Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3829
(A) (C)
(B) (D)
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Adam, Ulrich CDU/CSU 17.6.99*
Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.6.99
Balt, Monika PDS 17.6.99
Behrendt, Wolfgang SPD 17.6.99*
Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 17.6.99*
Bonitz, Sylvia CDU/CSU 17.6.99
Borchert, Jochen CDU/CSU 17.6.99
Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 17.6.99*
Bulmahn, Edelgard SPD 17.6.99
Buwitt, Dankward CDU/CSU 17.6.99*
Dr. Däubler-Gmelin,
Herta
SPD 17.6.99
Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.6.99
Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.6.99
Fischer (Hamburg),
Dirk
CDU/CSU 17.6.99
Friedrich (Altenburg),
Peter
SPD 17.6.99
Gebhardt, Fred PDS 17.6.99
Geis, Norbert CDU/CSU 17.6.99
Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 17.6.99
Glos, Michael CDU/CSU 17.6.99
Gröhe, Hermann CDU/CSU 17.6.99
Hanewinckel, Christel SPD 17.6.99
Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 17.6.99*
Hornung, Siegfried CDU/CSU 17.6.99*
Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 17.6.99
Jäger, Renate SPD 17.6.99*
Kampeter, Steffen CDU/CSU 17.6.99
Kolbow, Walter SPD 17.6.99
Lensing, Werner CDU/CSU 17.6.99
Lintner, Eduard CDU/CSU 17.6.99*
Lippmann, Heidi PDS 17.6.99
Dr. Lucyga, Christine SPD 17.6.99*
Maaß (Wilhelmshaven),
Erich
CDU/CSU 17.6.99*
Michels, Meinolf CDU/CSU 17.6.99*
Müller (Berlin),
Manfred
PDS 17.6.99*
Müntefering, Franz SPD 17.6.99
Abgeordnete(r) entschuldigt bis
einschließlich
Neumann (Bremen),
Bernd
CDU/CSU 17.6.99
Neumann (Gotha),
Gerhard
SPD 17.6.99*
Nickels, Christa BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.6.99
Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 17.6.99
Pflug, Johannes SPD 17.6.99
Reiche, Katherina CDU/CSU 17.6.99
Schenk, Christina PDS 17.6.99
Schloten, Dieter SPD 17.6.99*
Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 17.6.99
Schmidbauer (Nürnberg),
Horst
SPD 17.6.99
von Schmude, Michael CDU/CSU 17.6.99*
Schröder, Gerhard SPD 17.6.99
Schütz (Oldenburg),
Dietmar
SPD 17.6.99*
Schuhmann (Delitzsch),
Richard
SPD 17.6.99
Schulz (Leipzig), Werner BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.6.99
Siebert, Bernd CDU/CSU 17.6.99*
Dr. Sonntag-Wolgast,
Cornelie
SPD 17.6.99
Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 17.6.99
Willner, Gert CDU/CSU 17.6.99
Zierer, Benno CDU/CSU 17.6.99*
–––––––––––* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Carsten Hübner (PDS)
zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge-
setzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember
1997 über wirtschaftliche Partnerschaft, politi-
sche Koordinierung und Zusammenarbeit zwi-
schen der Europäischen Gemeinschaft und ih-
ren Mitgliedstaaten einerseits und den Verei-
nigten Mexikanischen Staaten andererseits
(Tagesordnungspunkt 15b)
Ich werde dem vorliegenden Gesetzentwurf, bei dem es
um nicht mehr und nicht weniger geht als um das Glo-
balabkommen für den Freihandel zwischen EU und Mexi-
ko, nicht zustimmen. Und natürlich nicht, weil ich ein Geg-
ner bilateraler Wirtschaftsabkommen an sich wäre. Aber
ich bin ein Gegner von Abkommen, die eine ungerechte
3830 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
(A) (C)
(B) (D)
Weltwirtschaftsordnung zementieren und weiter ausbauen
sollen. Denn die vorgesehene völlige Liberalisierung von
Handel und Dienstleistungen zwischen offenkundig un-
gleich entwickelten Wirtschaften und Gesellschaften zu
gleichen Austauschkonditionen, ist gerade aus entwick-
lungspolitischer Sicht nicht zu akzeptieren.
Wir können doch nicht unser Eintreten für gerechtere
Nord-Süd-Beziehungen dadurch zu reiner Rhetorik ver-
stümmeln, daß wir eilends das insgesamt äußerst kritik-
würdige Vorhaben mit kurzen, wenn auch gutgemeinten
Klauseln versehen. Daran haperte es nämlich auch in der
Vergangenheit nicht.
Woran es statt dessen fehlte, waren konzeptionelle
Konsistenz und vor allem ein wirkungsvolles Monito-
ring der Praxis solcher Abkommen. Aber wieder einmal
mehr wird deutlich, daß dies offenbar gar nicht gewollt
ist. Und wir stehen in dieser Hinsicht mit unserer Ein-
schätzung durchaus nicht alleine da. Zahlreiche Nicht-
regierungsorganisationen hierzulande und in Mexiko
ebenso wie breite zivilgesellschaftliche Kräfte dort, u.a.
Gewerkschaften, wehren sich verzweifelt gegen dieses
Abkommen. Und die Gründe dafür brauche ich hier
nicht noch mal anzuführen. Wir haben das in den Aus-
schüssen erörtert.
Auch kann ich Ihnen etwa die Lektüre eines am
7. Juni in der „Frankfurter Rundschau“ erschienenen
Artikels unter der Überschrift „Wo die Tortillas heiß
sind“ nur wärmstens empfehlen, der sich mit den Ar-
beitsbedingungen und dem massiven Druck auf die Ge-
werkschaften in Mexiko ausführlich befaßt.
Aber was ist eigentlich das Interesse der EU und damit
auch Deutschlands in dieser Frage? Doch allein die Tatsa-
che, daß sich die EU und die Bundesrepublik durch das
NAFTA-Abkommen zwischen Mexiko und den USA be-
nachteiligt fühlen und nun versuchen, im Dienste ihrer
Konzerne dieses Manko aus der Welt zu schaffen, indem
man auch ein für die soziale Situation in Mexiko ähnlich
verheerendes Abkommen abschließt. Darum geht es. Die
Fragen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung oder der
Menschenrechte sind dabei doch nichts als lästige Ran-
daspekte. Das Durchpeitschen der Ratifizierung des vorlie-
genden Abkommens in den nationalen Parlamenten weist
darauf eindrucksvoll hin. Und das, obwohl die Details, also
die Handelsklauseln und damit die Wirtschaftsverhandlun-
gen zwischen der EU und Mexiko, noch längst nicht abge-
schlossen sind, owohl sie doch den Kern des Abkommens
und damit auch unsere Entscheidung begründen müßten.
Nur eines steht für mich jetzt schon fest und ist ein
wesentliches Motiv meiner Ablehnung: Mit dem Ab-
kommen kommen die verheerenden Klauseln des MAI
durch die Hintertür wieder rein. Was auf der OECD-
Ebene verhindert werden konnte, wird nun auf diese
Weise zur bitteren Realität. Eine bittere Realität gerade
für Entwicklungs- und Menschenrechtspolitiker, weil
uns zukünftig die Möglichkeit zur politischen Gestal-
tung auch ökonomischer Prozesse zum Wohle der Men-
schen dort noch mehr abhanden kommt. Eine bittere
Realität aber vor allem für viele viele Menschen in Me-
xiko. Und das wissen Sie auch! Denn internationale
Standards in bezug auf Arbeitnehmerrechte und Men-
schenrechte schlechthin sowie ihre Überwachung blei-
ben als erstes auf der Strecke, weil sie gar nicht ver-
ankert sind bzw. nur als eine für alle Verträge obligato-
rische Absichtsbekundung zu Demokratie und Men-
schenrechten enthalten sind.
Die PDS hat sich in den Ausschüssen dafür einge-
setzt, daß zumindest diese Absichtserklärungen als mi-
nimale Verbesserungen aufgenommen werden, bzw. die
in dieser Hinsicht von der Koalition vorgeschlagenen
Erweiterungen.
Aber ich kann es natürlich nicht unterstützen, daß sie
zum Feigenblatt werden für ein vom Wesen her falsches
Vertragswerk, das wieder nur auf Kosten unzähliger Ar-
beitsplätze gehen wird – in Mexiko wie hier in der EU.
Ein Vertragswerk, das die Menschen bezahlen mit ihrer
Würde, mit Entwickungschancen und sozialer Sicherheit
und an dem die transnationalen Konzerne Unmengen
verdienen werden. Denn allein die Erweiterung ihrer
Marktchancen sind mit diesem Abkommen ins Zentrum
jeglichen politischen Handelns gesetzt worden.
Dem kann und dem will ich nicht zustimmen. Ich
hoffe sehr, daß sich zumindest die Fachkollegen der an-
deren Fraktionen ähnlich verhalten.
Anlage 3
Erklärung
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (PDS)
zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge-
setzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember
1997 über wirtschaftliche Partnerschaft, politi-
sche Koordinierung und Zusammenarbeit zwi-
schen der Europäischen Gemeinschaft und ih-
ren Mitgliedstaaten einerseits und den Verei-
nigten Mexikanischen Staaten andererseits
(Tagesordnungspunkt 15b)
Versehentlich stimmte die PDS-Fraktion zu der auf-
gerufenen Beschlußempfehlung mit Nein. Hiermit er-
kläre ich, daß die PDS-Fraktion der Beschlußempfeh-
lung ausdrücklich zustimmt.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zum
a – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der
Unabhängigkeit der Richter und Gerichte
b – Entwurf eines Gesetzes zur Reform der
Präsidialverfassung der Gerichte
c – Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der
außergerichtlichen Streitbeilegung
d – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfas-
sungsgesetz
(Tagesordnungspunkt 11)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3831
(A) (C)
(B) (D)
Alfred Hartenbach (SPD): Wir beraten heute über
vier Gesetzesvorlagen, die eigentlich mehr Aufmerk-
samkeit verdient hätten, als in einer Art Gemischtwa-
renladen miteinander vermengt zu werden; eine Recht-
fertigung für die verbundene Debatte besteht indes nur
in der Überschrift: Justiz.
Mit der Änderung des Einführungsgesetzes zum Ge-
richtsverfassungsgesetz vollziehen wir ein weiteres
Stück der Deutschen Einheit. In Berlin werden künftig
die Wahlen der Schöffen von einem gemeinsamen
Amtsgericht durchgeführt. Das ist angesichts der Neu-
ordnung der Verwaltungsbezirke dort nötig und richtig.
In zwei weiteren Gesetzen wollen wir von der Koali-
tion und der Bundesrat die richterliche Selbstverwaltung
reformieren und stärken. Ich werde mich dabei auf unse-
ren Entwurf konzentrieren, auch weil er zusätzlich die
Unabhängigkeit der Richter und Gerichte stärkt.
Nach unserem Verständnis von einer demokratischen
Justiz kann es nicht angehen, daß im 50. Jahr des
Grundgesetzes innerhalb der Selbstverwaltungsgremien
der Gerichte einzelnen Richtern besondere Privilegien
zustehen. Nach den bisherigen Vorschriften haben die
gewählten Vorsitzenden Richter zusammen mit den Ge-
richtspräsidenten stets die Mehrheit im Präsidium, ob-
wohl ihre Zahl nicht einmal ein Viertel der Richter des
Gerichts ausmacht. Dieses Zweiklassensystem entspricht
nicht der von unserer Verfassung geforderten Gleich-
wertigkeit der Richterämter. Dazu gehört auch, daß
künftig innerhalb der Spruchkörper die Stimme des Vor-
sitzenden nicht mehr privilegiert, sondern den anderen
gleichgestellt ist. Wir wollen erreichen, daß die Richte-
rinnen und Richter in das Präsidium gewählt werden, die
von der Mehrheit des Kollegiums gewollt sind. Wir
schaffen dadurch mehr Transparenz, die zusätzlich ge-
fördert wird durch eine begrenzte Öffentlichkeit der Prä-
sidiumssitzungen. Wir tragen mit unserer Reform auch
der mit der weitgehenden Übertragung der Zivilprozesse
auf den Einzelrichter geänderten Lage Rechnung und
bereiten der großen Justizreform, die eine Stärkung der
Eingangsgerichte und der Einzelrichter vorsieht, den
Weg. Wir sind aber auch überzeugt, das Selbstverständ-
nis und die Motivation der Richterinnen und Richter zu
stärken.
Wenden wir uns nun Gesetz Nummer drei zu: der
außergerichtlichen Streitschlichtung. Heute morgen
wurden wir ja schon mehrfach durch unser allzeit
waches Medium Fernsehen auf dieses Thema einge-
stimmt. Mir hat danach mein Frühstück richtig gut ge-
schmeckt, als ich sehen konnte, wie gut sich zwei
Schiedsmänner, die ja als eine von mehreren möglichen
Schlichtungsstellen in Betracht kommen, dargestellt
haben.
Worum geht es denn bei diesem „Gesetz zur Förde-
rung der außergerichtlichen Streitschlichtung“? Trotz
verschiedener Entlastungsversuche durch mehrere Ge-
setze hat sich der Geschäftsanfall in der Ziviljustiz wei-
ter erhöht. Mehrfache Streitwerterhöhungen und Ver-
schärfungen des Zugangs zu den Rechtsmittelgerichten
haben keine Entlastung gebracht, sondern eher eine
Justizverdrossenheit der Parteien gefördert. Wir werden
mit diesem Gesetz die Amtsgerichte in Bagatellstreitig-
keiten entlasten. Darin sind wir uns ja in allen Fraktio-
nen einig. Wir hätten diese Entlastung schon in der ver-
gangenen Legislaturperiode erreichen können, aber wir
wissen, daß dies an Taschenspielertricks der vormaligen
Koalition gescheitert ist. Nun wollen wir uns aber nicht
über verschüttete Milch unterhalten, wir wollen nach
vorn blicken.
Wir wollen, daß in allen Verfahren mit einem Streit-
wert bis zu 1 500 DM, allen Nachbarschaftsklagen und
bei allen Streitigkeiten über Ansprüche wegen Ehrver-
letzungen zunächst ein Einigungsversuch vor einer die-
ser Schlichtungsstellen unternommen wird. Ausgenom-
men davon sind die Verfahren, die über das Mahnver-
fahren ihren Anfang nehmen, und einige andere Streitig-
keiten, wie etwa aus dem Familienrecht oder Urkunds-
prozesse. Die Schlichtungsstellen – oder wie wir es im
Gesetz nennen: die Gütestellen – sollen nun nicht Recht
sprechen und einen Rechtsstreit mit einem Urteil been-
den. Das sollen und dürfen sie nicht; die Entscheidungen
durch Urteile bleiben den Richtern vorbehalten. Sie sol-
len, so wie es im Gesetz steht, versuchen, Streitigkeiten
einvernehmlich beizulegen. Ich verkenne nicht, daß
auch bei Nachbarrechtsstreitigkeiten und Bagatellklagen
komplizierte juristische Sachverhalte vorkommen. Aber,
ich wiederhole es noch einmal, die Gütestellen sollen ja
gerade nicht komplizierte Sachverhalte entscheiden, sie
sollen ja auf eine einvernehmliche Lösung hinwirken.
Dazu bedarf es keiner juristischen Vorbildung. Wir
brauchen hierfür insbesondere Menschen, die mit
Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen und
einer guten Portion gesunden Menschenverstandes die
zerstrittenen Parteien wieder auf einen gemeinsamen
Weg führen. Das wird insbesondere im Nachbarrecht die
wichtigste Aufgabe sein.
Nun glauben einige, die Vorschaltungen der Güte-
stellen würde keine Entlastung bringen, weil Bagatell-
streitigkeiten ohnehin im Mahnverfahren erledigt wür-
den. Die Zahlen bei den Gerichten widerlegen diese Be-
hauptung indes. Wir sind überzeugt, daß die Gütestellen
eine Vielzahl der an sie herangetragenen Streitigkeiten
durch Vergleich erledigen werden und damit zu einer
deutlichen Entlastung der Eingangsgerichte, der Amts-
gerichte, beitragen.
Wir als Gesetzgeber wollen es dabei den einzelnen
Bundesländern überlassen, ob sie die Gütestellen ein-
richten und welche Personen dort als Schlichter tätig
werden. Dies können ausgebildete Juristen ebenso sein
wie örtlich anerkannte Persönlichkeiten, also die
Schiedspersonen, Schiedsämter, Schiedsstellen oder
auch neue, von den Ländern zu schaffende Stellen. Da
sind die Rechtsanwälte natürlich ebenso angesprochen
wie möglicherweise pensionierte Richter. Wichtig ist,
daß diese Personen willens und in der Lage sind, auf
eine gütliche Beilegung des Streites hinzuwirken.
Erfolgt eine gütliche Regelung nicht, erteilt die Güte-
stelle eine entsprechende Bescheinigung, die mit der
Klage vorgelegt werden muß. Gelingt allerdings die
Einigung, kann aus diesem Vergleich die Zwangsvoll-
streckung betrieben werden.
3832 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
(A) (C)
(B) (D)
Die Sorge, die Vorschaltung einer Gütestelle verzö-
gere den Prozeß, ist unbegründet. Die Gütestellen kön-
nen unbürokratisch und damit sehr rasch einen Termin
anberaumen. Zum anderen setzt das Gesetz schon eine
sehr kurze Frist: Ist nach Ablauf von drei Monaten das
Güteverfahren nicht durchgeführt, erhält der Kläger
gleichwohl die Bescheinigung, daß er die Einigung ver-
sucht habe. Die kurze Zeitspanne kann deshalb nicht als
Argument der Verzögerung gelten. In der Mehrzahl der
Streitigkeiten, die erst gar nicht zu den Gerichten gelan-
gen, werden dafür aber beide Parteien alsbald in ihrem
Vergleich Rechtssicherheit haben.
Wir sind überzeugt, daß sich die Öffnungsklausel in
der Praxis bewähren wird. Wir wünschen uns mutige
Bundesländer, die die ihnen eingeräumten Möglichkei-
ten, ihre Amtsgerichte zu entlasten, nun auch bald in die
Tat umsetzen.
Volker Kauder (CDU/CSU): Der Bundesrat und die
Regierungskoalition haben Gesetzentwürfe eingebracht,
mit denen die Präsidialverfassung der ordentlichen Ge-
richte geändert und angebliche Privilegien einzelner
Richter abgebaut werden sollen. Drei wesentliche Ände-
rungsvorschläge beinhalten diese Gesetzentwürfe: Das
in § 21a Gerichtsverfassungsgesetz festgelegte Quorum
für Vorsitzende Richter im Präsidium soll abgeschafft
werden. Die Verteilung der Geschäfte in einem mit meh-
reren Richtern besetzten Spruchkörper soll nicht mehr
vom Vorsitzenden Richter allein, sondern durch Mehr-
heitsentscheidung mit Stichentscheid des Präsidiums bei
Stimmengleichheit erfolgen. Die immer wieder disku-
tierte Richteröffentlichkeit der Sitzungen des Präsidiums
soll nun gesetzlich eingeführt werden.
Diese Änderungsvorschläge sind nichts Neues. Es
könnte allenfalls neue Argumente im Für und Wider
geben. Die Gesetzentwürfe sprechen von in den letzten
25 Jahren eingetretenen Rechtsentwicklungen und ver-
änderten Anforderungsprofilen, denen sich die Justiz
stellen müsse und die Strukturveränderungen zur Steige-
rung der Effizienz der Justiz und der Eigenverantwort-
lichkeit der Richter notwendig machten. Da die Gesetz-
entwürfe diese Aussagen ohne jede weitere Erläuterung
lassen, stehen sie eher als behauptende Aussage da, die
eine Begründung verlangt, denn als Begründung selbst.
Diesen Charakter trägt noch deutlicher die weitere
Behauptung in den Gesetzentwürfen, daß eine Effizienz-
steigerung der Justiz gerade dadurch erreicht werden
könne, indem die Stellung des einzelnen Richters im
zentralen Organ richterlicher Selbstverwaltung den ge-
stiegenen Anforderungen angepaßt wird.
Auch wenn man den einen oder anderen Gedanken-
gang der Regierungskoalition oder des Bundesrates
nachvollziehen kann, fällt es doch schwer zu glauben,
daß durch den vorgelegten Gesetzentwurf tatsächlich
Binnenreserven zum Zweck der Gerichtsentlastung akti-
viert werden können. Der Geschäftsanfall verändert sich
durch dieses Gesetz nicht. Also bleibt doch nur die
Vermutung, daß Regierungskoalition und Mehrheit des
Bundesrates unterstellen, daß die bisherigen Strukturen
zu einer weniger effektiven oder gar schlechten Aufga-
benerfüllung geführt haben. Dazu werden aber keine
konkreten Positionen benannt, und so wird es im Ge-
setzentwurf auch nicht formuliert. Entweder traut sich
die Regierungskoalition nicht, dieses so klar zu formu-
lieren oder – was ich für eher wahrscheinlich halte – sie
hat für eine solche Einschätzung überhaupt keinen rea-
len Anhalt. So kommen mir diese Begründungen eher
wie ein Alibi vor, um die wahren Gründe für diesen Ge-
setzentwurf zu verbergen.
Die vorliegenden Gesetzentwürfe nehmen Diskussio-
nen der 70er Jahre wieder auf, die von der Gleichwer-
tigkeit aller Richterämter geprägt waren. So drängt sich
der Eindruck auf, daß eher ideologische Vorstellungen
diesen Gesetzentwurf tragen, denn sachlich zwingende
Notwendigkeiten. Das alte sozialdemokratische Ziel der
sogenannten Demokratisierung der Gerichte, der vollen
Gleichwertigkeit aller Richter an einem Gericht, wird
mit den vorliegenden Gesetzentwürfen neu aufgegriffen.
In der Vergangenheit sind entsprechende Vorstöße ge-
scheitert. Deshalb hat die SPD nun versucht, das alte
Anliegen mit einem verführerisch klingenden Titel zu
versehen und neu zu verpacken. Ganz deutlich wird dies
in der Zielsetzung, angeblich überkommene Privilegien
abzubauen. Daß dieser Abbau angeblicher Privilegien
eine Effizienzsteigerung der Justiz nach sich ziehe, er-
schließt sich schlüssig in keinster Weise aus den Gesetz-
entwürfen und dürfte in der Praxis auch durch kein be-
kanntes Meßverfahren nachweisbar sein.
Da die Gesetzentwürfe also nicht offen die Gleich-
wertigkeit aller Richterämter als Zielsetzung ausweisen,
werden auch die in diesem Zusammenhang dringend
notwendigen Fragen nach Führung und Sachkompetenz
durch Gremien in der Justizverwaltung nicht angespro-
chen.
Das Präsidium eines ordentlichen Gerichtes ist kein
rechtspolitisches Parlament. Das Präsidium ist im we-
sentlichen ein geschäftsleitendes Verwaltungsorgan.
Und da gibt es sehr wohl Gründe, die dafür sprechen,
Erfahrung und Sachverstand der Vorsitzenden Richter
einer Spruchkammer besonders einzubeziehen. Dies ist
eine Sachfrage, die man unterschiedlich behandeln kann,
die aber den Vorwurf einer Privilegierung von Vorsit-
zenden Richtern überhaupt nicht verdient. Ich meine,
daß mehr für die bisherige Praxis spricht.
Vergleichbar sehe ich dies auch bei der Entschei-
dungskompetenz Vorsitzender Richter bei der Ge-
schäftsverteilung in mit mehreren Richtern besetzten
Spruchkörpern. Ich weiß, daß die in diesem Gesetzent-
wurf vorgesehene Mehrheitsentscheidung inhaltlich be-
reits mit dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Ver-
einfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des
Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit in das Ge-
setzgebungsverfahren eingeführt wurde. Wir haben
diese Regelung in dem ansonsten von uns ursprünglich
mitgetragenen Gesetzentwurf immer abgelehnt. Auch
bei diesem Thema setzt sich der Gesetzentwurf der Re-
gierungskoalition mit den Fragen von Führung und Ver-
antwortung überhaupt nicht auseinander. Hier von De-
mokratisierung zu sprechen ist deshalb wenig überzeu-
gend, weil gerade auch Demokratie der Führung bedarf.
Ist denn die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers
mit dem Recht, Minister zu berufen und zu entlassen,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3833
(A) (C)
(B) (D)
undemokratisch? Da dies nicht der Fall ist, kann es doch
bei der Frage von Führung und Verantwortung im Ge-
richt nur darum gehen, inwieweit richterliche Unabhän-
gigkeit und das richterliche Selbstverständnis Führung
begrenzen. Eine solche begrenzende Notwendigkeit sehe
ich bei der Festlegung der Geschäftsverteilung in einem
Spruchkörper nicht notwendigerweise.
Der Mangel der Gesetzentwürfe liegt aber darin, daß
sie sich mit dieser Frage überhaupt nicht auseinanderset-
zen. Ferner wird verkannt, daß die Vorsitzenden Richter
bereits jetzt und nach den Vorstellungen der Landes-
justizverwaltungen künftig zunehmend leitende Auf-
gaben übernehmen sollen. Die Beschneidung der Stel-
lung der Vorsitzenden Richter ist deshalb sachlich nicht
geboten.
Die Vorschläge sind kontraproduktiv und können so
gedeutet werden, daß auf mittlere Sicht, zusammen mit
den Überlegungen zur Justizreform, die Vorsitzenden
Richter, zumindest an den Landgerichten, weiter ent-
machtet und gänzlich durch Einzelrichter ersetzt werden
sollen. Letztlich stellt sich auch die Frage, warum ein
Vorsitzender Richter noch in einer höheren Besoldungs-
stufe stehen soll als ein einfacher Richter, wenn ihm
klassische Führungsaufgaben entzogen werden. Daß im
Präsidium künftig die einfachen Richter die Mehrheit
stellen werden und daß über den Geschäftsverteilungs-
plan die Vorsitzenden Richter – entsprechend einer weit
verbreiteten Fehlvorstellung – zusätzlich mit Arbeit ein-
gedeckt werden sollen, wird sich langfristig schädlich
auf die Stellung der Vorsitzenden Richter und damit
auch auf die Personalentwicklung innerhalb der Justiz
auswirken. Da es auch innerhalb der Arbeitsgruppe
Recht der SPD-Fraktion kritische Stimmen zu dem Ge-
setzentwurf gibt, ist eine Sachverständigenanhörung, bei
der auch die betroffenen Vorsitzenden Richter zu Wort
kommen sollten, unverzichtbar. Dies bestärkt mich im
Eindruck, daß es hier wirklich um eine politisch ideolo-
gische und weniger um eine sachlich gebotene Frage
geht.
Etwas anders verhält es sich mit dem dritten Rege-
lungskomplex: der Richteröffentlichkeit der Sitzungen
des Präsidiums. Hier gab es Rechtsunsicherheit, die
dann zu einer Entscheidung des Dienstgerichts des Bun-
des 1995 geführt hat, die die Entscheidung eines Präsi-
diums, richteröffentlich zu tagen, zum Kernbereich
richterlicher Tätigkeit erklärt hat. Damit ist eine inhalt-
liche Kontrolle der Dienstaufsicht über die Frage der
Richteröffentlichkeit nicht mehr möglich. Das Präsidium
kann also jetzt in einer Geschäftsordnung festlegen, ob
richteröffentlich getagt wird oder nicht. Wenn ich den
Gesetzentwurf richtig interpretiere, wird aber genau
diese Rechtslage formuliert, wenn es im Gesetzestext
heißt, daß das Präsidium beschließen kann, daß die
Richter des Gerichts bei den Beratungen und Abstim-
mungen des Präsidiums zugegen sein können. Ich kann
nicht erkennen, wo hier eine neue Rechtslage formuliert
wird. Zur Sache selbst wäre aber erneut auf das Bundes-
dienstgericht zu verweisen, daß in der Entscheidungsbe-
gründung klar zum Ausdruck bringt, daß nach seiner
Auffassung mehr gegen die Richteröffentlichkeit spricht
als dafür.
Obwohl Bundesrat und Regierungskoalition durchaus
die auch vom Bundesdienstgericht angesprochenen Pro-
bleme erkennen, wird in der Begründung nur völlig un-
zureichend darauf hingewiesen, und zwar mit der Be-
merkung, daß in angemessener, sachlicher und schonen-
der Weise auf persönliche Eigenschaften der betroffenen
Richter einzugehen ist, wenn dies im Laufe der Beratun-
gen notwendig wird. Diese Anforderung der zurückhal-
tenden, abwägenden, nicht auch nur im Ansatz negativ
qualifizierenden Äußerung dürfte eine sachgerechte, die
Entscheidung fördernde Diskussion kaum erleichtern.
Diese beiden vorliegenden Gesetzentwürfe hinterlassen
den Eindruck, daß es also weniger um sachliche Not-
wendigkeiten denn um politische Zielsetzungen geht.
Da die sachlichen Notwendigkeiten nicht zwingend
gegeben sind, lehnen wir diese Gesetzentwürfe auch ab.
Ich äußere die Hoffnung, daß die weiteren Reformvor-
haben in der Justizpolitik dieser Bundesregierung weni-
ger von Ideologie als von sachlichen Zielsetzungen ge-
prägt sind. Dies wünsche ich mir vor allem als Abge-
ordneter eines Flächenlandes beim Reformvorhaben der
Eingangsgerichte. Alle sachlichen Argumente sprechen
für die Erhaltung der amtsgerichtlichen Strukturen. Ich
hoffe, daß wir uns darauf verständigen können.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich komme zunächst zu Tagesordnungspunkt 11a
und b.
Ziel beider Entwürfe ist die Reform der Präsidialver-
fassung und die Stärkung der richterlichen Selbstver-
antwortung. Überkommene Strukturen in der Gerichts-
verfassung sollen abgeschafft und die Justizstrukturen
demokratisiert werden. Die Stellung der einzelnen
Richter wird gestärkt und der Gleichwertigkeit aller
Richterämter Ausdruck verliehen. Der Bundesratsent-
wurf wird diesem Ziel nicht in gleicher Weise gerecht
wie der Koalitionsentwurf, der „mutiger“ vorgeht.
So soll im Gegensatz zum bisherigen Recht nicht
mehr der Vorsitzende allein die Geschäftsverteilung in-
nerhalb der Kammer festlegen, sondern der Spruchkör-
per (§ 21g). Soweit auf Grund Stimmengleichheit keine
Entscheidung herbeigeführt werden kann, soll das Präsi-
dium entscheiden. Im Gegensatz dazu soll nach dem
Bundesratsentwurf die Stimme des Vorsitzenden den
Ausschlag geben.
Das nach bisherigem Recht geltende Vorsitzenden-
quorum im Präsidium – das heißt die Vorgabe, daß die-
ses mindestens zur Hälfte mit Vorsitzenden Richtern be-
setzt sein muß – wird abgeschafft.
Es wird zudem festgelegt, daß Präsidiumssitzungen in
Zukunft grundsätzlich für die Richter des Gerichts öf-
fentlich sind. Kommen jedoch Personalangelegenheiten
zur Sprache, besteht die Möglichkeit, die Öffentlichkeit
auszuschließen (§ 21e Abs. 8).
Zwar bleibt es bei der Regelung, wonach die Wahl
zum Präsidium grundsätzlich nach dem Mehrheitswahl-
recht erfolgt (§ 21b Abs. 3). Hierdurch werden „klei-
nere“ Organisationen, wie zum Beispiel die „Neue
Richtervereinigung“, benachteiligt. Es soll aber den
3834 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
(A) (C)
(B) (D)
Ländern ermöglicht werden, auch andere Wahlverfahren
festzulegen, was im Bundesratsentwurf nicht vorgesehen
ist.
Nun meine Stellungnahme zu Tagesordnungspunkt
11c.
Ziel dieses Entwurfes ist es, vermehrt Zivilrechts-
streitigkeiten einer außergerichtlichen – einvernehmli-
chen – Streitlösung zuzuführen. Wir wollen erreichen,
daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, zu einer
für die Beteiligten befriedigenden Beendigung eines
Streites zu gelangen. Dies ist außerhalb des streng for-
malisierten Gerichtsverfahrens weitaus besser zu reali-
sieren als innerhalb eines solchen. Hiermit ist dem
Rechtsfrieden und letztlich auch dem Vertrauen in den
Rechtsstaat gedient.
Den Ländern soll durch eine Öffnungsklausel ermög-
licht werden, in bestimmten Fällen dem zivilrechtlichen
Verfahren ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vor
einer von den Landesjustizverwaltungen eingerichteten
oder anerkannten Gütestelle vorzuschalten. Dieser Eini-
gungsversuch soll Zulässigkeitsvoraussetzung für eine
spätere Klage sein.
In Betracht kommt das Schlichtungsverfahren für
vermögensrechtliche Streitigkeiten vor den Amtsge-
richten mit einem Streitwert unter 1 500 DM, bestimmte
Nachbarrechtsstreitigkeiten, Ansprüche wegen Ehrver-
letzungen unter Privaten.
Es soll aber ausreichen, wenn die Parteien einver-
nehmlich einen Einigungsversuch vor einer sonstigen
Gütestelle, die Streitschlichtung betreibt – was auch
Verbraucherberatungsstellen sein können – unternom-
men haben.
Für Rechtsanwälte wird ein Gebührentatbestand ge-
schaffen; die Gebühr wird aber in einem etwaigen spä-
teren Prozeß angerechnet. Insolvente Parteien erhalten
– wie im „normalen“ Gerichtsverfahren – Anspruch auf
Beratungshilfe.
Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
ministerin der Justiz: Eine starke, eine unabhängige, eine
effizient arbeitende Justiz ist einer der wesentlichen Pfeiler
unseres demokratischen Rechtsstaats. Die Bundesregierung
hat sich deshalb dem rechtspolitischen Ziel verschrieben,
der Justiz mit grundlegenden Verfahrensvereinfachungen
und anderen flankierenden Maßnahmen den Rücken zu
stärken. Deshalb begrüßen wir natürlich die heute zur Be-
ratung anstehenden Gesetzentwürfe.
Das gilt zunächst für die Gesetzesinitiative der Ko-
alitionsfraktionen zur Stärkung der Unabhängigkeit der
Richter und Gerichte und den in dieselbe Richtung zie-
lenden Gesetzentwurf des Bundesrates zur Reform der
Präsidialverfassung der Gerichte. Beiden Entwürfen
liegt die zutreffende Erkenntnis zugrunde, daß sich die
gesetzlichen Regelungen zur richterlichen Selbstver-
waltung zum Teil als unzulänglich erwiesen haben.
Angesichts des veränderten Anforderungsprofils der
Justiz – vor allem im Hinblick auf die stärker gewordene
Stellung des Einzelrichters – ist die überkommene Prä-
sidialverfassung, die seit mehr als einem Vierteljahrhun-
dert unverändert besteht, nicht mehr zeitgemäß. Ent-
sprechende Strukturveränderungen sind daher geboten,
die zur Steigerung der Effizienz der Justiz und der Ei-
genverantwortlichkeit der Richter beitragen.
So ist zum Beispiel heute in der Tat nicht mehr einzu-
sehen, warum die Präsidien zur Hälfte mit Vorsitzenden
Richtern besetzt sein müssen, die auf diese Weise zu-
sammen mit dem Vorsitzenden, der geborenes Präsidi-
umsmitglied ist, immer die Mehrheit bilden. Dieses Pa-
ritätsprinzip – das sogenannte Vorsitzenden-Quorum –
führt zu einer Überrepräsentierung der Vorsitzenden im
Präsidium, die demokratischen Grundsätzen zuwider-
läuft. Denn die Vorsitzenden machen zahlenmäßig häu-
fig nur ein Drittel bis ein Viertel der an einem Gericht
tätigen Richter aus – manchmal sogar noch weniger. Die
Neuregelung sieht also zu Recht die ersatzlose Beseiti-
gung des Vorsitzenden-Quorums vor.
Nicht mehr zeitgemäß erscheint auch die Regelung,
wonach der Vorsitzende die Geschäftsverteilung inner-
halb der einzelnen Spruchkörper allein bestimmt. Dies
widerspricht dem modernen Verständnis einer prinzipi-
ellen Gleichwertigkeit der Richterämter, das vor allem
durch die Stärkung des Einzelrichters zunehmend an
Bedeutung gewinnt. Die in den Entwürfen vorgesehene
interne Geschäftsverteilung durch Beschluß der dem
Spruchkörper angehörenden Berufsrichter trägt dem
Prinzip der Gleichwertigkeit der Richterämter wesent-
lich besser Rechnung. Wie die gesetzliche Regelung im
einzelnen auszugestalten ist – wie z.B. bei Stimmen-
gleichheit zu verfahren ist –, darüber wird im weiteren
Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu reden sein.
Dasselbe gilt – um einen weiteren und für mich zu-
gleich letzten Punkt der beiden Gesetzentwürfe heraus-
zugreifen – für die geplante Einführung der Richter-
öffentlichkeit der Präsidiumssitzungen. Dies entspricht
einem vielfach geäußerten Bedürfnis innerhalb der
Richterschaft. Außerdem wird dies – wie man hört – an
einigen Gerichten ohne Rücksicht auf die entgegenste-
hende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits
heute praktiziert.
Die beiden Entwürfe unterscheiden sich zwar gering-
fügig in der Frage, ob die Öffentlichkeit fakultativ oder
regelmäßig zugelassen werden soll. Aber auch hier wird
die Diskussion im weiteren Verlauf des Gesetzgebungs-
verfahrens ergeben, welchem der beiden Konzepte der
Vorzug zu geben ist.
Ich komme zum zweiten Thema: Die Förderung der
außergerichtlichen Streitbeilegung ist ein wesentliches
Ziel der Rechtspolitik der Bundesregierung. Die außer-
gerichtliche Streitbeilegung kann nicht nur einen Beitrag
leisten zu der dringend gebotenen Entlastung der Zivil-
justiz. Sie kann vielmehr auch in dafür geeigneten Be-
reichen eher und besser Rechtsfrieden zwischen den
streitenden Parteien schaffen.
Ich denke hier insbesondere an Nachbarschaftsstrei-
tigkeiten. Die Parteien müssen in diesen Fällen auch
weiterhin miteinander auskommen. Ihnen ist mit außer-
gerichtlicher Streitschlichtung häufig viel besser gedient
als mit einem Streit vor Gericht und einem anschließen-
den Urteil.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3835
(A) (C)
(B) (D)
Bei anderen Streitigkeiten sind Gerichtsverfahren
schon im Hinblick auf das Verhältnis von Aufwand und
Bedeutung der Sache wenig geeignet. Die Gerichts- und
Anwaltskosten einschließlich etwaiger Auslagen für
Zeugen und Sachverständige können in solchen Fällen
leicht die Höhe der im Streit stehenden Forderung über-
steigen. Solche Konflikte können durch außergerichtli-
che Streitbeilegung rascher und kostengünstiger berei-
nigt werden. Ich halte es deshalb für wichtig, Institutio-
nen, die im Vorfeld der Gerichte Konflikte beilegen, zu
fördern.
Die mit dem vorliegenden Entwurf vorgeschlagene
Öffnungsklausel zugunsten der Bundesländer bietet aus-
reichend Flexibilität, um alternative Wege zur außerge-
richtlichen Streitbeilegung zu gehen. Da sich fast alle
Länder in diesem Bereich experimentierfreudig zeigen,
verspreche ich mir viel von der Umsetzung dieser Re-
gelung.
Die jetzt vorgeschlagene Regelung war auch Be-
standteil der Bundesrats-Initiative der vergangenen Le-
gislaturperiode, des Gesetzentwurfs zur Vereinfachung
des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens
der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die CDU/CSU-
Fraktion hat allerdings diesen Entwurf in der laufenden
Legislaturperiode nahezu unverändert wieder einge-
bracht. Die Bundesregierung teilt den Gesamtansatz die-
ses Entwurfs nicht. Mit ihm soll die „Flickschusterei“ in
der Justizpolitik durch Rechtspflegevereinfachungs-,
Beschleunigungs- und Entlastungsgesetze fortgesetzt
werden. Die Bundesregierung setzt im Gegensatz dazu
auf eine grundlegende Reform des Rechtsmittelrechts in
Zivilsachen noch in dieser Legislaturperiode.
Dies ändert indessen nichts daran, daß ein wichtiger
Ansatz, der mit dem heute zu beratenden Entwurf der
Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf-
gegriffen wird, schon jetzt zügig verabschiedet werden
kann, um eine möglichst rasche Entlastung der Zivilge-
richte zu erreichen. Angesichts der Vorgeschichte dieses
Vorschlages bin ich mir sicher, daß wir großes Einver-
nehmen erzielen werden.
Zum dritten Thema: Auch dem Entwurf des Bundes-
rates für ein Gesetz zur Änderung des Einführungsgeset-
zes zum Gerichtsverfassungsgesetz stimmt die Bundes-
regierung zu. Mit der beantragten Änderung soll dem
Land Berlin wegen der dortigen Bezirksreform die
Möglichkeit eingeräumt werden, die Schöffenwahl bei
einem Gericht zu konzentrieren und damit zu vereinfa-
chen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
ein klares Konzept für ihre Rechtspolitik in dieser Le-
gislaturperiode. Wie ein roter Faden ziehen sich durch
dieses Konzept Maßnahmen zur Stärkung der Judikative
– ihre Stellung, ihrer Selbstverantwortlichkeit, ihrer Lei-
stungsfähigkeit. Die heute beratenen Entwürfe passen
wie Mosaiksteine in dieses Konzept. Ich bitte darum, sie
positiv aufzunehmen.
Rainer Funke (F.D.P.): Uns begegnet heute mit dem
Gesetzentwurf zur Förderung der außergerichtlichen
Streitbeilegung ein alter Bekannter, denn dieses Gesetz
hat schon die frühere Bundesregierung eingebracht. Sie
war mit diesem Gesetzentwurf zugegebenermaßen aus
anderen Gründen im Vermittlungsausschuß gescheitert.
Inhaltlich kann ich daher diesem Gesetz über die außer-
gerichtliche Streitbeilegung durchaus zustimmen.
Die F.D.P. hat stets der außergerichtlichen Streitbei-
legung eine große und wichtige Rolle zugedacht. Aus
diesem Grunde haben wir in der letzten Legislaturperi-
ode auch die §§ 1025ff. ZPO reformiert und das
Schiedsgerichtswesen dadurch auch international geför-
dert.
Je mehr außergerichtliche Streitbeilegung und außer-
gerichtliche Streitentscheidungen möglich sind, desto
schneller und häufig effektiver wird der Rechtsfrieden
hergestellt, als es Gerichte mit ihrer hoheitlichen Funk-
tion leisten können. Der Spruch „Schlichten ist besser
als richten“ hat viel Wahres für sich.
Die außergerichtliche Streitbeilegung hat ja in einigen
Bundesländern großen Erfolg gehabt. Schiedsmänner
und Schiedsfrauen, aber auch die Mitarbeiter der öffent-
lichen Rechtsauskunft und Vergleichsstelle in Hamburg
haben wesentlich zur Entlastung der Gerichte und zur
Herstellung des Rechtsfriedens beigetragen. Der Ansatz
des Gesetzes, durch eine Länderöffnungsklausel diese
bewährten Institutionen, die von Land zu Land ja unter-
schiedlich ausgestaltet sind, zu nutzen, erscheint mir
nach wie vor richtig.
Im Rechtsausschuß werden wir aber darüber zu be-
raten haben, ob die Länder nicht doch in einem be-
stimmten Rahmen und nicht in völlig unterschiedlicher
Weise diese außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen
ausgestalten sollen. Insbesondere in der Nähe von Län-
dergrenzen wird es der Bevölkerung schwer verständlich
zu machen sein, daß zum Beispiel in Hamburg-
Schnelsen, also am nördlichsten Ende von Hamburg,
Regelungen gelten, und 300 Meter von meinem Wohn-
sitz entfernt, in Schleswig-Holstein, andere Vorausset-
zungen bestehen.
Auf jeden Fall wird es zusätzlichen Personalbedarf
im Bereich der Schiedsmänner und Schiedsfrauen ge-
ben. Ich glaube, daß als Schlichter vor allem Rechts-
anwältinnen und Rechtsanwälte in Frage kommen, in-
soweit könnte auf die Vorbildfunktion des Entwurfs
eines Landesausführungsgesetzes in Baden-Würt-
temberg hingewiesen werden.
Die Bundesjustizministerin hat bereits mehrfach den
großen Entwurf einer Justizreform angekündigt. Dabei
soll insbesondere der bisherige Instanzenweg in Frage
gestellt werden. Insoweit könnte der außergerichtlichen
Streitbeilegung vor Inanspruchnahme der Eingangs-
gerichte eine große Bedeutung zukommen. Wir sollten
daher auch in der Beratung in den Ausschüssen mit
überdenken, ob die außergerichtliche Streitbeilegung
nicht gemeinsam mit den Vorschlägen zur Justizreform
behandelt werden sollte.
Mit dem Gesetzentwurf zur Stärkung der Unabhän-
gigkeit der Richter und der Gerichte begegnet uns wie-
der ein alter Bekannter, nämlich das alte sozialdemokra-
tische Ziel der sogenannten Demokratisierung der Ge-
richte.
3836 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
(A) (C)
(B) (D)
Aber die Idee der Gleichwertigkeit aller Richterämter, die
ja hinter diesem Gesetzesantrag steht, verkennt, daß unter-
schiedliche Verantwortlichkeiten und unterschiedliche Be-
fugnisse letztlich auch mit unterschiedlichen Rechten und
Pflichten der betroffenen Richter einhergehen müssen. Wenn
man bedenkt, daß den Vorsitzenden Richtern künftig noch
zunehmend einige Aufgaben übertragen werden sollen, be-
steht zumindest kein sachliches Gebot für die Beschneidung
der Position der Vorsitzenden Richter. Aber auch bei diesem
Gesetzentwurf sieht die F.D.P. einen Zusammenhang zu den
Überlegungen der Justizreform. Eine tragende Überlegung
bei der Justizreform ist ja nun einmal die noch weitere Zu-
rückführung der Kammerentscheidung. Aus diesem Grunde
plädiere ich sehr dafür, diesen Gesetzentwurf zur Stärkung
der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte erst dann zu
beraten, wenn die Vorstellungen der Justizministerin zur Ju-
stizreform im Bundestag beraten werden.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Reform der
Präsidialverfassung der Gerichte sieht eine sogenannte
Richteröffentlichkeit vor und soll eine größere Transpa-
renz der Entscheidungen ermöglichen. Ich habe Zweifel,
ob dieses Ziel mit diesem Mittel erreicht wird.
Ich prophezeie, daß die Verstärkung der Richter-
öffentlichkeit letztlich dazu führt, daß die Entscheidun-
gen noch viel stärker als bisher in den von uns allen im-
mer wieder kritisierten Runden vorbereitet und letztlich
auch gefällt werden.
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
Eigentlich ist es eine Zumutung, über den vorliegenden Ge-
setzentwurf im Bundestag zu diskutieren, nachdem wir be-
reits im letzten Jahr die Frage der Entlastung der Gerichte
im Bundestag verabschiedet hatten, durch Uneinsichtigkeit
der damaligen Opposition, der SPD und der Grünen, ein
Inkrafttreten verhindert wurde und wir bereits am 28. Janu-
ar dieses Jahres den Gesetzentwurf so vorstellten, der ur-
sprünglich auch Ihre Zustimmung gefunden hat, mit Aus-
nahme der eigentlich vernünftigen Versuchsregelung, das
Handelsregister den Industrie- und Handelskammern zu
übertragen. Dies haben wir, weil wir die Mehrheiten ken-
nen, gestrichen, und trotzdem haben Sie uns vergeblich im
Januar diskutieren lassen mit der mehr als faulen Ausrede
– und ich darf Sie zitieren, lieber Kollege Hartenbach –:
„Wenn wir etwas tun, dann muß es eine Reform sein, die
aus einem Guß ist. Ich bin froh, daß Herr Pick darüber
nachher noch sprechen wird. Da kann ich mir weitere Aus-
führungen ersparen.“
Ich darf weiter zitieren: Herrn Staatssekretär Dr. Pick
auf eine Intervention von Herrn Geis:
Wissen Sie, Herr Geis, wir haben … die Chance –
auch im Konsens mit den Bundesländern –, tat-
sächlich in eine echte Reform einzusteigen. Des-
wegen werden wir in allen Schritten, die dieser Re-
form nicht zuwiderlaufen, sondern sie befördern
und ihr entsprechen, zustimmen.
Später fährt er fort:
Meine Damen und Herren, in der Koalitionsver-
einbarung ist festgelegt, daß wir eine umfassende
Justizreform mit den Aspekten der Dreistufigkeit,
von der ich bereits sprach, der Aufwertung der
einheitlichen Eingangsgerichte, der Reform der
Gerichte und Instanzen und der Vereinfachung und
Angleichung der Verfahrensordnungen durchset-
zen werden.
Dies waren alles Ankündigungen, um unseren ver-
nünftigen Gesetzentwurf zu Fall zu bringen, nun muten
Sie uns diesen mickrigen Gesetzentwurf zur Förderung
der außerordentlichen Streitbeilegung – sozusagen als
Vorgesetz – zu und alle anderen großen Reformvorha-
ben bleiben, mindestens vorläufig, auf der Strecke.
Sie haben es zu verantworten, daß die Gerichte nicht
schon längst durch außergerichtliche Verfahren entlastet
wurden, daß immer noch mindestens bei den Eingangs-
gerichten übermäßiger Arbeitsanfall für Richter und
Mitarbeiter der Gerichte besteht und die rechtsuchenden
und letztlich auch streitenden Bürger mit hohen Kosten
belastet werden.
Wir waren Ihnen im Januar weit entgegengekommen
und haben es als Arroganz der Macht empfunden, daß
sie unseren – ich darf wiederholen – vom Bundestag
verabschiedeten, von Ihnen mit Ausnahme der Register-
änderung akzeptierten Entwurf abgelehnt haben. Wir
haben überhaupt kein Verständnis dafür, daß wir nun
den Ländern und auch den Gerichten sowie den
Rechtsuchenden Brotkrümel vorwerfen sollen.
Es ist schon erstaunlich, lieber Kollege Hartenbach,
Sie verkündeten am 28. Januar 1999 – ich zitiere –: Wir
werden in den nächsten Tagen einen Gesetzentwurf in
das parlamentarische Verfahren einbringen, der den
Ländern das gibt, was sie dringend brauchen, nämlich
den Einstieg in die außergerichtliche Streitschlichtung
und haben für dieses Kleinstgesetz nicht Tage, sondern
fast fünf Monate gebraucht. Eine tolle Leistung! Wenn
ich daran denke, was alles noch zu erledigen ist und von
Ihnen angekündigt wurde, wird das wohl diese Legisla-
turperiode nichts mehr werden.
Was wir wollen, ist die letztes Jahr im Bundestag be-
schlossene Verabschiedung einer echten Justizreform – und
das schnell, ohne ideologische Scheuklappen. Diese ideo-
logische Scheuklappen haben das Justizministerium und
die Rechtsexperten in der SPD-Fraktion wohl gehabt, und
es hat ihnen die Sicht, zum Beispiel bei dem 630-Mark-
Gesetz und dem Gesetz über die Scheinselbständigkeit ge-
trübt. Denn sonst hätten solche schlampigen, Recht und
Ordnung mit Füßen tretende und vermutlich verfassungs-
widrige Gesetze nicht das Justizministerium passieren kön-
nen. Unsere Warnungen bei den Beratungen im Rechtsaus-
schuß wurden höhnisch zurückgewiesen. Ein Teil der
Wahlschlappen am letzten Sonntag – und es ist ja nicht nur
die Europawahl gewesen, sondern auch eine große Reihe
von Kommunalwahlen – ist auf diese schlampige und arro-
gante Behandlung zurückzuführen.
Verehrter Herr Hartenbach, in der Vergangenheit hatten
wir einen guten Ton und waren stolz darauf, daß wir im
Gegensatz zu anderen Ausschüssen ordentlich und fair mit-
einander umgingen. Das hat sich in den letzten Monaten
leider geändert, und ich bin der Meinung: Das muß wieder-
hergestellt werden. Der insbesondere auch beim Staatsbür-
gerrecht mehrfach geäußerte Satz ,,Ihr könnt machen, was
ihr wollt, wir haben die Mehrheit“ wurde von uns so in 16
Jahren nicht gebraucht. Wir haben mit Ihnen als Opposition
auch dann Gesetze besprochen, wenn wir wußten, daß Sie
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3837
(A) (C)
(B) (D)
sie aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Sie sollten
zu dieser fairen und fruchtbaren Zusammenarbeit zurück-
kehren und uns als Opposition rechtzeitig in die Gesetzes-
vorhaben mit einbeziehen, sonst können Sie nicht damit
rechnen, daß Sie unsere Unterstützung finden. Insbesonde-
re darf es nicht wieder vorkommen, wie mehrfach gesche-
hen, daß im Schweinsgalopp morgens Gesetze eingebracht
werden, die noch am gleichen Tag im Rechtsausschuß be-
handelt und abgeschlossen werden müssen.
Der Rechtsausschuß war eine solide Plattform recht-
lichen Wirkens – und das muß er wieder werden. Wir
schlagen daher vor, daß wir den am 28. Januar von uns
im Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf zusammen
mit ihrem heutigen Gesetzentwurf im Rechtsausschuß
behandeln und vernünftige, den Gerichten wirklich hel-
fende Ergebnisse zustande bringen. Wir sind dazu bereit,
aber nur dann, wenn wir gleichberechtigt und ernsthaft
mitarbeiten können.
Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Die Justiz ist bekannter-
maßen reformbedürftig. Mit Blick auf das zur Debatte
stehende GVG von 1871 kann man nur vermerken: „Die
Justiz der Gegenwart ist eine Justiz der Vergangenheit“.
Von daher begrüße ich jede Initiative, die hierarchische
Strukturen in der Gerichtsverfassung beseitigt und die
Unabhängigkeit der Richter im Interesse einer Demo-
kratisierung der Justiz stärkt. Das gilt auch für jeden Ge-
setzentwurf, der die Bürgerfreundlichkeit, Transparenz
und die Friedensfunktion von Recht und Justiz bewahrt
und fördert. Die PDS hat deshalb in der vergangenen
Wahlperiode den „Entwurf eines Gesetzes zur Demo-
kratisierung und Vereinfachung des Gerichtsverfas-
sungsgesetzes“ vorgelegt.
Es besteht insofern Einigkeit darüber, daß die über-
kommenen Strukturen des GVG in einer demokratischen
Reform der Gerichtsverfassung beseitigt werden müssen.
Die Stärkung der richterlichen Selbstverwaltung und die
Beseitigung von ungerechtfertigten Privilegien innerhalb
der Richterschaft gehen deshalb in die richtige Richtung.
An dem Gesetzentwurf ist jedoch nicht der Regelungsvor-
schlag, sondern die Aussparung wichtiger Regelungserfor-
dernisse zu kritisieren. Von einem Entwurf der Koalitions-
parteien zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter darf
man eigentlich mehr erwarten als „nur“ die Änderung der
Präsidialverfassung. Ich halte die Reform der geltenden
Präsidialverfassung nicht für die einzige oder vordringlich-
ste rechtspolitische Maßnahme hierbei. Die Reform der so-
genannten Richterkarriere wie auch der Besoldung ist
ebenso wichtig.
Der Gesetzentwurf zur Förderung der außergerichtli-
chen Streitbeilegung geht zwar in die richtig Richtung.
Er ist aber nur ein vorsichtiges Schrittchen dahin.
Zunächst: Ich unterstützte das rechtspolitische Bemü-
hen, den Weg für alternative und vor allem frühzeitige
Möglichkeiten der Konfliktbehandlung durch eine Expe-
rimentierklausel für die Länder zu öffnen. Dies tue ich
allerdings nicht vorrangig, um angesichts der sinkenden
Finanzkraft der öffentlichen Haushalte lediglich die Zahl
der Gerichtstverfahren zu senken. Der Filter „alternative
Verfahren“ muß – ohne die Kostenseite zu ignorieren –
in erster Linie einer bürgerfreundlichen, zugleich aber
auch qualifizierten Konfliktlösung dienen. Nur so ist auf
diesem Wege eine effektive Herstellung des Rechtsfrie-
dens möglich. Das Schlichtungsverfahren darf auf kei-
nen Fall zu einer uneffektiven Zwangsinstanz verkom-
men, die auf dem Weg zum gerichtlichen Verfahren pro
forma durchlaufen werden muß, weil die notwendige
juristische Sachkenntnis und damit auch Akzeptanz bei
den Rechtssuchenden fehlt.
Ich halte es auch für wichtig, daß die Initiativen zur au-
ßergerichtlichen Konfliktlösung möglichst früh ansetzen.
Ganz im Sinne von Radbruch, der „Rechtshygiene“ vor
„Rechtschirurgie“ plazierte, geht es doch zunächst um die
Vermeidung der Eskalation von Konflikten, das heißt um
ein breites Angebot zur rechtlichen Beratung und Aufklä-
rung. Die Einrichtung von sogenannten Bürgerinforma-
tions- und -beratungsstellen wäre hierfür sehr dienlich.
Grundsätzlich ist eine möglichst breite Palette von Verfah-
rensformen für Streitschlichtungen wünschenswert. Dabei
denke ich sowohl an evaluative Verfahren, bei denen es vor
allem um eine neutrale und sachverständige Bewertung
geht, z. B. bei Streitigkeiten über die Höhe von Sachschä-
den nach Verkehrsunfällen oder bei den so häufig vor-
kommenden Pauschalreisemängeln. Ich denke aber auch an
Kombinationen von evaluativen und konfliktregelnden
Verfahren wie sie z. B. im privaten Baurecht, dem Archi-
tekten- und Arzthaftungsrecht von Interesse sind, wo es um
eine sachverständige Feststellung und bzw. oder eine Eini-
gung geht.
Und auch außerhalb der streitigen Gerichtsbarkeit
könnten z. B. unproblematische Ehescheidungen behan-
delt werden. In einer Reihe von Staaten ist dies heute
selbstverständlich. Hier wäre eine wirkliche Erleichte-
rung für die Bürger und eine Entlastung der Justiz zu er-
zielen. Doch dies hat die Regierung offenbar nicht im
Blick.
Bedenken möchte ich auch hinsichtlich der Begren-
zung bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auf Ge-
genstandswerte bis 1 500,– DM anmelden. Allein der
Streitwert scheint mir kein geeignetes Kriterium. Auch
oder gerade manch wirtschaftlich bedeutsame Streitig-
keit kann für ein Schlichtungsverfahren besonders ge-
eignet sein. Und warum soll nicht den Gerichten die
Möglichkeit gegeben werden, Fälle, die für eine außer-
gerichtliche Schlichtung geeignet sind, mit Einverständ-
nis der Parteien an eine entsprechendes Schlichtungs-
stelle zu verweisen.
Es bleiben bei den vorliegenden Entwürfen viele Fra-
gen und Wünsche offene, die im Interesse der Rechtssu-
chenden noch gelöst werden müssen.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zu dem Antrag der Fraktion PDS: Einführung
einer Steuer auf spekulative Devisenumsätze
(Tobin-Steuer) (Tagesordnungspunkt 13)
Detlev von Larcher (SPD): Vor gut einem Jahr haben
wir hier schon einmal Anträge zur sogenannten Tobin-
Steuer auf Devisentransaktionen beraten. Damals habe
ich darauf hingewiesen, daß der Dollar 1995 einen Tief-
3838 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
(A) (C)
(B) (D)
stand von 1,35 DM erreicht hatte und seitdem 35 Pro-
zent – auf 1,82 DM – an Wert gewonnen hatte. Heute
steht der Dollar nur 3 Prozent höher – von einer drama-
tischen Schwäche des Euro kann ich daher nichts erken-
nen. Dennoch haben die letzten Jahre gezeigt, daß die
Entwicklung der Wechselkurse der realwirtschaftlichen
Entwicklung nur bedingt folgt und deshalb Maßnahmen
ergriffen werden müssen, damit es nicht zu einer weite-
ren Entkoppelung mit all ihren negativen Auswirkungen
kommt. Nur noch 1 bis 2 Prozent der Umsätze auf den
internationalen Devisenmärkten entfallen auf die Ab-
wicklung des internationalen Handels. Mit anderen
Worten: Die Realwirtschaft steht auf den Devisenmärk-
ten einer hundertfachen Übermacht der Spekulation, der
Absicherungsgeschäfte und des Geldhandels gegenüber.
Ginge es dabei nur um einen Casino-Kapitalismus, dann
müßte uns dieses Thema nicht weiter beschäftigen. Aber
Spekulation ist mehr als ein Glücksspiel unter Finanz-
marktakteuren, Spekulation ist mehr als der Kampf zwi-
schen Reichen und Superreichen um ein möglichst gro-
ßes Stück von einem Kuchen.
Immer deutlicher werden die negativen Rückwirkun-
gen der Devisenspekulation auf die realwirtschaftlichen
Prozesse. Diejenigen, die angesichts der Krise in Süd-
ostasien nur geringe Wachstumseinbußen – von etwa
0,2 Prozent – für Europa vorhergesagt haben, haben sich
leider geirrt. Sie haben sich auch geirrt bei der Beurtei-
lung der Frage, wann die Krisenregion wieder in eine
Aufschwungphase eintritt. Wir sehen heute, daß die Zer-
störungskraft der Devisenspekulation die Entwicklung
der gesamten Weltwirtschaft empfindlich stören kann.
Die Devisenspekulation beeinträchtigt die realwirt-
schaftliche Entwicklung auf mehreren Ebenen:
Im Außenhandel können Preise nicht mehr sicher
kalkuliert werden. Die Absicherung gegen Kursrisiken
führt zu zusätzlichen Kosten, z.B. für Optionen, und be-
hindert damit den Welthandel.
Die Verteidigung der Wechselkurse gegen spekula-
tive Attacken durch die Notenbanken durch kurzfristige
Interventionen und durch geldpolitische Maßnahmen
verursacht erhebliche volkswirtschaftliche Kosten.
Die Stillegung von Produktionskapazitäten in Län-
dern mit überbewerteter Währung vollzieht sich in der
Regel schneller als umgekehrt der Produktionsanstieg
bei Unterbewertung. Das Auf und Ab der Währungen
führt damit zu einer Vernichtung produktiver Ressour-
cen.
Nicht zuletzt führen die Unsicherheiten an den Devi-
senmärkten auch zu einer nachteiligen Disziplinierung
der Wirtschafts-, Finanz-, Geld- und Lohnpolitik. Immer
mehr Länder beteiligen sich an einem überzogenen und
schädlichen realwirtschaftlichen Abwertungswettlauf,
um die Gefahr spekulativer Währungsabwertungen mit
all ihren destabilisierenden Folgen zu verringern.
Letztlich handelt es sich bei allen genannten Wegen
der Beeinträchtigung der Realwirtschaft auch um eine
Umverteilung von Einkommen aus dem produktiven
realwirtschaftlichen Sektor in den Bereich der Finanz-
märkte. Und genau hier liegt das zentrale Problem. Inve-
stitionen in Sachkapital haben im Zuge der Deregulie-
rung der internationalen Finanzmärkte gegenüber kurz-
fristigen Geldanlagemöglichkeiten immer mehr an At-
traktivität verloren. Das ist auch ein Grund für die nach
wie vor zu geringen Sachinvestitionen und damit ein
entscheidender Faktor für die nach wie vor zu hohe Ar-
beitslosigkeit.
Deshalb gibt es gute Gründe, über Instrumente nach-
zudenken, die die Spekulation eindämmen und eine
Glättung der Kursschwankungen am Devisenmarkt be-
wirken können. Der Vorschlag einer Tobin-Steuer, also
einer Steuer auf Devisenumsätze, kann dazu durchaus
beitragen. Die große Anzahl der Transaktionen, die auf
die Mitnahme geringster Zinsdifferenzen und Kursge-
winne gerichtet ist, könnte damit uninteressant werden.
Das heißt allerdings nicht, daß damit jeglicher Devisen-
spekulation der Boden entzogen würde. Großangelegte
Attacken auf einzelne Währungen, wie etwa 1992 auf
die italienische Lira und das Pfund Sterling mit der Fol-
ge des Ausstiegs aus dem Europäischen Währungs-
system, hätten sich für ihren Initiator trotz einer Tobin-
Steuer gelohnt.
Deshalb ist die Tobin-Steuer allein mit der Vermei-
dung von spekulationsbedingten Finanzkrisen überfor-
dert. Eine Besteuerung von Devisentransaktionen wäre
eher das I-Tüpfelchen auf einer umfassenderen Reform
des Weltfinanzsystems. Eine solche Reform muß ver-
bindliche Standards etwa für die Eigenkapitalausstattung
von Finanzinstitutionen festlegen und mehr Transparenz
und damit bessere Kontrollmöglichkeiten schaffen. Da-
mit können das Risiko von Finanzkrisen und die Mög-
lichkeit, daraus spekulativ Profit zu ziehen, von vorn-
herein verringert werden. Die Bundesregierung hat im
Rahmen der G 7 Initiativen hierfür ergriffen.
Sie hat sich auch – was mir besonders wichtig ist –
für ein Krisenmanagement eingesetzt, das auch den Pri-
vatsektor einbezieht. Es kann ja nicht sein, daß private
Investoren hohe Gewinne für von vornherein riskante
Geschäfte erzielen und im Krisenfall aus öffentlichen
Geldern bedient werden. In ihrem Bericht an den Kölner
Gipfel werden die G 7-Finanzminister hierzu ausführlich
Stellung nehmen.
Die deutsche EU-Präsidentschaft geht in zwei Wochen
zu Ende. Sie, Kolleginnen und Kollegen von der PDS,
mögen bedauern, daß die Bundesregierung die Tobin-
Steuer in den letzten Monaten nicht so forciert hat, wie Sie
dies in ihrem Antrag fordern. Aber diese Forderung ist auf
einen Show-Effekt gerichtet, nicht auf eine sinnvolle Stra-
tegie. Die sinnvolle Strategie der Bundesregierung, die die
volle Unterstützung der SPD-Fraktion findet, besteht darin,
zunächst den Ursachen von Finanzkrisen vorzubeugen, in-
dem die Transparenz und Funktionsfähigkeit der Finanz-
märkte verbessert werden. Das schließt nicht aus, daß auch
die vorgeschlagene Einführung einer Tobin-Steuer ein
sinnvolles Instrument sein kann. Sie kann dies aber nur
dann sein, wenn wir einen möglichst lückenlosen weltwei-
ten Konsens darüber erzielen. Mit Schnellschüssen, wie in
dem vorliegenden Antrag gefordert, werden wir dies nicht
erreichen.
Otto Bernhardt (CDU/CSU): In dem vorliegenden An-
trag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, im
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3839
(A) (C)
(B) (D)
Rahmen ihrer Präsidentschaft innerhalb der EU das Thema
einer Devisen-Umsatzsteuer kurzfristig auf die Tagesord-
nung des Ecofin-Rates zu setzen und eine Regierungskon-
ferenz anzuregen, die einen Vertrag zur Einführung einer
international einheitlichen Devisen-Umsatzsteuer erarbei-
ten soll. Schließlich wird in dem PDS-Antrag die Bundes-
regierung aufgefordert, sich für eine bestimmte Ausgestal-
tung dieses Vertrages einzusetzen.
Die Idee einer Devisen-Umsatzsteuer wurde erstma-
lig im Jahre 1972 von dem amerikanischen Wirtschafts-
wissenschaftler und Nobelpreisträger James Tobin in die
Diskussion gebracht. Er forderte eine einheitliche inter-
nationale Steuer auf alle Transaktionen, die einen sofor-
tigen Devisenaustausch zur Folge haben (sogenannte
Kassa-Geschäfte). Ziel dieser Steuer sollte es sein, den
Handel mit Währungen zu verteuern, um so die Speku-
lation abzuschrecken. Der Erfinder dieser nach ihm be-
nannte Steuer begründete seine Idee mit der Aussage:
„Das internationale Finanzsystem braucht etwas Sand
im Getriebe.“
Es gibt heute keinen ernst zu nehmenden Fachmann
aus der Wirtschaftswissenschaft oder der wirtschaftli-
chen Praxis, der für die Tobin-Steuer eintritt. Auch der
Erfinder selber hat sich inzwischen weitgehend davon
distanziert. Unter Politikern hat diese Steuer aber einige
Popularität erlangt. Immer, wenn es zu großen Schwan-
kungen auf den Finanzmärkten kommt, gibt es Forde-
rungen, der Spekulation durch eine gezielte Steuer zu
begegnen. Populär sind solche Forderungen sicher.
Ich will im folgenden aufzeigen, warum die Tobin-
Steuer kein geeigneter Weg ist, um die Devisenspekula-
tion zu beschränken, geschweige denn zu verhindern.
Das internationale Finanzsystem gewinnt durch die Glo-
balisierung ständig weiter an Größe und Komplexität. Unbe-
stritten ist, daß die Zahl der Devisengeschäfte in letzter Zeit
zugenommen hat. Ausschlaggebend für die starke Expansion
des Umsatzvolumens an den internationalen Finanzmärkten
waren und sind die Internationalisierung von Unternehmun-
gen, die Integration von Ländern, die bisher keinen Zugang
zu den internationalen Finanzmärkten hatten, die weltweite
Liberalisierung nationaler Finanzmärkte, die Erleichterung
des Marktzutritts sowie Fortschritte in der Informationstech-
nologie. Dadurch sind aber auch umgekehrt die Abhängig-
keiten zwischen den Märkten und den Marktteilnehmern ge-
stiegen: eine Störung in einem Land oder in einer Region
wirkt sich schneller auf die gesamte Weltwirtschaft aus, als
dies früher der Fall war. Beispiele dafür sind die Krisen in
Asien, Mexiko und Lateinamerika. In dieser Interdependenz
zwischen den Märkten liegt bekanntlich der wesentliche
Unterschied zu den Gütermärkten.
Auf der einen Seite darf nicht vergessen werden:
Grundsätzlich sind Devisentransaktionen nicht schäd-
lich, sondern nützlich. Sie fallen im Rahmen völlig nor-
maler Handelsgeschäfte an. Sie erlauben es Unterneh-
men, sich gegen Risiken, insbesondere Wechselkursrisi-
ken, abzusichern, und sie ermöglichen es durch das
Ausnutzen von Arbitrage, Differenzen in den nationalen
Finanzmärkten zum Beispiel bei den Zinsen zu glätten.
Bereits in der letzten Legislaturperiode hat sich der
Bundestag auf Grund von Anträgen der Grünen und der
PDS mit der Einführung der sogenannte Tobin-Steuer
beschäftigt. Bereits damals, Anfang 1998, wurden beide
Initiativen insbesondere mit der Begründung, daß dies
lediglich an den Symptomen und nicht an den Ursachen
währungspolitischer Fehlentwicklungen wie verfehlte
Zinspolitik, verfehlte Stabilitätspolitik und überzogene
Verschuldungspolitik in den jeweiligen Ländern ansetzt,
von der damaligen Regierungskoalition, das heißt von
den Unionsparteien und der F.D.P., aber auch von den
Sozialdemokraten abgelehnt.
Eine Steuer auf Devisen-Transaktionen kann aus ei-
ner falschen Politik keine richtige machen. Die Asien-
Krise hätte durch eine solche Steuer nicht verhindert
werden können. Ursache dieser Krise war nicht die
Währungsspekulation, sondern die falsche Wirtschafts-
politik in den Krisenstaaten.
Übrigens: Das, was wir zur Zeit an den Devisen-
märkten, bezogen auf den Euro erleben, hat auch nichts
mit Spekulation, sondern mit falscher Wirtschafts- und
Finanzpolitik zu tun, und zwar nicht zuletzt in der Bun-
desrepublik Deutschland. Während Deutschland als
stärkster Staat innerhalb der EU über einen langen Zeit-
raum ein Stabilitäts- und Wachstumshort für die gesamte
EU war, wird Deutschland zunehmend ein schwaches
Glied in der EU-Kette. Der Hinweis, daß wir mit Italien
im Wirtschaftswachstum inzwischen auf dem letzten
Platz innerhalb der EU liegen, unterstreicht dies. Dies
meint auch die weltweit angesehene Finanzzeitschrift
„The Economist“ in ihrer Ausgabe vom 5. Juni 1999.
Ich zitiere: „Die bedeutendste Wirtschaft im Euro-Raum
ist auf einem schlechten Weg, und ihre Krankheiten sind
ein Hauptgrund für die Schwäche des Euro.“
Doch zurück zur Tobin-Steuer. Die Fähigkeit dieser
Steuer, Devisenspekulationen einzuschränken, ist nach
Einschätzung der wirtschaftswissenschaftlichen For-
schung sehr begrenzt. Bei niedrigem Steuersatz werden
nur Spekulationen auf kleinere Abweichungen des ent-
sprechenden Wechselkurses verringert, diese stellen al-
lerdings keine Stabilitätsprobleme dar. Die Tobin-Steuer
verliert ihre Durchschlagskraft, wenn deutliche Kursän-
derungen erfolgen, da dann die Spekulation profitabel
bleibt. Gravierende Wechselkurs- und Zinsänderungen
sind schon bei geringeren Umsätzen möglich, die durch
eine Tobin-Steuer nicht verhindert werden können.
Der Wirkungsmechanismus dieser Steuer wird häufig
falsch eingeschätzt. Gegen hohe kurzfristige Spekula-
tionswellen ist die Tobin-Steuer wirkungslos. Sie würde
aber die längerfristigen, durch Warenhandel begründe-
ten Devisentransaktionen, die sie eigentlich schützen
möchte, über Gebühr verteuern und unter Umständen
verhindern. Sie beeinträchtigt somit das Wirtschafts-
wachstum des Landes. Sie wirkt also letztendlich kon-
traproduktiv und steht der beabsichtigten Wirkung,
nämlich den geschädigten Ländern finanziell zu helfen,
entgegen.
Hinzu kommen drei weitere sehr kritische Punkte:
Erstens. Unterscheidung zwischen nützlichen und
schädlichen Devisenumsätzen ist nicht möglich. Was
immer man auch unter spekulativen Devisenumsätzen
oder schädlichen Devisenspekulationen verstehen mag,
3840 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
(A) (C)
(B) (D)
sie sind nicht von „nichtspekulativen“ oder „nützlichen
Devisentransaktionen“ oder Devisenumsätzen zu unter-
scheiden. Jeder, der sich intensiver mit dieser Problema-
tik beschäftigt hat, wird mir Recht geben, daß es keine
objektiven Kriterien für eine Trennung von nichtspeku-
lativen Devisenumsätzen gibt.
Zweitens. Alle müßten mitmachen. Im PDS-Antrag
wird die Bundesregierung aufgefordert, die sogenannten
G-7-Staaten, Singapur, die Schweiz, China/Honkong,
Australien und weitere interessierte Staaten, womit of-
fensichtlich auch alle übrigen EU-Länder gemeint sind,
zu der gewünschten Regierungskonferenz einzuladen.
Mit dieser Teilnehmergruppe würden etwa 98 Prozent
der durchschnittlichen täglichen Devisenumsätze – so-
weit sie von der Bank für internationalen Zahlungsver-
kehr erfaßt werden – einbezogen sein.
Nichts spricht dafür, daß auch nur einige der ge-
nannten Staaten einer solchen Steuer zustimmen wür-
den, geschweige denn die Mehrheit oder gar alle. Aber
selbst dann würde die Gefahr bestehen, daß sogenannte
Steueroasen entstehen, zu denen der Devisenhandel ab-
wandern würde. Das Nachsehen hätten die Staaten, die
eine solche Steuer einführen würden. Der Tatbestand,
daß es völlig unrealistisch ist, weltweit eine solche Steu-
er einzuführen, hat den Erfinder der Steuer, Herrn To-
bin, bewogen, seine eigene Idee letztlich als nicht durch-
setzbar zu bezeichnen.
Drittens. Eine Tobin-Steuer würde zu einer erhebli-
chen neuen Bürokratie im nationalen und internationalen
Bereich führen. Ein großer Teil der möglicherweise zu
erwartenden Einnahmen würde durch den Erhebungs-
aufwand verbraucht.
Im übrigen kann die Tendenz für die Zukunft nicht
sein, immer neue Steuern zu entwickeln, sondern eher
die Frage zu stellen, auf welche Steuern man zukünftig
verzichten kann.
Noch ein Wort zum Aufkommen und zur Verwen-
dung der beantragten Steuer. Als Aufgaben werden ins-
besondere die Förderung von Entwicklungsmaßnahmen,
die Finanzierung von Umweltmaßnahmen, die Ent-
schuldung von Entwicklungsländern und die Schaffung
eines Stabilitätsfonds für mögliche Währungskrisen ge-
nannt.
Im März 1995 im Rahmen des Weltsozialgipfels in
Kopenhagen wurden im Zusammenhang mit der Tobin-
Steuer weltweite Steuereinnahmen in einer Größenord-
nung von 500 Milliarden US-Dollar genannt bei An-
nahme eines Steuersatzes von 1 Prozent. Diese Zahlen
entbehren jedoch jeder Grundlage. Der vorliegende An-
trag geht von einem Steuersatz von 0,25 Prozent aus.
Bezogen auf die in Kopenhagen genannten Zahlen wür-
de es somit um Bruttoeinnahmen von über 100 Milliar-
den US-Dollar gehen. In Wirklichkeit dürften keine
nennenswerten Steuereinnahmen zu erwarten sein. Ich
verweise auf meine bisherigen Ausführungen: Ein gro-
ßer Teil des Devisenhandels würde in Steueroasen ab-
wandern.
Ich komme zum Schluß und fasse einige wesentliche
Argumente noch einmal zusammen: Das internationale
Finanzsystem gewinnt durch die Globalisierung ständig
an Bedeutung und die Devisengeschäfte haben in letzter
Zeit überproportional zugenommen. Eine Relation mag
dies verdeutlichen. In den letzten Jahren haben sich die
Devisenumsätze fast doppelt so stark erhöht wie das
Wachstum des Welthandels. Währungskrisen können
einen verheerenden Einfluß auf die wirtschaftliche Ent-
wicklung einzelner Staaten, ganzer Regionen, ja der ge-
samten Weltwirtschaft haben. Die Tobin-Steuer ist aber
kein geeigneter Beitrag, um diese Probleme zu verrin-
gern oder gar zu beseitigen. Was wir brauchen, ist eine
bessere Zusammenarbeit des internationalen Währungs-
fonds mit der Bank für internationalen Zahlungsaus-
gleich und der Weltbank, insbesondere aber eine Stabi-
litätspolitik in den starken Volkswirtschaften. Hier liegt
unsere gemeinsame Aufgabe auch im Deutschen Bun-
destag.
Wir sollten unsere Kraft nicht in Instrumente wie die
Tobin-Steuer investieren, die keine Chance haben,
weltweit eingeführt zu werden, sondern in eine solide
Wirtschafts- und Finanzpolitik für die Bundesrepublik
Deutschland. Damit stärken wir die Europäische Union
und leisten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der
Weltwirtschaft.
Klaus Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Im Bundestags-Wahlprogramm sprechen sich BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN für eine ökologisch-solidarische
Weltwirtschaftsordnung aus. In der Analyse dessen, was
entfesselte Kapitalmärkte und Finanzmärkte für die
Weltwirtschaft bedeuten, stimme ich durchaus mit eini-
gen Passagen Ihres Antrages überein, sehr geehrte Frau
Dr. Höll.
Voraussetzungen für eine Weltwirtschaft, die der
nachhaltigen Entwicklung nicht entgegensteht, ist ein
funktionierendes und stabiles internationales Geldsy-
stem. Die internationalen Finanzmärkte entwickeln sich
zu einem globalen und wirtschaftlichen Risiko. Über
1 Billion US-Dollar werden täglich in Devisengeschäften
umgesetzt. Dem stehen nur in ca. 2 Prozent der Fälle reale
Geschäfte mit Gütern und Dienstleistungen entgegen.
Die spekulativen Operationen an den internationalen
Finanzmärkten treten immer mehr an die Stelle mögli-
cher Investitionen. Es entstehen Risiken, denen keine
ausreichenden Sicherheiten gegenüberstehen. Die real-
wirtschaftliche Entwicklung wird dabei beeinträchtigt.
In den 15 Jahren von 1979 bis 1994 ist der Umsatz an
den Devisenmärkten um etwa das 80fache gestiegen. Im
gleichen Zeitraum hat sich der Welthandel um das
Zweieinhalbfache erhöht. Vor allem die Kurzfristanla-
gen sind dramatisch angestiegen. 80 Prozent der Finanz-
geschäfte haben eine Laufzeit von weniger als sieben
Tagen. Die Hälfte davon wiederum hat eine Laufzeit
von max. 48 Stunden. Hier herrschen überwiegend spe-
kulative und kurzfristige Motive. An den Aktien-, Ren-
ten- und Devisenmärkten werden Währungen gehandelt
wie „Bananen“. Die Beschränkung des kurzfristigen
Kapitalverkehrs könnte gerade schwächere Währungen
schützen.
Die Krise in Ostasien, die sich bis nach Lateinameri-
ka ausbreitet, hat auf schonungslose Weise die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3841
(A) (C)
(B) (D)
Schwachstellen des internationalen Finanzsystems of-
fengelegt. So purzelten nicht nur Aktien- und Devisen-
kurse. Auch die unumstößlichen Prediger marktwirt-
schaftlicher Glaubenssätze sind ins Wanken geraten.
Sogar Herr Tietmeyer äußerte Verständnis für Schwel-
lenländer, die unter dramatischen Umständen den Kapi-
talverkehr zu bremsen versuchten. Nur wenn es auf in-
ternationaler und nationaler Ebene zu durchgreifenden
Veränderungen kommt, kann das Risiko künftiger Fi-
nanzkrisen eingedämmt werden.
Eines der wichtigsten Voraussetzungen für funktionie-
rende Märkte ist eine solide Informationsgrundlage. Der
IWF selbst hat die Krise nicht rechtzeitig erkannt, ge-
schweige denn verhindert. Deshalb müssen zusätzliche In-
formationssysteme auf internationaler Ebene eingezogen
werden. Zu prüfen ist, auf welcher Ebene und durch welche
Organisationseinheiten umfassende Informationen über das
Weltfinanzsystem besser und verbindlicher bereitgestellt
werden können. Das „Forum für Finanzstabilität“, das vor
wenigen Wochen von den G-7-Staaten auf dem Petersberg
beschlossen wurde, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Herr Tietmeyer, Initiator dieses Beschlusses, spricht sich
dafür aus, daß bekannt wird, „wie verschuldet eigentlich
die Länder sind, wie verschuldet die großen Firmen sind,
wie engagiert die Banken sind“. Auf alle Fälle ist ein früh-
zeitigeres Einbeziehen von Schwellen- und Entwicklungs-
ländern sinnvoll.
Auch führende Rating-Agenturen haben sich in der
asiatischen Finanzkrise gründlich blamiert. Sie haben
asiatische Schuldtitel zur Anlage empfohlen, als die pre-
käre Situation sich bereits offen abzeichnete. Kurzfristig
mußten sie die Anlagen auf das Niveau von hochspeku-
lativen „Junk-Bonds“ herabstufen.
Auch Bündnis 90/Die Grünen hat in der letzten Le-
gislaturperiode die Einführung einer Tobin-Steuer ge-
fordert. Viele werden sich sicher daran erinnern, denn
die abschließende Beratung des Antrages liegt gerade
mal ein Jahr zurück. Parallel zu unserem Antrag wurde
auch ein entsprechender Antrag der PDS beraten. Es ist
der gleiche, der uns heute vorliegt. Schon vor einem Jahr
konnten wir aber Ihren Vorschlag nicht unterstützen. Ich
möchte diese Haltung hier noch einmal verdeutlichen.
Scheinbar hat mein Fraktionskollege und unser damali-
ger Redner, der heutige Staatsminister im Auswärtigen
Amt, Ludger Vollmer, Sie vor einem Jahr nicht über-
zeugen können.
Grundsätzlich unterstützen wir den Gedanken einer
Tobin-Steuer. Durch eine Devisensteuer kurzfristige Ge-
schäfte so zu versteuern, daß sich Kurzfristspekulationen
nicht mehr lohnen, halten wir immer noch für einen gu-
ten und auch notwendigen Ansatz. Damit diese Steuer
aber Ihren Sinn nicht verfehlt, muß sie, und das ist für
uns eine wichtige Bedingung, zum verbindlichen Mit-
gliedskriterium des IWF gemacht werden.
Sie beschränken aber ihre Forderungen nur auf
„Staaten, die den Vertrag ratifizieren“. Ich nehme an,
daß Sie damit die Durchsetzbarkeit der Steuer erhöhen
wollen. Das finde ich ein edles Anliegen, denn hieran
wird die Umsetzung einer Tobin-Steuer am ehesten
scheitern: dem supranationalen Konsens.
Allerdings wird dieser Schuß nach hinten los gehen.
Die Tobin-Steuer verfehlt ihren Zweck, wenn sie nicht
flächendeckend – zumindest in den IWF-Mitgliedstaaten
– durchgesetzt wird. Gerade in Ihrer Problembeschrei-
bung streichen Sie doch die hohe Reagibilität im Fi-
nanzsektor heraus. Gleichzeitig wollen Sie auf der ande-
ren Seite Eingriffsmöglichkeiten des IWF stärken, um
auf diese Weise regionale Umgehung zu unterbinden.
An dieser Stelle überschätzen Sie meines Erachtens die
Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten des IWF erheb-
lich. Die Befugnis, in nationale Zuständigkeiten einzu-
greifen, greifen nicht so weit, wie Sie sich das vorstel-
len.
Ein weiterer kritischer Punkt findet sich unter der
Unterschrift „Ausnahmen“. Sie wollen nicht nur regio-
nale, sondern auch andere Ausnahmeregelungen: „Die
Besteuerung soll den internationalen Austausch von
Gütern- und Dienstleistungen nicht beeinträchtigen“.
Auch hier verstehe ich Ihre inhaltliche Motivation, die
Realwirtschaft nicht zu beeinträchtigen. Aber was heißt
diese nebulöse Forderung? Wollen Sie Güter und
Dienstleistungen jetzt ausnehmen oder nicht? Und wenn
ja – was sich aus dem Aufbau Ihres Antrages ergeben
würde –, wie wollen Sie da Unterscheidungen treffen?
Eine Abgrenzung scheint kaum durchsetzbar. So öffnen
Sie doch nur neuer Umgehung einer solchen Steuer Tür
und Tor.
Der dritte Grund, Ihren Antrag nicht zu unterstützen,
ist die Form: Sie wollen, daß die Bundesregierung das
Thema kurzfristig auf die Tagesordnung des Ecofin-
Rates setzen möge und sich für Ihren Vorschlag einset-
zen möge. Die nächste Sitzung des Ecofin-Rates
findet am 12. Juli statt. Es ist völlig illusorisch, daß bis
dahin auf den verschiedenen EU-Ebenen und auf Bot-
schafter-Ebene diese Initiative angemessen vorbereitet
werden kann.
Zudem ist Ihr Vorschlag leider als Grundlage für in-
ternationale Verhandlungen nicht zu gebrauchen. Ihr
Antrag liest sich vielmehr wie das Ergebnis einer sol-
chen Verhandlung: Dort eine Ausnahme, hier eine wei-
che Formulierung, und am deutlichsten wird dies an der
Aufteilung des Steueraufkommens: Das klingt nicht
nach politischem Konzept, sondern nach dem Ergebnis
zäher Verhandlungen: Das Bruttosteueraufkommen ab-
züglich der Erhebungs- und Kontrollkosten, die sich
nach Sockel und Anteil bemessen ergeben, das Netto-
einkommen, das nach den verschiedensten Quoten an
die Mitgliedsländer, drei verschiedene Fonds und – da-
mit nicht genug – auf die entstehenden Kosten bei den
internationalen Ergebnissen aufgeteilt wird.
Wir halten insgesamt das Projekt Tobin-Steuer aber
für sinnvoll, wenn auch die Einführung einen langen
Atem brauchen wird. Eine solche Steuer sollte aber nicht
als Ersatz für umfassende Reformen der Institutionen
gesehen werden.
Gisela Frick (F.D.P.): Die PDS wiederholt auch in
dieser Legislaturperiode ihren Antrag der 13. Legisla-
turperiode auf Einführung einer Steuer auf spekulative
Devisenumsätze (Tobin-Steuer). Es wird Sie sicher nicht
verwundern, daß ich für die F.D.P.-Fraktion, genau wie
3842 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
(A) (C)
(B) (D)
in der letzten Legislaturperiode, diesen Antrag der PDS
ablehne. Die Gründe für die Einführung der sogenannten
Tobin-Steuer sind nicht überzeugend. Ganz im Gegen-
teil, es gibt aus Sicht der F.D.P. nur Gründe, die gegen
eine Einführung dieser Steuer sprechen.
Zunächst einmal würde es sich bei Einführung der
Tobin-Steuer um die Einführung einer gänzlich neuen
Steuer handeln. Die Einführung einer neuen Steuer ist
aber das Letzte, was wir im Augenblick brauchen kön-
nen. Das Gebot der Stunde lautet: „Wir müssen die
Steuerbelastung senken und das Steuerrecht vereinfa-
chen.“ Das heißt aber nicht nur: „Weg mit steuerlichen
Vergünstigungen und Sondertatbeständen“, sondern
auch „weg mit vielen Steuerarten und besonders weg
mit den Bagatellsteuern“. Wir haben in der vergangenen
Legislaturperiode – als wir noch Regierungsverantwor-
tung trugen – damit schon recht erfolgreich begonnen:
Wegfall der Vermögensteuer, Abschaffung der Gewer-
bekapitalsteuer sowie Absenkung des Solidaritätszu-
schlages. Die Liberalen halten auch nach wie vor die
Abschaffung der Gewerbeertragsteuer und des Solidari-
tätszuschlages für die richtige Lösung. Eine neue Steuer
ist deshalb mit uns nicht zu machen.
Im übrigen ist vor dem Hintergrund der Globalisie-
rung der Finanzmärkte mit einer nationalen Steuer nichts
zu erreichen. Die PDS sagt in der Begründung ihres
Antrages ausdrücklich: „Nach einer langen Periode der
monetaristischen Deregulierung muß einer Politik mit
ökonomischer und sozialer Prägung global Geltung ver-
schafft werden. Gerade die globale Einführung einer
Steuer auf spekulative Devisenumsätze wird aber nicht
gelingen. Eine weltweite Einführung dieser Steuer ist
deshalb absolut unrealistisch. Wir bauen internationale
Handelsschranken ab und liberalisieren die Weltmärkte.
Wir haben zu Beginn dieses Jahres die Währungsunion
für Europa verwirklicht. Internationales Kapital sucht
sich seinen Weg. Es fließt dorthin, wo die günstigsten
Rahmenbedingungen herrschen.
Weiterhin ist zu bedenken, daß die wachsenden
Finanzmärkte auch große Bedeutung für den Arbeits-
markt haben. Da die Arbeitsplatzproblematik für die
Politik absolute Priorität besitzen muß, ist dieses Argu-
ment besonders durchschlagend. Von den rund 750 000
Beschäftigten im deutschen Sparkassen- und Bankge-
werbe sind rund 23 800 in Derivategeschäft einschließ-
lich Devisenhandel tätig. Daneben sind nach Schätzun-
gen noch ca. 60 Prozent (also rund 14 100) zusätzlich
mit Zuarbeiten, wie beispielsweise mathematische
Dienstleistungen, Produktentwicklung, Länder- und
Konkurrenzbeobachtung u. ä. im Bankenbereich selbst
beschäftigt. Zusammen ergibt das 37 900 Beschäftigte,
also schon mehr als 5 Prozent der Gesamtbeschäftigten
im deutschen Sparkassen- und Bankgewerbe. Dieser Be-
schäftigungskreis wächst sehr schnell und bietet deshalb
zukunftssichere Arbeitsplätze.
Die Entwicklung dieser Bankgeschäfte ist eng ver-
knüpft mit der Entwicklung von Soft- und Hardware für
die speziell erforderliche Informationstechnologie (IT)
sowie für die Mathematisierung des Bankgeschäftes.
Dieser Tätigkeitsbereich ist aber nur zum Teil in den
Banken selbst organisiert. Zu einem überwiegenden Teil
außerhalb der Banken, oft in „Garagenunternehmen der
Turnschuhgeneration“ und in Universitätsnähe. Die Zahl
derer, die in diesen „Bastelunternehmen“ oder auch in
den großen IT-Firmen für die speziellen Bankbelange
arbeiten, ist nicht abzuschätzen. Die Zahl dürfte aber
recht eindrucksvoll sein.
Ursache vieler Finanz- bzw. Bankkrisen waren und
sind: eine verfehlte nationale Wirtschaftspolitik und eine
schwache Bankenaufsicht. Deshalb ist der richtige Weg,
Fehlentwicklungen im Devisengeschäft möglichst zu
verhindern, eine starke und gut funktionierende Banken-
aufsicht. Den von den internationalen Bankenaufsichts-
behörden (Basler Ausschuß) entwickelten „Grundsätzen
für eine wirksame Bankenaufsicht“ haben die Zentral-
bankpräsidenten der Zehnergruppe auf der letzten Welt-
bank-/Internationalen Währungsfonds-Tagung zuge-
stimmt. Diese Grundsätze verbindlich weltweit einzu-
setzen und schnell einzuhalten, stellt den richtigen Weg
dar. Vor allem müssen sie in den vielen Staaten mit
Finanz- und Bankproblemen Praxis werden. Weltbank-
wie IWF-Hilfen müssen von der Einhaltung dieser
Grundsätze abhängig gemacht werden. Wir haben in der
letzten Legislaturperiode mit dem 3. Finanzmarktförde-
rungsgesetz bereits einen wichtigen Schritt in die rich-
tige Richtung getan und hoffen, daß in dieser Legis-
laturperiode das 4. Finanzmarktförderungsgesetz – wie
in einer Entschließung des Finanzausschusses in der
letzten Legislaturperiode bereits festgelegt – folgen
wird. Vernünftiger Anlegerschutz und eine funktionie-
rende Marktaufsicht sind die besten Mittel, um Störun-
gen im Devisengeschäft weitestgehend zu verhindern.
Die PDS sollte sich besser an den Erfinder dieser
Steuer, James Tobin, den amerikanischen Wirtschafts-
Nobelpreisträger von 1981, halten, der später von sei-
nem eigenen Vorschlag abgerückt ist und nach eigenen
Angaben einen Stein ins Wasser geworfen und damit
viele Wellen verursacht hat. Tobin selbst hoffte, daß das
Wasser sehr tief ist, so daß niemand diesen Stein mehr
findet. Die F.D.P. schließt sich dieser reiferen Erkennt-
nis von Tobin gerne an und lehnt deshalb den Antrag der
PDS entschieden ab.
Dr. Barbara Höll (PDS): Gerhard Schröder und
Tony Blair legten in der vergangenen Woche ein The-
senpapier vor, mit dem sie keinen geringeren Anspruch
hatten, als Europas Sozialdemokraten „den Weg nach
vorne“ zu weisen. Darin heißt es u.a., daß die „EU auch
weiterhin als entschiedene Kraft für die Liberalisierung
des Welthandels eintreten soll“ und daß die Kapital-
märkte „flexibel“ sein sollen. Wer sich also von diesem
strategischen Papier einen Hinweis auf einen Politik-
wechsel gegenüber der Kohl-Regierung erhoffte, sieht
sich enttäuscht. Was hier präsentiert wird, ist alter Wein
in alten Schläuchen und wird auch davon nicht besser,
daß es fast inflationär mit der Beschwörungsformel
„Modernisierung der Gesellschaft“ belegt wird.
Wohin diese Politik der immer stärkeren Deregulie-
rung und Liberalisierung u. a. der internationalen
Finanzmärkte in den letzten Jahren geführt hat, wurde in
asiatischen Schwellenländern, aber auch in Südamerika
in erschreckender Weise deutlich: Seit Ausbruch der
Asienkrise 1997 leiden, laut dem thailändischen UN-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3843
(A) (C)
(B) (D)
Botschafter, mehrere Länder an „dramatischen und
schwerwiegenden sozialen Problemen“. Arbeitslosigkeit
und Armut haben rapide zugenommen. Die Zahl der
Armen in Indonesien hat sich zwischen 1991 und 1998
von 11 auf 40 Prozent fast vervierfacht, in Thailand
stieg die Armut von 11 auf 15 Prozent. Gleichzeitig er-
höhte sich die Arbeitslosenrate in Indonesien von 4,7 auf
21 Prozent, in Malaysia von 2,7 auf 6,4 Prozent oder in
Südkorea von 2,6 auf 7,7 Prozent. Diese traurigen Daten
sind in einem aktuellen Report nachzulesen, der von der
UN-Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und
den Pazifik veröffentlicht wurde.
Selbst die privaten Bankinstitute haben inzwischen
internationale Finanzkrisen mit all ihren Auswirkungen
als Problem erkannt: Ihnen wird sicher bekannt sein,
Herr Schröder, daß im Vorfeld des Kölner G-7-Gipfels
führende Vertreter von Banken über Reformen der glo-
balen Finanzmärkte mit dem Ziel ihrer Stabilisierung
diskutiert haben.
Um so verwunderlicher ist es, daß die für viele Men-
schen in den betroffenen Staaten grausamen Erfahrun-
gen und – wenn schon das nicht – die Sorge der Bankin-
stitute Herrn Schröder und Herrn Blair auf ihrem „Weg
nach vorne“ nicht beirren, sondern sie im Gegenteil ge-
betsmühlenartig an der Liberalisierungslitanei der Kon-
servativen festhalten. Sie selbst, Herr Schröder, haben
doch gestern auf die Notwendigkeit hingewiesen, Stabi-
lität im internationalen Finanzsystem zu erreichen. Doch
die Menschen erwarten auch auf diesem Gebiet nicht
nur Worte, Herr Schröder, sondern zumindest einen
konkreten Vorschlag, so z.B. die Erhebung einer Devi-
senumsatzsteuer.
Die PDS hat diese Idee des Nobelpreisträgers Tobin
aufgegriffen und einen konkreten Vorschlag entwickelt.
Alle Devisentransaktionen, die sofort wirksam werden
(also Kassageschäfte, Devisentermin- und Optionsge-
schäfte sowie Währungsswaps), sollen mit einem Steu-
ersatz von 0,25 Prozent belegt werden. Mit diesem Steu-
ersatz kann ein Großteil kurzfristiger Spekulationsge-
schäfte, die wesentliche Ursache für Finanzkrisen sind,
eingedämmt werden, da sie gegenüber langfristigen
Anlagen unattraktiv werden. 300 bis 500 Milliarden DM
Dollar Einnahmen könnten bei einem Prozentsatz von
0,25 erzielt werden. Geld, das UNO-Projekten oder eben
dem Aufbau in Kosovo und Jugoslawien zur Verfügung
gestellt werden könnte. Verehrte Kolleginnen und Kol-
legen, obwohl dieser Vorschlag inzwischen 30 Jahre alt
ist, hat er doch an Aktualität nicht verloren, dies hat Pro-
fessor Tobin in einem Interview mit der Zeitung „Le
Monde“ im November vergangenen Jahres selbst noch
einmal bekräftigt.
Diese Idee der Devisenumsatzsteuer wurde übrigens
bis vor kurzem auch seitens der SPD und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN gefordert. Beide Fraktionen reichten
in der 13. Legislaturperiode, nach der PDS, Anträge ein,
die die damalige Bundesregierung aufforderten, in die
Richtung der Erhebung einer Devisenumsatzsteuer tätig
zu werden. Trotzdem hat die rotgrüne Regierung, ob-
wohl Sie es jetzt in der Hand hat, ihre Ratspräsident-
schaft in der EU nicht dazu genutzt, dieses Thema mit
den anderen europäischen Staaten zu diskutieren und auf
die Agenda zu setzen. Auch auf der Tagesordnung des
Weltwirtschaftsgipfels ist die Behandlung dieses The-
mas bisher nicht zu finden.
Diese Verhinderungspolitik, der sich nun scheinbar
auch die rotgrüne Koalition bedient, beweist einmal
mehr: Die Einführung einer Devisenumsatzsteuer nach
Tobins Vorbild scheitert nicht an der Realität, sondern
am politischen Willen. Meine Damen und Herren von
der Regierung, zeigen Sie, daß Sie Ihre eigenen Wil-
lensbekundungen von einem Politikwechsel ernst neh-
men, bringen Sie das Thema der Tobin-Steuer nach ka-
nadischem Vorbild auf die Tagesordnung des Gipfels,
sammeln Sie politische Kräfte, um diese Idee endlich in
die Realität umsetzen zu können!
Lydia Westrich (SPD): Die Debatte heute zur Tobin-
Steuer ist gewissermaßen eine Wiederholung der De-
batte gestern über den Wirtschaftsgipfel in Köln.
Die PDS hat ihren alten Antrag vom Vorjahr wieder
hervorgeholt, wie sie es in vielen anderen Fällen, z.B.
Schlechtwettergeld, auch getan hat.
Sie beweist dadurch ihr statisches Denken, ihr Behar-
ren in alten Strukturen, weil sie Veränderungen rund-
herum nicht wahrzunehmen scheint.
Das heißt, es geht Ihnen, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der PDS, mehr um die Populistik als um die
Lösungen konkreter Probleme.
Dabei ist die Globalisierung ein derart atemberauben-
der Prozeß, dem wir nicht ausweichen können und den
wir gemeinsam bestehen sollten. Dazu brauchen wir In-
strumente und Wege, die sich diesem Tempo anpassen
können, und nicht die alte Mottenkiste.
Wir haben zwar gestern schon ausführlich über die
Weltwirtschaft und vor allem über das internationale
Finanzwesen diskutiert. Alles muß nicht wiederholt
werden. Aber man muß sich die Schnelligkeit der welt-
weiten Entwicklungen immer wieder vor Augen führen
um die notwendige internationale Zusammenarbeit ver-
bessern zu können.
Noch vor kurzem sprachen wir von asiatischen Ti-
gern, wir staunten über Japans Erfolge – auch hier im
Bundestag wurden sie uns als Beispiel vorgehalten. Das
Wunder in Asien ist zum Debakel geworden, statt Dy-
namik Domino-Effekt.
Vor kurzem sagten wir, Rußland sei zu groß, um
Konkurs zu machen. Heute sagen wir, Rußland ist zu
groß, um seine Wirtschaft zu retten. Auf einmal sind
viele, viele Millionen Menschen weltweit ärmer gewor-
den als je zuvor durch diese weltweiten Finanzkrisen,
und das alles in einem rasenden Tempo, von Thailand,
Indonesien über Lateinamerika bis Mexiko.
Natürlich wirken sich die internationalen Finanzkri-
sen auch in unserer eigenen Wirtschaftsentwicklung aus.
Das heißt, keiner kann sich absichern und schon gar
nicht durch Einführung einer neuen Steuer, die, wie der
Erfinder James Tobin selbst sagt, allenfalls ein wenig
Sand ins Getriebe der internationalen Finanzmärkte
streuen kann.
3844 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
(A) (C)
(B) (D)
Diese kleine Bremse wirkt natürlich auch nur, wenn
die wichtigsten Mitgliedstaaten des internationalen
Währungsfonds gleichzeitig handeln. Glauben Sie das?
Nicht mal James Tobin glaubt daran, und Sie selbst ha-
ben der Sicherung der Steuer gegen Umgehung in Ihrem
Antrag breiten Raum gewidmet. Als hätten wir nicht
schon genug leidvolle Erfahrungen gesammelt, wie
schwierig es ist, Steueroasen auszutrocknen und Steuer-
flucht zu verhindern! Und Sie machen da ein neues Faß
auf, statt daran mitzuarbeiten, endlich gemeinsame und
verbindliche Regelungen gegen Steuer und Sozialdum-
ping zu erreichen.
Wir Sozialdemokraten sind froh, daß sich unsere Re-
gierung der Stärkung der Architektur des internationalen
Finanzsystems annimmt, und wir Sozialdemokraten be-
greifen die Stärkung des internationalen Finanzsystems
und die Vermeidung von Finanzkrisen als andauernde
Aufgabe. Sie ist mit dem Wirtschaftsgipfel in Köln kei-
neswegs abgeschlossen. Reformen in diesem Bereich
werden immer notwendig sein bei diesem atemberau-
benden Prozeß der Globalisierung.
Natürlich ist das viel mühsamer als eine neue Steuer
einzuführen und Geld zu verteilen. Und noch mühsamer
ist es, in der Steuerpolitik zu mehr internationaler Zu-
sammenarbeit zu kommen.
Andere Länder, nicht Deutschland, haben schon auf
den Wirtschaftsgipfeln 1996 in Lyon und 1997 in Den-
ver vor einer schädlichen Konkurrenz der Staaten im
Steuerwesen gewarnt, die das Risiko einer Verzerrung
von Handel und Investitionen berge und die nationalen
Steuergrundlagen aushöhle.
Schädlicher Steuerwettbewerb untergräbt die Ge-
rechtigkeit des Steuersystems und auch seine Neutralität.
Der Bundesfinanzminister hat zusammen mit den
Finanzministern und Notenbankchefs der G-7-Länder in
Vorbereitung des Weltwirtschaftsgipfels jetzt ausdrück-
lich die Arbeit der OECD gegen schädlichen Steuer-
wettbewerb begrüßt. Dazu noch die Bemühungen der
OECD, Steueroasen und Steuerausweichmöglichkeiten
überhaupt zu identifizieren.
Mit der Tobin-Steuer wird die OECD ziemlich über-
fordert, fürchte ich.
Sie wissen doch, wie das funktioniert. Unternehmen
nutzen die gute Infrastruktur ihres Landes, versteuern
aber ihre Gewinne mittels Gestaltung von Verrech-
nungspreisen oder durch Nutzung von speziellen Steu-
ervergünstigungen in anderen Ländern mit geringen
Steuern. Private Haushalte genießen die Daseinsvorsor-
ge der öffentlichen Hand und die Absicherung des Sozi-
alstaates, schaffen aber ihr Geld in Steueroasen.
Kurzfristig mag es sich für gewisse Länder tatsäch-
lich lohnen, Unternehmen oder Haushalte mit speziellen,
auf ausländische Unternehmen und Haushalt zuge-
schnittene Steuervergünstigungen anzulocken. Aber
mittel- und langfristig schadet dies allen Ländern, auch
denen, die sich an einem solchen schädlichen Steuer-
wettlauf mit Steuervergünstigungen aktiv beteiligen.
Nur, diese Erkenntnis ist noch lange nicht überall ver-
breitet und Sie können sich ausrechnen, daß bei Einfüh-
rung einer Devisenumsatzsteuer gerade Länder, die jede
Mark Steuereinnahmen nötig brauchten, der Versuchung
nicht widerstehen können, durch Nichtteilnahme Fi-
nanzkapital, die dazugehörigen Dienstleistungen, hoch-
qualifizierte Arbeitnehmer oder einkommens- und ver-
mögensstarke Privathaushalte aus anderen Ländern an-
zuziehen. Dann haben Sie zwar eine Beruhigungspille
Devisenumsatzsteuer, die eigentlichen Probleme der in-
ternationalen Finanzmärkte sind aber nicht gelöst. Sie
könnten damit sogar verschärft werden. Von einer ef-
fektiven Kontrolle brauchen wir gar nicht zu reden. Wir
sehen ja, wie die vorhandenen Kontrollmechanismen
funktionieren oder besser gesagt nicht funktionieren,
siehe Singapur u.a.
Die Kompliziertheit Ihres Antrags zeigt deutlich: Zur
Transparenz der internationalen Finanzmärkte trägt die-
se Steuer nicht bei. Wenn ich lese, was der IWF als von
Ihnen gewünschter Verwalter der Tobin-Steuer zu ma-
chen hätte, könnte er sich sonstige Aufgaben abschmin-
ken. Eine Steuer, die sich durch Verwaltung und Kon-
trolle selbst auffrißt, ist sinnlos und schon gar kein In-
strument im heutigen Globalisierungsprozeß.
Die SPD-Fraktion unterstützt vielmehr die Bemühun-
gen der Bundesregierung, einen geeigneten internatio-
nalen Ordnungsrahmen zur Beseitigung der Schwach-
stellen im Finanzsystem einzurichten. Wir sind zuver-
sichtlich, daß wir nach dem Wirtschaftsgipfel in Köln
ein Stück weiter sind.
Der Bundeskanzler hat gestern in seiner Rede deut-
lich gemacht, daß es nicht um die nackten Zahlen geht,
wenn Länder durch Währungsspekulationen in die Krise
geraten. Es geht um die Schicksale Tausender Men-
schen, die ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden.
Umso wichtiger ist der Aufbau und die Sicherung
eines krisenfreien Weltfinanzsystems mit hoher Trans-
parenz und wirksamer Aufsicht. Dazu gibt es keine
Patentrezepte. Es muß Neues gemacht werden, Neues
durchdacht werden auf internationaler Basis. Es ist
schwierig und braucht Mut. Rezepte der 50er Jahre sind
dabei nicht mehr anwendbar.
Die SPD-Fraktion wird die Bundesregierung auf die-
sem mühsamen Weg unterstützen. Wir Sozialdemokra-
ten unterstützen weiter alle Bemühungen, schädliche
wettbewerbsverzerrende Steuerkonkurrenz mit immer
neuen Steueroasen und Steuerausweichmöglichkeiten
langsam aber sicher auszumerzen.
Wir werden nicht mit Einführung einer neuen kom-
plizierten und ineffektiven Steuer dazu beitragen, die
Möglichkeiten, auf Steueroasen auszuweichen, noch zu
vergrößern.
Anlage 6
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 738. Sitzung am 21. Mai
1999 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2
Grundgesetz nicht zu stellen:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3845
(A) (C)
(B) (D)
– Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfe-
gesetzes
– Drittes Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichsge-
setzes und Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanz-
reformgesetzes
– Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushalts-
plans für das Haushaltsjahr 1999 (Haushaltsgesetz
1999)
– Gesetz zur Eingliederung der Schulden von Sonder-
vermögen in die Bundesschuld
– Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts
Der Bundesrat hat in seiner 739. Sitzung am 11. Juni
1999 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen gemäß
Artikel 84 Abs. 1 Grundgesetz zuzustimmen:
– Gesetz zu dem Notenwechsel vom 29. April 1998
über die Rechtsstellung der dänischen, griechischen,
italienischen, luxemburgischen, norwegischen, portu-
giesischen, spanischen und türkischen Streitkräfte in
der Bundesrepublik Deutschland
– Gesetz zu dem Abkommen vom 17. Oktober 1997
zwischen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der Regierung der Tunesischen
Republik über die Seeschiffahrt