Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen. Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord-
nung um die Beratung der Vorlagen zum Kosovo-
Konflikt zu erweitern. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Damit rufe ich die soeben aufgesetzten Zusatzpunkte
7a und 7b auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
Deutsche Beteiligung an der humanitären
Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-
Konflikt
– Drucksachen 14/912, 14/982 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Lamers
Dr. Christoph Zöpel
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Fred Gebhardt
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
der PDS
zu der Abgabe einer Regierungserklärung des
Bundeskanzlers
Aktuelle Lage im Kosovo
– Drucksachen 14/755, 14/865 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel
Karl Lamers
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
PDS vor.
Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache
zwei namentliche Abstimmungen durchführen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bun-
desminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz allerBemühungen, ein Schweigen der Waffen im Kosovo-Krieg zu erreichen, bleibt die Lage äußerst bedrückend,die humanitäre Lage sogar katastrophal: weit über1 Million Vertriebene und Flüchtlinge, eine unbekannteAnzahl von Getöteten, von Ermordeten, unsäglichesmenschliches Leid. Diese Entwicklung hält bedauerli-cherweise auch am heutigen Tage an.Der UNHCR spricht von wahren „killing fields“ rundum Djakovica im Kosovo, Ärzte berichten über eineneue Qualität von Brutalität: Schußverletzungen selbstbei Kindern, Mißhandlungen von alten Menschen. Esgibt zunehmende Berichte von Vergewaltigungen.Die Zahl der intern Vertriebenen im Kosovo nimmtzu. Ihre Lage ist ebenfalls dramatisch. Die Befragungender Flüchtlinge haben ein erschreckendes Bild von Mas-senerschießungen, Vergewaltigungen, Plünderungen undsystematischer Zerstörung von Eigentum, von Wohnun-gen, von Häusern ergeben. Selbst die Deportation, dieRäumung ganzer Städte hält an.Gleichzeitig sind die Lager in den Nachbarstaaten, inMazedonien, aber auch in Albanien, angesichts dieserPolitik der Vertreibung eines ganzen Volkes vollkom-men überfüllt. In Mazedonien gibt es inzwischen zirka211 000 Flüchtlinge. Skopje hat die Grenze zum Kosovogeschlossen.Ich möchte hier die Möglichkeit nutzen, die Regie-rung in Mazedonien dazu aufzufordern, ihre Grenze of-fenzuhalten. Die Menschen müssen eine Zufluchtsmög-lichkeit haben.
Die Bundesrepublik Deutschland ist in der Europäi-schen Union vorangegangen und muß weiter vorange-
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hen. So wichtig es ist, die Menschen in der Region zuhalten – aber angesichts der Größe des Dramas werdenwir nicht darum herumkommen, auch bei uns in Europa,in Deutschland, in unseren Mitgliedstaaten in der Euro-päischen Union weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Dasist ganz entscheidend. Ich möchte hier ebenfalls an dieMitgliedstaaten in der Europäischen Union appellieren,endlich ihre Grenzen aufzumachen und das notwendigeMaß an Solidarität mit den Vertriebenen zu zeigen.
In Albanien sind es mittlerweile 400 000 Flüchtlinge.Anrainerstaaten und humanitäre Hilfsorganisationensind von der beispiellosen Dimension dieses Exodus oh-ne militärische Hilfe von außen völlig überfordert. Die-ses hat die Vergangenheit seit dem Gründonnerstag ge-zeigt; dieses gilt auch jetzt.Wenn wir der Meinung sind, daß die Menschen – unddie meisten Menschen wollen dieses – in den unmittel-baren Nachbarstaaten bleiben sollen, dann müssen wirauch die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sie dortbleiben können, und dies ist ohne militärische Hilfeschlechterdings nicht möglich. Die zivilen Organisa-tionen sind angesichts der Größe dieses von der verbre-cherischen Politik Milosevics verursachten Exodus, die-ses Krieges gegen die albanische Zivilbevölkerung imKosovo und ihrer systematischen Vertreibung schlichtüberfordert. Dies hat die Praxis gezeigt.Der Antrag der Bundesregierung, der auf das huma-nitäre Engagement der NATO gründet, geht deswegendavon aus, daß wir bis zu 1 000 Soldaten in einemstreng humanitären Auftrag mit einer Eigen- und Selbst-schutzkomponente nach Albanien entsenden. Gemein-sam mit französischen Soldaten sollen sie vor allen Din-gen im Süden Albaniens stationiert werden.Ich möchte ganz direkt die Diskussion, die in denAusschüssen hier im Haus zu Recht geführt wurde,nochmals ansprechen. Es geht hier eindeutig nicht umeine Stationierung von Bodentruppen durch die Hinter-tür. Dieses hielte ich für völlig falsch. Wenn ein solcherStrategiewechsel notwendig wäre, müßte er von derBundesregierung der deutschen Öffentlichkeit offendargestellt werden, in das Plenum eingebracht und hierdiskutiert werden. Alles andere wäre meines Erachtensverfehlt.
Der Einsatz ist strikt auf das Stationierungsgebiet inAlbanien und Mazedonien begrenzt. Auch dieses ist –auch und gerade unter dem Gesichtspunkt der Nothilfe –ein ganz wichtiger Gesichtspunkt. Die Nothilfe darfnicht über dieses Gebiet hinaus geleistet werden. DerBundesverteidigungsminister wird zu diesen Fragennachher noch detailliert Stellung nehmen.Wichtig ist allerdings, daß es, da unsere Soldatenauch in Albanien und Mazedonien in einem gefährlichenGebiet tätig sind, nicht nur um den Selbstschutz gehenkann, sondern auch um den Schutz von Mitarbeiternhumanitärer Hilfsorganisationen und darum, daß dann,wenn Soldaten von Bündnispartnern, mit denen wirkooperieren, im alltäglichen Einsatz zusammenarbeiten,im Stationierungsgebiet in eine Gefahr geraten, dortselbstverständlich geholfen werden kann.Meine Damen und Herren, ich möchte hier auf dieErgebnisse des gestrigen G-8-Treffens eingehen. Wirhatten darüber gestern schon eine ausführliche Debatteim Ausschuß. Aber ich möchte es auch hier im Plenumerläutern.Das, was wir gestern erreicht haben, war aus meinerSicht noch nicht der entscheidende Durchbruch zueinem Frieden, aber ein wichtiger Schritt dorthin; dennes ist gelungen, daß die Politik wieder Tritt gefaßt hat,daß die Suche nach einer politischen Lösung unter Ein-schluß Rußlands auf der Ebene der G 8 jetzt endlichvorangekommen ist und gleichzeitig eine substantielle,wie ich finde, wichtige inhaltliche Voraussetzung zumErreichen einer Kapitel-VII-Resolution zur Beendigungdes Krieges im Kosovo erreicht wurde. Das, was wirrealistischerweise für erreichbar gehalten haben, habenwir am gestrigen Tag gemeinsam mit unseren Partnernund gemeinsam mit Rußland durchgesetzt. Ich finde,daß wir damit einen entscheidenden Schritt getan haben,um dem Frieden im Kosovo näherzukommen.
Ich plädiere hier für Realismus. Denn sosehr es michauch freut, es bleibt festzuhalten: Der Krieg und dieVertreibungen halten an, das Morden hält an, und wirsind von einer Kapitel-VII-Resolution noch ein gehöri-ges Stück entfernt. Allerdings sind sich die beteiligtenStaaten jetzt über das Ziel einig; sie haben sich über diePrinzipien geeinigt. Es sind die fünf Punkte, die wir zumerstenmal in der Europäischen Union formuliert haben.Es sind die Prinzipien, die dann in Washington Eingangin die Erklärung der NATO gefunden haben. Es sind diePrinzipien, die Kofi Annan zur Grundlage seiner Erklä-rung gemacht hat. Es ist die schrittweise Umsetzung die-ser fünf Punkte, wie wir sie vor zwei Wochen in unse-rem Plan vorgelegt haben. Gemeinsam mit Rußlandwollen wir hier einen Weg eröffnen, um eine dauerhafteBeendigung des Mordens und Vertreibens sowie eindauerhaftes Schweigen der Waffen im Kosovo erreichenzu können.Voraussetzung dafür sind das unverzügliche undnachprüfbare Ende der Gewalt und Unterdrückung imKosovo, der Rückzug der militärischen, polizeilichenund paramilitärischen Kräfte aus dem Kosovo und dieStationierung von wirksamen, internationalen, zivilenund Sicherheitspräsenzen im Kosovo. Das heißt für unsim Klartext, daß es eine robuste militärische Friedens-truppe im Kosovo geben muß, weil ohne diese weder dieWaffen niedergelegt werden noch gar die Flüchtlingeund Vertriebenen zurückkommen. Dies ist das eigentli-che Ziel.
Bundesminister Joseph Fischer
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Dies ist eines der schwierigen Problemfelder, dienoch zu lösen sind. Aber die Diskussion mit Rußland hatgezeigt: Auch Rußland geht von einer robusten militäri-schen Präsenz aus. Auch Rußland weiß, daß wir uns einezweite UNPROFOR-Erfahrung nicht werden erlaubenkönnen und nicht werden erlauben dürfen.
Selbstverständlich bleibt die Frage zum gegenwärti-gen Zeitpunkt offen, und daran wird jetzt massiv zu ar-beiten sein. Aber in der Tatsache, daß nicht mehr dieFrage als solche zur Diskussion steht, sondern daß wirjetzt in die Diskussion über die genaue strukturelle Ge-staltung dieser Friedenstruppe eintreten und das unver-züglich klären wollen, sehe ich den entscheidendenSchritt nach vorne. Selbstverständlich sind auch folgen-de Fragen noch offen: Welche Rolle spielen dabei dieNATO, die Neutralen, Rußland und die Ukraine? Waswird Belgrad bereit sein zu akzeptieren, und was wirdgeschehen, wenn es nicht bereit ist, eine solche Friedens-truppe zu akzeptieren? Daran hängt ganz unmittelbar dieFrage des Mandats: Wird Rußland sein Vetorecht anBelgrad abtreten – ja oder nein? Das ist eine ganz zen-trale Frage, die vor allen Dingen von der russischenPolitik zu entscheiden ist. Ich rate dringend dazu, diesesVetorecht nicht in Belgrad zu hinterlegen,
sondern im Interesse Rußlands davon Gebrauch zu ma-chen. Diese Fragen müssen jetzt angegangen werden. Darüber hinaus ist man sich einig, eine Übergangs-verwaltung für den Kosovo einzurichten. Ich sage hiernoch einmal ganz bewußt: Einer solchen internationa-len Übergangsverwaltung wird es bedürfen. Bis mansich auf eine eigene Autonomieverwaltung geeinigt hat,bis sie ans Laufen gekommen ist und bis die ersten Er-fahrungen gesammelt worden sind, wird es noch langedauern. Das heißt, man braucht eine erfahrene interna-tionale, auf den Beschlüssen des Sicherheitsrats grün-dende Übergangsverwaltung. Auch darauf hat man sichin einem Prinzip geeinigt.Außerdem hat man sich auf die sichere Rückkehr derFlüchtlinge und Vertriebenen, den ungehinderten Zu-gang für humanitäre Hilfsorganisationen zum Kosovound einen politischen Prozeß zur Schaffung einer politi-schen Übergangsrahmenvereinbarung geeinigt, die einesubstantielle Selbstverwaltung für den Kosovo – jetzthören Sie zu, Herr Gysi, und spitzen Sie die Ohren, denndiesem Besatzungsstatut hat Rußland zugestimmt –unter voller Berücksichtigung des Rambouillet-Abkom-mens und der Prinzipien der Souveränität und territoria-len Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien undder anderen Länder der Region sowie die Demilitari-sierung der UCK vorsieht. Dies wurde mit Rußland sobeschlossen und ist gemeinsames Prinzip.
Möglicherweise wissen die Russen nicht, was sie tun.Der Sozialismus mag zwar wenig Sinnvolles hervorge-bracht haben. Aber über die Qualität der russischen Di-plomatie brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Dawird nichts unterzeichnet, was nicht sorgfältigst geprüftworden ist.Ich kann Ihnen an diesem Punkt nur sagen: Wennhier nicht Böswilligkeit und politische Absicht regieren,sondern wenn ein Rest an Objektivität bleibt, dann müs-sen Sie, Herr Gysi, Ihre Kampagne gegen das Ram-bouillet-Abkommen schlicht und einfach einstellen undvergessen.
Darüber hinaus ist ein umfassendes Vorgehen zurwirtschaftlichen Entwicklung und Stabilisierung derKrisenregion notwendig. Hierzu möchte ich auf folgen-des hinweisen: Am 27. Mai dieses Jahres wird auf In-itiative der deutschen EU-Ratspräsidentschaft – eben-falls auf dem Petersberg – auf der Ebene der hohen Be-amten die Eröffnungskonferenz für die Entwicklungeines Balkan-Stabilitätspaktes zusammentreten. Dasheißt, auch hier wird der Petersberg eine bedeutendeFunktion haben. Denn damit beginnen wir ganz konkretdie Arbeit am Stabilitätspakt für den südlichen Balkan.Dabei geht es darum, diese Region nach den dortigenKriegen, Krisen und ethnischen Säuberungen an das Eu-ropa der Integration heranzuführen. Damit wird am 27.Mai dieses Jahres hier in Bonn auf dem Petersberg be-gonnen werden.
Wir stehen angesichts der dramatischen Situation imKosovo, in Jugoslawien, auf dem Balkan unter einemhohen Zeitdruck. Sowohl zur Umsetzung der genanntenGrundsätze, die dann in eine konkrete Sicherheitsratsre-solution nach Kapitel VII umgegossen werden sollen,als auch zur Erarbeitung eines Fahrplans für weiterekonkrete Schritte sind die zuständigen Politischen Di-rektoren heute mit der Arbeit beauftragt worden. Wirwollen damit innerhalb kürzester Zeit – eine genaueFrist kann ich Ihnen angesichts des Problemkomplexesallerdings nicht nennen; das ist keine diplomatischeFormulierung; denn wir stehen unter einem hohen Zeit-druck – fertig werden.Der Bundeskanzler wird in der nächsten Woche aufseiner China-Reise als Vorsitzender der G 8 die chine-sische Regierung, die ein ständiges Mitglied des Sicher-heitsrates ist und über ein Vetorecht verfügt, auf höch-ster Ebene direkt unterrichten. Der chinesische Bot-schafter wurde bereits gestern von uns unterrichtet.Auch andere ständige Sicherheitsratsmitglieder werdenin New York mit Vertretern Chinas sprechen.Ich möchte zum Abschluß nochmals betonen:Erstens. Mit dem heutigen Antrag schaffen wir dieVoraussetzung für den humanitären Einsatz der Bun-deswehr in Albanien. Dort ist er dringend notwendig,wenn wir Albanien nicht allein lassen wollen.Bundesminister Joseph Fischer
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Zweitens. Mit dem gestrigen Ergebnis haben wir ei-nen wichtigen Schritt getan, allerdings noch nicht densubstantiellen Durchbruch hin zum Frieden erreicht, denwir uns wünschen. Dennoch hat uns der gestrige Tag eingehöriges Stück auf dem Weg zum Frieden weiterge-bracht.Wir werden gemeinsam mit unseren Bündnispartnernweiter daran arbeiten, Milosevic entschlossen militärischentgegenzutreten. Gleichzeitig werden wir weiterhin vorOrt durch unsere Soldaten, durch die zivilen Organisa-tionen sowie durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterauf den vielfältigen Ebenen der Bundesregierung undder Nichtregierungsorganisationen humanitäre Hilfe lei-sten. Wir werden hier im Lande humanitäre Hilfe lei-sten. Sowohl als Bundesrepublik Deutschland als auchals Europäische Union werden wir uns langfristig huma-nitär, politisch und ökonomisch in der Krisenregion en-gagieren.
Wir werden entschlossen an einer Friedenslösungweiterarbeiten. Diese Friedenslösung allerdings – dasmuß klar sein – muß eine Durchsetzung der Prinzipiender Humanität, der Gerechtigkeit und des Lebensrechtsaller Völker bedeuten, basierend auf der Achtung derMenschenrechte und des Friedens und nicht basierendauf einem Kniefall vor Milosevic.Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Karl Lamers, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU wird demAntrag der Bundesregierung zustimmen,
weil wir wissen, daß wir dem Elend, der himmelschrei-enden Not der aus dem Kosovo Vertriebenen begegnenmüssen, weil ihm ohne Mitwirkung weiterer militäri-scher Verbände nicht abgeholfen werden kann, weil dieBundesrepublik Deutschland dazu ihren Beitrag leistenmuß und weil die Bundeswehr, wie sie durch ihre bishe-rige Arbeit in Mazedonien eindrucksvoll unter Beweisgestellt hat, für diese Aufgabe hervorragend geeignet ist,wofür ich ihr an dieser Stelle ausdrücklich unsere großeHochachtung und unseren herzlichen Dank ausdrückenmöchte.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die humanitäreSeite des Antrages veranlaßt mich zu einer Bemerkungzu dem Streit über die Aufnahme von Flüchtlingen inEuropa. Dieser unselige Streit wird in Europa geführt;die Vereinigten Staaten haben sich in dieser Frage ein-drucksvoll, großmütig und sehr schnell bereit erklärt,20 000 Flüchtlinge aufzunehmen. Das hat in Europabislang nur die Bundesrepublik Deutschland getan. Ichfreue mich sehr, daß sich gestern der Bundesinnenmi-nister für die Aufnahme weiterer 10 000 Flüchtlingeausgesprochen hat. Das erkenne ich ausdrücklich an.
Andere Staaten haben diesbezüglich bislang nur sehrvage Versprechungen gemacht, darunter auch Großbri-tannien. Es reicht aber nicht aus, in einer an Churchillerinnernden und vielleicht erinnern sollenden Weisezum militärischen Durchhalten aufzufordern, aber dasAllernotwendigste, das Unbezweifelbarste nicht zu tun.Das verleiht unserem moralischen Impetus, der hinterunserem mililtärischen Handeln steht, einen schalenBeigeschmack.Ich hoffe wirklich sehr, daß dieser Streit bald ein En-de haben wird; denn er ist, wie Helmut Kohl zu Rechtgesagt hat, ein Skandal; er ist skandalös.
Herr Bundeskanzler, Sie als Ratspräsident sollten sichden Vorschlag von Helmut Kohl zu eigen machen, dergefragt hat, warum nicht die Kosten sowohl für dieMaßnahmen, die in Albanien getroffen werden müssen,als auch für die Maßnahmen, die hier getroffen werdenmüssen, zur einen Hälfte aus dem EU-Etat und zur ande-ren Hälfte nach dem EU-Schlüssel von den Mitglieds-ländern bezahlt werden. Hier braucht die EuropäischeUnion ein klares Konzept. Es ist natürlich richtig, daßdie heimatnahe Unterbringung unter jedem Aspekt dierichtige ist. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen,daß wir die Länder Mazedonien und Albanien entlastenmüssen, weil sie die Kosten gar nicht alleine tragenkönnen. Wir müssen die Voraussetzungen für eine men-schenwürdige und heimatnahe Unterbringung schaffen.Gleichzeitig müssen wir einen Teil der Flüchtlinge inWesteuropa unterbringen. Hier muß die EuropäischeUnion ein Konzept entwickeln, das bald in die Wirk-lichkeit umgesetzt werden muß.
Einige Bemerkungen zum zweiten Teil des Antragesder Bundesregierung. Er behandelt die Nothilfe, zu derdeutsche Streitkräfte in Mazedonien und im Kosovo be-rechtigt werden sollen. Dieser Antrag hätte eigentlichschon bei der ersten Entsendung von Streitkräften ge-stellt werden müssen; denn es ist natürlich selbstver-ständlich, daß die deutschen Soldaten unseren alliiertenPartnern helfen müssen, wenn diese in eine schwierigeLage gekommen sind. Wenn sich daran dennoch Dis-kussionen angeschlossen haben – auch in meiner Frakti-on –, dann deswegen, weil damit eine gewisse Gefahrverbunden ist, auf diese Weise in Bodenkämpfe hinein-zuschlittern. Zu dieser Diskussion hat auch die Unklar-Bundesminister Joseph Fischer
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heit der Formulierung des Textes der Bundesregierungerheblich beigetragen.
Auch heute, Herr Minister, haben Sie das gewisser-maßen nur am Rande erwähnt, obwohl dieser Teil desAntrages militärisch und insofern politisch der bedeut-samere ist, und zwar aus dem Grunde, den ich soebenerwähnt habe. Diese Diskussionen hätte man sich sparenkönnen, wenn man sorgfältiger vorgegangen wäre undwenn man vorher – wie das Volker Rühe immer getanhat – die Fraktionen des Bundestages konsultiert hätte,um Mißverständnisse und Fragen vorher auszuräumen.Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es istwirklich keine Art – Sie von der Koalition wissen sehrgut, daß ich nicht zu übermäßiger Polemik neige –, ineiner Woche, in der das Parlament den Haushalt disku-tiert, ohne Not auch noch eine so brisante und wichtigeFrage wie die Staatsbürgerschaft auf die Tagesordnungzu setzen, und auch noch den jetzt zu debattierendenAntrag zu stellen, obwohl Sie schon vor Wochen genauwußten – Sie hatten dafür doch übrigens schon Entwürfe–, daß sich diese Notwendigkeit ergeben würde. Das istkeine Art. Das ist eine Mißachtung des Parlaments undkonkret auch eine Mißachtung der Opposition.
Da Sie uns in dieser Frage brauchen, sage ich: Das mußdas letzte Mal gewesen sein. So geht das nicht weiter.Ich will auf andere mißverständliche Formulierungenin diesem Antrag jetzt nicht näher eingehen. Ich kommezu dem Ergebnis, daß die erwähnte Gefahr eines Hinein-schlitterns nicht so sehr wahrscheinlich ist. Natürlichwill das auch niemand. Deswegen werden wir dem An-trag, wie gesagt, zustimmen.Nun einige Überlegungen zu den in der letzten Zeitwieder verstärkten politischen Bemühungen und konkretzu der Petersberger Prinzipienerklärung: Wir begrü-ßen das Ergebnis, das gestern erreicht worden ist, natür-lich sehr. Es ist – wie Staatssekretär Ischinger heute imDeutschlandfunk gesagt hat – ein „prozeduraler Fort-schritt“. Wir müssen jetzt – so hat er gesagt – an dieSubstanz gehen. Herr Bundeskanzler, Sie haben mit demamerikanischen Präsidenten etwas anderes formuliert:Sie haben von einem „substantiellen Fortschritt“ gespro-chen. Ich glaube – auch wenn es protokollarisch nicht inOrdnung ist –, daß Herr Ischinger eher recht hat als Sie.Wir hoffen natürlich, daß aus dem prozeduralen Fort-schritt ein substantieller Fortschritt wird.Das Wesentliche ist in der Tat, daß Rußland nun-mehr dabei ist. Ich anerkenne ausdrücklich, daß sich dieBundesregierung darum bemüht hat. Das war nicht im-mer so. Die Aussicht auf ein Schweigen der Waffen unddamit die Schaffung der elementaren Voraussetzung fürdie Rückkehr der Flüchtlinge sind besser geworden, zu-mindest ein wenig. Das Schweigen der Waffen, einweitgehender Rückzug der serbischen Verbände und dieStationierung einer internationalen Schutztruppe sind inder Tat elementare, grundlegende und notwendige Vor-aussetzungen für die Rückkehr der Vertriebenen, abernatürlich keine hinreichenden Bedingungen für einentragfähigen Frieden.Für einen solchen Frieden – wie schon für die nähe-ren Umstände einer Waffenstillstandsregelung – gilt,daß die Beteiligung Rußlands beides verändert. Manmag dies bedauern; aber das ist fruchtlos. Man muß klarerkennen – auch für die Zukunft –, daß Rußland einegrundlegende Bedingung für westliches Handeln ist, un-abhängig davon, wieviel oder wie wenig es in einemkonkreten Fall zur Lösung des Problems beitragen kann.Es ist so, weil es im Wortsinn ein überragendes, ja einwirklich existentielles Interesse nicht nur des Westens,sondern der gesamten Menschheit ist, daß der Westen –in diesem Falle die Vereinigten Staaten – bei der Kon-trolle der Abrüstung, der Nichtverbreitung der russi-schen Nuklearwaffen aktuell und konkret mitwirkenkann, und weil prinzipiell und langfristig alles vermie-den werden muß, was die Stabilität Rußlands beein-trächtigt, und alles getan werden muß, was sie stärkt.Diese grundlegende Gegebenheit erschien nicht nur derBundesregierung, sondern dem gesamten Westen zeit-weilig nicht hinreichend im Gedächtnis gewesen zu sein.Man mag natürlich sagen: Heute erpreßt uns dieSchwäche Rußlands so, wie es früher die Stärke der So-wjetunion getan hat. Aber es steckt keine Intention hin-ter dieser Tatsache. Deswegen glaube ich: Wenn wirRußland eine Chance geben, an der Lösung von Kon-flikten konstruktiv mitzuwirken, stärken wir die Stabili-tät Rußlands und den Frieden. Daher ist diese Betrach-tungsweise, weiß Gott, ebenso moralisch wie unser Be-streben, den Kosovaren zu helfen.
Um nicht mißverstanden zu werden, will ich gleichhinzufügen, daß man mit ebenso gutem Recht sagenkann und muß, daß ein solches Ergebnis, wie es sichjetzt hoffentlich abzeichnet, ohne die NATO-Aktionwahrscheinlich nicht erreichbar gewesen wäre.Das jetzt einsetzende und noch offene Ringen um dieentscheidenden Einzelheiten – die Texte vom Petersbergsind hinlänglich vage – einer zwar vorläufigen, aber füreinen endgültigen Frieden tragfähigen Lösung wird na-türlich von den Vorstellungen von einer endgültigen Lö-sung, vom Status des Kosovo und vom Frieden be-stimmt. Ohne Zweifel haben diese vorläufigen Regelun-gen auch eine präjudizierende Wirkung, wie der Ram-bouillet-Entwurf klar gezeigt hat. Deswegen möchte ichdaran erinnern, daß das Ziel, hier also unsere Vorstel-lung vom Frieden, unsere Mittel bestimmen sollte. Aberin Wirklichkeit bestimmen auch die Mittel das Ziel.Wenn man über bestimmte Mittel nicht verfügt, könnenauch bestimmte Ziele nicht angestrebt werden. Der We-sten verfügt weder über die Fähigkeit, Bodentruppeneinzusetzen, noch kann er offensichtlich das Problemalleine lösen; er braucht Rußland. Daran müssen wir unserinnern, wenn es jetzt um die dauerhaften Vorstellun-gen von einer Lösung des Konflikts geht.Natürlich muß jedes Ergebnis für alle Beteiligten soweit wie irgend möglich akzeptabel sein. Das muß unserZiel sein. Das gilt in erster Linie für die Kosovaren. DasKarl Lamers
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Unrecht, das an ihnen geschehen ist, muß wiedergutge-macht werden. Sie müssen in den Kosovo zurückkehrenkönnen. Aber auch sie müssen von der Alles-oder-nichts-Haltung abkommen.Das Ergebnis sollte aber auch so weit wie irgendmöglich von den Serben getragen werden können, undzwar deswegen, weil das nach meiner Überzeugung fürdie Entwicklung der Demokratie, für die Entwicklungdemokratischen Denkens in Serbien entscheidend ist.
Das ist in der Tat, wie ich glaube, eine ganz wesentlicheBedingung für die Tragfähigkeit einer endgültigen Lö-sung.Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich glau-be, wir müssen uns auch darüber im klaren sein: Je mehrein Ergebnis von allen Beteiligten akzeptiert und getra-gen wird, um so geringer ist der militärische Aufwandeiner Präsenz in der Region für den Westen, um so ge-ringer sind auch die Kosten für eine solche Präsenz, umso mehr Geld kann für das Entscheidende, nämlich fürdie Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und denWiederaufbau, verwendet werden, denn nur dann, wenneine Lösung wirklich von den Betroffenen getragenwird, kann Hilfe als Initialzündung wirken, nur dannkann in der Tat demokratisches Denken, kann ein Min-destmaß an Wohlstand und Prosperität, kann wirklichFrieden in der Region einkehren.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Bun-desminister Rudolf Scharping.Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-gung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wirunterhalten uns über einen Antrag der Bundesregierungmit dem Ziel, humanitäre Hilfsleistungen, die dringendnotwendig sind, erbringen zu können. Sie sind wegendes erneuten alptraumhaften Anschwellens von Vertrie-benenströmen nach Albanien und Mazedonien dringendnotwendig. Sie sind notwendig, weil die Menschen diesebeiden Länder in einem Zustand erreichen, der ihre Ver-sorgung mit Lebensmitteln und vor allen Dingen mitmedizinischer Hilfe völlig unabweisbar macht. Sie sindnotwendig, weil sich die Situation im Kosovo jedenfallsfür die vertriebenen Menschen auf dramatische Weisezugespitzt hat. Sie sind auch deshalb notwendig, weildie serbischen Sicherheitskräfte in einer Art und Weisegegen die Bevölkerung im Kosovo vorgehen, die sichschwer erschließen läßt, wenn man nur die Bilder siehtund die Berichte der Befragungsteams liest.Ich will ganz offen sagen: Wenn man direkt mit Ver-triebenen redet, die nach einer Zeit schrecklicher Erleb-nisse vier oder fünf Nächte in Blace im Freien und imSchlamm in völlig überfüllten Lagern verbracht habenund jetzt in Deutschland sind, fällt es schwer, die Trä-nen, die vergossen werden, nicht selbst zu weinen.Wenn man hört, daß in einer kleinen, im Nordwestendes Kosovo gelegenen Stadt Sicherheitskräfte mit einerListe mit Namen herumgefahren sind, alle Ingenieureder Stadt in ein Haus getrieben haben, alle Ärzte derStadt in ein anderes Haus getrieben haben und daß kei-ner dieser dort zusammengetriebenen Menschen dasHaus wieder lebend verlassen hat, wenn man unmittel-bar von einem Kinderarzt hört, der die Flucht mit seinendrei Kindern aus Pristina – Gott sei Dank – geschaffthat, was ihm in den sehr spärlichen Telefonkontaktenüber die Situation der Menschen zum Beispiel in derHauptstadt des Kosovo geschildert wird, dann ist es –ich mache überhaupt keinen Hehl daraus – mühsam, dieFassung zu bewahren und zu versuchen, irgendwienachzuvollziehen, mit welcher bestialischen Grausam-keit gegen Menschen vorgegangen wird. Und warum?Nur wegen einer anderen ethnischen Abstammung!Ich sage das deswegen am Anfang, weil die humani-täre Hilfsaktion, das militärische Handeln und diepolitischen Bemühungen eine Einheit darstellen undweil sie alle dem gleichen Ziel dienen: diese Bestialitätund diese Grausamkeit zu beenden, ihre Ursachen zu be-seitigen, das Leid zu lindern und den Menschen dieRückkehr in ihre angestammte Heimat zu ermöglichen.Nur wenn man dieses Ziel und die Umstände, die dabeieine Rolle spielen, vor Augen hat, wird man deutlichersehen, daß man dieses Leid zwar nicht ungeschehen ma-chen kann; aber man kann es lindern und versuchen, de-nen, die dem Terror und der Brutalität entkommen sind,wieder eine Hoffnung zu geben.Ich finde, für uns als eine Demokratie ist das eineVerpflichtung – nicht alleine wegen unserer eigenenVorgeschichte, sondern vor allen Dingen wegen derÜberzeugungen, die diese Demokratie tragen. Ichmöchte daran erinnern, was der Bundespräsident in die-sem Zusammenhang gesagt hat: Wer diese Konsequen-zen aus seinen eigenen demokratischen Idealen aufgebe,gefährde am Ende auch im Innern das, was unser Landzusammenhalte, nämlich eine gemeinsame Überzeugungvon Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Moral.
Ich erinnere mich sehr gut an ein Telefonat mit demBundesaußenminister in der Nacht von Karfreitag aufKarsamstag. Ich erwähne das, weil sich aus diesem Te-lefonat und aus den Reaktionen auf die Umstände inBlace sowie auf die dringenden Hilfsersuchen der maze-donischen Regierung manches von dem erklären läßt,was die Bundesregierung dann getan hat. Gewisserma-ßen über Nacht – ich sage das mit einem großen Kom-pliment an alle beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter der Bundesregierung – ist die größte humanitäreHilfsaktion, die die Bundeswehr und die BundesrepublikDeutschland jemals geleistet haben, aus dem Boden ge-stampft worden.
Karl Lamers
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3393
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Das war eine Voraussetzung dafür, daß die unsäglichenZustände in Blace verbessert werden konnten. Ich erin-nere daran, daß daraus die Initiative entstanden ist, in-nerhalb der Europäischen Union für eine Aufnahmevon Flüchtlingen zu werben. Ich schließe mich all de-nen an, die sagen: Hoffentlich halten sich alle an ihreZusagen und erfüllen sie nicht auf eine so zögerlicheWeise, daß die Zusagen am Ende nicht den Wert entfal-ten können, den sie eigentlich haben sollten.Angesichts der mehr als 400 000 Vertriebenen in Al-banien und der über 200 000 Vertriebenen in Mazedo-nien ist es dringend erforderlich, auch die politischeStabilität dieser Länder im Auge zu behalten. Zumin-dest in Mazedonien mit seinem sehr prekären Gleichge-wicht zwischen den dortigen ethnischen Gruppen drohtdie daraus entstehende Spannung das Land politisch undsozial zu zerreißen. Daran kann niemand Interesse ha-ben.
Deswegen füge ich hinzu, daß wir in der Lage seinmüssen, unmittelbar zu helfen. Die Bundeswehr tut dasdurch den Aufbau von Lagern ohnehin schon. Manmuß sich einmal vorstellen, was das bedeutet, und sichüberlegen, warum es gut ist, daß die Bundeswehr dasgemeinsam mit Hilfsorganisationen tut.Das eine Lager beispielsweise, im etwas südlicherenTeil von Mazedonien, in Cegrane, war für 5 000 Men-schen geplant, auf einem Acker, auf dem sich dürresGras und einige Steine befanden, sonst nichts. 5 000Menschen müssen aber versorgt werden, mit Wasser,mit medizinischer Hilfe, mit Lebensmitteln, mit Zelten,mit Decken. Das ist ein ziemlich hoher Aufwand. Ersteigt rasend, wenn plötzlich 12 000 Menschen zusätz-lich vor diesem Lager stehen. Dann wird das Lager auf18 000 erweitert, und mittlerweile sind es schon viel,viel mehr dort. Man muß sich klarmachen, daß wir indieser Situation jeden Tag ein Zeltlager in der Kapazitäteiner deutschen Kleinstadt aufbauen und danach betrei-ben müssen. Man muß sich klarmachen, daß derUNHCR dringend gebeten hat, die NATO solle helfen.Man muß sich vielleicht auch klarmachen, daß das janicht die NATO allein ist, sondern daß sieben, wennGeorgien zusagt, möglicherweise acht und dann hof-fentlich noch mehr Nicht-NATO-Staaten an der Organi-sation dieser Hilfsmaßnahmen beteiligt sind: Lettland,Litauen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Österreichund andere.Meine Damen und Herren, es geht darum, humanitäreHilfe zu leisten und sich in dieser humanitären Hilfe ge-genseitig zu unterstützen, auch durch Nothilfe. Es gehtdarum, auf diese Weise bei den Menschen die Hoffnungzu begründen, daß wir es ernst meinen mit dem politi-schen Ziel, daß sie in ihre Heimat zurückkehren können.Die Asymmetrie des Krieges, von der einmal gespro-chen wurde – die jugoslawische Armee und die Spezial-polizei auf brutale Weise am Boden gegen die Bevölke-rung, die NATO und die in ihr zusammengeschlossenen19 Demokratien auf konsequente Weise in der Luftgegen die Ursachen dieses Leids und gegen die Kräfte,die es auslösen – beginnt sich aufzulösen. Wenn hierfein –, ziseliert erörtert wird, worin der Fortschritt be-steht, will ich in diesem Zusammenhang auf drei Fakto-ren aufmerksam machen.Der erste ist, daß die politische Bewegung nach denErfahrungen von Rambouillet und Paris, die jetzt lang-sam einsetzt, und zwar nicht erst seit heute oder seit ge-stern, sondern schon seit längerer Zeit, nur erklärt wer-den kann, wenn man in Rechnung stellt, daß es wach-senden militärischen Druck und wachsende Wirksam-keit des militärischen Eingreifens gibt.Das zweite ist, daß es von Anfang an eine Fortset-zung der politischen Bemühungen gegeben hat. Die fünfPunkte, deren Prinzipien gestern um den einen oder an-deren Punkt ergänzt worden sind – der Bundesaußenmi-nister hat das vorgetragen –, haben das Licht der diplo-matischen Bühne schon Anfang April erblickt, also eineWoche, nachdem die NATO mit ihren militärischenMaßnahmen begonnen hatte. Am 3. April hat sich dieNATO das schon zu eigen gemacht. Am 7. April hat derUN-Generalsekretär seine Rede gehalten, in der er vonder „dunklen Wolke des Völkermordes“ sprach. Am 14.April beispielsweise haben sich die Regierungschefs derEuropäischen Union getroffen, nachdem am 13. Aprildie amerikanische Außenministerin und der russischeAußenminister in Oslo zusammengekommen waren.Ich sage das deshalb, Herr Kollege Lamers, weil nurder das als rein prozeduralen und nicht auch als substan-tiellen Fortschritt begreifen kann, der die Ergebnissedes Außenministertreffens von gestern betrachtet, oh-ne sie mit dem zu vergleichen, was beispielsweise zwi-schen Frau Albright und Herrn Iwanow in Oslo am 13.April erörtert worden war. Denn man kann sehen, daßzum Beispiel die Frage einer robusten militärischenSicherheitspräsenz im Kosovo am 13. April, um nur die-ses Datum zu nehmen, von Rußland völlig anders be-urteilt worden ist, als es Gott sei Dank heute beurteiltwird. Man kann sehen, daß Rußland sich von der Positi-on zu lösen beginnt, es dürfe nichts gemacht werden,was nicht das Einvernehmen und die Zustimmung vonMilosevic hat.Vor diesem Hintergrund – ich könnte auch noch an-dere Umstände nennen – redet man zu Recht auch vonsubstantiellen Fortschritten. Es sollte Ihnen nichtschwerfallen, dies zu akzeptieren, vor allen Dingen des-halb, weil doch auch Sie wie die Bundesregierung im-mer wieder und mit guten Gründen dafür plädiert haben,Rußland in diese Bemühungen einzubeziehen. Das ge-lingt zunehmend besser. Meine Prognose – das nehmeich jedenfalls einmal für mich in Anspruch – war vonAnfang an, daß Rußland seine europäische und welt-weite Rolle am Ende nicht an Milosevic ketten und vonihm abhängig machen wird. Insofern kommen wir alsoauch politisch voran.Bei diesen Überlegungen darf ein dritter Faktor nichtübersehen werden, nämlich die innere Entwicklung inJugoslawien selbst. Es gibt zunehmend stärkere Signaleder Demoralisierung und der Desertion in der jugoslawi-schen Armee. Es gibt zunehmend stärkere Signale ausBundesminister Rudolf Scharping
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der Geschäftswelt – wie sollte es auch anders sein –, daßsie mit Milosevic und seinem Handeln nicht mehr ein-verstanden ist. Ich fand es unglaublich mutig, daß derehemalige Generalstabschef Obradovic in einer öffentli-chen Stellungnahme als Vorsitzender der kleinen serbi-schen Sozialdemokratie mitgeteilt hat, man solle demserbischen Volk nun endlich deutlich sagen, daß die Ur-sache allen Leids die verbrecherische Vertreibungspoli-tik gegenüber den Kosovo-Albanern sei.
So etwas in Belgrad zu erklären ist wirklich mutig, vorallem dann, wenn man – wie ich – heute morgen gehörthat, daß Soran Djindjic nach Montenegro gegangen sei,wo er sich, wie man intern weiß, schon etwas länger alsseit gestern aufhält. Wenn man alles zusammennimmt,auch das, was man hier aus zwei Gründen nicht mittei-len kann, nämlich wegen des Schutzes von Leben undGesundheit derer, die man sonst zitieren müßte, und we-gen des Interesses, die Kriegsverbrecher zu verfolgen –deshalb kann man nicht immer alles in allen Einzelhei-ten belegen; es sei denn, man wollte die Verfolgung derKriegsverbrecher und den noch wichtigeren Schutz desLebens derer, die in Serbien oder im Kosovo aushalten,gefährden; dann könnte man hier fröhlich mit jeder ak-tuellen Nachricht operieren; aber ich finde, das verbietetsich –, wenn man also das alles zusammennimmt, dannkann man feststellen: Es gibt durch das Zusammenwir-ken der drei Faktoren – kontinuierliches politisches Be-mühen, entschlossenes militärisches Handeln und Ver-änderungen, die mittlerweile deutlich sichtbar sind, inder innerjugoslawischen Situation – eine durchaus im-mer weiter wachsende Chance, in überschaubarer Zeitzu einer friedlichen politischen Lösung zu gelangen, undzwar auf der Grundlage jener fünf Punkte, die der Bun-desaußenminister Anfang April dieses Jahres in dieinternationale Debatte eingebracht hat.Ich spreche ausdrücklich – ich weiß, das kann manvon der Opposition nicht verlangen – dem Bundeskanz-ler und dem Bundesaußenminister wegen der sehr kolle-gialen Zusammenarbeit und wegen ihrer intensiven Be-mühungen um eine enge Zusammenarbeit mit derNATO und um fortdauernde Kontakte mit Rußland – seies der Besuch von Herrn Primakow; seien es andere Be-suche bis in die jüngste Zeit – hohen Respekt, Dank undAnerkennung aus.
Ich hatte vorhin die Nicht-NATO-Staaten angespro-chen, die sich hier auch beteiligen. Ich möchte deutlichmachen: Es handelt sich dabei um ein strikt humanitä-res Mandat, das räumlich begrenzt ist. Es ist auch durchdie Fähigkeiten der internationalen Hilfsorganisationensowie auch durch die Hoffnung – ohne daß man hier all-zuviel Optimismus verbreiten sollte – begrenzt, daß esbald zu einer politischen Lösung kommt.Ich füge hinzu, daß wir die Soldaten, die wir dorthinschicken, nicht nur mit einem stolzen Lob ob ihrerMotivation und ihres Engagements begleiten, sondernauch darauf achten, daß sie auch in diesem Fall keinemunverantwortbaren Risiko ausgesetzt werden. Auchwenn sie schwerpunktmäßig in Südalbanien eingesetztwerden, muß man doch deutlich darauf hinweisen, daßdas dortige Umfeld nicht wie in Westeuropa ist. Mankann nicht ausschließen – auch wenn es unwahrschein-lich ist –, daß sie auch in militärische Handlungen ver-wickelt werden könnten, insbesondere dann, wenn siebei der Versorgung der Flüchtlinge und Vertriebenen inden Durchgangslagern im Norden Albaniens, zum Bei-spiel in Kukes, zu helfen versuchen. Also müssen sichunsere Soldaten selbst schützen können. Dazu sind 60bis 80 Soldaten zur Eigensicherung, ausgerüstet mitHandfeuerwaffen, eingeplant.Alle anderen bauen Zeltplätze, transportierenHilfsgüter, sorgen für Trinkwasseraufbereitung, betreu-en sanitätsdienstlich und auch psychologisch Flüchtlingeoder koordinieren den Einsatz. Dazu ist beispielsweisedie in das entsprechende NATO-Hauptquartier, dasschon nach Albanien verlegt ist, integrierte Fernmelde-einheit dringend erforderlich.Das Mandat beinhaltet im übrigen den Einsatz unbe-mannter Luftaufklärung durch die Bundeswehr und einegewisse Erweiterung des bisher erteilten Mandates.Ich will Ihnen das an zwei Beispielen schildern. Wirbekamen Hinweise darauf, daß sich im südlichen ZipfelSerbiens, in der Nähe der Stadt Vranje, eine Artillerie-stellung befinden könnte. Wir haben das wegen Gefahrim Verzuge mit der Drohne aufgeklärt. Dabei – übrigensauch als wir die Luftabwehrwaffen nach Mazedoniengebracht haben, um mit der Stinger Soldaten notfallsauch gegen Luftangriffe schützen zu können – haben wirdas Problem festgestellt, daß wir diese Erkenntnisse unddiese Möglichkeiten der Selbstverteidigung nicht auchfür unsere Partner hätten einsetzen können. Es wäre einkurioser Sachverhalt, wenn in Kumanovo Franzosen undDeutsche stationiert sind und man erst einmal feststellenmüßte, ob nur die Deutschen angegriffen werden. Daswäre von vornherein lächerlich.Die gegenseitige Nothilfe ist zum Schutz der Mitar-beiter aller humanitären Organisationen erforderlich. Sieist auch erforderlich, um die Kräfte der NATO-Staaten,die mit uns zusammenarbeiten, zu schützen, und sie istim Zusammenhang mit der Drohne erforderlich, zumBeispiel um Anforderungen der mazedonischen Regie-rung gerecht zu werden. Das haben wir in der Vergan-genheit getan. Der heutige Beschluß beinhaltet einenachträgliche Billigung dieses Einsatzes ebenso wie eineBilligung des darüber hinausgehenden erweiterten Ein-satzes.Ich will auch darauf hinweisen, daß ein darüber hin-ausgehender Einsatz, so wie es in dem Antrag der Bun-desregierung steht, insbesondere auf dem Territoriumder Bundesrepublik Jugoslawien nur im Rahmen einesVN-Mandats oder eines Friedensabkommens in Betrachtkommt und in beiden Fällen, wie überhaupt immer,zwingend eine erneute konstitutive Zustimmung desDeutschen Bundestages erfordert. Es wird also wedereine schleichende Beteiligung an irgendwelchen anderenMaßnahmen geben, noch wird die Bundesregierung in-nerhalb der NATO einer solchen Entwicklung zustim-Bundesminister Rudolf Scharping
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men. Dafür gibt es gute politische wie auch militärischeGründe. Die humanitären Bemühungen finden also eineklare Grenze im Humanitären selbst.Lassen Sie mich noch auf einen Umstand aufmerk-sam machen, der mit humanitären Fragen zu tun hat.Kürzlich fand ein Gespräch des Präsidenten des Interna-tionalen Roten Kreuzes, Sommaruga, mit Milosevicstatt. In diesem Gespräch sind angeblich Abmachungengetroffen worden, die den Zugang zu den Binnenflücht-lingen ermöglichen sollten. Das sind leere Versprechun-gen geblieben. Es blieb bei einem Fernsehtermin, beieiner öffentlichen Bekundung. Danach sind alle Bemü-hungen des Internationalen Roten Kreuzes um Zugangin den Kosovo unbeantwortet geblieben und gescheitert.Dieselben Erfahrungen haben wir schon einmal bei derOSZE-Mission gemacht. Deshalb ist es um so dringen-der geworden, daß wenigstens denen geholfen werdenkann, die unter zum Teil entsetzlichen Umständen Alba-nien oder Mazedonien erreichen.Ich füge hinzu: Das nährt meine Skepsis, daß zumBeispiel eine UN-Mission zur Feststellung von Umstän-den, die man für die Aufstellung einer internationalenFriedenstruppe und einer Interimsverwaltung braucht,ohne weiteres freien Zugang zu den Orten bekommt, diesie selbst festlegt. Wir haben in der Vergangenheit – dasgeht leider schon über Jahre hinweg so – mit Milosevicdie Erfahrung gemacht, daß er den Propagandakrieg fastso gut wie den skrupellosen Krieg gegen die eigene Be-völkerung und ethnisch andere Bevölkerungsgruppenbeherrscht.Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie sehr herzlich,mit einer breiten Mehrheit im Deutschen Bundestag, ander ich persönlich nie einen Zweifel hatte, den Einsatzder deutschen Soldaten zu unterstützen. Sie haben dieseUnterstützung durchaus notwendig. Sie wird ihnen gut-tun, und sie haben sie vor allen Dingen verdient. Wennsich nämlich herausstellt, daß internationale Hilfsorgani-sationen mit ihren logistischen Möglichkeiten und vonihrer Leistungsfähigkeit her die Situation nicht bewälti-gen können, die sich jetzt in Mazedonien und Albanienentwickelt hat, dann ist es gut und richtig, wenn Kräfteeinspringen, die das leisten können. Die Soldaten neh-men diese Aufgabe mit großer Begeisterung, mit hohemVerantwortungsbewußtsein und starker Motivationwahr. Diese Einsatzbereitschaft wird dadurch bestätigtund gestärkt, daß der Deutsche Bundestag mit breiterMehrheit unserem Antrag zustimmt.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ulrich Irmer, F.D.P.-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident!– Meine Damen und Herren! Die Freien Demokraten imDeutschen Bundestag werden dem Antrag der Bundes-regierung zustimmen, und zwar deshalb, weil wir dieUnterstützung und Verstärkung des humanitären Einsat-zes angesichts des Elends der Vertriebenen für unerläß-lich halten.Der Bundesverteidigungsminister Scharping hat zuBeginn seiner Rede die Situation mit bewegenden Wor-ten geschildert. Ich möchte Ihnen, Herr Scharping, aus-drücklich sagen, daß ich es als wohltuend empfinde, daßSie in Ihrer Funktion als der für den Einsatz der Bun-deswehr zuständige Minister hier ohne jedes Säbelras-seln, ohne aggressive Töne, sehr nachdenklich, sehr be-sonnen, sehr zurückhaltend, sehr abgewogen und damitder Situation angemessen Ihre Aufgabe erfüllen. Dafürmöchte ich Ihnen danken.
Im übrigen macht sich ja wohl jeder hier im Hause, derüber Einsätze der Bundeswehr abstimmen muß, dieSache keineswegs leicht, sondern wir sind uns alle unse-rer Verantwortung bewußt.Erlauben Sie mir, daß ich jetzt einen Gesichtspunktanspreche, der mir in letzter Zeit durch den Kopf gegan-gen ist. Sicher werden nicht alle meine Auffassung tei-len. Ich meine aber, daß sich ein Parlament, wenn esweiß, daß es für eine Wehrpflichtarmee Verantwortungträgt, um so mehr Mühe bei der Entscheidung über denEinsatz seiner Soldaten macht.
Wir hier im Deutschen Bundestag sind dadurch weit vonder Gefahr entfernt, das Militär sozusagen als eine stän-dig präsente Einheit zu begreifen, die man auf Abrufdort einsetzen kann, wo es gerade notwendig ist. Auchwenn Wehrpflichtige natürlich nicht gegen ihren Willenbei diesen Aktionen eingesetzt werden, müssen wir unsbei der Entscheidung über diesen Einsatz doch um somehr Skrupeln aussetzen, weil diese Armee aus der Ge-sellschaft und aus unserem Volk heraus kommt und inständigem Austausch mit der Gesellschaft steht und weilsich die Bundeswehr gegenüber den Bürgern und derGesellschaft ständig rechtfertigen muß – auch durch das,was sie in ihrem Inneren tut. Die Wehrpflichtigen, die indie Bundeswehr hineinkommen, repräsentieren nämlichdort die Gesellschaft, und umgekehrt kehren die wehr-pflichtigen Soldaten wieder in die Gesellschaft zurückund vermitteln dort das, was die Bundeswehr brauchtund benötigt.Ich möchte bei dieser Gelegenheit allen Soldaten denDank unserer Fraktion für den Einsatz, den sie leisten,aussprechen.
Ich wünsche allen, die in diesem Einsatz sind, daß siegesund und unversehrt zurückkehren. Ich möchte an die-ser Stelle auch die Familien dieser Bundeswehrangehö-rigen nicht vergessen, die täglich und stündlich um siezittern, weil diese Einsätze – machen wir uns da nichtsvor – in hohem Maße gefährlich sind.Bundesminister Rudolf Scharping
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Meine Damen und Herren, wir stimmen, wie gesagt,dem Antrag der Bundesregierung zu. Ich möchte jetzt –dabei muß ich etwas kritisch werden – doch noch einmaldie Frage stellen, warum es ausgerechnet bei der Dis-kussion über diesen Antrag mehr Probleme als bei frü-heren Vorlagen der Bundesregierung, in denen es umKampfeinsätze ging, gegeben hat. Hier handelt es sich jaum einen rein humanitären Einsatz.Der Antrag enthält drei Teile: Der erste Teil beinhal-tet die Verstärkung der Bundeswehr um bis zu 1000Soldaten für ihre Aufgabe, humanitäre Hilfe zu leisten.Der zweite Teil legitimiert – ebenfalls unter humanitärenAspekten – eine gegenüber dem ursprünglichen Be-schluß erweiterte Luftaufklärung durch die Drohnen.Der dritte Teil schließlich legitimiert die eigentlichselbstverständliche Nothilfe. Es handelt sich also umrein humanitäre Aufgaben.Was den Inhalt des Beschlusses betrifft, dürfte eigent-lich niemand Bedenken haben. Selbst wer prinzipiellgegen die Beteiligung der Bundeswehr an den militä-rischen Einsätzen in Jugoslawien und im Kosovo ist,müßte dem Antrag zustimmen können, weil es sich umeine rein humanitäre Angelegenheit handelt.Um so verwunderlicher ist, weshalb es im Vorfeld –ich räume ein: auch in meiner Fraktion – Irritationen underhöhten Diskussionsbedarf gegeben hat. Ich muß derBundesregierung in diesem Zusammenhang schon sa-gen, daß sie dem Parlament dieses Verfahren von obenherab zugemutet hat. Ich frage Sie: Warum haben wirdiese Beschlußvorlage nicht bekommen, als wir in derWoche nach Ostern eine Sondersitzung zum ThemaKosovo hatten?
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bundesregierung die Eil-entscheidung schon längst getroffen.
Indem Sie zu den Drohnen – das ist jetzt Inhalt der Be-schlußvorlage – eine ausdrücklich so bezeichnete Eilent-scheidung getroffen haben, haben Sie ja eingeräumt, daßdiese Entscheidung der Zustimmung des DeutschenBundestages bedarf. Denn nach der Entscheidung desBundesverfassungsgerichtes sind Sie zur Eilentschei-dung in Situationen, in denen der Bundestag eigentlichzustimmen müßte, das aber aus zeitlichen Gründen nichtgeht, ermächtigt. Die Frage bleibt aber: Warum habenSie uns diesen Antrag nicht in der Woche nach Ostern,als wir zu diesem Thema debattiert haben, vorgelegt?Eine weitere Frage. Als wir Anfang der Woche IhreVorlage zum erstenmal auf den Tisch bekommen haben,haben wir Sie gefragt: Warum schreiben Sie in das Ru-brum nicht das hinein, was in der Begründung steht?Wir haben Ihnen sogar eine goldene Brücke gebaut, in-dem wir Ihnen vorgeschlagen haben, in den Antrag auf-zunehmen: Der Deutsche Bundestag stimmt … der deut-schen Beteiligung an der humanitären Hilfe im Zusam-menhang mit dem Kosovo-Konflikt zu nach Maßgabedes Beschlusses der Bundesregierung vom Soundso-vielten. – In diesem Beschluß ist nämlich all das enthal-ten, was uns Anlaß zu Fragen gegeben hat.Hier ist der Verdacht aufgekommen, es solle durchdie Hintertür der Einsatz von Bodentruppen ermög-licht werden.
Wer die Diskussion bei uns im Land kennt, weiß ja, daßdie Menschen Angst davor haben. Deshalb verstehe iches einfach nicht, weshalb Sie das – in einer gewissenhandwerklichen Schluderigkeit – nicht ausdrücklich inIhrem Antrag geklärt haben, und daß Sie sich, als wirSie darum gebeten haben, auf die Position zurückgezo-gen haben: Das haben wir schon immer so gemacht.
Das sind die berühmten drei Grundsätze des deutschenVerwaltungshandelns: Erstens. Das haben wir noch nieso gemacht. Zweitens. Das haben wir schon immer sogemacht. Drittens. Da könnte ja jeder kommen.Sie haben gesagt, das haben wir schon immer so ge-macht. – Es stimmt aber nicht; denn in allen früherenBeschlüssen war im Rubrum ausdrücklich der Passusenthalten: nach Maßgabe des Beschlusses der Bundesre-gierung vom Soundsovielten. Damit hätten Sie alles be-rücksichtigt. Sie haben aber nach dem dritten Verwal-tungsgrundsatz „Da könnte ja jeder kommen“ gehandelt.Das ist eine Mißachtung der Opposition, die wir uns aufDauer nicht gefallen lassen.
Ich appelliere also an Sie, das nächste Mal etwas mehrUmsicht walten zu lassen.In der Sache stimmen wir Ihnen, wie gesagt, zu. Ichräume auch ein, daß Sie, Herr Scharping und HerrFischer, nicht nur in den Ausschüssen, sondern auch imPlenum in wünschenswerter Deutlichkeit gesagt haben,daß dies eine rein humanitäre Angelegenheit ohne Hin-tertür ist. Der Passus oben auf Seite 4 in Ihrem Antrag,der sich auf alle drei Teile Ihres Beschlusses bezieht, istselbstverständlich ganz wichtig. Dort heißt es, daß eindarüber hinausgehender Einsatz nur im Rahmen einesUN-Mandates oder eines Friedensabkommens erfolgendarf und wird und daß dazu eine erneute Zustimmungdes Deutschen Bundestages erforderlich wäre.Damit gehen wir eigentlich hinter das zurück, waswir im November und im Februar schon beschlossenhaben. Denn mit dem Beschluß zur Extraction Forcehatten wir bereits ein Eingreifen der Bundeswehr aufdem Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien legi-timiert. Im Beschluß vom Februar hatten wir vereinbart,daß zur Absicherung eines Abkommens, eines Ram-bouillet-Abkommens, auch ein Bodeneinsatz zulässigsei.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zumSchluß noch einige Bemerkungen zu dem Ergebnis dergestrigen Außenministerkonferenz der G 8 machen.Natürlich ist das nicht der große Durchbruch. Ich warnedavor, dieses Ergebnis zu bejubeln; das tut auch nie-mand. Ich warne aber auch davor, das Ergebnis für sogering zu halten wie die „Neue Zürcher Zeitung“ heuteUlrich Irmer
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unter der Überschrift „Magere Ergebnisse“. Sicher istdas nichts Konkretes und sind mehr Fragen offen als be-antwortet. Das war aber angesichts der Situation nichtanders zu erwarten.Ich halte es für ganz wesentlich, daß durch dieses Er-gebnis, dem die Russen zugestimmt haben – das ist derentscheidende Punkt –, wieder der Weg zur Politik er-öffnet worden ist, und zwar stärker als je zuvor. Ichhalte es auch für ganz entscheidend, daß in diesem Be-schluß den Vereinten Nationen wieder die Rolle zuer-kannt wird, die sie eigentlich haben müßten, die aberleider in der Vergangenheit in den Hintergrund getretenist.Wir alle hier haben, wenn es um die Erörterung einerdenkbaren politischen Lösung ging, immer zwei Dingebetont. Erstens: Die Vereinten Nationen müssen wiederin die Verantwortung genommen werden. Zweitens: Umdies zu erreichen, müssen die Russen mit an Bord.Herr Scharping, ich verstehe, daß Sie Ihre Kollegenhier rühmen und preisen.
Das ist auch in Ordnung. Wie aber der russische Pre-mierminister Primakow hier in Deutschland behandeltworden ist, als er von seiner Mission in Belgrad zur Be-richterstattung zu uns gekommen ist, war schon schand-bar. Das war keine Meisterleistung deutscher Diploma-tie.
Wenn man schon sagt, die Russen mit ins Boot nehmenzu wollen, kann man den Premierminister nicht behan-deln wie einen dummen Jungen, der seine Hausaufga-ben schlecht erledigt hat. Das hätte ganz anders laufenmüssen. Man hätte sagen müssen: Herr Primakow, dasist großartig! Wir bedanken uns bei Ihnen dafür, daßSie sich eingesetzt haben und wie Sie sich eingesetzthaben. Wenn Ihr Ergebnis nicht unseren Erwartungenentspricht, dann liegt das nicht an Ihnen, sondern anHerrn Milosevic. Wir bitten und ermuntern Sie, aufdiesem Wege weiterzumachen. – Gott sei Dank habenSie aus diesem Fehler gelernt: Die Russen sind mit anBord.Es bleibt natürlich die Frage: Wie sehen die Rege-lungen bezüglich der Sicherheitstruppe – hier heißtes wunderschön ausgedrückt „Sicherheitspräsenzen“,noch dazu also im Plural – aus? Ohne NATO wird undkann das gar nicht gehen. Ob die Russen ein NATO-Mandat akzeptieren, ist offen. Es gibt also Fragen überFragen.Ich freue mich aber, daß es überhaupt zu einer Ver-einbarung unter Beteiligung der Russen gekommen ist,und ermuntere die Bundesregierung, sich weiter um einefriedliche Regelung zur Lösung des Konfliktes zu be-mühen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun
der Kollege Gregor Gysi, PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Herr Bundesaußenminister, Ihr Appellan Makedonien, die Grenzen wieder zu öffnen, findetunsere volle Unterstützung; denn wir können nichtFlucht und Vertreibung verurteilen, gleichzeitig aber dieGrenzen geschlossen halten, wenn die Vertriebenen undFlüchtlinge kommen.Auf der anderen Seite ist dies eine Art Hilferuf Ma-kedoniens nach mehr Hilfe durch die Staaten der NATO,aber auch der Europäischen Union insgesamt, weil Ma-kedonien mit dieser Situation überfordert wird. Insofernunterstützen wir auch Ihren Appell an die EU-Länder,endlich den Verpflichtungen zur Aufnahme von Vertrie-benen zu entsprechen.Wenn man sich die moralischen Begründungen gera-de von Tony Blair und Jacques Chirac hinsichtlich die-ses Krieges vor Augen hält und mit einbezieht, daß sienicht bereit sind, Vertriebene aufzunehmen, dann wirddas Ganze in besonderem Maße unglaubwürdig. Wenndas Schicksal der Kosovo-Albaner das eigentliche An-liegen des Krieges ist, dann ist doch nicht vermittelbar,weshalb sich die EU bei der Aufnahme von Vertriebe-nen und Flüchtlingen, bei der Hilfe für Makedonienund Albanien so schwertut. Das ist einfach nicht nach-vollziehbar.
Wir dürfen aber natürlich nicht so tun, als ob dies inDeutschland völlig unproblematisch wäre. Ich erinneredaran, daß noch vor ein paar Tagen Baden-Württembergund Bayern gesagt haben, daß sie nicht bereit sind, wei-tere Flüchtlinge und Vertriebene aufzunehmen. Dasheißt: Im Militärischen ist offensichtlich schnell Einig-keit herzustellen. Wenn es aber um konkrete Hilfe fürFlüchtlinge und Vertriebene geht, dann fehlt dieseEinigkeit. Dazu paßt ja eben auch – dazu haben Sie,Herr Bundesaußenminister, hier nichts gesagt –, daß dieAbschiebung von Kosovo-Albanern bis zum März 1999durch deutsche Verwaltungs- und Oberverwaltungsge-richte bestätigt wurde, die sich dabei regelmäßig auf dieAuskünfte Ihres Ministeriums gestützt haben. Das stehtim klaren Widerspruch zu dem, was als Begründung fürden Krieg angegeben worden ist. Eigentlich müßte unsdas veranlassen, noch einmal sehr grundsätzlich über dieAsylpraxis in Deutschland nachzudenken.Ich sage im Namen der Fraktion der PDS, daß wirdem Antrag der Bundesregierung nicht zustimmenwerden. Vielmehr sind wir dafür, die vorgesehenenMittel den Hilfsorganisationen vor Ort zur Verfügung zustellen,
aber wir sind nicht dafür, weitere tausend Soldaten zuentsenden. Das hat zwei Gründe.Der erste Grund ist, daß schon jetzt ein Kontingentvon 6 100 Soldaten durch diesen Bundestag beschlossenworden ist. Darunter sind 5 000 Soldaten, die für denUlrich Irmer
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Fall einer Implementierung vorgesehen sind, die garnicht bevorsteht. Es hat uns niemand die Frage beant-worten können, warum nicht aus diesem Kontingent dieSoldaten für den Bau von Wasserleitungen und für ande-re humanitäre Hilfe in Albanien abgestellt werden kön-nen.Der zweite Grund hängt damit zusammen, daß mansich ja das Gesamtszenario ansehen muß. Die USAschicken immer mehr Waffen, nicht nur nach Albanien,sondern jetzt auch nach Ungarn; sie schicken immermehr Soldaten. Man hört von Geheimplänen, die vor-sehen, im Juni mit Bodentruppen einzumarschieren. An-gesichts dessen können Sie von uns doch nicht erwarten,daß wir der Entsendung weiterer Soldaten zustimmen,da wir nicht wissen, inwiefern das zu einer Eskalationbeiträgt.
Ich will auch etwas zu der Erklärung der G 8 sagen.Sie, Herr Außenminister, haben besonders hervorgeho-ben, daß Rußland jetzt dabei ist. Ich weise zunächsteinmal darauf hin: Rußland war schon in der Kontakt-gruppe dabei. Insofern ist das nichts Neues. Vielmehrmuß ich hier feststellen: Nach Beginn des Krieges nah-men die Demütigungen Rußlands ihren Anfang, die wirimmer kritisiert haben. Allerdings hat nicht die deutscheRegierung, sondern Präsident Clinton damit angefangen.Unmittelbar nach Beginn des Krieges – das wissen Sieganz genau, Herr Außenminister – hat Jelzin ein G-8-Treffen auf höchster Ebene vorgeschlagen, damit mansofort über die Situation beraten kann. Damals hatClinton erklärt, daß er überhaupt keinen Grund für einsolches Treffen sehe, und so fand es nicht statt. Dannkam die Demütigung von Primakow hinzu, die ja geradevom Kollegen Irmer beschrieben wurde. Primakow kannja froh sein, daß er nicht als fünfte Kolonne bezeichnetwurde. Das war die Situation in Deutschland; damalswollte man über diese Fragen eigentlich gar nicht reden.Wenn ich die heutige Situation mit der damaligen ver-gleiche, muß ich sagen: Es ist durchaus günstig, wennjetzt die diplomatischen Bemühungen intensiviertwerden.Ob es Ihnen, Herr Außenminister, nun paßt odernicht: Die Erklärung der G 8 – ich komme auch gleichnoch auf die Schwächen zu sprechen – weicht nicht soerheblich vom Friedensvorschlag der PDS ab. Es tut mirleid. Schauen Sie ihn sich an. Genau mit dem Ziel, michfür eine Präsenz von UNO-Truppen einzusetzen, bin ichnach Belgrad gefahren, um dort dahin gehend Wege zueröffnen, daß man das akzeptiert. Dafür bin ich hiermaßlos diffamiert und beschimpft worden.
Wofür? – Für etwas, was Sie selbst jetzt unterschreiben.Nur, Sie interpretieren das in gewisser Weise falsch.Ich kann Texte ganz gut lesen. Da ist zum Beispiel vomRückzug nicht d e r militärischen, polizeilichen und pa-ramilitärischen Kräfte die Rede, sondern vom Rückzugmilitärischer, polizeilicher und paramilitärischer Kräfte.Das würde auch einen Teilabzug einschließen.Dann sagen Sie, Rambouillet sei hier voll bestätigtworden, ich solle meine Kampagne einstellen. Hören Siezu: Ich habe gegen den politischen Teil – daß heißt, so-weit es um die Autonomie und die Selbstverwaltunggeht – nie eine Kampagne geführt. Genau das steht inder Erklärung, daß nämlich die substantielle Selbstver-waltung unter voller Berücksichtigung des Rambouillet-Abkommens gewährleistet werden soll. Was allerdingsden militärischen Teil betrifft, so muß ich sagen: Essteht dort etwas völlig anderes als im Rambouillet-Abkommen. Dort steht nämlich, daß internationale zi-vile und Sicherheitspräsenzen in Übereinstimmung mitden Vereinten Nationen und nach Billigung durch denSicherheitsrat zu stationieren sind. In unserem Frie-densplan hieß es, daß die friedliche und sichere Rück-kehr der Vertriebenen und Flüchtlinge auf eine vomWeltsicherheitsrat zu bestimmende Art und Weise zugewährleisten ist. Das ist faktisch mit dem identisch, hataber eben mit dem Rambouillet-Vertrag nichts zu tun, indem von einer Besatzung durch die NATO die Redewar. Die UNO kam ja im militärischen Teil von Ram-bouillet überhaupt nicht vor.
– Es geht nicht um die Frage des Warum, sondern esgeht darum, daß der Minister gesagt hat, es gebe eineIdentität. Ich weise einfach auf die Unterschiede hin.Das Bemühen, die UNO einzuschalten, war damalsäußerst gering, weil die NATO meinte, sich vom Si-cherheitsrat und von der UNO einfach abkoppeln zukönnen,
und man hat deshalb das Mittel der Politik aufgegeben.Das, was hier steht, hätte man auch ohne den Krieg er-reichen können.Ich komme jetzt auf die entscheidende Schwäche undauch auf die Widersprüche zu sprechen. Hier steht: „ter-ritoriale Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawi-en“. Clinton sprach aber am Mittwoch von „Besat-zungstruppen“ und meinte damit die jugoslawischenTruppen im Kosovo. Wenn es denn Besatzungstruppenwären, geht er davon aus, daß dieser Teil nicht mehr zuJugoslawien gehört. Das heißt, hier muß erst einmalKlarheit geschaffen werden.Es ist auch nicht gut, wenn von Ungarn jetzt Forde-rungen in bezug auf die Vojvodina erhoben werden, weildann sofort eine Antihaltung aus der Sorge heraus ent-steht, ganz Jugoslawien solle zerstückelt werden.Ein Punkt fehlt natürlich in der Erklärung der G 8 –es gibt noch andere Schwächen, auf die ich hier abernicht eingehen will –: Wann hören Sie auf, die Bundes-republik Jugoslawien zu bombardieren?
Das Ende des Krieges ist der einzige Punkt, der hierüberhaupt nicht vorkommt.Das ist deshalb besonders bemerkenswert, weil Präsi-dent Clinton, also der Chef des ganzen Unternehmens,am Mittwoch hier in Deutschland – wo er ohne jede Be-grüßung von deutscher Seite eingereist ist, um auchDr. Gregor Gysi
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einmal zu zeigen, wem die Stützpunkte hier gehören –gesagt hat, „erbarmungslos“ – das ist nun wörtlich, HerrFischer – werde in Jugoslawien weiter gebombt. Jetztfrage ich Sie: Was bedeutet eigentlich im Zusammen-hang mit Krieg, im Zusammenhang mit Bomben dasWort „erbarmungslos“? Das heißt, ohne jedes Erbarmenwird weiter gebombt. Hätten Sie nicht wenigstens dasVerwenden eines solchen Begriffes kritisieren können?Aber diesen Mut, Herr Bundesaußenminister, haben Sienicht. Insofern könnten auch Sie einmal Ihre Ohren spit-zen.
Sie weigern sich, zu bestimmten Fragen Stellung zunehmen. Sie haben noch nie erklärt, warum zunehmendzivile Objekte in Jugoslawien bombardiert werden.Auch Herr Scharping hat noch nie erklärt, was der mili-tärische Zweck der Bombardierung von Düngemittelfa-briken, von Heizkraftwerken, von Wasserkraftwerkenoder Elektrizitätskraftwerken ist, worin der Zweck be-steht, daß Häuser und Wohnungen nicht mehr beheiztwerden können, nicht mehr mit Strom versorgt werdenkönnen.Sie kennen doch die Berichte: Es gibt ein schlimmesLeiden der Kosovo-Albaner, aber es gibt auch ein zu-nehmendes Leiden der serbischen Zivilbevölkerung.Darauf gehen Sie aber nie ein. Sie könnten wenigstenseinmal zur Verhältnismäßigkeit im Rahmen dieses Krie-ges Stellung nehmen.
Auch die Zahl der Versehen nimmt zu; das tun Sieimmer so ab. Da wird ein aus Kosovo-Albanern beste-hender Flüchtlingstreck beschossen, da werden zweiReisebusse beschossen. Dann werden versehentlichWohngebiete beschossen. Aus Versehen werden Rake-ten nach Sofia oder an andere Orte Bulgariens geschickt.
Ich sage Ihnen folgendes dazu: Wir leben hier ineiner Gesellschaft, wo jede Bürgerin und jeder Bürgerfür die kleinste Fahrlässigkeit am Arbeitsplatz haftet.Wenn Sie hier eine Frist versäumen, verlieren Sie ganzeAnsprüche. Die Bundesregierung geht aber mit den Ver-sehen um in dem Sinne: Einfach Pech gehabt; das istnun einmal fehlgeleitet worden.Nein, man trägt auch für Fahrlässigkeit Verantwor-tung, das heißt auch für Versehen, die im Rahmen einesKrieges geschehen.
– Ja, das habe ich gemacht.
– Sie müssen sich doch nicht so aufregen, nur weil Sieso ein schlechtes Gewissen haben.
Bundesverteidigungsminister Scharping hat eben dieentscheidenden Fortschritte genannt: Es gibt politischeBewegung, und es gibt Destabilisierung in Jugoslawien.Nur, Herr Bundesverteidigungsminister, das Kriegszielwar doch nicht, daß die russische Regierung sich bewegtoder daß es eine Destabilisierung in Jugoslawien gibt.Das Kriegsziel war – so haben Sie gesagt –, das Morden,das Töten, das Vertreiben der Kosovo-Albaner zu been-den.
Mit Blick auf dieses Kriegsziel, Herr Bundesverteidi-gungsminister, denke ich an Ihre Schilderung und diedes Bundesaußenministers, der zu Beginn dieser Debattegesagt hat, daß die Leiden noch schlimmer gewordenseien. Wenn man also nach sechs Wochen Krieg fest-stellt, daß sich hinsichtlich des eigentlichen Kriegszielesnichts verbessert, sondern nur alles verschlimmert hat,
dann ist das nicht nur völkerrechtswidrig, sondern offen-sichtlich auch ein falscher Weg. Milosevic nutzt dasBombardement für eine systematische Vertreibung.Deshalb war das immer der falsche Weg. Wir haben imUnterschied zu Ihnen keine Sekunde daran geglaubt, daßer durch Bomben von seinen Verbrechen zurückzuhaltenist.
Kollege Gysi, Sie
sind deutlich über der Zeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Deshalb sage ich: Beenden
Sie den Krieg! Das ist die Voraussetzung für jede ver-
nünftige politische Lösung auch und gerade im Interesse
der Kosovo-Albaner und des Beendens ihres Leidens.
Ich erteile dem Kol-
legen Rudolf Bindig, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Ich finde es angesichts derErnsthaftigkeit der Probleme, die wir zu diskutieren ha-ben, unangemessen, eine solche Aufgeregtheit und Ag-gression in das Parlament zu bringen.
Kernanliegen des Mandates, über welches wir heuteberaten, ist es, der Bundesregierung die Möglichkeit zugeben, Personal und Gerät der Bundeswehr für humani-täre Hilfsleistungen in und für Mazedonien und Albani-en im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt einzu-setzen. Es geht um humanitäre Soforthilfe für Flücht-linge. Die Lage der Flüchtlinge im Kosovo und in denNachbarländern ist in der Tat dramatisch.Dr. Gregor Gysi
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Flüchtlingsströme hat es übrigens bereits lange vordem Beginn der militärischen Aktionen durch dieNATO im Kosovo gegeben. Im Juli 1998 kam es im Zu-ge der Ausweitung der Kampfhandlungen im Kosovobereits zu einem Anstieg der Zahl der Flüchtlinge aufmehr als 120 000. Im September und Oktober 1998 stie-gen die Flüchtlingszahlen auf etwa 300 000 an. DieMenschen hatten damals zum großen Teil im Freien Zu-flucht gefunden, wo sie Regen und Kälte ausgesetzt wa-ren. Wegen des unmittelbar bevorstehenden Winterszeichnete sich bereits damals eine humanitäre Katastro-phe ab.Infolge des Holbrooke-Milosevic-Abkommens unddes Einsatzes von OSZE-Beobachtern ging die Zahl derFlüchtlinge im November/Dezember 1998 zunächstwieder zurück. Dennoch blieb die humanitäre Lage fra-gil. Damals konnten zudem im Kosovo noch humanitäreHilfsleistungen erbracht werden. Im Februar 1999, alsdie serbischen Militärs und paramilitärischen Einheitennach dem „Hufeisenplan“ mit der Vertreibung der Ko-sovo-Albaner begannen, stiegen die Flüchtlingszahlenschnell wieder auf 230 000 an. Nach aktuellen Zahlendes UNHCR, des Internationalen Komitees des RotenKreuzes und der NATO wird die Zahl der Flüchtlinge inAlbanien jetzt auf zirka 405 000 Flüchtlinge, in Maze-donien auf 198 000 Flüchtlinge, in Montenegro auf rund62 000 Flüchtlinge und in Bosnien-Herzegowina aufzirka 40 000 Flüchtlinge geschätzt.Über die Grenzen des Kosovo wären damit bereitszirka 700 000 Menschen vor der brutalen Vertreibungdurch serbische Kräfte geflohen. Die Zahl der Flücht-linge im Kosovo kann nur grob auf 350 000 bis 600 000oder 700 000 geschätzt werden. Es läßt sich sagen, daßfast die gesamte albanische Bevölkerung des Kosovo in-zwischen entweder auf der Flucht im Lande ist oder be-reits über die Grenze vertrieben worden ist.Für die über die Grenzen geflohenen 700 000 Men-schen – die Bevölkerung von sieben Großstädten odervon rund 20 Mittelstädten von 35 000 Einwohnern – galtund gilt es, in wenigen Tagen alles Überlebensnotwen-dige zu besorgen und es zum Teil, da es in der Regionnicht verfügbar war, von weither heranzuschaffen.Die Lage der Flüchtlinge ist in dem jeweiligen Um-feld zu sehen. Sie ist unterschiedlich: Ohne Zweifel istdie Situation im Kosovo am dramatischsten; zugleichbestehen dort die geringsten Einwirkungsmöglichkeiten.Eine Versorgung über Air-Drop ist nicht möglich. Nurwenige humanitäre Hilfsorganisationen können dort –unter Lebensgefahr – tätig sein. Der Auftrag und dasMandat der Bundeswehr bezieht sich dennoch aus-drücklich nicht auf humanitäre Hilfe für diese Flüchtlin-ge. Ebenso bezieht sich das Mandat nicht auf Hilfslei-stungen für Flüchtlinge in Montenegro.Abgedeckt durch die vorangegangenen Beschlüssedes Bundestages, leistet die Bundeswehr bereits huma-nitäre Hilfe für Flüchtlinge in Mazedonien und in ge-ringerem Maße auch in Albanien. Die Hilfe für die zirka200 000 Vertriebenen in Mazedonien findet in einemschwierigen politischen Umfeld statt. Die hohe Zahl derbereits aufgenommenen Menschen und der weiteranhaltende Zustrom erfordern ganz außergewöhnlicheorganisatorische, logistische und technische Leistungen.Diese enormen Anforderungen konnten in Mazedoniennur durch den Einsatz der dort anwesenden Militärs derExtraction Force bewältigt werden. Erst durch den Ein-satz der verschiedenen Militärs, in besonderem Maßeauch der Bundeswehr, ist es gelungen, eine gewisseStruktur in die Flüchtlingshilfe zu bringen. Die ver-schiedenen vor Ort tätigen internationalen Hilfsorgani-sationen und nationalen Nichtregierungsorganisationenwaren trotz beachtlicher Bemühungen allein nicht in derLage, die sich stellende gigantische Aufgabe zu bewerk-stelligen. Die Größe der Aufgabe überforderte sie. Inwenigen Stunden galt es, die Lagerflächen zu planierenund zu befestigen, Zelte aufzubauen und auszustatten,Wasser heranzuschaffen und aufzubereiten, sanitäre Ein-richtungen zu erstellen und Vorkehrungen für eineFäkalien- und Abfallentsorgung zu treffen. Durch einegewaltige Kraftanstrengung der vor Ort befindlichenMilitärs und der Hilfsorganisationen ist es inzwischengelungen, für zirka 105 000 Flüchtlinge in Lagern einegewisse Versorgung zu sichern. Weitere zirka 95 000Menschen leben in Gastfamilien.Der Einsatz der Militärs ist subsidiär angelegt. Diegesamte Organisation zum Aufbau und Betrieb einesLagers einschließlich der medizinischen Versorgungwurde von der Bundeswehr nur so lange übernommenund betrieben, bis das Lager an zivile Organisationenübergeben werden konnte. Es ist einfach naiv, wenn hierin einem Antrag die Meinung vertreten wird, das könn-ten doch auch die zivilen Hilfsorganisationen tun. Esheißt dort, gegebenenfalls sollten Vorkehrungen getrof-fen werden, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daßdie humanitäre Hilfe dann an zivile Kräfte übergebenwird. Das geschieht bereits. Man versucht, möglichst diezivilen Hilfsorganisationen heranzuziehen. Diese sagenaber: Wir schaffen das nicht, wir können das nicht; dasProblem ist zu groß, und deshalb bitten wir darum, daßdas Militär international tätig wird.
Deshalb ist es einfach falsch, wenn es in dem Antragheißt, daß die nichtmilitärischen Kräfte diese Aufgabezweifellos übernehmen könnten. Sie können es nicht, unddeshalb sind diese Vorschläge nicht ernst zu nehmen.In Albanien ist die Situation der Flüchtlinge wiederanders gelagert. Die Zahl der Flüchtlinge ist mit 400 000etwa doppelt so hoch wie in Mazedonien. Dort findendie Flüchtlinge Aufnahme in einem für sie freundlichenUmfeld. Allerdings sind die infrastrukturellen und dielogistischen Voraussetzungen im ärmsten Land Europaswesentlich schwieriger.Da die Versorgung in Mittel- und Südalbanien besserzu organisieren ist und dieses Gebiet auch sicherer vormilitärischen Übergriffen ist, sollen Flüchtlinge in gro-ßem Umfang vom Norden aus dorthin verlagert werden.Dazu gilt es erneut, Lager einzurichten und teilweise dieInfrastruktur durch Pionierleistungen zu verbessern.Deutsche Organisationen wie das Technische Hilfswerkund die GTZ haben dort bereits etliches geleistet, aberauch sie brauchten die Unterstützung der Bundeswehr.Rudolf Bindig
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Um auch in Albanien die weiteren notwendigen hu-manitären Hilfsleistungen erbringen zu können, solldurch die Operation „Allied Harbour“ eine Möglich-keit geschaffen werden, mit Hilfe von etwa 8 000 Sol-daten Unterstützung zu gewähren. Deutschland muß da-zu einen Anteil erbringen. Dazu brauchen wir hier dasMandat.Auch dieser Einsatz soll wieder nach dem Subsidia-ritätsprinzip erfolgen: Dort, wo internationale humanitä-re Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisatio-nen Arbeiten erledigen können, werden sie nicht nur dieMöglichkeit dazu haben, sondern sollen sie diese Auf-gabe vorrangig wahrnehmen. Auftrag der Bundeswehrist die Unterstützung dieser humanitären Hilfsorganisa-tionen und des UNHCR.Die eindeutig humanitäre Zielsetzung dieser Missi-on müßte es eigentlich auch denjenigen Kolleginnen undKollegen des Hauses möglich machen, diesem Mandatzuzustimmen, die den militärischen Einsatzbeschlüssennicht zugestimmt haben oder mit wachsender Skepsisgegenüberstehen. Diesen Kolleginnen und Kollegen seigesagt: Nicht alles, was Militär macht, ist auch militä-risch. Hier geht es um Not- und Flüchtlingshilfe imdirekten und unmittelbarsten Sinne des Wortes; es gehtum direkte Hilfe für Menschen in existentieller Not. Dasmüßte man doch unterstützen können.Wichtig scheint mir auch, daß bereits jetzt darübernachgedacht wird, wie den Flüchtlingen mittelfristigSchutz und Unterkunft gewährt werden kann. Selbstwenn sich die gesamte Zielsetzung natürlich daraufrichtet, zu erreichen, daß die Flüchtlinge möglichst baldin den Kosovo zurückkehren können, muß doch beieiner realistischen Betrachtung davon ausgegangen wer-den, daß ein Großteil der Flüchtlinge noch etlicheMonate versorgt und unterstützt werden muß. Es ist un-denkbar, daß die Flüchtlinge den nächsten Winter inZeltlagern verbringen können.Deshalb sollte aus humanitärer Sicht schon jetzt dar-über nachgedacht werden, wie nach der Sommerzeit, al-so im nächsten Herbst und im beginnenden Winter, fürdie Flüchtlinge ausreichender Schutz in Form von Ge-bäuden geschaffen werden kann. Dazu gehört die Über-legung, ob es nicht notwendig ist, einen größeren Teildieser Personen nach Westeuropa zu bringen. Ich glau-be, daß hier noch mehr getan werden könnte.
Man sollte bedenken, daß Albanien 400 000 Flücht-linge aufgenommen hat. Das sind 12 Prozent der Bevöl-kerung. Dazu kann man natürlich sagen: Das sind Alba-ner in Albanien. Mazedonien hat 200 000 Flüchtlingeaufgenommen. Das sind 10 Prozent der Bevölkerung.Deutschland hat 10 000 Flüchtlinge aufgenommen. InRelation zu unserer Einwohnerzahl sind dies 0,0125Prozent. Da muß noch mehr getan werden können!
Es ist einfach unwürdig, daß hierüber zwischen demBundesinnenminister und den Länderministern ein lan-ger Streit geführt werden muß und sich der Bundesmi-nister nur mühselig durchsetzen kann – und zwar nurunter geteilter Zustimmung einiger Bundesländer –, einneues Kontingent für besondere Härtefälle zu schaffen,damit noch mehr Flüchtlinge aufgenommen werdenkönnen. Da kann und muß auch auf deutscher Seite nochmehr getan werden.
Das Wort hat nun
der Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsi-dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! DieCDU/CSU-Fraktion wird dem vorliegenden Antrag zu-stimmen, aber nicht deshalb, weil er gut formuliert ist,und schon gar nicht deshalb, weil er jetzt gestellt wird.Dies hätte viel früher geschehen müssen.
– Ich muß darauf hinweisen; denn der Verteidigungsmi-nister hat das Problem Nothilfe von sich aus angespro-chen. Ich erinnere mich daran, daß Bundeswehrsoldatenvor zwei Jahren im Rahmen einer Nothilfeaktion, als inAlbanien innere Unruhen bestanden – Sie erinnern sichsicherlich daran –, mit Hubschraubern Menschen vomFlughafen Tirana ausgeflogen haben und wir diese Akti-on kurz darauf – dies war nicht anders möglich – gebil-ligt haben, und zwar unter den Forderungen der damali-gen Opposition, man möge beachten, daß das Verfas-sungsgericht verlange, daß bei Nothilfe, die gefährlichist, vorher ein Beschluß des Parlaments herbeigeführtwerde. Deswegen hätte das heutige Thema bereits vorsechs Wochen zur Diskussion gestellt werden müssen.Wir stimmen dem vorliegenden Antrag zu, weil esum die Linderung gemeiner Not und Gefahr für Leibund Leben der Vertriebenen geht. Da stimmen wir über-ein. Vertriebene bzw. Flüchtlinge müssen bei uns aufge-nommen und von allen unseren politischen Stellen undprivaten sowie staatlichen Organisationen im Rahmendes Erforderlichen unterstützt werden.In diesem Zusammenhang muß die große Spenden-bereitschaft, die in unserer Bevölkerung besteht, ange-sprochen werden. Wir bedanken uns sehr dafür.
Woher kommt es eigentlich, daß in Deutschland einsolch großes, ja übergroßes Maß an Bereitschaft zurUnterstützung und zum Spenden – das kann man mitFug und Recht sagen – vorhanden ist? Dies hängt nachmeinem Empfinden mit unserer kollektiven Erinnerungzusammen, damit, daß es bei uns noch sehr viele Men-schen gibt, die selber wissen, wie es ist, wenn man in-nerhalb einer Stunde mit einem Koffer und dem Not-Rudolf Bindig
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wendigsten am Leib Haus und Hof verlassen muß undnicht weiß, ob man zurückkommen kann und ob manauf der Flucht schlimme Dinge erlebt. All das, was derBundesverteidigungsminister zu Beginn seiner Rede ge-schildert hat, findet sich in Erzählungen früherer Ver-triebener wieder. Die Vertreibung aus dem Kosovo istleider nicht die erste Vertreibung in Europa in diesemJahrhundert; so etwas gab es schon vor über 50 Jahren.Dinge sind historisch nicht vollständig vergleichbar,es handelt sich vielmehr um subjektives Empfinden. Esist eine Frage der politischen Debatte, wenn man eineIntervention humanitär und moralisch mit den Men-schenrechten begründet und gleichzeitig diejenigen, dieals Deutsche ebenso das Schicksal der Vertreibung er-lebt haben, so an den Rand stellt, wie das diese Bundes-regierung und insbesondere der Bundeskanzler tun.
Es würde dem Bundeskanzler gut anstehen, wenn erbeim Bund der Vertriebenen – das ist eine Organisati-on, die eine Gruppe der Bevölkerung vertritt, die sehrgroßes Verständnis für das Schicksal der Menschen hat,die heute aus Heim und Hof gesetzt werden –
zur Fünfzigjahrfeier erscheinen, dort eine Rede haltenund sich für die Unterstützung bedanken würde.
Es hat sehr viel mehr miteinander zu tun, liebe Kolle-ginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, alsSie das offensichtlich wahrhaben wollen.Wir stimmen dem humanitären Auftrag zu. Wir wis-sen aber, daß der humanitäre Auftrag und der Auftrag zuLuftangriffen – Angriffen der Luftwaffe und der beglei-tenden Einheiten – gefährliche Aufträge sind. ErlaubenSie mir, daß ich bei dieser Gelegenheit an alle Opfer,insbesondere an die zwei amerikanischen Piloten denke,die vor zwei Tagen ums Leben gekommen sind. Siestammen aus einer Garnison in meinem Wahlkreis. Vorihrer Abreise hatte ich die Möglichkeit, mit dem Kom-mandeur zu sprechen. Das ist ein Tribut, den diese Men-schen für diese Aktion zollen, der über das Vorstellbarehinausgeht. Wir sind allen zu Dank und zu Respekt ver-pflichtet. Das Mitgefühl gilt den hinterbliebenen Famili-enangehörigen.Der Bundesverteidigungsminister hat davon gespro-chen, daß er immer davon ausgegangen ist, daß dieserAntrag eine große Zustimmung im Parlament erhält.Damit rechnet er auf die Rationalität der Opposition. DieZustimmung der Opposition, Herr Minister, ist abernicht selbstverständlich. Ihre Notwendigkeit muß vonseiten der Regierung schlüssig dargelegt werden, und siekann nicht ein Hilfsaggregat sein, weil man in seineneigenen Parteien Mehrheiten offensichtlich nicht ohneSchwierigkeiten zustande bringt.
Wenn wir über Mehrheiten – nicht nur hier im Hause –und über die politische Diskussion in den Parteien spre-chen, dann mutet es schon etwas eigenartig an, daß sichHerr Gysi und die Regierungsmitglieder einerseits inheftigem Streit befinden, ich andererseits aber nicht hö-re, daß sich etwa in Mecklenburg-Vorpommern, wo diebeiden Parteien gemeinsam auf der Regierungsbank sit-zen, irgend etwas an Konsequenzen zeigt.
Gleichzeitig geben ganze SPD-Landesverbände, wiezum Beispiel der mir gut bekannte Landesverband Bay-ern, und Ministerpräsident Klimmt aus dem SaarlandHinweise auf die Völkerrechtswidrigkeit der Aktion.
Ich greife wahllos eine Zeitung heraus. Die Berliner ha-ben uns freundlicherweise mit der „Berliner Zeitung“versorgt. In der gestrigen Ausgabe stand auf Seite 22links neben einem Artikel zur Scheinselbständigkeit:Körting fordert Stopp der Nato-Angriffe. FührendeBerliner SPD-Politiker fordern, daß der Nato-Einsatz … sofort gestoppt wird.
– Er schreit „prima“.– Rechts vom Artikel über dieScheinselbständigkeit steht:Der Landesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen inBerlin fordert den sofortigen bedingungslosenStopp der Luftschläge gegen Jugoslawien.Wo kommt das her? – Es ist in weiten Kreisen der dieRegierung tragenden Parteien ein Grundmißtrauen ge-gen die NATO vorhanden. Wir setzen ein Grundvertrau-en dagegen. Lassen Sie mich das bei dieser Gelegenheitpersonifizieren: Wir möchten dem gestern aus seinemAmt ausgeschiedenen höchsten deutschen Offizier in derNATO, dem Vorsitzenden des Militärausschusses, Ge-neral Naumann, für seine kluge und verantwortungs-volle Arbeit danken. Er hat dazu beigetragen, daß dasBündnis in den letzten sechs Wochen in der Lage war,militärisch die Dinge umzusetzen, die politisch notwen-dig waren.
Ich weiß, das schmeckt Ihnen nicht. Aber wir müssendarüber reden.Wenn mich ein Kreisvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen anschreibt, mich um Teilnahme an einerDiskussionsveranstaltung zum Thema „NATO-Luftan-griffe“ bittet und mir mitteilt, er sei ein erklärter Geg-ner dieser Luftangriffe und würde mich deswegen ein-laden, weil ich als Vertreter der CSU der einzigenPartei angehören würde, die geschlossen hinter denChristian Schmidt
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NATO-Luftangriffen stehe, mutet das schon etwasseltsam an.
Herr Bundesaußenminister, ich bin gerne bereit, beiIhrer Partei da und dort ein Wort für Sie einzulegen.Aber die Rolle der Bundesregierung will ich nicht spie-len. Das müssen Sie schon selbst machen.Die Frage wird sein, ob das, was gestern beschlossenworden ist – was unsere Unterstützung verdient –, dazuführt, daß der Kurzatmigkeit in der politischen Diskus-sion dieser Parteien weiter Vorschub geleistet wird, weilman damit den Begriff einer „innenpolitischen Atem-pause“ verbindet, oder ob man bereit ist, die Konse-quenz, die der amerikanische Präsident gestern sehrdeutlich gemacht hat, mitzutragen. Der Verteidigungs-minister hat das deutlich gesagt – das ist zu unterstrei-chen –: Es geht um parallele Aktivitäten.Wer meint, man sei jetzt an dem Punkt angelangt, denDruck auf Milosevic – auch den militärischen – zu ver-mindern, Luft aus dem Ventil zu lassen, der wird sehrschnell merken, daß dem Bündnis und der Durchsetzungder Ziele von NATO und der freien Welt – jetzt auch derRussen – damit die wahre Gefahr droht. Deswegen wirdder Erklärungsbedarf der Bundesregierung gegenüberden sie tragenden Parteien steigen.Ich stelle mit Interesse fest und respektiere selbstver-ständlich, daß wir diese Beschlußempfehlung heute miteiner großen Mehrheit dieses Hauses verabschiedenwerden. Aber es geht nicht, daß Bündnis 90/Die Grünensagen – das hat auch der Kollege Schlauch getan –, sieseien eine Partei, in der jeder zerrissen ist, die Partei alsGanzes aber nicht – wunderschöne Formel –, undgleichzeitig so tun, als unterstelle man denen, die ausVerantwortungsbewußtsein, aber mit sehr, sehr großenBauchschmerzen ob der Form, ob der Darstellungen undob des Zeitpunktes zustimmen, sie seien diejenigen, diehier moralisch nicht tiefer nachdenken würden.
Es geht nicht, daß Sie die Moral für sich pachten,aber die wichtigen Entscheidungen von der Oppositionmittragen lassen.
Wir sind froh und dankbar, daß Rußland einen Wegeingeschlagen hat, der zu einem Recht der VereintenNationen führt, das allemal besser ist als alles andere.Ich glaube, es ist hier angebracht, Kofi Annan zu dan-ken, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, der ineiner für die Vereinten Nationen sehr schwierigenSituation in einer sehr zurückhaltenden und klugen Wei-se agiert hat.
Ich denke, dieses G-8-Papier ist auch ein Tribut anKofi Annans Politik.Die Frage, wie weit sich in diesem Sicherheitsrats-mandat die Positionen der NATO und Rußlands wieder-finden werden, ist noch offen. Sie zu beantworten bleibtAußenminister Fischer vorbehalten, dem wir dabei sehrviel Erfolg wünschen. Diese Arbeit ist aber noch nichtgeleistet. Das ist ein Punkt, auf den ich hinweisen will,der uns auch bei der Debatte über Ihre Antragsformulie-rung Sorge gemacht hat, nämlich: Wer ein VN-Mandatanstrebt, ein Kapitel-VII-Mandat, das heißt ein Mandat,das durchgesetzt werden kann, der geht, wenn diesesMandat in Belgrad nicht akzeptiert wird, über das hin-aus, was wir in diesem Hause besprochen haben. Des-wegen unterstreiche ich, daß alle folgenden Fragen zurDurchsetzung eines VN-Mandats in diesem ParlamentPunkt für Punkt erörtert und beschlossen werden müs-sen.Wir schlagen der Bundesregierung vor, daß sie gera-de deswegen mit der Opposition in der nächsten Zeit inintensive Informationsgespräche eintritt. Der Herr Bun-desaußenminister hat das gestern angekündigt. Ich stehenicht an, das als positiv zu vermerken.Einen Fehler dürfen wir nicht machen – soviel zumThema Kurzatmigkeit –, nämlich den Fehler vonDayton zu wiederholen. Sie hatten von der Holbrooke/Milosevic-Mission, vom Pakt, gesprochen, Herr Kolle-ge. So weit will ich nicht gehen, aber Dayton ist durch-aus mit dem Namen Holbrooke verbunden. Wir Euro-päer sollten darauf achten, daß wir die potentiellen Kri-senherde – Montenegro, Mazedonien und Albanien –jetzt einbeziehen und nicht in ein weiteres Stückwerkverfallen, das uns in den nächsten Jahren womöglichwieder Probleme bereiten könnte, die wir alle nichtwollen.Dahin ist es ein langer Weg. Der erste Schritt zurEinbeziehung Rußlands, die wir immer gefordert ha-ben – Sie wissen auch, daß sich der bayerische Mi-nisterpräsident hier eingeschaltet hat –, ist getan. Daß sienun stattfindet, ist gut.Ich habe mit dem amerikanischen Kongreßabgeord-neten Weldon, der am letzten Wochenende in Wien Ab-geordnete der Duma mit einer Delegation des Kongres-ses zusammengebracht hat, sehr engen Kontakt. In sei-nem Papier sind einige interessante Aspekte enthalten,die mit dem G-8-Papier übereinstimmen.Wir sollten die Parlamente in die Information undUnterstützung für das gemeinsame Ziel einbeziehen.Wenn man jedoch jemanden einbeziehen will, muß manauch bereit sein, selbst Verantwortung zu übernehmen.Hier ist in erster Linie die Exekutive gefragt. Sie trägtdie Verantwortung, und an der Übernahme dieser Ver-antwortung werden wir sie messen.
Für die FraktionBündnis 90/Die Grünen spricht nun Kollege WinfriedNachtwei.Christian Schmidt
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kol-lege Schmidt, Sie erweckten gerade den Eindruck, alssei der Streit über die deutsche Kriegsbeteiligungirgendwie ehrenrührig. Das Gegenteil ist der Fall.
Daß es darüber in der Gesellschaft, in den Parteien, vorallem bei den Grünen, Streit gibt, ist notwendig undsinnvoll für die Demokratie.
Seit Februar dauert der Vertreibungskrieg von serbi-schen Militärs, Sonderpolizei und Mörderbanden gegendie kosovo-albanische Zivilbevölkerung an, und vielenist offensichtlich nicht bewußt, daß es dafür schon voreinem Jahr einen Probelauf gegeben hat.Seit sechs Wochen dauern die NATO-Luftangriffean, ohne daß sie die humanitäre Katastrophe stoppen,ohne daß sie den jugoslawischen Präsidenten zum politi-schen Einlenken bewegen konnten.Mit wachsender Sorge, ja Verzweiflung beobachtetenwir in den letzten Wochen die Verschärfung des Kriegesauf dem Boden und in der Luft. Nach den Erfahrungendieses Krieges besteht keinerlei Veranlassung, sich fal-sche Hoffnungen zu machen oder sich gar einemWunschdenken hinzugeben. Trotzdem: Die Ergebnissedes gestrigen Außenministertreffens der G-8-Staatensind nicht weniger als der Durchbruch zu einem gemein-samen Weg bei der politischen Lösung im Zusammen-hang mit dem Kosovo-Krieg.Die führenden Industrienationen und Rußland einig-ten sich auf die grundsätzlichen Ziele und Schritte einergemeinsamen Strategie. Dieser Durchbruch wird imVergleich zu der Situation vor einigen Wochen beson-ders deutlich. Jetzt ist Rußland wieder voll dabei undträgt die Grundsätze der fünf Punkte mit.Der Weg zurück zu den Vereinten Nationen und zueiner eindeutigen völkerrechtlichen Absicherung der in-ternationalen Kosovo-Politik ist vorgezeichnet. Damitwird die Außerkraftsetzung des internationalen Gewalt-verbots durch die NATO-Luftangriffe nicht ungesche-hen gemacht. Deutlich wird aber der feste Wille derBundesregierung, diesen Ausnahmefall auf keinen Fallzum Regelfall werden zu lassen und zu einer Stärkungund einer Reform des Völkerrechts und der VereintenNationen zurückzufinden.
An dem gestrigen Verhandlungsdurchbruch habenviele mitgewirkt. Es ist aber – so denke ich – keineÜbertreibung, wenn ich feststelle, daß der deutscheAußenminister Fischer daran einen ganz wesentlichenund vorwärtstreibenden Anteil hat.
Das ganze Haus, mit allen Abgeordneten, kann Ihnen,Herr Minister, bei der weiteren diplomatischenSchwerstarbeit nur volle Kraft und Rückenwind auchvon denjenigen wünschen, die dem Eingreifen derNATO sonst distanziert oder ablehnend gegenüberste-hen.Nun zum Antrag der Bundesregierung. In den Anrai-nerstaaten des Kosovo gibt es zur Zeit rund 700 000Vertriebene, davon mehr als 400 000 allein in Albanien.Die Situation der Flüchtlinge ist dramatisch; teilweiseist die Lage nicht mehr unter Kontrolle. Zivile Hilfsor-ganisationen allein sind mit der Bewältigung dieser La-ge völlig überfordert. Sie sind schon seit Wochen aufmilitärische Unterstützung angewiesen. Ein schnellerAusbau dieser Unterstützung ist überfällig. Notwendigist die schnelle Erweiterung bzw. die Neuerrichtung vonFlüchtlingslagern, notwendig ist eine medizinische Ver-sorgung; notwendig sind schnelle und umfassendeTransporthilfen, und notwendig ist die Sicherung derHilfe gegen Bandenüberfälle. Die Bundeswehr verfügtüber dafür geeignete Kräfte. Ihre Entsendung ist unbe-dingt notwendig und unumgänglich, um die Katastropheauch nur einigermaßen wieder in den Griff zu bekom-men und um ein Abrutschen ins Chaos zu verhindern.In den letzten Tagen wurden völlig zu Recht kritischeFragen an diesen neuen Bundeswehreinsatz gestellt – zumassiv sind inzwischen die Diskussionen in der NATOum einen möglichen Bodeneinsatz; zu naheliegend sinddie Vermutungen, daß in Wirklichkeit dafür schon Vor-bereitungen im Hintergrund getroffen werden. Mit derKräftezusammensetzung des Bundeswehrkontingentsund mit den Formulierungen des vorliegenden Antragesstellt die Bundesregierung aber eindeutig klar, daß dieseKräfte nicht für einen eventuellen Bodenkrieg zur Ver-fügung stehen. Alles andere würde in diesem Haus aufbreiteste Ablehnung stoßen.Die PDS lehnt die Entsendung der Bundeswehrsol-daten zum Zweck der Flüchtlingshilfe ab. Sie zeigt da-mit ihre fortgesetzte Ignoranz gegenüber den realenVerhältnissen im Kosovo und in den Anrainerstaaten,
und sie setzt damit die Linie ihres Antrags zum Vertei-digungshaushalt von vorgestern fort, in dem sie – das istden meisten wahrscheinlich nicht aufgefallen – dieStreichung der 50 Millionen DM für Maßnahmen derBundeswehr im Zusammenhang mit internationalen hu-manitären und sonstigen Einsätzen – und damit konkretden Rückzug der deutschen SFOR-Anteile aus Bosnien– forderte. Offenbar ist Ihnen von der PDS die Auf-rechterhaltung eines pseudoantimilitaristischen Imageswichtiger als die Frage, wie die Hilfe vor Ort am bestenund schnellsten organisiert werden kann.
Schwerpunkt aller Flüchtlingshilfen ist die Hilfe vorOrt. Alle, die die katastrophale Lage in den Anrainer-
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staaten wahrnehmen, wissen: Diese Länder können denFlüchtlingszustrom nicht bewältigen; ihre Stabilität istakut gefährdet. Deshalb ist es nicht nur eine humanitäreVerpflichtung, sondern auch ein Gebot europäischerStabilitätspolitik, schnell eine größere Zahl von Flücht-lingen in den europäischen Staaten aufzunehmen. Vordiesem Hintergrund ist die Haltung vieler europäischerStaaten, nur äußerst zögerlich Flüchtlinge aufzunehmen,völlig kurzsichtig.
Die reale Abschottungspolitik der anderen kann aberkeine Rechtfertigung dafür sein, sich hierzulande gegendie Aufnahme weiterer Flüchtlinge zu stellen, wie es dieCDU-Innenminister in den zurückliegenden Tagen getanhaben. Ein solches Verhalten widerspricht voll und ganzder humanitären Dimension, die für den Einsatz und dasEingreifen der internationalen Gemeinschaft im Kosovoansonsten völlig zu Recht in Anspruch genommen wird.
Zum Schluß möchte ich noch auf eine Seite derFlüchtlingspolitik zu sprechen kommen, die viel zuwe-nig bedacht wird. Zu Recht verweist die Bundesregie-rung – und eben gerade auch Minister Scharping – aufdie großen Rekrutierungsprobleme und die hohe Deser-tionsrate der jugoslawischen Armee als Zeichen fürRisse im serbischen Militärapparat. Aber warum wirddas nur positiv vermerkt? Warum wird nicht auch allesdafür, eben für die Zersetzung des serbischen Vertrei-bungsapparates, getan?
Längst überfällig ist deshalb das Angebot der europäi-schen Staaten an die Deserteure der jugoslawischen Ar-mee, sie aufzunehmen und ihnen Asyl zu gewähren.
Wir fordern die Bundesregierung auf, dazu die notwen-digen Schritte zu tun und auch mit gutem Beispiel vor-anzugehen.Es geht darum, Krieg und Vertreibung zu stoppen, diesichere Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimat zuermöglichen und die akute Not der Vertriebenen zu lin-dern. Dafür ist der heutige Beschluß ein notwendigerund unverzichtbarer Beitrag. Dafür ist die gestrige Eini-gung der G-8-Staaten ein hoffnungsvolles Zeichen.Danke schön.
Das Wort hat nun
Kollege Paul Breuer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wenn die CDU/CSU dem von der
Bundesregierung vorgelegten Antrag auf deutsche Be-
teiligung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang
mit dem Kosovo-Konflikt, zu erbringen vorwiegend in
Albanien – aber der Antrag bezieht sich auch auf Maze-
donien –, zustimmt, dann tun wir dies aus zwei
Gründen.
Der erste Grund: Es ist überhaupt nicht zu übersehen,
daß Albanien und Mazedonien mit dem kaum vorstell-
baren Elend der Flüchtlinge, der Vertriebenen und ihrer
unvorstellbar großen Zahl, dem menschlichen Elend
nicht fertig werden können, auch nicht zusammen mit
den internationalen Hilfsorganisationen, die trotz großer
finanzieller Hilfen dies ebenfalls nicht leisten können,
weil sie einer Unterstützung seitens der NATO, die sie
ja auch wünschen, bedürfen. Das ist der eine Grund,
warum wir zustimmen.
Der zweite Grund, warum wir zustimmen, ist, daß
glaubwürdig nachgewiesen ist, daß dieser Einsatz unse-
ren Kriterien dafür entspricht, eine Eskalation dieses
Konflikts zu vermeiden.
Herr Kollege Bindig, Sie haben soeben eine interes-
sante Formulierung benutzt. Sie haben – ich weiß nicht,
an welchen Kollegen Sie das adressierten – gesagt, nicht
alles, was Militär sei oder was Militär mache, sei not-
wendigerweise militärisch. Man muß sich einmal über-
legen, was Sie damit gesagt haben und wie das im Zu-
sammenhang mit der Fragestellung, um die es hier geht,
zu bewerten ist.
Wenn Sie sich mit internationalen Hilfsorganisatio-
nen beschäftigen – ich weiß, Sie tun es – oder auch mit
deutschen Hilfsorganisationen, zum Beispiel dem Deut-
schen Roten Kreuz, dann werden Sie dort zu hören be-
kommen – Sie haben es mit Sicherheit schon gehört –,
daß es wegen der Entwicklung der bedauerlichen
Kriegsszenarien innerhalb von Staaten, wegen der ethni-
schen, der religiös oder wie auch immer motivierten
Probleme zunehmend notwendig erscheint, daß die
Hilfsorganisationen von militärischer Seite unterstützt
werden. Das hat man in der Vergangenheit für völlig
unvorstellbar gehalten.
Wir haben schon mehrfach festgestellt, daß gerade
militärische Organisationen hier Entscheidendes leisten
können. Auch die Bundeswehr kann das. Dafür müssen
wir uns bei den Soldaten der Bundeswehr, die das aus
dem Stand können, herzlich bedanken. Gerade die Bun-
deswehr ist im Bereich der humanitären Hilfe, die
eigentlich nicht ihre Hauptaufgabe ist, zu großen Lei-
stungen befähigt.
Kollege Breuer, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage?
Sehr gern.
Herr Kollege Breuer, Siehaben wie der Kollege Bindig die Zusammenarbeit zwi-Winfried Nachtwei
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schen den staatlichen und nichtstaatlichen Organisatio-nen bei der Hilfe für die Menschen in Not vor Ort ange-sprochen. Ich teile Ihre Ausführungen, daß uns die Hilfeder jeweiligen Organisation, aber auch die Zusammen-arbeit dieser beiden Organisationstypen bei der Hilfe vorabsolut neue und absolut ungewöhnliche Herausforde-rungen stellt. Aber darf ich Sie angesichts der These, dieder Kollege Bindig aufgestellt hat, fragen, ob auch Ihnendas Problem bewußt ist – und, wenn ja, was Sie davonhalten –, daß die Bundeswehr auf der einen Seite in ei-nen internationalen bewaffneten Konflikt involviert istund auf der anderen Seite eine Hilfsorganisation wie dasRote Kreuz, das international tätig ist, zur Neutralitätverpflichtet ist? Diese Verhältnisse implizieren Mög-lichkeiten, aber auch Grenzen der Zusammenarbeit. Ge-nau darauf wollte der Kollege Bindig hinweisen.
Herr Kollege Kröning, ich
stimme Ihnen zu, daß die internationalen Hilfsorganisa-
tionen Wert darauf legen müssen – aus den Gründen, die
Sie beschrieben haben –, Grenzen zu ziehen. Aber ich
möchte Wert darauf legen, festzustellen, daß die not-
wendige Hilfe für die Menschen angesichts der Umstän-
de, die jetzt in diesen Ländern herrschen, ohne eine mi-
litärische Organisation überhaupt nicht mehr geleistet
werden kann. Wenn die NATO nicht in der Lage wäre –
hier stimmen Sie sicherlich mit mir überein –, im Rah-
men des Projekts „Allied Harbour“ zusammen mit
NATO-Staaten und Nicht-NATO-Staaten Hilfe zu orga-
nisieren – hier ist die Teilnahme der Bundeswehr ein
wichtiger Baustein –, dann wäre niemand in Europa in
der Lage, den Menschen dort zu helfen.
In diesem Zusammenhang fällt natürlich ein Wider-
spruch auf, auf dessen Darstellung ich nicht verzichten
kann. Minister Scharping hat in seiner Rede vorhin dar-
auf hingewiesen, daß die Hilfe dringlich sei. Ich stimme
ihm zu. Aber wenn ich mir anschaue, seit wann über
diese Hilfe und den deutschen Beitrag diskutiert wird,
dann muß ich feststellen, daß von Dringlichkeit gar
keine Rede sein kann. Ich habe nachgeschaut, wann Mi-
nister Scharping über den deutschen Beitrag zum er-
stenmal öffentlich gesprochen hat. Ich habe eine Mel-
dung der Nachrichtenagentur „AFP“ gefunden, die von
Anfang April datiert ist. Am 20. April dieses Jahres
sprach der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Struck,
davon, daß noch in der Woche um den 20. April herum
ein Beschluß des Deutschen Bundestages – er rechnete
mit einer großen Mehrheit – erfolgen werde.
Heute schreiben wir den 7. Mai 1999. Es sind also
rund sechs Wochen vergangen, nachdem zum erstenmal
über die Gewährleistung der Hilfe gesprochen worden
ist. Was ist eigentlich aus der Dringlichkeit geworden?
Es ist nicht verborgen geblieben – das läßt sich auch gar
nicht verbergen –, daß es nicht etwa an organisatori-
schen Fragestellungen oder an Abstimmungsproblemen
mit der NATO gelegen hat, daß die dringliche Hilfe
nicht früher geleistet werden konnte. Nein, Sie haben
sich durch parteitaktische und koalitionstaktische Über-
legungen daran hindern lassen, früher einen Beschluß im
Deutschen Bundestag herbeizuführen. Man kann Ihnen
also den Vorwurf nicht ersparen, daß Ihnen Ihre Partei-
und Koalitionstaktik offenbar wichtiger war als die Hilfe
für die notleidenden Menschen in der betroffenen Regi-
on. Diesen Vorwurf kann man Ihnen wirklich nicht er-
sparen.
– Ich bin sehr gern dazu bereit, das genauestens zu ana-
lysieren.
– Ich habe es doch schon getan, verehrter Herr Kollege.
– Ich bin auch davon überzeugt, daß der dafür Verant-
wortliche mit Sicherheit nicht Verteidigungsminister
Scharping ist. Das wissen auch Sie ganz genau. Es sind
ganz andere, die dabei eine Rolle spielen. Sie können
von der Opposition, deren Aufgabe die Kontrolle der
Regierung ist, nicht verlangen, darauf zu verzichten,
diesen Sachverhalt darzustellen.
– Es ist offensichtlich, daß Sie eine gewisse Nervosität
an den Tag legen, wenn man über Dinge redet, die der
Wahrheit entsprechen.
Dieses zögerliche Vorgehen hatte aber auch noch den
zweiten Effekt, daß Unsicherheiten in der politischen De-
batte über die Vorlage entstanden sind. In die Vorlage
sind, zum Teil öffentlich, Dinge hineininterpretiert wor-
den, für die die Formulierungen in der Vorlage keinerlei
Grundlage bieten. In deutschen Zeitungen war zu lesen,
daß die Beteiligung Deutschlands an diesem Projekt der
NATO zur humanitären Hilfe, „Allied Harbour“, so etwas
wie ein fließender Übergang in einen Bodenkrieg sei.
Kollege Breuer, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brecht?
Ja, nach diesem Satz sehr
gern.
Wir haben den Antrag intensiv geprüft. Der Vorwurf,
dieser humanitäre Einsatz biete einen fließenden Über-
gang in einen Bodenkrieg, ist völlig unsinnig. Aber die
zögerliche Vorlage hat vor dem Hintergrund, den ich
eben dargestellt habe, einen Beitrag dazu geleistet, so
etwas in sie hineinzuinterpretieren. Diesen Vorwurf
kann man Ihnen nicht ersparen.
Kollege Brecht.
Herr Kollege Breuer,ich möchte auf Ihre ungeheuerliche Behauptung zurück-Volker Kröning
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3407
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(D)
kommen, es sei zu einer Verzögerung der Entscheidungaus einem parteipolitischen Kalkül gekommen. Unter-stellen Sie mit vollem Ernst einem führenden Sozialde-mokraten oder einem führenden Grünen, eine notwendi-ge Hilfeleistung – es geht um verfolgte Menschen, dieversorgt werden müssen – zu unterlassen, nur um innen-politisch einen Vorteil zu erreichen?
Geschätzter Herr Kollege,
wie erklären Sie es sich denn, daß über diesen Einsatz
seitens des verantwortlichen Ministers seit Anfang April
– ich lege Ihnen alle Meldungen der Nachrichtenagentu-
ren vor – gesprochen wird und daß am 20. April Ihr
Fraktionsvorsitzender, Herr Struck, in einem Pressege-
spräch unaufgefordert erklärt hat, es stünden ein Kabi-
nettsbeschluß – für den darauffolgenden Tag – und ein
Bundestagsbeschluß bevor, um diesen Einsatz herbeizu-
führen? Seitdem ist nichts mehr geschehen, bis die Re-
gierung in dieser Woche diesen Antrag überfallartig ein-
gebracht hat. Die Gründe dafür können doch nicht in der
Sache liegen, werter Herr Kollege.
Im Hintergrund stehen koalitionstaktische Erwägun-
gen, die wichtiger als die Orientierung an der Dringlich-
keit der Angelegenheit waren.
Das heißt, daß diejenigen, die diese Politik betreiben, die
Vertreter dieser Koalition – ich denke, daß Verteidi-
gungsminister Scharping nicht der Hauptverantwortliche
für die Verzögerung ist –, den Rücken nicht mehr so frei
haben, wie es notwendig ist. Man muß dazu in der Lage
sein, sich jeweils an der Sache zu orientieren. Es ist be-
dauerlich, daß es bei Ihnen so weit gekommen ist, daß
dies nicht mehr möglich ist.
Nehmen Sie zur Kenntnis – da sollten Sie dankbar
sein –, daß sich die Opposition – ich spreche hier für die
größte Oppositionsfraktion, für die CDU/CSU – nicht an
parteitaktischen Erwägungen orientiert,
sondern dazu bereit ist, Verantwortung zu übernehmen –
das gilt ja auch für die F.D.P., wie wir es vorhin gehört
haben –, obwohl in der deutschen Öffentlichkeit nicht zu
Unrecht eine große Sensibilität gegenüber diesen Frage-
stellungen vorhanden ist.
Seien Sie gewiß, daß es der deutschen Öffentlichkeit gar
nicht verborgen bleiben kann, daß das, was im Zusam-
menhang mit dieser Entscheidung bei Ihnen geschieht,
nicht sachlich orientiert ist.
Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt,
daß der von dem an sich in Heidelberg stationierten Stab
organisierte Einsatz der NATO im Rahmen der huma-
nitären Hilfsaktion „Allied Harbour“ in Albanien dazu
geeignet ist, den Menschen, den Vertriebenen und
Flüchtlingen, bei der Abwendung und Vermeidung von
Elend zu helfen. Ich bin davon überzeugt, daß die recht-
lichen Kriterien, die in den Antrag der Bundesregierung
eingebaut sind, dazu geeignet sind und auch die Sicher-
heit bieten, daß eine unkontrollierte Eskalation vermie-
den wird.
Gleichwohl ist dieser Einsatz, auch der der deutschen
Soldaten, nicht völlig ungefährlich. Deswegen sind wir
dankbar dafür, daß sich deutsche Soldaten an diesem
Einsatz beteiligen. Wir sagen Ihnen aber gleichzeitig:
Gehen Sie sorgfältig bei diesem Einsatz vor! Auch wir
sind sorgfältig. Das haben wir in dieser Beratung ge-
zeigt.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat nun
der Kollege Reinhold Robbe, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Vorweg ein Wort zumKollegen Breuer. Lieber Kollege Breuer, einerseits ha-ben Sie unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Ein-satz und für ihre Bereitschaft, all das, was sich imAugenblick auf dem Balkan abspielt, mitzutragen, ge-dankt. Ich habe aber wenig Verständnis dafür – erlaubenSie mir, das ganz offen zu sagen –, wenn diese Debatteandererseits, während jetzt gerade die Angehörigen die-ser Soldaten, ihre Frauen und die sonstigen Angehöri-gen, an den Fernsehgeräten diese Debatte verfolgen, vonunverständlicher Polemik begleitet wird.
Ich habe dafür, ehrlich gesagt, kein Verständnis. Wirmüssen sehr viel Sensibilität bei diesem Thema undauch bei der Beratung des heutigen Antrags an den Taglegen.Als ich vor nunmehr etwa fünf Jahren als noch relativjunger Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ge-wählt wurde, habe ich es nicht einmal andeutungsweisefür möglich gehalten, daß ich mich bereits ein Jahr spä-ter mit Fragen auseinanderzusetzen hatte, bei denen esnicht um die übliche parlamentarische Beratung irgend-eines Themas ging, sondern schlichtweg um die schwie-rigste Entscheidung in meinem bisherigen politischenLeben. 1995 ging es in diesem Hohen Hause um den er-sten Einsatz der Bundeswehr in Ex-Jugoslawien. Ichwerde diese bewegende und in jeder Hinsicht aufregen-de Zeit niemals vergessen.Wir wurden vor die Frage gestellt, ob es zu verant-worten sei, dem schrecklichen Treiben eines furchtbarenund skrupellosen Diktators Namens Milosevic weiterhintatenlos zuzuschauen oder ob wir uns nicht vielmehrgemeinsam mit unseren Verbündeten daran beteiligensollten, dem Massenmorden, der tausendfachen Vertrei-bung und der elementaren Verletzung von Menschen-Dr. Eberhard Brecht
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3408 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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rechten ein Ende zu bereiten. Ich habe noch heute pla-stisch vor Augen, wie innerlich zerrissen meine damalseigene Fraktion, ja eigentlich das gesamte Parlamentwar. Auch wenn wir uns im klaren darüber waren, daßdie Bundeswehr bei früheren Einsätzen, beispielsweisein Kambodscha oder in Somalia, gewisse Erfahrungenmit Auslandseinsätzen vorzuweisen hatte, so standen wirdamals in der Bosnien-Frage doch zum erstenmal voreinem elementaren Problem, unsere Soldaten in ein vomBürgerkrieg verwüstetes Land zu schicken, was mitvielen Risiken für die Gesundheit und sogar mit Risikenfür Leib und Leben der Soldaten verbunden war.Heute können wir ermessen und bewerten, wie richtiges 1995 war, die rechtlichen Voraussetzungen für denBosnien-Einsatz zu schaffen. Wer einmal die Gelegen-heit ergreifen konnte – wie viele das gemacht haben –,in Rajlovac, Trogir oder Mostar vor Ort anzuschauen,was unsere Armee an segensreicher Arbeit bei der Frie-denssicherung im Land und vor allen Dingen beim Wie-deraufbau im Rahmen der humanitären Hilfe leistet, derwird mir beipflichten, wenn ich feststelle: Diese Armee,diese deutsche Bundeswehr, erfüllt ihren militärischenAuftrag in vorbildlicher Weise.
Gerade die Menschen in Bosnien schätzen unsereSoldaten als Friedensbotschafter, die nicht nur für dieSicherheit der Menschen sorgen, sondern in einem ganzerheblichen Maße beim Bau von Brücken, Schulen,Krankenhäusern und Straßen helfen. Unabhängig davonhaben die Sanitäter in vielen Notfällen ohne besonderenAuftrag Menschenleben gerettet.Weshalb, so werden Sie jetzt vielleicht fragen, ist die-se Rückblende auf die Entwicklung in Bosnien von Be-deutung? Schließlich geht es in unserer heutigen Debatteum die deutsche Beteiligung an der humanitären Hilfeim Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt. Nun, derRückblick ist aus meiner Sicht deshalb wichtig, weil diefurchtbaren Geschehnisse im Kosovo die traurige Fort-setzung dessen sind, was seinerzeit in Sarajevo begon-nen hat. Da mag es dann für den einen oder anderenHistoriker oder Publizisten interessant und wichtig sein,die Versäumnisse des Dayton-Abkommens immer undimmer wieder zu thematisieren und in diesem Zusam-menhang auch nach Verantwortlichkeiten bei uns undanderswo zu suchen. In der ganz konkreten aktuellenSituation und vor dem Hintergrund der Tatsache, daßZehntausenden von Flüchtlingen und unschuldigenZivilisten möglichst sofort und wirksam geholfen wer-den muß, spielt diese Diskussion über mögliche Ver-säumnisse oder theoretische Planspielchen eine nachmeiner Auffassung untergeordnete Rolle.
Was dieses Parlament letztlich in seiner ganz über-wiegenden Mehrheit bewogen hat, für die Beendigungvon Völkermord und ethnischer Säuberung zu stimmen,ist unsere humanitäre Verpflichtung gegenüber denen,die sich selber nicht helfen und schützen können. Diesehumanitäre Verpflichtung, die sich in erster Linie ausden Menschenrechten ableitet, bildet auch die Grundlagefür den heutigen Antrag der Bundesregierung im Hin-blick auf die deutsche Beteiligung an der humanitärenHilfe.Die deutsche Bevölkerung begleitet das Geschehen inder Balkan-Region mit unbeschreiblich großer innererAnteilnahme. Nicht zuletzt deshalb konnte bis zum heu-tigen Tage so viel an Geld- und auch an Sachspendenfür die verfolgten und bedrohten Menschen im Kosovogesammelt werden. Hilfsbereitschaft und das Mitleidenunserer Bevölkerung gehen weit über das hinaus, was inanderen Ländern in diesem Zusammenhang beobachtetwerden kann. Deshalb sei an dieser Stelle der deutschenBevölkerung ebenso wie den vielen staatlichen undnichtstaatlichen Hilfsorganisationen – hier wiederumganz besonders den Kirchen – ganz herzlich gedankt.
All diese Organisationen sorgen gemeinsam mit unsererBundeswehr dafür, daß diese Hilfe den von der Verfol-gung und Mißhandlung gezeichneten Flüchtlingenschnell und unbürokratisch auf direktem Wege zu-kommt.Eines muß jedoch ganz unmißverständlich und klaran dieser Stelle festgestellt werden: Ohne die Bundes-wehr und ohne unsere NATO-Verbündeten könnte kei-nem einzigen Flüchtling geholfen werden. Im Bewußt-sein unserer Verantwortung und Fürsorgepflicht gegen-über den Soldaten dürfen wir zu keiner Zeit vergessen,wie hoch das Gefährdungspotential im Kosovo selber,aber auch in den Anrainerstaaten ist. Wer in dieser Re-gion Hilfe leisten will, muß gleichzeitig den umfassen-den Schutz der Helfer sicherstellen. Nicht zuletzt des-halb enthält der vorliegende Antrag neben der Aufzäh-lung der geplanten humanitären Hilfsleistungen aucheinen Abschnitt über die Gefahrenabwehr und über dasRecht der Soldaten auf Nothilfe.Ich meine, daß es legitim sein muß, wenn man geradeüber den Passus der Nothilfe sehr ausführlich diskutiertund sich umfassend Gedanken macht. Deshalb spielt esnach meiner Auffassung überhaupt keine Rolle, ob einsolcher Antrag einen Tag früher oder später vorgelegtwird. Das ist völlig nebensächlich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, alle deut-schen Soldaten, die auf der Grundlage des vorliegendenAntrages im Kosovo ihre Pflicht tun werden, dürfensicher sein, daß nicht nur eine knappe Mehrheit, sondernder Deutsche Bundestag fast geschlossen den Antragund damit den Einsatz befürwortet. Das ist der besteVertrauens- und Solidaritätsbeweis für die Bundeswehr,für die Soldaten.Herzlichen Dank.
Reinhold Robbe
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3409
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Ich schließe die Aus-sprache.Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich mittei-len, daß mir eine Reihe von Erklärungen zur Abstimmungnach § 31 der Geschäftsordnung vorliegen:*) eine Erklärungvon Konrad Gilges und weiteren 61 Abgeordneten von SPDund Bündnis 90/Die Grünen, eine Erklärung von AnnelieBuntenbach und weiteren sechs Abgeordneten der FraktionBündnis 90/Die Grünen, eine Erklärung von Klaus Barthelund weiteren zwei Abgeordneten der SPD, eine Erklärungvon Harald Friese und weiteren drei Abgeordneten der SPD,einzelne Erklärungen der Kollegen Günter Nooke, KarlLamers und Claudia Roth.Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-schlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum An-trag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an derhumanitären Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt, Drucksache 14/982. Der Auswärtige Ausschußempfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/912 anzunehmen.Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vor-gesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? –Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. –Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlichnicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bittedie Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmungwird Ihnen später bekanntgegeben.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache14/997. Die Fraktion der PDS verlangt namentliche Ab-stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alleUrnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die zweitenamentliche Abstimmung. –––––––––––*) Anlagen 2 bis 5Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlichnicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bittedie Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmungwird Ihnen später bekanntgegeben.*)Es folgt nun die Abstimmung über die Be-schlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zumEntschließungsantrag der PDS zu der Abgabe einerRegierungserklärung des Bundeskanzlers zur aktuel-len Lage im Kosovo; Drucksache 14/865. Der Aus-schuß empfiehlt, den Entschließungsantrag aufDrucksache 14/755 abzulehnen. Wer stimmt für dieseBeschlußempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Damit ist diese Beschlußempfehlung mitden Stimmen der SPD, der CDU/CSU, von Bünd-nis 90/Die Grünen und der F.D.P. gegen die Stimmender PDS angenommen.Ich unterbreche jetzt die Sitzung bis zur Bekanntgabeder Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen unsereBeratungen fort.Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Er-gebnis der namentlichen Abstimmung über die Be-schlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu demAntrag der Bundesregierung zur deutschen Beteili-gung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mitdem Kosovo-Konflikt auf den Drucksachen 14/912 und14/982 bekannt.Abgegebene Stimmen 616. Mit Ja haben gestimmt566, mit Nein haben gestimmt 43, Enthaltungen 7. DieBeschlußempfehlung ist damit angenommen.––––––––––*) Seite 3412 CEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 614;davon:ja: 565nein: 42enthalten: 7JaCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserDr. Norbert BlümFriedrich BohlSylvia BonitzWolfgang BosbachKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward BuwittCajus CaesarPeter H. Carstensen
Leo DautzenbergAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke EymerIlse FalkDr. Hans Georg FaustUlf FinkIngrid FischbachDirk Fischer
Herbert FrankenhauserDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisDr. Heiner GeißlerGeorg GirischMichael GlosDr. Reinhard GöhnerDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundCarl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Ursula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerKlaus Holetschek
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3410 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
(C)
Josef HollerithDr. Karl-Heinz HornhuesSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppePeter JacobyGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlBartholomäus KalbSteffen KampeterDr. Dietmar KansyManfred KantherIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertManfred KolbeNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Martina KrogmannDr. Paul KrügerDr. Hermann KuesKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertDr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErich Maaß
Erwin MarschewskiDr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Günter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDieter PützhofenThomas RachelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Katherina ReicheErika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt RossmanithAdolf Roth
Norbert RöttgenDr. Christian RuckDr. Jürgen RüttgersAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenGerhard ScheuDietmar SchleeBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Birgit Schnieber-JastramDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtWolfgang SchulhoffClemens SchwalbeDr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm - Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertRudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerErika SteinbachDr. Wolfgang Freiherr vonStettenAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas StroblMichael StübgenDr. Rita SüssmuthDr. Susanne TiemannEdeltrautTöpferDr. Hans-Peter UhlGunnar UldallArnold VaatzAndrea VoßhoffDr. Theodor WaigelPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschWerner WittlichDagmar WöhrlAribert WolfElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerSPDBrigitte AdlerGerd AndresRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Ingrid Becker-InglauDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinKarl DillerPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Anke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelAlfred HartenbachKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Präsident Wolfgang Thierse
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3411
(C)
(D)
Detlev von LarcherWaltraud LehnRobert LeidingerKlaus LennartzDr. Elke LeonhardEckhart LeweringErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieIngrid Matthäus-MaierHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggSiegmar MosdorfJutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Gerhard RübenkönigMarlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ilse SchumannEwald SchurerDr. R. Werner SchusterDietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-DürenErnst SchwanholdRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerHans-Joachim WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekHelmut Wieczorek
Jürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Klaus WiesehügelBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMarieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtDr. Angelika Köster-LoßackDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKlaus Wolfgang Müller
Kerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstClaudia Roth
Christine ScheelRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SterzingJürgen TrittinDr. Antje VollmerLudger VolmerHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
F.D.P.Hildebrecht Braun
Ernst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachGisela FrickHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Heinrich Leonhard KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerJürgen W. MöllemannDirk NiebelGünther Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Detlef ParrCornelia PieperDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeDr. Guido WesterwelleNeinCDU/CSUDr. Wolf BauerWolfgang Börnsen
SPDHarald FrieseRenate GradistanacUwe HikschChristine LehderBÜNDNIS 90 / DIE GRÜ-NENAnnelie BuntenbachMonika KnocheSteffi LemkeIrmingard Schewe-GerigkChristian SimmertHans-Christian StröbeleSylvia VoßPDSMonika BaltPetra BlässEva Bulling-SchröterRoland ClausHeidemarie EhlertDr. Ruth FuchsFred GebhardtPräsident Wolfgang Thierse
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3412 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
(C)
Dr. Gregor GysiDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeSabine JüngerGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthAngela MarquardtManfred Müller
Kersten NaumannRosel NeuhäuserChristine OstrowskiDr. Uwe-Jens RösselChristina SchenkGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertDr. Winfried WolfEnthaltenCDU/CSUDr. Maria BöhmerKlaus-Jürgen HedrichSPDKlaus Barthel
Christel DeichmannGötz-Peter Lohmann
Christa LörcherWaltraud Wolff
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungendes Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPUAbgeordnete(r)Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSUIch komme jetzt zu dem Ergebnis der namentlichenAbstimmung über den Entschließungsantrag der PDSzur deutschen Beteiligung an der humanitären Hilfe imZusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt auf Drucksa-che 14/997.Abgegebene Stimmen 605. Mit Ja haben gestimmt29, mit Nein haben gestimmt 568, Enthaltungen 8. DerEntschließungsantrag ist damit abgelehnt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 603;ja: 28nein: 566enthalten: 9JaBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSylvia VoßPDSMonika BaltPetra BlässEva Bulling-SchröterRoland ClausHeidemarie EhlertDr. Ruth FuchsFred GebhardtDr. Gregor GysiDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeSabine JüngerGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthAngela MarquardtManfred Müller
Kersten NaumannRosel NeuhäuserPetra PauDr. Uwe-Jens RösselGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertNeinCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserDr. Norbert BlümFriedrich BohlDr. Maria BöhmerSylvia BonitzWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward BuwittCajus CaesarPeter H. Carstensen
Leo DautzenbergAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke EymerIlse FalkDr. Hans Georg FaustUlf FinkIngrid FischbachDirk Fischer
Herbert FrankenhauserDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisGeorg GirischMichael GlosDr. Reinhard GöhnerDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundCarl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithDr. Karl-Heinz HornhuesSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppePeter JacobyGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlBartholomäus KalbSteffen KampeterIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertManfred KolbeNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Martina KrogmannDr. Paul KrügerDr. Hermann KuesDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Dr. Klaus Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Präsident Wolfgang Thierse
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3413
(C)
(D)
Julius LouvenDr. Michael LutherErich Maaß
Erwin MarschewskiDr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Günter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDieter PützhofenThomas RachelDr. Peter RamsauerHelmut RauberChrista Reichard
Katherina ReicheErika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt RossmanithAdolf Roth
Norbert RöttgenDr. Christian RuckDr. Jürgen RüttgersAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenGerhard ScheuDietmar SchleeBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Hans Peter Schmitz
Birgit Schnieber-JastramDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtWolfgang SchulhoffClemens SchwalbeWilhelm - Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertRudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerErika SteinbachDr. Wolfgang Freiherr vonStettenAndreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas StroblDr. Rita SüssmuthDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlGunnar UldallArnold VaatzAndrea VoßhoffDr. Theodor WaigelPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschWilly Wimmer
Werner WittlichDagmar WöhrlAribert WolfElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerSPDBrigitte AdlerGerd AndresRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Ingrid Becker-InglauDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günther BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelAlfred HartenbachKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseFritz Rudolf KörperKarin KortmannNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherWaltraud LehnRobert LeidingerKlaus LennartzDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieIngrid Matthäus-MaierHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggSiegmar MosdorfJutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisPräsident Wolfgang Thierse
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3414 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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Albrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannBirgit Roth
Gerhard RübenkönigMarlene RupprechtDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ilse SchumannEwald SchurerDr. R. Werner SchusterDietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-DürenErnst SchwanholdRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerHans-Joachim WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekHelmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Klaus WiesehügelBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMarieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltOswald MetzgerKlaus Wolfgang Müller
Kerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingJürgen TrittinDr. Antje VollmerLudger VolmerHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
F.D.P.Hildebrecht Braun
Ernst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachGisela FrickHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Heinrich Leonhard KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerJürgen W. MöllemannDirk NiebelGünter Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Detlef ParrCornelia PieperDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeDr. Guido WesterwelleEnthaltenSPDKlaus Barthel
Uwe HikschChristine LehderBÜNDNIS 90 /DIE GRÜNENAnnelie BuntenbachMonika KnocheDr. Reinhard LoskeHans-Christian StröbelePDSChristina SchenkDr. Winfried WolfEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungendes Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPUAbgeordnete(r)Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSUPräsident Wolfgang Thierse
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3415
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Ich rufe nun die Zusatzpunkte 5a bis b der Tagesord-nung auf: ZP 5 a) – Zweite und dritte Beratung des von den Ab-geordneten Dr. Peter Struck, Otto Schily,Wilhelm Schmidt und weiterenAbgeordneten der Fraktion der SPD, denAbgeordneten Kerstin Müller , RezzoSchlauch, Kristin Heyne und weiterenAbgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie den Abgeordneten Dr.Wolfgang Gerhardt, Dr. Guido Westerwelle,Jörg van Essen und weiteren Abgeordnetender Fraktion der F.D.P. eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Reform desStaatsangehörigkeitsrechts– Drucksache 14/533 –
– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-geordneten Dr. Jürgen Rüttgers, Erwin Mar-schewski, Günter Baumann, weiteren Abge-ordneten und der Fraktion der CDU/CSUeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurNeuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts
– Drucksache 14/535 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Innen-ausschusses
– Drucksache 14/867 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Michael BürschMeinrad BelleMarieluise Beck
Dr. Guido WesterwelleUlla Jelpkeb) Beratung der Beschlußempfehlung und desBerichts des Innenausschusses
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. JürgenRüttgers, Erwin Marschewski, Günter Bau-mann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSUIntegration und Toleranz– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. JürgenRüttgers, Erwin Marschewski, Günter Bau-mann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSUModernes Ausländerrecht– Drucksachen 14/534, 14/532, 14/867 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Michael BürschMeinrad BelleMarieluise Beck
Dr. Guido WesterwelleUlla JelpkeZum Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörig-keitsrechts liegen neun Änderungsanträge und ein Ent-schließungsantrag der Fraktion der PDS vor. Über denGesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeits-rechts werden wir nach der Aussprache namentlich ab-stimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demBundesminister des Innern, Otto Schily.
Herr Präsi-dent! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich vermute,daß ein Teil der Redner der Opposition heute wieder denVorwurf erheben wird, wir hätten ein Gesetzgebungs-verfahren durchgeführt, das sich zu schnell abgewickelthätte.
Wir debattieren über dieses Thema nun wahrlich seit ge-raumer Zeit.
Die frühere Regierungskoalition hat 16 Jahre darüberdebattiert, allerdings ohne Ergebnis.
Das Thema ist bis ins kleinste Detail ausdiskutiert wor-den. Mittlerweile dauert diese Debatte so lange, daßeinige in der Opposition ihre früheren Argumente bereitsvergessen haben.
Das sollte man vielleicht besonders berücksichtigen.Gewiß war das kein einfacher Gesetzgebungsprozeß.Das kann bei einem so schwierigen Thema auch garnicht anders sein. Das Ergebnis, das wir heute vermut-lich auf breiter Grundlage beschließen werden, ist einKompromiß. Ein Kompromiß – das ist das Kennzei-chen eines Kompromisses – läßt natürlich auf der einenoder anderen Seite Wünsche offen. Ich sage in allemFreimut, daß ich den Gesetzentwurf, den ich im Januarvorgelegt habe, für den konsequenteren Entwurf halte.
Deshalb meine ich aber nicht, daß wir die Reform, diewir heute mit einer breiten Mehrheit beschließen wer-den, kleinreden sollten.
Das ist ein ganz wichtiger Reformschritt, den wir heutevollziehen, der durchaus historische Dimensionen hat.Präsident Wolfgang Thierse
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3416 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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Als Beleg dafür kann ich eine sachverständige Per-sönlichkeit zitieren, die Ihrer Partei, der CDU, angehört
und die den ersten Entwurf aus ihrer Sicht kritisiert hat,aber den Kompromiß, den wir heute vorlegen, mit fol-genden Worten kommentiert:Das ist keine kleine Reform, sondern eine große Re-form. Wir haben das Staatsangehörigkeitsrecht um dasTerritorialelement ergänzt, das es vorher nicht gab.Das ist ein großer Modernisierungsschritt. Er ist rich-tig, weil er eine elegante, unbürokratische und inte-grative Form der Zugehörigkeit bietet.Das sagt die Berliner Ausländerbeauftragte, Frau John,die Ihrer Partei angehört. Das ist doch ein Dokument,das sich sehen lassen kann.
Nun haben wir gestern in der Debatte um den Etat desBundesinnenministeriums bei einem anderen Thema, beider Sportförderung, die Erfahrung gemacht, daß es einWettrennen um die Urheberschaft von positiven Er-gebnissen gibt. Das ist verständlich. Die einen sagen, eswar der sozialdemokratische Innenminister Zuber, dieanderen sagen, es war der freidemokratische Justizmi-nister Caesar, und wieder andere sagen, es war derF.D.P.-Abgeordnete Westerwelle, der das Optionsmo-dell in die Debatte gebracht hat.
Ich lasse das offen. Dieser Eifer, sich als Urheber derReform auszugeben, ist mir bei der Reform des Staats-angehörigkeitsrechts sehr willkommen. Denn damit wirdbesonders prägnant, daß diese Reform viele und guteGründe hat.Ich hoffe aber, daß sich auch einige Miturheberinnenund Miturheber zu Wort melden, die ihre kreativen Be-mühungen in der Vergangenheit nicht aus übertriebenerBescheidenheit verschweigen sollten.Dazu gehört beispielsweise unser CDU/CSU-KollegeAltmaier.
Der Kollege Altmaier hat im Oktober 1995 Grundsätzezu einem neuen Staatsangehörigkeitsrecht veröffentlicht,in denen das Optionsmodell benannt wird. Dort heißt essehr zutreffend:Ohne die soziale und rechtliche Integration der aufDauer in Deutschland lebenden Ausländer drohteine nachhaltige Gefährdung des gesellschaftlichenFriedens. Wir sehen CDU und CSU in einer beson-deren Verantwortung, diese Herausforderung anzu-nehmen. Dabei kommt der Reform des Staatsange-hörigkeitsrechts eine wichtige Bedeutung zu.
So Herr Altmaier im Oktober 1995. – Wie wahr, wiewahr!Dies hat er – wie übrigens auch in dem gerade ange-sprochenen Dokument – in einem Interview in der„Frankfurter Rundschau“ vom 11. Dezember 1995 nocheinmal präzisiert. Da sagte er:Ich verspreche mir immer noch am meisten vondem sogenannten Optionsmodell, das ich gemein-sam mit den Kollegen Eckart von Klaeden undNorbert Röttgen vorgelegt habe. Danach erwirbtdas Kind, sofern die Eltern nicht widersprechen,mit der Geburt zusätzlich zur Staatsbürgerschaft derEltern auch die deutsche Staatsangehörigkeit.Er beschreibt dort also, daß das Optionsmodell seineZielsetzung ist. Jetzt fände ich es angemessen, daß diebetreffenden Kolleginnen und Kollegen auch dazu ste-hen.
Auch Frau Süssmuth hatte im Juli 1998 folgendes zusagen: Gerade für Kinder und Jugendliche könnte diedoppelte Staatsangehörigkeit eine unterstützende Hilfezur Integration sein. Frau Süssmuth wörtlich:Wir brauchen ein Staatsangehörigkeitsrecht, beidem das Abstammungsprinzip und das Territori-alprinzip in eine ausgewogene Balance gestelltwerden.
Ich finde, Frau Süssmuth ist eine namhafte Persönlich-keit, die sich als Bundestagspräsidentin große Meritenerworben hat. Anläßlich der Eröffnung des Reichstagesist sie sehr gelobt worden. Ich denke, ihre Position sollteheute zur Geltung kommen.Um die bestehenden Urheberrechte klar zur Geltungzu bringen, möchte ich sehr ausführlich und in vollemBewußtsein den Reformaufruf zitieren, den einige dergenannten Kollegen veröffentlicht haben. Da hieß es:Die soziale und rechtliche Integration der inDeutschland lebenden ausländischen Mitbürger isteine moralische Verpflichtung gegenüber den Be-troffenen und unverzichtbar für die dauerhafte Be-wahrung des gesellschaftlichen Friedens.
– Ich wiederhole: unverzichtbar.Der Schaffung eines zeitgemäßen Staatsangehörig-keitsrechtes kommt dabei eine zentrale Bedeutungzu. Als Volkspartei, die dem christlichen Men-schenbild und den Grundwerten von Freiheit, Soli-darität und Gerechtigkeit verpflichtet ist, steht dieCDU in einer besonderen Verantwortung.
Bundesminister Otto Schily
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3417
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Nur wenn die CDU die notwendigen Reformen vonsich aus entschlossen anpackt und gestaltet, werdensie von einer breiten Mehrheit in der Bevölkerunggetragen werden. Das ist eine entscheidende Vor-aussetzung für das Gelingen der Integration.Das wäre eine schöne Kampagne gewesen. So eineKampagne hätten Sie starten sollen.
Die Unterzeichner dieses Aufrufes setzen sich alsMitglieder der CDU dafür ein, das Staatsangehö-rigkeitsrecht noch in dieser Legislaturperiode wiefolgt neu zu regeln: Die in Deutschland geborenenKinder ausländischer Eltern erhalten mit der Geburtdie deutsche Staatsangehörigkeit. Voraussetzungist, daß ein Elternteil dauerhaft und rechtmäßig inDeutschland lebt, da zu erwarten ist, daß die Kinderin unserem Land aufwachsen und bleiben werden.Nach Erreichen der Volljährigkeit müssen sie sichfür eine der beiden Staatsangehörigkeiten entschei-den.Wo sind Sie nun?
Unterzeichnet haben der Kollege Altmaier und die Kol-legin Dr. Böhmer. Da finde ich die Unterschrift vonHerrn Eppelmann, von Herrn Escher, dem Bundesvor-sitzenden der JU. Ich finde die Unterschrift von HerrnDr. Friedmann.
– Herr Repnik, daß Ihnen das nicht gefällt, kann ich ver-stehen. An Ihrer Stelle würde mir das auch nicht gefal-len. Es ist aber so. Das muß man sich manchmal sagenlassen. – Außerdem sehe ich die Unterschrift von HerrnDr. Geißler, des Kollegen Grotz, des Kollegen Lammert,von Herrn Dr. Kues, von Herrn Kossendey – HerrnKossendey erwähne ich deshalb, weil er ein Mann ist,der sich gut mit den türkischen Mitbürgerinnen undMitbürgern auskennt –, von Herrn Krautscheid, vonHerrn Pflüger, von Herrn Rommel, von dem von mirsehr geschätzten Kollegen Schwarz-Schilling und vonFrau Süssmuth; sie habe ich schon erwähnt. Außerdemfindet man eine Reihe von Unterschriften von Landtags-abgeordneten. Also, meine Damen und Herren: StehenSie zu dem Wort, das Sie damals gesagt haben. Oderstellen Sie sich hier vorne hin und sagen: Das war allesfalsch; wir haben uns geirrt. Heute meinen wir alles an-ders.
Aber sich zu verstecken ist kein Beweis von Wildheit.
Das Thema Integration, das hier zu verhandeln ist, istwahrlich ernst. Sie haben damals formuliert: Es geht umden gesellschaftlichen Frieden. Es geht um einen großenTeil der Wohnbevölkerung, der auf Dauer bei uns lebtund leben wird. Das können Sie nicht rückgängig ma-chen und wollen es hoffentlich auch nicht. Wenn Sie esrückgängig machen wollten, müssen Sie das hier vornesagen. Da Sie es aber nicht rückgängig machen können,müssen wir das tun, was uns auch das Bundesverfas-sungsgericht als Gebot auferlegt hat: Wir müssen dafürsorgen, daß Staatsvolk und Wohnbevölkerung zusam-menkommen. Das ist für die Festigkeit unserer Gesell-schaft notwendig.
Ich habe keine Illusion darüber, daß wir damit in einevöllig konfliktfreie Gesellschaft kommen. Was uns aberauf diese Weise gelingen wird, ist ein gewaltfreier,rechtsstaatlicher Interessenausgleich, weil wir denMenschen gleiche Rechte geben und weil alle, ein-schließlich der Zuwanderer, in die Rechtsgemeinschafteinbezogen werden. Das müssen wir erreichen.Das müssen wir uns als Zukunftsprognose vor Augenführen. Sie müssen versuchen, Ihr Vorstellungsvermö-gen so weit zu entwickeln, daß Sie beide Entwicklungenvergleichen, die in Gang gesetzt werden, wenn wir aufdie Reform des Staatsangehörigkeitsrechts verzichtenoder wenn wir sie vollziehen. Ich glaube, wenn wir esbei dem Status quo belassen, dann werden wir eine zu-nehmende Entfremdung der Zuwanderer haben, dannwerden wir eine Abkehr der Jugendlichen, die in solchenFamilien aufwachsen, von der Gesellschaft haben, wirwerden eine zunehmende Gettoisierung haben, wir wer-den zunehmende Parallelgesellschaften haben – wirbrauchen also diese Brücke in eine neue Entwicklung,die es uns ermöglicht, diese Menschen in die Gesell-schaft hineinzunehmen und sie nicht davor stehen zulassen.
Es ist sehr interessant, sich daran zu erinnern, was derfranzösische Religionswissenschaftler Ernest Renan ineiner Vorlesung in der Sorbonne-Universität im März1982 zu der Frage gesagt hat, was eigentlich eine Na-tion sei. Er hat sich dieser Frage in einer sehr metho-disch präzisen Art angenommen. Er hat zuerst unter-sucht, ob die Nation auf einer Ethnie beruht. Er kommtzu der Feststellung, daß das nicht richtig sein kann. DieFranzosen haben eine keltisch-iberisch-germanischeEthnie in sich aufgenommen. Deutschland ist keltisch-slawisch-germanisch. „Italien“, sagt er, ist „ethnischüberhaupt unentwirrbar“ – wie richtig. Er sagt:Eine Politik, die die Einheit einer Nation mit rassi-schen Argumenten betreibt, gründet also auf einerChimäre; sie würde die europäische Zivilisationzugrunde richten.Wie wahr hat Renan damals gesprochen.„Eine Nation ist auch nicht identisch mit der Spra-che“ – selbst das sagt er mit Recht. Er sagt: Sonst wärenBundesminister Otto Schily
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3418 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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die Vereinigten Staaten und Großbritannien heute nochzusammen, sonst wären Spanien und Südamerika nochzusammen. Selbst die Sprache ist nicht unbedingt einEinheitsband. Die Schweiz ist eine Nation mit verschie-denen Sprachen.Auch die Religion – sagt er – ist es nicht, was eineNation ausmacht. Es sind auch nicht die Interessen. Ersagt: „Ein Zollverein ist kein Vaterland.“Zur Geographie sagt er:Es gibt keine willkürlichere, gefährlichere Theorie,als die Nation zwischen „natürlichen Grenzen“ er-richten zu wollen; die Vergangenheit zeigt, daß dieLebensräume der Nationen immer fluktuiert haben.Dann bringt er seine Definition von einer Nation. Ersagt:Eine Nation ist eine Seele, ein geistiges Prinzip.Zwei Dinge, die in Wahrheit nur eins sind, machendiese Seele, dieses geistige Prinzip aus. Eins davongehört der Vergangenheit an, das andere der Ge-genwart. Das eine ist der gemeinsame Besitz einesreichen Erbes an Erinnerungen, das andere ist dasgegenwärtige Einvernehmen, der Wunsch, zusam-menzuleben. ... Sie setzt eine Vergangenheit vor-aus, aber trotzdem faßt sie sich in der Gegenwart ineinem greifbaren Faktum zusammen: der Überein-kunft, dem deutlich ausgesprochenen Wunsch, dasgemeinsame Leben fortzusetzen.Der Historiker Hagen Schulze sagt mit Recht: DieseDefinition hat bis heute ihre Gültigkeit behalten. – Ichdenke, wir sollten die heutige Debatte nutzen, uns ein-mal auf Fragen zu besinnen, die sich damit beschäftigen,was unsere Gesellschaft und unseren Staat eigentlich zu-sammenhält.Meine Damen und Herren, eine homogene Gesell-schaft ist, entgegen allen verbreiteten Vorurteilen, nichttragfähig, weil sie ein Konstrukt ist, das sich nicht mitder Wirklichkeit in Einklang bringen läßt.
Kollege Schily, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rupert
Scholz?
Herr Kolle-
ge Scholz, ich habe nur noch wenig Redezeit.
– Also gut, bitte schön, Herr Scholz.
Herr Schily, ich
finde es gut, daß Sie Renan zitiert haben. Renan ist für
den modernen Nationenbegriff ganz eindeutig der Rich-
tige. Aber die Renansche These kann man auch zu dem
Prinzip zusammenfassen: Nation gründet sich auf die
Erlebnis- – das ist die Vergangenheit – und die Willens-
gemeinschaft. Das ist die kurze Formel für das, was Sie
eben vorgelesen haben. Erlebnis- und Willensgemein-
schaft setzt allerdings voraus – das können Sie bei Ren-
an sehr deutlich nachlesen –, daß eine entsprechende
Identifikationsbereitschaft da ist. Erlebnis- und Willens-
gemeinschaft bedeutet auch, daß beide Seiten – wenn es
unterschiedliche ethnische Teile gibt – dieses wollen.
Ich möchte Sie bitten, eine Antwort auf folgende Fra-
ge zu geben: Wie ist das in Deutschland? Haben Sie die
Bereitschaft wirklich auf allen Seiten? Nehmen Sie
wirklich genug Rücksicht darauf, diese Willens- und
Erlebnisgemeinschaft in konfliktfreier Form, in sich
wechselseitig akzeptierender und identifizierender Form
– eben im Sinne von Renan – zu verwirklichen?
Die Frageist mir sehr willkommen, Herr Kollege Scholz, weil siegenau im Duktus meiner weiteren Ausführungen liegt.Ich bin der Meinung: Wir müssen uns in der Tat daraufeinlassen, zu fragen, wie wir unsere künftige Gesell-schaft gestalten wollen und wie das Verhältnis von Staatund Gesellschaft aussehen soll.
– Lassen Sie uns doch jetzt eine Diskussion darüber füh-ren. Die können Sie doch jetzt einmal annehmen. LassenSie uns in dieser Frage weitergehen.
– Sie müssen zumindest die Geduld aufbringen, meineAntwort zu hören. Sonst hat es keinen Zweck; dannbrauchen wir keine Zwischenfragen mehr zu stellen.
Wenn Sie Renan und Hagen Schulze, der das sehrklar aufnimmt, weiterdenken, werden Sie entdecken, daßRenan nicht für den homogenen Nationalstaat ist, son-dern ihn für ein Übel hält. Er hat einmal sehr prophe-tisch in einem Brief zum Ausdruck gebracht, in welcheLage wir kämen, wenn wir uns in einen nationalstaatli-chen Wettbewerb um Elsaß-Lothringen begäben.Deshalb – meiner Meinung nach sagt auch HagenSchulze zu Recht –: Das moderne Europa hat eine ganzandere Perspektive. Das moderne Europa – das ist einFaktum – bringt auch Menschen zusammen, die unter-schiedliche biographische und kulturelle Bezüge haben.Dieser Erkenntnis muß man sich öffnen. Hagen Schulzesagt weiter:Nicht die Teilung in Nationen ist es, die Europa ge-fährdet, sondern der Drang zu Nationalstaaten füralle noch so kleinen Nationalitäten, in denen dieunerfüllbare und chimärische Einheit von Nation,Sprache und Staatsgebiet herbeigeführt werden soll.Hören Sie zu, was Hagen Schulze noch schreibt – daserinnert an den ersten Tagesordnungspunkt, den wirheute behandelt haben –:Daß das zerstörerische Prinzip der Ethnokratie, desPrimats des durch Blutsbande geeinten Volkes, dieDemokratie immer noch bedrohen und Europa inBundesminister Otto Schily
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3419
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(D)
neue, schwere Bewährungsproben stürzen kann,beweist der schaurige Massenmord im zerfallenenJugoslawien. Nicht die Idee der Nation muß inEuropa überwunden werden, sondern die Fiktionder schicksalhaften, objektiven und unentrinnbarenEinheit von Volk, Nation, Geschichte, Sprache undStaat.Wie recht er doch hat!
Wir müssen im zusammenwachsenden Europa be-greifen, daß sich Nationen, Kulturen, Ethnien undSprachfamilien anders begegnen können als unter demhomogenen Nationalstaat, der ein Irrtum des vorigenJahrhunderts war, der übrigens auch am Ende des erstenWeltkriegs ein Irrtum war, wie in den 14 PunktenWilsons deutlich wird.
Sie sind doch nicht so töricht, daß Sie nicht wenigstensmanchmal, in Einzelfällen begreifen, um was es geht.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Dietmar Franzke hatder Bayerischen Staatsregierung – einer ihrer Vertreterist heute zugegen –
– Herr Zeitlmann, können Sie ein einziges Mal versuchen,in einer Debatte zuzuhören, nur ein einziges Mal? –
eine interessante Frage gestellt, die im März dieses Jah-res folgendermaßen beantwortet wurde:Auf Grund der guten Erfahrungen mit der Integra-tion Otto von Habsburgs hält es die Staatsregierungfür vertretbar, bei Persönlichkeiten, die einen ver-gleichbaren Bezug zur deutschen und europäischenGeschichte aufweisen, Doppelstaatsangehörigkeithinzunehmen.Meine Damen und Herren, ich bin ein überzeugter De-mokrat. Ich muß Ihnen sagen: Die Doppelstaatsange-hörigkeit nur als Adelsprivileg zuzulassen widersprichtmeinen Grundüberzeugungen.
Meine Damen und Herren, heute ist die Stunde dermodernen Demokratie. Deshalb ist es vielleicht nicht soganz angebracht, daß ich mich dauernd mit Bezügenzum Adel aufhalte. Aber im Blick darauf, daß wir dem-nächst alle gemeinsam nach Berlin umziehen, ist esvielleicht verständlich, daß ich mich heute an den Rat-schlag eines aufgeklärten Monarchen halte. Friedrich derGroße hat, als er gefragt wurde, ob ein Katholik – imdamals protestantischen Preußen – das Bürgerrecht er-werben dürfe, geantwortet:Alle Religionen seindt gleich und guht, wann nurdie Leute, so sie profesieren, erliegte Leute seindt,und wenn Türken und Heiden kämen und wolltendas Land pöplieren, so wollten wir sie Mosqueenund Kirchen bauen.Das ist eine gute Devise auch für unser Staatsangehörig-keitsrecht.
Ich erteile dem
Kollegen Dr. Jürgen Rüttgers das Wort.
Frau Präsidentin!Werte Kolleginnen und Kollegen! Jedem in diesem Saal istklar, daß das Gesetz, über das wir heute zu befinden haben,von einer großen und weitreichenden Bedeutung ist. In denletzten Wochen und Monaten haben wir alle in der öffentli-chen Diskussion gemerkt, daß es in unserem Land vieleMenschen gibt, für die das ein ganz wichtiges, ein existen-tielles politisches Thema ist, für das sie bereit sind, sichpersönlich zu engagieren. Deshalb war ich davon ausge-gangen, daß die Debatte um das Gesetz, das der Bundesin-nenminister eben als historisch bezeichnet hat, auch einenentsprechenden Charakter bekommt.Herr Schily, vom Prinzip her ist es zwar gut, wennSie Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zitieren, weil das, was sie auch vordem Hintergrund ernsthafter Debatten, die wir in unsererFraktion geführt haben, sagen, in der Regel sehr beden-kenswert ist und ernst genommen werden muß.
Die Art und Weise, in der Sie heute Äußerungen dieserKollegen, die in dem Bemühen gemacht wurden, ihren per-sönlichen Beitrag zur Integration der rechtmäßig und dau-erhaft in Deutschland lebenden Ausländer zu leisten, aufdas Niveau eines Winkeladvokaten heruntergezogen haben,
finde ich diesem Thema nicht angemessen.
Aus der Tatsache, daß Kollegen sich seit Jahren darumbemühen, zu der Sache der in Deutschland lebendenAusländer ihren persönlichen Beitrag zu leisten, denSchluß zu ziehen, sie müßten heute dem Gesetz, das Siediesem Hause vorgelegt haben, zustimmen, ist der Gip-fel der Tatsachenverdrehung. Denn das, was Sie heutezur Abstimmung bringen, hat mit Integration nun über-haupt nichts zu tun.
Was Sie heute vorlegen, ist nicht nur Stückwerk, son-dern ein Gesetz, das Sie selbst noch im Januar als ver-fassungswidrig gekennzeichnet haben.
Bundesminister Otto Schily
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3420 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
(C)
Weil ich es dieser Debatte nicht für angemessen halte,will ich darauf verzichten, meinerseits zu zitieren, wasKolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion, wennman mit ihnen über das von Ihnen betriebene Projekt re-det, sagen. Ich will auch darauf verzichten, zu verlesen,welche Funktionsträger der SPD unsere Unterschriften-aktion vor Ort unterschrieben haben. Inzwischen sind es5 Millionen Menschen in Deutschland, die ein klaresNein zu Ihrem Projekt gesagt haben.
Ich möchte eine zweite Anmerkung zu dem machen,was Sie heute gesagt haben. Sie haben es in Ihrer Redefür notwendig und richtig erachtet – ich will das garnicht qualifizieren –, über den Begriff der Nation nach-zudenken. Das hat mich – das muß ich zugeben – einwenig verwundert, und zwar deshalb, weil Sie damitdoch wohl zum Ausdruck bringen wollten,
daß Sie mit diesem Gesetz das, was man unter Nation –unter deutscher Nation – versteht, verändern wollen.
Sonst würde das, was Sie vorgetragen haben, keinenSinn machen.
Das, verehrter Herr Bundesinnenminister Schily, ist einwirklich überraschender Punkt in Ihrer Rede gewesen.Sie haben recht, daß es immer lohnend ist, bei ErnestRenan nachzulesen. Sie haben sicherlich recht, daß esam Ende dieses Jahrhunderts, in dem so unglaublich vielSchlimmes und so unglaublich viele Morde und Verbre-chen im Namen der Nation begangen worden sind, not-wendig ist, darüber nachzudenken, welche Aufgabe dieNation im kommenden Jahrhundert hat.Es ist sicherlich auch richtig – auch da kann man schonerste Hinweise bei Ernest Renan nachlesen –, daß imkommenden Jahrhundert Nationen, auch in Europa,nicht überleben werden, wenn sie sich als eine Form derAbgrenzung gegenüber anderen verstehen. Nationenwerden im kommenden Jahrhundert nur dann eineChance haben, wenn sie sich als offen, wenn sie sich,wie wir es manchmal formulieren, als ein Haus mit of-fenen Fenstern und Türen verstehen, wenn sie nicht aufAbgrenzung setzen, sondern auf Integration.Warum Sie dann, werter Herr BundesinnenministerSchily, allerdings auch noch hingegangen sind und denKosovo-Konflikt und die furchtbaren ethnischen Ver-brechen und Vertreibungen in diese Debatte eingeführthaben, dafür fehlt mir jedes Verständnis. Soll das etwabedeuten, daß diejenigen, die glauben, daß auch im 21.Jahrhundert die Nation noch erforderlich ist, damit Ge-sellschaft zusammenhält, eventuell Ursache bzw. Anlaßgeben für verbrecherische Ereignisse, wie sie im Kosovoin den letzten Wochen und Monaten geschehen sind?Die Wahrheit ist doch genau umgekehrt: Gerade weilsich im ehemaligen Jugoslawien unter dem Druck einerDiktatur kein vernünftiges offenes Verhältnis der ver-schiedenen Völker und Nationen entwickelt hat, kommtes zu den Morden. Dort, wo es eine Übereinstimmungzwischen Gesellschaften und Nationen gibt mit dem An-spruch, für jeden offen zu sein, der dort hinwill,
sind solche Verbrechen nicht möglich.
Wir werden über das Thema sicherlich noch weiterdiskutieren, ja diskutieren müssen, weil wir nach unse-rem Verständnis – zumindest ist dies das Verständnisder Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion – die Weiterentwicklung auch dessen, was wirunter Nation verstehen, im Hinblick auf die EuropäischeUnion in den nächsten Jahren und Jahrzehnten voran-treiben wollen.
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Cornelie
Sonntag?
Ja, bitte.
Bitte sehr, Frau
Kollegin.
Herr Kollege
Rüttgers, da Sie sich soeben dagegen verwahrten, irgend-
welche Beziehungen, Vergleiche oder Bezüge zwischen
unserer heutigen Diskussion um die Reform des Staats-
angehörigkeitsrechts und dem Kosovo-Konflikt herzu-
stellen: Wie finden Sie es, daß Kollegen aus Ihren Reihen,
nämlich der Unionsfraktionen, in den letzten Wochen
noch einmal mit Verve gefordert haben, man solle wegen
der aktuellen Diskussion um das Kosovo und wegen der
Diskussion um Flüchtlingsaufnahme die Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts, die meiner Meinung nach auf
einem völlig anderen Blatt steht, jetzt zurückziehen und
zunächst einmal ruhen lassen? Finden Sie nicht, daß Äng-
ste in der Bevölkerung vor Zuwanderungsströmen wieder
dadurch geschürt worden sind, daß man zwei grundver-
schiedene Themen durcheinandergeworfen hat?
Frau KolleginSonntag-Wolgast, ich finde es durchaus angemessen,daß Sie als Parlamentarische Staatssekretärin versuchen,Ihrem Minister hier zu helfen. Aber die Frage des Koso-vo ist von ihm in diese Debatte eingeführt worden, undzwar im Zusammenhang mit dem Nationenbegriff, unddazu habe ich etwas gesagt. Die Frage, ob es nicht kluggewesen wäre, den Versuch zu machen, bei einem solchwichtigen Thema zu parteiübergreifenden Gesprächenzu kommen, statt die Gesellschaft und die Nation zuspalten, ist vor diesem Hintergrund mehr als berechtigt.
Dr. Jürgen Rüttgers
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3421
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Werte Kolleginnen und Kollegen, wir lehnen IhrenGesetzentwurf ab. Er ist verfassungsrechtlich bedenk-lich, er ist integrationspolitisch unausgegoren, und er istmit einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand verbun-den. Er wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Dieswar auch das Ergebnis der Sachverständigenanhörungim Innenausschuß.Wenn man das Ergebnis der Anhörung zusammenfas-sen will, muß man feststellen, daß die Sachverständigen,egal, wie sie zum Optionsmodell stehen, gesagt haben,dieser Gesetzentwurf sei Stückwerk, unausgereift undnachbesserungsbedürftig, auch sei er in sich wider-sprüchlich, aber vor allen Dingen fehle die Abstimmungmit anderen Gesetzen. Ich habe nie verstanden, warumSie auf seiten der rotgrünen Regierung nicht den Mutgehabt haben, ein Gesamtkonzept für ein neuesStaatsangehörigkeitsrecht vorzulegen, sondern hierden Versuch machen, einen einzelnen Punkt herauszu-greifen. Ich habe übrigens auch nie verstanden, warumes Ihnen nicht gelungen ist, hier ein übergreifendes Inte-grationskonzept, das über die Frage der Staatsangehö-rigkeit hinausgeht, vorzulegen.
Sie haben sich statt dessen für ein parlamentarischesVerfahren entschieden, nach dem Motto: Augen zu unddurch. Es ging nicht um Argumente. Es ging auch nichtum die politisch-parlamentarische Debatte; vielmehr wa-ren es in der Anfangsphase dieser Diskussion zuerst dasHochgefühl und dann die Arroganz der Macht, die Siehaben glauben lassen, alle Gegenargumente übergehenzu können. Wir haben Sie mit unserer Unterschriften-aktion eines Besseren belehrt.
Es ist nur noch ein Ausdruck von politischer Schwäche,daß Sie jetzt nicht in der Lage sind, parteiübergreifendeGespräche zu führen. Man muß den grünen Parteitagüberleben. Man muß versuchen – das hat wieder etwasmit dem Kosovo zu tun, Frau Sonntag-Wolgast –, eineMehrheit für die Kosovo-Politik zu erhalten. Deshalbkönnen Sie keine neuen Überlegungen in dieser Frageanstellen und auch keine neuen Gespräche anbieten.Aber es soll wenigstens Vollzug in Sachen Staatsan-gehörigkeitsrecht gemeldet werden. Das ist nicht nurschade, sondern bringt Sie mittel- und langfristig in Wi-derspruch zu all denjenigen, die erkannt haben, daß esbei allem Streit richtig und notwendig gewesen wäre, zueinem breiten Konsens zu gelangen. So haben zum Bei-spiel die Kirchen eindringlich dafür geworben, daß dieReform des Staatsangehörigkeitsrechts vom Gesetzgeberin einem breiten Konsens vorgenommen wird. Dabeimeinten die Kirchen einen Konsens – hier zitiere ich –,„der über die jetzt vorliegenden Gesetzesentwürfe eineBrücke schlägt“.
Das, was uns heute zur abschließenden Abstimmungvorgelegt wird – ich habe es bereits gesagt –, ist Flick-werk. Die Rechtszersplitterung wird vorangetrieben.Sie ist heute schon schlimm genug. Das Gesetz steht imWiderspruch zum Ausländerrecht und enthält Unge-reimtheiten, die dazu führen werden, daß nicht nur die-jenigen, die unsere Auffassung bei dieser Reform teilen,an diesem Gesetz verzweifeln werden, sondern auchdiejenigen, die angeblich davon profitieren sollen. Werals ausländischer Mitbürger in der konkreten Verwal-tungspraxis mit diesem Gesetz konfrontiert wird, wirdseinen Glauben an die Integrationsbereitschaft unseresStaates sehr schnell verlieren, weil die Widersprüche ihnschlichtweg in die Verzweiflung treiben werden: Wassoll zum Beispiel in dem Fall einer jungen Mutter ge-schehen, die Doppelstaaterin ist, in Deutschland einKind bekommt und – wenn sie nicht optiert – ihre deut-sche Staatsbürgerschaft verliert, während ihr Kind dieseerhält? Wie soll das innerhalb einer Familie gelöst wer-den? Oder was soll in dem Fall geschehen, in dem je-mand seiner deutschen Wehrpflicht nachgekommen ist,aber der deutsche Staat ihm – wenn er nicht optiert –sagt, du bist nicht mehr erwünscht? Was hat das allesmit Integration zu tun?Damit komme ich auf einen weiteren Punkt zu spre-chen: Wir haben uns von seiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion darum bemüht, daß die Debattenicht nur auf die Frage der Staatsbürgerschaft verengtwird. Wir haben uns vielmehr darum bemüht, ein Ge-samtkonzept vorzulegen, in dem die drei BereicheStaatsbürgerschaftsrecht, Zugangsbegrenzung und Inte-grationskonzept berücksichtigt werden. Wir haben fürunser Integrationskonzept viel Zustimmung von Auslän-derbeiräten und Ausländerorganisationen erfahren.
So schreibt zum Beispiel die EKD:In vielen Bereichen finde ich eine Übereinstim-mung mit dem, was die Kirchen in ihrem gemein-samen Wort „...und der Fremdling, der in deinenToren ist“ geäußert haben.Die IG BCE – die Industriegewerkschaft Bergbau,Chemie, Energie – schreibt:Integration bedeutet dabei für uns als Gewerk-schaften nicht die Aufgabe der ethnischen, kultu-rellen und religiösen Identität. Wir begrüßen es,daß die CDU/CSU dies genauso sieht.Wir stellen heute unser Integrationskonzept zur Ab-stimmung. Wir waren entsetzt, als wir feststellen muß-ten, daß Sie auch im Innenausschuß unser Integrations-konzept aus den gleichen Gründen, die ich eben be-schrieben habe – nacktes parteipolitisches Kalkül;Augen zu und durch –, abgelehnt haben. Sie empfehlenheute dem Deutschen Bundestag die Ablehnung unseresKonzeptes. Ich werde es Ihnen sagen: Wenn Sie gleichgegen den Antrag „Integration und Toleranz“ stimmen,dann lehnen Sie Forderungen ab wie die: nach Auswei-tung der Sprachförderung für Ausländer, Frau Beck,
nach Förderung ausländischer Kinder in Kindergärtenund in der Vorschulzeit, Herr Özdemir, nach schulbe-Dr. Jürgen Rüttgers
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3422 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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gleitenden Sprachkursen für ausländische Mütter, nachberufsvorbereitenden Maßnahmen für ausländische Ju-gendliche, nach Förderung ausländischer Existenzgrün-dungen in Deutschland, nach Mobilisierung des auslän-dischen Mittelstands für die Lehrlingsausbildung, nachEinstellung von Polizeibeamten ausländischer Herkunft,
nach einer verstärkten Aufnahme von Mitbürgern aus-ländischer Herkunft in die demokratischen Parteien –
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage?
– im Moment
nicht –, nach Herstellung der Voraussetzungen für einen
islamischen Religionsunterricht an den öffentlichen
Schulen, der der staatlichen Schulaufsicht unterliegt,
und nach einer Berücksichtigung des ausländischen Be-
völkerungsanteils in Sendungen der Rundfunkanstalten.
Wie rechtfertigen Sie eigentlich Ihre Ablehnung dieser
konkreten Vorschläge zur Integration? Hiermit würde
mehr für die Integration in Deutschland getan als durch
die Einführung des Doppelpasses.
Welche anderen Gründe als rein parteipolitisches Kalkül
könnte es eigentlich dafür geben? Ist das der Bedeutung
der Sache angemessen?
Die Integration der dauerhaft und rechtmäßig in
Deutschland lebenden ausländischen Mitbürger ist für
den inneren Frieden und die Zukunft unseres Landes un-
zweifelhaft ein großes Thema. Wir haben dem Deut-
schen Bundestag ein Angebot zur Debatte über diese
zentrale Frage unseres Landes unterbreitet. Wenn dieses
Konzept heute niedergestimmt wird, dann bestätigt sich
unser Anfangsverdacht: Ihnen geht es nicht um Integra-
tion, sondern um die Erledigung dieses Themas vor den
nächsten Wahlen. Genau das wollen Sie.
Ich schließe, indem ich an jeden einzelnen Abgeord-
neten der Fraktion der SPD appelliere: Stimmen Sie für
unseren Antrag „Integration und Toleranz“! Ich appel-
liere an die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen: Stimmen auch Sie für den An-
trag „Integration und Toleranz“! Ich appelliere an die
Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Freien De-
mokraten: Nehmen Sie den Bericht der früheren Aus-
länderbeauftragten, Ihrer Parteifreundin Frau Schmalz-
Jacobsen, zur Hand und vergleichen Sie die Forderun-
gen mit diesem Konzept! Stimmen Sie für dieses Kon-
zept! Letztlich appelliere ich an Sie alle von der Regie-
rungskoalition: Machen Sie unsere ausländischen Mit-
bürger nicht zum Opfer Ihres parteipolitischen Kalküls!
Zu einer Kurzinter-
vention gebe ich dem Kollegen Peter Altmaier das Wort.
Herr Bundesinnenmi-nister Schily, Sie haben lang und breit aus unseren In-terviews und Äußerungen zitiert. Ich hätte mir ge-wünscht, Sie hätten etwas häufiger aus den Interviewsund Äußerungen des Bundeskanzlers Schröder zu diesenThemen zitiert. Aber davon werden Sie sehr wenige fin-den, weil er es bis heute nicht für richtig gehalten hat, indieser Frage öffentlich Stellung zu beziehen und füreinen breiten gesellschaftlichen Konsens zu werben.
Es ist wahr, daß es in der CDU/CSU eine ganze Rei-he von Kolleginnen und Kollegen gibt, die sich seit vie-len Jahren für ein vernünftiges Optionsmodell einge-setzt haben und weiterhin einsetzen. Aus diesem Grundwerden heute etwa 20 Kolleginnen und Kollegen derUnion nicht gegen Ihren Gesetzentwurf stimmen.
Ich nehme für uns in Anspruch, daß wir uns dabei nichtvon parteitaktischem Kalkül leiten lassen. Vielmehr sindwir davon überzeugt, daß es als Antwort auf die Ver-änderungen, die sich in Deutschland in den letzten 20,30 Jahren vollzogen haben – in Deutschland werden je-des Jahr 100 000 Kinder geboren, die nicht die deutscheStaatsangehörigkeit haben –, notwendig ist, ein Signalzu geben, das diesen jungen Menschen deutlich macht:Ihr gehört dazu, ihr seid Teil dieser Gesellschaft; wirnehmen euch an. Ich denke an ein Signal, das ohne ge-nerelle doppelte Staatsangehörigkeit und ohne all die ge-fährlichen Assoziationen und Folgen auskommt, die mitdiesem Begriff verbunden sind.Ich nehme für mich und die Kolleginnen und Kolle-gen, die innerhalb der Union für dieses Thema gestrittenhaben – es waren nicht nur Bundestagsabgeordnete; eswaren auch Oberbürgermeister, Landtagsabgeordneteund viele Mitglieder in Ortsverbänden –, in Anspruch,daß wir zusammen mit repektablen Kolleginnen undKollegen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P.– zum Beispiel Cem Özdemir und Frau Schmalz-Jacobsen – mehr für Integration bewirkt haben als fastdie gesamte Führungsspitze der SozialdemokratischenPartei.Es gab im Jahre 1998 einen breiten gesellschaftlichenKonsens für das Optionsmodell. Die Kirchen, der Städ-te- und Gemeindetag und auch viele gesellschaftlicheGruppierungen waren dafür. Sie haben nach der Bun-destagswahl diesen Konsens ohne Not aufgekündigt undsind auf Ihren ursprünglichen Vorschlag einer generel-len doppelten Staatsangehörigkeit zum Nulltarif – aus,wie ich meine, rein koalitions- und parteitaktischenGründen – zurückgekommen. Damit haben Sie demAnliegen der Ausländerintegration geschadet.
Als es nach der Wahl in Hessen darum ging, in dieserFrage Flagge zu zeigen und für die eigene Position zukämpfen, hat sich dann Ihr eigener Bundeskanzler post-Dr. Jürgen Rüttgers
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wendend in die Büsche geschlagen und in einem Inter-view in der „Süddeutschen Zeitung“ erklärt, Minderhei-tenthemen wie Staatsangehörigkeitsrecht dürften nunnicht mehr so sehr in den Vordergrund geschoben wer-den; man müsse sich mehr den eigentlich wichtigenThemen zuwenden. Eine solche Aussage haben Sie bis-her von niemandem aus unserer Gruppe gehört. Sie wer-den sie auch in Zukunft nicht hören.
Herr Kollege, den-
ken Sie bitte an die Zeit.
Ich komme sofort zum
Ende. – Wir hätten es auch begrüßt, Herr Bundesinnen-
minister, wenn der Bundeskanzler es für nötig gefunden
hätte, dieser Debatte persönlich zu folgen und damit
auch in der Öffentlichkeit für seine Überzeugung einzu-
treten.
Wir werden Ihren Gesetzentwurf nicht ablehnen,
können ihm aber auch nicht zustimmen, weil Sie zu kei-
nem Zeitpunkt versucht haben, einen Konsens zu finden,
weil Sie alle Gesprächsangebote abgelehnt haben, die
von Wolfgang Schäuble und der CDU/CSU in den letz-
ten Wochen gemacht worden sind, und weil Sie jede
einzelne Forderung aus unserem Integrationspapier zu-
rückgewiesen haben. Damit genügen Sie vielleicht Ihren
parteitaktischen Anliegen. Aber dem Anliegen der Inte-
gration von Ausländern in unsere Gesellschaft werden
Sie damit ganz sicher nicht gerecht.
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister des Innern, Herrn Otto Schily. Bitte
sehr.
Herr Kolle-ge Altmaier, zunächst einmal bedanke ich mich. Es istdes Respekts würdig, daß Sie zu Ihren alten Überzeu-gungen stehen; ich finde das großartig; das ist absolutanerkennenswert.
– Herr Zeitlmann, Sie können es einfach nicht lassen.Sie, Herr Altmaier, haben nun behauptet – es kann jasein, daß Sie es nicht besser wissen –, ich hätte keineBemühungen unternommen, um zu einem Konsens zugelangen. Sie wissen vielleicht nicht, daß ich mich be-müht habe, mit Herrn Kollegen Schäuble zu einem Kon-sens zu kommen. Ich habe eine geschlagene Stunde mitHerrn Schäuble und mit vielen anderen aus Ihrer Frakti-on geredet. Natürlich ist mir an einem Konsens sehr ge-legen. Der Konsens kann aber nicht darin bestehen, wieSie vielleicht denken und wie es mir immer gesagt wor-den ist, daß diese Debatte in der Art und Weise fortge-setzt wird, wie Sie es 16 Jahre lang gemacht haben,nämlich ad calendas graecas. Das mache ich nicht mit.
Das aber war das Ergebnis dieser Gespräche. – Ichwill jetzt niemanden zitieren, aber wenn ich in IhreReihen schaue, sehe ich viele, mit denen ich gesprochenhabe.Ihr Appell, daß wir versuchen sollten, den Beschlußauf einer breiten Grundlage zu fassen, ist völlig richtig.Sie haben dabei an frühere Legislaturperioden erinnert.Herr Altmaier, Sie wissen doch ganz genau, daß wir unsin der vorangegangenen Legislaturperiode auf der Basisdes Optionsmodells hätten einigen können, wenn Sienicht der Gefangene von Herrn Kanther gewesen wären.Sie konnten sich doch untereinander nicht einigen undhaben sich nicht getraut, einen entsprechenden Entwurfvorzulegen. Sie sollten die Dinge hier nicht verdrehen.
Es ist immer noch Zeit, zu einem Konsens zu kom-men. Insofern verstehe ich Ihre Haltung nicht. Aber ichfinde es, wie gesagt, erfreulich, daß Sie bei Ihrer hierdargelegten Position bleiben. Das halte ich für konse-quent und anerkennenswert.
– Nein, ich bin für eine weitergehende Lösung. Das istvöllig richtig, Herr Zeitlmann. Wenn wir die Mehrheitdafür weiterhin gehabt hätten, wäre ich auch dabei ge-blieben – das sage ich ganz offen und ehrlich –, nichtzuletzt deshalb, weil wir uns jetzt einigen Verwaltungs-aufwand einhandeln. Ich muß mich aber jetzt auf daszubewegen, was mehrheitsfähig ist. Das ist auch in Ord-nung; in der Politik ist das manchmal so.Daß Sie sich aber jetzt enthalten, Herr Altmaier, halteich nicht für konsequent. Wenn jemand eher unsererAuffassung ist, müßte er doch eigentlich konsequentsein und unserem Gesetzentwurf zustimmen. Ich fragemich nun, was Ihre Beweggründe für eine Enthaltungsind. Das kann doch nicht an Bundeskanzler Schröderliegen, der alles mit unterschrieben hat, und der daherder Meinung ist, daß dies die richtige Lösung sei.Weil Sie das Thema Doppelpaß angesprochen haben:Ich darf Sie bitten – das meine ich sehr ernst –, zurKenntnis zu nehmen, daß es mir wahrlich nicht um dieHerbeiführung möglichst vieler doppelter Staatsbürger-schaften geht. Das ist nicht unser Ziel. Ich bin sogar derMeinung, daß doppelte Staatsbürgerschaften vermiedenwerden sollten. Nur will ich daran erinnern, daß für unsIntegration wichtiger als die Vermeidung der Mehrstaa-tigkeit ist.
Was Sie Otto von Habsburg zubilligen, nämlich eineMehrstaatigkeit, das sollten Sie auch dem einfachen tür-kischen Mitbürger zubilligen. Sie tun es ja auch, wennauch beschränkt auf eine gewisse Dauer, im Rahmen desOptionsmodells.Herr Altmaier, allen Respekt vor dem, was Sie gesagthaben. Ich denke, daß Sie die Diskussion zum AnlaßPeter Altmaier
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3424 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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nehmen sollten, weiterzudenken und dem Gesetzentwurfzuzustimmen.Danke schön.
Zu einer Kurzinter-
vention hat das Wort der Kollege Rüdiger Veit.
Meine Damen und Herren! Ich
könnte versucht sein, darüber zu philosophieren, welche
Rolle nun die F.D.P.-Fraktion angesichts des politischen
Zerrbildes, das wir gesehen haben, spielen sollte, um
den Grünen über ihren Bundeskongreß zu helfen.
Ich möchte aber Sie, Herr Rüttgers, etwas fragen,
wozu Sie mir während Ihres Redebeitrages keine Gele-
genheit gegeben haben. Meine Frage wird aber nach der
Erklärung von Herrn Altmaier noch viel interessanter.
Sind Ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den
jetzt vorliegenden Gesetzentwurf groß genug, daß Sie
sich entschließen können, nach Karlsruhe zu gehen, oder
fehlt Ihnen jetzt bei 30 Enthaltungen aus der CDU/CSU-
Fraktion eventuell das Quorum?
Herr Rüttgers, wol-
len Sie antworten? – Nein.
Ich bin der Auffassung, daß wir in der Debatte nach
der Kurzintervention des Kollegen Repnik fortfahren
sollten. Bitte sehr, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin!
Ich bin der Meinung, daß wir mitten in der Debatte sind
und daß wir daher nicht mit der Debatte fortzufahren
brauchen. Die Äußerung von Herrn Bundesinnenmini-
ster Schily bedarf einer Erwiderung im Rahmen meiner
Kurzintervention.
Der Herr Bundesminister Schily hat eine Äußerung ge-
macht, die ich nicht stehenlassen kann.
Herr Kollege Rep-
nik, darf ich Sie kurz unterbrechen? Ich kann nach
einem Debattenbeitrag eine Kurzintervention zulassen.
Das habe ich getan. Herr Repnik, Sie haben das Wort.
Tatsache ist, daß
Herr Schily von seinem ursprünglichen Entwurf der
doppelten Staatsangehörigkeit nicht deswegen abgerückt
ist, weil er sich möglicherweise von Herrn Schäuble in
der Sache überzeugen ließ. Der Grund liegt vielmehr in
den 5 Millionen Unterschriften und in der klaren Quit-
tung der hessischen Wähler.
Nachdem der neue Entwurf der Regierung vorlag, hat
unser Fraktionsvorsitzender Wolfgang Schäuble im Ein-
vernehmen mit dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber
der Koalition neue Gespräche angeboten. Dieses Ge-
sprächsangebot wurde von den Kirchen aufgegriffen, die
an die Koalition appelliert haben: Gehen Sie auf dieses
Gesprächsangebot ein! Es wurde ebenfalls vom Bun-
destagspräsidenten Thierse aufgegriffen, der an die Ko-
alitionsfraktionen appelliert hat: Gehen Sie auf dieses
Gesprächsangebot ein! Herr Struck, der Fraktionsvorsit-
zende der SPD, ist anschließend auf Herrn Schäuble zu-
gegangen und hat gesagt: Wir wollen in der Koalition
darüber sprechen.
Bis zum heutigen Tag, Herr Minister Schily, ist die
Koalition auf dieses Gesprächsangebot der Parteivorsit-
zenden der Union eine Antwort schuldig geblieben. Es
ist also nicht so, daß Sie zu irgendeinem Zeitpunkt bereit
gewesen wären, diese wichtige und gesellschaftspoli-
tisch befriedende Frage einer konsensualen Lösung zu-
zuführen. Sie haben vielmehr dieses ehrlich und offen
gemeinte Angebot – das ernst zu nehmen Sie von den
Kirchen gebeten wurden – schlichtweg ignoriert und
sind nicht darauf eingegangen.
Jetzt darf der Bun-
desminister darauf antworten. Danach lasse ich keine
Kurzinterventionen mehr zu. Wir fahren dann mit der
Debatte in der vorgesehenen Rednerfolge fort.
Bitte sehr, Herr Bundesminister.
Herr Kolle-ge Repnik, weil ich immer zu Milde aufgelegt bin, führeich das, was Sie gerade vorgetragen haben, einfach aufschlechte Informationskanäle zurück.
– Nun hören Sie zu! Ich habe Ihnen doch auch zugehört.Ich habe beispielsweise in der Evangelischen Aka-demie Tutzing ein Gespräch geführt, um das die dorti-gen Kirchenvertreter gebeten haben. Daran haben aucheinige hochrangige Politiker aus Ihren Reihen teilge-nommen. Ich habe eine ganze Reihe von Gesprächenauch mit Personen aus Ihren Reihen geführt – übrigensauch schon vor der Hessenwahl. Deshalb ist das, was Siegesagt haben, nicht wahr. Aber ich habe mich nicht nurauf Ihre Oppositionsfraktion beschränkt; es gibt nocheine andere. Auch mit dieser Oppositionsfraktion habeich gesprochen.
– Nein, ich habe auch mit Herrn Westerwelle – er ist einVertreter dieser Oppositionsfraktion – gesprochen, undzwar vor der Hessenwahl.
Das war übrigens ein sehr angenehmes Gespräch.Bundesminister Otto Schily
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Gespräche machen aber nur dann einen Sinn, wenndie Zielsetzung konstruktiv ist. Das, was Sie hier betrei-ben, ist eine „Just for show“-Strategie. Sie wollen garkeinen Konsens. Sie wollen uns nur davon abhalten, die-se Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu vollziehen.Sie sollten also ehrlich sein und dies sagen. Das wäreauch in Ordnung; denn das ist Ihr demokratisches Recht.Sie sollten die Dinge aber nicht verfälschen.Im übrigen sollten Sie auch nicht mit Kampagnen denWählerwillen verfälschen; denn in Kenntnis dessen, waswir vorhatten, haben uns die Wähler im Bundestags-wahlkampf einen großen Sieg ermöglicht.
Wenn Sie also schon immer von der Landtagswahl re-den, dann denken Sie bitte auch einmal daran, daß wirim letzten Herbst auf der Basis dieser Staatsangehörig-keitsrechtsreform die Mehrheit errungen haben. Ichglaube, das muß man Ihnen in Erinnerung rufen, damitSie nicht ganz vergessen, wo sie gelandet sind, nämlichin der Opposition – und das für eine Weile.
Nun erteile ich dem
Kollegen Cem Özdemir das Wort.
FrauPräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ichauf die Debattenbeiträge eingehe, gestatten Sie mir bitteeinen kleinen Rückblick historischer Art – oft wurdenämlich der Vorwurf erhoben, wir würden etwas durchdas Parlament peitschen, die Debatte sei ganz neu, wirhätten sie nie geführt –, um zu verdeutlichen, wie alt dasGesetz ist, über das wir heute reden.Welch Geistes Kind das Reichs- und Staatsangehö-rigkeitsrecht vom 22. Juli 1913 war, belegt ein Zitat
– hören Sie zu, dann werden Sie mir sicher zustimmen –aus den Beratungen des Reichstages im Jahr 1912.Da trug der Abgeordnete Herzog von der Wirt-schaftlichen Vereinigung vor, dieses Gesetz solle„auf der einen Seite verhindern, daß weiterhinwertvolle deutsche Volkselemente dem Reiche undseiner Stellung in der Welt verlorengehen, daß esauf der anderen Seite aber ebenso sicher verhütenmöge, daß die deutsche Reichs- und Staatsangehö-rigkeit gewissermaßen ein Asyl wird für alle mög-lichen unerwünschten Elemente, die unser Volks-tum gefährden und die keineswegs geeignet sind,den deutschen Namen und deutsches Wesen in derWelt zu Ehren zu bringen“.… Noch im Frühjahr 1995 kritisierte der frühereBundespräsident Richard von Weizsäcker diesesGesetz,– das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz –das trotz zahlreicher Änderungen in seinem Kern„aus der unseligen Blütezeit des zum Nationalismuspervertierten Nationalstaatsdenkens stammt“.Die einzige Möglichkeit, die das wilhelminischeGesetz für Nichtdeutsche vorsah, um die deutscheStaatsangehörigkeit zu erlangen, war und ist dieEinbürgerung. Mit einem – selbst für heutige Ver-hältnisse weitgehenden – Vorschlag– jetzt komme ich zu Ihren Vorgängern –scheiterten Sozialdemokraten und Liberale imReichstag: Sie wollten die Einbürgerung von Aus-ländern bereits nach zweijährigem Aufenthalt imReichsgebiet als einklagbares Recht ausgestalten.Doch die Reichsregierung legte die Hürden für eineEinbürgerung hoch und stellte sie ins alleinige Er-messen des Staates: Einbürgerung sollte eine Aus-nahme sein und nicht die Regel.Die Hürden sind hoch geblieben bis in unsere Tage.Bevor ich in die Debatte einsteige, lassen Sie michIhnen ein Zitat nicht vorenthalten. Der Korrespondentder „Washington Post“ hat in den 90er Jahren, dieKohl-Regierung der letzten 16 Jahre bilanzierend, zumThema „Staatsbürgerschaft und Umgang mit der Inte-gration“ eine Überschrift gewählt, der, wie ich glaube,nichts hinzuzufügen ist: „Come on, Germany! Get re-al!“ Frei übersetzt: „Deutschland, stell dich der Wirk-lichkeit!“Ich bin froh, daß wir uns heute, nachdem Sie es 16Jahre lang trotz mehrfacher Ankündigungen nicht ge-schafft haben, endlich der Realität stellen: Dieses Landwird sich am 1. Januar 2000 ein neues, modernes, repu-blikanisches, europäisches Staatsangehörigkeitsrecht zu-legen.
Wir wollen – da wir schon bei der Historie sind –auch eines nicht vergessen: Ich glaube, man sollte diesenTag auch nutzen, um denen zu danken, die in der Ver-gangenheit ihren Beitrag dazu geleistet haben, daß wirzu dem Punkt gelangen konnten, an dem wir heute sind.Viele werden sich gar nicht mehr daran erinnern: HerrKühn, der erste Ausländerbeauftragte, den die Bundes-republik Deutschland hatte, damals, 1979, von der so-zialliberalen Regierung eingesetzt – er war der frühereMinisterpräsident von Nordrhein-Westfalen –, war einerder ersten, der überhaupt von der Notwendigkeit einerReform des Staatsangehörigkeitsrechtes sprach und derdamals den revolutionären Vorschlag eingebracht hat,quasi per Postkarte mit 18 Jahren die deutsche Staats-bürgerschaft zu verleihen. Ich nenne weiter Frau Funckevon der F.D.P., die zweite Ausländerbeauftragte, diesich damals einen Platz in den Herzen vieler Nichtdeut-schen gesichert hat, die nach wie vor wegen ihres Enga-gements für Nichtdeutsche unvergessen ist und die sichin der sozialliberalen Koalition vergeblich bemüht hat,Bewegung in dieses Thema zu bringen. Schließlich nenneich Frau Schmalz-Jacobsen – ich habe sie vorhin schonBundesminister Otto Schily
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oben auf der Tribüne entdeckt. Auch ihr gilt, glaube ich,der Dank des gesamten Hauses dafür,
daß sie sich bemüht und dafür eingesetzt hat, damalsVerständnis in der Koalition für etwas zu wecken, fürdas in der Koalition eigentlich kein Verständnis zu wek-ken war, weil die Mehrheiten anders waren.Wo ich schon einmal beim Dank bin, gestatten Siemir auch einen Dank in eigener Sache, nämlich einenDank an die Generation meiner Eltern, an die Menschen,die in den 50er, 60er, 70er Jahren über die Anwerbeab-kommen zu einer Zeit hierhergeholt worden sind, als esin Deutschland einen großen Arbeitskräftemangel gab,und die zum Wohlstand dieser Republik beigetragen ha-ben. Sie sind hier alt geworden. Sie, die ungelernte Ar-beitskräfte waren, kamen hierher, weil man ungelernteArbeitskräfte gesucht hat. Sie haben Arbeiten ange-nommen, die viele Deutsche damals nicht annehmenwollten. Ich glaube, es wäre ungerecht, wenn man die-sen Menschen, die jetzt kurz vor dem Rentenalter ste-hen, nun den Vorwurf macht, daß man damals keineKonzepte für Integration hatte, daß man damals nichtdaran gedacht hat, daß sie bleiben werden, daß man kei-ne Vorkehrungen für Sprachkurse und Integrationskursegetroffen hat und daß ihr Deutsch nicht so gut ist. Dassollten wir, glaube ich, nicht machen, im Gegenteil:Ihnen gebührt unser Dank dafür, daß sie dieses Land mitaufgebaut haben.
– Ich gestatte Ihnen gleich die Zwischenfrage; gestattenSie mir bitte, diesen Punkt kurz zu Ende zu führen.Namens meiner Fraktion möchte ich auch noch fol-gendes anführen: Man kann über den Kompromiß vielessagen. Ich bedauere sehr, daß es uns nicht gelungen ist,der ersten Generation, den Menschen, die in dieser Ge-sellschaft alt geworden sind, die diese Gesellschaft nichtbedrohen, die weniger straffällig werden als vergleichbareDeutsche, die immer loyal zu diesem Lande standen, diedoppelte Staatsbürgerschaft zu geben. Ich bedauere dasinsbesondere mit Blick auf die F.D.P., weil sie blockierthat, diesen Menschen als Anerkennung ihrer Lebenslei-stung die doppelte Staatsbürgerschaft zu geben.
Es wäre uns kein Zacken aus der Krone gefallen. Eshätte sich ja um einen überschaubaren Kreis von Perso-nen gehandelt. Hierbei wäre uns, glaube ich, auch dieMehrheit der Bevölkerung gefolgt.Bitte sehr.
Jetzt lassen Sie die
Zwischenfrage zu. Bitte sehr, Herr Kollege Uhl.
Herr Kollege, ge-
statten Sie mir eine Frage, weil ich davon ausgehe, daß
Sie aus eigenem Erleben wissen, was Integration wirk-
lich heißt. Nachdem das Problem den Praktikern seit
vielen Jahren bekannt ist, daß von der Sprachfähigkeit
die Schulausbildung abhängt und von der Schulausbil-
dung die Berufsausbildung und daß nur so Integration
stattfinden kann, hat die Bundesregierung bereits 1995
ein Modellprojekt zur Förderung ausländischer Jugend-
licher der zweiten und dritten Generation mit dem Ziel
der Integration dieser Ausländer gestartet. Nun werden
wir uns sicher nie über die Frage einigen können, wie
wir Integration betreiben sollen. Sie gehen den Weg
über die Ausreichung von deutschen Pässen; wir sind
der Meinung, daß man das anders angehen sollte. Dar-
über will ich nicht reden und Sie dazu auch nicht befra-
gen.
Ich frage Sie vielmehr, was Sie davon halten, wenn
gerade in diesen Tagen, in denen das von Ihnen be-
schlossen wird, die gleiche Bundesregierung – nicht der
Innenminister, sondern die Kabinettskollegin – dieses
Modellprojekt zur Integration von Ausländern der
zweiten und dritten Generation in den großen deutschen
Städten – es sind sieben an der Zahl – aus finanziellen
Gründen stoppt. Das heißt, aufsuchende Integrationsar-
beit – Streetwork –, zum Beispiel in München, dort in
einem ganz bestimmten Treffpunkt – ihn kenne ich ganz
genau – in einem Problemviertel, einem sozialen Brenn-
punkt – aber auch in anderen großen deutschen Städ-
ten –, ist nicht mehr möglich. Genau in diesen Tagen
werden diese Modellprojekte aus finanziellen Gründen
gestoppt. Meine Frage ist jetzt: Sind Sie mit mir der
Meinung, daß diese Politik, die in dem Ausreichen deut-
scher Pässe besteht, aber die zur gleichen Zeit die wahre
Integrationsarbeit in den großen deutschen Städten
stoppt, keine Integrationspolitik ist, sondern einen Akt
der zynischen Desintegration darstellt?
HerrKollege Uhl, ich bin mit Ihnen einer Meinung, daß wirmehr für die Integration tun müssen. Wir haben in derHaushaltsdebatte gestern ja festgestellt – da werden Siemir sicherlich zustimmen –, daß diese Bundesregierungdie Mittel für Integration, für Sprachkurse und Integrati-onshilfe, für berufsvorbereitende Jahre – dazu zählt auchdas 100 000-Ausbildungsplätze-Programm, das sichspeziell an diese Gruppe richtet, weil wir gerade da Pro-bleme haben – ausgeweitet hat. Das ist sicherlich nichtgenug, aber es ist ein Anfang gemacht. Ich bin mirsicher, wir werden noch mehr tun.Lassen Sie mich folgendes hinzufügen: Sie reden vonIntegration. Wir sind uns einig, da muß mehr getan wer-den. Der Kollege Rüttgers hat ein Papier vorgelegt.Wenn man dieses Papier einmal nüchtern analysiert,wird man feststellen: Die meisten der Aufforderungenrichten sich doch nicht an die Bundesregierung; sierichten sich an die Landesregierungen.
Cem Özdemir
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3427
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Die Landesregierungen sind maßgeblich finanziell ver-antwortlich für all die Dinge, die Herr Kollege Rüttgersgenannt hat. Ich habe folgende Bitte – vielleicht könnenwir hier ja Einigkeit erzielen –: Lassen Sie uns diesesSpiel: Der Bund schiebt die Verantwortung auf die Län-der,
die Länder schieben sie auf den Bund, gemeinsamschieben wir sie auf die Kommunen, beenden.
Wir haben im Innenausschuß den Vorschlag gemacht– ich glaube, er ist mit den Stimmen Ihrer Fraktionskol-legen auch angenommen worden –, gemeinsam in dieNiederlande zu reisen und das dortige Modell zuSprach- und Integrationskursen anzuschauen. Ich binmir sicher, daß wir mit der Erkenntnis zurückkommenwerden, daß es ein gutes Modell ist. Solche Modellekann man nur durchsetzen, wenn Bund und Länder –unionsregierte Länder genauso wie rotgrün regierteLänder – zusammenarbeiten. Wir wollen – an uns wirddas garantiert nicht scheitern; die Einladung ergeht auchan Sie, an die Opposition – in dieser Frage zusammen-arbeiten.Lassen Sie mich, weil die Zwischenfrage gestelltwurde, noch ein bißchen auf die Union eingehen. Ichglaube, es lohnt sich, die Haltung der Union in diesemPunkt etwas näher zu betrachten. Von Herrn KollegenRepnik und von Herrn Kollegen Rüttgers beispielsweisewurden verschiedentlich die Kirchen zitiert. Ich habedas mit Interesse verfolgt. Ich muß allerdings fragen:Wo war denn Ihre Sympathie für die Kirchen, als esdarum ging, für die Anhörung im Innenausschuß Sach-verständige einzuladen?
Wir hatten uns darauf geeinigt, die Kirchen, den Städte-tag etc. einzuladen. Sie haben diese gemeinsame Ver-einbarung aufgekündigt, weil Sie die Kirchen nicht da-beihaben wollten,
weil Ihnen die Position der Kirchen nicht gefällt, weildie Kirchen genau unsere Position stützen, unserer Posi-tion recht geben und sagen: Wir brauchen eine Reformdes Staatsangehörigkeitsrechtes.
Wir haben die Kirchen trotzdem eingeladen, weil wirder Meinung sind, daß die Position der Kirchen wichtigist, daß sie gehört werden muß. Ich bin mir sicher, IhreObleute werden Ihnen berichtet haben, was die Damenund Herren der Kirchen zu Ihren Gesetzentwürfen zusagen hatten und was sie zu unseren Gesetzentwürfengesagt haben.Da wir gerade beim Thema Verfassungskonformitätsind: Wir sollten, glaube ich, den Mitgliedern des HohenHauses nicht vorenthalten, daß die Verfassungsrechtler,nachdem sie unsere Gesetzentwürfe im großen und gan-zen für verfassungskonform erklärt haben, nahezu ein-hellig gesagt haben, daß Ihre Gesetze alles andere alsverfassungskonform sind. Von daher würde ich Ihnenraten, etwas bescheidener aufzutreten, was die Frage derVerfassungsmäßigkeit angeht.Da wir auch Herrn Kollegen Beckstein, den Landes-innenminister von Bayern, hier haben, gestatten Sie mireinen kurzen Blick nach Bayern. Ich darf den CSU-Generalsekretär Dr. Thomas Goppel zitieren, der in ei-ner Schülerzeitung auf eine Frage zum Staatsangehörig-keitsrecht in bezug auf die neue Bundesregierung undihr Vorhaben folgendes gesagt hat:Die neue Bundesregierung hat sich entschlossen,einen Ausländer, der eine gewisse Zeit in Deutsch-land lebt, ohne Überprüfung seiner persönlichenHintergründe in die Familie der Deutschen aufzu-nehmen, indem sie ihm einen Paß gibt und sagt, dubist Deutscher.Ich finde, auf dieser Ebene sollte die Auseinanderset-zung wirklich nicht stattfinden.
Daß man in der Politik manchmal zuspitzt und polemi-siert, ist in Ordnung. Aber man sollte bei der Wahrheitbleiben.
Weder das alte noch das neue Staatsangehörigkeits-recht sieht vor, daß die Staatsbürgerschaft quasi an derGrenze oder per Hauswurfsendung in die Briefkästenverteilt wird. Die Hürden sind sowohl im ersten Entwurfvon Schily als auch in dem Gruppenantrag höher gelegtals bei dem, was Sie in den letzten 16 Jahren gemachthaben.Ich darf daran erinnern, daß wir auch bei denjenigen,die über den Rechtsanspruch eingebürgert werden, deut-sche Sprachkenntnisse verlangen. Ich darf daran erin-nern, daß wir für alle, die eingebürgert werden wollen,zukünftig das Erfordernis vorsehen, daß sie sich verfas-sungskonform verhalten. Das hatten Sie nicht vorge-sehen.
Von daher möchte ich Herrn Goppel auffordern, dieseAussage zurückzunehmen.Ich darf noch ein Weiteres hinzufügen, das jeder Be-schreibung spottet. Wörtliches Zitat – es geht um dieAusländer und insbesondere um die Türken hier –:Cem Özdemir
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3428 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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Die leben hier ihre ganz eigene kulturelle und so-ziale und sonstige Welt, machen eine eigene Stadtin der Stadt, haben nichts mit Deutschenland zutun, reden nicht deutsch.
Hier spricht einer von denen, die er meint. Hier hin-ten sitzt eine, das ist Kollegin Ekin Deligöz. Der KollegeSebastian Edathy sitzt hier, Frau Leyla Onur sitzt hier,und ich hoffe, eines Tages werden auch in den Fraktio-nen von CDU/CSU und F.D.P. Abgeordnete nichtdeut-scher Herkunft sitzen. Etwas mehr Realität darf es schonsein,
ein etwas größerer Bezug zu dieser Gesellschaft darf esschon sein.Mir fehlen eigentlich die Worte. Ich will dazu nur sa-gen: Wenn man aus der Dummheit solcher ÄußerungenEnergie gewinnen könnte, dann hätten wir wohl alleEnergieprobleme für die Zukunft gelöst.
Aus diesem Grunde spreche ich auch hier meine Auf-forderung aus, doch bei der Realität zu bleiben.Aber ich bleibe bei Bayern. Herr Innenminister Beck-stein wird sicherlich auch dazu Stellung nehmen kön-nen, daß gerade unsere bayerischen Landsleute, die hiersitzen, sehr viel Kompetenz haben, weil sie nämlichwissen, worum es geht. Sie sind alle doppelte Staatsbür-ger, während ich das Privileg nicht habe. Ich habe dentürkischen Paß nicht. Ich wurde ausgebürgert, weil ichin der Türkei nicht in die Armee gehen wollte.Alle Bayern haben das Privileg der doppelten Staats-bürgerschaft, weil nämlich die Verfassung des Freistaa-tes Bayern in Art. 7 sagt:Staatsbürger ist ohne Unterschied der Geburt, derRasse, des Geschlechts, des Glaubens, des Berufsjeder Staatsangehörige, der das 18. Lebensjahrvollendet hat.
Insofern denke ich, daß gerade unsere bayerischenFreunde berufen sein müßten, Gründe zu nennen, ausdenen Menschen darauf angewiesen sein können, diedoppelte Staatsbürgerschaft zu haben – weil sie nichtausgebürgert werden können, weil das Land, aus demsie kommen, sie nicht entläßt oder unzumutbare Hürdenaufstellt.Ich darf, da wir gerade bei der Union sind, noch je-manden zitieren, der bei Ihnen wohl unbestritten hohesAnsehen genießt, und das ist Adenauer. Adenauer, dererste Bundeskanzler der Bundesrepublik, hat im Rahmendes Versöhnungsprozesses mit Frankreich den Vor-schlag gemacht und die Idee in die Debatte geworfen– die leider anschließend nicht aufgegriffen wurde –,daß man mit Frankreich eine doppelte Staatsbürger-schaft auf Gegenseitigkeitsbasis vereinbart. Das hieße,alle Franzosen sollten zusätzlich die deutsche Staatsbür-gerschaft haben, und alle deutschen Staatsbürger solltenden französischen Paß haben.Die Union war also in dieser Frage schon einmalweiter. Deshalb hier auch mein Appell: Erinnern Siesich an die Europäer in Ihrer Fraktion! Helfen Sie mit,ein Staatsangehörigkeitsrecht zu gestalten, das europä-isch ist.Ich habe noch ein weiteres Zitat aus der Union. HerrPützhofen, Mitglied Ihrer Fraktion, gleichzeitig Ober-bürgermeister von Krefeld, sagte folgendes:Der Städtetag ist dafür, Kindern ausländischer Mit-bürger mit ihrer Geburt in Deutschland die deut-sche Staatsangehörigkeit zu geben. Bei Volljährig-keit müssen sie sich für einen Paß entscheiden.Genau das will die Regierung machen. Ich will esnoch einmal ausdrücklich sagen, bevor ein etwas selt-samer Zungenschlag aufkommt: Es geht hier nicht dar-um, daß wir die Union pauschal verdammen. Ich weiß,daß es viele in der CDU/CSU gibt, die ähnlich denkenwie wir, die der Meinung sind, daß es unklug ist, eineGesellschaft von Minderheiten und Mehrheit zu haben,eine Gesellschaft mit Ghettos, mit Parallelgesellschaf-ten, mit Ausländern und Inländern.
Diese Mehrheit, die sich hier für den Gruppenantrag ge-funden hat – ich nehme Sie gleich dran, Frau Kollegin –,
möchte dieses ändern. Wir sind der Meinung, es ist bes-ser für Deutschland, wenn wir alle, die wir hier leben,gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben.
Wir wollen für Nichtdeutsche nicht nur Rechte, son-dern auch Pflichten. Wir wollen, daß sie hier ihrenWehrdienst ableisten. Wir wollen, daß sie hier von ih-rem Wahlrecht Gebrauch machen. Wir wollen, daß sieihre Kinder hier aufwachsen lassen, daß die Kinder indeutsche Kindergärten, in deutsche Schulen gehen, wiees Ihr Kollege Eylmann gesagt hat, mit inländischemBewußtsein aufwachsen.Sie wollen eine Gesellschaft der Parallelstrukturen,sie wollen eine Gesellschaft aus Ausländern und Inlän-dern. Ich glaube, die Mehrheit der Bevölkerung wird unszustimmen, daß unser Weg der bessere ist, für dieMehrheit wie für die Minderheit.
Gestatten Sie
Zwischenfragen?
Bitte.Cem Özdemir
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3429
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Bitte sehr, Frau
Kollegin Aigner.
Sehr geehrter Herr Kolle-
ge, ich bedanke mich, daß Sie mich drannehmen. Das ist
sehr freundlich.
– Jetzt kommt die bayerische Doppelstaatsbürgerschaft.
Ich
mache das immer.
Ich habe eine konkrete
Frage zu Ihrem Gesetzentwurf. Es soll optiert werden,
und die andere Staatsangehörigkeit soll aufgegeben
werden. Es gibt aber beispielsweise bestimmte Gründe,
bei deren Vorliegen das nicht verlangt wird. Es heißt
beispielsweise in § 87 Abs. 1 Nr. 5 des Gesetzentwurfs:
dem Ausländer bei Aufgabe der ausländischen
Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile insbeson-
dere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art
entstehen würden, die über den Verlust der staats-
bürgerlichen Rechte hinausgehen …
Könnten Sie mir sagen, wie ich das genau verstehen
soll? Wenn eine Erbschaft nicht angetreten werden
kann, ist das dann ein Grund dafür, daß die andere
Staatsbürgerschaft nicht aufgegeben werden muß? Das
würde mich einfach einmal konkret interessieren.
Ich
kann Ihnen auch sagen, was damit gemeint ist.
Übrigens, bei dieser Gelegenheit: Es macht nichts,
von mir aus dürften Sie sich auch gern setzen, Frau
Kollegin.
Nein, wir wollen
schon die Spielregeln einhalten.
Ich
weiß, ich weiß; sonst heißt es wieder, die Türken führen
hier neue Sitten ein. Keine Sorge, ich halte mich an die
Gepflogenheiten dieser Republik.
– Ich bin ein patriotischer Schwabe.
Solange die Kollegin
stehen bleibt, ist die Uhr gestoppt. Wenn sie sich setzte,
wäre das für Sie nachteilig, weil dann die Uhr wieder
liefe.
So
ist es. Ein Argument mehr. Wir sind uns also einig.
Der § 87 regelt bereits heute Ausnahmetatbestände,
bei deren Vorliegen die Mehrstaatlichkeit hingenommen
werden kann. Wir werden dies um den Punkt der wirt-
schaftlichen Hindernisse, den Sie genannt haben, er-
weitern.
Ich will Ihnen als ganz konkretes Beispiel einen Ar-
beitgeber nennen, der in einem anderen Land eine Fa-
brik hat, der aber, wenn er den Paß des Landes verliert,
beispielsweise ausgebürgert werden würde, oder aus an-
deren Gründen nicht mehr die Möglichkeit hätte, frei
zwischen den Ländern zu verkehren. In solchen Fällen
macht es sicherlich Sinn, daß man die Mehrstaatlichkeit
hinnimmt.
Es gibt auch viele andere Bereiche.
Aber ich darf Ihnen vielleicht zur Kenntnis geben,
daß Ihre Fraktion einen Gesetzentwurf hier eingebracht
hat, in dem ebenfalls die Erweiterung des § 87 gefordert
wird und in dem ähnliche Tatbestände wie bei uns ge-
nannt werden.
Von daher rate ich Ihnen: Lesen Sie einmal die Anträge
Ihrer eigenen Fraktion. Auch Ihre Fraktion ist der Mei-
nung, daß § 87 ausgebaut werden muß, weil bisher Men-
schen, die die doppelte Staatsbürgerschaft gar nicht
wollen, aber darauf angewiesen sind, teilweise nicht er-
faßt werden.
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage der Kollegin Aigner? – Bitte
sehr, Frau Kollegin Aigner.
Herr Özdemir, Sie haben
meine Frage nicht korrekt beantwortet. Ich habe gefragt,
ob ein Grund für die doppelte Staatsbürgerschaft ist,
wenn jemand im anderen Falle auf eine Erbschaft ver-
zichten müßte. Dazu möchte ich Sie jetzt um eine klare
Antwort bitten.
Daskann ein Grund sein; ich hoffe, es wäre ein Grund. Daswird sicherlich von der Interpretation des Gesetzes ab-hängen. Die Einbürgerungsrichtlinien sind noch nichtauf den Weg gebracht. Sie wissen, daß das noch gesche-hen muß. Meines Erachtens sollte es einen Grund dar-stellen. Übrigens haben wir nicht nur in der Türkei, son-dern auch in Skandinavien Probleme mit dem Erbrecht.
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3430 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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– Und in Italien. – In solchen Fällen, denke ich, sind wiruns einig, daß die doppelte Staatsbürgerschaft der An-tragsteller hingenommen werden sollte.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Fromme?
Ja.
Bitte sehr.
Herr Kolle-
ge Özdemir, ich frage Sie hinsichtlich § 87 Abs. 1 Nr. 5:
Können Sie ausschließen – und wenn ja, mit welcher
Begründung –, daß hierdurch millionenfache Doppel-
staatlichkeiten entstehen?
Ich
halte nichts davon, irgendwelche Zahlen in die Land-
schaft zu setzen, was die Frage der Doppelstaatsbürger
angeht. Ich will Ihnen folgendes sagen, vielleicht auch
als Argument dafür, warum wir Skepsis haben. Ich habe
vorhin erläutert, warum ich mit den Regelungen für die
erste Generation unzufrieden bin. Ich glaube, das Gesetz
wird dazu führen, daß viele von der ersten Generation –
leider, ich bedaure das sehr – von dem Instrument der
Einbürgerung zunächst keinen Gebrauch machen wer-
den, weil die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft für sie
aus psychologischen Gründen sehr wichtig ist. Die
Punkte, die wir beim § 87 des Ausländergesetzes ge-
nannt haben, die richtig und nachvollziehbar sind, wer-
den den Kreis erweitern; aber es wird eine bestimmte
Gruppe von Menschen geben, vor allem alte Menschen,
die davon keinen Gebrauch machen werden, weil sie der
Meinung sind, daß sie, wenn sie ihren Paß aufgeben
müssen, emotionale Nachteile zu befürchten haben.
Von daher glaube ich nicht, daß es sich um Millionen
handeln wird, die eingebürgert werden wollen. Im we-
sentlichen wird das Geburtsrecht dazu führen, daß Kin-
der von Ausländern, die hier auf die Welt kommen und
deren Eltern bereits hier gelebt haben, deutsche Staats-
bürger werden. Der Anteil derer, die sich auf Grund des
Ausländergesetzes einbürgern lassen, wird wachsen,
aber er wird nicht in die Millionen gehen. Da kann ich
Sie beruhigen.
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Nachfrage des Kollegen Fromme? –
Bitte sehr.
Ich
glaube aber, daß wir langsam weitermachen sollten,
sonst kommen wir nicht voran, und wir haben noch
Wichtiges vor.
Wenn Ihnen
meine Fragen unangenehm sind.
Nein, sie sind mir nicht unangenehm, im Gegenteil.
Wenn Sie
nicht wissen, wie viele Fälle es geben wird, und in der
Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, Doppelstaatlich-
keit sei nicht gewollt, halten Sie das dann nicht für Eti-
kettenschwindel?
Nein, es ist deshalb kein Etikettenschwindel, Herr Kol-
lege – ich erkläre es Ihnen noch einmal, vielleicht
kommt es dann ja doch noch an –: Die doppelte Staats-
bürgerschaft ist keine Erfindung dieser Regierung. Wir
haben nach den Gesetzen, die Sie mit verabschiedet ha-
ben, bereits bis zu 2 Millionen Doppelstaatsbürger.
Dazu gehören die Nachfahren der Aussiedler, die zu uns
kommen und von denen wir zu Recht – ich glaube, da
sind wir uns alle einig – nicht verlangen, daß sie ihren
Paß aufgeben, weil sie Nachteile hätten, weil sie sich
freikaufen müßten. Auch binationale Ehen gehören da-
zu. Jede sechste neu geschlossene Ehe ist eine binatio-
nale Ehe. Ich denke, auch bei Ihnen gibt es binationale
Ehen. Die Kinder aus binationalen Ehen haben selbst-
verständlich die doppelte Staatsbürgerschaft. Ich kenne
niemanden bei Ihnen, der das abschaffen möchte. Wir
haben nach § 87 des Ausländergesetzes, alt wie neu,
Fälle, die die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen,
weil sie nicht ausgebürgert werden können, weil das
eine unzumutbare Härte darstellt etc. Das heißt, egal was
wir heute hier beschließen: Die doppelte Staatsbürger-
schaft gab es, es wird sie weiterhin geben, und es wird
sie in Zukunft sogar vermehrt geben. Es gehört bei guten
Europäern wohl dazu, daß man das nicht als Übel, son-
dern als Realität in einer globalisierten Welt betrachtet.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage der Kollegin Leutheusser-Schnarren-
berger?
Ja.
Herr Kollege, können Sie mir noch einmal bestätigen,daß sich gerade diese in den geltenden § 87 des Auslän-dergesetzes aufzunehmende Passage auf viele proble-matische Einzelfälle bezieht, die jeden Abgeordneten imParlament schon seit vielen Jahren beschäftigen und an-gesichts derer wir über Fraktionsgrenzen hinweg immerder Meinung waren, daß es notwendig ist, in diesemSystem die Möglichkeit zu eröffnen, in wirklich schwie-Cem Özdemir
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3431
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rigen Einzelfällen endlich sachgerechte und angemes-sene Entscheidungen zu treffen, und daß Integrationnicht eine Frage der Zahl ist, sondern eine Frage, mitwelchem Bewußtsein, mit welcher Einstellung wir mitden Menschen, die sich zu Deutschland bekennen, um-gehen?
Ichkann Ihnen das sehr gerne bestätigen, Frau Kollegin. Ichglaube, die Antragsteller haben es sich da nicht einfachgemacht. Wir haben uns vielmehr jeden Fall einzeln an-geschaut und über jeden Spiegelstrich sehr lange disku-tiert. Ich will Ihnen gar nicht verhehlen, daß wir unzu-frieden sind mit der Menge dessen, was dabei herausge-kommen ist.Gerade das Beispiel der Asylbewerber ist dafürtypisch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend je-mand nachvollziehen kann, daß man jemanden, der auseinem Land geflohen ist und mit ihm nichts mehr zu tunhaben will, zwingt, zur Botschaft des Landes zu gehen,aus dem er geflohen ist. Von daher ist es doch nachvoll-ziehbar, daß diese Menschen einen sehr engen Bezug zuunserer Gesellschaft haben, wenn sie hier als Asylbe-werber anerkannt worden sind.Es gibt weiterhin wirtschaftliche Gründe. Auch hierist doch eigentlich ersichtlich: Bei Menschen, die hierauf Dauer leben, die hier wirtschaftlich tätig sind unddie internationale Geschäfte abwickeln, ist es sinnvoll,die doppelte Staatsbürgerschaft hinzunehmen. AndereFälle haben wir im einzelnen genannt.Ich vermute, jeder von Ihnen kann, wenn er die Rea-lität in seinem Wahlkreis betrachtet, Hunderte von Bei-spielen auffinden, an denen er erkennt, um welche Ein-zelschicksale es sich handelt. Uns geht es darum, imSinne der Menschen eine unbürokratische Lösung zufinden. Insofern wird sich dieses Gesetz meines Erach-tens bewähren.Noch einmal zurück zum Thema der Staatsbürger-schaft. Es klang hier verschiedentlich die Frage an, wasmit Staatsbürgerschaft eigentlich gemeint ist. Ich habedas Gefühl, daß wir über unterschiedliche Gegenständesprechen. Für uns ist ein deutscher Staatsbürger nichtjemand, der sozusagen eine Bluttransfusion über sich hatergehen lassen. Für uns ist ein deutscher Staatsbürgernicht jemand, der bestimmte Musikgewohnheiten, Klei-dungsgewohnheiten, Eßgewohnheiten oder sonstigeGewohnheiten sein eigen nennt.Für uns ist ein deutscher Staatsbürger, der zu dieserGesellschaft gehört, jemand, der sich zur Verfassungdieses Landes bekennt und der die Werte dieser Gesell-schaft mit uns teilt, wozu beispielsweise die Gleichbe-rechtigung von Mann und Frau gehört. Da dulden wirkeine Ausnahme.
Niemand kann für sich in Anspruch nehmen, zu sagen:In meiner Kultur ist das anders. Das geht nicht. Daswerden wir nicht hinnehmen. Jeder, der hier lebt, mußdas Recht auf körperliche Unversehrtheit und alle Prin-zipien unserer Verfassung akzeptieren. – Das ist die er-ste Voraussetzung.Die zweite Voraussetzung ist, daß jeder, der hier lebt,natürlich auch die Amtssprache beherrschen sollte – dasist doch eine Selbstverständlichkeit –, und zwar nicht ausSchikane den Menschen gegenüber, sondern aus Schutzfür die Betroffenen. Wer die Amtssprache nicht be-herrscht, der wird nie erfahren, was ein Betriebsrat, waseine Gewerkschaft und was Verbraucherschutz ist.
Auch hier gilt die Einladung an Sie, mitzuwirken. Wirmüssen sehen, daß wir diese Kenntnisse ausbauen. Hiergilt es mehr zu tun.Wer diese zwei Voraussetzungen mitbringt, der hatdie Voraussetzungen erfüllt, Staatsbürger dieses Landeszu sein. Ich bitte Sie wirklich, in der Frage der Loyalitätdie Art der Argumentation, die wir in den letzten Jahrengehabt haben, nicht mehr zu gebrauchen. Ich meine denständigen Generalverdacht, der gegen 7 MillionenNichtdeutsche erhoben wird, die dazugehören, die indieser Gesellschaft ihren Beitrag zum Wohlstand unse-rer Republik leisten und die in der Mehrzahl loyale Bür-ger sind: Ich höre immer wieder diese wirklich an denHaaren herbeigezogenen Argumente, daß durch die Ein-bürgerung einer Person serbokroatischer, bosnischer,türkischer oder kurdischer Herkunft die entsprechendenKonflikte in unser Land hineingetragen werden. Das istdoch nicht die Realität. Die Mehrzahl hat mit Gewaltnichts am Hut. Auf diese Argumentation sollten Sie alsowirklich verzichten.Auf eines möchte ich noch eingehen – denn es paßtzu der Debatte von heute früh über die Krisen im Koso-vo und in Bosnien-Herzegowina –: Verteidigungsmi-nister Scharping hat auf eine Anfrage ausdrücklich be-stätigt, daß es bereits heute in der Bundeswehr Soldatengibt, die serbokroatische Namen haben, die der ver-schiedensten Herkunft sind, die sogar in dieser Krisen-region zum Einsatz kommen und einen vorbildlichenDienst leisten. Es gab weder bei der Polizei noch beimBundesgrenzschutz, der Bundeswehr oder irgendeineranderen öffentlichen Verwaltung Fälle, in denen es bis-her auch nur den Hauch eines Verdachtes gegeben hätte,daß diese Menschen illoyal sind. Ich bitte Sie: NehmenSie diesen Generalverdacht gegenüber den Nichtdeut-schen, die bei uns leben, zurück. Wir sind gegenüberdieser Republik loyal. Wir bekennen uns in der Mehr-zahl zu diesem Land.
Gerade wenn wir wollen, daß sich diese Menscheneinbürgern lassen – und das wollen wir –, dann dürfenwir ihnen nicht mit Mißtrauen begegnen. Wem mitSabine Leutheusser-Schnarrenberger
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3432 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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Mißtrauen begegnet wird, der wird die Angebote zurIntegration und zur Einbürgerung nicht annehmen.Deshalb ist es auch hier wichtig, die Sache mit etwasmehr Gelassenheit anzugehen. Ich glaube, dann kom-men wir einen Schritt weiter.Im letzten Teil meiner Rede möchte ich noch einesansprechen: Ich denke, daß wir mit diesem Gesetzent-wurf nicht das Ende der Fahnenstange im Hinblick aufdie Integrationspolitik erreicht haben. Im Grunde könnteman sagen: Das, was wir hier machen, ist eine nachho-lende Reform der 80er Jahre. Die Reform des Staatsan-gehörigkeitsrechts hätte eigentlich in die 80er Jahre ge-hört. Da wäre sie angemessen gewesen.
Insbesondere im Rahmen der deutsch-deutschen Verei-nigung hätte eine Möglichkeit bestanden, das Staatsan-gehörigkeitsrecht umfassend zu reformieren. Diese Ge-legenheit wurde verpaßt. Wir holen das heute zur Jahr-tausendwende nach.Natürlich müssen wir uns darum kümmern, welcheFolgeentwicklungen notwendig sind. Durch das Gesetzwird bereits impliziert, daß wir uns beispielsweise umdie Frage kümmern müssen, was mit denjenigen pas-siert, die 23 Jahre alt sind, sich aus Deutschland ausbür-gern lassen, den deutschen Paß nicht annehmen und ih-ren bisherigen Paß behalten. Darum werden wir uns sehrbald zu kümmern haben; denn die ersten Kinder werdenbald als deutsche Staatsbürger geboren werden. Wirmüssen uns um die Frage kümmern, wie wir mit denAufenthaltstiteln umgehen. Ich glaube, daß der Bereichder Aufenthaltsberechtigungen und -erlaubnisse nichtmehr zeitgemäß geregelt ist.Ein weiterer wichtiger Punkt, der uns in Zukunftvermehrt beschäftigen wird, ist der Tatbestand der Dis-kriminierung. Wie gehen wir mit Diskriminierung um?Wie gehen wir damit um, daß wir zukünftig deutscheStaatsbürger haben werden, deren Name nicht typischdeutsch sein wird? Aus dem Namen Özdemir wird – machen Sie sich keine Hoffnungen – kein Ötzdemeierwerden. Wie gehen wir mit der Tatsache um, daß sichdie Haarfarbe und die Hautfarbe nicht ändern werden?Wir werden deutsche Staatsbürger mit dunklerHautfarbe haben. Wir werden deutsche Staatsbürgerhaben, die etwas mehr Sonne abbekommen haben alsder Durchschnitt dieser Republik. Diese Menschenwerden – wie viele Nichtdeutsche schon heute – beimAbschluß von Versicherungen, beim Einlaß inDiskotheken und in anderen Situationen Problemehaben. Darum müssen wir uns dringend der Fragezuwenden, wie wir Instrumente schaffen können, durchdie Diskriminierung zukünftig besser bekämpft werdenkann. Hier können wir, so glaube ich, von unserenNachbarländern lernen. Wir brauchen meines Erachtenszusätzlich zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtesein Antidiskriminierungsgesetz, das klarmacht, daßDiskriminierung kein Kavaliersdelikt ist und nichthingenommen werden kann.
Zu diesem Thema gehört auch, daß wir unsere Auf-merksamkeit den Medien widmen müssen. Ich sprechedas regelmäßig an, weil man das gar nicht oft genug sa-gen kann. Ich freue mich darüber, daß deutsche Zeitun-gen wie der „Tagesspiegel“, die „Berliner Zeitung“, die„Rundschau“ und jetzt auch die „FAZ“ Menschen nicht-deutscher Herkunft einstellen, damit das, was dort dis-kutiert wird, in die bundesdeutsche Diskussion Eingangfindet.Genauso wichtig ist aber auch, daß ausländische Me-dien stärker, besser und objektiver über dieses Land be-richten. Sie wissen, welche Probleme ich mit der türki-schen Presse habe, Probleme, die uns alle betreffensollten. Es kann nicht hingenommen werden, daß einDeutschlandbild vermittelt wird, das mit der Realitätnicht viel gemeinsam hat. Auch hier meine Aufforde-rung: Lassen Sie uns gemeinsam schauen, daß wir inter-kulturelle Medien schaffen. Warum gibt es nicht zumBeispiel ein deutsch-türkisches Arte, warum gibt esnicht ein Radio, das bundesweit 24 Stunden in verschie-denen Sprachen sendet wie Radio Multikulti von SFB inBerlin? Diese Sender müssen nicht nur in Türkisch undKurdisch, sondern auch in Russisch und Polnisch, alsoin den Sprachen der Menschen, die heute bei uns leben,senden und müssen bundesweit empfangen werden kön-nen. Das ist wichtig, damit wir diese Menschen errei-chen und damit wir Parallelgesellschaften, die wir allenicht wollen, verhindern.Ich komme zum Schluß. Mein Appell an alle: NutzenSie die Möglichkeiten, die dieses Staatsangehörigkeits-recht bietet. Wir sollten das Staatsangehörigkeitsrechtgemeinsam dazu nutzen, daß es mehr Rechtsfrieden indieser Republik gibt. Es soll dazu beitragen, daß dieSchere zwischen Wohnbevölkerung und Staatsvolk nichtgrößer, sondern kleiner wird. Wir wollen eine Gesell-schaft, in der alle Menschen, die hier leben, gleich anRechten und gleich an Pflichten sind. Helfen Sie mit, dieProbleme im nächsten Jahrtausend zu verringern undnicht noch zu vergrößern!
Ich erteile der Kol-
legin Deligöz das Wort zu einer Kurzintervention.
Herz-lichen Dank, Herr Özdemir, daß Sie darauf hingewiesenhaben, daß wir ein Gesetz schaffen werden, das auf dieBedürfnisse der Menschen eingeht. Die Gesellschaft istnicht einheitlich, sondern vielfältig. Die Menschen indieser Gesellschaft haben unterschiedliche Bedürfnisse.Deswegen müssen wir in einen Gesetzentwurf Ermes-sensspielräume einbauen, um auf die konkrete Situationund die Bedürfnisse eingehen zu können.Es ist ganz wichtig, an diesem Punkt festzuhalten,daß es nicht angebracht ist, in Schwarzweißdenkerei zuverfallen. Außerdem ist es wichtig zu sagen, was Inte-gration ist. Integration ist nämlich nicht das Verfahrengemäß dem Motto: Die Guten ins Töpfchen und dieCem Özdemir
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3433
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(D)
Schlechten ins Kröpfchen. Das hat Herr Uhl in Mün-chen bereits praktiziert. Integration ist aber nicht einsei-tig. Integration ist vielfältig. Ich denke, wir machen nunden ersten wichtigen Schritt.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Guido Westerwelle.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In die-ser Debatte war bisher sehr viel von Rechtsgeschichtedie Rede. Sogar Philosophen wurden zitiert, weil es umdas Verständnis des Nationalstaates in der deutschenund europäischen Geschichte und um die Entwicklungdes Staatsangehörigkeitsrechts ging. Ich persönlichglaube, wir sollten diese Debatte etwas einfacher führen.
Es geht hier nicht um Rechtskonstruktionen. Es geht hierum die ausländischen Kinder, die in Deutschland gebo-ren werden und die wir mit diesem Gesetz integrierenwollen.
Mit dem heutigen Tag wird eine langjährige Beratungüber die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts beendet.Die Beendigung dieser Beratung ist überfällig. Sie freutmich sehr; das will ich hier auch nicht verschweigen.Ich habe den Debattenbeiträgen sehr genau zugehört:Die Mehrheit der CDU/CSU ist ganz dagegen. Ein, wieich finde, sehr respektabler Teil der Union – was ichwürdige – wird sich der Stimme enthalten. Bei der SPD-Fraktion gibt es – mit geheimem Vorbehalt – viele, diegerne mehr gehabt hätten. Die Grünen hätten am lieb-sten alle etwas anderes gehabt. Ich möchte Ihnen ver-künden: Die Freien Demokraten sind zu 100 Prozent mitdiesem Gesetzentwurf zufrieden.
Dieses neue Staatsangehörigkeitsrecht trägt dieHandschrift der Freien Demokraten. Es ist ein Signal analle integrationswilligen Menschen ausländischerHerkunft, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschlandleben.Weil es harte und langwierige Verhandlungen gewe-sen sind, möchte ich mich bei denen bedanken, die siegeführt haben. Das will ich namentlich tun. Das hatnichts mit irgendwelchen – wie man manchmal imBlätterwald lesen durfte – Koalitionsliebäugeleien zutun. Es geht schlichtweg um eine Mehrheit der Vernunft,die in diesem Hause organisiert wird.
Ausdrücklich möchte ich dem Bundesinnenministerfür seine sehr faire Verhandlungsführung danken. Ichmöchte in diesen Dank jemanden einschließen, der indieser Debatte bisher noch nicht so im Licht gestandenhat – Sie verzeihen, daß ich das namentlich tue; ich nen-ne nicht nur Sie, Herr Kollege Bürsch –: Ich möchte Sie,Herr Kollege Wiefelspütz, namentlich nennen und michbei Ihnen für die sehr zuverlässige Art der Verhand-lungsführung bedanken. Es ist wichtig, daß man in sol-chen Verhandlungen weiß: Man kann sich auf das Wortdes Gegenübers verlassen. – Das konnten wir uns hier,glaube ich, gegenseitig zusagen.
Mein Dank gilt selbstverständlich auch dem rhein-land-pfälzischen Staatsminister Peter Caesar, der zu-sammen mit Rainer Brüderle dafür gesorgt hat, daß wirfür dieses Vorhaben auch die notwendige Mehrheit imBundesrat bekommen werden.Mein Dank gilt schließlich – das zu sagen ist mir eineHerzensangelegenheit; Sie werden verstehen, daß ichdas tue – meiner Parteifreundin, unserer stellvertreten-den Bundesvorsitzenden, der früheren Ausländerbeauf-tragten Cornelia Schmalz-Jacobsen. Ich hätte Ihnen,Frau Schmalz-Jacobsen, gegönnt – Sie sind freiwilligaus dem Mandat ausgeschieden –, daß Sie heute eineRede zu diesem erfolgreichen Abschluß unseres Vorha-bens hätten halten können. Herzlichen Dank!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, dieses Gesetz ist vor allem einSignal an die jungen Menschen, die in unserem Landegeboren sind und hier aufwachsen. Es ist ein Signal, daßsie dazugehören, daß sie Teil unserer Gesellschaft sind.Dieses Signal wird von einer großen Mehrheit der deut-schen Bevölkerung nicht nur verstanden, sondern auchgewollt.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Siehaben zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts fünfMillionen Unterschriften gesammelt, hier eingebrachtund sie zum Beleg dafür erhoben, dieser Gesetzentwurfsei nicht von der Mehrheit der Bevölkerung gedeckt. Ichmöchte Ihnen ausdrücklich widersprechen: Der rotgrüneDoppelpaß ist vom Tisch. Dagegen haben Sie Unter-schriften gesammelt.
Der vorliegende Gesetzentwurf wird von zwei Drittelnder Bevölkerung – das besagen alle Untersuchungen –unterstützt, weil wir eben nicht den Doppelpaß zumNulltarif an alle geben, sondern festlegen: Die ausländi-schen Kinder, die in Deutschland geboren werden,sollten integriert aufwachsen, sollten mit einem inländi-schen Bewußtsein und nicht mit einer ausländischenIdentität aufwachsen, weil wir die Gettoisierung in denStädten nur verhindern können, wenn wir die Gettoisie-rung in den Köpfen dieser Kinder rechtzeitig bekämp-fen.
Ekin Deligöz
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3434 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
(C)
Die doppelte Staatsangehörigkeit, wie sie von rot-grün ursprünglich beabsichtigt war, ist vom Tisch. DieRegierung hat diese Pläne zurückgezogen. Wir freuenuns, daß wir jetzt eine Linie der Vernunft haben. Diehier geborenen Kinder sollen hier Deutsch lernen unddie deutsche Kultur erleben. Sie sollen aber auch dieChancen durch den deutschen Paß bekommen.Das Staatsangehörigkeitsrecht ersetzt nicht die Inte-gration, aber es ergänzt sie. Das muß in diesem Hausklar gesagt werden.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Marschewski?
Bitte sehr.
Bitte sehr, Herr
Kollege.
Herr Kollege
Westerwelle, Sie sprachen von der Integration. Können
Sie mir sagen, warum Sie in dem Antrag kein Wort über
die Integration verloren haben?
Ich habe eine zweite Frage. Sie sagen wider besseres
Wissen, der Doppelpaß sei vom Tisch. Können Sie be-
stätigen, daß Sie bei Flüchtlingen, bei Leuten, die wirt-
schaftliche Nachteile erleiden würden, oder bei EU-
Ausländern so viele Ausnahmen gemacht haben, daß
über 1 Million Menschen in Deutschland den Doppelpaß
nach Ihrem Gesetzentwurf mühelos erwerben können?
Ich fange mit Ihrer
ersten Frage an. Verehrter Herr Kollege, wir haben auch
in der letzten Legislaturperiode immer fair zusammen-
gearbeitet. Deswegen möchte ich Sie doch bitten, fol-
gendes nicht zu übersehen: Natürlich sind in diesem Ge-
setzentwurf auch wichtige Integrationspunkte enthalten,
zum Beispiel das Erlernen der deutschen Sprache. Es ist
etwas Neues, daß wir das in das Staatsangehörigkeits-
recht aufnehmen.
Ich habe aus den Reihen der Union – auch im Innen-
ausschuß – gehört, es sei Ihnen zu unpräzise, daß wir
von ausreichenden Sprachkenntnissen gesprochen ha-
ben.
Ich bin der Meinung, der Gesetzgeber kann in derartigen
Fragen nur mit unbestimmten Rechtsbegriffen arbeiten.
Deswegen wird man auch auf die Verwaltungspraxis
Rücksicht nehmen und sich darauf einstellen müssen.
Sie haben das kritisiert und deshalb möchte ich Ihnen
§ 7 Ihres eigenen Gesetzentwurfs, der auch heute bera-
ten wird, vortragen. Da heißt es in Abs. 1 Ziffer 2:
erkennbar in die Lebensverhältnisse der Bundesre-
publik Deutschland eingeordnet sind, insbesondere
ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache …
nachweisen,
Deswegen sind wir in dieser Sache überhaupt nicht aus-
einander.
– Das haben Sie sehr wohl gefragt.
– Nein, Herr Kollege Marschewski, ich habe verfolgt,
wie Sie das machen. Ich antworte jetzt auch gleich auf
die zweite Frage, die Sie gestellt haben. Es ist doch so,
daß Sie bei Ihren Fragen ins Schwimmen geraten.
Sie schwimmen maßlos, weil Sie genau wissen, daß ein
großer Teil der Union genauso denkt und diesem Ge-
setzentwurf am liebsten zustimmen würde und die Ent-
haltung lediglich aus dem Gruppendruck der Fraktion
heraus wählt.
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage?
Nein, Frau Präsi-
dentin, ich muß zunächst die zweite Frage des Kollegen
Marschewski beantworten.
Sie haben gesagt, es gebe noch den Doppelpaß. Dazu
möchte ich Ihnen den Partei- und Fraktionsvorsitzenden
der CDU zitieren. Wolfgang Schäuble hat es in dieser
Woche im Plenum des Deutschen Bundestags als einen
Erfolg der Union gefeiert, daß der Doppelpaß wegen Ih-
rer Kampagne und des Wahlergebnisses in Hessen vom
Tisch sei. Herr Schäuble hat hier gesagt: Auf Grund der
Tatsache, daß 5 Millionen Menschen Ihr Vorhaben der
regelmäßigen doppelten Staatsangehörigkeit abgelehnt
haben, haben Sie dieses Vorhaben Gott sei Dank aufge-
geben. Das ist unser Erfolg, und den lassen wir uns nicht
kleinreden. – Sie sind doch selbst der Meinung, der
Doppelpaß ist vom Tisch. Wehren Sie sich doch nicht
weiter gegen Popanz von gestern, stimmen Sie heute zu!
Herr Marschewski
möchte eine weitere Frage stellen. Danach möchte Herr
Schily eine Frage stellen, lassen Sie die auch zu?
Ja.
Herr KollegeWesterwelle, richtig ist, daß Sie uns gefolgt sind undden generellen Doppelpaß abgeschafft haben. WiesoDr. Guido Westerwelle
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3435
(C)
(D)
aber kommen Sie dazu zu verneinen – ich stelle die Fra-ge noch einmal –, daß im Gesetzentwurf steht, daß über1 Million Ausländer den Doppelpaß kostenlos ohneweiteres erwerben können? Damit führen Sie den Dop-pelpaß indirekt durch die Hintertür ein, Herr Wester-welle.
Nein, ich muß Sie
noch einmal auf etwas aufmerksam machen – vielleicht
kommen wir dann ja weiter –: Das, was wir an unzu-
mutbaren Härtefällen, in denen wir unter bestimmten
Bedingungen den Doppelpaß akzeptieren, in den Ge-
setzentwurf aufgenommen haben, ist bereits geltende
Rechtslage.
– Da Sie jetzt sagen, das sei falsch, möchte ich – etwas
anderes macht doch wenig Sinn; wir sind doch beide
vom Fach – etwas zitieren, denn ein Blick ins Gesetz
erleichtert die Rechtsfindung!
Ich habe hier eine schöne kleine dtv-Ausgabe „Auslän-
derrecht“ aus dem Hause Beck, die jedermann im ersten
Semester Jura bekommt.
– Das ist aber keine alte Ausgabe, sondern eine ganz
neue. So schlecht, daß wir uns das nicht leisten könnten,
steht es um die Finanzen der F.D.P. noch nicht.
Ich zitiere aus den Einbürgerungsrichtlinien 5.3.3.:
Ausnahmen
– gemeint sind Ausnahmen von dem Prinzip der Ver-
meidung der Mehrstaatigkeit –
können in Betracht kommen, wenn vorrangige Ge-
sichtspunkte es erfordern, daß das rechtspolitische
Ordnungsprinzip, Mehrstaatigkeit zu vermeiden,
zurücktritt,
und
– jetzt kommt es –
wenn die Versagung der Einbürgerung eine unzu-
mutbare Härte darstellen würde.
Im weiteren finden Sie in den Einbürgerungsrichtlinien
dann die gesamten einzelnen Ziffern, die Sie jetzt auch
bei uns im Gesetzentwurf finden.
Zum Beispiel finden Sie dort bereits das, was von Ihnen
kritisiert worden ist:
Danach kommen Ausnahmen vom Einbürgerungs-
hindernis eintretender Mehrstaatigkeit in Betracht,
wenn
– jetzt kommt Ziffer 5.3.3.4. –
der Einbürgerung älterer Personen ausschließlich
das Hindernis eintretender Mehrstaatigkeit entge-
gensteht, die Entlassung auf unverhältnismäßige
Schwierigkeiten stößt und die Versagung der Ein-
bürgerung eine besondere Härte darstellen würde.
Das ist nahezu wörtlich das, was wir in unserem Ent-
wurf haben.
Sie erwecken den Eindruck, wir würden mehr Doppel-
pässe zulassen. Dieser Eindruck ist falsch.
Wir bleiben dabei: Das Prinzip der Vermeidung der
Mehrstaatigkeit wird nicht in Frage gestellt.
Übrigens hat sich auch der Bundesinnenminister expres-
sis verbis so geäußert.
Und nun kommt
eine Zwischenfrage des Kollegen Schily, bitte sehr.
Ich kann Ihnen die
ganzen Einbürgerungsrichtlinien vorlesen!
Wir können auch
noch ein Seminar veranstalten; das wäre sicher hochin-
teressant. Aber im Moment hat Herr Schily eine Frage,
bitte sehr!
Herr Kollege Westerwelle,
könnten Sie dem Haus mitteilen, in wieviel Prozent der
Fälle die Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung unter
dem geltenden Recht hingenommen worden ist?
Nein, das kann ichaus dem Kopf nicht. Können Sie es? Sie sind derMinister.
Erwin Marschewski
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3436 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
(C)
Können Sie bestätigen, daß im
Jahre 1995 Mehrstaatigkeit in etwa 34 Prozent der Fälle
hingenommen worden ist?
Vielen Dank für
die weiterführende Zwischenfrage.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, aus der Sicht der Freien Demo-
kraten und aus der Sicht der Antragsteller sollen die
Kinder nicht mit einem ausländischen Bewußtsein auf-
wachsen, sondern von Anfang an wissen, daß sie Teil
unserer Gesellschaft sind.
Wir wollen sie eben nicht erst künstlich von ihren Al-
tersgenossen abgrenzen, um sie anschließend mit gro-
ßem Aufwand und ungewissen Erfolgsaussichten wieder
integrieren zu müssen.
Die Aussaat von Haß, Gewalt, Fanatismus und Extre-
mismus
fällt dort auf besonders fruchtbaren Boden, wo sich Ju-
gendliche ausgegrenzt und benachteiligt fühlen.
Wer verhindern will, daß die nächste Generation der in
Deutschland geborenen Kinder unter den Einfluß aus-
ländischer Fanatiker gerät, der muß sie so bald und so
weit wie möglich integrieren – durch die Vermittlung
unserer Kultur und der deutschen Sprache, aber eben
auch durch den deutschen Paß.
Deswegen bin ich der Meinung, daß unsere Regelung
ein wesentlicher Fortschritt ist. Der Spruch „Es ist ein
wirklich großer Wurf!“ paßt. Wer nämlich die in
Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern
nicht vernünftig integriert, riskiert große soziale Verwer-
fungen in den nächsten Jahren. Was wir heute beschlie-
ßen, liegt im nationalen Interesse der deutschen Gesell-
schaft.
Was wir heute nicht tun, werden wir in wenigen Jahren
mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlen haben.
Der Desintegration jugendlicher Ausländer, die sich
in einer als feindselig empfundenen Umwelt selbst get-
toisieren, muß entgegengewirkt werden. Darum geht es.
Deshalb wollen wir den hier geborenen Kindern mit der
Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkennen.
Und weil sie sich eben als Minderjährige noch nicht
selbst entscheiden können, nehmen wir für diese Zeit
eine doppelte Staatsangehörigkeit, selbstverständlich
begrenzt, in Kauf; wenn sie dann volljährig sind, können
sie sich entscheiden, und dann müssen sie sich entschei-
den. Damit macht die Gesellschaft ein Integrationsange-
bot, aber sie verlangt von den jungen Erwachsenen auch,
daß sie sich bewußt für die Integration entscheiden.
Das heißt: Dem Integrationsangebot des Staates muß
eine aktive Integrationsentscheidung für diesen Staat
folgen.
Das gilt auch für das Angebot an die erwachsenen
Einbürgerungswilligen. Wer Deutscher werden möchte,
soll sich durch die Aufgabe seiner bisherigen Staatsan-
gehörigkeit zu unserem Land bekennen. Der deutsche
Paß ist nämlich nicht irgendein Papier, das man gerne
zusätzlich in Empfang nimmt, sondern setzt eine be-
wußte Hinwendung zum deutschen Staat voraus. Des-
halb verlangen wir von dem einbürgerungswilligen
Ausländer grundsätzlich die Aufgabe seiner bisherigen
Staatsangehörigkeit. Das gilt auch für diejenigen, die be-
reits lange in Deutschland leben. Hier gibt es einen Dis-
sens, Herr Kollege Özdemir, zu dem, was Sie weiterge-
hend gewollt haben, was wir aber nicht akzeptieren
wollten.
Ich will Ihnen das aus meiner Sicht nochmals be-
gründen; Sie kennen meine Meinung dazu, wir haben oft
genug darüber gesprochen. Wenn jemand 20, 30 Jahre in
Deutschland lebt, dann kennt er das Land, und ich mei-
ne, dann ist ihm auch eine bewußte Entscheidung für das
Land, in dem er lebt, zuzumuten.
Das unterscheidet ihn von den Nichtvolljährigen und
den Kindern.
Diese Haltung wird übrigens von vielen ehemals
ausländischen Mitbürgern geteilt, die sich unter Aufgabe
ihrer früheren Staatsangehörigkeit haben einbürgern las-
sen. Viele Erwachsene haben sich unter Aufgabe ihrer
alten Staatsangehörigkeit einbürgern lassen, und sie sind
genau diejenigen, die schreiben: Wir konnten das; war-
um verlangt ihr das nicht auch von den anderen? Das ist
zumutbar, und es ist sinnvoll im Interesse einer Integra-
tionspolitik für unser Land.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage?
Selbstverständ-
lich, gern.
Bitte sehr, HerrKollege.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3437
(C)
(D)
Herr
Kollege Westerwelle, nur eine kurze Zwischenfrage,
weil ich die Debatte jetzt nicht weiter ausdehnen möch-
te. Ein Beispiel aus einer Veranstaltung, die ich vor kur-
zem hatte: Ein älterer Bürger, ungefähr 60 Jahre alt, tür-
kischer Herkunft, lebt hier seit Anfang der 60er Jahre,
hat sich noch nie etwas zuschulden kommen lassen, ist
hier, so würden wir sagen, bestens integriert. Ich halte
einen Vortrag, versuche, unser Staatsangehörigkeitsrecht
zu begründen. Dann kommt dieser Bürger zu mir und
sagt: „Ich lebe hier. Ich möchte mich einbürgern lassen.
Aber kannst du mir wirklich garantieren, daß, wenn ich
eines Tages mit deutschem Paß sterbe, ich aber in der
Türkei beerdigt werden möchte, weil dort meine Vorfah-
ren schon immer gelebt haben, dies auch wirklich mög-
lich ist?“ Und er sagt zu mir: „Ich möchte den türki-
schen Paß behalten, damit ich diese Garantie habe.“ –
Wir können das Beispiel auch mit einer anderen Staats-
angehörigkeit bilden. – Diesem Mann geht es nicht dar-
um, doppeltes Wahlrecht zu haben, und dem geht es
ganz offensichtlich auch nicht um irgendwelche sonsti-
gen Vorteile, sondern es geht um ganz menschliche
Dinge. Wieso würde uns ein Zacken aus der Krone fal-
len, wenn wir in diesen Fällen großzügig wären, für ei-
nen abgeschlossenen Kreis von Leuten, die bis 1973
über die Anwerbeabkommen zu uns gekommen sind?
Ich glaube nicht,
daß es hier um einen Zacken aus der Krone geht, son-
dern es geht hier darum, ob wir politisch wollen, daß
diejenigen, die lange in Deutschland leben, sich auch
bewußt für das Land entscheiden, in dem sie leben. Ich
kann bei einem jungen Menschen, bei einem Nichtvoll-
jährigen keine Entscheidung verlangen, wohl aber von
einem Erwachsenen, erst recht, wenn er 20, 30 Jahre in
Deutschland lebt. Von ihm kann ich, weil er unser Land
kennt, erwarten, daß er sich für eine Staatsangehörigkeit
entscheidet. Wir haben da einen unterschiedlichen
Denkansatz: Für Sie ist Integrationspolitik nur das Inte-
grationsangebot des Staates, für uns ist Integrationspoli-
tik das Integrationsangebot des Staates und die Annah-
meentscheidung der Betroffenen.
Wir halten also am Grundsatz der Vermeidung von
Mehrfachstaatsangehörigkeit klar und eindeutig fest. Be-
reits bisher war es in Ausnahmefällen möglich, bei der
Einbürgerung die ausländische Staatsangehörigkeit bei-
zubehalten.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage der Kollegin?
Ja.
Ich
möchte eine Frage zu dem stellen, was Sie über Angebot
und „Nachfrage“, also Annahme gesagt haben. Men-
schen, die zunächst 2 000 oder 3 000 Kilometer entfernt
gelebt haben und dann zu uns gekommen sind, haben
schon eine gewisse Integrationsleistung erbracht, wenn
sie 20 oder 30 Jahre bei uns leben. Stimmen Sie mir zu,
daß von staatlicher Seite bisher noch viel zuwenig un-
ternommen worden ist, diesen Menschen in Sachen In-
tegration ein Angebot zu unterbreiten?
Das steht aufeinem anderen Blatt. Hier möchte ich Ihnen, Frau Kol-legin, überhaupt nichts vormachen: Das, was heute be-schlossen werden soll, haben wir jahrelang innerhalb deralten Koalition diskutiert. Herr Kollege Schily hat invielen Punkten recht, aber mit diesem Hinweis hat er be-sonders recht. Ich habe in der letzten Legislaturperiode,als wir selber Regierungspartei waren, die Verhandlun-gen mit unserem Koalitionspartner über die Reform desStaatsangehörigkeitsrechts führen dürfen. Die Verhand-lungen sind an einer Person gescheitert, an einem Mann,den ich hoch achte, aber dessen Meinung ich in dieserFrage nicht teile, nämlich an dem damaligen Bundesin-nenminister. Ich kann Ihnen, liebe Kolleginnen undKollegen von der Union, nur sagen: Wir hätten uns inder letzten Legislaturperiode besser auf das verständigt,was heute vorliegt!
Ich möchte noch einen weiteren Gedanken in die De-batte einbringen. Wenn ein ausländischer Staat jeman-dem die Entlassung aus seiner Staatsangehörigkeitverweigert oder unzumutbar erschwert, dann muß eineEinbürgerung nach unserem Recht dennoch möglichsein. Die Zahl der Ausnahmefälle wird durch unser Ge-setz nicht ausgedehnt. Die Regelung der Ausnahmefällewird lediglich flexibler gestaltet, damit die Härtefälleangemessen gelöst werden können.Ich möchte Ihnen über einen Fall aus der Praxis be-richten, über einen der ersten Prozesse, den ich als jun-ger zugelassener Anwalt Anfang der 90er Jahre geführthabe – ich weiß, daß viele Anwaltskolleginnen und-kollegen ähnliche Prozesse geführt haben –: Damalskam ein junger serbischer Kfz-Lehrling in meine Kanz-lei. Er sprach mit seinen 19 Jahren Pfälzer-Dialekt. Ersetzte sich vor mir an den Schreibtisch und sagte: „Ichmöchte gerne Deutscher werden.“ Auch heute noch er-leben wir, daß bestimmte Länder – aus Vorstellungenheraus, die wir hier in Mitteleuropa nicht akzeptierenkönnen – ihre Staatsbürger nicht aus ihrer Staatsbürger-schaft entlassen oder nur unter Härten, die man wirklichniemandem zumuten kann.Im Falle dieses jungen Serben war es so: Der serbi-sche Staat wollte junge wehrfähige Männer nicht aus derStaatsangehörigkeit entlassen. Deswegen sollte dieserjunge Mann allein für die Entgegennahme des Antragsauf Ausbürgerung eine Gebühr von über 10 000 DMzahlen. So einen Betrag kann ein Kfz-Lehrling nicht ein-fach aufbringen. Ich möchte, daß dieser junge Mann, derimmer in Deutschland gelebt hat und der den Dialektseiner Landsmannschaft in der Pfalz spricht, Deutscherwerden kann. Deshalb beschließen wir heute dieses Ge-setz.
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3438 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
(C)
Die Behauptung, durch das Gesetz werde die doppel-te Staatsangehörigkeit durch die Hintertür eingeführt,wird entweder bewußt falsch gebraucht oder zeugt vonUnkenntnis. Den Doppelpaß aus der rotgrünen Koaliti-onsvereinbarung gibt es mit diesem Gesetz nicht, wederoffen noch verdeckt, weder durch die Vorder- nochdurch die Hintertür. Deswegen sage ich Ihnen ganzoffen: Wir haben vielleicht eine unterschiedliche Auf-fassung über die Unterschriftenkampagne. Aber ich fän-de es großartig, wenn Sie nach dieser Debatte Ihre Un-terschriftenkampagne einfach einstellen würden. Sie hatsich zeitlich und durch den heutigen Beschluß erledigt.
Ich respektiere, daß Sie Unterschriften gesammelt ha-ben. Ich habe nie kritisiert, wenn jemand seine Unter-schrift unter ein Vorhaben setzt. Aber bitte kämpfen Sienicht gegen etwas, das ad acta gelegt worden ist!Im Gegensatz zum bisherigen Recht setzt das neueEinbürgerungsrecht zusätzlich ausreichende Kenntnis-se der deutschen Sprache und auch ein Bekenntniszum Grundgesetz voraus. Darüber ist in der Debatteüberhaupt noch nicht gesprochen worden. Es ist einewesentliche Änderung gegenüber der bisherigenRechtslage, die aus meiner Sicht von Ihnen geteilt wer-den müßte; denn Sie selber haben solche Vorschläge inder Debatte und auch in Ihrem Antrag gemacht.Es wird eine Schutzklausel geben, mit der die Ein-bürgerung von extremistischen Ausländern ausgeschlos-sen ist. Dies zeigt, daß alle Vorwürfe, die deutscheStaatsangehörigkeit könne jetzt zum Nulltarif erworbenwerden oder extremistische Bombenleger könnten nachdem Gesetz den deutschen Paß erhalten, gegenstandslos,unhaltbar und eigentlich nur parteipolitische, kleinka-rierte Propaganda sind.
Sie sind ebenso politisch motiviert wie die Behaup-tung, das Gesetz sei verfassungswidrig. Anders als Sie,Herr Kollege Rüttgers, habe ich die Anhörung von mor-gens bis abends verfolgt. Seien Sie mir nicht böse, wennich Ihnen sage: Diese Anhörung war für Ihre Position,der Gesetzentwurf sei mit dem Grundgesetz nicht ver-einbar, ein absolutes Waterloo.
Ihre Position ist ernstzunehmend überhaupt nicht mehrvertreten worden. Wen wundert es auch? Schließlichdürfen wir nicht nur Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG lesen,sondern müssen auch Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG lesen.Die Zweifel an der Verfassungswidrigkeit sind ausge-räumt; sofern sie überhaupt jemals ernsthaft bestandenhaben.Wir haben eine Menge Anregungen der Sachverstän-digen aufgenommen – das ist doch der Sinn von Sach-verständigenanhörungen –, und wir haben diese Anre-gungen eingearbeitet. Übrigens, im Innenausschuß hates auch einen Änderungsantrag der Union zur Verwal-tungspraxis gegeben. Anfänglich waren wir andererMeinung; aber Sie haben uns in der Debatte überzeugt.Die Mehrheit der Unterzeichner dieses Gruppenantrageshat diesem Änderungsantrag der Union zugestimmt.Sie haben sich an den Beratungen vollständig beteili-gen können. Deswegen akzeptieren wir als Oppositions-partei den Vorwurf gar nicht ernsthaft, der Gesetzent-wurf sei von einer Mehrheit durchgepeitscht worden. Eswurde nichts durchgepeitscht, sondern es wurde seriösund sachlich beraten.
Alle Argumente für und wider eine solche Reform sindlängst x-fach ausgetauscht worden. Der Gesetzentwurfliegt lange genug vor. Er wurde ausführlich beraten.Ich selber habe gerade in den letzten Monaten mitvielen Kolleginnen und Kollegen aus der Union, übri-gens auch aus ihrer Spitze, das Gespräch gesucht – ichwill keine Namen nennen –, aber es war keine Verstän-digung möglich. Eines sage ich Ihnen ganz klar: Werjetzt eine Aussetzung oder eine Verschiebung der Be-ratungen fordert, der will in Wahrheit die überfälligeReform zugunsten der hier geborenen Kinder auf denSankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Wir wollen dasnicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Union, lei-der ist von Ihnen ein unzulässiger Zusammenhang zwi-schen der Reform und den traurigen Ereignissen im Ko-sovo hergestellt worden. Dazu stelle ich klar: Zwischenbeiden Ereignissen besteht nicht der geringste sachlicheZusammenhang. Die Ereignisse im Kosovo können kei-ne Verschleppung, kein Hinhalten, kein Verzögern undkein Verschieben rechtfertigen. Die Zeit ist überreif.
Jahrelang haben wir gerungen. In der Regierung habenwir es nicht hinbekommen, weil wir uns nicht einig wur-den. Sie werden verstehen, daß die F.D.P. zu dem steht,was sie in ihrem Wahlprogramm den Wählerinnen undWählern angeboten hat. Daß wir erst in die Oppositionmußten, um das Optionsmodell durchzusetzen, ist wirklichein bitterer Nebengeschmack der ganzen Diskussion.
Für die Zukunft möchte ich sagen: Wenn der bayeri-sche Ministerpräsident Stoiber wörtlich verkündet:„Wenn wir wieder die Regierung übernehmen, dannwird dieses Gesetz keinen Bestand haben“, dann möchteich Ihnen von der CSU und dem geehrten Herrn Stoibersagen: Sie müssen schon mit der absoluten Mehrheit imDeutschen Bundestag rechnen; denn die F.D.P. hält andem, was hier vereinbart worden ist, fest. Nicht nachhinten, nicht erweitern – das ist der goldene Mittelweg,den wir hier vereinbart haben. Dabei bleibt es.
Dr. Guido Westerwelle
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3439
(C)
(D)
– Herr Kollege Beckstein, ich habe den Zwischenruf vonder Bundesratsbank gehört. Ich will Ihnen dazu nur sa-gen: Ich verstehe, daß Sie sich aufregen. Sie haben die-ses Gesetz nie gewollt; das akzeptiere ich. Aber wir ha-ben Sie in der alten Koalition zu keiner Stunde darüberim unklaren gelassen, daß wir dieses Optionsmodell zu-gunsten der hier geborenen Kinder wollen. Sie könnenuns wirklich keinen Verrat, mangelnde Treue oder man-gelnde Loyalität vorwerfen, wenn wir genau das tun,was wir unseren Wählerinnen und Wählern bei der Bun-destagswahl versprochen haben.
Ich apelliere an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegenvon der Union, daß Sie noch einmal darüber nachden-ken. Ich freue mich sehr darüber und will es gar nichtkleinreden, daß sich so viele von Ihnen enthalten wer-den. Ich weiß, wie schwer diese Entscheidung ist. DieSpitzen, die aus den Reihen der Grünen und der SPDkamen, weil sich jetzt über 20 Abgeordnete enthaltenund dem Gesetz nicht zustimmen werden, halte ich nichtfür ganz ehrlich. Schauen Sie einmal, wie viele bei Ih-nen in bezug auf die 630-Mark-Verhältnisse eine andereMeinung als die Regierung haben. Trotzdem stimmenSie nicht so ab, wie Sie es wollen. Sich zu enthalten istschon ganz ordentlich und respektabel, auch wenn Zu-stimmen schöner wäre.
Besser als unser früherer Kollege Horst Eylmannkann man es nicht beschreiben. Er hat in der letztenWahlperiode gesagt: Die Verleihung der deutschenStaatsbürgerschaft ist selbstverständlich keine Garantiefür eine reibungslose Integration. Sie kann nur ein Mittelunter vielen sein, die Eingliederung zu erleichtern. Sieist die ausgestreckte Hand, die den bei uns mit einemgesicherten Aufenthaltsstatus lebenden Ausländern si-gnalisieren soll: Ihr seid uns willkommen; übernehmtmit uns gemeinsam Verantwortung für dieses Land, indem Ihr Euch zu leben entschlossen habt. – Das ist einesehr weise und präzise Beschreibung des früheren CDU-Abgeordneten Horst Eylmann.Ich apelliere an Sie: Lassen Sie uns heute dieses Ge-setz beschließen. Es geht um die Kinder von Eltern, diehier seit Jahren rechtmäßig leben. Diese Kinder solltenmit einem deutschen inländischen Bewußtsein großwerden. Sie sprechen unsere Sprache; die Sprache ihrerEltern sprechen sie allenfalls mit einem deutschen Ak-zent. Diese Kinder gehören zu uns. Sie sollen mit unsaufwachsen. Sie sind wertvolle Staatsbürgerinnen undStaatsbürger. Diesem Ziel dient dieses Gesetz.
Nun erteile ich zu
einer Kurzintervention dem Kollegen Röttgen das Wort.
Herr Kollege We-sterwelle, Sie haben die Gruppe, für die Peter Altmaiereben erklärt hat, daß sie sich der Stimme enthält, aufge-fordert, doch dem Gesetz zuzustimmen. In Ihrer Redehaben Sie auch gesagt, daß diejenigen, die sich enthal-ten, dann, wenn sie so abstimmen würden, wie es ihrerMeinung entspricht, am liebsten zustimmen würden.Weil dieses noch einmal behauptet worden ist, obwohlder Kollege Altmaier dargelegt hat, daß die Stimment-haltung unserer Auffassung entspricht, will ich Ihnennoch einmal ganz nüchtern die Punkte darlegen, warumeine Stimmenthaltung unsere Auffassung widerspiegeltund wir uns dabei nicht verbiegen.Von der Position, die wir seit Jahren vertreten habenund die auch in dieser Debatte formuliert worden ist,haben wir nichts zurückzunehmen. Von unseren Äuße-rungen sowohl über die gesellschaftliche Bedeutung unddie ethische Dimension der Integration als auch über dieBedeutung der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtsfür das Anliegen der Integration nehmen wir keine Silbeund keine Formulierung zurück. Dieses bleibt unserePosition; wir treten weiterhin für sie ein.Der erste Grund für die Stimmenthaltung ist unsereAuffassung, daß das Modell, das auch wir vertreten, imvorliegenden Gesetzentwurf eine schlechte inhaltlicheund technische Ausführung erhält. Wir sind in dieserAuffassung durch die Sachverständigenanhörung desInnenausschusses bestätigt worden. Ich habe daran teil-genommen; es gab keinen Sachverständigen, der diesemGesetzentwurf uneingeschränkt zugestimmt bzw. gesagthat, daß dieses Gesetz ein gutes Gesetz sei.
Das ist das Ergebnis der Sachverständigenanhörung. Ichwill es nicht im einzelnen aufführen.Zweitens hat es im anschließenden parlamentarischenVerfahren keine Möglichkeit gegeben, diese konkret be-nannten Mängel in der Sachverständigenanhörung zubeheben, sondern der Gesetzentwurf ist in den anschlie-ßenden Ausschußberatungen – das ist gar keine Pole-mik, sondern eine ganz nüchterne Bemerkung – durch-gepeitscht worden, was dazu geführt hat, daß die Mit-glieder der CDU/CSU-Fraktion im Rechtsausschuß er-klärt haben: Wir haben keine seriösen Beratungsunterla-gen vorliegen. Uns war nämlich das Protokoll der Anhö-rung noch nicht zugegangen, und die Änderungsanträgewurden eingereicht, als wir in Berlin waren. Es hat keineangemessene seriöse Möglichkeit gegeben, auf diesachliche Kritik der Sachverständigen einzugehen unddas Gesetz zu verbessern. Das ist der zweite Punkt.Der dritte Punkt – Peter Altmaier hat ihn schon ange-sprochen –: Es hat ein klares, öffentlich verbindlichesAngebot des Fraktionsvorsitzenden während der Er-öffnungssitzung im Reichstag gegeben, sich zusammen-zusetzen und einen Konsens herbeizuführen.
Es hat einen Vorstoß der großen Koalition in Bremengegeben, auf dieser Grundlage zu verhandeln. Von IhrerSeite gab es eine Konsensverweigerung. Das ist eineganz nüchterne Feststellung.Der Vertreter der evangelischen Kirche, der als Sach-verständiger gehört wurde, hat an die Koalitionsfrak-Dr. Guido Westerwelle
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3440 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
(C)
tionen und die F.D.P. appelliert, einen Konsens herbei-zuführen. Ich bestreite ja nicht, daß es in der letzten Le-gislaturperiode auch bei uns daran gemangelt hat. Dashaben wir immer kritisiert, und das kritisiere ich auchheute noch.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Sie haben recht. –
Leider war diese Konsensverweigerung auf beiden Sei-
ten zu beklagen.
Der letzte Punkt ist: Es fehlt an einem Integrations-
konzept. Deshalb können wir diesem Gesetzentwurf aus
inhaltlichen Gründen nicht zustimmen.
Nun darf Herr We-
sterwelle darauf antworten. Bitte sehr.
Frau Präsidentin!
Lieber Herr Kollege, ich darf noch einmal ausdrücklich
sagen: Ich freue mich ehrlich darüber – das sage ich oh-
ne jede Ironie –, daß Sie sich entschieden haben, im
Parlament das Wort zu ergreifen, wie es Herr Kollege
Altmaier schon vorhin getan hat, und hier zu erklären,
daß Sie zu dem stehen, was Sie immer gesagt haben. Ich
weiß, daß dies nicht einfach ist, was jeder hier im Hause
bestätigen kann. Ich finde es hervorragend, daß Sie dazu
den Mut hatten.
Ich will nicht inhaltlich auf Ihren Beitrag antworten.
Dazu habe ich in meiner Rede Stellung genommen. Ich
möchte aber auf einen Punkt hinweisen: Die Kirchen
können Sie als Kronzeugen wirklich nicht für sich in
Anspruch nehmen.
– Nein, die Kirchen können Sie nicht als Kronzeugen in
Anspruch nehmen. Sie haben sich nämlich sowohl zu Ih-
rer Kampagne als auch zu dem vorliegenden Integrati-
onskonzept unmißverständlich geäußert.
Der zweite Punkt. In einer Anhörung mit Sachver-
ständigen ist es doch selbstverständlich, daß jeder
Sachverständige etwas findet, wie man das Gesetz noch
besser machen könnte. Ob das Gesetz dadurch wirklich
besser werden würde, müssen wir als Parlamentarierin-
nen und Parlamentarier entscheiden. In dieser Anhörung
gab es bei der Beurteilung des Gesetzentwurfs einen
Grundtenor: verfassungskonform und von der Richtung
her sinnvoll. Natürlich gab es da und dort andere Vor-
stellungen, was das Normalste von der Welt ist.
Jeder von uns, der einen solch langen Gesetzentwurf
liest, findet natürlich hier und da etwas, warum er dem
Gesetz vielleicht doch nicht zustimmen kann. Offen ge-
standen: Das Spiel kenne ich noch aus der letzten
Legislaturperiode, als wir auf der Mehrheitsseite dieses
Hauses saßen. Selbst wenn von Ihnen gestellte Anträge
Parteitagsbeschlüsse der F.D.P. enthielten, damit wir ih-
nen zustimmen sollten, habe ich immer lange nachge-
schaut, ob ich nicht irgendwo einen Spiegelstrich finde,
der mich nicht hundertprozentig zufriedenstellt. Ich habe
immer einen kleinen Fehler gefunden, so daß wir diese
Anträge ablehnen konnten.
Hier geht es nicht um Parteipolitik, sondern hier geht
es um eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Re-
formen unserer Zeit.
Nun hat das Wort
die Kollegin Ulla Jelpke, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Die PDS ist der Meinung, daß der heutevorliegende Gesetzentwurf trotz einzelner löblicher An-sätze, die in die richtige Richtung gehen, nicht geeignetfür ein modernes und demokratisches Staatsbürger-schaftsrecht ist. Er ist allenfalls ein halbherziges Re-förmchen, in das neue Rückwärtsgänge in manchen Pa-ragraphen eingebaut sind.Es ist richtig, wie hier schon gesagt wurde: Seit Jah-ren diskutiert dieses Parlament über eine Staatsbürger-schaftsreform. In diesem Zusammenhang möchte ichdaran erinnern, daß etwa 7 Millionen Migrantinnen undMigranten in Deutschland, die keinen deutschen Paß ha-ben, gehofft haben, daß ihre Situation auch mit diesemGesetz – ich sage bewußt: auch mit diesem Gesetz –endlich eine Veränderung erfährt, und der Zustand be-endet wird, häufig als Menschen zweiter oder dritterKlasse in diesem Land behandelt zu werden. Die PDSist zutiefst davon überzeugt, daß es wenig Sinn macht,Menschen, die hier seit Jahren arbeiten, ihre Steuernzahlen und ihre Kinder zur Schule schicken, dermaßenzu benachteiligen, wie es gegenwärtig geschieht.Erst vor wenigen Tagen haben wir die Kleine Anfra-ge an die neue Bundesregierung gestellt, durch welcheBundesgesetze, Bundesverordnungen und Bundesver-waltungsvorschriften Ausländerinnen und Ausländereinerseits und Deutsche andererseits unterschiedlich be-handelt werden. Die Bundesregierung hat uns darauf ge-antwortet – ich zitiere –:Eine Auflistung aller Normen des geltenden Bun-desrechts, die etwa im Bereich des Zivil-, Straf-,Verwaltungs-, Sozial- oder Steuerrechts unter-schiedliche Regelungen für Deutsche und Auslän-der enthalten, würde einen unverhältnismäßigenAufwand erfordern, der nicht zu vertreten ist.Dies macht deutlich, daß es vor allen Dingen darauf an-kommt, Menschen ausländischer Herkunft, die hier le-ben, den Deutschen gleichzustellen, ihnen die gleichenRechte zu geben. Nur so kann verhindert werden, daßAusländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismusin diesem Land weiter voranschreiten.
Norbert Röttgen
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Es ist heute viel Kritik geübt worden. Ich möchte aufeinen Punkt eingehen, den Herr Özdemir – auf eine Fra-ge an ihn hin – angesprochen hat. Vielleicht kann ichIhnen da helfen.Da dieses Gesetz nicht die Möglichkeit derMehrstaatigkeit eröffnen soll, was Sie, SPD und Grü-ne, allerdings vor den Wahlen versprochen haben, mußeinmal auf die Kritik der Migrantenverbände und-organisationen hingewiesen werden. Diese habendurchweg kritisiert, daß dieser Gesetzentwurf nicht weitgenug greift und daß durch die Verengung der Möglich-keit der Mehrstaatigkeit vor allen Dingen Türkinnen undTürken ausgegrenzt werden.
Herr Özdemir, Sie haben hier gesagt, daß insbesonde-re die Arbeitsmigranten, die vor 20 oder 30 Jahrennach Deutschland gekommen sind, berücksichtigt wer-den sollen. Natürlich kann derjenige, der türkischer Her-kunft ist und Deutscher werden will, die deutscheStaatsangehörigkeit bekommen. Aber der Härtefall wirdniemals eintreten, da beispielsweise die Erbschaftsrege-lungen längst zwischen Deutschland und der Türkei ge-troffen worden sind; sie behalten das Erbschaftsrecht.Von daher ist der Kreis derer, die die Mehrstaatigkeithaben werden, sehr eingegrenzt. Sie wissen aber dochbesser als ich, daß viele Menschen türkischer Herkunft,die hierhergekommen sind, ihre türkische Staatsbürger-schaft überhaupt nicht abgeben wollen. Das ist heuteauch schon einmal gesagt worden.Insofern haben Sie der CDU/CSU eigentlich ein An-gebot gemacht, das sie hätte annehmen müssen; denn ih-re einzige Angst – das haben wir heute gemerkt – ist,daß zu viele Menschen zwei Pässe haben könnten. Dashalte ich im Grunde genommen für heuchlerisch. DieseMöglichkeit ist nämlich mit diesem Gesetz ganz offen-sichtlich eingeschränkt worden.Daß es bei der Durchsetzung dieses Gesetzes Panikgegeben hat, ist unbestreitbar. Außer der PDS hat es inder Tat keine Partei für nötig befunden, Migrantenorga-nisationen und -verbände anzuhören. Es war Ihnen vorallen Dingen wichtig, Ihren Entwurf verfassungsdicht zubekommen. Ich denke aber, es wäre sehr wichtig gewe-sen, die Meinung der Migrantenverbände zu hören,insbesondere ihre Auffassung von Integration und Mög-lichkeiten, wie das Miteinander-Leben in diesem Landbesser und leichter gestaltet werden könnte.Wer sich aber einmal den Gesetzentwurf genau an-schaut, der sieht, daß er nicht nur inhaltlich in vieleneinzelnen Paragraphen mit der heißen Nadel gestricktwurde. Ich wundere mich, daß Sie es noch nicht einmalhinbekommen haben, eine sprachliche Überarbeitungvorzunehmen. So zum Beispiel können wir lesen: Deut-scher ist, wer die Staatsangehörigkeit in einem Bundes-staat – seit wann haben wir noch Bundesstaaten? – oderdie unmittelbare Reichsangehörigkeit besitzt. Wir findenauch Worte wie „Reichskanzler“, „Reichskasse“,„Reichsmilitärgesetz“. Ich meine, so viel Zeit hätte al-lemal sein müssen, um diesem Gesetz eine Fassung zugeben, die es lesbar macht. Offensichtlich aber soll derVerbleib dieser Worte daran erinnern, daß durch diesesGesetz eben keine grundsätzlichen Änderungen vorge-nommen werden.Damit bin ich beim nächsten Punkt: Im Gesetz gehtes auch um das Abstammungsprinzip, um das Bluts-recht. Man muß leider sagen, daß das in weiten Teilenerhalten bleibt und daß das Gesetz in dieser Hinsichtkeineswegs modern ist, wie es Herr Schily versucht hat,in seinem theoretischen Debattenbeitrag zum Ausdruckzu bringen.Ich möchte ein Beispiel nennen, das in diesem Hausebisher nicht zur Kenntnis genommen wurde. Das alteStaatsbürgerschaftsgesetz enthielt zum Beispiel die Re-gelung, daß Personen, die „in dem Gebiete des Deut-schen Reiches vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden“hatten oder Ehegatten oder Nachfahren solcher Men-schen waren, „auf Antrag“ eingebürgert wurden. DieseRegelung wird jetzt durch eine pauschale Überleitungersetzt, das heißt, diese Menschen werden, ohne daß siegefragt worden sind und ohne daß sie einen Antrag ge-stellt haben, pauschal zu deutschen Staatsangehörigenerklärt.Man muß sich das einfach einmal vor Augen halten:Mit dem heutigen Gesetz verweigern Sie auf der einenSeite Migrantinnen und Migranten die deutsche Staats-angehörigkeit, und auf der anderen Seite wird mit dieserpauschalen Überleitung Menschen, die in Polen oderanderen osteuropäischen Ländern leben, die deutscheStaatsangehörigkeit, ohne daß diese Menschen das über-haupt beantragt haben, geradezu aufgedrängt. Ich sagedas hier auch vor dem Hintergrund, daß uns polnischeund osteuropäische Organisationen angesprochen haben,die das nicht gerade für ein Zeichen guter Nachbarschafthalten. Denn sie wissen, daß das Debatten in Polen undanderen Ländern auslösen wird.In der letzten Debatte zu diesem Thema habe ichschon sehr deutlich gesagt, daß F.D.P., SPD und Grünehiermit ein Kompromißangebot an die CDU/CSU ge-macht haben. Ich verstehe die ganze Aufregung nicht,und ich verstehe auch nicht, warum die CDU/CSU die-sen Gesetzentwurf, der inhaltlich dem entspricht, was sie1994 in ihre Koalitionsvereinbarung hineingeschriebenhat, nicht mitträgt.Auch ich begrüße es sehr, wenn Sie Ihre Kampagne,die mit ausländerfeindlichen und rassistischen Inhaltengeführt wurde, endlich einstellen, nachdem dieser Ge-setzentwurf verabschiedet ist.Ich hoffe, daß wir in Zukunft über weitere Punkteauch an Hand der eingebrachten Änderungsanträge, diewir beispielsweise in diese Debatte eingebracht haben,diskutieren können. Dabei handelt es sich übrigensdurchgehend um Forderungen, die auch die Migranten-verbände gestellt haben. Ich will nur einige wenige kurznennen. Es geht zum einen darum, daß die Verleihungder doppelten Staatsbürgerschaft nicht zu erschweren ist,wie das die Regierung tut, sondern daß sie zu erleichternist. Die PDS hat außerdem ein eigenständiges Aufent-haltsrecht für Ehepartnerinnen und Ehepartnerausländischer Herkunft gefordert. Darüber hinaus ha-ben wir gefordert, daß die Fristen der Einbürgerung vonUlla Jelpke
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acht Jahren auf fünf Jahre verkürzt werden. Besonderswichtig ist für uns: Den neu eingeführten Paragraphen –eine Art Gesinnungs-TÜV –, der besagt, daß man ersteinmal auf die FDGO schwören muß, halten wir zwei-fellos für ein Einfallstor in Richtung Gesinnungsschnüf-felei. Meiner Meinung nach ist er völlig überflüssig.
Wir haben außerdem darauf hingewiesen, daß dieForderung, daß Menschen die deutsche Sprache ausrei-chend beherrschen müssen, undefiniert ist und daß daswahrscheinlich eine sehr hohe Hürde für die Einbürge-rung von Menschen darstellt. Ich meine insbesonderediejenigen, die aus der älteren Generation kommen.Wir finden besonders bei einer rotgrünen Regierungskandalös, daß sie die Gebühren für die Einbürgerungvon 100 DM auf 500 DM pro Person erhöhen möchte.Wenn wir uns überlegen, was das für eine Familie ko-sten würde, dann muß ich schon sagen: Das ist völligunverständlich.
Denken Sie an die
Zeit, Frau Kollegin.
Zum Schluß möchte ich Ihnen
mitteilen, daß sich der größte Teil meiner Fraktion ent-
halten wird. Wenige werden dagegen stimmen, und es
wird einige Stimmen dafür geben. Ich hoffe auf eine
weitere Diskussion unserer Änderungsanträge – sie wer-
den wir natürlich in anderer Form wieder einbringen –
und auf weitere Debatten über ein wirklich modernes,
demokratisches Staatsbürgerschaftsrecht.
Danke.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Michael Bürsch.
Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen!Ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger sindeine Bereicherung unserer Gesellschaft. Ihre Inte-gration ist nicht nur Notwendigkeit, sondern politi-sche Chance und Ziel unseres Wollens.
So begründet die CDU/CSU-Fraktion ihren eigenenAntrag zur Staatsangehörigkeit. Gerne mache ich mirdiese Argumentation am heutigen Tage zu eigen. Ge-nauso objektiv und sachbezogen läßt sich nämlich dieZielsetzung der Gesetzesvorlage beschreiben, über diewir heute abschließend entscheiden wollen.Leider hat sich die politische Auseinandersetzung inden vergangenen Wochen und Monaten auch hier imBundestag zu häufig durch den Austausch von Emotio-nen, von Vorurteilen und von Glaubensbekenntnissenausgezeichnet. Gerade das schwierige Thema Staatsan-gehörigkeit ist dafür, meine ich, denkbar ungeeignet.Am Ende dieses Gesetzgebungsverfahrens und imBlick auf die Zukunft kommt es jetzt auf eine Versach-lichung des Verfahrens an. Das will ich an dieser Stelleder Debatte versuchen. Ich will versuchen, die MaterieStaatsangehörigkeit nach objektiven Kriterien kurz zubeschreiben und deutlich zu machen, worum es im Kerngeht. Ich will mich auch bemühen, einige der vorgetra-genen Bedenken mit sachlichen Argumenten zu ent-kräften.Weiterhin werde ich auf die Vorschläge der Opposi-tion eingehen, um deutlich zu machen, daß wir uns na-türlich auch diesen Vorschlägen mit der gebotenen Sorg-falt und Ausführlichkeit gewidmet haben. Herr Rüttgers,seien Sie deshalb bitte nicht überrascht, daß ich michmit diesen Vorschlägen in der heutigen Debatte etwaslänger befasse, als Sie es getan haben. Sie haben sich of-fenbar auf andere Dinge konzentriert, die eher in dasFach Polemik und Regierungsbeschimpfung gefallensind.
Ziel der Reform der Staatsangehörigkeit ist es, denlange hier lebenden Ausländern und ihren Kindern durchrechtliche Gleichstellung und politische Teilhabe dieIntegration und Eingliederung in unsere Gesellschaft zuermöglichen. Das ist das Ziel – nicht mehr und nichtweniger. Dieses Ziel konnte von der früheren Bundesre-gierung nicht erreicht werden. Das ist die Tatsache.Eine Staatsangehörigkeit kann man grundsätzlich aufdrei Arten erwerben: durch Abstammung, nach demTerritorial- oder Geburtsortsprinzip – um den lateini-schen Begriff zu vermeiden –, das heißt durch Anknüp-fung an den Geburtsort, und schließlich durch Einbürge-rung.Für die Reformbemühungen zum Staatsangehörig-keitsrecht bestand in der Regierung wie auch in der Op-position schon länger Einigkeit darüber, daß die Fristenfür Anspruchseinbürgerungen verkürzt werden soll-ten.
Das geschieht jetzt auch.Einigkeit bestand seit vielen Jahren auch darüber, daßein entscheidender Reformansatz beim Geburtsorts-prinzip liegt, dessen Einführung in das deutsche Rechtdie Sozialdemokraten schon seit 86 Jahren fordern; ichhabe in der ersten Debatte darauf hingewiesen. DieF.D.P. und das Land Rheinland-Pfalz haben dazu schonin der letzten Legislaturperiode ein Optionsmodell vor-gelegt. Es wurde heute auch schon über die Initiative inder CDU vom Juni 1996 für ein zeitgemäßes Staatsan-gehörigkeitsrecht berichtet.Es ist auch noch erwähnenswert: Im August 1996unterbreitete eine Unionskommission einen Reformvor-schlag, der ebenfalls ein modifiziertes Geburtsortsprin-zip enthielt. Vorsitzender dieser Kommission – das istganz apart – war der renommierte VerfassungsrechtlerUlla Jelpke
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3443
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und Bundestagsabgeordnete Rupert Scholz. Eine inter-essante Variante!In der letzten Legislaturperiode stand das ThemaStaatsangehörigkeit zwischen 1995 und 1998 dreimalauf der Tagesordnung des Innenausschusses: im No-vember 1995 und schließlich im März 1998. Insgesamtacht Anträge und Gesetzentwürfe wurden in dieser Zeitberaten. Auch dabei bildete das Geburtsortsprinzip einenSchwerpunkt der Überlegungen.Das heißt, wir haben in dieser Legislaturperiode beidem entscheidenden Punkt dieser Reform beileibe nichtbei Null angefangen, sondern konnten mit unserer Ge-setzesinitiative auf zahlreichen Vorschlägen und intensi-ven Diskussionen auch hier im Bundestag aufbauen.Nun zur Frage von Konsens und Kompromiß, dieheute schon eine größere Rolle gespielt hat: Politik istbekanntlich die Kunst des Möglichen, also bei wider-streitenden Konzepten oder Vorschlägen die Kunst,Kompromisse zu schließen. Ein Kompromiß zeichnetsich in der Politik – wie im Leben – bekanntlich durchgegenseitiges Nachgeben aus. Das ist mit dem jetzt ge-fundenen Kompromiß der Fall. Die Regierung hat aufeinige ihrer ursprünglichen Vorstellungen verzichtet,aber so funktioniert eben parlamentarische Demokratie,wenn man sie konstruktiv nutzt.Heute steht mit diesem Geburtsortsprinzip ein ent-scheidender Reformansatz zur Abstimmung. Darauf ha-ben sich drei Fraktionen hier im Bundestag geeinigt.Wir können jetzt lange hin- und herbewegen, HerrRüttgers oder Herr Röttgen oder wer sonst noch von derCDU darauf hingewiesen hat, wer wen angerufen hatund wer welches Telefonat nicht beantwortet oder nichtrechtzeitig zurückgerufen hat. Ich glaube, Sie könnteneinmal ehrlich sagen, was wirklich der Tatsache zugrun-de liegt, daß kein Kompromiß möglich war.Es ist doch nicht zu bestreiten, daß es eine Partei, einekleinere Partei, eine Schwesterpartei in Bayern gibt, diesich diesem Reformansatz schon immer völlig ver-schlossen hat, und das war und ist die CSU. Das ist einFaktum; das ist keine Polemik.Ich glaube, es müssen noch mindestens hundert wei-tere Jahre vergehen, bis diese Art von Fortschritt beimStaatsangehörigkeitsrecht auch bis nach Bayern gelangt.Es scheint fast so, als ob bei diesem Thema das rus-sische Wort „njet“ in den Sprachschatz der Bayern Ein-gang gefunden hat.Auf jeden Fall: Es hat doch keinen Sinn, darüber zudebattieren, wer sich vielleicht mit wem nicht zusam-mengesetzt hat. Es war doch aus der Sicht derCDU/CSU gar nicht möglich, hierzu einen Kompromißzu finden, weil es die CSU nicht wollte. Über dieseHürde konnte keiner springen, auch Herr Schäuble nicht.Es wollte oder konnte von Ihrer Seite keiner einenKompromiß eingehen.
– Ich werde mir Mühe geben, Herr Kollege Stiegler,Bayern und die CSU zu unterscheiden.
Ich komme zu einem Vorschlag der Union. War diesogenannte Einbürgerungszusicherung eine möglicheAlternative für die Reform des Staatsangehörigkeits-rechts? Diese Problematik ist heute, wenn auch sehrkurz, von Herrn Rüttgers und anderen angesprochenworden. Hätte dieser Unionsvorschlag überhauptGrundlage für einen Kompromiß sein können?Bei nüchterner Abwägung der Fakten lautet die Ant-wort: nein; denn diese Einbürgerungszusicherung bringtüberhaupt keine nennenswerten Verbesserungen für dieausländischen Kinder.
Herr
Kollege Bürsch, darf ich Sie unterbrechen? Würden Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf zulassen?
Ich wäre ja intolerant,
wenn ich es nicht täte. Ich mache das, auch wenn es
wahrscheinlich mit dem vorigen Thema zu tun hat, mit
der Frage, wie welcher Kompromiß zustande kommen
konnte. – Bitte schön.
Herr
Kollege Wolf.
Es hat etwas mit Ihren
Bemerkungen zur CSU zu tun.
Wir haben schlicht und ergreifend ein Problem, Men-
schen eine Antwort zu geben. Vielleicht können Sie mir
ja diese Antwort geben. Ich habe eine Frage an Sie.
Herr Kollege Bürsch, die Kriminalitätsstatistik, die
vor kurzem in München vorgelegt wurde, hat eindeutig
bewiesen, daß die Ausweisung eines Täters, der große
Schlagzeilen gemacht hat, die Ausweisung von Mehmet,
sehr wohl eine abschreckende Wirkung für jugendliche
Straftäter aus dem Bereich der Ausländer gezeigt hat.
Ich frage Sie jetzt, was wir künftig Eltern von Kin-
dern antworten sollen, die Opfer von Straftaten werden,
die hätten geschützt werden können, wenn Straftäter wie
Mehmet ausgewiesen worden wären, die aber künftig,
wenn dieser Gesetzentwurf beschlossen wird, nicht mehr
ausgewiesen werden können? Was sollen wir diesen El-
tern und Kindern sagen, die wir nicht ausreichend schüt-
zen können, weil Sie ein solches Gesetz beschließen?
Herr Kollege, ich habemir vorgenommen, dieses Thema zur Sachlichkeit zu-rückzubringen.
Dr. Michael Bürsch
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3444 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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Ich sage Ihnen als Jurist, der auch Interesse für Kri-minologie hatte und hat: Es ist erwiesen – darüber kön-nen wir gern noch alle möglichen Statistiken austau-schen –, daß die Kriminalität von Ausländern, wennman die Taten vernachlässigt, die nur sie begehen kön-nen, also Straftaten in bezug auf das Asylbewerberver-fahren und von durchreisenden Ausländern, die hier kei-nen dauernden Aufenthalt nehmen, nicht größer als beiDeutschen ist.
Als zweites kann ich Ihnen dazu sagen: Es ist leiderso, daß es überall auf der Welt Menschen gibt, die sichnicht an die Regeln halten, die gegeben sind. Dieses ab-weichende Verhalten müssen wir wohl ertragen. Dasbetrifft Mehmet, das betrifft alle Jungen und Mädchen indieser unserer Gesellschaft, haben sie die deutsche odereine ausländische Staatsbürgerschaft oder die Doppel-staatsbürgerschaft. Das spielt für die Betrachtung ausmeiner Sicht keine Rolle.Insofern können Sie den Eltern sagen: Es gibt leiderdiese Abweichler. Wir müssen etwas dafür tun, das ab-zustellen, und das ist zum Beispiel, die Toleranz gegen-über Ausländern zu verstärken.
Ich hatte begonnen, etwas zu dem Thema Einbürge-rungszusicherung, zu dieser Alternative, die die CDUvorgelegt hat, zu sagen. Es ist keine nennenswerte Ver-besserung, denn § 85 des geltenden Ausländergesetzeszeigt, daß die Einbürgerungszusicherung teilweise diebestehenden Anforderungen verschärft. Wenn man sichdann noch die äußerst strengen und zahlreichen Voraus-setzungen für den Erhalt der Einbürgerungszusicherungvor Augen führt, fragt man sich, worin da noch die Inte-grationswirkung eines Gesetzes liegen soll, das an allenEcken und Enden Ausschluß- und Verlustgründe auf-führt.Laut Begründung des Unionsentwurfes sollen durchdie Einbürgerungszusicherung die Kinder der zweitenund dritten Ausländergeneration begünstigt werden. Ichhabe mir einmal seriöse Schätzungen dazu geben lassen,wie viele das überhaupt betreffen würde. Auf Grund derFülle von Voraussetzungen, Herr Marschewski, würdennach ersten seriösen Schätzungen weniger als 10 Prozentder in Deutschland geborenen ausländischen Kinder inden Genuß der Einbürgerungszusicherung kommen.Diese niedrige Quote zeugt doch eher von viel Mißtrau-en gegenüber Ausländern als von Vertrauen in ihre Inte-grationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit.Zur Frage der doppelten Staatsangehörigkeit mußetwas gesagt werden, denn diese Frage hat bei der Re-form des Staatsangehörigkeitsrechts, die meisten Emo-tionen ausgelöst. Ich gebe keinen Kommentar zur Unter-schriftenaktion ab; darüber ist heute schon viel gesagtworden. Ich nenne einige Punkte, die sich an Fakten ori-entieren.Tatsache ist – nur noch einmal zur Erinnerung –, daßin Deutschland eine beträchtliche Zahl von MenschenDoppelstaatler oder Mehrstaatler sind. Wir mögen inden Zahlen auseinandergehen. Ich kenne seriöse Schät-zungen von zwei Millionen. Vorhin wurde von derCDU/CSU zugerufen: 500 000 bzw. eine Million. Esmag hinsichtlich der Zahl Streit geben, aber Tatsache ist:Die CDU/CSU selbst war es, die 1990 die in § 87 desAusländergesetzes geregelten Ausnahmen für die Hin-nahme von Mehrstaatlichkeit eingeführt hat.
Dabei müssen Sie sich doch etwas gedacht haben. Esmuß für Sie einen Grund gegeben haben, den Auslän-dern diese Möglichkeit – zu Recht – zu eröffnen.Haben denn diese Menschen mit Mehrstaatlichkeitwirklich die Republik in ihren Grundfesten erschüttert?Die Antwort lautet: nein. Sie sind in aller Regel ehren-werte Mitglieder der Gesellschaft wie Sie und ich – ichgehe einmal davon aus –, und sie zahlen hier Steuern,bieten Arbeitsplätze an und leisten ihren gesellschaftli-chen Beitrag. Darauf haben Sie von der Union doch inIhrem eigenen Antrag hingewiesen. Auch in Hollandund in anderen Ländern hat die Mehrstaatlichkeit in derGesellschaft keine nachteilige Wirkung gezeigt. InSchweden hat gerade in diesen Tagen eine vom Parla-ment eingesetzte unabhängige Kommission empfohlen,die generelle Hinnahme der doppelten Staatsangehörig-keit als integrationsfördernde Maßnahme einzuführen.Das könnten wir uns doch womöglich zum Vorbildnehmen.
Schließlich – darauf muß ich noch hinweisen, wohl-gemerkt die CSU und die Bayern unterscheidend –: Diebayerische Verfassung weist in den Art. 7 und 8 diedoppelte Staatsbürgerschaft aus. Dort heißt es unter an-derem:Alle deutschen Staatsangehörigen, die in Bayern ih-ren Wohnsitz haben, besitzen die gleichen Rechteund Pflichten wie die bayerischen Staatsangehöri-gen.
So steht es in der Verfassung. Da kann man jetzt natür-lich dem hier anwesenden Innenminister des FreistaatesBayern ein paar Fragen stellen, die auch die „Zeit“ sichim März dieses Jahres gestellt hat:Was ist ... mit den Bayern, die den Freistaat, ihreangestammte Heimat, verlassen und ins restlicheDeutschland oder gar ins ... Ausland auswandern?
Behalten sie neben der deutschen auch ihre bayeri-sche Staatsangehörigkeit? Verlieren sie ihre bayeri-sche Staatsangehörigkeit? Und, wenn ja, was aberschwer vorstellbar ist, erhalten sie sie nach ihrerRückkehr zurück?Fragen über Fragen bei der Doppelstaatlichkeit nach derbayerischen Verfassung.Dr. Michael Bürsch
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3445
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Ich meine, nichts könnte die Bayern daran hindern,den entspannten Umgang mit der doppelten Staatsange-hörigkeit ihrer eigenen Landsleute auf die Frage derMehrstaatlichkeit auf Bundesebene zu übertragen.
Wir sehen: Bei Betrachtung der Fakten liegt keinsachlicher Grund vor, die doppelte Staatsangehörigkeitzu diffamieren oder zu diskreditieren, es sei denn, mangeht mit den Fakten so um wie der Kollege Zeitlmann,der über unseren Gesetzentwurf vor kurzem äußerte:„Auch ein extremistischer Bombenleger kann Deutscherwerden.“ – Na gut. Man braucht nicht Rechtswissen-schaft studiert zu haben, um diese hanebüchene Verun-glimpfung unseres Entwurfs zu widerlegen.
Ganz sachlich erlaube ich mir den Hinweis: Auch daerleichtert ein Blick in das Gesetz die Rechtskenntnisund verhindert peinliche Falschaussagen.Wie geht es nach der Verabschiedung des Gesetzesweiter? In einem hat die Opposition mit ihrem Antrag„Integration und Toleranz“ recht: Es bleibt viel zu tun,um Fremdenfeindlichkeit bei uns zu bekämpfen. Die Re-form des Staatsangehörigkeitsrechts kann nur der An-fang sein.Allerdings sollten politische Forderungen einerseits undTaten andererseits übereinstimmen. Da ist das Verhaltender Union nicht ohne Widersprüche. Ein Beispiel: Ei-nerseits hebt der Unionsantrag die Bedeutung derSprachförderung hervor und fordert ihre Ausweitungunter finanzieller Beteiligung des Bundes. Andererseitswurde im Haushaltsausschuß für den Etat des Arbeits-ministeriums die Aufstockung der Bundesmittel fürSprachförderung um über ein Viertel von 27 auf 34 Mil-lionen DM beantragt. Wer sich diesem Antrag nicht an-schließen konnte und ihn abgelehnt hat, war die Union.Das ist zumindest ein widersprüchliches Verhalten.Ebenso hat die Union der Erhöhung des Etats derAusländerbeauftragten nicht zugestimmt.Wenn man sich im übrigen das Integrationspapier,das in den Bundestag eingebracht worden ist, ansieht,dann kann man feststellen: Dieses Papier enthält eineReihe von allgemeinen, im Grunde von jedermann ge-teilten Überzeugungen und Forderungen, denen sichwirklich kaum widersprechen läßt, zum Beispiel die„Würdigung und Unterstützung der großen Städte alsIntegrationszentren“, die „verstärkte Aufnahme vonMitbürgern ausländischer Herkunft in die demokrati-schen Parteien“ – jawohl! – oder die „Einstellung vonPolizeibeamten ausländischer Herkunft“. Gerade dieletzten Punkte empfehle ich besonders der CSU zurLektüre.
Manche Christdemokraten nennen diese Vorschläge –wie es auch heute geschehen ist – ein umfassendes In-tegrationskonzept. Herr Rüttgers, bei allem Respekt:Wenn Sie sich die sechseinhalb Seiten, um die es letzt-lich geht, ansehen, dann sollten Sie diese Beurteilungetwas niedriger hängen. Das ist eine Bekundung gutenWillens; aber es ist noch kein Integrationskonzept. Wirhaben in der Begründung unseres Gesetzentwurfes ähn-liche Vorstellungen stehen. Da muß man nicht sagen,wir hätten kein Integrationskonzept.Im Prinzip stimme ich auch dem Kollegen Repnik zu,wenn er uns Politikern die Aufgabe vorgibt, für gesell-schaftlichen Konsens zu sorgen und die Gesellschaft fürReformen aufnahmebereit zu machen. Genau darum ha-ben sich die Regierungsparteien, SPD und Grüne, beider Reform des Staatsangehörigkeitsrechts nachhaltigbemüht. Dafür hat sich bei der Erarbeitung dieses Ge-setzentwurfes im Bundestag auch eine Reihe von Abge-ordneten eingesetzt.Ich möchte mich dem anschließen, was der KollegeWesterwelle bereits sagte: Es gibt Anlaß, sowohl demInnenminister als auch den Kolleginnen und Kollegenaus drei Fraktionen zu danken, nämlich MarieluiseBeck, Cem Özdemir, aus unserer Fraktion SebastianEdathy, Ludwig Stiegler, Rüdiger Veit und Dieter Wie-felspütz. Natürlich danke ich auch dem liberalen Kolle-gen Guido Westerwelle für die konstruktive, engagierteZusammenarbeit bei der Suche nach einem tragfähigenKompromiß.Am Rande bemerkt: Bei dieser Zusammenarbeit habeich ein ganz neues „Westerwelle-Gefühl“ entdeckt. HerrKollege, Sie haben tatsächlich einen ganzen Tag in derExpertenanhörung verbracht und nicht einmal in achtStunden ein Interview gegeben.
Das war hervorragend. Sie haben sich auf die Sachekonzentriert, was sie auch wert war.
Einen Nachsatz noch, einen Hinweis, der leicht ver-gessen wird: Was wäre Politik ohne solide Zuarbeit undAmtshilfe von seiten der Arbeitsebene? Stellvertretendfür diese Arbeitsebene möchte ich heute den zuständigenReferatsleiter aus dem Bundesinnenministerium, HerrnFrank Mengel, nennen, der unsere Arbeit mit großerSachkunde, Beharrlichkeit und erfreulicher juristischerKreativität begleitet hat. – Dies als kleines Kontrastpro-gramm zur üblichen Beamtenschelte.
Herr
Bürsch, ich möchte Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Mein Fazit am Endedieses Gesetzgebungsverfahrens lautet: Die über Frakti-onsgrenzen hinweg praktizierte Zusammenarbeit machtdurchaus Mut, daß es zukünftig im Bundestag auch zuanderen essentiellen Fragen gelingen wird, politischenund gesellschaftlichen Konsens zu befördern. Das istauch nötig. Insofern bleibt der Appell von heute beste-Dr. Michael Bürsch
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3446 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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hen, daß wir in Zukunft mit dem Thema Integration ingemeinsamem Interesse sorgsam, sensibel und auchkonsensorientiert umgehen. Was wir brauchen, ist eineechte Koalition für Integration und Toleranz.
Herr
Kollege Bürsch, Ihre Redezeit ist seit zwei Minuten ab-
gelaufen.
Ich nehme die unserer
Fraktion zur Verfügung stehende Redezeit etwas mehr
als vorgesehen in Anspruch, Herr Präsident.
Das geht
dann zu Lasten Ihrer Kollegen.
Das ist so verabredet. –
Abschließend möchte ich feststellen: Das Gesetz, das
wir heute verabschieden, ist ein Kompromiß. Aber er ist
ein Kompromiß, der weiterführt. Er legt beim Staatsan-
gehörigkeitsrecht das fest, was unter den derzeitigen
politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
möglich war.
Ich meine, wir tun recht daran, den erreichten Kom-
promiß nicht auf die lange Bank zu schieben, sondern
ihn heute zu verabschieden. Mit dieser Ansicht stehe ich
nicht allein. Ich kann mich auf einen großen Deutschen
berufen, auf Johann Wolfgang von Goethe, der uns für
heute und für die kommenden Monate und Jahre mit
folgendem Ratschlag weiterhilft:
Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,
Und keinen Tag soll man verpassen.
Das Mögliche soll der Entschluß
Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,
Er will es dann nicht fahren lassen,
Und wirket weiter, weil er muß.
Danke schön.
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Abgeordne-
ten Otto Schily.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren Kolleginnen und Kollegen! Heute wurden
viele Dankadressen formuliert; denen will ich mich an-
schließen. Ich möchte es nicht versäumen, dem Vorsit-
zenden des Innenausschusses für seine souveräne Ver-
handlungsführung meinen besonderen Dank auszuspre-
chen. Dem Gesetzgebungsverfahren hat es sehr gedient,
daß wir diesen Vorsitzenden hatten.
Danke schön.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Meinrad Belle
von der CDU/CSU-Fraktion. Bitte, Herr Belle.
Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zweiVorbemerkungen. Die erste ist an den Herrn Bundesin-nenminister gerichtet. Ich halte es für unfair, daß Sie,Herr Minister, heute auf die abweichende Meinung ver-schiedener Kolleginnen und Kollegen der CDU zu die-sem Gesetzentwurf hingewiesen haben. Damit haben Sienur von Ihrer eigenen Meinung, die Sie noch im Januarganz massiv vertreten haben, abgelenkt. Damals habenSie das Optionsmodell entschieden abgelehnt. Das ist,finde ich, nicht ganz in Ordnung.
Die zweite Bemerkung. Vorhin wurde die Zahl derDoppelstaatler mit über 2 Millionen beziffert. Ichmöchte darauf hinweisen, daß der Mikrozensus 1997/98eine Zahl von unter 580 000 Doppelstaatlern inDeutschland ergeben hat.Vor drei Jahren habe ich an einer Fernsehdiskussiondes NDR 3 zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht teil-genommen. Daran waren unter anderem Professor Badu-ra und Herr Haki Keskin, ein einflußreicher Vertreterder Türken in Deutschland, beteiligt. Als Moderatorfungierte Herr Peter Merseburger, bekannt von Panora-ma, nicht gerade als Anhänger der CDU verdächtigt.Peter Merseburger wies in dieser Diskussion daraufhin, daß er während des Golfkrieges in Großbritanniengelebt und dort hautnah die Loyalitätskonflikte der Bri-ten mit arabischer Abstammung mitbekommen hat. Erfragte in der Diskussion: Herr Keskin, warum wollen Sieunbedingt die doppelte Staatsbürgerschaft? – Die Ant-wort lautete: Ich lebe seit Jahren in Deutschland. MeineFamilie und ich fühlen uns als Deutsche. Meine Kindersprechen besser Deutsch als Türkisch. Wir beabsichtigennicht, in die Türkei zurückzugehen. Es könnte aber derFall eintreten, daß in Deutschland wieder Vorfälle wieim Dritten Reich mit fremdenfeindlichen Ausschreitun-gen geschehen. Dann will ich einfach die Möglichkeithaben, mich mit meiner Familie in unser ursprünglichesHeimatland zurückzuziehen. – Mein Einwurf war: SehenSie, genau das wollen wir nicht. Wenn Sie die deutscheStaatsangehörigkeit haben, dann mit allen Rechten undPflichten und ohne Rückzugsmöglichkeit.Warum habe ich diese Begebenheit erzählt? Zwar ha-ben Sie von der Koalition den ersten Entwurf mit derEinführung der regelmäßigen doppelten Staatsange-hörigkeit zurückgezogen, nachdem sich fast 70 Prozentder Bevölkerung vehement gegen die doppelte Staatsan-gehörigkeit ausgesprochen haben. Aber mit dem heutezu verabschiedenden Gesetz wird – das ist ganz wesent-lich für uns – die regelmäßige doppelte Staatsangehörig-keit durch die Hintertür eingeführt. Bisher haben wir unszum Teil in höheren Sphären bewegt. Ich möchte dieDiskussion wieder auf den Boden des Gesetzentwurfeszurückbringen.Die in Deutschland geborenen Kinder ausländischerEltern sollen zukünftig mit der Geburt die deutscheDr. Michael Bürsch
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Staatsangehörigkeit erwerben. Eine Ablehnungsmög-lichkeit für die Eltern ist nicht vorgesehen, so daß diedeutsche Staatsangehörigkeit den Ausländerkindern auf-gezwungen und damit unter Umständen die Saat fürKonflikte in diesen Familien gelegt wird.Der Jugendliche hat mit Erreichen der Volljährigkeitzu erklären, ob er die deutsche oder die ausländischeStaatsangehörigkeit erhalten will. Auf Antrag ist ihmallerdings auch zu genehmigen, die deutsche Staatsan-gehörigkeit zusätzlich zu behalten, wenn ihm die Auf-gabe der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht mög-lich oder nicht zumutbar ist. Damit, meine Damen undHerren, geben Sie doch jedem cleveren oder durch einencleveren Anwalt beratenen Doppelstaatler die Möglich-keit, beide Staatsangehörigkeiten auf Dauer zu behalten.
Vom zusätzlichen Aufwand in dem sehr verwal-tungsintensiven Verfahren oder bei den Gerichten willich schon gar nicht reden.Um die Öffentlichkeit zu beruhigen, wird zwar einer-seits der Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatigkeitformell aufrechterhalten, andererseits aber erweitern Sie,Herr Westerwelle – da bin ich anderer Meinung; wir ha-ben uns vorhin schon verständigt –, die Ausnahmetat-bestände für die Einbürgerung unter Hinnahme derMehrstaatigkeit in einer aus unserer Sicht unverhältnis-mäßigen Art und Weise: zum Beispiel für ältere Perso-nen, bei wirtschaftlichen Nachteilen für politisch Ver-folgte und EU-Bürger, bei unverhältnismäßigen Schwie-rigkeiten – Nachteile wirtschaftlicher oder vermögens-rechtlicher Art – und bei besonderen Härten. Dies führtim Ergebnis zu Hunderttausenden von neuen Doppel-staatlern in Deutschland.Das ist nichts anderes als eine großangelegte Täu-schung der Wähler. Diese gehen nämlich nach Rück-nahme Ihres ersten Gesetzentwurfs davon aus, daß diedoppelte Staatsangehörigkeit vom Tisch ist. Lieber HerrDr. Westerwelle, was bleibt da von Ihren hehren Schwü-ren gegen die doppelte Staatsbürgerschaft?
Herr
Kollege Belle, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Stadler?
Nein.
Erlauben
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?
Nein, ich erlaube aus-nahmsweise – entgegen meiner sonstigen Übung – keineZwischenfrage, und zwar einfach deshalb, weil Sie die-ses Gesetz in einer Art und Weise durch die Ausschüssegepeitscht haben, die nicht mehr vertretbar war.
Ich möchte einige wenige Sätze zum zeitlichen Ab-lauf des Gesetzgebungsverfahrens sagen. Sie empörensich über den Vorwurf des Durchpeitschens diesesschlechten Entwurfs.
Tatsache ist aber: Am 19. März 1999 findet die erste Le-sung des Entwurfes statt. In der Osterpause wird dieAnhörung durchgezogen. Die abschließende Beratungim Innen- und im Rechtsausschuß kann nur mit einemunkorrigierten Protokoll über die Anhörung stattfinden,und dies alles, meine Damen und Herren, noch bevor derBundesrat in einem ersten Durchgang Gelegenheit zurStellungnahme hatte. Seit ich im Bundestag bin, hat esdas noch nie gegeben. Ohne Not wird der Bundesratbrüskiert, nach dem Motto: Wir haben die Mehrheit, wasinteressiert uns die Stellungnahme der Bundesländer!Die zweite und die dritte Lesung müssen unbedingt inder Haushaltswoche erfolgen – entgegen der jahrzehn-telangen Übung in diesem Hohen Hause. Entsprechenddem Haushaltsrecht, dem Königsrecht des Parlaments,hat der Haushalt in einer solchen Woche eigentlich im-mer absoluten Vorrang.Mehrfach schlägt unser FraktionsvorsitzenderDr. Schäuble vor, ohne Vorbedingungen über eine Ge-samtreform des Staatsangehörigkeitsrechts zu reden.Dazu gehört nämlich auch der Teil „Integration“, der ausmeiner Sicht bei Ihnen nach wie vor fehlt. Diese Ange-bote des Fraktionsvorsitzenden wurden bis heute nichtbeantwortet. Nachdem auch der Herr Bundestagspräsi-dent Konsensgespräche befürwortet, regt WolfgangSchäuble in einem Telefongespräch mit Herrn Struck an,ohne Zeitdruck über die Reform zu reden. Eine Antworterfolgt nicht – außer, wenn Sie so wollen, durch den Ge-schäftsordnungsantrag auf Aufsetzung auf die heutigeTagesordnung.Meine Damen und Herren, es kann daher nicht oftgenug gesagt werden: Ohne Rücksicht auf Verluste, ausparteipolitischen Gründen, nämlich wegen der Beendi-gung der für Sie nachteiligen Diskussion – auch im Hin-blick auf die Europawahl –, wird dieses Gesetz durch-gepeitscht.Ich möchte noch ein paar Anmerkungen zur Anhö-rung der Sachverständigen und zur Umsetzung derErgebnisse machen. Ein Teil der Staats- und Verfas-sungsrechtler bezeichnet den Gesetzentwurf als verfas-sungsrechtlich überaus zweifelhaft. Ich habe da eineetwas andere Erinnerung als Sie, Herr Westerwelle.Aber, meine Damen und Herren – jetzt kommt es –, alleJuristen sehen einen erheblichen Nachbesserungs- undÜberarbeitungsbedarf.Da werden administrative Probleme und eine Viel-zahl von Verwaltungsgerichtsverfahren wegen der Ver-wendung vieler unbestimmter Rechtsbegriffe vorherge-sagt. Es werden Regelungen für die ungelösten Proble-me bei der Beendigung der Staatsangehörigkeit mit dem23. Lebensjahr angemahnt. Die Sachverständigen bean-standen den fehlenden Integrationsanreiz. Es werdenRegelungen gegen den Mißbrauch der doppelten Staats-angehörigkeit gefordert, weil Mißbrauchsmöglichkeitenzur Verfassungswidrigkeit führen könnten. Von Bevöl-kerungswissenschaftlern werden verstärkt Loyalitäts-Meinrad Belle
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konflikte befürchtet. Die kommunalen Spitzenverbändebeklagen den außerordentlich hohen Aufwand beim Ge-setzesvollzug und ein übermäßiges Ansteigen der Sozi-alhilfe.
Nun das Ergebnis der Ausschußberatungen: Ein ganzgeringer Teil der Beanstandungen wird mit Ihren kurz-fristig eingebrachten Änderungsanträgen erledigt. Derüberwiegende und wichtigere Teil der Beanstandungenwird überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und mitder Arroganz der politischen Mehrheiten vom Tisch ge-fegt.Wir folgern daher: Es ist ein schlechtes Gesetz, mitheißer Nadel genäht, ein zusammengebasteltes Stück-werk, das integrationspolitisch verfehlt ist. Wir werdendieses Gesetz daher heute ablehnen.
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dr.
Max Stadler.
Lieber Herr Kollege Belle,
die Bewertung des Gesetzentwurfes ist natürlich jedem
unbenommen. Es ist aber wichtig, in der Debatte klarzu-
stellen, worum es wirklich geht.
Dieses Reformvorhaben betrifft zwei verschiedene
Kernpunkte. Es betrifft zum einen die Integration der
Kinder. Dazu hat Herr Dr. Westerwelle in seinem Rede-
beitrag ausführlich Stellung genommen.
Sie haben sich nun auf die Möglichkeit bezogen, daß
bei Erwachsenen bei Anträgen auf Einbürgerung aus-
nahmsweise die doppelte Staatsbürgerschaft hinge-
nommen wird. Sie haben in Ihrem Beitrag soeben den
Eindruck erweckt, als werde dies hunderttausendfach –
eine erhebliche Erweiterung gegenüber der jetzigen Ge-
setzeslage – stattfinden.
Tatsächlich sieht die Situation so aus, daß schon nach
geltendem Recht – § 87 des Ausländergesetzes – in
vielen Fällen davon abgesehen werden kann, daß der
Bewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt.
Ich darf Sie mit Hinweis auf die Ausschußberatungen
daran erinnern, daß gerade aus den Reihen Ihrer Frakti-
on ganz praktische Fälle genannt worden sind, nämlich
die von iranischen Staatsangehörigen, die äußerste
Schwierigkeiten haben, die deutsche Staatsbürgerschaft
zu erwerben und ihre bisherige Staatsangehörigkeit auf-
zugeben.
Von Ihrer Seite wurde darauf hingewiesen, daß die
Verwaltungspraxis hier künftig großzügiger sein müßte,
weil ein Fall von Unzumutbarkeit vorliegt. Diese Un-
zumutbarkeitsfälle – etwa bei politischen Flüchtlingen –
sind bisher nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 des Ausländergeset-
zes ohnehin schon geltendes Recht.
Das Wichtigste, was ich auf Grund Ihres Beitrags
hervorheben möchte, ist: Wenn es so wäre, daß der
Doppelpaß durch die Neuregelung – Sie haben von
einem großen Täuschungsmanöver gesprochen – in
breiter Front ermöglicht wird, dann wäre die Kritik nicht
verständlich, die von den Hauptbetroffenen, nämlich
von den Vertretern der türkischen Gemeinde in
Deutschland – Sie alle haben das Schreiben von Profes-
sor Keskin erhalten, in dem beklagt wird, daß gerade die
erste Generation der türkischen Staatsangehörigen nicht
die Chance erhält, künftig den Doppelpaß zu bekommen
–, an unserem Gesetzentwurf geübt wird. Es kann also
nur eines von beiden richtig sein: entweder Ihr Vorwurf,
daß die doppelte Staatsangehörigkeit durch die Hintertür
massiv ausgeweitet wird, oder der Vorwurf der zahlen-
mäßig am stärksten betroffenen Gruppe, daß wir sie
nicht berücksichtigt haben.
Ich sage Ihnen, das letztere ist der Fall. Herr Dr. We-
sterwelle hat in seinem Beitrag die politischen Gründe
für unsere Entscheidung dargelegt. Die Positionen waren
ja unter den Verhandlungspartnern strittig. Eins von bei-
den kann nur zutreffen.
Mein letzter – –
Nein,
die Zeit ist abgelaufen.
Herr Belle, wollen Sie erwidern? – Bitte schön.
Lieber Herr Dr. Stadler,
ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir in den
Fällen der Iraner sowieso einer Meinung sind. Insoweit
gibt es keine Diskussion. Das sind aber auch keine Hun-
derttausende von Fällen. Daß Herr Keskin eine ganz an-
dere Meinung hat, habe ich vorhin schon gesagt. Natür-
lich geht dieser Gesetzentwurf Herrn Keskin nicht weit
genug. Das ist selbstverständlich und kann daher nicht
als Begründung für Ihren Gesetzentwurf herangezogen
werden.
Die Zahl der Fälle, die durch die Erweiterung der
Zahl der Ausnahmetatbestände auf uns zukommen wer-
den – ich kann mir vorstellen, daß der Herr Innen-
minister Beckstein nachher in seiner abschließenden
Rede noch ein bißchen dazu sagen wird – beträgt nach
meiner Erinnerung aus den Diskussionen in diesem Zu-
sammenhang 800 000.
LiebeKolleginnen und Kollegen, wegen des Zeitdrucks werdeich jetzt keine Kurzinterventionen mehr zulassen. Ichbitte um Ihr Verständnis.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin MarieluiseBeck vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Auch ich habe mich gefreut, daß meineAmtsvorgängerin, Frau Schmalz-Jacobsen, die Debatteverfolgt.Meinrad Belle
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Dieses Gesetz hat einen langen Weg genommen. Indieser Legislaturperiode waren es fünf Monate Beratun-gen; aber eine langjährige politische Auseinanderset-zung – auch in diesem Hause – mit immer wieder neuenAnläufen und neuen Versuchen, Konsens herzustellen,denen sich – wie das heute morgen schon häufig betontwurde – insbesondere die CSU immer wieder mit Be-harrlichkeit verweigert hat, ist vorausgegangen.
Es geht in dieser Debatte in der Tat nicht nur um dieReform des Staatsbürgerschafts- und Ausländerrechts,sondern auch um das Selbstverständnis unserer Ge-sellschaft. Noch einmal: Es geht um die grundsätzlicheFrage, ob wir nach 40 Jahren, in denen es Zuwanderungnach Deutschland gegeben hat, anerkennen, daß dieseZuwanderung Fakt ist, ob wir uns mit der Realität aus-einandersetzen wollen oder ob wir nach wie vor vor die-ser Realität die Augen verschließen und sie deswegennicht gestalten wollen.
Diese Frage ist eigentlich der Kern der Unionskam-pagne gewesen. Mit dieser Kampagne haben Sie nocheinmal alle Stimmen in der Gesellschaft gegen Einwan-derung und Zuwanderung einsammeln wollen. Sie habenin dieser Gesellschaft noch einmal den Reflex auf dieTatsache mobilisieren wollen,
daß Einwanderung und Zuwanderung auch die deutscheGesellschaft verändern – ob wir es wollen oder nicht.Wir müssen uns heute den Fragen stellen, ob wir mitdieser Zuwanderung und der damit einhergehenden Ver-änderung dieser Gesellschaft fruchtbar umgehen wollen,ob wir sie gestalten wollen, ob wir die Herausforderungannehmen wollen, ob wir sie zum Positiven wendenwollen, ob wir anerkennen wollen, daß sich auch diedeutsche Mehrheitsgesellschaft durch diese Zuwande-rung verändert hat und weiter wird verändern müssen –genau so, wie sich auch die Zugewanderten haben ver-ändern müssen und weiterhin von ihnen erwartet wird,sich anzupassen.
Um diese Auseinandersetzung geht es im Kern. Dasist die zentrale Frage von Integration. Soll – wie Sie esin den Debatten immer wieder betont haben – den Zu-gewanderten abverlangt werden, sich zu assimilieren,das heißt, in unserem Stadtbild und in unseren Straßennicht mehr erkennbar als Menschen anderer Kultur undanderer Herkunft zu erscheinen? Sollen sie sich assimi-lieren? Sollen sie ganz genau so wie wir werden? Oderkönnen wir es als eine moderne Gesellschaft aushalten,daß unter uns gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürgerleben, die das Recht haben, anders als die deutscheMehrheitsgesellschaft zu sein?
Das ist die Herausforderung, um die es geht. Das ist daseigentliche Thema und nicht die vordergründige Frage„Doppelpaß, ja oder nein?“.Es geht auch um unseren Alltag. Es geht zum Bei-spiel um die Frage, ob es diese Gesellschaft als normalanerkennt, daß auch schwarze Menschen mit einemdeutschen Paß zu uns gehören.
Es kann nicht sein, daß ein Schwarzer erzählt: Immerund immer wieder passiert es mir, daß ich, wenn ich ineine Polizeikontrolle komme und meinen deutschen Paßvorzeige, auf die Wache muß, weil der Polizist einfachnicht glauben kann, daß dieser Paß nicht gefälscht, son-dern ein echter deutscher Paß ist. Wir als Mehrheitsge-sellschaft haben nicht gelernt, daß auch Andersausse-hende, Andersseiende integraler Teil unserer Gesell-schaft geworden sind.Es geht also um Vielfalt statt Homogenität. Das istdie Herausforderung, der sich unsere Gesellschaft stellenmuß. Die rotgrüne Regierung – und das ist der eigentli-che Bruch mit dem Denken der alten Koalition – sagt:Diese Herausforderung nehmen wir an, und zwar gerne;wir akzeptieren gerne, daß unsere Gesellschaft eine Zu-wanderungsgesellschaft geworden ist, die uns abver-langt, Veränderungen herbeizuführen.
Die Erleichterung der Einbürgerung ist also insofernnur ein Baustein, nur ein Schritt, der überfällig ist. Ichmeine, daß Sie nicht umhinkommen werden, meine Da-men und Herren von der Union, sich dieser Tatsacheund der Notwendigkeit von Veränderung zu stellen,wenn Sie den Anschluß an Europa behalten wollen. EinTeil von Ihnen hat das begriffen. Der Weg nach Europawird uns als Politik und als Gesellschaft immer und im-mer wieder vor die Notwendigkeit stellen, Vielfältigkeit,Veränderung, Andersartigkeit zuzulassen, gerne zu ak-zeptieren und als positiven und befruchtenden Teil unse-rer Gesellschaft zu gestalten.
Wir stehen also am Ende eines Gesetzgebungsverfah-rens, aber wir stehen am Anfang eines Prozesses, zudem Einbürgerung als Teil einer Integrationspolitik ge-hört, zu dem aber auch gehört, daß alle Bürger dieserGesellschaft, auch wenn sie anderer kultureller Herkunftsind, auch wenn sie einen Teil dieser Andersartigkeitbewahren wollen oder sich nur langsam verändern wol-len, als gleichberechtigte Menschen in dieser Gesell-schaft akzeptiert werden. Wir müssen ihnen anbieten,uns auf gleicher Augenhöhe zu begegnen.Es geht um Demokratie, meine Damen und Herren.Es kann nicht angehen, daß viele Menschen, die seitJahrzehnten in dieser Gesellschaft leben und damit fak-tisch, durch den Alltag, integriert sind, von staatsbür-gerlichen Rechten ausgeschlossen werden. Das kanneine Demokratie nicht aushalten.
Wir sind deswegen mit diesem Staatsbürgerschaftsrechtgefordert, mehr Bürgerinnen und Bürger zu Staatsbür-Marieluise Beck
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gern zu machen. Es muß unser Interesse sein, möglichstviele der hier lebenden Menschen in den demokratischenProzeß einzubeziehen. Es ist die Verantwortung vonPolitik, diesen Prozeß anzustoßen, ihn zu gestalten, ihnherbeizuführen.Ich sage Ihnen: Die Ausländerbeauftragte wird, wenndieses Gesetz verabschiedet ist und zur Umsetzung ge-langt, bei den Migranten und Migrantinnen werben, die-sen Schritt in die deutsche Staatsbürgerschaft hinein zutun. Denn wir wollen diese Staatsbürgerinnen undStaatsbürger als aktive, teilhabende, gleichberechtigteMitglieder unserer Gesellschaft. Das wird der deutschenRepublik, das wird unserer Demokratie guttun.
Frau
Kollegin Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Singhammer?
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Bitte.
Bitte,
Herr Singhammer.
Frau Kolle-gin Beck, Sie haben davon gesprochen, daß Sie für IhreGesetze und für die Folgerungen daraus werben wollen.In dem Zusammenhang meine Frage: Trifft es zu, daßim Haushalt auch dieses Jahres für Ihren Zuständig-keitsbereich eine Summe von 1,5 Millionen DM vorge-sehen ist, um in türkischsprachigen Zeitungen für diesenDoppelpaß zu werben, also bei Menschen, die offen-sichtlich, bis jetzt jedenfalls, Deutsch noch nicht in aus-reichender Weise verstehen?Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Lieber Herr Kollege, wir debattieren seitvier Stunden, aber Sie scheinen immer noch nicht ver-standen zu haben, daß der Doppelpaß vom Tisch ist. Ichweiß nicht, ob Sie die ganze Zeit im Restaurant gesessenhaben.
Zu unserem Bedauern sind wir jetzt auf einer Ebene, aufder wir nach wie vor Mehrstaatigkeit vermeiden müssen.Das nur zur Information.In der Tat hat sich diese rotgrüne Regierung entschie-den, in ihrem Haushalt der Ausländerbeauftragten dieMöglichkeit zu dem zu geben, wozu sie qua Gesetz ver-pflichtet ist, nämlich zu informieren und aufzuklärenüber Gesetze, die die hier lebenden Migranten und Mi-grantinnen betreffen. Das bedeutet, zum Beispiel dar-über zu informieren, daß die Fristen verkürzt sind, zumBeispiel darüber, daß Kinder zwischen 1 und 10 Jahrenhier eingebürgert werden können, wenn die anderenVoraussetzungen für die Einbürgerung nach Geburtvorliegen. Das werden diese Regierung und ihre Aus-länderbeauftragte nach dem Gesetzesauftrag tun, unddas ist mit Mitteln versehen worden.
Es geht bei der Einbürgerung in der Tat um einenSchritt in Richtung Integration. Sie von der Union habenallerdings recht: Zur Integration gehört viel mehr. Aberjetzt nur allgemeine Absichtserklärungen dazu abzuge-ben ist nicht Aufgabe des Parlaments. Das Parlamentmuß sich schon fragen lassen, was es konkret meint.Hier haben wir viel vor uns. Wir müssen für eine Anti-diskriminierungsgesetzgebung sorgen, mit der sehr ge-nau die bürgerrechtlichen Beziehungen zwischen denMenschen in unserer Gesellschaft berücksichtigt werdenund mit der es möglich ist, Diskriminierungen entgegen-zutreten. Wir laden Sie, wenn Sie sich tatsächlich aufIntegrationskurs begeben wollen, herzlich ein, an denBeratungen darüber teilzunehmen.Es geht um ein Bündnis für Demokratie und Tole-ranz, das vom Bundesinnenminister, Bundesjustizmi-nister und auch von der Ausländerbeauftragten gestaltetwird. Wir wissen, daß die Gesellschaft Demokratie, To-leranz, Vielfalt und Respekt für andere dringend nötighat.Es geht um Initiativen in der Bildungs- und Schul-politik, die auch den Kindern gleiche Chancen ermögli-chen sollen, die aus Familien nichtdeutscher Herkunftstammen.
Es geht um ernsthafte Initiativen – auch hier bin ichgespannt, wie Sie sich verhalten werden –, mit denen dieZugangshürden für Migrantinnen und Migranten aufdem Arbeits- und Bildungsmarkt abgebaut werden sol-len. Gerade diese Zugangshürden verhindern oft die In-tegration von Migrantinnen und Migranten. Das wirdeine schwierige und eine konfliktträchtige Debatte. Wirwerden sehr genau beobachten, wie Sie sich bei der Dis-kussion dieser Fragen verhalten werden.
Es geht auch um einen Dialog mit dem Islam, umReligionsfreiheit, um zu verhindern, daß sich Funda-mentalismus in dieser Gesellschaft durchsetzt.England hat uns gezeigt, daß eine staatliche Politik,die Migranten auch faktisch zu gleichberechtigten Bür-gern macht, Konflikte, die noch aus den Herkunftslän-dern herrühren, minimiert. Wenn die Migranten wirklichzur Gesellschaft gehören und nicht draußen gehaltenwerden, dann bestimmen nicht mehr die Themen derHerkunftsländer, sondern die Themen des Inlandes ihrDenken. Das hat uns England vorgemacht. Schauen Sieüber die deutschen Grenzen! Sie werden das tun müssen,wenn Sie den Weg in eine moderne Gesellschaft mitge-hen und den Anschluß nicht verpassen wollen.Ich möchte zum Schluß noch sagen: Ich freue michauf den 1. Januar 2000, wenn das erste Kind von Mi-granten, das nach dem bisherigen Recht noch als Aus-Marieluise Beck
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länder geboren würde, als deutsches Kind zur Weltkommt. Das ist ein Schritt in eine moderne Gesellschaft.
Wir wollen die Migrantinnen und Migranten als gleich-berechtigte Bürgerinnen und Bürger in dieser Gesell-schaft. Das ist der zentrale Gehalt dieses Gesetzes.
Es wird
mir mitgeteilt, daß es – das betrifft einige Parteien –
Landesparteitage gibt und daß die Zeit dafür knapp wird.
Deswegen möchte ich Sie bitten, sich mit Zwischenfra-
gen sehr zurückzuhalten.
Für die PDS spricht jetzt die Kollegin Dr. Evelyn
Kenzler. Bitte schön.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Nach der Anhörung im In-nenausschuß sollen alle verfassungsrechtlichen und an-deren Bedenken – so jedenfalls die Auffassung der Re-gierungskoalition – ausgeräumt sein. Nach meiner Auf-fassung ist der vorliegende Entwurf trotz einiger Ver-besserungen nicht nur aus politischen, sondern auch ausrechtlichen und insbesondere aus verfassungsrechtlichenGründen unbefriedigend und zum Teil bedenklich.Zum einen sehe ich auch nach der Aufnahme einerAltersgrenze von 21 Jahren in das Gesetz für die Bean-tragung einer sogenannten Beibehaltungsgenehmigungverfassungsrechtliche Probleme bei der Einführung desOptionsmodells.Mit Geburt erhalten zwar die Kinder der bei uns le-benden ausländischen Eltern nach den Voraussetzungendes § 4 des Staatsangehörigkeitsgesetzes neben der aus-ländischen die deutsche Staatsangehörigkeit. Mit Eintrittder Volljährigkeit können sie also alle staatsbürgerlichenRechte und Pflichten ohne Einschränkungen wahrneh-men. Dieser Status erlischt jedoch spätestens mit Voll-endung des 23. Lebensjahres, falls der Betreffende seineausländische Staatsangehörigkeit nicht aufgeben will.Das ist meines Erachtens mit dem verfassungsrechtli-chen Grundsatz der Einheitlichkeit und Unbeschränk-barkeit der deutschen Staatsangehörigkeit nicht zu ver-einbaren. Der Wegfall staatsbürgerlicher Grundrechteund Pflichten mit Erreichen einer bestimmten Alters-grenze per Gesetz hebelt diesen Grundsatz für den be-troffenen Personenkreis aus. Das ist bedenklich.Hinzu kommt, daß die betroffenen jungen Menschenin erhebliche rechtliche Konfliktsituationen geratenkönnen. Stellen Sie sich einmal vor, daß junge Deutsche,die unter das Optionsmodell fallen, auf Grund ihres pas-siven Wahlrechts mit 20 Jahren in den Bundestag ge-wählt werden. Mit 23 Jahren erlischt jedoch die deutscheStaatsangehörigkeit, weil sie bzw. er die ausländischeStaatsangehörigkeit nicht aufgegeben hat oder ein An-trag auf Erteilung der Beibehaltungsgenehmigungrechtskräftig abgewiesen wurde. Es ist absurd, daß indiesem Fall wegen des Wegfalls der Voraussetzungenfür die Wählbarkeit das Mandat erlischt.
Ähnlich verhält es sich mit der Wahrnehmung des Zu-gangs zu einem öffentlichen Amt oder mit einem bereitsbegonnenen Wehrdienst.Zum anderen besteht nach meiner Auffassung nachwie vor zumindest Bedenken in Hinsicht auf Art. 16Abs. 1 GG. Mir ist bewußt, daß es erhebliche Ausle-gungsprobleme auf Grund der in sich widersprüchlichenRegelungen zum Entzug und zum Verlust gibt. Das vor-geschlagene Optionsmodell bringt hierzu jedoch keineKlarstellung, sondern wird die seit Jahren anhaltendenDiskussionen weiter entfachen. Das Problem ist näm-lich, daß das Grundgesetz völlig zu Recht eine Entzie-hung der Staatsangehörigkeit negatorisch ausschließt.Im nächsten Satz läßt es allerdings den Verlust derStaatsangehörigkeit mit bestimmten Einschränkungenzu. Diese Gründe laufen im Kern auf eine antragsbe-dingte Selbstausbürgerung, das heißt, auf eine willentli-che und damit selbst beeinflußbare Entscheidung hinaus.Hieraus ergibt sich ein Widerspruch zum Text desGrundgesetzes selbst. In Art. 16 Abs. 1 Satz 1 wird derEntzug kategorisch verboten. In Satz 2 wird der Entzugdem Grunde nach zugelassen, indem ein Verlust derStaatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen,wenn auch mit Einschränkungen, möglich ist.Sicher kann man die vorgeschlagene Optionslösungnicht mit einem Entzug der Staatsangehörigkeit im Sin-ne einer Zwangsausbürgerung gleichsetzen. Das Erlö-schen nach einem bestimmten Zeitablauf ist aber zumin-dest für die Betroffenen, die beide Staatsangehörigkeitenbehalten wollen und deshalb keine Erklärung abgeben,eine von ihrem Willen faktisch unabhängige und somitunbeeinflußbare Wegnahme der Staatsangehörigkeit.Das Gesetz versetzt sie damit in eine nicht gewollteZwangssituation, in der ihnen eine Entweder-oder-Entscheidung abverlangt wird und in der das Erlöschender deutschen Staatsangehörigkeit bei Nichttreffen die-ser Entscheidung auch gegen ihren Willen und für siedamit unvermeidbar erfolgt. Daran ändert auch die vor-genannte Beibehaltungsgenehmigung nichts.Wir wissen, daß der seit Anfang der 80er Jahre an-haltende Streit um eine dringend notwendige Reform aufdiesem Gebiet immer auch eine verfassungsrechtlicheAuseinandersetzung war. Die nicht eindeutige Verfas-sungslage und die seit Jahren schwelende Diskussionmacht es deshalb dem Gesetzgeber auch nicht einfach.Um so notwendiger wäre es jedoch gewesen, ausgehendvon einer Grundgesetzänderung zur Einführung des Iussoli und zur Abschaffung der unsäglichen Bestimmungüber die „deutsche Volkszugehörigkeit“ in Art. 116 GGeine wirkliche Neuregelung zur doppelten Staatsbürger-schaft zu entwickeln.Die Mehrheit meiner Fraktion, ich eingeschlossen,wird sich deshalb wegen der politischen Kritik und derrechtlichen Bedenken in der Schlußabstimmung enthal-ten. Um die wenigen Verbesserungen und die behutsameÖffnung jedoch nicht zu blockieren, werden unsereMarieluise Beck
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3452 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern, wenn auch miteinigen Bauchschmerzen, ihre Zustimmung im Bundes-rat geben.Danke schön.
Ich er-
teile das Wort dem Minister für Inneres des Landes
Nordrhein-Westfalen, Dr. Fritz Behrens.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnetedes Deutschen Bundestages! So viel Zeit muß sein, umzu sagen, daß es für mich eine große Freude und Ehreist, wenn mir heute erstmals in diesem Hause das Worterteilt wird.
Als Gast will ich damit rücksichtsvoll umgehen, auf Ihrezeitlichen Bedrängnisse Rücksicht nehmen und manchesvon dem weglassen, was ich sagen wollte. Ich will auchauf manche Entgegnung auf Bemerkungen meiner Vor-redner verzichten – es wäre an sich notwendig gewesen,darauf einzugehen – und schnell zum Kern meiner Aus-führungen kommen.In Übereinstimmung mit anderen SPD-geführtenLandesregierungen spreche ich mich namens der nord-rhein-westfälischen Landesregierung nachdrücklich da-für aus, das Gesetz zur Reform des Staatsangehörig-keitsrechtes heute zu verabschieden.
Diese Reform ist überfällig. Das steht nach den jahre-, jafast jahrzehntelangen Diskussionen über Modelle wohlaußer Frage. Wie lange sollten wir angesichts dieserTatsache noch miteinander streiten und auf einen erstenwirksamen Schritt warten? Wir können uns Stillstand indieser wichtigen Frage der Innenpolitik nicht leisten.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang doch et-was zu dem integrationspolitischen Konzept, auf dasHerr Rüttgers so stolz ist, sagen: Konzepte und Papieregibt es in allen Parteien in großer Zahl und auf allenEbenen des politischen Handelns. An die CDU/CSU istdie Frage zu richten, warum erst jetzt ein solches Papiervorgelegt wird, warum 16 Jahre lang nichts passiert ist.Es gab viele wohlfeile Worte, aber wo blieben die Tatenin den letzten 16 Jahren?
Sicher ist mit der jetzt vorgelegten Lösung die not-wendige Gesamtreform unseres Staatsangehörigkeits-rechtes nicht abgeschlossen. Wichtige Bausteine sindaber entscheidungsreif und ihre Umsetzung so vordring-lich, daß weitere Verzögerungen nicht zu vertreten sind.Auch ich verhehle nicht mein Bedauern, daß wichtigePositionen, die die alten Entwürfe meiner Partei, aberauch der Partei von Frau Schmalz-Jacobsen auszeich-neten, nicht gehalten werden konnten. Es überwiegt aberbei mir die Genugtuung, daß bei einer so bedeutsamenFrage wie der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes,die nichts weniger als polarisierende Stimmungsmachevertragen könnte, ein tragfähiger Kompromiß erreichtwerden konnte, der eine breite Mehrheit hier im Bun-destag und auch im Bundesrat findet und, davon bin ichüberzeugt, auch in unserer Bevölkerung finden wird.
Ich weiß, daß der großen Mehrheit der CDU/CSUund der von dieser Partei getragenen Landesregierungendie ganze Richtung des Reformkonzeptes nicht paßt.Das versuchen Sie doch mit Argumenten zur Sache zuverschleiern. Ich nehme konkrete Einwände gegenÄnderungsvorschläge und Reformansätze sehr ernst.Aber die bisher von Ihnen vorgetragenen konkretenEinwände haben mich letztlich nicht überzeugt. Geradeauch nach den Änderungen, die der Gesetzentwurf imZuge der Sachverständigenanhörung, die im Innenaus-schuß des Bundestages stattfand, in den Ausschußbera-tungen im Bundestag und Bundesrat schließlich erfahrenhat, wird das Optionsmodell einer verfassungsrecht-lichen Überprüfung standhalten; davon bin ich über-zeugt.Wir fordern in diesen Tagen alle, meine Damen undHerren, nicht zuletzt angesichts der Situation derFlüchtlinge auf dem Balkan, die Solidarität der europäi-schen Staaten ein. Auch ich tue es in der Frage der Auf-nahme weiterer Flüchtlinge; aber darüber reden wir hiernicht. Wir erwarten, daß sie sich wie wir verhalten.Auch wir könnten, wie ich meine, ab und zu diesenBlick über die Grenzen vertragen. So frage ich dieCDU/CSU, ob nicht auch im Zusammenhang mit unse-rem heutigen Thema ein Blick über die Grenzen zu un-seren Nachbarn in Europa sinnvoll wäre, weil das zu an-deren politischen Einsichten und Erkenntnissen führenkönnte.
Diese Welt, meine Damen und Herren, wird nicht al-leine am deutschen Wesen genesen, sondern wir müssenauch bereit sein, von anderen und ihren Erfahrungen zulernen. Ich halte es zumindest für eine Fehleinschätzung– eher noch für eine Verdrehung von Tatsachen oder garfür reine Agitation –, wenn behauptet wird, das Gesetzführe zu einer nahezu schrankenlosen Hinnahme vonMehrstaatigkeit. Ich will noch einmal aus meiner Sichtdeutlich unterstreichen, daß die neue Regelung nicht aufdie Hinnahme von Mehrstaatigkeit abzielt. Sie nimmtMehrstaatigkeit vielmehr nur hin, weil dem Einbürge-rungsbewerber ansonsten unzumutbare Belastungen ent-stehen würden.Bei sachgerechter Betrachtung werden sich die Aus-wirkungen der vorgesehenen Erweiterung der Zahl derAusnahmetatbestände des § 87 des Ausländergesetzes,die eine Hinnahme von Mehrstaatigkeit rechtfertigen, inGrenzen halten. Auch die Freistellung politisch Ver-folgter von Entlassungsbemühungen aus ihrer ursprüng-lichen Staatsangehörigkeit halte ich für richtig. DiesenDr. Evelyn Kenzler
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Menschen werden heute Bemühungen und Nachweiseabverlangt, die – gemessen an den für Verwaltungsver-fahren in Deutschland maßgeblichen Rechtsvorstellun-gen und im übrigen auch aus politischen Gründen –kaum zu vertreten sind.
Die zur Zeit notwendige individuelle Prüfung belastetauch die Einbürgerungsbehörden – da Sie immer vonBelastungen sprechen, muß auch auf die Belastungendurch das geltende Recht hingewiesen werden – in un-verhältnismäßiger Weise, zumal in nahezu all diesenFällen die Mehrstaatigkeit schließlich hingenommenwerden muß und schon heute hingenommen wird.Fortgeschrittenes Alter eines Einbürgerungsbewer-bers allein wird auch künftig nicht die Hinnahme vonMehrstaatigkeit rechtfertigen.Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Ausnahmen vomGrundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit fürAusländerkinder, die hier seit 1990 geboren wurdenoder künftig in Deutschland geboren werden, ein wirkli-ches Problem mit sich bringen. Das Reformgesetz gehtvielmehr – auch das ist sein integrationspolitischesZiel – von der Erwartung aus, daß die weit überwiegen-de Mehrheit der in Deutschland geborenen und hier her-anwachsenden jungen Ausländerinnen und Ausländerfür die deutsche Staatsangehörigkeit optieren, sobald sievolljährig geworden sind.Ich halte es für ganz wichtig – vielleicht sogar für denKern dieses Gesetzes –, daß gerade die jungen ausländi-schen Mitbürgerinnen und Mitbürger hiermit erstmalseine wirkliche Chance zur Integration, daß sie ein Ange-bot bekommen. Denn rechtliche Gleichstellung gehörtunverzichtbar dazu. Alles andere bleibt Lippenbekennt-nis.
Die eindeutigen Vorgaben im Gesetz zur Hinnahmevon Mehrstaatigkeit verbieten es, hier etwa von Mogel-packungen zu sprechen oder andere Begriffe, die ichheute wieder gehört habe, zu verwenden. Man kann jaunterschiedlicher Auffassung sein. Bei der Diskussionüber grundsätzliche Verfassungsfragen sollte man aberzumindest Polemik vermeiden. Das sage ich ganz nüch-tern und unaufgeregt. Ich appelliere an alle, zu einersachgerechten Diskussion zumindest nach der bevorste-henden Verabschiedung des Gesetzes zurückzukehren.
Durch das Reformgesetz werden – das ist unzweifel-haft – zusätzliche Aufgaben auf unsere Behörden in denLändern und Kommunen zukommen. Das will ich inkeiner Weise bestreiten. Ein Blick in die Ausländerstati-stik zeigt aber, daß die Verkürzung des erforderlichenInlandsaufenthaltes bei Anspruchseinbürgerungen denKreis der potentiell für eine Einbürgerung in Betrachtkommenden Personen um allenfalls 20 Prozent vergrö-ßern wird.Der zusätzliche Aufwand für Standesämter und Aus-länderbehörden im Zusammenhang mit der Feststellungdes Ius-soli-Erwerbs ist gering. Dies ist vor allem des-halb der Fall, weil nach dem Ergebnis der Ausschußbe-ratungen der Standesbeamte nicht mehr zu klären habenwird, ob das hier geborene Ausländerkind außer derdeutschen Staatsangehörigkeit noch weitere Staatsange-hörigkeiten besitzt. Diese Frage soll ja erst im Options-verfahren geprüft werden.Der vorübergehend zu erwartende zusätzliche Ver-waltungsaufwand wird durch den Wegfall der individu-ellen Einbürgerung der Spätaussiedler mit Sicherheitkompensiert werden. Im Zusammenhang mit der Dis-kussion um die Belastungen unserer Behörden und Ein-richtungen muß auch dies ganz deutlich gesagt werden.
Niemand will allerdings ernsthaft bestreiten, daß imRahmen der künftigen Optionsverfahren erhebliche zu-sätzliche Belastungen auf die Einbürgerungsbehördenzukommen werden. Das ist dann der zu zahlende Preis,der mit der Konsenslösung und mit dem Optionsmodellverbunden ist. Immerhin ist für die kommunalen Ein-bürgerungsbehörden erreicht worden, daß sie bei denEinbürgerungsverfahren erstmals ihre Kosten erstattetbekommen. Auch das muß ein Kommunalminister indiesem Parlament einmal feststellen dürfen.
Ich bitte Sie also, meine Damen und Herren, diesemGesetz heute Ihre Zustimmung zu geben. Dieser erstewichtige Schritt bedarf natürlich – da gibt es keinenZweifel – später der Vervollständigung hin zu einerGesamtreform, die notwendige Harmonisierungen mitdem Ausländergesetz und auch mit anderen Regelungenenthalten muß. Sie bedarf natürlich ebenfalls – auch dagibt es überhaupt keinen Zweifel – der Ergänzung umintegrationspolitische Konzepte, Maßnahmen und Pa-kete auf allen politischen Ebenen. Es kann doch daranüberhaupt kein Zweifel bestehen, daß die Bemühungenauf allen Ebenen – angefangen von den Kommunen überdie Länder bis zum Bund – in den letzten Jahren durch-aus Vorzeigenswertes zustande gebracht haben. Ichkönnte lange darüber sprechen, will dies aber aus Grün-den der Zeitökonomie nicht tun.Meine Damen und Herren, machen Sie heute diesenersten wichtigen Schritt! Setzen Sie ein Zeichen für alleMenschen in unserem Land, daß es uns Deutschen mitdem Integrationsangebot an unsere ausländischen Mit-bürger ernst ist. Ich bin davon überzeugt: Dieses Ange-bot wird mittel-, langfristig und auf Dauer zum innerenFrieden in unserem Land beitragen.Vielen Dank.
Alsnächstem Redner erteile ich dem Minister des Innern desFreistaates Bayern, Herrn Dr. Günther Beckstein, dasWort.Minister Dr. Fritz Behrens
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3454 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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Dr. Günther Beckstein, Staatsminister
: Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und HerrenAbgeordneten! Durch die Gesetzentwürfe, die heute zurDiskussion stehen, wird eine fundamentale Änderungunseres Staates beabsichtigt;
darauf hat auch Herr Bundesinnenminister Schily hin-gewiesen. Es handelt sich aber nicht um ein ausgereiftesGesetzeswerk, das wenigstens vom rein Handwerkli-chen, vom Fachlichen her anerkannt wäre, das man nurpolitisch ablehnt. Es ist offensichtlich kein handwerklichschöner Maßschuh, dessen politische Farbe einem viel-leicht nicht paßt. Es ist vielmehr Flickschusterei undschlichtweg nicht akzeptabel. Daß es ein „EntwurfSchily III“ ist – es ist der dritte Entwurf innerhalb vonvier Monaten –, ist ein Zeichen dafür. Einzelne Ge-sichtspunkte sind heute früh schon angesprochen wor-den; ich will diese aus Zeitgründen nicht im Detail dar-legen.Es steht dem Bundesrat nicht zu, die Beratungsge-schwindigkeit im Bundestag anzusprechen.
Eines aber ist überhaupt nicht zweifelhaft: Das Verfah-ren, das hier gewählt worden ist, bedeutet eine schwereMißachtung des Verfassungsorgans Bundesrat.
Dies ist ein Zitat des Vorsitzenden des Innenausschussesdes Bundesrates, Herrn Kollegen Wienholtz von derSPD, der ausdrücklich festgestellt hat: Eine solche Miß-achtung hat es in den letzten 20 Jahren nur ein einzigesMal gegeben. Die Beratungen im Bundesrat wurdennämlich am 30. April beendet, und zu diesem Zeitpunktwaren die Beratungen im Innen- und Rechtsausschußdes Bundestages bereits abgeschlossen. Es ist zutiefst zubedauern, daß man noch nicht einmal die verfahrensmä-ßige „political correctness“ gehabt hat, die Beratungser-gebnisse des Bundesrates im Ausschuß aufzunehmenund damit ernst zu nehmen.
Diese gröbliche Mißachtung des VerfassungsorgansBundesrat in einer solchen Frage ist unerträglich.
Der Gesetzentwurf selbst ist staatspolitisch verfehlt,verfassungsrechtlich bedenklich und läßt die notwendigeFolgenabschätzung vermissen.
Der Paß ist kein Mittel der Integration. Das sollten wirDeutsche wissen, weil wir beinahe wie im Labor beob-achten können – das ist hier anders als in den USA oderEngland –, welche Auswirkungen der Paß auf die Inte-gration hat. Wir haben hier nämlich mehr als 1 MillionMenschen aus einem anderen Kulturkreis, die den Paß indem Augenblick bekommen haben, als sie nachDeutschland kamen. Damit aber sind sie leider nochnicht integriert. Wir sehen das an den Problemen, diedie Kinder von Spätaussiedlern – beispielsweise ausKasachstan – haben.
Wenn ein Amerikaner oder ein Engländer sagt: DerPaß ist ein hervorragendes Mittel zur Integration, dannnehme ich das ernst. Wenn das jemand in diesem Hausesagt, aber nicht erwähnt, daß wir mit der Integration vonSpätaussiedlern Riesenprobleme haben, obwohl dieseden deutschen Paß besitzen, dann kann ich nur sagen:Ihnen fehlt der ernsthafte Wille, sich mit den Problemenauseinanderzusetzen.
Es geht Ihnen eher darum, hier politisch etwas durchzie-hen zu wollen, in der falschen Hoffnung, sich dadurchWählerstimmen zu verschaffen. Es geht Ihnen nichtwirklich darum, die Integration voranzubringen.
Die Integration junger Menschen, der zweiten unddritten Generation, ist ein Thema, das uns in den Län-dern existentiell beschäftigt. Ich sage hier für den Frei-staat Bayern: Ich bin bereit, mit jedem anderen Bundes-land darüber in einen Wettbewerb einzutreten, wer vonuns mehr dafür tut.
In vielen Fällen wird von Kollegen auch aus diesemHaus – ich nenne zum Beispiel Politiker aus Schleswig-Holstein – angemahnt, daß man endlich in den Ländernetwas tun soll. Ihnen sage ich: Tun Sie das doch in denLändern, in denen Sie an der Regierung sind, und schau-en Sie, was wir getan haben!
Deswegen haben wir weniger Probleme als andereLänder. Wir stellen aber fest, daß die Probleme größerwerden. Ich nenne hier Selbstethnifizierung und Ghetto-bildung. Ich meine, daß uns das große Schwierigkeitenbereiten wird. Wer diese Probleme nicht sieht,verschließt die Augen vor der Wirklichkeit.
– Lieber Herr Özdemir, wir sind uns in den Diskussio-nen in der Regel darüber einig gewesen, daß man dieIntegrationsprobleme nicht dadurch ernsthaft löst, daßman jemandem einen zweiten Paß in die Tasche steckt.Vielmehr sind folgende Problemkreise zu beachten: er-stens Sprachbildung, zweitens schulische Bildung, drit-tens berufliche Ausbildung, viertens die Frage der Inte-gration in die Arbeitswelt und fünftens natürlich dieFrage der Integration in die Gesellschaft – das geht vomSportverein bis zur Feuerwehr und den anderen gesell-schaftlichen Gruppen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3455
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Herr
Beckstein, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Edathy?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Herr Beckstein, Sie haben
davon gesprochen, daß es schlecht sei, die Augen vor
der Wirklichkeit zu verschließen. Wir haben hier ver-
schiedene Positionen gehört.
Mein Eindruck ist – auch wenn ich persönlich mit ein-
zelnen Punkten so nicht einverstanden bin –, daß sich
hier Menschen zu einem Bündnis zusammengefunden
haben, die guten Willens sind und die die Wirklichkeit
zur Kenntnis nehmen. Unter anderen hat ja auch der
Kollege Altmaier darauf hingewiesen.
Ich habe mir einmal Zahlen geben lassen. In Bayern
leben 1,1 Millionen Menschen, die nicht die deutsche
Staatsbürgerschaft haben; das sind fast 10 Prozent der
Bevölkerung in Ihrem Bundesland. Ich frage Sie, Herr
Staatsminister, jetzt: Stimmen Sie mir zu, daß wir als
Demokraten – egal, ob man Mitglied der CSU oder Mit-
glied der SPD ist – zumindest auf lange Sicht kein Inter-
esse daran haben können, daß ein großer Teil der hier
lebenden Bevölkerung nicht zum Staatsvolk gehört, und
müßten nicht gerade Sie als Innenminister eines Bun-
deslandes ein Interesse daran haben, daß wir mit Ein-
bürgerungsfragen vielleicht auch in der Hinsicht offen-
siver umgehen,
daß wir den Menschen die Entscheidung erleichtern, ja
zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zu sagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir haben selbstverständlich eingroßes Interesse daran, daß Ausländerinnen und Auslän-der der zweiten und dritten Generation integriert wer-den.
Aber wir haben ein existentielles Interesse daran, daß essich dabei um wirkliche Integration handelt und daßnicht Schwierigkeiten hinter einem Doppelpaß verstecktwerden.
Deswegen muß man sich mehr Mühe geben. Es gibtin Bayern mehr als 7 000 Sprachkurse, und wir haltendabei die Fördergruppenhöchststärke von acht Kindernein. Auf diese Weise versuchen wir, die Sprachschwie-rigkeiten zu reduzieren. Das ist ein wichtiger Schritt.Sie wollen jetzt die Staatsangehörigkeit auch an sol-che Kinder verleihen, die nach der Geburt in die Türkeizur Ausbildung gebracht werden. Wir wissen doch, daßdas ein leider immer größeres Problem ist. In der Dis-kussion heute vormittag ist kein einziges Mal gesagtworden – auch nicht von Ihnen, Herr Özdemir –, daß eszutiefst unerwünscht ist, daß Türkinnen und Türken, diehier geboren sind – bei Mädchen stellt sich das Problemnoch viel stärker –, von den Eltern im Alter von dreioder vier Jahren nach Hause gebracht werden, damit siedort erzogen werden. Die betreffenden Personen habenjetzt uneingeschränkt die Möglichkeit dazu, weil sie ih-ren Doppelpaß haben und dann mit 18, 19, 20 zurück-kommen können. Sie haben dann ihre schulische Aus-bildung komplett in der Türkei erfahren. Sie werdendann zwar den deutschen Paß haben, aber sie werdennicht ordentlich Deutsch können. Das kann doch keinMensch als Integration bezeichnen.
Wer jetzt einwirft, das seien nur Einzelfälle, dem sageich: Er hat keine Ahnung von gesellschaftlichen Reali-täten.
Ich habe die Ausländerbehörden der Stadt München undder Stadt Nürnberg gefragt, wie viele dieser jungen, beiuns geborenen Menschen zum Zwecke der Erziehung indas Heimatland Türkei zurückgebracht werden. Die An-gaben bewegten sich zwischen 30 und 40 Prozent. Dassind keine Einzelfälle, die man vernachlässigen könnte.Wir müssen uns um die Integration ernsthafter küm-mern. Das kann aber nicht in der Weise geschehen, daßman Kindern auch gegen den Willen der Eltern einenDoppelpaß gibt. Warum ist denn die Türkische Gemein-de gegen dieses Gesetz und sagt, wir trügen Konflikte indie Familien hinein?
Unser Konzept, Herr Westerwelle, ist das bessere. Wirbieten jungen Menschen an: Ihr bekommt die Einbürge-rungszusicherung, ihr bekommt den Kinderausweis, ihrbekommt den Personalausweis.
Wir zwingen sie aber nicht in eine doppelte Staatsange-hörigkeit hinein, mit der Verpflichtung, sich später zuentscheiden. Viele türkische Familien sagen uns: Mitdem Doppelpaß tragt ihr Unfrieden in die Familien hin-ein. Damit wird nicht die Erziehungsfähigkeit in einemschwierigen Punkt gefördert, sondern sie wird weiterzerstört. Deshalb tragen Sie mit Schuld daran, wenn sichdadurch in den nächsten Jahren die Schwierigkeitenweiter steigern.
Das Gesetz ist aus meiner Sicht schlichtweg falsch.Darüber kann man politisch streiten. Aus meiner Sichtist das Ius soli aber nicht etwa das modernere Recht. DieZufälligkeit des Ortes, an dem man geboren ist, hat weit
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3456 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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weniger Einfluß auf den Menschen als die Frage, inwelcher Generationenfolge man sich befindet.
Wir wissen, daß das doch die Realität bei überwältigen-den Teilen der hier seit vielen Jahren und Jahrzehntenlebenden türkischen Staatsangehörigen ist. Warum hatdenn, Herr Schily, die Bundesregierung nicht den Mutgehabt, Herrn Öcalan, der wegen schwerster Verbre-chen gesucht ist, nach Deutschland holen zu lassen?
Man hatte nicht den Mut dazu, weil man gesehen hat,daß aus Öcalans Heimat zu viele Emotionen kommen.
– Ich kann Ihnen sagen, daß ich die Bundesregierungdabei unterstützt habe. Aber was ich immer angegriffenhabe, ist, daß die Bundesregierung nicht den Mut hatte,dann zu sagen: Wir lassen Öcalan unter rechtsstaatlichenGarantien in die Türkei ausliefern.
Ich kann nur sagen: Wir wissen doch zum Beispielvon seit Jahrzehnten bei uns lebenden Serben, daß sieaus dem Ostergottesdienst der serbisch-orthodoxen Kir-che in München mit Transparenten mit Bildern und Auf-schriften wie „Clinton = Hitler“ zum US-Generalkonsu-lat gezogen sind. Diese Beleidigung haben wir natürlichmit Hilfe der Polizei unterbunden. Da wird deutlich, daßselbst bei Jahrzehnte hier Lebenden alte Bindungenfortwirken. Deswegen kann ich nur sagen: Das Ius soliist nicht etwa das modernere Recht; vielmehr ist es nuretwas, das heute als eine Art „political correctness“ dar-gestellt wird.
Herr Westerwelle, wir werden den Doppelpaß millio-nenfach durch die Hintertür bekommen. Ich darf daseinmal überschlägig berechnen: In Deutschland werdenjährlich zirka 80 000 Kinder geboren, die unabhängigdavon, ob es von den Eltern abgelehnt wird oder nicht,den Doppelpaß bekommen. Es gibt schätzungsweiseweitere 700 000 in Deutschland geborene Kinder, diejetzt unter 10 Jahre alt sind und auf Antrag die doppelteStaatsangehörigkeit erhalten können. In diesen Fällenwerden wir durch die doppelte Staatsangehörigkeiteventuell die Probleme in den Schulen lösen können,in denen die Kinder, die nicht Deutsche sind, die über-wältigende Mehrzahl sind. In Berlin gibt es sogar zweiSchulen, an denen kein einziges Kind mehr Deutsch alsMuttersprache hat. Dieses Problem hat man durch denDoppelpaß formal gelöst. Inhaltlich hat man es abernicht gelöst; vielmehr wird die inhaltliche Lösung durchden Doppelpaß schwieriger. Als dritte Zahl nenne ichdie 1,6 Millionen EU-Staatsangehörigen, die auf Ge-genseitigkeit das Recht der doppelten Staatsangehörig-keit bekommen. Dabei frage ich mich – das ist schonschwer zu ertragen –, warum bei Tschechen oder Un-garn nicht etwas Entsprechendes gemacht wird. Ich ver-stehe auch, daß Türken sagen: Das sind völlig inakzep-table Voraussetzungen. Sie würden eher akzeptieren,wenn wir sagen: Wir sind generell gegen den Doppel-paß. Aber daß man beispielsweise Ungarn den Doppel-paß nicht erteilt, Portugiesen hingegen doch, ist für sienicht verständlich.
Herr Schily, Sie haben als Bundestagsabgeordneternatürlich nicht Zugang zu den Zahlen der Verwaltungen.Deswegen hätten Sie darlegen müssen, daß von den34 Prozent Ausnahmefällen ein überwältigender AnteilAussiedler sind, die die doppelte Staatsangehörigkeitbehalten. Im vergangenen Jahr lag der Anteil der Türkenunter den neuen Doppelstaatlern unter 3 Prozent.Mir geht es hierbei darum: Wer meint, daß damit dieIranfälle vernünftig gelöst werden, liegt leider nichtrichtig. Ich habe mehrfach an Herrn Schily geschrieben,daß wir bei der Frage der Iranfälle zu einer vernünftige-ren Härtefallregelung kommen. Er hat sich dazu nicht inder Lage gesehen und dies mit einem Hinweis nicht et-wa auf unser Recht, sondern auf das deutsch-iranischeNiederlassungsabkommen aus den 30er Jahren be-gründet.
Herr
Minister Beckstein, ich darf Sie darauf hinweisen, daß
die angemeldete Redezeit abgelaufen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerade weil der Bundesrat in solch einer Weise betrof-fen ist, bin ich mir sicher, daß die CDU/CSU-FraktionVerständnis dafür hat, wenn ich noch anderthalb Minu-ten in Anspruch nehme. Mehr ist es nicht.
– Meine Damen und Herren, den gesamten Vormittagüber bewundere ich die Diskussionskultur dieses Bun-destages. Ich glaube, daß es deswegen auch angemessenist, wenn der Bundesrat von seinem verfassungsgemä-ßen – ich wiederhole: verfassungsgemäßen – RederechtGebrauch macht, und daß dies auch akzeptiert werdensollte.
Bisher war es so: Unzumutbare Härtefälle konntengelöst werden. Das haben wir getan. Aber das wird jetztin einer Weise ausgedehnt, daß der Doppelpaß in der Tatmillionenfach durch die Hintertür eingeführt wird. Dasbetrifft alle Menschen, die über 60 Jahre alt sind, wennman den Begriff „ältere Personen“ gemäß den bisheri-gen verwaltungsrechtlichen Vorgaben nennt. Das wären450 000 Menschen. Hinzu kommt, daß die Doppelstaat-Staatsminister Dr. Günther Beckstein
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3457
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lichkeit hingenommen wird, wenn im Heimatland wirt-schaftliche oder vermögensrechtliche Nachteile dro-hen. Es gibt kaum ein Land, in dem es zu keinen Nach-teilen beim Grunderwerb kommt. Deutschland ist dabeieine der ganz wenigen Ausnahmen. In fast allen anderenLändern entstehen Nachteile beim Grunderwerb. Damitist bereits diese Voraussetzung gegeben. Wenn man an-nimmt, daß von dieser Ausnahmeregelung nur 25 Pro-zent der dafür in Frage kommenden türkischen PersonenGebrauch machen, dann liegen wir bei schätzungsweise500 000 Menschen. Dazu kann ich nur sagen: Wir habendie Zahlen dargestellt.Die verfassungsrechtlichen Probleme werden nachAbschluß des Gesetzgebungsverfahrens von uns undvielleicht auch von anderen noch sorgfältig geprüft wer-den. Die Folgenabschätzung beinhaltet zwei Punkte. Wirwerden später eine Menge von Doppelstaatlern haben,die keinen Bezug zu unserem Land haben; denn auchderjenige, der im Ausland lebt, dort in der Zeit der Op-tionsverpflichtung Abkömmlinge hat, vererbt nach demvon Ihnen so abgelehnten Ius sanguinis das Staatsange-hörigkeitsrecht. Selbst dessen Abkömmlinge werdenwiederum mit einer wenig gelungenen Ausschlagemög-lichkeit Deutsche.Daraus werden erhebliche Sozialkosten entstehen. Esist auch heute mehrfach darauf hingewiesen worden, daßdieses Gesetz verwaltungsmäßig mit vernünftigem Auf-wand keineswegs zu vollziehen ist. Ich glaube, es gibtkeinen, der ein bißchen Ahnung von Verwaltungsvor-gängen hat, der meint, daß dies mit vernünftigen ver-waltungsmäßigen Bedingungen zu handhaben ist.
Deswegen kann ich nur auf diese Bedenken hinwei-sen und wünsche eine angemessene Beratung.
Als
nächster Redner hat der Kollege Joachim Stünker von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Auch ich möchte mich angesichts derfortgeschrittenen Zeit und der vereinbarten Verkürzungder Redezeiten auf das Wesentliche beschränken, washeute nachmittag noch zu sagen ist.Kaum ein Thema ist in unserem Land in den zurück-liegenden Jahren, Monaten und Wochen bis hinein in dieheutige Bundestagsdebatte derart leidenschaftlich, emo-tional und ebenso populistisch national wie politischvordergründig diskutiert worden wie die notwendigeNeuregelung des Staatsangehörigkeitsrechtes. Solch eineRede haben wir gerade eben gehört.
Es geht nicht darum, daß, wie der Kollege Glos ge-stern gesagt hat, heute das Staatsbürgerschaftsrecht ver-abschiedet werden muß, um die Linken bei Laune zuhalten, sondern es geht darum, daß eine wichtige, not-wendige Reform in diesem Land endlich auf den Weggebracht und umgesetzt wird.In der Diskussion zu diesem Reformvorhaben werdenvielfältig und facettenreich immer wieder insbesondereverfassungsrechtliche Bedenken gegen Art und Inhaltder Neuregelungen ins Feld geführt. Auch Herr MinisterBeckstein hat eben wieder von „verfassungsrechtlichbedenklichen Regelungen“ gesprochen. Untersucht mandiese Argumente jedoch genauer, stellt man fest, daß sieverfassungsrechtlich nicht tragen und im Grunde nurvorgeschoben sind, um ein politisch nicht gewünschtesErgebnis zu verhindern oder zumindest in der Öffent-lichkeit zu diskreditieren.
Das immer wieder gebrauchte Hauptargument ist dieangeblich drohende doppelte Staatsangehörigkeit. DasOptionsmodell lasse diese gleichsam durch die Hintertürzu. Das wurde heute und auch im Verlauf der übrigenDebatten dieser Woche mehrfach gesagt.Es ist bereits darauf hingewiesen worden: Es gibt diedoppelte Staatsbürgerschaft bereits nach geltendemRecht. Dennoch sagen Sie immer wieder, Sie wolltendas vom Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlichüberprüfen lassen, und erwecken damit in der breitenÖffentlichkeit den Eindruck, als sei Mehrstaatigkeit ansich verfassungswidrig.Ich habe mir die Mühe gemacht, in die Entstehungs-geschichte des Art. 116 unseres Grundgesetzes einzu-steigen, um diese Argumentation zu überprüfen. Ich darfIhnen sagen: Die Protokolle des Parlamentarischen Ratesaus dem Jahre 1949 fördern hier Erstaunliches zutage. Inder Sitzung des Hauptausschusses des ParlamentarischenRates vom 14. Januar 1949 ist diese Frage eingehend undabschließend erörtert worden. Hintergrund war, daß indem Entwurf des Organisationsausschusses zur Fassungdes Art. 116 Abs. 2 sehr wohl Bedingungen enthalten wa-ren, die Mehrstaatigkeit ausdrücklich verhindern sollten.Nun zwei Protokollnotizen. Zunächst ein Zitat desVorsitzenden Carlo Schmid, jenes großen Sozialdemo-kraten, der, wie ich meine, nicht zu Unrecht als einer derHauptväter unserer Verfassung gilt:Es ist nicht zu bestreiten, daß die Entwicklung desStaatsangehörigkeitsrechtes international eine klareTendenz gegen die doppelte Staatsangehörigkeitaufweist. Mehrere Länder, die noch vor einigenJahren die doppelte Staatsangehörigkeit zugelassenhaben, haben sie nunmehr in ihrer Gesetzgebungausgeschlossen. Ob diese Entwicklung sehr glück-lich ist, ob sie nicht vielmehr ein verspäteter Nach-trabant des nationalstaatlichen Denkens ist, möchteich dahingestellt sein lassen. Gerade wenn man sichvon dem nationalstaatlichen Denken entfernen will,sollte man kein Staatsangehörigkeitsmonopolschaffen, sondern ruhig zwei, drei, vier Staatsange-hörigkeiten zulassen.
Aus diesem Grund wäre auch ich dafür, diese Be-dingung zu streichen.Staatsminister Dr. Günther Beckstein
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3458 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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Dann ein Zitat von Dr. Laforet, 1949 Abgeordneterder CSU, Herr Minister Beckstein, im Parlamentari-schen Rat:Vor allem im Verhältnis zur Schweiz sind doppelteStaatsangehörigkeiten heute durchaus möglich undhäufig. Ich möchte dringend davor warnen, diedoppelte Staatsangehörigkeit auszuschließen, je-denfalls nicht im Grundgesetz, sondern die Rege-lung dem künftigen Bundesgesetz zu überlassen.Wir sollten aus dem Artikel alles streichen, waseine doppelte Staatsangehörigkeit ausschließt. Imübrigen schließe ich mich den Argumenten desVorsitzenden an.
So also ein CSU-Mitglied 1949; so ändern sich die Zei-ten.
Daraufhin sind die genannten Bedingungen gestri-chen worden, und Art. 116 hat seine heute gültige Fas-sung erhalten. – Herr Schäuble, Sie schütteln mit demKopf, aber so ist es. Lesen Sie die Protokolle nach.
Dieser kurze historische Rückblick in die Entste-hungsgeschichte zeigt unter anderem, liebe Kolleginnenund Kollegen von der CDU/CSU, daß es in Ihren Reihenbereits vor 50 Jahren wesentlich fortschrittlicher und li-beraler denkende Menschen gegeben hat als diejenigen,die heute bei Ihnen beim Staatsangehörigkeitsrecht denTon angeben. Ihre heutige amtliche Position zum Staats-angehörigkeitsrecht läßt sich wie folgt skizzieren: Vor-wärts, wir müssen zurück! Die Mütter und Väter unseresGrundgesetzes hingegen wußten bereits, daß ein moder-nes Staatsangehörigkeitsrecht nicht dogmatisch, deutsch-tümelnd sein darf, sondern dynamisch sein muß. Nur sokönnen gesellschaftliche Entwicklungen und Verände-rungen in der Wohnbevölkerung eines Staates aufge-nommen und demokratisch-pluralistisch angepaßt wer-den.Es kann keine Rede davon sein, daß die moderateErweiterung der doppelten Staatsangehörigkeit – wiein der jetzigen Regelung vorgesehen – sozusagen durchdie Hintertür in das Gesetz kommt. Aus verfassungs-rechtlicher Sicht muß man sagen: Sie kommt durch denHaupteingang.
Die vorgesehenen Vorschriften sind verfassungsrecht-lich nicht zu beanstanden. Da ich davon ausgehe, meineDamen und Herren von der Opposition, daß Sie diesganz genau wissen, ist Ihre diesbezügliche Diskussionfür mich nichts anderes als – um mit Carlo Schmid zusprechen – „ein verspäteter Nachttrabant des national-staatlichen Denkens“. Dieses Denken sollten Sie am En-de dieses Jahrhunderts, kurz vor dem Übergang in einneues Jahrhundert, aufgeben.
Dem Gang der CDU/CSU-Fraktion nach Karlsruhe –Kollege Rüttgers, Sie haben ihn zwar nicht hier, aber inInterviews angekündigt – werden wir mit Gelassenheitentgegensehen. Man könnte fast versucht sein, die Fragezu stellen, ob Ihnen nicht die Verhängung einer Miß-brauchsgebühr drohen müßte, wenn Sie dort wirklichhingehen.
Die Anhörung der Experten im Innenausschuß des Deut-schen Bundestages hat gezeigt, daß verfassungsrechtlichkeine Bedenken mehr gegen diese Neuregelung anzu-melden sind.Ich möchte auf einen Aufsatz in der „Frankfurter All-gemeinen Zeitung“ vom 8. März dieses Jahres hinwei-sen. Er stammt von dem Hamburger Staatsrechtler undVölkerrechtler Professor Ingo von Münch. Unter derÜberschrift „Was bedeutet eigentlich Staatsangehörig-keit?“ kommt er am Schluß zu einer, wie ich meine, be-merkenswerten Feststellung. Ingo von Münch führt dortaus:Wie immer das Ergebnis der Debatte im Parlamentsein wird– also das Ergebnis heute –eine Merkwürdigkeit bleibt bestehen, nämlich daßeinerseits die Staatsangehörigkeit in einer Welt derGlobalisierung und im Europa der politischen Uni-on immer weniger wichtig wird, andererseits überund um den Erwerb der deutschen Staatsangehörig-keit so erbittert gekämpft wird.Fürwahr, meine Damen und Herren! Diejenigen in die-sem Hause – als Neuling im Deutschen Bundestag habeich allen Kolleginnen und Kollegen – mit sehr vielAufmerksamkeit zugehört –, die fast in jeder Debatte derletzten Wochen und Monate von den Menschen in unse-rem Land in ökonomischen Fragen ein hohes Maß anFlexibilität, globalem Denken und Handeln fordern, diedie Bedingungen der „zweiten Moderne“ neoliberalformulieren wollen, erweisen sich in Sachen Staatsange-hörigkeitsrecht als die Ewiggestrigen.
Ich darf für die sozialdemokratische Fraktion ab-schließend sagen: Das jetzt zur Verabschiedung anste-hende Optionsmodell ist für die BundesrepublikDeutschland ein gesellschaftlicher Kompromiß. Ichmeine, es ist ein Kompromiß, der tragen kann, ein Kom-promiß, der, wenn man ihn ohne Vorurteile und nichtdurch die ideologische Brille betrachtet, geeignet ist, zuversöhnen, statt zu spalten. Er hätte die Zustimmung al-ler Fraktionen dieses Hohen Hauses verdient.Schönen Dank.
Alsnächster Redner hat der Kollege Erwin Marschewskivon der CDU/CSU-Fraktion das Wort.Joachim Stünker
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3459
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Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehenheute am Ende einer, wie ich meine, etwas übereiltenDebatte. Lassen Sie mich trotzdem ein kurzes Resümeeder Gesamtdiskussion ziehen.Die Absicht von Rotgrün war, zum erstenmal in dermodernen deutschen Geschichte die generelle doppelteStaatsbürgerschaft in Deutschland einzuführen. Dieshaben Sie, Herr Bundesinnenminister, mit der Behaup-tung versucht, sie werde zur Integration ausländischerMitbürger führen. Dafür sei auch die klare Mehrheit derDeutschen. – Beides war und ist falsch. Millionen Bür-ger haben sich an unserer Unterschriftenaktion beteiligt.Die Union hat aufgeklärt und informiert.
Wir waren sehr erfolgreich. Wir haben zusammen mitder überwiegenden Mehrheit der deutschen Bevölkerungdie Absicht der Regierung Schröder gestoppt, inDeutschland den generellen Doppelpaß einzuführen.Das war gut so.
Leider haben wir Sie nicht völlig zur Umkehr bewegenkönnen: Nach dem ersten Schily-Entwurf folgte der zweite– dann der dritte und jetzt der vierte. Ich glaube aber, daßauch „Schily IV“, Herr Bundesinnenminister, mangelhaftist. Denn: Erstens. Sie verlangen bei der Einbürgerung vonErwachsenen weiterhin keine Integration, keine erkennba-re Einordnung in unsere politischen, kulturellen und sozia-len Lebensverhältnisse. Wir wissen doch: Integration er-folgt nicht durch einen Paß, sondern durch das Leben.
Zweitens. Sie verlangen von erwachsenen Ausländernnoch nicht einmal, daß sie ihren Lebensunterhalt selbstbestreiten können. Es ist einmalig in der Welt, daß je-mand, der eine fremde Staatsangehörigkeit annimmt,selbst nicht in der Lage sein muß, seinen Lebensunter-halt zu bestreiten.Drittens. Ihr Verzicht auf die doppelte Staatsbürger-schaft bedeutet – Herr Kollege Beckstein hat das schongesagt –, daß mehrere hunderttausend Ausländer diedoppelte Staatsbürgerschaft durch die Hintertür erlangenkönnen. Das kann nur jemand akzeptieren, der diesenGesetzentwurf als ersten Schritt zur Hinnahme der dop-pelten Staatsbürgerschaft ansieht. Weil wir das nichtwollen, lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.Wir lehnen ihn auch ab, weil es falsch ist, Kindernmit der Geburt – auch gegen den Willen der Eltern – denDoppelpaß zu geben. Entscheiden sich diese Kinder biszum Alter von 23 Jahren nicht für eine der beidenStaatsbürgerschaften, dann nehmen Sie ihnen diesenwieder ab – quasi nach dem Motto: „Wer nichts tut, wirdvom Deutschen wieder zum Ausländer“, wie es die„FAZ“ geschrieben hat. Das ist mehr als absurd, meineDamen und Herren. Wenn jemandem der deutsche Paßentzogen wird, der bis zu einem Alter von 23 JahrenDeutscher war, der beamtet war, der wählen durfte undder zur Bundeswehr ging, dann dient dieser Entzug mit-nichten der Integration ausländischer Mitbürger. Auchdeswegen ist dieses Modell abzulehnen.Ganz zu schweigen von den Rechtsproblemen: Esgab in der Anhörung kaum jemanden, der keine verfas-sungsrechtlichen Probleme mit diesem Entwurf hatte. Zudiesen zählten am Anfang auch Sie, Herr Schily, und –wie ich gelesen habe – der Bundeskanzler. Trotzdembringen Sie diesen Rumpfentwurf ein, obwohl er nichtden Anforderungen einer modernen Integrationspolitikentspricht.Ich darf in diesem Zusammenhang aus einem Briefder SPD-Kollegin Nahles an mich zitieren. Ob ich ihngezielt oder irrtümlich bekommen habe, weiß ich nicht,vielleicht aber auch in der Absicht, daß ich ihn hier vor-trage. In diesem Brief schreibt die Kollegin Nahles – ichdarf zitieren –:An die Genossen der SPD-Fraktion; Kinder, diezunächst von Amts wegen Deutsche werden sollen,bekommen eine familiäre Zeitbombe unter das Bettgelegt. Von ihrer Staatsbürgerschaft haben sienichts, außer der Erwartung, daß es mit 23 so oderso knallt.Recht hat sie, die Kollegin Nahles. Deswegen meine ich,Sie sollten von Ihrem Modell Abstand nehmen.
Ich weiß nicht, wie viele Kolleginnen und Kollegenbei dieser schwierigen Frage, in der es verschiedeneMeinungen geben kann, den Mut aufbringen, hier imBundestag eine eigene Meinung zum Ausdruck zu brin-gen, so wie es eine Reihe unserer Kollegen tut. Ich for-dere Sie auf, den Mut zu haben, in dieser schwierigenFrage nach Ihrem Gewissen zu entscheiden.
All diese Fragen hätten einer ausführlichen Diskussi-on bedurft. Sie haben unser Angebot, gemeinsam zuhandeln und zu einem Konsens zu kommen, jedoch ab-gelehnt – trotz der besonderen Bedeutung der Staatsbür-gerschaft; denn durch das Staatsbürgerrecht wird dasStaatsvolk bestimmt, von dem nach unserer Verfassungalle Staatsgewalt ausgeht. Aber Ihnen ging es offen-sichtlich darum – das muß man nach dieser hektischenDebatte einfach sagen –, den Unwillen der Bevölkerunggegenüber SPD und Grünen wettzumachen, den Sie mitIhrem Versuch, die generelle doppelte Staatsbürger-schaft in Deutschland einzuführen, verursacht haben.
Ihre Absicht ist, dies schnell vergessen zu machen.Das ist kein guter Ratgeber für eine so wichtige Reform.Lassen Sie mich zum Schluß Rudolf Wassermannzitieren, den früheren Vorsitzenden der sozialdemokrati-schen Juristen und OLG-Präsidenten von Braunschweig.Herr Wassermann schreibt:Was wir besonders nach den furchtbaren Anschlä-gen von Mölln und Solingen den Ausländernschulden, sind Achtung, Respekt, Verständnis, Hil-fe und Toleranz. Denjenigen, die Deutsche werdenwollen, sollten wir die Einbürgerung erleichtern,aber ohne Rückversicherung durch häufige dop-pelte Staatsbürgerschaft.
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Weiter schreibt er:Eine auf der Grundlage der doppelten Staatsbürger-schaft bewirkte Integration wäre keine echte, son-dern eine Scheinintegration, die weniger Nutzen alsGefahren bringt.Dem haben wir als Union nichts hinzuzufügen. Wirkönnen Ihrem Entwurf nicht zustimmen. Wir lehnen ihndeswegen zu Recht ab.
Als
letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kollege
Hans-Peter Kemper von der SPD-Fraktion das Wort. –
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, noch Ge-
duld zu haben und dem Redner zuzuhören. Es ist ein
kurzer Beitrag.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Marschewski, wenn Siein diesem Zusammenhang das Wort „Mut“ in den Mundnehmen, dann frage ich mich, woher Sie den Mut neh-men, nach 16jähriger Regierungszeit hier heute eine sol-che Rede zu halten.
Die CDU/CSU war 16 Jahre an der Regierung und hat indieser Frage nichts, aber auch gar nichts bewegt. Sie ha-ben sich trotz zweier anderslautender Koalitionsverein-barungen in Sachen Staatsbürgerschaftsrecht nicht einwinziges Stück bewegt.
Ihre Bilanz nach 16 Jahren lautet: Stagnation. Sie lautetnicht: Integration.Für uns ist der heutige Tag ein Tag der Freude; dennwir werden gleich mit der Mehrheit des Hauses ein neu-es Staatsbürgerschaftsrecht beschließen, das sich an dasStaatsbürgerschaftsrecht der meisten europäischenStaaten anlehnt, das aber auch der Tatsache Rechnungträgt, daß in den letzten 30 Jahren Einwanderung stattge-funden hat und über 7 Millionen ausländische Mitbürgerdauerhaft bei uns wohnen, die meisten davon für immer.Der Antrag der Union „Toleranz und Integration“liest sich auf dem Papier recht gut. Aber er ist völlig un-glaubwürdig, wenn er nach 16 Jahren Regierungsuntä-tigkeit plötzlich aus dem Hut gezaubert wird. Er wird solange unglaubwürdig bleiben, wie Sie mit Äußerungenwie „Bürgerrechte zu Discountpreisen“, „Teilzeit-Deutsche“ oder „Staatsbürgerschaft zum Nulltarif“ denBoden einer sachlichen Auseinandersetzung verlassen.
Eines allerdings kann man der Union nicht abspre-chen: Sie verhält sich in dieser Frage absolut logisch.Nachdem endlich Bewegung in diese Geschichte ge-kommen ist, haben Sie eine Unterschriftenaktion aufden Weg gebracht, die ich im Gegensatz zu meinenKollegen Bürsch und Westerwelle nicht so zurückhal-tend beurteile. Ich sage: Das ist eine absolut integrati-onsfeindliche Aktion gewesen, die als Kern Ausländer-feindlichkeit in sich barg.
Meine Damen und Herren, hier haben Sie der Integrati-on einen Bärendienst erwiesen. Ich bin froh, daß einigePersönlichkeiten der Union diesem Unterfangen wider-sprochen haben.Es geht allerdings noch weiter – Sie bleiben IhrerLogik treu –: In der ersten Lesung – auch heute kam daswieder durch – haben Sie einen sehr engen Zusammen-hang zwischen Kriminalität, Extremismus und unse-rem Staatsbürgerschaftsrecht herzustellen versucht.Ich denke, es ist infam, was Sie da gemacht haben.
Es gibt ausreichend Aussagen – auch von Ihnen –, die ineine andere Richtung gehen und die ganz deutlich zei-gen, daß sich die ausländische Wohnbevölkerung genau-so gesetzestreu verhält wie die deutsche Wohnbevölke-rung. Sie haben allen Grund, sich bei der ausländischenWohnbevölkerung für diese diffamierenden Äußerungenzu entschuldigen.
Natürlich gibt es Probleme – darüber haben wir kei-nen Dissens – bei der organisierten Kriminalität und beidenen, die sich nur kurzfristig hier aufhalten. Aber ge-nau die wollen wir ja nicht einbürgern. Wir wollen die-jenigen einbürgern, die längst integriert sind und nur aufGrund Ihrer verfehlten Staatsbürgerschaftspolitik nocheinen ausländischen Paß haben.Ich möchte noch ganz kurz auf den Vergleich auf derGrundlage der von Ihnen immer wieder angeführtenStatistik „Wohnbevölkerung und Straftäter“ eingehen.Der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung beträgt9 Prozent, der Ausländeranteil an den Straftätern liegtbei 30 Prozent. Dafür gibt es viele Gründe. Einige davonhat der Kollege Bürsch schon angesprochen. Ein Grundist: In der Straftäterstatistik tauchen die Leute auf, diehier nur durchreisen, die sich hier illegal aufhalten.Ebenso sind Stationierungsstreitkräfte, Touristen undUrlauber in dieser Statistik zu finden, während sie in derWohnbevölkerungsstatistik nicht auftauchen.Herr Zeitlmann hat in seiner letzten Rede gesagt, esgebe Stadtteile in deutschen Städten mit einem beson-ders hohen Ausländeranteil, die sehr stark kriminali-tätsbelastet seien. Das stimmt. Das rührt aber daher,daß dort besonders viele junge Menschen ohne Ausbil-dungs- oder Arbeitsplatz und mit Integrationsschwierig-keiten wohnen. – Das gleiche Problem hätten wir beieiner solchen Ausgangslage auch bei der deutschenWohnbevölkerung. – Hinzu kommt, daß junge Men-schen kriminalitätsanfälliger sind als über 60jährige. Dasist überhaupt keine Frage. Die sozialen Lebensumständeder ausländischen Jugendlichen sind schlechter. DieProbleme haben in Ihrer Regierungszeit zugenommen.Sie haben es versäumt, dagegen mit PrimärpräventionErwin Marschewski
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vorzugehen; statt dessen beschimpfen Sie Ausländerpauschal als Kriminelle.
Ich will nur noch auf einen Punkt eingehen: Es istvöllig gleich, ob die deutsche Staatsbürgerschaft am Be-ginn oder in der Mitte der Integration steht oder ob sieden Abschluß der Integration darstellt. Wichtig ist – dasist für mich ausschlaggebend –: Wir gehen heute dieersten Schritte in die richtige Richtung, in eine andereRichtung, als Sie es 16 Jahre lang getan haben. Wirstellen heute die Weichen für eine neue, für eine bessereZukunft auch unserer über 7 Millionen ausländischenMitbürger.Vielen Dank.
Ich
schließe die Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, will ich
Ihnen mitteilen, daß zu dem letzten heute verbleibenden
Tagesordnungspunkt nur zwei Redner sprechen werden.
Die anderen Reden werden zu Protokoll gegeben.
Wir kommen nun zur Abstimmung. Es liegt eine gan-
ze Reihe von Erklärungen zur Abstimmung nach § 31
der Geschäftsordnung vor. Diese werden zu Protokoll
genommen.*)
Wir stimmen jetzt ab über den Gesetzentwurf der
Abgeordneten Dr. Peter Struck, Otto Schily, Wilhelm
Schmidt und weiterer Abgeordneter der Fraktion der
SPD, der Abgeordneten Kerstin Müller, Rezzo
Schlauch, Kristin Heyne und weiterer Abgeordneter der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Abgeordne-
ten Dr. Wolfgang Gerhardt, Dr. Guido Westerwelle,
Jörg van Essen und weiterer Abgeordneter der Fraktion
der F.D.P. zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in
der Ausschußfassung, Drucksachen 14/533 und 14/867
Nr. 1.
Dazu liegen neun Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor, über die wir zuerst abstimmen müssen.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/988. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist gegen die Stimmen aller Fraktionen mit Aus-
nahme der PDS-Fraktion abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/989. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/990. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/991. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
––––––––*) Anlagen 6 und 7
Änderungsantrag auf Drucksache 14/992. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/993. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/994. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/995. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/996. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ge-
setzentwurf in der Ausschußfassung. Wer stimmt da-
für? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf in der Ausschußfassung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. gegen
die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der PDS-
Fraktion und einiger CDU/CSU-Mitglieder ange-
nommen.
Wir kommen
zur dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangt
namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. Ist das erfolgt? – Dann eröffne ich die Ab-
stimmung. –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist ein Mitglied desHauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgege-ben hat? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ichschließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-nen und Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen.Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-kanntgegeben.*)Wir setzen die Beratung fort. Ich bitte die Kollegin-nen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen, damit icheine Übersicht habe, wer wofür stimmt.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über denEntschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck-sache 14/960. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-trag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist dieserEntschließungsantrag gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-entwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Neuregelungdes Staatsangehörigkeitsrechts auf der Drucksa-che 14/535. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksa-che 14/867 Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen.––––––––*) Seite 3464AHans-Peter Kemper
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3462 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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Ich lasse über den Gesetzentwurf der CDU/CSU aufDrucksache 14/535 abstimmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damitist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit denStimmen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD, PDS undF.D.P. bei mehreren Enthaltungen in der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung dieweitere Beratung.Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-schlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antragder Fraktion der CDU/CSU zu Integration und Toleranz,Drucksache 14/867 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, denAntrag auf Drucksache 14/534 abzulehnen.Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? – Ge-genprobe! – Enthaltungen? – Diese Beschlußempfeh-lung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion an-genommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-schlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antragder Fraktion der CDU/CSU zu einem modernen Auslän-derrecht, Drucksache 14/867 Nr. 3. Der Ausschuß emp-fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/532 abzulehnen.Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? – Ge-genprobe! – Enthaltungen? – Damit ist diese Be-schlußempfehlung gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte III a undIII b auf: a) Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenDr. Norbert Blüm, Klaus-Jürgen Hedrich, Dr.Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSUKampf gegen Kinderarbeit– Drucksachen 14/662, 14/861 – b) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD,CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN undF.D.P.Forderungen an das neue Übereinkommen derInternationalen Arbeitsorganisation zurBekämpfung der Kinderarbeit– Drucksache 14/885 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demAbgeordneten Dr. Norbert Blüm, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Daß es am Ende dieses Jahr-hunderts noch Ausbeutung und Sklaverei gibt – und dasausgerechnet bei Kindern –, ist eine Schande.
Es geht jetzt nicht um eine feinnervige Definition, wasKinderarbeit ist, sondern es geht um die eklatanten Verstö-ße gegen die Gesundheit der Kinder. Es handelt sich – indiesem Zusammenhang möchte ich das schöne Wort „Ar-beit“ gar nicht verwenden – um Kinderprostitution. Dasist ein Verbrechen. Es handelt sich um Kindersoldaten.Auch das ist ein Verbrechen. Bei diesen Arbeiten – er-schrecken Sie sich bitte nicht über das Wort; wenn Sie sicherregen wollen, dann über den Anlaß – verrecken Kinder.Wenn Kinder bei der Herstellung von Feuerwerkskörperneingesetzt werden, dann kann man die Uhr danach stellen,wie lange sie noch zu leben haben. Wir bestaunen dann amSilvesterabend das Zischen, Krachen und Aufblitzen vonRaketen, die diese Kinder hergestellt haben.
Ich gönne niemandem eine fröhliche Party auf einemTeppich, der mit wundgescheuerten Kinderhänden her-gestellt wurde. Ich gönne niemandem, daß er sein Zim-mer mit Kohlen heizt, die von Kindern in kolumbiani-schen Bergwerken abgebaut worden sind. Ich kenne die-se Bergwerke. In Deutschland würde man dort keinenHund hineinschicken. Unsere Kinder, die Kinder derWohlstandsgesellschaft, spielen und haben ihren Spaßmit Kinderspielzeug, das von Kindern unter Tränen her-gestellt worden ist.Ich finde es gut, daß wir darin übereinstimmen, sol-che Verhältnisse abzuschaffen, und daß es heute hier-über keinen Parteienstreit gibt, der sonst immer seinmuß. Ich finde es gut, daß der Bundestag heute wie imMai des vergangenen Jahres über alle Parteigrenzenhinweg hier seine klare Ablehnung zum Ausdruckbringt.Mit der Beschreibung von Kinderarbeit ist ja dasElend noch nicht beseitigt. Eine Handvoll konkreterMaßnahmen ist mir lieber als ein ganzer Sack vollerProklamationen. Darum geht es in dem Übereinkom-men, das die ILO jetzt verabschieden soll. Dem gilt auchdie Große Anfrage der CDU/CSU.Im Mittelpunkt stehen nicht Definitionen von verbo-tenen Arbeiten, die sowieso nach geltender Rechtslageverboten sind. Es geht darum, die konkreten Verhältnis-se zu verändern. Dafür ist es aus meiner Sicht notwen-dig, daß das ILO-Übereinkommen nicht in seiner jetzi-gen Form bleibt. Es bleibt hinter den Erwartungen diesesDeutschen Bundestages zurück, und zwar hinter denErwartungen aller Fraktionen.Im Mai letzten Jahres hatten wir die Beteiligung vonNichtregierungsorganisationen gefordert. Davon stehtin diesem Übereinkommen nichts. Wir hatten gefordert,daß Kinder Zugang zu Rechtsmitteln haben. Auch davonsteht in diesem Übereinkommen nichts. Es enttäuschtmich, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort aufunsere Anfrage mitteilt:Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß,soweit die in Frage 1 erwähnten Forderungen nichtberücksichtigt wurden,– zum Beispiel die Beteiligung von Nichtregierungsor-ganisationen –...ein neuerlicher Vorstoß in zweiter Lesung Erfolghaben wird.Vizepräsidentin Petra Bläss
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Das schlechte Gewissen der Bundesregierung kannman an der Antwort auf Frage 4 ablesen, daß nachKompromissen gesucht werde, die darin bestehenkönnten, den Sozialpartnerorganisationen ein Vor-schlagsrecht dazu einzuräumen, welche Nichtregie-rungsorganisationen zu beteiligen seien. Dazu möchteich einmal etwas Grundsätzliches sagen: Ich bin ein An-hänger der Sozialpartnerschaft von Gewerkschaften undArbeitgebern. Aber die Nichtregierungsorganisationensind nicht die Filialen der Gewerkschaften oder der Ar-beitgeber. Sie müssen nicht darum bitten, um zu Wort zukommen. Sie haben ein eigenes Recht im Kampf gegenKinderarbeit.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß der von vielenNichtregierungsorganisationen initiierte „Global Marchagainst Child Labor“ das Gewissen der Welt wachge-rüttelt hat. Hier zeigt sich, daß wir auf die Nichtregie-rungsorganisationen angewiesen sind, nicht nur auf denStaat und die etablierten Sozialpartner. Ich warne dieSozialpartner – bei allem Respekt – davor, sich so zubenehmen, als hätten sie das Monopol in allen Sozial-fragen. Ich bin nicht für einen Kampf zwischen Sozial-partnerorganisationen und Nichtregierungsorganisatio-nen, sondern für Zusammenarbeit.Auf Frage 5 unserer Anfrage – Zugang der Kinder zuRechtsmitteln – lautet die Antwort:Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß einesolche Forderung nicht in bezug auf das Überein-kommen gestellt werden sollte.Das ist ein starkes Stück. Verehrte Frau Kollegin, dieBundesregierung hat den Auftrag des Parlamentes zu er-füllen. Die Bundesregierung ist kein selbständiger Ver-ein. Das Parlament hat im Mai letzten Jahres der Bun-desregierung den Auftrag erteilt, dafür zu sorgen, daßdie Forderung nach Zugang der Kinder zu Rechtsmittelnin das Übereinkommen hineingeschrieben wird. PrivateMeinungen interessieren mich in diesem Zusammen-hang gar nicht. Die Bundesregierung handelt im Auftragdes Parlaments. Wo sind wir denn? Sie haben uns nichtzu zensieren. Sie können uns nicht vorschreiben, welcheAuffassung wir haben sollen.Zur Sache selber: Es geht gar nicht um das Recht aufeine Individualklage, sondern um ganz einfache Sachen.Die Kinder in Indien, die zum obersten Gericht vorge-drungen sind, haben jeden Prozeß gewonnen; aber diemeisten Kinder kommen da gar nicht hin, weil sie darandurch lokale Autoritäten behindert werden. Es geht dar-um, dies zu ändern. Diese Forderung steht in Überein-stimmung mit der Kinderrechtskonvention, die wir1992 ratifiziert haben und die 1989 von der VN-Generalversammlung verabschiedet wurde.Ich finde die hier geäußerte Vorstellung merkwürdig,es störe die Akzeptanz, wenn das in diesem Überein-kommen stehe. In New York sagen wir ja, und in Genfsagen wir nein! Was für eine internationale Gemein-schaft ist es eigentlich, die einmal etwas beschließt undin einem anderen Zusammenhang sagt, es störe die Ak-zeptanz? Die Gründe, warum wir Wert darauf legen, daßKinder gehört werden, sind handfest. Daß Kinder Zu-gang zu Gerichten haben, ist ein handfestes Instrumentim Kampf gegen Kinderarbeit.
Ich möchte dafür Dank sagen, daß wir es bei allerHektik geschafft haben, einen Konsens zu finden. Unse-re Vorschläge richten sich nicht gegen die ILO. Auch ansie richtet sich mein Dank. Ich verbinde meinen Dank andie ILO mit dem Ratschlag, im Kampf gegen die Kin-derarbeit ihre ganze Phantasie nicht so sehr auf Statisti-ken, Papiere und Diagramme zu kaprizieren, sondernmehr Aktionen vor Ort zu ermöglichen.Es geht nicht nur darum, gegen Kinderarbeit zukämpfen; vielmehr geht es auch darum, für Schulbil-dung einzutreten. Ich bin für Verbote; aber es ist zu be-quem, nur zu verbieten. Ausschließlich zu helfen istauch zuwenig. Wir brauchen beides: verbieten und hel-fen. Ich kenne die Einwände: Man dürfe erst verbieten,wenn das Gesamtsystem verändert und die Armut besei-tigt ist. Auch die deutsche Geschichte kennt diese Ein-wände. Dieselbe Debatte mit denselben Argumenten ha-ben wir bei uns vor hundert Jahren geführt: Erst müssedie Armut beseitigt werden und dann die Kinderarbeit.Als das preußische Heer keine gesunden Rekruten mehrhatte, war die Kinderarbeit über Nacht verboten. Daging es plötzlich. Deshalb bin ich für eine Doppelstrate-gie: Nicht verbieten allein, sondern verbieten und helfen.
Kinder, denen der Zugang zur Schulbildung be-schnitten wird, haben auch später als Erwachsene weni-ger Chancen. So pflanzt sich das Unrecht fort: Als Kin-der zur Arbeit gezwungen, als Erwachsene arbeitslos,und deshalb werden die eigenen Kinder wieder in dieArbeit geschickt.Ich finde es gut, daß der Deutsche Bundestag, wennauch zu später Stunde, ganz eindeutig zum Ausdruckbringt: Für diesen Skandal gibt es keine Spur an Ver-ständnis. Ich finde es gut, daß es dem Deutschen Bun-destag weniger um Proklamation geht. Wir fordern dieBundesregierung auf – wir haben es schon einmal über-einstimmend beschlossen –, die Position der Nichtregie-rungsorganisationen zu stärken und den Zugang derKinder zu Rechtsmitteln auch in diesem Übereinkom-men durchzusetzen.Nicht die Worte des Übereinkommens zählen, son-dern nur die Tatsache, ob aus ihm Konsequenzen gezo-gen werden können. Es geht um Umsetzung und Durch-setzung, nicht um eine akademische Diskussion. Es gehtauch nicht darum, das deutsche Jugendarbeitsschutzge-setz weltweit zu exportieren. Daran denkt niemand. Esgeht um die Beseitigung der schlimmsten Formen derKinderarbeit, der Ausbeutung und der Versklavung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnenund Kollegen, ich gebe Ihnen zunächst das von denDr. Norbert Blüm
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3464 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
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Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-nis der namentlichen Schlußabstimmung über denGesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeits-rechts bekannt, eingebracht von Abgeordneten aus denFraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen undF.D.P., Drucksachen 14/533 und 14/867 Nr. 1. Abgege-bene Stimmen 588. Mit Ja haben gestimmt 365, mitNein haben gestimmt 184, Enthaltungen 39. Damit istder Gesetzentwurf angenommen.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 586;davon:ja: 365nein: 182enthalten: 39JaSPDBrigitte AdlerGerd AndresRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelAlfred HartenbachKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannMonika HeubaumUwe HikschReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderWaltraud LehnRobert LeidingerKlaus LennartzDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieIngrid Matthäus-MaierHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerJutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Gerhard RübenkönigMarlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserGisela SchröterRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ilse SchumannEwald SchurerDr. R. Werner SchusterDietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-DürenErnst SchwanholdRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkVizepräsidentin Petra Bläss
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999 3465
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Dr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerHans-Joachim WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekHelmut Wieczorek
Jürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Klaus WiesehügelBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMarieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeKlaus Wolfgang Müller
Kerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstClaudia Roth
Christine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerLudger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
F.D.P.Hildebrecht Braun
Ernst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachHorst Friedrich
Hans-Michael GoldmannDr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerJürgen W. MöllemannDirk NiebelGünther Friedrich NoltingDetlef ParrDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeDr. Guido WesterwellePDSDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsFred GebhardtDr. Barbara HöllDr. Christa LuftManfred Müller
Kersten NaumannRosel NeuhäuserGustav-Adolf SchurNeinCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankPeter BleserDr. Maria BöhmerSylvia BonitzWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward BuwittCajus CaesarLeo DautzenbergAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke EymerDr. Hans Georg FaustIngrid FischbachAxel E. Fischer
Herbert FrankenhauserDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisGeorg GirischMichael GlosDr. Reinhard GöhnerDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillManfred GrundCarl-Detlev Freiherr vonHammersteinGerda HasselfeldtHansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichUrsula HeinenSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerKlaus HoletschekJosef HollerithDr. Karl-Heinz HornhuesSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkBartholomäus KalbSteffen KampeterDr. Dietmar KansyManfred KantherVolker KauderUlrich KlinkertDr. Helmut KohlManfred KolbeHartmut KoschykRudolf KrausDr. Paul KrügerDr. Hermann KuesKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertDr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Dr. Michael LutherErich Maaß
Erwin MarschewskiDr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsVizepräsidentin Petra Bläss
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3466 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Mai 1999
(C)
Dr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Franz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferBeatrix PhilippRonald PofallaMarlies PretzlaffThomas RachelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Erika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrKurt RossmanithAdolf Roth
Dr. Christian RuckDr. Jürgen RüttgersDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteGerhard ScheuNorbert SchindlerDietmar SchleeBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Hans Peter Schmitz
Dr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtWolfgang SchulhoffClemens SchwalbeWilhelm-Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerErika SteinbachDr. Wolfgang Freiherr vonStettenAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas StroblDr. Susanne TiemannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzAndrea VoßhoffGerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Willy Wimmer
Werner WittlichAribert WolfPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerPDSCarsten HübnerUlla JelpkeEnthaltenCDU/CSUPeter AltmaierDr. Heribert BlensDr. Norbert BlümIlse FalkUlf FinkDr. Heiner GeißlerHermann GröheNorbert Hauser
Irmgard KarwatzkiEckart von KlaedenNorbert KönigshofenThomas KossendeyDr. Martina KrogmannDr. Friedbert PflügerRuprecht PolenzDieter PützhofenNorbert RöttgenHeinz SchemkenBirgit Schnieber-JastramDr. Christian Schwarz-SchillingDr. Rita SüssmuthPeter Weiß
Elke WülfingSPDHans-Ulrich KloseBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMonika KnochePDSPetra BlässEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Gregor GysiSabine JüngerGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerUrsula LötzerHeidemarie LüthAngela MarquardtDr. Uwe-Jens RösselChristina SchenkDr. Ilja SeifertEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungendes Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPUAbgeordnete(r)Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU Verheugen, Günter, SPD Zierer, Benno, CDU/CSUNächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Dr.Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/Die Grünen.
und Kollegen! Diese kurze Debatte findet im Vorfeldder Genfer ILO-Tagung statt, bei dem ein Überein-kommen zur Bekämpfung der schlimmsten Formen derKinderarbeit erzielt werden soll. Schlimmste Formensind die Sklaverei, die Schuldknechtschaft, Zwangsar-beit, Prostitution und die Rekrutierung von Kindern alsSoldaten.Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß dieKinderrechtskonvention, die die Rechte der Kinder um-fassend regelt, leider erst von 73 Staaten ratifiziert wur-de. Um aber möglichst viele Staaten dazu zu bringen,ein Übereinkommen zum Schutz der Kinder zu unter-schreiben, will man jetzt in Genf zumindest dieschlimmsten Formen ächten. Dies ist allerdings nur einerster Zwischenschritt; er ist keineswegs ausreichend.Kinder müssen nicht nur vor den schlimmsten Exzessenbewahrt werden, sondern alle Kinder müssen wenigstensZugang zu einer Basisgesundheitsversorgung und zurGrundbildung bekommen.
Nur dadurch können mehr Kinder wenigstens einen Teildes großen Potentials, das in ihnen allen steckt, aus-schöpfen. Eine zentrale Aufgabe vor allem im Rahmenunserer Entwicklungszusammenarbeit ist deswegen dieFörderung des Auf- und Ausbaus von Basisgesundheits-diensten und Institutionen der Grundbildung.Damit Kinder überhaupt eine Chance haben, in dieSchule zu gehen, muß selbstverständlich die Armut invielen Ländern viel stärker bekämpft werden, denn inden meisten Fällen sind Kinder gezwungen zu arbeiten,um ihren Familien das Überleben zu sichern. Es wärenatürlich vermessen zu sagen, daß von Deutschland, vonEuropa oder von anderen Ländern des Nordens die Pro-bleme der Kinderarbeit gänzlich gelöst werden könnten.Vizepräsidentin Petra Bläss
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Das wäre eine völlige Überforderung. Vielmehr müssendie Verantwortlichen in den betroffenen Ländern selbstwirksame Mittel auch jenseits von Gesetzessanktionenergreifen, um die Kinderarbeit zurückzudrängen undzum Verschwinden zu bringen.Es gibt Länder, in denen es schon sehr viele Gesetzehierzu gibt. Ein Beispiel dafür ist Indien. Die Menschen-rechtskommission hat die dortige Kinderarbeit zu einemzentralen Punkt erhoben, aber die Umsetzung – daswurde schon von meinem Vorredner gesagt – läßt zuwünschen übrig.Deswegen ist es insbesondere auch im Rahmen unse-rer Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik notwen-dig, in all diesen Ländern einen intensiven Dialog überKinderrechte sowohl mit den Regierungen als auch mitNichtregierungsorganisationen zu führen.Wenn Kinder vom Zugang zur Grundbildung ausge-schlossen werden, hat das Folgen. Die schlimmen Fol-gen der Kinderarbeit können wir besichtigen, wenn wirauf Besuchsreisen in den betreffenden Ländern sind.Den Kindern wird jede Hoffnung auf eine bessere Zu-kunft genommen. Wenn Selbsthilfeorganisationen vonKindern bestehen, sollten diese zukünftig an der Ge-staltung des Übereinkommens beteiligt werden. DieseSelbsthilfeorganisationen von Kindern, die insbesonderein lateinamerikanischen Ländern aktiv sind, dürfen we-gen ihrer Aktivitäten nicht kriminalisiert werden, genau-sowenig wie die arbeitenden Kinder selbst. Sie sind dieOpfer ungerechter gesellschaftlicher Verhältnisse undkeine Kriminellen.
In unserem Antrag fordern wir, daß Aktionspro-gramme zur Beseitigung der schlimmsten Formen derKinderarbeit in das ILO-Übereinkommen mit aufge-nommen werden. Das ist wichtig, damit es nicht bei denunverbindlichen Absichtserklärungen, die bisher dieRegel waren, bleibt. Noch einmal: Die Nichtregierungs-organisationen, die in diesem Bereich über langjährigeErfahrungen verfügen und sehr viel Engagement zeigen,sollen bei der Planung und Durchführung der Aktions-programme wirklich mit einbezogen werden. Nur sokann sichergestellt werden, daß möglichst viel Sachver-stand eingebracht wird.Zum letzten Punkt: Der Einsatz von Kindern alsSoldaten muß geächtet und dann auch verboten werden.Dieses Thema steht auch auf der Tagesordnung für dieVerhandlungen um ein Zusatzprotokoll zur Kinder-rechtskonvention der Vereinten Nationen. Wir müssendas mit Nachdruck angehen. In diesem Zusammenhangmöchte ich auch zu bedenken geben, ob nicht die Bun-deswehr die Rekrutierung von unter 18jährigen einstel-len sollte. Das würde die internationale Glaubwürdigkeitder Deutschen bei den zuvor schon angesprochenenschwierigen Verhandlungen erhöhen.
Besonders erfreulich ist natürlich, daß wir bei der Be-ratung dieses Themas eine gute Tradition fortsetzen: Ichfinde es vorbildlich, daß der Antrag überfraktionell ver-abschiedet wird. Wir alle hoffen, daß die Verhandlungenüber ein ILO-Übereinkommen zur Beseitigung derschlimmsten Formen der Kinderarbeit zum Erfolg füh-ren. Kinder werden die Zukunft gestalten. Sie gehören indie Schule und möglichst auch auf Spielplätze. Sie dür-fen nicht in Zwangsarbeit, Prostitution oder als Soldatenin bewaffnete Konflikte geschickt werden. Sonst habenwir keine Zukunft.Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Parlamentarische Staatssekretärin
Ulrike Mascher.
U
Frau Präsi-dentin! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Kinderarbeit –das ist in Deutschland die Erinnerung an ein dunklesKapitel unserer eigenen Sozialgeschichte. Für MillionenKinder in den Entwicklungsländern ist sie tagtäglich er-littene Realität.Wenn wir von Kinderarbeit reden, dann meinen wirnicht das Austragen von Zeitungen, das Mithelfen imelterlichen Landwirtschaftsbetrieb oder die Handrei-chungen bei Sportveranstaltungen, die im deutschen Ju-gendarbeitsschutzgesetz genau geregelt sind. Die Kin-derarbeit, über die wir hier reden und die uns alle be-drückt, heißt: elende Schwerstarbeit in kleinen Kohle-gruben, in Ziegeleien und in stinkenden Gerbereien,Hantieren mit gefährlichen Arbeitsstoffen ohne irgend-eine Schutzausrüstung. Das heißt ferner: Schuldknecht-schaft, recht- und schutzloses Dasein als Straßenkinderund oft Kinderprostitution.Wir sind uns alle einig: Kinderarbeit ist eines derschlimmsten Übel unserer Zeit. Darum steht die Be-kämpfung der Kinderarbeit auch bei der Internationa-len Arbeitsorganisation, IAO, ganz oben auf der Ta-gesordnung. Die IAO möchte ein internationales Ab-kommen zustande bringen, das die unverzügliche Besei-tigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit zumZiel hat. Wir machen uns keine Illusionen: Das Paradiesist damit noch nicht erreicht.Sowohl die alte als auch die neue Bundesregierungunterstützen die Internationale Arbeitsorganisation beidiesem Abkommen vorbehaltlos. Ich möchte mich beidem früheren Arbeitsminister, Norbert Blüm, für seingroßes Engagement in dieser Frage bedanken.
Ich habe einmal erlebt, wie er mit einer fulminanten Re-de die Delegierten der IAO begeistert hat. Fortschrittegab es aber – wie immer – nur zentimeterweise.Schon am 28. Mai 1998 brachten die damaligenKoalitions- und Oppositionsfraktionen einen gemeinsa-men Entschließungsantrag in den Deutschen Bundestagmit dem Ziel ein, die Verhandlungsposition der damali-gen Bundesregierung kurz vor Beginn der ersten Bera-Dr. Angelika Köster-Loßack
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tungen in Genf zu stärken. Wenn dieselben Fraktionenjetzt erneut einen gemeinsamen Entschließungsantrageinbringen, dann zeigt dies, daß wir beim Thema Kin-derarbeit weiterhin auf der gleichen Linie liegen.Ich bewerte diesen Entschließungsantrag wie auch dieGroße Anfrage der CDU/CSU-Fraktion als Unterstüt-zung eines Anliegens, das der Bundesregierung, denKoalitionsfraktionen und den Oppositionsfraktionenweiterhin gemeinsam ist. Wir haben in der Bundesrepu-blik zum Glück einen großen gesellschaftllichen Kon-sens. Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und Nicht-regierungsorganisationen in unserem Land tragen diesenKampf gegen Kinderarbeit mit. Ich bin mir sicher – dagibt es ermutigende Anzeichen –, daß es in dieser Frageeine breite und einhellige Unterstützung aller Bürgerund Bürgerinnen gibt.Der Entschließungsantrag stellt Anforderungen anden Inhalt, also an die Qualität des vorgesehenen neuenÜbereinkommens. Wir müssen uns aber darüber im kla-ren sein, daß der Inhalt nicht der alleinige Maßstab seinkann, an dem das Übereinkommen zu messen ist. Eben-so wichtig ist, daß möglichst viele Länder das Überein-kommen ratifizieren. Das gilt besonders für die Länder,in denen die Kinderarbeit immer noch einen bedrücken-den Stellenwert im Wirtschaftssystem hat.Das ist gerade der Grund, weshalb das seit 1973 beste-hende Übereinkommen der IAO über das Beschäfti-gungsmindestalter um das heute zur Dis kussion stehendeÜbereinkommen ergänzt werden soll. Das alte Überein-kommen ist auch wegen zu hoher Anforderungen und sei-ner komplizierten Ausnahmeregelungen nur von 64 der174 Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisationratifiziert worden. Darunter befinden sich die Bundesrepu-blik Deutschland und auch die damalige Deutsche Demo-kratische Republik. Aber Industrieländer wie Österreich,die Schweiz, Großbritannien, die USA, Kanada, Japan, Au-stralien und Neuseeland haben dieses Übereinkommen lei-der nicht ratifiziert. Damit ist es im Weltmaßstab leiderweitgehend unwirksam geblieben.Wir müssen also versuchen zu erreichen, daß nicht wie-der hochentwickelte Industriestaaten, aber auch wenigerentwickelte Länder dem neuen Abkommen ihre Zustim-mung verweigern. Das macht die Aufgabe nicht leicht; daswissen Sie, Herr Dr. Blüm. Ein Übereinkommen mit einemzu dürftigen Inhalt ist unsinnig. Ein Übereinkommen aber,das für Länder mit Kinderarbeit eine zu hohe Meßlattesetzt, wird auch keinen Erfolg haben. Wir müssen versu-chen, einen vernünftigen Mittelweg zu finden. Um diesenMittelweg bemüht sich die Bundesregierung bei den Bera-tungen in Genf derzeit intensiv.Eine von allen im Bundestag vertretenen Parteien ge-tragene Entschließung wird uns bei dieser Aufgabe si-cher eine wertvolle Unterstützung sein. Dafür bedankeich mich bei allen Fraktionen. Ich bitte Sie, uns auchweiterhin im wichtigen Kampf gegen die Kinderarbeitzu unterstützen.Ich freue mich, daß Norbert Blüm sein großes Enga-gement gegen Kinderarbeit jetzt auch als freier Abge-ordneter
mit großer Intensität fortsetzt. Ich versichere Ihnen, daßdie Bundesregierung ihren Part, die mühsame Arbeit derAushandlung von kleinen und größeren Fortschritten,mit genauso großem Engagement fortsetzen wird.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Die Kolleginnen Petra Ernstberger und Rosel Neu-
häuser sowie der Kollege Klaus Haupt haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben.*) Ich setze das Einverständnis des
Hauses voraus.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses
90/Die Grünen und der F.D.P. zu den Forderungen an
das neue Übereinkommen der Internationalen Arbeitsor-
ganisation zur Bekämpfung der Kinderarbeit auf Druck-
sache 14/885 . Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die-
ser Antrag einstimmig angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages ein auf Mittwoch, den 16. Juni 1999, 12 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.