dies müssen wir heute bei unserer Entschei-
dung korrigieren. Natürlich muß Geld fließen, aber für
alternative Energien.

Staatssekretär Baake hat doch recht, wenn er vorge-
stern im „Morgenmagazin“ von ARD/ZDF feststellte,
die Energieprobleme der Ukraine seien weniger tech-
nischer Natur und weniger ein Mengenproblem als
vielmehr struktureller Art. Niemand klärt den Wider-
spruch auf, daß Tschernobyl bis Ende 2000 abgeschaltet
werden soll, K2/R4 aber frühestens 2004 ans Netz gehen
sollen. Da können die Kapazitätsprobleme so gravierend
doch wohl nicht sein. Darüber haben Sie nichts gesagt.

Nein, meine Damen und Herren, es gibt genügend Al-
ternativvorschläge. Es ist ein Märchen, zu erzählen, die
Bundesrepublik sei durch internationale Verpflichtungen
der Vorgängerregierung auf die nukleare Option festge-
legt. Es sind doch vielmehr die Profitinteressen von
Siemens und Framatome zum Beispiel, die hier tangiert
sind.


(Beifall bei der PDS)

Es soll hier ja nicht nur die „schnelle Mark“ mit K 2 und
R 4 gemacht werden, sondern die langfristigen Interes-
sen der Konzerne in anderen Ländern Osteuropas, in
China und in der Türkei sollen abgesichert werden. Die
Bosse träumen schon davon, Atomstrom zu Spottpreisen
in die Bundesrepublik zu importieren – dann allerdings
ohne westliche Sicherheitsstandards, ohne Rückstellun-
gen usw. –, wenn hier die AKWs auslaufen oder, was
ich noch immer hoffe, durch politische Mehrheitsent-
scheidung vom Netz genommen werden. Im übrigen
fielen die ukrainischen Staatsanleihen in Euro in den
letzten Tagen dramatisch. Auch das beweist die Richtig-
keit meiner These.

Zudem ist es doch so: Die Atomtechnik war und ist
eine politische Technik. Ob es um Autarkiebestrebun-
gen, um die zivil-militärische Komponente oder um die
Profitmaximierung geht – immer wurden diese Prozesse
politisch gewollt und flankiert. Kein privater Investor

Ulrike Flach






(A) (C)



(B) (D)


wäre bereit gewesen, bei noch so hoher Gewinnerwar-
tung die Investitions- und Sicherheitsrisiken zu tragen.

Nun wird auch hinsichtlich der Ukraine mit der Her-
stellung und Erhöhung der Sicherheit der bestehenden
AKWs argumentiert. Das ist Ideologie reinsten Wassers.
Die Atomtechnologie ist nicht sicher. Die Störfälle in
deutschen AKWs, die Auswirkungen der Niedrigstrah-
lung beim sogenannten störungsfreien Betrieb und die
Beinahekatastrophe von Harrisburg beweisen dies. Es
muß nicht immer Tschernobyl bemüht werden. Die ein-
zig sichere Alternative ist die Stillegung auch und gera-
de der Reaktoren in Osteuropa.


(Beifall bei der PDS)

Noch ein Argument: Selbst der ukrainische Staatschef

Kutschma wird mit dem Satz zitiert: „Der Energiesektor
wird derzeit von kriminellen Elementen beherrscht.“ So
steht es in der „Frankfurter Rundschau“ vom 15. Juni.
Und in diese instabile Situation hinein – Sie sind doch
immer so für innere Sicherheit – sollen AKWs gebaut,
soll ihre Sicherheit über Jahrzehnte gewährleistet wer-
den? Was würde Herr Beckstein dazu sagen?


(Beifall bei der PDS)

Das einzige, was im Atombereich in Osteuropa und

hier bei uns noch entwickelt und finanziert werden soll
und muß, sind Programme zur Entsorgung des ange-
fallenen Atommülls. Dafür gibt es nämlich weder hier
noch dort – Stichwort: Endlager – Konzepte.

Nun zur Frage der Demokratie: Der Herr Bundes-
kanzler hat sie ja bekanntlich auf die Frage von Koch
und Kellner reduziert. Damit mögen andere zufrieden
sein, wir nicht. Wir kennen und erkennen noch unter-
schiedliche Wirtschafts- und Gesellschaftspolitiken jen-
seits der Unterscheidung von „modern“ und „unmo-
dern“. Wir waren die erste Fraktion, die einen entspre-
chenden Antrag in den Bundestag eingebracht hat. Am
Dienstag wurde er im Umweltausschuß mit Mehrheit
beschlossen. Wir hoffen, daß auch hier eine Mehrheit
zustande kommt. Wir meinen, die Regierung muß die-
sem Votum folgen – sonst ade Gewaltenteilung. Es kann
nicht angehen, daß die Exekutive der Legislative die
Politik diktiert. Wir meinen, daß auch die Koalitions-
fraktionen nicht zum Abnickverein von Konzernen und
anderen Interessen verkommen sollten.


(Beifall bei der PDS)

Es müßte jedes Mitglied dieses Hauses alarmieren, wenn
über die Politik nicht mehr im Parlament, sondern in den
Vorstandsetagen der Großkonzerne entschieden wird
und im Kanzleramt anschließend nur noch die Hacken
zusammengeschlagen werden.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404528100
Ich gebe das Wort
der Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1404528200
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich mache mir ernsthaft Sorgen,

wenn Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von Rotgrün,
es tatsächlich durchsetzen sollten, daß die Kreditverga-
be platzt. Wir kommen dann nämlich in eine äußerst be-
drohliche Situation. Der ukrainische Präsident Kutschma
hat eindeutig und klar gesagt: Der Unglücksreaktor
Tschernobyl geht dann nicht mehr im Jahr 2000 vom
Netz, sondern läuft weiter. Ich frage Sie: Wollen Sie
wirklich die Verantwortung dafür tragen, daß dieser Un-
glücksreaktor nach 2000 noch immer in Betrieb ist?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Oder sind Sie wirklich so naiv, zu glauben, was Herr
Trittin gesagt hat? In der letzten Ausgabe der „Welt am
Sonntag“ hat der Minister auf die Frage, ob Bonn im
Falle einer Ablehnung der Kreditvergabe wortbrüchig
werde, mit einem klaren, einfachen Nein geantwortet.
Zur Begründung hat er auf das Memorandum of Under-
standing verwiesen. Er tut so, als ob hier überhaupt nicht
von Atomreaktoren die Rede ist.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404528300
Frau Kollegin
Wöhrl, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeord-
neten Hustedt?


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1404528400
Wenn meine Kollegen
es so für richtig halten, dann lasse ich es und fahre fort.

Ich habe mir dann das Memorandum of Understan-
ding besorgt. Dort heißt es in Ziffer 2:

Die Ukraine und die G-7-Staaten werden zusam-
men mit den internationalen Finanzinstitutionen
und mit aus- und inländischen Investoren kredit-
finanzierte, möglichst wirtschaftliche Lösungen

– Frau Hustedt, hören Sie bitte zu; anscheinend haben
Sie auch das nicht gewußt, als Sie Ihre Aussagen gegen-
über der Presse machten –

zur Fertigstellung der Kernreaktoren Khmelnitski 2
und Rovno 4 erarbeiten.

Genauso heißt es in Anhang 2 zum Memorandum of
Understanding:

Sicherheitsverbesserungen und Fertigstellung von
Khmelnitski 2 und Rovno 4 sowie Errichtung von
Hochspannungsleitungen zu den Einheiten Khmel-
nitski und Rovno …

Frau Hustedt ging sogar noch weiter als Herr Trittin.
Sie hat sogar in der Presse gesagt, von Atomkraftwerken
sei im Memorandum überhaupt nicht die Rede. Das ist
eine glatte Lüge, wie ich eben mit Hilfe des Zitats belegt
habe. Genauso ist es eine Lüge, wenn sie vorhin in ihrer
Rede behauptet hat, daß die Unterstützung für die Kern-
energie eine Modernisierung von Kohlekraftwerken
in der Ukraine ausschließen würde. Das ist eindeutig
falsch. Denn derzeit läuft ein Modernisierungsprogramm
beim Kohlekraftwerk Smiyew durch Siemens. Also ist
auch das eine glatte Lüge.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Eva-Maria Bulling-Schröter






(B)



(A) (C)



(D)


Auch das Gerede, man könne ja statt für die Fertig-
stellung der Atomreaktoren das Geld für Gaskraftwer-
ke zur Verfügung stellen, ist eine Irreführung. Die
Ukraine hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß die
zwei Reaktoren, die schon zu über 80 Prozent fertigge-
stellt sind, fertiggebaut werden sollen. Wenn keine Kre-
ditfinanzierung der westlichen Länder zustande kommt,
dann mit russischer Hilfe oder in Eigeninitiative. Aber
was ist dann? Dann werden diese zwei Reaktoren Si-
cherheitsstandards aufweisen, die nicht den westlichen
Standards entsprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dazu kommt noch, daß es dann zu einer immensen Zeit-
verzögerung bei der Abschaltung von Tschernobyl
kommen würde.

Die Ukraine hat immer wieder klargestellt – auch
Martynenko hat es gestern noch einmal bestätigt –, daß
sie an der Vereinbarung von 1995 festhalten will. Das ist
auch nachvollziehbar. Erdgasimporte würden eine im-
mense wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von
Rußland bedeuten. Ich glaube, das kann auch nicht in
unserem Sinne sein.

Wie Sie wissen, hat sich bereits ein französisch-
deutsch-russisches Konsortium als Generalauftragneh-
mer für die Fertigstellung, Modernisierung und Si-
cherheitsverbesserung der beiden Reaktoren präqua-
lifiziert. Auch in dieser Frage muß man weiterdenken.
Wie würden sich denn unsere künftigen Beziehungen zu
Rußland gestalten, wenn wir hier einen Rückzieher ma-
chen würden?

Eines darf man ebenfalls nicht vergessen, nämlich
daß es hier auch um Arbeitsplätze geht.

Ich fasse ganz kurz zusammen: Aus Gründen unserer
außenpolitischen Glaubwürdigkeit, der Arbeitsplatzsi-
cherung und vor allem der nuklearen Sicherheit unseres
europäischen Kontinents darf die Kreditzusage gegen-
über der Ukraine nicht in Frage gestellt werden.
Tschernobyl muß im Jahr 2000 abgeschaltet werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404528500
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich mache darauf aufmerksam, daß in
etwa 15 Minuten die namentliche Abstimmung beginnen
wird.

Als nächste Rednerin spricht für die SPD die Kolle-
gin Monika Griefahn.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1404528600
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Eine neue Bundesregie-
rung steht immer vor neuen Herausforderungen. Diese
Regierung hatte in ihrem ersten Halbjahr besonders viele
Präsidentschaften inne. Es waren dies die EU-Präsi-
dentschaft, die WEU-Präsidentschaft und die G-7/G-8-
Präsidentschaft. Deswegen bin ich besonders froh, daß
diese Bundesregierung aktive Schritte unternimmt und
sehr viel Energie aufwendet, um das, was von der vor-

herigen Bundesregierung mit versursacht worden ist, in
mühsamen Gesprächen und Verhandlungen mit unseren
Partnern in den anderen G-7-Ländern, mit Rußland und
auch direkt mit der Ukraine aus dem Weg zu räumen
und neue Positionen zu erarbeiten. Ich glaube, dazu ist
ein ganz großes Engagement erforderlich. Ich danke
ganz herzlich dafür.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Bundesminister Müller hat auf die Verabredun-
gen und Festlegungen derer hingewiesen, die vor zwei,
drei oder vier Jahren getagt haben. Die Bundesregierung
hat jetzt Schritte unternommen, um das aufzudröseln;
denn sie sagt: Natürlich wollen wir eine andere Lösung.
Wir fühlen uns sicherer und wohler, wenn wir nicht ein
Atomkraftwerk durch zwei andere marode ersetzen,
sprich: ein Atomkraftwerk durch zwei russische. Trotz
aller westlichen Technik ist immer wieder deutlich ge-
worden, daß die östlichen Reaktoren nicht nachzurüsten
sind. Sonst hätten wir doch Greifswald nicht abgestellt,
sonst hätten wir Stendal nicht weitergebaut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Weltbank hat gesagt, daß sie keine Kredite für
die Nachrüstung östlicher Reaktoren vergeben wird. Die
Europäische Investitionsbank hat gesagt, sie sehe keine
Möglichkeit, dieses Projekt zu fördern, weil es nicht
wirtschaftlich und nicht sinnvoll ist. Dabei muß man be-
achten, daß die Europäische Investitionsbank überhaupt
nicht in dem Vedacht steht, ideologisch anti Atomkraft
zu sein. Aber sie sagt, das Projekt sei nicht wirtschaft-
lich, nicht machbar.

Ich möchte noch einige Punkte ansprechen, die be-
reits aufgelistet worden sind, die aber de facto nicht
ganz richtig sind.

Erstens. Es geht um die Frage, warum ein Gaskraft-
werk im Moment nicht in Frage kommt. Wir haben im-
mer wieder, auch in unseren letzten Gesprächen, von
Präsident Kutschma signalisiert bekommen, daß sich der
Antrag ursprünglich auf ein Gaskraftwerk bezog, daß
sich aber die westliche Staatengemeinschaft, insbeson-
dere Frankreich, für ein Atomkraftwerk eingesetzt hat.

Dazu muß man ganz deutlich sagen: Frankreich
möchte natürlich gern weiter Atomkraftwerke exportie-
ren und sieht darin einen östlichen Markt. Ich habe mit
den Kollegen in Frankreich gesprochen. Alle Parlamen-
tarier sagen: Wir sind natürlich dabei, wenn es preis-
werter und einfacher ist, etwas anderes zu bauen. Der
französische Präsident Chirac hat sich jedoch festgelegt.
Er hat die Federführung, und da gibt es keine Wider-
worte mehr. Das ist das Problem. Hier müssen wir die
Arbeit leisten. Das ist eine sehr komplizierte Angele-
genheit.

Zweitens. Es wird behauptet, wenn dort ein Atom-
kraftwerk stünde, wäre das für die Ukraine billiger.
Auch das stimmt nicht mehr. Früher gab es einen Aus-
tausch der Brennelemente zwischen Rußland und der
Ukraine. Dieser Austausch ist beendet worden. Die
Ukraine müßte jetzt die Brennelemente und die Endlage-

Dagmar Wöhrl






(A) (C)



(B) (D)


rung bezahlen. Das allein würde 230 Millionen Dollar
zusätzlich kosten.

Die Ukraine hat kein Geld. Das „Handelsblatt“ hat am
Montag berichtet: Kiews Finanzkrise verschärft sich, alle
sind zahlungsunfähig. Das kann man auch an den Strom-
rechnungen ablesen: Nur 5 Prozent werden direkt bezahlt,
40 Prozent werden gar nicht bezahlt und der Rest durch
Tauschgeschäfte. Daran sieht man, daß es überhaupt nicht
möglich ist, dort irgendeine Bezahlung für irgend etwas
zu erhalten. So wird es auch nicht 230 Millionen Dollar
für Brennelemente aus Rußland geben.

Insofern ist es richtig, zu sagen: Wir wollen, daß das,
was hier an Firmen-Know-how vorhanden ist, dort auch
eingesetzt wird. Es gibt dort etliche Kraftwerke, zum
Beispiel auf Kohlebasis, die weder auf- noch nachgerü-
stet worden sind. Wir haben in der Bundesrepublik den
Wirkungsgrad von 33 Prozent auf 40 Prozent erhöht.
Die Steinkohle ist weiter gefördert worden, damit auch
die Technik in diesem Bereich weiterentwickelt werden
kann. Wenn man in der Ukraine die bestehenden Koh-
lekraftwerke nachrüsten würde, hätte sie allein
330 Millionen Kilowattstunden mehr als vorher. Das
heißt, sie bekäme mehr als die 2 000 Megawatt, die die
neuen Kraftwerke, die dort entstehen sollen, liefern
würden. Das ist etwas, was wir genauso finanzieren
könnten. Dabei würde die Unabhängigkeit der Ukraine
tatsächlich bestehenbleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Selbst der Direktor des Komplexes K2/R4, Saza-
nov, sagte noch im Februar dieses Jahres, er glaube
nicht, daß Rußland die Fertigstellung bezahlen wird. Es
besteht daher auch nicht die Gefahr, daß Rußland die
Fertigstellung bezahlt, wenn wir es nicht tun. Für die
Ukraine und Herrn Kutschma ist es wichtig, daß der
Westen zu seinem Versprechen steht, die Tschernobyl-
Reaktoren abzuschalten, den Sarkophag zu bezahlen und
alternative Energieversorgung in der Ukraine aufzubau-
en. Bei der Durchsetzung dieses Ziels haben wir weniger
Probleme mit der Ukraine – weil wir ein gutes Verhält-
nis zur Ukraine haben –, sondern mehr Probleme mit
den westlichen Partnern. Wir müssen jetzt auf dem Gip-
fel in Köln mit unseren Partnern darüber sprechen; das
ist wichtig.

Ich wünsche der Bundesregierung sehr viel Glück.
Ich wünsche ihr, daß sie es schafft. Ich weiß, daß sie
eine schwere Aufgabe vor sich hat. Wir werden sie auf
der Ebene der Parlamentarier unterstützen. Wir werden
die Bundesregierung unterstützen, unabhängig davon,
welches Ergebnis auf dem Kölner Gipfel erzielt wird,
um Ihren Weg nicht weiter verfolgen zu müssen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404528700
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, vor einer namentlichen Abstimmung ist

es immer etwas unruhig. Der Kollege Müller hält jetzt
seine erste Rede. Sie sollten ihm seine Jungfernrede er-
leichtern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der
Kollege Bernward Müller.


Bernward Müller (CDU):
Rede ID: ID1404528800
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Frau Hustedt, wenn Herr Grill die Rede des Wirt-
schaftsministers gehalten hätte, dann hätte ich Ihre Aus-
führungen nachvollziehen können. Aber für mich ist
Ihre Rede ein Paradebeispiel für ideologische Verblen-
dung und Unverbesserlichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ersatz für den Energieausfall im Falle der Abschal-

tung der Altreaktoren in Tschernobyl zu beschaffen,
kann nicht nur mit der Beschaffung von Kilowattstunden
verglichen werden.


(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Für seine erste Rede legt er ganz schön los!)


Eine so eindimensionale Sichtweise, wie sie von Ihnen,
meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen,
am letzten Dienstag im Umweltausschuß an den Tag
gelegt worden ist, ist nicht weiterführend. Für die jungen
Länder auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ist
Energieversorgung eben auch eine Frage der Selbstbe-
stimmung, der Unabhängigkeit, der Sicherheit und des
Selbstverständnisses.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vor diesem Hintergrund war das 1995 zwischen der

Ukraine und den G-7-Staaten vereinbarte Memoran-
dum eben kein Fehler, sondern der Startschuß für die
Beseitigung der direkten Folgeschäden der Reaktorkata-
strophe von 1986. Es war auch der von allen Beteiligten
anerkannte Einstieg in eine verbesserte Energiepolitik
der Ukraine. Die Zusage der Fertigstellung von K 2 und
R 4 war das Ergebnis weiterer Verhandlungen und nicht
das Ergebnis von Erpressungen, Frau Hustedt. Das hat
Ihnen der Wirtschaftsminister gerade eben bestätigt. Sie
bezeichnen diese Vereinbarung heute als Erblast. Ich
nenne sie einen Meilenstein auf dem richtigen Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die Handlungsschwerpunkte dieser Vereinbarung
sind die Abschaltung der verbliebenen Reaktorblöcke in
Tschernobyl bis zum Jahr 2000 und die Schaffung von
Ersatzkapazitäten für die nukleare und die fossile Ener-
gieerzeugung, also für beide Arten. Es geht in der Sum-
me um die Anhebung des Sicherheitsniveaus durch Nut-
zung der gesamten Bandbreite der Gestaltungsmöglich-
keiten der nuklearen Energieerzeugung in der Ukraine.
Es geht also nicht nur um das Abschalten, sondern auch
um Modernisierung und Erneuerung. Hier beginnt das
Dilemma gerade für die Grünen. Wenn ich später noch
Zeit habe, werde ich darauf zurückkommen.

Monika Griefahn






(B)



(A) (C)



(D)


Bei aller Unterschiedlichkeit in den Auffassungen
war auf der Sondersitzung des Umweltausschusses am
Dienstag eines klar: Wir wollen die schnellstmögliche
Abschaltung der Tschernobyl-Reaktoren erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dies bringt kurzfristig die entscheidende Minimierung
des Sicherheitsrisikos.

In der Tat ist die Abschaltung der sich noch im Be-
trieb befindlichen Reaktoren greifbar nahe. Wenn Sie
diese schnellstmögliche Abschaltung wirklich wollen,
dann müssen Sie den jetzigen Gegebenheiten in der
Ukraine und dem Zusammenwirken der G-7-Staaten
Rechnung tragen. Das, was möglich und machbar ist, ist
doch bereits geprüft worden, und zwar vom Bundes-
kanzleramt. Die Fakten liegen vor. Ich konnte mich
zwar des Eindrucks nicht erwehren, daß die Koalitions-
fraktionen und auch der Bundesumweltminister über
diese Prüfergebnisse nicht informiert waren oder diese
Ergebnisse nicht für erforderlich hielten oder ihnen kei-
ne Beachtung schenkten. Aber das ändert doch nichts an
der Tatsache, daß die Ergebnisse vorliegen und beachtet
werden müssen.

Ich gehe davon aus, daß gerade im Wissen um die
Schwierigkeiten, die diese Entscheidung mit sich bringt,
und mit Blick auf die Befindlichkeiten in den Koaliti-
onsfraktionen alle Alternativkonzepte, die derzeit
möglich sind, geprüft worden sind. Deswegen müssen
wir folgendem Rechnung tragen – es ist schon mehrfach
gesagt worden –: Die Ukraine stellt ihre Altreaktoren
nur ab, wenn wir K 2 und R 4 fertigstellen. Ein Gaswerk
ist nicht geplant, und die Ukraine ist an einem Gaswerk
nicht interessiert. Das hängt sicherlich mit der Abhän-
gigkeit von Rußland zusammen. Auch die G-7-Partner
erklären nachdrücklich: Schert Deutschland aus, muß
Deutschland die Kosten für die Alternativprojekte allei-
ne tragen.

Eines will ich Ihnen noch sagen: Sollte Ihr Antrag in
diesem Hause tatsächlich angenommen werden, dann
müssen Sie von den Grünen und der SPD sich aber über
folgendes im klaren sein: Sie werden miterleben, daß die
Reaktoren in Tschernobyl noch über das Jahr 2000 hin-
aus am Netz bleiben werden. Sie werden miterleben, daß
K 2 und R 4 nicht mit moderner internationaler Technik
fertiggestellt werden, sondern nach altem osteuropäi-
schen Standard. Sie werden miterleben, daß Deutschland
seinen Einfluß bei der Modernisierung der anderen
Atomkraftwerke in der Ukraine verlieren wird. Und,
Frau Hustedt, Sie werden miterleben, wie deutsche oder
andere mitteleuropäische Energieverbraucher Billig-
strom aus veralteten Atomkraftwerken beziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die laufen doch gar nicht mehr!)


Ich finde es schon beachtenswert – das will ich zum
Abschluß erwähnen –, daß die Regierungskoalition
einen Antrag formuliert, der ihren Kanzler im Regen
stehenläßt. Ich glaube, das ist genauso ein Novum in
diesem Hause wie das, daß der Kanzler für seinen einge-
schlagenen Weg, nämlich die Kredite zur Verfügung zu

stellen, heute von der Mehrheit der Opposition Zustim-
mung erfährt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404528900
Ich gratuliere dem
Kollegen Müller im Namen des Hauses zu seiner ersten
Rede.


(Beifall)

Ich gebe nunmehr als letztem Redner in dieser De-

batte dem Kollegen Dr. Jürgen Gehb, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1404529000
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wenn Nachrichtenagenturen
berichten, der Kanzler sei über die Koalitionsfraktionen
verärgert, dann kann ich das sehr gut verstehen; denn
wieder einmal ist es die CDU/CSU-Fraktion in diesem
Hause, auf deren Unterstützung und Verläßlichkeit die
Bundesregierung bei der Einhaltung internationaler Ver-
pflichtungen bauen kann, während die Haltung der rot-
grünen Koalitionsfraktionen dem Kanzler so hilfreich ist
wie der Strick dem zu Hängenden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber was opfert diese Regierung nicht alles für eine fra-
gile koalitionsinterne Eintracht!

Es kann auch keine Rede davon sein, daß Bundes-
kanzler Schröder diese, insbesondere vom Kollegen
Kubatschka ebenso genannte Erblast aus der Kohl-
Regierung nur widerwillig, mit geballter Faust in der
Tasche übernommen hätte. Vielmehr war es die Regie-
rung, die bei vorausgegangenen internationalen Treffen
die Einhaltung der Kreditzusagen durchaus originär
vertreten hat. Wer hat denn im März dieses Jahres aus
guten Gründen feste Absprachen mit Frankreich getrof-
fen? Wenn das stimmt, was Frau Hustedt gesagt hat,
dann frage ich mich, wie unverantwortlich ein Kanzler
handelt, wenn er sehenden Auges solche Vereinbarun-
gen erneuert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das Gerede von der Erblast ist doch eine Täuschung, um
von der eigenen Verantwortung oder, besser gesagt,
Verantwortungslosigkeit abzulenken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erst die ablehnende
Haltung der beiden Koalitionsfraktionen hat doch diese
Bundesregierung, namentlich den Kanzler, in eine Zer-
reißprobe getrieben. Herr Schröder versucht nun in der
ihm eigenen alerten Art, sich aus dieser selbstgestrickten
Falle zu befreien. Die von Regierungssprecher Heye be-
zeichnete „respektvolle Behandlung“ – nicht etwa Re-
spektierung – der ablehnenden Beschlüsse wird doch
wohl so aussehen, daß auf dem G-8-Gipfel eine klare
Entscheidung vermieden und die Sache vertagt wird,
obwohl sämtliche Voraussetzungen für die Vergabe
vorliegen und die endgültige Zusagereife lediglich von

Bernward Müller (Jena)







(A) (C)



(B) (D)


der wirtschaftlichen Zuverlässigkeit des Kernkraft-
werksbetreibers abhängt, wie uns Minister Müller ge-
stern im Wirtschaftsausschuß und eben hier im Plenum
erklärt hat. Lediglich als Beruhigung für die eigenen
Fraktionen wird es im Juli ein Gespräch mit der ukraini-
schen Führung geben, und ich frage mich, was wir da an
neuen Erkenntnissen gewinnen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Letztlich wird aber staatsmännisch, wenn auch mit
retardierendem Moment der Kreditvergabe doch zuge-
stimmt, um sich international nicht zu isolieren und sich
bei Verweigerung des deutschen Finanzierungsbeitrages
nicht gar noch regreßpflichtig zu machen.

Jenseits aller insbesondere von den Grünen und dort
von Frau Hustedt vorgeschobenen Sicherheitsbedenken,
die ich hier anders als die sich geradezu als Ordinaria für
Kernphysik und Atomrecht aufspielende Sprecherin der
Grünen als Abgeordneter in der Sache weder verifizie-
ren noch falsifizieren kann, steht doch eines fest: Ohne
Einhaltung der Kreditzusage wird das Junktim, nämlich
das Abschalten des Unglücksreaktors Tschernobyl noch
im Jahre 2000, nicht erfüllt. Die beiden Reaktoren K 2
und R 4 werden auch ohne deutschen Finanzierungsbei-
trag und damit leider auch ohne deutsches Know-how
auf niedrigem Sicherheitsstandard fertiggestellt. Damit,
meine Damen und Herren, entfernen wir uns von der all-
seits gewünschten und beabsichtigten Anhebung des
Sicherheitsniveaus dieser beiden Reaktoren – jedenfalls
mehr als bei einer deutschen Beteiligung – sowohl in
finanzieller als auch in technischer Hinsicht. So etwas
nennt man einen Treppenwitz der Geschichte.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Doch im Ergebnis wird die Politik von Rotgrün auch
zum Sicherheitsrisiko für unsere Bürger, und dann hört
der Spaß auf.

Was bleibt, ist die Angst von Rotgrün, ihre Glaubwür-
digkeit oder das, was davon noch übriggeblieben ist, zu
verlieren und sich in einen Widerspruch zu manövrieren,
nämlich auf der einen Seite national aus der friedlichen
Nutzung der Kernenergie auszusteigen und auf der ande-
ren Seite Kernkraftwerke international mit zu finanzieren.
Das ist in der Tat ein signifikanter Widerspruch. Dessen
Auflösung aber kann nicht in der Beibehaltung eines le-
gislatorisch verordneten Ausstiegs bei uns und der Ver-
weigerung der Kredite für Kiew liegen, sondern umge-
kehrt wird ein Schuh daraus: Halten Sie die internationa-
len Verpflichtungen ein, und verabschieden Sie sich von
einem optionslos gesetzlich oktroyierten Ausstieg!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Ihnen außer der Bundesrepublik Deutschland
die ganze Welt nicht in Ihr rotgrünes kleingestricktes
Karo paßt, so bin ich mir sicher, daß es nicht die Welt
ist, die geändert werden muß. Verabschieden Sie sich
davon, zum globalen Gralshüter des Ausstiegs aus der
Kernenergie zu werden!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine rhetorische Frage gestatte ich mir zum Ab-

schluß: Warum hat eigentlich heute abend nicht der
Umweltminister Trittin, sondern Herr Müller gespro-
chen? Das war eine Super-Ouvertüre, und ich frage
mich, in welcher Schlachtordnung wir uns eigentlich be-
finden. Der unbefangene Betrachter sagt, hier bekomme
der falsche Adressat vom Falschen Applaus.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404529100
Ich schließe die
Aussprache.

Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu
dem Antrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die
Grünen zur Einstellung der Unterstützung der Atom-
kraftwerke in der Ukraine, Drucksache 14/1143 Nr. 1.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P.
auf Drucksache 14/1160 vor, über den wir zuerst ab-
stimmen. Die Fraktion der F.D.P. verlangt namentliche
Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.

Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröff-
ne die Abstimmung. –

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentli-
chen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 19.52 bis 20.00 Uhr)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404529200
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder er-
öffnet.

Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung über den Änderungs-
antrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/1160
bekannt: Abgegebene Stimmen 500. Mit Ja haben ge-
stimmt 27, mit Nein haben gestimmt 472, Enthaltungen 1.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 499;
davon:

ja: 27
nein: 471
enthalten: 1

Ja
F.D.P.
Hildebrecht Braun (Augsburg)


Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Birgit Homburger

Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Detlef Parr
Gerhard Schüßler

Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier

Dr. Jürgen Gehb






(B)



(A) (C)



(D)


Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder

Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Dietmar Schlee
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mühlheim)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt

Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller

SPD
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Peter Dreßen

Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose

Vizepräsident Rudolf Seiters






(A) (C)



(B) (D)


Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Klaus Lennartz
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Dieter Maaß (Herne)

Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Joachim Poß
Margot von Renesse

Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Franz Thönnes

Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek (Leipzig)

Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck (Bremen)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack

Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

PDS
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert

Enthalten
PDS
Dr. Christa Luft

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Adam, Ulrich, CDU/CSU Behrendt, Wolfgang, SPD Dr. Böhmer, Maria, CDU/CSU Bühler (Bruchsal),
Buwitt, Dankward, CDU/CSU Haack (Extertal), Dr. Hornhues, Karl-Heinz Klaus, CDU/CSU
Jäger, Renate, SPD Karl-Hermann, SPD CDU/CSU Lintner, Eduard, CDU/CSU
Lotz, Erika, SPD Dr. Lucyga, Christine, SPD Maaß (Wilhemshaven), Michels, Meinolf, CDU/CSU
Müller (Berlin), Neumann (Gotha), Erich, CDU/CSU Schloten, Dieter, SPD
Manfred, PDS Gerhard, SPD Schmitz (Baesweiler), von Schmude, Michael,
Schütz (Oldenburg), Siebert, Bernd, CDU/CSU Hans Peter, CDU/CSU CDU/CSU
Dietmar, SPD Dr. Wodarg, Wolfgang, SPD

Vizepräsident Rudolf Seiters






(B)



(A) (C)



(D)


Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-

schlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Frak-
tionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Ein-
stellung der Unterstützung der Atomkraftwerke in der
Ukraine. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/795 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die der Beschlußempfehlung zuzustimmen wünschen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men der CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthaltung der
PDS angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Frak-
tion der CDU/CSU zu einem Festhalten an den Zusagen
zum Bau von sicheren Ersatzreaktoren in der Ukraine,
Drucksache 14/1143 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/819 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlußempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ange-
nommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Frakti-
on der PDS zu Investitionen der Europäischen Bank für
Wiederaufbau und Entwicklung, Drucksache 14/1143
Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/708 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlußempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des Hau-
ses gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Meine Damen und Herren, ich rufe nun die Tages-
ordnungspunkte 11a bis 11d auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD

und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Un-
abhängigkeit der Richter und Gerichte
– Drucksache 14/979 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß

b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines
Gesetzes zur Reform der Präsidialverfassung
der Gerichte
– Drucksache 14/597 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß

c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines

Gesetzes zur Förderung der außergerichtli-
chen Streitbeilegung
– Drucksache 14/980 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß

d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Einführungsgeset-
zes zum Gerichtsverfassungsgesetz
– Drucksache 14/870 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache ursprünglich eine Stunde vorgesehen.
Die meisten Redner haben aber ihre Reden zu Protokoll
gegeben.*)

Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Landesmi-
nister Jochen Dieckmann für Nordrhein-Westfalen das
Wort.


(Nordrhein-Westfalen)

Punkte und Themen, die unter Punkt 11 der heutigen
Tagesordnung zur Beratung anstehen, sind den Ländern
wichtig, da sie zur großen Thematik der Justizreform
gehören.

Der Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der außer-
gerichtlichen Streitbeilegung, auf den ich mich hier kon-
zentrieren möchte, ist uns von besonderer Bedeutung.
Leider ist das Anliegen dieses Gesetzentwurfes gele-
gentlich mißverstanden und nur als Versuch gesehen
worden, lästige Bagatellverfahren von den Gerichten
wegzudrücken und die Gerichte zu entlasten. Eine Ent-
lastung der Justiz ist sicher notwendig. Ursache hierfür
sind in erster Linie die hohen personellen und finanziel-
len Belastungen der Haushalte der Landesjustizverwal-
tungen, die sich neuerdings durch das Betreuungsrecht
und das Verbraucherinsolvenzverfahren ergeben.

Eine Entlastung der Justiz ist aber nicht das vorrangi-
ge rechtspolitische Anliegen dieses Reformvorhabens.
Der rechtspolitisch bedeutsame Aspekt liegt vielmehr
darin, auf diesem Wege zu einer Änderung der Streit-
kultur in unserem Land zu kommen. Ich glaube, wir
sind ein recht streitfreudiges Volk geworden. Dabei
meine ich das zunächst nicht einmal negativ. Denn Streit
und Auseinandersetzung sind wichtige Bestandteile
einer demokratischen Gesellschaft. Aber ein Streit sollte
im Regelfall von den Beteiligten im Gespräch miteinan-
der ausgeräumt werden.


(Beifall bei der SPD)

Nur ausnahmsweise sollte es der Entscheidung durch ein
Gericht bedürfen. Ein Blick auf die Eingangszahlen un-
serer Gerichte zeigt, daß sich dieses Regel-Ausnahme-
Verhältnis inzwischen sehr in Richtung auf die gericht-
lichen Entscheidungen verschlechtert hat.
––––––––––––
*) Anlage 4

Vizepräsident Rudolf Seiters






(A) (C)



(B) (D)


Es gibt eine zu große Zahl von Streitigkeiten, bei de-
nen die Entscheidung durch das Gericht erkennbar nicht
die beste Lösung ist und insbesondere nicht zu einer dau-
erhaften Befriedung der beteiligten Parteien führt. Bei-
spiele hierfür sind insbesondere im Nachbarrecht und im
Bereich der Ehrenschutzklagen zu finden. Deshalb sind
diese Bereiche im vorliegenden Gesetzentwurf ausdrück-
lich erfaßt. Es gibt aber noch viele andere Beispiele. In all
diesen Fällen bringt ein Verfahren, das von der Konzepti-
on her auf Einigung und nicht auf Entscheidung angelegt
ist – wie das Verfahren der außergerichtlichen Streitbeile-
gung – für alle Beteiligten große Vorteile. Zusammenge-
faßt und zugespitzt: Außergerichtliche Streitschlichtung
bietet vielfach die Chance zu einer selbstbestimmten Zu-
kunftsgestaltung, während es der Zivilprozeß häufig bei
einer Vergangenheitsbewältigung bewenden lassen muß,
die letztlich für beide Parteien unbefriedigend bleibt.

Voraussetzung für den Erfolg einer außergerichtli-
chen Streitschlichtung ist etwas, das wir in jeder Aus-
einandersetzung brauchen, das aber leider immer mehr
abnimmt: die Bereitschaft, sich auf ein Gespräch mit
dem anderen einzulassen und wenigstens einmal die
Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß auch der andere
recht haben könnte. Die dafür notwendige Verhal-
tensänderung in der Gesellschaft bedarf eines wahr-
nehmbaren Anstoßes. Einen solchen Anstoß kann und
soll dieses Gesetz geben. Durch den Zwang zur außerge-
richtlichen Schlichtung im unteren Streitwertbereich soll
das Bewußtsein geweckt werden, daß der Weg zu Ge-
richt das letzte Mittel in einem Streit sein sollte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Erfahrung einer gut funktionierenden Streitschlich-
tung kann und soll dann in Zukunft dazu führen, daß
Streitschlichtung auch bei höheren Streitwerten zu einer
echten Alternative zum traditionellen Rechtsstreit wird.

Dieses Gesetz kann daher nur ein Einstieg in die
Stärkung der außergerichtlichen Streitschlichtung sein.
Weitere Maßnahmen zur Förderung insbesondere einer
fakultativen Streitschlichtung müssen folgen. Nur durch
eine breit angelegte, nicht auf die obligatorische
Schlichtung beschränkte Förderung der außergerichtli-
chen Streitbeilegung werden wir zu einer Verhaltensän-
derung kommen. Diese soll dann langfristig auch zu ei-
ner nachhaltigen Entlastung der Justiz führen. Mit an-
deren Worten: Ein zusätzliches Angebot außergerichtli-
cher Streitschlichtung kann und soll dazu führen, daß die
Nachfrage nach dem Produkt Zivilprozeß geringer wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404529300
Ich darf Ihnen mit-
teilen, daß die Kolleginnen und Kollegen Alfred Har-
tenbach (SPD), Volker Kauder (CDU/CSU), Hans-
Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen), Rainer
Funke (F.D.P.), der Parlamentarische Staatssekretär Dr.
Eckhart Pick, Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten

(CDU/CSU) und Dr. Evelyn Kenzler (PDS) ihre Reden

zu Protokoll gegeben haben.*)
––––––––––––
*) Anlage 4

Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages-
ordnungspunkt. Interfraktionell wird die Überweisung
der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/979,
14/597, 14/980 und 14/870 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Bevor ich den Tagesordnungspunkt 12 aufrufe,
komme ich noch einmal auf den Zusatztagesordnungs-
punkt 3 zurück. Frau Birgit Homburger macht uns dar-
auf aufmerksam, daß sich die F.D.P.-Fraktion bei dem
Antrag der CDU/CSU-Fraktion der Stimme enthalten
habe und dies gern zu Protokoll gegeben wissen möchte.
Ähnliches gilt für die Fraktion der PDS: Die PDS
möchte zu Protokoll genommen haben, daß sie sich bei
der Beschlußempfehlung über den Antrag der Fraktio-
nen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Keine wei-
tere Unterstützung der Atomkraftwerke in der Ukraine –
für die Beschlußempfehlung aussprechen wollte.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Nor-
bert Geis, Ronald Pofalla, Dr. Jürgen Rüttgers,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zum verbesserten Schutz der Bundeswehr
vor Verunglimpfung
– Drucksache 14/985 –
Überweisungsvorschlag:

(federführend Ich dachte schon, auch jetzt gäbe es Redebeiträge zu Protokoll. Das ist aber nicht der Fall. Es spricht als erster Dr. Wolfgang Götzer für die CDU/CSU-Fraktion. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir heute einbringen, befaßt sich mit einem verbesserten Schutz der Bundeswehr vor Verunglimpfung. Dabei geht es uns zum einen um den Schutz der Soldaten und der Bundeswehr vor Beleidigungen, zum anderen geht es in diesem Entwurf vor allem aber auch darum, die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr zu schützen. Deshalb haben wir nicht eine ergänzende Formulierung zu den Beleidigungsdelikten der §§ 185 ff. StGB gesucht, sondern wollen mit dem neuen § 109 b StGB die Normierungen konkretisierend ergänzen, die den strafrechtlichen Schutz der Bundeswehr zum Gegenstand haben. Den gleichen Entwurf haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode eingebracht, er ist jedoch der Diskontinuität verfallen. Nach wie vor aber besteht das Anliegen, die Bundeswehr insgesamt und die Soldaten vor Verunglimpfung, insbesondere vor dem Schmähruf „Soldaten sind Mörder“, zu schützen. Dieser Schutz ist heute sogar noch mehr geboten als in der letzten Legislaturperiode. Zum ersten Mal hat sich die Bundeswehr nämlich an Kampfeinsätzen im Rahmen der NATO gegen das frühere Jugoslawien beteiligt. Und wieder tauchen Plakate auf mit der Aufschrift „Soldaten sind Mörder“. Minister Jochen Dieckmann Die Wehrpflichtigen, die ihren Wehrdienst leisten, weil sie das Gesetz dazu verpflichtet, aber auch diejenigen, die den Beruf des Soldaten freiwillig ergriffen haben, empfinden diesen Ruf als Schmähruf gegen sich selbst, gegen ihre Familien und vor allem auch gegen die Bundeswehr insgesamt. Das Ansehen der Bundeswehr selbst steht auf dem Spiel. Das aber darf uns gerade in Zeiten nicht gleichgültig sein, in denen unsere Truppen unter Lebensgefahr ihren Dienst für Frieden und Menschenrechte leisten. Ich denke, wir sind uns – wahrscheinlich mit Ausnahme der Kommunisten – einig, daß unsere Soldaten und die Bundeswehr insgesamt den Schutz und die Achtung erfahren müssen, die sie für die Erfüllung ihres von der Verfassung bestimmten und geforderten Auftrags brauchen. (Alfred Hartenbach [SPD]: Das mit den Kommunisten war aber eine Entgleisung!)

Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1404529400




(B)


(A) (C)


(D)


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


(Lachen bei der SPD)


– Vielleicht hören Sie mir erst einmal zu. Wollen Sie
sich den Schuh anziehen, Herr Kollege? Das denke ich
doch nicht. Erst zuhören!


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ich bin nur für Fairneß!)


Wenn die Kommunisten

(Petra Pau [PDS]: Sozialisten! Ich lege Wert darauf!)

heute eine Ehrenerklärung für die Bundeswehr abgeben,
dann soll es uns recht sein; ob sie dann glaubwürdig ist,
ist eine andere Frage.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind immer wieder offen, auch für Überraschungen.

Zwei umstrittene Entscheidungen des Bundesver-
fassungsgerichts haben gezeigt, daß dieser Schutz
durch das geltende Recht in bestimmten Fällen nicht
ausreichend gewährleistet ist. Gemeint sind die Fälle, in
denen unter vorgeblicher Berufung auf radikalpazifisti-
sche Positionen in Wirklichkeit bewußte Ehrverletzun-
gen begangen werden. Es muß nur behauptet werden,
daß mit den fraglichen Äußerungen nicht etwa die Bun-
deswehr bzw. ihre Angehörigen beleidigt werden soll-
ten, sondern lediglich die Mißachtung des Kriegsdien-
stes als solchem zum Ausdruck gebracht werden sollte.
In diesem Fall überwiegt dann nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts das Recht auf freie Mei-
nungsäußerung.

In der Praxis hat diese Rechtsprechung dazu geführt,
daß der Schutz der Ehre und der Würde von einzelnen
und der Schutz von Institutionen vor Verunglimpfung in
vielen Fällen oft nicht mehr stattfindet. Das gilt insbe-
sondere für die Soldaten und für die Bundeswehr. Diese
Rechtsprechung führte dazu, daß es nicht mehr darauf
ankommt, wie der Adressat oder ein verständiger Dritter

eine solche Äußerung aufnimmt, sondern allein auf die
Meinung des Verunglimpfenden. Dadurch sind Polizei
und Staatsanwaltschaften verunsichert. Sie scheuen sich,
Ermittlungsverfahren überhaupt einzuleiten. Kommt es
doch zu einer Anklage, verurteilen die Richter nicht,
weil sie damit rechnen müssen, daß ihre Entscheidungen
aufgehoben werden. Damit findet aber in solchen Fällen
ein Ehrenschutz nicht mehr statt, obwohl auch der
Ehrenschutz eine konstitutive Bedeutung für unsere Ver-
fassung hat.

Natürlich wollen wir mit unserer Gesetzesvorlage
weder die Meinungsfreiheit noch etwa die Kompetenz
des Bundesverfassungsgerichts einschränken.


(Joachim Stünker [SPD]: Das beruhigt mich!)

Die seit dem Lüth-Urteil vom 15. Januar 1958 entwik-
kelte Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und
dem diese Meinungsfreiheit einschränkenden Gesetz
bleibt selbstverständlich bestehen. Diese Abwägung
setzt aber auch voraus, daß beides gesehen wird: der Eh-
renschutz der Soldaten und damit verbunden die Funkti-
onsfähigkeit der Bundeswehr einerseits und die freie
Meinungsäußerung auf der anderen Seite.

Die jetzige Formulierung des § 185 Strafgesetzbuch
ist zu vage und deshalb oft ungeeignet, in dieser Abwä-
gung der Bedeutung des Ehrenschutzes das erforderli-
che Gewicht zu verleihen. Es gibt kein Recht zur Ver-
unglimpfung. Wir wollen deshalb mit dem neuen
§ 109 b StGB die vage Formulierung des § 185 StGB
präzisieren. Natürlich sind wir uns bewußt, daß wir da-
mit der Bundeswehr und ihren Soldaten eine Art Son-
derstellung im Strafrecht einräumen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Genauso ist es!)

– Dafür gibt es gute Gründe. Ich komme gleich dazu.

Nach unserer Auffassung steht der neue § 109 b
StGB aber in einem engen Zusammenhang etwa mit
§ 90, aber vor allem mit § 90 b des Strafgesetzbuches, in
denen es um die Verunglimpfung von Verfassungsorga-
nen geht. Diese Sonderstellung ist nach unserer Über-
zeugung gerechtfertigt. Denn: Wenn der Staat von sei-
nen Soldaten notfalls den Einsatz ihres Lebens verlangt,
wie gerade jetzt im Kosovo, dann ist es im Rahmen der
Fürsorgepflicht des Gesetzgebers andererseits nur kon-
sequent, den Soldaten einen herausgehobenen Rechts-
schutz zuzubilligen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch etwas möchte ich zu bedenken geben. Unsere

Soldaten leisten ihren Dienst mit der Waffe im Rahmen
ihres verfassungsgemäßen Auftrages und auf Grund ent-
sprechender Beschlüsse des Parlaments. Wer also Sol-
daten als Mörder verunglimpft, der verunglimpft zu-
gleich das Parlament.


(Konrad Gilges [SPD]: Absolut dummes Zeug!)

Schließlich und nicht zuletzt möchte ich darauf hin-

weisen, daß Strafgesetze nicht allein der strafrechtlichen
Verfolgung dienen, sondern auch ein Unwerturteil über
ein bestimmtes Verhalten zum Ausdruck bringen. Dieser

Dr. Wolfgang Götzer






(A) (C)



(B) (D)


Aspekt spielt gerade bei dem vorliegenden Gesetzent-
wurf zum Schutze unserer Soldaten eine besondere
Rolle. Der ehemalige sozialdemokratische Verteidi-
gungsminister Georg Leber


(Detlev von Larcher [SPD]: Ein sehr guter Verteidigungsminister!)


– in der Tat ein guter Verteidigungsminister – sagte bei
einer Feierstunde des Verteidigungsausschusses:

Unsere Soldaten sind Bürger des Staates wie wir
alle. Aber sie geloben etwas, was sonst niemand in
Staat und Gesellschaft abverlangt oder zugemutet
wird, die Freiheit und das Recht mit dem Einsatz
ihres Lebens tapfer zu verteidigen.

(Detlev von Larcher [SPD]: Recht hat er!)


Weil das so ist, sind Gesellschaft und Staat den
Soldaten gegenüber in der Pflicht, sich schützend
vor sie zu stellen, wenn der ihnen aufgetragene
Dienst nicht diskriminiert und ihr guter Ruf nicht
verletzt werden soll.

Dem können Sie doch wohl zustimmen!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Der evangelische Militärbischof Löwe geht noch

weiter, wenn er sagt:
Der innere Friede einer Gesellschaft ist gefährdet,
wenn die gesamte Bevölkerungsgruppe der Solda-
ten ungeahndet diffamiert werden darf.

Deshalb haben wir den vorliegenden Gesetzentwurf
eingebracht. Wir hoffen auf breite Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404529500
Als nächster Redner
spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Alfred Harten-
bach.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1404529600
Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär!


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – HeinrichWilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: „Meine lieben restlichen auf der Regierungsbank“ heißt das!)


– Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Sache
kommen.

Mit Ihrem Gesetzentwurf wollen Sie, wie Sie es an-
deuten, einen besseren Ehrenschutz für die Bundeswehr
und begründen dies mit den Worten, in der Vergangen-
heit seien Soldaten der Bundeswehr zunehmend Ehr-
kränkungen ausgesetzt gewesen. Eine ähnliche Initiative
hatte die CDU/CSU-Fraktion in der letzten Legislaturpe-
riode schon einmal vorgelegt, diese aber dann in letzter
Sekunde wegen Unstimmigkeiten in den eigenen Rei-
hen, mit dem damaligen Koalitionspartner, zurückgezo-
gen. Das ist verschüttete Milch. Ich will nicht weiter
darauf eingehen.

Nun haben wir alle hier im Haus – die PDS vielleicht
nicht – aufgrund unserer Entscheidungen über den Ein-
satz der Bundeswehr zu den KFOR-Einsätzen auf dem
Balkan ein ganz neues Verhältnis zu unseren Soldaten
und ein gewandeltes Verständnis über ihre Tätigkeit.
Wir haben sehr bewußt Entscheidungen getroffen, deren
Auswirkungen wir uns vorstellen können. Sie bedeuten
eine ganz persönliche Gefahr für Leben und Gesundheit
unserer Soldaten, einen tiefen Eingriff in bis dahin sehr
geordnete Lebensabläufe und in das Leben der Angehö-
rigen.

Wir wußten aber auch, daß wir von unseren Soldaten
zur Sicherung des Friedens, zur Absicherung der Rück-
kehr der Bewohner und auch zur Eigensicherung bei Ge-
fahren den Gebrauch der Waffe und deren finalen Ein-
satz gefordert haben. Das verlangt von uns eine beson-
dere Fürsorge unseren Soldaten gegenüber.


(Beifall bei der SPD – Paul Breuer [CDU/ CSU]: War das vorher nicht der Fall?)


Ich gehe davon aus, daß Sie von der Union sich von die-
sen Gedanken haben leiten lassen, als Sie diesen Ent-
wurf am 6. Mai erneut in das parlamentarische Verfah-
ren gegeben haben.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Davon können Sie ausgehen!)


Ihre Vorschläge, Herr Götzer, ehren Sie. Aber sie
dienen weder dem besseren Ehrenschutz des einzelnen
Soldaten noch dem Kollektiv Bundeswehr. Ich fürchte
eher, Ihr Entwurf isoliert die mitten in der Gesellschaft
lebenden Soldaten.


(Beifall bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das sehen die Soldaten aber ein bißchen anders!)


Sie führen in der Begründung Ihres Entwurfes an, in
den letzten Jahren seien in zunehmendem Maße Solda-
ten der Bundeswehr als Mörder oder potentielle Mörder
bezeichnet worden, ohne daß dies strafrechtlich durch
die Beleidigungsvorschriften aufgefangen werde. Sie
erwähnen auch jenes Urteil des Bundesverfassungsge-
richts und legen das Urteil insoweit richtig aus, als Sie in
Ihrem eigenen Entwurf erklären, daß eine Kollektivbe-
leidigung von Soldaten der Bundeswehr auch bisher
schon nach § 185 StGB strafbar sei.

Ihre heutige Rede hat mir gezeigt, daß Sie das Urteil
des Bundesverfassungsgerichts in keiner Weise verstan-
den haben. Sie entziehen Ihrem Entwurf in der eigenen
Begründung schon den Boden. Mit der Formulierung
Ihres Entwurfes zielen Sie genau auf die Kollektivbelei-
digung der Institution Bundeswehr und ihrer Soldaten.
Das aber war gerade nicht Inhalt des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht wertete den
sprachlichen Kontext dahin, daß es dem Angeklagten
nicht um eine Kritik am Individualverhalten einzelner
Soldaten ging, sondern um eine allgemeine Einschät-
zung von Kriegshandlungen, daß die Äußerung in be-
sonders herausfordernder Form das Bewußtsein der per-
sönlichen Verantwortung in Kriegshandlungen wecken
wollte.

Dr. Wolfgang Götzer






(B)



(A) (C)



(D)


Das Tucholsky-Zitat hat offensichtlich bei vielen zu
Verwirrung geführt und war rationalen Überlegungen
oft nicht mehr zugänglich. Dabei muß man wissen, daß
Tucholsky als Weltkriegsteilnehmer seine Erfahrungen
und Erlebnisse in beeindruckender Weise verarbeitet
hat.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Er hat nie eine demokratische Ära erlebt, Herr Kollege!)


Es gibt so eindrucksvolle Gedichte von ihm wie „Mut-
terns Hände“ oder anderes. Ich nenne auch die „Igel in
der Abendstunde“. Wenn Sie die Maßstäbe des Bundes-
verfassungsgerichts auf Ihren Entwurf anwenden, dann
werden Sie sehen, daß sie dort auch gelten. Diese Vor-
schrift bringt uns also nicht weiter.

Die Soldaten wollen diesen besonderen Ehrenschutz
auch nicht, wie erst kürzlich der Vorsitzende des Bun-
deswehrverbandes erklärt hat. Ich kann ihm da nur bei-
pflichten.

Diese Vorschrift ist nicht mit den §§ 109 f. StGB
vergleichbar. Alle diese Vorschriften haben nämlich die
Funktionsfähigkeit der Bundeswehr als geschütztes Gut
im Sinn und nicht den Ehrenschutz. Die Vorschrift wäre
eine echte Sondernorm. Sie vergleichen ein Vollzugs-
organ mit einem Verfassungsorgan. Ich halte dies nicht
für zulässig.

Dem Bild unserer Armee käme eine solche Überhö-
hung nicht gut zu stehen. Sie würde die Bundeswehr als
Organisation und die einzelnen Soldaten in eine Sonder-
rolle drängen, die die Soldaten nicht wollen und die sich
schon aus dem verfassungsmäßigen Auftrag der Bun-
deswehr heraus verbietet. Außerdem kommt man aus
einer Sonderstellung leicht in eine Außenseiterstellung.
Das aber darf nicht sein.

Die Bundeswehr ist ein Bestandteil dieses Staates,
und wir sind stolz, daß wir in unseren Soldaten Staats-
bürger in Uniform haben.


(Beifall bei der SPD)

Ich ganz persönlich war jedenfalls damals vor 30 Jahren
sehr stolz darauf, nicht Teil eines Staates im Staate zu
sein, sondern Mitglied unserer Gesellschaft. Das gilt
heute mehr denn je. Das Leitbild vom Staatsbürger in
Uniform bindet die Streitkräfte in die Gesellschaft ein.

Der Deutsche Bundestag hat in den letzten Monaten
in überzeugender Weise Verständnis und Wertschätzung
für unsere Soldaten deutlich gemacht. Ich denke, es ist
für die Berufssoldaten, die Zeitsoldatinnen und -soldaten
und die vielen jungen Wehrpflichtigen wichtiger zu wis-
sen, daß das Parlament und die Gesellschaft sie in
schweren Krisenzeiten wie diesen in ihre besondere Ob-
hut nehmen, als daß wir wirkungslose Sondervorschrif-
ten beschließen. Lassen Sie uns lieber dafür sorgen, daß
den Soldaten der Bundeswehr und den Einsatzkräften
auf dem Balkan aller politischer Schutz und alle persön-
liche Fürsorge zukommen, die sie zur Erfüllung ihrer
Aufgaben brauchen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404529700
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht nun der Kollege Jörg van Essen.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1404529800
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich finde es schon erschreckend,
welche juristischen Pirouetten der Kollege Hartenbach
von der SPD-Fraktion hier dreht


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sie wissen nicht, wovon Sie reden!)


um zu begründen, daß in Deutschland auch in Zukunft
unsere Soldaten, die nur einen Auftrag, den wir von der
Politik ihnen geben, ausführen, schon deswegen als
Mörder beschimpft werden können


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist unglaublich!)


und damit in die Ecke derjenigen gestellt werden kön-
nen, die eines der schwersten Verbrechen begehen.

Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat in der letzten Le-
gislaturperiode diesen Gesetzentwurf gemeinsam mit der
CDU eingebracht.


(Zuruf von der SPD: Aber nicht durchgehalten!)


Die Fraktion hat in der Fraktionssitzung dieser Woche
mehrheitlich beschlossen, weiter hinter diesem Vorha-
ben zu stehen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

und wir haben gute Gründe dafür.

Art. 1 des Grundgesetzes – er ist für uns der Maßstab
bei der Betrachtung dieser Frage – sagt klar und eindeu-
tig:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller
staatlichen Gewalt.

Von daher gilt Art. 1 des Grundgesetzes für jedermann
und damit auch für alle unsere Soldaten. Er ist abzuwä-
gen mit dem Recht auf Meinungsfreiheit, das wir hoch
schätzen. Art. 5 hat im Grundgesetz ein großes Gewicht.
Trotzdem haben die Väter und Mütter des Grundgeset-
zes Art. 5 im Gegensatz zu Art. 1 nicht uneingeschränkt
gelten lassen. Art. 5 bestimmt ausdrücklich, daß das
Recht auf Meinungsfreiheit seine Grenze im Recht der
persönlichen Ehre findet.

Von daher ist eine Abwägung vorzunehmen. Das
Bundesverfassungsgericht hat dies in einer bestimmten
Weise getan. Wir haben diese Abwägung des Bundes-
verfassungsgerichtes ernst zu nehmen, aber wir sind
nicht an sie gebunden. Das Bundesverfassungsgericht
sagt uns immer wieder deutlich – bei jedem Gespräch
mit Richtern des Bundesverfassungsgerichtes hört man
das –: Wenn die Politik ihren Willen umsetzen will,
dann muß sie das durch Gesetzgebung tun. Ich denke,
daß das hier durch den vorgeschlagenen Paragraphen in
besonders vernünftiger Weise geschieht.

Alfred Hartenbach






(A) (C)



(B) (D)


Es ist nämlich selbstverständlich nicht jede Beleidi-
gung der Bundeswehr strafbar, sondern nur die Verun-
glimpfung, das heißt die grobe Ehrverletzung. Gibt es
eine gröbere Ehrverletzung, als jemand, der zum Bei-
spiel den Auftrag der Friedenssicherung im Kosovo aus-
führt, als Mörder zu beschimpfen?


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sie haben nichts, aber auch gar nichts verstanden!)


Herr Kollege Hartenbach, daß das kein theoretisches
Problem ist, das habe ich persönlich in der letzten Wo-
che erleben können, als ich als Reservist der Bundes-
wehr in Münster in Uniform an einem Marsch teilge-
nommen habe. Der Kollege Nachtwei, der nach mir
sprechen wird, war auch dabei. Dort haben wir das Pla-
kat „Soldaten sind Mörder“ gesehen. Ein junger Soldat
hat mir nach diesem Marsch gesagt: Sie geben mir doch
den „Mordauftrag“. Sie bestimmen doch, was ich als
Soldat zu tun habe. Deshalb frage ich Sie: Was tun Sie
dagegen, daß ich hier in aller Öffentlichkeit beleidigt
werde? –


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich halte die Frage dieses Soldaten für allzu berech-

tigt. Ich denke, daß wir alle in der Verpflichtung sind,
gerade vor dem Hintergrund des schweren Auftrages im
Kosovo, darüber nachzudenken, hier zu einer neuen Re-
gelung zu kommen. Wir werden dazu beitragen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404529900
Das Wort hat nun
der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404530000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Unions-
fraktion stellt heute einen Antrag zur Debatte, den sie
hier vor drei Jahren wortgleich eingebracht hat. Es wäre
interessant, von Ihnen zu erfahren, warum es Ihnen da-
mals nicht gelungen ist, Ihre parlamentarische Mehrheit
entsprechend umzusetzen.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Das hing mit dem Bundesrat zusammen!)


Dazu kann vielleicht hinterher noch jemand von der
CDU Stellung nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Damals wie heute behaupten Sie, Soldaten der Bun-
deswehr würden zunehmend als „Mörder“, als „poten-
tielle Mörder“ und ähnliches bezeichnet. Sie behaupten,
dadurch sei die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr, der
Einsatzwille der Soldaten und die Bereitschaft von Bür-
gern, Soldat zu werden, betroffen.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Solche Plakate hat es doch selbst auf dem Parteitag der Grünen gegeben!)


Das klingt dramatisch, hat aber mit der Wirklichkeit,
insbesondere der letzten drei Jahre, nichts, aber gar
nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg van Essen [F.D.P.]: Sie waren doch am letzten Mittwoch selbst dabei!)


– Darauf komme ich gleich. Ein gemeinsames Erlebnis
wird natürlich zur Sprache gebracht.

In den letzten drei Jahresberichten der Wehrbeauf-
tragten war die Beleidigung von Soldaten der Bundes-
wehr in der Öffentlichkeit bemerkenswerterweise kein
Thema mehr.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Weil die Verfahren eingestellt werden!)


Das ist von der F.D.P. und von der Unionsfraktion inter-
essanterweise nicht einmal bemängelt worden. Das An-
sehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit ist besser
denn je, genauso wie der Einsatzwille ihrer Soldaten.
Das hängt entscheidend mit den Leistungen der Bun-
deswehrsoldaten, seit Jahren in Bosnien, seit Monaten
und Wochen in Mazedonien, in Albanien und im Koso-
vo, zusammen. Neben der Flüchtlingshilfe sichern die
Soldaten den Waffenstillstand, das heißt, sie verhindern
Mord und Totschlag, statt solches zu praktizieren.


(Beifall bei der SPD)

Damit unterscheiden sie sich in der Tat um 180 Grad
von dem, was zum Beispiel die Wehrmacht vor 58 Jah-
ren auf dem Balkan getan hat.

Insofern gehen Pauschalaussagen wie „Soldaten sind
Mörder“ sichtbar an der Realität der heutigen Bundes-
wehr vorbei. Bundeswehrsoldaten können sich von sol-
chen Pauschalaussagen auch tatsächlich nicht angespro-
chen fühlen. Sie sind eben nicht in einem Boot mit allen
Soldaten aller Länder und aller Zeiten.


(Beifall bei der SPD)

Was würde aber dieser besondere sogenannte Ehren-

schutz für die Soldaten bringen? Die Anhörung des
Rechtsausschusses im Oktober 1996 machte deutlich:
Die Gesetzesverschärfung hätte kaum Auswirkungen in
der Rechtswirklichkeit. Denn weiterhin gilt der bisherige
Grundsatz, daß klar gegen Bundeswehrangehörige und
gegen die Bundeswehr insgesamt gerichtete „Mörder“ –
Vorwürfe strafbar sind. Unverändert bliebe auch die
vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Rechtsposition,
daß die pauschale Behauptung „Soldaten sind Mörder“
vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Absehbar wären aber andere Konsequenzen: Es gäbe
eine Zunahme von Verfahren. Es gäbe eine Auseinan-
dersetzung um die Rolle des Militärs und der Bundes-
wehr in der Sicherheitspolitik, die immer mehr emotio-
nalisiert und ideologisiert würde.

Ihr Gesetzentwurf ist unserer Auffassung nach offen-
kundig überflüssig – aber nicht nur überflüssig, sondern
auch deutlich kontraproduktiv.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jörg van Essen






(B)



(A) (C)



(D)


Was also will die Union mit einem solchen Gesetzent-
wurf? Zum einen ist für uns die parteipolitische Absicht
durchsichtig. Sie möchte sich schlichtweg als Schutzpa-
tron der Bundeswehr gegenüber allen vermuteten oder
realen Bedrohungen aufblasen. Zum anderen aber und
vor allem sehe ich bei Ihnen das Bemühen, eine radikal-
pazifistische Sichtweise von Soldatentum und Militär
unter Strafandrohung zu stellen. Sie sollten sich einmal
überlegen, ob es bei dieser Geisteshaltung nicht fast
konsequent wäre, wenn Sie als nächstes die Abschaf-
fung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung
fordern würden,


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: So ein Quatsch!)


weil auch dieser Gewissensentscheidung, den Kriegs-
dienst zu verweigern, eine totale Absage an das Militäri-
sche zugrunde liegt.

Vor einer Woche – das hat der Kollege van Essen an-
gesprochen – fanden in Münster in der Tat diese
„Abendmarschen“ statt, bei denen erstmals holländi-
sche und deutsche Soldaten sowie zivile Bürger, darun-
ter wir, eine Strecke zusammen gewandert sind und bei
denen es eine kleine Gruppe von Protestierenden mit ei-
nem Transparent „Soldaten sind Mörder“ gab. Da habe
ich allerdings etwas anderes erfahren als Kollege van
Essen. – Es ist ganz gut, daß hier unterschiedliche Erfah-
rungen zur Sprache kommen und nicht nur eine einzel-
ne. – Die Masse der Soldaten hat das eher schulterzuk-
kend zur Kenntnis genommen. Sie fühlten sich dadurch
nämlich schlichtweg nicht angesprochen. Ein Oberst-
leutnant sagte gegenüber dem Fernsehen: Die Mei-
nungsfreiheit ist ein hohes Gut, und in diesem Rahmen
müssen wir eben auch scharfen Protest in Kauf nehmen.
Andere Bürger sind schließlich auf die Demonstranten
zugegangen, haben mit ihnen gesprochen und es ge-
schafft, daß der Schlagabtausch in eine gute Auseinan-
dersetzung überging.

Ich glaube, nur diese Art des selbstbewußten politi-
schen Meinungsstreits bringt voran. Ihr Gesetzentwurf
hingegen ist nicht nur überflüssig, sondern ein deutlicher
Schritt zurück.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404530100
Das Wort für die
PDS hat die Kollegin Evelyn Kenzler.


Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1404530200
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! 1996 wollte die da-
malige Regierungskoalition mit einem Entwurf gleichen
Inhalts ihr Mißfallen gegen das couragierte Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zu dem Spruch „Soldaten
sind Mörder“ parlamentarisch ausdrücken.


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Couragiert!)

Zum Glück ist dieses schon damals umstrittene Projekt
durch die Einreicher selbst wieder aufgegeben worden.

Ich hatte gehofft, daß es dabei bleibt. Nun will die
CDU/CSU es wiederbeleben, und die F.D.P. will sich
offensichtlich wiederum anschließen.

Die Bundeswehr braucht meiner Meinung nach je-
doch keinen besonderen Schutz vor Verunglimpfungen.
Um ihre Ehre und die ihrer Soldaten zu schützen, sind
die §§ 185 ff. des Strafgesetzbuchs völlig ausreichend.
Das Gesetz ist deshalb schlicht überflüssig.

Offenbar ist die Bundeswehr von der ihr zugedachten
Sonderbehandlung durch ein solches Gesetz auch nicht
sehr begeistert. In der „Berliner Zeitung“ vom 3. Mai
spricht der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes,
Bernhard Gertz, davon, daß der Vorstoß der CDU/CSU
„den Soldaten keinen besonders guten Dienst“ erweise.

Dem Gesetzesantrag steht auch das Bild des Bun-
deswehrsoldaten als eines Staatsbürgers in Uniform
entgegen. Wenn dem so ist, warum brauchen sie dann
gegenüber anderen Berufsgruppen, zum Beispiel Rich-
tern, Staatsanwälten, Polizisten, einen „verbesserten
Schutz“?


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Weil niemand von denen als Mörder beschimpft wird!)


– Doch, Polizisten schon. – Die eigentlichen Gefahren
für Soldaten, wie Kampfeinsätze in Jugoslawien, werden
durch ein solches Gesetz nicht verhindert. Hier hat der
Bundestag unter Mißachtung des Grundgesetzes andere
Weichen gestellt.

Der weit auslegbare Tatbestand der Verunglimpfung
zielt im Kern nur auf den Bundespräsidenten, den Staat
und seine Symbole sowie seine Verfassungsorgane.
Nicht umsonst hat der Gesetzgeber diese engen Grenzen
gezogen. Mit Recht könnten bei einer weiteren Ausdeh-
nung auch andere Berufsgruppen, die im staatlichen
Auftrag politisch brisante und zum Teil lebensgefährli-
che Tätigkeiten ausüben, einen solchen besonderen
strafrechtlichen Schutz beanspruchen.

Da der neue Verunglimpfungstatbestand in den
5. Abschnitt „Straftaten gegen die Landesverteidigung“
und nicht in den eigens dazu geschaffenen 14. Abschnitt
„Beleidigung“ eingefügt werden soll, geht es den Ein-
reichern offensichtlich auch nicht so sehr um den Schutz
der Ehre, sondern mehr um die Funktionsfähigkeit und
seit dem 24. März insbesondere auch um die Kampfkraft
der Bundeswehr.

Den Bürgerinnen und Bürgern soll deutlich gemacht
werden, daß sie sich mit kritischen Werturteilen zur
Bundeswehr Zurückhaltung aufzuerlegen haben. Der
Zeitpunkt der Einreichung ist sicher nicht von ungefähr
gewählt. Das wurde hier auch deutlich gesagt. Die Bun-
deswehr soll angesichts ihrer Umgestaltung von einer
reinen Verteidigungsarmee zu einer nunmehr auch In-
terventionsstreitmacht vor prinzipieller Kritik bewahrt
werden.


(Beifall bei der PDS)

Pazifisten und andere Friedensstreitkräfte werden einge-
schüchtert, da sie im Falle harter Kritik mit strafrecht-
lichen Sanktionen bis zu empfindlichen Freiheitsstrafen
rechnen müssen.

Winfried Nachtwei






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesetz ist nicht
nur überflüssig, und es wird nicht nur nicht gebraucht.
Es engt auch das hohe Gut der freien Meinungsäußerung
in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise ein. Wir
werden es deshalb strikt ablehnen.


(Beifall bei der PDS – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Eine Kommunistin kämpft für die freie Meinungsäußerung! Das ist ein Witz der Weltgeschichte! Gegenruf der Abg. Angela Marquardt [PDS]: Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, daß ich Sozialistin bin? – Gegenruf von der CDU/CSU: Kommunistin! – Gegenruf der Abg. Angela Marquardt [PDS]: Das ist eine Verunglimpfung! Das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404530300
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Gerd Höfer für die SPD-Fraktion.


Gerd Höfer (SPD):
Rede ID: ID1404530400
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Ich hätte von Herrn van
Essen eigentlich erwartet, daß er als Oberst der Reserve,
wenn ein junger Soldat ihm sagt: „Sie geben uns damit
den Mordauftrag“, ihm klargemacht hätte, daß ein frei
gewähltes Parlament in einer freiheitlichen Verfassung
Recht schafft und keine Mordaufträge geben kann, be-
sonders nicht in diesem Kontext.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hätte man erwarten können.
Ich kann auch nicht verstehen, daß Sie meinem Kol-

legen Alfred Hartenbach vorwerfen, er habe juristische
Pirouetten gedreht.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das waren sie aber doch! – Gegenruf des Abg. Alfred Hartenbach [SPD]: Sie haben doch sowieso keine Ahnung!)


Ich habe mir das Vergnügen gemacht und habe das Proto-
koll unserer letzten diesbezüglichen Auseinandersetzung
vor drei Jahren noch einmal gelesen. Es ist Ihnen selbst in
einer hoch emotionalisierten Debatte nicht gelungen, den
Nachweis zu erbringen, daß Soldaten besonders geschützt
werden müßten. Denn die Zitate des Bundespräsidenten
Roman Herzog und auch die Ihres Kollegen Hirsch haben
belegt, daß die Straffähigkeit bei diesem Beleidigungstat-
bestand sehr wohl gegeben ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Man hätte sozusagen der Katze nur die Schelle umhän-
gen müssen. Denn bei dem Zapfenstreich in Bonn, als
dort „Mörder!“-Rufe zu hören waren – ich habe sie
selbst gehört –, war es dem Verteidigungsminister unbe-
nommen, die Leute, die das gerufen haben, anzuzeigen.
Das hätte dann eine rechtliche Würdigung erfahren.

Ich komme also – allerdings heute nicht mehr so sehr
wie vor drei Jahren – zu dem Schluß, daß es sich bei
dieser Debatte um ein Ritual handelt,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


um ein Ritual, das beinahe deutschnationalen Charakter
hat und dessen Botschaft lautet, daß es in diesem Hause
nur zwei Fraktionen gibt, die sich bedingungslos vor
diese Bundeswehr stellen.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: So ist es doch! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Bravo! – Beifall bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Sozialisten haben immer Probleme mit der Bundeswehr gehabt!)


Ich denke aber, daß – bis auf wenige Ausnahmen –
die Fraktionen in diesem Hause bewiesen haben, daß sie
zu der Bundeswehr stehen, und daß dieses Parlament es
geschafft hat, durch die einschlägige Gesetzgebung die
Soldaten mitten in der Gesellschaft zu verwurzeln und
durch das Prinzip der inneren Führung die Verwur-
zelung des Soldaten als Staatsbürger in Uniform auf
hervorragende Weise voranzutreiben.

Ferner denke ich, daß diese Soldaten selbstbewußte
Staatsbürger sind, die in der Ausübung ihres Dienstes
und in ihrem Selbstverständnis durch diese Dinge kaum
mehr zu beleidigen sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben eine ruhige Gelassenheit. Das können Sie
auch merken, wenn Sie sich die Fernsehbilder anschau-
en, die zeigen, wie sie unter schwierigsten Umständen
ihren Dienst tun. Die Soldaten wissen sehr wohl einzu-
schätzen, daß es in dieser Bevölkerung sich nur um eine
Minderheit im Promillebereich handeln kann, die der
Meinung ist, man solle die Soldaten mit diesem Aus-
druck und dem verballhornten Ausdruck von Tucholsky
belegen und sie damit praktisch beleidigen. Sie sind so
gut, daß es fast gar nicht geht. Ich sage dies auch in aller
Ruhe und Gelassenheit als Reserveoffizier, weil ich in
dieser Beziehung mit den Soldaten fühle und mit ihnen
gesprochen habe.

Ein letzter Punkt, der noch teilweise auszuräumen ist,
ist: Solange es diesen Bundestag gibt, der als frei ge-
wähltes Parlament im Rahmen einer freiheitlichen Ver-
fassung Recht schafft, wird es in dieser Bundesrepublik
Deutschland keine Interventionsarmee geben, um das
hier einmal klar festzustellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn jeder Auftrag, den die Bundeswehr bekommt, muß
parlamentarisch abgesichert werden. Das Parlament er-
teilt den Auftrag.

Das von mir angesprochene Ritual wird aber noch
eine Fortsetzung finden. Es steht uns ja noch eine weite-
re Debatte ins Haus, die schon mehrfach verschoben
worden ist. Es geht um die Gelöbnisse in der Öffentlich-
keit. Das ist auch ein Ritual.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Alles sehr wohl begründet!)


– Ja, natürlich ist das alles sehr wohl begründet. Sie tra-
gen sich mit der Hoffnung, daß Sie mit Argumenten der

Dr. Evelyn Kenzler






(B)



(A) (C)



(D)


Geschichte Rot und Grün spalten könnten. Das wird
aber nicht funktionieren, wenn ich das richtig sehe.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich kann abschließend feststellen, daß diese Debatte

nur den Sinn hat, die Soldaten für Ihre parteipolitischen
Zwecke zu instrumentalisieren, obwohl Sie allemal nach
außen versichern, daß sich die Soldaten der Bundeswehr
nicht eignen, parteipolitische Erwägungen einfließen zu
lassen und sie unter parteipolitisches Kuratel zu stellen.
Das war ein untauglicher Versuch an einem untaug-
lichen Objekt.

Ich denke, die Debatte wird sich mit der Zeit wieder
beruhigen. Vielleicht ist es ja so, daß Ihnen durch weite-
res Nachdenken das gleiche wie beim erstenmal passiert,
daß die rechtlichen und anderen Bedenken in irgend-
einer der zwei Fraktionen so überwiegen, daß Sie auch
diesmal den Antrag der Diskontinuität zum Opfer fallen
lassen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das werdet ihr nicht erleben!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404530500
Meine Damen und
Herren, interfraktionell wird die Überweisung des Ge-
setzentwurfs auf Drucksache 14/985 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bar-
bara Höll, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Einführung einer Steuer auf spekulative Devi-
senumsätze (Tobin-Steuer)

– Drucksache 14/840 –

(federführend Die Abgeordneten Dr. Barbara Höll Westrich Müller zu Protokoll.*)


(F.D.P.) und Detlev von Larcher (SPD) geben ihre Reden

vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 14/840 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwei-
sen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 4a und 4b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.

Christian Ruck, Hans-Peter Repnik, Ilse Aigner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU

––––––––––––
*) Anlage 5

Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung anläß-
lich der Hochwasserkatastrophe Pfingsten
1999 in Süddeutschland
– Drucksache 14/1144 –

(federführend b)

Homburger, Hildebrecht Braun (Augsburg),
Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung an-
läßlich der Hochwasserkatastophe in Süd-
deutschland
– Drucksache 14/1152 –

(federführend Als erstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen Hans-Peter Repnik, CDU/CSU. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz fortgeschrittener Stunde und, wie ich weiß, vieler Terminverpflichtungen am heutigen Abend möchten wir das Hohe Haus noch mit einem Problem konfrontieren, das viele Menschen in Bayern und Baden-Württemberg betrifft, nämlich mit dem Hochwasser. Wir dachten, wenn Tausende von Menschen leiden, sollten wir die Reden nicht zu Protokoll geben, sondern heute abend darüber diskutieren. (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1404530600

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
es am Bodensee mit einem Jahrhunderthochwasser zu
tun. Seit Menschengedenken gab es keine Situation, in
der auch nur annähernd so große Schäden in dieser Re-
gion zu beklagen waren. Die Prognosen der Entwick-
lung – das macht das Problem nicht leichter – sind
schwierig. Wir haben am Bodensee in der Regel den
höchsten Wasserstand erst im Juli, das heißt, die
Schneeschmelze kommt noch. Wir müssen davon aus-
gehen, daß das Hochwasser, das wir seit Pfingsten ha-
ben, auch noch in den Monaten Juli und August in der
ganzen Region anhalten und der Tourismusverkehr dar-
unter leiden wird. Die Saison scheint nachhaltig geschä-
digt zu sein.

Die Menschen in der Region sind tapfer. Sie kämpfen
und widerstehen den Problemen. Feuerwehr, THW und
auch die Bundeswehr vor Ort sowie freiwillige Hilfsor-
ganisationen – ich konnte mich vielerorts davon über-
zeugen – strengen sich außergewöhnlich an.

Gerd Höfer






(A) (C)



(B) (D)


Wie dramatisch die Situation ist, will ich an zwei,
drei Beispielen belegen. Auf der herrlichen kleinen Ge-
müseinsel Reichenau im Bodensee macht allein der täg-
liche Ausfall an Nettoumsätzen rund 265 000 DM aus.
Wir haben die herrliche Insel Mainau, die allein durch
das Ausbleiben der Touristen bis heute Ausfälle in Höhe
von über 1 Million DM hat, nicht mitgerechnet all das,
was an konkreten Schäden durch das Hochwasser vor-
handen ist. Der Hotel- und Gaststättenverband aus der
Region hat in einem dringenden Appell geschrieben:

Sollte sich nicht zügig etwas an der Lage ändern,
werden wir einer bisher nicht gekannten Anzahl
von Konkursen entgegensehen …

Die Menschen haben Sorgen und erleiden Not. Sie ver-
dienen deshalb unsere Hilfe.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Landwirtschaft ist ebenfalls in einem ganz be-
sonderen Maße von dem Hochwasser tangiert. Konkret
sind über 200 Betriebe vor Ort betroffen, viele davon
existentiell. Auch ihnen muß geholfen werden. Wir
sprechen heute im Deutschen Bundestag auch deshalb
über die Hochwasserkatastrophe in Süddeutschland,
weil es sich um Betriebe der Tourismuswirtschaft, des
Gaststättengewerbes und der Landwirtschaft handelt, die
nie um staatliches Wohl oder um irgendeine andere Hil-
fe gebettelt haben, weil es sich um Frauen und Männer
handelt, die über Generationen hart gearbeitet haben und
die jetzt ohne eigenes Verschulden in eine existentielle
Notlage geraten sind. Deshalb müssen sie unsere Hilfe
erfahren.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich bin meinen fünf Fraktionskollegen aus der Ar-
beitsgruppe Tourismus, besonders dem Kollegen Ron-
söhr, unserem landwirtschaftspolitischen Sprecher, der
auch heute abend hier ist, dankbar, daß sie die betroffene
Region besucht haben, daß sie sich mit dem Schicksal
der dort lebenden Menschen vertraut gemacht haben und
daß sie in unserer Fraktion mit dafür Sorge getragen ha-
ben, daß der Antrag, den wir gestellt haben, schlußend-
lich auch einstimmig angenommen wurde.

Wir wissen, die Landesregierung von Baden-Württem-
berg hilft. Das ist wohl wahr. Aber wir erinnern gerne an
eine Katastrophe, die vor zwei Jahren eine ganz andere
Region heimgesucht hat, nämlich die Oder-Region in
Brandenburg. Das war das Oder-Hochwasser. Die Bun-
desregierung hat seinerzeit unter Führung von Helmut
Kohl, der seinen Urlaub unterbrochen hat und zu den Be-
troffenen gefahren ist, um ihnen Mut zu machen und um
ihnen ganz konkrete Hilfe zuzusagen, die auch umgesetzt
worden ist, der Oder-Region geholfen. Wir befinden uns
jetzt in einer durchaus vergleichbaren Situation. Zusätz-
lich zu dem, was das Land, die Region, die Kommunen
und die Bürger leisten, sollte und muß auch der Bund hel-
fen. Dies ist unser ganz nachhaltiger Appell.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Viele private Haushalte bedürfen der Soforthilfe, ge-
nauso wie Betriebe und Kommunen, die in diesen Wo-
chen in einem ganz herausragenden Maße gefordert
sind. Ich bedauere, daß wir heute über die Anträge nicht
abstimmen können, weil die Koalitionsfraktionen um
Überweisung an die Ausschüsse gebeten haben. Ich
möchte dennoch an die Solidarität der Kolleginnen und
Kollegen der Koalitionsfraktionen appellieren, eine zü-
gige Beratung in den Ausschüssen zu gewährleisten, um
den Menschen relativ schnell helfen zu können. Wir sind
gehalten, den betroffenen Menschen vor Ort Mut zu ma-
chen, nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten.
Hier ist der Bund genauso wie die anderen Ebenen ge-
fordert.

Lassen Sie mich, Herr Präsident, zum Schluß nicht
nur einen Appell an die Kolleginnen und Kollegen im
Deutschen Bundestag, sondern auch an die Bürgerinnen
und Bürger richten, die sich in diesen Tagen entweder
mit Urlaubsgedanken tragen oder in den Urlaub fahren.
Ein Großteil der Häuser, der Betriebe, der Gaststätten
und der Hotels in der betroffenen Region sind funktions-
fähig. Das Hochwasser hat die Betriebe in dieser Region
nicht außer Funktion gesetzt. Diesen Eindruck muß
niemand haben. Kommen Sie also in diese betroffene
Region! Zeigen Sie auch Solidarität mit den betroffenen
Betrieben und den Menschen in dieser Region! Ich bin
sicher, daß Sie mit einer großartigen Gastfreundschaft
und mit einer fürsorglichen Betreuung rechnen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404530700
Als nächster Redner
spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Ludwig Stieg-
ler.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1404530800
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Wir sind alle miteinander in Gedanken
bei den Menschen und bei den Unternehmen in den be-
troffenen Regionen. Wer selber vor Ort war, der weiß,
welches Drama das Hochwasser angerichtet hat. Zwar
dauerte das Hochwasser in Bayern relativ kurz. Es ist
auch schnell wieder aus dem Blickpunkt der Medien ge-
raten. Aber die bleibenden Schäden sind dramatisch, und
zwar in einer Art und Weise, die wir jedenfalls von den
Hochwassern an Rhein, Mosel und an der Oder – wenn
man jetzt einen Vergleich zieht – nicht kennen. Das ist
eine Erkenntnis, die wir bei Besuchen vor Ort und bei
der Bestandsaufnahme gewonnen haben. Deshalb ist es
in der Tat notwendig, daß sich der Bund an der Hilfe für
die Menschen und für die Unternehmungen beteiligt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Die Bundesregierung hat seit Pfingsten Soforthilfe
geleistet. Sie hat THW, BGS und Bundeswehr einge-
setzt. Sie hat keinen Katastrophentourismus gemacht.

Hans-Peter Repnik






(B)



(A) (C)



(D)


Ich sage heute: Mir wäre es psychologisch lieber ge-
wesen, wenn sie ähnlich wie die Bayerische Staatsregie-
rung mit dem Hubschrauber vor Ort diese Hilfe gezeigt
hätte. Das ist eine Sache, die aber mit der materiellen
Hilfe als solche nichts zu tun hat. Die Bundesregierung
hat – das sage ich den Antragstellern auf der rechten
Seite des Hauses – die KfW-Programme schon geöff-
net. Ich habe an Pfingsten mit dem Innenminister und
dem Finanzminister gesprochen: Die KfW-Programme
sind geöffnet; die Hilfen für Privatpersonen, Wirtschaft
und Landwirtschaft sind sichergestellt.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404530900
Herr Kollege
Stiegler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Götzer?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie brauchen keine Kredite, Sie brauchen Geld! Kredite helfen nicht!)



Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1404531000
Auch Kredite sind Geld. Ich
komme noch dazu. Wir müssen uns wirklich um eine
sorgfältige Lösung kümmern, weil die Schäden so groß
sind, daß sie nicht mehr aus dem Bundes- oder einem
Landeshaushalt gedeckt werden können, sondern wir
brauchen eine Hilfsstruktur, die Hilfe zur Selbsthilfe
gibt, die die Menschen in die Lage versetzt, daß sie ihre
Häuser und ihre Unternehmungen wieder aufbauen und
daß die Infrastruktur wieder instand gesetzt wird. Das
muß die gemeinsame Zielsetzung sein.

Ich werde morgen und übermorgen zusammen mit
dem Chef des Bundeskanzleramtes Bodo Hombach die
bayerischen Hochwassergebiete bereisen. Es wird dann
sicher auch einen Bericht ans Kabinett geben. Wir ha-
ben mit unseren Haushältern geredet. Diese haben uns
die entsprechende Unterstützung zugesagt. Wir werden
die Hilfe organisieren. Was ich damit meine, sage ich
Ihnen.

Die KfW-Programme, die jetzt angeboten sind, wer-
den für viele Privatpersonen wie Unternehmen noch
nicht reichen, weil die Sicherheiten fehlen, weil etwa die
Nachrangigkeit der Darlehen fehlt, weil Zinszuschüsse
zusätzlich eingeplant werden müssen; denn wenn das
Haus zerstört ist – die meisten Häuser sind wieder im
Rohbauzustand –, dann muß man nicht 100 000 DM,
sondern 150 000 oder 200 000 DM einsetzen, um wieder
auf einen bewohnbaren Zustand zu kommen. Das kann
nach den normalen Bankregeln derzeit nicht gemacht
werden. Also werden wir Bundes- und Landesbürg-
schaften für die Inanspruchnahme der Kredite mitein-
ander beschließen und fordern müssen. Auch der Bund
wird sie bereitstellen.

Ich meine, bis die Menschen und die Betriebe ihre
Liquiditätskrise überwunden haben, bis sie wieder ihr
Anlage- und Umlaufvermögen aufgebaut haben, brau-
chen sie entsprechende Liquiditätskredite und auch In-
vestitionskredite, damit der Aufbau geleistet werden
kann. Dafür sollten wir uns bei insgesamt begrenzten
Mitteln wirklich einsetzen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404531100
Herr Kollege
Stiegler, ich freue mich sehr, daß Sie jetzt einen Punkt
gesetzt haben. Es war gar nicht so leicht, bei Ihnen da-
zwischenzukommen.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1404531200
Ich hätte sie auch so dazwi-
schengelassen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404531300
Ich danke Ihnen. Sie
haben schon auf den Kollegen Repnik geantwortet. Ge-
statten Sie auch eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Götzer?


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1404531400
Ja, immer.


Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1404531500
Herr Kollege
Stiegler, wie stehen Sie denn dann zu der, aus meiner
Sicht an Zynismus nicht mehr zu überbietenden Äuße-
rung des Regierungssprechers, die Bayern könnten sich
alleine helfen?


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1404531600
Der Regierungssprecher hat
sicher eine nicht sehr erfreuliche Bemerkung gemacht.
Wir haben ihm in aller Freundschaft gesagt, daß wir das
ungebührlich finden. Ich kann es hier im Parlament nicht
wiederholen, was wir ihm alles gesagt haben. Da sind
wir uns im Urteil völlig einig.

Ich sage eines dazu: Diese flapsige Bemerkung ist
leider Gottes auch eine Reaktion auf die Angeberei des
bayerischen Ministerpräsidenten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Er zieht durch die Lande und sagt: Wir sind die Größten,
die Schönsten und die Besten. – Wie immer ist es dann
so: Wenn der Klassenprimus Probleme hat, dann sagen
die anderen erst einmal flapsig: Jetzt hast du es, ätsch!
Insofern muß ich dem Regierungssprecher eine Teilver-
gebung erteilen, weil Stoiber durch seine Art, mit ande-
ren umzugehen, es ihnen schwermacht, mit ihm solida-
risch zu sein. Auch daran sollte Stoiber erinnert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist geradezu unverschämt!)


– Das ist keine Unverschämtheit, sondern das ist so. Sie
sind nicht so grob wie wir mit dem Regierungssprecher
umgegangen. Ich habe überhaupt keinen Grund zu sa-
gen: Das war keine angemessene Antwort. – Aber man
muß auch wissen, daß es derart aus dem Wald heraus-
schallt, wenn man so komisch hineinruft, wie es der
bayerische Ministerpräsident zu tun beliebt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404531700
Herr Kollege
Stiegler, zwei weitere Kollegen möchten Zwischenfra-

Ludwig Stiegler






(A) (C)



(B) (D)


gen stellen. Wenn Sie antworten möchten, wird das
nicht auf Ihre Redezeit angerechnet.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1404531800
Vergelt's Gott!

(Heiterkeit bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404531900
Herr Kollege Ron-
söhr.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1404532000
Herr
Stiegler, ich möchte zu Ihrer Aussage, daß für Kredite
Hilfen mittels Zinsverbilligung gewährt werden sollten,
eine Frage stellen. Ich habe mir vor Ort, zumindest im
Bodenseebereich, die Landwirtschaft angesehen. Wenn
ein landwirtschaftlicher Betrieb, der Selbstvermarkter
ist, erhebliche Ausfälle hat – Ausfälle in Höhe von
200 000 oder 300 000 DM –, dann weiß ich nicht, ob
ihm allein eine Überbrückung von Krediten hilft.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Daher möchte ich fragen, ob Sie bei Ihren Gesprächen
auch herausgefunden haben, ob es zumindest bei der
Prämiengewährung durch die EU Hilfen gibt. Wenn eine
Ernte ausfällt, kann an sich niemand eine Flächenprämie
erhalten. Das bedeutet für diese Betriebe zusätzliche
Verluste. Außerdem geht es darum, daß man mögliche
Stillegungsflächen in Futterflächen umwandelt, um zu-
mindest die Futtergrundlage dieser landwirtschaftlichen
Betriebe zu sichern, oder Futterflächen, die ausgefallen
sind, in Stillegungsflächen umwandelt. Ich bitte darum,
daß die Regierung endlich auch auf diesem Gebiet han-
delt.


(Horst Kubatschka [SPD]: Hat er eine längere Redezeit als der Redner?)


– Wissen Sie, ich habe gefragt, ob er es unterstützt. Wä-
ren Sie betroffener Landwirt, dann würden Sie sich sol-
cher Zwischenrufe enthalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1404532100
Herr Kollege, ich kann Ih-
nen versichern, daß ich das Anliegen der Landwirtschaft
unterstütze. Als Kind bin ich auf einem Einödhof auf-
gewachsen. Daher weiß ich, wie es den Bauern geht.
Wir haben schon vor zehn Tagen zusammen mit dem
Europa-Abgeordnetenkollegen Dr. Gerhard Schmid bei
der Kommission das gefordert, was Sie eben angeregt
haben, daß nämlich beim Flächenaustausch geholfen
werden soll. Den Agrarminister konnte ich noch nicht
persönlich ansprechen, weil er zur Zeit erkrankt ist.
Aber ich habe vor, ihn einzuladen, mit uns in die Kata-
strophengebiete zu gehen, sobald er wieder gesund ist.
Parallel verfolgen auch wir das Anliegen, das Sie für die
Landwirtschaft vorgetragen haben; denn die Landwirte
haben Anspruch auf genauso viel Solidarität wie Privat-
personen und gewerbliche Unternehmen. Das ist über-
haupt keine Frage.

Ich habe auch bei den Vorgesprächen zu dem Besuch
von Kanzleramtsminister Bodo Hombach immer Wert
darauf gelegt, daß bei den Alternativen, die geprüft wer-
den, die Landwirtschaft dabei ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404532200
Eine
weitere Zwischenfrage, bitte schön.


Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1404532300
Herr Kollege
Stiegler, Sie haben gerade von „Angeberei“ des bayeri-
schen Ministerpräsidenten gesprochen. Wollen Sie im
Ernst die beispiellose Hilfe der Bayerischen Staatsregie-
rung von annähernd 300 Millionen DM eine „Angebe-
rei“ nennen? Diese Hilfe ist in der Tat beispiellos, weil
von seiten der Bundesregierung nichts Vergleichbares
bisher getan worden ist.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1404532400
Sie sind ein begabter Rabu-
list; zu diesem Talent muß ich Ihnen wirklich gratulie-
ren. Ich habe gesagt, die Reaktion des Regierungsspre-
chers auf die Probleme in Bayern seien eine Reaktion
darauf, daß Herr Stoiber schon lange vor dem Hochwas-
ser durch Deutschland gezogen ist und gesagt hat, er sei
der Größte, alle anderen seien nur Deppen. Ich habe also
an der Hilfe, die die Bayerische Staatsregierung bisher
geleistet hat, überhaupt nichts auszusetzen. Da ist eine
Menge getan worden.

Ich habe nur versucht, psychologisch zu erklären, wie
ein Mensch, der nicht gerade der CSU angehört, auf die
Idee kommen kann, zu sagen, Herr Stoiber könne sich
selber helfen, weil er ja vor Kraft kaum gehen kann.
Jetzt versuchen Sie nicht in rabulistischer Weise, mir das
Wort im Munde herumzudrehen. Das gelingt Ihnen
nicht.


(Zuruf von der F.D.P.: Die Erklärung ist nicht gelungen! – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU])


– Noch ist es hell. Das gelingt dir mit mir nicht. Aber
probieren darfst du es; das ist schon okay.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404532500
Herr
Kollege Stiegler, erlauben Sie eine weitere Zwischen-
frage?


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1404532600
Ja, selbstverständlich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404532700
Ich bitte
die Kollegen, dann mit Zwischenfragen zum Ende zu
kommen, denn die Zeit ist schon sehr fortgeschritten.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1404532800
Ich wäre dankbar, wenn es
noch ein paar mehr gäbe; denn die Redezeit ist so kurz,
daß man Zwischenfragen gut nutzen kann.


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1404532900
Ich gehe davon
aus, daß der Kollege Stiegler sehr kurz antworten kann.

Vizepräsident Rudolf Seiters






(B)



(A) (C)



(D)


Sind Sie mit mir einig, daß der bayerische Minister-
präsident Stoiber niemanden – schon gar nicht Angehö-
rige anderer Parteien – Deppen nennt?


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1404533000
Das hat er sogar gegenüber
CSU-Kollegen gemacht.


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1404533100
Zum zweiten,
Herr Kollege Stiegler, möchte ich Sie fragen, ob Sie mit
mir einig sind, daß es hier um Menschen geht – Hand-
werker, Bauern, Familien und Mittelständler –, die
durch eine Naturkatastrophe immensen Schaden – nicht
nur materiell – erlitten haben. Es geht hier nicht darum,
der Bayerischen Staatsregierung eins auszuwischen.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1404533200
Ich habe Ihnen am Anfang
gesagt, daß wir diese flapsige Bemerkung genauso ver-
urteilt haben. Ich erinnere an Renate Schmidt, die es an
Deutlichkeit nicht zu wünschen übriggelassen hat. Aber
wie wir als Juristen wissen, muß ein gerechter Richter
auch die entlastenden Momente immer wieder erfor-
schen. Ein entlastendes Element ist, daß die normalen
Menschen, wenn sie einem so vollkommenen Menschen
wie dem bayerischen Ministerpräsidenten gegenüberste-
hen, gelegentlich sagen, diese hohen Vollkommenheiten
würden mit sich selbst zurechtkommen. Ich selbst kenne
CSU-Kollegen, die dieser Auffassung nur widerspre-
chen, wenn Stoiber in der Nähe steht.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich war auf dieses Zwischenspiel eingerichtet. Es gehört
zu Bayern.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Es geht um Hochwasser und die betroffenen Menschen!)


– Herr Kollege, dann sagen Sie es doch Ihren Kollegen,
die diese Zwischenfragen stellen. Schieben Sie es doch
nicht auf mich! Ich habe das mit keinem Wort erwähnt.
Ich habe Wert darauf gelegt, daß wir miteinander eine
Lösung finden müssen, die es möglich macht, bei be-
grenzten Mitteln optimal zu helfen. Das ist unsere ge-
meinsame Aufgabe. Wir werden sie miteinander erfül-
len, und zwar schnell.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404533300
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Birgit Homburger von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1404533400
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Seit Wochen dauert dieses Jahrhun-
derthochwasser in Bayern und in Baden-Württemberg
an. Insbesondere in Baden-Württemberg hat es die Re-
gion um den Bodensee schwer getroffen. Trotzdem ste-
hen diese Geschehnisse nicht im Mittelpunkt des natio-
nalen Interesses. In der Tat, formal ist die Bewältigung

des Hochwassers erst einmal Sache der Länder. Ich kann
dazu nur sagen: Die Kommunen auf der einen Seite und
die Länder Bayern und Baden-Württemberg auf der an-
deren Seite haben gehandelt und Programme aufgelegt.

Aber dieses Hochwasser hat zwischenzeitlich eine
Dimension erreicht, die von den Ländern nicht mehr al-
lein bewältigt werden kann. Die vorläufige Schätzung
geht von einem dreistelligen Millionenbetrag aus. Des-
wegen sind wir der Auffassung, daß es bei diesem Vor-
gang auch einer Flankierung der Ländermaßnahmen
durch den Bund bedarf.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir möchten nichts mehr und nichts weniger, als daß
dieses Hochwasser in Süddeutschland, das eine Riesen-
dimension erreicht hat, von der Bundesregierung genau-
so behandelt wird, wie es seinerzeit beim Oder-
Hochwasser der Fall war. Ich denke, das ist angemes-
sen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte folgende Bemerkung am Rande machen:
Der entstandene Schaden und die Verzweiflung derer,
die vom Hochwasser betroffen sind, richten sich nicht
danach, wie geschickt ein solches Ereignis national
vermarktet wird.

Die Insel Reichenau ist vom Kollegen Repnik be-
reits als Beispiel genannt worden. Um die Dimensionen
noch einmal deutlich zu machen, möchte ich eines hin-
zufügen – Herr Repnik hat die Höhe des täglichen Scha-
dens genannt, die vom Verkehrsverein geschätzt wird –:
Inwischen sind es 21 Tage, daß diese Insel vollkommen
abgeschnitten ist und mit dem Auto nicht mehr erreicht
werden kann. Allein für die Insel Reichenau bedeuten
die Ausfälle im Tourismus während dieser 21 Tage ei-
nen Verlust von 5,5 Millionen DM. Das ist nur die Zahl,
die für eine kleine betroffene Gemeinde gilt. Insgesamt
kommen Riesenbeträge zusammen.

Auf der anderen Seite ist auch die Landwirtschaft
hart getroffen. Beispielsweise liegen die Erstschäden
allein auf der Höri in Millionenhöhe. Dabei ist noch
nicht berücksichtigt, daß ein zweites Mal nicht ausgesät
werden kann. Deswegen geht es nicht nur darum, hier
finanzielle Hilfen zu leisten, sondern auch darum, daß
sich die Bundesregierung bei der EU dafür einsetzt, un-
bürokratische Lösungen im landwirtschaftlichen Bereich
zu finden. Die F.D.P. fordert von der EU, in diesem
Ausnahmefall zuzulassen, daß stillgelegte Ackerflächen
ohne Rückforderung der Direktzahlungen mit über-
fluteten Flächen getauscht und abgeerntet werden dür-
fen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, daß eine solche Maßnahme, die eigentlich
eine Verwaltungsmaßnahme ist, ganz schnell durchge-
führt werden kann, und ich bitte die Bundesregierung

Kurt J. Rossmanith






(A) (C)



(B) (D)


dringend, jetzt auch bei der EU zu einem Ergebnis zu
kommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das hätte schon längst eingeleitet werden müssen!)


Aber natürlich hat es auch den gewerblichen Bereich
getroffen – vielleicht nicht im gleichen Ausmaß wie den
Tourismus, vielleicht nicht im gleichen Ausmaß wie die
Landwirtschaft, aber es gibt auch hier Betriebe, die da-
durch Existenzsorgen haben. Deswegen sage ich es ganz
deutlich, Herr Stiegler: Kredite allein reichen bei dieser
Dimension nicht mehr aus.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Deswegen möchten wir, daß die Bundesregierung ge-

nau wie beim Oder-Hochwasser – ich habe den Bericht
dabei, in dem man das nachlesen kann – Übergangs-
und Soforthilfen gewährt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie verschulden sich sonst auf Dauer!)


Es geht um Zuschüsse, die wirklich denen helfen, die
durch dieses Hochwasser in Existenznot geraten sind.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Ich möchte an dieser Stelle noch die Gelegenheit nut-

zen, all jenen vor allem auch ehrenamtlichen Helfern
vom THW, von der Feuerwehr, aber auch von der Bun-
deswehr einen Dank auszusprechen, die dort in den
letzten Wochen sehr geholfen haben.


(Beifall im ganzen Hause)

Zum Abschluß möchte ich die Hoffnung zum Aus-

druck bringen, lieber Kollege Stiegler, meine Damen
und Herren Kolleginnen und Kollegen von den anderen
Fraktionen, daß wir es schaffen mögen, die Anträge in
die Ausschüsse zu überweisen, in der nächsten Woche
zu beraten und dann auch zu einer Beschlußfassung zu
kommen. Bei dieser Angelegenheit ist Eile angesagt,
denn von diesem Hochwasser sind Menschen betroffen,
die in stark beschädigten Häusern leben; es sind Gewer-
bebetriebe betroffen, es sind Arbeitsplätze davon abhän-
gig. Deswegen denke ich, daß die Politik dringend ge-
fordert ist, schnell zu handeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeord neten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404533500
Als
nächster Redner hat Kollege Albert Schmidt vom Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eines zunächst vorweg: Die ersten Äußerun-
gen des Regierungssprechers der Bundesregierung zum
Thema Hochwasserschäden in Bayern waren unange-
messen und ärgerlich.

Natürlich ist Bayern wirtschaftlich leistungsstärker
als zum Beispiel Brandenburg, und natürlich kann sich

Bayern in mancher Hinsicht schneller und leichter hel-
fen als andere. Aber angesichts des tatsächlichen Aus-
maßes der Schäden, die dreimal so hoch sind, wie es die
Schäden durch das Hochwasser im Oderbruch waren,
nutzt eine solche Aussage den Menschen gar nichts, die
konkret mit ihrer Wohnung, ihrem Haus, ihrem Betrieb
betroffen sind und denen das Wasser buchstäblich bis
zum Hals stand.


(Beifall im ganzen Hause)

Hier wurde in Richtung der Bayern der falsche Ton

angeschlagen, und bekanntlich macht sehr oft der Ton
die Musik. Der falsche Ton kann sehr viel an Kooperati-
on und Zusammenarbeit zerstören, die wir spätestens
jetzt brauchen. Ohne öffentliche und solidarische Hilfe
werden die Betroffenen mit den Folgen dieser Katastro-
phe allein nicht fertig werden, und auf diese öffentliche
Hilfe haben sie Anspruch.

Angemessen wäre es daher gewesen, man hätte dieses
zuallererst einmal anerkannt und dann auch öffentlich
gesagt, wie der Bund seinen Anteil an dieser Hilfe ge-
staltet und zu gestalten gedenkt, denn in Wirklichkeit
haben ja die Einrichtungen des Bundes, und zwar von
Anfang an und intensiv und tatkräftig, wenn auch nicht
sehr medienbewußt, an dieser Soforthilfe mitgewirkt –
durch die unbürokratische Hilfe der Bundeswehr, durch
das Technische Hilfswerk, durch den Bundesgrenz-
schutz. Diese Hilfen haben selbstverständlich stattge-
funden, bevor irgend jemand einen Bundestagsantrag
gestellt hat.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Zusätzlich wurde – auch das ist angesprochen worden –
das Kreditprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau
geöffnet – für Privatgeschädigte, für geschädigte Unter-
nehmen und für die Landwirte.

Die steuerlichen Erleichterungen, die Bundesgeset-
ze für solche Fälle vorsehen, werden selbstverständlich
auch hier Anwendung finden. Dennoch bleibt einiges
noch zu tun.

Wenn sich Herr Staatsminister Hombach demnächst
vor Ort einen persönlichen Eindruck von der Schadens-
situation verschaffen wird,


(Zuruf von der F.D.P.: Spät!)

so denke ich, daß er verstehen wird – spät, aber es ist
hoffentlich nicht zu spät –, weshalb wir Parlamentarier
der Koalitionsfraktionen uns nachhaltig dafür einsetzen,
daß die Rahmenbedingungen für das KfW-Programm
weiter verbessert werden, daß auch fiskalische Konse-
quenzen in Erwägung gezogen werden, insbesondere
verbesserte steuerliche Absetzungsmöglichkeiten für
Wiederaufbaukosten, insbesondere zusätzliche Hilfen
für die Landwirtschaft inklusive dieses Flächentausches,
den schon mehrere Redner angesprochen haben.

Der Maßstab für das Ausmaß der Hilfe des Bundes
sollte sich meines Erachtens, wenn er sich schon nicht
an der Hilfe für die Opfer des Brandenburger Hochwas-
sers orientiert, an solchen Hilfen orientieren, die in der

Birgit Homburger






(B)



(A) (C)



(D)


Vergangenheit betroffene Bundesländer am Rhein erfah-
ren haben.

Allerdings sollte sich diese Debatte – das ist das
eigentlich Unzulängliche an den vorliegenden Anträgen –
nicht ganz auf das Geld beschränken, so notwendig die-
se finanzielle Hilfe jetzt ist. Wir müssen die erneute
Überschwemmungskatastrophe zum Anlaß nehmen, um
endlich selbstkritisch ökologische Fehler und Versäum-
nisse zu analysieren, die ursächlich immer wieder solche
Schäden mit verursachen, und müssen daraus politische
Konsequenzen zur künftigen Prävention ableiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Es war die Direktion der Münchener Rückversiche-
rung, die eine „drastische Zunahme der Katastrophen-
schäden“ mit einem Anstieg der Schadensbelastung um
das 14fache innerhalb von nur drei Jahrzehnten festge-
stellt hat. Ihre Erkenntnis – ich zitiere –: Man kommt
heute nicht an den immer zahlreicheren Indizien für
einen zunehmenden Einfluß klimatischer und anderer
Umweltveränderungen vorbei.

Die Konsequenz: Energie- und Wirtschaftspolitik
sind künftig viel stärker als bisher an den Erfordernissen
eines nachhaltigen Klimaschutzes auszurichten, um die
Folgen des Treibhauseffektes und die damit verbundene
hohe Zahl extremer Wetterereignisse zu minimieren.
Dazu gehört übrigens auch die Einrichtung eines Ele-
mentarschadenfonds, um künftig Betroffenen schnell
und unbürokratisch helfen zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor allem aber müssen wir – gestatten Sie mir, daß

ich dies als Verkehrspolitiker selbstkritisch sage – auch
in der Verkehrspolitik umdenken. Selbst Helmut Kohl
hatte anläßlich des Hochwassers im Oderbruch gesagt:
Laßt den Flüssen ihren Lauf. Ich habe es nicht überhört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Deswegen brauchen wir ein ökologisches Hochwasser-
schutzprogramm in gemeinsamer Anstrengung ver-
schiedener Ressorts aus Bund und Ländern, um schritt-
weise wiederherzustellen, was in den letzten Jahrzehnten
verlorengegangen ist und was uns heute fehlt: wert-
volle Auwälder als Überschwemmungspuffer, unbebaute
Retentionsräume und freifließende Flußläufe anstatt
begradigter und kanalisierter Durchlaufrinnen, in denen
sich das Hochwasser aufschaukelt und um so schneller
die Städte erreicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen sind wir ja für eine freifließende Donau und
gegen einen weiteren Main-Ausbau. Das muß die Kon-
sequenz aus solchen Erlebnissen und Erfahrungen sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Bebauungspläne und Regionalpläne – dies ist auch
eine Aufgabe der kommunalen Ebene – müssen künftig
viel kritischer gesichtet und verändert werden, um Re-

tentionsräume freizuhalten und um das irrsinnige Tempo
der Versiegelung zu bremsen. Versiegelung, Begradi-
gung, zügellose Bebauung – das sind die strukturpoli-
tischen Sünden, die sich über kurz oder lang rächen.
Hier müssen wir umsteuern. Sie können sicher sein: Wir
werden uns sehr dafür einsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404533600
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter
von der PDS das Wort.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1404533700
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Natur gerät aus
den Fugen“, so ist ein Artikel der „Frankfurter Rund-
schau“ vom 31. Mai 1999 überschrieben, in dem dann
ausgeführt wird, daß das Jahr 1998 die schwersten Na-
turkatastrophen seit Menschengedenken hervorgebracht
hat. Ich möchte an El Niño, aber auch an die verheeren-
den Folgen des Hurrikan „Mitch“ erinnern.

Ich spreche jetzt über die Hochwasserkatastrophe, die
auch in meinem Wahlkreis ganz schön gewütet hat.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Was ist denn Ihr Wahlkreis?)


– Mein Wahlkreis ist ganz Bayern, der direkte ist Ingol-
stadt; – nur zur Information.


(Beifall bei der PDS)

Ich war am letzten Samstag in Neustadt an der Donau

– ich selbst wohne an der Donau – und habe mir die
Situation angeschaut. Natürlich muß der Bund den be-
troffenen Bürgerinnen und Bürgern helfen. In diesem
Punkt unterstützen wir die Anträge der CDU/CSU und
der F.D.P.

Doch es ist festzuhalten, daß wir durch den Treib-
hauseffekt, durch die fortschreitende Unterwerfung der
Natur und in diesem Falle durch Flächenversiegelung,
Flußbegradigung und Kanalisierung all diese Katastro-
phen mit verursachen.


(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn man darauf hinweist, wie ich es zum Beispiel in
der Debatte am 28. September 1995 getan habe – da war
nämlich die Rede von einem Stopp des weiteren Aus-
baus der Donau –, dann erntet man Hohn und Spott von
den Menschen, die jetzt hier Anträge auf Hilfeleistungen
des Bundes stellen unter dem Motto: immer schön an
den Symptomen herumdoktern.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das müssen Sie sich einfach einmal sagen lassen. Ich
war damals eben auch schon hier.

Noch etwas ist mir beim Durchlesen des Antrages der
Union aufgefallen: Da ist ein gewisser anti-ostdeutscher
Zungenschlag spürbar, so, als sei die Hilfe beim Oder-

Albert Schmidt (Hitzhofen)







(A) (C)



(B) (D)


Hochwasser geradezu erschlichen worden, weshalb man
jetzt doch wenigstens eine Gleichbehandlung erwarten
könne.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ach was! Das ist doch Blödsinn! Gemeinsam Solidarität!)


Das liegt auf der gleichen Ebene, als wenn ich sagen
würde: In Ordnung, wir helfen Bayern und Baden-
Württemberg, wenn sie zukünftig nicht mehr am Län-
derfinanzausgleich herummäkeln. Wir unterstützen ja
diese Förderung.


(Beifall bei der PDS – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Es geht doch um Menschen und nicht um Ideologie!)


Zur Frage der Renaturierung und was alles bezahlt
werden könnte, hat mein Kollege Albert Schmidt schon
einiges genannt: Fließwässer- und Auwaldprogramm,
eine ökologische Wende im Wasserbau und bei der
Raumordnung, keine Bereitstellung von Flächen für
Straßen- und Gewerbegebiete, kein Kiesabbau in Tal-
räumen und Überschwemmungsgebieten; denn nur so
kommen wir zu mehr Retentionsflächen.


(Zuruf der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.])

– Das können wir ja später einmal diskutieren. Das
sollten wir wieder auf die Tagesordnung nehmen. Das
ist wahrscheinlich schon so lange her, daß es alle in die-
sem Raum wieder vergessen haben.

Zum Schluß möchte ich noch meine Hochachtung vor
allem vor den freiwilligen Helferinnen und Helfern aus-
sprechen, denn ohne sie wären die Schäden des Hoch-
wassers weit größer geworden. Ich muß natürlich sagen:
Der Einsatz der Bundeswehr bei Hochwassern ist mir
hundertmal lieber als der Einsatz, in dem sie in letzter
Zeit tätig war und noch immer tätig ist.

Danke.

(Beifall bei der PDS – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heißt das, wir brauchen mehr Hochwasser?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404533800
Als
nächster Redner hat der Kollege Horst Kubatschka von
der SPD-Fraktion das Wort.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404533900
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beginnen
möchte ich mit einem Dank an die zahlreichen Helfe-
rinnen und Helfer. Sie packten an, als es galt, der Kata-
strophe Einhalt zu gebieten und den Opfern zu helfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie kamen aus den verschiedensten Organisationen. Als
Bundespolitiker möchte ich allen Helfern des THW und
den Angehörigen des Bundesgrenzschutzes und der
Bundeswehr danken. Beispielhaft für die anderen Helfer
möchte ich den Feuerwehrkommandanten Franz Brosin-
ger und den DLRG-Chef Erich Kirchner, beide aus

Weltenburg, nennen, die gegen die Fluten ankämpften,
während in ihre eigenen Häuser das Hochwasser ein-
drang. An sie und alle anderen Helfer richte ich noch
einmal einen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gab aber auch wieder die Gaffer. Sie standen herum
und behinderten die Arbeit. Sie hätten besser helfen
sollen. Die Hilfe des Bundes kam sofort: Bundeswehr,
THW und Bundesgrenzschutz waren im Einsatz.

Um aber auch die Verantwortlichkeiten klar festzu-
stellen: Hochwasserschutz und Katastrophenhilfe sind
Ländersache. Das Hochwasser wütete am meisten dort,
wo es die Menschen überraschte, also dort, wo es zu
Dammbrüchen kam, zum Beispiel in Neustadt an der
Donau: 20 Quadratkilometer wurden dort vom Hoch-
wasser überschwemmt. Die Katastrophe trat ein, weil
der Damm überspült wurde und es an dieser Stelle zum
Dammbruch kam. Dies konnte die Verantwortlichen
nicht überraschen: Die Pegelstände waren bekannt, die
Schwachstelle war bekannt; denn in diesem Bereich, der
späteren Bruchstelle, trat vermehrt Wasser aus. Zur Ge-
fahrenabwehr konnte man nicht mehr an die Gefahren-
stelle fahren, um den Damm zu sichern. Ein Hubschrau-
bereinsatz war nicht mehr möglich. Die Verantwortung
ist also klar: Der Freistaat Bayern hat nicht ausreichend
Hochwasserschutz betrieben; die Deiche waren nicht
ausreichend. Deswegen gibt es schwere Vorwürfe an die
Behörden. Schadenersatzforderungen von 400 Millionen
DM werden bereits geprüft.

Kritisch zu hinterfragen ist aber auch, warum es am
Oberrhein nicht zu einer solchen Katastrophe gekom-
men ist. Am Pegel Karlsruhe wurden die höchsten Was-
serstände sei Beginn der Messungen – das ist über
100 Jahre her – registriert. Die Verantwortung liegt also
klar in Bayern. Um von dieser Verantwortung abzulen-
ken, werden Bagatellen hochgezogen – man hat das ja
vorhin gesehen. Sie zitieren immer wieder eine un-
glückliche Formulierung des Regierungssprechers. Aber
auch ich kann Ihnen mit solchen unglücklichen Äuße-
rungen dienen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie sollen den Menschen helfen, nicht Sprüche machen!)


In der „Mittelbayerischen Zeitung“ vom 25. Mai – das
war zur selben Zeit, zu der sich Heye geäußert hat –
steht:

Soforthilfe der Bayerischen Staatsregierung für die
Hochwasseropfer gibt es nicht, so Umweltstaats-
sekretärin Christa Stewens.

Die öffentliche Haushaltslage sei angespannt, der Staat
könne nur einspringen, wenn der einzelne überfordert
sei.

Oder eine andere Aussage, die des CSU-Bür-
germeisters Gigl aus Neustadt. Dort brach der Damm. Er
sagte wenige Wochen vor dem Dammbruch auf einer
Bürgerversammlung im Ortsteil Wöhr, in diesem Be-
reich sei mit keinem Hochwasser zu rechnen.

Eva-Maria Bulling-Schröter






(B)



(A) (C)



(D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404534000
Herr
Kollege Kubatschka, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Homburger?


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404534100
Ja, natürlich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404534200
Bitte
schön.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1404534300
Herr Kollege Ku-
batschka, es mag ja sein, daß sich der eine oder andere
ungeschickt geäußert hat, auf welcher Seite auch immer.
Aber stimmen Sie mir zu, daß es ein Unterschied ist, daß
die Bundesregierung es bisher nicht für erforderlich ge-
halten hat, Mittel zur Verfügung zu stellen, während die
Landesregierung von Bayern 200 Millionen DM für all-
gemeine Hilfen und 40 Millionen DM für Deichbau-
maßnahmen und einen Teil davon auch für direkte Hil-
fen, also in Form von Auszahlungen und nicht nur von
Kreditprogrammen, zur Verfügung gestellt hat? Meinen
Sie nicht, daß das ein Unterschied ist?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404534400
Frau Kollegin, da fällt
mir zum Beispiel folgendes ein. Wir haben ja gestern im
Tourismusausschuß das Programm diskutiert. Dabei
wurde klar gesagt: Baden-Württemberg hat noch kein
Programm aufgelegt. Da ist also zum Beispiel nicht ge-
holfen worden.


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Stimmt doch gar nicht!)


– Das ist gestern so berichtet worden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie hat doch eine Frage gestellt; beantworten Sie die doch!)


– Jetzt geht es um die Frage. Ich habe vorhin klar ge-
sagt: Der Katastrophenschutz und die Hilfe sind Länder-
sache, und dies muß es auch bleiben. Es ist vorhin ja
schon gesagt worden – und auch ich sage es –: Es wird
im gleichen Maße geholfen, wie in den alten Bundeslän-
dern an Rhein und Mosel bei vergleichbarem Hochwas-
ser geholfen wurde. Das war eine Aussage, die direkt
gegeben wurde, weil selbstverständlich auch wir uns so-
fort an Herrn Eichel gewendet haben. Und dann kam
diese Zusage: Es gibt eine Gleichbehandlung.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Davon hat aber keiner etwas gemerkt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404534500
Herr
Kollege Kubatschka, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Aigner?


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404534600
Ja, bitte schön.


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1404534700
Herr Kollege Kubatschka,
ich hatte gestern im Tourismusausschuß schon eine kon-

krete Frage gestellt, die noch nicht beantwortet ist; des-
halb frage ich heute noch einmal, weil es hier ja auch
um die Frage der Zuständigkeiten geht. Wie ist es, wenn
eine Bundesstraße durch das Hochwasser beschädigt
worden ist? Muß das künftig auch aus den Globalmitteln
gedeckt werden, die den Ländern zur Verfügung gestellt
werden, oder fällt das unter Katastrophenhilfe? Wird das
dann in diesem konkreten Fall vom Bund übernommen
oder nicht?


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404534800
Nachdem es eine Bun-
desstraße ist, wird sie selbstverständlich vom Bund in-
standgesetzt. Darüber braucht doch nicht geredet zu
werden.


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1404534900
Darf ich noch eine kon-
krete Nachfrage stellen?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404535000
Ja, bitte
schön.


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1404535100
Die Mittel sind nicht da.
Die Aussage des Straßenbauamtes ist, daß das norma-
lerweise aus den Globalmitteln gedeckt werden muß.
Darüber hinaus wird vom Bund momentan noch keine
Zusage gegeben. Ich will jetzt eine konkrete Antwort auf
die konkrete Frage: Gibt es zu den Globalmitteln für
solche konkrete Aufgaben eine zusätzliche Hilfe?


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404535200
Und ich gebe Ihnen die
konkrete Antwort, die als Zwischenruf erfolgte: An der
Straße wird schon gearbeitet. Sie wird hergerichtet. Mir
ist es im Grunde genommen im Augenblick wurscht,
woher das Geld kommt, Hauptsache, die Straße wird
hergerichtet. Und das Land Bayern würde das gleiche
bei seinen Landesstraßen machen.


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Hauptsache, es wird hinterher auch bezahlt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404535300
Herr
Kubatschka, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage
des Kollegen Repnik?


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404535400
Ja, bitte.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1404535500
Herr Kollege
Kubatschka, ich bin etwas betroffen über die Art, wie
Sie jetzt dieses Thema angehen. Ich finde, daß sowohl
Ihr Kollege Stiegler als auch der Kollege Schmidt von
den Grünen doch den Ball aufgenommen haben. Wir
haben es hier mit einem außergewöhnlich schwierigen
Sachverhalt zu tun. Tausende von Menschen leiden.
Was Sie bisher beigetragen haben, war ausschließlich
der Versuch einer Schuldzuweisung, welche staatliche
Ebene möglicherweise schneller, anders oder konkreter
hätte helfen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)







(A) (C)



(B) (D)


Es geht darum: Wie können wir den Menschen jetzt und
nicht erst in sechs Wochen helfen? Deshalb meine kon-
krete Frage an Sie: Sind Sie bereit, Herr Kubatschka


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Hier weiterhin Parteipolitik zu betreiben?)


– auch die Menschen in dem Wahlkreis, in dem Sie kan-
didieren, nämlich in Landshut, interessiert doch, ob man
ihnen hilft, und nicht, ob möglicherweise wer auch im-
mer sonst einen Fehler gemacht hat –, die Hand, die uns
der Herr Kollege Stiegler und der Herr Kollege Schmidt
vorhin im Hinblick auf unsere Antragstellung in ihren
Beiträgen gereicht haben, ebenfalls zu ergreifen und in
dem Ausschuß, in dem Sie Mitverantwortung tragen,
nämlich im Tourismusausschuß, auch für eine Lösung
Sorge zu tragen, die den Menschen hilft, unabhängig
davon, wer wo wann welche Zuständigkeit hat?


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404535600
Der Bund hat sofort ge-
holfen; das habe ich bereits gesagt. Ich werde im Laufe
meiner Rede noch klar sagen, daß es für mich selbstver-
ständlich ist, daß der Bund helfen muß. Man muß diese
Hilfe aber im Vergleich zu anderen Fällen sehen. Ich bin
jederzeit bereit – das haben wir so verabredet –, alles zu
tun, damit den Menschen in dieser Region materiell ge-
holfen werden kann.

Was aber in letzter Zeit in den Medien abgelaufen ist
– ich habe viele Zeitungsberichte dazu gelesen –, war
das Kaschieren der Verantwortung. Man ist auf dem Zi-
tat von Heye herumgeritten; man hat die Entschuldigung
überhaupt nicht wahrgenommen. Man hat ferner immer
wieder darauf hingewiesen, daß der Bund überhaupt
nicht geholfen habe. Der Bund hat aber im Rahmen sei-
ner Verantwortung sofort geholfen. Ich habe ebenfalls
gesagt: Finanzminister Eichel hat zugesagt, daß es die
gleichen Hilfen wie am Rhein und an der Mosel gibt.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wann denn? – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wann hat Eichel das gesagt?)


Wenn es möglich ist, mehr zu helfen, werden wir diese
Hilfe selbstverständlich leisten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404535700
Eine
weitere Zwischenfrage von Herrn Repnik.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1404535800
Herr Kubatschka,
ich weiß bisher von keinerlei Zusage des Finanzmi-
nisters in dieser Frage. Mir ist auch kein Regierungsmit-
glied bekannt, das das Katastrophengebiet, sei es in
Bayern oder am Bodensee, bisher besucht hat. Vielleicht
können Sie mir diese Zusage des Herrn Bundesfinanz-
ministers zugänglich machen. Dafür wäre ich außeror-
dentlich dankbar. Vielleicht kann aber auch Herr Diller,
der als der zuständige Parlamentarische Staatssekretär
gleich das Wort hat, diese Zusage geben. Das wäre mir
noch lieber, weil verbindlicher.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404535900
Zu dem Besuch von Ka-
tastrophengebieten: Ich fahre dann in diese Gebiete,

wenn ich das Ausmaß der Katastrophe beurteilen kann.
Das Ausmaß kann ich aber erst dann beurteilen, wenn
das Hochwasser abgelaufen ist. Erst dann kann man in
die Häuser gehen und das Elend beurteilen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Bei uns steht es noch acht Wochen!)


Wir sind rechtzeitig zu den Stellen gefahren, wo wir
feststellen konnten, welche Schäden vorliegen. Es ist
etwas anderes, ob Sie in ein Katastrophengebiet einge-
flogen werden und von der Höhe aus das Land unter se-
hen. Sie werden aber viel betroffener sein und den
Schaden besser feststellen können, wenn Sie in die Häu-
ser und in die Gärten gehen und wenn Sie mit den Men-
schen sprechen, die nicht mehr in ihren Häusern wohnen
können und die deshalb in Garagen übernachten müssen.
Das ist ein größerer Ausdruck von Betroffenheit.

Ich halte es also für richtiger, daß man erst dann in
ein Katastrophengebiet fährt, wenn man die Auswirkun-
gen richtig beurteilen kann. Das ist jetzt der Fall. Des-
wegen wird am Freitag Bundesminister Hombach nach
Neustadt fahren und sich dort die Situation anschauen.
Aus seiner Erkenntnis werden wir die nötige Hilfe ab-
leiten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404536000
Herr
Kollege Kubatschka, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Diller?


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404536100
Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404536200
Herr
Diller, bitte.


Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1404536300
Herr Kollege Kubatschka, können
Sie sich vorstellen, daß die Kolleginnen und Kollegen aus
der CDU/CSU-Fraktion nicht wissen, daß Professor Dr.
Kurt Faltlhauser, bayerischer Staatsminister der
Finanzen, am 28. Mai 1999 dem Bundesminister der Fi-
nanzen, Herrn Hans Eichel, geschrieben hat und in seinem
Brief ausdrücklich folgendes formulierte – ich zitiere –:

Tausende von Kräften, darunter eine Vielzahl von
Beamten, Soldaten und Mitarbeitern von Einrich-
tungen des Bundes, sind im Einsatz und helfen,
Schlimmeres zu verhüten. Auch ist die bundeseige-
ne Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Hilfe bei der
Schadensbewältigung bereit. Diese wertvollen
Hilfen des Bundes zur Schadensbegrenzung und
Behebung verdienen Anerkennung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Bravo! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sehr guter Brief!)


Ist Ihnen ferner bekannt, daß ich für den Bundesmi-
nister der Finanzen geantwortet habe, daß die Bundesre-
gierung selbstverständlich bereit war und ist,


(Zuruf von der CDU/CSU: 14 Tage haben Sie gebraucht!)


Hans-Peter Repnik






(B)



(A) (C)



(D)


den betroffenen Mitbürgern in gleichem Maße Un-
terstützung zukommen zu lassen, wie sie dies in
bisher vom Hochwasser heimgesuchten Regionen
an Rhein und Mosel getan hat.?

(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Und an der Oder?)

Wie in diesen Fällen haben sowohl die Bundesan-
stalt Technisches Hilfswerk als auch die Bundes-
wehr unverzüglich und mit erheblichem und enga-
giertem Einsatz vor Ort Hilfe geleistet. Bisher sind
nach vorläufigen Schätzungen allein von der Bun-
deswehr Kräfte mit über 5 600 Manntagen einge-
setzt worden.

Dem, was Herr Faltlhauser bezüglich der bundes-
eigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau gesagt hat, kann
ich hinzufügen: Die KfW hat mittlerweile einen Kre-
ditrahmen von 200 Millionen DM für Private – bis hin
zu den betrieblich geschädigten Landwirten – geöffnet.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404536400
Herr Staatssekretär, das,
was Sie ausgeführt haben, ist mir bekannt. Das wurde
mir auch zugesichert. Wir haben es auch in Presseerklä-
rungen geschrieben. Es stand in Zeitungen. Wenn man
guten Willens gewesen wäre, dann hätte man das lesen
können. Man hätte wissen können, daß der Bund hilft.
Aber es gab eben politische Kräfte, die von ihrem Ver-
sagen ablenken wollten. Deswegen hat man diese Zusa-
gen des Bundes nicht wahrnehmen wollen.


(Lachen bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Peinlich!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404536500
Herr
Kubatschka, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Aigner? Das ist jetzt aber wirklich die letzte Zwi-
schenfrage. Dann machen wir mit den Fragen Schluß.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404536600
Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404536700
Frau
Kollegin Aigner.


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1404536800
Herr Kollege, sie ist dafür
um so kürzer. Können Sie mir erklären, warum Sie im-
mer von den gleichen Hilfen wie an Rhein und Mosel
und nicht von den gleichen Hilfen wie beim Oder-
hochwasser sprechen und worin da genau der Unter-
schied besteht?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404536900
Zunächst einmal wissen
wir noch nicht, wie hoch die Schäden sind. Sie müssen
doch auch zugestehen, daß man einem armen Land wie
Brandenburg, also einem neuen Bundesland, eher hilft
als einem alten Bundesland.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Sehr interessant!)


Meiner Meinung nach können Sie nur die alten Bun-
desländer und auch nur die neuen Bundesländer unter-
einander vergleichen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Ah, ja!)

Wenn Sie das nicht sehen wollen, dann darf ich Ihnen

mit einem Zitat eines starken Mannes helfen, Frau Kol-
legin, der – wie man bei uns sagt – vor Kraft nicht lau-
fen kann.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die Menschen sind für Sie nicht gleichwertig?)


– Hören Sie doch einmal zu, damit Sie wissen, was Ihr
Staatsminister 1997 gesagt hat. – Staatsminister Thomas
Goppel lädt seinen Kollegen aus Brandenburg, Matthias
Platzeck, ein, damit er sich in Bayern über das Deich-
bauprogramm an der Donau informieren kann. Dann
heißt es weiter:

Über 40 Jahre Versäumnisse durch den DDR-
Sozialismus haben sich auch an den Oder-Deichen
als verhängnisvoll erwiesen. Bayern ist gerne be-
reit, bei der Sanierung mitzuhelfen.

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist Solidarität!)

Ich muß sagen: Hochmut kommt vor dem Fall.

Etwas anderes ist auch noch zu sagen: Brandenburg hat
Hilfe angeboten. Sie ist von Bayern abgelehnt worden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404537000
Herr
Kollege Kubatschka, Sie haben jetzt noch zwei Minuten
Redezeit. Ich lasse keine Zwischenfragen mehr zu.


(Beifall bei der SPD)



Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1404537100
Liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich habe vorhin schon gesagt: Man kann
Katastrophen nur dann beurteilen, wenn man sich die
Sache vor Ort ansieht, nachdem das Wasser abgelaufen
ist. Nur dann kann man das beurteilen. Dann wird man
feststellen, daß Fertighäuser unbrauchbar geworden sind
und daß andere Häuser völlig saniert werden müssen.
Das gesamte Ausmaß kann man also erst dann abschät-
zen, wenn das Hochwasser abgelaufen ist.

Der Bund hat sofort geholfen, und er wird auch wei-
terhin helfen. Es gab sofortige Zusagen bezüglich KfW-
Krediten. Der Staatssekretär hat es gerade noch einmal
bestätigt. Es gab aber auch Zusagen, Bayern genauso zu
helfen wie anderen alten Bundesländern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluß noch
ein Hinweis. Ich bitte darum, daß das Land Bayern
rechtzeitig Maßnahmen


(Zuruf von der CDU/CSU: Freistaat!)

zur Bekämpfung der Mückenplage ergreift. Wenn da
nichts geschieht, werden die jetzigen Opfer der Katastro-
phe zusätzlich noch von der Mückenplage heimgesucht.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Schwalben einsetzen!)


Karl Diller






(A) (C)



(B) (D)


Was viel schlimmer ist: Dort, wo das Hochwasser
aufgetreten ist – –


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Der Hombach vertreibt die Mücken!)


– Sie haben wirklich eine billige Rhetorik. Wie Sie sich
über die Opfer lustig machen, finde ich im Grunde
genommen beschämend. Vorhin reklamieren Sie den
Besuch von Hombach und beklagen, daß er nicht
gekommen ist, und jetzt sagen Sie, er wird die Mücken
bekämpfen. Ich finde, wie Sie argumentieren, ist lächer-
lich und dieses Hauses eigentlich unwürdig.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte auch sagen: Die Bekämpfung der Mük-

kenplage ist notwendig, damit der Tourismus entlang
den Flüssen aufrechterhalten werden kann; denn ande-
renfalls wird dieser Tourismus zurückgehen.

Ganz zum Schluß: Ich bitte die Medien, vor allem das
Fernsehen, über das Ausmaß der Katastrophe, über das
Ausmaß des Elends zu berichten. Dann könnten mehr
Spenden fließen, mit denen den Opfern unbürokratisch
geholfen werden kann.

Ich danke.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404537200
Die Frau
Kollegin Homburger hat eine Kurzintervention bean-
tragt. Ich bitte aber, diese wirklich sehr kurz zu halten.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1404537300
Herr Kollege Ku-
batschka, ich habe mich gemeldet, weil Sie hier ausge-
führt haben, daß Sie die alten Länder nur mit den alten
Ländern und die neuen Länder nur mit den neuen Län-
dern vergleichen wollen und entsprechend die Finanzhil-
fen ausrichten wollen. Ich bin der Auffassung, daß man
die Hilfen nach dem Ausmaß der Schäden bemessen
muß.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Natürlich gebe ich Ihnen recht: Man kann das Aus-

maß noch nicht voll ermessen. Aber man kann schon
heute sehen, daß die Summe der Schäden, die das
Hochwasser in Süddeutschland und insbesondere am
Bodensee auch wegen seines langen Andauerns ange-
richtet hat, im dreistelligen Millionenbereich liegen
wird. So hoch lag sie im übrigen auch beim Oderhoch-
wasser. Deswegen bin ich der Meinung: Sie müssen das
vergleichen, was vergleichbar ist, nämlich das Ausmaß
der Schäden, und dementsprechend helfen, anstatt sich
hier herauszureden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Der Hombach hat keine Ahnung, weil ihm das Wasser bis zum Halse steht!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404537400
Herr
Kubatschka, wollen Sie erwidern? – Nein.

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Dr. Gerd Müller von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1404537500
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Herr Stiegler, Herr Kubatschka,
Ihre Reden waren peinlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn sich die betroffenen Menschen das hätten anhören
müssen! Gott sei Dank mußten sie es nicht.


(Peter Dreßen [SPD]: Geben Sie Ihre Strophe dazu! – Ludwig Stiegler [SPD]: Aber jetzt sind Sie da! Gott sei Dank!)


Zu Pfingsten kam das größte Hochwasser, das Süd-
deutschland in den letzten 100 Jahren erlebt hat und der-
zeit noch am Bodensee erleben muß. Die Folge sind fünf
Tote, 20 000 beschädigte Anwesen, über 100 000 ge-
schädigte Anwohner und nach der bisherigen Schadens-
bilanz – nicht Schätzungen oder Vermutungen, sondern
Schadensanmeldungen durch die Kommunen und Be-
hörden – über 2 Milliarden DM Sachschaden. Die in
Brandenburg bei der Oderkatastrophe festgestellte Scha-
denssumme lag bei 650 Millionen DM. Ich will Kata-
strophen nicht gegeneinander aufrechnen. Aber schon an
diesen Zahlen sehen Sie: Es geht nicht um eine – so
möchte ich fast sagen – jahreszeitlich übliche Hochwas-
serkatastrophe, sondern wirklich um ein Jahrhun-
derthochwasser, das es so in den letzten hundert Jahren
in den betroffenen Regionen nicht gegeben hat.


(Zustimmung des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/CSU])


Dies ist der qualitative Unterschied. Ich will nicht er-
klären, warum und weshalb, sondern zu ein paar weite-
ren Punkten kommen.

Die Bayerische Staatsregierung und die Landesregie-
rung von Baden-Württemberg haben mit umfassenden
Soforthilfen reagiert. Den Menschen ist nicht mit An-
kündigungen oder mit einem Bundesminister geholfen,
der sich drei Wochen später in der Region umschauen
will. Sie, Herr Kubatschka, haben Angst, daß er von den
Mücken zerstochen wird. Dann soll er zu Hause in sei-
ner Wohnung oder in seinem Büro bleiben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404537600
Herr
Kollege Müller, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Brähmig?


Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1404537700
Ja, bitte schön.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404537800
Bitte
schön, Herr Kollege.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1404537900
Herr Kollege Müller,
ich kenne Sie als sach- und fachkompetenten Kollegen.
Ich frage Sie ganz einfach, ob Sie mit mir einer Meinung
sind, daß man eine Naturkatastrophe, wie sie im Augen-

Horst Kubatschka






(B)



(A) (C)



(D)


blick im Freistaat Bayern und am Bodensee in Baden-
Württemberg stattfindet, nicht allein diesen Bundeslän-
dern zuordnen kann, sondern letztendlich als eine natio-
nale Aufgabe ansehen muß.

Dies sage ich vor allem vor dem Hintergrund, daß
sich unsere Arbeitsgruppe vor wenigen Tagen vor Ort
sachkundig gemacht hat. Ich persönlich war erschüttert;
denn das, was über die Medien dargestellt wird, ist in
keinerlei Weise deckungsgleich mit der Realität. Wir
haben gesehen, welche Auswirkungen ein Pegel von
1,50 Metern über Normal bei strahlend blauem Himmel
am Bodensee hat.

Eine zweite Frage: Sind Sie mit mir einer Meinung,
daß Kanzleramtsminister Bodo Hombach bei seinem Be-
such nicht nur schöne Worte, sondern auch ganz konkrete
Hilfsangebote an die Menschen in den betroffenen Regio-
nen in Bayern und Baden-Württemberg machen muß?


(Zurufe von der SPD)



Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1404538000
Herr Brähmig, ich bin
Ihnen für diese Frage sehr dankbar. Neben aller Pole-
mik, die die Kollegen der SPD hier eingeführt haben,
müssen wir uns, glaube ich, auch an anderer Stelle noch
einmal über diese Grundsatzfrage unterhalten: Wie kann
der Staat über das hinaus, was natürlich jeder Betroffene
selber durch eigene Leistung an Schaden bewältigen
muß, Hilfe leisten? Niemand wird den Menschen ver-
sprechen können, daß alle Schäden, die eingetreten sind,
von staatlichen Behörden bzw. von staatlichen Stellen
ausgeglichen werden können.

Aber darüber hinaus muß bei Jahrhundertkatastro-
phen wie der Oder-Katastrophe oder der, die sich vor
kurzem in Süddeutschland ereignete, die Solidarität des
Gesamtstaates erfolgen. Wir müssen hier neue Wege
gehen. Solidarität ist hier keine Einbahnstraße. Sie muß
überall in gleichem Umfang und gleich schnell geleistet
werden, da die Menschen in Brandenburg und in Bayern
für den Staat gleich viel wert sind!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deshalb war die Reaktion des Regierungssprechers

Heye so skandalös, der sagte: Bayern ist ein starkes
Land, die können das ganz alleine. Meine sehr verehrten
Damen und Herren, zwar sind die Menschen und das
Land stark. Herr Heye aber ist zynisch und unverschämt.
Seine Äußerung ist dumm. Ich bin der Meinung, Bun-
deskanzler Schröder sollte sich für ihn entschuldigen
und ihn entlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Diller, Sie haben soeben einige

Sätze gesagt. Ich kenne Ihren Brief. Vierzehn Tage ha-
ben Sie für Ihre Antwort gebraucht – seit der Katastro-
phe sind nun drei Wochen vergangen –, um einen sub-
stanzlosen eineinhalbseitigen Brief zu schreiben, in dem
Sie keine konkreten Zusagen machen, die über die ange-
sprochenen KfW-Kredithilfen hinausgehen. Damit wer-
den Sie der Katastrophe, den Menschen, dem Leid und
den Problemen nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


In dieser Debatte erwarten die Menschen und die Be-
troffenen in den entsprechenden Landesteilen eine Stel-
lungnahme der Bundesregierung, welche konkreten Hil-
fen Sie anbieten. Wir wollen Hilfe in vergleichbarer Wei-
se und Höhe wie beim Oderhochwasser. Sagen Sie, war-
um sich der Bund in Bayern oder in Baden-Württemberg
prozentual nicht vergleichbar an den Soforthilfeprogram-
men des Landes beteiligen will. Warum nicht?

Herr Diller, Sie konnten nun drei Wochen darüber
nachdenken, was Sie den Menschen und den Betroffe-
nen in dieser Debatte anbieten können: Soforthilfen,
eine Unterstützung bei der Soforthilfe, die Beteiligung
am Gesamthilfsprogramm der Länder, Hilfen für die
Landwirtschaft, Zusatzmittel für den Bundesstraßenbau
oder die Nutzung des Aufwuchses von Stillegungsflä-
chen für Futterzwecke? Ich könnte diese Liste noch
weiterführen. Zu keinem dieser Punkte haben Sie sich
heute klar und deutlich geäußert. Ich fordere Sie auf,
sich dazu zu bekennen.

Nun komme ich zu einem substantiell wichtigen
Punkt. Wir alle anerkennen die Soforthilfen der Bun-
deswehr und des THW. Auch in diesem Fall waren die
Soforthilfen glänzend und hervorragend. Herzlichen
Dank an die örtlichen Kräfte!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Horst Kubatschka [SPD])


Aber – ich habe dies in einem Schreiben an Bundesmi-
nister Scharping vorgetragen; dieser Brief blieb aller-
dings unbeantwortet – wir haben das Problem – wie dies
beim Oderhochwasser der Fall war –, daß die Bundes-
wehrkräfte – so ist auch jetzt die Maßgabe – nur für den
Katastrophenfall ausrücken. Jetzt rücken sie wieder in
die Kasernen ein. Nun besteht das Problem der Scha-
densbewältigung und der Schadensbeseitigung an den
Wildbächen. Aus dem Bodensee müssen wir Hunderte
von Kubikmetern Treibholz herausholen und vieles
mehr. Ich bitte die Bundesregierung, durch den Bundes-
verteidigungsminister den kostenfreien Einsatz zur
Schadensbewältigung auch in den nächsten Wochen
zweifelsfrei sicherzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In der Not erkennt man seine Freunde. Herr Albert

Schmidt, dies stelle ich mit Freude und Genugtuung fest:
Solche Themen eignen sich nicht, um für sich da oder
dort parteipolitisch eine Schlagzeile herauszuholen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das ist ja lächerlich!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der

Regierungskoalition und Vertreter der Bundesregierung,
wir können nicht hinnehmen, daß Sie bei der heutigen
Debatte keinen einzigen konkreten Punkt genannt haben,
wie die Bundesregierung helfen will. Es gibt keinen
Grund, daß Sie, wenn Sie, wie Sie es in Ihren Reden
zum Teil angekündigt haben, Solidarität üben wollen,
unserem Antrag jetzt nicht zustimmen. Wenn Sie dies
nicht tun, ist das ein Schlag in das Gesicht der betroffe-
nen Menschen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Klaus Brähmig






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1404538100
Ich
schließe die Aussprache.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wir wollen den Staatssekretär noch hören! Warum sagt der Staatssekretär nichts? – Birgit Homburger [F.D.P.]: Weil er nichts zu sagen hat!)


Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/1144 und 14/1152 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen beschlossen.

Wir sind damit am Schluß der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-

destages auf Mittwoch, den 23. Juni 1999, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.