Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3829
        (A) (C)
        (B) (D)
        Anlagen zum Stenographischen Bericht
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
        Adam, Ulrich CDU/CSU 17.6.99*
        Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        17.6.99
        Balt, Monika PDS 17.6.99
        Behrendt, Wolfgang SPD 17.6.99*
        Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 17.6.99*
        Bonitz, Sylvia CDU/CSU 17.6.99
        Borchert, Jochen CDU/CSU 17.6.99
        Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 17.6.99*
        Bulmahn, Edelgard SPD 17.6.99
        Buwitt, Dankward CDU/CSU 17.6.99*
        Dr. Däubler-Gmelin,
        Herta
        SPD 17.6.99
        Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        17.6.99
        Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        17.6.99
        Fischer (Hamburg),
        Dirk
        CDU/CSU 17.6.99
        Friedrich (Altenburg),
        Peter
        SPD 17.6.99
        Gebhardt, Fred PDS 17.6.99
        Geis, Norbert CDU/CSU 17.6.99
        Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 17.6.99
        Glos, Michael CDU/CSU 17.6.99
        Gröhe, Hermann CDU/CSU 17.6.99
        Hanewinckel, Christel SPD 17.6.99
        Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 17.6.99*
        Hornung, Siegfried CDU/CSU 17.6.99*
        Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 17.6.99
        Jäger, Renate SPD 17.6.99*
        Kampeter, Steffen CDU/CSU 17.6.99
        Kolbow, Walter SPD 17.6.99
        Lensing, Werner CDU/CSU 17.6.99
        Lintner, Eduard CDU/CSU 17.6.99*
        Lippmann, Heidi PDS 17.6.99
        Dr. Lucyga, Christine SPD 17.6.99*
        Maaß (Wilhelmshaven),
        Erich
        CDU/CSU 17.6.99*
        Michels, Meinolf CDU/CSU 17.6.99*
        Müller (Berlin),
        Manfred
        PDS 17.6.99*
        Müntefering, Franz SPD 17.6.99
        Abgeordnete(r) entschuldigt bis
        einschließlich
        Neumann (Bremen),
        Bernd
        CDU/CSU 17.6.99
        Neumann (Gotha),
        Gerhard
        SPD 17.6.99*
        Nickels, Christa BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        17.6.99
        Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 17.6.99
        Pflug, Johannes SPD 17.6.99
        Reiche, Katherina CDU/CSU 17.6.99
        Schenk, Christina PDS 17.6.99
        Schloten, Dieter SPD 17.6.99*
        Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 17.6.99
        Schmidbauer (Nürnberg),
        Horst
        SPD 17.6.99
        von Schmude, Michael CDU/CSU 17.6.99*
        Schröder, Gerhard SPD 17.6.99
        Schütz (Oldenburg),
        Dietmar
        SPD 17.6.99*
        Schuhmann (Delitzsch),
        Richard
        SPD 17.6.99
        Schulz (Leipzig), Werner BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        17.6.99
        Siebert, Bernd CDU/CSU 17.6.99*
        Dr. Sonntag-Wolgast,
        Cornelie
        SPD 17.6.99
        Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 17.6.99
        Willner, Gert CDU/CSU 17.6.99
        Zierer, Benno CDU/CSU 17.6.99*
        –––––––––––* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
        Anlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Carsten Hübner (PDS)
        zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge-
        setzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember
        1997 über wirtschaftliche Partnerschaft, politi-
        sche Koordinierung und Zusammenarbeit zwi-
        schen der Europäischen Gemeinschaft und ih-
        ren Mitgliedstaaten einerseits und den Verei-
        nigten Mexikanischen Staaten andererseits
        (Tagesordnungspunkt 15b)
        Ich werde dem vorliegenden Gesetzentwurf, bei dem es
        um nicht mehr und nicht weniger geht als um das Glo-
        balabkommen für den Freihandel zwischen EU und Mexi-
        ko, nicht zustimmen. Und natürlich nicht, weil ich ein Geg-
        ner bilateraler Wirtschaftsabkommen an sich wäre. Aber
        ich bin ein Gegner von Abkommen, die eine ungerechte
        3830 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        Weltwirtschaftsordnung zementieren und weiter ausbauen
        sollen. Denn die vorgesehene völlige Liberalisierung von
        Handel und Dienstleistungen zwischen offenkundig un-
        gleich entwickelten Wirtschaften und Gesellschaften zu
        gleichen Austauschkonditionen, ist gerade aus entwick-
        lungspolitischer Sicht nicht zu akzeptieren.
        Wir können doch nicht unser Eintreten für gerechtere
        Nord-Süd-Beziehungen dadurch zu reiner Rhetorik ver-
        stümmeln, daß wir eilends das insgesamt äußerst kritik-
        würdige Vorhaben mit kurzen, wenn auch gutgemeinten
        Klauseln versehen. Daran haperte es nämlich auch in der
        Vergangenheit nicht.
        Woran es statt dessen fehlte, waren konzeptionelle
        Konsistenz und vor allem ein wirkungsvolles Monito-
        ring der Praxis solcher Abkommen. Aber wieder einmal
        mehr wird deutlich, daß dies offenbar gar nicht gewollt
        ist. Und wir stehen in dieser Hinsicht mit unserer Ein-
        schätzung durchaus nicht alleine da. Zahlreiche Nicht-
        regierungsorganisationen hierzulande und in Mexiko
        ebenso wie breite zivilgesellschaftliche Kräfte dort, u.a.
        Gewerkschaften, wehren sich verzweifelt gegen dieses
        Abkommen. Und die Gründe dafür brauche ich hier
        nicht noch mal anzuführen. Wir haben das in den Aus-
        schüssen erörtert.
        Auch kann ich Ihnen etwa die Lektüre eines am
        7. Juni in der „Frankfurter Rundschau“ erschienenen
        Artikels unter der Überschrift „Wo die Tortillas heiß
        sind“ nur wärmstens empfehlen, der sich mit den Ar-
        beitsbedingungen und dem massiven Druck auf die Ge-
        werkschaften in Mexiko ausführlich befaßt.
        Aber was ist eigentlich das Interesse der EU und damit
        auch Deutschlands in dieser Frage? Doch allein die Tatsa-
        che, daß sich die EU und die Bundesrepublik durch das
        NAFTA-Abkommen zwischen Mexiko und den USA be-
        nachteiligt fühlen und nun versuchen, im Dienste ihrer
        Konzerne dieses Manko aus der Welt zu schaffen, indem
        man auch ein für die soziale Situation in Mexiko ähnlich
        verheerendes Abkommen abschließt. Darum geht es. Die
        Fragen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung oder der
        Menschenrechte sind dabei doch nichts als lästige Ran-
        daspekte. Das Durchpeitschen der Ratifizierung des vorlie-
        genden Abkommens in den nationalen Parlamenten weist
        darauf eindrucksvoll hin. Und das, obwohl die Details, also
        die Handelsklauseln und damit die Wirtschaftsverhandlun-
        gen zwischen der EU und Mexiko, noch längst nicht abge-
        schlossen sind, owohl sie doch den Kern des Abkommens
        und damit auch unsere Entscheidung begründen müßten.
        Nur eines steht für mich jetzt schon fest und ist ein
        wesentliches Motiv meiner Ablehnung: Mit dem Ab-
        kommen kommen die verheerenden Klauseln des MAI
        durch die Hintertür wieder rein. Was auf der OECD-
        Ebene verhindert werden konnte, wird nun auf diese
        Weise zur bitteren Realität. Eine bittere Realität gerade
        für Entwicklungs- und Menschenrechtspolitiker, weil
        uns zukünftig die Möglichkeit zur politischen Gestal-
        tung auch ökonomischer Prozesse zum Wohle der Men-
        schen dort noch mehr abhanden kommt. Eine bittere
        Realität aber vor allem für viele viele Menschen in Me-
        xiko. Und das wissen Sie auch! Denn internationale
        Standards in bezug auf Arbeitnehmerrechte und Men-
        schenrechte schlechthin sowie ihre Überwachung blei-
        ben als erstes auf der Strecke, weil sie gar nicht ver-
        ankert sind bzw. nur als eine für alle Verträge obligato-
        rische Absichtsbekundung zu Demokratie und Men-
        schenrechten enthalten sind.
        Die PDS hat sich in den Ausschüssen dafür einge-
        setzt, daß zumindest diese Absichtserklärungen als mi-
        nimale Verbesserungen aufgenommen werden, bzw. die
        in dieser Hinsicht von der Koalition vorgeschlagenen
        Erweiterungen.
        Aber ich kann es natürlich nicht unterstützen, daß sie
        zum Feigenblatt werden für ein vom Wesen her falsches
        Vertragswerk, das wieder nur auf Kosten unzähliger Ar-
        beitsplätze gehen wird – in Mexiko wie hier in der EU.
        Ein Vertragswerk, das die Menschen bezahlen mit ihrer
        Würde, mit Entwickungschancen und sozialer Sicherheit
        und an dem die transnationalen Konzerne Unmengen
        verdienen werden. Denn allein die Erweiterung ihrer
        Marktchancen sind mit diesem Abkommen ins Zentrum
        jeglichen politischen Handelns gesetzt worden.
        Dem kann und dem will ich nicht zustimmen. Ich
        hoffe sehr, daß sich zumindest die Fachkollegen der an-
        deren Fraktionen ähnlich verhalten.
        Anlage 3
        Erklärung
        der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (PDS)
        zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge-
        setzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember
        1997 über wirtschaftliche Partnerschaft, politi-
        sche Koordinierung und Zusammenarbeit zwi-
        schen der Europäischen Gemeinschaft und ih-
        ren Mitgliedstaaten einerseits und den Verei-
        nigten Mexikanischen Staaten andererseits
        (Tagesordnungspunkt 15b)
        Versehentlich stimmte die PDS-Fraktion zu der auf-
        gerufenen Beschlußempfehlung mit Nein. Hiermit er-
        kläre ich, daß die PDS-Fraktion der Beschlußempfeh-
        lung ausdrücklich zustimmt.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zum
        a – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der
        Unabhängigkeit der Richter und Gerichte
        b – Entwurf eines Gesetzes zur Reform der
        Präsidialverfassung der Gerichte
        c – Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der
        außergerichtlichen Streitbeilegung
        d – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
        Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfas-
        sungsgesetz
        (Tagesordnungspunkt 11)
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3831
        (A) (C)
        (B) (D)
        Alfred Hartenbach (SPD): Wir beraten heute über
        vier Gesetzesvorlagen, die eigentlich mehr Aufmerk-
        samkeit verdient hätten, als in einer Art Gemischtwa-
        renladen miteinander vermengt zu werden; eine Recht-
        fertigung für die verbundene Debatte besteht indes nur
        in der Überschrift: Justiz.
        Mit der Änderung des Einführungsgesetzes zum Ge-
        richtsverfassungsgesetz vollziehen wir ein weiteres
        Stück der Deutschen Einheit. In Berlin werden künftig
        die Wahlen der Schöffen von einem gemeinsamen
        Amtsgericht durchgeführt. Das ist angesichts der Neu-
        ordnung der Verwaltungsbezirke dort nötig und richtig.
        In zwei weiteren Gesetzen wollen wir von der Koali-
        tion und der Bundesrat die richterliche Selbstverwaltung
        reformieren und stärken. Ich werde mich dabei auf unse-
        ren Entwurf konzentrieren, auch weil er zusätzlich die
        Unabhängigkeit der Richter und Gerichte stärkt.
        Nach unserem Verständnis von einer demokratischen
        Justiz kann es nicht angehen, daß im 50. Jahr des
        Grundgesetzes innerhalb der Selbstverwaltungsgremien
        der Gerichte einzelnen Richtern besondere Privilegien
        zustehen. Nach den bisherigen Vorschriften haben die
        gewählten Vorsitzenden Richter zusammen mit den Ge-
        richtspräsidenten stets die Mehrheit im Präsidium, ob-
        wohl ihre Zahl nicht einmal ein Viertel der Richter des
        Gerichts ausmacht. Dieses Zweiklassensystem entspricht
        nicht der von unserer Verfassung geforderten Gleich-
        wertigkeit der Richterämter. Dazu gehört auch, daß
        künftig innerhalb der Spruchkörper die Stimme des Vor-
        sitzenden nicht mehr privilegiert, sondern den anderen
        gleichgestellt ist. Wir wollen erreichen, daß die Richte-
        rinnen und Richter in das Präsidium gewählt werden, die
        von der Mehrheit des Kollegiums gewollt sind. Wir
        schaffen dadurch mehr Transparenz, die zusätzlich ge-
        fördert wird durch eine begrenzte Öffentlichkeit der Prä-
        sidiumssitzungen. Wir tragen mit unserer Reform auch
        der mit der weitgehenden Übertragung der Zivilprozesse
        auf den Einzelrichter geänderten Lage Rechnung und
        bereiten der großen Justizreform, die eine Stärkung der
        Eingangsgerichte und der Einzelrichter vorsieht, den
        Weg. Wir sind aber auch überzeugt, das Selbstverständ-
        nis und die Motivation der Richterinnen und Richter zu
        stärken.
        Wenden wir uns nun Gesetz Nummer drei zu: der
        außergerichtlichen Streitschlichtung. Heute morgen
        wurden wir ja schon mehrfach durch unser allzeit
        waches Medium Fernsehen auf dieses Thema einge-
        stimmt. Mir hat danach mein Frühstück richtig gut ge-
        schmeckt, als ich sehen konnte, wie gut sich zwei
        Schiedsmänner, die ja als eine von mehreren möglichen
        Schlichtungsstellen in Betracht kommen, dargestellt
        haben.
        Worum geht es denn bei diesem „Gesetz zur Förde-
        rung der außergerichtlichen Streitschlichtung“? Trotz
        verschiedener Entlastungsversuche durch mehrere Ge-
        setze hat sich der Geschäftsanfall in der Ziviljustiz wei-
        ter erhöht. Mehrfache Streitwerterhöhungen und Ver-
        schärfungen des Zugangs zu den Rechtsmittelgerichten
        haben keine Entlastung gebracht, sondern eher eine
        Justizverdrossenheit der Parteien gefördert. Wir werden
        mit diesem Gesetz die Amtsgerichte in Bagatellstreitig-
        keiten entlasten. Darin sind wir uns ja in allen Fraktio-
        nen einig. Wir hätten diese Entlastung schon in der ver-
        gangenen Legislaturperiode erreichen können, aber wir
        wissen, daß dies an Taschenspielertricks der vormaligen
        Koalition gescheitert ist. Nun wollen wir uns aber nicht
        über verschüttete Milch unterhalten, wir wollen nach
        vorn blicken.
        Wir wollen, daß in allen Verfahren mit einem Streit-
        wert bis zu 1 500 DM, allen Nachbarschaftsklagen und
        bei allen Streitigkeiten über Ansprüche wegen Ehrver-
        letzungen zunächst ein Einigungsversuch vor einer die-
        ser Schlichtungsstellen unternommen wird. Ausgenom-
        men davon sind die Verfahren, die über das Mahnver-
        fahren ihren Anfang nehmen, und einige andere Streitig-
        keiten, wie etwa aus dem Familienrecht oder Urkunds-
        prozesse. Die Schlichtungsstellen – oder wie wir es im
        Gesetz nennen: die Gütestellen – sollen nun nicht Recht
        sprechen und einen Rechtsstreit mit einem Urteil been-
        den. Das sollen und dürfen sie nicht; die Entscheidungen
        durch Urteile bleiben den Richtern vorbehalten. Sie sol-
        len, so wie es im Gesetz steht, versuchen, Streitigkeiten
        einvernehmlich beizulegen. Ich verkenne nicht, daß
        auch bei Nachbarrechtsstreitigkeiten und Bagatellklagen
        komplizierte juristische Sachverhalte vorkommen. Aber,
        ich wiederhole es noch einmal, die Gütestellen sollen ja
        gerade nicht komplizierte Sachverhalte entscheiden, sie
        sollen ja auf eine einvernehmliche Lösung hinwirken.
        Dazu bedarf es keiner juristischen Vorbildung. Wir
        brauchen hierfür insbesondere Menschen, die mit
        Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen und
        einer guten Portion gesunden Menschenverstandes die
        zerstrittenen Parteien wieder auf einen gemeinsamen
        Weg führen. Das wird insbesondere im Nachbarrecht die
        wichtigste Aufgabe sein.
        Nun glauben einige, die Vorschaltungen der Güte-
        stellen würde keine Entlastung bringen, weil Bagatell-
        streitigkeiten ohnehin im Mahnverfahren erledigt wür-
        den. Die Zahlen bei den Gerichten widerlegen diese Be-
        hauptung indes. Wir sind überzeugt, daß die Gütestellen
        eine Vielzahl der an sie herangetragenen Streitigkeiten
        durch Vergleich erledigen werden und damit zu einer
        deutlichen Entlastung der Eingangsgerichte, der Amts-
        gerichte, beitragen.
        Wir als Gesetzgeber wollen es dabei den einzelnen
        Bundesländern überlassen, ob sie die Gütestellen ein-
        richten und welche Personen dort als Schlichter tätig
        werden. Dies können ausgebildete Juristen ebenso sein
        wie örtlich anerkannte Persönlichkeiten, also die
        Schiedspersonen, Schiedsämter, Schiedsstellen oder
        auch neue, von den Ländern zu schaffende Stellen. Da
        sind die Rechtsanwälte natürlich ebenso angesprochen
        wie möglicherweise pensionierte Richter. Wichtig ist,
        daß diese Personen willens und in der Lage sind, auf
        eine gütliche Beilegung des Streites hinzuwirken.
        Erfolgt eine gütliche Regelung nicht, erteilt die Güte-
        stelle eine entsprechende Bescheinigung, die mit der
        Klage vorgelegt werden muß. Gelingt allerdings die
        Einigung, kann aus diesem Vergleich die Zwangsvoll-
        streckung betrieben werden.
        3832 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die Sorge, die Vorschaltung einer Gütestelle verzö-
        gere den Prozeß, ist unbegründet. Die Gütestellen kön-
        nen unbürokratisch und damit sehr rasch einen Termin
        anberaumen. Zum anderen setzt das Gesetz schon eine
        sehr kurze Frist: Ist nach Ablauf von drei Monaten das
        Güteverfahren nicht durchgeführt, erhält der Kläger
        gleichwohl die Bescheinigung, daß er die Einigung ver-
        sucht habe. Die kurze Zeitspanne kann deshalb nicht als
        Argument der Verzögerung gelten. In der Mehrzahl der
        Streitigkeiten, die erst gar nicht zu den Gerichten gelan-
        gen, werden dafür aber beide Parteien alsbald in ihrem
        Vergleich Rechtssicherheit haben.
        Wir sind überzeugt, daß sich die Öffnungsklausel in
        der Praxis bewähren wird. Wir wünschen uns mutige
        Bundesländer, die die ihnen eingeräumten Möglichkei-
        ten, ihre Amtsgerichte zu entlasten, nun auch bald in die
        Tat umsetzen.
        Volker Kauder (CDU/CSU): Der Bundesrat und die
        Regierungskoalition haben Gesetzentwürfe eingebracht,
        mit denen die Präsidialverfassung der ordentlichen Ge-
        richte geändert und angebliche Privilegien einzelner
        Richter abgebaut werden sollen. Drei wesentliche Ände-
        rungsvorschläge beinhalten diese Gesetzentwürfe: Das
        in § 21a Gerichtsverfassungsgesetz festgelegte Quorum
        für Vorsitzende Richter im Präsidium soll abgeschafft
        werden. Die Verteilung der Geschäfte in einem mit meh-
        reren Richtern besetzten Spruchkörper soll nicht mehr
        vom Vorsitzenden Richter allein, sondern durch Mehr-
        heitsentscheidung mit Stichentscheid des Präsidiums bei
        Stimmengleichheit erfolgen. Die immer wieder disku-
        tierte Richteröffentlichkeit der Sitzungen des Präsidiums
        soll nun gesetzlich eingeführt werden.
        Diese Änderungsvorschläge sind nichts Neues. Es
        könnte allenfalls neue Argumente im Für und Wider
        geben. Die Gesetzentwürfe sprechen von in den letzten
        25 Jahren eingetretenen Rechtsentwicklungen und ver-
        änderten Anforderungsprofilen, denen sich die Justiz
        stellen müsse und die Strukturveränderungen zur Steige-
        rung der Effizienz der Justiz und der Eigenverantwort-
        lichkeit der Richter notwendig machten. Da die Gesetz-
        entwürfe diese Aussagen ohne jede weitere Erläuterung
        lassen, stehen sie eher als behauptende Aussage da, die
        eine Begründung verlangt, denn als Begründung selbst.
        Diesen Charakter trägt noch deutlicher die weitere
        Behauptung in den Gesetzentwürfen, daß eine Effizienz-
        steigerung der Justiz gerade dadurch erreicht werden
        könne, indem die Stellung des einzelnen Richters im
        zentralen Organ richterlicher Selbstverwaltung den ge-
        stiegenen Anforderungen angepaßt wird.
        Auch wenn man den einen oder anderen Gedanken-
        gang der Regierungskoalition oder des Bundesrates
        nachvollziehen kann, fällt es doch schwer zu glauben,
        daß durch den vorgelegten Gesetzentwurf tatsächlich
        Binnenreserven zum Zweck der Gerichtsentlastung akti-
        viert werden können. Der Geschäftsanfall verändert sich
        durch dieses Gesetz nicht. Also bleibt doch nur die
        Vermutung, daß Regierungskoalition und Mehrheit des
        Bundesrates unterstellen, daß die bisherigen Strukturen
        zu einer weniger effektiven oder gar schlechten Aufga-
        benerfüllung geführt haben. Dazu werden aber keine
        konkreten Positionen benannt, und so wird es im Ge-
        setzentwurf auch nicht formuliert. Entweder traut sich
        die Regierungskoalition nicht, dieses so klar zu formu-
        lieren oder – was ich für eher wahrscheinlich halte – sie
        hat für eine solche Einschätzung überhaupt keinen rea-
        len Anhalt. So kommen mir diese Begründungen eher
        wie ein Alibi vor, um die wahren Gründe für diesen Ge-
        setzentwurf zu verbergen.
        Die vorliegenden Gesetzentwürfe nehmen Diskussio-
        nen der 70er Jahre wieder auf, die von der Gleichwer-
        tigkeit aller Richterämter geprägt waren. So drängt sich
        der Eindruck auf, daß eher ideologische Vorstellungen
        diesen Gesetzentwurf tragen, denn sachlich zwingende
        Notwendigkeiten. Das alte sozialdemokratische Ziel der
        sogenannten Demokratisierung der Gerichte, der vollen
        Gleichwertigkeit aller Richter an einem Gericht, wird
        mit den vorliegenden Gesetzentwürfen neu aufgegriffen.
        In der Vergangenheit sind entsprechende Vorstöße ge-
        scheitert. Deshalb hat die SPD nun versucht, das alte
        Anliegen mit einem verführerisch klingenden Titel zu
        versehen und neu zu verpacken. Ganz deutlich wird dies
        in der Zielsetzung, angeblich überkommene Privilegien
        abzubauen. Daß dieser Abbau angeblicher Privilegien
        eine Effizienzsteigerung der Justiz nach sich ziehe, er-
        schließt sich schlüssig in keinster Weise aus den Gesetz-
        entwürfen und dürfte in der Praxis auch durch kein be-
        kanntes Meßverfahren nachweisbar sein.
        Da die Gesetzentwürfe also nicht offen die Gleich-
        wertigkeit aller Richterämter als Zielsetzung ausweisen,
        werden auch die in diesem Zusammenhang dringend
        notwendigen Fragen nach Führung und Sachkompetenz
        durch Gremien in der Justizverwaltung nicht angespro-
        chen.
        Das Präsidium eines ordentlichen Gerichtes ist kein
        rechtspolitisches Parlament. Das Präsidium ist im we-
        sentlichen ein geschäftsleitendes Verwaltungsorgan.
        Und da gibt es sehr wohl Gründe, die dafür sprechen,
        Erfahrung und Sachverstand der Vorsitzenden Richter
        einer Spruchkammer besonders einzubeziehen. Dies ist
        eine Sachfrage, die man unterschiedlich behandeln kann,
        die aber den Vorwurf einer Privilegierung von Vorsit-
        zenden Richtern überhaupt nicht verdient. Ich meine,
        daß mehr für die bisherige Praxis spricht.
        Vergleichbar sehe ich dies auch bei der Entschei-
        dungskompetenz Vorsitzender Richter bei der Ge-
        schäftsverteilung in mit mehreren Richtern besetzten
        Spruchkörpern. Ich weiß, daß die in diesem Gesetzent-
        wurf vorgesehene Mehrheitsentscheidung inhaltlich be-
        reits mit dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Ver-
        einfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des
        Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit in das Ge-
        setzgebungsverfahren eingeführt wurde. Wir haben
        diese Regelung in dem ansonsten von uns ursprünglich
        mitgetragenen Gesetzentwurf immer abgelehnt. Auch
        bei diesem Thema setzt sich der Gesetzentwurf der Re-
        gierungskoalition mit den Fragen von Führung und Ver-
        antwortung überhaupt nicht auseinander. Hier von De-
        mokratisierung zu sprechen ist deshalb wenig überzeu-
        gend, weil gerade auch Demokratie der Führung bedarf.
        Ist denn die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers
        mit dem Recht, Minister zu berufen und zu entlassen,
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3833
        (A) (C)
        (B) (D)
        undemokratisch? Da dies nicht der Fall ist, kann es doch
        bei der Frage von Führung und Verantwortung im Ge-
        richt nur darum gehen, inwieweit richterliche Unabhän-
        gigkeit und das richterliche Selbstverständnis Führung
        begrenzen. Eine solche begrenzende Notwendigkeit sehe
        ich bei der Festlegung der Geschäftsverteilung in einem
        Spruchkörper nicht notwendigerweise.
        Der Mangel der Gesetzentwürfe liegt aber darin, daß
        sie sich mit dieser Frage überhaupt nicht auseinanderset-
        zen. Ferner wird verkannt, daß die Vorsitzenden Richter
        bereits jetzt und nach den Vorstellungen der Landes-
        justizverwaltungen künftig zunehmend leitende Auf-
        gaben übernehmen sollen. Die Beschneidung der Stel-
        lung der Vorsitzenden Richter ist deshalb sachlich nicht
        geboten.
        Die Vorschläge sind kontraproduktiv und können so
        gedeutet werden, daß auf mittlere Sicht, zusammen mit
        den Überlegungen zur Justizreform, die Vorsitzenden
        Richter, zumindest an den Landgerichten, weiter ent-
        machtet und gänzlich durch Einzelrichter ersetzt werden
        sollen. Letztlich stellt sich auch die Frage, warum ein
        Vorsitzender Richter noch in einer höheren Besoldungs-
        stufe stehen soll als ein einfacher Richter, wenn ihm
        klassische Führungsaufgaben entzogen werden. Daß im
        Präsidium künftig die einfachen Richter die Mehrheit
        stellen werden und daß über den Geschäftsverteilungs-
        plan die Vorsitzenden Richter – entsprechend einer weit
        verbreiteten Fehlvorstellung – zusätzlich mit Arbeit ein-
        gedeckt werden sollen, wird sich langfristig schädlich
        auf die Stellung der Vorsitzenden Richter und damit
        auch auf die Personalentwicklung innerhalb der Justiz
        auswirken. Da es auch innerhalb der Arbeitsgruppe
        Recht der SPD-Fraktion kritische Stimmen zu dem Ge-
        setzentwurf gibt, ist eine Sachverständigenanhörung, bei
        der auch die betroffenen Vorsitzenden Richter zu Wort
        kommen sollten, unverzichtbar. Dies bestärkt mich im
        Eindruck, daß es hier wirklich um eine politisch ideolo-
        gische und weniger um eine sachlich gebotene Frage
        geht.
        Etwas anders verhält es sich mit dem dritten Rege-
        lungskomplex: der Richteröffentlichkeit der Sitzungen
        des Präsidiums. Hier gab es Rechtsunsicherheit, die
        dann zu einer Entscheidung des Dienstgerichts des Bun-
        des 1995 geführt hat, die die Entscheidung eines Präsi-
        diums, richteröffentlich zu tagen, zum Kernbereich
        richterlicher Tätigkeit erklärt hat. Damit ist eine inhalt-
        liche Kontrolle der Dienstaufsicht über die Frage der
        Richteröffentlichkeit nicht mehr möglich. Das Präsidium
        kann also jetzt in einer Geschäftsordnung festlegen, ob
        richteröffentlich getagt wird oder nicht. Wenn ich den
        Gesetzentwurf richtig interpretiere, wird aber genau
        diese Rechtslage formuliert, wenn es im Gesetzestext
        heißt, daß das Präsidium beschließen kann, daß die
        Richter des Gerichts bei den Beratungen und Abstim-
        mungen des Präsidiums zugegen sein können. Ich kann
        nicht erkennen, wo hier eine neue Rechtslage formuliert
        wird. Zur Sache selbst wäre aber erneut auf das Bundes-
        dienstgericht zu verweisen, daß in der Entscheidungsbe-
        gründung klar zum Ausdruck bringt, daß nach seiner
        Auffassung mehr gegen die Richteröffentlichkeit spricht
        als dafür.
        Obwohl Bundesrat und Regierungskoalition durchaus
        die auch vom Bundesdienstgericht angesprochenen Pro-
        bleme erkennen, wird in der Begründung nur völlig un-
        zureichend darauf hingewiesen, und zwar mit der Be-
        merkung, daß in angemessener, sachlicher und schonen-
        der Weise auf persönliche Eigenschaften der betroffenen
        Richter einzugehen ist, wenn dies im Laufe der Beratun-
        gen notwendig wird. Diese Anforderung der zurückhal-
        tenden, abwägenden, nicht auch nur im Ansatz negativ
        qualifizierenden Äußerung dürfte eine sachgerechte, die
        Entscheidung fördernde Diskussion kaum erleichtern.
        Diese beiden vorliegenden Gesetzentwürfe hinterlassen
        den Eindruck, daß es also weniger um sachliche Not-
        wendigkeiten denn um politische Zielsetzungen geht.
        Da die sachlichen Notwendigkeiten nicht zwingend
        gegeben sind, lehnen wir diese Gesetzentwürfe auch ab.
        Ich äußere die Hoffnung, daß die weiteren Reformvor-
        haben in der Justizpolitik dieser Bundesregierung weni-
        ger von Ideologie als von sachlichen Zielsetzungen ge-
        prägt sind. Dies wünsche ich mir vor allem als Abge-
        ordneter eines Flächenlandes beim Reformvorhaben der
        Eingangsgerichte. Alle sachlichen Argumente sprechen
        für die Erhaltung der amtsgerichtlichen Strukturen. Ich
        hoffe, daß wir uns darauf verständigen können.
        Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Ich komme zunächst zu Tagesordnungspunkt 11a
        und b.
        Ziel beider Entwürfe ist die Reform der Präsidialver-
        fassung und die Stärkung der richterlichen Selbstver-
        antwortung. Überkommene Strukturen in der Gerichts-
        verfassung sollen abgeschafft und die Justizstrukturen
        demokratisiert werden. Die Stellung der einzelnen
        Richter wird gestärkt und der Gleichwertigkeit aller
        Richterämter Ausdruck verliehen. Der Bundesratsent-
        wurf wird diesem Ziel nicht in gleicher Weise gerecht
        wie der Koalitionsentwurf, der „mutiger“ vorgeht.
        So soll im Gegensatz zum bisherigen Recht nicht
        mehr der Vorsitzende allein die Geschäftsverteilung in-
        nerhalb der Kammer festlegen, sondern der Spruchkör-
        per (§ 21g). Soweit auf Grund Stimmengleichheit keine
        Entscheidung herbeigeführt werden kann, soll das Präsi-
        dium entscheiden. Im Gegensatz dazu soll nach dem
        Bundesratsentwurf die Stimme des Vorsitzenden den
        Ausschlag geben.
        Das nach bisherigem Recht geltende Vorsitzenden-
        quorum im Präsidium – das heißt die Vorgabe, daß die-
        ses mindestens zur Hälfte mit Vorsitzenden Richtern be-
        setzt sein muß – wird abgeschafft.
        Es wird zudem festgelegt, daß Präsidiumssitzungen in
        Zukunft grundsätzlich für die Richter des Gerichts öf-
        fentlich sind. Kommen jedoch Personalangelegenheiten
        zur Sprache, besteht die Möglichkeit, die Öffentlichkeit
        auszuschließen (§ 21e Abs. 8).
        Zwar bleibt es bei der Regelung, wonach die Wahl
        zum Präsidium grundsätzlich nach dem Mehrheitswahl-
        recht erfolgt (§ 21b Abs. 3). Hierdurch werden „klei-
        nere“ Organisationen, wie zum Beispiel die „Neue
        Richtervereinigung“, benachteiligt. Es soll aber den
        3834 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        Ländern ermöglicht werden, auch andere Wahlverfahren
        festzulegen, was im Bundesratsentwurf nicht vorgesehen
        ist.
        Nun meine Stellungnahme zu Tagesordnungspunkt
        11c.
        Ziel dieses Entwurfes ist es, vermehrt Zivilrechts-
        streitigkeiten einer außergerichtlichen – einvernehmli-
        chen – Streitlösung zuzuführen. Wir wollen erreichen,
        daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, zu einer
        für die Beteiligten befriedigenden Beendigung eines
        Streites zu gelangen. Dies ist außerhalb des streng for-
        malisierten Gerichtsverfahrens weitaus besser zu reali-
        sieren als innerhalb eines solchen. Hiermit ist dem
        Rechtsfrieden und letztlich auch dem Vertrauen in den
        Rechtsstaat gedient.
        Den Ländern soll durch eine Öffnungsklausel ermög-
        licht werden, in bestimmten Fällen dem zivilrechtlichen
        Verfahren ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vor
        einer von den Landesjustizverwaltungen eingerichteten
        oder anerkannten Gütestelle vorzuschalten. Dieser Eini-
        gungsversuch soll Zulässigkeitsvoraussetzung für eine
        spätere Klage sein.
        In Betracht kommt das Schlichtungsverfahren für
        vermögensrechtliche Streitigkeiten vor den Amtsge-
        richten mit einem Streitwert unter 1 500 DM, bestimmte
        Nachbarrechtsstreitigkeiten, Ansprüche wegen Ehrver-
        letzungen unter Privaten.
        Es soll aber ausreichen, wenn die Parteien einver-
        nehmlich einen Einigungsversuch vor einer sonstigen
        Gütestelle, die Streitschlichtung betreibt – was auch
        Verbraucherberatungsstellen sein können – unternom-
        men haben.
        Für Rechtsanwälte wird ein Gebührentatbestand ge-
        schaffen; die Gebühr wird aber in einem etwaigen spä-
        teren Prozeß angerechnet. Insolvente Parteien erhalten
        – wie im „normalen“ Gerichtsverfahren – Anspruch auf
        Beratungshilfe.
        Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
        ministerin der Justiz: Eine starke, eine unabhängige, eine
        effizient arbeitende Justiz ist einer der wesentlichen Pfeiler
        unseres demokratischen Rechtsstaats. Die Bundesregierung
        hat sich deshalb dem rechtspolitischen Ziel verschrieben,
        der Justiz mit grundlegenden Verfahrensvereinfachungen
        und anderen flankierenden Maßnahmen den Rücken zu
        stärken. Deshalb begrüßen wir natürlich die heute zur Be-
        ratung anstehenden Gesetzentwürfe.
        Das gilt zunächst für die Gesetzesinitiative der Ko-
        alitionsfraktionen zur Stärkung der Unabhängigkeit der
        Richter und Gerichte und den in dieselbe Richtung zie-
        lenden Gesetzentwurf des Bundesrates zur Reform der
        Präsidialverfassung der Gerichte. Beiden Entwürfen
        liegt die zutreffende Erkenntnis zugrunde, daß sich die
        gesetzlichen Regelungen zur richterlichen Selbstver-
        waltung zum Teil als unzulänglich erwiesen haben.
        Angesichts des veränderten Anforderungsprofils der
        Justiz – vor allem im Hinblick auf die stärker gewordene
        Stellung des Einzelrichters – ist die überkommene Prä-
        sidialverfassung, die seit mehr als einem Vierteljahrhun-
        dert unverändert besteht, nicht mehr zeitgemäß. Ent-
        sprechende Strukturveränderungen sind daher geboten,
        die zur Steigerung der Effizienz der Justiz und der Ei-
        genverantwortlichkeit der Richter beitragen.
        So ist zum Beispiel heute in der Tat nicht mehr einzu-
        sehen, warum die Präsidien zur Hälfte mit Vorsitzenden
        Richtern besetzt sein müssen, die auf diese Weise zu-
        sammen mit dem Vorsitzenden, der geborenes Präsidi-
        umsmitglied ist, immer die Mehrheit bilden. Dieses Pa-
        ritätsprinzip – das sogenannte Vorsitzenden-Quorum –
        führt zu einer Überrepräsentierung der Vorsitzenden im
        Präsidium, die demokratischen Grundsätzen zuwider-
        läuft. Denn die Vorsitzenden machen zahlenmäßig häu-
        fig nur ein Drittel bis ein Viertel der an einem Gericht
        tätigen Richter aus – manchmal sogar noch weniger. Die
        Neuregelung sieht also zu Recht die ersatzlose Beseiti-
        gung des Vorsitzenden-Quorums vor.
        Nicht mehr zeitgemäß erscheint auch die Regelung,
        wonach der Vorsitzende die Geschäftsverteilung inner-
        halb der einzelnen Spruchkörper allein bestimmt. Dies
        widerspricht dem modernen Verständnis einer prinzipi-
        ellen Gleichwertigkeit der Richterämter, das vor allem
        durch die Stärkung des Einzelrichters zunehmend an
        Bedeutung gewinnt. Die in den Entwürfen vorgesehene
        interne Geschäftsverteilung durch Beschluß der dem
        Spruchkörper angehörenden Berufsrichter trägt dem
        Prinzip der Gleichwertigkeit der Richterämter wesent-
        lich besser Rechnung. Wie die gesetzliche Regelung im
        einzelnen auszugestalten ist – wie z.B. bei Stimmen-
        gleichheit zu verfahren ist –, darüber wird im weiteren
        Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu reden sein.
        Dasselbe gilt – um einen weiteren und für mich zu-
        gleich letzten Punkt der beiden Gesetzentwürfe heraus-
        zugreifen – für die geplante Einführung der Richter-
        öffentlichkeit der Präsidiumssitzungen. Dies entspricht
        einem vielfach geäußerten Bedürfnis innerhalb der
        Richterschaft. Außerdem wird dies – wie man hört – an
        einigen Gerichten ohne Rücksicht auf die entgegenste-
        hende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits
        heute praktiziert.
        Die beiden Entwürfe unterscheiden sich zwar gering-
        fügig in der Frage, ob die Öffentlichkeit fakultativ oder
        regelmäßig zugelassen werden soll. Aber auch hier wird
        die Diskussion im weiteren Verlauf des Gesetzgebungs-
        verfahrens ergeben, welchem der beiden Konzepte der
        Vorzug zu geben ist.
        Ich komme zum zweiten Thema: Die Förderung der
        außergerichtlichen Streitbeilegung ist ein wesentliches
        Ziel der Rechtspolitik der Bundesregierung. Die außer-
        gerichtliche Streitbeilegung kann nicht nur einen Beitrag
        leisten zu der dringend gebotenen Entlastung der Zivil-
        justiz. Sie kann vielmehr auch in dafür geeigneten Be-
        reichen eher und besser Rechtsfrieden zwischen den
        streitenden Parteien schaffen.
        Ich denke hier insbesondere an Nachbarschaftsstrei-
        tigkeiten. Die Parteien müssen in diesen Fällen auch
        weiterhin miteinander auskommen. Ihnen ist mit außer-
        gerichtlicher Streitschlichtung häufig viel besser gedient
        als mit einem Streit vor Gericht und einem anschließen-
        den Urteil.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3835
        (A) (C)
        (B) (D)
        Bei anderen Streitigkeiten sind Gerichtsverfahren
        schon im Hinblick auf das Verhältnis von Aufwand und
        Bedeutung der Sache wenig geeignet. Die Gerichts- und
        Anwaltskosten einschließlich etwaiger Auslagen für
        Zeugen und Sachverständige können in solchen Fällen
        leicht die Höhe der im Streit stehenden Forderung über-
        steigen. Solche Konflikte können durch außergerichtli-
        che Streitbeilegung rascher und kostengünstiger berei-
        nigt werden. Ich halte es deshalb für wichtig, Institutio-
        nen, die im Vorfeld der Gerichte Konflikte beilegen, zu
        fördern.
        Die mit dem vorliegenden Entwurf vorgeschlagene
        Öffnungsklausel zugunsten der Bundesländer bietet aus-
        reichend Flexibilität, um alternative Wege zur außerge-
        richtlichen Streitbeilegung zu gehen. Da sich fast alle
        Länder in diesem Bereich experimentierfreudig zeigen,
        verspreche ich mir viel von der Umsetzung dieser Re-
        gelung.
        Die jetzt vorgeschlagene Regelung war auch Be-
        standteil der Bundesrats-Initiative der vergangenen Le-
        gislaturperiode, des Gesetzentwurfs zur Vereinfachung
        des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens
        der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die CDU/CSU-
        Fraktion hat allerdings diesen Entwurf in der laufenden
        Legislaturperiode nahezu unverändert wieder einge-
        bracht. Die Bundesregierung teilt den Gesamtansatz die-
        ses Entwurfs nicht. Mit ihm soll die „Flickschusterei“ in
        der Justizpolitik durch Rechtspflegevereinfachungs-,
        Beschleunigungs- und Entlastungsgesetze fortgesetzt
        werden. Die Bundesregierung setzt im Gegensatz dazu
        auf eine grundlegende Reform des Rechtsmittelrechts in
        Zivilsachen noch in dieser Legislaturperiode.
        Dies ändert indessen nichts daran, daß ein wichtiger
        Ansatz, der mit dem heute zu beratenden Entwurf der
        Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf-
        gegriffen wird, schon jetzt zügig verabschiedet werden
        kann, um eine möglichst rasche Entlastung der Zivilge-
        richte zu erreichen. Angesichts der Vorgeschichte dieses
        Vorschlages bin ich mir sicher, daß wir großes Einver-
        nehmen erzielen werden.
        Zum dritten Thema: Auch dem Entwurf des Bundes-
        rates für ein Gesetz zur Änderung des Einführungsgeset-
        zes zum Gerichtsverfassungsgesetz stimmt die Bundes-
        regierung zu. Mit der beantragten Änderung soll dem
        Land Berlin wegen der dortigen Bezirksreform die
        Möglichkeit eingeräumt werden, die Schöffenwahl bei
        einem Gericht zu konzentrieren und damit zu vereinfa-
        chen.
        Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
        ein klares Konzept für ihre Rechtspolitik in dieser Le-
        gislaturperiode. Wie ein roter Faden ziehen sich durch
        dieses Konzept Maßnahmen zur Stärkung der Judikative
        – ihre Stellung, ihrer Selbstverantwortlichkeit, ihrer Lei-
        stungsfähigkeit. Die heute beratenen Entwürfe passen
        wie Mosaiksteine in dieses Konzept. Ich bitte darum, sie
        positiv aufzunehmen.
        Rainer Funke (F.D.P.): Uns begegnet heute mit dem
        Gesetzentwurf zur Förderung der außergerichtlichen
        Streitbeilegung ein alter Bekannter, denn dieses Gesetz
        hat schon die frühere Bundesregierung eingebracht. Sie
        war mit diesem Gesetzentwurf zugegebenermaßen aus
        anderen Gründen im Vermittlungsausschuß gescheitert.
        Inhaltlich kann ich daher diesem Gesetz über die außer-
        gerichtliche Streitbeilegung durchaus zustimmen.
        Die F.D.P. hat stets der außergerichtlichen Streitbei-
        legung eine große und wichtige Rolle zugedacht. Aus
        diesem Grunde haben wir in der letzten Legislaturperi-
        ode auch die §§ 1025ff. ZPO reformiert und das
        Schiedsgerichtswesen dadurch auch international geför-
        dert.
        Je mehr außergerichtliche Streitbeilegung und außer-
        gerichtliche Streitentscheidungen möglich sind, desto
        schneller und häufig effektiver wird der Rechtsfrieden
        hergestellt, als es Gerichte mit ihrer hoheitlichen Funk-
        tion leisten können. Der Spruch „Schlichten ist besser
        als richten“ hat viel Wahres für sich.
        Die außergerichtliche Streitbeilegung hat ja in einigen
        Bundesländern großen Erfolg gehabt. Schiedsmänner
        und Schiedsfrauen, aber auch die Mitarbeiter der öffent-
        lichen Rechtsauskunft und Vergleichsstelle in Hamburg
        haben wesentlich zur Entlastung der Gerichte und zur
        Herstellung des Rechtsfriedens beigetragen. Der Ansatz
        des Gesetzes, durch eine Länderöffnungsklausel diese
        bewährten Institutionen, die von Land zu Land ja unter-
        schiedlich ausgestaltet sind, zu nutzen, erscheint mir
        nach wie vor richtig.
        Im Rechtsausschuß werden wir aber darüber zu be-
        raten haben, ob die Länder nicht doch in einem be-
        stimmten Rahmen und nicht in völlig unterschiedlicher
        Weise diese außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen
        ausgestalten sollen. Insbesondere in der Nähe von Län-
        dergrenzen wird es der Bevölkerung schwer verständlich
        zu machen sein, daß zum Beispiel in Hamburg-
        Schnelsen, also am nördlichsten Ende von Hamburg,
        Regelungen gelten, und 300 Meter von meinem Wohn-
        sitz entfernt, in Schleswig-Holstein, andere Vorausset-
        zungen bestehen.
        Auf jeden Fall wird es zusätzlichen Personalbedarf
        im Bereich der Schiedsmänner und Schiedsfrauen ge-
        ben. Ich glaube, daß als Schlichter vor allem Rechts-
        anwältinnen und Rechtsanwälte in Frage kommen, in-
        soweit könnte auf die Vorbildfunktion des Entwurfs
        eines Landesausführungsgesetzes in Baden-Würt-
        temberg hingewiesen werden.
        Die Bundesjustizministerin hat bereits mehrfach den
        großen Entwurf einer Justizreform angekündigt. Dabei
        soll insbesondere der bisherige Instanzenweg in Frage
        gestellt werden. Insoweit könnte der außergerichtlichen
        Streitbeilegung vor Inanspruchnahme der Eingangs-
        gerichte eine große Bedeutung zukommen. Wir sollten
        daher auch in der Beratung in den Ausschüssen mit
        überdenken, ob die außergerichtliche Streitbeilegung
        nicht gemeinsam mit den Vorschlägen zur Justizreform
        behandelt werden sollte.
        Mit dem Gesetzentwurf zur Stärkung der Unabhän-
        gigkeit der Richter und der Gerichte begegnet uns wie-
        der ein alter Bekannter, nämlich das alte sozialdemokra-
        tische Ziel der sogenannten Demokratisierung der Ge-
        richte.
        3836 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        Aber die Idee der Gleichwertigkeit aller Richterämter, die
        ja hinter diesem Gesetzesantrag steht, verkennt, daß unter-
        schiedliche Verantwortlichkeiten und unterschiedliche Be-
        fugnisse letztlich auch mit unterschiedlichen Rechten und
        Pflichten der betroffenen Richter einhergehen müssen. Wenn
        man bedenkt, daß den Vorsitzenden Richtern künftig noch
        zunehmend einige Aufgaben übertragen werden sollen, be-
        steht zumindest kein sachliches Gebot für die Beschneidung
        der Position der Vorsitzenden Richter. Aber auch bei diesem
        Gesetzentwurf sieht die F.D.P. einen Zusammenhang zu den
        Überlegungen der Justizreform. Eine tragende Überlegung
        bei der Justizreform ist ja nun einmal die noch weitere Zu-
        rückführung der Kammerentscheidung. Aus diesem Grunde
        plädiere ich sehr dafür, diesen Gesetzentwurf zur Stärkung
        der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte erst dann zu
        beraten, wenn die Vorstellungen der Justizministerin zur Ju-
        stizreform im Bundestag beraten werden.
        Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Reform der
        Präsidialverfassung der Gerichte sieht eine sogenannte
        Richteröffentlichkeit vor und soll eine größere Transpa-
        renz der Entscheidungen ermöglichen. Ich habe Zweifel,
        ob dieses Ziel mit diesem Mittel erreicht wird.
        Ich prophezeie, daß die Verstärkung der Richter-
        öffentlichkeit letztlich dazu führt, daß die Entscheidun-
        gen noch viel stärker als bisher in den von uns allen im-
        mer wieder kritisierten Runden vorbereitet und letztlich
        auch gefällt werden.
        Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
        Eigentlich ist es eine Zumutung, über den vorliegenden Ge-
        setzentwurf im Bundestag zu diskutieren, nachdem wir be-
        reits im letzten Jahr die Frage der Entlastung der Gerichte
        im Bundestag verabschiedet hatten, durch Uneinsichtigkeit
        der damaligen Opposition, der SPD und der Grünen, ein
        Inkrafttreten verhindert wurde und wir bereits am 28. Janu-
        ar dieses Jahres den Gesetzentwurf so vorstellten, der ur-
        sprünglich auch Ihre Zustimmung gefunden hat, mit Aus-
        nahme der eigentlich vernünftigen Versuchsregelung, das
        Handelsregister den Industrie- und Handelskammern zu
        übertragen. Dies haben wir, weil wir die Mehrheiten ken-
        nen, gestrichen, und trotzdem haben Sie uns vergeblich im
        Januar diskutieren lassen mit der mehr als faulen Ausrede
        – und ich darf Sie zitieren, lieber Kollege Hartenbach –:
        „Wenn wir etwas tun, dann muß es eine Reform sein, die
        aus einem Guß ist. Ich bin froh, daß Herr Pick darüber
        nachher noch sprechen wird. Da kann ich mir weitere Aus-
        führungen ersparen.“
        Ich darf weiter zitieren: Herrn Staatssekretär Dr. Pick
        auf eine Intervention von Herrn Geis:
        Wissen Sie, Herr Geis, wir haben … die Chance –
        auch im Konsens mit den Bundesländern –, tat-
        sächlich in eine echte Reform einzusteigen. Des-
        wegen werden wir in allen Schritten, die dieser Re-
        form nicht zuwiderlaufen, sondern sie befördern
        und ihr entsprechen, zustimmen.
        Später fährt er fort:
        Meine Damen und Herren, in der Koalitionsver-
        einbarung ist festgelegt, daß wir eine umfassende
        Justizreform mit den Aspekten der Dreistufigkeit,
        von der ich bereits sprach, der Aufwertung der
        einheitlichen Eingangsgerichte, der Reform der
        Gerichte und Instanzen und der Vereinfachung und
        Angleichung der Verfahrensordnungen durchset-
        zen werden.
        Dies waren alles Ankündigungen, um unseren ver-
        nünftigen Gesetzentwurf zu Fall zu bringen, nun muten
        Sie uns diesen mickrigen Gesetzentwurf zur Förderung
        der außerordentlichen Streitbeilegung – sozusagen als
        Vorgesetz – zu und alle anderen großen Reformvorha-
        ben bleiben, mindestens vorläufig, auf der Strecke.
        Sie haben es zu verantworten, daß die Gerichte nicht
        schon längst durch außergerichtliche Verfahren entlastet
        wurden, daß immer noch mindestens bei den Eingangs-
        gerichten übermäßiger Arbeitsanfall für Richter und
        Mitarbeiter der Gerichte besteht und die rechtsuchenden
        und letztlich auch streitenden Bürger mit hohen Kosten
        belastet werden.
        Wir waren Ihnen im Januar weit entgegengekommen
        und haben es als Arroganz der Macht empfunden, daß
        sie unseren – ich darf wiederholen – vom Bundestag
        verabschiedeten, von Ihnen mit Ausnahme der Register-
        änderung akzeptierten Entwurf abgelehnt haben. Wir
        haben überhaupt kein Verständnis dafür, daß wir nun
        den Ländern und auch den Gerichten sowie den
        Rechtsuchenden Brotkrümel vorwerfen sollen.
        Es ist schon erstaunlich, lieber Kollege Hartenbach,
        Sie verkündeten am 28. Januar 1999 – ich zitiere –: Wir
        werden in den nächsten Tagen einen Gesetzentwurf in
        das parlamentarische Verfahren einbringen, der den
        Ländern das gibt, was sie dringend brauchen, nämlich
        den Einstieg in die außergerichtliche Streitschlichtung
        und haben für dieses Kleinstgesetz nicht Tage, sondern
        fast fünf Monate gebraucht. Eine tolle Leistung! Wenn
        ich daran denke, was alles noch zu erledigen ist und von
        Ihnen angekündigt wurde, wird das wohl diese Legisla-
        turperiode nichts mehr werden.
        Was wir wollen, ist die letztes Jahr im Bundestag be-
        schlossene Verabschiedung einer echten Justizreform – und
        das schnell, ohne ideologische Scheuklappen. Diese ideo-
        logische Scheuklappen haben das Justizministerium und
        die Rechtsexperten in der SPD-Fraktion wohl gehabt, und
        es hat ihnen die Sicht, zum Beispiel bei dem 630-Mark-
        Gesetz und dem Gesetz über die Scheinselbständigkeit ge-
        trübt. Denn sonst hätten solche schlampigen, Recht und
        Ordnung mit Füßen tretende und vermutlich verfassungs-
        widrige Gesetze nicht das Justizministerium passieren kön-
        nen. Unsere Warnungen bei den Beratungen im Rechtsaus-
        schuß wurden höhnisch zurückgewiesen. Ein Teil der
        Wahlschlappen am letzten Sonntag – und es ist ja nicht nur
        die Europawahl gewesen, sondern auch eine große Reihe
        von Kommunalwahlen – ist auf diese schlampige und arro-
        gante Behandlung zurückzuführen.
        Verehrter Herr Hartenbach, in der Vergangenheit hatten
        wir einen guten Ton und waren stolz darauf, daß wir im
        Gegensatz zu anderen Ausschüssen ordentlich und fair mit-
        einander umgingen. Das hat sich in den letzten Monaten
        leider geändert, und ich bin der Meinung: Das muß wieder-
        hergestellt werden. Der insbesondere auch beim Staatsbür-
        gerrecht mehrfach geäußerte Satz ,,Ihr könnt machen, was
        ihr wollt, wir haben die Mehrheit“ wurde von uns so in 16
        Jahren nicht gebraucht. Wir haben mit Ihnen als Opposition
        auch dann Gesetze besprochen, wenn wir wußten, daß Sie
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3837
        (A) (C)
        (B) (D)
        sie aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Sie sollten
        zu dieser fairen und fruchtbaren Zusammenarbeit zurück-
        kehren und uns als Opposition rechtzeitig in die Gesetzes-
        vorhaben mit einbeziehen, sonst können Sie nicht damit
        rechnen, daß Sie unsere Unterstützung finden. Insbesonde-
        re darf es nicht wieder vorkommen, wie mehrfach gesche-
        hen, daß im Schweinsgalopp morgens Gesetze eingebracht
        werden, die noch am gleichen Tag im Rechtsausschuß be-
        handelt und abgeschlossen werden müssen.
        Der Rechtsausschuß war eine solide Plattform recht-
        lichen Wirkens – und das muß er wieder werden. Wir
        schlagen daher vor, daß wir den am 28. Januar von uns
        im Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf zusammen
        mit ihrem heutigen Gesetzentwurf im Rechtsausschuß
        behandeln und vernünftige, den Gerichten wirklich hel-
        fende Ergebnisse zustande bringen. Wir sind dazu bereit,
        aber nur dann, wenn wir gleichberechtigt und ernsthaft
        mitarbeiten können.
        Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Die Justiz ist bekannter-
        maßen reformbedürftig. Mit Blick auf das zur Debatte
        stehende GVG von 1871 kann man nur vermerken: „Die
        Justiz der Gegenwart ist eine Justiz der Vergangenheit“.
        Von daher begrüße ich jede Initiative, die hierarchische
        Strukturen in der Gerichtsverfassung beseitigt und die
        Unabhängigkeit der Richter im Interesse einer Demo-
        kratisierung der Justiz stärkt. Das gilt auch für jeden Ge-
        setzentwurf, der die Bürgerfreundlichkeit, Transparenz
        und die Friedensfunktion von Recht und Justiz bewahrt
        und fördert. Die PDS hat deshalb in der vergangenen
        Wahlperiode den „Entwurf eines Gesetzes zur Demo-
        kratisierung und Vereinfachung des Gerichtsverfas-
        sungsgesetzes“ vorgelegt.
        Es besteht insofern Einigkeit darüber, daß die über-
        kommenen Strukturen des GVG in einer demokratischen
        Reform der Gerichtsverfassung beseitigt werden müssen.
        Die Stärkung der richterlichen Selbstverwaltung und die
        Beseitigung von ungerechtfertigten Privilegien innerhalb
        der Richterschaft gehen deshalb in die richtige Richtung.
        An dem Gesetzentwurf ist jedoch nicht der Regelungsvor-
        schlag, sondern die Aussparung wichtiger Regelungserfor-
        dernisse zu kritisieren. Von einem Entwurf der Koalitions-
        parteien zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter darf
        man eigentlich mehr erwarten als „nur“ die Änderung der
        Präsidialverfassung. Ich halte die Reform der geltenden
        Präsidialverfassung nicht für die einzige oder vordringlich-
        ste rechtspolitische Maßnahme hierbei. Die Reform der so-
        genannten Richterkarriere wie auch der Besoldung ist
        ebenso wichtig.
        Der Gesetzentwurf zur Förderung der außergerichtli-
        chen Streitbeilegung geht zwar in die richtig Richtung.
        Er ist aber nur ein vorsichtiges Schrittchen dahin.
        Zunächst: Ich unterstützte das rechtspolitische Bemü-
        hen, den Weg für alternative und vor allem frühzeitige
        Möglichkeiten der Konfliktbehandlung durch eine Expe-
        rimentierklausel für die Länder zu öffnen. Dies tue ich
        allerdings nicht vorrangig, um angesichts der sinkenden
        Finanzkraft der öffentlichen Haushalte lediglich die Zahl
        der Gerichtstverfahren zu senken. Der Filter „alternative
        Verfahren“ muß – ohne die Kostenseite zu ignorieren –
        in erster Linie einer bürgerfreundlichen, zugleich aber
        auch qualifizierten Konfliktlösung dienen. Nur so ist auf
        diesem Wege eine effektive Herstellung des Rechtsfrie-
        dens möglich. Das Schlichtungsverfahren darf auf kei-
        nen Fall zu einer uneffektiven Zwangsinstanz verkom-
        men, die auf dem Weg zum gerichtlichen Verfahren pro
        forma durchlaufen werden muß, weil die notwendige
        juristische Sachkenntnis und damit auch Akzeptanz bei
        den Rechtssuchenden fehlt.
        Ich halte es auch für wichtig, daß die Initiativen zur au-
        ßergerichtlichen Konfliktlösung möglichst früh ansetzen.
        Ganz im Sinne von Radbruch, der „Rechtshygiene“ vor
        „Rechtschirurgie“ plazierte, geht es doch zunächst um die
        Vermeidung der Eskalation von Konflikten, das heißt um
        ein breites Angebot zur rechtlichen Beratung und Aufklä-
        rung. Die Einrichtung von sogenannten Bürgerinforma-
        tions- und -beratungsstellen wäre hierfür sehr dienlich.
        Grundsätzlich ist eine möglichst breite Palette von Verfah-
        rensformen für Streitschlichtungen wünschenswert. Dabei
        denke ich sowohl an evaluative Verfahren, bei denen es vor
        allem um eine neutrale und sachverständige Bewertung
        geht, z. B. bei Streitigkeiten über die Höhe von Sachschä-
        den nach Verkehrsunfällen oder bei den so häufig vor-
        kommenden Pauschalreisemängeln. Ich denke aber auch an
        Kombinationen von evaluativen und konfliktregelnden
        Verfahren wie sie z. B. im privaten Baurecht, dem Archi-
        tekten- und Arzthaftungsrecht von Interesse sind, wo es um
        eine sachverständige Feststellung und bzw. oder eine Eini-
        gung geht.
        Und auch außerhalb der streitigen Gerichtsbarkeit
        könnten z. B. unproblematische Ehescheidungen behan-
        delt werden. In einer Reihe von Staaten ist dies heute
        selbstverständlich. Hier wäre eine wirkliche Erleichte-
        rung für die Bürger und eine Entlastung der Justiz zu er-
        zielen. Doch dies hat die Regierung offenbar nicht im
        Blick.
        Bedenken möchte ich auch hinsichtlich der Begren-
        zung bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auf Ge-
        genstandswerte bis 1 500,– DM anmelden. Allein der
        Streitwert scheint mir kein geeignetes Kriterium. Auch
        oder gerade manch wirtschaftlich bedeutsame Streitig-
        keit kann für ein Schlichtungsverfahren besonders ge-
        eignet sein. Und warum soll nicht den Gerichten die
        Möglichkeit gegeben werden, Fälle, die für eine außer-
        gerichtliche Schlichtung geeignet sind, mit Einverständ-
        nis der Parteien an eine entsprechendes Schlichtungs-
        stelle zu verweisen.
        Es bleiben bei den vorliegenden Entwürfen viele Fra-
        gen und Wünsche offene, die im Interesse der Rechtssu-
        chenden noch gelöst werden müssen.
        Anlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zu dem Antrag der Fraktion PDS: Einführung
        einer Steuer auf spekulative Devisenumsätze
        (Tobin-Steuer) (Tagesordnungspunkt 13)
        Detlev von Larcher (SPD): Vor gut einem Jahr haben
        wir hier schon einmal Anträge zur sogenannten Tobin-
        Steuer auf Devisentransaktionen beraten. Damals habe
        ich darauf hingewiesen, daß der Dollar 1995 einen Tief-
        3838 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        stand von 1,35 DM erreicht hatte und seitdem 35 Pro-
        zent – auf 1,82 DM – an Wert gewonnen hatte. Heute
        steht der Dollar nur 3 Prozent höher – von einer drama-
        tischen Schwäche des Euro kann ich daher nichts erken-
        nen. Dennoch haben die letzten Jahre gezeigt, daß die
        Entwicklung der Wechselkurse der realwirtschaftlichen
        Entwicklung nur bedingt folgt und deshalb Maßnahmen
        ergriffen werden müssen, damit es nicht zu einer weite-
        ren Entkoppelung mit all ihren negativen Auswirkungen
        kommt. Nur noch 1 bis 2 Prozent der Umsätze auf den
        internationalen Devisenmärkten entfallen auf die Ab-
        wicklung des internationalen Handels. Mit anderen
        Worten: Die Realwirtschaft steht auf den Devisenmärk-
        ten einer hundertfachen Übermacht der Spekulation, der
        Absicherungsgeschäfte und des Geldhandels gegenüber.
        Ginge es dabei nur um einen Casino-Kapitalismus, dann
        müßte uns dieses Thema nicht weiter beschäftigen. Aber
        Spekulation ist mehr als ein Glücksspiel unter Finanz-
        marktakteuren, Spekulation ist mehr als der Kampf zwi-
        schen Reichen und Superreichen um ein möglichst gro-
        ßes Stück von einem Kuchen.
        Immer deutlicher werden die negativen Rückwirkun-
        gen der Devisenspekulation auf die realwirtschaftlichen
        Prozesse. Diejenigen, die angesichts der Krise in Süd-
        ostasien nur geringe Wachstumseinbußen – von etwa
        0,2 Prozent – für Europa vorhergesagt haben, haben sich
        leider geirrt. Sie haben sich auch geirrt bei der Beurtei-
        lung der Frage, wann die Krisenregion wieder in eine
        Aufschwungphase eintritt. Wir sehen heute, daß die Zer-
        störungskraft der Devisenspekulation die Entwicklung
        der gesamten Weltwirtschaft empfindlich stören kann.
        Die Devisenspekulation beeinträchtigt die realwirt-
        schaftliche Entwicklung auf mehreren Ebenen:
        Im Außenhandel können Preise nicht mehr sicher
        kalkuliert werden. Die Absicherung gegen Kursrisiken
        führt zu zusätzlichen Kosten, z.B. für Optionen, und be-
        hindert damit den Welthandel.
        Die Verteidigung der Wechselkurse gegen spekula-
        tive Attacken durch die Notenbanken durch kurzfristige
        Interventionen und durch geldpolitische Maßnahmen
        verursacht erhebliche volkswirtschaftliche Kosten.
        Die Stillegung von Produktionskapazitäten in Län-
        dern mit überbewerteter Währung vollzieht sich in der
        Regel schneller als umgekehrt der Produktionsanstieg
        bei Unterbewertung. Das Auf und Ab der Währungen
        führt damit zu einer Vernichtung produktiver Ressour-
        cen.
        Nicht zuletzt führen die Unsicherheiten an den Devi-
        senmärkten auch zu einer nachteiligen Disziplinierung
        der Wirtschafts-, Finanz-, Geld- und Lohnpolitik. Immer
        mehr Länder beteiligen sich an einem überzogenen und
        schädlichen realwirtschaftlichen Abwertungswettlauf,
        um die Gefahr spekulativer Währungsabwertungen mit
        all ihren destabilisierenden Folgen zu verringern.
        Letztlich handelt es sich bei allen genannten Wegen
        der Beeinträchtigung der Realwirtschaft auch um eine
        Umverteilung von Einkommen aus dem produktiven
        realwirtschaftlichen Sektor in den Bereich der Finanz-
        märkte. Und genau hier liegt das zentrale Problem. Inve-
        stitionen in Sachkapital haben im Zuge der Deregulie-
        rung der internationalen Finanzmärkte gegenüber kurz-
        fristigen Geldanlagemöglichkeiten immer mehr an At-
        traktivität verloren. Das ist auch ein Grund für die nach
        wie vor zu geringen Sachinvestitionen und damit ein
        entscheidender Faktor für die nach wie vor zu hohe Ar-
        beitslosigkeit.
        Deshalb gibt es gute Gründe, über Instrumente nach-
        zudenken, die die Spekulation eindämmen und eine
        Glättung der Kursschwankungen am Devisenmarkt be-
        wirken können. Der Vorschlag einer Tobin-Steuer, also
        einer Steuer auf Devisenumsätze, kann dazu durchaus
        beitragen. Die große Anzahl der Transaktionen, die auf
        die Mitnahme geringster Zinsdifferenzen und Kursge-
        winne gerichtet ist, könnte damit uninteressant werden.
        Das heißt allerdings nicht, daß damit jeglicher Devisen-
        spekulation der Boden entzogen würde. Großangelegte
        Attacken auf einzelne Währungen, wie etwa 1992 auf
        die italienische Lira und das Pfund Sterling mit der Fol-
        ge des Ausstiegs aus dem Europäischen Währungs-
        system, hätten sich für ihren Initiator trotz einer Tobin-
        Steuer gelohnt.
        Deshalb ist die Tobin-Steuer allein mit der Vermei-
        dung von spekulationsbedingten Finanzkrisen überfor-
        dert. Eine Besteuerung von Devisentransaktionen wäre
        eher das I-Tüpfelchen auf einer umfassenderen Reform
        des Weltfinanzsystems. Eine solche Reform muß ver-
        bindliche Standards etwa für die Eigenkapitalausstattung
        von Finanzinstitutionen festlegen und mehr Transparenz
        und damit bessere Kontrollmöglichkeiten schaffen. Da-
        mit können das Risiko von Finanzkrisen und die Mög-
        lichkeit, daraus spekulativ Profit zu ziehen, von vorn-
        herein verringert werden. Die Bundesregierung hat im
        Rahmen der G 7 Initiativen hierfür ergriffen.
        Sie hat sich auch – was mir besonders wichtig ist –
        für ein Krisenmanagement eingesetzt, das auch den Pri-
        vatsektor einbezieht. Es kann ja nicht sein, daß private
        Investoren hohe Gewinne für von vornherein riskante
        Geschäfte erzielen und im Krisenfall aus öffentlichen
        Geldern bedient werden. In ihrem Bericht an den Kölner
        Gipfel werden die G 7-Finanzminister hierzu ausführlich
        Stellung nehmen.
        Die deutsche EU-Präsidentschaft geht in zwei Wochen
        zu Ende. Sie, Kolleginnen und Kollegen von der PDS,
        mögen bedauern, daß die Bundesregierung die Tobin-
        Steuer in den letzten Monaten nicht so forciert hat, wie Sie
        dies in ihrem Antrag fordern. Aber diese Forderung ist auf
        einen Show-Effekt gerichtet, nicht auf eine sinnvolle Stra-
        tegie. Die sinnvolle Strategie der Bundesregierung, die die
        volle Unterstützung der SPD-Fraktion findet, besteht darin,
        zunächst den Ursachen von Finanzkrisen vorzubeugen, in-
        dem die Transparenz und Funktionsfähigkeit der Finanz-
        märkte verbessert werden. Das schließt nicht aus, daß auch
        die vorgeschlagene Einführung einer Tobin-Steuer ein
        sinnvolles Instrument sein kann. Sie kann dies aber nur
        dann sein, wenn wir einen möglichst lückenlosen weltwei-
        ten Konsens darüber erzielen. Mit Schnellschüssen, wie in
        dem vorliegenden Antrag gefordert, werden wir dies nicht
        erreichen.
        Otto Bernhardt (CDU/CSU): In dem vorliegenden An-
        trag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, im
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3839
        (A) (C)
        (B) (D)
        Rahmen ihrer Präsidentschaft innerhalb der EU das Thema
        einer Devisen-Umsatzsteuer kurzfristig auf die Tagesord-
        nung des Ecofin-Rates zu setzen und eine Regierungskon-
        ferenz anzuregen, die einen Vertrag zur Einführung einer
        international einheitlichen Devisen-Umsatzsteuer erarbei-
        ten soll. Schließlich wird in dem PDS-Antrag die Bundes-
        regierung aufgefordert, sich für eine bestimmte Ausgestal-
        tung dieses Vertrages einzusetzen.
        Die Idee einer Devisen-Umsatzsteuer wurde erstma-
        lig im Jahre 1972 von dem amerikanischen Wirtschafts-
        wissenschaftler und Nobelpreisträger James Tobin in die
        Diskussion gebracht. Er forderte eine einheitliche inter-
        nationale Steuer auf alle Transaktionen, die einen sofor-
        tigen Devisenaustausch zur Folge haben (sogenannte
        Kassa-Geschäfte). Ziel dieser Steuer sollte es sein, den
        Handel mit Währungen zu verteuern, um so die Speku-
        lation abzuschrecken. Der Erfinder dieser nach ihm be-
        nannte Steuer begründete seine Idee mit der Aussage:
        „Das internationale Finanzsystem braucht etwas Sand
        im Getriebe.“
        Es gibt heute keinen ernst zu nehmenden Fachmann
        aus der Wirtschaftswissenschaft oder der wirtschaftli-
        chen Praxis, der für die Tobin-Steuer eintritt. Auch der
        Erfinder selber hat sich inzwischen weitgehend davon
        distanziert. Unter Politikern hat diese Steuer aber einige
        Popularität erlangt. Immer, wenn es zu großen Schwan-
        kungen auf den Finanzmärkten kommt, gibt es Forde-
        rungen, der Spekulation durch eine gezielte Steuer zu
        begegnen. Populär sind solche Forderungen sicher.
        Ich will im folgenden aufzeigen, warum die Tobin-
        Steuer kein geeigneter Weg ist, um die Devisenspekula-
        tion zu beschränken, geschweige denn zu verhindern.
        Das internationale Finanzsystem gewinnt durch die Glo-
        balisierung ständig weiter an Größe und Komplexität. Unbe-
        stritten ist, daß die Zahl der Devisengeschäfte in letzter Zeit
        zugenommen hat. Ausschlaggebend für die starke Expansion
        des Umsatzvolumens an den internationalen Finanzmärkten
        waren und sind die Internationalisierung von Unternehmun-
        gen, die Integration von Ländern, die bisher keinen Zugang
        zu den internationalen Finanzmärkten hatten, die weltweite
        Liberalisierung nationaler Finanzmärkte, die Erleichterung
        des Marktzutritts sowie Fortschritte in der Informationstech-
        nologie. Dadurch sind aber auch umgekehrt die Abhängig-
        keiten zwischen den Märkten und den Marktteilnehmern ge-
        stiegen: eine Störung in einem Land oder in einer Region
        wirkt sich schneller auf die gesamte Weltwirtschaft aus, als
        dies früher der Fall war. Beispiele dafür sind die Krisen in
        Asien, Mexiko und Lateinamerika. In dieser Interdependenz
        zwischen den Märkten liegt bekanntlich der wesentliche
        Unterschied zu den Gütermärkten.
        Auf der einen Seite darf nicht vergessen werden:
        Grundsätzlich sind Devisentransaktionen nicht schäd-
        lich, sondern nützlich. Sie fallen im Rahmen völlig nor-
        maler Handelsgeschäfte an. Sie erlauben es Unterneh-
        men, sich gegen Risiken, insbesondere Wechselkursrisi-
        ken, abzusichern, und sie ermöglichen es durch das
        Ausnutzen von Arbitrage, Differenzen in den nationalen
        Finanzmärkten zum Beispiel bei den Zinsen zu glätten.
        Bereits in der letzten Legislaturperiode hat sich der
        Bundestag auf Grund von Anträgen der Grünen und der
        PDS mit der Einführung der sogenannte Tobin-Steuer
        beschäftigt. Bereits damals, Anfang 1998, wurden beide
        Initiativen insbesondere mit der Begründung, daß dies
        lediglich an den Symptomen und nicht an den Ursachen
        währungspolitischer Fehlentwicklungen wie verfehlte
        Zinspolitik, verfehlte Stabilitätspolitik und überzogene
        Verschuldungspolitik in den jeweiligen Ländern ansetzt,
        von der damaligen Regierungskoalition, das heißt von
        den Unionsparteien und der F.D.P., aber auch von den
        Sozialdemokraten abgelehnt.
        Eine Steuer auf Devisen-Transaktionen kann aus ei-
        ner falschen Politik keine richtige machen. Die Asien-
        Krise hätte durch eine solche Steuer nicht verhindert
        werden können. Ursache dieser Krise war nicht die
        Währungsspekulation, sondern die falsche Wirtschafts-
        politik in den Krisenstaaten.
        Übrigens: Das, was wir zur Zeit an den Devisen-
        märkten, bezogen auf den Euro erleben, hat auch nichts
        mit Spekulation, sondern mit falscher Wirtschafts- und
        Finanzpolitik zu tun, und zwar nicht zuletzt in der Bun-
        desrepublik Deutschland. Während Deutschland als
        stärkster Staat innerhalb der EU über einen langen Zeit-
        raum ein Stabilitäts- und Wachstumshort für die gesamte
        EU war, wird Deutschland zunehmend ein schwaches
        Glied in der EU-Kette. Der Hinweis, daß wir mit Italien
        im Wirtschaftswachstum inzwischen auf dem letzten
        Platz innerhalb der EU liegen, unterstreicht dies. Dies
        meint auch die weltweit angesehene Finanzzeitschrift
        „The Economist“ in ihrer Ausgabe vom 5. Juni 1999.
        Ich zitiere: „Die bedeutendste Wirtschaft im Euro-Raum
        ist auf einem schlechten Weg, und ihre Krankheiten sind
        ein Hauptgrund für die Schwäche des Euro.“
        Doch zurück zur Tobin-Steuer. Die Fähigkeit dieser
        Steuer, Devisenspekulationen einzuschränken, ist nach
        Einschätzung der wirtschaftswissenschaftlichen For-
        schung sehr begrenzt. Bei niedrigem Steuersatz werden
        nur Spekulationen auf kleinere Abweichungen des ent-
        sprechenden Wechselkurses verringert, diese stellen al-
        lerdings keine Stabilitätsprobleme dar. Die Tobin-Steuer
        verliert ihre Durchschlagskraft, wenn deutliche Kursän-
        derungen erfolgen, da dann die Spekulation profitabel
        bleibt. Gravierende Wechselkurs- und Zinsänderungen
        sind schon bei geringeren Umsätzen möglich, die durch
        eine Tobin-Steuer nicht verhindert werden können.
        Der Wirkungsmechanismus dieser Steuer wird häufig
        falsch eingeschätzt. Gegen hohe kurzfristige Spekula-
        tionswellen ist die Tobin-Steuer wirkungslos. Sie würde
        aber die längerfristigen, durch Warenhandel begründe-
        ten Devisentransaktionen, die sie eigentlich schützen
        möchte, über Gebühr verteuern und unter Umständen
        verhindern. Sie beeinträchtigt somit das Wirtschafts-
        wachstum des Landes. Sie wirkt also letztendlich kon-
        traproduktiv und steht der beabsichtigten Wirkung,
        nämlich den geschädigten Ländern finanziell zu helfen,
        entgegen.
        Hinzu kommen drei weitere sehr kritische Punkte:
        Erstens. Unterscheidung zwischen nützlichen und
        schädlichen Devisenumsätzen ist nicht möglich. Was
        immer man auch unter spekulativen Devisenumsätzen
        oder schädlichen Devisenspekulationen verstehen mag,
        3840 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        sie sind nicht von „nichtspekulativen“ oder „nützlichen
        Devisentransaktionen“ oder Devisenumsätzen zu unter-
        scheiden. Jeder, der sich intensiver mit dieser Problema-
        tik beschäftigt hat, wird mir Recht geben, daß es keine
        objektiven Kriterien für eine Trennung von nichtspeku-
        lativen Devisenumsätzen gibt.
        Zweitens. Alle müßten mitmachen. Im PDS-Antrag
        wird die Bundesregierung aufgefordert, die sogenannten
        G-7-Staaten, Singapur, die Schweiz, China/Honkong,
        Australien und weitere interessierte Staaten, womit of-
        fensichtlich auch alle übrigen EU-Länder gemeint sind,
        zu der gewünschten Regierungskonferenz einzuladen.
        Mit dieser Teilnehmergruppe würden etwa 98 Prozent
        der durchschnittlichen täglichen Devisenumsätze – so-
        weit sie von der Bank für internationalen Zahlungsver-
        kehr erfaßt werden – einbezogen sein.
        Nichts spricht dafür, daß auch nur einige der ge-
        nannten Staaten einer solchen Steuer zustimmen wür-
        den, geschweige denn die Mehrheit oder gar alle. Aber
        selbst dann würde die Gefahr bestehen, daß sogenannte
        Steueroasen entstehen, zu denen der Devisenhandel ab-
        wandern würde. Das Nachsehen hätten die Staaten, die
        eine solche Steuer einführen würden. Der Tatbestand,
        daß es völlig unrealistisch ist, weltweit eine solche Steu-
        er einzuführen, hat den Erfinder der Steuer, Herrn To-
        bin, bewogen, seine eigene Idee letztlich als nicht durch-
        setzbar zu bezeichnen.
        Drittens. Eine Tobin-Steuer würde zu einer erhebli-
        chen neuen Bürokratie im nationalen und internationalen
        Bereich führen. Ein großer Teil der möglicherweise zu
        erwartenden Einnahmen würde durch den Erhebungs-
        aufwand verbraucht.
        Im übrigen kann die Tendenz für die Zukunft nicht
        sein, immer neue Steuern zu entwickeln, sondern eher
        die Frage zu stellen, auf welche Steuern man zukünftig
        verzichten kann.
        Noch ein Wort zum Aufkommen und zur Verwen-
        dung der beantragten Steuer. Als Aufgaben werden ins-
        besondere die Förderung von Entwicklungsmaßnahmen,
        die Finanzierung von Umweltmaßnahmen, die Ent-
        schuldung von Entwicklungsländern und die Schaffung
        eines Stabilitätsfonds für mögliche Währungskrisen ge-
        nannt.
        Im März 1995 im Rahmen des Weltsozialgipfels in
        Kopenhagen wurden im Zusammenhang mit der Tobin-
        Steuer weltweite Steuereinnahmen in einer Größenord-
        nung von 500 Milliarden US-Dollar genannt bei An-
        nahme eines Steuersatzes von 1 Prozent. Diese Zahlen
        entbehren jedoch jeder Grundlage. Der vorliegende An-
        trag geht von einem Steuersatz von 0,25 Prozent aus.
        Bezogen auf die in Kopenhagen genannten Zahlen wür-
        de es somit um Bruttoeinnahmen von über 100 Milliar-
        den US-Dollar gehen. In Wirklichkeit dürften keine
        nennenswerten Steuereinnahmen zu erwarten sein. Ich
        verweise auf meine bisherigen Ausführungen: Ein gro-
        ßer Teil des Devisenhandels würde in Steueroasen ab-
        wandern.
        Ich komme zum Schluß und fasse einige wesentliche
        Argumente noch einmal zusammen: Das internationale
        Finanzsystem gewinnt durch die Globalisierung ständig
        an Bedeutung und die Devisengeschäfte haben in letzter
        Zeit überproportional zugenommen. Eine Relation mag
        dies verdeutlichen. In den letzten Jahren haben sich die
        Devisenumsätze fast doppelt so stark erhöht wie das
        Wachstum des Welthandels. Währungskrisen können
        einen verheerenden Einfluß auf die wirtschaftliche Ent-
        wicklung einzelner Staaten, ganzer Regionen, ja der ge-
        samten Weltwirtschaft haben. Die Tobin-Steuer ist aber
        kein geeigneter Beitrag, um diese Probleme zu verrin-
        gern oder gar zu beseitigen. Was wir brauchen, ist eine
        bessere Zusammenarbeit des internationalen Währungs-
        fonds mit der Bank für internationalen Zahlungsaus-
        gleich und der Weltbank, insbesondere aber eine Stabi-
        litätspolitik in den starken Volkswirtschaften. Hier liegt
        unsere gemeinsame Aufgabe auch im Deutschen Bun-
        destag.
        Wir sollten unsere Kraft nicht in Instrumente wie die
        Tobin-Steuer investieren, die keine Chance haben,
        weltweit eingeführt zu werden, sondern in eine solide
        Wirtschafts- und Finanzpolitik für die Bundesrepublik
        Deutschland. Damit stärken wir die Europäische Union
        und leisten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der
        Weltwirtschaft.
        Klaus Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Im Bundestags-Wahlprogramm sprechen sich BÜND-
        NIS 90/DIE GRÜNEN für eine ökologisch-solidarische
        Weltwirtschaftsordnung aus. In der Analyse dessen, was
        entfesselte Kapitalmärkte und Finanzmärkte für die
        Weltwirtschaft bedeuten, stimme ich durchaus mit eini-
        gen Passagen Ihres Antrages überein, sehr geehrte Frau
        Dr. Höll.
        Voraussetzungen für eine Weltwirtschaft, die der
        nachhaltigen Entwicklung nicht entgegensteht, ist ein
        funktionierendes und stabiles internationales Geldsy-
        stem. Die internationalen Finanzmärkte entwickeln sich
        zu einem globalen und wirtschaftlichen Risiko. Über
        1 Billion US-Dollar werden täglich in Devisengeschäften
        umgesetzt. Dem stehen nur in ca. 2 Prozent der Fälle reale
        Geschäfte mit Gütern und Dienstleistungen entgegen.
        Die spekulativen Operationen an den internationalen
        Finanzmärkten treten immer mehr an die Stelle mögli-
        cher Investitionen. Es entstehen Risiken, denen keine
        ausreichenden Sicherheiten gegenüberstehen. Die real-
        wirtschaftliche Entwicklung wird dabei beeinträchtigt.
        In den 15 Jahren von 1979 bis 1994 ist der Umsatz an
        den Devisenmärkten um etwa das 80fache gestiegen. Im
        gleichen Zeitraum hat sich der Welthandel um das
        Zweieinhalbfache erhöht. Vor allem die Kurzfristanla-
        gen sind dramatisch angestiegen. 80 Prozent der Finanz-
        geschäfte haben eine Laufzeit von weniger als sieben
        Tagen. Die Hälfte davon wiederum hat eine Laufzeit
        von max. 48 Stunden. Hier herrschen überwiegend spe-
        kulative und kurzfristige Motive. An den Aktien-, Ren-
        ten- und Devisenmärkten werden Währungen gehandelt
        wie „Bananen“. Die Beschränkung des kurzfristigen
        Kapitalverkehrs könnte gerade schwächere Währungen
        schützen.
        Die Krise in Ostasien, die sich bis nach Lateinameri-
        ka ausbreitet, hat auf schonungslose Weise die
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3841
        (A) (C)
        (B) (D)
        Schwachstellen des internationalen Finanzsystems of-
        fengelegt. So purzelten nicht nur Aktien- und Devisen-
        kurse. Auch die unumstößlichen Prediger marktwirt-
        schaftlicher Glaubenssätze sind ins Wanken geraten.
        Sogar Herr Tietmeyer äußerte Verständnis für Schwel-
        lenländer, die unter dramatischen Umständen den Kapi-
        talverkehr zu bremsen versuchten. Nur wenn es auf in-
        ternationaler und nationaler Ebene zu durchgreifenden
        Veränderungen kommt, kann das Risiko künftiger Fi-
        nanzkrisen eingedämmt werden.
        Eines der wichtigsten Voraussetzungen für funktionie-
        rende Märkte ist eine solide Informationsgrundlage. Der
        IWF selbst hat die Krise nicht rechtzeitig erkannt, ge-
        schweige denn verhindert. Deshalb müssen zusätzliche In-
        formationssysteme auf internationaler Ebene eingezogen
        werden. Zu prüfen ist, auf welcher Ebene und durch welche
        Organisationseinheiten umfassende Informationen über das
        Weltfinanzsystem besser und verbindlicher bereitgestellt
        werden können. Das „Forum für Finanzstabilität“, das vor
        wenigen Wochen von den G-7-Staaten auf dem Petersberg
        beschlossen wurde, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
        Herr Tietmeyer, Initiator dieses Beschlusses, spricht sich
        dafür aus, daß bekannt wird, „wie verschuldet eigentlich
        die Länder sind, wie verschuldet die großen Firmen sind,
        wie engagiert die Banken sind“. Auf alle Fälle ist ein früh-
        zeitigeres Einbeziehen von Schwellen- und Entwicklungs-
        ländern sinnvoll.
        Auch führende Rating-Agenturen haben sich in der
        asiatischen Finanzkrise gründlich blamiert. Sie haben
        asiatische Schuldtitel zur Anlage empfohlen, als die pre-
        käre Situation sich bereits offen abzeichnete. Kurzfristig
        mußten sie die Anlagen auf das Niveau von hochspeku-
        lativen „Junk-Bonds“ herabstufen.
        Auch Bündnis 90/Die Grünen hat in der letzten Le-
        gislaturperiode die Einführung einer Tobin-Steuer ge-
        fordert. Viele werden sich sicher daran erinnern, denn
        die abschließende Beratung des Antrages liegt gerade
        mal ein Jahr zurück. Parallel zu unserem Antrag wurde
        auch ein entsprechender Antrag der PDS beraten. Es ist
        der gleiche, der uns heute vorliegt. Schon vor einem Jahr
        konnten wir aber Ihren Vorschlag nicht unterstützen. Ich
        möchte diese Haltung hier noch einmal verdeutlichen.
        Scheinbar hat mein Fraktionskollege und unser damali-
        ger Redner, der heutige Staatsminister im Auswärtigen
        Amt, Ludger Vollmer, Sie vor einem Jahr nicht über-
        zeugen können.
        Grundsätzlich unterstützen wir den Gedanken einer
        Tobin-Steuer. Durch eine Devisensteuer kurzfristige Ge-
        schäfte so zu versteuern, daß sich Kurzfristspekulationen
        nicht mehr lohnen, halten wir immer noch für einen gu-
        ten und auch notwendigen Ansatz. Damit diese Steuer
        aber Ihren Sinn nicht verfehlt, muß sie, und das ist für
        uns eine wichtige Bedingung, zum verbindlichen Mit-
        gliedskriterium des IWF gemacht werden.
        Sie beschränken aber ihre Forderungen nur auf
        „Staaten, die den Vertrag ratifizieren“. Ich nehme an,
        daß Sie damit die Durchsetzbarkeit der Steuer erhöhen
        wollen. Das finde ich ein edles Anliegen, denn hieran
        wird die Umsetzung einer Tobin-Steuer am ehesten
        scheitern: dem supranationalen Konsens.
        Allerdings wird dieser Schuß nach hinten los gehen.
        Die Tobin-Steuer verfehlt ihren Zweck, wenn sie nicht
        flächendeckend – zumindest in den IWF-Mitgliedstaaten
        – durchgesetzt wird. Gerade in Ihrer Problembeschrei-
        bung streichen Sie doch die hohe Reagibilität im Fi-
        nanzsektor heraus. Gleichzeitig wollen Sie auf der ande-
        ren Seite Eingriffsmöglichkeiten des IWF stärken, um
        auf diese Weise regionale Umgehung zu unterbinden.
        An dieser Stelle überschätzen Sie meines Erachtens die
        Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten des IWF erheb-
        lich. Die Befugnis, in nationale Zuständigkeiten einzu-
        greifen, greifen nicht so weit, wie Sie sich das vorstel-
        len.
        Ein weiterer kritischer Punkt findet sich unter der
        Unterschrift „Ausnahmen“. Sie wollen nicht nur regio-
        nale, sondern auch andere Ausnahmeregelungen: „Die
        Besteuerung soll den internationalen Austausch von
        Gütern- und Dienstleistungen nicht beeinträchtigen“.
        Auch hier verstehe ich Ihre inhaltliche Motivation, die
        Realwirtschaft nicht zu beeinträchtigen. Aber was heißt
        diese nebulöse Forderung? Wollen Sie Güter und
        Dienstleistungen jetzt ausnehmen oder nicht? Und wenn
        ja – was sich aus dem Aufbau Ihres Antrages ergeben
        würde –, wie wollen Sie da Unterscheidungen treffen?
        Eine Abgrenzung scheint kaum durchsetzbar. So öffnen
        Sie doch nur neuer Umgehung einer solchen Steuer Tür
        und Tor.
        Der dritte Grund, Ihren Antrag nicht zu unterstützen,
        ist die Form: Sie wollen, daß die Bundesregierung das
        Thema kurzfristig auf die Tagesordnung des Ecofin-
        Rates setzen möge und sich für Ihren Vorschlag einset-
        zen möge. Die nächste Sitzung des Ecofin-Rates
        findet am 12. Juli statt. Es ist völlig illusorisch, daß bis
        dahin auf den verschiedenen EU-Ebenen und auf Bot-
        schafter-Ebene diese Initiative angemessen vorbereitet
        werden kann.
        Zudem ist Ihr Vorschlag leider als Grundlage für in-
        ternationale Verhandlungen nicht zu gebrauchen. Ihr
        Antrag liest sich vielmehr wie das Ergebnis einer sol-
        chen Verhandlung: Dort eine Ausnahme, hier eine wei-
        che Formulierung, und am deutlichsten wird dies an der
        Aufteilung des Steueraufkommens: Das klingt nicht
        nach politischem Konzept, sondern nach dem Ergebnis
        zäher Verhandlungen: Das Bruttosteueraufkommen ab-
        züglich der Erhebungs- und Kontrollkosten, die sich
        nach Sockel und Anteil bemessen ergeben, das Netto-
        einkommen, das nach den verschiedensten Quoten an
        die Mitgliedsländer, drei verschiedene Fonds und – da-
        mit nicht genug – auf die entstehenden Kosten bei den
        internationalen Ergebnissen aufgeteilt wird.
        Wir halten insgesamt das Projekt Tobin-Steuer aber
        für sinnvoll, wenn auch die Einführung einen langen
        Atem brauchen wird. Eine solche Steuer sollte aber nicht
        als Ersatz für umfassende Reformen der Institutionen
        gesehen werden.
        Gisela Frick (F.D.P.): Die PDS wiederholt auch in
        dieser Legislaturperiode ihren Antrag der 13. Legisla-
        turperiode auf Einführung einer Steuer auf spekulative
        Devisenumsätze (Tobin-Steuer). Es wird Sie sicher nicht
        verwundern, daß ich für die F.D.P.-Fraktion, genau wie
        3842 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        in der letzten Legislaturperiode, diesen Antrag der PDS
        ablehne. Die Gründe für die Einführung der sogenannten
        Tobin-Steuer sind nicht überzeugend. Ganz im Gegen-
        teil, es gibt aus Sicht der F.D.P. nur Gründe, die gegen
        eine Einführung dieser Steuer sprechen.
        Zunächst einmal würde es sich bei Einführung der
        Tobin-Steuer um die Einführung einer gänzlich neuen
        Steuer handeln. Die Einführung einer neuen Steuer ist
        aber das Letzte, was wir im Augenblick brauchen kön-
        nen. Das Gebot der Stunde lautet: „Wir müssen die
        Steuerbelastung senken und das Steuerrecht vereinfa-
        chen.“ Das heißt aber nicht nur: „Weg mit steuerlichen
        Vergünstigungen und Sondertatbeständen“, sondern
        auch „weg mit vielen Steuerarten und besonders weg
        mit den Bagatellsteuern“. Wir haben in der vergangenen
        Legislaturperiode – als wir noch Regierungsverantwor-
        tung trugen – damit schon recht erfolgreich begonnen:
        Wegfall der Vermögensteuer, Abschaffung der Gewer-
        bekapitalsteuer sowie Absenkung des Solidaritätszu-
        schlages. Die Liberalen halten auch nach wie vor die
        Abschaffung der Gewerbeertragsteuer und des Solidari-
        tätszuschlages für die richtige Lösung. Eine neue Steuer
        ist deshalb mit uns nicht zu machen.
        Im übrigen ist vor dem Hintergrund der Globalisie-
        rung der Finanzmärkte mit einer nationalen Steuer nichts
        zu erreichen. Die PDS sagt in der Begründung ihres
        Antrages ausdrücklich: „Nach einer langen Periode der
        monetaristischen Deregulierung muß einer Politik mit
        ökonomischer und sozialer Prägung global Geltung ver-
        schafft werden. Gerade die globale Einführung einer
        Steuer auf spekulative Devisenumsätze wird aber nicht
        gelingen. Eine weltweite Einführung dieser Steuer ist
        deshalb absolut unrealistisch. Wir bauen internationale
        Handelsschranken ab und liberalisieren die Weltmärkte.
        Wir haben zu Beginn dieses Jahres die Währungsunion
        für Europa verwirklicht. Internationales Kapital sucht
        sich seinen Weg. Es fließt dorthin, wo die günstigsten
        Rahmenbedingungen herrschen.
        Weiterhin ist zu bedenken, daß die wachsenden
        Finanzmärkte auch große Bedeutung für den Arbeits-
        markt haben. Da die Arbeitsplatzproblematik für die
        Politik absolute Priorität besitzen muß, ist dieses Argu-
        ment besonders durchschlagend. Von den rund 750 000
        Beschäftigten im deutschen Sparkassen- und Bankge-
        werbe sind rund 23 800 in Derivategeschäft einschließ-
        lich Devisenhandel tätig. Daneben sind nach Schätzun-
        gen noch ca. 60 Prozent (also rund 14 100) zusätzlich
        mit Zuarbeiten, wie beispielsweise mathematische
        Dienstleistungen, Produktentwicklung, Länder- und
        Konkurrenzbeobachtung u. ä. im Bankenbereich selbst
        beschäftigt. Zusammen ergibt das 37 900 Beschäftigte,
        also schon mehr als 5 Prozent der Gesamtbeschäftigten
        im deutschen Sparkassen- und Bankgewerbe. Dieser Be-
        schäftigungskreis wächst sehr schnell und bietet deshalb
        zukunftssichere Arbeitsplätze.
        Die Entwicklung dieser Bankgeschäfte ist eng ver-
        knüpft mit der Entwicklung von Soft- und Hardware für
        die speziell erforderliche Informationstechnologie (IT)
        sowie für die Mathematisierung des Bankgeschäftes.
        Dieser Tätigkeitsbereich ist aber nur zum Teil in den
        Banken selbst organisiert. Zu einem überwiegenden Teil
        außerhalb der Banken, oft in „Garagenunternehmen der
        Turnschuhgeneration“ und in Universitätsnähe. Die Zahl
        derer, die in diesen „Bastelunternehmen“ oder auch in
        den großen IT-Firmen für die speziellen Bankbelange
        arbeiten, ist nicht abzuschätzen. Die Zahl dürfte aber
        recht eindrucksvoll sein.
        Ursache vieler Finanz- bzw. Bankkrisen waren und
        sind: eine verfehlte nationale Wirtschaftspolitik und eine
        schwache Bankenaufsicht. Deshalb ist der richtige Weg,
        Fehlentwicklungen im Devisengeschäft möglichst zu
        verhindern, eine starke und gut funktionierende Banken-
        aufsicht. Den von den internationalen Bankenaufsichts-
        behörden (Basler Ausschuß) entwickelten „Grundsätzen
        für eine wirksame Bankenaufsicht“ haben die Zentral-
        bankpräsidenten der Zehnergruppe auf der letzten Welt-
        bank-/Internationalen Währungsfonds-Tagung zuge-
        stimmt. Diese Grundsätze verbindlich weltweit einzu-
        setzen und schnell einzuhalten, stellt den richtigen Weg
        dar. Vor allem müssen sie in den vielen Staaten mit
        Finanz- und Bankproblemen Praxis werden. Weltbank-
        wie IWF-Hilfen müssen von der Einhaltung dieser
        Grundsätze abhängig gemacht werden. Wir haben in der
        letzten Legislaturperiode mit dem 3. Finanzmarktförde-
        rungsgesetz bereits einen wichtigen Schritt in die rich-
        tige Richtung getan und hoffen, daß in dieser Legis-
        laturperiode das 4. Finanzmarktförderungsgesetz – wie
        in einer Entschließung des Finanzausschusses in der
        letzten Legislaturperiode bereits festgelegt – folgen
        wird. Vernünftiger Anlegerschutz und eine funktionie-
        rende Marktaufsicht sind die besten Mittel, um Störun-
        gen im Devisengeschäft weitestgehend zu verhindern.
        Die PDS sollte sich besser an den Erfinder dieser
        Steuer, James Tobin, den amerikanischen Wirtschafts-
        Nobelpreisträger von 1981, halten, der später von sei-
        nem eigenen Vorschlag abgerückt ist und nach eigenen
        Angaben einen Stein ins Wasser geworfen und damit
        viele Wellen verursacht hat. Tobin selbst hoffte, daß das
        Wasser sehr tief ist, so daß niemand diesen Stein mehr
        findet. Die F.D.P. schließt sich dieser reiferen Erkennt-
        nis von Tobin gerne an und lehnt deshalb den Antrag der
        PDS entschieden ab.
        Dr. Barbara Höll (PDS): Gerhard Schröder und
        Tony Blair legten in der vergangenen Woche ein The-
        senpapier vor, mit dem sie keinen geringeren Anspruch
        hatten, als Europas Sozialdemokraten „den Weg nach
        vorne“ zu weisen. Darin heißt es u.a., daß die „EU auch
        weiterhin als entschiedene Kraft für die Liberalisierung
        des Welthandels eintreten soll“ und daß die Kapital-
        märkte „flexibel“ sein sollen. Wer sich also von diesem
        strategischen Papier einen Hinweis auf einen Politik-
        wechsel gegenüber der Kohl-Regierung erhoffte, sieht
        sich enttäuscht. Was hier präsentiert wird, ist alter Wein
        in alten Schläuchen und wird auch davon nicht besser,
        daß es fast inflationär mit der Beschwörungsformel
        „Modernisierung der Gesellschaft“ belegt wird.
        Wohin diese Politik der immer stärkeren Deregulie-
        rung und Liberalisierung u. a. der internationalen
        Finanzmärkte in den letzten Jahren geführt hat, wurde in
        asiatischen Schwellenländern, aber auch in Südamerika
        in erschreckender Weise deutlich: Seit Ausbruch der
        Asienkrise 1997 leiden, laut dem thailändischen UN-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3843
        (A) (C)
        (B) (D)
        Botschafter, mehrere Länder an „dramatischen und
        schwerwiegenden sozialen Problemen“. Arbeitslosigkeit
        und Armut haben rapide zugenommen. Die Zahl der
        Armen in Indonesien hat sich zwischen 1991 und 1998
        von 11 auf 40 Prozent fast vervierfacht, in Thailand
        stieg die Armut von 11 auf 15 Prozent. Gleichzeitig er-
        höhte sich die Arbeitslosenrate in Indonesien von 4,7 auf
        21 Prozent, in Malaysia von 2,7 auf 6,4 Prozent oder in
        Südkorea von 2,6 auf 7,7 Prozent. Diese traurigen Daten
        sind in einem aktuellen Report nachzulesen, der von der
        UN-Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und
        den Pazifik veröffentlicht wurde.
        Selbst die privaten Bankinstitute haben inzwischen
        internationale Finanzkrisen mit all ihren Auswirkungen
        als Problem erkannt: Ihnen wird sicher bekannt sein,
        Herr Schröder, daß im Vorfeld des Kölner G-7-Gipfels
        führende Vertreter von Banken über Reformen der glo-
        balen Finanzmärkte mit dem Ziel ihrer Stabilisierung
        diskutiert haben.
        Um so verwunderlicher ist es, daß die für viele Men-
        schen in den betroffenen Staaten grausamen Erfahrun-
        gen und – wenn schon das nicht – die Sorge der Bankin-
        stitute Herrn Schröder und Herrn Blair auf ihrem „Weg
        nach vorne“ nicht beirren, sondern sie im Gegenteil ge-
        betsmühlenartig an der Liberalisierungslitanei der Kon-
        servativen festhalten. Sie selbst, Herr Schröder, haben
        doch gestern auf die Notwendigkeit hingewiesen, Stabi-
        lität im internationalen Finanzsystem zu erreichen. Doch
        die Menschen erwarten auch auf diesem Gebiet nicht
        nur Worte, Herr Schröder, sondern zumindest einen
        konkreten Vorschlag, so z.B. die Erhebung einer Devi-
        senumsatzsteuer.
        Die PDS hat diese Idee des Nobelpreisträgers Tobin
        aufgegriffen und einen konkreten Vorschlag entwickelt.
        Alle Devisentransaktionen, die sofort wirksam werden
        (also Kassageschäfte, Devisentermin- und Optionsge-
        schäfte sowie Währungsswaps), sollen mit einem Steu-
        ersatz von 0,25 Prozent belegt werden. Mit diesem Steu-
        ersatz kann ein Großteil kurzfristiger Spekulationsge-
        schäfte, die wesentliche Ursache für Finanzkrisen sind,
        eingedämmt werden, da sie gegenüber langfristigen
        Anlagen unattraktiv werden. 300 bis 500 Milliarden DM
        Dollar Einnahmen könnten bei einem Prozentsatz von
        0,25 erzielt werden. Geld, das UNO-Projekten oder eben
        dem Aufbau in Kosovo und Jugoslawien zur Verfügung
        gestellt werden könnte. Verehrte Kolleginnen und Kol-
        legen, obwohl dieser Vorschlag inzwischen 30 Jahre alt
        ist, hat er doch an Aktualität nicht verloren, dies hat Pro-
        fessor Tobin in einem Interview mit der Zeitung „Le
        Monde“ im November vergangenen Jahres selbst noch
        einmal bekräftigt.
        Diese Idee der Devisenumsatzsteuer wurde übrigens
        bis vor kurzem auch seitens der SPD und BÜNDNIS
        90/DIE GRÜNEN gefordert. Beide Fraktionen reichten
        in der 13. Legislaturperiode, nach der PDS, Anträge ein,
        die die damalige Bundesregierung aufforderten, in die
        Richtung der Erhebung einer Devisenumsatzsteuer tätig
        zu werden. Trotzdem hat die rotgrüne Regierung, ob-
        wohl Sie es jetzt in der Hand hat, ihre Ratspräsident-
        schaft in der EU nicht dazu genutzt, dieses Thema mit
        den anderen europäischen Staaten zu diskutieren und auf
        die Agenda zu setzen. Auch auf der Tagesordnung des
        Weltwirtschaftsgipfels ist die Behandlung dieses The-
        mas bisher nicht zu finden.
        Diese Verhinderungspolitik, der sich nun scheinbar
        auch die rotgrüne Koalition bedient, beweist einmal
        mehr: Die Einführung einer Devisenumsatzsteuer nach
        Tobins Vorbild scheitert nicht an der Realität, sondern
        am politischen Willen. Meine Damen und Herren von
        der Regierung, zeigen Sie, daß Sie Ihre eigenen Wil-
        lensbekundungen von einem Politikwechsel ernst neh-
        men, bringen Sie das Thema der Tobin-Steuer nach ka-
        nadischem Vorbild auf die Tagesordnung des Gipfels,
        sammeln Sie politische Kräfte, um diese Idee endlich in
        die Realität umsetzen zu können!
        Lydia Westrich (SPD): Die Debatte heute zur Tobin-
        Steuer ist gewissermaßen eine Wiederholung der De-
        batte gestern über den Wirtschaftsgipfel in Köln.
        Die PDS hat ihren alten Antrag vom Vorjahr wieder
        hervorgeholt, wie sie es in vielen anderen Fällen, z.B.
        Schlechtwettergeld, auch getan hat.
        Sie beweist dadurch ihr statisches Denken, ihr Behar-
        ren in alten Strukturen, weil sie Veränderungen rund-
        herum nicht wahrzunehmen scheint.
        Das heißt, es geht Ihnen, liebe Kolleginnen und Kol-
        legen von der PDS, mehr um die Populistik als um die
        Lösungen konkreter Probleme.
        Dabei ist die Globalisierung ein derart atemberauben-
        der Prozeß, dem wir nicht ausweichen können und den
        wir gemeinsam bestehen sollten. Dazu brauchen wir In-
        strumente und Wege, die sich diesem Tempo anpassen
        können, und nicht die alte Mottenkiste.
        Wir haben zwar gestern schon ausführlich über die
        Weltwirtschaft und vor allem über das internationale
        Finanzwesen diskutiert. Alles muß nicht wiederholt
        werden. Aber man muß sich die Schnelligkeit der welt-
        weiten Entwicklungen immer wieder vor Augen führen
        um die notwendige internationale Zusammenarbeit ver-
        bessern zu können.
        Noch vor kurzem sprachen wir von asiatischen Ti-
        gern, wir staunten über Japans Erfolge – auch hier im
        Bundestag wurden sie uns als Beispiel vorgehalten. Das
        Wunder in Asien ist zum Debakel geworden, statt Dy-
        namik Domino-Effekt.
        Vor kurzem sagten wir, Rußland sei zu groß, um
        Konkurs zu machen. Heute sagen wir, Rußland ist zu
        groß, um seine Wirtschaft zu retten. Auf einmal sind
        viele, viele Millionen Menschen weltweit ärmer gewor-
        den als je zuvor durch diese weltweiten Finanzkrisen,
        und das alles in einem rasenden Tempo, von Thailand,
        Indonesien über Lateinamerika bis Mexiko.
        Natürlich wirken sich die internationalen Finanzkri-
        sen auch in unserer eigenen Wirtschaftsentwicklung aus.
        Das heißt, keiner kann sich absichern und schon gar
        nicht durch Einführung einer neuen Steuer, die, wie der
        Erfinder James Tobin selbst sagt, allenfalls ein wenig
        Sand ins Getriebe der internationalen Finanzmärkte
        streuen kann.
        3844 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        Diese kleine Bremse wirkt natürlich auch nur, wenn
        die wichtigsten Mitgliedstaaten des internationalen
        Währungsfonds gleichzeitig handeln. Glauben Sie das?
        Nicht mal James Tobin glaubt daran, und Sie selbst ha-
        ben der Sicherung der Steuer gegen Umgehung in Ihrem
        Antrag breiten Raum gewidmet. Als hätten wir nicht
        schon genug leidvolle Erfahrungen gesammelt, wie
        schwierig es ist, Steueroasen auszutrocknen und Steuer-
        flucht zu verhindern! Und Sie machen da ein neues Faß
        auf, statt daran mitzuarbeiten, endlich gemeinsame und
        verbindliche Regelungen gegen Steuer und Sozialdum-
        ping zu erreichen.
        Wir Sozialdemokraten sind froh, daß sich unsere Re-
        gierung der Stärkung der Architektur des internationalen
        Finanzsystems annimmt, und wir Sozialdemokraten be-
        greifen die Stärkung des internationalen Finanzsystems
        und die Vermeidung von Finanzkrisen als andauernde
        Aufgabe. Sie ist mit dem Wirtschaftsgipfel in Köln kei-
        neswegs abgeschlossen. Reformen in diesem Bereich
        werden immer notwendig sein bei diesem atemberau-
        benden Prozeß der Globalisierung.
        Natürlich ist das viel mühsamer als eine neue Steuer
        einzuführen und Geld zu verteilen. Und noch mühsamer
        ist es, in der Steuerpolitik zu mehr internationaler Zu-
        sammenarbeit zu kommen.
        Andere Länder, nicht Deutschland, haben schon auf
        den Wirtschaftsgipfeln 1996 in Lyon und 1997 in Den-
        ver vor einer schädlichen Konkurrenz der Staaten im
        Steuerwesen gewarnt, die das Risiko einer Verzerrung
        von Handel und Investitionen berge und die nationalen
        Steuergrundlagen aushöhle.
        Schädlicher Steuerwettbewerb untergräbt die Ge-
        rechtigkeit des Steuersystems und auch seine Neutralität.
        Der Bundesfinanzminister hat zusammen mit den
        Finanzministern und Notenbankchefs der G-7-Länder in
        Vorbereitung des Weltwirtschaftsgipfels jetzt ausdrück-
        lich die Arbeit der OECD gegen schädlichen Steuer-
        wettbewerb begrüßt. Dazu noch die Bemühungen der
        OECD, Steueroasen und Steuerausweichmöglichkeiten
        überhaupt zu identifizieren.
        Mit der Tobin-Steuer wird die OECD ziemlich über-
        fordert, fürchte ich.
        Sie wissen doch, wie das funktioniert. Unternehmen
        nutzen die gute Infrastruktur ihres Landes, versteuern
        aber ihre Gewinne mittels Gestaltung von Verrech-
        nungspreisen oder durch Nutzung von speziellen Steu-
        ervergünstigungen in anderen Ländern mit geringen
        Steuern. Private Haushalte genießen die Daseinsvorsor-
        ge der öffentlichen Hand und die Absicherung des Sozi-
        alstaates, schaffen aber ihr Geld in Steueroasen.
        Kurzfristig mag es sich für gewisse Länder tatsäch-
        lich lohnen, Unternehmen oder Haushalte mit speziellen,
        auf ausländische Unternehmen und Haushalt zuge-
        schnittene Steuervergünstigungen anzulocken. Aber
        mittel- und langfristig schadet dies allen Ländern, auch
        denen, die sich an einem solchen schädlichen Steuer-
        wettlauf mit Steuervergünstigungen aktiv beteiligen.
        Nur, diese Erkenntnis ist noch lange nicht überall ver-
        breitet und Sie können sich ausrechnen, daß bei Einfüh-
        rung einer Devisenumsatzsteuer gerade Länder, die jede
        Mark Steuereinnahmen nötig brauchten, der Versuchung
        nicht widerstehen können, durch Nichtteilnahme Fi-
        nanzkapital, die dazugehörigen Dienstleistungen, hoch-
        qualifizierte Arbeitnehmer oder einkommens- und ver-
        mögensstarke Privathaushalte aus anderen Ländern an-
        zuziehen. Dann haben Sie zwar eine Beruhigungspille
        Devisenumsatzsteuer, die eigentlichen Probleme der in-
        ternationalen Finanzmärkte sind aber nicht gelöst. Sie
        könnten damit sogar verschärft werden. Von einer ef-
        fektiven Kontrolle brauchen wir gar nicht zu reden. Wir
        sehen ja, wie die vorhandenen Kontrollmechanismen
        funktionieren oder besser gesagt nicht funktionieren,
        siehe Singapur u.a.
        Die Kompliziertheit Ihres Antrags zeigt deutlich: Zur
        Transparenz der internationalen Finanzmärkte trägt die-
        se Steuer nicht bei. Wenn ich lese, was der IWF als von
        Ihnen gewünschter Verwalter der Tobin-Steuer zu ma-
        chen hätte, könnte er sich sonstige Aufgaben abschmin-
        ken. Eine Steuer, die sich durch Verwaltung und Kon-
        trolle selbst auffrißt, ist sinnlos und schon gar kein In-
        strument im heutigen Globalisierungsprozeß.
        Die SPD-Fraktion unterstützt vielmehr die Bemühun-
        gen der Bundesregierung, einen geeigneten internatio-
        nalen Ordnungsrahmen zur Beseitigung der Schwach-
        stellen im Finanzsystem einzurichten. Wir sind zuver-
        sichtlich, daß wir nach dem Wirtschaftsgipfel in Köln
        ein Stück weiter sind.
        Der Bundeskanzler hat gestern in seiner Rede deut-
        lich gemacht, daß es nicht um die nackten Zahlen geht,
        wenn Länder durch Währungsspekulationen in die Krise
        geraten. Es geht um die Schicksale Tausender Men-
        schen, die ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden.
        Umso wichtiger ist der Aufbau und die Sicherung
        eines krisenfreien Weltfinanzsystems mit hoher Trans-
        parenz und wirksamer Aufsicht. Dazu gibt es keine
        Patentrezepte. Es muß Neues gemacht werden, Neues
        durchdacht werden auf internationaler Basis. Es ist
        schwierig und braucht Mut. Rezepte der 50er Jahre sind
        dabei nicht mehr anwendbar.
        Die SPD-Fraktion wird die Bundesregierung auf die-
        sem mühsamen Weg unterstützen. Wir Sozialdemokra-
        ten unterstützen weiter alle Bemühungen, schädliche
        wettbewerbsverzerrende Steuerkonkurrenz mit immer
        neuen Steueroasen und Steuerausweichmöglichkeiten
        langsam aber sicher auszumerzen.
        Wir werden nicht mit Einführung einer neuen kom-
        plizierten und ineffektiven Steuer dazu beitragen, die
        Möglichkeiten, auf Steueroasen auszuweichen, noch zu
        vergrößern.
        Anlage 6
        Amtliche Mitteilungen
        Der Bundesrat hat in seiner 738. Sitzung am 21. Mai
        1999 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
        stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2
        Grundgesetz nicht zu stellen:
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1999 3845
        (A) (C)
        (B) (D)
        – Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfe-
        gesetzes
        – Drittes Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichsge-
        setzes und Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanz-
        reformgesetzes
        – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushalts-
        plans für das Haushaltsjahr 1999 (Haushaltsgesetz
        1999)
        – Gesetz zur Eingliederung der Schulden von Sonder-
        vermögen in die Bundesschuld
        – Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts
        Der Bundesrat hat in seiner 739. Sitzung am 11. Juni
        1999 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen gemäß
        Artikel 84 Abs. 1 Grundgesetz zuzustimmen:
        – Gesetz zu dem Notenwechsel vom 29. April 1998
        über die Rechtsstellung der dänischen, griechischen,
        italienischen, luxemburgischen, norwegischen, portu-
        giesischen, spanischen und türkischen Streitkräfte in
        der Bundesrepublik Deutschland
        – Gesetz zu dem Abkommen vom 17. Oktober 1997
        zwischen der Regierung der Bundesrepublik
        Deutschland und der Regierung der Tunesischen
        Republik über die Seeschiffahrt