Protokoll:
14014

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 14

  • date_rangeDatum: 10. Dezember 1998

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:13 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/14 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 14. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 I n h a l t : Benennung von Prof. Richard Schröder als Mitglied im Kuratorium „Wissenschaftszen- trum Berlin für Sozialforschung“..................... 803 A Erweiterung der Tagesordnung........................ 803 B Absetzung des Punktes 9 von der Tagesord- nung ................................................................. 803 B Nachträgliche Ausschußüberweisung .............. 803 B Tagesordnungspunkt 3: Vereinbarte Debatte 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Präsident Wolfgang Thierse............................. 803 D Rudolf Bindig SPD .......................................... 806 A Hermann Gröhe CDU/CSU ............................. 807 D Claudia Roth (Augsburg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN......................................................... 810 B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. ... 811 D Fred Gebhardt PDS.......................................... 813 B Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe- rin BMZ ........................................................... 814 A Monika Brudlewsky CDU/CSU ...................... 815 D Joseph Fischer, Bundesminister AA ................ 817 A Tagesordnungspunkt 4: a) Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Vorschau auf den Europäischen Rat in Wien am 11./12. Dezember 1998 und Ausblick auf die deutsche Präsident- schaft in der ersten Jahreshälfte 1999 .... 818 C b) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Erwartungen an das Treffen des Euro- päischen Rates in Wien am 11./12. De- zember 1998 (Drucksache 14/90 (neu)) .... 818 C c) Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Vorschau auf den Europäischen Rat in Wien am11./12. Dezember 1998 und Ausblick auf die deutsche Präsident- schaft in der ersten Jahreshälfte 1999 (Drucksache 14/181) .................................. 818 C d) Antrag der Fraktion der CDU/CSU Festigung und Fortentwicklung der Eu- ropäischen Union während der deut- schen Ratspräsidentschaft im 1. Halb- jahr 1999 (Drucksache 14/159)................. 818 C e) Antrag der Fraktion der PDS Forderungen an die deutsche EU- Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 (Drucksache 14/165) ......................... 818 D f) Antrag der Fraktion der PDS Zukunft der EU-AKP-Entwicklungszu- sammenarbeit (Drucksache 14/164)......... 818 D Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 819 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 824 B Dr. Peter Struck SPD....................................... 828 D Dr. Helmut Haussmann F.D.P. ........................ 831 A Joseph Fischer, Bundesminister AA................ 832 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 835 D Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 836 D Dr. Norbert Wieczorek SPD............................ 838 D II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 Dr. Ilja Seifert PDS.......................................... 840 A Horst Seehofer CDU/CSU ............................... 842 B Karl Hermann Haack (Extertal) SPD............... 844 D Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 845 B Ernst Burgbacher F.D.P. .................................. 846 A Günter Gloser SPD .......................................... 847 B Peter Hintze CDU/CSU ................................... 848 C Rolf Hempelmann SPD ................................... 849 D Monika Griefahn SPD ..................................... 851 A Dr. Norbert Lammert CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO).................................................. 851 D Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD (Erklä- rung nach § 31 GO) ......................................... 852 C Namentliche Abstimmung zu dem Entschlie- ßungsantrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 14/182 .............................................................. 853 A Ergebnis ........................................................... 853 B Namentliche Abstimmung zu dem Entschlie- ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/166 .......................................... 853 A Ergebnis ........................................................... 859 B Zusatztagesordnungspunkt 2: Überweisung im vereinfachten Verfah- ren Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Paul Krüger, Ulrich Adam und der Fraktion der CDU/CSU Ansiedlung einer Produktionsstätte für den Airbus A 3 XX in Mecklenburg- Vorpommern (Drucksache 14/161) .......... 856 A Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamenta- rischen Staatssekretäre (Drucksachen 14/30, 14/150) ............................................ 856 B Tagesordnungspunkt 13: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 18. September 1998 zwi- schen der Regierung der Bundesrepu- blik Deutschland und der Europäischen Zentralbank über den Sitz der Europäi- schen Zentralbank (Drucksachen 14/70, 14/168) ....................................................... 856 D b) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Ge- setzes (Drucksachen 14/92, 14/149)...... 857 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hartmut Büttner (Schö- nebeck), Günter Nooke und der Frak- tion der CDU/CSU eingebrachten Ent- wurfs eines Vierten Gesetzes zur Än- derung des Stasi-Unterlagen-Geset- zes (Drucksachen 14/91, 14/149) .......... 857 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO).............. 857 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie zu der Verordnung der Bundesregie- rung Aufhebbare Vierundvierzigste Verord- nung zur Änderung der Außen- wirtschaftsverordnung (Drucksachen 13/11417, 14/69 Nr. 2.1, 14/95)................. 858 A d) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (Drucksachen 13/7867 Nr. 2.14, 14/155 Nr. 2.1, 14/154). 858 B e) Beschlußempfehlung des Rechtsausschus- ses Übersicht 11 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 14/67) ......................................................... 858 C f) Beschlußempfehlung des Rechtsausschus- ses Übersicht 12 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 14/68) ......................................................... 858 C g) bis l) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- schusses Sammelübersichten 6 bis 11 zu Peti- tionen (Drucksachen 14/129, 14/130, 14/131, 14/132, 14/133, 14/134) .... 858 D, 859 A, C Tagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 III eines Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Siche- rung der Arbeitnehmerrechte (Druck- sachen 14/45, 14/151, 14/152)............... 862 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Rainer Brüderle, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion der F.D.P. ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur beschäftigungswirksamen Ände- rung des Kündigungsschutzgesetzes (Drucksachen 14/44, 14/151, 14/152).... 862 A b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versor- gungsreformgesetzes 1998 (Drucksachen 14/46, 14/145, 14/146) ............................... 862 B Walter Riester, Bundesminister BMA ............. 862 C Ina Lenke F.D.P. ........................................ 864 C Dirk Niebel F.D.P. .............................. 865 B, 870 A Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU.............. 866 B Walter Hirche F.D.P................................... 866 D Johannes Singhammer CDU/CSU.............. 868 B Klaus Wiesehügel SPD.................................... 869 B Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU ............... 869 C Gerd Andres SPD............................................. 871 A Ulrike Merten SPD..................................... 871 B Peter Dreßen SPD ...................................... 872 B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN......................................................... 873 B Heinz Schemken CDU/CSU ...................... 874 A Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P......................... 878 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS ......................... 880 C Ute Kumpf SPD............................................... 882 B Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) CDU/CSU...... 884 B Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. ............................ 886 D Petra Bläss PDS ............................................... 888 B Klaus Brandner SPD........................................ 888 D Andreas Storm CDU/CSU ............................... 890 D Klaus Wiesehügel SPD.................................... 894 C Adolf Ostertag SPD ......................................... 896 D Namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu Korrekturen in der Sozial- versicherung und Sicherung der Arbeitneh- merrechte ......................................................... 898 D Ergebnis ........................................................... 899 B Namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur beschäftigungswirksamen Änderung des Kündigungsschutzgesetzes ....... 899 A Ergebnis........................................................... 903 D Namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versor- gungsreformgesetzes 1998 .............................. 899 C Ergebnis........................................................... 906 B Tagesordnungspunkt 6: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung – GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz – (Drucksachen 14/24, 14/157) ..................... 902 A Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD ............... 902 B Dr. Hermann Kues CDU/CSU......................... 909 A Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 910 D Dr. Dieter Thomae F.D.P........................... 913 A, 916 D Dr. Ruth Fuchs PDS ........................................ 915 A Dr. Wolfgang Wodarg SPD............................. 916 C Gudrun Schaich-Walch SPD ........................... 917 B Wolfgang Zöller CDU/CSU ............................ 919 C Dr. Ilja Seifert PDS .................................... 919 D Rudolf Dreßler SPD................................... 920 B Horst Seehofer CDU/CSU ......................... 921 A Andrea Fischer, Bundesministerin BMG......... 922 A Wolfgang Zöller CDU/CSU....................... 922 C Dr. Wolf Bauer CDU/CSU.............................. 925 C Regina Schmidt-Zadel SPD............................. 926 D Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU. 928 C Dr. Margrit Spielmann SPD ............................ 930 A Namentliche Abstimmung............................... 931 B Ergebnis........................................................... 933 A Tagesordnungspunkt 7: Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (zu- gleich Vertreter in der Versammlung der Westeuropäischen Union) gemäß Artikel 1 und 2 des Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Druck- sachen 14/176, 14/177, 14/178, 14/179, 14/180) ....................................................... 931 B IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (Drucksachen 14/23, 14/158, 14/167) .......................................... 931 D Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF................................................................. 932 A Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/ CSU ................................................................. 935 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 937 D Jörg-Otto Spiller SPD ...................................... 938 D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. .............................. 940 A Heidemarie Ehlert PDS.................................... 941 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN................................................... 941 B Namentliche Abstimmung ............................... 942 A Ergebnis ........................................................... 943 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zur öffentlichen Ver- unsicherung in der Euro-Region Neiße infolge der Verurteilung von Taxifah- rern und Haltung der Bundesregierung zum Vorgehen des Bundesgrenzschut- zes in diesem Zusammenhang Christine Ostrowski PDS ................................. 942 C Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI. 946 A Günter Baumann CDU/CSU............................ 946 D Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 948 B Dr. Guido Westerwelle F.D.P. ......................... 949 C Barbara Wittig SPD ......................................... 950 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN......................................................... 951 B Petra Pau PDS.................................................. 952 C Hans-Peter Kemper SPD ................................. 953 B Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU...................... 954 B Otto Schily, Bundesminister BMI.................... 955 B Günter Graf (Friesoythe) SPD ......................... 956 C Tagesordnungspunkt 10: Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung zur Verlängerung der Frist in § 27 des Investitionsvorrangge- setzes (Drucksachen 14/50, 14/69 Nr. 2.2, 14/94) ......................................................... 956 D Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christine Ostrowski, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der wohngeldrechtlichen Regelungen – Wohngeldanpassungsge- setz – (Drucksachen 14/19, 14/142)........... 957 A b) Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS Fortführung des Wohnraum-Moder- nisierungsprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau bis zum Jahr 2000 (Drucksache 14/126) .................................. 957 B c) Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf und der Fraktion der PDS Verbesserte Förderung der Woh- nungsmodernisierung im Altbaube- stand und bei Wohnhochhäusern nach dem Investitionszulagengesetz 1999 (Drucksache 14/127) .................................. 957 B Christine Ostrowski PDS................................. 957 C Dr. Christine Lucyga SPD ......................... 958 C Nächste Sitzung ............................................... 959 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 960 A Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Friedhelm Ost (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/140) ................. 960 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Hans-Joachim Otto (Frank- furt), Jörg van Essen, Walter Hirche, Dirk Niebel, Hans-Michael Goldmann, Marita Sehn, Ulrike Flach, Dr. Dieter Thomae, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, Klaus Haupt, Ernst Burgba- cher, Dr. Klaus Kinkel, Gisela Frick (alle F.D.P.) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Fe- stigung und Fortentwicklung der Europäi- schen Union während der deutschen Ratsprä- sidentschaft im 1. Halbjahr 1999 (Drucksache 14/159) (Tagesordnungspunkt 4 d), sowie über den Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vorschau auf den Europäischen Rat in Wien am 11./12. Dezember 1998 und Ausblick auf die deut- sche Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 V 1999 (Drucksache 14/181) (Tagesordnungs- punkt 4 c) ......................................................... 960 C Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annette Faße (SPD) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (Tagesordnungspunkt 13 d) ...... 960 D Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Rainer Eppelmann, Ing- rid Fischbach, Dr. Rita Süssmuth, Eva-Maria Kors, Cajus Caesar, Renate Diemers, Dr.-Ing. Rainer Jork, Gerald Weiß (Groß-Gerau), Heinz Wiese (Ehingen), Franz Romer, Peter Weiß (Emmendingen), Dr. Maria Böhmer, Walter Link (Diepholz), Heinz Schemken, Ulf Fink (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zu Kor- rekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte (Tages- ordnungspunkt 5 a) .......................................... 961 B Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der So- lidarität in der gesetzlichen Krankenversiche- rung – GKV-Solidaritätsgesetz (Tagesord- nungspunkt 6) Hans-Ulrich Klose SPD................................... 961 C Monika Heubaum SPD .................................... 962 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu der Be- schlußempfehlung des Rechtsausschusses zu der Verordnung der Bundesregierung zur Verlängerung der Frist in § 27 des Investiti- onsvorranggesetzes (Tagesordnungspunkt 10) Hans-Jochen Hacker SPD ............................... 962 C Andrea Voßhoff CDU/CSU.............................. 963 D Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 965 A Gerhard Jüttemann PDS ................................. 965 C Jürgen Türk F.D.P........................................... 966 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zum a – Entwurf eines Gesetzes zur Anpas- sung der wohngeldrechtlichen Regelungen – Wohngeldanpassungsgesetz – ...................... 966 C b – Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS: Fortführung des Wohnraum- Modernisierungsprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau bis zum Jahr 2000............... 966 C c – Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf und der Fraktion der PDS: Verbesserte Förde- rung der Wohnungsmodernisierung im Alt- baubestand und bei Wohnhochhäusern nach dem Investitionszulagengesetz 1999 (Tages- ordnungspunkt 12)........................................... 966 C Dr. Christine Lucyga SPD............................... 966 C Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 967 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.................................................. 968 A Dr. Karlheinz Guttmacher F.D.P. ................... 969 A Gert Willner CDU/CSU ................................... 969 D Wolfgang Spanier SPD .................................... 970 D Anlage 9 Amtliche Mitteilung ........................................ 972 A Anlage 10 Antwort des Parl Staatssekretärs Dr. Eckhart Pick auf die Frage des Abgeordneten Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) (Drucksache 14/143, Frage 54) (Plenarprotokoll 14/13, Seite 797 A)..................................................... 972 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 803 (A) (C) (B) (D) 14. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 Beginn: 9.00 Uhr
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    Christine Ostrowski 960 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 (A) (C) (B) (D) Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Balt, Monika PDS 10.12.98 Bläss, Petra PDS 10.12.98 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 10.12.98 Frhr. von Hammerstein, Carl-Detlev CDU/CSU 10.12.98 Hartnagel, Anke SPD 10.12.98 Kampeter, Steffen CDU/CSU 10.12.98 Kasparick, Ulrich SPD 10.12.98 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 10.12.98 Kossendey, Thomas CDU/CSU 10.12.98 Kraus, Rudolf CDU/CSU 10.12.98 Dr. Lamers (Heidelberg), Karl A. CDU/CSU 10.12.98 Dr. Pfaff, Martin SPD 10.12.98 Pieper, Cornelia F.D.P. 10.12.98 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 10.12.98 Reiche, Kathrina CDU/CSU 10.12.98 Dr. Richter, Edelbert SPD 10.12.98 Schemken, Heinz CDU/CSU 10.12.98 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 10.12.98 von Schmude, Michael CDU/CSU 10.12.98 Dr. Schwarz-Schilling, Christian CDU/CSU 10.12.98 Dr. Uhl, Hans-Peter CDU/CSU 10.12.98 Uldall, Gunnar CDU/CSU 10.12.98 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 10.12.98 Wissmann, Matthias CDU/CSU 10.12.98 Zierer, Benno CDU/CSU 10.12.98 Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Friedhelm Ost (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf der Drucksache 14/140 (Vgl. 12. Sitzung, Seite 721 A): Ich habe an der namentlichen Abstimmung teilge- nommen und mit Ja gestimmt. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Hans- Joachim Otto (Frankfurt), Jörg van Essen, Walter Hirche, Dirk Niebel, Hans-Michael Gold- mann, Marita Sehn, Ulrike Flach, Dr. Dieter Thomae, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, Klaus Haupt, Ernst Burg- bacher, Klaus Kinkel, Gisela Frick (alle F.D.P.) zur namentlichen Abstimmung über den An- trag der Fraktion der CDU/CSU: Festigung und Fortentwicklung der Europäischen Union während der deutschen Ratspräsidentschaft im 1. Halbjahr 1999 (Drucksache 14/159) (Tages- ordnungspunkt 4d), sowie über den Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vorschau auf den Europäischen Rat in Wien am 11./12. Dezember 1998 und Ausblick auf die deutsche Präsident- schaft in der ersten Jahreshälfte 1999 (Druck- sache 14/181) (Tagesordnungspunkt 4c) Auch im Namen meiner Kollegen möchte ich erklä- ren, daß wir dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Regierungserklärung zustimmen, den entsprechenden Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jedoch ablehnen. Wir sind der Ansicht, daß die Aufhebung der grenz- überschreitenden Buchpreisbindung durch die EU-Kom- mission zwar große Probleme für die deutschen Verlage und Buchhandlungen bedeuten würde. Aber die Aufhe- bung der Teilwertabschreibung durch die neue Bundes- regierung bedeutet aus unserer Sicht eine zusätzliche und weitaus größere Belastung. Das Verbot hat exi- stenzbedrohende Konsequenzen für eine Vielzahl mittel- ständischer Verlage und Buchhandlungen und in noch schwerwiegenderer Weise für den Kunsthandel, insbe- sondere die Galerien. Mit dieser Maßnahme zerstört die Bundesregierung mit ihrer Steuerpolitik Tausende von Arbeitsplätzen. Das führt zu einer massiven Verarmung der Vielfalt auf dem deutschen Literatur- und Kultur- markt. Den Antrag der SPD, der die Benachteiligung des Mittelstandes durch die Abschaffung der Teilwertab- schreibung nicht berücksichtigt, halten wir für schein- heilig. Wir erwarten, daß die Bundesregierung ihre Plä- ne zur Teilwertabschreibung zurücknimmt. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annette Faße (SPD) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 961 (A) (C) (B) (D) die Bundesregierung; Vorschlag für eine Richt- linie des Rates zur Schaffung eines Ordnungs- rahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (Tagesordnungs- punkt 13d) Ich stimme der Beschlußempfehlung des 16. Aus- schusses zu, da ich die positiven Ansätze der Richtlinie des Rates aus grundsätzlichen Erwägungen ausdrücklich begrüße. Folgende Anmerkungen zu den Beratungen des Richtlinienentwurfs halte ich jedoch für angebracht: 1. Der Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungs- wesen des Deutschen Bundestages (15. Ausschuß) ist in die Beratungen des Richtlinienentwurfs in keiner Weise miteinbezogen worden, obwohl der Entwurf im Falle seiner Umsetzung weitreichende Konsequenzen für den Verkehrsträger Wasserstraße hätte. Durch die Nichtbe- teiligung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen bestand keine Möglichkeit, diese verkehr- lichen Interessen in angemessener Form in die Beratun- gen einzubringen. 2. Bei den weiteren Beratungen des Richtlinienvor- schlages im Rat der Europäischen Union und in der Stellungnahme des Europäischen Parlaments sollte zwi- schen den im Richtlinienentwurf formulierten Umwelt- zielen und konkurrierenden Zielen wie zum Beispiel der Nutzung der Gewässer als Verkehrsweg genau abgewo- gen werden. Es sollte berücksichtigt werden, daß reinen Umweltzielen andere Belange entgegenstehen können, die zumindest gleichrangig, gegebenenfalls höherrangig zu bewerten sind. Vergleichbare Rechtsnormen enthal- ten dieses grundsätzliche Gebot der Abwägung zwi- schen konkurrierenden Zielen. Die von der EU-Kom- mission und den EU-Mitgliedstaaten sowohl aus um- weltpolitischen wie aus wirtschaftlichen Gründen gefor- derte und geförderte Verkehrsverlagerung auf Wasser- straßen darf deshalb nicht durch eine fehlende Be- rücksichtigung der Gewässerfunktion als Verkehrsweg gefährdet werden. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Rainer Eppelmann, Ingrid Fischbach, Dr. Rita Süss- muth, Eva-Maria Kors, Cajus Caesar, Renate Diemers, Dr.-Ing. Rainer Jork, Gerald Weiß (Groß-Gerau), Heinz Wiese (Ehingen), Franz Rommer, Peter Weiß (Emmendingen), Dr. Maria Böhmer, Walter Link (Diepholz), Heinz Schemken, Ulf Fink (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte (Tagesordnungspunkt 5a) Dieses Gesetz lehnen wir, die Unterzeichnenden, ab, weil durch die Außerkraftsetzung der Rentenreform, be- sonders des darin enthaltenen demographischen Faktors, dem Generationenvertrag als der Grundlage unserer Rentenversicherung schwerer Schaden zugefügt wird. Zudem enthält dieses Gesetz unsachgemäße Rege- lungen für den Bereich „Entsendegesetz“ und „Schein- selbständigkeit“. Dagegen halten wir die Herabsetzung des Schwel- lenwertes beim Kündigungsschutz von 10 auf 5 Be- schäftigte sowie die Regelung bei der Lohnfortzahlung für vertretbar. Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenver- sicherung – GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz (Tagesordnungspunkt 6) Hans-Ulrich Klose (SPD): Bei der Abstimmung über den genannten Gesetzentwurf werde ich mich der Stimme enthalten. Ich kann nicht gegen den Entwurf stimmen, weil er in Teilen wichtige Korrekturen ver- gangener Fehlentscheidungen bringt. Ich kann aber auch nicht für den Entwurf stimmen, weil ich die Regelungen zur Budgetierung zwar aus der Sicht der Kassen verste- hen, aus der Sicht der Patienten und der Leistungser- bringer aber auf keinen Fall gutheißen kann. Zum einen erscheint mir die Grundidee der Budgetie- rung nicht nur fragwürdig, sondern sogar ethisch be- denklich, weil sie den einzelnen Arzt in eine kaum auf- lösbare Konfliktlage hineinführen kann: Vor allem im dritten Monat eines Quartals werden Ärzte bei (aus ihrer ärztlichen Überzeugung) notwendigen Verordnungen zögern, weil eine Überschreitung des Arzneimittelbud- gets droht, mit der Konsequenz, daß die Ärzte dann für ihre Leistung nicht nur kein Honorar erhalten, sondern über den Arzneimittelregreß sogar auch noch die einge- setzten Medikamente selbst bezahlen müssen. Da die Ärzte (ein Teil von ihnen) dazu nicht bereit sein werden, ist nicht auszuschließen, daß entweder die angemesse- ne/richtige Behandlung unterbleibt oder viele Patienten unnötig in Krankenhäuser eingewiesen werden, was dann die Kosten nicht reduzieren, sondern nach oben treiben müßte. In solche Konfliktlagen, die kein Abge- ordneter für sich akzeptieren würde, darf der Gesetzge- ber auch andere Berufsgruppen nicht hineinstellen. Der nachteilig Betroffene ist in dieser Konfliktlage in erster Linie der Patient, und das darf nicht sein. In dem Gesetz soll im übrigen dem § 75 folgender Absatz 10 angefügt werden: „Zur Sicherung der wirt- schaftlichen Verordnungsweise können die Kassenärzt- lichen Bundesvereinigungen und die Kassenärztlichen 962 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 (A) (C) (B) (D) Vereinigungen auf der Grundlage der Richtlinien der Bundesausschüsse die Vertragsärzte über verordnungs- fähige Leistungen und deren Preise oder Entgelte infor- mieren sowie nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse Hinweise zu Indikation und therapeutischem Nutzen geben.“ Auch dem kann ich nicht zustimmen, weil es in der Medizin bekanntlich unterschiedliche Therapie-Richtun- gen und infolgedessen in vielen Teilen einen „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse“ nicht gibt. Weil das so ist, können die Kassenärztlichen Vereinigungen die genannten „Hinweise“ gar nicht ge- ben. Sie können es auch aus ganz praktischen Gründen um so weniger, als die Funktionsträger der Vereinigun- gen in der Regel nicht mehr voll in der Praxis stehen, also auch nicht (mehr) über die notwendige Qualifi- kation verfügen, um solche „Hinweise“ begründen zu können. Überdies weiß jeder Praktiker, daß bei Entscheidungen der Kassenärztlichen Vereinigungen nicht immer nur objektive/sachliche Argumente aus- schlaggebend sind – auch dort werden „Interessen“ ver- treten. Im übrigen ist mein Eindruck der, daß der gesamte Gesetzentwurf in erster Linie auf die Kostenlage der Kassen reagiert, nicht aber auf die Frage, wie eine – aus der Sicht der Patienten – bestmögliche und kostengün- stige medizinische Versorgung gewährleistet werden kann. Letzteres müßte aber bei jeder Reform im Vorder- grund aller Überlegungen stehen. Monika Heubaum (SPD): Bei der Abstimmung über den genannten Gesetzentwurf werde ich mich der Stim- me enthalten. Das GKV enthält wichtige Elemente zur notwendigen Korrektur einer verfehlten Weichenstel- lung in der Gesundheitspolitik. Ich kann dem GVK- SolG jedoch nicht zustimmen, weil ich insbesondere die Regelungen zur Budgetierung zwar aus der Sicht der Kassen verstehen, aus der Sicht der Patienten und der Leistungserbringer (insbesondere der Ärzte) aber nicht gutheißen kann. Es ist zweifellos medizinisch machbar und im Sinne einer wirtschaftlichen Vorgehensweise wünschenswert, daß Behandlungen verstärkt aus dem stationären in den ambulanten Bereich verlegt werden. Hierfür schafft das GKV-SolG jedoch keine geeigneten Voraussetzungen. So ist es grundsätzlich nicht hinnehmbar, wie ärztliche Leistungen und Verordnungen künftig budgetiert wer- den sollen. Denn die vorgesehene Budgetierung, so ist zu befürchten, wird dazu führen, daß die niedergelasse- nen Ärzte gegen Quartalsende gezwungen sein werden, vermehrt stationäre Einweisungen vorzunehmen, um Budget-Überschreitungen zu vermeiden. Andernfalls werden diese Mediziner notwendige Medikamente, die von ihnen verordnet wurden, aus der eigenen Tasche be- zahlen müssen. Dies würde zu Konfliktsituationen füh- ren, die eine verstärkte Einweisung von ambulant be- handelbaren Patienten in die Krankenhäuser zur Folge hätten. Dabei stünde dies im krassen Gegensatz zu den Interessen der Partienten sowie zur angestrebten Wirt- schaftlichkeit und würde somit die gewollte Zielrichtung konterkarieren. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu der Beschlußempfehlung des Rechtsaus- schusses zu der Verordnung der Bundesregie- rung zur Verlängerung der Frist in § 27 des Investitionsvorranggesetzes (Tagesordnungs- punkt 10) Hans-Joachim Hacker (SPD): Der im Einigungs- vertrag festgeschriebene Grundsatz „Rückgabe vor Ent- schädigung“ hat zu weitreichenden Blockaden bei beab- sichtigten Verfügungen über Grundstücke in den neuen Ländern geführt. Richtig ist sicher, daß die rechtsstaatli- che und rechtsbeständige Klärung der sogenannten offe- nen Vermögensfragen aus der DDR-Zeit in einem be- achtlichen Umfang auch eine Vermögensrückgabe er- forderte. Ich denke hierbei insbesondere an Ansprüche von Verfolgungsopfern, wie zum Beispiel von Zwangs- ausgesiedelten. Nicht vergessen sollten wir auch, daß der erste Schritt in der Restitutionsfrage bekanntlich von Ministerpräsi- dent Modrow mit der Rückgabe der 1972 verstaatlichten Betriebe getan worden war. Wenn man so will, ist Herr Modrow, der Ehrenvorsitzende der PDS, der Erfinder der Restitution am Ende der DDR; die Koalition von CDU/CSU und F.D.P. hat diesen Ansatz perfektioniert. Wenn das Kabinett Modrow die juristischen Folgen der Einzelfallentscheidung möglicherweise nicht übersehen hat, war es dagegen der erklärte Wille der konservativen Koalition im Jahre 1990, aus ideologischen Gründen diese Lösung trotz erkennbarer Risiken zu wählen. Aber schon bald nach der deutschen Einheit wurde allen Beteiligten klar, welche Blockade von dieser Poli- tik ausging und daß Nutzer von Gebäuden, vor allem Handwerker und Gewerbetreibende in den neuen Län- dern, flächendeckend verunsichert wurden; denn das ge- nutzte Betriebsgrundstück war restitutionsbelastet und damit die Betriebsperspektive unklar – eine fatale Be- gleiterscheinung der Kohlschen Politik der „blühenden Landschaften“. Diese Investitionsbremse, für deren Zu- standekommen der kleine, aber einflußreiche Partner der damaligen Koalition, die F.D.P., die Hauptverantwor- tung trägt, mußte wenigstens teilweise gelockert werden. Das geschah im Zuge der Gesetzgebung, zuletzt durch das Investitionsvorranggesetz. Bei der Verabschiedung des Gesetzes ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß die Notwendigkeit besonderer Investitionsvorrang- regelungen nur bis zum 31. 12. 1995 bestehen würde. Jedoch wurde im Laufe des Jahres 1995 deutlich, daß diese Annahme unrealistisch war, da mehr als eine Mil- lion Anträge auf Rückgabe von über 2 Millionen Grund- stücken bestanden und die offensichtlichen Wirkungen, nämlich Blockade und Stagnation, durch Investitions- vorrangverfahren gemildert werden mußten. Jetzt sind die Ämter zur Regelung offener Vermö- gensfragen und die Landesämter zur Regelung offener Vermögensfragen vor allem mit Anträgen befaßt, die sich durch besondere Kompliziertheit und damit Lang- wierigkeit auszeichnen. Wir alle wissen, daß die Kom- munen in den neuen Ländern bei den städtebaulichen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 963 (A) (C) (B) (D) Entwicklungsplanungen durch restitutionsbedingte Be- sonderheiten belastet sind. Besonderheiten des Restituti- onsverfahrens wie Mehrfachanmeldungen, große Erben- gemeinschaften und formale, zum Teil unbegründete Anspruchsanmeldungen blockieren dringend notwendi- ge Entscheidungen zur Entwicklung der Innenstädte. Das Instrumentarium des Baugesetzbuches kann hier keine Abhilfe schaffen. Weiterhin gibt es eine Vielzahl restitutionsbelasteter Wohnhäuser im Bestand der städti- schen Wohnungsunternehmen, deren Zustand marode ist und die dringend saniert und modernisiert werden müssen. Jeder Politiker, der vor Ort mit den daraus resultie- renden Problemen, vor allem für die Mieter, aber auch für die Verwalter in diesen Häusern konfrontiert wird, weiß, daß hier weiterhin dringender Handlungsbedarf besteht, um den Verfall dieses Mietwohnungsbestandes aufzuhalten und endlich die Ursachen für Ärger und Re- signation in diesen Häusern zu beseitigen. Die Möglich- keit der Veräußerung von sanierungsbedürftigen restitu- tionsbehafteten Wohnungsbeständen durch die Woh- nungsunternehmen ist eine entscheidende Vorausset- zung für die Lösung dieses Gordischen Knotens. Auch daher muß die Frist für die Anwendung des Investiti- onsvorrangverfahrens verlängert werden. Wer sich ernsthaft mit den Rechtsproblemen ausein- andersetzt, die das Investitionsvorrangverfahren betref- fen, kommt nicht umhin zuzugestehen, daß es auch Ar- gumente gibt, die für ein Auslaufen der Frist in § 27 In- vestitionsvorranggesetz sprechen. Ich sehe hier insbe- sondere das starke Argument des Eigentumschutzes, das sich aus Art. 14 GG ableiten läßt. Aber auch die Vorga- ben aus Art. 14 GG zwingen uns nicht, das Rechtsinsti- tut des Investitionsvorrangverfahrens auslaufen zu las- sen; denn wie in diesen Fällen sind zahlreiche andere Personengruppen in der DDR von Vermögenseingriffen betroffen gewesen. Auch die F.D.P. wird zur Kenntnis nehmen müssen, daß es sich bei der Investitionsvorrangregelung nicht um einen nicht hinnehmbaren Eingriff in die Rechte der Alteigentümer handelt, sondern daß die Verlängerung der Frist des Investitionsvorrangverfahrens aus prakti- schen und juristischen Gründen im Interesse des wirt- schaftlichen Aufbaus in den neuen Ländern dringend er- forderlich ist. Außerdem – und das muß hier nochmals sehr deutlich gesagt werden – können sich ja auch An- melder als Investoren an diesem Investitionsvorrangver- fahren beteiligen. Viele Antragsteller erhalten die Vermögenswerte nicht zurück, oft sind diese gar nicht mehr vorhanden oder zu öffentlichen Zwecken genutzt worden. Der Ge- setzgeber mußte daher für die zahlreichen Fälle, bei de- nen die gesetzlich begründeten Rückgabeansprüche ob- jektiv nicht erfüllt werden können, eine Entschädigungs- regelung finden, was mit Erlaß des Entschädigungs- gesetzes 1994 geschehen ist. Wir alle wissen, daß die Entschädigungsbeträge gering sind und der heutige Verkehrswert in der Regel weitaus höher ist. Das BVG hat in den bekannten Entscheidungen zur Regelung von Eigentumsfragen in den neuen Ländern dem gesamt- deutschen Gesetzgeber einen weiten Handlungsspiel- raum eingeräumt. Wenn ich die vermögensrechtliche Situation des Anmelders, der von einem Investititions- vorrangverfahren betroffen ist, bewerte, muß ich fest- stellen, daß an ihn eine Erlösauskehr (mindestens in Hö- he des Verkehrswertes) erfolgt. Eine Beeinträchtigung seiner grundgesetzlich garantierten Rechte (Art. 14 GG) vermag ich daher auch bei Verlängerung der Frist für das Investitionsvorrangverfahren nicht zu erkennen, ins- besondere wenn ich diese Erlösauskehr mit anderen An- sprüchen bei ähnlich gelagerten Fällen des Entschädi- gungsgesetzes vergleiche. Wir, die SPD, waren immer dafür eingetreten, die Schere zwischen den Immobilienwerten bei Natural- restitution und gesetzlicher Entschädigung bei Unmög- lichkeit der Vermögensrückgabe zu verringern. Und wenn man schon den Regierungen der neuen Länder, der Bundesregierung und der neuen Koalition im Deutschen Bundestag nicht glaubt, dann – und das sage ich vor al- lem an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der F.D.P. – sollte man die Argumente unabhängiger Sach- verständiger zur Kenntnis nehmen und akzeptieren. Die Notarkammer Mecklenburg-Vorpommern, deren Mit- glieder ganz praktisch mit den Wirkungen des Investiti- onsvorranggesetzes konfrontiert werden, plädieren nachdrücklich für eine Fristverlängerung. Ich zitiere aus einem Schreiben des Stellvertretenden Präsidenten vom 21. Oktober 1998: Der Investitionsvorrangbescheid ersetzt nach § 11 InVorG die Genehmigungen nach der Grund- stücksverkehrsordnung und der Kommunalverfas- sung sowie das Negativattest nach § 28 BauGB. Damit trägt der Investitionsvorrangbescheid in er- heblichem Maße zu einer Beschleunigung des Grundstücksverkehrs bei. Aus diesem Grunde wird angeregt, die am 31. 12. 1998 ablaufende Antragsfrist des § 27 InVorG zu verlängern, um auf diese Weise sicherzustellen, daß die in den neuen Bundesländern nach wie vor er- forderlichen Investitionen im Grundstücksbereich beschleunigt und erleichtert werden. Die vorgelegte Verordnung der Bundesregierung ist dringend erforderlich. Der Rechtsausschuß des Bundes- tages sieht keine rechtsförmlichen und verfassungs- rechtlichen Bedenken. Im Gegenteil: Bei Abwägung al- ler Argumente sprechen die rechtlichen und die sachli- chen Aspekte für die Verlängerung des Investitionsvor- rangverfahrens bis zum 31. 12. 2000. Die Verordnung ist notwendig und wichtig für den Aufbau in den neuen Ländern. Die Initiative der Bundesregierung ist ein weiterer Beleg dafür, daß diese Aufgabe Chefsache der Bundesregierung unter Gerhard Schröder ist. Ich bitte Sie daher, der Verordnung zuzustimmen. Andrea Voßhoff (CDU/CSU): Wie meine Vorredner schon ausgeführt haben, geht es um ein formalrechtlich überschaubares, in seinen Auswirkungen aber nicht ge- ring einzuschätzendes Thema, nämlich um die Verord- nung der Bundesregierung zur Verlängerung der Frist in § 27 des Investitionsvorranggesetzes. Mit einer Verlän- gerung der dort genannten Antragsfrist wird es bis zum 31. Dezember 2000 weiterhin möglich sein, im be- 964 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 (A) (C) (B) (D) schleunigten Verfahren Investitionen bei Bedarf auf anmeldebelasteten Vermögenswerten zu ermöglichen, die ansonsten wegen der nach wie vor langen Bearbei- tungszeiten der Vermögensämter nicht kurzfristig zu realisieren wären. Schon einmal wurde aus diesem Grunde mit Verord- nung vom 8. Dezember 1995 die Frist nach dem Inve- stitionsvorranggesetz bis zum Ablauf des 31. Dezember 1998 verlängert. Nunmehr handelt es sich hier um die zweite und durch Verordnung letztmalig mögliche Ver- längerung der Antragsfrist nach § 27 Investitionsvor- ranggesetz, gegen die sich rechtstechnische und rechts- förmliche Bedenken – auch aus Sicht der CDU/CSU- Fraktion – nicht erheben. Es stellt sich aber bei einer erneuten Verlängerung natürlich die Frage der Notwendigkeit und des Bedarfs, und es gilt, den Bedenken derjenigen Rechnung zu tra- gen, die hier eine Einschränkung der Eigentümerrechte geltend machen. Von dort wird im wesentlichen argu- mentiert, daß die Befugnisse des Eigentümers durch die erneute Verlängerung der Antragsfrist weiter einge- schränkt werden und der Bedarf auch in Anbetracht der Erledigungszahlen der Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen nicht mehr bestehe. Wir wissen nur zu gut, daß im Einigungsrecht immer auch der Interessenausgleich zwischen den Rückgabebe- rechtigten und – wie in diesem Fall –, den für den Auf- bau Ost dringend benötigten Investoren gefunden wer- den mußte. Ich will deshalb auch gar nicht bestreiten, daß die Rechte der Restitutionsberechtigten durch An- meldung investiver Vorhaben Dritter nach dem Investi- tionsvorranggesetz tangiert und auch eingeschränkt wer- den, auch wenn das InVorG durch entsprechende Rege- lung den Restitutionsberechtigten materiell so stellt, als wenn restituiert worden wäre. Wir haben diesen Aspekt nie vernachlässigt oder gar untergewichtet. Allerdings gibt es, bedingt durch die Deutsche Ein- heit und das Bestreben, die Lebensverhältnisse der Bür- ger in den neuen Bundesländern denen in den alten Län- dern möglichst schnell anzugleichen, andere Grundent- scheidungen, die wir ebenfalls in unsere Überlegungen einzubeziehen haben. Dazu gehört auch die generelle Entscheidung, für einen begrenzten Zeitraum investiven Vorhaben auf restitutionsbelasteten Vermögen zur Si- cherung und Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Sanie- rung von Wohnraum und zur Durchführung notwendiger Infrastrukturvorhaben Vorrang vor den Belangen der durch diese Maßnahmen betroffenen Eigentümern zu geben. Dies wurde – einhergehend mit einer deutlichen Straffung des Verfahrens – mit den Vorschriften des In- vestitionsvorranggesetzes für einen befristeten Zeitraum erreicht. Nun konnten die Vermögensämter im Juni 1998 mit einer Erledigungsquote von zirka 86 Prozent bei Grund- stücken und bei Unternehmen zirka 81 Prozent aufwar- ten. Besteht bei einer solchen Erledigungsquote dann noch der Bedarf nach einer Fortsetzung dieser Rege- lung? Ich denke – ja –, denn in absoluten Zahlen heißt dies nichts anderes, als daß noch – unterstellt die Zahlen der Bundesregierung stimmen – zirka 300 000 anmelde- belastete Vermögenswerte bestehen, die derzeit noch nicht entschieden sind und auf denen nicht beschleunigt investiert werden könnte, gäbe es das Investitionsvor- rangsverfahren nicht. Auch in einer Pressemitteilung des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 19. Mai 1998 wird deutlich, daß bei reduziertem Personalbestand und der Vielzahl von Widerspruchs- und Klageverfahren immer weniger Zeit für die eigentliche Antragserledi- gung bleibt, so daß sich die Bearbeitung der restlichen Verfahren länger als bislang erwartet hinziehen wird. Zudem gibt es noch eine Vielzahl von städtebaulich re- levanten Grundstücken in den Kommunen, die restituti- onsbelastet sind. Es ist zwar richtig, daß auch die §§ 86 ff. des Bauge- setzbuches ([Enteignung] sowie die §§ 136 ff. des Bau- gesetzbuches [Ausweisung von Sanierungsgebieten]) Möglichkeiten eröffnen, städtebauliche Planungen zu verwirklichen. Dabei sind die verfahrenstechnischen Hürden jedoch hoch. Im Gegensatz dazu ermöglicht das Investitionsvorranggesetz hier eine flexiblere und schnellere Behandlung investiver Vorhaben und stellt dabei den berechtigten Alteigentümer materiell so, als sei restituiert worden. Auch darf nicht vergessen werden, daß der Eigentü- mer selbst auch vom Investitionsvorrangsverfahren ja profitieren kann, wenn er investieren will. Gerade Pri- vatinvestitionen sollen doch durch das Investitionsvor- ranggesetz gefördert und erleichtert werden. Im Interesse des weiteren Aufbaus Ost bleibt deshalb – auch nach gründlicher Abwägung festzuhalten, daß die letztmalige Verlängerung der Frist in § 27 Investitions- vorranggesetz trotz der dagegen geäußerten Bedenken als notwendig angesehen werden muß, und auch wir von der CDU/CSU-Fraktion der Verordnung daher zustimmen. Zur Vermeidung von Mißverständnissen muß aber eines an dieser Stelle klargestellt werden: Die zeitliche Rahmenvorgabe, nämlich die Möglich- keit, die Antragsfrist überhaupt bis zum Ablauf des 31. Dezember 2000 auf dem Verordnungsweg zu ver- längern, wurde durch die CDU/CSU-geführte Bundes- regierung bereits Ende 1993 im Registerverfahrensbe- schleunigungsgesetz (Verordnungsermächtigung des Artikel 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 bis 7 des Register- verfahrensbeschleunigungsgesetzes in der Fassung des Artikel 7 Abs. 4 des Wohnraummodernisierungssiche- rungsgesetzes) verankert, um so flexibel auf die zukünf- tige Situation in den neuen Bundesländern eingehen zu können. Diese Verlängerung nunmehr, wie es Herr Staatsminister Schwanitz anläßlich der Regierungserklä- rung getan hat, großspurig als Punkt 5 eines Aufbaupro- gramms der neuen Bundesregierung mit dem Namen „Zukunft Ost“ zu verkünden, ist reines Blendwerk. Es ist schlicht und einfach so, daß die rotgrüne Bundesre- gierung mit dieser Verordnung die von der CDU/CSU- geführten Regierung geschaffenen gesetzlichen Mög- lichkeiten nutzt, da ihr der Wähler – für eine absehbare Zeit – die Regierungsverantwortung übertragen hat. Man kann auch sagen, Herr Staatsminister Schwanitz, Sie trittbrettfahren auf der Investitionslokomotive Ost, die die CDU/CSU-geführte Bundesregierung angeschoben Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 965 (A) (C) (B) (D) hat. Für eine vollmundige Ankündigung eines neuen Konzeptes „Zukunft Ost“ ein dürftiger Start. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Vermögensgesetz gibt Alteigentümern das Recht, Grundstücke, Gebäude und Unternehmen zu beanspruchen. Das Prinzip „Rückgabe vor Entschädi- gung“, das im Einigungsvertrag verankert ist, hat zu vielen Problemen und Ungerechtigkeiten gegenüber den Nutzern geführt, die die Häuser und Grundstücke redlich erworben und häufig über mehrere Generationen be- wohnt hatten. Dies haben wir immer wieder kritisiert und uns zum Programm gemacht, die Nachfolgerege- lungen zum Einigungsvertrag, die dieses Prinzip ver- stärken, soweit rechtlich noch möglich, zu korrigieren. Die Regelungen des Vermögensgesetzes haben aber auch dazu geführt, daß für die Gesellschaft besonders wichtige Investitionen nicht getätigt, Grundstücke nicht genutzt werden können. Die Rekonstruktion der alten Eigentumsverhältnisse ist häufig schwierig, Rechte der Nutzer stehen einer freien Verfügung nicht selten entge- gen. Noch heute, acht Jahre nach der Einheit, sind die Verhältnisse nicht geklärt. Das Investitionsvorranggesetz schränkt die Rück- übertragungsrechte nach dem Vermögensgesetz ein, wenn ein besonderer Investitionszweck gegeben ist. Sol- che Zwecke sind vor allem die Schaffung und die Siche- rung von Arbeitsplätzen oder auch die Schaffung neuen Wohnraumes. Auf Antrag kann ein Investitionsvorrang- bescheid ergehen. Solche Anträge können aber nur bis Ende dieses Jahres gestellt werden. Diese Frist reicht nicht aus. Es ist nicht hinnehmbar, daß ab Anfang des kommenden Jahres dringenden Investitionsbedürfnissen nicht mehr nachgegeben werden kann. Damit würde der besonders in den Ostbundesländern so besonders drin- genden und wichtigen wirtschaftlichen Entwicklung der Boden und die Basis genommen. Das darf nicht sein. Lang dauernde Rückübertragungsverfahren dürfen not- wendige Investitionsvorhaben nicht behindern. Die In- teressen der Bevölkerung gehen den Eigentumsinteres- sen vor. Wenigstens in diesen gesellschaftlichen Berei- chen muß der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ zurückgedrängt werden. Weil die Rückübertragungsverfahren in den Ostbun- desländern noch lange nicht abgeschlossen sind und voraussichtlich noch Jahre dauern, ist es dringend not- wendig, die Frist des § 27 Investitionsvorranggesetzes um wenigstens zwei Jahre, also wie vorgesehen bis zum 31. Dezember 2000, zu verlängern. Damit werden nicht direkt Arbeitsplätze, aber wichtige Voraussetzungen für neue oder die Sicherung von Arbeitsplätzen geschaffen. Die ablehnende Haltung der F.D.P. ist nur damit zu erklären, daß sie bedingungslos und auch unter Inkauf- nahme des Verlustes von Arbeitsplätzen die Rücküber- tragungsansprüche der Alteigentümer sichern will. Für Bündnisgrüne ist dies nicht nachvollziehbar. Zu Recht hat die F.D.P. bei der Wahl in Ostdeutschland die Quit- tung für diese Auffassung erhalten. Bündnisgrüne sehen sich dagegen den Interessen der Bevölkerung besonders verpflichtet und werden für diese Fristverlängerung stimmen. Gerhard Jüttemann (PDS): Im Namen der Fraktion der PDS begrüße ich die vorliegende Fristverlängerung in § 27 Investitionsvorranggesetz. Allerdings möchte ich eines deutlich anmerken: Die immer wieder notwendige Fristverlängerung zeigt einmal mehr, daß das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ einer der gravierendsten Fehler des Einigungsvertrages war. Die PDS hat darauf von Anfang an verwiesen. Alle späteren Regelungen des Gesetzgebers wie zum Beispiel im Vermögensgesetz und im Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz hatten vor allem die Aufgabe die Nachteile des fatalen Grundsatzes „Rückgabe vor Entschädigung“ wenigstens teilweise auszubügeln. Zwei Millionen Anträge auf Rückübertragung von Grundstücken, Häusern und Unternehmen lagen den Vermögensämtern vor. Daß mit diesem gewaltigen Eigentumstransfer nicht nur Investitionen ausgelöst, sondern auch viele Ostdeutsche von Grundstück und Haus vertrieben wurden, kann ich nicht unerwähnt las- sen. Trotzdem: Die PDS stimmt für die Fristverlängerung. Wir begrüßen, daß die neue Bundesregierung sich nicht den Standpunkt der abgewählten Regierung zu eigen gemacht hat, die noch im Sommer gegen eine Verlänge- rung war. Und ich möchte auch klar sagen, warum. Es wäre nämlich sonst ein weiteres Mal passiert, daß sich das Justizministerium voll und ganz den Standpunkt des Zentralverbandes der Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer zu eigen macht. Im Klartext darf man wohl auch sagen: einer milliardenschweren Immobilien- branche. Wenn ich an den Satz denke „Eigentum ver- pflichtet“, kann ich nur feststellen: Diese Branche ist schon in der Vergangenheit nur selten ihrer gesell- schaftlichen Verantwortung gerecht geworden. Daran hat sich nichts geändert. Man betrachte nur die jüngsten Aussagen des Verbandes in der Sache. Denn wer wie dieser Verband angesichts der Zahl von noch rund 300 000 anmeldebelasteten Vermögenswerten die Not- wendigkeit der Fristverlängerung bestreitet, kann nur herzlich wenig für die sowieso schon großen Sorgen der Kommunen in den neuen Bundesländern übrig haben. Wir stimmen deshalb für die Fristverlängerung, weil es im Interesse der Kommunen, der kommunalen Woh- nungsgesellschaften und damit letztlich der Mieter ist, die noch immer auf die Sanierung ihrer Wohnung war- ten. Wenigstens diese Komponente der Planungssicher- heit für Städte und Gemeinden, die mit dieser Verord- nung ermöglicht wird, muß erhalten bleiben. Was man in diesem Zusammenhang auch unbedingt erwähnen muß, ist der beschäftigungspolitische Aspekt der Angelegenheit. Wer wirklich und ernsthaft an Inve- stitionen und damit auch der Sicherung von Arbeitsplät- zen im Baugewerbe interessiert ist, kann sich eigentlich nicht gegen das Weitergelten dieses Gesetzes ausspre- chen. Und wer es dennoch tut, sollte wenigstens den Menschen so ehrlich gegenübertreten und offen sagen, daß ihm die Wünsche der nicht gerade notleidenden Immobilienbranche näherliegen als das Wohl und Wehe der Kommunen sowie Hunderttausender Menschen, die davon so oder so betroffen sind. 966 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 (A) (C) (B) (D) Wenn also schon eine Güterabwägung vorgenommen wird, muß sie nach Ansicht der PDS im Sinne des Ge- meinwohls ausfallen. Dazu haben wir in der Vergangen- heit gestanden, und deshalb wird meine Partei dieser Verordnung auch ihre Zustimmung geben. Jürgen Türk (F.D.P.): Nach dem jetzigen Stand des Gesetzes läuft das Investitionsvorranggesetz am 31. De- zember 1998 aus. Die Bundesregierung möchte jedoch das Investitionsvorranggesetz bis zum 31. Dezember 2000, also um zwei Jahre, verlängern. Bei diesem Vor- haben zeigt sich, daß die frühere Mehrheit aus F.D.P. und CDU/CSU in diesem Hause nicht nur handwerklich gute, sondern auch kluge Gesetze gemacht hat, wovon die neue Regierungsmehrheit nur lernen kann. Klug war, im Gesetz eine Fristverlängerung bis zum 31. Dezember 2000 durch Verordnung „vorsorglich“ einzubauen. Die- se eingebaute Fristverlängerung für das Investitionsvor- ranggesetz möchte die neue Bundesregierung nun nut- zen. Zu fragen ist, ob eine Verlängerung des Investitions- vorranggesetzes auch inhaltlich gerechtfertigt ist, denn die Bundesregierung sagt in ihrer Begründung selbst, daß – ich zitiere: „... das im Investitionsvorranggesetz zunächst verfolgte Ziel, einen Investitionen erst ermög- lichenden Grundstücksmarkt zu schaffen, im wesentli- chen erreicht ist.“ Festzuhalten ist, daß das eine Anerkennung für ein von der F.D.P. initiiertes Gesetz und dessen Wirkung ist. Das freut uns dann auch. Dennoch darf man sich den noch offenstehenden Problemen nicht verschließen, nämlich ob das Gesetz noch notwendig ist. Die Verlängerung ist notwendig. Etwa 300 000 Fälle der Vermögenszuordnung stehen noch zur Entscheidung an und darunter befinden sich ei- ne Vielzahl von komplizierten und langwierigen Fällen, die noch bearbeitet werden müssen. Weiterhin stellt die Restitution bei Grundstücken für die städtebauliche Planung sowie bauliche Umsetzung gerade im Innenstadtbereich eine nicht zu vernachlässi- gende Behinderung dar. Ein durchaus stichhaltiges Argument ist auch, daß immer noch durch Unklarheiten in der Vermögenszu- ordnung ganze Straßenzüge ohne Fristverlängerung ver- rotten würden. Denn die Wohnungsunternehmen sind durch die Vielzahl dieser Wohnungsbestände mit der Sanierung überfordert, und sie sind darum auf die Ver- äußerung an Investoren trotz Verfügungssperre des Vermögensgesetzes angewiesen. Es muß aber auch im gesellschaftlichen Interesse liegen, daß ein Stadt- und Straßenbild mit heruntergekommenen Häusern und Straßenzügen in Ostdeutschland endgültig der Vergan- genheit angehört. Nach Abwägen der vorgetragenen Argumente für und wider einer Fristverlängerung des Investitionsvorrang- gesetzes, komme ich für meine Fraktion zum Schluß, daß eine Fristverlängerung durchaus einen Sinn hat. Die F.D.P.-Fraktion wird deshalb der Fristverlängerung zu- stimmen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zum a – Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der wohngeldrechtlichen Regelungen – Wohngeld- anpassungsgesetz – b – Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS: Fortführung des Wohnraum-Modernisierungs- programms der Kreditanstalt für Wiederauf- bau bis zum Jahr 2000 c – Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf und der Fraktion der PDS: Verbesserte Förde- rung der Wohnungsmodernisierung im Altbau- bestand und bei Wohnhochhäusern nach dem Investitionszulagengesetz 1999 (Tagesordnungs- punkt 12) Dr. Christine Lucyga (SPD): Die Zeit der Wunsch- zettel ist da, denn Weihnachten steht vor der Tür. Und so haben wir denn auch – als letzten Tagesordnungs- punkt – einige „Wünsch-Dir-was-Anträge“ zu behandeln (mit und ohne Bart), die sich die PDS offenbar als Weihnachtsgeschenke vorgestellt hat. Besonders deutlich wird dies beim Antrag der PDS auf Novellierung des Investitionszulagengesetzes. Die Frage ist nur, wer dieses Weihnachtsgeschenk bekom- men soll, wer es braucht, wem es nützt und wer es denn bezahlen soll, ganz abgesehen davon, daß es ein sehr kostspieliges Geschenk der Kategorie Luxusgut wäre, wenn es denn noch auf den Gabentisch käme. Um nicht von vornherein mißverstanden zu werden: Wir sehen den Bedarf, Förderprioritäten auszubauen, Programme weiterzuführen oder besser zu koordinieren, werden deshalb auch den weiterhin hohen Modernisie- rungsbedarf, die Situation der Mieter oder die schwieri- ge Lage der mittelständischen Bauwirtschaft im Osten Deutschlands beachten und zum Beispiel bei einer Ver- längerung des KfW-Modernisierungsprogramms die notwendigen Schwerpunkte setzen. Doch es muß im Hinblick auf den Antrag zum Investitionszulagengesetz auch deutlich gesagt werden: Die Umstellung der För- dersystematik in den neuen Ländern mit dem Auslaufen des Fördergebietsgesetzes auf das Investitionszulagen- gesetz war eine sinnvolle Entscheidung, an der die SPD maßgeblich mitgewirkt hat. Und wir werden es weiter- führen. Mit diesem Gesetz gibt es eine klare Prioritäten- setzung für Modernisierungen gegenüber dem Mietwoh- nungsneubau. Die Größenordnungen sind dergestalt, daß Modernisierungen einen mehrfachen Betrag dessen ausmachen, was für die Förderung des Neubaus ange- setzt wurde, und es wurden differenzierte Höchstförder- beträge gewählt, um nicht Luxusmodernisierungen zu fördern und um andererseits der Tatsache Rechnung zu tragen, daß Bauen im innerstädtischen Bereich und vor allem eine Vollmodernisierung im Altbau aufwendig und kostenintensiv ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 967 (A) (C) (B) (D) Aufwendige und kostspielige Modernisierungen ste- hen in den neuen Ländern sowohl für historische Bau- substanz im innerstädtischen Bereich auf der Tagesord- nung als auch in den Plattenbausiedlungen. Daher hat diese Regierungskoalition sich darauf verständigt, wie im Wahlprogramm ausgesagt, die Bestandserneuerung gegenüber dem Neubau zu stärken. Wir werden vor allem das Zusammenwirken der För- derinstrumente effizienter gestalten. Dies betrifft sowohl die Städtebauförderung, die Um- und Ausbauförderung, den Denkmalschutz und die allgemeine Modernisie- rungsförderung als auch das KfW-Modernisierungs- programm Ost, dessen Verlängerung wir wollen. Dabei sind durchaus verbesserte Förderkonditionen für be- stimmte Fördernotwendigkeiten bei Altbauten oder Plattenbaumodernisierung denkbar, über die jetzt vor Abschluß der Haushaltsverhandlungen noch keine kon- kreten Aussagen möglich sind. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir meinen durchaus, daß das Inve- stitionszulagengesetz verbessert werden kann und haben in diese Richtung vorausgedacht. Uns geht es jedoch nicht – wie der PDS – um reine Schaufensteranträge vor Weihnachten, sondern um vernünftige und durchset- zungsfähige Vorlagen, und wir sehen keine Veranlas- sung, uns mit Anträgen, wie die PDS sie vorlegt, auf wohnungs- und finanzpolitisches Glatteis führen zu las- sen. Sie werden sich schon fragen lassen müssen, was da bei einer Altbauförderung von bis zu 4 000 DM denn gefördert werden soll und wofür, wenn nicht für Luxus- wohnraum, der irgendwann auch zu Luxusmieten führen würde. Was in dem Antrag der PDS gefordert wird, ist eine Übersubventionierung, bei der gefragt werden muß, wem sie nützen soll, und die nicht nur vertretbare För- dersachverhalte bei weitem übersteigt (auch der Ge- samtverband der Wohnungswirtschaft bleibt bei allen einschlägigen Kalkulationen weit darunter), sondern die auch weder quantitativ noch qualitativ erfaßt ist. Wir wissen lediglich, daß es Mehraufwendungen in Milliar- denhöhe sind, die hier teilweise am tatsächlichen und sozial begründbaren Bedarf vorbei für Fehlförderung ausgegeben würden, ginge es nach Ihrem Antrag. Übrigens – so ganz ernstgemeint können die Anträge wohl doch nicht sein, denn ich frage mich, welches par- lamentarische Verfahren es noch ermöglichen sollte, die in den Anträgen genannten Forderungen auch zum Zeit- punkt 1. Januar 1999 in Kraft treten zu lassen. Da auch die Länder mit einem nicht unerheblichen Anteil an dieser Art der Förderung beteiligt werden müßten, würde mich schon interessieren, ob sie diesen Antrag zum Beispiel mit dem Bauminister von Meck- lenburg-Vorpommern abgestimmt haben, der bekannt- lich Ihrer Partei, wenn auch nicht Ihrer Fraktion ange- hört, und wenn ja, ob er bereit ist, aus dem Haushalt sei- nes Ressorts die Mehrbelastungen für das Land zu über- nehmen. Alles in allem mögen die Anträge ja – gut gemeint, wie sie sind – Freude auslösen, handwerklich sind sie verpfuscht und damit für eine parlamentarische Be- handlung zum jetzigen Zeitpunkt verfehlt. Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Alle im Bundestag vertretenen Fraktionen sind sich einig, daß das Wohngeldrecht reformiert werden muß. Nach der Bundestagswahl haben SPD und Grüne in ihrer Ko- alitionsvereinbarung und der neue Minister dies auch noch einmal bekräftigt. Nun warten die Mitglieder des Bundestages seit der Wahl darauf, daß Minister Münte- fering im Bundestag oder im Ausschuß seine Ankündi- gungen erläutert und einen Gesetzentwurf vorlegt. Und was ist bisher passiert? Leider gar nichts, außer substanzlosen Versprechungen und Vertröstungen – ich befürchte, daß diese Regierung auch in der Wohnungs- politik die Regierungsarbeit völlig ohne ein eigenes Konzept aufgenommen hat. Dabei hat der Parlamentarische Staatssekretär Groß- mann doch schon vor der Wahl gewußt, daß 1,5 Milliar- den DM an Mehrausgaben für die Reform einzuplanen seien. Er hatte doch Zeit, einen Gesetzentwurf zu erar- beiten und mit seinen Kollegen aus der Finanzpolitik die Finanzierung zu klären. Aber wir haben es schon beim Steuergesetz gemerkt. Das gesetzestechnische Hand- werk müssen Sie noch üben. Bei der Sitzung der Arge- bau in der letzten Woche hätte Minister Müntefering mit seinen Länderkollegen einen Gesetzentwurf diskutieren können. Der Minister fehlte und der Staatssekretär wußte nicht, was der Minister wollte. Mit dieser Politik enttäuscht die Bundesregierung die Menschen in unse- rem Land, und sie bricht ihr Wahlversprechen. Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf mit In- krafttreten noch im kommenden Jahr angekündigt. Dies ist kaum noch zu erreichen. Deshalb arbeiten Sie nun endlich einen soliden Entwurf aus, und hören Sie mit den Ausreden auf. Sehr gespannt habe ich in der letzten Woche auf die Vorschläge zur Wohngeldreform von Herrn Minister Vesper gewartet. Herr Vesper kündigte ein Inkrafttreten zum 1. Juli 1999 an, eine Finanzierung über eine Absen- kung der Einkommensgrenzen bei der Eigenheimzulage und durch die Streichung des Vorkostenabzuges, und er versprach, daß er der Argebau ein fertiges Konzept in Absprache mit den SPD-Bauministern der Länder vorle- gen wollte. 2 Milliarden DM forderte Herr Vesper für dieses Konzept. Das war in der vergangenen Woche. Nur wäh- rend der Argebau-Sitzung hat Minister Vesper über- haupt nichts vorgelegt. Bis heute warten die Mieterinnen und Mieter auf eine Aufklärung. Statt dessen forderte Herr Vesper auch noch, daß sich der Bund aus dem so- zialen Wohnungsbau zurückziehen soll. Bei dieser Poli- tik der Versprechungen sollten Sie bedenken, daß Sie mit den Sorgen und Nöten von unseren Mitbürgern spielen. Was hat Herr Minister Vesper nun mit der SPD abge- sprochen? Was haben die SPD-Länder hierzu gesagt? Wollen Sie nun einen Entwurf vorlegen oder nicht? Wollen Sie aus dem sozialen Wohnungsbau aussteigen? Hierüber sollte der zuständige Bundesminister der SPD noch vor der Vorlage des Haushaltes den Bundestag aufklären. 968 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 (A) (C) (B) (D) Vor allem sollten die bauwilligen Familien endlich Klarheit bekommen, ob sie in Zukunft noch die Eigen- heimzulage nutzen können. Die CDU/CSU lehnt die Kappung der Einkommensgrenzen ab, weil dies die er- folgreiche Wohneigentumspolitik und den die Wohn- baukonjunktur stützenden Eigenheimbau abwürgte. Besonders gespannt warte ich auf die angekündigte strukturelle Reform in dem Gesetzesvorhaben. Hier hat sich der Mieterbund bereits auf die CDU/CSU-Position zubewegt. Auch Mieterbunddirektor Rips fordert nun, die Ausgaben für das pauschale Wohngeld auf das heu- tige Niveau zu begrenzen und damit die Kommunen da- zu anzureizen, die Kosten für Wohnungen von Sozialhil- feempfängern niedrig zu halten. Gerade die Grünen ha- ben diese Forderung bisher strikt abgelehnt. Herr Minister Müntefering, die CDU ist hier zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit. Wir wünschen uns von Ihnen in Zukunft eine glücklichere Hand bei der Führung Ihres Hauses. Die von der PDS heute Abend zur Abstimmung stehen- den Gesetzesentwürfe lehnt die CDU/CSU-Fraktion ab. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In allen drei Punkten, über die wir heute sprechen, sehen wir Handlungs- und Reformbedarf in dieser Wahlperiode. Wir wollen eine gesamtdeutsche Wohngeldreform im nächsten Jahr, die KfW-Förderung muß fortgesetzt werden – dafür werden wir im nächsten Haushalt auch zusätzliche Mittel brauchen –, und wir sehen auch Korrekturbedarf bei den Fördersätzen des Investitionszulagengesetzes. Dies haben wir in den Ko- alitionsvereinbarungen festgeschrieben. Allerdings scheint die PDS zu denken – ich habe das schon im Ausschuß gesagt – die neue Bundesregierung müsse all das, was sie sich für die nächsten vier Jahre vorgenommen hat, in vier Wochen durchführen – mög- lichst noch vor Weihnachten. Wir haben in den letzten Wochen eine Vielzahl von Maßnahmen zur sozialen Entlastung auf den Weg gebracht, und auch wir haben lernen müssen, daß Geschwindigkeit nicht alles ist. Bei den Schnellschußanträgen der PDS scheint mir, daß die fachliche Qualität vollends dem Tempo geopfert wurde. Unbestritten: Wir brauchen eine schnelle Wohn- geldreform. Doch was die PDS hier vorlegt, ist kein ernstzunehmender Reformvorschlag. Für die einzelnen Vorschläge gibt es keine Begründung. Warum sollen zum Beispiel die Miethöchstbeträge nur für Ost- deutschland angehoben werden? In Westdeutschland sind sie schon sehr viel länger unverändert. Warum sol- len die Beträge für eine Dreipersonenfamilie im Neubau um 235,– DM, für eine Vierpersonenfamilie aber nur um 185,– DM angehoben werden? Die PDS will 1,5 Milliarden DM allein für eine Art „Vorläufer“ der Wohngeldreform ausgeben. Einen Ge- genfinanzierungsvorschlag gibt es nicht, ebensowenig eine Aussage darüber, was die „große“ Wohngeldreform kosten und woraus sie finanziert werden soll. Die PDS fordert eine Reform zum 1. Januar 1999, obwohl allen klar ist, daß dies selbst bei größter Eile völlig unreali- stisch ist. Ähnliches gilt für die beiden anderen Anträge. Das KfW-Modernisierungsprogramm muß fortgesetzt wer- den; da sind sich alle Fraktionen des Hauses einig. Ich denke, es gibt auch Korrekturbedarf bei den Zins- und Tilgungskonditionen. Da das derzeitige Volumen im Laufe des nächsten Jahres ausgeschöpft sein wird, brau- chen wir schon im nächsten Haushalt neue Mittel dafür. Doch anstatt sich im Rahmen der Haushaltsberatungen für notwendige Änderungen, Finanzbedarf und Gegenfi- nanzierung einzusetzen, stellt die PDS hier einen reinen Schaufensterantrag. Ohne Zweifel gibt es Korrekturbedarf bei den Förder- sätzen der Investitionszulage. Die zu hohe Differenz zwischen Neubau- und Altbauförderung wird den Ab- rißdruck auf den innerstädtischen Altbaubestand erhö- hen; deswegen brauchen wir differenziertere Fördersät- ze. Doch die Kostenobergrenze für Instandsetzung und Modernisierung einfach auf 4 000 DM anheben zu wol- len – auch wieder ohne zu sagen, wie das finanziert werden soll, frei nach dem Motto „Allen wohl und nie- mand weh“ –, das ist finanzpolitisch unverantwortlich und wohnungspolitisch nicht durchdacht. Ich denke, die PDS muß sich entscheiden, ob sie als Reformkraft ernst genommen werden will, oder ob sie sich zu einer Art populistischer „Lega Ost“ entwickelt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ihr hier vor- legt, ist ohne konzeptionelle Kraft und ohne finanzpoli- tische Verantwortung. Eure Strategie zielt offenbar nur darauf, aus der Ablehnung dieser völlig unrealistischen Forderungen populistischen Profit zu ziehen. Ich bin entschieden gegen eine Diffamierung der PDS. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der PDS, eine Partei, die immerhin 20 Prozent der Ostdeut- schen vertritt, stiehlt sich aus der politischen Verant- wortung, wenn sie Forderungen stellt, die unter keiner Bundesregierung finanzierbar sind, es sei denn, sie könnte sich eine Legion von Dukateneseln halten. Eine Partei, die ernst genommen werden will, darf den Men- schen in Ostdeutschland nicht vorgaukeln, alle Probleme könnten aus der Staatskasse gelöst werden und es gäbe Reformen, die niemandem weh tun. Sie haben auch als Opposition politische Verantwortung dafür, daß die Kluft zwischen Ost und West nicht immer größer wird. Deswegen fordere ich Sie sehr ernsthaft auf, nicht mit uneinlösbaren Forderungen den Frust der Menschen in Ostdeutschland immer weiter zu vergrößern. Sie wissen wie wir, daß die Sanierung der ostdeut- schen Städte eine Folge von 40 Jahren unterlassener In- standhaltung zu DDR-Zeiten sind, die die öffentlichen Kassen bis an die Grenzen der Belastbarkeit strapaziert. Wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, daß die notwendigen Mittel dafür bereitgestellt werden. Ich er- warte aber von der PDS, daß sie sich ihrer historischen und politischen Verantwortung für das Herunterwirt- schaften der Städte und Dörfer durch die SED-Politik bewußt ist. Wir wollen von Ihnen kein demonstratives Büßertum; aber wir erwarten, daß Sie jetzt Ihren Teil zur Lösung der Probleme beitragen. Wir fordern Sie auf, realistische und finanzierbare Vorschläge auf den Tisch zu legen und den Ostdeutschen reinen Wein darüber Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 969 (A) (C) (B) (D) einzuschenken, was nicht finanzierbar ist und welche Probleme nicht in kurzer Zeit und nicht vom Staat gelöst werden können. Treiben sie kein zynisches und gefährliches Spiel mit unerfüllbaren Hoffnungen! Stellen Sie sich endlich der Debatte um die haushalts- und finanzpolitischen Gren- zen staatlicher Förderung oder staatlichen Handelns! Sie tragen als Fraktion und Partei Verantwortung für die politische Kultur in Ostdeutschland und für das Zusam- menwachsen Deutschlands. Wenn Sie als Reformkraft ernst genommen werden wollen, müssen Sie dieser Ver- antwortung endlich gerecht werden. Dr. Karl-Heinz Guttmacher (F.D.P.): Eine Lei- stungs- und Strukturnovelle des Wohngeldgesetzes ist überfällig. Die uns vorgeführte verzögerte Anpassung des Wohngeldes an die Entwicklung am Mietwoh- nungsmarkt hat zu nicht mehr hinnehmbaren Entwick- lungen geführt. Das Wohngeld erfüllt weder seine sozialen noch sei- ne wohnungswirtschaftlichen Funktionen. Trotz eines zur Zeit ausgeglichenen Mietwohnungsmarktes und teilweise sinkender Mieten droht das Wohngeld seine Funktion als zielgenaues einkommensbezogenes För- derinstrument zu verlieren. Durch eine bloße Anhebung der Miethöchstbeträge können die strukturellen Verwerfungen um Wohn- geldrecht des PDS-Antrages ebensowenig beseitigt wer- den wie durch eine vorgeschlagene Anpassungspau- schale. Ein solcher Ansatz würde das Ungleichgewicht zwischen dem derzeit noch bestehenden Wohngeld der alten und neuen Bundesländer zementieren. Diesen sicher durch die PDS gewollten Ansatz der Wohngeldnovelle lehnen wir ab. Wir brauchen ein ein- heitliches Wohngeld für ganz Deutschland. Wenn die Höhe der Wohngeldleistung wieder stimmen soll, müs- sen sich die Mietenobergrenzen und die Einkommens- grenzen des Wohngeldgesetzes diesen tatsächlichen Verhältnissen anpassen. Das Verhältnis zwischen zielgenauem Tabellen- wohngeld und pauschaliertem Wohngeld muß zugunsten des Tabellenwohngeldes deutlich verbessert werden. Bei den Höchstbetragstabellen sollte berücksichtigt werden, daß die Mietpreise pro Quadratmeter für kleinere Woh- nungen höher anzusetzen sind. Die Wohngeldnovelle muß den Entbürokratisierungs- und Deregulierungsstau auflösen. So sind Einsparungen in Vollzug und Verwaltung möglich durch eine Verein- heitlichung des Einkommensbegriffs, einfachere Regeln bei Verletzung der Informationspflicht durch den Wohngeldbezieher und bei der Bemessung des Wohn- geldes bei Wirtschafts- und Wohngemeinschaften von Nicht-Familienmitgliedern. Ebenso muß die wohn- geldrechtliche Behandlung eheähnlicher Lebensgemein- schaften berücksichtigt werden. Die F.D.P. hält ein Wahlrecht von Vorteil, mit dem ein pauschales und im Verhältnis zum Tabellenwohn- geld niedrigeres Ausbildungs- und Studentenwohngeld oder ein zielgenaues, aber prüfungsaufwendiges regulä- res Wohngeld beantragt werden kann. Das würde den Forderungen der Länder entgegen- kommen, die Wohngeldstellen von der bisherigen büro- kratisch aufwendigen Prüfung der Frage der Zugehörig- keit des Studenten/Auszubildenden zum Elternhaushalt entlasten. Ebenso sind die Leistungen des BAföG und des Wohngeldes zur Unterstützung des Wohnens von Studenten und beruflich Erstauszubildenden zu harmo- nisieren. Die finanzielle Ausstattung muß sich an der Lei- stungs- und Strukturnovelle des Wohngeldgesetzes orientieren. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß durch die Strukturreform und dem vorgeschlagenen Abbau von bürokratischen Regelungen vor allem bei den Ländern erhebliche dauerhafte Ersparnisse entstehen, die den Wohngeldempfängern zugute kommen müssen. Der vorliegende Wohngeldgesetzentwurf der PDS stellt keine sachgerechte und ausreichende Lösung der bestehenden Wohngeldproblematik dar. Da der Ge- setzentwurf keinerlei strukturelle Reformansätze des Wohngeldes vorsieht, die Aufteilung des Wohn- geldrechts in Ost und West festigt, keinen überzeugen- den Gegenfinanzierungsvorschlag enthält und das Ge- setz wegen des notwendigen Verwaltungsvorlaufes zum vorgesehenen Zeitpunkt 1. Januar 1999 nicht umsetzbar ist, lehnt die F.D.P. den Wohngeldgesetzentwurf der PDS ab. In dem Antrag zur verbesserten Förderung der Woh- nungsmodernisierung im Altbaubestand und bei Wohn- hochhäusern nach dem Investitionszulagengesetz 1999 fordert die PDS 400 DM pro Quadratmeter Wohnfläche des Gebäudes, bei förderfähigen Kosten maximal 4 000 DM pro Quadratmeter Wohnfläche, sowie einen Förder- satz von 10 Prozent. Die F.D.P. geht von einer Investitionszulage von 180 DM pro Quadratmeter Wohnfläche bei 15prozentigem Fördersatz 1999 aus. Für die von der PDS geforderten förderfähigen Ko- sten von 400 DM pro Quadratmeter Wohnfläche bei förderfähigen Kosten maximal 4 000 DM pro Quadrat- meter Wohnfläche, lassen sich heute neue Traumvillen bauen. Die PDS läßt durch den Gesetzentwurf erkennen, daß sie sich für eine Luxussanierung einsetzt. Dieser Ansatz der Förderung der Wohnungsmoderni- sierung wird durch die F.D.P. nicht mitgetragen. Gert Willner (CDU/CSU):Wohngeld ist eine Sozial- leistung mit Rechtsanspruch, die in Deutschland weit über 2,7 Millionen Haushalte erhalten. Dieses System hat insbesondere auch in den neuen Ländern seine so- ziale Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Wir stel- len eine nachhaltige Verlangsamung des Mietenanstiegs fest. Der Mietenanstieg betrug in den ersten zehn Mo- naten dieses Jahres weniger als 2 Prozent. Damit liegt der Mietanstieg in der Steigerung so gering wie seit Mitte der 80er Jahre nicht mehr. Trotz dieser Verlang- samung des Mietanstieges besteht die Notwendigkeit ei- ner familiengerechten Anpassung des Wohngeldes an die Einkommens- und Mietenentwicklung. Hierüber be- steht Einvernehmen. 970 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 (A) (C) (B) (D) CDU/CSU und F.D.P. haben deshalb bereits Anfang diesen Jahres vorgeschlagen, zum 1. Januar 1999 eine kleine Wohngeldnovelle mit einem zusätzlichen Finanz- volumen von 500 Millionen DM zu beschließen. Nach diesen Plänen sollte das Wohngeld durchgängig in allen Mietstufen angehoben werden. Außerdem wollten wir das Wohngeld West an die etwas höheren Beträge im Osten anpassen. Beim sogenannten pauschalen Wohn- geld für Sozialhilfeempfänger sollten künftig ähnlich wie bereits bei allen übrigen Wohngeldempfängern Höchstbeträge gelten. Diese Deckelung – ohne Eingriff in den status quo! – würde nach unserer Einschätzung den zu erwartenden weiteren Anstieg der Wohngeldaus- gaben von Bund und Ländern gebremst haben. Dies wä- re ein wichtiger Einstieg in eine Wohngeldreform gewe- sen. Die SPD hat hierzu nein gesagt. In Haushaltsanträgen der SPD sind Verbesserungen um 500 Millionen DM als nicht akzeptabel bezeichnet worden. Kollege Großmann, jetzt Parlamentarischer Staatssekretär im dafür fachlich zuständigen Ministerium, hat insgesamt 1,5 Milliarden DM für erforderlich gehalten. Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Rot- grün haben jetzt die Chance das umzusetzen, was Sie versprochen haben. Und dazu gehört, daß auch die Zu- sagen des Bundeskanzlers Gerhard Schröder eingelöst werden. In Schröders Wahlaussagen ist eine Wohn- geldreform so schnell wie möglich versprochen worden. Und die Grünen haben durch Joschka Fischer eine Wohngeldreform spätestens zum 1. Juli 1999 angekün- digt. Auf klare Fragen im Ausschuß nach der Zukunft des Wohngeldes sind unklare, verschwommene Antworten gegeben worden. Dabei haben viele Mieter in unserem Land nach der Bundestagswahl erwartet, daß SPD und Grüne die von ihnen versprochene Wohngeldreform schnell verwirklichen. Bis heute liegen nicht mal an- deutungsweise konkrete Überlegungen auf dem Tisch. Rotgrün hat offenbar weder ein Konzept noch das Geld für eine Wohngeldreform. Zu einer Ausrede sollten Sie, Herr Großmann, sich dabei nicht flüchten: Ihre Behauptung (so am letzten Freitag in der ARGEBau), Sie hätten im BM Bau kaum Vorarbeiten vorgefunden, ist zu billig und eine Beleidi- gung der Beamten, die nicht erst seit dem 27. September 1998 an der Reform arbeiten. Rotgrün muß erkennen, daß sie mit ihrem Nein zu unserem Vorschlag eines Einstiegs in eine Wohngeldre- form eine große Chance verpaßt haben. Hätten sie Ja ge- sagt, hätten alle Empfänger von Wohngeld im Schnitt eine Erhöhung von 38 DM ab 1. Januar 1999 gehabt. Hören Sie bitte genau zu: 38 DM! Das wäre noch mehr gewesen, als die von Ihnen so gefeierte Kindergeldlö- sung. Und sie wäre finanziert gewesen. Durch Ihr Nein fehlt die Wohngelderhöhung, fehlt dieses Geld allen Wohngeldempfängern ab 1. Januar 1999. Dafür gibt es durch Rotgrün eine zusätzliche Bela- stung durch die sogenannte Ökosteuer, die in erster Li- nie Steuererhöhung und Einführung einer neuen Strom- steuer ist, mit der Sie die privaten Haushalte belasten. Sie tragen dazu bei, daß die Wohnnebenkosten sich weiter zu einer zweiten Miete entwickeln und die Bürger doppelt zahlen müssen, nämlich einmal über die Ener- giesteuern und zweitens, weil diese Energiesteuern auch durch die Kommunen zu zahlen sind. Das heißt konkret höhere Gebühren vom Kindergarten bis zur Straßenrei- nigung. Zur Wohngeldreform sind unsere Forderungen klar und deutlich: Wir erwarten, daß die Bundesregierung so schnell wie möglich, in Verbindung mit der Haushalts- vorlage einen Gesetzesvorschlag vorlegt. Wir gehen da- von aus, daß in diesem Gesetzesvorschlag eine Verein- fachung, eine Vereinheitlichung mit anderen Leistungs- gesetzen der Wohnungsbauförderung sowie strukturel- len Verbesserungen und zwar als gesamtdeutsche Wohngeldreform enthalten sind. Ein Wort zum Wohnraummodernisierungsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Über 700 000 Plattenbauten sind mit diesen Mitteln saniert worden. Das entspricht etwa einem Drittel aller Platten- bauwohnungen in den neuen Ländern. Ich bin überzeugt davon, daß dies ein erfolgreiches Programm ist für die Menschen in den neuen Bundesländern. Dieses Pro- gramm kann sich sehen lassen. CDU/CSU und F.D.P. haben deshalb 1997 für das Jahr 1998 eine Aufstockung um noch einmal 10 Milliarden DM auf 70 Milliarden DM ermöglicht, weil dadurch die mittelständische Bau- wirtschaft und das Handwerk vor Ort gestärkt und sta- bilisiert wurde. Unsere Praxis der Wohnungsbauförderung zeigte ein erfolgreiches Zusammenwirken von Modernisierung der Wohnungen und Verbesserung des Wohnumfeldes. Wir haben damit auch einen Beitrag zur sozialen Stabilisie- rung in den Städten geleistet. Für die Fortsetzung des Programms erwarten wir eine konstruktive Aussage der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Vorlage des Haushalts. Wir erwarten auch Vorschläge, daß der gemeinsam kritisierte Belastungssprung nach fünf Jah- ren vermieden wird. Wir sagen Ja zu einer Fortführung des Programms, um die mittelständische Bauwirtschaft und das Hand- werk vor Ort zu stärken und weiterhin zu stabilisieren. Wir sagen Ja zu einer Fortführung einer Maßnahme, von der CDU/CSU und F.D.P. sagen können: Auch hier können wir auf konkrete Erfolge verweisen! Wolfgang Spanier (SPD): Es ist selten, daß alle Fraktionen in diesem Hause in einer sozialpolitischen Frage übereinstimmen. Beim Wohngeld ist dies der Fall. Alle Fraktionen stimmen überein in der Beschreibung der sozialen Schieflage, die dadurch entstanden ist, daß das Wohngeld seit 1990 nicht an die Einkommensent- wicklung und nicht an die Mietenentwicklung angepaßt worden ist. Faktisch ist das Wohngeld seit Jahren radikal gekürzt worden; das Wohnen ist teurer geworden, das Wohngeld geringer. F.D.P. und CDU/CSU mahnen die Bundesregierung zur Eile. Die F.D.P. fordert in ihrem Antrag „die unver- zügliche Vorlage einer Leistungs- und Strukturnovelle des Wohngeldgesetzes“. Die CDU/CSU-Fraktion er- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 971 (A) (C) (B) (D) wartet, „daß die Bundesregierung so schnell wie mög- lich einen Gesetzesvorschlag für die Wohngeldreform dem Deutschen Bundestag vorlegen wird.“ Das ist schon verwunderlich, wenn man bedenkt, daß beide Fraktionen und die abgewählte Bundesregierung im 13. Deutschen Bundestag Gelegenheit hatten, endlich diesen Gesetz- entwurf zur Wohngeldreform vorzulegen, daß dies aber trotz vieler Ankündigungen ihrer Bundesbauminister in diesen Jahren nicht erfolgt ist und daß ganz im Gegenteil immer wieder auch hier in diesem Haus geäußerte Ver- sprechungen schlicht und einfach gebrochen wurden. Die Problemlage beschreib die PDS in ihrem Gesetz- entwurf zu einem Wohngeldanpassungsgesetz zutref- fend. Seit Jahren schon erfüllt das Wohngeldgesetz nicht mehr seine ihm ursprünglich zugedachte Funktion: Es sollte einkommensschwachen Haushalten helfen, sich mit ausreichenden Wohnraum zu versorgen, und die Mietbelastung für einkommensschwache Haushalte in erträglichen Grenzen halten. Diese Funktion erfüllt das Wohngeldgesetz nicht mehr. Ich will das an einem Bei- spiel aus meinem Wahlkreis deutlich machen. Eine Rentnerin mit 1 250 DM monatlicher Rente und einer Wohnkostenbelastung von zirka 620 DM in einer, was die Ausstattung und Größe betrifft, völlig angemessenen Wohnung hat nach Abzug des Beitrags zur Krankenver- sicherung monatlich lediglich 550 DM zur Verfügung. Die Mietbelastung liegt bei fast 50 Prozent, dennoch hat sie keinen Anspruch auf Wohngeld. An diesem Beispiel wird deutlich, daß das Wohngeld völlig unzureichend ist und seinen ursprünglichen Zweck nicht mehr er- füllt. Wenn wir es ernst meinen mit dem sozialpoliti- schen Ziel des Wohngeldes, müssen wir endlich han- deln. Dennoch lehnt die SPD-Bundestagesfraktion den vorliegenden Gesetzentwurf ab. Die PDS will im Vor- griff auf eine allgemeine Reform des Wohngeldgesetzes zum 1. Januar 1999 die Miethöchstbeträge anheben und gleichzeitig auch eine Anpassung der Einkommensgren- zen vornehmen. Dieser Gesetzentwurf und auch die Vorgehensweise der PDS sind allen nur allzu bekannt. Erneut kommt die PDS in allerletzter Sekunde und zu einem Zeitpunkt, wo allen klar ist, daß der Termin des Inkrafttretens, der 1. Januar 1999, völlig unrealistisch ist. Es ist auch der PDS sicherlich klar, daß in der Zeit seit der Einbringung des Antrags mit Datum vom 5. No- vember 1998 das Verfahren der Gesetzgebung, das na- türlich eine Abstimmung mit den Ländern beinhaltet, nicht zu leisten ist und daß auch der notwendige Vorlauf für die Verwaltung in den Kommunen, die das ja umset- zen muß, nicht gegeben ist. Zudem ist eine vorgezogene Härtefallregelung auch überflüssig, weil im nächsten Jahr – und hier haben wir eine klare Aussage des Mi- nisters Franz Müntefering –, im ersten Halbjahr, ein Entwurf einer Gesamtdeutschen Strukturnovelle des Wohngeldgesetzes vorgelegt wird und dieses Gesetz dann, so ebenfalls die Zusage des Fachministers, noch im Jahre 1999 in Kraft treten wird. Daß dem Gesetzent- wurf der PDS eine seriöse Finanzierung fehlt, will ich nur der Ordnung halber ergänzen. Wir brauchen eine ge- samtdeutsche Wohngeldreform! Nicht nur eine Anpas- sung an die Mietentwicklung und die Einkommensent- wicklung, sondern strukturelle Veränderungen. Ich will im folgenden einige Aspekte ansprechen, die deutlich machen, wo zur Zeit die strukturellen Probleme unseres jetzigen Wohngeldgesetzes liegen, die bei einer Wohngeldreform beseitigt werden sollen. Zunächst ein- mal sage ich mit besonderer Betonung in die Richtung der Regionalpartei PDS: Die derzeitige Regelung enthält massive soziale Verwerfungen zwischen dem Wohngeld West und dem Wohngeld Ost. Ich will das an einem Beispiel belegen: Bei 1 190 DM monatlichem Einkom- men, z.B. einer Rentnerin, und bei Mietstufe III einer vor 1996 fertiggestellten Wohnung mit Bad und Sam- melheizung beträgt der Wohngeldanspruch in den alten Bundesländern 12 DM und in den neuen Bundesländern 80 DM. Dieser beträchtliche Unterschied ist nicht zu rechtfertigen. In einer Wohngeldreform muß diese Un- gleichbehandlung beseitigt werden. Die Miethöchstbe- träge einfach undifferenziert anzuheben reicht also nicht aus. Zusätzlich müssen wir sehen, wie wir Anreize schaf- fen, auch ältere und einfachere Wohnungen anzumieten. Ich halte das für einen wichtigen Punkt. Eine strukturelle Wohngeldreform muß darüber hinaus die Unterversor- gung vor allem von Haushalten mit vier und mehr Per- sonen, das heißt, Familien mit Kindern, endlich durch eine zweckmäßigere Tarifgestaltung beseitigen. Die jet- zige Höchstbetragstabelle benachteiligt aber auch kleine Haushalte, denn die Quadratmetermieten kleiner Woh- nungen sind bekanntlich höher. Auch hier müssen die Höchstbetragstabellen modifiziert werden. Wir brauchen dringend eine Vereinfachung: Wenn Sie sich die Rege- lung für die alten und die neuen Bundesländern einmal anschauen, sehen Sie, daß die Regelungen aus guten Gründen in den neuen Bundesländern deutlich einfacher sind, das heißt, wir müssen prüfen, ob es bei den bishe- rigen Baualtersklassen bleibt. Eine Wohngeldreform muß die besondere Situation der Ballungsgebiete stärker berücksichtigen, weil wir hier in den letzten Jahren ge- radezu eine Mietenexplosion festzustellen haben. Lassen Sie mich noch einige persönliche Anmerkun- gen zum pauschalierten Wohngeld machen. Die F.D.P. schlägt beim pauschalierten Wohngeld die Einführung von Mietobergrenzen vor. Wenn dahinter die Absicht steht, Mittel für das pauschalierte Wohngeld zu kürzen oder zu deckeln, dann kann ich nur bekräftigen, was die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD im Mai diesen Jahres in ihren Entschließungsanträgen zum Wohngeld- und Mietenbericht festgestellt haben: „Die geplante Kappung des pauschalierten Wohngeldes zu Lasten der Kommunen ist nicht hinnehmbar“; es ist „von allen Überlegungen Abstand zu nehmen, die den Ländern und Gemeinden durch eine Neugestaltung des pauschalierten Wohngeldes Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe aufbürden“. Das war einer der Schwach- punkte Ihres kläglichen Eckpunktepapiers in der letzten Legislaturperiode. Das Ungleichgewicht zwischen Pau- schal- und Tabellenwohngeld läßt sich sinnvoll nur durch die Verbesserung des Tabellenwohngeldes besei- tigen. Mit der von der alten Bundesregierung prakti- zierten Verlagerung von Kosten auf die Kommunen als Sozialhilfeträger muß endlich Schluß sein. Grundsätzlich gilt: Wir sollten die anstehende Wohn- geldreform als Chance sehen, die notwendige Hilfe des Staates für die Haushalte, die sich nicht aus eigener 972 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 (A) (C) (B) (D) Kraft mit angemessenem Wohnraum versorgen können, so treffsicher, so gezielt zu gestalten, daß das Wohn- geldgesetz seine eigentliche Aufgabe wieder erfüllt. Deshalb reicht eine Härtefallregelung nicht aus. Deshalb ist es richtig, die anstehende Wohngeldreform sorgfältig vorzubereiten. Deshalb ist es richtig, das Gespräch mit den Ländern zu suchen. Wir unterstützen die Zusage des Ministers, daß in 1999 die Wohngeldreform als Gesetz- entwurf vorgelegt wird und daß sie noch 1999 in Kraft tritt. Anlage 9 Amtliche Mitteilung Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mit- geteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung Unterrichtung durch die Bundesregierung Faktenbericht 1998zum Bundesbericht Forschung– Drucksachen 13/11091, 13/11203 Nr. 5 – Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Eckhart Pick auf die Frage des Abgeordneten Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) (Drucksache 14/143, Frage 54) (Plenarprotokoll 14/13, Seite 797 A) Auf der Grundlage welcher Ergebnisse von Untersuchun-gen/Umfragen kommt die Bundesministerin der Justiz zu derFeststellung, „heute werden Ladendiebstähle im Wert bis150 DM de facto in keinem Bundesland verfolgt“ (Interview inder Süddeutschen Zeitung vom 30. November 1998, S. 9), undwelche Einstellungskriterien nach § 153 der Strafprozeßordnunggelten für die Staatsanwaltschaften tatsächlich in den einzelnenBundesländern? In Folge der Erhöhungen der Berufungssumme durch das Rechtspflegevereinfachungsgesetz vom 17. Dezem- ber 1990 (BGBl. I S. 2847) von 700 auf 1 200 DM und durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl. I S. 50) auf 1 500 DM ist die Zahl der erstinstanzlichen Urteile des Amtsgerichts, die gleichzeitig letztinstanzliche Urteile sind, auf 41,7% der erledigten Gesamtverfahren angestiegen (Quelle: Stati- stisches Bundesamt Wiesbaden, Arbeitsunterlage Zivil- gerichte, 1997, S. 26, laufende Nummern 11 bis 13). Bei einer weiteren Erhöhung der Berufungssumme von 1 500 auf 2 000 DM, wie sie im Bundesratsentwurf ei- nes Gesetzes zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Ge- richtsbarkeit in der letzten Legislaturperiode vorgesehen war (BT-Drucksache 13/6398), hätte unter Zugrundele- gung der Erledigungszahlen für 1995 bei den Amtsge- richten dazu geführt, daß ca. 51,3% der Verfahren auf den Streitwertbereich nur bis 2 000 DM entfallen wäre und damit als letztinstanzliche Entscheidungen gelten müßten (Stellungnahme der Bundesregierung zum Bun- desratsentwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit, BT-Drucksache 13/6398, S. 46, Nr. 13). Darauf hat die Bundesministerin der Justiz hingewiesen. Insoweit wurde ihre Aussage in der zitierten AP-Meldung nicht im richtigen Zusammenhang wiedergegeben. Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1401400000
Guten Morgen, mei-
ne Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Zunächst möchte ich einige Mitteilungen machen.
Die Fraktion der SPD hat als Nachfolger für den ver-
storbenen früheren Kollegen Dr. Gerhard Jahn Herrn
Professor Richard Schröder als Mitglied im Kuratori-
um „Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“
benannt. Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstan-
den sind.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die Ihnen in einer Zusatzpunktliste
vorliegenden Punkte zu erweitern:
ZP1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:Pflicht zur Vorlage eines Bundeshaushalts 1999 in denverfassungsrechtlichen Fristen angesichts der wider-sprüchlichen Aussagen zur Finanz- und Haushaltspolitikin der Bundesregierung


(Hat in der 13. Sitzung bereits stattgefunden)

ZP2 Überweisung im vereinfachten Verfahren

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing. Paul Krüger,Ulrich Adam und der Fraktion der CDU/CSU: Ansiedlungeiner Produktionsstätte für den Airbus A 3 XX in Meck-lenburg-Vorpommern – Drucksache 14/161 –
ZP3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Hal-tung der Bundesregierung zur öffentlichen Verunsiche-rung in der Euro-Region Neiße infolge der Verurteilungvon Taxifahrern und Haltung der Bundesregierung zumVorgehen des Bundesgrenzschutzes in diesem Zusam-menhang

Darüber hinaus soll von der Frist für den Beginn der
Beratung, soweit dies bei einzelnen Tagesordnungs-
punkten erforderlich ist, abgewichen werden.

Des weiteren ist vereinbart worden, den Tagesord-
nungspunkt 9 – es handelt sich um die Überlassung der
Akten der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeri-
ums für Staatssicherheit – abzusetzen und den Tages-
ordnungspunkt 11 – Änderung des Gesetzes über die
Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretä-
re – ohne Debatte aufzurufen.

Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Aus-
schußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:

Der in der 11. Sitzung des Deutschen Bundestages überwie-sene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem

Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zurMitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr.Edzard Schmidt-Jortzig, Hildebrecht Braun (Augsburg), wei-teren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. zum Zuwan-derungsbegrenzungsgesetz (ZuwBegrG) – Drucksache14/48 –

(federführend Haushaltsausschuß Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Vereinbarte Debatte 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre auch hierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Es ist vereinbart, daß ich vor Beginn der Aussprache im Namen des ganzen Hauses eine Erklärung abgebe. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heutige Tag der Menschenrechte ist zugleich der 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – also ein doppelter Anlaß, über die historische Bedeutung dieser Erklärung zu sprechen und Bilanz zu ziehen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte legte vor 50 Jahren die damals 56 Staaten der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf die Einhaltung der Menschenrechte fest. Damit war es endlich gelungen, eine Einigung mit weltweitem Geltungsanspruch zu erzielen. Das war, mit den Worten von Norberto Bobbio – ich zitiere –, ... etwas völlig Neues in der Geschichte der Menschheit, denn hier wurde zum ersten Mal ein System von grundlegenden Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens in freier Entscheidung angenommen, explizit von der Mehrheit der auf der 804 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 Erde lebenden Menschen vertreten durch ihre jeweiligen Regierungen ... Die großartige Idee der Menschenrechte wurde endlich berücksichtigt und artikuliert. Denn sie spricht dasjenige des Menschen an, das ihn als humanes Wesen ausmacht, das ihn zum Bewußtsein seiner Würde, seiner Einzigartigkeit, seiner Freiheit und seiner Gleichheit mit allen anderen Menschen gelangen läßt. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte war nicht nur ein Meilenstein in der Entwicklung der Menschenrechtsidee, sondern sie war und ist Fundament für viele darauffolgende Vereinbarungen, wie den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte – den Bürgerrechtspakt – und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – den Sozialpakt – oder die Wiener Weltmenschenrechtskonferenz im Jahre 1993. Sie war und ist Motor für viele, die trotz widriger Umstände und Androhung von Gewalt weltweit den tagtäglichen Kampf für die Verwirklichung dieser elementaren Rechte führen. Ob Andrej Sacharow oder Mutter Teresa, ob die Mütter auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires, die das Verschwinden ihrer Angehörigen anklagen, ob die Soldatenmütter im TschetschenienKrieg oder die Streetworker in Brandenburg in ihrem Einsatz gegen rechtsextremistische Gruppen – sie alle stehen für ein mutiges und erschütterliches Engagement im Kampf um die Einhaltung der Menschenrechte. Menschenrechte sind zum Gradmesser des Fort schritts und des Zivilen in Politik und Gesellschaft geworden. Bei der Überwindung des kommunistischen Systems in Mittelund Osteuropa 1989/90 spielte die Idee der Menschenrechte, die Einforderung der elementaren Bürgerund Freiheitsrechte eine entscheidende Rolle – für die Charta 77, die Helsinki-Gruppen, für Solidarnosc und die Initiative für Frieden und Menschenrechte wie auch für die anderen Oppositionsgruppen in der DDR. Dennoch: Diesen unbestrittenen Erfolgen stehen schwere Rückschläge und immer wieder auftauchende Widersprüche entgegen. Seit der Erklärung der Menschenrechte nehmen die Menschenrechtsverletzungen nicht ab, nein, sie nehmen zu. Gerade heute früh war die Nachricht von der Ermordung des iranischen Schriftstellers Mohari zu hören. Das ist nur ein Beispiel. Willkür und Unterdrückung, Folter, Terror und Massenvergewaltigungen sind nach wie vor in den verschiedensten Ländern der Welt an der Tagesordnung. Oppositionelle und Minderheiten werden gewaltsam unterdrückt oder manipuliert. Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Demonstrationsrecht sind in vielen Regionen dieser Welt fragile, ja oft nur scheinbare Rechte, die entweder nur auf dem Papier stehen oder nicht von dauerhaftem Bestand sind. Politische oder religiöse Gründe führen zu Verfolgung und Ausgrenzung. Existenzielle Nöte, kriegerische Auseinandersetzungen, Vertreibung aus der Heimat – all dies gehört zum Alltag unserer Welt. Es gibt aber auch die weniger spektakulären Menschenrechtsverletzungen wie die Unterdrückung der Frauen. Sie finden zumeist im privaten, persönlichen Umfeld statt; sie geschehen subtil, aber sind nicht minder demütigend. Anklagend, aber eben oft auch hilflos steht die Weltgemeinschaft vor diesen Vergehen und Verbrechen. Schwerwiegende Konflikte und Widersprüche werden dabei deutlich. Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat ein philosophisch begründetes und abgeleitetes Ideal den Rang einer Rechtsnorm erhalten, legitimiert aus der Übereinkunft der internationalen Staatengemeinschaft. Die Umsetzung in das positive Recht der nationalen Staaten und in ihre unterschiedlichen Kulturen sowie die Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte erweisen sich jedoch als schwierig. Hinzu kommt, daß die Menschenrechte selbst keine homogene Einheit bilden. Immer wieder kollidieren die einzelnen Schutzbereiche, wenn es um die Auslegung von Menschenrechten geht. Wir haben eine Balance zu finden, die im Leben gerecht ist und Bestand hat. Der Deutsche Bundestag hat sich oftmals selbst vor solchen Zielkonflikten gesehen und diese Herausforderungen angenommen. Ich erinnere hier nur an die Debatten über das Asylrecht und über die Unverletzlichkeit der Wohnung. In beiden wie in vielen anderen Fällen rang dieses Hohe Haus um eben jene Balance im Konflikt zwischen verschiedenen, gleichgewichtigen Menschenrechten und den sich daraus ergebenden staatlichen Aufgaben. Die Gleichwertigkeit der Menschenrechte muß in diesem Zusammenhang noch einmal ausdrücklich betont werden. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe in einem Staat gelebt, der jahrzehntelang kollektive und individuelle, vor allem aber soziale und politische Menschenrechte gegeneinander auszuspielen trachtete. Nicht zuletzt im Deutschen Bundestag ist die Unterdrückung elementarer Menschenrechte in der DDR immer wieder kritisiert und zurückgewiesen worden. Das war gut und richtig so. Es war und bleibt eine Pflicht, die Menschenrechte als unteilbar zu begreifen und sie so auch wirksam werden zu lassen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


(B)


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(D)


(Beifall im ganzen Hause)


Die Verpflichtung, Menschenrechte einzuhalten, be-
deutet auch, diejenigen zu sanktionieren, die sie verlet-
zen. Deshalb treffen die britischen Entscheidungen über
den Ex-Diktator Pinochet auf so große, ja begeisterte
Zustimmung. Sie sind ein wichtiger und, wie ich hoffe,
folgenreicher Vorgang.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Interventionen der UNO und die Einrichtung
eines internationalen Gerichtshofes zur Aburteilung
von Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind große
Erfolge der Menschenrechtspolitik der 90er Jahre. Aber
auch hier tun sich Widersprüche auf, die noch nicht all-
gemein oder endgültig gelöst sind. Wo sind die Kriteri-
en? Wo liegen die Grenzen eines im internationalen

Präsident Wolfgang Thierse

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 805


(A) (C)



(B) (D)


Recht verankerten humanitären Eingreifens? Wer be-
stimmt die Balance zwischen nationalem Selbstbestim-
mungsrecht und individuellen Menschenrechten? Ist der
Kollektivanspruch einer Nation höher zu bewerten als
der universal gültige Schutz jedes einzelnen vor staatli-
cher und kollektiver Willkür?

Bei allen Rückschlägen und Widersprüchen: Als De-
mokraten stehen wir in der Verantwortung, eine aktive
Menschenrechtspolitik zu gestalten. Wir sind verpflich-
tet, auf den Ruf nach Freiheit und Anerkennung dieser
menschlichen Rechte zu antworten. Es gilt, die mit den
Zielkonflikten entstehenden Spannungen auszuhalten
und die Frage der Menschenrechte immer im Auge zu
behalten. Wie dies letztendlich geschieht, ob durch lau-
ten Protest oder durch stille Diplomatie, hängt vom Ein-
zelfall ab.

Zu einer aktiven Menschenrechtspolitik gehört auch,
aufmerksam und sensibel für neue Entwicklungen und
deren Auswirkungen auf die Menschenrechte zu sein.
Menschenrechte werden nie abschließend geregelt wer-
den können. Sie sind eine lebendige Materie. Sie sind
letztendlich das Resultat von ausgetragenen Konflikten
und gefundenem Konsens, von konstruktiven Diskus-
sionen, von Fortschritten und Rückschlägen – eben von
menschlichen Erfahrungen.

Neben den alten individuellen, sozialen und politi-
schen Menschenrechten, die immer noch nicht überall
auf der Welt verwirklicht sind, kommen zum Beispiel
im Zuge der Einführung innovativer Techniken auf die
Menschenrechtspolitik neue Herausforderungen zu. Ob
durch die moderne Datentechnik, durch neue Medien,
durch die Auswirkungen der Gentechnik oder der fort-
geschrittenen Transplantationstechnik: Vieles wird sich
verändern, aber die Würde des Menschen muß unantast-
bar bleiben.


(Beifall im ganzen Hause)

Der Deutsche Bundestag hat der besonderen Bedeu-

tung der Menschenrechtspolitik durch die Einsetzung
des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe Rechnung getragen. Das ist ein wichtiger Schritt.

Aktive Menschenrechtspolitik kann vor allem nicht
auf die Arbeit der Nicht-Regierungsorganisationen ver-
zichten. Beispielhaft für alle anderen nenne ich an dieser
Stelle Amnesty International.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Nicht-Regierungsorganisationen waren schon vor
der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Men-
schenrechte aktiv. Immer dann, wenn Verstöße gegen
die Menschenrechte drohen oder geschehen sind, erhe-
ben sie ihre Stimme, klagen an und leisten Hilfe. Sie ar-
beiten gleichermaßen im Stillen, vor Ort, kooperieren
mit staatlichen Institutionen und sorgen für humane Le-
bensbedingungen der Ärmsten und Schwächsten.

Vor wenigen Tagen habe ich im Namen des Deut-
schen Bundestages eine Gruppe der Preisträger des Am-
nesty-International-Menschenrechtspreises empfangen.
Die Schilderung der bedrohlichen Situation in ihren je-
weiligen Ländern auf verschiedenen Kontinenten hat

mir nachdrücklich vor Augen geführt, daß wir in unse-
ren Anstrengungen für eine aktive, internationale Men-
schenrechtspolitik nicht nachlassen dürfen. Ich hätte bei
diesem Gespräch gerne auch den chinesischen Dissi-
denten Wei Jingsheng empfangen. Leider konnte sein
Flugzeug in München nicht starten. Ich möchte aber an
dieser Stelle nochmals betonen, daß derartige Treffen
ungeachtet des Protestes der chinesischen Diplomatie
eine Selbstverständlichkeit sein sollten.


(Beifall im ganzen Hause)

Sie werden verstehen, daß eine solche Bemerkung gera-
de für mich als ehemaligen DDR-Bürger von einer be-
sonderen Bedeutung ist.

Die Zeiten der sogenannten „Nichteinmischung in die
inneren Angelegenheiten“ sind vorbei und müssen vor-
bei sein.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Menschenrechte dürfen nicht an Grenzen, auch nicht an
diplomatischen Grenzen, Halt machen. Es sollte zu den
selbstverständlichen Gepflogenheiten gehören, daß Ab-
geordnete dieses Hauses, die in andere Länder reisen,
dort auch mit Vertreterinnen und Vertretern von Men-
schenrechtsorganisationen, mit Dissidenten und Ver-
folgten sprechen. Dies ist eine Selbstverständlichkeit.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir sollten uns auch heute erneut an die bewegenden

Bilder von 1989 aus dem Garten der Deutschen Bot-
schaft in Prag erinnern. Ich war gerade dort. Ich würde
mich freuen, wenn es zu einem Markenzeichen für deut-
sche Politik würde, daß man ihr im Ausland nachsagt,
daß ihre Botschaften offene, gesprächsfähige Orte auch
für diejenigen sind, die in ihren Ländern mit Menschen-
rechtsverletzungen zu kämpfen haben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Im Namen aller Parlamentarier dieses Hauses danke
ich Amnesty International und anderen Organisationen
in diesem Bereich für das unermüdliche und vor allem
auch unerschrockene Engagement; denn die Streiter für
Menschenrechte werden zunehmend selbst Opfer von
Menschenrechtsverletzungen. Einzelne Mitglieder wer-
den inhaftiert, gefoltert oder getötet, Büros vor Ort wer-
den geschlossen, oder die Arbeit wird systematisch un-
terbunden. Deshalb muß heute internationale Menschen-
rechtspolitik immer auch und besonders Schutz der ge-
fährdeten Menschenrechtler sein.

Am heutigen Tage debattiert auch die Vollversamm-
lung der Vereinten Nationen das Thema der Menschen-
rechte. Amnesty International und andere Organisatio-
nen haben dazu erneut eine Erklärung vorgelegt. Ich
wünsche mir, nein ich bin sicher, daß von unserer heuti-
gen Debatte das Signal ausgeht, daß die Parteien des
Deutschen Bundestages sich trotz all ihrer sonstigen
politischen Differenzen einig sind in ihrem Eintreten für
die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte.

Präsident Wolfgang Thierse

806 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



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Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall im ganzen Hause)


Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Rudolf Bindig, SPD-Fraktion.


Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1401400100
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Der Präsident hat für den
ganzen Deutschen Bundestag die von der Generalver-
sammlung der Vereinten Nationen proklamierte Allge-
meine Erklärung der Menschenrechte gewürdigt. Wahr-
lich, sie ist ein Basisdokument der Menschheit. Zusam-
men mit den sie konkretisierenden Menschenrechtsab-
kommen und -pakten stellt sie das globale Ethos der
Menschheit dar.

Die Erklärung ist zugleich Meßlatte für den Grad der
Durchsetzung der Menschenrechte und Programm für
die aktive Menschenrechtspolitik. Oft heißt es, Men-
schenrechte müßten gewährt werden. Da klingt so etwas
wie Großzügigkeit mit, als müßten die Menschenrechte
den Menschen erst zugestanden werden. In Wirklichkeit
beschreibt die Allgemeine Erklärung der Menschen-
rechte die dem Menschen innewohnenden Rechte. Sie
müssen anerkannt und respektiert und für ihn durchge-
setzt und nicht gewährt werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie sind ein Handlungsauftrag für die Staaten, die Ge-
sellschaften und die internationale Gemeinschaft.

Ein Blick auf die brutale Realität zeigt, daß zahlrei-
che Staaten diesem Auftrag nicht gerecht werden. Viele
Menschen müssen in Angst und Not leben; ihre Men-
schenrechte werden aufs schwerste verletzt. Die UN-
Menschenrechtskommissarin Mary Robinson hat vor
zwei Tagen in Paris von der „bitteren Wahrheit“ gespro-
chen, daß fast jeder der 1948 beschlossenen 30 Artikel
seither fast systematisch verletzt worden sei.

Aktuelle operative Menschenrechtspolitik findet
eine große Zahl von Problemen und Ansatzpunkten: der
Kampf gegen Folter, politische Verfolgung und Ver-
schwindenlassen, Bemühungen um die Abschaffung der
Todesstrafe, Kampf gegen Zwangsarbeit und Kinderar-
beit, Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten,
Schutz von Frauen vor Genitalverstümmelung. Schließ-
lich gehören der Ausbau des nationalen und internatio-
nalen Menschenrechtsinstrumentariums genauso dazu
wie stärkere Bemühungen um Präventivmaßnahmen
zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen. Zu vielen
dieser Themen haben wir hier im Deutschen Bundestag
Initiativen ergriffen, und wir werden weiter daran ar-
beiten.

Da nicht in jeder Rede zum Tag der Menschenrechte
das ganze Spektrum unserer menschenrechtlichen Akti-
vitäten und Bemühungen dargestellt werden kann,
möchte ich aus Anlaß dieser besonderen Debatte zwei
Problembereiche der Menschenrechtspolitik besonders
herausstellen, eines aus der Außenpolitik und eines aus
der Innenpolitik.

Beim Einsatz für die Menschenrechte in der Außen-
politik geht es neben der Frage, wie die politisch Füh-
renden eines Landes bzw. die Machthaber in einem Staat
durch Einflußnahme von außen – sei es über bilaterale
Maßnahmen, sei es über multilaterale Aktivitäten – dazu
gebracht werden können, die Menschenrechte zu be-
achten, darum, wie innerstaatliche Prozesse unterstützt
und sogar angeregt werden können, welche die Aner-
kennung und Respektierung der Menschenrechte im je-
weiligen Land fördern.

Neben dem von außen kommenden interventionisti-
schen Ansatz ist ein Ansatz, der auf die innere Ent-
wicklung in den Staaten abstellt, von ganz besonderer
Bedeutung. Gerade in Problemländern sollten deshalb
die Menschenrechtsverteidiger, die nichtstaatlichen
Menschenrechtsorganisationen, noch stärker beachtet,
unterstützt und mit allen Möglichkeiten beschützt wer-
den.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Diese Vorkämpfer für die Menschenrechte sind es, de-
ren Menschenrechte als erste verletzt werden, die an
Leib, Leben und Freiheit bedroht werden. Die deutsche
Außenpolitik sollte sich künftig noch stärker darum be-
mühen, diese Menschen und Einrichtungen zu unterstüt-
zen.

Die Grundlage für einen besseren Schutz der Men-
schenrechtsverteidiger bietet die UN-Erklärung, welche
heute von den Vereinten Nationen angenommen werden
soll. Diese Erklärung zum Schutz von Menschen-
rechtsverteidigern kann für die Praxis der Durchset-
zung der Menschenrechte eine ähnlich wichtige Bedeu-
tung bekommen wie die vor 50 Jahren verkündete All-
gemeine Erklärung der Menschenrechte für die Definiti-
on von Menschenrechten.

Die heutige Erklärung stellt nämlich eine wertvolle
Ergänzung dar, indem sie das Recht, für die Umsetzung
der Menschenrechte und Grundfreiheiten einzutreten,
selbst zum Menschenrecht erklärt. Jeder Mensch soll das
Recht haben, sich frei über Wissen, andere Standpunkte
und Ansichten, über alle Menschenrechte und Grund-
freiheiten zu informieren und diese Erkenntnisse frei zu
veröffentlichen und zu verbreiten. Menschen sollen sich
zum Zweck der Beförderung und des Schutzes der Men-
schenrechte und Grundfreiheiten treffen und friedlich
versammeln können und nichtstaatliche Organisationen,
Verbindungen oder Gruppen gründen oder ihnen beitre-
ten können oder sogar das Recht erhalten, dies, wenn es
ihnen nicht gewährt wird, mit Rechtsmitteln durchzuset-
zen. Den Staaten soll auferlegt werden, in „oberster
Verantwortung und Pflicht“ die Menschenrechte zu
schützen, zu fördern und umzusetzen.

Zwar handelt es sich hier wiederum nur um ein Pro-
grammdokument, das als Erklärung gestaltet worden ist,
also nicht durch Ratifizierung zu verbindlichem Kon-
ventionsrecht werden soll. Aber in dieser Form kann
auch eine Stärke liegen, die darin besteht, daß sie eben
nicht langer Ratifizierungsverfahren bedarf, sondern
umgehend zum Maßstab dafür werden kann, wie Men-

Präsident Wolfgang Thierse

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 807


(A) (C)



(B) (D)


schenrechtsaktivisten zu schützen sind und in welcher
Form Staaten die Durchsetzung der Menschenrechte zu
organisieren haben.

Deshalb stellt diese neue Erklärung eine sehr wichti-
ge Ergänzung der Allgemeinen Erklärung der Men-
schenrechte dar. Vielleicht kann sie sich weltweit zu
dem entwickeln, was der Korb III der KSZE-
Vereinbarung über die menschliche Dimension für die
Staaten Mittel- und Osteuropas gewesen ist. – Dies zu
dem außenpolitischen Problemkreis.

Mit Blick nach innen muß man bei der Diskussion
über das Thema Menschenrechte in Deutschland fest-
stellen, daß auf der politisch-parlamentarischen Ebene
bisher noch wenig über Menschenrechtsfragen diskutiert
wird, die im Zusammenhang mit dem Flüchtlings- und
Asylrecht stehen. Diese Rechtsgebiete werden in der
politischen Diskussion in Deutschland vielfach nicht als
integraler Bestandteil des Menschenrechtsschutzes und
damit einer umfassenden Menschenrechtspolitik behan-
delt, und dies, obwohl es gerade hier ein Problem gibt,
über welches unter menschenrechtlichen Gesichtspunk-
ten politisch diskutiert werden muß.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Durch innenpolitische Regelungen und durch die
Rechtsprechung zum Asyl- und Flüchtlingsrecht sind
Kategorisierungen und Interpretationen bzw. herrschen-
de Lehren darüber entstanden, von wem und in welcher
Form und Intensität Verfolgung vorliegen kann und
muß, um daraus asyl- und ausländerrechtliche Rechts-
folgen abzuleiten. So wird bei der staatlichen Verfol-
gung zwischen unmittelbarer staatlicher, mittelbarer
staatlicher und quasistaatlicher Verfolgung unterschie-
den. Diese lösen bestimmte Rechtsfolgen des Asyl- und
Ausländerrechts aus.

Es bleiben dann aber noch die Bereiche von partieller
oder totaler Anarchie in einem Gebiet, das heißt von
Ländern, in denen es keine staatlichen Strukturen gibt,
und das Problem von nichtstaatlicher Verfolgung und
Bedrohung oder Situationen, in denen Folter und Miß-
handlung so zahlreich und – man mag es kaum ausspre-
chen – gewöhnlich geworden sind, daß sie kein indivi-
duelles Risiko mehr darstellen.

Diese Begriffs- und Rechtskonstruktionen mögen
sich innenpolitisch so entwickelt haben und/oder von ei-
nigen bewußt so gewollt worden sein; sie mögen recht-
lich so abgeleitet worden sein oder sogar zur herrschen-
den Linie geworden sein. Das ändert aber nichts daran,
daß sie, menschenrechtlich gesehen, in Einzelfällen zu
unakzeptablen Ergebnissen führen können.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dem betroffenen Menschen – und er ist derjenige, für
den die Menschenrechte formuliert worden sind – ist es
in seiner Not egal, wer der Verursacher seiner Peinigung
ist. Folter ist Folter, Verfolgung ist Verfolgung, un-
menschliche und unwürdige Behandlung bleibt un-

menschliche und unwürdige Behandlung, egal von wem
sie ausgeht.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Während auf der gesellschaftlichen Ebene durchaus
über dieses Problem diskutiert wird, ist es auf der poli-
tisch-parlamentarischen Ebene fast zu einem Tabu ge-
worden, darüber zu sprechen. Wann, wenn nicht heute,
am Tag der Menschenrechte, besteht Anlaß, dieses „Ei-
sen“ anzufassen und hier, im Deutschen Bundestag, dar-
über zu reden? Für die menschenrechtliche Diskussion
darf nicht gelten, daß dieses Problem „zu heiß“ ist, gera-
de weil es für etliche Betroffene bereits „heiß“ gewor-
den ist. Alle Fraktionen in diesem Hause müssen das
Thema um der Menschenrechte willen endlich aufgrei-
fen und nach Lösungen suchen. Es geht hier keinesfalls
darum, auf diesem Wege ein neues Tor der Zuwande-
rung zu öffnen, sondern es geht darum, einzusehen, daß
es hier ein Problem gibt, das noch einer Regelung be-
darf. Hier ist eine Schieflage entstanden, die in eine Ba-
lance zwischen menschenrechtlich Gebotenem und in-
nenpolitisch Notwendigem gebracht werden muß.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die Art, wie wir dieses Thema künftig behandeln, wird
zeigen, ob wir in schwierigen Situationen nur Men-
schenrechtsrhetorik betreiben oder ob wir zu einer ver-
tretbaren Menschenrechtspraxis kommen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1401400200
Das Wort hat nun
Kollege Hermann Gröhe, CDU/CSU-Fraktion.


Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1401400300
Herr Präsident! Ver-
ehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! 50 Jahre Allge-
meine Erklärung der Menschenrechte – viel ist in diesen
Tagen über die Frage veröffentlicht worden, ob der Ge-
burtstag dieser Erklärung ein Grund zum Feiern sei.
Kaum ein Dokument wird zwar so häufig zitiert, aber
gleichzeitig auch immer wieder in so dramatischer Wei-
se mißachtet. Dennoch wird ganz überwiegend die Fra-
ge, ob denn dieser Geburtstag einen Anlaß zum Feiern
biete, mit „Ja, aber“ beantwortet. Ich denke, das ge-
schieht zu Recht. Dies gilt allerdings nur, wenn wir nicht
zulassen, daß die hehren Worte am heutigen Tage die
Hilfeschreie der Unterdrückten, der Gefolterten und
Ausgebeuteten übertönen. Wir müssen vielmehr die
Lautsprecher dieser Menschen sein, uns zu ihrem An-
walt machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Rudolf Bindig

808 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Deshalb zu Beginn eine ernüchternde Bilanz. Der
Jahresbericht von Amnesty International enthält In-
formationen über 140 Staaten, in denen die Menschen-
rechte verletzt werden. In 55 Ländern gibt es staatlich
angeordnete Morde; in 87 Ländern befinden sich politi-
sche Gefangene in Gefängnissen; Folter, Mißhandlun-
gen, Vergewaltigungen in Gefängnissen und Polizeista-
tionen gibt es in 117 Staaten dieser Erde; in ungefähr 50
Staaten sterben Menschen infolge systematischer Folter;
hunderttausende Menschen erleiden ohne Anklage und
Verfahren Haft, zumeist in Arbeits- und Umerziehungs-
lagern. Das Verschwindenlassen mißliebiger Personen,
auf das die Mütter der Verschwundenen in Buenos Aires
die Welt erstmals aufmerksam machten, hält in einer
Reihe von Ländern an. Hunderttausende Schicksale ver-
schwundener Menschen sind bis heute unaufgeklärt.
Noch immer werden in etwa 40 Ländern der Welt – dar-
unter in den USA, der Volksrepublik China, Nigeria und
dem Iran – Menschen zum Tode verurteilt und hinge-
richtet. Dabei will ich nicht unerwähnt lassen, daß es in-
zwischen die Mehrheit der Staaten ist, in der die Todes-
strafe abgeschafft wurde oder seit vielen Jahren nicht
mehr vollstreckt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich erwähne dies gerade deshalb, weil der Einsatz

gegen die Todesstrafe seit Jahren ein Schwerpunkt der
bundesrepublikanischen Menschenrechtspolitik ist. Ich
erinnere nur an das von Deutschland initiierte zweite
Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bür-
gerliche und politische Rechte zur Abschaffung der To-
desstrafe.

Trotz der ernüchternden Bilanz gilt heute aber auch:
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat Mil-
lionen Menschen in aller Welt inspiriert, sich für die
Menschenrechte einzusetzen, sich mit den Opfern von
Menschenrechtsverletzungen zu solidarisieren, sich für
die Prävention von Menschenrechtsverletzungen und für
die Schaffung von Strukturen zum Schutz der Men-
schenrechte einzusetzen.

Der mit der Allgemeinen Erklärung der Menschen-
rechte bewirkte Stellenwert der Menschenrechte in der
Weltöffentlichkeit trug wesentlich dazu bei, daß sich die
um ihr Ansehen so besorgten Diktatoren dieser Erde
immer wieder unter Rechtfertigungsdruck sehen, ein
Effekt, der sich im Zeitalter globaler Nachrichtenüber-
tragung im Internet oder im Fernsehen weiter verstärkt
und dessen Wirkung wir in der umfangreichen Propa-
gandatätigkeit ihrer Botschaften in vielen Hauptstädten
spüren.

Es blieb aber nicht bei einer völkerrechtlich unver-
bindlichen feierlichen Erklärung. Es folgte die zuneh-
mende Verrechtlichung durch die beiden Menschen-
rechtspakte und eine Reihe weiterer Menschenrechts-
übereinkommen. Es läßt sich heute wohl sagen, daß die
Normbildung im Bereich der Menschenrechtsstandards
weit fortgeschritten ist. Jetzt gilt es vor allem, um die
Durchsetzung und Schaffung wirkungsvoller Durchset-
zungsinstrumente zu ringen. Dabei muß auch heute
noch das Ringen um die Durchsetzung der Menschen-
rechte bei der Verteidigung ihrer universellen Geltung

beginnen. Diese Universalität macht die Allgemeine Er-
klärung der Menschenrechte zum Ausgangspunkt des
Menschenrechtskatalogs, wenn bereits im ersten Satz
von der „Anerkennung der allen Mitgliedern der
menschlichen Familie innewohnenden Würde“ die Rede
ist. Menschenrechte sind Geburtsrechte, die allen politi-
schen Ordnungen vorgegeben sind.


(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Ihre Achtung darf auch nicht unter Hinweis auf kul-

turelle Besonderheiten relativiert werden. Zu Recht
heißt es daher im Schlußdokument der Wiener Men-
schenrechtskonferenz von 1993:

Zwar ist die Bedeutung nationaler und regionaler
Besonderheiten und unterschiedlicher historischer,
kultureller und religiöser Voraussetzungen im Auge
zu behalten, doch ist es die Pflicht der Staaten, oh-
ne Rücksicht auf ihre jeweilige politische, wirt-
schaftliche und kulturelle Ordnung alle Menschen-
rechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu
schützen.

Sicherlich zeigen gerade die in ihrer Schlichtheit und
Klarheit eindrucksvollen Formulierungen der Allgemei-
nen Erklärung der Menschenrechte ihre Verwurzelung
in westlichen Traditionen. Längst haben wir jedoch ge-
lernt, daß es menschenrechtsfreundliche und menschen-
rechtsfeindliche Traditionslinien in allen Kulturkreisen
und Religionen gibt.


(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Ich nenne nur die Geltung der goldenen Regel „Was du
nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem andern
zu“ in praktisch allen Kulturkreisen.

Die menschenrechtsfreundlichen Traditionslinien in
allen Kulturen haben ihre Wurzeln in den Leistungen
der menschlichen Vernunft. Vor allem aber sind es die
konkret erlittenen Unrechtserfahrungen, die Menschen
in allen Kulturkreisen zur Berufung auf die unveräußer-
lichen Menschenrechte führten. So hat es Schillers Wil-
helm Tell formuliert:

Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last – greift er
Hinauf getrosten Mutes in den Himmel
Und holt herunter seine ewgen Rechte,
Die droben hangen unveräußerlich ...

Wer heute die Universalität der Menschenrechte ver-
teidigen will, darf nicht den Eindruck einer eigenen Re-
lativierung dieser Universalität der Menschenrechte ent-
stehen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Diese Gefahr aber sehe ich, wenn unter dem Vorzei-
chen, Kritik aus dem asiatischen Raum an unseren men-
schenrechtlichen Positionen ernst nehmen zu wollen, ei-
ne Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten an-
geregt wird, wie das durch das sogenannte Interaction
Council geschah.

Hermann Gröhe

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 809


(A) (C)



(B) (D)


Wer der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
eine Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten
gleichsam als Zwilling an die Seite stellt, wird trotz aller
vorbeugenden Klauseln nicht verhindern können, daß
sich Unterdrücker unter Berufung auf die Nichterfüllung
von Pflichten die Nichtgewährung von Rechten anma-
ßen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


In der Universalität der Menschenrechte gründet auch
unsere Überzeugung, daß dem Einsatz für die Achtung
der Menschenrechte nicht mit dem Hinweis auf das
Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angele-
genheiten entgegengetreten werden kann. Nationale
Souveränität ist niemals eine taugliche Legitimierung
für Unterdrückung, Folter und Mord.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Die Menschenschinder müssen vielmehr wissen: Wer
mordet, foltert und unterdrückt, muß mit unserer Einmi-
schung rechnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Bereits im Text der Allgemeinen Erklärung der Men-
schenrechte spielen die politischen Rahmenbedingungen
für die Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlich-
keit, Demokratie und Sozialstaatlichkeit, eine wichtige
Rolle. Schon daraus wird deutlich, daß die weltweiten
Demokratiebewegungen für die Achtung der Men-
schenrechte von besonderer Bedeutung sind. Diese De-
mokratiebewegungen gilt es zu stärken.

Wir alle sollten daher in diesem Zusammenhang jede
chinesische Kritik an dem richtigen Gespräch des Au-
ßenministers mit dem chinesischen Bürgerrechtler
Wei Jingsheng zurückweisen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Die Demokratiebewegungen, die Menschenrechts-
verteidiger und die zahlreichen Nichtregierungsorgani-
sationen leisten einen großartigen Beitrag im Ringen
um die Achtung der Menschenrechte. Dies gilt für die
Nichtregierungsorganisationen in unserem eigenen
Land, deren großer Sachkunde und im Regelfall ehren-
amtlichem Einsatz unser Dank gilt. Die wichtige Arbeit
dieser Nichtregierungsorganisationen ist nicht erfolglos.
Amnesty International erreichte in einem Drittel der
Fälle von Menschen, für die man sich einsetzte, eine
Verbesserung der Lage: die Aussetzung der Todesstrafe,
ein Ende von Mißhandlungen, einen fairen Prozeß oder
gar die Haftentlassung.

Dank und Bewunderung verdienen vor allem auch die
Menschenrechtsverteidiger, die in Unrechtsregimen mit
hohem eigenen Risiko für die Menschenrechte eintreten.
Welch hohes Risiko Menschenrechtsverteidiger einge-

hen, machten in jüngster Zeit die Morde an dem kolum-
bianischen Anwalt Eduardo Umana Mendoza und an
der russischen Parlamentsabgeordneten Galina Sta-
rowoitowa deutlich.

Die beste Art, wie die Völkergemeinschaft den muti-
gen Menschenrechtsverteidigern danken und ihnen Un-
terstützung zukommen lassen kann, ist die Verabschie-
dung einer „Erklärung zum Schutz von Menschen-
rechtsverteidigern“ durch die Generalversammlung der
Vereinten Nationen am heutigen Tage. Über ein Jahr-
zehnt ist um diese wichtige Erklärung gerungen worden.
Gerade die deutsche Delegation bei der Menschen-
rechtskommission der Vereinten Nationen hat beharrlich
auf diese Erklärung hingearbeitet. Dafür gebührt ihr un-
ser aller Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Tragen wir jetzt alle dazu bei, diese so wichtige Erklä-
rung zu verbreiten und auf einen besseren Schutz der
Menschenrechtsverteidiger zu drängen!

Zentral für die Menschenrechtspolitik in der vor uns
liegenden Zeit muß die Weiterentwicklung der Durch-
setzungsmechanismen sein. Die Verabschiedung des
Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs im Juli
dieses Jahres in Rom durch 120 Staaten, also immerhin
zwei Drittel der Staatengemeinschaft, stellt einen ganz
wichtigen Fortschritt dar, zu dem der frühere Außenmi-
nister Klaus Kinkel und die deutsche Delegation in Rom
wesentlich beigetragen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies gilt trotz schmerzhafter Kompromisse im Hinblick
auf die Zuständigkeit des Gerichtshofes und die Inter-
ventionsmöglichkeiten des Sicherheitsrates, den sicher-
lich noch einige Jahre dauernden Ratifikationsprozeß
und die bedauerliche offensive Ablehnung des Interna-
tionalen Strafgerichtshofs durch die USA. Dagegen
möchte ich ausdrücklich die starke Unabhängigkeit des
Gerichts und der Anklagebehörde positiv hervorheben.

Einen ganz wichtigen weiteren Fortschritt zur Ver-
besserung des Menschenrechtsschutzes stellt das am 1.
November dieses Jahres in Kraft getretene 11. Zusatz-
protokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention
dar, insbesondere die Ausgestaltung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg als
ständiger Gerichtshof und die Möglichkeit einer Indivi-
dualbeschwerde vor diesem Gericht. Dies hat gerade an-
gesichts von heute über 40 Mitgliedern des Europarats
als Folge der Umwälzungen in Mittel- und Osteuropa
eine besondere Bedeutung.

Im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Men-
schenrechte ist in den letzten Monaten, nicht zuletzt
durch den Fall Pinochet, immer wieder das Problem der
Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen dis-
kutiert worden. Lange war die Überzeugung vorherr-
schend, zugesicherte Straffreiheit könne das friedliche
Ende einer Diktatur oder eines Bürgerkrieges beschleu-

Hermann Gröhe

810 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


nigen. Heute überwiegt dagegen zunehmend die Auffas-
sung, die Straffreiheit von Menschenrechtsverletzungen
erschwere den rechtsstaatlichen Neubeginn. Zudem
werde eine eindeutige Strafbewehrung von Menschen-
rechtsverletzungen präventiv wirken.

Einen interessanten Weg geht dabei sicherlich die
„Wahrheitskommission“ in Südafrika, die die Amne-
stie mit dem Schuldeingeständnis verknüpft. Dagegen ist
es geradezu entsetzlich, wenn sich etwa im argentini-
schen Fernsehen einstige Folterknechte – geschützt
durch eine Amnestie – ihrer schrecklichen Verbrechen
rühmen. Solches Verhalten macht Aussöhnung nahezu
unmöglich.

Es ist auch die präventive Wirkung der Bestrafung
von Menschenrechtsverletzungen, um derentwillen zu
wünschen ist, daß Pinochet, aber – bei aller Andersar-
tigkeit des Konfliktes – auch Öcalan vor Gericht gestellt
werden. In beiden Fällen würde dies zugleich der not-
wendigen Sachaufklärung, aber auch der Rehabilitierung
der Opfer dienen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in der völker-
rechtlichen Entfaltung der Menschenrechte und ihres
Schutzes sind wichtige Erfolge erreicht worden. Ein
Anlaß zur Genugtuung besteht indes nicht, liest sich die
Fülle der speziellen Menschenrechtsübereinkommen
primär doch nicht als diplomatische Erfolgsgeschichte,
sondern als menschliches Sündenregister schrecklichen
Ausmaßes. Und noch immer gilt, daß die Völkergemein-
schaft – wie in Bosnien und in Ruanda erneut überdeut-
lich wurde – häufig unfähig war, trotz vorhandener
Warnungen rechtzeitig zu reagieren. Gerade um Prä-
vention muß es daher gehen, wenn wir uns am heutigen
Tage vornehmen, in unserem Bemühen um eine konsi-
stente Menschenrechtspolitik als Ausdruck einer
wertorientierten Außenpolitik nicht nachzulassen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1401400400
Das Wort hat nun
Kollegin Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Feierstunden sind gefährlich für die Men-
schenrechte. Daß wir uns nicht falsch verstehen: Natür-
lich ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,
die heute vor 50 Jahren geboren wurde, eine Feier wert.
Und ich empfehle allen, die sie noch nicht oder sie nicht
mehr kennen, nachdrücklich ihre Lektüre.

Natürlich ist es beeindruckend, wie in diesen 50 Jah-
ren die Menschenrechte juristisch verfestigt wurden, wie
sie verbindlich gemacht wurden. Natürlich dürfen wir
stolz sein auf diese wirklich große Erklärung, in der
Millionen von Menschen ihre Hoffnung auf ein Leben

ohne Unterdrückung, ohne Verfolgung verankern, auf
den Dreiklang von Freiheit, Gerechtigkeit und Partizi-
pation. Natürlich ist es ein Anlaß zur Freude, einfach die
Nichtregierungsorganisationen aufzuzählen, die es da-
mals gab und die es heute gibt: 1948 waren es 15 Men-
schenrechtsorganisationen; 1993, auf der Menschen-
rechtskonferenz in Wien, waren es 1 500. Also: Die Sor-
ge um die Menschenrechte hat sich verhundertfacht.

Trotzdem: Feierstunden sind gefährlich für die Men-
schenrechte, weil sie dem Irrglauben Nahrung geben
können, Menschenrechtspolitik sei ein feierlicher Luxus,
den man sich nur an besonderen Tagen leisten kann –
nach dem Motto: Was wir gestern, was wir vorgestern,
was wir in den vergangenen Wochen gemacht haben,
das ist Realpolitik, und das, was wir wie heute morgen
in gehobener feierlicher Stimmung tun, das ist Men-
schenrechtspolitik.


(Beifall der Abg. Heidi Lippmann-Kasten [PDS])


Wer so denkt – ich fürchte, daß nicht wenige so denken
–, der tut so, als sei Menschenrechtspolitik das Reservat
für Moralisten und für Romantiker, als seien die Men-
schenrechte zwar etwas ganz besonders Wunderbares,
aber nicht tauglich als Maßstab und Anspruch für die
politisch-parlamentarische Arbeit. Wer so denkt, der
macht Menschenrechtspolitik zur Irrealpolitik und setzt
sie in Gegensatz zur vermeintlichen Realpolitik. Das ist
auf gefährliche Weise falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS sowie des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU] und der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.])


Menschenrechtspolitik ist Realpolitik. Menschen-
rechtspolitik ist Demokratiepolitik, weil Menschenrechte
nur dort gedeihen, wo Demokratie funktioniert. Demo-
kratie aber setzt die Unteilbarkeit der Menschenrechte
voraus. Der Versuch, die bürgerlichen, die politischen
Freiheits- und Abwehrrechte zu trennen von den sozia-
len, wirtschaftlichen, kulturellen Rechten und dem
Recht auf Entwicklung ist gänzlich untauglich und
ideologisch geprägt. Die sozialen Rechte sind nämlich
die Voraussetzung dafür, die politischen, bürgerlichen
Rechte überhaupt wahrnehmen zu können. Das gilt, wie
Präsident Thierse heute morgen gesagt hat, auch umge-
kehrt.

Menschenrechte sind universell gültig. Die Frage ist
also nicht, ob, sondern was wir dazu beizutragen bereit
sind, daß die Kluft zwischen Anspruch und Men-
schenrechtsrealität überwunden wird. Wie und wo
Menschenrechte geknebelt und geknechtet werden, das
kann man nachlesen: in den künftig noch realitätsnähe-
ren Lageberichten des Auswärtigen Amtes oder in den
Jahresberichten von Amnesty International. Dort kann
man über die handgreiflichen Torturen lesen.

Es gibt aber auch andere, sehr subtile Gefährdungs-
formen. Wer nämlich die Menschenrechte nur zu be-
sonderen Gelegenheiten anzieht, so wie man einen Frack
oder ein Abendkleid nur zu besonderen Gelegenheiten
anzieht, der macht aus Menschenrechten Maskerade,
weil er sie instrumentalisiert und selektiv anwendet.

Hermann Gröhe

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 811


(A) (C)



(B) (D)


Dieses Jubiläum ist also nicht nur Anlaß zu einer Fei-
er, sondern auch Anlaß zu einer Demaskierung. Das
heißt, wir müssen uns fragen: Wie stabil ist das Funda-
ment für die Menschenrechte? Welchen Beitrag leisten
die deutsche Außenpolitik, die deutsche Entwicklungs-
politik, die deutsche Wirtschaftspolitik, die deutsche
Rüstungsexportpolitik, um das Fundament für die Men-
schenrechte wirklich stabiler zu gestalten?

Dieser Tag ist auch ein Tag gegen Doppelbödigkeit
oder Heuchelei. Ist es in Wahrheit nicht so, daß nicht der
kurdische Flüchtling das Problem ist, sondern vielmehr
die Tatsache, daß Deutschland auf Platz zwei bei den
Rüstungsexporten in die Türkei steht und daß dort
auch mit deutschen Waffen ein Krieg erst möglich wur-
de?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wir müssen uns gerade heute fragen: Genügt unsere
Innenpolitik? Genügt unser Umgang mit Flüchtlingen,
mit Asylbewerbern, mit Behinderten, mit den Armen
dieser Gesellschaft den Ansprüchen, die die Erklärung
formuliert, die wir heute morgen feiern? Wo sind die
Menschenrechte im Flughafenverfahren? Wo sind die
Menschenrechte in den Abschiebegefängnissen unseres
Landes? Wo sind sie, wenn sich ein indischer Junge aus
Verzweiflung, aus Angst vor seiner Abschiebung in sei-
ner Einzelzelle erhängt? Wir müssen uns ernsthaft fra-
gen: Sperren wir nicht manches Mal auch in unserem
Land die Menschenrechte hinter Gitter?

Natürlich könnten wir uns jetzt beruhigen und sagen,
das seien nur bedauerliche Einzelfälle. Einzelfälle? Was
passiert denn an den Außengrenzen? Welche Not wird
an der Grenze abgewiesen, an der früher der Eiserne
Vorhang war? Wie geht man in der Europäischen Union
mit Einwanderern um? Entspricht die Hierarchisierung
der Bevölkerung in Menschen erster, zweiter und dritter
Klasse wirklich Art. 1 der Menschenrechtserklärung,
wonach alle Menschen frei und gleich an Würde und
Rechten geboren sind? Freilich, selbst dann, wenn man
all diese Defizite einräumt, läßt sich sagen, die Verstöße
seien relativ weniger schlimm als die Menschenrechts-
verletzungen zum Beispiel im Sudan oder in Algerien.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Allerdings!)


Doch woran messen wir das? Ich glaube, die Relativi-
tätstheorie gehört in die Physik und nicht in die Men-
schenrechtspolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bert Brecht hat gesagt: Jeder rede von seiner Schan-
de. Verstecken wir uns also nicht, wenn es um Men-
schenrechte geht, hinter Menschenrechtsverbrechen an-
derswo. Glaubwürdig wird unsere Politik nicht dadurch,
daß wir andere anklagen, sondern dadurch, daß wir an
die eigene Politik hohe und höchste Maßstäbe anlegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Erste Zeichen sind gesetzt: der eigenständige Men-
schenrechtsausschuß, der parteiisch sein wird, partei-
isch im wahrsten Sinne des Wortes für die Menschen-
rechte, die Benennung des Menschenrechtsbeauftrag-
ten des Auswärtigen Amtes, die Gründung eines unab-
hängigen Menschenrechtsinstituts, das Ja zum Inter-
nationalen Strafgerichtshof, der Vorschlag für eine
EU-Grundrechtecharta. Ein weiteres gutes, wichtiges,
notwendiges Zeichen wäre die Rücknahme des deut-
schen Vorbehalts zur Kinderkonvention.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.])


Wir Politiker und Politikerinnen können aus der
Menschenrechtsarbeit der letzten 50 Jahre lernen: ler-
nen, nicht wegzusehen, nicht zu verdrängen, nicht zu
verschweigen. Schweigen tötet. Qui tacet, consentire vi-
detur – so haben es schon die Juristen im alten Rom
formuliert –: Wer schweigt, stimmt zu. Das gilt nicht nur
im bürgerlichen Recht, sondern das gilt vor allem auch
in der Menschenrechtspolitik. Schweigen wird nicht da-
durch geadelt, daß es uns lukrative Handelsverträge ein-
bringt. Solche Verträge sind unsittlich. Gewinn – auch
im wahrsten Sinne des Wortes – werden einklagbare
Menschenrechtsklauseln und die Globalisierung der
Menschenrechte bringen.

Menschenrechtspolitik ist also eine Kultur des Ein-
mischens auch in sogenannte innere Angelegenheiten;
denn Menschenrechtsschutz kennt keine Grenzen. Sie
braucht Beharrlichkeit; sie braucht beharrliche Wider-
ständigkeit. Amnesty hat bewiesen, daß damit Erfolge
und Veränderungen erzielt werden können. So verstan-
den, ist Menschenrechtspolitik wirkliche Sicherheitspo-
litik. Sie ist Stabilitätspolitik. Sie ist Politik der interna-
tionalen Prävention. Das ist keine Utopie. Vielleicht ist
es eine Vision. Aber eine Vision haben ist das Gegenteil
von untätig sein, und eine Gesellschaft ohne Vision geht
zugrunde.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1401400500
Dies war die erste
Rede der Kollegin Roth im Bundestag. Meine herzliche
Gratulation!


(Beifall)

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Sabine

Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P.-Fraktion.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1401400600

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir tun gut daran, uns heute des 10. Dezembers 1948 zu
erinnern, jenes Datums also, an dem im Palais de
Chaillot in Paris ohne Gegenstimme bei nur 8 Enthal-
tungen von 48 Staaten die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte verabschiedet wurde. Erstmals in der
Geschichte erreichte mit diesem Dokument die Völker-

Claudia Roth (Augsburg)


812 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


gemeinschaft über religiöse, kulturelle und politische
Unterschiede hinweg einen Konsens über die Grund-
werte und Grundrechte, die allen Menschen zukommen.

Ist dadurch die Welt nun besser geworden? Man
könnte daran zweifeln, angesichts der politisch moti-
vierten Morde, der Folter, des Verschwindenlassens, der
Unterdrückung und – vor unserer Haustür – der ethnisch
motivierten Vertreibung und Vergewaltigungen, die
auch 50 Jahre danach, wohl mit steigender Tendenz, zu
beklagen sind. Dennoch müssen wir uns fragen: Wie sä-
he unsere Welt heute ohne die Erklärung von 1948 und
die daraus hervorgegangenen Konventionen, Institutio-
nen und menschenrechtlichen Schutzsysteme aus?

Trotz aller Defizite und Rückschläge muß der seit 50
Jahren laufende Menschenrechtsprozeß positiv be-
wertet werden. Wie könnten wir auch in Resignation
verfallen, wenn uns Menschen, die im Kampf um ihre
Rechte Unvorstellbares erlitten haben, eine zuversichtli-
che, optimistische Bewertung dieses Prozesses nahele-
gen? Würden wir uns nicht einem mickrigen Kleinmut
hingeben, wenn wir das Plädoyer von Wei Jingsheng für
Engagement und Optimismus ungehört verhallen ließen?
Wie jämmerlich müßten wir erscheinen, wenn uns der
Appell der burmesischen Friedensnobelpreisträgerin
„Setzt Eure Arbeit fort! Verzweifelt nie!“ nicht errei-
chen würde? Mit welch kleiner Münze würden wir Poli-
tik betreiben, wenn uns das Bild des nach 27jähriger
Haft ungebrochenen Nelson Mandela in Resignation und
Skepsis belassen würde? Es ist in 50 Jahren gelungen,
einen Kanon von ihrem Anspruch nach universell gülti-
gen Verbürgungen und Verpflichtungen zu schaffen, auf
den sich in ihren Grundrechten verletzte Menschen beru-
fen können und berufen. Darin liegt die entscheidende
Bedeutung der Menschenrechtsarbeit der vergangenen
50 Jahre. Kein Machthaber wird sich auf Dauer dem
durch die Menschrechtsdeklarationen erzeugten öffentli-
chen Druck entziehen können.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Was bleibt zu tun? Noch vieles, aber vor allem, den
politischen und moralischen Druck auf all jene, die
Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben,
nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern zu verstärken. Da-
zu ist es erforderlich, für alle Formen von Menschen-
rechtsverletzungen breitestmögliche Öffentlichkeit her-
zustellen. Es ist deshalb gut, daß auf der heute tagenden
Vollversammlung der Vereinten Nationen die Erklä-
rung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern
verabschiedet wird. Deshalb wäre es gut, wenn die Bun-
desregierung sich nachdrücklich für eine Verbesserung
des Finanzrahmens des derzeit mit mageren 20 Millio-
nen DM ausgestatteten Hochkommissars für Menschen-
rechte einsetzen würde.


(Beifall bei Abeordneten der F.D.P., der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb wäre es gut, wenn es nach jahrelangen Forde-
rungen des Deutschen Bundestages in dieser Legislatur-

periode auch bei uns gelänge, ein unabhängiges Men-
schenrechtsinstitut einzurichten. Deshalb möchte ich
auch von dieser Stelle aus, die deutsche Öffentlichkeit
aufrufen, dem Kreis der Förderer von Amnesty Interna-
tional beizutreten.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, was müssen
wir unterlassen, um das Erreichte nicht zu gefährden?
Wir müssen alles das unterlassen, was den universellen
Verbindlichkeitscharakter der Menschenrechte
schwächt oder geeignet ist, die menschenrechtlichen
Übereinkommen zu unterlaufen. Wir dürfen es nicht
zulassen, daß auch bei uns partikularistisch-
neopragmatische Gedanken Platz finden, wie sie etwa in
Teilen des amerikanischen Kommunitarismus oder in
Huntingtons „Kampf der Kulturen“ zum Ausdruck
kommen.

Der KSZE-Prozeß und 50 Jahre Menschenrechte zei-
gen uns, daß sich unterdrückte Menschen gegen Verlet-
zung ihrer Grundrechte in allen Kulturen auflehnen. Es
ist also nicht wahr, daß die Grundwerte und Grundrechte
kulturrelativ sind. Deshalb ist es schädlich – dies sage
ich mit Blick auf die bei uns anläßlich des Kruzifix-
Urteils des Bundesverfassungsgerichts geführte Diskus-
sion –, von unserer Verfassung als einer christlichen zu
reden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Mit einer solchen kulturrelativen Fassung der Grund-
rechte laufen wir in das sprichwörtliche Messer jener
Machthaber und Despoten, die mit der Definitionsgewalt
über das, was bei ihnen Religion und Kultur ist, die
Menschenrechte mit Füßen treten. Auch in Zukunft
werden die Fronten des Kampfes um die Durchsetzung
der Menschenrechte nicht zwischen, sondern innerhalb
der Kulturen verlaufen.

Wir dürfen es nicht zulassen, daß auch bei uns eine
schleichende Umdeutung der – ihrer wesentlichen
Funktion nach – als Abwehrrechte gegen staatliche
Gewalt gefaßten Grund- und Menschenrechte stattfindet.
Es ist für den Menschenrechtsprozeß schädlich, und es
ist falsch, etwa aus Art. 3 der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte oder aus Art. 5 der Europäischen
Menschenrechtskonvention nicht nur das dort verankerte
Abwehrrecht auf Freiheit, sondern auch ein an den Staat
gerichtetes Anspruchsrecht auf Sicherheit herauszule-
sen. Daß dies schädlich und falsch ist, dessen ist man
sich in den Kommentierungen und in der Rechtspre-
chung zur Europäischen Menschenrechtskonvention
bewußt. Danach ist das dem Recht auf Freiheit beige-
stellte Recht auf Sicherheit eben nicht ein auf die innere
Sicherheit zielendes Anspruchsrecht – wie auch hier
schon behauptet wurde –, sondern ein Recht, das die Si-
cherheit gegen willkürliche Eingriffe seitens der staatli-
chen Gewalt garantieren soll.


(Beifall bei der F.D.P.)

Nicht zuletzt sollten wir es nicht zulassen, daß die

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch eine

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 813


(A) (C)



(B) (D)


noch so gutgemeinte „Allgemeine Erklärung der
Menschenpflichten“ ergänzt und verbessert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie der Abgeordneten Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS])


Man stellt die in einem politischen Gemeinwesen beste-
henden rechtlichen und sittlichen Pflichten des einzelnen
nicht in Abrede, wenn man darauf hinweist, daß den in
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garan-
tierten Rechte symmetrisch – also auf derselben Ebene –
keine Pflichten gegenübergestellt werden können. Wür-
de man dennoch die Menschenrechte um Menschen-
pflichten ergänzen, wäre im Hinblick auf ihre Durchset-
zung nichts gewonnen, wohl aber den Machthabern und
Despoten die Möglichkeit eröffnet, die Beachtung der
Menschenrechte – da nicht justiziabel – an beliebig ge-
staltbare Pflichten zu binden. Zum 50. Jahrestag der Er-
klärung der Menschenrechte wäre dies ein Danaer-
Geschenk.

Wenden wir uns deshalb intensiv der Bekämpfung
von Menschenrechtsverletzungen zu und ermutigen und
unterstützen all diejenigen, die unerschrocken und auf-
richtig ihre Menschenrechte einfordern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1401400700
Das Wort hat der
Alterspräsident des Hauses, der Kollege Fred Gebhardt,
PDS-Fraktion.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wie lange ist man Alterspräsident?)



Fred Gebhardt (PDS):
Rede ID: ID1401400800
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! In meiner Rede zur Eröffnung des 14.
Bundestages führte ich unter anderem aus:

In der DDR gab es Unrecht, Verletzung von Men-
schenrechten und einen Mangel an Demokratie.
Das muß aufgearbeitet werden.

Deshalb möchte ich heute die Gelegenheit nutzen, um
darauf hinzuweisen, daß dieser vor sechs Wochen ge-
sprochene Satz von der gesamten PDS-Fraktion getra-
gen wird.

Menschenrechtsverletzende Taten, wie zum Beispiel
Gewaltanwendung und der Gebrauch von Waffen gegen
das Recht der eigenen Bürger auf Freizügigkeit, Ein-
schränkungen von Meinungs- und Versammlungsfrei-
heit, Inhaftierung und Verfolgung von Menschen aus
nicht zu rechtfertigenden politischen Gründen, waren
und sind zu verurteilen.

Die Forderungen nach Beendigung der Strafverfol-
gung für hoheitliches Handeln in der DDR im Interes-
se von Rechtssicherheit, Rechtskultur und wirklicher
politischer und moralischer Aufarbeitung ist etwas ande-

res als die von meiner Fraktion in der vorigen und in der
gegenwärtigen Legislaturperiode eindeutig abgelehnte
Forderung nach Entschädigung für die in diesem Zu-
sammenhang verbüßten Strafen.

Ich möchte dennoch eine Frage wiederholen, die ich
bereits bei der Eröffnung des 14. Bundestages stellte:

Es ist allgemein bekannt, daß die Aufarbeitung der
Geschichte nach 1945 gerade auch in der alten
Bundesrepublik widersprüchlich verlief. Ich bin
mißtrauisch gegenüber der These, daß bei der Auf-
arbeitung der Geschichte der DDR die Fehler von
damals nicht wiederholt werden dürfen. Könnte es
nicht auch so sein, daß viele damals so inkonse-
quent waren, weil es fast alle von uns betraf, wäh-
rend heute im Westen eine gründliche Aufarbeitung
der Geschichte der DDR gefordert wird, weil man
meint, davon nicht betroffen zu sein?

Das Verhältnis zu Menschenrechten in der alten Bun-
desrepublik war nie frei von politischen und ökonomi-
schen Interessen, unterlag in bestimmten Fällen der In-
strumentalisierung und war damit keinesfalls immer
glaubwürdig. Wie sollte man nachträglich die guten Be-
ziehungen führender Politiker unseres Landes zum Re-
gime von Pinochet in Chile oder zum rassistischen Re-
gime in Südafrika rechtfertigen? Diese Politiker stan-
den eindeutig auf der falschen Seite.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

War es nicht so, daß die alte Bundesregierung Men-
schenrechte dort besonders betonte, wo die politischen
Differenzen groß und die ökonomischen Interessen ge-
ring waren, während die Frage eher vernachlässigt wur-
de, wenn es politisch und ökonomisch ratsam erschien?
Die alte Bundesregierung ist mit Menschenrechtsverlet-
zungen in der Türkei, in Indonesien, im Iran oder in Ku-
ba sehr unterschiedlich umgegangen. Ich sehe deshalb
diesen 50. Jahrestag als Gelegenheit, um an die neue
Bundesregierung zu appellieren, Menschenrechte als
universell und unteilbar zu begreifen, sie im eigenen
Lande wirksamer zu sichern, für Westdeutsche und Ost-
deutsche und vor allem auch für Nichtdeutsche ein-
schließlich der Flüchtlinge und Asylbewerber, und
zwar in einer Einheit von politischen und sozialen
Rechten.


(Beifall bei der PDS)

Ich appelliere an die Regierung, für die Durchsetzung

der politischen und sozialen Menschenrechte weltweit
unabhängig davon einzutreten, wie nah oder wie fern ein
politisches Regime ist, wie groß oder klein ökonomische
und kommerzielle Interessen sind. Nur bei einer solchen
Herangehensweise kann sie eine glaubwürdige Men-
schenrechtspolitik vertreten. Daran und an ihren eigenen
Ansprüchen werden wir die Regierung messen. Die
NGOs werden uns hoffentlich so, wie es bisher der Fall
war, kritisch bei dieser Arbeit begleiten.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

814 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1401400900
Das Wort hat nun
Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr
Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es
ist heute morgen mehrfach daran erinnert worden, daß
die Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Men-
schenrechte, Mary Robinson, gesagt hat: Das 50. Jubilä-
um der Menschenrechtserklärung ist kein Grund zum
Feiern, es bietet uns aber die Möglichkeit, die Vision
von 1948 wiederzubeleben. Man muß betonen – es ist
heute morgen bereits vom Herrn Präsidenten angespro-
chen worden –, daß die Macht der Menschenrechte frü-
her Unvorstellbares heute zu scheinbar Selbstverständli-
chem gemacht hat. Sie erinnern sich: Hier hat Nelson
Mandela gesprochen. Es ist einfach ein unglaublicher
Fortschritt und ein unglaubliches Ergebnis, daß es mög-
lich war, die Apartheid in Südafrika zu beseitigen.


(Beifall im ganzen Hause)

Und wenn wir ehrlich sind, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, hätten es doch viele von uns vor wenigen Mona-
ten auch kaum für möglich gehalten, daß ein Diktator
wie Pinochet heute ernsthaft damit rechnen muß, für
seine Taten zur Verantwortung gezogen zu werden.

Aber auch hier gilt: Erst wenn es einen funktionie-
renden internationalen Strafgerichtshof gibt, vor dem
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord
abgeurteilt werden können, ist ein entscheidender Schritt
erreicht und verwirklicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir fordern deshalb noch zögernde Staaten zur Ratifi-
zierung auf – vorhin sind die USA genannt worden –;
denn erst wenn 60 Staaten das Statut ratifiziert haben,
kann der Strafgerichtshof seine Tätigkeit aufnehmen. Es
ist also entscheidend, das an diesem Tag zu betonen.

Menschenrechtsverletzungen gelangen heute öfter,
schneller – auch das ist gesagt worden – und umfangrei-
cher ans Licht der Weltöffentlichkeit. Das Abwehrar-
gument der Nichteinmischung hat an Kraft verloren.
Auch wirtschaftlich und strategisch bedeutende Länder
müssen sich immer mehr dem öffentlichen Druck auf
Einhaltung der Menschenrechte stellen. Die Globalisie-
rung der Kommunikation – häufig wird ja nur von den
Nachteilen der Globalisierung gesprochen – hat offen-
sichtlich auch eine Globalisierung von Werten, eine
Verbreitung der Werte zur Konsequenz gehabt, und das
ist gut.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwar ist in den
letzten 50 Jahren für die Menschenrechte einiges er-
reicht worden, aber heute morgen sind viele Zahlen ge-
nannt worden, die auf traurige Art und Weise belegen,
wie tagtäglich Menschenrechte in unvorstellbarem
Ausmaß verletzt werden. Es sind die Zahlen von Am-
nesty International genannt worden; das will ich an die-
ser Stelle nicht wiederholen.

Ich will darauf hinweisen, daß in rund 30 afrikani-
schen und asiatischen Ländern jeden Tag mehr als 6 000
Mädchen und Frauen an ihren Genitalien verstümmelt
werden. Insgesamt sind 130 Millionen Frauen Opfer
dieser massiven und lebensgefährlichen Form von Ge-
walt gegen sie. Sie tragen dadurch körperliche und seeli-
sche Wunden davon, die sie ihr ganzes Leben lang emp-
finden. Zu lange hat die Weltgesellschaft, zu lange ha-
ben auch wir diese Situation verdrängt und verschwie-
gen. Wir müssen alle Möglichkeiten auch unserer Politik
einsetzen, damit solche Verletzungen der Menschen-
rechte von Frauen keine Chance mehr haben, damit ih-
nen Einhalt geboten wird.


(Beifall im ganzen Hause)

Genauso unerträglich sind aber auch Verletzungen

der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte.
UNICEF hat daran erinnert: 130 Millionen Kindern wird
der Schulbesuch, wird das Recht auf Bildung verwei-
gert. Fast die doppelte Zahl, mehr als 250 Millionen
Jungen und Mädchen unter 15 Jahren, müssen täglich
bis zu 14 Stunden arbeiten. Auch der Hunger ist eine
der größten Geißeln unserer Zeit und stellt eine Verlet-
zung der Menschenrechte dar. Nach neuesten Zahlen der
Welternährungsorganisation, der FAO, bleibt über 820
Millionen Menschen das Recht auf ausreichende Nah-
rung verwehrt. Täglich – ich wiederhole: täglich – ster-
ben 40 000 Menschen aus diesem Grund.

Solange diese Zahlen bestehen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, dürfen wir nicht ruhen. Denn – es ist ge-
sagt worden – Menschenrechte sind unteilbar, individu-
elle und soziale. Die Hoffnung und die Vision, auch die-
se Zahl eines Tages nur noch in den Geschichtsbüchern
zu finden, sind für uns die gemeinsame große Heraus-
forderung, der wir uns am Ende dieses Jahrhunderts
wirklich stellen sollten, aus der wir Schlußfolgerungen
ziehen und auf die wir die praktische Politik ausrichten
sollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine solche Diskussion sollte ja auch Anlaß sein, dar-
zustellen, was wir in diesem Bereich tun. Frau Roth hat
nachgefragt: Was tut die Politik dieser Regierung in die-
ser Hinsicht? Ich will die Überzeugung und auch meine
Entschlossenheit ausdrücken, die Möglichkeiten, die uns
unsere Entwicklungspolitik zur Respektierung der
Menschenrechte in den Partnerstaaten bietet, entschlos-
sen einzusetzen.

Vor allen Dingen sind wir, liebe Kolleginnen und
Kollegen, aufgefordert, Rahmenbedingungen dafür zu
schaffen, daß Art. 28 der Menschenrechtsdeklaration
auch Realität wird. Darin heißt es: Jedermann hat das
Recht auf eine soziale und internationale Ordnung, in
der die angesprochenen Rechte und Freiheiten voll ver-
wirklicht werden können.

Was heißt das praktisch? Das heißt, daß wir alle in
diesem Haus uns dafür engagieren müssen, daß unsere
Weltwirtschaft einen sozialen Ordnungsrahmen be-
kommt. Das heißt, daß wir uns dafür engagieren müssen
– ich tue das in meiner Arbeit –, daß sich unsere Ent-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 815


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wicklungspolitik auf die Bekämpfung von Armut und
dabei auf die Verwirklichung der elementarsten wirt-
schaftlichen und sozialen Menschenrechte wie dem
Recht auf Nahrung, auf Trinkwasser, auf Gesundheit
und auf Bildung konzentriert. Das heißt, daß wir unab-
hängige Gewerkschaften in ihrer Arbeit entsprechend
unterstützen müssen und daß wir ihrer Arbeit den ent-
sprechenden Nachdruck verleihen müssen, den sie in
den Auseinandersetzungen brauchen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das heißt: Beseitigung ausbeuterischer Kinderar-
beit. Auch unser Haus unterstützt Programme der Inter-
nationalen Arbeitsorganisation mit diesem Ziel. Aber ich
sage dazu auch: Bilaterale Programme reichen nicht aus.
Wir müssen soziale Standards in die Welthandelsord-
nung einbringen. Die Ausbeutung von Kindern und die
Zwangsarbeit dürfen in unserem Welthandelssystem
nicht noch als handelspolitische Vorteile honoriert wer-
den. Wir müssen praktische Konsequenzen ziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Wir wollen uns bei der Weiterentwicklung der inter-
nationalen Abkommen und Instrumente für die wirt-
schaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie für
das Recht auf Entwicklung engagieren und einsetzen.
Wir setzen aber auch unsere Entwicklungszusammenar-
beit ein, um in unseren Partnerländern die Achtung und
Respektierung der Menschenrechte anzumahnen. Bege-
hen Regierungen massive Verletzungen der Menschen-
rechte, so versuchen wir über nichtstaatliche Organisa-
tionen, mit den Instrumenten unserer Zusammenarbeit
die Grundlagen und Mehrheiten für die notwendigen
Veränderungsprozesse in diesen Ländern zu schaffen.

Ich weiß – und unsere Vorgänger wissen das auch –,
daß dies in jedem Fall eine schwierige Abwägungsent-
scheidung ist, weil für die Beantwortung der Frage, was
der Förderung der Menschenrechte hilft, immer auch die
Situation in dem jeweiligen Land berücksichtigt werden
muß. Aber ich sage an dieser Stelle auch: Gegenüber
wirtschaftlich und strategisch stärkeren Ländern muß
gelten, daß in den Beziehungen zu ihnen keine doppel-
ten Standards existieren dürfen. Wirtschaftliche und
strategische Interessen dürfen nicht dazu führen, daß zur
Situation der Menschenrechte in den betreffenden Län-
dern geschwiegen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Ich komme zu dem Punkt zurück, den ich vorhin an-
gesprochen habe. Es geht darum, die Beschlüsse der
Weltfrauenkonferenz umzusetzen. Ich betone noch
einmal ausdrücklich: Alle Länder, die damals die Men-
schenrechtspakte und das Schlußdokument der Pekinger
Weltfrauenkonferenz akzeptiert haben, sollten von uns
an diesen Tag und an ihre entsprechenden Verpflichtun-
gen erinnert werden, und das tun wir auch.

Der Deutsche Bundestag hat am 8. Mai 1998 frakti-
onsübergreifend ausdrücklich darauf hingewiesen und
gefordert, daß die Bundesregierung alle Möglichkeiten
nutzen solle, um gegen die Genitalverstümmelung bei
Frauen tätig zu werden. Ich sage an dieser Stelle aus-
drücklich: Wir haben unsere Schlußfolgerungen gezo-
gen, und wir werden im Rahmen unserer Entwicklungs-
zusammenarbeit dieses Thema immer wieder anspre-
chen. Wir unterstützen entsprechende Programme in
Westafrika und auch in Ägypten. Vor allen Dingen un-
terstützen wir in diesen Ländern die Frauenorganisatio-
nen, die Nichtregierungsorganisationen, die dieser un-
menschlichen Praxis ein Ende setzen wollen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Wir sind bereit, die entsprechenden Länder bei Auf-
klärungs- und Informationskampagnen zu unterstützen,
wenn deren Regierungen dieses Thema selbst aufgreifen
wollen. Ich denke, daß das die Möglichkeiten sind, die
wir auch in unserer Entwicklungszusammenarbeit ha-
ben, um dazu beizutragen, daß Menschenrechte nicht
nur gefordert, sondern zur Praxis werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluß. Die Zahlen sind manchmal so abstrakt, daß man
sich unter ihnen nichts Konkretes vorstellen kann. In den
jetzt zurückliegenden zehn Minuten sind weltweit 300
Menschen an Hunger gestorben. Es ist kein Tag zum
Feiern; vielmehr ist es ein Tag, sich einer Vision zu ver-
sichern, daß wir, die wir in unseren Ländern – auch in
den europäischen Ländern – in Freiheit und Demokratie
leben, gemeinsam die Verpflichtung dazu haben, daß die
Universalität der Menschenrechte auf unserem Konti-
nent und auf der ganzen Erde verwirklicht wird. Das ist
unsere Aufgabe. Lassen Sie uns sie gemeinsam anpak-
ken!

Danke sehr.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1401401000
Das Wort hat nun die
Kollegin Monika Brudlewsky, CDU/CSU-Fraktion.


Monika Brudlewsky (CDU):
Rede ID: ID1401401100
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Da auch ich als ehemalige
DDR-Bürgerin, genau wie Sie, Herr Präsident, Men-
schenrechtsverletzungen in einer Diktatur kennengelernt
habe, bin ich besonders froh und dankbar, daß die Ver-
einten Nationen vor 50 Jahren die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte aufgeschrieben und unterschrieben
haben. Für mich ist das wirklich ein Grund zum Feiern;
denn diese Erklärung ist bis zum heutigen Tag Maßstab
und ständige Mahnung für alle Diktaturen. Und das ist
gut so!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Im Rahmen dieses Jubiläumstages möchte ich an die-
ser Stelle besonders auf die Menschenrechtsverletzun-
gen an Frauen und Kindern in vielen Ländern der Welt

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

816 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


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eingehen. Als ich 1994 kurz nach dem schrecklichen
Genozid im ruandischen Flüchtlingslager in Goma
mit vielen Europäern zu helfen versuchte, und zwar
nicht als Abgeordnete, sondern in meinem erlernten Be-
ruf als Krankenschwester, prägte sich mir der hautnahe
Eindruck von Not und Verzweiflung tief ein. Menschen,
die nur knapp ihr wirklich nacktes Leben gerettet hatten,
versuchten nun mit letzter Kraft zu überleben. Überall in
der Welt spielen sich heute diese furchtbaren Flücht-
lingsdramen in ähnlicher Weise ab.

Aber bei allem Leid, das sich dort darbietet, gilt: Es
trifft immer am härtesten die Schwächsten, Frauen und
Kinder, vor allem die Kinder, welche völlig unschuldig
in diese Situation der bitteren Not geraten sind. Kinder
werden durch die Kriegswirren von ihren Eltern getrennt
oder zu Waisen. Kinder werden auch heute noch in
manchen Ländern der Welt zur Ware und, wie im Süd-
sudan, wie Sklaven verschleppt und verkauft.

Mit den Rechten der Frauen, die immerhin die
Hälfte der Menschheit ausmachen, ist es in vielen Teilen
der Welt nicht weit her. Frauen erfahren in vielen Län-
dern eine menschenunwürdige Behandlung. Sie werden
verachtet, geschlagen, vergewaltigt und getötet. Frauen
sind Opfer von Zwangssterilisationen und Zwangsab-
treibungen. In verschiedenen Ländern der Welt werden
noch heute weibliche Neugeborene getötet.

Frauen werden oft unter dem Deckmantel von Tradi-
tionen oder Religionen gezwungen, sich zu verhüllen
und in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle zu
spielen. Ein krasses Beispiel ist zur Zeit Afghanistan,
wo Frauen durch religiöse Fanatiker völlig aus dem öf-
fentlichen Leben verschwunden sind und nahezu keine
Rechte mehr haben. Selbst in der islamischen Welt stößt
diese menschenverachtende Politik auf Unverständnis.
So gibt es viele Beispiele vom Leid der Frauen dieser
Erde.

Ein weiteres schlimmes Kapitel ist, wie schon ange-
sprochen, die Beschneidung von Frauen. Jahrelang war
es bei uns kaum bekannt. Später tabuisierte man diese
frauenverachtende Praxis, weil sie angeblich in der kul-
turellen Tradition dieser Länder begründet sei. Ich muß
gestehen: Auch ich wußte lange nicht damit umzugehen.
Heute weiß ich durch Berichte von betroffenen Frauen,
daß weltweit viele Kinder und junge Mädchen auf grau-
same Art an den Genitalien beschnitten, eigentlich aber
verstümmelt werden. Es geschieht oft, daß diese Be-
schneidung sogar die eigenen Mütter vornehmen, weil
sie der Meinung sind: Es muß ja sein.

Es ist hier für uns sehr schwierig, einzuklagen, daß
diese Praxis, die durchaus nicht in der Religion dieser
Länder begründet ist, dort endlich aufhört. Wir können
jedoch in Deutschland ganz gezielt eingreifen, wenn be-
kannt wird, daß hier lebende Familien aus den betref-
fenden Ländern diese Handlungen praktizieren. Es ist
gut, daß wir in den vergangenen Jahren zu diesem Ka-
pitel, wie auch zu vielen anderen menschenrechtsrele-
vanten Themen, interfraktionelle Einigkeit demonstrie-
ren konnten.

Auch in der Bildung erfahren die Mädchen in vielen
Ländern große Benachteiligung, weil es sich scheinbar

nur lohnt, den Söhnen eine Ausbildung zukommen zu
lassen – wenn arme Familien in diesen Ländern über-
haupt ihre Kinder in die Schule senden können. Hier
kann ich auch auf die weltweiten Bemühungen hinwei-
sen, die Kinderarbeit anzuprangern. Ich erinnere an den
Besuch einer internationalen Jugendgruppe vor einigen
Monaten bei uns im Bundestag, die uns ihre schreckli-
chen Kindheitserlebnisse schilderten: mißbraucht, ge-
schlagen, zur Arbeit gezwungen.

Ich selbst habe solche bedauernswerte Kinder aus in-
dischen Slums vor Ort in einer Marmorfabrik und in
Teppichknüpfereien arbeiten erlebt. Wir haben uns mit
Entscheidungsträgern, zum Beispiel in Indien und Ne-
pal, getroffen und immer wieder festgestellt, daß es bei
diesem Thema äußerst mühsam ist, beharrlich und ein-
fühlsam einzuwirken. Der Herr Kollege Blüm, der sich
beim Thema Kinderarbeit stark engagierte, kann darüber
sicher einen Roman schreiben. Wir müssen aber darauf
dringen, daß die Weltgemeinde gerade auf diesem Weg
der Beharrlichkeit einig weitergeht.

Kinderpornographie und Prostitution von Kindern
sind furchtbare Menschenrechtsverletzungen, die auch
beim Namen genannt werden müssen. Wir haben in der
letzten Legislaturperiode gemeinsam erste gesetzliche
Ansätze in diesem Haus geschaffen, damit diese Verbre-
chen auch international aufs schärfste bekämpft werden
können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir müssen weltweit weiter nach Wegen suchen, daß
diese Scheußlichkeiten bald der Vergangenheit angehö-
ren und die Täter überall auf der Welt damit rechnen
müssen, strafrechtlich verfolgt zu werden. Kontrollen
des Internets und der Medien sind nur im internationalen
Verbund wirksam durchzuführen. Ebenso gilt das für die
Bekämpfung des Sextourismus und des Menschenhan-
dels.

Menschenrechtsdebatten im Bundestag verliefen zu-
meist in sehr guter und nachdenklicher Atmosphäre,
weil es uns allen immer darum ging, die Ernsthaftigkeit
der Probleme aufzuzeigen und Wege zu suchen, um
wirklich allen eine Zustimmung im Interesse der betrof-
fenen Menschen zu ermöglichen. Diese Nachdenklich-
keit war auch immer gegeben, wenn es in unseren De-
batten um die Unteilbarkeit von Menschenrechten ging,
die ja für das gesamte Leben von Menschen – von der
Entstehung bis zum Sterben – gelten. Um die Beachtung
dieser Spannbreite werden wir sicher weiterhin in die-
sem Hohen Hause ringen müssen. Ich wurde des öfteren
schon gefragt: „Was könnt ihr schon gegen all die Men-
schenrechtsverletzungen in der Welt tun?“ Sicher,
manchmal scheint es ein Kampf gegen Windmühlenflü-
gel zu sein. Mich ermutigt aber immer wieder, wenn ich
daran denke, was alles erreicht wurde. Vor 20, ja noch
vor 10 Jahren glaubten wir in der DDR nicht daran, je-
mals frei reden und frei reisen zu können.

Die internationale Staatengemeinschaft hat uns mit
ihren Erklärungen und Resolutionen maßgeblich gehol-
fen, internationale Standards zu setzen, die über die
Grenzen hinweg Geltung haben und vielen Menschen

Monika Brudlewsky

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 817


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die Freiheit gebracht haben. Trotzdem gibt es für uns
noch viel zu tun. So müssen wir weiterhin durch unsere
Entwicklungs- und Außenpolitik darauf hinwirken, daß
auch in anderen Ländern der Welt Diktatur, Gewalt,
Unterdrückung und Willkürherrschaft der Vergangen-
heit angehören.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1401401200
Das Wort hat
Außenminister Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401401300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heutige
Tag, der 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte, ist ein Tag der Herausforderung für die
Politik, vor allen Dingen für die demokratische Politik.


(Beifall bei der SPD)

Er ist kein Feiertag. Bei aller Unzulänglichkeit der poli-
tischen Realität hinsichtlich der Beachtung der Men-
schenrechte in dieser Welt ist die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte dennoch eines der wichtigsten Do-
kumente für die Zivilisierung der Welt und für den
Schutz von Menschen gegenüber Unterdrückung und
Verfolgung.

Wir dürfen als Mitglieder des Deutschen Bundestages
an diesem Tag nicht vergessen, daß die Allgemeine Er-
klärung der Menschenrechte in einem unmittelbaren Zu-
sammenhang mit dem grausamen Schicksal von Millio-
nen unschuldiger Menschen stand, die während des
zweiten Weltkrieges und während der Diktatur des Na-
tionalsozialismus unterdrückt, verfolgt und ermordet
wurden. Die Gründung der Vereinten Nationen und auch
die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte waren historisch gesehen eine unmit-
telbare Antwort auf eines der schlimmsten Kapitel, die
Deutschland in seiner jüngsten Geschichte zu verzeich-
nen hat.

Die Erfahrung mit zwei Diktaturen, aber auch die Er-
fahrung mit der subversiven Kraft der Demokratie und
der Dissidenz gegen die Unterdrückung in diesen Dik-
taturen verpflichtet Deutschland, die Bundesregierung
und den Gesetzgeber zu einem besonderen Einsatz für
die Durchsetzung der Menschenrechte und ihres univer-
sellen Anspruchs.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Ich habe schon die Erfahrung mit den zwei Diktatu-
ren erwähnt. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch
einmal darauf hinweisen, wie wichtig die Arbeit von
Menschenrechtsgruppen im ehemaligen Warschauer
Pakt war und wie entscheidend der Korb III der Helsin-
ki-Vereinbarung für das Ende der kommunistischen

Diktatur in der ehemaligen Sowjetunion und in Osteuro-
pa war.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.])


Daraus sollten wir die Konsequenz ziehen.
Auch in der Welt von morgen, in der es Unterdrük-

kung der Menschenrechte, Verfolgung unbequemer
Demokraten und unbequemer Meinungen und in der es
sexuell, politisch, rassisch und religiös motivierte Ver-
folgung gibt, ist es wichtig, daß wir bei aller notwendi-
gen Realpolitik – Außenpolitik wird sich immer im
Spannungsverhältnis zwischen der Orientierung an Prin-
zipien und der Durchsetzung von Interessen entwickeln
müssen – niemals die Erfahrung der osteuropäischen
und auch ostdeutschen Dissidentengruppen vergessen,
die wesentlich zum Zusammenbruch der kommunisti-
schen Diktaturen, auch wegen der Unterstützung durch
die westlichen Demokratien, beigetragen haben. Auch in
der Welt von morgen dürfen wir nicht müde werden,
Demokraten dort, wo sie in Diktaturen unterdrückt wer-
den, zu unterstützen und sie gleichzeitig hier willkom-
men aufzunehmen.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Bundesregierung weiß sich diesen Grundsätzen

verpflichtet. Dazu gehört auch der Grundsatz der Uni-
versalität der Menschenrechte. Für uns ist die Unter-
drückung der Menschenrechte keine kulturelle Beson-
derheit. Wegen der Vorurteile, die sich hier gegenüber
anderen Religionen entwickeln, sage ich: Der Islam ver-
fügt über eine überaus liberale Tradition. Wir sollten
nicht Zerrbilder zum Maßstab des interkulturellen Dia-
logs machen. Wir sollten vielmehr unsere eigenen Vor-
urteile kritisch betrachten und die daraus resultierenden
Schlußfolgerungen zum Maßstab des interkulturellen
Dialogs machen.

Wissend um diese Selbstprüfung sollten wir aber
auch klipp und klar sagen, daß andere Gesellschaften die
Unterdrückung der Menschenrechte nicht zu einem Be-
standteil ihrer Kultur erklären können. Es hat nichts mit
Einmischung in die inneren Angelegenheiten oder mit
westlicher Arroganz zu tun, wenn wir erstens immer
wieder darauf hinweisen, daß die Unterdrückung von
Menschenrechten nicht zu akzeptieren ist, und wenn wir
zweitens nicht müde werden, die demokratische Oppo-
sition in diesen Ländern mit den uns zur Verfügung ste-
henden Mitteln zu unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Die Bundesregierung hat mit der Einsetzung des
Menschenrechtsbeauftragten einen klaren Schwer-
punkt gesetzt. An diesem Maßstab müssen sich alle Re-
gierungen, mit denen wir einen guten zwischenstaatli-
chen Kontakt haben, den wir fortentwickeln wollen,
messen lassen. Auf Grund dieses Maßstabes und unserer
eigenen Werteüberzeugungen gedenken wir selbstver-
ständlich auch in Zukunft verfolgte Demokraten als

Monika Brudlewsky

818 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



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willkommene Gäste, auch als Gäste der Bundesregie-
rung, zu empfangen. Wir werden uns von niemandem
vorschreiben lassen, wen wir wo und wie zu empfangen
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in dieser
Debatte aber noch auf einen wichtigen und sehr aktuel-
len Gesichtspunkt hinweisen: die Durchsetzung eines
internationalen Strafrechts. Ich verstehe nicht ganz,
warum man politische Verbrecher als etwas Besseres
bezeichnet. Die schlimmsten Verbrecher in diesem
Jahrhundert – Hitler an erster Stelle, aber auch Stalin –
waren ohne jeden Zweifel politische Verbrecher, die
millionenfachen Mord auf ihr Gewissen geladen ha-
ben. Es ist von zentraler Bedeutung, daß sich Diktatoren
in der Welt von heute und morgen – das wird sich
immer im Spannungsverhältnis zwischen Macht und
Prinzipien, zwischen Interessen und Prinzipien abspie-
len; es wird nie eine eindeutige Entscheidung geben –
nie wieder darauf verlassen können werden, daß sie
nicht zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie ihr
blutiges Handwerk zum Maßstab ihrer Politik gemacht
haben.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Durchsetzung eines internationalen Strafrechts halte
ich unter diesem Gesichtspunkt für einen der ganz
wichtigen Schritte nach vorn.

Lassen Sie mich noch in aller Kürze einen zweiten
Gesichtspunkt anfügen: Menschenrechte müssen sich zu
Recht vor allem auf die Rechte von verfolgten und un-
terdrückten einzelnen Menschen beziehen. Aber wir er-
leben gerade jetzt in vielen Schwellenländern, daß der
Versuch dieser Völker, wirtschaftlich aufzuschließen,
unter Inkaufnahme der Unterdrückung von Demokratie
eben nicht erfolgreich sein kann. Deswegen wird es in
einer sich globalisierenden Welt eminent wichtig sein,
daß gerade die reichen westlichen Demokratien alles
tun, um eine umfassende Kultur der Freiheit, begründet
auf den Menschenrechten, im dialogischen Angebot
durch- und umzusetzen, und daß die Gewaltenteilung,
das Wechselspiel von Regierung und Opposition, die
Menschenrechte einschließlich des Rechtes auf freie In-
formation und eine kritische Öffentlichkeit und des
Rechtes auf körperliche Unversehrtheit sowie demokra-
tische und strafjustitielle Verfahrensrechte von der
Staatsmacht beachtet werden. Dabei muß verstanden
werden, daß all dies mit einem unabhängigen Bankensy-
stem und einer freien Marktwirtschaft zusammengehört
und beides getrennt voneinander nicht zu haben ist. In-
soweit bedeutet die Durchsetzung der Menschenrechte
in einer sich globalisierenden Welt auch die Durchset-
zung von Demokratie.

Ich bedanke mich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1401401400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4a bis 4f auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung des Bun-

deskanzlers
Vorschau auf den Europäischen Rat in Wien
am 11./12. Dezember 1998 und Ausblick auf
die deutsche Präsidentschaft in der ersten
Jahreshälfte 1999

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Erwartungen an das Treffen des Europäischen
Rates in Wien am 11./12. Dezember 1998
– Drucksache 14/90 (neu)

c) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vorschau auf den Europäischen Rat in Wien
am 11./12. Dezember 1998 und Ausblick auf
die deutsche Präsidentschaft in der ersten
Jahreshälfte 1999
– Drucksache 14/181 –

d) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Festigung und Fortentwicklung der Europäi-
schen Union während der deutschen Ratsprä-
sidentschaft im 1. Halbjahr 1999
– Drucksache 14/159 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union(federführend)Auswärtiger AusschußInnenausschußFinanzausschußAusschuß für Wirtschaft und TechnologieAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenAusschuß für Arbeit und SozialordnungHaushaltsausschuß

e) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Forderungen an die deutsche EU-Ratsprä-
sidentschaft im ersten Halbjahr 1999
– Drucksache 14/165 –

f) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Zukunft der EU-AKP-Entwicklungszusam-
menarbeit
– Drucksache 14/164 –

(federführend Zur Regierungserklärung liegen Entschließungsanträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie der Fraktion der CDU/CSU vor. Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache über die beiden Entschließungsanträge jeweils namentlich abstimmen werden. Wenn Sie nachher Ihre Stimmkarten den Stimmkartenfächern entnehmen, achten Sie Bundesminister Joseph Fischer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 819 bitte darauf, daß die Abstimmungskarten Ihren Namen tragen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat Bundeskanzler Gerhard Schröder. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ab dem 1. Januar 1999 wird in Europa vieles nicht mehr so sein, wie es einmal war. Die Einführung des Euro stellt einen großen Veränderungsprozeß in Europa dar. Kein Zweifel, europäische Unternehmen werden keine Wechselkursrisiken mehr tragen müssen. Auch werden sehr viele Leistungen und Preise und damit die dahinterliegenden Standards vergleichbar. Das heißt, daß man nicht nur eine gemeinsame Geldpolitik von einer unabhängigen Zentralbank stabilitätsorientiert machen kann und darf, sondern daß es darauf ankommen wird, auch andere Politikbereiche besser als in der Vergangenheit zu koordinieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


(A) (C)


(B) (D)

Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1401401500

Ich möchte von Anfang an deutlich machen, daß die
Frage der besseren Koordination der Wirtschafts-, der
Finanz-, aber auch der Sozialpolitik nicht zuletzt über
den dauerhaften Erfolg der neuen Währung entscheidet.

Weil das so ist, erwarten die Menschen von der Poli-
tik, daß der Umstellungsprozeß, der vor uns liegt, ge-
steuert und sozial gerecht organisiert wird. Wir müssen
damit die Voraussetzungen dafür schaffen, daß der Euro
ein Erfolg wird. Wir müssen – damit er ein Erfolg wer-
den kann – dafür Sorge tragen, daß Europa sozialer, de-
mokratischer und auch politisch handlungsfähiger wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das sind die Vorzeichen, unter denen die Bundesre-
publik im Januar 1999 die Ratspräsidentschaft in der Eu-
ropäischen Union übernimmt. Schwierige und sehr weit-
reichende Entscheidungen liegen gerade in dieser Phase
vor uns. Es geht nicht zuletzt darum, die Aufgaben, aber
auch die Lasten innerhalb der Gemeinschaft gerechter zu
verteilen. Es geht darum, die Politik der Union wirksa-
mer, aber auch bürgernäher zu machen, um die nötige
Legitimation für die Schaffung eines gemeinsamen Eu-
ropas zu erhalten. Es geht darum, die notwendigen
Haushalts- und Strukturreformen nicht noch länger auf
die lange Bank zu schieben.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Ja, hier in Deutschland!)


Bereits morgen und übermorgen auf der Tagung des
Europäischen Rates in Wien werden wir die beschäfti-
gungspolitischen Leitlinien für 1999 verabschieden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich halte es für einen gewal-
tigen Fortschritt, daß Europa nicht nur als Markt, als Ort
ökonomischer Interaktion, begriffen werden kann, son-
dern mehr und mehr auch begriffen wird als ein Ort so-
zialer und kultureller Interaktion, als ein Ort, an dem –
nicht als Ersatz für nationale Anstrengungen, aber sehr
wohl als deren Ergänzung – auch über Beschäftigungs-
politik gesprochen, gestritten und entschieden wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Beim 72. deutsch-französischen Gipfeltreffen in
Potsdam habe ich mit Staatspräsident Chirac und Mini-
sterpräsident Jospin die Position unserer beiden Länder
zu den anstehenden Fragen abgestimmt. Auch diesmal –
das hat gute Tradition – werden wir im engen Schulter-
schluß zwischen Deutschland und Frankreich handeln.

Die Ziele unserer Präsidentschaft sind klar umris-
sen. Wir wollen erstens deutliche Fortschritte hin zu ei-
ner wirksamen Beschäftigungspolitik, einer Politik, die
in eine Politik der Innovation und der ökologischen Mo-
dernisierung in Europa eingebettet ist, zweitens eine
bessere Bekämpfung des grenzüberschreitenden Verbre-
chens und klare Absprachen innerhalb Europas in der
Frage der Zuwanderung nach Europa und drittens eine
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die diesen
Namen wirklich verdient und die – die Debatte heute
morgen hat es deutlich gemacht – an den europäischen
Werten des Friedens und der Menschenrechte ausge-
richtet ist, aber auf ein effizientes Krisenmanagement
durchaus nicht verzichtet.

Vor allen Dingen aber geht es uns viertens darum, die
Agenda 2000 erfolgreich abzuschließen.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das wäre etwas!)


Ich weiß, daß das ein sehr ehrgeiziges Ziel ist. Aber
wenn wir für die kommende Finanzierungsperiode 2000
bis 2005 die notwendigen Voraussetzungen wirklich
schaffen wollen, dann müssen wir schon aus technischen
Gründen die Agenda im März des nächsten Jahres abge-
schlossen haben. Bei meinen Gesprächen mit dem Prä-
sidenten der Kommission, Herrn Santer, und mit meinen
Kollegen aus den Mitgliedstaaten habe ich den festen
Eindruck gewonnen, daß diese Prioritäten auch in Brüs-
sel und in zahlreichen Hauptstädten erkannt werden.

Der europäische Einigungsprozeß steht und fällt –
dessen bin ich sicher – mit der Unterstützung einer hin-
reichend großen Zahl von Bürgerinnen und Bürgern in
den Mitgliedsländern. In Deutschland – darauf kann
man stolz sein – ist die Zustimmung einer deutlichen
Mehrheit zu Europa ungebrochen. Die Menschen bei
uns wissen, daß Europa der Garant ist für die längste
Phase von Frieden und Stabilität in diesem, wie es die
amerikanische Außenministerin Madeleine Albright ge-
nannt hat, „blutigsten Jahrhundert überhaupt“. Ich den-
ke, wir können ebenfalls stolz darauf sein, daß unsere
Jugend längst europäisch denkt, fühlt und handelt. Die
Menschen genießen die offenen Grenzen, den freien
Austausch von Waren und Ideen. Man kann sagen, daß
das Einigungswerk auf gutem Wege ist.

Präsident Wolfgang Thierse

820 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Aber wir dürfen auch nicht übersehen, daß in den
letzten Jahren gerade auch diejenigen, die Europa als
Selbstverständlichkeit begreifen, den konkreten Prozeß
der Einigung mit gewissem Unbehagen sehen. Immer
mehr Menschen – das gilt es zu erkennen, und dem gilt
es, politisch entgegenzuwirken – nehmen „Brüssel“ als
anonymes bürokratisches Räderwerk wahr,


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

in dem nationale und regionale Eigenheiten – so ist ihre
Auffassung – zermalmt werden könnten. Diese Wahr-
nehmungen und Empfindungen haben wir ernst zu neh-
men. Denn es geht dabei um mehr als um das Reinheits-
gebot beim Bier oder den Vertrieb von Rohmilchkäse.
Unsere Bürgerinnen und Bürger wollen das auf europäi-
scher Ebene Erreichte ja nicht zurückdrehen. Aber Sie
wollen jeden weiteren, von ihnen gelegentlich als Ein-
mischung aus Brüssel begriffenen Integrationsschritt aus
der Sache heraus verstehen und dann auch selbstbewußt
billigen. Im Klartext heißt das: Europäische Integration
nach Maastricht und Amsterdam kann es nur noch im
Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern in den Mit-
gliedstaaten geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch die neue Bundesregierung tritt in der Europäi-
schen Union für das Gebot der Subsidiarität ein. Das
heißt, diejenige institutionelle Ebene soll eine Aufgabe
anpacken, die sie am besten – also am nächsten an den
Problemen – zu lösen imstande ist. Wirkliche Subsidia-
rität erweist sich aber in der Nähe zu den Problemen der
Menschen.

In den drängenden Fragen wollen die Menschen nicht
unbedingt weniger Europa, sondern mehr, weil sie er-
kannt haben, daß zum Beispiel in der Frage der Be-
schäftigung oder in der Frage des Umweltschutzes na-
tionale Alleingänge an ihre Grenzen stoßen und deswe-
gen europäische Koordination auf die Tagesordnung eu-
ropäischer Politik gesetzt werden muß.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das gleiche gilt für die Felder der Außen- und Si-
cherheitspolitik oder für die wirksame Bekämpfung von
Verbrechen. Das alles sind Felder europäischer Politik,
auf denen sich die Union in Zukunft wird bewähren
müssen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Be-
kämpfung der Arbeitslosigkeit wird ein zentrales An-
liegen unserer Präsidentschaft sein. Auf dem Europäi-
schen Rat in Wien werden wir die beschäftigungspoliti-
schen Leitlinien für das Jahr 1999 verabschieden. Ge-
meinsam mit dem französischen Präsidenten Chirac ha-
be ich zu diesem Thema einen Brief an den amtierenden
Ratspräsidenten, den Kollegen Viktor Klima, geschrie-
ben und unsere gemeinsame deutsch-französische Posi-
tion formuliert: Die EU-Regierungen sollen sich – ich
zitiere das ausdrücklich auch für die rechte Seite dieses
Hauses; es besteht Übereinstimmung mit dem französi-
schen Präsidenten – „künftig auf verbindliche und nach-

prüfbare Ziele in den beschäftigungspolitischen Leitlini-
en verpflichten“.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das ist eine wichtige Weiterentwicklung dessen, was
in Luxemburg und Amsterdam häufig genug gegen den
Widerstand der früheren Regierung durchgesetzt werden
mußte.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist das!)


Bei dem, was wir formuliert haben, geht es uns vor
allem darum, den Abbau der Jugend- und Langzeitar-
beitslosigkeit auch auf europäischer Ebene – ich sage
noch einmal: das ist kein Ersatz, sondern eine Ergän-
zung nationaler Maßnahmen – voranzubringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Es geht uns darum, die Diskriminierung von Frauen auf
dem Arbeitsmarkt einzuschränken und, wo immer wir es
können, aufzuheben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir schlagen dem Europäischen Rat in dem gemein-
samen Brief vor, schon auf dem morgigen Gipfel den
Auftrag für einen Beschäftigungspakt in Europa zu er-
teilen, der dann in Köln unter deutscher Präsidentschaft
beschlossen werden soll. Das verstehen wir unter aktiver
Europapolitik, die die Nöte und Interessen der Men-
schen in den Mittelpunkt stellt. Arbeit zu haben ist nun
einmal das zentrale Interesse der Menschen nicht nur in
Deutschland, sondern in ganz Europa.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Entgegen dem, was ich gelegentlich an Einwendun-
gen höre oder lese, erhalten wir für diese aktive Be-
schäftigungspolitik auch auf europäischer Ebene die Zu-
stimmung unserer Partner in Europa und nicht ihre Ab-
lehnung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist vielmehr so, daß sich jeder, der diesem Ansatz
in Europa entgegentritt, in der europäischen Politik iso-
liert. Das gilt es auch hier in diesem Hohen Hause zur
Kenntnis zu nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unter deutschem Vorsitz wollen wir die Initiativen,
die in Wien auf den Weg gebracht werden, zu einem eu-
ropäischen Beschäftigungspakt bündeln, und zwar – ich
sage es noch einmal – mit Zustimmung der Partner in
Europa.

Bundeskanzler Gerhard Schröder

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 821


(A) (C)



(B) (D)


Sicher werden die Instrumente einer supranationalen
Sozialordnung, die sich manche Philosophen vorstellen,
nicht im nächsten halben Jahr geschaffen werden kön-
nen. Einstweilen weiß jeder, daß man in Brüssel Ar-
beitsplätze nicht wird backen können – genauso wenig
wie in Bonn oder anderswo. Wichtig ist uns jedoch, daß
endlich das Thema der Beschäftigung, daß endlich das
Thema der Überwindung der Ausbildungsnot junger
Leute ein europäisches Thema wird.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Der Euro, von dem ich eingangs geredet habe, hat
seinen ersten Härtetest auf den Märkten bestanden.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Also doch!)

Seine Akzeptanz in der Bevölkerung nimmt zu. Aber
wenn wir diesen Trend halten wollen, müssen wir uns
darüber im klaren sein, daß unsere Stabilitäts- und Kon-
solidierungsanstrengungen, die auch in Zukunft ohne
Abstriche nötig sein werden, nur dann die Unterstützung
der Bürgerinnen und Bürger finden, wenn wir sie durch
eine wirksame Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz-
und Sozialpolitik in Europa ergänzen. Das ist die Auf-
gabe, die in der nächsten Zeit vor uns liegt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ein Stabilitätspakt ohne Beschäftigungspakt muß
auf Dauer wirkungslos bleiben. Wir müssen diesen Be-
schäftigungspakt genauso ernst nehmen, wie wir auch
weiterhin die Verabredungen zur Stabilitätsorientierung
ernst nehmen werden.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Hoffentlich!)


Die jüngsten Turbulenzen auf den Weltfinanzmärkten
haben uns aber auch noch eine andere Tatsache verdeut-
licht, die Tatsache nämlich, daß der Euro mehr ist als
eine neue Deutsche Mark. Er ist Europas Antwort auf
die zunehmende Globalisierung, ein Mittel, das Wachs-
tum und Stabilität auf unserem Kontinent auch in Zu-
kunft sichern hilft. Das kann aber nur gelingen, wenn
auch in der Steuerpolitik Schluß mit nationalen Allein-
gängen gemacht wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sie tun es doch hier!)


– Nun warten Sie doch erst einmal ab. – Um diese Frage
hat es in den letzten Tagen öffentliche Aufregung gege-
ben, auch und gerade in der britischen Presse. Tony
Blair und ich haben daher gestern eine gemeinsame
Position zur EU-Steuerpolitik deutlich gemacht.

Worum geht es? Es geht uns um den Kampf gegen
unfairen Steuerwettbewerb.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Es muß doch aufhören, daß wir unter einen doppelten
Druck geraten. Es darf nicht sein, daß wir hohe Netto-
beiträge zahlen und gleichzeitig zusehen müssen, daß es
in einem vereinten Europa, in einem Gemeinsamen
Markt Steueroasen gibt, so daß Geld auf andere Weise
in Deutschland verlorengeht. Das kann doch nicht rich-
tig sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb verstehe ich all diejenigen nicht, die etwas da-
gegen haben, daß wir Front machen gegen Steuerdum-
ping in Europa. Es ist an der Zeit, daß das endlich ge-
schieht.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dabei wissen wir, daß wir differenziert vorzugehen
haben. Bei den direkten Steuern geht es um Koordinati-
on, damit Steuerdumping und unfairer Wettbewerb ver-
mieden werden können. Bei den indirekten Steuern in-
dessen geht es auch um Harmonisierung, zum Beispiel
auf dem Gebiete des Umweltschutzes. Es ist richtig und
finanzpolitisch geboten, daß wir die Ökologisierung des
Steuersystems, mit der wir national begonnen haben,
auch auf der europäischen Ebene realisieren. Andere
sind weiter als wir, weil wir früher nicht so weit ge-
kommen sind. Das ist eine Tatsache, die nicht bestreit-
bar ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Arbeit billiger zu machen und dafür Ressourcenver-
brauch stärker zu belasten ist ein Prinzip, das nicht nur
im nationalen Maßstab vernünftig ist. Nein, das muß im
europäischen Rahmen verwirklicht werden. Darum wer-
den wir uns kümmern, auch und gerade während unserer
Präsidentschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will deutlich machen, daß wir ebenso den Vorsitz
in der G7-/G8-Gruppe führen werden. Auch diese Mög-
lichkeiten wollen wir nutzen, zum Beispiel dadurch, daß
wir mit den Partnern in Europa und in der transatlanti-
schen Gemeinschaft an einer Finanzarchitektur arbeiten
und sie ins Werk setzen, die wirklich verhindern hilft,
daß durch Spekulanten ganze Volkswirtschaften ruiniert
werden und die Zeche dann die Steuerzahler, die kleinen
Leute im nationalen Maßstab zu bezahlen haben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ein Jahrhundertwerk wie die europäische Einigung
wird weder nach innen noch nach außen Bestand haben
können, wenn die Union in ihren Strukturen nicht effizi-
ent ist, wenn sie ihre Mittel nicht wirksam und zielgenau
einsetzt und wenn die Lasten nicht halbwegs gerecht
unter ihren Mitgliedern verteilt werden.

Zu der Frage der Effizienz eine Bemerkung. Das, was
wir gegenwärtig über offenkundige Schwierigkeiten bei
der Verwendung von Geldern – um es sehr zurückhal-
tend zu sagen – und an Korruptionsvorwürfen lesen

Bundeskanzler Gerhard Schröder

822 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


müssen, muß ohne Ansehen der Person aufgeklärt wer-
den.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir unterstützen die Kommission ohne jede Einschrän-
kung bei ihrem Versuch, alles, aber auch wirklich alles
auf den Tisch zu legen, was es an Brüsseler Fehlent-
wicklungen in dieser Frage gegeben hat.


(Zustimmung bei der SPD)

Effizienz, Haushaltsdisziplin und Gerechtigkeit sind

für eine handlungsfähige Union so unverzichtbar wie
Demokratie und eine koordinierte Wirtschafts- und Au-
ßenpolitik. Es wird zweifellos die schwierigste Aufgabe
unserer Präsidentschaft sein, die Reform der Agrar-
und Strukturpolitik auf den Weg zu bringen. Dafür
wollen wir für die Jahre 2000 bis 2006 einen vernünfti-
gen und fairen Finanzrahmen vereinbaren. Diese drei
unter dem Titel „Agenda 2000“ zusammengefaßten Re-
formvorhaben sind – dies gilt es zu erkennen – unerläß-
liche Voraussetzung dafür, daß die Europäische Union
auch in Zukunft handlungsfähig sein wird.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Geht das ein bißchen konkreter?)


Und auch das gilt es, sich klarzumachen: Der Abschluß
der Agenda ist auch die Voraussetzung dafür, daß man
ernsthaft über die Aufnahme neuer Mitglieder verhandeln
kann. Wenn das nicht gelingt, wird auch das andere Ziel
weit schwieriger zu realisieren sein, wenn überhaupt.


(Zustimmung bei der SPD)

Ich sage in diesem Zusammenhang ganz deutlich:

Ohne eine größere Beitragsgerechtigkeit werden sich
die Menschen in unserem Land von Europa eher entfer-
nen als ihm weiter zuzustimmen. Sie sind nur für die
Integration zu gewinnen, wenn die Lasten in Europa fair
verteilt werden. Wenn ich darauf hinweise, ist das gegen
keinen unserer Partner gerichtet – das wird auch so ver-
standen –, sondern dient nur der Klarstellung der Tatsa-
che, daß man Deutschland überfordert, wenn man Bei-
tragsgerechtigkeit verwehrt.

Ich will ein paar Zahlen nennen, die klarmachen sol-
len, worum es geht: 1997 hat Deutschland etwa 22 Mil-
liarden DM netto in die Europäische Union eingezahlt.
Das heißt, wir haben 22 Milliarden DM mehr an die EU
überwiesen, als wir an Leistungen aus der Gemein-
schaftskasse erhalten haben. Als Vergleich will ich nur
nennen: Der zweitgrößte Nettozahler nach Deutschland
sind die Niederlande mit einer Nettolast von 4,5 Milliar-
den DM. Deutschland kommt damit allein für 60 Pro-
zent der Nettozahlungen im europäischen Haushalt auf.

Nun wissen wir, daß die Europäische Union keine
Bank ist, bei der man Geld anlegt und auf möglichst
gute Verzinsung hofft. Wir haben uns in den EU-
Verträgen – und dazu stehen wir – zur Solidarität mit
den schwächeren Mitgliedsländern verpflichtet. Aber es
gilt auch, ganz selbstbewußt und interessengerecht klar-
zumachen: Wenn Länder wie Luxemburg, Dänemark

oder Belgien – Länder also, die nach den Maßstäben des
europäischen Eigenmittelberichtes über einen höheren
Pro-Kopf-Wohlstand verfügen als wir – Nettoempfänger
sind, dann ist etwas in Unordnung geraten, was in Ord-
nung gebracht werden muß.


(Beifall bei der SPD)

Das sollte die Opposition nicht kritisieren, sondern sie
sollte mithelfen, daß dies geschieht.

Wir können und wir wollen in Europa nicht eine Po-
litik fortsetzen, die sich das Wohlwollen unserer Nach-
barn mit Nettozahlungen gleichsam erkaufen will –
Nettozahlungen, die dann im eigenen Lande zu uner-
träglichen Haushaltsbelastungen werden. Dies durchzu-
setzen wird gewiß nicht einfach sein, weil es gilt, dies
einstimmig herbeizuführen.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Eben!)

Die Lösung dieser Frage wird auf der Prioritätenliste,
die wir aufgestellt haben, ganz oben stehen. Dabei wis-
sen wir, daß der Zeitrahmen eng ist, und wir wissen na-
türlich auch, daß die Partner unterschiedliche Interessen
haben. Denn unserem Verlangen nach mehr Beitragsge-
rechtigkeit wird doch entgegengehalten: Was wollt ihr
Deutschen denn, jenen 22 Milliarden DM hat doch eure
eigene Regierung 1992 zugestimmt!


(Dr. Helmut Kohl [CDU/CSU]: Ach!)

– Natürlich war das so, Herr Kohl. Sie haben dem zuge-
stimmt. Wir müssen jetzt sehen, daß wir dies Schritt für
Schritt wegräumen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden das nur schaffen können, wenn wir errei-
chen, daß sich alle Partner in Europa bewegen, daß alle
Fragen, die bei der Agenda gelöst werden müssen, auf
den Tisch kommen.

Die Kommission hat in ihrem Eigenmittelbericht ver-
schiedene Optionen zur Lösung dieser Frage offenkun-
dig gemacht. Keine dieser Optionen – von der Kofinan-
zierung bis zum britischen Beitragsrabatt – darf tabui-
siert werden. Alle müssen auf den Tisch. In den Ver-
handlungen zum März des nächsten Jahres hin muß ein
fairer Ausgleich der Interessen gefunden werden.
Deutschland weiß – das haben wir den europäischen
Partnern klargemacht –, daß wir in den Verhandlungen
nicht auf einen Lottogewinn hoffen können, daß sich die
Herstellung von Beitragsgerechtigkeit Schritt für Schritt
vollziehen wird und daß die Interessen der Partner, wo
immer sie auch liegen, berücksichtigt werden müssen.
Aber die Partner müssen verstehen, daß auch Deutsch-
land einen Anspruch auf Fairneß hat. Diesen werden wir
in den Verhandlungen deutlich werden lassen.


(Beifall bei der SPD)

Um dies zu erreichen, werden wir die Strukturförde-

rung konzentrieren müssen. Vor allen Dingen werden
wir dafür sorgen müssen, das sich die Haushaltsmittel
am Durchschnitt der Jahre 1995 bis 1999 orientieren. Es
muß deutlich werden, daß der europäische Haushalt auf

Bundeskanzler Gerhard Schröder

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 823


(A) (C)



(B) (D)


keinen Fall schneller wachsen darf, als es bei den natio-
nalen Haushalten der Fall ist.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Richtig!)

Das ist das, was wir durchsetzen müssen.

Dann werden wir dafür sorgen, daß die neuen Bun-
desländer in der ersten Förderstufe bleiben. Wir werden
dafür eintreten, daß den Forderungen der Ministerpräsi-
denten Rechnung getragen wird. Sie fordern zum Bei-
spiel, daß es in den Ziel-2-Gebieten mehr Möglichkeiten
der regionalen Förderung geben muß. Wir brauchen hier
Spielraum für eine eigenständige Regionalförderung.
Mehr und mehr wird das auch von unseren Partnern in
Europa verstanden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein weite-
res Ziel, das wir während unserer EU-Ratspräsident-
schaft verfolgen wollen, ist die Schaffung dessen, was
man die europäische außen- und sicherheitspolitische
Identität nennt. Der britische Premierminister Tony Blair
hat in Pörtschach auf dem letzten Gipfel interessante
Vorschläge dazu gemacht.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Bei den deutsch-französischen Konsultationen ist
deutlich geworden, daß die Schaffung einer ihrem Na-
men wirklich gerecht werdenden Außen- und Sicher-
heitspolitik in Europa von Deutschland, von Frank-
reich und von Großbritannien zusammen angestrebt
werden soll. Wir brauchen diese Gemeinsamkeit inner-
halb der NATO – nicht gegen irgend jemanden gerich-
tet, sondern um Außen- und Sicherheitspolitik in Europa
wirksamer als in der Vergangenheit betreiben zu kön-
nen. Deswegen werden wir das, was dazu in Großbri-
tannien formuliert worden ist, zum Beispiel den Ver-
such, die Strukturen der WEU in die EU zu integrieren,
um Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik auf die-
se Weise handlungsfähiger zu machen, mit aller Kraft
unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe versucht, deut-

lich zu machen, wie wichtig es uns ist, die Vorausset-
zungen für die Erweiterung der EU zu schaffen. Wir
nehmen das Thema, daß die EU nicht an der deutschen
Ostgrenze aufhören darf, sehr ernst. Wir haben den
Partnern in Polen, in Tschechien, in Ungarn und an-
derswo immer erklärt, daß Deutschland ein verläßlicher
Anwalt der Erweiterung sein wird.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Dafür müssen Sie mehr tun!)


– Genau! Da müssen wir in der Tat mehr tun, zum Bei-
spiel dafür sorgen – was ich formuliert habe –, daß es in
Europa eine Finanzstruktur gibt, die einen Beitritt auch
ermöglicht. Das haben Sie in der letzten Zeit doch ver-
säumt. Sie haben zwar darüber geredet, aber nicht wirk-
lich etwas getan. Das ist doch das Problem, vor dem wir
stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch des Abg. Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.])


Unter Ihrer Regierung ist den Polen versprochen wor-
den: Im Jahr 2000 seid ihr in der EU. Das war ein Ver-
sprechen, das aus ökonomischen Gründen nicht haltbar
sein wird. Damit haben Sie Probleme verursacht, die wir
jetzt lösen müssen. Das ist der Tatbestand!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Eine solche Verdrehung! Sie sind ein Verdrehungskünstler!)


Wir haben gesagt: Wir wollen die EU-Ost-
erweiterung, und wir wollen die Voraussetzungen dafür
schaffen.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Wann?)

– Diese Frage „Wann?“ zeigt den völlig törichten Um-
gang mit diesem Problem.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir stehen am Anfang eines Verhandlungsprozesses,
der ungeheuer kompliziert ist und für den erhebliche Fi-
nanzmittel erforderlich sind. Wer sich in der Lage sieht,
zu Beginn eines solchen Prozesses, der hochkompliziert
ist und dessen zeitliche Abfolge man am Beitritt Portu-
gals und Spaniens studieren kann und sollte, jetzt ein
konkretes Datum zu nennen, macht einen großen Fehler.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich halte es nur für redlich, den derzeitigen Beitritts-
kandidaten zu sagen: Wir wollen, daß diese Verhand-
lungen zügig geführt werden. Wir wollen, daß parallel
zu diesen Verhandlungen die Institutionenreform voran-
gebracht wird; denn ohne diese Reform wird es unge-
heuer schwierig sein, neue Mitglieder in die EU aufzu-
nehmen. Weil wir beides wollen und weil nicht voraus-
sehbar ist, wann beides erreicht sein wird, ist es unsin-
nig, ständig neue Daten in die Welt zu setzen. Das scha-
det dem Vertrauen nur; es nutzt ihm überhaupt nicht.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNE])


Die Partner in Osteuropa wissen, daß wir aus ökono-
mischen, aber vor allen Dingen aus politischen Gründen
dafür sind, über die Beitrittswünsche zügig zu verhan-
deln. Sie vertrauen auch darauf, daß Deutschland – was
ich ausdrücklich zusichere – Anwalt der Interessen der
Beitrittskandidaten bleibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir tun das aus ökonomischen und politischen Grün-
den. Wir tun das aber auch – es liegt mir daran, das klar-
zumachen – vor dem Hintergrund einer in Deutschland
stattfindenden aktuellen Debatte: Wir tun das auch, weil
wir wissen, was wir beispielsweise den Polen aufgrund
unserer Geschichte an Solidarität schulden. Wir wissen
das, und wir werden das auch in Zukunft nicht verges-
sen. Darauf können sich die Menschen dort und die
politisch Tätigen verlassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

824 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Wir werden diese Beitrittswünsche auch deshalb ohne
Wenn und Aber unterstützen, weil wir wissen, was die
Reformkräfte in diesen Ländern für Deutschland getan
haben, als es um die Herstellung der deutschen Einheit
gegangen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies alles verpflichtet uns, Anwalt der Interessen der
Menschen in diesen Ländern zu sein. Aber wir werden
keine Illusionen in die Welt setzen, sondern wir werden
die Realitäten deutlich machen, an denen wir uns bei der
Unterstützung der Beitrittswünsche orientieren.

Meine Damen und Herren, das, was wir jetzt in Wien
auf den Weg bringen wollen und was wir dann unter
deutscher Präsidentschaft abschließen wollen, ist gewiß
ein schwieriges Unterfangen. Es geht in erster Linie dar-
um, für den nächsten Fünfjahreszeitraum die Finanzie-
rungsgrundlagen und damit die Politikgrundlagen der
Europäischen Union herzustellen.

Ich sage noch einmal: Die Bundesregierung weiß sehr
wohl, daß es gerade in den Finanzierungsfragen unter-
schiedliche Interessen gibt. Sie weiß sehr wohl, daß man
das Ziel, Beitragsgerechtigkeit zu erreichen, nur Schritt
für Schritt wird durchsetzen können.

Aber, meine Damen und Herren, wenn wir das nicht
jetzt beginnen, wenn wir nicht deutlich machen, daß Le-
gitimation für Europa auch mit Beitragsgerechtigkeit zu-
sammenhängt und daß die Institutionenreform und die
Herstellung der Finanzierungsgrundlagen Voraussetzun-
gen dafür sind, die Beitrittswünsche zügig und materiell
abgesichert zu realisieren, wenn wir all das nicht deut-
lich machen und unter unserer Präsidentschaft nicht in
Entscheidungen einmünden lassen, dann verfehlen wir
das Ziel, Europa und damit auch Deutschland zu stär-
ken. Beide Ziele aber haben wir. Deswegen werden wir
uns anstrengen und sind für die Unterstützung des Hau-
ses sehr dankbar.


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401401600
Ich er-
öffne die Aussprache. Das Wort hat der Vorsitzende der
CDU/CSU-Fraktion, Dr. Wolfgang Schäuble.


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1401401700
Herr Präsi-
dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist
gut, daß wir vor dem Europäischen Rat in Wien heute
auf der Grundlage der Regierungserklärung des Bundes-
kanzlers diese Debatte haben. Wir haben als CDU/CSU-
Fraktion lange darauf drängen müssen, daß sie heute
stattfindet.


(Widerspruch bei der SPD)

– Ja, natürlich; so war der Ablauf gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber es ist gut und notwendig, daß wir heute diese De-
batte haben.

Europäische Politik und europäische Entscheidungen
werden auch für den Alltag unserer Bürger immer wich-
tiger. Deswegen ist es im Sinne von politischer Führung
und Verantwortung notwendig, daß wir Sinn und Be-
deutung alternativer Positionen in der europäischen
Politik im Deutschen Bundestag debattieren.

Natürlich brauchen wir auf dem Weg der Reform der
Institutionen der Europäischen Union auch eine Stär-
kung des Europäischen Parlaments, klarere Kompeten-
zen und mehr Transparenz. Aber da wir wissen – wenn
wir Realisten sind –, daß wir auf lange Zeit eine euro-
päische Öffentlichkeit in dem Sinne, wie wir sie als
Grundlage nationaler Debatten, nationaler Entscheidun-
gen und im Ringen um Mehrheiten kennen, nicht haben
werden, brauchen wir auf Grund der Bedeutung europäi-
scher Politik auch im nationalen Parlament Debatten
über das Für und Wider der europäischen Politik und über
konkrete Entscheidungen, um den Menschen Alternativen
klarzumachen, um für Zustimmung zur europäischen
Politik zu werben, um die Menschen auf diesem Weg
mitzunehmen und um Europa mit seinen Fortschritten
und mit seinen ungeheuren Erfolgen auch zu erklären.

Deswegen fand ich es beklagenswert, Herr Bundes-
kanzler, daß Sie im ersten oder zweiten Satz Ihrer Re-
gierungserklärung den Beginn der Europäischen Wäh-
rungsunion nur als einen „Veränderungsprozeß“ be-
schrieben haben. Ich finde, sie ist ein großer, ein histori-
scher Erfolg für die Menschen in Europa.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die europäische Einigung – darüber sind wir uns ei-

nig – ist das wichtigste Projekt in der zweiten Hälfte
dieses Jahrhunderts. Sie hat zusammen mit der atlanti-
schen Partnerschaft – übrigens auch im Hinblick auf das,
was wir soeben zum 50. Jahrestag der Allgemeinen Er-
klärung der Menschenrechte diskutiert haben – Frieden,
Freiheit, Menschenrechte, Gerechtigkeit, Stabilität,
Wohlstand und soziale Sicherheit für diesen Teil Euro-
pas und für unser deutsches Vaterland in einem Maße
ermöglicht, wie es vor 50 Jahren von niemandem für
möglich gehalten worden wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Unruhe im Saal)


Sie bleibt auch im kommenden Jahrhundert das
wichtigste Projekt für eine Zukunft in Frieden, Gerech-
tigkeit und Stabilität. Das gilt wirtschaftlich, und die Eu-
ropäische Währungsunion hat in den Turbulenzen auf
den Finanzmärkten in diesem Jahr ihre Feuer- und Be-
währungsprobe bereits bestanden. Wir hätten in diesem
Jahr eine viel weniger stabile wirtschaftliche und finan-
zielle Entwicklung bei all den Verwicklungen in Asien,
in Rußland und in anderen Teilen dieser Erde gehabt,
wenn wir nicht bereits die Europäische Währungsunion
gehabt hätten.


(Anhaltende Unruhe)

Das ist der Beweis: Die Währungsunion ist der richtige
Weg, um wirtschaftliche Stabilität für die Menschen in
unserem Lande zu sichern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 825


(A) (C)



(B) (D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401401800
Herr
Kollege Schäuble, bitte einen kleinen Moment! – Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte doch darum, etwas
mehr Ruhe zu wahren und insbesondere die Gespräche
im Stehen außerhalb des Plenarsaals zu führen.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Auch auf der Regierungsbank! Unglaublich! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Organisierte Störung! – Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Telefonieren von der Regierungsbank mit dem Handy! Unglaublich!)



Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1401401900
– Ach, Frau
Kollegin Rönsch, es ist so, und jeder sieht es.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Flegelhaft!)

Mir liegt jedenfalls daran, Herr Bundeskanzler, deut-

lich zu machen, daß es vielleicht richtig gewesen wäre –
gerade auch im Rahmen Ihrer persönlichen Verantwor-
tung und auf Grund des vorangegangenen eigenen Tuns
und Redens –, wenn Sie heute als jemand, der in seinem
früheren Amt als Ministerpräsident geradezu der Prota-
gonist derjenigen gewesen ist, die die Skepsis gegenüber
der Europäischen Währungsunion systematisch geför-
dert haben, gesagt hätten: Ich habe nicht recht gehabt.
Der Euro hat sich bewährt. Ich stelle mich auf die
Grundlage dieser Entscheidung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Stoiber!)


Auch die Osterweiterung ist nicht nur im Interesse
der Beitrittskandidaten. Wenn wir begreifen, warum Eu-
ropa in diesen 50 Jahren so wichtig gewesen ist, und
wenn wir daraus die richtigen Konsequenzen für die
nächsten 50 Jahre ziehen, dann ist es die allerwichtigste
Aufgabe, daß es gelingt, ganz Europa zu einem Konti-
nent von Frieden, Stabilität, wirtschaftlicher, demokrati-
scher, sozialer und ökologischer Entwicklung zu ma-
chen. Durch den Beitritt unserer Nachbarn in Osteuropa
die Überwindung der europäischen Spaltung, die
1989 mit dem Fall von Mauer und Stacheldraht begon-
nen hat, zu vollenden, das ist das wichtigste Projekt,
auch und gerade im deutschen Interesse, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Natürlich ist es richtig, unbestritten und unbestreitbar,

daß dazu nicht nur in den Beitrittsländern die Vorausset-
zungen geschaffen werden müssen, sondern daß dazu
auch die Europäische Union ihren Reformprozeß be-
wältigen muß: die Agenda 2000, Finanzreform, Reform
der Strukturpolitik, Reform der Agrarpolitik. Herr Bun-
deskanzler, es ist ein wenig aufgefallen, daß Sie zum
Thema Agrarpolitik, zu einem der wichtigsten und
schwierigsten Reformvorhaben der deutschen Präsident-
schaft, nicht ein einziges Wort gesagt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im geschriebenen Text, dem Entwurf Ihrer Regierungs-
erklärung, ist es enthalten, aber da das gesprochene
Wort gilt, fehlt es. Es wurde kein Wort zur Agrarpolitik
gesagt. Hochinteressant! Vielleicht haben Sie dazu

nichts zu sagen. Vielleicht scheint es Ihnen auch nicht
wichtig genug. Mir ist jedenfalls wichtig zu sagen: Zu
den schwierigsten Reformvorhaben im Rahmen der
Agenda 2000 gehört die Agrarpolitik, und wir müssen
die Agrarpolitik so reformieren, daß die deutschen
Landwirte auch in Zukunft die Chance auf Lebensfähig-
keit haben. Das muß gesagt werden!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Eine Regierung, die am Tag vor dem Europäischen

Rat in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers kein
Wort zur Agrarpolitik sagt, gerät in Verdacht, daß sie
die Interessen der deutschen Landwirtschaft und des
ländlichen Raums in Deutschland in der europäischen
Politik und bei ihrer Ratspräsidentschaft nicht hinrei-
chend wahrnimmt. Sonst hätten Sie dazu ein Wort sagen
müssen!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Widerpsruch bei der SPD)


Natürlich haben Sie ein ungeheuer schwieriges Pro-
gramm vor sich. Das gilt für jede deutsche Präsident-
schaft, wer immer regiert. Sie regieren. Natürlich wer-
den Sie am Ende der deutschen Präsidentschaft auch
Kompromisse schließen müssen. Dafür haben Sie heute
schon geworben. In Ordnung! Es geht nicht anders in
einer Union. Nur, Herr Bundeskanzler, wenn Sie für die
Notwendigkeit von Kompromissen am Ende Ihrer Präsi-
dentschaft heute schon für Verständnis werben – dieses
Verständnis unterstütze ich als Führer der Opposition –,
so müssen Sie natürlich mit Kompromissen, die Ihre
Vorgängerregierung erfolgreich geschlossen hat, anders
umgehen, als Sie es in Wort und Inhalt bezüglich des
Edinburgh-Gipfels tun. Das ist doch unglaublich!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie reden – dabei sind Sie vom Manuskript abgewichen,
und dann wird es nicht mehr so staatsmännisch, dann
klingt es fast so wie vor zwei Tagen in Saarbrücken,
worauf wir noch zu sprechen kommen – hier so, als
hätten der Bundeskanzler Kohl und die frühere Regie-
rung im Jahre 1992 nicht im deutschen Interesse in Eu-
ropa gehandelt. Ich sage Ihnen: Die Zustimmung Eu-
ropas zur deutschen Einheit zu erreichen war eine der
größten Leistungen von Bundeskanzler Kohl und der
früheren Regierung. Natürlich mußten dazu in Edin-
burgh Kompromisse geschlossen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben das Ergebnis doch damals begrüßt. Der SPD-
Vorsitzende war damals noch Björn Engholm. Er hat er-
klärt – ich habe die Presseerklärung einmal mitgenom-
men –: Der Gipfel von Edinburgh hat einen Kollaps ver-
hindert. Die nationalen Regierungen haben bei ihren In-
teressen vorläufig untereinander auf einen konsensfähi-
gen Kompromiß abgestellt. – Herr Bundeskanzler, ste-
hen Sie zu dem, was Sie damals selbst auch im Bundes-
rat unterstützt haben. Es war ein Kompromiß, und er war
richtig im deutschen Interesse. Er hat erreicht, daß die
ostdeutschen Länder in die EU-Förderung einbezogen
worden sind. Eine große Leistung! Wenn Sie heute mit
einem solchen Kompromiß so umgehen, dann sage ich

826 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Ihnen: Verzichten Sie lieber auf die deutsche Präsident-
schaft! Sie werden niemals ein Ergebnis erreichen, das
Ihren Maßstäben gerecht werden kann. Das ist der
Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


Wenn die Aufgabe schwierig ist – und das ist sie für
jede deutsche Regierung, wer immer regiert –, dann,
finde ich, Herr Bundeskanzler, sollten Sie sich diese
Aufgabe nicht zusätzlich erschweren. Das, was Sie und
andere herausragende Mitglieder – von der Position her
herausragende Mitglieder – Ihrer Regierung in den letz-
ten Tagen und Wochen gemacht haben, hat Ihre Aufga-
be in der deutschen Präsidentschaft erheblich erschwert,
und das schadet den deutschen Interessen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Herr SPD-Vorsitzende und Bundesfinanzminister

hat ja dieser Tage den Satz gesagt – den muß man sich
auf der Zunge zergehen lassen –: Selten hat eine Regie-
rung einen solchen Start hingelegt. – Herr Lafontaine,
wo Sie recht haben, haben Sie recht. Das ist gar keine
Frage.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Selten hat eine Regierung in so wenigen Tagen soviel
Unsinn und soviel Chaos angerichtet, soviel korrigieren
müssen. Sie haben ja inzwischen schon mehr korrigiert,
als Sie von Ihren Ankündigungen überhaupt auf den
Weg gebracht haben. Das ist doch die Wahrheit.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das gilt nicht nur für die Wirtschafts-, Finanz- und
Sozialpolitik, auch für die Gesundheitspolitik – die De-
batte zwischen Herrn Dreßler und Frau Fischer ist ja nur
ein neues Beispiel dafür –, nein, viel schlimmer ist, daß
Sie, Herr Bundeskanzler, in wenigen Wochen das Anse-
hen Deutschlands erheblich beschädigt haben,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


daß Sie das Vertrauenskapital, das alle Regierungen in
50 Jahren Schritt für Schritt aufgebaut haben, in einer
Weise gefährden, wie es völlig inakzeptabel ist und wie
ich mir auch nicht vorgestellt habe, daß das in wenigen
Wochen geschehen könnte. Ich nenne ein paar Beispiele.


(Zurufe von der SPD)

– Ja, schreien Sie nur! Das hören Sie nicht gerne.


(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wer schreit denn? – Weitere Zurufe von der SPD: Wir rufen dazwischen! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welchem Land lebt der Mann?)


Der Bundesfinanzminister hat mit seinen Vorstößen,
die Unabhängigkeit von Notenbanken, von Bundes-
bank wie Europäischer Zentralbank, in Frage zu stellen,
ganz vorsichtig gesagt, große Irritationen nicht nur in
Deutschland, sondern beispielsweise auch in Großbri-

tannien ausgelöst. Daran gibt es doch überhaupt keinen
Zweifel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Vorstellung, in Europa durch die Gemeinschaft der
Sozialisten und Sozialdemokraten immer mehr zu re-
glementieren und zu regulieren, entspricht nicht den
Vorstellungen nicht nur der Christlich Demokratischen
Union, sondern auch vieler, die in Europa stärker auf die
Kräfte der Freiheit vertrauen.

Der Bundesaußenminister trägt für sich selbst und im
übrigen auch für seinen Staatsminister – damit das klar
ist, Herr Fischer – die Verantwortung. Entweder Sie
müssen ihn entlassen, oder Sie müssen ihn wenigstens
zur Ruhe bringen. Ihre Kompromisse zwischen Realos
und Fundis können Sie auf Parteitagen der Grünen ma-
chen; in Verantwortung für die Bundesrepublik
Deutschland geht das nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn man von den deutschen Beamten des auswärti-

gen Dienstes in diesen Tagen des NATO-Rates aus
Brüssel – und die haben Sie ja wirklich nicht mit einem
Mangel an Loyalität empfangen; da gibt es nichts zu
kritisieren – lesen und hören konnte, mühsam habe man
erreicht, daß Deutschland unter den Europäern auch in
Fragen der Sicherheitspolitik als gleichberechtigt aner-
kannt werde, und jetzt sei man durch den unseligen Vor-
stoß des Bundesaußenministers wieder in die zweite
Reihe zurückgeworfen,


(Zuruf von der SPD: Wer sagt das denn?)

dann ist das doch nur die Kommentierung eines Vor-
ganges, den es unter dem Bundeskanzler Kohl nicht ge-
geben hätte:


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

daß nämlich der britische Premierminister und der fran-
zösische Staatspräsident sich in Saint Malo treffen, eine
neue Initiative zur Sicherheitspolitik in der Europäi-
schen Union miteinander verabreden und daß Deutsch-
land dabei nicht beteiligt ist. Wir haben in 50 Jahren er-
reicht, daß wir darüber hinweg sind, und Sie haben es in
vier Wochen geschafft, daß wir wieder zurückfallen.
Deswegen sage ich: Sie schaden Deutschland! Sie nüt-
zen den deutschen Interessen nicht, sondern Sie schaden
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Das glauben Sie doch sel ber nicht!)

Glauben Sie wirklich, daß Sie in Frankreich mit Ihren

Alleingängen in der Energiepolitik Zustimmung finden?
Da nützt alle Genossensolidarität nichts. Glauben Sie
wirklich, daß Sie mit der Art, wie Sie in Form und Inhalt
vor zwei Tagen auf dem Kongreß Ihrer Partei in Saar-
brücken gesprochen haben, den deutschen Interessen
nützen? Sie appellierten populistisch an vermeintliche
Interessen in Deutschland, indem Sie in einer ganz ande-
ren Sprache als hier im Deutschen Bundestag redeten.


(Zuruf von der SPD)


Dr. Wolfgang Schäuble

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 827


(A) (C)



(B) (D)


– Wenn die Agenturmeldungen stimmen, haben Sie
doch in Saarbrücken gesagt, die Zeiten seien vorbei, in
denen jede Krise in Europa durch den Griff in die Kasse
des deutschen Steuerzahlers gelöst werden könne.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stoiber!)


Glauben Sie wirklich, daß Sie so den deutschen Interes-
sen dienen, Herr Bundeskanzler? Mit diesem unverant-
wortlichen populistischen Gerede schaden Sie den deut-
schen Interessen. Das ist der Punkt!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie Herrn Stoiber auch einmal erzählen!)


– Der Bayerische Ministerpräsident redet niemals ver-
antwortungslos, sondern immer sehr verantwortungsbe-
wußt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Sie werden nicht einen einzigen anderen Satz finden.
Wenn wir aber schon dabei sind, Herr Bundeskanzler,

Herr Ministerpräsident außer Diensten: Ich finde es
schon bemerkenswert, daß Sie vier Wochen, nachdem
Sie nicht mehr Ministerpräsident sind, als Bundeskanz-
ler den Ministerpräsidenten eines der größten und er-
folgreichsten Bundesländer zum Regionalpolitiker erklä-
ren. Was sind Sie eigentlich bis vor vier Wochen gewe-
sen, Herr Schröder?


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Damit komme ich gleich zum nächsten Punkt. Ich
finde auch bemerkenswert, wie Sie einen Widerspruch
schaffen. Heute haben Sie im Gegensatz zu Ihrer Regie-
rungserklärung vor ein paar Wochen sogar das Wort
Subsidiarität verwendet. Was Sie dazu allerdings an
Inhalten gesagt haben, war so unverbindlich wie alles,
was Sie bisher an Regierungserklärungen abgegeben ha-
ben.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wie der ganze Mensch!)


In der Sache selber gibt es allerdings einen Wider-
spruch, und darauf möchte ich aufmerksam machen.
Natürlich formulieren Sie es in Ihrer heutigen Regie-
rungserklärung vorsichtig – das ist ja auch die Aufgabe
von Apparaten und Ministerien; das ist in Ordnung –,
aber die Wirkung, die Sie mit dem, was Sie europäische
Beschäftigungspolitik und europäischen Beschäfti-
gungspakt nennen, erzielen wollen, ist doch die, daß die
Menschen glauben sollen, in Zukunft sei Europa, sei die
Europäische Union für den Arbeitsmarkt und die Be-
schäftigung zuständig; und wenn die Arbeitslosigkeit
nicht zurückgeht, ist Europa daran schuld. Daß die Men-
schen das glauben, ist doch Ihre Absicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Er hat nicht zugehört!)


Wir kennen Sie aber nun. Solange Sie Regionalpoliti-
ker in Hannover waren, haben Sie auf die Frage, warum
die Jugendarbeitslosigkeit in Niedersachsen doppelt so
hoch wie in Bayern oder Baden-Württemberg sei, ge-
antwortet, Sie verfügten nicht über die Makroökonomie.
Jetzt sind Sie Bundeskanzler, also in Ihrer Vorstel-
lungswelt für die Makroökonomie zuständig. Jetzt aber
sagen Sie, Brüssel sei dafür verantwortlich, um heute
schon das Alibi und die Ausrede für Ihre Mißerfolge zu
konstruieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich füge gleich hinzu: Ich bin grundsätzlich gegentei-

liger Auffassung. Ich glaube, wir werden in dieser Welt
der Globalisierung, der ungeheuer schnellen Verände-
rungen, in der sich durch die wirtschaftliche Wettbe-
werbssituation am Arbeitsmarkt die Dinge so rasant ver-
ändern, in einer Welt im Übergang zur Dienstleistungs-
gesellschaft und ins Informationszeitalter die Probleme
gerade nicht lösen, wenn wir die Lösung bei immer hö-
heren und zentralistischen bürokratischen Ebenen und
Regulierungen suchen, sondern nur, indem wir die
Kräfte der Freiheit, der Vielfalt, der Ideen, der Kreati-
vität, der Nähe und Eigenverantwortung sowie der frei-
willigen Solidarität mobilisieren. Deswegen ist alles das,
was Sie in Konsensrunden konstruieren, zwar Ihr gutes
Recht, aber es entbindet die Menschen nicht von ihrer
eigenen Verantwortung.

Sie schauen jetzt nach Brüssel und auf einen europäi-
schen Beschäftigungspakt – und was dergleichen
Schlagworte mehr sind. Gleichzeitig machen Sie eine
Steuer- und Abgabenpolitik, die die Freiräume für
Mittelstand und Unternehmen weiter verringert. Gleich-
zeitig machen Sie eine Politik, die die einzelnen von der
Vorsorge, von der Solidarität und der sozialen Fürsorge
für andere entbinden soll, also die bürgernähere Ebene
schwächen soll. Gleichzeitig machen Sie eine Politik, in
der es nur noch um die Vertreter großer Interessen und
um die Verteidigung großer Besitzstände geht. Der
Glaube, man könne, indem man die Menschen alle mit
60 in Rente schickt, die Probleme der Beschäftigung lö-
sen und die Zukunft gewinnen, ist doch absurd. Es ist
genau die falsche Richtung. Nicht mehr Regulierung
und Zentralismus, sondern mehr Freiheit, Eigenverant-
wortung, Kreativität und Subsidiarität sind der bessere
Weg, um die Zukunftsprobleme zu meistern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zugestanden, Sie werden von uns am Ende der deut-

schen Präsidentschaft im Juni fairer beurteilt werden, als
Sie mit den Erfolgen und Leistungen von Helmut Kohl
und der früheren Regierung umgegangen sind. Das sage
ich Ihnen schon heute zu. Wir wissen, daß man Kom-
promisse in Europa schließen muß. Wer europäische
Einigung will, der kann nicht mit dem Kopf durch die
Wand und kann nicht sagen: Am deutschen Wesen soll
die Welt genesen. Er sollte aber auch nicht sagen: Die
deutsche Kasse steht nicht mehr wie in der Vergangen-
heit für die Lösung von Krisen in Europa zur Verfü-
gung; vielmehr sollte er weiter zur Solidarität bereit
sein.

Dr. Wolfgang Schäuble

828 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Sie machen nach meiner Überzeugung einen großen
Fehler, wenn Sie glauben, Sie müßten mit Ihrem Reden
an Instinkte von Teilen in unserer Bevölkerung appellie-
ren, die gegenüber europäischen Entwicklungen skep-
tisch sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damit nützen Sie den deutschen Interessen nicht, auch
wenn Sie es noch so lautstark im Mund führen; vielmehr
schaden Sie den deutschen Interessen. Es ist viel besser,
wir blieben in Europa integrations- und kooperationsfä-
hig und wir könnten in Europa mit unseren Partnern Zu-
stimmung für unsere Vorstellung gewinnen, als daß wir
mit unverantwortlichen Redereien, wie Sie sie in der
Nachmittagsstimmung von Saarbrücken zustande ge-
bracht haben, den Karren vor die Wand fahren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich gebe Ihnen noch einen Rat. Sie sollten den Ver-

such aufgeben, den Partnern in Europa zu sagen: Jetzt ist
Schluß mit lustig, und die Deutschen zahlen nicht mehr.
Sie sollten die Osterweiterung nicht so ambivalent be-
handeln, wie sie in der internationalen Presse verstanden
worden ist. Unsere Nachbarn in Polen glauben Ihnen
nicht, daß Sie Anwalt der Interessen der Nachbarn in
Osteuropa sein wollen, weil Sie mit Ihrem Reden dieses
Vertrauen zerstört haben. Bundeskanzler Kohl und Au-
ßenminister Kinkel haben unsere Nachbarn geglaubt,
und Bundeskanzler Schröder glauben sie es vorläufig
nicht, weil Sie anders geredet haben. Sie haben Vertrau-
en zerstört, auch bei unseren Nachbarn.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Weil nun gerade einmal die parteipolitischen Mehr-

heiten in einer Reihe von Mitgliedsländern Ihnen gün-
stig erscheinen, sollten Sie den Versuch aufgeben, durch
europäische Politik parteipolitisch einseitig durchmar-
schieren zu wollen. Herr Bundesfinanzminister und
SPD-Vorsitzender Lafontaine, das hat es in der Ge-
schichte noch nicht gegeben, daß die Finanzminister
einer parteipolitischen Richtung quasi in einem Treffen
von elfen, so einer Art Fraktionsbildung der Finanzmi-
nister, waren. Ich sage Ihnen: So werden Sie in Europa
nicht vorankommen. Die politische Vielfalt in Europa ist
größer als der überhebliche Drang von Rotgrün, weil Sie
einmal eine Wahl gewonnen haben, jetzt durchzumar-
schieren. Dieser Drang ist nur scheinbar richtig.


(Widerspruch bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Da sprach der Wahlverlierer!)


Setzen Sie weiterhin auf den Konsens aller Kräfte in
Deutschland und in Europa, die für europäische Eini-
gung und für atlantische Integration sind!

Es war eine gute Tradition, daß wir Repräsentanz
auch in hohen Ämtern europäischer Institutionen nicht
parteipolitisch einseitig nur noch durch Koalitionsver-
einbarungen zuteilen – das Vorschlagsrecht für den
einen Posten haben die Grünen, das Vorschlagsrecht für
den anderen Posten haben die Roten, und so geht es hin
und her. Statt dessen sollten Sie ein Stück weit darauf
setzen, daß wir alle politischen Kräfte, die für europäi-
sche Einigung sind, auch weiterhin auf diesem Weg

mitnehmen. Geben Sie es auf, zu glauben, Rotgrün
könnte jetzt in Deutschland und Europa durchmarschie-
ren! Sie werden schnell scheitern. Das wäre nicht meine
größte Sorge. Aber meine Sorge ist, daß Sie auf diesem
Wege den deutschen Interessen schaden. Das ist eine
Gefahr für Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der beste Weg für Deutschland am Ende dieses Jahr-

hunderts und an der Schwelle zum kommenden Jahr-
hundert – das muß man immer und immer wieder sagen,
und dafür muß man auch handeln und stehen, auch wenn
es schwierig ist – ist, daß wir den Weg von Integration
in ganz Europa weitergehen, daß wir berechenbare und
verläßliche und angesehene und geachtete Partner im
Atlantischen Bündnis bleiben, daß wir so unsere Ver-
antwortung mit anderen zusammen für diese immer en-
ger zusammenwachsende e i n e Welt wahrnehmen.
Aber das heißt, daß wir deutsche Interessen nicht so de-
finieren sollten, wie die Wirkung ist, die von Ihnen aus-
geht, nämlich als gegen andere gerichtet. Deutsche In-
teressen sind um so besser gewahrt, je mehr es uns ge-
lingt, durch Fortschritte in der europäischen Politik
deutsche Interessen in einem vereinten Europa durchzu-
setzen. Das ist der Weg der Union. Daran werden wir
Sie messen.

Wir wünschen Ihnen – bei allen politischen Mei-
nungsverschiedenheiten – für Ihre Präsidentschaft im
deutschen und europäischen Interesse viel Erfolg. Aber
ich rate Ihnen: Machen Sie sich die Last durch so ver-
antwortungsloses Gerede wie in den vergangenen Wo-
chen nicht zusätzlich schwer!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401402000
Als
nächster Redner hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion,
Peter Struck, das Wort.


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1401402100
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäuble,
Ihre Aufgeregtheiten in der Debatte um den Gipfel in
Wien


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Er ist nicht aufgeregt gewesen! Er war sehr ernst!)


und Anklagen in der Art, wie Sie sie hier gegenüber dem
Herrn Bundeskanzler vorgetragen haben, lassen sich
eigentlich nur durch die nach wie vor bei Ihnen zu beob-
achtende Tendenz, daß Sie die Niederlage bei der Bun-
destagswahl nicht verschmerzt haben, erklären – anders
nicht.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Sie haben in Ihrer Rede, Herr Kollege Schäuble, in
keiner Weise die Alternativen der CDU/CSU-Fraktion
oder deren Erwartungen an die Bundesregierung für die-
sen Gipfel formuliert. Im Gegenteil: Sie haben sich dar-
auf beschränkt, die Vergangenheit zu loben. In der Tat
gibt es da Punkte, die auch wir durchaus loben. Ich stehe
überhaupt nicht an, das zu verschweigen. Auf der ande-

Dr. Wolfgang Schäuble

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 829


(A) (C)



(B) (D)


ren Seite unterstützt die sozialdemokratische Bundes-
tagsfraktion die Ziele, die der Bundeskanzler in seiner
Regierungserklärung formuliert hat, nachdrücklich.


(Beifall bei der SPD)

Wir fordern auch Sie auf, meine Damen und Herren, be-
stehende Gemeinsamkeiten hier im Parlament zu artiku-
lieren.

Es ist wahr: Während des Gipfels in Wien und vor
allen Dingen während unserer Präsidentschaft wird ein
hohes Maß an Verantwortung von allen beteiligten
europäischen Staaten gefordert, denn mit den Entschei-
dungen zur Agenda 2000 steht nicht nur die Neuordnung
der wichtigsten internen Politikbereiche, nämlich der
gemeinsamen Agrarpolitik – Herr Kollege Schäuble, der
Bundeskanzler hat von der Agrarpolitik gesprochen; das
ist Ihnen wahrscheinlich entgangen –


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das steht nur im Manuskript!)


und der Strukturfonds, auf der Tagesordnung. Es geht
um viel mehr: Wir müssen eine neue Finanzstruktur
für die Europäische Union schaffen. Für diese Aufga-
be werden auf dem Gipfel in Wien wichtige Weichen-
stellungen vorgenommen. Dabei wird es darauf ankom-
men, daß alle Mitgliedstaaten kompromißbereit sind;
ohne diese Bereitschaft aller Mitgliedstaaten kann die
Bundesregierung diese schwierige Aufgabe nicht mei-
stern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wissen auch, daß der Erfolg unserer Präsident-

schaft nicht allein von uns und von der Bundesregierung
abhängt, sondern er hängt davon ab, daß wir alle Betei-
ligten von unseren politischen Vorstellungen überzeugen
können, und zwar ohne Zwang.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wäre von Vorteil, meine sehr verehrten Damen
und Herren von der Opposition, wenn wir im Deutschen
Bundestag über die Fraktionen hinweg in zentralen
europäischen Fragen zu einer Einigung kommen könn-
ten.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das muß man anders beginnen!)


Es herrscht in diesem Haus große Übereinstimmung
darüber – nun zitiere ich wörtlich –, daß die Festigung
der Europäischen Union und die Fortsetzung des euro-
päischen Einigungswerkes entscheidende Voraussetzun-
gen für Frieden, Freiheit und Wohlstand in ganz Europa
sind. Dies haben Sie, meine Damen und Herren von der
Union, selbst so formuliert. Wir unterstreichen das. Ich
biete Ihnen deshalb auch eine faire Zusammenarbeit in
Fragen der Europapolitik während unserer Präsident-
schaft an, sage Ihnen allerdings auch ganz deutlich, daß
es sich hierbei um keine Einbahnstraße handeln darf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage das auch schon vorsorglich – bei Herrn
Schäuble wurde das eben deutlich –, weil sich schon

jetzt zu Beginn unserer Legislaturperiode eine gewisse
Geschichtsverfälschung oder Geschichtsklitterung bei
Union und F.D.P. andeutet.

Dafür drei Beispiele. Beispiel Nummer eins: Der
Bayerische Ministerpräsident Stoiber, offensichtlich der
neue europapolitische Inspirator der Union, wirft dem
Bundeskanzler vor, einen schweren Fehler zu machen,
weil er, wie er es ja auch eben vorgetragen hat, die Ver-
handlungen über die Agenda 2000 schon im Frühjahr
1999 abschließen will. Als Ratspräsident, so sagt Stoi-
ber, müsse er bei der Entscheidung zu viele Kompromis-
se machen. Das geht – ich zitiere jetzt Herrn Stoiber
wörtlich aus der „Zeit“ – „am Ende auf Kosten der deut-
schen Steuerzahler und zu Lasten der deutschen Interes-
sen“. Unterschlagen hat dabei der designierte CSU-
Vorsitzende allerdings, daß der Bundeskanzler, Gerhard
Schröder, gar nicht Herr des Zeitplans ist.

Der Bayerischen Staatskanzlei, die sich ja besonderer
europapolitischer Fähigkeiten rühmt, dürfte nicht ent-
gangen sein, daß der Fahrplan auf dem Europäischen
Gipfel in Cardiff am 15. und 16. Juni 1998 unter maß-
geblicher Mitwirkung des damaligen Bundeskanzlers
Helmut Kohl festgelegt worden ist. Einstimmig einigten
sich die Regierungschefs darauf, über die Agenda 2000
auf einem Sondergipfel Ende März nächsten Jahres zu
entscheiden. Sollte Bundeskanzler Schröder den Part-
nern zu Beginn der Präsidentschaft sagen: „April,
April!“? Sie wären doch die ersten gewesen, die uns
dann vorgeworfen hätten, europapolitisches Porzellan zu
zerschlagen, womit Sie übrigens recht hätten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN )


Es steht uns nicht an, den verabredeten Fahrplan für
die Entscheidungen zur Agenda 2000 ohne Not in Frage
zu stellen. Damit würden wir nicht nur die Mitgliedslän-
der brüskieren, sondern die osteuropäischen Beitritts-
kandidaten zusätzlich verunsichern. Das wollen und
werden wir nicht tun.


(Beifall bei der SPD)

Die Diskussion um die Erweiterung ist ein zweites

Beispiel für Geschichtsklitterung. In diesem Fall scheint
auch die F.D.P. Probleme mit ihrem Kurzzeitgedächtnis
und mit dem ihres ehemaligen Außenministers, Klaus
Kinkel, zu haben. Er hat es bis zu seinem letzten
Amtstag abgelehnt, den Kandidaten einen konkreten
Beitrittszeitpunkt zu nennen. Als Dr. Kohl Polen ver-
sprach – der Bundeskanzler Gerhard Schröder hat diesen
Punkt eben schon angesprochen –, im Jahre 2000 Mit-
glied der Europäischen Union zu werden


(Dr. Helmut Kohl [CDU/CSU]: Es ist gar nicht wahr, was Sie da sagen!)


– stellen Sie doch eine Zwischenfrage, und stellen Sie
diesen Punkt klar! –, reagierte Dr. Kinkel pikiert. Jetzt
will die F.D.P. – ich bin schon gespannt auf Ihren Bei-
trag, Herr Haussmann –, daß schon am Wochenende in
Wien der Zeitpunkt der Beitritte der osteuropäischen
Länder verbindlich auf das Jahr 2002 festgelegt wird.
Wie ich höre, ist auch die CDU/CSU für diesen Termin,

Dr. Peter Struck

830 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


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ohne sich jedoch festlegen zu wollen, wie lange die
Übergangsfristen für die Beitrittskandidaten sein sollen.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn den Blödsinn aufgeschrieben?)


Die Bundesregierung – Kanzler Gerhard Schröder hat
diesen Punkt eben schon deutlich gemacht – hat erklärt,
daß sie die EU-Osterweiterung als vorrangige Aufgabe
ansieht und sie mit großem Nachdruck verfolgt. Sie läßt
es dabei aber nicht an Realismus mangeln. Darum geht
es. Es hilft nicht, unerfüllbare Versprechungen zu ma-
chen, nur um jemandem etwas Gutes zu tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland und Europa können kein Interesse daran
haben, die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen
Staaten in die Union zu verzögern und ihre Erwartungen
zu enttäuschen.

Ein drittes Beispiel dafür, daß man in der Europa-
politik seine Worte wägen sollte – auch der Beitrag von
Herrn Schäuble ist ein Beispiel dafür –, ist das Gerede
vom Sozialismus in Europa. Aus Ihren Kreisen verlau-
tet, Europa habe jetzt die sozialistische Mütze überge-
worfen. Dieser Satz wird vom Kollegen Waigel ver-
breitet. Ihn in Bonn zu sagen hat einen gewissen Unter-
haltungswert, denn aus Ihren Reihen wurde bis vor kur-
zem von diesem Pult aus immer unterstrichen, die deut-
schen Sozialdemokraten seien in Europa isoliert. Diese
Beiträge haben wir alle noch im Ohr. Weiter sagten Sie,
niemand wolle so wie die SPD handeln. Jetzt auf einmal
sagen Sie, binnen einer Frist von zwei Monaten haben
Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine die EU schon
umgepolt. Die eine Behauptung ist so falsch wie die an-
dere.


(Beifall bei der SPD)

Ich halte es in diesem Zusammenhang mit der Gelas-

senheit und dem Realitätssinn, den der christdemokrati-
sche Premier von Luxemburg vertritt. Jean-Claude
Juncker hat in seinem Interview mit der „Welt“ gesagt:

Ich wundere mich, daß man der Tatsache, daß jetzt
11 sozialistische oder sozialdemokratische Regie-
rungschefs am europäischen Tisch sitzen, eine der-
art hohe Bedeutung beimißt. Es war nie so und es
wird auch nie so sein, daß am Tisch des Europäi-
schen Rates Parteipolitik gemacht wird.

Der Christdemokrat Juncker hat recht. Seine Aussage
sollten Sie sich merken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat es
angesprochen: Es geht um den deutschen Beitrag, es
geht um die Frage, wie für den Zeitraum bis zum Jahr
2006 die Zahlungen festgelegt werden. Wir unterstützen
den Bundeskanzler und den Bundesfinanzminister ein-
deutig: Im Gegensatz zu unserer Vorgängerregierung
werden wir keine Scheckbuchpolitik machen.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Peinlich!)


Wir alle beklagen die zu hohe deutsche Nettobelastung;
da bin ich übrigens mit Herrn Stoiber einer Meinung.
Aber man darf nicht allein Brüssel für diese Belastung
verantwortlich machen. Es war immer eine deutsche
Regierung dabei, die diesen Belastungen zugestimmt hat
und sich damit hier und dort politische Zugeständnisse
erkauft hat. Sie wissen, wen ich meine, wenn ich in die-
se Richtung gucke. Bundeskanzler Schröder hat klarge-
macht, daß es damit vorbei ist.

Die SPD-Bundestagsfraktion und die neue Bundesre-
gierung haben klare europapolitische Zielvorstellungen
nicht nur für den Europäischen Rat heute und morgen in
Wien, sondern auch für die Präsidentschaft:

Erstens. Der Europäische Rat von Wien muß den
Grundstein für einen europäischen Beschäftigungs-
pakt legen. Meine Damen und Herren, wir haben dies
vor der Wahl versprochen, und das halten wir auch ein.


(Beifall bei der SPD)

Europa kann und muß seinen Beitrag zur Bekämpfung
der Massenarbeitslosigkeit leisten. Dazu sind keine aus
Brüssel finanzierten milliardenschweren Beschäfti-
gungsprogramme nötig. Niemand von uns will die ein-
zelnen Mitgliedsländer aus ihrer nationalen Verantwor-
tung für mehr Beschäftigung entlassen. Nein, es geht
uns im Gegenteil darum, die EU-Kommission endlich in
diese Verantwortung einzubeziehen.

Zweitens. Am 1. Januar 1999 beginnt die Europäi-
sche Wirtschafts- und Währungsunion. Für uns war
immer klar, daß der Euro so stabil und stark wie die
Deutsche Mark werden muß;


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Nicht für alle war das so!)


wir haben hier im Deutschen Bundestag die Entschei-
dungen dazu mitgetragen. Dafür brauchen wir eine enge
Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Beschäfti-
gungspolitik in der Europäischen Union. Die deutsche
Bundesregierung – das hat Bundeskanzler Schröder
klargemacht – wird dazu in der deutschen Präsident-
schaft Initiativen ergreifen. Wir begrüßen und unterstüt-
zen auch ausdrücklich die Initiativen des Bundesmi-
nisters der Finanzen, was die Koordination der europäi-
schen Steuerpolitik angeht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Wir wollen die Agenda 2000 erfolgreich
abschließen. Damit würde die Europäische Union einen
wichtigen Teil ihrer Hausaufgaben erledigen, um ihre
Erweiterungsfähigkeit zu erreichen. Dies wäre das beste
und überzeugendste Signal, das wir den osteuropäischen
Beitrittskandidaten übermitteln könnten. Bei den Re-
formen im Rahmen der Agenda 2000 stehen für uns fol-
gende Punkte im Vordergrund: Die Finanzstruktur der
Europäischen Union muß sicherstellen, daß die deutsche
Nettobelastung begrenzt und, wenn möglich, zurückge-
führt wird. Wir wollen eine Reform der gemeinsamen
Agrarpolitik, die die Wettbewerbsfähigkeit der europäi-
schen Landwirtschaft auch international stärkt. Wir

Dr. Peter Struck

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 831


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brauchen mehr Spielraum für Landwirte, ihr Einkom-
men am Markt zu verdienen.


(Beifall bei der SPD)

Das wird nur gelingen, wenn das Regulierungsdickicht
und das Subventionsniveau schrittweise abgebaut wer-
den.

Die Bundesregierung hat ein ehrgeiziges Programm
für die deutsche Präsidentschaft vorgelegt. Deutschland
wird wie in der Vergangenheit versuchen, die Europäi-
sche Union voranzubringen. Ich fordere das ganze Haus
auf, die neue Bundesregierung dabei zu unterstützen.
Wir wollen Europa. Wir wollen, daß der Kontinent
weiter zusammenrückt. Lassen Sie uns unser Handeln an
diesen Maßstäben orientieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401402200
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Helmut Haussmann
von der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Prof. Dr. Helmut Haussmann (FDP):
Rede ID: ID1401402300
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen aus
dem Europäischen Parlament! Die europapolitische Be-
geisterung von Herrn Struck klingt noch nach.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Wer so müde, wer so langweilig, wer so monoton zu ei-
nem der wichtigsten Themen europäischer Politik redet,
der kann einem wirklich leid tun.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich muß das in dieser Deutlichkeit sagen.

21 Tage vor Übernahme der europäischen Präsident-
schaft im größten und wichtigsten Land Europas, das
neun Nachbarn hat und dem unsere europäischen Partner
die Wiedervereinigung erleichtert bzw. geschenkt haben,
stellt der Bundeskanzler auf einem Parteitag fest: Wir
brauchen innenpolitisch gesehen europäische Erfolge
nicht. Es muß ein Ende haben. Er spricht von Scheck-
buchdiplomatie. Er sagte, die frühere Regierung habe
sich über den Tisch ziehen lassen. Er spricht davon – üb-
rigens in Anwesenheit der Kommissarin Wulf-Mathies;
das ist eine besondere Delikatesse –, daß in der Kom-
mission Milliardenbeträge verbraten werden. Wer vor
einem europäischen Gipfel diesen Geist verströmt, der
ist nicht in der Lage, die europäische Integration voran-
zubringen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer noch vor wenigen Monaten vom Euro als einer
kränkelnden Frühgeburt gesprochen hat und jetzt
staatstragend vorliest, der Euro habe seinen Härtetest auf
den Märkten mit Bravour bestanden, dem ist zu sagen:
Armes Deutschland; schlechte Führung für Europa; dies
ist schlecht für unsere europäischen Partner und damit
auch für Deutschland. Denn ohne mehr Überzeugungs-
kraft, ohne die Bereitschaft, Herr Bundeskanzler, Kom-

promisse zu schließen, innenpolitische bzw. parteipoliti-
sche Interessen zurückzustellen und sich zu übergeord-
neten europäischen Visionen, Gefühlen zu bekennen –
ohne diese Grundeinstellung werden Sie in Europa
scheitern. Glauben Sie mir das!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist bezeichnend, daß in diesem Moment der Au-
ßenminister den Saal verläßt. Längst hat sich die SPD
mit Lafontaine und Schröder der Europapolitik bemäch-
tigt. Von Fischer ist in diesem Zusammenhang keine
Spur mehr. Es gab am Anfang einen guten Auftritt mit
einem guten Anzug. Aber die Europapolitik wird jetzt
zur Chefsache der Sozialisten erklärt.

Wer die strukturellen Ursachen der Arbeitslosigkeit,
die nur national zu lösen sind, auf Europa überträgt, tut
Europa einen Tort an. Denn Sie werden dieses Problem
so nicht lösen können, auch wenn Sie auf Ihrem Partei-
tag fünfzehnmal von Koordinierung, von neuen Gremien
gesprochen haben. Sie schaffen damit neue Planstellen
in der Brüsseler Kommission, aber keinen konkreten
Arbeitsplatz in der Privatindustrie. Sie werden sehen:
Wer die Beschäftigungsunion, wer die Sozialunion
fordert, der erzwingt am Schluß einen europaweiten
Finanzausgleich und mißachtet den Stabilitätspakt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Im Gegenteil: Es war ein Segen, daß die alte Regierung
noch in der Lage war, den Euro in der Art abzusichern,
daß er mit einem Stabilitätspakt versehen wurde, so daß
auch national eine bestimmte Grenze der Neuverschul-
dung eingehalten werden muß. Dies gilt definitiv.

Zur Osterweiterung. Nach dem Euro ist die Erweite-
rung der Europäischen Union das entscheidende Projekt.
Dazu kann ich nur sagen: Wer aus der europäischen In-
tegrationsgeschichte nicht gelernt hat, daß es ohne
Druck und ohne ehrgeizige Zieldaten keinen Fortschritt
gibt, der wird auch bei der Osterweiterung scheitern.
Wer sprach denn im Hinblick auf die Währungsunion
von der kontrollierten Verschiebung? Was wäre denn
gewesen, wenn wir damals Herrn Stoiber und Herrn
Schröder gefolgt wären? Wir hätten den Euro nicht.
Damit hätte die Weltwirtschaft einen der wichtigsten
Stabilitätsbeiträge nicht erreicht. Der Euro ist schon
heute, bevor er eingeführt wurde, die stabilste Währung.
Er tritt in faire Konkurrenz mit dem Dollar, und er bietet
allen kleinen und mittleren Betrieben in Deutschland
und in Europa die Chance, ohne Auf- und Abwertung
die europäische Integration zu vollenden.

Wer die Osterweiterung zur Geisel unerledigter eige-
ner Reformen macht, der enttäuscht die Hoffnungen
vieler osteuropäischer Reformer.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wer das Parlament so mißachtet, wie das heute ge-
schieht, wer nicht einmal eine Zahl, wer nicht einmal ei-
nen bestimmten Weg im Rahmen der Struktur- und
Agrarreform angibt, der wird die Agenda 2000 nie und
nimmer abschließen und hat damit die Entschuldigung,
zu sagen: Es lag an anderen; es lag nicht an uns. Die

Dr. Peter Struck

832 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


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Osterweiterung muß warten. – Das ist gegenüber den
osteuropäischen Reformern ein Tort. Warum sprechen
denn die Polen vom Jahr 2002? – Weil sie innenpolitisch
unter Druck stehen, weil so mutige liberale Reformer
wie Herr Balcerowicz den innenpolitischen Druck nur
aushalten, wenn sie sagen können: Wir erledigen unsere
Strukturaufgaben, und wir haben dann die Chance, im
Jahre 2002 in die Europäische Union zu kommen. Das
ist der Zusammenhang; dem weichen Sie aus. Die Be-
griffe, die Herr Fischer neuerdings in seinen Reden ge-
braucht, wie „neuer Realismus“, sind nur Kodeworte. Es
muß darum gehen, diese wichtigste Reform in Europa,
die Osterweiterung, auch mit konkreten Daten zu bele-
gen.

Der Finanzminister war ja vor kurzem in Washington
und hat einen weiteren Versuch gestartet, als neuer,
zeitgenössischer Keynes die Welt von seinen Theorien
zu überzeugen. Dazu kann ich nur sagen: Wer bei einem
vergleichsweise kleinen Thema wie den 620-Mark-
Arbeitsverhältnissen ein solches Chaos anrichtet, der
sollte der Welt weitere Belehrungen über die Koordinie-
rung von Wechselkursen und die Weltökonomie wirk-
lich ersparen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sollten zunächst Ihr Haus in Deutschland bestellen.
Wenn Sie in Köln den G7/G8-Vorsitz übernehmen,
dann kann ich mir nur wünschen, daß vorher einige in-
nenpolitische Reformen in der Steuer-, Sozial- und Ar-
beitsmarktpolitik zumindest auf dem Weg sind. Wir als
führendes Land werden sonst eine sehr bescheidene
Bilanz auf dem Weltwirtschaftsgipfel vorweisen kön-
nen.

Wichtig ist, heute folgendes festzuhalten – dem dient
unser Antrag zusammen mit dem der CDU/CSU –:
Wenn bestimmte innenpolitische Reformen in den ost-
europäischen Ländern umgesetzt sind, wenn die Agenda
2000 nach unseren Vorstellungen auf den Weg gebracht
wird, dann müssen die osteuropäischen Reformländer
die Sicherheit bekommen, daß sie ab dem Jahr 2002
willkommene Mitglieder in der Europäischen Union
sind.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Beendigung dieser widernatürlichen Teilung Euro-
pas ist die größte Aufgabe,


(Bundesminister Joseph Fischer: Bis 2002!)

und das, Herr Fischer, erfordert Fingerspitzengefühl, das
erfordert Kompromißbereitschaft, und das erfordert eine
Einstellung, die es einem ermöglicht, innenpolitische
Interessen zurückzustellen und sich generell für Europa
zu erklären.

Die Bemerkung, Herr Bundeskanzler Schröder, „Ich
möchte Europäer sein; ich muß nicht Europäer sein“ ist
aus meiner Sicht verräterisch. Ändern Sie Ihre Grund-
haltung; ordnen Sie parteipolitische Erwägungen euro-
päischen Überlegungen unter, dann kann die deutsche
Präsidentschaft ein Erfolg werden. Wenn jedoch innen-

politische und parteipolitische Überlegungen siegen,
dann ist das nicht nur schlecht für Europa, sondern am
Ende auch für Deutschland.

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401402400
Als
nächster Redner hat das Wort der Bundesaußenminister,
Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401402500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Haussmann, wenn Sie meinen, daß das europäische An-
liegen besser durch solche Vorträge voran gebracht wer-
den kann, wie Sie ihn hier gehalten haben, und wenn Sie
dem Kollegen Struck vorwerfen, daß er eine ruhigere
Gangart gewählt hat, dann kann ich Ihnen nur folgendes
sagen; ich habe Ihnen da sehr sorgfältig zugehört.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das ist ja peinlich!)


– Herr Kollege Haussmann, in der Zeit, in der ich hier
im Plenum war,


(Lachen bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


habe ich Ihnen sehr sorgfältig zugehört.

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Ein bißchen billig!)

– Das ist überhaupt nicht billig.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Doch! Aber Sie sind nicht kollegial!)


Ich muß Ihnen sagen: Außer den üblichen Sprüchen,
außer innenpolitischem Kleingeld haben Sie hier nicht
einen perspektivischen Beitrag geliefert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich sage auch zum Kollegen Schäuble: Ich habe für
Ihre innenpolitischen Nöte wirklich Verständnis. Aber
daß in letzter Zeit mehr die Galle als die Intelligenz Ihre
Beiträge prägt,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


wird der europäischen Sache – das muß ich Ihnen ehr-
lich sagen –, vor allen Dingen in dieser schwierigen Si-
tuation, in der wir uns jetzt befinden, nicht gerecht wer-
den.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: In die Sie sich gebracht haben durch eigenes dummes Reden und Handeln!)


Die heutige Debatte unterscheidet sich von den De-
batten der vorangegangenen Jahre. Denn wir haben – bei

Dr. Helmut Haussmann

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 833


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(B) (D)


aller Kritik, die wir in Einzelfällen, im Detail angebracht
haben – immer das gemeinsame Werk Europa nicht nur
als eine Angelegenheit der Bundesregierung betrachtet,
sondern wir haben immer auch ein gemeinsames Inter-
esse vertreten und unsere Aufgabe als damalige Opposi-
tion darin gesehen, die Perspektive des europäischen
Einigungsprozesses mit in die Debatte einzubringen.
Ich muß Ihnen sagen: Außer den üblichen Bekenntnis-
sen haben Sie an Vorschlägen zur Lösung der Probleme,
vor denen wir jetzt gemeinsam stehen, nichts, aber auch
gar nichts beigetragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte Sie auf die Situation, die wir vorgefunden
haben, hinweisen. Ich stimme dem Kollegen Schäuble
und allen anderen ausdrücklich zu: Der europäische Ei-
nigungsprozeß ist die historische Aufgabe und Chance
für unseren von Kriegen permanent zerrissenen Konti-
nent, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein neu-
es – historisches – Kapitel des Friedens aufzuschlagen.
Es ist für unser Land von größtem Interesse, diesen Ei-
nigungsprozeß erfolgreich zum Ende zu bringen. Ich
hoffe daß wir uns darüber nicht streiten müssen, sondern
nur darüber, welcher Weg der beste ist, dieses Ziel zu
erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Situation – das muß ich der alten Regierungs-
koalition ins Stammbuch schreiben; denn sie macht
einen Teil der Schwierigkeiten aus – ist die folgende: In
den letzten zwei bis drei Jahren, im Grunde genommen
seit 1992, haben Sie in der Europapolitik eine ganze
Reihe Potemkinscher Dörfer aufgebaut, und zwar auf
Grund innenpolitischen Drucks.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Den Euro eingeführt!)


– Für die Einführung des Euro waren und sind wir nach-
drücklich. Da brauchen Sie mich weiß Gott nicht katho-
lisch zu machen. Dazu hatten wir hier im Haus eine
breite Zustimmung, Herr Haussmann. Das wissen Sie so
gut wie ich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der entscheidende Punkt aber ist ein anderer: Wir
stehen heute in den Gesprächen mit den Europäern im-
mer wieder vor der Situation, daß sie uns die bisherige
Haltung Deutschlands zur anstehenden Reform – die wir
jetzt anpacken müssen –, vor allen Dingen zur Agenda
2000 und zur Erweiterungsfähigkeit der Finanzverfas-
sung der EU – das ist es doch, was sich hinter dem
technokratischen Begriff Agenda 2000 verbirgt –, schil-
dern. Die Europäer sagen uns, Deutschland – damit ist
die Spätphase der Regierung Kohl gemeint – vertrat die
Position: schnelle Erweiterung, weniger Geld bezahlen
und gleichzeitig mehr Geld für die deutschen Bauern
bekommen. Wie soll das gehen?

Wir stehen jetzt vor der Einführung des Euro und der
beginnenden Erweiterung der EU – und ich bin froh, daß

die Erweiterung begonnen wurde und werde Ihnen
gleich etwas zur Terminfrage sagen. Die Inkraftsetzung
des Vertrags von Amsterdam wird – so hoffe ich – im
kommenden Frühjahr abschließend erfolgen – nach der
Ratifizierung durch die französische Nationalversamm-
lung. Das Finanzgebaren der Europäischen Kommission
ist ein weiteres Problem, und mögliche Weiterungen –
kurz vor der Europawahl – können den ganzen Prozeß
erheblich erschweren. In dieser Situation brauchen wir
dringend eine Perspektivdebatte, die ich mir für heute
erhofft hatte und die der Bundeskanzler versucht hatte,
anzustoßen.


(Zurufe von der F.D.P.)

– Nein, im Gegensatz zu Ihnen habe ich zugehört. Ich
möchte Ihnen jetzt die Position der Bundesregierung er-
läutern und Ihnen sagen, was wir zu tun gedenken.

In dieser Situation, in der sich die Probleme verdich-
ten, besteht ein substantieller Zusammenhang zwi-
schen der Reformfähigkeit der Union und ihrer Er-
weiterungsfähigkeit. So richtig oder so falsch es gewe-
sen sein mag, eine visionäre Zahl zu nennen: Sie ist
heute nicht mehr von Interesse. Daß das Jahr 2000 nicht
zu halten ist, ist allen klar.

Herr Haussmann, dessen einziger Beitrag darin be-
steht, zu sagen, nennen Sie Zahlen, nennen Sie Zahlen,
nennt eine Zahl, nämlich 2002, ohne sie begründen zu
können. Ich werfe Ihnen, Herr Haussmann, vor: Sie wis-
sen ganz genau, daß es zutiefst unseriös ist, den Polen,
den Ungarn und den Tschechen jetzt das Jahr 2002 als
Beitrittsdatum zu versprechen. Das ist reine Fiktion und
zutiefst unseriös.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Es besteht hier also ein substantieller Zusammen-
hang.


(Zuruf des Abg. Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.])


– Die Intelligenz Ihrer Zwischenrufe übertrifft noch die
Intelligenz Ihrer Reden. Tun Sie doch etwas!


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sie sind doch in der Regierung!)


– Sicher sind wir in der Regierung. Deswegen fahren
wir auch nach Wien und tun etwas – im Gegensatz zu
Ihnen –; das kann ich Ihnen versprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir müssen diesen Widerspruch zwischen Erweite-
rungsfähigkeit und Erweiterung in dem Zeitfenster, das
sich bietet, auflösen. Daraus ergibt sich die Notwendig-
keit, die Agenda 2000 zum Erfolg zu führen. Nur, da
kommt dann wieder der formidable Herr Schäuble, der
gallebitter versucht, die Probleme, die er im eigenen La-
den hat, durch Angriffe auf die Koalition zu übertün-
chen, und sagt kein Wort dazu. Ich wäre gerne einmal
Mäuschen gewesen bei der Diskussion in der
CDU/CSU-Fraktion, als der niemals unverantwortlich

Bundesminister Joseph Fischer

834 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



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redende bayerische „Kini“ Stoiber dort seinen Auftritt
hatte. Die „FAZ“ ist ja nun über jeden Verdacht erha-
ben, der jetzigen Regierungskoalition nahezustehen,
aber der Kommentar vom heutigen Tage ist es wert, ge-
lesen zu werden – nach dessen Schilderung der Diskus-
sion in Ihrer Fraktion verlangt wird, wir sollten bei der
Erweiterung ein möglichst enges Zeitlimit setzen. Und
Herr Stoiber greift uns an, weil der Bundeskanzler er-
klärt habe, wir wollten – wie es in Cardiff auf einem
Sondergipfel im März beschlossen wurde – die Agenda
2000 zum Abschluß bringen; dies sei unverantwortlich
und werde die deutschen Interessen schädigen – so Herr
Stoiber vor der CDU/CSU-Fraktion. Ich lese nicht, daß
Herr Schäuble ihm da widersprochen hat. Was Sie hier
betreiben, ist ein wirklich dubioses Doppelspiel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich könnte Ihnen das hier vorlesen. Aber das scheint
Herrn Schäuble nicht zu interessieren. Ich verstehe auch,
warum: Herr Stoiber sitzt ihm wirklich hart im Genick.
Er vertritt eine europapolitische Position, die mit dem
Vermächtnis von Dr. Kohl überhaupt nichts zu tun hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist es doch, was Sie in Wirklichkeit fürchten und
weshalb Sie jetzt in dieser Debatte sagen, wir schädigten
die deutschen Interessen; in 50 Jahren aufgebautes Ver-
trauen hätten wir in fünf Wochen verspielt. Das glauben
Sie doch selbst nicht, geschweige denn Ihre Anhänger,
geschweige denn die Mehrheit im deutschen Volke oder
gar unsere Bündnispartner.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will Ihnen sagen, was Sie fürchten. Sie fürchten, daß
Stoiber letztendlich den europapolitischen Riß im kon-
servativen Lager so vertiefen wird, daß Sie in dieselbe
Situation wie die französischen Gaullisten oder die briti-
schen Konservativen geraten. Das ist die eigentliche
Furcht, die Sie in der Zeit nach Kohl umtreibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Für mich besteht ein substantieller Zusammenhang
zwischen Strukturreform und Erweiterungsfähigkeit der
Union. Ich habe als Oppositionsabgeordneter hier 16
Jahre Regierungserklärungen gehört.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Viel zu lange!)

Da kann ich Ihnen nur sagen: Es waren Erklärungen, die
vor Konkretem nur so gestrotzt haben, wenn meine Er-
innerung mich nicht trügt. Es waren immer präziseste
Vorträge, die wir hier vom Bundeskanzler a. D. Dr.
Helmut Kohl gehört haben. Und dann kommt der Abge-
ordnete Haussmann und sagt: „konkreter“. So konkret
wie Sie kann ich nicht werden, weil ich nicht so unver-
antwortlich bin, daß ich fiktive Zahlen wie 2002 in den
Raum setze, Herr Haussmann. Eine konkrete Zahl wer-
den Sie von mir nicht bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben jetzt die Erweiterungsgespräche begon-
nen. Wenn wir die ersten Kapitel – die wir jetzt durch-
haben – um die ersten schwierigen Kapitel ergänzen
können, dann halte ich einen Termin für möglich. Aber
der zweite Termin muß dann „sitzen“, muß dann einge-
halten werden; das ist dann ein operativer Termin. Das
ist dann kein Termin mehr, der Visionen vermitteln soll,
sondern ein Termin, der den notwendigen Druck zum
Abschluß produzieren muß. Den Druck werden wir
brauchen; da sind wir uns einig. Aber diesen Termin
halte ich frühestens Ende nächsten Jahres oder gar erst
Ende 2000, nach Fortgang der Verhandlungen, für ver-
antwortbar. Dann sollte man ihn aber auch setzen, um
die Verhandlungen erfolgreich zum Abschluß zu brin-
gen. Das ist verantwortliche Politik, nicht das Herum-
fingern mit Terminen, die Sie im Grunde genommen
nicht begründen können und die nur falsche Hoffnungen
wecken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir werden vor der schwierigen Situation ste-
hen – das hat der Allgemeine Rat der Außenminister ge-
zeigt – –


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal etwas zu Saint Malo!)


– Dazu komme ich gleich noch. Ich habe jetzt zum Eu-
ropäischen Rat gesprochen; das stand dort auf der Ta-
gesordnung. Sie beschweren sich doch immer, wenn Sie
von anderen unterbrochen werden. Aber in letzter Zeit,
seit Sie in der Opposition sind, beschweren Sie sich
nicht mehr, sondern unterbrechen munter andere, Herr
Kollege Schäuble.


(Beifall bei der SPD)

Ich kann mich noch an diese weinerliche Tour erinnern.
Sie wollten hier eine Regierungserklärung zum Allge-
meinen Rat, und ich habe gerade zum Allgemeinen Rat
gesprochen. Ich habe versucht, Ihnen konkret zu erläu-
tern, wo wir die Probleme sehen und wie wir sie ange-
hen wollen. Aber das paßt Ihnen nicht. Deshalb kommen
Sie jetzt zu Saint Malo. – Ich komme noch zu Saint
Malo.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Ihr Nervenkostüm ist aber dünn! Der wird dünnhäutig, wenn er einsam ist!)


– Frau Rönsch, selbst wenn ich dünnhäutig wäre: Ihre
Zwischenrufe würden diese dünne Haut nicht durch-
dringen können.


(Lachen und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich gehe auf Saint Malo ein, wenn ich meinen Gedanken
zum Allgemeinen Rat zu Ende geführt habe.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist gar kein Gedanke! Man kann nicht etwas zu Ende führen, wo nichts ist!)


– „Das ist gar kein Gedanke!“ ist jetzt der zweite intelli-
gente Zwischenruf des Kollegen Schäuble. Wenn Sie
auf diesem Niveau diskutieren wollen, bitte!

Bundesminister Joseph Fischer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 835


(A) (C)



(B) (D)


Lassen Sie mich nur noch folgendes zu diesem Punkt
sagen: Der Allgemeine Rat der Außenminister hat ge-
zeigt, wie schwierig es sein wird, einen Kompromiß zu
finden. Es wird enorm schwierig werden, einen Kom-
promiß zu finden, weil vor allen Dingen die Südländer
ihren Besitzstand mit Zähnen und Klauen verteidigen.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das ist nichts Neues!)


– Das ist nichts Neues, aber wir sind jetzt in der Situati-
on, daß wir zum Abschluß kommen müssen. Das ist der
entscheidende Punkt. Wenn wir an diesem Punkt sehr
gut sind, dann werden wir eine Reform der Finanzver-
fassung hinbekommen, deren Zielperspektive es ist, die
Konstanz realer Ausgaben im Haushalt zu vereinbaren,
was sehr schwierig, aber notwendig sein wird, wenn sich
diese nicht ad infinitum nach oben bewegen sollen.

Wir werden in der gemeinsamen Agrarpolitik – bei
Wahrung der Interessen der deutschen Landwirtschaft;
aber es nützt nichts, den deutschen Bauern große Ver-
sprechungen zu machen – zu Kompromissen gezwungen
sein. Dabei ist nicht nur der Gesichtspunkt der Senkung
des Nettobeitrags Deutschlands von entscheidender
Wichtigkeit, vor allen Dingen ist es unverzichtbar für
die Begrenzung des Anstiegs der Agrarausgaben, nach
Vollzug der Erweiterung die Frage der Kofinanzierung
anzugehen. Ich sage diesem Hause aber auch klipp und
klar: Frankreich verhält sich an diesem Punkt sehr strikt
ablehnend. Auch das macht die Schwierigkeit eines
Kompromisses aus.

Ich bedauere sehr, daß wir im Hinblick auf den Euro-
päischen Rat in Wien nicht schon weiter sind, daß es
nicht schon jetzt eine Vorstrukturierung gibt und wir uns
auf die wesentlichen Konfliktpunkte konzentrieren kön-
nen. Wir befinden uns in einem Stadium, das es der
deutschen Präsidentschaft erheblich erschweren wird, in
dieser sehr kurzen zur Verfügung stehenden Zeit voran-
zukommen. Aber dennoch ist dies, so denke ich, aller
Mühe wert.

Wir als Bundesregierung werden nicht müde, unseren
Partnern das eine zu sagen: Die Finanzspielräume, die es
in der Vergangenheit gab – ich kritisiere das nicht –, gibt
es heute, bei der deutschen Präsidentschaft im nächsten
halben Jahr, nicht mehr. Deshalb wird es zwar wichtig
sein, einen Erfolg zu erzielen – wir wissen uns diesem
Erfolg verpflichtet und werden alle Kräfte dafür einset-
zen –, aber es kann, Herr Kollege Haussmann, keinen
Kompromiß um jeden Preis mehr geben,


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das hat keine Regierung gemacht!)


weil wir nicht jeden Preis zu zahlen bereit sind. Wir
werden nicht 10 Milliarden ECU zusätzlich auf den
Tisch legen können, nur um einen Kompromiß bei der
Agenda 2000 hinzubekommen. Das muß allen Beteilig-
ten klar sein.

Wir stehen jetzt vor der Situation, daß ein jeder etwas
abgeben muß. Das wird die große Schwierigkeit sein;
denn das war in der Europäischen Union bisher noch
nicht der Fall. In der Regel wurden die Kompromisse im

Wege der Zusatzfinanzierung erwirtschaftet. Das ist
diesmal nicht mehr drin.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die europäische Si-
cherheits- und Verteidigungsinitiative – eine Debatte,
die ebenfalls an Dynamik gewonnen hat, vor allem
durch die Rede von Premierminister Blair in Pörtschach
und die Initiative von Präsident Chirac Ende August.

In diesem Zusammenhang: Die Haltung des Kollegen
Schäuble in diesem Punkt – zu meinen, Saint Malo sei
eine antideutsche Veranstaltung mit ausgrenzendem
Charakter gewesen, das wäre der Vorgänger-
Bundesregierung nicht passiert – finde ich wirklich
merkwürdig. Dazu kann ich Ihnen, Kollege Schäuble,
nur sagen: Hätten Sie sich einmal genauer mit den Do-
kumenten des deutsch-französischen Gipfels beschäf-
tigt! Hätten Sie einmal nachgefragt – das wäre eine
sinnvolle Nachfrage an den Bundeskanzler gewesen –,
was dort über die Identität und die Entwicklung der ge-
meinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidi-
gungsinitiative beredet worden ist! Hätten Sie einmal
nachgefragt, was diesbezüglich im gemeinsamen
deutsch-französischen Verteidigungsrat besprochen
worden ist! Hätten Sie einmal nachgefragt, welche Ver-
einbarung der Bundeskanzler, der Staatspräsident und
der Premierminister in dem Gespräch getroffen haben
und wie die Zukunft nach Saint Malo aussieht! Dann
hätten Sie sich diesen Beitrag schenken können; denn an
Ihrer Vermutung ist nun wirklich nichts dran. Im Ge-
genteil: Wir finden es hervorragend, daß auch und gera-
de Großbritannien und Frankreich diese Dynamik hin-
einbringen. Wir finden es deswegen hervorragend, weil
bisher vor allen Dingen der Widerspruch zwischen der
britischen und der französischen Position eine Dynamik
in diesem Bereich verhindert hat. Deswegen haben wir –
ohne daß wir uns da ausgegrenzt oder zurückgesetzt
fühlten – die Blair-Rede von Pörtschach als eine wichti-
ge Initiative begrüßt, die wir aufnehmen wollen.

Der Allgemeine Rat hat gezeigt, daß auch die übrigen
Europäer diese Initiative begrüßen und aufnehmen.
Auch die Debatte im NATO-Rat hat gezeigt – und der
NATO-Gipfel in Washington wird es ebenfalls zeigen –,
wie wichtig es ist, daß die europäische Säule gestärkt
wird. Dies ist aber vor allen Dingen an den Ausgleich
der Widersprüche zwischen Frankreich und Großbritan-
nien gebunden, die es in der Vergangenheit in dieser
Frage gegeben hat.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401402600
Herr Fi-
scher, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schäuble?


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401402700

Ja. – Herr Kollege Schäuble.


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1401402800
Herr Bun-
desminister Fischer, wollen Sie im Ernst bestreiten, daß
die meisten Beobachter in Europa und im atlantischen
Bereich die Tatsache, daß sich die britische und die
französische Regierung über Sicherheitspolitik und Au-
ßenpolitik in der Europäischen Union erstmals ohne die

Bundesminister Joseph Fischer

836 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Deutschen unterhalten haben, auch als eine Reaktion auf
die Alleingänge innerhalb des Atlantischen Bündnis-
ses verstehen, die insbesondere Sie verantwortungslos
unternommen haben?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.])



Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401402900

Fast würde ich mich geehrt fühlen, wenn Sie jetzt sagen
würden: Herr Fischer ist die Ursache für die Erklärung
von Saint-Malo gewesen. Da müßte die Dialektik schon
fast sagen: Da ist wirklich etwas Gutes entstanden.

Ich finde diese Erklärung von Saint-Malo und die In-
itiative von Frankreich und Großbritannien – ich wie-
derhole das – unter europapolitischen Gesichtspunkten
gut, weil ich die europäische Einigung will. Ich möchte,
daß am Ende dieses Prozesses – wie lange er auch dau-
ern wird – ein Völkerrechtssubjekt, ein politisch hand-
lungsfähiges Subjekt steht: die Europäische Union. Das
ist mein Ziel. Das ist die Vision, die viele in diesem
Hause teilen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das bedeutet für mich die Überwindung der Widersprü-
che von Großbritannien und Frankreich in der Sicher-
heits- und Außenpolitik. Ich wollte, die wären da schon
weiter, als das Kommuniqué insinuiert.

Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Kollege Schäuble: Ich
habe da eine völlig andere Auffassung als Sie, weil ich
die enge Konsultation zwischen dem Bundeskanzler und
dem französischen Staatspräsidenten, zwischen dem
Premierminister Großbritanniens und dem Premiermini-
ster Frankreichs teilweise direkt mitbekommen habe,
teilweise aus den Unterlagen kenne. Da gibt es kein
konsultatives Defizit.

Ich kann hier für die Bundesregierung sagen, daß wir
diesen Prozeß nachdrücklich unterstützen und uns über
das Kommuniqué von Saint-Malo freuen; denn es be-
deutet einen wichtigen Schritt für die Entwicklung der
europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität,
einer weiteren Säule des europäischen Einigungsprozes-
ses.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, wir werden mit der Agen-
da 2000 einen sehr schweren Brocken zu stemmen ha-
ben. Wir müssen diesen Prozeß erfolgreich zum Ab-
schluß bringen. Ich würde mich freuen, wenn wir da die
Unterstützung des ganzen Hauses hätten; denn es wird
sehr schwierig werden. Der Erweiterungsprozeß hängt
vom Erfolg des Fortgangs der Strukturreform der EU ab;
das ist ganz offensichtlich. Allein an den Kosten der
gemeinsamen Agrarmarktpolitik wird man feststellen
können: Ein Beitritt Polens und Ungarns unter Beihal-
tung der heutigen Struktur würde jeden Kostenrahmen
sprengen. Das geht gar nicht. Wir müssen demnach vor-
her eine entsprechende Reform machen: Das ist die
Agenda 2000.

Wir brauchen weitere strukturelle Reformen, weil der
französische Einwand völlig zu Recht besteht: Eine EU,
die fünf zusätzliche Mitglieder hat, wird, was die struk-
turellen Reformen der Kommission und anderer Berei-
che betrifft, eher noch reformunfähiger sein, als sie es
schon in der heutigen Zusammensetzung ist. Auch das
ist ein Aspekt, den man nicht vergessen darf. Wir müs-
sen demnach entschlossen das Zeitfenster nutzen.

Ich kann unseren Partnern in Mittel- und Osteuropa
aber sagen: Die Bundesregierung bleibt Anwalt der In-
teressen der Beitrittsländer. Die EU ist für uns kein
westeuropäisches Projekt, sondern muß nach dem Ende
des kalten Krieges ein gesamteuropäisches Projekt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Insofern ist die Einführung des Euro zum 1. Januar ein
historischer Schritt. Die Erweiterung der EU wird der
zweite historische Schritt auf dem Weg zu einem verei-
nigten Europa werden. Die Bundesregierung hofft hier-
bei auf die Unterstützung des ganzen Hauses.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401403000
Als
nächster Redner hat der Fraktionsvorsitzende der PDS-
Fraktion, Gregor Gysi, das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401403100
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Die deutsche Ratspräsidentschaft fällt
in eine Zeit wichtiger europapolitischer Entscheidungen.
Es geht nicht darum, daß irgendwann in der Zukunft
Weichen für eine Strukturveränderung gestellt werden
müssen, sondern das wird in den nächsten drei Monaten
ganz aktuell zur Debatte stehen.

Vor fast genau neun Monaten hat der Deutsche Bun-
destag an dieser Stelle über den Amsterdamer Vertrag
beraten, einen Vertrag, den die PDS aus guten Gründen
abgelehnt hat. Wir waren mit der Ablehnung hier ziem-
lich isoliert. Damals haben wir gesagt, daß der PDS die
europäische Idee viel zu wichtig ist, um sie einem bor-
nierten Zeitgeist zu opfern, der bereit ist, die soziale, zi-
vile und humanitäre Dimension europäischer Politik
aufzugeben.

Es ist doch eine Tatsache: Seitdem die Europäische
Union existiert, seit Inkrafttreten des Maastrichter Ver-
trages, gehörte die Bundesrepublik Deutschland unter
Ihrer Verantwortung, Herr Altbundeskanzler Dr. Kohl,
zu den Vorreitern einer neoliberalen Europakonzeption,
deren Grundzüge ganz einfach zu beschreiben sind: Das
Kapital erhält grenzenlose Freiheiten, während die ar-
beitsmarktpolitische und soziale Verantwortung auf na-
tionaler Ebene verbleibt. Dort sind aber die Handlungs-
spielräume durch Konvergenzkriterien und Stabili-
tätspakt so weit eingeschränkt, daß der Deregulierungs-
druck nahezu ungebremst auf die schwächsten Mitglie-
der der Gesellschaft durchschlägt,


(Beifall bei der PDS)


Dr. Wolfgang Schäuble

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 837


(A) (C)



(B) (D)


das heißt auf Arbeitslose, auf Schlechtverdienende, auf
Alleinerziehende, auf kinderreiche Familien oder auf
Flüchtlinge. Das ist eine Tatsache.

Deshalb gibt es in der Bevölkerung zunehmend Vor-
behalte gegenüber Europa. Das Entscheidende ist doch,
wie die Menschen Europa erfahren und erleben. Daran
müssen wir etwas verändern, wenn wir eine wirkliche
europäische Integration in Gang setzen wollen.


(Beifall bei der PDS)

Wann immer es Anstöße von außen gab – Herr Dr. Kohl
kann sich daran mit Sicherheit noch erinnern –, Europa
sozialer und gerechter zu gestalten, konnte man sicher
sein: Sie, Herr Kohl, treten auf die Bremse; Sie werden
das verhindern. Sie waren es doch, der zusammen mit
der gesamten Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. jede
Arbeitsmarktpolitik auf europäischer Ebene abgelehnt
hat. Sie wollten, daß dort nur ein Finanzgebilde, ein Bü-
rokratiegebilde entsteht, das von den Menschen nicht
akzeptiert werden kann.

Wer will, daß Europa von den Menschen positiv er-
fahren wird, der muß dafür sorgen, daß diese Europäi-
sche Union demokratischer wird, daß sie sozialer wird,
daß sie arbeitsmarktpolitische Dinge regelt und daß sie
in der Lage ist, soziale, ökologische und andere Stan-
dards durchzusetzen. Genau das war unsere Kritik am
Euro.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben gesagt – und ich bleibe dabei –: Es mag sein,
daß der Euro stabil wird; das ist heute auch von Herrn
Haussmann wieder betont worden. Aber ist denn Geld
nur des Geldes wegen da? Geht es denn nur um die Sta-
bilität des Geldes? Geht es nicht auch um die Frage, was
aus dem Geld wird, was damit sozial, ökologisch und
auf anderen Gebieten, kulturell etc., erreicht wird?

Wir haben gesagt: Wer eine Einheitswährung will,
muß vorher die Europäische Union demokratisieren,
muß das Europäische Parlament stärken und muß über-
dies dafür sorgen, daß in Europa soziale, arbeitsmarkt-
politische und ökologische Mindeststandards gelten und
daß wir eine Steuerharmonisierung bekommen. Dann
kann man auch eine gemeinsame Währung einführen.

Alles andere bedeutet – das wird sich erst in den
nächsten Jahren zeigen –, daß über die Währung die
Angleichung erzwungen wird, aber dann auf möglichst
niedrigem Niveau. Das wird zu sozialen Auseinander-
setzungen führen, und das wird leider auch den Rechts-
extremismus stärken. Das war immer unsere Sorge.
Deshalb haben wir immer gesagt: Euro – so nicht! Erst
die Voraussetzungen schaffen, die bis heute nicht gege-
ben sind!


(Beifall bei der PDS)

Damit übernimmt diese Regierung natürlich eine

komplizierte Verantwortung; das will ich überhaupt
nicht bestreiten. Denn jetzt müssen diese Prozesse prak-
tisch im nachhinein geregelt werden, die eigentlich vor-
her hätten geregelt werden müssen, bevor man eine Ein-
heitswährung einführt. Im nachhinein ist das natürlich

immer schwieriger, als wenn man das als Voraussetzung
verstanden hätte, wie es unser Anliegen war.

Wir begrüßen, daß die neue Bundesregierung eine
aktive europäische Beschäftigungspolitik vorantreiben
will. Das ist ein Schritt, den die christlich-liberale Vor-
gängerregierung scheute wie der Teufel das Weihwas-
ser. Doch bei aller Freude scheinen mir die Aussagen in
der Koalitionsvereinbarung darüber sehr allgemein und
wenig nachvollziehbar zu sein. Sie schreiben dort, daß
Sie „mehr Beschäftigung im makroökonomischen Kon-
text der Lohn-, Geld- und Fiskalpolitik erreichen wol-
len“. Abgesehen davon, daß das schon einer dreifachen
Übersetzung bedarf, bevor irgend jemand versteht, was
damit gemeint sein kann, sage ich Ihnen: Allein die Ko-
ordinierung nationaler Aktionspläne fortzuentwickeln
wird nicht genügen, um auf dem europäischen Kontinent
das Problem der Arbeitslosigkeit ernsthaft anzugehen.


(Beifall bei der PDS)

Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir durch

Arbeitszeitverkürzung, durch eine aktive Beschäfti-
gungspolitik und durch eine Förderung sozialer und
kultureller Dienstleistungen im Non-profit-Bereich so-
wie durch Qualifizierung und Weiterbildung vor allem
für Jugendliche und Frauen das Problem Arbeit europa-
weit entschieden angehen können.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401403200
Wäre es nicht an der
Zeit, daß wir den Gedanken, Staaten, die die Konver-
genzkriterien verletzen, als Sünder zu benennen und sie
dafür sogar zu bestrafen, weil uns das Geld so wichtig
ist, erweitern? Wäre es nicht an der Zeit, auch eine
Grenze für die Arbeitslosigkeit festzulegen? Staaten, die
diese Grenze überschreiten, sind genauso schlimme
Sünder wie die Staaten, die im Rahmen ihrer Geldpolitik
nicht ordentlich wirtschaften. Wenn das geschieht, dann
bekäme Europa endlich auch einen arbeitsmarktpoliti-
schen und sozialen Anstrich. Das wäre meines Erachtens
auch an der Zeit.


(Beifall bei der PDS)

Ich hoffe auch, Herr Bundeskanzler, daß Sie sich

endlich dafür einsetzen, daß die Trennung von Arbeits-
markt- und Beschäftigungspolitik einerseits und von
Wirtschafts-, Regional- und Strukturpolitik andererseits
aufgegeben wird. Diese Trennung ist schon national
falsch. Europaweit ist sie auf jeden Fall falsch und
bringt uns in der Frage nicht weiter.

Es kann nach unserer Auffassung auch nicht dabei
bleiben, daß die Europäische Zentralbank einzig der
Preisstabilität verpflichtet bleibt. Auch die Europäische
Zentralbank muß Politik im Interesse von mehr Be-
schäftigung und von sozialer Sicherheit machen. Dazu
gehören mehr Kriterien als das Kriterium der Preisstabi-
lität. Auch deshalb brauchen wir ein weiteres Gremium,
in dem zum Beispiel neben den Vertretern des Rates der
Europäischen Zentralbank auch Parlamentarier des Eu-
ropäischen Parlaments, Vertreter der europäischen Ge-
werkschaften, Arbeitgeber und die jeweiligen Wirt-
schafts-, Finanz-, Arbeits- und Sozialminister Sitz und
Stimme haben, um eine – wie das so schön heißt –

Dr. Gregor Gysi

838 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


makroökonomische Politik auch mit Hilfe der Finanz-
politik zu machen.

Herr Bundeskanzler, Sie haben sehr lange – das
scheint Ihnen ein Herzensanliegen zu sein; ich sage Ih-
nen ganz offen: Die Passage in Ihrer Rede war mir zu
lang – über die Belastungen Deutschlands durch Netto-
zahlungen nach Europa gesprochen. Wer so lange über
dieses Thema spricht, der bestätigt damit existierende
Vorbehalte und schürt sie zum Teil noch. Das ist nicht
ungefährlich. Wir haben nicht das Recht – das sage ich
zu diesem Bundeskanzler –, sozusagen auf Mitleidstour
zu gehen, um damit den Eindruck zu erwecken, die ar-
men Deutschen würden ganz Europa finanzieren. Das ist
eine Art Stammtischlogik, die leider weit verbreitet ist.


(Zuruf von der SPD: Das hat doch keiner gesagt!)


– Moment! Wenn Sie das bestreiten, dann lese ich Ihnen
das vor, was der Herr Bundeskanzler wörtlich in seiner
Rede auf dem SPD-Parteitag dazu gesagt hat:

Meine noch sehr kurze, aber schon sehr nachhaltige
Erfahrung ist

– so wörtlich Bundeskanzler Schröder –,
daß man sich in Europa bei vielen, nicht allen, der
Partner darauf verlassen hat, wenn es eine Krise in
der Politik gibt, wenn es unterschiedliche Erwar-
tungen an die Ressourcen gibt, gibt es immer einen
Weg: Die Krise wird gelöst, wenn die Deutschen
dies finanzieren.

(Zuruf von der SPD: Das war kurz und präzi se!)

Ich sage Ihnen: Das ist eine Tonlage, die nicht unge-
fährlich ist, weil sie viele Vorbehalte bestätigt nach dem
Motto: die armen Deutschen würden ganz Europa finan-
zieren.


(Beifall bei der PDS)

Damit erreicht man keine europäische Integration; denn
sie ist auch eine Frage der Sprache und der Kultur.


(Zurufe von der SPD)

– Sie in der SPD-Bundestagsfraktion müssen doch auch
ein bißchen Kritik aushalten können. Wenn nicht, dann
trage ich noch ein Zitat von Ihrem Bundeskanzler vor.
Dann wird es noch schlimmer. Er hat gesagt:

... mehr als die Hälfte der Beiträge, die in Europa
verbraten werden, zahlen die Deutschen.

Schon die Vokabel „verbraten“ ist – tut mir leid –
Stammtischniveau. Deshalb meine Bitte, Herr Bundes-
kanzler Schröder: Hören Sie damit auf, in dieser Frage
herumzustoibern. Das ist der falsche Weg. So erreicht
man keine europäische Kultur und keine europäische
Integration.


(Beifall bei der PDS)

Das Wichtigste, um die Nettobelastung für Deutsch-

land herunterzufahren, ist die Bekämpfung der Arbeits-
losigkeit. Das Teuerste in ganz Europa ist die Arbeitslo-

sigkeit. Wenn es uns gelingt, eine vernünftige europäi-
sche Beschäftigungspolitik zu machen, dann wird es
auch gelingen, die Kosten der Arbeitslosigkeit deutlich
herunterzufahren und damit auch die Belastung der
Bundesrepublik Deutschland zu reduzieren.

Ich stimme Ihnen zu, daß man darum ringen sollte,
die Lasten in Europa gerechter zu verteilen. Ich finde
nur, man sollte es nicht so überdimensional betonen,
weil es dann einen nationalistischen Touch bekommt,
den wir nicht gebrauchen können. Eine gerechtere Ver-
teilung der Lasten erreichen Sie viel leichter, wenn Sie
sie mit leisen Tönen fordern, als wenn Sie sie mit lauten
Tönen fordern.

Noch ein letzter Gedanke in diesem Zusammenhang.
Wer die Nettobelastung herunterfahren will, muß aller-
dings auch die Bürokratie in Europa überwinden. Da ist
inzwischen ein Filz entstanden, der zu Recht von den
Menschen nicht mehr akzeptiert wird, und zwar in kei-
nem europäischen Land. Hier bitte ich Sie, mit der Faust
auf den Tisch zu hauen und zu sagen: Wir brauchen ein-
deutige Reformen, die sehr viel Geld sparen. Hinzu
kommt, daß dadurch auch die Akzeptanz der europäi-
schen Institutionen wieder erhöht werden würde. Die
Leute verstehen nicht mehr, was in Europa entschieden
wird, was sich aber unmittelbar auf ihr Leben auswirkt.
Nur, wie gesagt, im stoiberschen Stil können wir diese
Diskussion nicht führen. Das ist ein falscher Ansatz.
Machen Sie den Menschen Mut für Europa! Aber kämp-
fen Sie darum, daß die Angleichungsprozesse bei Steu-
ern, bei sozialen, ökologischen und kulturellen Stan-
dards jetzt durchgesetzt werden, sonst kann der Euro
zwar stabil sein, aber politisch, moralisch, sozial, ökolo-
gisch zu einem Fiasko werden. Wer das nicht will, muß
jetzt die Angleichungsprozesse in sozialer, ökologischer
und kultureller Hinsicht in Europa voranbringen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401403300
Als
nächster Redner hat der Kollege Norbert Wieczorek von
der SPD-Fraktion das Wort.


Dr. Norbert Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1401403400
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich habe schon viele Euro-
padebatten mitgemacht. Deswegen möchte ich versu-
chen, daß wir wieder zu der üblichen Gemeinsamkeit
kommen. Das fällt mir ein bißchen schwer, nachdem ich
Herrn Schäuble zuhören mußte. Ich hatte den Eindruck,
daß er einen Kampf ausgefochten hat, der sehr viel mit
dem inneren Verhältnis der beiden Fraktionsteile der
CDU/CSU-Fraktion zu tun hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich hoffe, daß das bald bereinigt wird und daß wir wie-
der zu einer gemeinsamen Basis zurückkommen können.

Welches sind die Erwartungen und die Herausforde-
rungen an die deutsche EU-Präsidentschaft? Sie sind
sehr hoch. Deswegen halte ich es für wichtig, daß die
Chance beim Wiener Gipfel ab morgen genutzt wird.
Dabei geht es vor allen Dingen um die politische Vor-

Dr. Gregor Gysi

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 839


(A) (C)



(B) (D)


klärung der Agenda 2000. Ich füge hinzu: Ich wünschte
mir, es sei schon etwas präziser, als es sich beim
Außenministerrat gezeigt hat. – Herr Kinkel, Sie werden
vermutlich zustimmen; Sie lächeln an dieser Stelle.

Ich bin sehr froh, daß wir in Wien, obwohl der Am-
sterdamer Vertrag noch nicht ratifiziert und in Kraft ist,
über Beschäftigungspolitik reden. Ich halte das für sehr
positiv. Ich halte es ferner für positiv, daß dort auch über
das Subsidiaritätsprotokoll, das ebenfalls Teil des Ver-
trages ist, und über ökologische Dimensionen diskutiert
werden kann. Ich möchte aber darauf verweisen, daß es
noch andere Themen gibt, die heute weniger zur Sprache
gekommen sind, wie etwa die Stärkung der inneren Si-
cherheit und des Rechts, eine rechtsstaatliche Strategie
der Gemeinschaft zur effektiven Bekämpfung der inter-
national organisierten Kriminalität und entschiedene
Fortschritte zur Lösung der Asyl-, Einwanderungs- und
Flüchtlingsprobleme, ebenso wie die Stärkung der Ge-
meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie die
Zielsetzung einer gemeinsamen europäischen Verteidi-
gungsidentität. Dies alles sind Dinge, die notwendig
sind. Ich hoffe, daß der Gipfel von Wien diesen Prozeß
weiterbringt. Es ist ein andauernder Prozeß und nicht
etwas, über das abgestimmt und ein Beschluß gefaßt
wird. Es wäre deshalb auch wünschenswert, daß ein per-
sonelles Zeichen gesetzt wird, daß von der Mrs. oder
Mister GASP, wie es in unserer europäischen Sprache
heißt, also dem hohen Vertreter oder der Vertreterin der
Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheits-
politik, eine Entscheidung getroffen wird.

Schließlich kommt es sehr darauf an, daß im zentra-
len Punkt, nämlich in dem der Beschäftigungspolitik, die
nationale Umsetzung der vereinbarten beschäftigungs-
politischen Leitlinien im Anschluß an die Diskussion in
Wien tatsächlich vorangetrieben wird, und daß wir im
April eine neue Überprüfung machen können.

Nun zur deutschen Präsidentschaft. Sie fällt zusam-
men mit dem offiziellen Beginn der Europäischen Wirt-
schafts- und Währungsunion. Ich sage „mit dem offizi-
ellen Beginn“, denn faktisch hat sich bei der letzten eu-
ropaweiten Zinssenkung gezeigt, daß durch die Zusam-
menarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und
den nationalen Zentralbanken die Währungsunion prak-
tisch schon in Gang gesetzt ist. Ich halte dies für erfreu-
lich.


(Beifall bei der SPD)

Aber mit der endgültigen Einführung des Euro werden
die ökonomischen Rahmenbedingungen schärfer und
anders werden. Das ist ja nicht übertrieben: Der Euro
bringt eine neue Qualität des Verhältnisses der Teilneh-
merstaaten an der Europäischen Währungs- und Wirt-
schaftsunion untereinander mit sich.

Eine entscheidende Folge wird ein steigender Wett-
bewerbsdruck im Binnenmarkt sein. Deswegen ist es
auch so wichtig, daß die Beschäftigungspolitik schon
vorgezogen wird, obwohl der Amsterdamer Vertrag
noch nicht gilt. Die Mitgliedstaaten müssen ihre Koor-
dinierungsrolle aktiv nutzen, um ihre wirtschafts-, fi-
nanz- und beschäftigungspolitische Zusammenarbeit

deutlich zu verstärken. Das war auch Ziel des Stabili-
täts- und Wachstumspaktes.

Es waren übrigens sozialdemokratische Finanzmi-
nister, die Herrn Waigel mit dazu gebracht haben, daß er
am Ende zustimmen mußte, daß zum Stabilitäts- und
Wachstumspakt die laufende Berichterstattung über die
realwirtschaftliche Entwicklung einschließlich der Be-
schäftigung gehört. Das ist in der öffentlichen Diskussi-
on häufig übersehen worden.

Es geht auch darum, daß es entscheidende Maßnah-
men gegen unfairen Wettbewerb, sei es bei den Steuern,
der Umwelt oder den Sozialabgaben, gibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für mich ist auch wichtig, daß es eine soziale Flankie-
rung der Wirtschafts- und Währungsunion gibt, denn
sonst hat der Euro auf Dauer keine Chance.

Mit dem Regierungswechsel in Deutschland können
nun endlich die Möglichkeiten des Amsterdamer Ver-
trages zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in
der Europäischen Union in vollem Umfang genutzt wer-
den. Es waren ja deutsche und europäischen Sozialde-
mokraten, die damals gegen den Widerstand der Herren
Kohl, Rexrodt und Waigel durchgesetzt haben, daß die-
ses Kapitel mit in den Amsterdamer Vertrag kam.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: So war es nicht, das weißt du doch!)


– Aber natürlich war das so, Herr Kollege Haussmann.
Ihr habt bei früheren Debatten dieser Art doch immer
dagegen gestimmt. Warum wollt ihr das nicht wahrha-
ben?

Ein Popanz ist allerdings aufgebaut worden. Es ging
um große, kreditfinanzierte europäische Programme.
Das hatte niemand gefordert, das war nur erfunden wor-
den. Das war doch die Situation, Herr Kollege Hauss-
mann.

Wir erwarten also, daß der Europäische Rat in Wien
den Beschäftigungspakt verabschiedet, in den diese Lei-
stungen eingehen, aber im Sinne von überprüfbaren und
verbindlichen Zielvorgaben, insbesondere bei der Be-
kämpfung der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit
und der Verstärkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
Ich glaube, daß das Programm für 100 000 Jugendliche,
das die Bundesregierung gerade beschlossen hat, hier
sehr gut hineinpaßt und damit auch ein Maßstab ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es muß dabei auch einen echten Wettbewerb unter
den Mitgliedstaaten um die besseren Konzepte zur Be-
kämpfung der Arbeitslosigkeit geben. Dem Druck der
Klassenbesten sollten wir uns in der Bundesrepublik
ganz gezielt aussetzen. Für mich sind die Niederlande da
durchaus ein Vorbild. Ich glaube, daß wir mit dem
Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähig-
keit, das ja gerade vor zwei Tagen – offensichtlich posi-
tiv – in Gang gesetzt wurde, auf einem guten Wege sind,
um die Versäumnisse der Vergangenheit – ich erinnere

Dr. Norbert Wieczorek

840 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


an die Aufkündigung eines Versuchs zu einem Bündnis
für Arbeit im Jahr 1996 – wettzumachen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401403500
Herr
Kollege Wieczorek, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dr. Seifert von der PDS-Fraktion?


Dr. Norbert Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1401403600
Ja, bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401403700
Bitte
schön.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1401403800
Vielen Dank, daß Sie meine
Zwischenfrage erlauben. – Herr Kollege Wieczorek, ich
freue mich ja, daß Sie sich, wie auch der Bundeskanzler
und andere, für Beschäftigung in Europa einsetzen wol-
len. Aber bei allen hat mir bis jetzt der Bezug auf den
Art. 13 des Amsterdamer Vertrages gefehlt. Sie haben
nicht gesagt, daß Sie sich für die Schwächsten einsetzen
wollen, zum Beispiel für Menschen mit Behinderungen.
Wir hatten heute vormittag eine Debatte über Menschen-
rechte. Wenn Sie in der praktischen Politik Menschen-
rechte umsetzen wollen – wir haben gesagt, das muß je-
den Tag gemacht werden –, dann, bitte, sagen Sie doch
ein Wort dazu, ob Sie sich auch für die besondere Förde-
rung von Menschen mit Behinderungen einsetzen wol-
len, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, zum Beispiel
beim Wohnen, zum Beispiel bei öffentlichen Verkehrs-
mitteln usw. Es ist sehr wichtig, daß auch da ein Signal
von der deutschen Präsidentschaft ausgeht.


Dr. Norbert Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1401403900
Ich kann Ihnen dazu
nur sagen, daß ich da keine Differenzierung mache.
Wenn wir etwas zugunsten von Langzeitarbeitslosen
machen wollen – es geht ja gerade um diesen Bereich,
und da liegt ja die Priorität –, dann umfaßt das alle. Daß
wir natürlich eine besondere Behandlung von Behin-
derten brauchen, mit anderen Hilfen und anderen Mög-
lichkeiten, um sie, soweit es geht und soweit sie dazu in
der Lage sind, in den Arbeitsprozeß einzugliedern, ist
für mich eine Selbstverständlichkeit.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Es muß aber besonders erwähnt werden! Ich danke Ihnen für diesen Hinweis!)


– Man kann nicht auf jede einzelne Gruppe eingehen.
Ich bitte dafür um Verständnis. Ich will das gar nicht ge-
ringschätzen.

Zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien gehört
auch, daß wir zu Absprachen über die wirschafts- und
finanzpolitischen Rahmenbedingungen der Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit kommen. Ich weise ausdrücklich
darauf hin, daß Herr Mario Monti, der für Steuern zu-
ständige Kommissar für die Kommission immer wieder
ganz deutlich sagt, daß es notwendig sei, den Faktor Ar-
beit von Abgaben zu entlasten und andere Faktoren, et-
wa den Faktor Energie sowie ähnliche Faktoren, stärker
zu belasten. Daß dann die Bundesregierung kritisiert

wird, wenn sie mit der Ökosteuerreform endlich anfängt,
verstehe ich angesichts des europäischen Selbstver-
ständnisses, das sonst im Hause herrschte, ehrlich gesagt
nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun ein Wort zur Osterweiterung. Wir haben die
Osterweiterung immer unterstützt. Wir wollen die
Überwindung der Spaltung Europas sowie Frieden, Si-
cherheit und Stabilität in unserem Haus Europa. Damit
erfüllt sich für uns auch die Ostpolitik von Willy Brandt.
Ich darf daran erinnern, was sie für uns Sozialdemokra-
ten und übrigens auch für die F.D.P., die dies damals
mitgetragen hat, bedeutet hat.

Die elf Bewerberländer können sich deshalb darauf
verlassen, daß wir ihr Anwalt für einen zügigen Beitritt
bleiben. Beide Seiten müssen dafür ihre Hausaufgaben
machen. Ich betone die Beidseitigkeit. Deshalb ist für
uns die Agenda 2000 wichtig. Das ist die erste Hausauf-
gabe, die die EU machen muß. Es ist Aufgabe der sozi-
aldemokratisch geführten Bundesregierung, hier ein fai-
res Ergebnis herbeizuführen. Ein faires Ergebnis herbei-
zuführen heißt aber, daß ihm alle zustimmen müssen.
Denn dies kann man den anderen nicht aufzwingen.

Herr Kollege Haussmann, an dieser Stelle ein Wort
zu Ihren Forderungen: Wenn die deutsche Bundesregie-
rung heute ein Datum für den Beitritt setzen würde, mit
dem die Partner nicht übereinstimmen würden, wäre das
ein sehr merkwürdiges Verfahren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir können unter unserer Präsidentschaft kein Datum
dafür setzen. Ich habe es immer für fahrlässig gehalten,
dafür Daten festzulegen.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Warum denn nicht? Ein Zieldatum!)


– Das können wir nicht, weil das nicht Aufgabe der Prä-
sidentschaft ist. Lieber Herr Haussmann, die Bundesre-
gierung muß sehen, daß sie unter ihrer Präsidentschaft
erst einmal die Agenda 2000 durchbekommt. Wir hoffen
alle, daß das im März klappt. Sie aber wollen vorher
noch eine Einigung über das Datum herbeiführen. Ich
habe für Ihre Forderung wenig Verständnis, und ich
komme an einer anderen Stelle noch einmal darauf zu-
rück.


(Beifall bei der SPD – Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Pflichtverteidigung!)


– Nein, überhaupt keine Pflichtverteidigung. Sie kennen
doch die Probleme. Sie tun jetzt so, als würden diese für
Sie nicht mehr existieren, seit Sie nicht mehr in der Re-
gierung sind. Das ist Ihr Problem.


(Beifall bei der SPD)

Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich den Screening-

Prozeß und die Verhandlungen anzusehen: Dazu gibt es
den unverbindlichen Zeitrahmen bis zum Jahre 2002
oder 2003. Sie wissen ebensogut wie ich, daß selbst ein
möglicher Abschluß von Verhandlungen noch nicht den
Beitritt bedeutet, weil in jedem einzelnen Land ein Rati-
fikationsprozeß stattfinden muß. Sie wissen beispiels-

Dr . Norbert Wieczorek

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 841


(A) (C)



(B) (D)


weise sehr genau, wie groß die Schwierigkeiten Grie-
chenlands mit Zypern sind. Es wäre zum Beispiel auch
unverantwortlich, etwa den Leuten in Polen und Ungarn
zu sagen: Das ist das Datum eures Beitritts. Wenn der
Beitritt dann zu diesem Datum nicht erfolgt, bekommt
man dort einen „backlash“. Das müssen wir verhindern.
Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte deshalb auch noch etwas zu denen sagen,

die jetzt an der ersten Runde der Verhandlungen nicht
beteiligt sind. Für uns gilt nach wie vor, was in Luxem-
burg beschlossen wurde, nämlich daß die Kopenhage-
ner Kriterien die entscheidenden Kriterien für die Auf-
nahme von Verhandlungen sind. Das heißt auch, daß
nicht der letzte im Zug die Geschwindigkeit des gesam-
ten Geleitzuges – um diesen militärischen Ausdruck hier
zu gebrauchen – bestimmen kann.

Deswegen begrüßen wir auch die Fortschritte, die es
etwa in Litauen, Lettland und jetzt – insbesondere auch
im politischen Bereich – in der Slowakei gegeben hat.
Hier muß allerdings auch darauf hingewiesen werden,
daß noch eigene Anstrengungen zu machen sind; denn
von selbst geht das nicht. Jeder muß seine Hausaufgaben
machen. Es muß vor allen Dingen verhindert werden,
daß es zu schweren sozialen Verwerfungen bei den spä-
teren Beitritten und auch in der Vorbereitung kommt.
Das ist die Vorbereitungsstrategie, die wir ausdrücklich
unterstützen. Auch sind entsprechende Übergangsfristen
notwendig. Ich erinnere nur an die Freizügigkeit.

Ich möchte an dieser Stelle noch eines sagen, weil es
wohl manchem entgangen ist. Im Amsterdamer Vertrag
gibt es eine Bestimmung im Protokoll Nr. 2, in der aus-
drücklich steht: Vor dem ersten Beitritt eines neuen
Landes müssen die Zusammensetzung der Kommission
und die Stimmverteilung im Rat geklärt werden.

Herr Bundeskanzler a. D. Kohl und Sie, Herr Kinkel,
werden sich daran erinnern, warum das nicht in Nord-
wijk und erst recht nicht in Amsterdam zustande ge-
kommen ist. Über diese Schwierigkeiten haben Sie
selbst noch verhandelt.


(Zuruf von der CDU/CSU)

– Dazu gab es damals einen Streit mit Chirac – wenn Sie
es deutlicher hören wollen. Ich bin froh, daß es jetzt
wieder eine bessere Beziehung zu Herrn Chirac gibt.
Aber das war doch der Hintergrund, warum in Nordwijk
das nicht passiert ist. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf.
Ich stelle das nur fest. Wer das weiß, der kann doch
nicht leichtfertig durch die Gegend laufen und sagen:
Also, jetzt setzen wir mal ein Datum, nach dem Motto
„Wir haben auch bei der Währungsunion ein Datum ge-
setzt.“ Bei der Währungsunion haben es zwei Länder
erst einmal auf den Tisch gebracht. Da hat die EU sich
selbst verpflichtet. Das ist im Moment doch gar nicht
drin. Deswegen muß ich in aller Deutlichkeit sagen: Ich
halte das für unverantwortlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf des Abg. Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.])


– Ich rede nicht von Koalitionsabsprachen. Es ist Ihr
Problem, daß Sie an keiner Koalition mehr beteiligt
sind. Ich rede darüber, daß Sie so etwas innerhalb der
EU nur gemeinsam machen können. Wenn Sie, Herr
Haussmann, das endlich einmal begreifen würden! Es ist
bei Ihnen etwas schwierig.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Der begreift es nicht! Es hat keinen Sinn bei Haussmann! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Eine schwierige Lage für Herrn Haussmann!)


– Das ist wohl richtig. Aber wenn man sich verrannt hat,
dann ist das so. Wir reden allerdings auch mit dem Spit-
zenkandidaten der F.D.P. für die Wahl zum Europäi-
schen Parlament. Insofern hoffe ich, daß er bis dahin
noch lernfähig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte noch etwas zur Agenda 2000 sagen, weil

das für uns die wichtigste Herausforderung ist. Es gibt
drei Kernbereiche: die Reform der Agrarpolitik – ich
werde Sie enttäuschen; ich werde dazu heute nichts sa-
gen, weil die Kollegin Klappert das gleich anschließend
machen wird –, die Reform der EU-Finanzen und die
Reform der EU-Strukturpolitiken. Ich möchte nur zwei
Punkte daraus aufgreifen.

Zu den EU-Finanzen: Wir wissen, wie wichtig die
EU für Frieden und Wohlstand in Europa und insbeson-
dere in der Bundesrepublik ist. Trotzdem müssen wir in
der Situation, in der wir heute sind, darauf hinweisen,
daß es zu mehr Beitragsgerechtigkeit kommen muß.
Die überzogene Belastung der Bundesrepublik ist nicht
mehr hinzunehmen. Diese Belastung ist natürlich in
Edingburgh entstanden. Ich habe mit großem Interesse
in einem Protokoll von Edingburgh gelesen, daß der
damalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium
ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß die Kohäsi-
onsfonds unabhängig von der Konvergenz seien und
natürlich auch nach dem Beitritt fortgeführt werden
könnten. Ich weise nur einmal darauf hin, weil das ja
manchmal bestritten wurde. Es ist nachzulesen in einem
Protokoll der Verhandlungen. Ich habe es dabei, wenn
es Sie interessiert.

Deswegen müssen wir dahin kommen, daß dies end-
lich korrigiert wird. Die Wege hat die Kommission vor-
geschlagen. Es wird einen Mix aus verschiedenen An-
sätzen geben. Aber alle diese sind vernünftige Ansätze,
mit denen man vorankommen kann. Das ganze System
muß fairer gestaltet werden, insbesondere auch deshalb,
weil die Erweiterung natürlich Geld kostet. Die Frage
ist, in welchem Rahmen das geschieht. Hierher gehört
für mich der Punkt, daß kein Land besonders begünstigt
werden darf. Das gilt zum Beispiel für den Großbritan-
nien-Rabatt, der nach den Ausführungen der Kommissi-
on dazu führen würde, daß bei einer Erweiterung Groß-
britannien im Verhältnis nur ein Drittel von dem zahlen
würde, was alle anderen Mitgliedsländer zahlen. Dies ist
kein Ausdruck europäischer Solidarität. Dies muß ange-
gangen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Norbert Wieczorek

842 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Ich möchte noch ein Wort zur Strukturfondsreform
sagen. Wir unterstützen ausdrücklich die Konzentration
auf die eigentlichen Ziel-1-Gebiete. Das schließt Ost-
deutschland ein. Ein schlichtes „Weiter so!“, indem
Zahlungen aus den Fonds für Gebiete, die über 50 Pro-
zent der EU-Fläche umfassen, einfach weiterlaufen, darf
es nicht geben. Das gibt keinen Sinn. Allerdings sehen
wir auch ein – anders wird ein Kompromiß gar nicht
möglich sein –, daß es für die sogenannten Ziel-2-
Gebiete und die 5-b-Gebiete ein langsames Auslaufen,
ein langsames Absenken geben muß. Übergangsrege-
lungen werden Teil des Kompromisses sein. Das sage
ich voraus. Das ist die einzige Möglichkeit.

Wichtig für uns ist auch – darüber sollten sich gerade
die Bayern freuen; auch ich bin für diese Position –, daß
die nationalen Fördergebiete und die europäischen Re-
gionalfördergebiete übereinstimmen. Es kann nicht sein,
daß wir Differenzen in den Fördergebietsabgrenzungen
haben. Dies sollte unter dem Gesichtspunkt geschehen,
daß die nationalen Fördergebiete in Übereinstimmung
mit der Kommission von den Regionen – bei uns den
Ländern – selbst bestimmt werden.


(Zuruf des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU])

– Abwarten, Kollege Müller. – Natürlich muß mit Brüs-
sel gesprochen werden. Aber es darf in Brüssel keine
Festlegung über den Kopf der betroffenen Regionen
hinweg geben. Das ist doch auch Ihre Position, wenn ich
Sie richtig verstehe.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401404000
Herr
Kollege Wieczorek, kommen Sie bitte zum Schluß.


Dr. Norbert Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1401404100
Ich möchte noch ei-
nen Punkt ansprechen.

Der Wiener Gipfel muß Mister und Mrs. GASP aus-
wählen. Nun ist nicht sicher, daß das passiert. Ich
möchte sehr anregen, daß das zumindest unter deutscher
Präsidentschaft geschieht, damit die Gemeinsame Au-
ßen- und Sicherheitspolitik endlich auch personell ange-
gangen wird. Das gleiche gilt für den Aktionsplan zur
Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und
des Rechts. Meine persönliche Auffassung ist, daß der
Vorschlag der Niederlande, eine Task Force „Asyl und
Einwanderung“ für diesen Zweck einzusetzen, sinnvoll
ist, um weiterzukommen. Dies ist eine Anregung, die ich
persönlich noch geben möchte.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401404200
Als
nächster Redner hat der Kollege Horst Seehofer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1401404300
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist ja gele-
gentlich der Eindruck erweckt worden, als müßte mit der

Europapolitik und der europäischen Integration jetzt erst
begonnen werden. Tatsache ist aber, daß die europäische
Integration in den letzten zehn Jahren, insbesondere seit
Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte, eine
beispiellose Erfolgsgeschichte ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Diese Erfolgsgeschichte ist mit dem Namen des ehema-
ligen Bundeskanzlers Helmut Kohl sowie mit den Na-
men der ehemaligen Finanzminister Gerhard Stoltenberg
und Theo Waigel und der ehemaligen Außenminister
Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel verbunden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In den letzten zehn Jahren wurde ein erstklassiges Fun-
dament gelegt, auf dem die neue Bundesregierung auf-
bauen kann. Wir werden Sie, meine Damen und Herren
von der neuen Regierung, in den nächsten Monaten al-
lein daran messen, ob Sie ähnlich tatkräftige Erfolge bei
der europäischen Integration erzielen können, wie es in
den letzten Jahren der Fall war. Das wird die alleinige
Meßlatte sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bundeskanzler Schröder hat vor einigen Wochen zu

Helmut Kohl gesagt: Sie sind ein harter Gegner und ein
fairer Mann. Ich hätte mir gewünscht, daß er diese Fair-
neß auch bei der Beurteilung der Europapolitik und der
Finanzierungsformen der Vergangenheit angelegt hätte.
Aber ebenso wie er die Vergangenheit verzerrt und
schief dargestellt hat, hat er sich heute auch anders über
den Bayerischen Ministerpräsidenten ausgelassen, als
das noch vor wenigen Monaten der Fall war. In mir ver-
dichtet sich immer mehr der Verdacht, daß dieser neue
Bundeskanzler seine Positionen schneller ändert, als sich
ein Ventilator drehen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Noch vor wenigen Monaten hat er Edmund Stoiber,

befragt zu dessen Europapolitik, in der „Neuen Ruhr-
Zeitung“ recht gegeben und hinzugefügt: Edmund Stoi-
ber weiß, wovon er spricht. Heute wird er – Wolfgang
Schäuble hat es schon gesagt – als Regionalfürst abqua-
lifiziert. Ähnliches gilt in bezug auf die Beschlüsse von
Edinburgh und die bisherige Finanzierung der EU. Herr
Bundeskanzler, Sie haben hier einfach die Wahrheit ver-
zerrt.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Mindestens!)


Ich möchte Ihnen drei Dinge zu den Beschlüssen von
Edinburgh vom Dezember 1992 zur Finanzierung der
Europäischen Union sagen, die dann 1995 in Kraft ge-
treten sind. Mir liegt das Protokoll des Haushaltsaus-
schusses vor. Damals unterrichtete die Bundesregierung
die Parlamentsgremien noch vorher detailliert und nicht
mit wolkigen Ausführungen, so daß sie sich mit diesen
Dingen ordentlich befassen konnten.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das waren noch Zeiten!)


Vier Wochen vor Edinburgh hat der Haushaltsausschuß
einvernehmlich – ich habe das Protokoll dabei – den Be-

Dr. Norbert Wieczorek

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 843


(A) (C)



(B) (D)


schlüssen zugestimmt. Alle Erwartungen, die der Haus-
haltsausschuß damals mit Zustimmung Ihrer Fraktion an
den Europäischen Rat von Edinburgh formuliert hat,
sind anschließend dort erfüllt und in den folgenden Jah-
ren mit Ausnahme der Reduzierung des Rabatts des
Vereinigten Königreichs umgesetzt worden.

Ich stelle erstens fest: Die Beschlüsse von Edinburgh
haben Ihre Zustimmung gefunden. Wenn Sie heute diese
Beschlüsse abqualifizieren und die Neuorientierung der
Finanzierung mit den Fehlern begründen, die angeblich
in Edinburgh gemacht wurden, dann muß man die Öf-
fentlichkeit darauf hinweisen, daß Sie das mitgetragen
haben.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Wir haben es aber nicht verhandelt!)


Sie verschweigen zweitens aber auch die besondere
historische Situation. Im Jahre 1992 ging es darum, die
fünf neuen Bundesländer voll in den Rechts- und Wirt-
schaftsraum der Gemeinschaft zu integrieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie verschweigen in der Öffentlichkeit, daß es damals
eine Sondersituation war. Typisch für Ihren Umgang mit
der deutschen Einheit ist, daß Sie auch die Tatsache ver-
schweigen, daß die neuen Bundesländer durch die Neu-
orientierung der Finanzierung – auch das wurde in
Edinburgh beschlossen – aus den europäischen Struktur-
fonds seit 1991 insgesamt 38 Milliarden DM als Struk-
turförderung erhalten haben. Die Beschlüsse lagen des-
halb im deutschen Interesse und insbesondere im Inter-
esse der deutschen Einheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.] Auch einen dritten Punkt haben Sie sich nicht auf schreiben lassen oder vielleicht nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Bis zur Einführung der neuen Finanzierung im Jahre 1995, die in Edinburgh beschlossen wurde, betrugen die EU-Eigenmittel 1,2 Prozent des Bruttosozialprodukts in der Europäischen Union. Nach dem Vorschlag der Europäischen Kommission sollte dieser Anteil auf 1,32 Prozent erhöht werden. Der Haushaltsausschuß hat diese Erhöhung abgelehnt; darin waren wir uns einig. Man hat sich dann auf einen Anteil von 1,27 Prozent verständigt, der aber nie ausgeschöpft wurde. In den Jahren 1995 und 1996 betrug die Quote jeweils 1,05 Prozent und 1997 – wahrscheinlich auch 1998 – nur 1,1 Prozent. Das heißt: Seit Inkrafttreten des Eigenmittelbeschlusses von 1995 sind jährlich etwa 6 Milliarden DM weniger nach Brüssel überwiesen worden, als es bei voller Ausschöpfung der Eigenmittelquote der Fall gewesen wäre. Relativ gesehen liegt die Eigenmittelquote unter dem Niveau des Jahres 1994. (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Das ist die Realität, Herr Bundeskanzler. Deshalb
komme ich nicht umhin, zu sagen: Entweder haben Sie
sich mit diesem Thema nur oberflächlich auseinanderge-
setzt, oder Sie haben in den letzten Tagen und auch
heute in Ihrer Regierungserklärung die Wahrheit ver-
zerrt. Ganz gleich welche der Möglichkeiten zutrifft:

Dieses Verhalten ist in jedem Falle eines Bundeskanz-
lers unwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-West-

falen bezeichnet Ihre Europapolitik als „Software“, die
alle Konflikte außen vor läßt. Was wir heute von Ihnen
gehört haben, unterstützt diese Einschätzung. Wir be-
grüßen im Grundsatz Ihr Bekenntnis zur Subsidiarität
und zur Bürgernähe. Auf Dauer wird es ein einiges und
demokratisches Europa nur dann geben, wenn es sich als
Europa der Bürger versteht und dieses nicht nur be-
hauptet, sondern entsprechend handelt. Bürgernähe heißt
Subsidiarität; denn Subsidiarität ist das Gegenteil von
Zentralismus. Wir hätten uns gewünscht, wenn Sie auch
auf diesen Punkt konkreter eingegangen wären.

Es gibt einen Brief von Helmut Kohl, den er – fast
auf den Tag genau vor einem halben Jahr – gemeinsam
mit dem französischen Präsidenten Chirac an den da-
mals amtierenden Vorsitzenden des Europäischen Rates,
Tony Blair, geschrieben hat:

Es kann nicht die Zielsetzung europäischer Politik
sein, einen europäischen Zentralstaat, das heißt ein
zentralistisch aufgebautes Europa zu begründen.
Wir müssen vielmehr alles daransetzen, eine starke
und handlungsfähige Europäische Union zu schaf-
fen, die die Vielfalt der politischen, kulturellen und
regionalen Traditionen und Besonderheiten Euro-
pas bewahrt.

Der Brief fährt fort:
Auch im künftigen Europa muß sichergestellt sein,
daß Entscheidungen möglichst bürgernah getroffen
werden. In Zukunft muß daher das Prinzip der Sub-
sidiarität noch konsequentere Anwendung finden
als heute.

Dieses Thema sollte eigentlich in Pörtschach behan-
delt werden; es ist dort aber nicht behandelt worden. Es
gab auch heute von Ihnen nur ein Lippenbekenntnis; Sie
sind nicht weiter auf dieses Thema eingegangen. Herr
Bundeskanzler, wir werden Sie auch daran messen, ob
Sie diesem Lippenbekenntnis Taten folgen lassen. Ne-
ben der Verankerung des Subsidiaritätsprinzips ist es
künftig in Europa notwendig, klare Kompetenzabgren-
zungen zwischen Kommunen, Regionen, Mitgliedslän-
dern und der Europäischen Union zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Regelung schafft Berechenbarkeit. Sie haben

aber nur ein Lippenbekenntnis abgegeben. Sie haben
sich nicht dazu geäußert, ob während der deutschen Prä-
sidentschaft die Ziele, die im Brief von Helmut Kohl
und Chirac enthalten sind, umgesetzt werden sollen. Sie
tun genau das Gegenteil. Sie haben auf Ihrem Parteitag
gesagt: Wie schön wäre es, wenn der deutsche Beschäf-
tigungspakt durch europäische Hilfen ergänzt werden
könnte. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat es richtig er-
kannt: Ein europäisches Beschäftigungsprogramm, das
Sie auf Ihrem Parteitag offensichtlich anders definiert
haben als vor dem Deutschen Bundestag, bedeutet, daß
die Bundesrepublik Deutschland in erster Linie bezahlt

Horst Seehofer

844 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


und nur einen Bruchteil dessen, was sie bezahlt, zurück-
bekommt. Unter diesen Voraussetzungen können Sie die
Diskussion über die Eigenmittel vergessen.

Ferner schlagen Sie eine Sozialunion vor. Wir haben
den höchsten Sozialstandard in Europa. Die Schaffung
einer Sozialunion kann nur bedeuten, daß wir entweder
die Sozialstandards für unsere Bevölkerung auf den eu-
ropäischen Durchschnitt heruntersetzen oder daß andere
Mitgliedsländer ihren Sozialstandard anheben, was von
den Deutschen bezahlt wird. Die Folge ist die gleiche
wie die, die sich aus dem Beschäftigungsprogramm er-
gibt.

Sie schlagen eine Steuerharmonisierung vor. Dazu
haben Sie den bemerkenswerten Satz gesagt: Wir wollen
keine nationalen Alleingänge. Wenn die Ökosteuer am
1. April in Deutschland in Kraft treten soll, Sie aber
gleichzeitig – im Hinblick auf die deutsche Präsident-
schaft – sagen, Sie wollten keine nationalen Alleingän-
ge, dann schlage ich Ihnen vor: Ziehen Sie doch den
Murks mit der Ökosteuer zurück, und führen Sie von
vornherein eine europäische Steuerharmonisierung
durch!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben heute überhaupt nichts dazu gesagt. Aber

auch das erwarten wir von Ihnen in der deutschen Präsi-
dentschaft. Es geht nicht an, daß Ihr Innenminister sagt,
wir könnten weitere Zuwanderung nicht mehr vertragen
und bräuchten auf europäischer Ebene eine gerechte
Verteilung der Flüchtlinge und Asylbewerber, Sie aber
vor dem Hintergrund des europäischen Gipfels am Wo-
chenende und vor den sechs Monaten deutscher Präsi-
dentschaft kein Sterbenswörtchen zu dieser Frage sagen.
Auch daran werden wir Sie messen. Sie machen genau
das Gegenteil von dem, was Sie hier sagen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401404400
Herr
Seehofer, kommen Sie bitte zum Schluß.


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1401404500
Meine Damen und
Herren, die wichtigste Orientierung für die Zukunft Eu-
ropas ist – nur dann werden wir Vertrauen bei der Be-
völkerung gewinnen –, daß wir nach dem Bau des euro-
päischen Hauses, der in den letzten Jahren in bewun-
dernswerter Weise erfolgt ist, jetzt bei der Innenarchi-
tektur durch das Umsetzen des Grundsatzes von Föde-
ralismus und Subsidiarität ein bürgernahes Europa
verwirklichen. Diese europäische Einigung ist eine Er-
folgsgeschichte. Sie ist das erfolgreichste Friedenspro-
jekt in diesem Jahrhundert. Sie nützt den Menschen und
brachte Freiheit und Freizügigkeit, mehr Wohlstand und
mehr Stabilität.

Darüber hinaus sollten wir in einer Europa-
Diskussion nie vergessen: Europa sichert, daß die in
Jahrhunderten gewachsene europäische Wertegemein-
schaft auch in der globalisierten Welt Zukunft hat. Des-
halb ist Europa mehr als ein Markt; wir haben nie etwas
anderes behauptet. Die europäische Einigung ist eine Er-
folgsgeschichte, die den Menschen in Europa und auch
in Deutschland nützt.

Wir sind nicht gegen Europa, wir sind gegen ein zen-
tralistisches Europa. Wir sind nicht für Nationalisierung,
sondern wir sind für ein Europa der Nationen und Re-
gionen. Wir sind für ein Europa – auch das sollte man
der deutschen Öffentlichkeit einmal deutlich sagen –,
das sich am christlichen Menschenbild orientiert


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, oh! – Lachen bei der SPD)


und von Vielfalt und Eigenverantwortung geprägt ist. –
Diese Häme von der SPD, wenn wir vom christlichen
Menschenbild reden, spricht für sich.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401404600
Herr
Kollege Seehofer – –


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1401404700
Ein so verstandenes
Europa, meine Damen und Herren, ist für die Men-
schen –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401404800
Herr
Kollege Seehofer – –


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1401404900
– kein Hindernis, son-
dern eine Chance in eine gute Zukunft. – Damit bin ich
fertig, Herr Präsident.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401405000
Zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Karl Hermann Haack
das Wort.


Karl Hermann Haack (SPD):
Rede ID: ID1401405100
Ich melde
mich wegen der Einlassungen, die Sie, Herr Kollege
Seehofer, hier gemacht haben, und möchte Sie an die
Position erinnern, die Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr
Dr. Schäuble, bezogen hat, als wir darüber diskutierten,
welche Konsequenzen die Einführung des Euro hat. Sei-
nerzeit hat der Kollege Schäuble Aufsätze geschrieben,
in denen stand, nach der Einführung des Euro müsse die
Europäische Wirtschafts- und Sozialunion kommen.
Er hat in seinen Beiträgen, die ich abgeheftet habe,
deutlich gemacht, daß das im Grunde eine Europäisie-
rung des Subsidiaritätsprinzips bedeute.

Als Sie sich als Bundesgesundheitsminister mit den
EuGH-Urteilen – ich meine die Kohll-Decker-Urteile,
die Pflegeurteile – auseinanderzusetzen hatten, waren Sie
zunächst einmal derjenige im Kabinett, der öffentlich ge-
sagt hat, das deutsche Subsidiaritätsprinzip und unsere
Sozialstandards seien uns heilig. Darüber haben wir bei-
de eine Kontroverse im Ausschuß geführt. Ich habe Ih-
nen gesagt: Auf der Basis der Europäisierung des Subsi-
diaritätsprinzips müssen wir andere Strategien verfol-
gen. Das bedeutet, daß wir einen Prozeß einleiten müs-
sen, der zu der Klärung der Frage führt, wie konkret sich
das europäische Sozialmodell zukünftig gestalten soll.

Horst Seehofer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 845


(A) (C)



(B) (D)


Der Entscheidungsweg, den der Europäische Ge-
richtshof in seinen Urteilen geht – es sind wieder drei
Verfahren anhängig, die die alten Urteile bestätigen
werden –, läßt das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr
Kollege Seehofer, als olle Kamellen erscheinen. Ich ha-
be die Bitte, daß Sie, wenn Sie schon glauben, eine Re-
plik auf den Bundeskanzler geben zu müssen, sich zu-
nächst einmal sachkundig über das machen, was in der
europäischen Diskussion über die Subsidiarität derzeit
Sache ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401405200
Herr
Kollege Seehofer.


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1401405300
Herr Kollege Haack,
Sie bestätigen unsere Befürchtungen, daß Sie in Europa
nicht mehr Subsidiarität und Föderalismus, sondern
mehr Zentralität wollen und daß wir insofern in der Eu-
ropapolitik an einer Zeitenwende stehen. Dies ist der
Hauptgrund, warum wir Ihrer neuen Europapolitik so
kritisch gegenüberstehen.

Sie reden von einem bürgernahen Europa. Sie spre-
chen von Subsidiarität und betreiben auch im Hinblick
auf die Sozialunion faktisch genau das Gegenteil. Eine
Sozialunion – ich sage das noch einmal – bedeutet nicht
ein bürgernäheres, sondern ein zentralistischeres, büro-
kratischeres und vor allem teureres Europa.

Ich habe als Gesundheitsminister immer gesagt: Ich
möchte nicht, daß auf europäischer Ebene entschieden
wird, wo in Baden-Württemberg ein Krankenhaus ge-
baut werden kann und wie groß es sein darf. Auch ein
solches Vorgehen ist mit der Sozialunion verbunden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Karl-Hermann Haack [Extertal] [SPD]: Das ist ein Quatsch!)


Ihre Einlassung bestätigt mich, daß wir in der Tat einen
tiefgreifenden Dissens über die künftige Orientierung in
der Europapolitik haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401405400
Als
nächster Redner hat der Kollege Christian Sterzing vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401405500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
schon viel über das Pflichtprogramm der Ratspräsident-
schaft gesagt worden, über die wirklich gewaltige Auf-
gabe, die Agenda 2000 zum Abschluß zu bringen und
auch die Erweiterung voranzutreiben. Wir werden ganz
gewiß alles uns Mögliche tun, um in den nächsten sechs
Monaten im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft
unsere Hausaufgaben zu erledigen. Das ist die Pflicht.

Wir müssen aber auch fragen: Was bleibt noch an
Kür? Denn während einer Kür kann man in besonderer
Weise seine Schwerpunkte, seine Talente und seine Fä-
higkeiten zeigen und dadurch auch besondere Akzente

setzen. Wir wollen Europa – dies ist in der heutigen De-
batte deutlich geworden – sozialer, ökologischer und
auch demokratischer machen. Deshalb will ich drei ex-
emplarische Punkte nennen, wie wir während der Präsi-
dentschaft mit Initiativen über das hinaus, was das
Pflichtprogramm vorschreibt, aktiv werden wollen.

Der erste Punkt ist das Thema Beschäftigungspoli-
tik. Die Währungsunion befindet sich auf dem Weg der
praktischen Realisierung. Dies macht vor allem eine
stärkere Abstimmung in der Beschäftigungs-, der Wirt-
schafts- und der Sozialpolitik erforderlich, damit der so-
ziale Zusammenhalt in der Europäischen Union nicht
gefährdet wird. Hier werden wir deutlich machen, daß
gerade die Abwahl der alten Regierung eine bessere und
verbindlichere Koordination der Politik im Kampf gegen
die Arbeitslosigkeit in Europa ermöglicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erfolge mit einem europäischen Beschäftigungspakt zu
haben, halte ich für ganz wesentlich, um die Akzeptanz
der Europäischen Union in der Bevölkerung zu stärken.

Der zweite Punkt. In den letzten Jahren hat Deutsch-
land seine Vorreiterrolle in Sachen Umweltpolitik ver-
loren und sich eher zu einem Bremser hinsichtlich einer
ökologischen Reformpolitik gemacht. Wir wollen wäh-
rend der deutschen Präsidentschaft umweltpolitische
Initiativen starten und haben hierfür einen Katalog an
Vorschlägen vorgelegt.

Für uns ist besonders wichtig, daß wir gerade die
umweltpolitischen Ansätze auch aus anderen Ländern
aufgreifen. Eine horizontale Planung, Vorsorge und de-
mokratische Kontrolle der Umweltpolitik, eine aktive
und konstruktive Rolle – das liegt uns am Herzen. Dazu
gehört natürlich auch die Ökosteuer. Hier werden wir
mit der Doppelzüngigkeit der alten Regierung Schluß
machen, die auf der einen Seite sagte, eine nationale
Ökosteuer erst dann einführen zu können, wenn eine eu-
ropäische Regelung vorliege, und die auf der anderen
Seite alles dazu getan hat, um auf der europäischen Ebe-
ne Versuche einer Harmonisierung der Energiesteuern
zu sabotieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden diese Harmonisierungsdiskussion, anknüp-
fend an die Kommissionsvorschläge, aufgreifen und
vorantreiben, da sie für die Gestaltung eines nachhalti-
gen Europas sehr wichtig ist.

Zum letzten Punkt, zum demokratischen Europa. Die
Überwindung des Demokratiedefizites ist sicherlich
nicht während der Ratspräsidentschaft zu leisten. Aber
mit einer Initiative für eine Grundrechtscharta, die unter
Beteiligung gesellschaftlicher Kräfte erarbeitet werden
soll, wollen wir ein Zeichen für einen verfassunggeben-
den Prozeß auf der europäischen Ebene setzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit Initiativen nach dem Inkrafttreten des Amsterda-

mer Vertrages zur konkreten Ausgestaltung eines Infor-
mations- und Akteneinsichtsrechts für Bürgerinnen und
Bürger, mit Initiativen für die Weiterentwicklung der

Karl Hermann Haack (Extertal)


846 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Gleichstellungsrichtlinie, für eine konkrete Ausgestal-
tung des Diskriminierungsverbots im Amsterdamer
Vertrag wollen wir weitere Akzente auf dem Weg zu
einem demokratischen, zu einem sozialen, zu einem
nachhaltigen und eben auch zu einem erweiterungsfähi-
gen Europa setzen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401405600
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Ernst Burgba-
cher von der F.D.P.-Fraktion.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1401405700
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler,
haben Sie heute schon die „taz“ gelesen? Die Seite 12?
Ich kann es nur empfehlen. Dort steht: So ist der neue
Kanzler. – Ich empfehle heute wirklich einmal die Lek-
türe der „taz“. Das kann man nicht jeden Tag tun. Aber
heute ist sie unheimlich lesenswert.


(Zuruf von der SPD: „taz“ täglich!)

Wenn wir schon beim Zeitunglesen und bei der „taz“

sind und wenn wir feststellen müssen, daß sich heute das
Zeitunglesen lohnt, dann ist es vielleicht auch einmal
ganz interessant, das über einen längeren Zeitraum zu
verfolgen.


(Peter Dreßen [SPD]: Die „Süddeutsche“ ist auch gut!)


Ich darf aus der „Zeit“ vom 3. November 1995 zitieren –
ich bitte Sie einfach, einmal zuzuhören –:

Für irgendeine Idee, die dann am Ende keine wirt-
schaftliche Stabilität und auch keine Stabilität des
Geldes signalisiert, die D-Mark aufzugeben, hielte
ich für falsch.

So Rudolf Scharping, damals SPD-Vorsitzender, heute
noch Vorsitzender der europäischen Sozialisten. Ich
wiederhole: „für irgendeine Idee“.

Sie, Herr Bundeskanzler, haben damals noch eines
draufgesetzt und gesagt: Endlich haben wir Sozialdemo-
kraten wieder ein nationales Thema. – Ich hatte gehofft,
Sie hätten inzwischen Ihre Einstellung geändert. Leider
Fehlanzeige. Mit Ihrer Rede, Herr Bundeskanzler, am
Dienstag in Saarbrücken haben Sie wahrlich unsere
schlimmsten Erwartungen übertroffen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie setzen kurz vor Beginn der deutschen Präsident-
schaft aus rein machtpolitischen Motiven vieles von dem
aufs Spiel, was in den letzten Jahren in mühsamer Arbeit
geschaffen wurde.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da ist es also wieder, Ihr nationales Thema. Wie
schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ heute? „So kippt

Pragmatismus schnell in Populismus“. Die „taz“
schreibt: „Der Kanzler stellt die EU als Geldmelkma-
schine am deutschen Euter dar. Wer so spricht, hat von
Europa nichts begriffen.“


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die europäische Idee ist
nicht irgendeine Idee. Die Europäische Union ist das
Erfolgsmodell einer friedensstiftenden und wohlfahrts-
fördernden Gemeinschaft, das Modell, das historisch
und weltweit einmalig ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ohne die Europäische Union – das sollten wir uns im-
mer wieder in Erinnerung rufen – hätten wir die deut-
sche Einheit niemals bekommen. Unser nationales Inte-
resse ist Europa.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will einen Gedanken aufgreifen, der für mich
heute etwas zu kurz kam: Wir wollen die EU transpa-
renter und demokratischer gestalten. Die Bürgerinnen
und Bürger müssen endlich wieder wissen, wer in Euro-
pa eigentlich was, warum und wann machen darf. Gera-
de im Vorfeld der Europawahl im Juni kommenden Jah-
res wollen wir die Kompetenzen des Europäischen
Parlaments weiter ausbauen. Wir wollen nicht, daß
Brüssel zentralistisch zu vieles an sich zieht. Wir wollen
unter keinen Umständen, daß die kommunale Selbst-
verwaltung auch nur angeknabbert wird. Dazu ist die
Identifikation der Bürger mit ihrer Kommune ein viel zu
kostbares Gut.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir wollen unser bewährtes föderales System ausbauen
und stärken, und wir wollen es schrittweise auf die eu-
ropäische Ebene übertragen. Deshalb, meine Damen und
Herren, müssen wir den EU-Vertrag zu einer europäi-
schen Verfassung weiterentwickeln,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


zu einer Verfassung als Grundlage einer föderalen Euro-
päischen Union, gründend auf dem Subsidiaritätsprinzip
und der Gewaltenteilung.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die

Achtung der Menschenrechte müssen darin festge-
schrieben werden. Herr Bundeskanzler, ich finde, es wä-
re eine gute Initiative, bei den ohnehin anstehenden in-
stitutionellen Reformen auch die Initiative zu einer eu-
ropäischen Verfassung zu ergreifen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Bundeskanzler, Ihre Politik des „Hau-drauf-
Stils“ – so nannte es die „taz“ – läßt sich mit einem Satz

Christian Sterzing

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 847


(A) (C)



(B) (D)


meines Landsmanns Manfred Rommel treffend be-
schreiben. Rommel sagte:

Das sicherste Mittel gegen Zahnschmerzen ist Zy-
ankali; bloß sind nach dessen Einnahme nicht nur
die Zahnschmerzen verschwunden.

Ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns gemeinsam mit
feinen Bohrern die europäischen Zahnschmerzen besei-
tigen. Ich bleibe im Bild: Lassen Sie uns dann gemein-
sam eine fundierte Prophylaxe durchführen. Sorgen Sie
dafür, Herr Bundeskanzler, daß Sie Ihren Bruch in der
Europapolitik kitten und wir im Konsens dafür sorgen
können, daß Europa wieder mehr Biß bekommt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401405800
Herr
Burgbacher, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer ersten Re-
de vor dem Deutschen Bundestag. Herzlichen Glück-
wunsch.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als nächster Redner hat der Kollege Günter Gloser
von der SPD-Fraktion das Wort.


Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1401405900
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich beziehe mich
jetzt nicht auf die „taz“ oder eine andere Zeitung, son-
dern schlichtweg auf die Debatte, die wir heute morgen
über Europa führen. Ich muß mich schon fragen: Welch
eine Mixtur aus abgestandenen, überholten und unzu-
treffenden Argumenten hat die neue Opposition bisher
kredenzt?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Welche Verdachtsmomente haben der Fraktionsvorsit-
zende und der neue europapolitische Sendbote aus Bay-
ern, der Kollege Seehofer, der, wie ich vor einigen Ta-
gen gelesen habe, eine Unterweisung in Europafragen in
der bayerischen Staatskanzlei erfahren hat, angeführt?

Es führte dazu – so muß es bei einer europapoliti-
schen Debatte auch sein –, daß wir wieder einmal
„Haussmannskost“ hörten. Herr Haussmann, Sie pusten
sich hier immer groß auf. Man möchte meinen, Sie hät-
ten vor einer solchen Debatte ein bestimmtes Medika-
ment geschluckt.


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Pfui! Übel!)


Ob Sie alles glauben, was Sie sagen, bezweifle ich.
Ich frage mich nur: Sind das Ihre Antworten auf die

Herausforderungen, vor denen die Europäische Union
und nicht nur Deutschland stehen. Ich bin froh, daß die-
se Bundesregierung die Herausforderungen annimmt
und sich in der Tat ehrgeizige Ziele gesetzt hat. Ist es

nicht in Ihrem Sinn, eine Lösung der Finanzierungsfra-
gen und der Agrar- und Strukturfonds herbeizuführen?
Ist es nicht im Sinne der Bevölkerung, Korrekturen
durchzuführen, um das Funktionieren der Europäischen
Union sicherzustellen? Vor allem: Ist dies vor dem
Hintergrund des Beitritts der mittel- und osteuropäi-
schen Staaten und Zyperns nicht notwendig?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, endlich –
ich sage wohl wahr: endlich – hat die Beschäftigungs-
politik auf der europäischen Tagesordnung ihren ange-
messenen Platz gefunden. Auch wenn die Arbeitslosig-
keit in der Europäischen Union geringfügig zurückge-
gangen ist, bleibt sie innen- und europapolitisch das
Thema Nummer eins.

Der im Amsterdamer Vertrag vorgezeichnete Weg
muß jetzt gestaltet werden,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und zwar nicht durch neue Papierberge, sondern durch
ganz konkrete Schritte. Die SPD-Bundestagsfraktion ist
dankbar, daß die Bundesregierung mit dem angestrebten
Beschäftigungspakt für Europa einen solchen Schritt
getan hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine lieben Freundinnen und Freunde aus der CDU
und CSU, es wird auch kein neuer beschäftigungspoliti-
scher Zentralismus entstehen, sondern schlicht und ein-
fach mehr Abstimmung, mehr Koordination und in den
Fällen, wo es notwendig ist, Harmonisierung.

Ich unterstreiche noch einmal für die SPD die we-
sentlichen Punkte: verbindliche und nachprüfbare Ziele
bei der Bekämpfung der Jugend- und Langzeitarbeitslo-
sigkeit; Verbesserung der Chancengleichheit für Frauen;
ganz konkrete Absprachen zur Ausgestaltung der wirt-
schafts- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen, die
da sind: Entlastung des Faktors Arbeit von Steuern und
Lohnnebenkosten sowie eine soziale und ökologische
Modernisierung des Steuer- und Abgabensystems.

Ich kann an dieser Stelle nur Ihrem Parteifreund,
dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude
Juncker, zustimmen, wenn er fordert, sich im Hinblick
auf den Abbau der Arbeitslosigkeit genauso unter Streß
zu setzen, wie es bei der monetären Konvergenz der Fall
war.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, daß Sie von der
CDU/CSU sich gegen europäische Initiativen bei der
Beschäftigungspolitik wehren. Ich gebe nur zu beden-
ken: Da können sich Unternehmen europaweit verbin-
den und Absprachen treffen, da wird europaweit aus der
Sicht der Unternehmen eine verbesserte Infrastruktur für
diese Unternehmen gefordert, da sollen Belastungen für
Unternehmen wegfallen; darüber kann und muß man
diskutieren. Aber genauso selbstverständlich ist es, in
diesem Atemzug zu sagen, daß es auch europaweiter

Ernst Burgbacher

848 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Regelungen für die Beschäftigten bedarf. Wir sind in
Europa noch ein weites Stück davon entfernt, diese zu
realisieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie sprechen immer von der Wettbewerbsfähigkeit.

Aber sie kann doch nicht einseitig als Wettbewerb des
Dumpings beim Lohn und bei Sozialvorschriften defi-
niert werden. Wenn wir schon immer über die globalen
Herausforderungen reden, wenn wir immer über die
Konkurrenz zu anderen Wirtschaftsräumen wie Amerika
oder Asien sprechen, dann muß das auch in der Weise
geschehen, daß wir bei allen Fragen von einem europäi-
schen Sozialmodell ausgehen, weil das – das zeigte
eben die europäische Geschichte – auch ein Erfolgsmo-
dell ist. Dafür müssen wir arbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb: Absprachen, Koordinierung und Harmoni-
sierung. Vergessen Sie, das Schreckgespenst eines neu-
en Zentralismus zu zeichnen. Ich habe den Bundes-
kanzler a. D. noch gut in Erinnerung, wie er in einer Sit-
zung von Zentralismus hörte. Gerade wenn das von
Leuten kommt, die auf europäischer Ebene föderale
Strukturen fordern: Da soll man, bitte schön, einmal
nach Bayern schauen. Die bayerische Staatsregierung
sollte einmal in ihrem Binnenbefinden eine föderale
Struktur einführen. Viele Kommunen in Bayern würden
sich darüber freuen, wenn es endlich soweit wäre.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme noch auf ein anderes Kapitel zu sprechen,
mit einem Auftrag an die Bundesregierung. Es ist das
Thema der Mitbestimmung, eine unendliche Ge-
schichte der europäischen Aktiengesellschaft. Wieder ist
kein Ergebnis zustande gekommen. Daher die dringende
Bitte an die Bundesregierung, während ihrer Ratspräsi-
dentschaft eine Lösung herbeizuführen. Wer sich auf
Unternehmerseite europäisch neu formieren will,
braucht auch eine starke Arbeitnehmervertretung. Bis in
die jüngste Vergangenheit gab es im Deutschen Bun-
destag hierfür eine breite Unterstützung. Gerade im
Hinblick auf diese angesprochenen Veränderungen ist
eine europaweite Mitbestimmungsregelung erforderlich.

Es hat lange gedauert, bis die koordinierte Beschäfti-
gungspolitik Eingang in ein europäisches Vertragswerk
gefunden hat. Jetzt ist Handeln angesagt. So spannend
die Lektüre von Beschäftigungsberichten auch sein mag:
Nun müssen die Konsequenzen spürbar sein. Mit der
CDU/CSU – das hat die heutige Debatte gezeigt – wird
es keine Gestaltung einer europäischen Beschäftigungs-
politik geben. Sie hat sich in der Zwischenzeit in der
Stoiberschen Trutzburg verschanzt. Seehofer wird aus-
geschickt, um die CSU-Medizin unters Volk zu bringen.
Aber, Herr Seehofer, sehr verehrter Herr Bundesge-
sundheitsminister a. D., Sie sind in der Vergangenheit
schon mit manchem Rezept gescheitert, vor allem, weil
Sie die Nebenwirkungen nicht bedacht haben.

Wir Sozialdemokraten wollen die Bürgerinnen und
Bürger auf diesem Weg der Europäischen Union mit-

nehmen. Deshalb sichern wir auch der Bundesregierung
unsere Unterstützung bei ihren Verhandlungen zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401406000
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Hintze von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Unruhe)

– Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die namentli-
che Abstimmung rückt näher. Ich bitte trotzdem, dem
Redner Gehör zu schenken.

Herr Hintze, bitte schön.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1401406100
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am
Schluß dieser Debatte läßt sich mit Fug und Recht fest-
stellen, daß die Startbilanz der rotgrünen Bundesre-
gierung in Fragen der internationalen Politik beachtlich
ist: Konfusion in der Europäischen Union, Konfusion
bei den Beitrittskandidaten, Konfusion bei den Partnern
im Atlantischen Bündnis.


(Hans-Werner Bertl [SPD]: Konfusion bei Hintze!)


– Warten Sie einmal ganz entspannt ab!
Einen knappen Monat vor Beginn der deutschen

Ratspräsidentschaft zeigt sich diese Bundesregierung in
einer denkbar schlechten Verfassung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das jüngste Beispiel hat die Bundesregierung – der
Kanzler strahlt; aber ich denke, das ist verfrüht – gestern
geliefert: Steuerkonfusion zwischen London und Bonn.
Die Bundesregierung dementierte zunächst, wie das
„Handelsblatt“ heute dokumentiert, die Existenz einer
deutsch-britischen Erklärung zur EU-Steuerpolitik,
nach der Deutschland in der Frage einer europaweit ein-
heitlichen Unternehmensbesteuerung den Rückwärts-
gang einlegt. Erst nachdem die gemeinsame Erklärung
auf der Internetseite von Downing Street 10 stand,
räumte die Bundesregierung die Existenz des Papiers
ein. In London, so schließt das „Handelsblatt“, löste die
Unentschlossenheit in Bonn erneute Irritationen aus.

Bei mir hat es Irritationen ausgelöst,

(Gernot Erler [SPD]: Was irritiert Sie eigent lich nicht?)

daß der Herr Bundeskanzler zwar zu Beginn seiner Re-
gierungserklärung heute morgen auf dieses gemeinsame
Papier zu sprechen kam und ein Randthema nannte –
Warnung vor Steuerdumping –, aber die Rolle rückwärts
in der Steuerpolitik geflissentlich verschwiegen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich erwarte von der Bundesregierung, daß sie uns voll-
ständig und richtig informiert.

Günter Gloser

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 849


(A) (C)



(B) (D)


Die Aufgaben der deutschen Präsidentschaft, vor
denen die Regierung steht, sind beachtlich: Start des Eu-
ro, ein gerechtes Finanzierungssystem, institutionelle
Reformen, Herstellung der Erweiterungsfähigkeit. Die
Bewältigung dieser Aufgaben setzt eine Bundesregie-
rung voraus, die Vertrauen bei unseren Partnern genießt,
die Visionen hat und die das politische Geschäft profes-
sionell beherrscht.

Die Regierung Helmut Kohl verfügte über diese Ei-
genschaften.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der SPD: Oh! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Ich wiederhole das gerne, weil dies in der ganzen Welt
übereinstimmendes Urteil ist und auch durch Zwischen-
rufe von der linken Seite des Hauses nicht korrigiert
werden kann.

Die Ereignisse der letzten Wochen lassen mich aller-
dings zweifeln, ob die jetzige Bundesregierung diese
Befähigung hat. Wenn die deutsche Präsidentschaft ge-
nauso chaotisch verläuft wie der Fehlstart der rotgrünen
Regierung, dann gute Nacht Europa!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die deutsche Bevölkerung interessiert natürlich auch,

wer in der Regierung in der Europapolitik das Sagen hat.
Ist es der Herr Bundeskanzler, ist es der Herr Außenmi-
nister, oder ist es Herr Lafontaine, über dessen Ambitio-
nen weiterhin spekuliert werden darf und der in europäi-
schen Zeitungen bereits als „heimlicher Herrscher
Deutschlands“ bezeichnet wird? Diesen kleinen inner-
parteilichen Streit der SPD will ich vernachlässigen.
Aber ich halte es für hochgradig gefährlich für die Sta-
bilität der gemeinsamen Währung, wenn der Bundesfi-
nanzminister Zweifel an der Unabhängigkeit der Eu-
ropäischen Zentralbank aufkommen läßt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


Es ist fatal, wenn einen Monat vor dem Start des Euro
die sozialistischen und sozialdemokratischen Finanzmi-
nister Europas einer Politik des leichten Geldes das
Wort reden. Der Euro braucht Stabilität, er braucht die
Unterstützung der Regierungen. Die Europäische Zen-
tralbank braucht Unabhängigkeit. Das sollte unser ge-
meinsamer Auftrag sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vielleicht sollte der Bundeskanzler seinen Finanz-
minister in die Schranken weisen – wenn er es denn
könnte!

Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommt da allerdings zu
einem wenig hoffnungsvollen Schluß:


(Gernot Erler [SPD]: Ihr lest alle zu viele Zeitungen!)


Die neue deutsche Regierung
– so heißt es dort –

ist nichts anderes als eine Erscheinungsform der
alten Rivalität zwischen Oskar Lafontaine und Ger-

hard Schröder, die unter der Maske lächelnder
Harmonie weiterwuchert.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Schade!)

Wir erwarten von unserer Regierung, daß sie auf dem

Gipfel in Wien die europäische Integration und die be-
rechtigten Interessen Deutschlands in einer partner-
schaftlichen Weise und im Ergebnis erfolgreich voran-
bringt. Die Regierung steht auf einem großen, starken
Fundament: Das ist die Politik der Vorgängerregierung,
die in den letzten Jahren und Jahrzehnten für Europa, für
Deutschland und für das Miteinander in Europa viel er-
reicht hat.

Unsere herzliche Bitte, unser Wunsch und unser An-
liegen ist, daß Sie daran anknüpfen, daß Sie Ihren Kon-
tinuitätsversprechen Kontinuitätstaten folgen lassen und
daß Sie nicht das zerstören, was wir in den letzten Jahr-
zehnten gemeinsam aufgebaut haben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401406200
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Rolf Hem-
pelmann von der SPD-Fraktion.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1401406300
Herr Präsident! Meine
Damen! Meine Herren! Der Kollege Hintze hat soeben
die Startbilanz dieser Bundesregierung kommentiert.
Üblicherweise wird das nach 100 Tagen getan. Diese
Regierung ist aber noch keine 40 Tage im Amt. Das
zeigt die hohen Erwartungen an diese Regierung. Wir
fassen es als Kompliment auf, daß Sie schon jetzt so
kritisch bilanzieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben die Schlußbilanz der alten Bundesregierung
noch sehr gut in Erinnerung. Ich denke, da wäre ein biß-
chen Bescheidenheit auf Ihrer Seite durchaus ange-
bracht.

Sie haben gesagt, Sie wollen uns messen. In der Tat:
Wir werden gemessen. Wir gehen jedoch davon aus, daß
wir vom Wähler und nicht von der Opposition gemessen
werden. Ihre Aufgabe ist eine andere, nämlich bessere
Konzepte auf den Tisch zu legen. Ihre Aufgabe ist nicht,
diese Bundesregierung zu messen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will ein Wort zur Landwirtschaft sagen, zumal

hier heute schon beklagt worden ist, daß dazu zuwenig
gesagt wurde. Ich bin Wirtschaftspolitiker; deswegen
will ich mich auf wenige Worte beschränken. Wenn hier
von der Regierung eingefordert wird, endlich etwas zum
Thema Landwirtschaft zu sagen, dann antworten wir: Es
ist beschämend, daß von der vorigen Bundesregierung

Peter Hintze

850 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


zum Thema Landwirtschaft in den letzten anderthalb
Jahren kein Konzept auf den Tisch gelegt worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist um so widersprüchlicher angesichts der Tatsa-
che, daß der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl in
Polen versprochen hat: Ihr seid im Jahr 2000 in der Eu-
ropäischen Union. – Die Voraussetzungen dafür zu
schaffen hat er allerdings vergessen. Wahrscheinlich hat
er auch gewußt, warum.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, unsere Debatte
findet zu einem historischen Zeitpunkt statt. Der Euro-
päische Rat in Wien ist der letzte vor der Einführung
des Euro. Die deutsche Präsidentschaft wird die erste
sein, unter der der Euro Wirklichkeit ist. Deshalb er-
wartet Europa von uns zu Recht Weichenstellungen für
die Zukunft.

Was ist zu tun? Mit der Einführung des Euro steigt
der Wettbewerbsdruck in Europa. Dem müssen wir
Rechnung tragen. Es reicht nicht aus, Maßnahmen im
Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu koor-
dinieren. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag
festgelegt, eine Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz-
und auch Sozialpolitik aktiv voranzutreiben. Nur so
können wir die positiven Möglichkeiten der Währungs-
union auch verwirklichen.


(Beifall der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD])


Wir ziehen in Europa an einem Strang. Am besten zie-
hen wir auch in dieselbe Richtung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Eine stärkere Koordinierung beschäftigungs- und

wettbewerbsrelevanter Politiken ist schon im Vertrag
von Amsterdam verankert. Insofern ist überhaupt nicht
zu verstehen, daß hier so leidenschaftlich gegen solche
Absichten polemisiert wird. Daß wir von solcher Koor-
dinierung noch ein gutes Stück entfernt sind, liegt nicht
nur am Unwillen einiger europäischer Partner, sondern
vor allen Dingen auch am Zögern und Bremsen der alten
Bundesregierung in den letzten Jahren.

Der Konvergenzprozeß zur Währungsunion hat ge-
zeigt, daß die Koordination funktioniert. Deshalb ist es
gut, daß ein deutscher Finanzminister in Europa endlich
dafür wirbt, unfairen Steuerwettbewerb und übrigens
auch Sozial- und Umweltdumping zurückzudrängen. Es
sollte sich auch bis zur Union und zur F.D.P. herumge-
sprochen haben, daß Wettläufe um die niedrigsten Un-
ternehmenssteuern nicht gewonnen werden können – es
sei denn, man hat Interesse an der Erosion öffentlicher
Haushalte und am Marsch in den Lohnsteuerstaat. Aber
das wäre mit dem christlichen Menschenbild kaum ver-
einbar.

Der schon vereinbarte Verhaltenskodex bei der Un-
ternehmensbesteuerung, zu dem wir und andere Sie
treiben mußten, muß rechtsverbindlich werden. Es muß
Schluß damit sein, daß wir uns in Europa steuerpolitisch
auskontern, in einem Spiel, das nicht zu gewinnen ist. Es

ist nicht einzusehen, daß sich Volkswirtschaften verhal-
ten, als wären sie Konkurrenten in einem Preiswett-
kampf. Im Gegenteil, der Wettbewerb von Unternehmen
in vergleichbaren Ländern funktioniert erst dann ver-
nünftig, wenn auch die wettbewerbspolitischen Aus-
gangspositionen einigermaßen vergleichbar sind.

Ein solcher Prozeß wäre übrigens ein Weg, die Ak-
zeptanz Europas bei den Bürgern zu erhöhen. Wollen
wir in einem freizügigen Europa der Bürger Arbeit-
nehmern aus verschiedenen Ländern wirklich dauer-
haft abverlangen, daß sie für das gleiche Bruttoentgelt
netto ganz unterschiedliche Beträge mit nach Hause
nehmen?

Natürlich darf Koordinierung nicht übers Knie gebro-
chen werden. Aber die neue Bundesregierung ist ange-
treten, um eine Diskussion darüber zu beginnen, wie
man den Negativwettlauf der Steuerstandorte beendet,
um langfristig einen Konvergenzprozeß der Wettbe-
werbsbedingungen zu erreichen.

Was spricht denn gegen den Versuch, uns zunächst
auf einen Korridor zu verständigen, außerhalb dessen
wir auf weitere Steuersenkungen oder -erhöhungen ver-
zichten, genauso wie auf weiteren Wildwuchs bei den
Ausnahmen? Das könnte ähnlich funktionieren wie bei
der Umsatzbesteuerung mit einer oberen und unteren
Grenze.

Eine weitere konkrete Aufgabe, bei der wir in der
nächsten Zeit vorankommen wollen, ist die Koordinie-
rung der Energiebesteuerung. Die neue Bundesregie-
rung hat beschlossen, die Energiepreise sehr moderat
anzuheben und so die Lohnnebenkosten zu senken. Daß
nicht mehr drin ist, liegt daran, daß in der EU in der
Vergangenheit keine ausreichenden Anstrengungen un-
ternommen wurden – übrigens auch gerade von der
Bundesregierung nicht unternommen wurden. Das liegt
aber auch daran, daß wir bei einem ohnehin hohen
Energiepreisniveau starten müssen.

Die Dänen beispielsweise liegen trotz ihrer hohen
Mehrwertsteuersätze am unteren Ende der europäischen
Strompreisskala. Da fällt es naturgemäß leichter, in die
ökologische Steuerreform einzusteigen. Schwerer fällt
ein solcher Schritt Ländern mit hohen Strompreisen,
zum Beispiel Großbritannien.

Daraus ist zu folgern: Nur in enger Abstimmung mit
den europäischen Partnern können wir in Fragen einer
ökologischen Steuerreform weiterkommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines müssen wir in
jedem Fall verhindern: ein weiteres Auseinanderdriften
der Steuer- und Abgabenstruktur in Europa. Wir brau-
chen die Koordination der Wirtschafts- und Steuerpoli-
tiken in der Europäischen Union. Das liegt im Interesse
der Einzelstaaten in Europa, das liegt aber auch im In-
teresse der Europäischen Union insgesamt; denn sie be-
findet sich im Wettbewerb mit außereuropäischen Indu-
strienationen. Dafür wollen wir gewappnet sein.

In der Weltwirtschaft kann die Europäische Union
nur dann Gehör finden, wenn sie in ihrem eigenen Haus
für eine koordinierte und vernünftige gemeinsame Poli-

Rolf Hempelmann

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 851


(A) (C)



(B) (D)


tik sorgt. Dafür ist diese Bundesregierung angetreten,
dafür wird sie unsere volle Unterstützung erhalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401406400
Als
letzte Rednerin in der Aussprache hat die Kollegin Mo-
nika Griefahn von der SPD-Fraktion das Wort.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1401406500
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte zum Schluß dieser De-
batte, die etwas kontrovers war, den Versuch machen,
das Haus ein bißchen zusammenzuführen,


(Lachen bei der CDU/CSU)

zu einem Thema, das uns alle bewegt und bei dem wir in
der Vergangenheit, wie ich den Protokollen entnehmen
konnte, interfraktionelle gemeinsame Anträge gestellt
haben. Ich meine die Frage der Buchpreisbindung.

Der Mensch lebt bekanntlich nicht vom Brot allein.
Wir haben heute viel über Geld und Programme gespro-
chen. Mehr als viele andere Kulturgüter repräsentiert das
Buch genau diese Weisheit.

Bücher sind eben nicht einfach nur Ware, sondern
Ausdruck von Lebensqualität. Auch Bildung ist nicht
einfach nur Ware, sondern Ausdruck von intakten Le-
bensorten. Bücher haben im europäischen Einigungs-
prozeß eine besondere Bedeutung. Auch sie bieten eine
Möglichkeit, kulturelle Verbindungen und „geistige
Tankstellen“ darzustellen, wie Helmut Schmidt es ein-
mal formuliert hat.

Genauso wie wir die Verpflichtung haben, die ökolo-
gische Vielfalt zu erhalten, brauchen wir die kulturelle
Vielfalt. Genauso wie wir nicht fragen dürfen: „Was ist
die Lerche wert?“ oder „Wozu brauchen wir Wale?“,
müssen wir die Vielfalt von Verlagen und die Möglich-
keiten von Schriftstellern, auch wenn sie Minderheiten
darstellen, verlegt zu werden, erhalten. Rosa Luxemburg
würde dazu sagen: Freiheit ist auch die Freiheit der An-
dersschreibenden.

Heute haben wir den 50. Jahrestag der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte diskutiert. Können Men-
schen ihre Freiheit der Meinung tatsächlich in einem
oder in nur wenigen Verlagen gewährleistet sehen, die
wirtschaftlich nur den Mainstream darstellen können?
Gerade wenn wir in diesen Tagen die Diskussion von
Walser, Bubis und Dohnanyi verfolgen, wird klar, daß
es wichtig ist, sich für Bücher einzusetzen. Der Schutz
der Denkweisen ist eben heilig.

Deshalb brauchen wir nicht mehr Fast-Food-Bücher.
In den USA kann man sich anschauen, was dabei her-
auskommt, wenn man die Preisbindung von Büchern
aufgibt und damit den Konzentrationsprozeß forciert,
nämlich weniger Buchhandlungen in der Fläche, keine
Buchhandlungen mehr in kleinen Orten. Spezialverlage
gibt es allenfalls noch im Bereich des Universitäts-
drucks.

Deshalb lassen Sie uns hier gemeinsam der McDo-
naldisierung der Kultur entgegentreten. Unterstützen Sie
unseren Antrag. Lassen Sie uns die Teilwertabschrei-
bung im Steuergesetz diskutieren. Lassen Sie uns heute
hier in bezug auf Europa eine kraftvolle Aussage ma-
chen, daß wir für die Buchpreisbindung eintreten. Unter-
stützen wir die Bundesregierung, die das in ihrer EU-
Präsidentschaft forcieren will.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401406600
Frau
Kollegin Griefhahn, zu Ihrer ersten Rede im Deutschen
Bundestag gratuliere ich Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache. – Es liegt eine Erklärung zur Abstimmung
nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bun-
destages der Kollegen Friedhoff, Otto (Frankfurt), Brü-
derle, van Essen, Hirche, Niebel, Goldmann sowie von
Frau Sehn, Frau Flach und weiteren Abgeordneten von
der F.D.P.-Fraktion vor, die wir zu Protokoll nehmen.*)

Es liegt der Wunsch des Kollegen Dr. Norbert Lam-
mert vor, nach § 31 der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages eine Erklärung mündlich abzugeben.

Der Kollege Norbert Lammert hat das Wort.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1401406700
Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluß
dieser Aussprache zur Europapolitik liegen zwei in gro-
ßen Teilen übereinstimmende Entschließungsanträge der
CDU/CSU-Fraktion und der Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen mit dem unscheinbaren Titel:
„Vorschau auf den Europäischen Rat in Wien am 11./12.
Dezember 1998 und Ausblick auf die deutsche Präsi-
dentschaft in der ersten Jahreshälfte 1999“ vor.

In beiden Anträgen geht es um Bedrohungen der
wirtschaftlichen Basis für das Kulturgut „Buch“, von
Buchhandlungen und Verlagen, die sich in den letzten
Wochen und Monaten an allerdings sehr unterschied-
lichen Schauplätzen ergeben haben. Der Initiativantrag
der Koalitionsfraktionen folgt – für jeden nachvollzieh-
bar – nicht nur im Zeitablauf einer Initiative der
CDU/CSU-Fraktion; vielmehr übernimmt er bis in glei-
che Formulierungen hinein unser gemeinsames Anliegen
zur Aufrechterhaltung gebundener Buchpreise im
deutschen Sprachraum. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt
ganz ausdrücklich, daß wir hier unsere mehrfach vorge-
tragene gemeinsame Überzeugung einmal mehr bekräf-
tigen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

__________
*) Anlage 3

Rolf Hempelmann

852 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Es wäre im übrigen auch ein Treppenwitz, wenn aus-
gerechnet unter deutscher EU-Präsidentschaft die deut-
sche Buchpreisbindung abgeschafft würde, nachdem es
der vorherigen Regierung auch durch den besonderen
persönlichen Einsatz von Helmut Kohl gelungen war, in
die Maastrichter Verträge die ausdrückliche Verpflich-
tung der Europäischen Gemeinschaft zur Entfaltung der
Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer natio-
nalen und regionalen Vielfalt einzufügen. Insofern ge-
ben wir hier sicherlich eine gemeinsame, für uns ganz
selbstverständliche Überzeugung zu Protokoll.

Aber dieser Entschließungsantrag der Koalitionsfrak-
tionen ist leider eines der vielen Beispiele dafür, daß
manchmal halbe Wahrheiten von ganzen Problemver-
drehungen nur noch schwer zu unterscheiden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Denn die ganze Wahrheit ist, daß gegenwärtig die wirt-
schaftliche Existenz vieler Buchhandlungen, vieler
Verlage und leider auch vieler Autoren und Schriftsteller
nicht nur durch die Absicht der Aufhebung der deut-
schen Buchpreisbindung gefährdet ist, sondern durch die
Ankündigung dieser Bundesregierung, die Teilwertab-
schreibung in unserem Steuerrecht zu beseitigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie alle, einschließlich derjenigen Kolleginnen und

Kollegen, die mit dem Kopf schütteln, haben in den
letzten Tagen – an jedes Mitglied des Deutschen Bun-
destages gerichtet – entsprechende Briefe des Deutschen
Kulturrates bekommen, des Börsenvereins des Deut-
schen Buchhandels, des Deutschen PEN-Zentrums, des
Schriftstellerverbandes. Meine Damen und Herren, ich
kann mich an keinen Vorgang während meiner
18jährigen Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag er-
innern, bei dem sich der Schriftstellerverband wegen
Änderungen im Steuerrecht verzweifelt an den Bundes-
tag gewendet hat, mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß
er – ich zitiere – katastrophale Folgen für die Autorinnen
und Autoren, den Buchhandel und die Verlage in
Deutschland und damit für die deutsche Literatur und
Kultur sieht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401406800
Herr
Kollege Lammert, ich bitte zur Abstimmung zu spre-
chen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1401406900
Herr Präsident,
genau das werden wir nicht durchgehen lassen, daß der
Deutsche Bundestag eine Abstimmung über etwas her-
beiführt, was völlig unstreitig ist, und sich um die Frage
drückt, für die wir eine Entscheidung brauchen. Dies ist,
meine Damen und Herren, leider einmal mehr ausge-
rechnet am Schluß einer Europadebatte ein trauriges
Beispiel dafür, wie in einer Frage von in der Tat vitalem
nationalem Interesse mit dem Finger auf Brüssel gezeigt
wird, während in eigener nationaler Regierungsverant-
wortung genau die Bedrohungen und Beschädigungen

organisiert werden, die die Betroffenen zu Recht gegen-
über dem Deutschen Bundestag reklamieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401407000
Herr
Kollege Lammert, ich bitte zur Abstimmung zu spre-
chen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1401407100
Deshalb wird
die CDU/CSU-Fraktion diesem Versuch einer verkürz-
ten Problembeschreibung nicht zustimmen und den An-
trag zur Beschlußfassung empfehlen, den ich erläutert
habe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401407200
Der
Kollege Weisskirchen möchte ebenfalls nach § 31 der
Geschäftsordnung das Wort nehmen. Bitte schön.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1401407300
Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich finde es ganz interessant, Herr
Dr. Lammert, daß Sie zu einem Thema, das nicht zur
Abstimmung steht, so in dieser Weise zu Felde ziehen,
denn wir werden das Thema der Teilwertabschreibung
sehr wohl in diesem Hause noch debattieren und werden
uns sehr wohl darüber klar werden, in welcher Weise
wir dieses Thema behandeln. Das hat die Fraktion uns
sehr klar gesagt. Deswegen muß ich ganz deutlich sa-
gen: Der Punkt, den Sie in der letzten Ziffer Ihres An-
trags beantragen, gehört nicht zu dieser Debatte, und
deswegen werden wir diesen Punkt klar ablehnen.


(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen in den

Ausschüssen auf diesen Punkt zurück. Lassen Sie mich
hier, Herr Dr. Lammert, ganz deutlich sagen: Niemand
anders als die Sozialdemokratie hat sich in eindeutiger
Weise dafür ausgesprochen, daß die Kultur in diesem
Hause einen festen Platz in Form eines Ausschusses be-
kommen soll.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben das vollzogen. Sie hatten in der vorigen Le-
gislaturperiode Zeit, einen solchen Ausschuß einzuset-
zen. Über Kultur brauchen wir von Ihnen keine Beleh-
rungen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1401407400
Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Beide Erklärungen haben
sich nicht streng an den Zweck gehalten, aber es hat ei-
nen Ausgleich gegeben.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung selbst, und zwar
zunächst zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
14/182. Beide Fraktionen haben namentliche Abstim-

Dr. Norbert Lammert

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 853


(A) (C)



(B) (D)


mung verlangt. Bitte überprüfen Sie, ob die von Ihnen
benutzten Abstimmungskarten auch Ihren Namen tra-
gen.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Es geht um den Ent-
schließungsantrag auf Drucksache 14/182, Antrag von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen.

Sind alle Urnen besetzt? – Dann eröffne ich die Ab-
stimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Dann schließe ich
die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Dazu bitte ich die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, die nicht an den Urnen ein-
geteilt sind, sich in den Auszählraum im Präsidialbau zu
begeben. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekanntgegeben.*)

Wir setzen die Beratungen fort. Wir kommen zur Ab-
stimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/166. Hier ist von der
Fraktion der CDU/CSU namentliche Abstimmung be-
antragt worden.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Die Urnen sind be-
setzt. Ich eröffne die Abstimmung.

Sind alle Stimmkarten abgegeben? – Ich schließe den
Wahlgang und bitte die Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis dieser Abstimmung ge-
be ich Ihnen ebenfalls später bekannt.**)


(V o r s i t z : Vizepräsident Rudolf Seiters)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401407500
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich darf Sie bitten, wieder Platz zu neh-
men, damit wir die noch ausstehenden Abstimmungen
ordnungsgemäß durchführen können.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-
tion der F.D.P. eingebrachten Antrag zum Europäi-
__________
*) Seite 853 B
**) Seite 859 B

schen Rat, Drucksache 14/90 (neu). Wer stimmt dafür?
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS bei Enthaltung der Fraktion der CDU/CSU
und Zustimmung der Abgeordneten der F.D.P. abge-
lehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-
brachten Antrag zum Europäischen Rat, Drucksache
14/181. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
Fraktionen der Antragsteller gegen die Stimmen der
CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthaltung der PDS ange-
nommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Fraktion der PDS eingebrachten Antrag zu Forderungen
an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, Drucksache
14/165. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen aller
übrigen Fraktionen abgelehnt.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Eine Enthaltung bei der SPD! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Struck [SPD]: Die SPD hat geschlossen dagegen gestimmt, Herr Präsident!)


– Wir nehmen die Erklärung des Fraktionsvorsitzenden
der SPD zu Protokoll, daß es diesmal eine geschlossene
Abstimmung der SPD gegeben hat.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/159 und 14/164 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
– Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführe-
rinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den Entschließungsantrag der Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Abgabe einer
Regierungserklärung des Bundeskanzlers – Vorschau
auf den Europäischen Rat in Wien am 11./12. Dezember
1998 und Ausblick auf die deutsche Präsidentschaft in
der ersten Jahreshälfte 1999 – Drucksache 14/182, be-
kannt. Abgegebene Stimmen 618. Mit Ja haben ge-
stimmt 366, mit Nein haben gestimmt 250, Enthaltungen
2. Damit ist der Entschließungsantrag angenommen.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 617;
davon

ja: 366
nein: 249
enthalten: 2

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr

Doris Barnett
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)


Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt

Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

854 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster

Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer

Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener

Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek (Leipzig)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-
Bohlig

Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir

Vizepräsident Rudolf Seiters

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 855


(A) (C)



(B) (D)


Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla (Ursula) Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm

Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf)


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung

Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhemshaven)

Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt

(Mühlheim)


Hans Peter Schmitz

(Baesweiler)


Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm

(Mainz)


Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach

Vizepräsident Rudolf Seiters

856 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller

F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke

Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin

Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms

Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Enthalten

PDS
Dr. Ruth Fuchs
Ursula Lötzer

Ich denke, wir müssen jetzt nicht auf die Auszählung
der anderen Abstimmung warten, sondern können zu
den nächsten Tagesordnungspunkten übergehen.

Ich rufe zunächst Zusatzpunkt 2 auf:
Überweisung im vereinfachten Verfahren
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing.
Paul Krüger, Ulrich Adam und der Fraktion der
CDU/CSU
Ansiedlung einer Produktionsstätte für den
Airbus A 3XX in Mecklenburg-Vorpommern
– Drucksache 14/161 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder(federführend)Ausschuß für Wirtschaft und TechnologieAusschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen nun zu Beschlußfassungen zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über
die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen
Staatssekretäre
– Drucksache 14/30 –

(Erste Beratung 8. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuß)

– Drucksache 14/150 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz
Hartmut Koschyk
Ekin Deligöz
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von
den Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-
brachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über
die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatsse-
kretäre auf Drucksache 14/30. Der Innenausschuß emp-
fiehlt auf Drucksache 14/150, den Gesetzentwurf unver-
ändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stim-
men von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis wie bei der
zweiten Beratung angenommen.

Tagesordnungspunkt 13 a:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines
Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. Septem-
ber 1998 zwischen der Regierung der Bundes-
republik Deutschland und der Europäischen
Zentralbank über den Sitz der Europäischen
Zentralbank
– Drucksache 14/70 –

(Erste Beratung 11. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuß)

– Drucksache 14/168 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Ulrich Klose

Wir kommen zur
zweiten Beratung

und Schlußabstimmung über den von der Bundesregie-
rung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen

Vizepräsident Rudolf Seiters

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 857


(A) (C)



(B) (D)


über den Sitz der Europäischen Zentralbank auf Druck-
sache 14/70. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf
Drucksache 14/168, den Gesetzentwurf unverändert an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstim-
mig angenommen.

Tagesordnungspunkt 13 b:
– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-
Gesetzes (4. StUÄndG)

– Drucksache 14/92 –

(Erste Beratung 11. Sitzung)

– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Hartmut Büttner (Schönebeck), Günter
Nooke und der Fraktion der CDU/CSU einge-
brachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur

(4. StUÄndG)

– Drucksache 14/91 –

(Erste Beratung 11. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuß)

– Drucksache 14/149 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Schröter
Hartmut Büttner (Schönebeck)

Hans-Christian Ströbele
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Ulla Jelpke

Es liegt eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31
der Geschäftsordnung vom Kollegen Christian Ströbele,
Bündnis 90/Die Grünen, vor.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich stimme
der Verlängerung der Frist in § 14 des Stasi-Unterlagen-
Gesetzes zu. Damit wird die Möglichkeit für Betroffene,
Anträge auf Anonymisierung von ihre Person betref-
fende Informationen in den Stasi-Unterlagen zu stellen,
um vier Jahre hinausgezögert, das heißt, erst ab 1. Janu-
ar 2003 können solche Anträge gestellt werden. So weit,
so gut.

Wir sind von einer ganzen Reihe von Opferverbän-
den, von Betroffenen, von Archivaren, von Historikern
und Journalisten angesprochen und angeschrieben wor-
den, wie wir in die Beschlußbegründung schreiben kön-
nen, daß diese Verlängerung der Frist letztmalig erfol-
gen soll, das heißt, danach kann eine Anonymisierung
auf Antrag der Betroffenen vorgenommen werden. Ich
kann den Briefeschreibern grundsätzlich nur recht ge-
ben. Ich teile die wesentlichen Argumente der Briefe-

schreiber, die sagen, daß zum einen damit wesentliche
Teile der Akten der Aufarbeitung entzogen werden, zum
anderen ein großer Teil der Akten, die in den USA gela-
gert sind, nicht unter diese Anonymisierung fällt, weil
über sie gar nicht von Deutschland aus verfügt werden
kann und alle Versuche, diese Akten zurückzubekom-
men, bisher keinen Erfolg gehabt haben. Außerdem be-
stünden grundsätzliche Bedenken, in Archiven Anony-
misierungen vorzunehmen.

Diese Bedenken teile ich. Ich werde dem Gesetzent-
wurf heute gleichwohl zustimmen – im Ausschuß habe
ich mich in gleicher Weise verhalten –, weil er lediglich
eine Zwischenlösung darstellt. Wir haben in den betei-
ligten Ausschüssen fraktionsübergreifend – mit Aus-
nahme der PDS – beschlossen, daß wir noch im Jahre
1999 eine vollständige Novellierung des § 14 anstreben,
um grundsätzliche Mängel zu beseitigen. Wir müssen
uns in diesem Zusammenhang darüber schlüssig werden,
ob eine Anonymisierung überhaupt erfolgen soll.

Ich bin der Auffassung, Archive sind das Gedächtnis
eines Volkes. Deshalb sollte es selbstverständlich sein,
daß in diesem Gedächtnis nichts verändert, nichts getilgt
und nichts unleserlich gemacht wird. Dies gilt allgemein
für Archive im Rahmen des Archivgesetzes und beson-
ders für Akten des MfS. Sie müssen für die Forschung,
für die Wissenschaft und auch für die interessierten
Bürgerinnen und Bürger zukünftiger Generationen voll-
ständig und ungelöscht erhalten bleiben.

Deshalb werden wir uns Gedanken darüber machen,
ob nicht eine Anonymisierung der Archive grundsätzlich
ausgeschlossen werden soll und ob nicht statt dessen ei-
ne Lösung angestrebt werden soll, die etwa beinhalten
könnte, daß lediglich in den Kopien von Dokumenten,
die auf Wunsch der Betroffenen herausgegeben werden,
Anonymisierungen vorgenommen werden. Das heißt,
die Angaben zu einzelnen Personen können auf deren
Wunsch hin unkenntlich gemacht werden. Die Archive
an sich bleiben aber vollständig erhalten.

Unter diesen Voraussetzungen stimme ich wie auch
die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion dem
heute vorgelegten Gesetzentwurf zu. Ich bitte auch die
anderen Kolleginnen und Kollegen, dies zu tun. Ich
denke, daß wir im nächsten Jahr noch genügend Gele-
genheit haben werden, Fehler, auch Fehler in § 14, aus-
zubessern.

Danke sehr.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401407600
Damit kommen wir
zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung des Stasi-Unterlagen-
Gesetzes auf Drucksache 14/92. Der Innenausschuß
empfiehlt auf Drucksache 14/149 unter Buchstabe a, den
Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-

Vizepräsident Rudolf Seiters

858 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenergebnis wie eben
angenommen.

Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem
von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf
zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes auf Druck-
sache 14/149 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 14/91 für erledigt zu er-
klären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlußempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 c auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuß) zu der Verordnung der
Bundesregierung
Aufhebbare Vierundvierzigste Verordnung
zur Änderung der Außenwirtschaftsverord-
nung
– Drucksachen 13/11417, 14/69 Nr. 2.1, 14/95 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlußempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
CDU/CSU angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 d auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuß) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur
Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maß-
nahmen der Gemeinschaft im Bereich der
Wasserpolitik
– Drucksachen 13/7867 Nr. 2.14, 14/155 Nr. 2.1,
14/154 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christel Deichmann
Kurt-Dieter Grill
Winfried Hermann
Ulrike Flach
Eva-Maria Bulling-Schröter

Dazu liegt eine persönliche Erklärung der Kollegin
Annette Faße vor, die zu Protokoll genommen wird.*)
__________
*) Anlage 4

Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf Drucksache 14/154 Nr. 1? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußemp-
fehlung auf Drucksache 14/154 die Annahme einer Ent-
schließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
– Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlußemp-
fehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU
und F.D.P. angenommen.

Wir kommen zu dem Tagesordnungspunkt 13 e und f:
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechts-

ausschusses (6. Ausschuß)

Übersicht 11
über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht
– Drucksache 14/67 –

f) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechts-
ausschusses (6. Ausschuß)

Übersicht 12
über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht
– Drucksache 14/68 –

Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlußempfehlun-
gen sind einstimmig angenommen.

Wir kommen nun zu den Beschlußempfehlungen des
Petitionsausschusses, zunächst zu Tagesordnungspunkt
13 g:

Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 6 zu Petitionen
– Drucksache 14/129 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Sammelübersicht 6 ist mit den Stim-
men des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 13 h:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 7 zu Petitionen
– Drucksache 14/130 –

Vizepräsident Rudolf Seiters

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 859


(A) (C)



(B) (D)


Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Sammelübersicht 7 ist mit den Stim-
men des Hauses gegen die Stimmen der PDS ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 13 i:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 8 zu Petitionen
– Drucksache 14/131 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Sammelübersicht 8 ist mit den
Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 13 j:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 9 zu Petitionen
– Drucksache 14/132 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Sammelübersicht 9 ist mit den Stim-
men des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenom-
men. – –

Tagesordnungspunkt 13 k:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 10 zu Petitionen
– Drucksache 14/133 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Sammelübersicht 10 ist mit den Stim-
men der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 13 l:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 11 zu Petitionen
– Drucksache 14/134 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Sammelübersicht 11 ist mit den Stim-
men des Hauses gegen die Stimmen der CDU/CSU an-
genommen.

Ich gebe dann das von den Schriftführern und Schrift-
führerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-
stimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU zur Abgabe einer Regierungserklärung
des Bundeskanzlers, Drucksache 14/166, bekannt. Ab-
gegebene Stimmen 610. Mit Ja haben gestimmt 249, mit
Nein haben gestimmt 337, Enthaltungen 24. Der Ent-
schließungsantrag ist damit abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 609;
davon

ja: 249
nein: 336
enthalten: 24

Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Dr. Wolfgang Bötsch

Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens

(Emstek)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf)


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung

Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven

Vizepräsident Rudolf Seiters

860 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhemshaven)

Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt

(Mühlheim)


Hans Peter Schmitz

(Baesweiler)


Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe

Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller

F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel

Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski

Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann

(Chemnitz)


Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning

Vizepräsident Rudolf Seiters

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 861


(A) (C)



(B) (D)


Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann

Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher

Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek (Leipzig)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

BÜNDNIS 90 /
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-
Bohlig

Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Monika Knoche

Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

PDS
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Ulla (Ursula) Jelpke
Dr. Heidi Knake-Werner
Ursula Lötzer
Angela Marquardt
Kersten Naumann

Enthalten
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Fred Gebhardt
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Manfred Müller (Berlin)

Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert

Vizepräsident Rudolf Seiters

862 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-

nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversi-
cherung und zur Sicherung der Arbeitneh-
merrechte
– Drucksache 14/45 –

(Erste Beratung 9. Sitzung)

Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Rainer Brü-
derle, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur beschäftigungswirk-
samen Änderung des Kündigungsschutzgeset-
zes
– Drucksache 14/44 –

(Erste Beratung 9. Sitzung)

aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-


(11. Ausschuß)

– Drucksache 14/151 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Storm


(8. Ausschuß)

– Drucksache 14/152 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft
Dr. Konstanze Wegner
Antje Hermenau

b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Versorgungsre-
formgesetzes 1998 (VReformGÄndG)

– Drucksache 14/46 –

(Erste Beratung 9. Sitzung)

aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innen-

ausschusses (4. Ausschuß)

– Drucksache 14/145 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Veit
Meinrad Belle
Ekin Deligöz
Dr. Max Stadler
Petra Pau


(8. Ausschuß)

– Drucksache 14/146 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Rexrodt
Ewald Schurer
Josef Hollerith
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft

Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die
Aussprache drei namentliche Abstimmungen durchfüh-
ren werden. Zur Annahme des Gesetzes zu Korrekturen
in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeit-
nehmerrechte ist nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes
die absolute Mehrheit erforderlich. Auch hier gestatte
ich mir den Hinweis, auf Ihren Abstimmungskarten bitte
zu überprüfen, ob sie Ihren Namen tragen.

Wir kommen zur Aussprache. Nach einer interfrak-
tionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei-
einhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bun-
desminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Rie-
ster.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Heute ist für viele Wählerinnen und
Wähler ein ungewöhnlicher Tag. Heute erleben sie et-
was, was in den vergangenen 16 Jahren nicht häufig der
Fall war: daß Wahlversprechen schnell und exakt einge-
halten werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben vor der Wahl versprochen, daß wir die Be-
kämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt un-
serer Politik stellen werden, und zwar nicht nur rheto-
risch.


(Zuruf von der SPD: Das ist erforderlich! – Walter Hirche [F.D.P.]: Mit diesen Maßnahmen erreichen Sie das Gegenteil!)


Mit diesem Versprechen machen wir Ernst.
Am Montag haben wir gemeinsam mit den Spitzen-

vertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften die er-
ste Runde des Bündnisses für Arbeit eingeläutet.


(Zuruf von der SPD: Erfolgreich!)

Der Anfang ist gemacht worden. Alle Beteiligten haben
sich über diesen Auftakt uneingeschränkt positiv geäu-
ßert.


(Beifall bei der SPD – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das hat aber mit dem Gesetz nichts zu tun!)


Wir sind nicht euphorisch, aber optimistisch gestimmt,
daß wir im Verlauf der weiteren Gespräche zu konkreten

Vizepräsident Rudolf Seiters

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 863


(A) (C)



(B) (D)


Ergebnissen und Fortschritten beim Kampf gegen die
Arbeitslosigkeit kommen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften
die vorhandenen Probleme anpacken und auch lösen.

Zum Bündnis für Arbeit gehört es, die Situation auf
dem Ausbildungsstellenmarkt zu verbessern. Mir liegen
insbesondere die Menschen am Herzen, die es bereits zu
Beginn ihres Berufslebens sehr schwer haben. Eine fun-
dierte Berufsausbildung – das zeigen alle Untersuchun-
gen – ist noch immer der beste Schutz vor Arbeitslosig-
keit. Die Vermittlung einer Berufsausbildung ist daher
ein wesentlicher Baustein unseres Sofortprogrammes
zum Abbau von Jugendarbeitslosigkeit. Die Bündnis-
gespräche haben im übrigen gerade in diesem Punkt
durchaus Anlaß für Optimismus gegeben. Alle Teilneh-
mer des Bündnisses für Arbeit – im übrigen ausdrück-
lich auch die Wirtschaftsvertreter – haben uns ihre Un-
terstützung zur Umsetzung des Sofortprogrammes zuge-
sagt.


(Beifall bei der SPD)

Bereits Ende September diesen Jahres haben Unter-

nehmen und Verwaltungen 4,4 Prozent mehr Lehrver-
träge abgeschlossen als im Vorjahr.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Ohne Bündnis!)

– Ohne Bündnis. Aber diese Zahl kann und muß erhöht
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für diese Leistung möchte ich den Arbeitgebern ein
großes Lob aussprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Diese Zahlen geben allerdings noch keinen Anlaß, sich
jetzt auszuruhen. Sie müssen vielmehr Ansporn sein,
weitere Anstrengungen zu unternehmen.

Wir stehen auch an der Seite der Menschen, die keine
Arbeit haben, und wollen dafür sorgen, daß die Ar-
beitsmarktpolitik wieder verläßlich und berechenbar
wird. Gerade in den neuen Bundesländern sind viele
Menschen auf einen Rettungsanker angewiesen, der ih-
nen möglicherweise die Tür zum ersten Arbeitsmarkt of-
fenhält. Deshalb werden wir die Maßnahmen der aktiven
Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau fortführen. Nicht
Achterbahnfahren, sondern Kontinuität wird das Kenn-
zeichen der neuen Bundesregierung auf diesem Gebiet
sein.


(Zuruf von der F.D.P.: Da müssen Sie sich aber ändern! – Zuruf von der CDU/CSU: Da warten wir einmal ab!)


– Wir brauchen das nicht abzuwarten. – 27,4 Milliarden
DM des Haushaltes der Bundesanstalt für Arbeit für
1999 sind für den Eingliederungstitel vorgesehen. Das
sind über 2 Milliarden DM mehr als in diesem Jahr.
Mehr als ein Viertel der Gesamtausgaben sind damit

für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik ein-
geplant.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Bundeskabinett hat gestern den Etat der Bundes-
anstalt für Arbeit in Höhe von rund 105 Milliarden DM
gebilligt. Wir reden nicht nur über Verläßlichkeit und
Verstetigung, sondern wir praktizieren sie.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Wenn wir auf dem Arbeitsmarkt vorankommen wol-

len, müssen wir die Arbeitskosten senken und damit
den Faktor Arbeit Schritt für Schritt entlasten. Diese
Binsenweisheit setzen wir nach jahrelangem Anwachsen
der Lohnnebenkosten nun endlich in die Praxis um.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Die Regelung der Lohnfortzahlung hat die Wirtschaft um über 10 Milliarden DM entlastet!)


– Auf diesen Punkt komme ich noch zurück. – Der Bei-
trag zur Rentenversicherung wird ab 1. April 1999 abge-
senkt. Damit stärken wir die Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Wirtschaft und gleichzeitig die Kaufkraft der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jährlich um 11
Milliarden DM.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Die Steuern bleiben!)

Darum zahlt der Bund ab dem 1. Juni 1999 die Beiträge
für die Kindererziehungszeiten,


(Lachen bei der CDU/CSU)

ebenso die Aufwendungen nach dem SED-Unrechts-
bereinigungsgesetz und die Kosten für die Auffüllbeträ-
ge der Renten in den neuen Ländern. „Endlich!“ kann
ich nur sagen. Debattiert worden ist über diese Frage
jahrelang.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gerd Andres [SPD]: Wo ist denn der Blüm?)


Natürlich wird das allein nicht reichen, um die Ren-
ten wetterfest für die Zukunft zu machen. Wir verschlie-
ßen uns nicht vor der Tatsache, daß die Rentenversi-
cherung ein deutliches Einnahmeproblem hat. Entgegen
den ursprünglichen Annahmen – ich wäre sehr froh ge-
wesen, wenn die Zahlen schon vor dem 27. September
veröffentlicht worden wären – fehlen nun fast 8 Milliar-
den DM in den Rentenkassen.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Begründe das mal!)


Darum müssen wir uns überlegen, wie wir den Men-
schen trotz der demographischen Entwicklung sichere
Renten garantieren können. Es ist selbstverständlich,
daß die Bevölkerungsstruktur berücksichtigt werden
muß. Allerdings dürfen Renten im unteren und im mitt-
leren Bereich nicht in die Nähe des Sozialhilfeniveaus
geraten. Bereits zu Beginn des nächsten Jahres werden
wir ein Gremium von Experten einsetzen, um eine große

Bundesminister Walter Riester

864 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Rentenstrukturreform vorzubereiten. Diese Reform soll
bis Ende 1999 stehen, also ein Jahr früher, als in der Ko-
alitionsvereinbarung vorgesehen.

Meine Damen und Herren, wir stehen vor großen
strukturellen Problemen auf dem Arbeitsmarkt. Ich nen-
ne hier nur den Wildwuchs bei den sozialversicherungs-
freien Beschäftigungsverhältnissen und den sogenannten
Scheinselbständigen. Wir bringen den Arbeitsmarkt
wieder in Ordnung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Im Gegenteil!)


– Wir bringen ihn wieder in Ordnung. – Wer abhängig
beschäftigt ist, muß auch sozialversichert sein. Denn ein
chaotischer Arbeitsmarkt schadet dreifach: erstens na-
türlich den Beschäftigten, die schutzlos den allgemeinen
Lebensrisiken ausgeliefert sind; zweitens auch – das in-
teressiert Sie, meine Damen und Herren von der rechten
Seite, vielleicht noch mehr – der Wirtschaft, weil sich
diejenigen Betriebe, die sich an der Sozialversiche-
rungspflicht vorbeimogeln, unlautere Wettbewerbsvor-
teile erschleichen;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und drittens natürlich den Sozialkassen, weil sie mit we-
niger Beiträgen nicht mehr in der Lage sind, ihre Soli-
darfunktion zu erfüllen.

Wir beseitigen diese Zustände demnächst mit unserer
Reform der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Ja, wie denn? – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Da bin ich aber gespannt!)


– Da dürfen Sie ruhig gespannt sein; darüber werden wir
dann debattieren, wenn es auf der Tagesordnung steht. –


(Beifall bei der SPD)

Wir tun heute den ersten Schritt, indem wir wirksame
Maßnahmen gegen Scheinselbständigkeit ergreifen.
Dabei möchte ich nicht mißverstanden werden. Wer sich
selbständig macht und eine eigene Existenz aufbaut, lei-
stet einen großartigen Beitrag für die Zukunft unserer
Gesellschaft. Existenzgründer verdienen unsere Aner-
kennung.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Lippenbekenntnisse!)


Aber daß immer mehr Menschen einzig aus dem Grund
ihre Selbständigkeit anmelden, um Sozialbeiträge zu
sparen, kann nicht weiter hingenommen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Zahlen sprechen für sich. Je nach Abgrenzung
des Begriffs sind in Deutschland zwischen 180 000 und
430 000 Personen als Scheinselbständige erwerbstätig.
Außerdem sind zwischen 330 000 und 1 Million Men-
schen nebenberuflich als Scheinselbständige aktiv. Daß
wir uns mit diesen Zahlen nicht abfinden können, sehen
die Gerichte im übrigen auch so. Der Bundesgerichtshof

hat vor wenigen Tagen im sogenannten Eismann-Urteil
entschieden, daß Verkaufsfahrer einer großen Tiefkühl-
firma rechtlich Arbeitnehmern vergleichbar sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dieses BGH-Urteil ist nicht das erste seiner Art.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Dann ist doch alles okay! – Walter Hirche [F.D.P.]: Also sind die Dinge geregelt!)


– Sie sind nicht geregelt. Wir wollen eben keine Einzel-
fallregelung, die uns ein Gericht vorschreibt, sondern
wir wollen einen rechtlich klar geregelten Zustand. Es
ist doch unsere Aufgabe, rechtliche Regeln zu setzen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401407700
Herr Bundesmi-
nister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Lenke?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Gern.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1401407800
Herr Minister, ist Ihnen bekannt,
daß viele Existenzgründerinnen – ich benutze den weib-
lichen Begriff – klein anfangen, daß sie wenig investie-
ren und oftmals nur einen Kunden und einen Auftragge-
ber haben? Ich möchte Sie fragen, ob die vier Kriterien
diesen Frauen, deren Existenzgründung ich jetzt be-
schrieben habe, nützen.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ich denke schon, daß es ihnen nützt, in die
Sozialversicherung hineinzukommen. Wenn sie sich
dann als Selbständige entwickelt haben, können sie aus
der Sozialversicherung herausgehen. Solange sie aber
diesen Status nicht haben, solange sie in direkter Ab-
hängigkeit zu einem Unternehmen stehen, müssen sie
auch in der Sozialversicherung bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401407900
Herr Bundesmi-
nister, es liegen noch zwei Zwischenfragen vor. Ich fra-
ge Sie: Lassen Sie sie zu?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ja, bitte schön.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401408000
Frau Kollegin Len-
ke, dann Herr Kollege Niebel.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1401408100
Herr Minister, ich habe Sie jetzt
so verstanden, daß die Existenzgründerinnen vorher ab-
hängig beschäftigt sind und dann eine Existenz gründen.
So haben Sie das erklärt. Was machen Sie mit den Frau-
en, die eine Pause gemacht haben und dann als Exi-

Bundesminister Walter Riester

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 865


(A) (C)



(B) (D)


stenzgründerinnen beginnen? Bei ihnen gibt es keine
vorangegangene abhängige Beschäftigung. Diese Frau-
en, Herr Minister, werden solche Existenzgründungen
nicht mehr mitmachen, weil sie dann doppelte Renten-
versicherungsbeiträge bezahlen müßten, die sie nicht
finanzieren können.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ich hätte mich gefreut, wenn Sie sich diese
Gedanken über diese breite Entwicklung, die wir seit
Jahren erleben, rechtzeitig gemacht hätten;


(Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache!)

denn dann wäre die Situation nicht so ausgeufert, wie sie
es heute gerade in diesem Bereich ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht mir darum – –


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401408200
Herr Minister Rie-
ster, Sie hatten noch eine Zusatzfrage zugelassen, näm-
lich die des Kollegen Niebel.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ja, das ist dann aber auch die letzte.


(Zurufe von der SPD – Gegenruf der Abg. Ina Lenke [F.D.P.]: Uns liegt das sehr am Herzen! Das muß ich deutlich sagen!)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1401408300
Vielen Dank, Herr Minister. –
Ich habe die Antwort auf die vorhergehende Frage viel-
leicht nicht richtig verstanden, und deshalb möchte ich
noch einmal nachfragen.


(Zuruf von der SPD: Das wundert nicht!)

Ist es richtig, daß es Arbeitnehmerinnen und Arbeit-

nehmer gibt, die ab und zu aus dem Berufsleben aus-
scheiden und nach dem Wiedereintritt in das Berufsle-
ben vielleicht als Selbständige beginnen möchten, ohne
Arbeitnehmer eingestellt zu haben? Ist es ferner richtig,


(Zuruf von der SPD: Nein!)

daß diese von Ihnen als scheinselbständig bezeichneten
Existenzgründer deshalb keine Selbständigen, also auch
keine Existenzgründer sind,


(Zuruf von der SPD: So ist es!)

weil sie in der Gründungsphase nur einen Auftraggeber
haben und keinen Mitarbeiter beschäftigen und somit
schon zwei Ihrer vier Kriterien erfüllen?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Wenn sie keine sind, dann werden sie als
abhängig Beschäftigte eingestuft und in die Sozialversi-
cherung aufgenommen.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut! – Ina Lenke [F.D.P.]: Von wem denn? – Walter Hirche [F.D.P.]: Sie ruinieren neue Selbständigkeit!)


– Sie müssen sich darüber keine Gedanken machen. Wir
ruinieren nicht die Selbständigkeit, sondern wir wollen
sie gerade fördern.

Uns geht es dabei nicht darum – ich will das klar sa-
gen –, die Rentenversicherung aufzufüllen,


(Zuruf von der F.D.P.: Aber sicher!)

sondern einzig um die soziale Absicherung dieses Per-
sonenkreises. Darum akzeptieren wir beispielsweise als
Alternative zur Rentenversicherung auch eine bereits
bestehende Lebensversicherung oder eine bereits be-
stehende Zusage auf eine betriebliche Altersversor-
gung.


(Zuruf von der SPD: Das kapieren die gar nicht!)


Wer bis heute eine Lebensversicherung abgeschlossen
oder eine Zusage über eine Betriebsrente hat, ist von der
Rentenversicherungspflicht befreit.


(Zurufe von der CDU/CSU: Der hat Glück gehabt! – Und in welcher Höhe?)


Ein weiteres Wahlversprechen, auf das ich als Ge-
werkschafter besonders stolz bin, lösen wir heute ein:
Wir nehmen die unsozialen Einschnitte bei der Entgelt-
fortzahlung im Krankheitsfall zurück.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die Demontage dieses Kernstücks der sozialen Siche-
rung, für das die Gewerkschaften im übrigen jahrzehn-
telang gekämpft haben, hat nicht nur ein Signal in die
falsche Richtung gesetzt, sondern darüber hinaus auch
den sozialen Frieden in unserem Land unnötig aufs Spiel
gesetzt. Die Kürzung der Entgeltfortzahlung auf 80 Pro-
zent des Arbeitsentgelts hat zu einer sozialpolitisch nicht
vertretbaren Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer ge-
führt. Sie hat nämlich gerade Arbeitnehmer mit niedri-
gen Arbeitsentgelten und ungünstigen Arbeitsbedingun-
gen belastet, für die weder Tarifverträge noch Arbeits-
verträge die volle Entgeltfortzahlung vorsahen.

Wir stellen durch die volle Entgeltfortzahlung die
Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer im Krankheitsfall
wieder her


(Zuruf von der F.D.P.: Zu Lasten des Arbeitsmarktes!)


und beseitigen damit gleichzeitig soziale Härten, die die
Kürzung der Entgeltfortzahlung insbesondere bei chro-
nisch Kranken, Schwangeren und Schwerbehinderten
verursacht hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401408400
Herr Bundesmi-
nister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Fuchtel?

Ina Lenke

866 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Bitte.


Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1401408500
Herr Minister,
was empfehlen Sie denn den Betrieben, die die Kom-
pensation auf andere Weise gelöst haben?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Auf welche Weise?


Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1401408600
Ein Frage-
und-Antwort-Spiel von seiten der Bundesregierung erle-
be ich das erste Mal. Aber ich beteilige mich gerne dar-
an. – Auf die Weise, daß sie die Lohnfortzahlung nicht
gekürzt haben, sondern im tariflichen Bereich Leistun-
gen auf andere Weise eingeschränkt haben.


(Zuruf von der SPD: Das ist Sache der Gewerkschaften!)


Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ich komme gleich auf diese Frage zurück.


Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1401408700
Nein, bitte
kommen Sie jetzt sofort auf die Frage, wenn ich sie
stelle!


(Widerspruch bei der SPD)


Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Mein lieber Herr, wenn sie die Lohnfort-
zahlung nicht gekürzt haben, dann gibt es keine Proble-
me, denn dann ändert sich jetzt nichts. Dann gilt sie
weiter, und das ist in Ordnung. Dann müssen sie auch
nicht erschrecken, wenn sie jetzt die Lohnfortzahlung in
voller Höhe gesetzlich zu zahlen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1401408800
Ich möchte
gerne wissen, wie Sie die Fairneß zwischen den Tarif-
partnern wiederherstellen wollen, nämlich zwischen sol-
chen, die sich darauf verlassen haben, daß das Gesetz
gilt, und solchen, die das nicht gemacht haben.


(Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: Sache der Gewerkschaften!)


Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Da muß ich Ihnen sagen: Ich sehe die Fair-
neß nicht mehr gegeben, weil ein Unterschied gerade
dadurch besteht, daß beispielsweise, um nur einen Fall
anzuführen, der Gesetzgeber in seinem eigenen Bereich
als Tarifvertragspartei die Lohnfortzahlung auf 100 Pro-
zent festgesetzt hat und in den Bereichen, in denen es
keine Tarifverträge gibt, die 80 Prozent gelten. Dort von
Fairneß zu sprechen, das kann auch unter wirtschaftli-
chen Gesichtspunkten nicht ernst genommen werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Nun komme ich auf Ihren Einwurf zurück. Die Ar-
beitgeber sprechen davon, daß sie durch die Kürzung der
Entgeltfortzahlung in einer Größenordnung von 15 bis
20 Milliarden DM von Kosten entlastet worden sind. Ich
vermag nicht zu sagen, ob das stimmt; aber ich unter-
stelle einmal, die Zahl sei so. Die meisten Tarifverträge
haben zwar die volle Entgeltfortzahlung beibehalten, da-
für aber erhebliche Zugeständnisse in anderen Bereichen
gemacht – Ihr Hinweis. Hinzu kommt, daß zur Beibe-
haltung der vollen Entgeltfortzahlung auch die Lohn-
steigerungen 1997 wesentlich geringer ausgefallen sind,
als es selbst die frühere Bundesregierung voraus-
geschätzt hat. Die Tariflöhne 1997 – ich habe mich noch
einmal vergewissert – sind in der Schätzung der Brutto-
lohnsumme der alten Bundesregierung um 2,4 Prozent
höher angesetzt worden, als sie zu realisieren waren.
Das bedeutet, daß die Bruttolohnsumme 1997, durch die
niedrigeren Lohnabschlüsse um 34 Milliarden DM nied-
riger ausgefallen ist, als noch im Vorjahr geschätzt wurde.

Die dadurch eingetretene Entlastung der Arbeitgeber
hat aber nicht zu den erwarteten Beschäftigungseffekten
auf dem Arbeitsmarkt geführt. Die Arbeitslosenzahlen
sind dadurch nicht zurückgegangen. Ich stelle fest: Die
Kürzung der Entgeltfortzahlung hat ihr unterstelltes Ziel,
neue Arbeitsplätze zu schaffen, völlig verfehlt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401408900
Herr Bundesmini-
ster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Hirche?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ja.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1401409000
Herr Minister, können Sie
sich vorstellen, daß eine Kostenentlastung dieser Art
auch dazu führt, daß Entlassungen, die sonst möglicher-
weise erforderlich gewesen wären, nicht stattfinden,


(Widerspruch bei der SPD)

so daß sich diese Entlastung auf andere Weise ausge-
wirkt hat? Ist das vorstellbar?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Das ist vorstellbar, aber leider nicht beleg-
bar.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das stimmt!)

Dieses Argument kenne ich natürlich. Es ist beliebig
einzusetzen, wenn prognostiziert worden ist, daß Ein-
stellungen erfolgen. Wenn sie anschließend nicht erfol-
gen, kommt das Argument: Sonst hätten wir mehr ent-
lassen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sind 30 000 Mehreinstellungen nichts?)


Aber vorstellbar ist das durchaus.

(Zuruf von der SPD: Es ist alles vorstellbar!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 867


(A) (C)



(B) (D)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401409100
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ja.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1401409200
Herr Minister, darf ich dar-
aus schließen, daß das Kostenargument auf der Arbeits-
seite in der Tat ein wesentliches Argument ist, in wel-
cher Form auch immer?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Sie dürfen daraus schließen, daß das Ko-
stenargument ein wesentliches Argument ist. Das habe
ich im übrigen bei meinen Ausführungen eingangs selbst
gesagt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Konrad Gilges [SPD]: Das versteht der gar nicht!)


Das Haus dürfte vielleicht auch folgendes interessie-
ren: Die Kürzung der Entgeltfortzahlung hat zu Steuer-
und Beitragsausfällen geführt. So blieben die Steuerein-
nahmen 1997 um 25 Milliarden DM bzw. 2,5 Prozent-
punkte hinter den Schätzungen zurück. Ich will dies
einmal deutlich aufzeigen, weil sich die Wirkungen sol-
cher – den Lohn negativ beeinflussenden – politischen
Entscheidungen durchaus in den Steuereinnahmen und
den Sozialversicherungsbeiträgen widerspiegeln.

Unterstellt man eine tatsächliche Kostenminderung
auf seiten der Betriebe, beispielsweise durch niedere
Lohnabschlüsse – das ist der Preis, den die Gewerk-
schaften und die Beschäftigten zu zahlen hatten – in Hö-
he von 15 bis 20 Milliarden DM, wirkt das auf Dauer
weiter.


(Jörg Tauss [SPD]: So ist es!)

Wir korrigieren also nicht die dauerhafte Wirkung, wir
korrigieren nicht die Kostenvorteile, sondern wir korri-
gieren die nicht mehr hinzunehmende Tatsache, daß die
Beschäftigten in den nicht tarifgebundenen Betrieben
dann, wenn sie krank sind, durch eine niedrigere Lohn-
fortzahlung abgestraft werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Rechte
unserer Arbeitnehmer wieder zu stärken. Das erreichen
wir auch durch die Wiederherstellung des Kündi-
gungsschutzes. Die Verschlechterung der Arbeitneh-
merrechte hat hier keine Beschäftigungseffekte ge-
bracht,


(Walter Hirche [F.D.P.]: Natürlich!)

anders als von der Wirtschaft versprochen. Aber weil
wieder der Einwurf „Natürlich!“ kommt: Damals wurde
ein Beschäftigungspotential von 500 000 zusätzlichen-
Arbeitsplätzen prognostiziert.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz genau!)


Fakt ist, daß im Handwerk heute 135 000 Personen we-
niger beschäftigt sind als zum Zeitpunkt der Einschrän-
kung des Kündigungsschutzes.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Vielleicht liegt das auch an der Konjunktur!)


– Natürlich, da kann auch die Konjunktur „geholfen“
haben. Ich wehre mich bloß gegen diesen schnellen
Schluß, daß der Wegfall des Kündigungsschutzes zu-
sätzliche Arbeitsplätze bringe –


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


zumindest dann, wenn gleichzeitig Instrumente vorhan-
den sind, die es jedem Betrieb, ob klein oder groß, er-
lauben, bei Neueinstellungen Befristungen bis zu 24
Monaten vorzusehen und in diesem Zeitraum dreimal zu
verlängern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ina Lenke [F.D.P.]: Das wollen wir doch gar nicht!)


– Sie wollen das nicht? Ich nehme das gerne zur Kennt-
nis, daß diese Ausweitung der Regelung im Beschäfti-
gungsförderungsgesetz nicht mehr gewollt ist. Vielleicht
kommen wir einmal darauf zurück.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ursula Lötzer [PDS])


Wirtschaftlicher Erfolg kann nur von motivierten
Mitarbeitern erzielt werden. Ein wesentlicher Motivati-
onsfaktor ist die Gewißheit, zumindest vor willkürlicher
Kündigung geschützt zu sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Um diese Entlassungen zu verhindern, sorgen wir nun
dafür, daß Betriebe mit mehr als fünf Mitarbeitern wie-
der dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen. Teilzeit-
beschäftigte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von bis
zu 20 Stunden werden künftig als halbe Arbeitskräfte
berücksichtigt. Ausnahmen, daß Beschäftigte mit bis zu
10 Stunden Wochenarbeitszeit als eine viertel Arbeits-
kraft angerechnet werden, entfallen.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Warum?)

– Mit diesen Präzisierungen wollen wir verhindern, daß
Arbeitgeber zur Umgehung des Kündigungsschutzes nur
Arbeitnehmer mit geringfügigem Arbeitsstundenumfang
beschäftigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Das wird eine Weiterbildungsveranstaltung für die Kollegen von der F.D.P.!)


Wir stärken die Rechte der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer auch in einem Bereich, in dem sie einem
besonderen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind, nämlich
in der Baubranche. Deshalb heben wir die Befristung
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf. Hierzu besteht

868 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


im übrigen auch eine europarechtliche Verpflichtung.
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz wird nun effizien-
ter. Dazu gehört insbesondere auch die neue Rechtsver-
ordnungsermächtigung.


(Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!)

Dabei geht es uns nicht, wie Sie, meine Damen und Her-
ren von der Opposition, in der ersten Debatte gesagt ha-
ben, um einen Eingriff in die Tarifautonomie. Genau das
Gegenteil ist der Fall.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Da waren sich die Sachverständigen aber nicht so einig!)


Die vorgesehene Änderung trägt vielmehr zur Stärkung
der Tarifautonomie bei.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und der Abg. Ursula Lötzer [PDS])


Sie sagen, die Sachverständigen seien sich da nicht
einig gewesen. Anschließend wird mein Kollege Wiese-
hügel sprechen, der damit Erfahrungen gemacht hat. Er
ist ein Sachverständiger aus der Praxis. Er ist als Ver-
treter einer Tarifvertragspartei angetreten, sich mit der
anderen Tarifvertragspartei darauf zu verständigen, in
den untersten Lohngruppen einen Mindeststundenlohn
von 18,60 DM zu vereinbaren. Dann sind sie zum Tarif-
ausschuß gegangen. Eine Nichttarifvertragspartei, näm-
lich die BDA, hat dann erklärt: Das, was die Tarifver-
tragsparteien vereinbart haben, akzeptieren wir nicht.
Die haben den Lohn zu senken. – Damit hat die BDA in
die Tarifautonomie eingegriffen.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist die Wahrheit!)

Dann ist befristet ein neuer Mindestlohn von 17 DM an-
gesetzt worden. Das hat den Herren aber immer noch
nicht gepaßt. Dann haben die Verhandlungen – nicht
zwischen den Tarifvertragsparteien, sondern geführt
vom BDA-Präsidenten, begleitet vom damaligen Ar-
beitsminister – zu weiteren Absenkungen geführt. Dafür,
daß solche Tarifeingriffe nicht mehr erfolgen, werde ich
kämpfen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401409300
Herr Bundesmi-
nister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Sing-
hammer?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ja.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1401409400
Herr Bun-
desminister, ist Ihnen bekannt, daß die Behörde, die die-
ses Gesetz zu einem guten Teil vollziehen und seine
Einhaltung kontrollieren soll, nämlich die Bundesanstalt
für Arbeit, bei der Anhörung des Deutschen Bundesta-
ges mehrfach erklärt hat, daß das Gesetz in der vorlie-
genden Weise – mit Kontrolle von Tarifgittern und einer

Fülle von Einzelheiten – nicht vollziehbar ist, und daß
Sie hiermit im Begriff sind, einen klassischen Papierti-
ger aufzulegen?


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Tarifpolizei!)


Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ich bin nicht die Tarifpolizei.


(Zuruf von der F.D.P: Nein, die Bundesanstalt!)


Auch die Bundesanstalt ist keine Tarifpolizei. Die Tarif-
vertragsparteien haben nach dem Tarifvertragsgesetz die
Einhaltung ihrer Tarifverträge zu überwachen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Weil sie nach Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes Tarifau-
tonomie haben, werden wir sie davor schützen, daß Tarif-
eingriffe von Tarifaußenstehenden erfolgen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Um auf Ihre Frage zu antworten, Herr Singhammer:
Es geht bei der Regelung nicht darum, die Einhaltung
von Tarifverträgen zu kontrollieren – weder von der
Bundesanstalt für Arbeit noch von uns; das ist Aufgabe
der Tarifvertragsparteien –, sondern es geht einzig dar-
um, daß die Tarifautonomie – gerade im Bereich der
Bauwirtschaft, und zwar im Rahmen des Entsendegeset-
zes – überhaupt bestehen und vollzogen werden kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Widerspruch bei der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Seminar Arbeitsund Tarifrecht, Teil 2! Mit der Generalunternehmerhaftung führen wir ein Instrument ein, das in der Vergangenheit im übrigen auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, gefordert wurde. Ich erinnere hier nur an Ihre Offensive für mehr Arbeitsplätze und gegen Schwarzarbeit in der Bauwirtschaft vom Juni 1997, die, wie so viele andere Vorhaben, leider am Widerstand Ihres damaligen Koalitionspartners gescheitert ist; sonst müßten wir das heute nicht machen. Zu einer Belastung der kleinen und mittleren Betriebe wird es nicht kommen. Die Generalunternehmer werden in Zukunft wieder verstärkt Aufträge an zuverlässige kleine und mittlere Unternehmen vergeben, von denen sie wissen, daß sie die gesetzlichen Bestimmungen einhalten. Sie sehen also: Der heutige Tag ist nicht nur ein un gewöhnlicher, sondern auch ein Tag der Freude. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Er ist ein Tag der Freude für 6 Millionen Beschäftigte –
das sind rund 20 Prozent aller Beschäftigten –, für die
die Entgeltfortzahlung bisher nicht per Tarifvertrag ge-

Bundesminister Walter Riester

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 869


(A) (C)



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regelt ist und die heute sagen können: Wenn wir krank
werden, werden wir nicht mehr abgestraft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Er ist ein Tag der Freude auch für rund 2 Millionen
Beschäftigte in kleinen Betrieben mit 5 bis 10 Beschäf-
tigten, deren Kündigungsschutz am 1. September näch-
sten Jahres sonst ersatzlos gestrichen worden wäre.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Er ist auch ein Tag der Freude für die vielen Rentne-
rinnen und Rentner, die jetzt wissen, daß ihre Renten im
nächsten Jahr – wie auch in der Vergangenheit – minde-
stens im Rahmen der Nettolohnentwicklung angehoben
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei so vielen Gewinnern möchte man eigentlich gar
keine Verlierer haben. Deswegen möchte ich die Oppo-
sition einladen, dem Korrekturgesetz mit zuzustimmen.


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401409500
Das Wort zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Wiesehügel.


Klaus Wiesehügel (SPD):
Rede ID: ID1401409600
Herr Singhammer, ich
will Ihnen, weil ich darum gebeten worden bin, kurz
schildern, wo die Tarifautonomie tatsächlich gefährdet
war und was jetzt repariert wird.

Nachdem wir mehrere Tarifverhandlungen mit den
zuständigen Arbeitgebern geführt haben, war ich in der
letzten Phase gezwungen, mit Herrn Hundt Tarifver-
handlungen zu führen – so richtig mit dem Taschen-
rechner –, und zwar nach dem Motto: Entweder verhan-
delst du mit mir – obwohl er ist nicht Vertreter einer Ta-
rifvertragspartei, sondern des Zentralverbandes ist; die-
ser hat eine Dachfunktion und schließt üblicherweise
keine eigenen Tarifverträge ab –, entweder finden wir
jetzt eine niedrige Marke, oder es gibt keinen Mindest-
lohn. Das war die Sprachregelung. Das bedeutet einen
Eingriff in die Tarifautonomie, der jetzt repariert werden
soll.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401409700
Herr Kollege Wie-
sehügel, nur damit das für die Zukunft klar ist: Eine
Kurzintervention ist möglich zu den Äußerungen des
Redners,


(Zuruf von der SPD: Das war doch so!)


aber nicht zu den Zwischenfragen, die von anderen
Kollegen gestellt werden. Ich will nur rechtzeitig darauf
hinweisen, damit wir uns künftig genau an die Ge-
schäftsordnung halten. Ich denke, dafür finde ich hier im
Hause auch Verständnis.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Der redet nachher doch noch! Warum nutzt er die Zeit nicht? Das ist ja wie auf einem Gewerkschaftstag!)


Ich gebe jetzt der Kollegin Birgit Schnieber-Jastram
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Zuruf von der SPD: Jetzt sind wir aber gespannt wie ein Flitzebogen!)



Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1401409800
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Riester
hat hier einmal mehr vor diesem Hause gesagt: Die Ar-
beitslosenzahlen sind nicht zurückgegangen. Ich glau-
be, das muß ein Anlaß sein, hier noch einmal sehr deut-
lich zu machen, wie die Bilanz aussieht, damit das auch
für die nächsten Jahre festgeschrieben ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diese Bilanz hat – übrigens auch gestern – wieder

gezeigt, daß wir auf dem richtigen Weg waren.

(Zuruf von der SPD: Das ist aber mutig!)


– Bleiben Sie nur ruhig! Hören Sie sich das ruhig an!
Das wird sich durch Ihr Geschrei nicht verändern. – In
den letzten 9 Monaten ist es uns gelungen, die Arbeits-
losenzahl um 850 000 zu senken. Keine Rede von Ihnen
oder jemand anderem wird daran etwas verändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Den höchsten Stand in der Nachkriegszeit!)


Das ist ein Rückgang wie nie zuvor.

(Zuruf von der SPD: Aber vorher war eine Steigerung wie nie zuvor!)

Jetzt möchte ich etwas Besonderes hervorheben: Ge-

rade die Zahl der jungen Arbeitslosen, derjenigen unter
25 Jahren, ist immerhin um 44 000 zurückgegangen.
Das sind Vorgaben, an denen sich diese Koalition mes-
sen lassen muß. Machen Sie das erst einmal nach!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Das hoffen wir nicht, daß wir 2 Millionen Arbeitslose produzieren!)


Sie verkünden hier immer wieder – auch Sie eben,
Herr Riester – dieses gute Programm zum Thema Ju-
gendarbeitslosigkeit. Sie unterlassen dabei – das zieht
sich wie ein roter Faden durch all das, was Sie machen –,
zu fragen: Was sind denn die Ursachen dieses Pro-
blems?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In meinem Arbeitsamt sagt mir der zuständige Arbeits-
amtsleiter: Das Schlimme an der Jugendarbeitslosigkeit

Bundesminister Walter Riester

870 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


ist, daß ich die Jugendlichen gar nicht vermitteln kann;
sie sind nicht vermittelbar.


(Zuruf des Abg. Konrad Gilges [SPD]: Auf Grund Ihrer Politik! 16 Jahre lang!)


Das macht deutlich, daß wir Defizite in Bereichen ha-
ben, in denen überwiegend Ihre Länder die Hausaufga-
ben nicht gemacht haben: in der Schulpolitik, in der Bil-
dungspolitik, dort, wo die Verantwortung dafür liegt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD – Konrad Gilges [SPD]: Das stimmt objektiv nicht!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401409900
Frau Kollegin
Schnieber-Jastram, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Niebel?


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1401410000
Ja.

(Zuruf von der SPD: Jetzt aber zum Gesetz!)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1401410100
Vielen Dank. – Frau Kollegin,
verstehe ich Ihre Aussage, die Sie eben gemacht haben,
richtig, daß Sie der Ansicht sind, daß manche der ju-
gendlichen Arbeitslosen, die wir alle in den Arbeits-
markt integrieren wollen, auf Grund Ihrer schulischen
Vorbildung nicht ausbildungsfähig sind und daß die De-
fizite in diesem Bereich zu finden sind?


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1401410200
Sie haben
mich sehr richtig verstanden. Die schulische Ausbildung
in den Ländern, insbesondere in den von SPD und Grü-
nen regierten Ländern, ist eine Katastrophe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Konrad Gilges [SPD]: Das ist objektiv unrichtig!)


– Dies ist objektiv richtig und, Herr Gilges, sehr wohl
ablesbar an den Zahlen aus den jeweiligen Ländern. Ich
darf Ihnen sagen: Schauen Sie sich die Zahlen an. Ich
weiß nicht, wo Sie zur Schule gegangen sind. Vielleicht
fehlt Ihnen da etwas.

Was sich diese neue Regierung zur Zeit im Bereich
der Sozial- und Steuerpolitik erlaubt, das kann man in
der Tat – das ist schon sehr vornehm gesagt – nur als
Chaos bezeichnen, wirklich nur als Chaos. In Gesprä-
chen mit Menschen aus meinem Wahlkreis heißt es im-
mer: Nun laßt doch die Regierung erst einmal machen.
Laßt sie doch erst einmal etwas tun. Wartet doch ab, was
passieren wird.


(Zurufe von der SPD: Richtig! – Recht haben die Menschen!)


Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bin mit denen einer
Meinung. Grundsätzlich ist einer solchen Schonfrist nur
zuzustimmen. Aber eine neue Regierung muß sich na-
türlich auch an ihren selbstgesteckten Zielen messen las-
sen. Wenn es hier um konkrete Maßnahmen geht, näm-
lich um ein Mehr an Beschäftigung und um ein – was
Sie im Wahlkampf immer so gerne verkündet haben –

Mehr an sozialer Gerechtigkeit sowie um die Arbeitslo-
sen, also um persönliche Schicksale, dann müssen Sie
sich schon gefallen lassen, daß wir Ihnen keine Schon-
frist einräumen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Nicht nur für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
sondern auch für die Öffentlichkeit muß dieses Chaos
der neuen Regierung hier sehr deutlich gemacht werden.


(Zuruf von der SPD: Jetzt haben wir schon dreimal „Chaos“ gehört! Sagen Sie doch einmal etwas zum Gesetz!)


Ich will das gerne an einem Beispiel festmachen, näm-
lich an dem schönen Beispiel der 620-Mark-Jobs. Hier
kann man eine Abfolge von Versprechen, von Rück-
nahmen, von Ankündigungen und von Verschiebungen
beobachten. Von Abschaffung des Wildwuchses, Herr
Riester – das ist ja das, was Sie gerade gesagt haben –,
kann hier überhaupt keine Rede sein.

Wir können uns alle an den Gesetzentwurf der SPD
zur Senkung der Geringfügigkeitsgrenze auf zirka
85 DM in der letzten Legislaturperiode erinnern. Am
9. November 1998 gab es einen Gesetzentwurf der Ko-
alition: Senkung auf 300 DM. Die Pauschalsteuer soll
erhalten bleiben. Am 10. November 1998 schlägt Bun-
deskanzler Schröder in seiner Regierungserklärung auch
die Senkung auf 300 DM, Aufhebung der Pauschal-
steuer und Rücknahme des Gesetzentwurfes vom Vor-
tage vor. Am 16. November 1998 liegt ein Gesetzent-
wurf zu Korrekturen in der Sozialversicherung ohne Re-
gelung in diesem Bereich, ohne Regelung der gering-
fügigen Beschäftigungsverhältnisse vor. In der Frak-
tionssitzung der SPD am 17. November 1998 wird
– man höre und staune – Bundesminister Lafontaine
aufgefordert, bis zum Abend des 19. November 1998 ein
Konzept vorzulegen. Am Mittag des 19. November 1998
– eine unvergessene Aktuelle Stunde im Deutschen
Bundestag –


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eure Aktuellen Stunden kann man bisher ganz vergessen!)


verkündet Herr Schröder seinen Vorschlag zu den 620-
Mark-Jobs: keine Senkung der Geringfügigkeitsgrenze
und eine Verschiebung von der Pauschalsteuer hin zu
den Sozialversicherungsbeiträgen. Das heißt, neun Tage
nach der Regierungserklärung gibt es die Rücknahme
der Ankündigungen aus der Regierungserklärung. Sie
haben da ein bißchen viel erklärt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Sagen Sie doch mal was zur Lohnfortzahlung!)


Unter „Verstetigung“, Herr Bundesminister Riester,
verstehe ich jedenfalls etwas anderes. Nicht nur wir,
sondern auch die Menschen draußen im Lande wissen,
daß es sich hier um Chaos handelt.


(Zuruf von der SPD: Gibt es auch noch Aussagen zum Gesetz?)


Birgit Schnieber-Jastram

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 871


(A) (C)



(B) (D)


Dieses Chaos wäre noch zu verkraften, wenn wenigstens
die richtigen Maßnahmen getroffen würden. Das Wort
„richtig“ heißt im Zusammenhang mit den 620-Mark-
Jobs: Mißbrauch der 620-Mark-Beschäftigungsverhält-
nisse bekämpfen, die Alterssicherung gerade der Frauen
fördern, wie Sie und viele Frauen es immer gewollt ha-
ben,


(Zuruf von der SPD: Das machen wir auch!)

und Beseitigung der Mauer zwischen geringfügiger Be-
schäftigung und sozialversicherungspflichtiger Teilzeit-
arbeit.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401410300
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Andres?


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1401410400
Ja.


Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1401410500
Frau Schnieber-Jastram, ist Ih-
nen schon aufgefallen, daß das hier zur Beratung anste-
hende Gesetz überhaupt keine Regelung zu dem Thema
„620-Mark-Jobs“ enthält?


(Zuruf von der CDU/CSU: Eben!)

Darf ich das mit der Frage verbinden, wann Sie sich
endlich in Ihren langen Ausführungen dem Gegenstand
des Gesetzes zuwenden wollen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1401410600
Lieber
Herr Kollege Andres, ich danke Ihnen für die Frage. Ich
habe mir ein Beispiel an dem Bundesminister für Arbeit
genommen, der mit allgemeinen Aussagen zum Ar-
beitsmarkt und zu den 620-Mark-Jobs begonnen hat.
Vor diesem Hintergrund ist es mein gutes Recht, auf Ih-
ren Minister hier entsprechend zu reagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401410700
Frau Schnieber-
Jastram, gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage?


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1401410800
Ja.


Ulrike Merten (SPD):
Rede ID: ID1401410900
Habe ich Sie richtig verstan-
den, Frau Kollegin, daß Sie im Bereich der 620-DM-
Gesetze durchaus Regelungsbedarf sehen? Ich habe Sie
eben in diesem Zusammenhang über die notwendige
Alterssicherung reden hören. Deswegen möchte ich Sie
fragen: Wenn das so ist, warum haben Sie die zurücklie-
genden Jahre nicht genutzt, um den Mißbrauch einzu-
dämmen und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu schaf-
fen? Warum fällt Ihnen das erst heute ein?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1401411000
Ich danke
Ihnen auch für diese Frage, weil sie mir Gelegenheit
gibt, dies deutlich zu machen. Wir haben uns damals in
einer Koalition befunden, wie Sie sich auch in einer Ko-
alition befinden. Wir haben durchaus unterschiedliche
Einstellungen zu dieser Thematik gehabt. Wir haben viel
zu lange in diesem Bereich diskutiert,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

aber wir haben unter dem Strich keine Mehrheit in der
damaligen Koalition bekommen können. So war das.
Aber im Ergebnis war es immer noch ehrlicher, als das,
was Sie probieren,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


daß Sie nämlich null Absicherung für die Frauen brin-
gen. Sie sind es doch gewesen, die im Wahlkampf und
über Jahre und Jahrzehnte hinweg dies wie eine Mon-
stranz vor sich herumgetragen haben und es allen Leuten
versprochen haben. Jetzt sage ich: Versprechen gebro-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Jetzt will ich zu einem weiteren Aspekt kommen. Ich
freue mich, daß in der gemeinsamen Erklärung zum
Bündnis für Arbeit der Ausbau und die Förderung der
Teilzeitarbeit genannt sind. Allerdings sind die Festle-
gungen des Bundeskanzlers zu den 620-Mark-Jobs
überhaupt nicht geeignet, den fließenden Übergang in
Teilzeitbeschäftigung zu ermöglichen. Gerade ein für
die Wirtschaft und auch für die Arbeitnehmer so wichti-
ger Aspekt wie eine Neuregelung für diesen Bereich
hätte Bestandteil des Bündnisses für Arbeit sein müssen.
Eine Vorfestlegung, wie sie der Kanzler getroffen hat,
allein wegen der Sanierung der Kranken- und Renten-
versicherung ist unseriös. Da beißt die Maus keinen Fa-
den ab. Das ist und bleibt so und dient überhaupt nicht
den Bemühungen im Bündnis für Arbeit um mehr Be-
schäftigung.

Es ist schon sehr bezeichnend – und das sollten Sie
sich einmal auf der Zunge zergehen lassen –, wenn
andere Unionsabgeordnete und ich nicht nur von Ge-
werkschaftsseite, sondern auch von SPD-Landtags-
abgeordneten heute, wenige Wochen nach der Wahl, um
Unterstützung gebeten werden, um das Vorhaben ihres
Bundeskanzlers Schröder zu verhindern. Ich zitiere ein-
mal aus einem solchen Brief auch etwas ausführlicher,
weil ich denke, daß es Ihnen gut tut, dieses mitzuver-
folgen:

Die Beibehaltung der geringfügigen Beschäftigung
hat auch weiterhin zur Folge, daß kaum sozialversi-
cherungs- und steuerpflichtige Teilzeitarbeit bis ca.
1 500 DM angeboten wird und damit vielen eine
Beschäftigungschance verbaut wird. Der Prozeß,
der bekämpft werden soll, die Erosion von sozial-
versicherungspflichtigen Normalarbeitsverhältnis-
sen wird festgeschrieben und in den neuen Bun-
desländern noch angeheizt.

Birgit Schnieber-Jastram

872 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Eine Aussage eines sozialdemokratischen Landtagsab-
geordneten. Das sollten Sie sich zu Herzen nehmen, lie-
be Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie heißt er denn?)


Soziale Kompetenz, angemessene Alterssicherung,
insbesondere für Frauen – für den Fall, daß Sie das ver-
gessen haben; dies haben sicherlich nicht alle von Ihnen,
wenn ich einige Kolleginnen sehe –, waren die Stich-
worte des Kanzlers im Wahlkampf. Ich frage Sie noch
einmal: Was ist daraus geworden? SPD-Landtagsabge-
ordnete wenden sich hilfesuchend an die Union, um
diese Ziele zu verwirklichen. Bürger und Gewerkschaf-
ten wundern und fragen sich: Was haben wir für eine
SPD an die Regierung gewählt? Was ist da los?


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401411100
Gestatten Sie, Frau
Kollegin Schnieber-Jastram, eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Peter Dreßen?


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1401411200
Die Frage
des Abgeordneten Dreßen hat mir in der Runde noch ge-
fehlt. Ja.


Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1401411300
Ich habe doch darauf gewartet.
Spaß beiseite, Frau Kollegin, Sie haben wahrscheinlich
keine unbegrenzte Redezeit. Wann kommen Sie einmal
zu den Vorstellungen, die im Gesetz stehen, zu den
Themen Lohnfortzahlung, Rente, zum Entsendegesetz,
zum Kündigungsschutz? Dies sind alles Themen, die im
Gesetz stehen. Was wir in den letzten 20 Minuten gehört
haben, steht nicht in diesem Gesetz, sondern ist in einem
Gesetz, das wir im April beraten. Können wir zu dem
jetzt anstehenden Gesetz einmal die Vorstellung der
CDU hören? Sind Sie für die Lohnfortzahlung im
Krankheitsfalle? Sind Sie dafür, daß wir bei den Renten
Verbesserungen vornehmen? Wie sieht hier die Vor-
stellung der CDU aus? Vielleicht können Sie in den
letzten Minuten darauf eingehen.


(Beifall bei der SPD)



Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1401411400
Lieber
Herr Dreßen, ich wäre sehr froh, wenn Sie uns immer so
zuhörten, wie ich es an dieser Stelle tue. Ich komme
jetzt zu dem Gesetzentwurf und zur Verabschiedung.


(Beifall bei der SPD)

Ich hätte das sicher auch ohne Ihren Hinweis getan, weil
mir das in der Tat am Herzen liegt.

Ich beginne mit der Analyse des Problems der
Scheinselbständigkeit. Wir sind uns ja einig – ich habe
das in der letzten Debatte schon deutlich gemacht –: Es
gibt eine große Zahl von Arbeitnehmern, die von ihren
Arbeitgebern in eine vorgebliche Eigenständigkeit ge-
drängt werden – und das sehr häufig, damit sie eben kei-
ne Sozialabgaben zahlen müssen. Die Folgen liegen auf

der Hand: mangelnde Altersabsicherung, mangelnde
Krankenversicherung, kein arbeitsrechtlicher Schutz.
Das Problem ist ganz lange bekannt. Es gab in der letz-
ten Legislaturperiode Anhörungen dazu. Diese haben
allerdings ergeben, daß sich die bisherige Abgrenzung
zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen auf der
Grundlage des Bundesarbeitsgerichtes doch eher be-
währt hat und daß es Grund gab, sie beizubehalten.
Denn die Kriterien sind in der Tat flexibel genug, um
auch neue Tätigkeitsformen zutreffend einzuordnen. Es
handelt sich dabei unstrittig um einen sehr großen Fra-
genkatalog, der einer Gesamtbetrachtung unterworfen
wird.

Was Sie aber vergessen, ist die Tatsache, daß Ihr
übertriebener Generalisierungs- und Bürokratisierungs-
bedarf nicht zum Ziel führen wird. Das ist meine Pro-
gnose an dieser Stelle. Denn es handelt sich in Wirk-
lichkeit um eine Vielzahl von Einzelfällen, die nicht
nach durchgängigem Schema behandelt werden sollten:
Verkaufsfahrer, Franchise-Unternehmer, Frachtführer,
Telefonvermittler, Pharmaberater, EDV-Berater, Musi-
ker, Dozenten, was auch immer Sie wollen. Deswegen
sage ich Ihnen: Was Sie hier vorgelegt haben – im übri-
gen mit dem Schnellschuß, den wir dann im Ausschuß
noch zu diskutieren hatten –, ist überhaupt nichts
Brauchbares. Das ist Politik auf der Überholspur, die re-
gelmäßig an der Leitplanke endet. Ihre Gesetze fliegen
eines nach dem anderen aus der Kurve und bringen es
nicht mal mehr auf eine Halbwertzeit von zwei Wochen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Sie gehen mit dem Entwurf wie mit Ihrer ganzen
Politik auf eine ganze Gruppe los, die wir im Interesse
unserer Wirtschaft eigentlich schützen und fördern
müßten: die jungen Selbständigen. Sie machen den
Gang zum Sozialamt leichter als den Gang in die Selb-
ständigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist das, was Sie sich auf die Fahnen schreiben kön-
nen.


(Zuruf von der SPD: Eine ganz billige Polemik!)

Ich will Ihnen eines sagen: Zu dem ganzen Kram und

Ärger, mit dem ein junger Unternehmer in der Existenz-
gründungsphase belastet ist, kommt jetzt noch, daß man
beweisen muß, daß man wirklich selbständig ist. In einer
Umfrage wurden Unternehmer gefragt, was für sie am
schwierigsten sei. An erster Stelle stand die Finanzie-
rung, an vierter Stelle der bürokratische Aufwand. Ich
befürchte, unter Ihrer Regierung wird sich das Verhält-
nis umdrehen.

Ich möchte, weil ich finde, daß dies wirklich perfide
ist, noch eines sagen: Sie haben sich ja mit der Rege-
lung für arbeitnehmerähnliche Selbständige etwas
einfallen lassen. Wer mit diesem Begriff nicht so viel
anfangen kann, dem möchte ich sagen, daß er eine Viel-
zahl von Vertretern umfaßt, zum Beispiel den allen be-
kannten und ganz sympathischen Herrn Kaiser von der
Hamburg-Mannheimer. Herr Kaiser nämlich soll jetzt
endlich in die gesetzliche Rentenversicherung einbezo-

Birgit Schnieber-Jastram

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 873


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gen werden. Bislang konnte er ja wählen zwischen der
privaten und der gesetzlichen Altersversorgung. Was
sich die rotgrüne Koalition jetzt hat einfallen lassen, ist
folgendes:


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)


Wenn Herr Kaiser und seine vielen Kollegen nicht bis
gestern – ich wiederhole: bis gestern – einen Lebens-
oder Rentenversicherungsvertrag abgeschlossen haben,
dann sind sie nun automatisch in der gesetzlichen Ren-
tenversicherung und kommen auch nie wieder heraus.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Und das Ganze in Form eines kurzfristig eingebrachten
Änderungsantrags im Ausschuß, den viele Betroffene
überhaupt noch nicht haben mitbekommen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ohne Übergangsfrist, ohne Vorwarnung überfällt diese
Regierung eine ganze Bevölkerungsgruppe und zwingt
sie in ein bestimmtes Altersversorgungssystem.


(Konrad Gilges [SPD]: Überfällt sie und raubt sie aus, Frau Kollegin!)


Sie bietet ihnen nicht die Wahlmöglichkeit. – Ich darf
Ihnen sagen: Wir leben hier in einem freien Land mit
freien Wahlverhältnissen.


(Zuruf von der F.D.P.: Nicht mehr lange!)

Ich hätte an dieser Stelle gern auch noch mal zum

Entsendegesetz Stellung genommen. Leider bleibt mir
die Zeit nicht. Ich hoffe, daß die anderen Kollegen das
nachholen.

Ich darf Ihnen sagen: Wir werden Ihrem Gesetz nicht
zustimmen – das wird Sie nach diesen Ausführungen
nicht überraschen –, weil wir es für wirklich unverant-
wortlich halten. Auch in der Sozialpolitik – wie viel-
leicht auch in der Umweltpolitik – stellt sich manchmal
die Frage der Nachhaltigkeit. Wenn Sie wollen, daß so-
ziale Sicherungssysteme später auch den jetzt jungen
Menschen noch zur Verfügung stehen, müssen Sie in
anderer Weise mit diesen sozialen Sicherungssystemen
umgehen, sonst haben Sie zwar heute Ihre Klientel be-
dient, aber für morgen überhaupt nicht vorgesorgt. Diese
Debatte werden wir bei Ihnen anmahnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401411500
Ich gebe das Wort
der Kollegin Annelie Buntenbach vom Bündnis 90/Die
Grünen.


(Franz Thönnes [SPD]: Fliegen wir jetzt raus, oder landen wir an der Leitplanke?)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Aufweichung des Kündigungsschutzes – damit will
ich anfangen – und mehr noch die Kürzung der Lohn-

fortzahlung im Krankheitsfall sind geradezu Symbole
für die verfehlte Politik der Kohl-Ära geworden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Mit diesem Affront gegen die Gewerkschaften hat die
alte Bundesregierung das erste Bündnis für Arbeit zum
Scheitern gebracht. Deswegen ist dieses Gesetz heute,
nämlich die Rücknahme dieser Brüskierung der Ge-
werkschaften, eine wichtige Voraussetzung, um den
Weg zu einem neuen Bündnis für Arbeit, zu Gesprä-
chen auf Augenhöhe, frei zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist unsere politische Verantwortung, von dieser
Stelle aus die bestmöglichen Rahmenbedingungen für
dieses wichtige Bündnis für Arbeit zu schaffen, das sich
am Montag zum ersten mal auf Einladung der Regierung
mit dem zentralen Ziel getroffen hat, alle gesellschaftli-
chen Kräfte zu bündeln, um die Arbeitslosigkeit zu min-
dern. Das Bündnis für Arbeit ist nämlich kein Selbstläu-
fer, es ist auch kein Verschiebebahnhof zur Politikver-
meidung. Zu den Aufgaben der Politik, die sie nicht auf-
geben kann und darf, gehört die Schaffung von fairen
Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Genau dazu leisten
wir heute hier einen Beitrag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit der Aufweichung des Kündigungsschutzes und
der Kürzung der Lohnfortzahlung hat die alte Bundesre-
gierung nicht nur das erste Bündnis für Arbeit zum
Scheitern gebracht. Sie hat auch offensichtlich gemacht,
daß aus ihren Maßnahmen nicht mehr Jobs entstehen,
sondern weniger soziale Gerechtigkeit entsteht. Wir
wollen mehr soziale Gerechtigkeit. Dazu ist das Gesetz,
das wir hier heute verabschieden werden, ein erster
wichtiger Schritt, dem weitere folgen werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Ein Rückschritt!)


Ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit ist nämlich, daß ei-
ne Kostensenkung nicht ausgerechnet zu Lasten von
Kranken gehen darf, sondern daß Krankenstände in den
Betrieben über die Verbesserung von Arbeitsbedingun-
gen verringert werden müssen. Ein Schritt zu mehr Ge-
rechtigkeit ist, daß nicht immer mehr Menschen ohne
einen angemessenen Schutz vor Kündigung in ständi-
ger Furcht vor einem Jobverlust leben und arbeiten müs-
sen, daß das Invaliditätsrisiko nicht privatisiert wird und
daß deshalb die Einschnitte bei der Berufs- und Er-
werbsunfähigkeitsrente sofort wieder zurückgenom-
men werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dazu gehört auch, daß wir im Zusammenhang mit
den Weichenstellungen bei der Ökosteuer ab dem
1. April 1999 die Rentenbeiträge auf 19,5 Prozent sen-
ken können. Ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit ist auch,
daß wir die Weichen zu einer Rentenstrukturreform

Birgit Schnieber-Jastram

874 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


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stellen, die besonders die unsteten Erwerbsverläufe von
Frauen besser absichern will, und daß wir die Weichen
zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401411600
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Schemken?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

sehr.


Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1401411700
Frau Kollegin Bun-
tenbach, halten Sie insbesondere im Hinblick darauf,
daß Sie hier mit Verve für die Rente für Frauen eintre-
ten, die zukünftige Regelung zum 620-Mark-Vertrag für
richtig?


(Konrad Gilges [SPD]: Das Gesetz ist doch noch nicht da!)


– Das Gesetz ist deshalb mit einbezogen – das darf ich
dann kurz erklären –, weil Sie in die Reform der Rente,
die Sie jetzt gleich beschließen, indem Sie die von uns
geschaffenen Regelungen zurücknehmen, auch die Bei-
träge aus den 620-Mark-Verträgen einrechnen. Das ha-
ben wir im Ausschuß so behandelt. Halten Sie es für ge-
recht, daß davon Rentenversicherungsbeiträge einbe-
halten werden, aber die Frauen davon keinen Nutzen in
Form eines Rentenbezugs haben?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

DM-Verträgen auf dem Tisch.


(Zurufe von der F.D.P.)

– Hören Sie doch bitte auf! Das ist wirklich furchtbar. –
Wenn ich von der Rentenstrukturreform spreche, dann
rede ich davon, daß wir hier den Weg dazu ebnen und
daß das Ziel dieser Rentenstrukturreform genau eine ei-
genständige Absicherung von Frauen innerhalb der so-
zialen Sicherung sein soll und sein muß. Dazu gehört für
mich, daß jede dauerhafte Beschäftigung in die Sozial-
versicherung einbezogen wird.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das hat Ihr Kanzler aber anders gesagt!)


Dazu gehört auch der Einbezug von Scheinselbständi-
gen in die Sozialversicherung. Was wir heute vorlegen,
das ist ein erster Schritt. Die konkrete Regelung zu den
620-DM-Verträgen werden wir im Januar zu diskutie-
ren haben.

Aus meiner Sicht ist es so, daß wir einen vernünftigen
Vorschlag zur Problemlösung an drei Kriterien zu mes-
sen haben.

Zum ersten: Wie weit können wir der Erosion der So-
zialkassen entgegentreten, die große Ausmaße ange-
nommen hat?

Zum zweiten: Wie können wir die Wettbewerbsver-
zerrungen in dem Bereich beseitigen? Da haben Sie uns
eine wirklich umfangreiche Erblast hinterlassen.

Zum dritten: Wie können wir den eigenständigen Zu-
gang von Frauen zu sozialer Absicherung sicherstellen?

An diesen Kriterien wird sich die Lösung des Pro-
blems geringfügiger Beschäftigung orientieren müssen.
Ich hoffe, daß wir das in einem Schritt schaffen. Anson-
sten werden wir das als Zielrichtung selbstverständlich
festhalten müssen, gerade wenn es darum geht, jede Be-
schäftigung in die Sozialversicherung mit einzubezie-
hen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401411800
Gestatten Sie eine
zweite Frage des Kollegen Schemken?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1401411900
Vielleicht habe ich
meine Frage nicht präzise genug gestellt. Im Hinblick
auf das sozialstaatliche Prinzip, daß wir, Arbeitgeber
und Arbeitnehmer, im dualen System zahlen, möchte ich
Sie fragen: Halten Sie den Gesichtspunkt, daß man in
diesem Fall in die Kasse einer Solidargemeinschaft,
nämlich in die Rentenkasse, einzahlt und keine Rente
bekommt, insbesondere gegenüber den Frauen, die in
starkem Maße von geringfügigen Beschäftigungsver-
hältnissen betroffen sind, für sozialstaatlich gerecht?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

se auf etwas eingehen sollte, was zwar in Eckpunkten
vorgestellt worden ist, aber als Gesetzentwurf heute
nicht zur Debatte steht und einfach noch nicht vorliegt,
dann würde ich damit weder Ihnen noch mir, noch der
Öffentlichkeit einen Gefallen tun, weil dann nämlich
Mißverständnisse darüber produziert würden, was präzi-
se Gegenstand dieses Gesetzentwurfes, den wir in der
Tat im Januar hier zu debattieren haben, ist. Natürlich
gehe ich davon aus, daß, wenn Frauen in die Rentenver-
sicherung einzahlen, wenn jemand Beiträge zur Renten-
versicherung leistet, daraus auch Ansprüche entstehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das sieht der Kanzler wohl anders!)


Ich werde jetzt versuchen, den Argumentationsfaden
wieder aufzunehmen. Uns geht es darum, mit diesem
Gesetz mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen. Ein
Schritt in diese Richtung – mehrere andere Schritte habe
ich vorhin schon benannt – besteht darin, daß wir dieje-
nigen, die von Arbeitgebern, die sich um ihren Anteil an
sozialer Verantwortung und Sozialversicherungskosten

Annelie Buntenbach

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 875


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(B) (D)


drücken wollen, in die Scheinselbständigkeit abgedrängt
worden sind, wieder in den Schutz der Sozialversiche-
rung einbeziehen.

Ein Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit ist auch,
daß wir versuchen, mit einem verbesserten Entsendege-
setz dem Lohn- und Sozialdumping auf den Baustellen
Einhalt zu gebieten und diejenigen zur Rechenschaft zu
ziehen, die sich noch an übelster Ausbeutung eine gol-
dene Nase verdienen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Oft genug habe ich in den letzten Wochen gehört, soviel
soziale Gerechtigkeit könnten wir uns doch gar nicht lei-
sten, weil es vorrangig um die Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit gehe. Das widerspricht sich keineswegs.
Im Gegenteil, es gehört vielmehr unmittelbar zusam-
men; denn unsere Politik muß und wird sich am Zu-
wachs von Beschäftigung und an gesellschaftlicher Inte-
gration statt an Ausgrenzung orientieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich halte die Grundbehauptung von angebotsorien-
tierter Politik, die die F.D.P. auch heute wieder hier aus-
gebreitet hat, nämlich Arbeitslosigkeit lasse sich nur im
Sinne einer Folgewirkung wirtschaftlicher Effizienz
vermindern, und wirtschaftliche Effizienz wiederum sei
nur um den Preis der gesellschaftlichen Ungleichheit zu
haben, schlicht für falsch. Wo sind all die neuen Ar-
beitsplätze, die die Aufweichung des Kündigungsschut-
zes bringen sollte?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Von 500 000 neuen Jobs hatten die Vertreter des Mittel-
standes geredet; inzwischen beschäftigt das Handwerk
trotz der von ihm gewünschten Gesetzesänderungen
nicht mehr, sondern weniger Menschen. Daraus kann
man – wie einige Handwerksfunktionäre oder die F.D.P.
– den Schluß ziehen, das Tempo beim Lauf in die fal-
sche Richtung müsse verdoppelt werden, oder man kann
– wie wir – diese ungerechte Regelung, die gerade die
Beschäftigten in kleineren Betrieben und in Betrieben,
in denen die Tarifbindung nicht gilt, trifft, zurückneh-
men. Wenn es wirklich um Neueinstellungen ginge, bei
denen am Anfang die dauerhafte Einstellung noch nicht
sicherzustellen wäre, und nicht darum, wie man Leute
möglichst preiswert los wird, würden dafür allemal die
zahllosen Möglichkeiten, befristete Einstellungen vor-
zunehmen, ausreichen.

Befristete und prekäre Beschäftigungsverhältnisse
prägen doch mittlerweile geradezu den betrieblichen
Alltag. Wird gleichzeitig noch der Kündigungsschutz
aufgeweicht, dann arbeitet man praktisch dauerhaft unter
den Bedingungen der Probezeit.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das soll doch nicht sein!)


Das hat erhebliche Folgen für die betriebliche Demo-
kratie. Wer traut sich schon, während der Probezeit,
wenn draußen die Leute für den Job Schlange stehen,
dem Chef zu widersprechen oder gar zu versuchen, mit
anderen im Betrieb gemeinsam Interessen durchzuset-

zen? Dabei brauchen wir Menschen, die ihre Lebens-
und Arbeitsbedingungen mit Engagement selbst ge-
stalten und den Mut haben, sich einzumischen. Deshalb
müssen wir die Möglichkeiten betrieblicher Mitbe-
stimmung besser absichern und ausbauen sowie das
Betriebsverfassungsgesetz entsprechend modernisie-
ren. Dafür müssen wir den Menschen als erstes wieder
einen verbesserten Schutz vor Kündigungen gewähr-
leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Lassen Sie mich ein letztes Argument zum Kündi-
gungsschutz anführen. Es ist vielfach belegt, daß Unter-
nehmen um so mehr in die Qualifikation ihrer Beschäf-
tigten investieren, je länger sie diese zu beschäftigen be-
absichtigen. In den USA ist zum Beispiel die Teilnahme
gering Qualifizierter an innerbetrieblichen Qualifizie-
rungsmaßnahmen in den letzten 15 Jahren erheblich zu-
rückgegangen. Britische Unternehmen investieren im
internationalen Vergleich nur einen minimalen Anteil
ihres Umsatzes in die Qualifikation ihrer Beschäftigten.
Schon diese wenigen Beispiele aus Ländern mit sehr ge-
ring ausgebautem Kündigungsschutz zeigen, daß Dere-
gulierung hier der völlig falsche Weg ist.

Nun geht der Gesetzentwurf, den wir heute verab-
schieden werden, über die reine Rücknahme von Fehl-
entscheidungen der vorigen Legislaturperiode hinaus.
Wären wir dabei stehengeblieben, hätte die Opposition
gesagt: Die haben ja gar nichts Eigenständiges zu bieten.
Jetzt, wo wir darüber hinausgehen, werfen Sie uns, wie
Frau Schnieber-Jastram eben, einen Schnellschuß vor.
Ich kann Sie beruhigen: Sowohl zum Problem Schein-
selbständigkeit als auch zum Thema Entsendegesetz –
das wissen Sie genauso gut wie ich – haben wir aus der
Opposition heraus in den vorigen Jahren schon entspre-
chende Anträge gestellt. Es hat dazu ausführliche De-
batten gegeben. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialord-
nung hat dazu zuletzt im Sommer 1997 eine Experten-
anhörung veranstaltet.

Daß gerade in der Zunahme von Scheinselbständig-
keit ein ganz großes Problem liegt, hatten auch die bis-
her im Arbeitsministerium Verantwortlichen schon er-
kannt. Sie hatten nämlich eine umfangreiche Studie
beim IAB in Auftrag gegeben, die deutlich macht, daß
es sich bei solchen Beschäftigungsverhältnissen keines-
wegs mehr um ein Randphänomen handelt oder daß al-
les so, wie es ist, schon bestens wäre. Fast eine Million
Menschen arbeiten nämlich hauptberuflich in der Grau-
zone zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstän-
digkeit. Ungefähr anderthalb Million Menschen tun es
nebenberuflich. Daß von seiten der CDU/CSU, obwohl
Sie das genauso gut wie wir wissen, trotzdem bis zum
heutigen Tage keine Vorschläge auf dem Tisch liegen,
wie das Problem angegangen werden kann, sollten Sie
nicht uns vorwerfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Es gibt ein Recht dazu!)


Annelie Buntenbach

876 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


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Sie, meine Damen und Herren von den ehemaligen
Regierungsfraktionen, haben das Problem verschleppt;
und dadurch, daß Sie nicht gehandelt haben, haben Sie
in dieser Frage genau wie in der Frage der geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisse den Prozeß der Erosion der
sozialen Sicherung noch beschleunigt. Wenn Sie sich
jetzt beschweren, daß wir zu schnell seien, dann liegt
das an dem immensen Problemdruck, den Sie uns hin-
terlassen haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Um wen geht es eigentlich, wenn wir über Schein-
selbständigkeit sprechen? Es geht doch nicht um den
wagemutigen Yuppie oder Besserverdienenden, der da-
von ausgeht, daß seine Ellbogen und Finanzreserven
ausreichen, um sich auf eigene Rechnung durchs Leben
zu schlagen. Es geht beispielsweise um den Lkw-Fahrer,
der vorher bei einer Spedition gearbeitet hat und nun für
ebendiese Spedition als Selbständiger auf eigenes wirt-
schaftliches Risiko fährt. Seinen Lkw kauft oder least er
von seinem früheren Arbeitgeber. Die Vertretung für
den Fall von Urlaub und Krankheit muß er selbst organi-
sieren und die Reparaturen selbst tragen. An seiner Ar-
beit dagegen ändert sich nicht viel; er bleibt weiterhin
abhängig.

Ein anderes Beispiel. Es geht um die Propagandistin,
die in einem Warenhaus auf eigene Rechnung bei-
spielsweise für die Vermarktung einer Kosmetikserie
zuständig ist. Es geht um die selbständige Regalauffülle-
rin oder um die Kellnerin, die an der Theke Kaffee und
Kuchen kauft, um sie am Tisch weiter zu verkaufen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das ist alles nach gegenwärtiger Rechtslage regelbar! – Gegenruf des Abg. Konrad Gilges [SPD]: Das stimmt nicht!)


– Es stimmt leider nicht, daß die gegenwärtige Rechtsla-
ge alles wunderbar abdecken würde, Frau Schwaetzer.
Wenn das so wäre, dann müßten Sie die Frage beant-
worten können, wie es kommt, daß nach wie vor fast ei-
ne Million Menschen in dieser Grauzone arbeiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Sie wissen doch genauso gut wie ich, daß in diesem Be-
reich die soziale Sicherung immer mehr auseinander-
bricht. Wenn wir hier nicht einschreiten, werden die
Probleme, die Sie uns hinterlassen haben, in ihrem
Ausmaß noch größer werden.

All diese Menschen, von denen ich gerade gespro-
chen habe, sind zwar der Form nach selbständig, aber sie
haben keinen selbständigen, das heißt: eigenständigen
Entscheidungsspielraum dazugewonnen. Im Gegenteil:
Sie haben etwas ganz Entscheidendes verloren, nämlich
ihre soziale Absicherung. Der Arbeitgeber will die Ko-
sten für die Sozialversicherung sparen und drückt sich
vor der sozialen Verantwortung zu Lasten der Betroffe-
nen und damit letztlich zu Lasten der Allgemeinheit.
Wenn die Betroffenen nämlich ohne soziales Netz sind
und abstürzen, dann fallen sie direkt in die Sozialhilfe.

Im Unterschied zum Profifußballer kann sich die Re-
galauffüllerin die Investition in die private Alterssiche-
rung nicht leisten. Genau diese Menschen sind es, die
wir wieder in den Schutz der Sozialversicherung einbe-
ziehen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Gesetz, das wir heute verabschieden, definiert
folgende Kriterien: die Arbeit für – im wesentlichen –
einen Auftraggeber, kein eigenständiges Auftreten am
Markt, keine weiteren versicherungspflichtigen Ange-
stellten, das Erbringen von für Beschäftigte typischen
Arbeitsleistungen.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Typische Existenzgründerinnen!)


Wenn mehrere dieser Kriterien erfüllt werden,

(Dirk Niebel [F.D.P.]: Zwei!)


kann vermutet werden, daß es sich nicht um Selbständi-
ge, sondern um Arbeitnehmer handelt.

Die Berichte aus der Praxis der Arbeitsgerichte zei-
gen klar und deutlich – in diesem Punkt frage ich mich,
Frau Schnieber-Jastram, ob wir vorige Woche bei der-
selben Anhörung anwesend waren –, daß der jetzige Zu-
stand unhaltbar ist. Sie zeigen, wie schwierig und lang-
wierig die Verfahren sind. Sie zeigen ferner, daß eine
Neuregelung, die wir vorschlagen, dringend nötig ist.

Besonders dringend nötig ist die Umkehr der Be-
weislast, die wir vornehmen. Danach kann zwar ein Ar-
beitgeber, der kein Interesse an dem sozialversiche-
rungspflichtigen Status seines Arbeitnehmers hat, die
Vermutung aktiv widerlegen, daß es sich um einen Ar-
beitnehmer und nicht um einen selbständigen Auftrag-
nehmer handelt. Er kann aber nicht mehr – wie bisher –
durch pure Verweigerung verhindern, daß dieser Status
festgestellt wird und daß er künftig seinen Anteil an der
Sozialversicherung bezahlen muß. Genau das wollen wir
mit diesem Gesetz erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Als letzten Komplex möchte ich das Entsendegesetz
ansprechen, das wir mit dem heutigen Gesetz erheblich
verbessern. Von Anfang an war ja die Möglichkeit, mit
diesem Gesetz gleichen Lohn für gleiche Arbeit im
Baugewerbe durchzusetzen, dadurch erschwert, daß es
trotz der Bemühungen von Norbert Blüm und anderen
die Handschrift derjenigen trug, die die Baustellen zum
Experimentierfeld für Lohn- und Sozialdumping machen
wollten. Das Ergebnis war eine Aneinanderreihung von
Halbherzigkeiten: Es war auf zwei Jahre befristet – das
ändern wir heute –; es enthielt keinen Konfliktregelungs-
mechanismus für den Fall, daß der Branchentarifvertrag
nicht für allgemeinverbindlich erklärt werden sollte; es
beinhaltete kein wirksames Instrumentarium gegenüber
denjenigen Unternehmern, die sich eine goldene Nase
am Menschenhandel und skrupelloser Ausbeutung ver-
dienen, aber die Bußen, wenn sie erwischt werden, aus
der Portokasse bezahlen können.

Annelie Buntenbach

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 877


(A) (C)



(B) (D)


Die Voraussetzung dafür, daß das Entsendegesetz
überhaupt in Kraft tritt, ist, daß der Branchentarifvertrag
für allgemeinverbindlich erklärt wird. So wie der Tarif-
ausschuß, der dies tun müßte, zusammengesetzt ist, kann
das dazu führen – genau das hat es schon gege-
ben –, daß die Arbeitgeberverbände aus branchenfrem-
den Gründen die Allgemeinverbindlichkeitserklärung
blockieren können. Damit entscheiden im Konfliktfall
praktisch sie allein darüber, ob es überhaupt eine ge-
setzliche Regelung gibt. Angesichts dessen muß sich die
Politik schon fragen lassen, wie ernst sie sich selbst
eigentlich nimmt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Ich nehme euch nicht ernst!)


Entweder hält eine Mehrheit im Parlament eine gesetzli-
che Regelung für notwendig; dann muß man sie auch
schaffen. Oder es gibt dafür keine Mehrheit; dann
braucht man aber auch kein Gesetz zu machen. Wenn
man aber diese gesetzliche Rahmensetzung für nötig
hält, dann hat die Politik dafür Sorge zu tragen, daß die-
ses Gesetz auch im Konfliktfall wirksam wird. Genau
das wollen wir heute tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Situation am Bau ohne wirksames Entsendege-
setz kennen wir doch nur allzu gut: Stundenlöhne zwi-
schen 5 und 10 DM, menschenunwürdige Unterbrin-
gung, für die zum Teil – wie in frühkapitalistischen
Zeiten – die Wucherpreise direkt vom Lohn einbehalten
werden. Unfall- und Arbeitsschutz auf diesen Baustellen
sind schlicht eine Farce, illegale Beschäftigung blüht
zwischen Ketten von Sub- und Subsubunternehmern,
Lohnbetrug ist an der Tagesordnung, und die Kollegen
werden gegeneinander ausgespielt. Wir brauchen daher
ein Entsendegesetz, dessen Wirkung sichergestellt ist,
zum einen zum Schutz gegen unerträgliches Lohn- und
Sozialdumping und zum anderen, um die Funktionsfä-
higkeit der Tarifautonomie zu sichern, der sonst die
Grundlage weiter entzogen wird.

In der Anhörung wurden – genau wie heute auch –
die Fragen gestellt: Ist dieses Gesetz überhaupt verfas-
sungsgemäß? Nimmt sich der Staat nicht gegenüber der
Tarifautonomie viel zuviel heraus?


(Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich!)

Das Ergebnis der Anhörung war ein eindeutiges Nein;


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Dann sind Sie aber auf einer anderen Veranstaltung gewesen!)


denn die vorgesehene Verordnungsermächtigung für
das Arbeitsministerium erfüllt die notwendigen Kriteri-
en: erstens, daß die tarifliche Regelung, die verallgemei-
nert werden soll, von repräsentativen Tarifparteien ver-
einbart sein muß, zweitens, daß die zwingende Geltung
der Tarifnormen im öffentlichen Interesse geboten er-
scheint, und drittens, daß sie an jede Veränderung der
Tarifabschlüsse unverzüglich angepaßt wird.

Eine Änderung haben wir allerdings im Bera-
tungsverfahren vorgenommen, die ich kurz erwähnen
möchte.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aus verfassungsrechtlichen Gründen!)


Wir haben festgelegt, daß die Voraussetzung für das
Handeln des BMA ein Antrag einer der Tarifparteien ist.
Damit wollen wir deutlich machen, wie wichtig uns die
Priorität der Tarifparteien ist, auch wenn wir künftig
nicht mehr zulassen werden, daß dieses Gesetz durch
branchenfremde Verbandsinteressen blockiert werden
kann.

Die dritte entscheidende Verbesserung des Entsende-
gesetzes ist neben der Entfristung und dem Konfliktre-
gelungsmechanismus die Durchgriffshaftung für den
Generalunternehmer. Razzien auf den Baustellen för-
dern zwar Mißstände zutage, wenn auch bei weitem
nicht alle; aber sie bieten keine Ansatzpunkte zur Ände-
rung und treffen die Opfer, nicht die Täter. Der Ansatz-
punkt, um etwas zu ändern, liegt beim Unternehmer, den
wir in die Verantwortung nehmen müssen, gerade beim
Generalunternehmer.

Die Spuren illegaler Beschäftigung oder Beschäf-
tigung weit unterhalb des Mindestlohns verlieren sich
im Moment im unübersichtlichen Feld von Sub- oder
Subsubunternehmern bis hin zu dubiosen Briefkasten-
firmen, an die Aufträge weitergegeben werden. Zur
Zeit kann sich der Unternehmer gefahrlos mit den ent-
sprechenden Versicherungen des Subunternehmers zu-
friedengeben, wohlwissend, daß die angebotenen Preise
mit vernünftigen Arbeitsbedingungen und Sozialver-
sicherungspflicht gar nicht zu erbringen sind. Deshalb
brauchen wir jetzt dringend die Durchgriffshaftung für
den Generalunternehmer, gerade auch im Interesse der
vielen kleineren Betriebe, die zu vernünftigen Be-
dingungen beschäftigen und die in den letzten Jahren
von der Schmutzkonkurrenz vom Markt gedrängt wor-
den sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist heute im Laufe des Vormittags in diesem Hau-
se schon viel von Europa gesprochen worden. Der Weg
dahin geht nicht über Lohn- und Sozialdumping, bei
dem – wie am Bau – die Menschen nach Hautfarbe und
Paß gegeneinander ausgespielt werden. Daraus entste-
hen nationale Ressentiments und nicht das weltoffene
Europa, das wir anstreben. Wir brauchen verbindliche
und faire Bedingungen am Arbeitsmarkt. Dazu leisten
wir mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden wer-
den, einen wichtigen Beitrag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401412000
Das Wort hat die
Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer von der F.D.P.-
Fraktion.

Annelie Buntenbach

878 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


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Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1401412100
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetz-
entwurf löst die neue Mehrheit zweifellos Wahlverspre-
chen ein. Aber sie stiftet auch neue Verwirrung und
neue Unsicherheit.


(Konrad Gilges [SPD]: Sie haben die Verwirrung hinterlassen! – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen, aber nicht bei den Betroffenen!)


Ich will das an ein paar Beispielen deutlich machen.
Erstens. Die gesetzliche Regelung der vollen Lohn-

fortzahlung im Krankheitsfall wird in die nächsten Ta-
rifverhandlungen zusätzlichen Streit hineintragen.


(Zuruf von der SPD: Das glaube ich nicht, Frau Schwaetzer!)


Herr Bundesarbeitsminister Riester, Sie haben eben ge-
sagt: Die Betriebe sollen die Kostenvorteile, die sie bei
den letzten Tarifverhandlungen herausgeholt haben, be-
halten. Herr Wiesehügel hat bereits angekündigt, daß er
sich in den nächsten Tarifverhandlungen wieder die Lei-
stungen zurückholen will, bei denen er das letzte Mal,
als über die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
verhandelt wurde, nachgegeben hat. Wir stellen also
fest: Auch diese Regelung führt wieder zu einer Ver-
teuerung der Arbeit in Deutschland und zweifellos nicht
zu Neueinstellungen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Zweitens. Die Wiedereinführung der undifferenzier-

ten Sozialauswahl bei Entlassungen im Betrieb wird
die Betriebe zwingen, hochmotivierte und hochqualifi-
zierte Arbeitnehmer zu entlassen, nur weil sie unverhei-
ratet sind.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie waren schon lange nicht mehr bei Betriebsplanverhandlungen dabei, Frau Schwaetzer!)


Das ist die Konsequenz Ihrer Politik. Wenn Sie sich da-
mit einmal beschäftigen würden, würden Sie das erken-
nen.

Meine Damen und Herren von der Koalition, auch
Sie müßten eigentlich Briefe erhalten haben, in denen
darauf hingewiesen wird, daß Unternehmen ihre Inve-
stitionen verschieben bzw. nicht tätigen und daß Arbeit-
nehmer, die im Rahmen dieser Investitionen bereits ein-
gestellt wurden, wieder entlassen werden, weil die Un-
ternehmen mit der Verschärfung des Kündigungsschut-
zes nicht zurechtkommen.


(Konrad Gilges [SPD]: Ich habe keinen einzigen Brief bekommen! Die Briefe bekommt nur die F.D.P.! Die sind bestellt!)


Drittens. Das Aussetzen der Regelungen, die die
Rente auch in Zukunft sicherer machen sollen, ohne zu
sagen, was Sie anders machen wollen, zeigt, daß Sie
sich in der Opposition schlecht auf die Regierungsüber-
nahme vorbereitet haben. Sie sagten zwar, Sie seien be-
reit; aber Sie sind eben nicht bereit. Sie wußten, was Sie

nicht wollten; aber Sie können nicht sagen, was Sie
wollen. Das ist zuwenig für eine Regierung.


(Beifall bei der F.D.P.)

Viertens. Sie beklagen, daß Ihnen keine Schonfrist

von 100 Tagen gegeben wird.

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Die bräuchten vier Jahre Schonfrist! – Widerspruch bei der SPD)


– Das hören wir hier doch andauernd. – Hinsichtlich der
Neuregelung der Sozialversicherungspflicht für ar-
beitnehmerähnliche Selbständige werden wohl auch
bei Ihnen Anrufe und Briefe angekommen sein. Zumin-
dest die Ausschußvorsitzende Frau Barnett hat in diesem
Zusammenhang eine Menge Briefe an uns weitergelei-
tet. Solche Briefe gehen bei uns ständig weiterhin ein.
Diese Flut von Protestbriefen, aber auch die verunsi-
cherten Anrufer sollten Ihnen eigentlich klarmachen: Es
wäre besser gewesen, Sie hätten 100 Tage zum Denken
benutzt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Mit dieser Neuregelung – das meine ich wirklich sehr

ernst; ich bin sicher, daß wir darüber noch diskutieren
werden – präsentieren Sie gerade der von Ihnen so um-
worbenen Neuen Mitte ein böses Geschenk unter dem
Weihnachtsbaum. Denn Sie strafen praktisch ohne Aus-
nahme alle diejenigen ab, die sich entschlossen haben, in
die Selbständigkeit zu gehen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist doch gar nicht wahr!)


Sie zwingen sie alle in die Sozialversicherung. Ich lasse
jetzt einmal offen, ob Sie das ausschließlich aus ideolo-
gischen Gründen tun oder deshalb, weil die Sozialversi-
cherungskassen Geld brauchen. Da sind Sie ja ganz of-
fen. Sie sagen: Die Sozialversicherungskassen brauchen
Geld, und wir wollen ihnen dieses Geld verschaffen.


(Zuruf von der SPD: Vielleicht gibt es auch einen dritten Grund!)


Sie zwingen all diejenigen – zum Beispiel Versiche-
rungsagenten oder Agenten von Bausparkassen – in die
Sozialversicherung, die über Jahrzehnte selbständig ge-
wesen sind und es seit Jahrzehnten gewohnt sind, selbst
für ihre soziale Sicherung zu sorgen. Sie trocknen dar-
über hinaus das Versorgungswerk der Versicherungen
aus, weil die Jungen, die am Anfang ihrer Berufstätig-
keit stehen, dort nicht mehr hineinkommen. Denn
zwangsweise müssen sie in die gesetzliche Sozialversi-
cherung.


(Konrad Gilges [SPD]: Erzählen Sie doch so etwas nicht!)


– Ich habe mir den Gesetzentwurf, so wie Sie ihn be-
schlossen haben, heute noch einmal durchgesehen. Un-
terhalten Sie sich doch einmal mit denjenigen, die ihre
Versicherung bis gestern abgeschlossen haben mußten.
Alle diejenigen, die das ab morgen tun wollen, können
dies nicht mehr. Sie sind vielmehr zwangsversichert.
Das ist die Ideologie, die wir nicht akzeptieren. Nicht

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 879


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einmal Proteste von Ihnen nahestehenden Kreisen haben
Sie bisher erschüttert. Selbst die IG Medien waren, was
diese Regelung betrifft, bei der Anhörung sehr zögerlich,
Ihnen überhaupt zuzustimmen. Sie haben Sie gewarnt.

Der Deutsche Journalisten-Verband sieht – im übri-
gen zu Recht – die Künstlersozialversicherung gefähr-
det und protestiert dagegen, daß in Zukunft Arbeitgeber-
und Arbeitnehmeranteile von den Künstlern allein zu
tragen sind, was sie in der Künstlersozialkasse nicht
müssen. Da sind sie zwangsabgemeldet, weil sie in der
Sozialversicherung zwangsangemeldet werden. Das al-
les haben Sie zu verantworten. Sie konnten aber nicht
einmal begründen, warum Sie das tun.

Der WDR sieht – im Auftrag von ARD und ZDF –
die Rundfunkfreiheit gefährdet, weil seine programmge-
staltenden Mitarbeiter – das habe ich nicht erfunden, das
ist auch Ihnen zugegangen –, die immer als Selbständige
angesehen wurden und angesehen werden wollten, nun
plötzlich arbeitnehmerähnliche Selbständige mit unge-
wollter teurer Sozialversicherungspflicht werden.


(Konrad Gilges [SPD]:Der Betriebsrat sieht das anders!)


Darüber hinaus hat der WDR zu Recht die Befürchtung,
daß die nächste Klagewelle auf Einstellung auf ihn zu-
rollt, damit wenigstens Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-
beitrag vom Auftragnehmer nicht mehr allein zu zahlen
sind.

Selbst so uneigennützige Menschen wie die in den
sogenannten Lohnsteuerhilfevereinen sehen ihre Exi-
stenz bedroht. Lohnsteuerhilfevereine – das müßte Ihnen
doch etwas sagen. Hier arbeiten Menschen, die kleinen
Leuten helfen, ihre Lohnsteuererklärung zu machen. Sie
bekommen dafür eine geringe Gebühr. Diese Menschen
werden ab dem 1. Januar sozialversicherungspflichtig
und müssen Beiträge zahlen für etwas, was sie über-
haupt nicht brauchen und nicht haben wollen.


(Konrad Gilges [SPD]: Warum brauchen die das nicht? – Weitere Zurufe von der SPD)


– Sie schreiben Ihnen doch, daß sie das nicht wollen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie

wollten etwas Gutes tun für Frauen. Sie haben aber –
das ist ernst gemeint – die Diskussion darüber verwei-
gert. Sie haben im Ausschuß auf keine unserer Fragen
geantwortet.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie schaden damit vor allen Dingen den Frauen im
Osten. Viele von ihnen haben vor zwei, drei Jahren kei-
ne andere Chance gesehen, als sich eine selbständige
Existenz aufzubauen. Sie sind noch nicht in der Lage,
das zu tun, wozu Sie sie jetzt zwingen. Sie fühlen sich
von Ihnen bevormundet.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, das ist nicht sozial, sondern nur noch arrogant.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU)


In ländlichen Regionen haben sich in den vergange-
nen zwei Jahren eine Menge von Call-Centern einge-
richtet. Dies ist für viele Frauen dort – zum Beispiel in
Niedersachsen – die einzige Chance, überhaupt Geld zu
verdienen.


(Peter Dreßen [SPD]: 80 Mark in 14 Tagen! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Dann machen Sie es anders! – Diese Frauen werden ab
dem 1. Januar oder 1. Februar wieder zum Arbeitsamt
gehen, weil die Unternehmer, über deren Qualität man
sicherlich streiten kann, ihr Geschäft ganz schnell nach
Holland verlegen. Die Frauen, die dort bisher gearbeitet
haben, gehen in die Arbeitslosigkeit.

Herr Riester hat vorhin gesagt: „Dies ist ein Tag der
Freude“. Ich sage Ihnen: Es ist kein Tag der Freude für
all diejenigen, die durch Ihre Regelungen ihren Arbeits-
platz und ihre Verdienstmöglichkeiten verlieren werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber all das gilt nichts, wenn Ideologie in den Vor-
dergrund geschoben wird. Dabei ist in der Anhörung
doch wirklich klar geworden, daß die Fälle von Miß-
brauch und von tatsächlicher Scheinselbständigkeit mit
dem geltenden Recht und der gegenwärtigen Rechtspre-
chung befriedigend zu regeln sind. Das Eismann-Urteil
zeigt das. Dieses Eismann-Urteil zeigt auch, daß die
jetzt vorliegende gesetzliche Regelung überflüssig ist,
denn es wird in der Begründung genau das bringen,
worauf sich anschließend jeder berufen kann und auch
berufen wird. Das heißt, es ist mit einem Schlag alles
weg, weshalb Sie glaubten, diese Regelung machen zu
müssen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie hatten sich ja offensichtlich ein Denkverbot verord-
net. Heben Sie dieses Denkverbot auf!
Lassen Sie endlich die Diskussion in den eigenen Rei-
hen, aber auch mit uns zu!

Am Verlauf der Diskussion über die 620-DM-Jobs
sieht man, daß es keine einfachen Lösungen gibt. Wenn
man einfache Lösungen präsentiert, wie Sie das tun,
dann entstehen dabei so viele Fehler, daß die Regelung
nicht tragfähig ist.


(Zuruf von der SPD: Sie haben überhaupt keine Regelung angeboten!)


„Neues Spiel, neues Glück“ hätte man fast sagen kön-
nen. Wir warten darauf, was Sie mit all dem, was nicht
geht, in den nächsten Monaten anfangen. Dann stehen
wir selbstverständlich auch als Dikussionpartner für das,
was geht, zur Verfügung.

Fünftens. Auf verfassungsrechtlich dünnem Eis be-
wegen Sie sich mit der Entscheidung, den Arbeitsmini-
ster mit bisher nie gesehener Machtfülle auszustatten.
Der Bundesarbeitsminister erklärt ein ganzes Tarifge-
füge für allgemeinverbindlich. Die Bundesanstalt für

Dr. Irmgard Schwaetzer

880 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


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Arbeit ist selbstverständlich von ihrem Gesetzesauftrag
her in der Pflicht, das zu überprüfen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! Das ist richtig!)


Dazu haben die aber erklärt, daß sie sich nicht als Tarif-
polizei sehen. Sie machen die Bundesanstalt für Arbeit
mit der Verabschiedung dieses Gesetzes zur Tarifpoli-
zei,


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

oder aber Sie akzeptieren, daß Ihr eigenes Gesetz nicht
angewendet wird. Das aber können Sie nicht wollen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darüber hinaus möchte ich im Interesse von Arbeit-
nehmern auf vorhandenen Arbeitsplätzen sehr ernsthaft
zu bedenken geben: Es kann nicht in Ihrem Interesse
liegen, die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit von
Tarifverträgen auch in Regionen vorzunehmen, in denen
nur eine Minderheit von Betrieben den Arbeitgeberver-
bänden beigetreten ist. Sie haben das getan, weil sie
sonst nicht überlebensfähig sind. Wenn Sie die Rege-
lung jetzt so weit ausdehnen, wenn Sie sie jetzt für all-
gemeinverbindlich erklären, dann nehmen Sie sehenden
Auges in Kauf, daß Arbeitsplätze abgebaut werden


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und daß diese Arbeitsplätze mit Mitarbeitern von Toch-
terunternehmen großer Baufirmen aus dem Ausland
besetzt werden, aber nicht mehr von deutschen Arbeit-
nehmern.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Leider wahr!)

Genau das, Herr Wiesehügel, wird mit Ihrer Gene-

ralunternehmerhaftung in den ostdeutschen Bundes-
ländern passieren. Die großen Firmen werden ihre
Töchter aus dem Ausland für sich arbeiten lassen, weil
die als einzige die Gewähr bieten, daß sich der General-
unternehmer auf rechtlich einwandfreiem Eis bewegt.
Die Mittelständler im Osten werden in die Röhre gucken,
und die Arbeitsplätze werden zuhauf kaputtgehen. Dar-
über werden wir noch sprechen, da bin ich ganz sicher.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Bundesar-
beitsminister, Sie haben angekündigt, eine offene Dis-
kussion über die Zukunft der sozialen Sicherung und der
Arbeitsmarktbedingungen in Deutschland zu führen. Ich
hätte mir gewünscht, daß wir über dieses Gesetz schon
ausführlicher hätten diskutieren können. Leider ist das
nicht möglich gewesen, weil Sie darauf bestehen, Qua-
lität durch Schnelligkeit zu ersetzen. Tempo ist keine
Leistung, und dies ist nicht im Interesse der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer.

Danke.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dirk Niebel [F.D.P.]: Temposünder!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401412200
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat Frau Dr. Heidi Knake-Werner.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1401412300
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin
Schwaetzer, ich wundere mich schon ein wenig darüber,
daß Sie sich so über die Hektik des Gesetzgebungsver-
fahrens empören. Das, was wir von Ihrer Seite geboten
bekommen haben, hat das bei weitem übertroffen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Aber die Neuen haben gesagt, sie machen vieles besser!)


Da bin ich doch wirklich ganz andere Dinge gewohnt.
Ich möchte zu den Kollegen der rechten Opposition

insgesamt sagen: Wenn ich Sie heute reden höre, dann
empfehle ich Ihnen dringend, sich Gedanken um Ihr
Kurzzeitgedächtnis zu machen.


(Beifall bei der PDS)

Sie haben jahrelang zugelassen, daß Frauen in prekäre
Beschäftigungsverhältnisse abgedrängt worden sind,
weil sie keine andere Chance hatten. Jetzt vergießen Sie
hier Krokodilstränen, insbesondere um die Frauen in
Ostdeutschland. Das finde ich wirklich schamlos.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


War es nicht in Ihrer Regierungszeit, daß die Ar-
beitslosenzahlen ins Unermeßliche gestiegen sind? Ist es
nicht in Ihrer Regierungszeit passiert, daß die Menschen
in Ost und West den Glauben an die soziale Gerechtig-
keit verloren haben? Die Quittung dafür haben Sie ja
nun bekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS und der SPD)


Ich jedenfalls bin froh über das heute zur Abstim-
mung vorliegende Gesetz, das im wesentlichen die Auf-
gabe hat – dem können wir nur zustimmen –, die größ-
ten Fehlleistungen der Kohl-Regierung im sozialen und
im arbeitsrechtlichen Bereich zu korrigieren. Ich bin
auch froh darüber, daß sich die Koalition dabei nicht
von den – teilweise äußerst rüden – Attacken aus dem
Arbeitgeberlager hat ins Bockshorn jagen lassen. Das
verdient ein aufmunterndes „Weiter so“ von uns.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ob Ihnen etwas Vergleichbares auch beim Bündnis

für Arbeit gelingen kann, darf allerdings bezweifelt
werden. Allein die Tatsache, daß es nach der ersten
Runde zu einem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und
Wettbewerbsfähigkeit aufgeblasen wurde,


(Zuruf von der SPD: Vor der ersten Runde!)

läßt leider nichts Gutes ahnen. Wir haben da in den
letzten Jahren Erfahrungen gesammelt. Während Bun-
deskanzler Schröder und Arbeitsminister Riester ohne
Vorbedingungen antraten, waren es natürlich die Arbeit-
geber, die knallhart konkrete Forderungen formuliert

Dr. Irmgard Schwaetzer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 881


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haben. Sie sind es auch – das macht einen eben so skep-
tisch –, die als einzige schon nach dem ersten Treffen
mit Geschenkzusagen nach Hause gehen konnten. Die
Senkung der Unternehmenssteuern soll wunschgemäß
um zwei Jahre vorgezogen werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nur heiße Luft!)

Auch die anderen Verabredungen nehmen auf, was

die Unternehmer eigentlich schon immer gesagt haben,
daß nämlich die Kosten, insbesondere die berühmten ge-
setzlichen Lohnnebenkosten, gesenkt werden müssen –
alles im Interesse einer Verbesserung der Innovations-
und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Das ist die
alte Litanei von vorgestern. Wo bleibt, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, die Selbstverpflichtung der Industrie-
verbände, für mehr Ausbildung und mehr Beschäftigung
zu sorgen? Darauf warte ich, und das sind die Bedin-
gungen, die hier formuliert werden müßten, auch von
der Regierung.

Dagegen findet sich in der gemeinsamen Erklärung
der brisante Satz, daß die beteiligten Seiten eine Tarif-
politik anstreben, die den Beschäftigungsaufbau unter-
stützt. Was ist das nun? Ist dies das von Klaus Zwickel
angekündigte Ende der Bescheidenheit? Oder sind das
die vom Chef des Deutschen Industrie- und Handelsta-
ges, Stihl, geforderten Lohnleitlinien? Das kommt dabei
heraus, wenn man Konsensgespräche nur moderiert und
nicht klarmacht, mit welcher Position man dort selber
hineingeht, und nach allen Seiten offen ist.


(Beifall bei der PDS)

Hier können Sie von uns kein aufmunterndes „Weiter
so“ erwarten.

Wenn sich ein Konzept andeutet, zum Beispiel bei
Lafontaine, der die gesetzliche Begrenzung von Über-
stunden fordert, wenn es zu keiner anderen Lösung
kommt, dann schaltet sich der Kanzler ein. So hat Bun-
deskanzler Schröder den Finanzminister mit der schnö-
den Feststellung, das komme sowieso nicht in Frage, zu-
rückgepfiffen. Dann braucht es einen im übrigen auch
nicht zu wundern, wenn sich der Verbandsvertreter des
BDI in einer Talkrunde bei Sabine Christiansen damit
hervorwagt, gesetzgeberisches Handeln mit einem terro-
ristischen Banküberfall gleichzusetzen. Was ist das für
ein Demokratieverständnis? Ich muß schon sagen: Von
dieser Seite scheint noch einiges zu erwarten zu sein,
wenn es um den wirklichen Politikwechsel geht.

Das heutige Gesetz ist ein Stück Politikwechsel, weil
es im wesentlichen den groben Sozialabbau und die
Deregulierung der Vorgängerregierung rückgängig ma-
chen soll und neue Schutzrechte für die abhängig Be-
schäftigten installiert. Weder mit der Kürzung der Lohn-
fortzahlung noch mit dem Abbau von Schutzrechten
sind die Probleme auf dem Arbeitsmarkt von heute zu
lösen; das haben Sie in den letzten Jahren vielfach unter
Beweis gestellt. Die neue Regierung findet hier hoffent-
lich andere Wege. Es war eben nicht die Kürzung der
Lohnfortzahlung, es war auch nicht die Einschränkung
des Kündigungsschutzes, und es war schon gar nicht die
Verlängerung der Ladenöffnungszeiten, die die notwen-
digen Beschäftigungseffekte gebracht hätten.

Vorleistungen, insbesondere gegenüber den großen
Unternehmen, wie sie hier in den letzten Jahren zuhauf
beschlossen worden sind, haben dem Arbeitsmarkt
nichts, aber auch gar nichts gebracht. Ich frage Sie –
weil vorhin, bei der Diskussion um die Lohnfortzahlung,
davon wieder die Rede war –: Was haben die eigentlich
mit den 15 Milliarden DM gemacht, die sie durch die
Kürzung der Lohnfortzahlung eingespart haben? Ein
Sonderprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit jeden-
falls haben sie damit nicht geschaffen.


(Beifall bei der PDS)

Das aber wäre ein Weg gewesen, der unser aller Unter-
stützung verdient hätte. Ich hoffe jedenfalls, daß die Re-
gierung daraus die richtigen Konsequenzen zieht und
entsprechende Forderungen an das Bündnis für Arbeit
formuliert.

Einen mutigen Schritt finde ich die Novellierung des
Entsendegesetzes. Endlich läßt sich der Grundsatz
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ rea-
lisieren. Hoffentlich gelingt es nun auch besser, gegen
die skandalösen Arbeitsbedingungen auf dem Bau, ins-
besondere für die ausländischen Arbeitnehmer, vorzu-
gehen. Die PDS hatte dazu einen Änderungsantrag ein-
gebracht. Wir hatten den Wunsch nach Einrichtung von
Anlauf- und Beratungsstellen, weil wir die Information
und damit die Handlungs- und Rechtssicherheit der
ausländischen Kollegen gerne verbessern wollten. Lei-
der haben sich SPD und Bündnisgrüne dieses Anliegens
nicht annehmen können.

Daß sich die neue Regierung des Mißbrauchs ver-
schiedener Formen von Selbständigkeit annimmt, findet
unsere Unterstützung. Auch wir wollen verhindern, daß
mit der schlichten Umbenennung von abhängig Be-
schäftigten in Selbständige der Ausstieg aus dem Sozi-
alversicherungssystem immer einfacher wird. Wir wol-
len die Aushöhlung des Solidarsystems endlich stoppen
und nicht länger zulassen, daß Scheinselbständige gegen
ihren Willen in prekäre und nicht selten existenzbedro-
hende Arbeitssituationen gepreßt werden. Die Schritte
gegen die Scheinselbständigkeit scheinen uns da der
richtige Weg zu sein.

Insgesamt, so kann ich hier erklären, stimmen wir
dem Gesetzentwurf der Koalition zu, weil er unserer
Meinung nach in die richtige Richtung weist, mehr so-
ziale Sicherheit und mehr Rechtssicherheit für die Be-
schäftigten schafft.

Aber ich will Ihnen auch nicht vorenthalten, was uns
an der heutigen Beschlußlage wirklich ärgert. Die PDS
hat gleichzeitig mit Ihnen drei Gesetzentwürfe einge-
bracht, die noch in diesem Jahr hätten verabschiedet
werden können und müssen:


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

zur Neuregelung des Schlechtwettergelds und zur
Verhinderung der Feiertagsarbeit bei den Banken. Sie
haben unsere Initiativen schon im Ausschuß blockiert.
Wenn ich jetzt gutmeinend wäre, könnte ich sagen: Na
gut, dies ist der Tatsache geschuldet, daß Sie nach den
ersten Pannen beim Regierungshandeln sich selbst „Ent-
schleunigung“ bei den Reformvorhaben verordnet ha-

Dr. Heidi Knake-Werner

882 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


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ben. Ich bin aber in diesem Falle nicht gutwillig, weil
ich einfach den Gedanken nicht loswerde, daß Sie un-
sere Initiativen nicht wollten und nicht den Mut haben,
hier im Plenum gegen unsere Initiativen zu stimmen.


(Beifall bei der PDS)

Das finde ich einfach unakzeptabel.

Wenn Sie uns und die Betroffenen „auf die Nudel
schieben“ wollen, indem Sie erst einmal einen Bericht
der Regierung einfordern, dann sage ich Ihnen ganz
deutlich: Im letzten Winter waren Sie nicht auf einen
Bericht der Regierung angewiesen, um festzustellen, daß
die heutige Schlechtwettergeldregelung das Heuern und
Feuern auf dem Bau im Winter nicht stoppen kann.


(Beifall bei der PDS)

Insofern können Sie uns nicht überzeugen. Eine schnelle
Lösung wäre hier bitter notwendig gewesen.

Auch daß Sie die Abstimmung zur Feiertagsöffnung
von Banken verhindert haben, finde ich skandalös und
unakzeptabel, aus sozialen und aus kulturellen Gründen.
Das Ergebnis kennen Sie alle. Sie waren sich darüber im
klaren, daß diese Gesetzesregelung am 1. Januar 1999 in
Kraft tritt. Sie wissen, daß es zu einer höheren Belastung
der Beschäftigten in den Banken kommen wird, und Sie
wissen, daß dies einen Angriff auf die kulturellen Werte
unserer Gesellschaft bedeutet. Die Börse hat ja bereits
ihre neuen Öffnungszeiten verkündet – Sie konnten das
alle in der Presse nachlesen –; Sie können jetzt wirklich
stolz darauf sein, daß es mit Ihrer Hilfe munter weiter-
geht auf dem Weg zur Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft.
Ich finde das sehr bedauerlich.

Um mit Herrn Minister Riester zu sprechen, der vor-
hin davon geredet hat, daß es bei diesem Gesetz viele
Gewinner gibt: Mit uns gemeinsam hätten Sie die Zahl
der Gewinner noch erhöhen können. Da hätten wir gerne
mitgemacht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401412400
Ich gebe das Wort
der Abgeordneten Ute Kumpf, SPD-Fraktion.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1401412500
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Es gibt Tage, da gewinnt man, und es gibt
Tage, da läuft es einfach schlecht.


(Zuruf von der F.D.P.: Sie hatten schon viele schlechte Tage!)


Frau Schwaetzer, die SPD ist bereit, und sie ist sogar
vorbereitet. Deswegen können wir heute Millionen von
Menschen mit der Lohnfortzahlung, die wir geraderük-
ken, und mit der Sicherung des Kündigungsschutzes ei-
ne vorweihnachtliche Freude bereiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Am 27. September 1998 ist es für Sie, also für die
Kollegen und Kolleginnen der jetzigen Opposition, wohl

nicht so gut gelaufen. Ich glaube, da ist irgend etwas
passiert. Die Wählerinnen und Wähler haben Ihnen die
rote Karte gezeigt.

Ich möchte Ihnen hier eine kleine Hilfestellung zur
Vergangenheitsbewältigung geben. Es gibt nämlich
Meilensteine, an denen Ihre Niederlage festgemacht
werden kann. Das meine nicht nur ich, sondern das mei-
nen auch andere; da bin ich in guter Gesellschaft; Heiner
Geißler hat dazu im „Spiegel“ publiziert.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist keine gute Gesellschaft! Das ist Geißler!)


Solche Meilensteine sind die Lohnfortzahlung und
der Kündigungsschutz.


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

– Ich habe gehört: Wenn man oder frau zum erstenmal
redet, dann gibt es einen gewissen „Welpenschutz“. Den
fordere ich für mich jetzt ein.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt Daten, die im Rahmen Ihrer Niederlage sehr
wichtig sind – mir liegt es am Herzen, das zu sagen –:
Der 13. September 1996 und der 1. Oktober 1996 waren
Tage, an denen Sie mit Ihren Politikkonzepten bei der
Lohnfortzahlung, beim Kündigungsschutz und bei der
Rente den Konsens in dieser Gesellschaft aufgekündigt
haben. Vor allem Sie, die F.D.P., waren in Ihrer Dere-
gulierungswut – dieses Wort muß man sich auf der Zun-
ge zergehen lassen – damals verantwortlich dafür, daß
das „Bündnis für Arbeit“ gescheitert ist. Sie haben das
Betonfundament für Ihre Abwahl am 27. September die-
ses Jahres selbst gegossen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der eigentliche Hammer – so schreibt es Heiner

Geißler in seinem Buch – war die Forderung, die Lohn-
fortzahlung auf 80 Prozent zu senken, und zwar trotz
massiver Proteste. Ich erinnere daran, daß damals
350 000 Menschen in Bonn demonstriert haben. Es gab
auch in den Betrieben zigtausendfachen Protest. Trotz-
dem ist die CDU/CSU dem Deregulierungskonzept der
F.D.P. gefolgt, ist eingeknickt und hat die Lohnfortzah-
lung von 100 Prozent auf 80 Prozent gesenkt. In Ihrer
Deregulierungswut haben Sie sich an einem Kernstück
der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik vergriffen.

Eine kleine Nachhilfe, weil manche das vielleicht
vergessen haben: Die Lohnfortzahlung im Krankheits-
falle für Arbeiter wurde 1954 in einem 16wöchigen
Streik in Schleswig-Holstein erstritten. Über 34 000
Menschen, 75 Prozent des Tarifgebietes, haben damals
gestreikt. Dieser Streik gab den Anstoß, die Absicherung
im Krankheitsfalle per Gesetz zu regeln.

Mit Ihrer Entscheidung im Spätsommer 1996 trieben
Sie den ersten Keil in die Gesellschaft und spalteten sie.
Ihnen müßte eigentlich klar gewesen sein, daß das Ein-
sparpotential für Betriebe durch eine gesetzliche Kür-
zung der Lohnfortzahlung gering ist. Für 80 Prozent der
Beschäftigten galten damals 100 Prozent Lohnfortzah-

Dr. Heidi Knake-Werner

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 883


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lung. Ihre Kürzung – so wurde sie auch verstanden –
war eine Kriegserklärung an die Gewerkschaften und an
die Beschäftigten in den Betrieben. Entsprechend waren
die Reaktionen.

Sie haben weiter gezündelt und weiter draufgesattelt.
Zur Erinnerung: Sie haben die Arbeitgeber in dem
Glauben gelassen, daß das Gesetz zur Kürzung der
Lohnfortzahlung bestehende Tarifverträge außer Kraft
setzt. Sie schufen damit die Stimmung dafür, daß der
damalige und heutige Daimler-Chef Jürgen Schrempp
meinte, er könnte den Ausputzer und den Vorreiter für
die Arbeitgeber spielen, indem er Tarifvertragsbruch be-
geht. Mittelständler – CDU/CSU und F.D.P. schwören
ja immer auf den Mittelstand – haben damals gesagt:
Laß die Finger davon!


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Laßt dieses Tarifvertragswerk unangetastet! Wir wollen
keine Kürzung der Lohnfortzahlung im Betrieb haben,
denn das bringt unseren Betrieb durcheinander. Sie sind
weder Jürgen Schrempp gefolgt noch Dieter Hundt,
noch dem DIHT-Vorsitzenden Stihl, weder Chefs von
Bosch noch Pischetsrieder von BMW. Sie haben eben
gesehen, daß diese Kürzung in den Betrieben nur Zoff
und eine demotivierte Belegschaft bringt.

Jürgen Schrempps Tarifvertragsbruch infolge Ihres
Gesetzes – nur zur Erinnerung – hat dem Konzern teure
Bilanzen gebracht – eine Elch-Einheit! Am 1. Oktober
1996 legten mehr als 100 000 Beschäftigte im Daimler-
Konzern für einen Tag die Arbeit nieder, und es lief da-
mals schlichtweg nichts mehr. Diese eintägige Arbeits-
niederlegung der Daimler-Kolleginnen und -Kollegen
am 1. Oktober kam das Unternehmen genauso teuer zu
stehen, wie die Lohnfortzahlung für ein Jahr – in 1995 –
gekostet hat, nämlich genau 220 Millionen DM. Karl
Feuerstein, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des
Daimler-Konzerns – auch er dürfte Ihnen kein Unbe-
kannter sein –, hat in einer Veranstaltung ausgeführt,
daß an diesem Tag der erste Anstoß für Ihre Abwahl ge-
geben wurde und daß Schrempp damit indirekt die
größte Wahlkampfhilfe für die SPD geliefert hat.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU)


– Nur behutsam!
Noch mal an die Adresse der CDU: Wenn Sie Ihr Ohr

und vor allem Ihr christdemokratisches Herz bei den
Betroffenen hätten, müßte Ihnen sehr schnell klar sein,
warum solche berechtigten Emotionen bei der Kürzung
der Lohnfortzahlung im Spiel sind. Von einer Kürzung
auf 80 Prozent sind vor allem langfristig Kranke,
Schwangere, Behinderte betroffen. Jeder weiß, daß we-
der der Vermieter auf einen Teil seiner Miete verzichtet
und nur noch 80 Prozent verlangt, noch daß die Versor-
gungsunternehmen eine Kürzung ihrer Rechnungen ak-
zeptieren – auch sie verlangen für Gas, Wasser und
Strom nicht weniger, wenn man krank ist –, geschweige
die Ärzte. Das heißt, man muß dann genauso viel löhnen
wie im gesunden Zustand.

Es wird von den Menschen nicht nur als sozial unge-
recht empfunden, es ist auch schlichtweg ungerecht,

wenn Manager und die Führungsriegen, die das Kürzen
propagieren, bei Krankheit keine finanziellen Einbußen
befürchten müssen – und das für einen Zeitraum von
mehr als anderthalb Jahren –,


(Beifall bei der SPD)

getreu nach dem Motto: Sie predigen Wasser und trin-
ken Wein.

Ihre Position, die Kürzung auf 80 Prozent sei sozial-
politisch gerechtfertigt, ordnungspolitisch notwendig
und wegen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit
unumgänglich, sieht den Faktor Arbeit nur als Kosten-
stelle und nicht als Wertschöpfungsträger und operiert
vor allem mit einem Beschäftigtenbild, daß Arbeitneh-
mer potentielle Blaumacher, Drückeberger und Krank-
macher seien und daß nur durch Einschüchterung und
vor allem finanziellen Druck dem Krankenstand in den
Betrieben beizukommen sei.

Ich empfehle Ihnen zur Revidierung Ihres Menschen-
bildes eine kleine Fortbildung. Sie haben wahrscheinlich
genauso wie ich von den Betriebskrankenkassen eine
Einladung bekommen. Am 20. Januar können Sie sich
schlau machen zum Thema „Betriebliche Gesundheits-
politik und partnerschaftliche Unternehmenskultur“, hier
insbesondere zu dem spannenden Teil „Mitarbeiterori-
entierter Führungsstil und Senkung von Krankenstän-
den“. Das ist der richtige Weg, um den Krankenstand zu
senken.


(Beifall bei der SPD)

„Wenn Unternehmen Zukunft haben sollen“ – so

formulierte es der VDMA-Ehrenpräsident Leibinger am
Montag in Stuttgart bei der Tagung „Wirtschaft trifft
Wissenschaft“ –, muß es – und jetzt zitiere ich –

ein innovatives Gesamtkunstwerk im globalisierten
Wettbewerb sein. Partizipation, Motivation und
mitarbeiterzentrierter Führungsstil sind unerläßlich,
um die Belegschaften zu Höchstleistungen zu füh-
ren.

Dieser auf die Beschäftigten konzentrierte Führungsstil
muß durch die Politik begleitet werden, so das Credo
des VDMA-Präsidenten.

Wir als SPD schließen daraus: Dazu gehört für die
Beschäftigten auch eine arbeitsrechtliche wie sozialpoli-
tische Sicherheit, die den Kopf und das Herz für die Ar-
beit frei macht. Konsens und Kooperation sind die inno-
vativen Schlüssel für die Ausgestaltung der Arbeitsbe-
ziehungen, die auch in Zukunft tragfähig sind. Kon-
frontation, Ausgrenzung und soziale Unsicherheit für
viele und Bevorzugung weniger sind Führungs- und
Politikkonzepte von gestern und daher schlichtweg
megaout.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das gleiche gilt auch für die 1996 erfolgten Ein-
schränkungen des Kündigungsschutzgesetzes. Beim
Kündigungsschutzgesetz findet man das gleiche Strick-
muster: Arbeitsplätze wurden in Aussicht gestellt; aber
das Handwerk – das wurde heute schon gesagt – ver-

Ute Kumpf

884 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


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weist selbst darauf, daß das Ergebnis mager ist. 20 000
Arbeitsplätze sind es. Dem stehen 135 000 Arbeitsplätze
gegenüber, die abgebaut wurden. Aus der versprochenen
Flut wurde ein sanftes Rinnsal. Nach dem Auslaufen der
nur noch bis September 1999 geltenden Bestandschutz-
regelungen droht nun – neben einem arbeitsmarktpoliti-
schen Fehlschlag – darüber hinaus für rund 2 Millionen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Verlust des
allgemeinen Kündigungsschutzes. Wenn wir heute das
Rad an dieser Stelle zurückdrehen, dann heißt dies, ei-
nen Schritt nach vorne zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir heute Ihre sozialpolitische Fehlerproduk-
tion in Sachen sozialer Absicherung wieder ausbü-
geln und korrigieren, die Lohnfortzahlung wieder auf
100 Prozent anheben, den Kündigungsschutz wieder
sicherer gestalten und den Schwellenwert von zehn auf
fünf Beschäftigte zurückführen, dann heißt das, einen
Beitrag – den wir im Wahlkampf versprochen haben –
zur Qualitätssicherung in der Sozialpolitik und zur
Ausgestaltung von Arbeitnehmerrechten zu leisten. Das
ist unser Dünger für das „Bündnis für Arbeit“, damit
es im Frühjahr nächsten Jahres möglichst mächtige
Knospen treibt und blüht sowie im Herbst üppige
Früchte trägt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin mir ganz sicher, daß es gelingt. Es gibt hier ein
wunderschönes afrikanisches Sprichwort, das ich ganz
gerne den Bayern mit auf den Weg geben möchte: Viele
Spinnennetze können einen Löwen aufhalten, sogar ei-
nen bayerischen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401412600
Das war Ihre erste
Rede im Parlament, Frau Kollegin Kumpf. Ich darf Ih-
nen dazu im Namen des Hauses gratulieren.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Hans-Peter

Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion – ebenfalls ein
Jungfernredner, wenn ich es richtig sehe.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1401412700
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Frau
Kollegin Kumpf unterschätzt die Stärke der bayerischen
Löwen.


(Ute Kumpf [SPD]: Ich komme aus Bayern!)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich weiß

nicht, welche Wahlversprechen Sie mit diesem Ge-
setzentwurf halten wollen. Ich weiß nur eines: Das
wichtigste Wahlversprechen, das Sie abgegeben haben,
brechen Sie damit, nämlich das Wahlversprechen, alles

zu tun, um mehr Arbeitsplätze in diesem Lande zu
schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Liebe Frau Kollegin Kumpf, passen Sie auf, daß nicht
bald 350 000 oder noch mehr Menschen hier in Bonn
oder in Berlin auf die Straße gehen, um gegen Rotgrün
zu demonstrieren; denn dieses Gesetz, das Sie heute zur
Beratung vorlegen, hätte eigentlich richtigerweise den
Namen „Reformunfähigkeitsgesetz“ verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Es belegt in dramatischer Weise die Weigerung dieser
neuen Regierung, den von allen Experten beschriebenen
Reformbedarf anzuerkennen. Schlimmer noch: Statt sich
notwendiger Reformen anzunehmen und sie fortzu-
schreiben, wollen Sie sogar das bisher Erreichte zurück-
drehen. Damit werden Sie die sozialen und die arbeits-
marktpolitischen Probleme in diesem Lande nicht lösen.
Das „Reformverweigerungsgesetz“, das Sie heute im
Bundestag verabschieden wollen, ist der Spiegel Ihrer
ideologischen Scheuklappen und Ihrer leichtfertigen
Versprechungen, die Sie abgegeben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: O je!)


Noch keine drei Wochen ist das Gutachten des
Sachverständigenrates alt. Darin richten die Sachver-
ständigen einen fast beschwörenden Appell an die neue
Bundesregierung. Dieser Appell im Kapitel „Arbeits-
markt“ lautet: Regulierungsdichte nicht erhöhen! Denn
je mehr Vorschriften und gesetzliche Regulierungen Sie
machen, um so schwerfälliger verläuft der notwendige
Umstrukturierungsprozeß hin zu einer modernen Indu-
strie- und Dienstleistungsgesellschaft. Neue Arbeitsplät-
ze entstehen nur in einer flexiblen, anpassungsfähigen
Volkswirtschaft. Diese neue Regierung aber tut alles,
um vorhandene bzw. gerade erst geschaffene Flexibilität
zu beseitigen. Ich will das an dem Beispiel der soge-
nannten Scheinselbständigen verdeutlichen, die heute
schon wiederholt angesprochen wurden, dem neuen
Objekt Ihrer Kollektivierungsbegierde.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben heute viele Fälle, in denen Arbeitnehmer in
ihren Betrieben mit sehr speziellen Aufgaben betraut
werden und sich spezielle Kenntnisse erwerben: bei der
Softwareberatung, bei spezieller Unternehmensberatung,
bei speziellen Formen des Marketings. In vielen Fällen
entdecken diese Arbeitnehmer, daß es einen Markt für
das gibt, was sie können und geleistet haben. In vielen
Fällen möchten diese Arbeitnehmer sich selbständig
machen. Wenn der Arbeitnehmer dann Glück hat, wird
seine Firma, in der er bisher tätig war, der erste und zu-
nächst vielleicht auch der einzige Kunde sein.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Scheinselbständigkeit ist noch eine Wohltat – oder?)


Oft arbeitet dann sogar die ganze Familie, weil es die
Chance zu ergreifen gilt, eine eigene Existenz zu grün-

Ute Kumpf

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 885


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den. In Tausenden von Fällen sind durch solche Exi-
stenzgründer neue und erfolgreiche Unternehmen im
verabeitenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich
geschaffen worden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Sie sich die Arbeitsmarktberichte anschauen, so
sehen Sie, daß gerade im Dienstleistungsbereich un-
glaublich viele neue Existenzen und Arbeitsplätze ent-
stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das ist die Dynamik, die die Volkswirtschaft braucht.
Diese Dynamik zu unterstützen wäre moderne Wirt-
schaftspolitik.


(Beifall der Abg. Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU])


Statt dessen will diese rotgrüne Koalition Existenz-
gründer im großen Umfang in die Sozialversicherungs-
pflicht pressen. Sie müssen künftig unter großem büro-
kratischen Aufwand beweisen, daß sie wirklich selb-
ständig sind. Gelingt der Beweis nicht, dann werden ih-
nen die gesamten Sozialversicherungsbeiträge aufgebür-
det, und sie haben kaum eine Chance, im Wettbewerb
erfolgreich zu sein. Das Bleigewicht für den Start in die
neue Existenz hängt ihnen an den Füßen. Liebe Frau
Kollegin Buntenbach, wenn die Beweislast umgekehrt
wird, dann werden die Verfahren tatsächlich kürzer.
Kurz, gnadenlos, arbeitslos – so wird die Reihenfolge
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Strukturwandel braucht Vertragsfreiheit. Das sagt

der Bundesverband der Freien Berufe. Denn, meine
Damen und Herren, in der Freiheit entwickelt sich Neu-
es und nicht im staatlichen Dirigismus. Doch diese Re-
gierung und diese Koalition tut genau das Gegenteil.
Hinter den großen Sprüchen des Herrn Bundeskanzlers
von der modernen Wirtschaftspolitik verbirgt sich in
Wahrheit der blanke Dirigismus, Wirtschafts- und Sozi-
alpolitik von vorgestern. Die Wahrheit ist: Diese Bun-
desregierung kratzt das Geld für die Sozialversiche-
rungssysteme überall zusammen. Denn sie hat Verspre-
chungen gemacht zu Lasten der Sozialversicherungen,
für die die Beitragszahler jetzt herhalten sollen. Wenn
die Beitragszahler nicht ausreichen, dann sucht man sich
neue. Das ist Ihr Prinzip. Die Zwangskollektivierung der
Selbständigen dient nicht dazu, Arbeitsplätze zu schaf-
fen oder zu erhalten, sondern sie dient dazu, Ihre Stroh-
feuerprogramme und Ihre falschen Versprechungen im
Sozialbereich zu finanzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, inakzeptabel ist der Ein-

griff dieser Regierung in die Tarifautonomie. Ich wun-
dere mich schon etwas über den Kollegen Wiesehügel.
Bisher ist man davon ausgegangen, daß die Tarifauto-
nomie funktioniert. Jetzt sagen Sie, Herr Wiesehügel,
Sie brauchen die Bundesregierung dringend als Helfer.
Sie setzen damit ein falsches Signal. Ich warne Sie nur,
davor, ein Faß aufzumachen, das Sie am Schluß nicht

mehr zukriegen, wenn Sie die Tarifautonomie in dieser
Weise in Frage stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich nehme als erstes das Entgeltfortzahlungsgesetz.

Die Ausgangssituation nach der Gesetzesänderung vor
zwei Jahren war: ein Tag Urlaub für eine Woche Krank-
heit des Arbeitnehmers. Dann haben die Tarifpartner
und die Tarifparteien gearbeitet und höchst interessante
branchenspezifische Vereinbarungen getroffen: Ver-
rechnung von Krankheitstagen mit Arbeitszeitkonten, ta-
rifvertragliche Paketlösungen unter Einbeziehung von
Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld. Interessante, zielge-
naue Regelungen wurden gefunden. Die Tarifpartner
haben sich ihren eigenen Weg gesucht und gezeigt: Die
Tarifautonomie funktioniert.

Jetzt greift Rotgrün ein – ungerecht und willkürlich
nach der bekannten Chaosstrategie. Diejenigen Arbeit-
nehmer, die sich 100 Prozent Lohnfortzahlung durch
Verzicht in anderen Bereichen sozusagen verdient ha-
ben, werden jetzt durch Ihre gesetzliche Regelung be-
nachteiligt. Es geht Ihnen nämlich einzig und allein um
Ihre ideologische Rechthaberei, zum Schaden der Tarif-
autonomie und zu Lasten der Eigenverantwortung.

Der zweite Angriff auf die Tarifautonomie spielt sich
im Entsendegesetz ab. Die Ausweitung der Allgemein-
verbindlichkeitserklärung mittels Ermächtigungsgesetz
entmachtet die Tarifpartner und setzt an deren Stelle
staatlichen Dirigismus. Der Sachverständigenrat kriti-
siert die Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeitser-
klärung mit folgenden Worten:

... in den arbeitsintensiven Sektoren (wird) die
Lohndifferenzierung erschwert ... mit der Folge,
daß gerade in diesen Wirtschaftsbereichen keine
neue Beschäftigung entstehen wird; bestehende Ar-
beitsplätze können ihre Wettbewerbsfähigkeit ver-
lieren.

Das ist das Urteil von Experten über das, was Sie vorha-
ben. Es ist genau das Gegenteil von dem, was Sie ver-
sprochen haben, nämlich für mehr Arbeitsplätze in die-
sem Lande zu sorgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, das Problem ist, daß diese

Regierung und die gesamte Koalition blind für die
eigentlich wichtigste Tatsache im Zusammenhang mit
der Arbeitslosigkeit sind: daß wir eine strukturelle Ar-
beitslosigkeit haben. Einer strukturellen Arbeitslosigkeit
kann man nur mit hoher Flexibilität begegnen. Zur
Flexibilität gehört auch, Einstellungshindernisse zu be-
seitigen.


(Konrad Gilges [SPD]: Das haben Sie doch 16 Jahre gemacht!)


– Natürlich, das haben wir gemacht.

(Konrad Gilges [SPD]: Hat doch nicht funk tioniert!)

– Das hat gewirkt, und das wollen Sie jetzt zurückneh-
men. Das ist doch das Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)


886 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


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Eines dieser Einstellungshindernisse ist nämlich – vor
allem bei kleinen Betrieben – das Thema Kündigungs-
schutz gewesen.


(Konrad Gilges [SPD]: Hat doch nicht funktioniert!)


Jetzt wollen Sie den Kündigungsschutz wieder verschär-
fen. Dazu lese ich in der Begründung des Gesetzes:

In seiner Hochrechnung kommt der ZDH auf insge-
samt 20 000 Neueinstellungen.

Ich stelle fest: Alle stimmen darin überein, daß es Neu-
einstellungen auf Grund der Änderung des Kündigungs-
schutzgesetzes gibt, die Sie jetzt zurücknehmen wollen.
Dann schreiben Sie etwas ganz Merkwürdiges:

Dabei räumt der ZDH
– also der Zentralverband des Deutschen Handwerks –

ein, daß für das Einstellungsverhalten der Betriebe
letztlich die konjunkturelle Situation ausschlagge-
bend ist.


(Konrad Gilges [SPD]: Ja!)

Was denn sonst? Gerade darum geht es doch! Hören Sie
endlich auf, daran zu glauben, Sie könnten mit Gesetzen
Arbeitsplätze schaffen!


(Konrad Gilges [SPD]: Das haben Sie doch geglaubt!)


Sie können mit falschen Gesetzen Arbeitsplätze ver-
nichten. Das ist doch der entscheidende Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Konrad Gilges [SPD]: Sie haben das doch geglaubt!)


Lieber Herr Kollege, das Problem in diesem Land ist
doch, daß die Konjunktur läuft, daß Wachstum da ist,
daß sich dieses aber nur allzu zögerlich in Arbeitsplätze
umsetzt. Die alte Regierung hat erfolgreich versucht,
Einstellungshindernisse abzubauen. Der Erfolg ist, daß
heute die Arbeitslosigkeit deutlich unter 4 Millionen ge-
sunken ist. Rotgrün fängt jetzt an, diese Einstellungshin-
dernisse wieder aufzubauen.


(Zuruf des Abg. Konrad Gilges [SPD])

– Lieber Herr Gilges, hören Sie einmal zu! – Das Ergeb-
nis wird sein – das sage ich Ihnen heute schon voraus –,
daß künftig noch mehr Überstunden gefahren werden,
anstatt daß Neueinstellungen vorgenommen werden.
Dann kommt der Herr Bundesfinanzminister Lafontaine
und setzt noch einen dirigistischen Höhepunkt drauf: Er
fordert eine gesetzliche Begrenzung der Überstunden.


(Zuruf des Abg. Gerd Andres [SPD])

– Herr Staatssekretär, ich weiß natürlich, daß der Bun-
deskanzler sich glücklicherweise bereits dagegen ausge-
sprochen hat. Aber das ist die zweite Merkwürdigkeit:
daß wir inzwischen schon so weit sind, daß der Bundes-
kanzler dafür gelobt wird, wenn er sich von dem stän-
digen Unsinn seines Parteivorsitzenden und Finanz-
ministers distanziert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Man muß schon sagen: Dieses Land ist sehr genügsam,
man könnte fast sagen: bescheiden geworden, seitdem
Rotgrün hier in Bonn regiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der SPD)


Nur – bevor Sie sich völlig aufregen –,

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So interessant sind Sie auch nicht!)


eines prophezeie ich Ihnen heute schon: Je mehr Refor-
men – das sage ich auch in Richtung der Grünen; die
haben es nämlich ebenfalls nötig – Sie zurücknehmen
und je länger Sie sich gegen notwendige Reformen sper-
ren, um so dramatischer werden später die Einschnitte
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Walter Hirche [F.D.P.]: Leider! Leider!)


Sie erweisen diesem Land mit Ihrer falschen Politik
einen schlechten Dienst. Diese Regierung hat es ge-
schafft, innerhalb von zwei Monaten in allen Bereichen
ein absolutes Chaos anzurichten. Ich appelliere an Sie:
Fangen Sie endlich an, Politik im Interesse der Zukunft
unseres Landes zu machen, statt ideologische Zukunfts-
verweigerung zu betreiben!

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401412800
Auch dem Kollegen
Friedrich gratulieren wir zu seiner ersten Rede.


(Beifall)

Nun gebe ich dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb von

der F.D.P. das Wort.

(Konrad Gilges [SPD]: Das ist einer von der abgewählten Regierung!)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1401412900
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich auf einen
wichtigen Punkt der Debatte konzentrieren, bei dem es
auf Grund der Vorlage der Koalition mit Sicherheit viele
Verlierer geben wird und zudem wir, die F.D.P.-Frak-
tion, deswegen konsequenterweise einen Gegenentwurf
vorgelegt haben. Das Zurückdrehen der Reform des
Kündigungsschutzes, Herr Minister Riester, ist ein
Schnellschuß, der nicht nur keine Arbeitsplätze schaf-
fen, sondern zur Vernichtung Tausender Arbeitsplätze
führen wird – Arbeitsplätze, die nach der Reform des
Kündigungsschutzes und wegen dieser Reform in den
letzten zwei Jahren erst entstanden sind.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich habe in den Ausschußberatungen der letzten Wo-

chen – unwidersprochen; ich betone das – immer wieder
auf die positiven Wirkungen insbesondere der Anhe-
bung des Schwellenwertes hingewiesen: mindestens
20 000 Arbeitsplätze im Bereich des Handwerks und
– nicht zu vergessen – weitere 30 000 Arbeitsplätze im
Bereich der Industrie- und Handelskammern in Unter-

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 887


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nehmen mit fünf bis zehn Beschäftigten. Das sind keine
beschäftigungspolitischen Peanuts, sondern ganz kon-
krete Beschäftigungschancen für viele früher Arbeits-
lose, jetzt Arbeitnehmer, denen durch die Schaffung
von Freiraum für Unternehmer, für diejenigen, die über
mehr zusätzliche Beschäftigung entscheiden, die Chance
eröffnet wurde, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzu-
kehren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, ha-

ben sich nicht einmal die Mühe gemacht, diese Erfolge
überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Es spricht leider viel
dafür, daß diese Arbeitsplätze jetzt schneller wieder ver-
schwinden werden als sie entstanden sind.

Der Kollege Gilges und auch der Herr Minister haben
heute gesagt: Es waren 500 000 Arbeitsplätze verspro-
chen worden; die sind nicht gekommen; deswegen muß
das Ganze wieder weg. Das finde ich schon etwas son-
derbar.

Herr Minister Riester, als Herr Späth im Sommer
1996 500 000 Arbeitsplätze versprochen hat, ist er da-
von ausgegangen, daß eine Steuerreform kommt, die
eine konjunkturstimulierende Wirkung haben wird.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD,
verhindert. Ich finde es schon perfide, wenn Sie das jetzt
als Begründung dafür heranziehen wollen, um diese
Neuregelung wieder zurückzudrehen.


(Beifall bei der F.D.P. – Brigitte Adler [SPD]: Soziale Steuerreform!)


Sie haben auch gebetsmühlenartig wiederholt, Sie
müßten tun, was Sie im Wahlkampf versprochen hätten.
Aber hat nicht Ihr Bundeskanzler Gerhard Schröder im
Wahlkampf und in seiner Regierungserklärung verkün-
det, alle Maßnahmen müßten sich daran messen lassen,
welche Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt damit erzielt
würden?


(Zuruf von der SPD: Machen wir auch!)

Ich frage Sie heute: Ist unter Ihnen auch nur einer, der
glaubt, durch die Rolle rückwärts beim Kündigungs-
schutz würde auch nur ein zusätzlicher Arbeitsplatz ge-
schaffen? Nein, Herr Kollege Gilges, so dumm sind Sie
nicht. Aber Sie sind zu feige, sich das einzugestehen. Sie
sind zu feige, den Wählern diesbezüglich die Wahrheit
zu sagen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie haben, Frau Kollegin Kumpf, Ihren Wahlkampf

mit Gefälligkeitspolitik geführt. Sie sind jetzt im eige-
nen Netz gefangen. Sie verteilen Streicheleinheiten an
Arbeitnehmer und schlagen dem Mittelstand ins Gesicht.
Sie belasten den Handwerker und den kleinen Einzel-
händler mit unkalkulierbaren Risiken.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Sie tun auch so, als ginge es hier nur darum, wieder
Gerechtigkeit herzustellen und soziale Ungerechtigkeit
zu beseitigen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es auch, jetzt hat er es auch begriffen! – Konrad Gilges [SPD]: Richtig verstanden!)


Aber, Herr Kollege Gilges, ist unsere politische Verant-
wortung nicht etwas anderes, Weitergehendes? Herr
Professor Rüthers von der Universität Konstanz hat dazu
vor kurzem in der „NJW“ geschrieben:

Wann werden die arbeitsrechtlichen Normsetzer die
Erkenntnis umsetzen, daß in einer ... Marktwirt-
schaft jede soziale Schutznorm eine Doppelwir-
kung entfaltet: Sie schützt die Inhaber von sozialen
Besitzständen, aber sie schmälert die Chancen de-
rer, die keine geschützte Position haben und „drau-
ßen vor der Tür“ bleiben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Herr Gilges, genau das ist der Punkt. Opfer Ihrer
Politik beim Kündigungsschutzgesetz sind diejenigen,
die schon jetzt draußen sind und die, weil Sie alles noch
dichter regulieren wollen, auch in Zukunft draußen blei-
ben werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Konrad Gilges [SPD]: Wir wollen, daß keiner vor der Tür steht!)


Ich habe in den Beratungen immer wieder auch dar-
auf hingewiesen, daß in anonymen Großunternehmen
der Kündigungsschutz sehr wohl Sinn macht. Aber in
einem kleinen Unternehmen, das sich durch eine beson-
dere Nähe von Arbeitnehmer und Arbeitgeber und durch
die tagtäglichen Kontakte miteinander auszeichnet, se-
hen die Dinge anders aus. Ich meine, daß insbesondere
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sich in die-
ser Frage schon entscheiden müssen. Man kann nicht
gleichzeitig um die Neue Mitte buhlen und die alten
Feindbilder des Klassenkampfes pflegen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man kann nicht gleichzeitig Mittelständler als
Wähler umwerben und mittelständische Unternehmer als
teuflische Ausgeburten des Kapitalismus bekämpfen.


(Lachen bei der SPD – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Die SPD macht es!)


Ich wäre froh, wenn dem Mittelstand Ihre Reaktion
einmal so deutlich vorgetragen würde.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie sagen: „Neue Mitte“, aber Sie meinen: alte Linke.


(Zuruf von der SPD: Haben Sie noch ein paar Begriffe?)


Eines muß man sagen: Der typische Mittelständler
handelt in Personalfragen sehr verantwortungsvoll. Kein
Handwerker entläßt mutwillig einen Mitarbeiter. Er tut
das schon deswegen nicht, weil er genau weiß, daß er im

Dr. Heinrich L. Kolb

888 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Bedarfsfall am Markt, wenn überhaupt, kaum wieder
Fachkräfte findet. Herr Minister Riester, Sie haben ge-
sagt, es müsse zumindest erreicht werden, daß Arbeit-
nehmer vor willkürlicher Kündigung geschützt werden.
Ich glaube, dies ist in kleinen Unternehmen besser als in
anderen Unternehmen gegeben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU])


Wir von der F.D.P. erkennen jedenfalls die Leistung
des Mittelstandes als der Jobmaschine unserer Volks-
wirtschaft an. Wir wollen Freiräume für kleine und
mittlere Unternehmen, damit diese ihr Beschäftigungs-
potential noch besser ausschöpfen können. Die Reform
des Kündigungsschutzes war und bleibt richtig.


(Konrad Gilges [SPD]: Nein! Es war falsch und ist falsch!)


Wir wollen die positive Wirkung noch verstärken und
den Schwellenwert im Kündigungsschutzgesetz auf 20
anheben. Das wird im übrigen unisono von allen Mittel-
standsverbänden unterstützt.

Wer unserem Gesetzentwurf heute nicht zustimmt,
der sollte in Zukunft besser schweigen, wenn in diesem
Hohen Hause über eine gute Politik und über Rahmen-
bedingungen für den Mittelstand diskutiert wird.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401413000
Das Wort hat die
Kollegin Petra Bläss von der PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401413100
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Die PDS begrüßt, daß die Regelung
zur Kürzung des Rentenniveaus zurückgenommen wer-
den soll. Wir hoffen, daß die Verschlechterungen bei
den Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten nicht nur
ausgesetzt werden, sondern im Zuge der angekündigten
Rentenstrukturreform tatsächlich zurückgenommen
werden. Hierbei finden Sie unsere Unterstützung, genau
wie bei der Diskussion über ein generelles Rentenein-
trittsalter von 60 Jahren. Wir haben uns bekanntlich im-
mer für einen breiten Korridor der möglichen Ausstiege
aus der Erwerbsarbeit in die Rente ausgesprochen, weil
wir davon überzeugt sind, daß darin große Chancen zum
Abbau der Arbeitslosigkeit liegen.

Wir haben uns aber auch immer für eine bessere
Alterssicherung von Frauen eingesetzt. Ich frage Sie,
meine Damen und Herren von der Regierungskoalition,
warum Sie das Renteneintrittsalter von Frauen nicht
wieder heruntersetzen wollen. Die Erhöhung des
Renteneintrittsalters für Frauen ist eine der unsozial-
sten Regelungen der Kohl-Regierung gewesen. Der frü-
here Renteneintritt für Frauen war zumindest ein ge-
wisser Ausgleich für die Doppelbelastung in Beruf und
Familie.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Natürlich wissen wir, daß gerade im Westen der Re-
publik viele Frauen ohnehin erst mit 65 in die Rente ge-
hen können, weil ihnen bekanntlich die nötigen Versi-
cherungsjahre fehlen. Daß der Bundesarbeitsminister
nun laut über ein generelles Renteneintrittsalter von 60
Jahren nachdenkt und zugleich zuläßt, daß das Renten-
eintrittsalter für Frauen erhöht wird, ist tatsächlich ein
ziemlicher Schlag gegen Frauen: Die Neuregelung hat
längst Auswirkungen. Mir sind zahlreiche Fälle bekannt,
in denen Arbeitsämter Frauen, die Arbeitslosenhilfe be-
ziehen und Ende 50 sind, dazu nötigen, einen Rentenan-
trag zum 60. Geburtstag zu stellen. Das Arbeitsamt ver-
zichtet auf Vermittlungsversuche und zahlt aber bis zum
Renteneintritt keine Beiträge mehr. Das ist der Preis.
Die Frauen verlieren diese Beitragsjahre und nehmen
selbst dann den Rentenabschlag hin, wenn sie unter den
Vertrauensschutz fallen und mit 61 sowieso in Rente
gehen könnten. Am Ende spart das Arbeitsamt, und die
Frauen beziehen eine schmalere Rente.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch bei der An-
rechnung von Ausbildungszeiten haben wir von der
rotgrünen Koalition eine Änderung erwartet. Es waren
doch gerade die Frauen, die dazu ermuntert wurden, sich
weiterzubilden und auf dem zweiten Bildungsweg zu
qualifizieren. Sie sind von den gekürzten Anrechnungs-
zeiten bei der Rente besonders hart getroffen. Deshalb
bleiben wir von der PDS dabei: Ausbildung darf nicht
durch Einbußen bei der Rente bestraft werden.


(Beifall bei der PDS)

Auch deshalb beantragen wir heute, die alte Regelung
wieder einzuführen.

Das Rentensystem weist von jeher große Lücken bei
der sozialen Absicherung von Frauen auf. Ich kann hier
nur Stichworte für den notwendigen Reformbedarf lie-
fern: soziale Grundsicherung gegen Altersarmut, Sozial-
versicherungspflicht für jede geleistete Arbeitsstunde,
bessere Anerkennung von Kindererziehungszeiten sowie
rentenrechtliche Gleichsetzung von häuslicher Pflegetä-
tigkeit mit herkömmlicher Erwerbsarbeit.

Die Lebensleistung von Frauen muß sich in der Rente
niederschlagen. Als ersten Schritt könnten wir heute im
Parlament ein Zeichen setzen und die Erhöhung des
Renteneintrittsalters für Frauen wieder zurücknehmen.
Die PDS hat hierzu einen Antrag vorgelegt. Stimmen
Sie diesem deshalb im Interesse der betroffenen Frauen
zu.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401413200
Das Wort hat der
Abgeordnete Klaus Brandner, SPD-Fraktion.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1401413300
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Annähernd 1 Million Menschen in
Deutschland verrichten ihre Erwerbsarbeit in der Grau-
zone zwischen Selbständigkeit und Arbeitnehmerstatus
– annähernd 1 Million Erwerbstätige, die in persönlicher
Abhängigkeit im wesentlichen nur für einen Arbeitgeber
tätig sind, für die aber keine Sozialversicherungsbeiträge

Dr. Heinrich L. Kolb

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 889


(A) (C)



(B) (D)


abgeführt werden. Die Arbeitnehmerrechte dieser Men-
schen sind ausgehebelt worden. Sie müssen als soge-
nannte Scheinselbständige zwar alle Risiken eines Un-
ternehmers tragen, aber einen unternehmerischen Spiel-
raum zur freien Gestaltung ihrer Geschäftstätigkeit ha-
ben sie nicht, da sie völlig von ihrem Auftraggeber ab-
hängig sind. Darin liegt eine Herausforderung für uns als
neue Parlamentsmehrheit.

Ich habe als Parlamentsneuling heute positiv zur
Kenntnis nehmen dürfen, daß Frau Schnieber-Jastram in
der Analyse der Scheinselbständigkeit völlig mit den
Sozialdemokraten übereinstimmt und auch die Probleme
der Umwandlung von normalen Arbeitsverhältnissen in
scheinselbständige Arbeitsverhältnisse sowie des Lohn-
und Sozialdumpings sieht. Sie kommt aber nach der
Problemanalyse nicht weiter, weil sie erkennt, daß ein
Abstellen dieses Problems zu kompliziert wird. Was
aber kompliziert zu handhaben ist, das wird ganz einfach
auf die Seite gelegt, liegengelassen und ausgesessen, wie
wir es 16 Jahre lang erfahren durften. Damit ist das Pro-
blem nicht gelöst.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir als neue Parlamentsmehrheit wollen den sozialen
Schutz des einzelnen wiederherstellen und die Auszeh-
rung der Sozialkassen verhindern. Wir wollen die Sozi-
alversicherung wieder fit für die Zukunft machen; wir
wollen sie modernisieren, indem wir sie den Verände-
rungen anpassen und den notwendigen sozialen Schutz
organisieren, und so den Standort Deutschland noch at-
traktiver machen. Hier hat die abgewählte Regierungs-
koalition viel versäumt; hier ist viel liegengeblieben, das
es aufzuräumen und zu gestalten gilt. Wir wollen echte
Selbständigkeit mit Nachdruck fördern und Scheinselb-
ständigkeit konsequent bekämpfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies ist nicht nur wegen der Erosion der Beiträge zu den
Sozialkassen dringend notwendig, sondern auch, weil
immer mehr Beschäftigte aus normalen Arbeitsverhält-
nissen in sogenannte Scheinselbständigkeit abgedrängt
werden.

Die Berufsschicksale, die sich hinter diesem Begriff
der Scheinselbständigkeit verbergen, sind so zahlreich
wie die verschiedensten Facetten des Berufslebens. Ich
habe das Beispiel einer jungen Mutter im Kopf, die nach
ihrem Erziehungsurlaub vergeblich versucht, bei ihrer
alten Firma einen Teilzeitjob zu bekommen. Nun darf
sie als sogenannte Freischaffende die Bänder ihrer ehe-
maligen Vorgesetzten abtippen. Dabei lebt sie ständig
unter der Drohung: Wenn die Fristen nicht eingehalten
werden, gibt es keine Aufträge mehr. Ich habe eben ge-
hört, daß der Vertreter der F.D.P. auf ein solches Bei-
spiel antworten würde, daß das eine gute Chance für den
Einstieg in die Selbständigkeit sei und allein durch unse-
re Gesetzesvorschläge verhindert werde.

Ich beurteile diesen Punkt völlig anders, weil ich
weiß, daß die Sozialversicherung keine Barriere für die
Selbständigkeit ist. Sie setzt vielmehr den sicheren
Rahmen dafür, daß sich Menschen überhaupt selbstän-

dig machen können und daß sie aus der sozialen Sicher-
heit heraus Selbständigkeit entwickeln können. Wir sind
dafür angetreten, dieses zu unterstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich weiß nur zu gut, daß sich die Menschen fragen:
Was passiert, wenn es mit der Selbständigkeit schief-
geht? Wie bin ich abgesichert? Ich sage ganz deutlich:
Eine Situation nach dem Motto „Raus aus der Kasse,
rein in die Armut“ darf nicht eintreten. Deshalb wollen
wir die Scheinselbständigkeit konsequent bekämpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schutzbedürftige müssen vom Gesetzgeber geschützt
werden. Das verlangt schon unser Sozialstaatsgebot. Die
Schutzbedürftigkeit der Scheinselbständigen mache ich
vor allem an der wirtschaftlichen Situation fest. Dem
Argument, daß durch ihre angeblich selbständige Tätig-
keit die Schutzbedürftigkeit entfalle, möchte ich ganz
energisch widersprechen. Die in zahlreichen Gerichts-
verfahren zur Scheinselbständigkeit dargestellten Er-
werbstätigkeiten führen gerade nicht zu einem Wegfall
der Schutzbedürftigkeit. Sie sind aus meiner Sicht viel-
mehr überzeugende Argumente für meine Haltung, daß
wir diesen Themenkomplex regeln müssen.

Damit die immer mehr um sich greifende sogenannte
Scheinselbständigkeit wirksam bekämpft werden kann,
bedarf es daher einer eindeutigen gesetzlichen Regelung.
Dazu ist eine klare Definition des Arbeitnehmerstatus
und der Voraussetzungen für die Versicherungspflicht
notwendig.

Zu diesem Zweck haben wir in unserer Gesetzesvor-
lage vier Kriterien entwickelt. Wir unterstellen darin ei-
ne abhängige Beschäftigung, wenn mindestens zwei der
Kriterien zutreffen. Eine versicherungspflichtige Be-
schäftigung wird bei erwerbsmäßig tätigen Personen
vermutet, die erstens im Zusammenhang mit ihrer Tä-
tigkeit – mit Ausnahme von Familienangehörigen – kei-
nen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäfti-
gen, die zweitens regelmäßig im wesentlichen nur für
einen Auftraggeber tätig sind, die drittens für Beschäf-
tigte typische Arbeitsleistungen erbringen, insbesondere
Weisungen des Auftraggebers unterliegen und in seine
Arbeitsorganisation eingegliedert sind oder die viertens
nicht auf Grund unternehmerischer Tätigkeit am Markt
auftreten. Wie gesagt: Wir vermuten, daß Personen ge-
gen Arbeitsentgelt abhängig beschäftigt sind, wenn min-
destens zwei der genannten Merkmale vorliegen. Diese
Vermutung ist widerlegbar. Die Beweislast wird jedoch
künftig bei den Arbeitgebern liegen.

In diesem Zusammenhang fiel mir auf, daß der neue
Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion, der vor mir ge-
sprochen hat, die Regelungsdichte in unserem Land be-
klagt hat. Wir haben zuvor von Frau Schnieber-Jastram
gehört, daß das Problem gelöst werden muß. Jetzt lösen
wir es, und schon wird die Regelungsdichte beklagt. Ich
sage noch einmal: Mit Aussitzen ist dieses Problem
nicht zu lösen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Klaus Brandner

890 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Wir wollen die Scheinselbständigkeit als unsolida-
risch brandmarken. Wir wollen, daß die Sozialkassen
nicht mehr um Hunderte von Millionen DM an Einnah-
men geprellt werden; denn nur Beschäftigte, die Beiträ-
ge zahlen, sichern Leistungen aus der Sozialversiche-
rung. Die Einbeziehung der scheinselbständig Beschäf-
tigten trägt somit zur Stabilisierung aller Sozialversiche-
rungssysteme bei. Diese gesellschaftliche Notwendigkeit
wird nach Jahren Ihrer Untätigkeit von uns angegangen.

Sie können in diesen Wochen erkennen, wie schnell
wir diese Vorhaben angehen und umsetzen. Unser Ziel
bleibt ein bezahlbares Rentensystem, das den Menschen
im Alter einen angemessenen Lebensstandard sichert.
Die Kürzung des Rentenniveaus hätte viele Rentnerin-
nen und Rentner zu Sozialhilfeempfängern gemacht.
Deshalb haben wir den Bürgerinnen und Bürgern in un-
serem Land vor der Bundestagswahl versprochen, daß
die beschlossenen Rentenkürzungen nicht wirksam wer-
den. Was wir versprochen haben, das wird jetzt gehal-
ten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bürgerinnen und Bürger, die im Vertrauen auf
einen sozialen Schutz durch eine solidarische Renten-
versicherung gesetzt haben, dürfen keinesfalls bestraft
werden. Deshalb werden wir auch den Kahlschlag bei
der Absicherung des Invaliditätsrisikos korrigieren. Es
muß dabei bleiben, daß die Solidargemeinschaft insbe-
sondere für die Menschen eintritt, die auf Grund ihrer
gesundheitlichen Beeinträchtigung auf besonderen
Schutz angewiesen sind. Im übrigen war das sogar der
Ursprung der deutschen Rentenversicherung, die im
letzten Jahrhundert als Invalidenversicherung gegründet
wurde.

CDU und CSU haben 1997 ihren sozialpolitischen
Kahlschlag in ihrem Internet-Infodienst wie folgt ge-
feiert:

Die Erwerbsminderung wird künftig nur noch vom
Gesundheitszustand des Versicherten abhängen. Es
kann nicht weiterhin Aufgabe der Rente sein, Pro-
bleme des Arbeitsmarktes zu regulieren.

Ich sage Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich: Es kann
aber überhaupt nicht sein, daß Menschen, die schubwei-
se weiter verlaufenden Erblindungsprozessen ausgesetzt
sind, erst Arbeitslosengeld, dann Arbeitslosenhilfe und
zuletzt Sozialhilfe beziehen müssen – und dies nur, weil
sie nach Ihrer Gesetzesneuregelung theoretisch noch
drei bis sechs Stunden hätten arbeiten können, obgleich
es einen solchen Arbeitsplatz in der Praxis überhaupt
nicht gibt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Vertreter der Behinderten in den Betrieben und
Verwaltungen erwarten deshalb von uns zu Recht, daß
die erwähnten Regelungen auch im Schwerbehinderten-
recht verändert werden; denn die körperliche und seeli-
sche Belastung der Beschäftigten nimmt in allen Wirt-
schaftszweigen zu und verlangt nach einer Regelung.
Völlig unverschuldet müssen viele im Verlauf ihres Be-

rufslebens mit körperlichen und geistigen Behinderun-
gen fertig werden. Dann kamen Sie mit Ihrer Sozialab-
bau-Ideologie und kürzten gerade bei den Schwächsten.
Diese für mich zutiefst unsoziale Politik machen wir nun
konsequent rückgängig.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Sie können sich darüber noch soviel aufregen, meine
Damen und Herren: Wir halten in der Regierung die
Versprechen, die wir von der SPD im Wahlkampf abge-
geben haben.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Es hat sich niemand aufgeregt!)


– Sie haben den Mund gehalten? Das kommt ja selten
vor. Aber ich habe Sie heute oft genug – ich sage das
einmal ganz offen – Fensterreden halten hören.

Uns ist es schon sehr ernst damit, die sozialen Ver-
hältnisse in diesem Land wieder positiv zu gestalten.
Dafür sind wir angetreten, und das werden wir auch um-
setzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1401413400
Auch dem Kollegen
Brandner gratuliere ich zu seiner ersten Rede.


(Beifall)

Ich gebe jetzt dem Kollegen Andreas Storm von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Endlich einmal ein guter Mann!)



Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1401413500
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Der Bundesarbeitsminister hat bei
der Einbringung des Gesetzentwurfes vor drei Wochen
an dieser Stelle erklärt, es gelte, ein Signal für neue
Verläßlichkeit in der Sozialpolitik zu senden.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Hört, hört!)

Es ist wahr, Signale haben Sie in den letzten Wochen in
großer Zahl gesendet.


(Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Aber verwirrende!)


Kündigte etwa der Bundeskanzler in seiner Regie-
rungserklärung Anfang November noch an, die Senkung
der Rentenbeiträge um 0,8 Prozentpunkte werde pünkt-
lich zum 1. Januar 1999 in Kraft treten, heißt es zwei
Wochen später: Zurück! Marsch, marsch! Verschiebung
auf den 1. April.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Ein Durcheinander!)


In den „sozialpolitischen Informationen“ des Bundes-
arbeitsministeriums vom 3. Dezember wird der Öffent-
lichkeit mitgeteilt, daß der Bund ab dem 1. April 1999
echte Beiträge für Kindererziehungszeiten zahlen wird.

Klaus Brandner

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 891


(A) (C)



(B) (D)


Diese Meldung war aber schon zum Zeitpunkt der Ver-
öffentlichung überholt; denn bereits einen Tag zuvor,
am 2. Dezember, hat die rotgrüne Mehrheit im Sozial-
ausschuß des Bundestages eine Verschiebung der Ein-
führung der Kindererziehungsbeiträge auf den 1. Juni
1999 beschlossen.


(Zuruf von der SPD: Wir machen es! Das ist doch das Entscheidende!)


Nicht vergessen dürfen wir das Durcheinander bei
den 620-DM-Jobs,


(Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Furchtbar!)

das Kollegin Schnieber-Jastram vorhin hier angeführt
hat.


(Widerspruch bei der SPD)

– Meine Damen und Herren, ich kann mir vorstellen,
daß Sie das nicht gerne hören. Das hätte nämlich eigent-
lich in dieses Gesetz mit hineingehört.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Entweder sind die 1,6 Milliarden DM, die die Neurege-
lung bringen soll, eingestellt; dann könnten Sie die Bei-
träge nicht um 0,8, sondern um 0,9 Beitragssatzpunkte
senken.


(Konrad Gilges [SPD]: Ihr hättet doch einen Gesetzentwurf einbringen können, Herr Kollege!)


Oder sie sind nicht eingestellt; dann haben Sie einen
Fehlbetrag bei den Rentenfinanzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Bundeskanzler hatte noch in seiner Regierungs-

erklärung angekündigt, eine Einkommensgrenze bei 300
DM festlegen zu wollen. Wenige Tage später haben Sie
dann ein völlig anderes Modell aus dem Hut gezaubert,
mit dem lediglich bisherige Pauschalsteuer nach dem
Prinzip „linke Tasche – rechte Tasche“ in einen Sozial-
versicherungsbeitrag umgewandelt wird.


(Zuruf von der SPD: Ist das jetzt die Rede von der Schnieber-Jastram noch einmal?)


Die Vorsitzende der bayerischen DGB-Frauen, Frau
Langguth, hält diese Neuregelung schlicht für unzurei-
chend und kontraproduktiv. Frau Langguth erklärte: Wir
haben den Eindruck, für dumm verkauft zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei ist besonders dreist: Den zu zahlenden Renten-

versicherungsbeiträgen für geringfügige Beschäfti-
gungsverhältnisse stehen ohne Aufstockung keinerlei
Leistungsansprüche gegenüber. Damit ist es der neuen
Regierung Schröder bereits in den ersten sechs Wochen
ihrer Amtszeit gelungen, die sozialpolitische Debatte
von den versicherungsfremden Leistungen auf die neuen
versicherungsfremden Beiträge à la Riester umzusteu-
ern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sie haben überhaupt nichts kapiert!)


Der BfA-Vorstandsvorsitzende Hans-Dieter Richardt
hat gestern auf der Vertreterversammlung in München
der Regierung vorgeworfen, daß sie die Bürger perma-
nent durch hektische Entscheidungen verunsichere. Mit
der Verschiebung auf den 1. April 1999 sei etwas Zeit für
eine fundierte Suche nach geeigneteren Lösungen gewon-
nen worden. – So die Einschätzung des BfA-Chefs.

Mittlerweile – auch die Rede von Frau Buntenbach
legt das nahe – werden nämlich bereits Wetten dahin
gehend abgeschlossen, daß auch das jüngste Modell zur
Neuregelung der 620-Mark-Jobs den Jahreswechsel
nicht überleben wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Da kann man in Anlehnung an die Worte des früheren
Oppositionsführers Joschka Fischer nur noch sagen:
Avanti, dilettanti; in flagranti.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, diese heutige Debatte ist

eine gute Gelegenheit, eine erste Zwischenbilanz über
die grundsätzliche rentenpolitische Ausrichtung der neu-
en Bundesregierung zu ziehen. In Ihrer Koalitionsver-
einbarung haben Sie unter dem Stichwort „Erweiterung
des Versichertenkreises“ angekündigt: Grundsätzlich
muß jede dauerhafte Erwerbsarbeit sozialversichert sein.

Dies bedeutet im Klartext: Sie wollen mittelfristig
nicht nur die Beamten in die Rentenversicherungspflicht
einbeziehen, sondern auch die Selbständigen und hier
besonders die Angehörigen der freien Berufe. Das müs-
sen die Freiberufler schon wissen. Denn das heißt, die
gut funktionierenden Versorgungswerke der freien Beru-
fe sind in ihrer Existenz massiv bedroht, wenn diese
Forderungen aus dem rotgrünen Koalitionsprogramm im
kommenden Jahr in die Tat umgesetzt werden. Für uns
ist eine solche Lösung schlicht inakzeptabel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im übrigen möchte ich Sie auf folgendes hinweisen:

Eine Erweiterung des Kreises der Versicherten um Selb-
ständige und Beamte bringt zwar kurzfristig mehr Geld
in die Rentenkassen. Langfristig bedeutet dies aber kei-
neswegs eine Entlastung, da neue Beitragszahler selbst-
verständlich auch neue Leistungsansprüche anmelden
können. Da die Leistungsstruktur im Beamtenbereich in
den kritischen Jahren zwischen 2015 und 2035 ungün-
stiger sein wird als im Bereich der Arbeiter und Ange-
stellten, hätte die Einbeziehung der Beamten in die ge-
setzliche Rentenversicherung eine erhebliche Verschär-
fung der langfristigen Finanzierungsprobleme zur Folge.


(Konrad Gilges [SPD]: Was hat das eigentlich mit dem Gesetz zu tun, das hier zur Beratung und Abstimmung steht?)


Wie sieht denn nun Ihre Antwort auf die demogra-
phische Herausforderung aus? Bislang Fehlanzeige.
Mit der heutigen Entscheidung im Deutschen Bundestag
wollen Sie den demographischen Faktor in der Renten-
formel aussetzen.


(Peter Dreßen [SPD]: Der Kollege spricht nicht zur Sache!)


Andreas Storm

892 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


– Herr Kollege, schauen Sie sich den Gesetzentwurf
noch einmal an. Heute wollen Sie beschließen, daß der
demographische Faktor ausgesetzt wird.

Aber freuen Sie sich nicht zu früh. Denn in einem
Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, das am
Montag dieser Woche erschienen ist, hat der Bundesar-
beitsminister angekündigt – man höre und staune –, daß
bereits im kommenden Jahr erneut ein Demographie-
faktor eingeführt werden soll,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: So ist es!)

und zwar mit der Begründung, daß schon im Jahr 2000
Belastungen aus der demographischen Entwicklung auf
die Rentenversicherung zukämen. Das ist schon ein be-
merkenswerter Sinneswandel, wenn Sie nun eingeste-
hen, daß zwar nicht im Jahre 1999, aber immerhin 12
Monate später ein Handlungsbedarf im Hinblick auf die
demographische Entwicklung in der Rentenversicherung
besteht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Alles nach Adam Riester!)


Es geht weiter. Auf die Frage der Journalisten – hören
Sie jetzt gut zu –: „Können Sie den Rentnern denn ver-
sprechen, daß sie nach Ihrer Strukturreform besser ste-
hen, als wenn die Reform der alten Regierung in Kraft
geblieben wäre?“ lautete die bezeichnende Antwort von
Walter Riester – ich zitiere wörtlich –:

Wenn man unter „besser“ versteht, daß jeder in
Mark und Pfennig mehr hat, habe ich Zweifel, ein
solches Versprechen einlösen zu können.

Herr Minister, auch wenn in 14 Tagen Weihnachten ist:
Das ist noch lange kein Grund, die Menschen in dieser
Art und Weise „um die Fichte zu führen“. Erst nehmen
Sie mit großer Geste die wichtigste Maßnahme des
Rentenreformgesetzes 1999 zurück, weil dadurch die
Aufrechterhaltung eines angemessenen Lebensstandards
im Alter angeblich gefährdet wäre. Dabei wissen Sie be-
reits jetzt, daß Sie eine vergleichbare Maßnahme im
kommenden Jahr wieder einführen werden. Das ist im
Grunde ein unglaublicher Vorgang.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der F.D.P.: Das ist ein starkes Stück!)


Nun haben Sie angekündigt, Herr Minister, – auch
vorhin in Ihrer Rede –, daß der von Ihnen bevorzugte
Demographiefaktor im Gegensatz zur bisherigen Lösung
eine Ausnahmeregelung für kleine Renten vorsehen
soll. Dabei gehen Sie aber von der irreführenden An-
nahme aus, es gebe einen signifikanten Zusammenhang
zwischen der Rentenhöhe in der gesetzlichen Rentenver-
sicherung und dem Gesamteinkommen der Rentner-
haushalte.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Der Alterssicherungsbericht 1997 weist demgegen-

über eindrucksvoll nach, daß die Rentenhöhe wenig über
das Gesamteinkommen der Personen und noch weniger
über das Gesamteinkommen eines Ehepaares oder Rent-
nerhaushalts aussagt. So verfügen zum Beispiel Männer,

gegebenenfalls zusammen mit ihrer Ehefrau, mit einer
eigenen GRV-Rente von weniger als 500 DM in den al-
ten Bundesländern im Durchschnitt über ein monatliches
Nettogesamteinkommen von insgesamt 3 230 DM. Ein
zweites Beispiel: Alleinstehende Frauen mit einer Rente
unter 500 DM haben ein durchschnittliches Nettoge-
samteinkommen von rund 1 870 DM in den alten bzw.
von rund 1 460 DM in den neuen Bundesländern. Diese
Beispiele belegen eindrucksvoll, daß der Rückschluß
von einer niedrigen GRV-Rente auf ein niedriges Ge-
samteinkommen in der Mehrzahl der Fälle ein Fehl-
schluß ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Eine gute Argumentation!)


Deswegen ist die Frage, die wir gemeinsam lösen müs-
sen, nämlich die, wie Altersarmut langfristig bekämpft
werden kann, eindeutig zu trennen von der notwendigen
Berücksichtigung eines demographischen Faktors in der
Rentenformel.

Ich komme nun zu Ihrer rentenpolitischen Lieb-
lingsidee, Herr Minister: Das ist der mit dem irreführen-
den Begriff einer Generationenbrücke überhöhte Gedan-
ke der abschlagsfreien Rente ab 60. Was ist von die-
sem Vorschlag zu halten?


(Zuruf von der SPD: Das steht auch nicht zur Debatte heute!)


– Herr Kollege, ich möchte, weil Sie mir vorwerfen, es
stehe nicht zur Debatte, nur folgendes sagen: Bei der
Einbringung dieses Gesetzentwurfes hat der Minister
selbst im Hinblick darauf, daß in den nächsten Jahren 3
Millionen Menschen zwischen 60 und 65 Jahren alt sein
werden,


(Ute Kumpf [SPD]: Sie müssen erst einmal denken, bevor Sie reden!)


gleichzeitig sich aber heute schon 1,7 Millionen Men-
schen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren weniger in
der Erwerbsarbeit finden, alle gesellschaftlichen Akteure
aufgefordert, sich an der Diskussion um eine solide, so-
zial gerechte und verläßliche Antwort auf diese Ent-
wicklung zu beteiligen. Welches Selbstverständnis ha-
ben Sie eigentlich, wenn Sie diese Diskussion nicht in
einer über dreistündigen Debatte zur Rentenpolitik im
Deutschen Bundestag führen wollen, sondern mögli-
cherweise nur über die Zeitungen oder auf Gewerk-
schaftskongressen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, alle deutschen und inter-

nationalen Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, daß das
einfache Modell „Ältere raus, Jüngere rein“ so nicht
funktioniert. Wie anders wäre es sonst zu erklären, daß
Süditalien, die europäische Region mit dem niedrigsten
Renteneintrittsalter und gleichzeitig mit der höchsten
Jugendarbeitslosigkeit ist? Ob Sie nach Holland schau-
en, nach Schweden oder in die Vereinigten Staaten: Der
Vorschlag, über eine vorübergehende oder dauerhafte
Senkung des Renteneintrittsalters die Beschäftigungs-
chancen für die junge Generation zu erhöhen, löst über-
all nur Kopfschütteln aus. So stellte der vom DGB be-

Andreas Storm

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 893


(A) (C)



(B) (D)


nannte Vorstandsvorsitzende des Verbandes Deutscher
Rentenversicherungsträger, Dr. Erich Standfest, Ende
November in Würzburg folgerichtig fest:

Nach den Erfahrungen mit früheren Vorruhestands-
regelungen muß jedoch davon ausgegangen wer-
den, daß lediglich ein relativ geringer Teil der frei-
werdenden Stellen auch tatsächlich wieder besetzt
wird. Dies dürfte auch bei einer neuen generellen
Rente ab 60 nicht viel anders sein. Ein Beschäfti-
gungszuwachs ist also nicht zu erwarten.

Soweit Erich Standfest, mit dessen Überlegungen ich
keineswegs immer übereinstimme, aber wo der Mann
recht hat, hat er recht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Eine abschlagsfreie Rente ab 60 in Deutschland wäre ein
sozialpolitischer Anachronismus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Professor Rürup, den die SPD als ihr sachverständi-
ges Mitglied in die Enquete-Kommission „Demographi-
scher Wandel“ des Deutschen Bundestages berufen hat-
te, erläutert in einem Interview mit dem „Kölner
Stadtanzeiger“ am 12. November 1998:

Die Abführungen der Fonds an die Rentenversiche-
rung zur Kompensation der von ihr einbehaltenen
Abschläge – 3,6 Prozent pro Jahr – stellen nur einen
Bruchteil der gesamtwirtschaftlichen Kosten dieses
Programms dar.

Dr. Standfest vom VDR macht die folgende Rech-
nung auf: Wenn nach heutigen Werten für die alten
Bundesländer 100 000 zusätzliche Rentner ein Jahr frü-
her in Rente gehen, so entstehen der Rentenversicherung
daraus unabhängig von der Ablösung der Rentenab-
schläge durch die Tariffonds Vorfinanzierungskosten in
Höhe von 2,5 Milliarden DM. Außerdem würden rund 1
Milliarde DM an Beiträgen ausfallen. Da für arbeitslose
Pflichtversicherte ein Beitrag an die Rentenversicherung
abgeführt wird, hätte die Wiederbesetzung des Arbeits-
platzes nur eine geringfügige Mehreinnahme für die
Rentenversicherung zur Folge.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, diese wenigen Fakten ver-

deutlichen auf eindrucksvolle Weise: Die abschlagsfreie
Rente ab 60 fährt das Rentensystem in kurzer Zeit gegen
die Wand. Es zeigt sich, daß Walter Riester und Adam
Riese offenbar nicht mehr als die ersten Buchstaben des
Nachnamens gemein haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Debatte wird noch dadurch bereichert, daß zur

Finanzierung zumindest der Abschläge nicht mehr direkt
die Rentenversicherungsträger herangezogen werden,
sondern sogenannte Tariffonds gebildet werden sollen.
Würden die Arbeitnehmer hierfür, wie dies derzeit dis-
kutiert wird, über einen Zeitraum von fünf Jahren jedes
Jahr auf einen Prozentpunkt Lohnzuwachs verzichten, so

entspräche dies nach Ablauf von fünf Jahren auf Dauer
einem Beitragssatz von 5 Prozent für den Tariffonds.

Mit anderen Worten: Der Tariffonds wäre nichts an-
deres als eine Schattensozialversicherung mit dem Er-
gebnis, daß nach fünf Jahren etwa 25 Prozent des Brut-
toeinkommens an Beiträgen für die gesetzliche Renten-
versicherung und den Tariffonds abgeführt werden
müßten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man könnte natürlich auch gleich den Beitragssatz zur
gesetzlichen Rentenversicherung auf 25 Prozent anhe-
ben. Dann wären alle Ihre Erklärungen zur Senkung der
Lohnnebenkosten als Lippenbekenntnisse entlarvt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Sie wollen durch tarifver-

tragliche Regelungen neben der gesetzlichen Rentenver-
sicherung eine Schattensozialversicherung aufbauen und
diese auf dem Weg der Allgemeinverbindlichkeitser-
klärung, die mit dem heute zu beschließenden Gesetz
erleichtert wird, zu einem Zwangsabgabensystem um-
funktionieren.

Unter dem unverfänglich klingenden Arbeitstitel
„Gemeinsame Einrichtung von Arbeitgebern und Ar-
beitnehmern für Arbeit und Alter“ wollen Sie eine neue
Mammutbehörde schaffen. Dort sollen Gewerkschaften
und Arbeitgeberverbände gemeinsam mit der öffentli-
chen Hand Finanzmittel in dreistelliger Milliardenhöhe
verwalten. Dies wäre nicht nur ein ordnungspolitischer
Sündenfall erster Ordnung, damit würden auch die vor
drei Monaten im SPD-Programm angekündigten Forde-
rungen nach einer Stärkung der Eigenverantwortung und
privaten Vorsorge zur Farce verkommen.


(Gerd Andres [SPD]: Vierte Säule!)

– Lieber Kollege, auf das Stichwort „vierte Säule“
komme ich noch bei den Folgen für die jüngere Genera-
tion zu sprechen. Aber schauen wir erst einmal, was das
für die ältere Generation bedeutet.

Hier weisen die Rentenversicherungsträger zu Recht
darauf hin, daß die von Ihnen beabsichtigte Einführung
von Tariffonds, die aus einbehaltenen Bruttolohnbe-
standteilen gespeist werden, in der Zukunft erhebliche
Auswirkungen auf die Rentenanpassung haben wird. Die
Bruttolohnteile, die dem Fonds zufließen, würden die
Nettoentgelte schmälern. Dies hat natürlich eine deutli-
che Verlangsamung der Anpassungsdynamik zur Folge.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit anderen Worten: Die Einführung des Tariffonds
hätte für die jetzige Rentnergeneration im Grunde ge-
nommen ganz genau den gleichen Effekt wie die Beibe-
haltung des demographischen Faktors in der Renten-
formel, den Sie heute mit dem Bundestagsbeschluß zu-
rücknehmen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Noch viel dramatischer wären die Konsequenzen für

die junge Generation. Es bedeutet nämlich im Klartext:
Den heute 20- oder 30jährigen würde abverlangt, daß sie

Andreas Storm

894 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


zur Finanzierung einer abschlagsfreien Rente ab 60 Jah-
ren einen ganz erheblichen Lohnverzicht leisten,


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Sie haben das doch gar nicht verstanden!)


ohne daß sie dafür jemals eine Gegenleistung erhalten
könnten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Kein Mensch wird ernsthaft behaupten wollen, daß der
30jährige, der heute einen Tariffonds für den Vorruhe-
stand finanzieren sollte, später auch nur den Hauch einer
Chance hätte, ebenfalls mit 60 Jahren in den Ruhestand
zu gehen.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Sie kennen doch das Modell gar nicht! Sie haben es nicht gelesen, junger Mann!)


Aber Sie haben ja bereits bei der Neuregelung der 620-
DM-Jobs gezeigt, daß die neue Mehrheit offenbar be-
reit ist, Beiträge ohne entsprechende Gegenleistung für
den Einzahler zu erheben. So etwas nennt man Ab-
kassieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Jetzt komme ich zum Stichwort vierte Säule. Herr

Kollege Andres, angesichts unserer Alterspyramide
sollte eigentlich unstrittig sein, daß die junge Generation
die Chance haben muß, eine zusätzliche Altersvorsorge
neben der gesetzlichen Rentenversicherung aufzubauen.
So fordern Sie dies auch in Ihrem Koalitionsprogramm.
Aber die Crux dabei ist doch: Wenn die junge Generati-
on zwangsverpflichtet werden soll, einen beachtlichen
Teil ihres Einkommenszuwachses zur Finanzierung neu-
er, unsinniger Vorruhestandsprogramme aufzuwenden,
dann bleibt kein Spielraum mehr zum Aufbau einer zu-
sätzlichen eigenen Altersvorsorge.

Professor Rürup, Ihr Sachverständiger, zieht die Bi-
lanz, durch die Rente ab 60 würde die Schieflage unse-
res die Jungen ohnehin benachteiligenden Rentensy-
stems noch vergrößert. Diese vernichtende Bilanz Ihres
Rentenexperten macht deutlich: Herr Riester, Ihr Modell
der Rente ab 60 ohne Abschläge ist ein fatales Signal für
die junge Generation. Wenn man auf die Autobahn fährt
und es kommen einem Dutzende Fahrzeuge entgegen,
dann hat man etwas falsch gemacht. Noch ist es nicht zu
spät. Herr Riester, werden Sie nicht zum sozialpoliti-
schen Geisterfahrer, und legen Sie uns im nächsten Jahr
einen anderen Vorschlag vor als den, den Sie in den
letzten Tagen öffentlich gemacht haben!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401413600
Das Wort hat jetzt
der Abgeordnete Klaus Wiesehügel, SPD.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist seine erste Rede! Da müssen wir Rücksicht nehmen!)



Klaus Wiesehügel (SPD):
Rede ID: ID1401413700
Sie brauchen keine
Rücksicht auf mich zu nehmen, machen Sie ruhig!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte zu dem Gesetz reden, das hier vorliegt. Ich den-
ke, das ist auch wichtig.


(Beifall bei der SPD)

Sie haben sicher Verständnis, daß es mir eine ganz be-
sonders große Freude bereitet, zu dem Arbeitnehmer-
Entsendegesetz zu sprechen, weil ich bei Ihnen über
viele Jahre gebittet und gebettelt habe, daß Sie die Bau-
arbeiter nicht weiterhin arbeitslos machen und vernünf-
tige Gesetze verabschieden.


(Beifall bei der SPD)

Mit der Reform des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes

werden wir die Grundlage dafür schaffen, daß auf deut-
schen Baustellen legal gearbeitet wird, vernünftige Löh-
ne gezahlt werden und die heimischen Bauarbeiter wie-
der einen Arbeitsplatz erhalten. Ich möchte Ihnen an
Hand von einigen Fakten deutlich machen, warum es
nötig ist, das Entsendegesetz zu reformieren und ohne
zeitliche Befristung zu verabschieden.

Mit dem im Moment gültigen und halbherzigen Ent-
sendegesetz hat die alte Bundesregierung der Bauwirt-
schaft nicht geholfen, sondern ihr kontinuierlich Knüp-
pel in den Weg gelegt.

Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist
die Zahl der Beschäftigten des Bauhauptgewerbes
allein von September 1996 bis September 1998 von
1,34 Millionen auf 1,14 Millionen Beschäftigte zurück-
gegangen.

Mehr als 200 000 Arbeitsplätze sind damit entfallen –
nicht weil das Bauvolumen so sehr zurückgegangen ist
oder die Rationalisierung am Bau so unermeßlich groß
war, sondern einzig und allein weil am Bau eine Dere-
gulierung betrieben wurde, die mafiöse Verhältnisse be-
günstigt hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


213 793 Menschen aus dem Bereich Bau – ich sage
das so genau, weil es sich immer um ein Einzelschicksal
handelt –, zumeist Familienväter mit Kindern, sind im
November 1998 arbeitslos und müssen quasi von der
anderen Seite des Bauzaunes mit ansehen, wie Ihre Ar-
beit, die ja immer noch getan werden muß, von illegal
tätigen Personen ausgeführt wird.

Ich frage Sie: Wo sind diese Menschen wohl geblie-
ben? Ich kann Ihnen die Antwort geben: Sie mußten Ih-
ren erlernten Beruf im Baugewerbe für einen schlecht-
bezahlten opfern, von Arbeitslosengeld, von Arbeitslo-
senhilfe leben oder sich in die Abhängigkeit von krimi-
nellen Arbeitsvermittlern begeben, die sie offen mit

Andreas Storm

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 895


(A) (C)



(B) (D)


Gewalt bedrohen, wenn sie es nur wagen, sich gegen de-
ren Machenschaften zu wehren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das Problem wird doch mit dem Gesetz gar nicht gelöst! – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das hat doch mit dem Gesetz nichts zu tun! Das löst ihr doch nicht!)


Unter dem Deckmäntelchen europäischen Wettbe-
werbs und um vordergründig Kosten sparen zu können,
wurden die Menschen vom Bau – Arbeitgeber und Ar-
beitnehmer gemeinsam – im Stich gelassen.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Zur Sache reden! Das hat doch mit dem Gesetz nichts zu tun!)


– Herr Kues, hören Sie doch einmal zu!
Nicht umsonst fordert der Zentralverband des Deut-

schen Bauhandwerks in seiner schriftlichen Stellung-
nahme zu diesem Gesetz – ich bleibe immer hart an der
Sache dran – wörtlich: „Eine Entfristung ist unerläßlich“
und „ist wettbewerbspolitisch geboten“.


(Beifall bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Aber dagegen sagt doch keiner was!)


Das sagen die Arbeitgeber!
Gerade die kleinen und mittelständischen Bauunter-

nehmen haben unter der momentanen Situation sehr zu
leiden. Die Rendite liegt eindeutig unter einem Prozent.
Der Wettbewerb läßt ein sauberes Kalkulieren schon
jetzt – ich rede vom Ist-Zustand – nicht mehr zu. Wer
sich nicht illegal betätigt, bekommt keinen Auftrag. Wer
eine kostendeckende Kalkulation abgibt, hat sowieso
keine Chance.

Das alles macht es notwendig, daß wir, daß die Poli-
tik eingreift und den Bauunternehmen wieder einen
Rahmen für einen fairen Wettbewerb bietet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das wird mit dem Gesetz nicht erreicht!)


Das Ihnen vorliegende Arbeitnehmer-Entsendegesetz
mit seinen verschiedenen Maßnahmen wird zwangsläu-
fig die Tiefe der Subunternehmerketten erheblich redu-
zieren und den redlichen Bauunternehmen eine echte
Chance bieten, sich wieder am Markt zu behaupten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das glaube ich nicht!)


Es besteht überhaupt keine Schwierigkeit – weil Sie das
ja kritisieren –, in der Vertragsbeziehung mit seinem
Nachunternehmer die Weitervergabe des Auftrages an
Dritte auszuschließen oder genehmigungspflichtig zu
machen. Ich habe das bei vielen Baustellen, für die ich
verantwortlich war, mit Erfolg durchgeführt. Denn es
sind gerade die tiefgestaffelten Subunternehmerketten –
zum Teil reichen sie bis ins siebte Glied –, die die Ille-

galität erst ermöglichen und die den Steuerzahler und
die Sozialversicherung um Milliarden geprellt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb kann auf eine Generalunternehmerhaf-
tung, die Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und
Mindestlöhne beinhaltet, nicht verzichtet werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zentrale Wettbewerbsvorteil für Entsendebetriebe
besteht nach Auffassung der Kontrollbehörden – das
sind Beamte, die sind loyal! – darin, daß Lohnsteuerbe-
trug und europaweite Hinterziehung von Sozialabgaben
Hand in Hand gehen. Eine wirksame Durchgriffshaftung
ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Bekämpfung von
grenzüberschreitendem Sozialdumping und Steuerbe-
trug.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das ist der Tod von mittelständischen Betrieben!)


Wer die Haftung des Generalunternehmers ablehnt,
die in Fragen der Gewährleistungsbürgschaften für
Baumängel seit vielen Jahren selbstverständlich ist, gibt
zu erkennen, wie wenig ihm an der Bekämpfung der il-
legalen Praktiken gelegen ist. Was Sie für Sachwerte ak-
zeptieren, wollen Sie für Menschen nicht anerkennen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist eine unverschämte Unterstellung!)


Auch die Möglichkeit, zukünftig differenzierte tarifli-
che Mindestlöhne zu schaffen, die unterschiedliche Tä-
tigkeiten einschließlich der Qualifikation berücksichtigt,
ist sinnvoller Bestandteil dieses Gesetzes.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das war unverschämt! Sie müssen noch was lernen hier im Hause!)


– Hören Sie zu! – Gerade ein differenzierter Lohn kann
Entsendeverhältnisse besser kontrollierbar machen. Je-
der echte Werkvertrag ist gerade dadurch gekennzeich-
net, daß es in einer Baukolonne weisungsbefugte Vorar-
beiter, Facharbeiter und Hilfskräfte gibt.

Meine Damen und Herren, es ist schon eine besonde-
re Ironie, wenn Sie jetzt auf einmal für sozialistische
Einheitslöhne plädieren. Sie sagen, diese seien durch-
setzbar und preistreibend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Dirk Niebel [F.D.P.]: Da haben Sie aber nicht zugehört!)


Seit Jahren pfeifen es die Spatzen von den Dächern,
daß viele Baustellen in Berlin, auch die des Bundes, mit
diesen Praktiken errichtet wurden. Getan wurde nichts.
Es wurde lediglich bekanntgegeben, daß sich die Kosten
der Bauvorhaben in Berlin reduziert haben. Die Bundes-
baubehörde spricht jetzt selbst davon, daß der Einsatz

Klaus Wiesehügel

896 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


von Entsendebetrieben und daß Dumpinglöhne erheb-
liche Kostenreduzierungen bewirken. Die Zeche dafür
bezahlen wir zweimal.

Erstens bezahlen wir die Zeche mit der Finanzierung
der Arbeitslosigkeit. In Berlin und Brandenburg sind
40 000 Bauarbeiter arbeitslos. Gleichzeitig haben wir
dort die größte Baustelle Europas. Aus Konjunkturgrün-
den – wie gerne eingewandt wird – sind die Berliner
Bauarbeiter wahrhaftig nicht arbeitslos. Ein arbeitsloser
Bauarbeiter kostet round about 40 000 DM im Jahr. Bei
40 000 arbeitslosen Bauarbeitern ergibt das 1,6 Milliar-
den DM in nur einem Jahr. Hochgerechnet auf die ge-
samte Bauzeit heißt das: Fast die gleiche Summe, die
wir für die Bundesbauten in Berlin einkalkulierten, muß
jetzt zusätzlich und absolut unnötig für Arbeitslosengeld
ausgegeben werden. Das ist der eigentliche Skandal.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens bezahlen wir die Zeche mit der Qualität.
Wir sollten uns nicht täuschen: Der Preis für die vielen
Qualitätsmängel im neuen Regierungsviertel wird hoch
sein. Bei Subunternehmerketten und illegalen Praktiken
ist der Pfusch am Bau nämlich schon einkalkuliert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Der Preis, den wir alle – das gesamte Volk der Bundes-
republik – dafür zahlen müssen, ist hoch und eine Bürde
für die Zukunft. Ich bin nicht in der Lage, Ihnen dies
jetzt vorzurechnen. Aber wir werden es alle gemeinsam
in Berlin erleben; ich hoffe nicht, daß wir es auch erlei-
den werden.

Meine Damen und Herren von der Opposition, versu-
chen Sie gar nicht erst, so zu tun, als hätten Sie hierfür
keine Verantwortung. Als ich mit dem derzeitigen Bun-
destagspräsidenten, Abgeordneter von Berlin, die Bau-
stelle des Kanzleramtes besichtigen wollte, kam der Be-
fehl, uns abzuweisen, uns nicht auf diese Baustelle zu
lassen. Dieser Befehl kam eindeutig aus Bonn.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Ihr hattet keinen Helm mit!)


– Wir hatten alles dabei. Aber der Bundesbauminister
hat gesagt, wir dürfen nicht auf die Baustelle. – Viel-
leicht gab es etwas zu verbergen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch die eindeutige Anweisung, die in Berlin sonst

übliche Tariftreueerklärung auf die Baustellen des
Bundes nicht anzuwenden, geht auf die Veranlassung
der alten Bundesregierung zurück.

Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich noch
kurz auf einen weiteren wichtigen Aspekt eingehen.
Dieses Gesetz verbessert auch die Beziehungen der
Bauarbeitnehmer in Europa untereinander und stärkt die
Rechtsposition der hier Tätigen. Professor Hanau hat
treffend festgestellt, daß die Baustellen in Deutschland
durch die bisherige Gesetzeslage zu Inseln fremden
Rechts wurden. Das heißt, kein Portugiese, kein Pole
war bisher in der Lage, seinen hier verdienten Lohn ein-

zuklagen oder deutsche Arbeitsgerichte anzurufen, wenn
der Menschenhändler nach Abschluß der Arbeiten
plötzlich verschwunden war.

Auch eine Vollstreckung der fälligen Steuern und So-
zialabgaben ist außer in Österreich in ganz Europa nicht
möglich.

Mit dem neuen Arbeitnehmer-Entsendegesetz sind
die europäischen Baugewerkschaften nun in der Lage,
mittels bilateraler Rechtshilfeabkommen allen Bauar-
beitnehmern zu helfen und sie mit Blick auf ein gemein-
sames Europa solidarisch zusammenzuführen. Zur Zeit
ist der stellvertretende Vorsitzende der IG BAU in War-
schau, um genau das vorzubereiten. Damit wird ein neu-
es Kapitel deutsch-polnischer Verständigung aufge-
schlagen. Dieses Gesetz gibt dafür die Grundlage.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Annelie Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren, lange Zeit forderten auch
die Spitzenverbände der deutschen Bauwirtschaft ver-
nünftige Instrumente zur Bekämpfung illegaler Be-
schäftigung und von Dumpinglöhnen. Das neue Entsen-
degesetz wird dieser Forderung Rechnung tragen, auch
wenn einige von Ihnen jetzt erschrecken, daß eine Re-
gelung auf sie zukommt, die die eigene Mitarbeit und –
was das Wichtige ist – die Einstellung neuer Mitarbeiter
erfordert.

Ich lade Sie herzlich ein, nach dem, was Sie den
200 000 und vielen anderen Bauarbeitern angetan haben,
im Wege der Wiedergutmachung diesem Gesetz zuzu-
stimmen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Unverschämt! Sie wehleidiger Hanswurscht!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401413800
Herr Kollege Wiese-
hügel, das war Ihre erste Rede hier in diesem Hohen
Haus. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen
möchte ich Sie beglückwünschen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Auch Sie werden sicher noch lernen, daß nicht ein Herr
Präsident hinter Ihnen saß, sondern eine Frau Präsiden-
tin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Adolf Ostertag,
SPD.


Adolf Ostertag (SPD):
Rede ID: ID1401413900
Verehrte Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ohne Übertreibung: Heute
ist in zweifacher Hinsicht ein historischer Tag. Heute
morgen haben wir begonnen mit dem Gedenken und mit
der Erinnerung an den 50. Jahrestag der Erklärung der
Menschenrechte. Der Deutsche Bundestag hat in großer
Übereinstimmung die Bedeutung der Menschenrechte
unterstrichen und sich zu ihnen bekannt. Leider waren
und sind wir uns nicht so einig, wenn es um ange-

Klaus Wiesehügel

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 897


(A) (C)



(B) (D)


stammte Arbeitnehmerrechte geht. Die Diskussion der
letzten zweieinhalb Stunden hat das gezeigt.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Unglaublich, diese Verbindung! – Birgit SchnieberJastram [CDU/CSU]: Geht Ihnen wirklich jeder Maßstab verloren?)


Dabei steht in Art. 23 der Menschenrechtserklärung
ausdrücklich:

Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie
Berufswahl, auf angemessene und befriedigende
Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Ar-
beitslosigkeit.

(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das ist jetzt wirklich geschmacklos!)

Für uns als Sozialdemokraten haben diese Rechte hi-

storische Bedeutung. Rechte, die jahrzehntelang einge-
fordert wurden, jahrzehntelang Gültigkeit hatten, die
von Ihnen abgeschafft wurden, wollen wir jetzt im Zuge
der Korrekturgesetze wiederherstellen. Deshalb ist heute
ein erfreulicher Tag für Millionen von Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmern. Das muß man noch einmal so
unterstreichen, wie es der Bundesarbeitsminister gesagt
hat.


(Beifall bei der SPD)

Nach 16 Jahren konservativ-liberaler Politik der klei-

nen Nadelstiche und der großen Einschnitte in unser so-
ziales Netz liegt heute ein Gesetzespaket zur Verab-
schiedung auf dem Tisch, das eindeutige Verbesserun-
gen für die weitaus meisten Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer in diesem Land bringt. Das kann man nicht
dick genug unterstreichen. Diese Menschen haben eben
nicht eine so organisierte und vielleicht auch gut finan-
zierte Lobby wie diejenigen Wirtschaftsverbände, die
sich in diesen Tagen lautstark melden. Sie versuchen, ih-
re in langen Jahren auf Kosten anderer erworbenen Be-
sitzstände in eine neue Ära hinüberzuretten. Das wird
ihnen nicht gelingen; ich glaube, das ist schon deutlich
geworden.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Wie wollen Sie so ein Bündnis für Arbeit auf den Weg bringen?)


Diejenigen, die den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern und den kleinen Leuten im Land jahrelang
vorgeworfen haben, ihre angeblichen Besitzstände ver-
teidigen zu wollen, müssen nun erkennen: Die Politik ist
nicht länger die Durchsetzung wirtschaftlicher Zwecke
mit Hilfe der Gesetzgebung – um an ein Tucholsky-Wort
zu erinnern. Vielmehr machen die neue Bundesregierung
und die Koalitionsfraktionen – das muß man hier klar-
stellen – genau die Politik, die sie im Wahlprogramm
angekündigt und für die sie am 27. September den Auf-
trag durch die Wählerinnen und Wähler erhalten haben.

Heute lösen wir eine ganze Reihe von Versprechen
ein, die wir vor der Wahl abgegeben haben. Und wir tun
dies in den ersten 50 Tagen nach der Regierungsüber-
nahme. Bereits fünf der Punkte, die wir auf einer Garan-
tiekarte den Bürgerinnen und Bürgern versprochen ha-
ben, können wir in der Tat heute hier abhaken. Ich glau-

be, darauf freuen sich die Menschen auch. Nur Sie ha-
ben es noch nicht begriffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kündige schon an: In den nächsten hundert Tagen
werden wir weitere Schritte tun, um mehr Rechte und
Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Sie haben
ein Chaos auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen; wir wer-
den ihn wieder ein Stückchen ordnen müssen. Wir be-
ginnen damit.


(Beifall bei der SPD)

Wir nehmen dafür auch etwas Eile in Kauf. Gesetz-

gebungsverfahren sind eben manchmal sehr schnell
notwendig. Denn gerade Sie haben ja Gesetze gemacht,
die, wenn sie zum 1. Januar 1999 in Kraft träten, erheb-
liche Einschnitte brächten. Ich nenne hier insbesondere
die Verschlechterung durch Absenken des Rentenni-
veaus oder der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente.
Deswegen mußten wir schnell handeln. Diese unverzüg-
liche Arbeit war notwendig, um jetzt die Korrekturen
durchzuführen.

Unsere gesamte Politik in der letzten Legislaturperi-
ode hat bewiesen, daß wir das machen werden. Niemand
von Ihnen darf überrascht sein. Wir haben in der letzten
Legislaturperiode Gesetzentwürfe konstruktiv zu dem
eingebracht, was wir heute umsetzen. Dort, wo die alte
Koalition Demontage betrieben hat, stabilisiert die neue
Regierung wieder die bewährten Fundamente unseres
Sozialstaates.


(Beifall bei der SPD)

Zu den Inhalten des Gesetzespaketes, das wir heute

verabschieden, ist schon einiges gesagt worden. Ich fas-
se nur die wichtigsten Punkte zusammen. Wir verhin-
dern, daß die von der alten Bundesregierung hier be-
schlossene Senkung des Rentenniveaus zum 1. Januar
in Kraft tritt. Deswegen mußten wir schnell handeln.
Das gleiche gilt bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten.

Von unseren Änderungen beim Kündigungsschutz
profitieren weit über 2 Millionen Arbeitnehmer. Die
Spaltung bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern, die Sie in den letzten zwei Jahren zu verantworten
hatten, heben wir auf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir stellen die volle Entgeltfortzahlung im Krank-

heitsfall wieder her. Auch hier ist eine Spaltung bei den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern betrieben wor-
den. 20 Prozent waren außen vor. Für sie gingen die
normalen Zahlungen weiter, aber sie wurden bestraft,
wenn sie krank wurden.

In der Bauwirtschaft bleibt die Verhinderung von
Lohn- und Sozialdumping unser Ziel. Klaus Wiesehügel
hat das deutlich unterstrichen. Für uns zählt eben die
konkrete Umsetzung dessen, was in der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte steht. In Art. 23 Abs. 2
dieser Erklärung heißt es:

Alle Menschen haben ohne jede unterschiedliche
Behandlung das Recht auf gleichen Lohn für glei-
che Arbeit.

Adolf Ostertag

898 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Das setzen wir jetzt mit diesem Gesetzentwurf zumin-
dest im Bausektor durch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nicht zuletzt schaffen wir mit der Öffnung der Freien

Förderung im SGB III für die Projektförderung die
Möglichkeit, auch schwer in Arbeit zu vermittelnde Ju-
gendliche in Beschäftigungs- und Qualifizierungs-
maßnahmen zu integrieren. Diese neue Regelung ist
notwendig, um das Sofortprogramm gegen Jugendar-
beitslosigkeit letzten Endes zum Erfolg zu führen. Ich
glaube, viele junge Menschen setzen darauf Hoffnun-
gen. Sie können sich darauf verlassen, daß wir ihnen
wieder eine Chance eröffnen.


(Beifall bei der SPD)

Mit diesem Gesetzespaket bringen wir das soziale

Netz dort wieder in Ordnung, wo es zu reißen drohte.
Wir werden nicht zulassen, daß Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, sozial Schwache, Kranke und Rentner ins
gesellschaftliche Abseits gestellt werden, wie es die alte
Bundesregierung getan hat und es weiter getan hätte,
wenn die Wählerinnen und Wähler sie nicht gestoppt
hätten.

Die neue Bundesregierung steht dafür ein, daß das
soziale Netz nicht zerfleddert wird. Wir stehen dafür ge-
rade, daß die originären Schutzrechte der Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer erhalten bleiben. Darauf wer-
den sich die Menschen auch künftig verlassen können.

Der Sozialstaat ist eben kein Relikt der Vergangen-
heit, dem nur Traditionalisten nachhängen. Eine funk-
tionierende soziale Absicherung ist Voraussetzung für
eine erfolgreiche Wirtschaft und für gesellschaftliche
Stabilität.

Modern sind nicht diejenigen, die immer unter dem
Deckmantel von Deregulierung und Globalisierung für
soziale Grausamkeiten eintreten. Modern ist, die hohe
Arbeitsproduktivität in diesem Land – in einer hochent-
wickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft –
und den wirtschaftlichen Strukturwandel durch soziale
Absicherung erst zu ermöglichen. Zukunftsweisend ist,
den Sozialstaat als Instrument und nicht als Opfer der
Modernisierung zu sehen.

Genauso alt wie falsch ist hingegen die Mär vom aus-
ufernden Sozialstaat, wie es die alte Rechte in diesem
Haus immer wieder formuliert hat. Die Sozialleistungs-
quote in Westdeutschland liegt heute mit rund 31 Pro-
zent noch unter dem Niveau von 1982, obwohl wir heute
2,6 Millionen Arbeitslose mehr haben als 1982 und ob-
wohl es heute dreimal so viele Sozialhilfefälle gibt wie
1980.

Die neue Bundesregierung und die sie tragende Ko-
alition werden sich daran messen lassen, wie sie die Ar-
beitslosigkeit bekämpfen und wie sie die soziale Ge-
rechtigkeit wahren. An Taten werden wir uns messen
lassen, nicht an hohlen Phrasen, von denen die Men-
schen in den letzten 16 Jahren wirklich genug gehört ha-
ben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die ersten Taten stehen heute zur Abstimmung.
Weitere werden folgen. Wir haben das „Bündnis für
Arbeit“ auf den Weg gebracht. Die geringfügig Be-
schäftigten werden sozialversicherungspflichtig. Das
Schlechtwettergeld werden wir wieder einführen. Ille-
gale Beschäftigung werden wir massiv bekämpfen.

Für uns Sozialpolitiker, vor allen Dingen aber auch
für den Bundestag insgesamt, gibt es viel zu tun. Die
Menschen im Land können sich dabei auf uns, auf die
neue Regierung, auf die Koalition im Bundestag verlas-
sen, wenn es darum geht, mehr Beschäftigung und so-
ziale Sicherheit in der Zukunft miteinander zu verbin-
den.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401414000
Ich schließe damit
die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zu Korrekturen in der So-
zialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmer-
rechte auf den Drucksachen 14/45 und 14/151.

Ich verweise darauf, daß mir eine schriftliche Erklä-
rung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung
der Kollegen Karl-Josef Laumann und anderer vor-
liegt.*)

Des weiteren liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
der PDS vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer
stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/170? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der SPD, der
CDU/CSU, dem Bündnis 90/Die Grünen und der F.D.P.
gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen?
– Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalition und der PDS-Fraktion gegen
die Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. ange-
nommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlußabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grund-
gesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die ab-
solute Mehrheit erforderlich. Die Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen nament-
liche Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
kontrollieren Sie bitte noch einmal, ob die von Ihnen
benutzten Abstimmungskarten auch wirklich Ihren Na-
men tragen.
__________
*) Anlage 5

Adolf Ostertag

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 899


(A) (C)



(B) (D)


Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen
besetzt? – Ich eröffne die Abstimmung. –

Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des
Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben
hat? – Wenn das nicht der Fall ist, dann schließe ich
hiermit die Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Dazu bitte ich alle nicht
für die Urnen eingeteilten Schriftführerinnen und
Schriftführer, sich zum Auszählraum im Präsidialbau zu
begeben. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekanntgegeben.*)

Wir setzen die Beratungen fort. Wir kommen jetzt zur
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
F.D.P. zur beschäftigungswirksamen Änderung des
Kündigungsschutzgesetzes auf Drucksache 14/44. Der
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf
Drucksache 14/151 unter Buchstabe b, den Gesetzent-
wurf abzulehnen. Ich lasse nun über den Gesetzentwurf
der F.D.P. auf Drucksache 14/44 abstimmen. Die Frak-
tion der F.D.P. verlangt dazu namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, erneut
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen
besetzt? – Das ist der Fall. Damit eröffne ich die Ab-
stimmung. –

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? Das ist nicht der Fall.
Ich schließe damit die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen. Das Ergebnis dieser namentlichen
Abstimmung wird Ihnen ebenfalls später bekanntge-
geben.**)
Wir setzen die Beratungen fort. Der Ausschuß für Arbeit
und Sozialordnung empfiehlt unter Buchstabe c sei-
ner Beschlußempfehlung auf Drucksache 14/151 die
__________
*) Seite 899 D
**) Seite 903 D

Annahme einer Entschließung. – Wer stimmt für diese
Beschlußempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der
Koalition und der PDS-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-
brachten Gesetzentwurf zur Änderung des Versorgungs-
reformgesetzes 1998, Drucksachen 14/46 und 14/145.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsparteien und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen verlangen namentliche Ab-
stimmung. Ich bitte erneut die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Damit eröff-
ne ich die Abstimmung. –

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe damit die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekanntgegeben.

Wir setzen die Beratungen fort. Ich gebe Ihnen zu-
nächst das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den von den Fraktionen der SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zu Kor-
rekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung
der Arbeitnehmerrechte auf den Drucksachen 14/45 und
14/151 Buchstabe a bekannt. Abgegebene Stimmen 611.
Mit Ja haben gestimmt 375, mit Nein haben gestimmt
236. Der Gesetzentwurf ist mit der erforderlichen Mehr-
heit angenommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 611;
davon

ja: 375
nein: 236

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)


Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn

Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders

Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser

Vizepräsidentin Petra Bläss

900 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange

Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer

Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit

Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek (Leipzig)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk

Vizepräsidentin Petra Bläss

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 901


(A) (C)



(B) (D)


Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla (Ursula) Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert

Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Friedrich Bohl

Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel Fischer

(Karlsruhe-Land)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf)


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork

Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhemshaven)

Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Röttgen

Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt

(Mühlheim)


Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller

F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff

Vizepräsidentin Petra Bläss

902 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Walter Hirche
Birgit Homburger

Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Jürgen W. Möllemann
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig

Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung
der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung – GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz –
GKV-SolG
– Drucksache 14/24 –

(Erste Beratung 4. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuß)

– Drucksache 14/157 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch

Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache
über diesen Gesetzentwurf namentlich abstimmen wer-
den.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Gudrun Schaich-Walch, SPD. – Die Kollegin
ist nicht im Saal.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Was ist denn los hier? – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Chaos bei der Regierungspartei!)


Dann hat zunächst der Kollege Horst Schmidbauer,
SPD, das Wort.


Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1401414100
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Allen Beteiligten ist klar: Man muß im
Kleinen anfangen, bevor man mit dem Großen beginnen
kann. Allen Beteiligten ist auch klar: Das Vorschaltge-
setz schafft den notwendigen Raum, damit 1999 die Ar-
beit am Großen, an der eigentlichen Reform, beginnen
kann.

Daß wir bereits nach wenigen Tagen mit dem Kleinen
beginnen müssen, hat auch seine Ursache in der Schief-
lage, in die die Herren Seehofer und Kohl die Kranken-
kassen gebracht haben. Sie von der alten Regierungsko-
alition haben einseitig so gewaltige Lasten verteilt, daß
das Fahrzeug Gesundheit, wenn man es um die Kurve

fahren will, dies letztendlich nur auf zwei Rädern schaf-
fen kann. Wir wollen so nicht starten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie fahren es gegen die Wand!)


Wir haben den Kranken versprochen, die Lasten Zug
um Zug von ihren Schultern zu nehmen. Damit stellen
wir das Fahrzeug Gesundheit wieder richtig auf vier
Räder.

Unser Gesundheitswagen braucht noch eine zweite
Stabilität. Diese zweite Stabilität ist die Beitragsstabili-
tät. Um sie zu erreichen, müssen die Lasten gerecht
verteilt werden. Auf der einen Seite werden wir dazu die
Einnahmenseite verbessern. Auf der anderen Seite wer-
den wir in einer ersten Stufe unwirtschaftliche Struktu-
ren beseitigen, um Ressourcen freizusetzen.

Die Zeichen der Unwirtschaftlichkeit sind bei den
Arzneimitteln auf Grund der Anzahl ihrer Verordnun-
gen, ihrer Qualität und ihrer Preise nicht zu übersehen.
Vergessen wir nicht: Jährlich werden für 7 Milliarden
DM Arzneimittel verordnet, deren therapeutischer Nut-
zen entweder nicht nachgewiesen oder nicht vorhanden
ist. Vergessen wir nicht: Für mehr als 30 000 Altarznei-
mittel liegt eine Beanstandung der Europäischen Kom-
mission vor, weil sie weiter bis zum Jahre 2005 unge-
prüft verkauft werden können. Vergessen wir nicht:
Durch Vergleiche der Preise auf internationaler Ebene
wissen wir, daß die Bundesrepublik Deutschland zu den
Hochpreisländern in der Welt gehört.

Wenn man nach dem Grundsatz geht, daß jeder An-
bieter im Gesundheitswesen gemäß seinem Leistungs-
vermögen seinen Beitrag leisten muß, dann wird man
sehr schnell feststellen müssen, daß der entsprechende
Beitrag, der im Arzneimittelbereich geleistet werden
muß, überfällig ist.


(Beifall bei der SPD)

Wir sagen deshalb: Von den über 30 Milliarden DM, die
wir für diesen Bereich ausgeben, muß 1 Milliarde DM
gespart werden. Um den Ärzten das Erreichen dieses
Sparvolumens zu erleichtern, werden wir im Gesetz vor-
sehen, daß die sogenannte Festbetragsregelung für
Arzneimittel über alle drei Stufen ausgeweitet wird.
Damit schaffen wir eine Kostenentlastung von 200 bis
400 Millionen DM im Jahr 1999.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Kein großer Unterschied!)


Vizepräsidentin Petra Bläss

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 903


(A) (C)



(B) (D)


Diese Regelung wird nicht zu Problemen mit der Indu-
strie führen, weil ihre Wertschöpfung davon kaum tan-
giert wird. Der entscheidende Punkt ist aber, daß nie-
mand mehr behaupten kann, der demographische Faktor
stehe dem Sparziel entgegen, es gebe keine ausreichende
Versorgung oder die Qualität der Versorgung leide unter
dieser Regelung.

Wenn man sich die wirklichen Verhältnisse anschaut,
stellt man fest, daß die medizinische Versorgung der
Menschen in Bayern, in Nord- und Südwürttemberg und
in Südbaden nicht zweitklassig ist. Die Menschen in die-
sen vier KV-Bezirken sind nicht kränker als die Men-
schen in anderen Bezirken. Trotzdem liegen in Bayern
die Arzneimittelausgaben pro Versicherten bei 388 DM,
in Nordwürttemberg bei 375 DM, in Südwürttemberg
bei 377 DM und in Südbaden bei 357 DM. An diesen
Zahlen, die weit unter dem Durchschnitt im Westen lie-
gen – er liegt dort bei 420,92 DM; die Spitze ist Ham-
burg mit Ausgaben von 502 DM pro Versicherten –,
kann man erkennen, daß es eine aktive Politik und akti-
ves Handeln der Krankenversicherungen in diesen Be-
zirken gibt.

Es ist klar: Um unsere Sparziele zu erreichen, müssen
wir keine Überforderungsklausel einführen. Proble-
matisch war natürlich – das konnte man spüren – die
Ermittlung der Budgetdaten. In diesem Zusammenhang
müssen wir sehen, daß die unterschiedlichen Metho-
den zur Ermittlung der Budgetdaten in Deutschland an
das „wilde Absurdistan“ erinnern, weil Apotheker,
Kassenärztliche Vereinigungen, Pharmaindustrie und die
GKV ihre eigenen Methoden zur Datenermittlung ha-
ben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Und das Gesundheitsministerium!)


Im Rahmen der Datenermittlung müssen wir auf das
aufbauen, was das Ministerium an Vorarbeit geleistet
hat. Ich nehme an, daß Sie die im Ministerium geleistete
Basisarbeit sicherlich nicht in Frage stellen oder gar mit
meinem Begriff vom „wilden Absurdistan“ bezeichnen.


(Zuruf von der F.D.P.: Doch!)

Ansonsten müßte Herr Seehofer für dieses „wilde Ab-
surdistan“ letztendlich die Verantwortung übernehmen.


(Beifall bei der SPD)

Nein, wir müssen alles daransetzen, daß wir im medi-

zinischen Bereich verläßliche Basisdaten bekommen,
deren Ermittlung für alle akzeptabel ist und die somit ei-
ne solide Basis darstellen können.

Aber ich möchte noch auf mein zweites Fahrzeug zu
sprechen kommen, das ebenfalls eine Minute vor dem
Start in eine sichere Lage gebracht worden ist, weil es
sonst auch aus der Kurve herausgetragen worden oder
auf zwei Rädern durch die Kurve gefahren wäre. Es geht
mir um die Frage der Psychotherapie. Wir haben Gott

sei Dank in der letzten Minute – eine Minute vor dem
Start – den Strafzoll für die Seele weggenommen, den
die alte Koalition den psychisch Kranken mit allem
Nachdruck aufgebürdet hat.


(Zustimmung bei der SPD)

Damit schaffen wir jetzt endlich nicht nur Stabilität,
sondern auch die Gleichstellung von psychisch und so-
matisch Kranken im Land. Das ist ein großer Fortschritt,
und damit kann sich das deutsche Psychotherapeutenge-
setz weltweit sehen lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Damit haben wir auch die Anerkennung des Berufs
des Psychotherapeuten als eines gleichwertigen Heilbe-
rufs erreicht. In dieser Situation darf aber die Zuzah-
lungsbelastung nicht auf dem Rücken der Therapeuten
abgeladen werden. Deshalb haben wir diese 70 bis
80 Millionen DM in das Budget gebracht. Anderenfalls
wäre die Freude der Therapeuten nur kurz gewesen, da
sie letztendlich zu Taschendieben ihrer Patientinnen und
Patienten geworden wären.

Die Basisdaten für das Budget waren auf der ärztli-
chen Seite leicht, aber für den Bereich der Delegations-
psychotherapeuten schwierig zu ermitteln. Da wir ja
wünschten, daß ein gleichberechtigter Zugang gewähr-
leistet wird und eine gleichberechtigte Versorgung durch
ärztliche und psychologische Psychotherapeuten erfolgt,
war die Frage des Budgets sehr wichtig. Wir haben
deshalb die sichere Datenbasis von 1997 genommen und
sie nicht nur um 20 Prozent, sondern um 40 Prozent auf-
gestockt. Damit haben wir eine solide Basis geschaffen.
Sie ist wichtig, weil die KBV das Ziel verfolgt – wir
werden sie darin aktiv unterstützen –, daß es für das er-
ste Halbjahr 1999 für alle Psychotherapeuten eine feste
Vergütung gibt, die auf einem festen Punktwert auf-
gebaut ist. Das ist der richtige Start, den wir für die
Betroffenen und für die Therapeuten brauchen. Die
Psychotherapie hat damit jetzt endlich den Stellenwert
erreicht, den wir den Patienten schuldig sind. In diesem
Sinne schreiten wir, glaube ich, auf dem richtigen Wege
voran.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401414200
Bevor ich den näch-
sten Redner aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schrift-
führern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über den von der F.D.P.
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur beschäfti-
gungswirksamen Änderung des Kündigungsschutzge-
setzes, Drucksachen 14/44 und 14/151 Buchstabe b, be-
kannt. Abgegebene Stimmen 606. Mit Ja haben ge-
stimmt 35, mit Nein haben gestimmt 571. Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt.

Horst Schmidbauer

904 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 603;
davon

ja: 36
nein: 567

Ja
F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Jürgen W. Möllemann
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)


Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog

Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl

Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Vizepräsidentin Petra Bläss

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 905


(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek (Leipzig)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright

Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Friedrich Bohl
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf)


Gerda Hasselfeldt

Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhemshaven)

Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek

Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt

(Mühlheim)


Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Wilhelm - Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)


Vizepräsidentin Petra Bläss

906 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Hans-Otto Wilhelm

(Mainz)


Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid

Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk

Rezzo Schlauch
Albert Schmidt

(Hitzhofen)


Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt

Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla (Ursula) Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert

Des weiteren gebe ich Ihnen das von den Schriftfüh-
rern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der
namentlichen Schlußabstimmung über den von der
SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versor-
gungsreformgesetzes 1998, Drucksachen 14/46 und

14/145, bekannt. Abgegebene Stimmen 607. Mit Ja ha-
ben gestimmt 372, mit Nein haben gestimmt 235. Der
Gesetzentwurf ist damit angenommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 606;
davon

ja: 371
nein: 235

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht

Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster

Dagmar Freitag
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum

Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme

Vizepräsidentin Petra Bläss

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 907


(A) (C)



(B) (D)


Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter

Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes

Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek (Leipzig)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt

Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla (Ursula) Jelpke
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert

Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer

Vizepräsidentin Petra Bläss

908 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Friedrich Bohl
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf)


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen

Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhemshaven)

Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald

Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt

(Mühlheim)


Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze

(Berlin)


Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth

Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Arnold Eugen Hugo Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß

(Emmendingen)


Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller

F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Jürgen W. Möllemann
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Vizepräsidentin Petra Bläss

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 909


(A) (C)



(B) (D)


Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Dr. Hermann
Kues, CDU/CSU, das Wort.


Dr. Hermann Kues (CDU):
Rede ID: ID1401414300
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte eben einen
Moment lang die Sorge, daß hier gar kein Redner der
SPD antreten könnte.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Man muß doch einmal zur Toilette gehen können!)


Dann habe ich einen Moment überlegt, ob jetzt wohl
Herr Dreßler, den ich oben bei Interviews gesehen hatte,
seine Bewertung des Gesetzentwurfs abgibt. Wäre er
gekommen, hätten wir uns nämlich einen Teil unserer
Redebeiträge sparen können;


(Beifall bei der CDU/CSU)

denn schärfer können wir diesen Gesetzentwurf heute
auch kaum bewerten, als es der stellvertretende Frakti-
onsvorsitzende der SPD getan hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn ich das Durcheinander, das Sie in den vergan-

genen Tagen und Wochen in der Gesundheitspolitik ge-
zeigt haben, Revue passieren lasse, fällt mir eigentlich
nur die spöttische Maxime von Mark Twain ein: Als sie
das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie
die Anstrengungen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Der von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses

90/Die Grünen vorgelegte Entwurf eines sogenannten
Vorschaltgesetzes ist nach meiner festen Überzeugung
nicht nur ein Schuß in den Ofen, sondern auch unnötig,
schädlich und unsozial.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Darüber können auch Ihre Bemerkungen, Herr

Schmidbauer, nicht hinwegtäuschen. Er ist deswegen
unnötig, weil sich die gesetzliche Krankenversicherung
seit der Gesundheitsreform von 1997 auf einem soli-
den Finanzkurs befindet und weil sie der Bevölkerung
eine erstklassige medizinische Versorgung bei stabilen
Beitragssätzen ermöglicht hat.


(Zustimmung bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der Gesetzentwurf ist schädlich, weil er die vorhande-
nen Anreize für mehr Eigenverantwortung und mehr
Freiheit der Versicherten erheblich schwächt, weil die
Rücknahme von Zuzahlungen die gesetzliche Kranken-
versicherung finanziell belastet und weil die sektoralen
Budgetierungen die Gefahr der Rationierung von Lei-
stungen beinhalten.


(Zuruf von der SPD: Die Kranken werden entlastet!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401414400
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmid-
bauer?


Dr. Hermann Kues (CDU):
Rede ID: ID1401414500
Nein. Ich möchte
zunächst einmal im Zusammenhang sprechen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Genau! Völlig richtig!)


Der gesamte Gesetzentwurf ist unsozial, weil die ent-
stehende Finanzierungslücke ausgerechnet durch die
Beiträge derjenigen gedeckt werden soll, die das gering-
ste Einkommen haben.

Frau Ministerin, an Ihre Adresse gerichtet will ich
folgendes sagen: Was haben Sie nicht alles erzählt, als
es um die 620-Mark-Arbeitsverhältnisse ging! Was
haben Sie nicht alles an Betroffenheitslyrik hier vorne
am Rednerpult von sich gegeben! Worum es Ihnen ge-
gangen ist, ist: Sie wollten Geld für Ihre ideologischen
Manöver in der GKV haben. Sie haben mit dem Willen
der Wählerinnen und Wähler, wie ich finde, Schindluder
getrieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Weg der vorherigen Bundesregierung, die großen

Risiken in der GKV solidarisch abzusichern und anson-
sten den Versicherten bei den kleinen Risiken eine sozi-
alverträgliche Eigenbeteiligung zur Verbesserung der
Finanzgrundlagen zuzumuten, bleibt richtig.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Abkassiert habt ihr!)


Alles andere hätte mittelfristig zu Leistungskürzungen
und zu einer Verschlechterung der Qualität der medizi-
nischen Versorgung geführt. Das wäre im Endeffekt un-
sozial und auch ungerecht gewesen.


(Widerspruch bei der SPD)

Ich will noch einmal – gewissermaßen als Eröff-

nungsbilanz für Sie; wir werden Sie daran messen – dar-
auf hinweisen, daß die gesetzlichen Krankenversiche-
rungen zu Beginn dieses Jahres eine Finanzreserve von
7,6 Milliarden DM hatten und daß nach den Zahlen, die
uns die Krankenkassen nennen, auch dieses Jahr mit ei-
nem Überschuß von 2 Milliarden DM zu rechnen ist.
Daran müssen Sie sich messen lassen.

Deswegen ist es völlig unverständlich und auch kaum
begründbar, wenn jetzt die neue Koalition meint, durch
überstürzte und völlig unausgegorene Maßnahmen, also
geradezu durch eine Budgetierungsorgie, den Haupt-
zweck der gesetzlichen Krankenversicherung, nämlich
die Sicherstellung einer erstklassigen medizinischen
Versorgung, dem Primat einer Kostendämpfungspolitik
opfern zu müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit verläßt die neue Koalition den von der vorherigen
Bundesregierung eingeschlagenen Weg einer bedarfs-
orientierten humanen Gesundheitspolitik. Sie glauben
angesichts der Zahlen, die Sie eben hier zu Einzel-
aspekten vorgetragen haben, doch wohl nicht ernsthaft,
daß Ihre Taschenrechnerpolitik funktionieren wird.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es! – Zuruf von der SPD: Lieber Taschenrechner als gar nicht rechnen!)


Vizepräsidentin Petra Bläss

910 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Wenn für den notwendigen medizinischen Bedarf der
Bevölkerung mehr Mittel erforderlich sind, müssen sie
zur Verfügung gestellt werden. Dieser Bedarf kann eben
nicht durch strikte Anbindung der Ausgaben an die
Entwicklung der in den letzten Jahren stagnierenden
Beitragseinnahmen gedeckt werden. Wer patientenori-
entiert denkt, kann nicht bereits heute durch schemati-
sche Budgets festlegen, welche medizinischen Leistun-
gen die Bevölkerung künftig benötigt. Wer die benötig-
ten Mittel durch Budgetierungen herbeizaubern will,
nimmt Leistungskürzungen und eine schlechtere Quali-
tät der medizinischen Versorgung in Kauf. Diesen Weg
wollen und werden wir nicht mitgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Das erwarten wir auch gar nicht!)


Wie unsolide Ihre Pläne sind, zeigt auch die Reaktion
der Krankenkassen. Sie haben bereits jetzt vor Finanzie-
rungslücken in Höhe von 2 Milliarden DM und vor dro-
henden Beitragssteigerungen gewarnt, die sich aus dem
Vorschaltgesetz ergeben. Das zeigt eindrucksvoll, wie
unausgegoren Ihr Gesetzentwurf ist. Die massivste Kri-
tik schlägt Ihnen ja aus Ihren eigenen Reihen in Gestalt
von Rudolf Dreßler entgegen. Bei Ihnen weiß die rechte
Hand nicht, was die linke tut, und die linke nicht, was
die rechte tut; je nachdem, wie Sie es wollen.

Wie hat die „Frankfurter Rundschau“ am 3. Dezem-
ber dieses Jahres kommentiert – sie ist ja nicht unbe-
dingt ein Unterstützungsorgan der CDU/CSU und der
F.D.P. –:

Wer so schnell seine gestern noch selbstbewußt
vorgetragenen Ideen zur Disposition stellt, verprellt
Bundesgenossen und verspielt das Wohlwollen der
Bürger.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Gegensatz zur neuen Koalition wollen wir ein

freiheitliches Gesundheitswesen, in dem Versicherte
ihre Krankenkasse, ihren Arzt frei wählen können und in
dem sie sich für verschiedene Gestaltungsformen ihrer
medizinischen Versorgung entscheiden können.


(Zuruf von der SPD)

Wir wollen nicht die Bevormundung durch den Staat

oder die Krankenkassen, sondern die Stärkung von Ei-
genverantwortung und Selbstbestimmung des einzelnen.
Das muß nach unserer Auffassung das Ziel einer huma-
nen, am Patienten orientierten Gesundheitspolitik sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Sie ehrlich wären, müßten Sie zugeben, daß

Sie, entgegen Ihren Aussagen im Wahlkampf, das
Grundprinzip der Zuzahlung nicht korrigiert haben.
Sie haben nur etwas an der Menge, nicht aber an dem
Element als solchem geändert. Das zeigt, wie scheinhei-
lig Sie auf den Veranstaltungen in den vergangenen
Monaten argumentiert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wenn Sie ehrlich wären, müßten Sie Ihr Gesetz nicht
„Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der GKV“ nen-
nen, sondern „Gesetz zur Verstärkung der Bürokratie in
der GKV“.


(Konrad Gilges [SPD]: Quatsch!)

Als unsozial, wenn nicht sogar als familienfeindlich

empfinde ich die geplante Änderung der Härtefallre-
gelung für chronisch Kranke. Bislang war es so, daß
die Familien chronisch Kranker allenfalls 1 Prozent
des Familieneinkommens für Zuzahlungen aufwenden
mußten. Künftig sind es 2 Prozent, denn der chronisch
Kranke selbst ist zwar von Zuzahlung befreit, seine Fa-
milie insgesamt wird aber höhere Belastungen tragen
müssen. Weshalb dies eine Verbesserung der geltenden
Regelung sein soll? – Ich nehme an, Sie wissen es selbst
nicht so recht.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Sie kündigen an, daß Sie nächstes Jahr Strukturre-

formen durchführen wollen. Auch wenn Sie hierzu keine
konkreten Absichten vorlegen, zumal Sie das unmittel-
bare Gesetz kaum hinbekommen, so weiß bzw. ahnt
zumindest jeder kundige Thebaner, was dies bei den von
Ihnen bekannten dirigistischen und zentralistischen Vor-
stellungen werden soll, jedenfalls nichts Gutes.

Ich fasse zusammen: Erstens. Die rotgrüne Koalition
gefährdet die von uns in den vergangenen Jahren gerade
erfolgreich bewahrte finanzielle Stabilität der GKV.
Zweitens. Die rotgrüne Koalition gefährdet die Versor-
gungsqualität und – drittens – letztendlich die Lei-
stungsbereitschaft und die Solidarität in unserer Gesell-
schaft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


– Doch, das erkläre ich Ihnen auch noch.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401414600
Es spricht jetzt die
Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich zunächst einmal meiner Freude Aus-
druck verleihen. Als jemand, der seit den Jahren nach
der Wende eigentlich immer nur erlebt hat, daß das, was
vor den Wahlen gesagt, und das, was nach den Wahlen
getan wird, nichts, aber auch gar nichts miteinander zu
tun hat, habe ich schon gedacht, das sei in der Politik
normal. Ich bin froh, heute hier zu stehen und zu wissen:
Wir werden an diesem Tag unsere Versprechen einlö-
sen, eins zu eins und ohne Vertun. Das ist nicht unnötig,
Herr Kues, es ist vielmehr glaubwürdig. Dafür stehe ich
hier.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Hermann Kues

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 911


(A) (C)



(B) (D)


Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD
legen Ihnen hier in zweiter Lesung einen Gesetzentwurf
vor, der gemeinsam mit dem zuständigen Ministerium
erarbeitet worden ist und vor allem zwei Dinge will:

Erstens. Es geht darum, einige unzumutbare Bela-
stungen, die Sie während Ihrer Regierungszeit den Bür-
gerinnen und Bürgern dieses Landes auferlegt haben, zu-
rückzunehmen. Wir wollen nicht nur Wahlversprechen
einlösen. Es geht vielmehr um die Frage, wieviel Solida-
rität wir in diesem Land wollen und wieweit wir bereit
sind, für diese Solidarität auch gemeinsam einzustehen.

Zweitens. Es war natürlich zwingend, Zuwächse und
Mehrausgaben zu begrenzen. Es geht eben nicht um eine
Gegenfinanzierung der Maßnahmen, die wir für die Ver-
sicherten wollen, sondern darum, einem für das System
unverkraftbaren Kostenzuwachs vorzubeugen. Wir
wollen nicht Rationierung, sondern sinnvolle Begren-
zung, wir wollen hochwertige Versorgung ermöglichen
und keinen Einstieg in die Zweiklassenmedizin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweifellos werden wir langfristig und gemeinsam mit
allen Beteiligten eine tragfähige Lösung finden, die ei-
nerseits für Ausgabenbegrenzung sorgt, andererseits
aber zugleich ein hohes Maß an Flexibilität und Plan-
barkeit beinhaltet. Das sind alles Dinge, die wir und das
Gesundheitswesen in den letzten Jahren schmerzlich
vermißt haben.

Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
haben in der ersten Lesung einen Entwurf vorgelegt und
deutlich gesagt: Das ist ein Diskussionsangebot. Die von
den Regierungsfraktionen vorgeschlagene Anhörung
und zahlreiche Gespräche haben zu dem, was Ihnen
heute vorliegt, geführt. Wir haben Bedenken und Vor-
schläge gehört und aufgenommen, soweit sie die von der
Koalition beschriebenen Ziele erreichen können. Dazu
gehört selbstverständlich auch die Stabilität der Bei-
träge.

Das oberste Prinzip, das uns geleitet hat und das uns
auch bei den langfristigen Reformen leiten wird, ist das
Prinzip


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hoffnung!)

der Solidarität. Wir werden unter keinen Umständen
zulassen, daß dieses Prinzip noch einmal aufgegeben
wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden mit der Politik dieser Regierung die Situati-
on der Versicherten, der Bürgerinnen und Bürger, ver-
bessern; denn es muß der Trend gestoppt werden, der
Gesundheit vom persönlichen Geldbeutel abhängig
macht. Das ist das zentrale Ziel, und mit dem Vorschalt-
gesetz gehen wir einen ersten Schritt dorthin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich zu den einzelnen Vorschlägen kom-
men. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Zuzahlungen für

Medikamente zu reduzieren. Wir haben nicht nur zu-
rückgenommen, sondern wir haben auch weitere Anstie-
ge verhindert. Insgesamt werden damit in erster Linie
ältere Menschen und chronisch Kranke entlastet.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stimmt ja nicht! Die Familien werden zusätzlich belastet!)


Dabei sorgen wir bei denjenigen für einen ersten Entla-
stungsschritt, für die Kranksein richtig teuer ist.

Für die chronisch Kranken fahren wir diese Belastung
auf Null, wenn sie wenigstens 1 Prozent ihres Jahres-
bruttoeinkommens für Zuzahlungen aufwenden mußten.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Für Familien erhöhen Sie!)


– Ich komme dazu.
Die Freistellung gilt nicht für Familienmitglieder.

Dies hätte auch keinen Sinn, wenn der Kranke selbst
entlastet ist. Sie hätten durchaus die Möglichkeit gehabt,
mit Ihrer Stimme eine ganz klar familienfreundliche
Maßnahme zu unterstützen, nämlich bei der Erhöhung
des Kindergeldes.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach Gott!)

Das haben Sie nicht getan, da haben Sie die Katze aus
dem Sack gelassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das müssen Sie erst mal denjenigen erklären, denen Sie
immer etwas von Familienfreundlichkeit erzählen.

Wir wollen das sogenannte Krankenhausnotopfer
als unzulässige zusätzliche Belastung für die Versicher-
ten aussetzen. Sie werden sich sicherlich alle nicht mit
einer guten Erinnerung zu beschäftigen haben, wenn Sie
an die Einführung desselben denken. Ich meine, dabei
ging es überhaupt nicht um den Betrag; es ging darum,
daß wieder etwas daraufgepackt wurde, wieder neu be-
lastet wurde.

Ganz entscheidend mit Blick auf die Gerechtigkeit
zwischen den Generationen ist natürlich – das hatten Sie
leider in Ihrer Regierungszeit vergessen – die Wieder-
aufnahme der Zahnersatzleistungen für nach 1978 Ge-
borene. Tatsächlich geht es darum, daß in dieser Gesell-
schaft nicht allein Besitzstände etwas gelten, sondern
auch die Zukunft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese und weitere Erleichterungen haben wir ange-
kündigt. Ich kann verstehen, daß es Ihnen nicht gefällt,
daß wir sie einlösen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihr löst sie ja nicht einmal ein! – Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Kein Wort zur Finanzierung! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Unverschämt, die war nicht dabei!)


Ich weiß nicht, um was es Ihnen dabei ging, ob es Ihnen
tatsächlich um die langsame Aushöhlung des Solidar-

Katrin Göring-Eckardt

912 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


prinzips ging. Ich vermute das und schätze, das tun auch
diejenigen, die Sie abgewählt haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Natürlich war es notwendig, über diese Maßnahmen
hinaus die Ausgabensteigerungen zu begrenzen. Hören
Sie bitte genau hin: Es geht um die Begrenzung der
Ausgabensteigerungen; denn die Budgets dienen nicht
der Gegenfinanzierung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Eine Milliarde weniger ist eine Begrenzung der Steigerung? Das ist eine Mathematik!)


Wir haben die Notwendigkeit gesehen, uns den Weg für
die Strukturveränderungen in diesem System, die wir
vorhaben, nicht finanziell zu verbauen.

Es handelt sich bei den Ausgabenbegrenzungen um
außerordentlich differenzierte Lösungen, die genügend
Spielraum für qualitativ hochwertige medizinische Ver-
sorgung der Bevölkerung lassen. Die Dramatik und die
Polemik, mit der die Bundesärztekammer heute ver-
sucht, die Menschen zu verunsichern, wird in erster Li-
nie den Ärztinnen und Ärzten schaden, und das ist sehr
bedauerlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


So haben wir bei der vertragsärztlichen Versorgung eine
Steigerung um die Grundlohnsummenentwicklung, das
sind in 1999 1,2 Milliarden DM mehr als in diesem Jahr.

Besonders zu berücksichtigen war dabei für uns die
Situation in den neuen Ländern, in denen sich die
Grundlohnsummenentwicklung um Null herum bewegt.
Hier schlagen wir einen solidarischen Ausgleich vor, ei-
nen Ausgleich zwischen Ost und West, der 140 Millio-
nen DM transferiert und umverteilt. Bei einer solchen
Regelung – das sage ich Ihnen ganz ehrlich, und das sa-
ge ich Ihnen als Thüringerin – sind mir die Proteste der
Ärzte und Ärztinnen im Osten nur zum Teil verständ-
lich. Sie können nur mit der jahrelangen Verunsicherung
zu tun haben, der sie ausgesetzt waren.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Dennoch hoffe ich, daß es uns gelingt, daß nicht nur

im Bereich der niedergelassenen Ärzte, sondern insge-
samt eine Gleichbehandlung im Gesundheitssystem er-
reicht werden kann. Ich gehe davon aus, daß das mit
diesem Vorschaltgesetz noch nicht geht; das ist völlig
klar und auch nicht zu kritisieren. Wir brauchen gemein-
same Verantwortung in diesem Land. Die Bereitschaft
der Kassenärztlichen Vereinigungen, an diesem Punkt
mitzuarbeiten, zeigt, daß auch sie ganz klar sagen: Zur
inneren Einheit gehört, daß Starke Schwache schützen.

Lassen Sie mich im Zusammenhang mit den bevor-
stehenden und, wenn man sich die letzten Jahre ansieht,
auch zu erwartenden Protesten der Ärzteschaft noch et-
was sagen. Es ist nicht allein so, daß den niedergelasse-
nen Ärzten Zuwächse in dem obengenannten Umfang
zugestanden werden. Es ist auch so, daß wir mit diesem
Gesetz vergangene Budgetüberschreitungen – nicht
leichten Herzens übrigens – von Rückzahlungen frei-

stellen. Wir sagen: Bei Überschreitungen, die es im
nächsten Jahr gibt, gehen die Rückzahlungsverpflich-
tungen nicht über 5 Prozent hinaus. Das ist ein Angebot,
und ich hoffe, das wird auch so verstanden werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Abschluß noch ein paar Worte aus der Sicht der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem, was wir im
nächsten Jahr vorhaben. Ohne an dieser Stelle und heute
den Gesamtkontext beleuchten zu können, liegt mir dar-
an, zwei Dinge anzusprechen, die ich für eine umfassen-
de Strukturreform für wesentlich halte.

Erstens. Vorsorge und Förderung von Gesundheit
muß einen hohen Stellenwert erhalten. Selbsthilfe stärkt
die Patienten. Wenn sie einen aktiven Anteil übernehmen,
sichern sie zugleich die Wirksamkeit medizinischer Lei-
stungen. Das führt nebenbei zu mehr Wirtschaftlichkeit.
Wir wollen nicht nur auf die großen Verbände, die mit
ihren Erfahrungen und Kompetenzen für den anzuge-
henden Reformprozeß unverzichtbar sind, zurückgrei-
fen, sondern auch auf die, die in der Gesundheits- und
Selbsthilfebewegung Erfahrungen gemacht haben. Der
Boom alternativer Heilmethoden und die für die meisten
Patienten große Unübersichtlichkeit in diesem Bereich
zeigen, daß es auch hier ein Bedürfnis gibt, Klarheit für
eine positive und verläßliche Entwicklung zu schaffen.

Zweitens. Patientinnen und Patienten müssen wieder
in den Mittelpunkt gestellt werden. Immer mehr wird
über ihren Kopf hinweg – nach dem Motto: Man weiß
schon, was gut für dich ist – entschieden.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wie Sie es im Moment machen!)


Wir brauchen mehr Transparenz und Kooperation.
Wir brauchen neue Strukturen und eine Beendigung des
Denkens in Sektoren.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach nee!)

Für die von uns angestrebte Reform des Gesund-

heitswesens, die auf Solidarität und Selbstverantwortung
beruht, brauchen wir einen breiten Dialog, der auch jen-
seits von Detailfragen geführt wird. Es ist eine gesell-
schaftliche Diskussion über die Frage zu führen, wie wir
die Zukunft des Gesundheitswesens gestalten wollen,
vor dem Hintergrund der demographischen Entwick-
lung, vor dem Hintergrund immer neuer umweltbeding-
ter Erkrankungen, vor dem Hintergrund immer neuer
medizinischer Möglichkeiten und vor dem Hintergrund
eines wachsenden Interesses der Bürgerinnen und Bür-
ger, Gesundheitsvorsorge zu betreiben. Zu einer solchen
Diskussion wollen wir einladen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Erst die Leute vors Schienbein treten und dann zu Diskussionen einladen!)


Wir wollen sie bald führen und nicht über die Köpfe der
Betroffenen auf allen Seiten hinweg.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Katrin Göring-Eckardt

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 913


(A) (C)



(B) (D)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401414700
Frau Kollegin Gö-
ring-Eckardt, das war Ihre erste Rede in diesem Hause.
Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen beglückwün-
sche ich Sie recht herzlich dazu.


(Beifall)

Nunmehr erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr.

Dieter Thomae, F.D.P.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1401414800
Frau Präsidentin! Mei-
ne sehr geehrten Damen und Herren! In Ihren eigenen
Reihen wird von schweren handwerklichen Fehlern ge-
sprochen. Ich kann das nur bestätigen: Es war ein Chaos.


(Beifall bei der F.D.P.)

Warum eigentlich? Die neue Bundesregierung über-

nimmt eine gesetzliche Krankenversicherung, die kern-
gesund ist.


(Widerspruch bei der SPD – Regina SchmidtZadel [SPD]: Und die Patienten sind krank!)


Die Defizite der letzten Jahre sind auf Grund von Maß-
nahmen, die die alte Koalition getroffen hat, abgebaut
worden. Für 1998 rechnen die Krankenkassen mit einem
Überschuß von mehr als 2 Milliarden DM.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Und 20 Milliarden haben die Patienten bezahlt!)


Auch die Situation der Krankenkassen in den neuen
Bundesländern ist durch die einheitliche Anwendung
des Risikostrukturausgleiches Ost und West deutlich
besser geworden.

Also, meine Damen und Herren: Die alte Bundesre-
gierung übergibt Ihnen eine gesunde Krankenversiche-
rung.


(Beifall bei der F.D.P. – Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Das haben die Wähler entschieden!)


Aber was machen Sie? Sie kommen mit unausgegorenen
Maßnahmen und wollen diese heute beschließen. Das
bringt in meinen Augen die finanzielle Stabilität der ge-
setzlichen Krankenversicherung in große Gefahr. Die
Auswirkungen werden zwar wegen des mitgegebenen
Polsters nicht so schnell eintreten, aber sie werden
kommen.

Die Gegenfinanzierung der Wahlgeschenke ist trotz
aller Beteuerungen schlichtweg nicht gesichert. Ich ver-
weise nur auf folgende Punkte, die Ihnen noch große
Probleme bringen werden: die Gesetzesregelungen zu
den 620-Mark-Jobs, die zusätzlichen Investitionen für
die Krankenhäuser, die Sie zugesagt haben, und der Be-
reich Psychotherapie. Mit diesen Schritten werden Sie –
intern wissen Sie das genau – finanziell in erhebliche
Schwierigkeiten kommen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. HansJoachim Fuchtel [CDU/CSU])


Das wird die Beitragssätze massiv beeinflussen.

In Gefahr geraten werden nicht nur die Finanzen,
sondern auch Versorgungssicherheit und Versorgungs-
qualität. Sie wenden ein altes Prinzip an, das im Grunde
genommen in die Müllkiste gehört: die sektorale Bud-
getierung. Ich gebe zu, auch wir haben – mit Ihrer Zu-
stimmung – von 1992 bis 1995 sektorale Budgets ge-
habt. Aber damals war die Situation völlig anders. Es
gab noch mehr Wirtschaftlichkeitsreserven in diesem
Bereich, die heute einfach nicht mehr vorhanden sind.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Die habt ihr verspielt!)


Sie begehen einen weiteren entscheidenden Fehler:
Sie wissen, daß sektorale Budgetierung jede Verzahnung
unmöglich macht. Es besteht keine Möglichkeit, die ein-
zelnen sektoralen Budgets zu verknüpfen. Das ist der
entscheidende Fehler.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Das ist unsere Erblast!)


– Das fällt Ihnen sehr schwer, ich weiß es. Da muß man
sehr kreativ sein. Sie aber gehen über alles mit der Hek-
kenschere drüber. Das ist der Fehler. Sie müssen jetzt
Filigranarbeit leisten.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist verdammt schwer!)


Sie müssen die Verzahnung von ambulant und stationär
schaffen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Schaffen wir! – Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Da können Sie mitmachen!)


Sie müssen Gedanken und Konzepte entwickeln, wie
Operationssäle und Großgeräte gemeinsam genutzt wer-
den können.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Haben wir!)

– Das haben Sie nicht. – Sie müssen Konzepte zur bes-
seren Verzahnung von Akut- und Rehabilitationsbereich
entwickeln. Und schließlich müssen Sie sich Gedanken
darüber machen, wie die Pflege besser eingebunden
werden kann.

Diese Punkte muß eine zukunftsgewandte Gesund-
heitspolitik berücksichtigen.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Was Sie bisher nicht geschafft haben!)


Ihr verdammtes altes Prinzip der sektoralen Budgetie-
rung, was alle neuen Strukturen behindert, die Verzah-
nung unmöglich macht und die Patientenversorgung er-
heblich schwächt, ist dazu nicht geeignet. Da muß man
Sie packen, das ist Ihr großer Fehler bei diesem Vor-
schaltgesetz.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU – Detlef Parr [F.D.P.]: Keine neuen Ideen!)


Sie sind nicht zukunftsgewandt, sondern haben Instru-
mente aus den 70er Jahren aus der Mottenkiste heraus-
geholt.

914 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Hinzu kommt ein ganz wesentlicher Aspekt: Die Pa-
tienten werden die Leidtragenden sein. Beispiel Arz-
neimittelbudget: Wir können gar nicht das Chaos schil-
dern, das im Ausschuß bei der Festsetzung des Arznei-
mittelbudgets geherrscht hat. Ich könnte Ihnen aufzei-
gen, welche Änderungen im Ausschuß eingebracht wor-
den sind. Aber ich will es dabei belassen, zu sagen, daß
das Arzneimittelbudget fünfmal korrigiert wurde. Und
jetzt höre ich, auch das werde von Ihnen innerparteilich
nicht akzeptiert. Man spricht schon davon, Änderungs-
anträge einzubringen.

Nehmen wir an, Sie wollten wirklich 1 Milliarde DM
einsparen. Sie, Herr Schmidbauer, schlagen vor: Schau-
en Sie sich diese KV, schauen Sie sich jene KV an; da
und dort geht es viel besser. – Aber aus Ihren Reden aus
der Vergangenheit weiß ich, daß Sie immer dafür plä-
diert haben, die örtlichen Gegebenheiten zu berücksich-
tigen, auch beim Arzneimittelbudget. Dazu gehört für
mich, daß Sie entscheiden müssen: Wie stark ist die sta-
tionäre Versorgung, und wie stark ist die ambulante
Versorgung in der Region? Was wird durch die ambu-
lante Versorgung ersetzt, und wo und wie wird die sta-
tionäre Versorgung gemindert? Es gibt in den Ländern
erhebliche Unterschiede in der stationären Versorgung.
In manchen Ländern ist sie erheblich geringer als in an-
deren, dafür wird dann aber die ambulante Versorgung
ausgeweitet.


(Zuruf des Abg. Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD])


– Schauen Sie sich die Daten genau an, Herr Schmid-
bauer, und vergleichen Sie beispielsweise die Daten von
Niedersachsen und Hessen. Dabei werden Sie genau
dieses Prinzip sehen.

Es dürfen keine Heckenschnitte durch das Arznei-
mittelbudget gemacht werden. Vielmehr müssen Sie mit
Richtgrößen arbeiten. Dann können Sie dem Patienten-
willen und auch der Arzneimittelversorgung in diesem
Lande entgegenkommen. Sie machen es sich mit Ihren
Methoden des Arzneimittelbudgets zu einfach.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ähnlich ist es in anderen Bereichen. Sie nehmen in
den unterschiedlichen Sektoren ganz verschiedene Daten
als Basis. Man fragt sich, warum. Warum gehen Sie im
ärztlichen Bereich, im zahnärztlichen Bereich und im
Krankenhausbereich völlig verschiedene Wege? Im
Krankenhausbereich erweitern Sie sogar noch das Vo-
lumen, obwohl Sie selber sagen: Wir müssen den am-
bulanten Bereich nennenswert ausbauen, weil er der
günstigere Bereich ist, die Leistungen also günstiger an-
bietet. Was machen Sie jetzt? Sie erweitern den Kran-
kenhausbereich.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Keine Heckenschere!)


Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Steht da-
hinter etwa die langfristige Politik, die Freiberuflichkeit
in diesem Lande zurückzufahren und mehr Leistungen

ins Krankenhaus zu verlagern? Darauf müssen wir ach-
ten. Schauen Sie sich die Fakten genau an.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das ist Unsinn!)


– Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Ich
scheine Sie an der richtigen Stelle getroffen zu haben.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wir wollen keine Klientel!)


Letzter Punkt. Sie haben ja viele Wahlversprechen
abgegeben.


(Zuruf von der SPD: Und eingehalten!)

Sie haben vielen Patienten versprochen: Wir führen alles
zurück. Sie haben die Zuzahlungen weitgehend beibe-
halten. Sie haben die chronisch Kranken im ersten
Schritt vielleicht entlastet. Im zweiten Schritt werden die
chronisch Kranken erkennen, daß sie eben nicht entlastet
werden, daß sie in der therapeutischen Behandlung eben
nicht mehr die gleichen Chancen wie bisher haben, bei
Krebs, bei Diabetes, bei Alzheimer und bei Multipler
Sklerose mit hochinnovativen Produkten behandelt zu
werden. Wir werden hierbei Rationierungseffekte haben,
genau wie es im Krankenhausbereich Wartelisten geben
wird. Dafür müssen Sie die Verantwortung übernehmen.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Im Kur- und Rehabilitationsbereich, zu dem Sie
eine Kampagne geführt haben, in der Sie den Wählern
viele Versprechen gegeben haben, haben Sie mit keinem
Schritt etwas geändert.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Kommt alles!)

Sie haben gesagt: Wenn wir die Verantwortung über-
nehmen, werden wir in diesem Bereich sofort Verände-
rungen herbeiführen. Nichts haben Sie getan! Sie haben
die Zuzahlungen nicht geändert; Sie haben die Drei-
Wochen-Frist nicht geändert; Sie haben auch die Inter-
valle nicht geändert.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wenn Sie diese Versprechen abgeben und heute sagen,
Sie bräuchten das Vorschaltgesetz, um diese Verspre-
chen einzulösen, dann haben Sie einen ganz großen Be-
reich nicht berücksichtigt. Ich bezeichne dies als Wäh-
lerbetrug.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. HansJoachim Fuchtel [CDU/CSU])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401414900
Herr Kollege Tho-
mae, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Wodarg?


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1401415000
Nein.
Wenn Sie behaupten, das Vorschaltgesetz würde un-

ser Gesundheitswesen in die Zukunft führen, dann kann
ich Ihnen nur sagen: Dieses Vorschaltgesetz wird rück-

Dr. Dieter Thomae

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 915


(A) (C)



(B) (D)


wärts gewandt sein. Sie werden den Mut nicht aufbrin-
gen, Zukunftsperspektiven im Gesundheitssystem so
aufzubauen, daß es nicht in Planwirtschaft geführt wird,
sondern im Wettbewerb der freiheitlichen Niederlassung
und der freiheitlichen Angebote.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Kommt alles!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401415100
Ich erteile jetzt das
Wort der Abgeordneten Dr. Ruth Fuchs, PDS.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1401415200
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Lieber Kollege Thomae, ich finde
es schon ein bißchen eigenartig, daß Sie die Koalition
dahin gehend mahnen, Dinge nicht zurückgenommen zu
haben, die Sie als absolute Voraussetzung dafür gesehen
haben, daß die gesetzliche Krankenversicherung über-
haupt funktionieren kann. Das finde ich nicht fair.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die haben sie aber versprochen!)


Auf der anderen Seite sage ich: Man kann es wirklich
nicht verstecken, daß die Regierung inzwischen – wie
auch die bisherigen Debatten in diesem Hohen Hause
und vor allen Dingen auch in den Ausschüssen gezeigt
haben – erste Federn gelassen hat. Ihr momentanes Er-
scheinungsbild ist, gelinde gesagt, schon ziemlich ram-
poniert. Was allerdings die Rücknahme eines nicht un-
wesentlichen Teils der sozialen Ungerechtigkeiten der
Vorgängerkoalition betrifft, so hat diese Regierung Wort
gehalten, und das verdient trotz des kritisch Gesagten
erst einmal Respekt und Anerkennung.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Kontext stehen für uns auch jene Maßnah-
men des Solidaritätsstärkungsgesetzes für das Ge-
sundheitswesen, die Sozialabbau zurücknehmen und
die den Grundsätzen einer solidarischen Krankenversi-
cherung wieder stärkere Geltung verschaffen. Dies be-
grüßen wir ausdrücklich. Ein Gesundheitswesen darf
niemals primär wirtschaftlichen Interessen und individu-
eller Zahlungsfähigkeit unterworfen werden, sondern
muß sozialer Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit ver-
pflichtet bleiben.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: So sollte es sein!)

Eine Individualisierung und Privatisierung sozialer Risi-
ken nimmt, wie wir wissen, gerade auch im gesundheit-
lichen Bereich sehr schnell inhumane Züge an.

Es ist somit schon ein Verdienst der neuen Koalition,
daß sie bemüht ist, den durch die Vorgängerregierung in
diesem Zusammenhang eingeleiteten Paradigmenwech-
sel so rasch wie möglich wieder rückgängig zu machen.
Hierin sehen wir das wichtigste gesellschafts- und sozi-
alpolitische Signal, welches von diesem Gesetz ausgeht
und das von niemandem zerredet werden sollte.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)


Die Chance vom Politikwechsel hin zu einem am
Patientenbedarf orientierten und überall gleichermaßen
leistungsfähigen Gesundheitswesen steht und fällt be-
kanntlich mit der Fähigkeit der gesetzlichen Kranken-
versicherung zu einem funktionierenden Solidaraus-
gleich, und zwar nicht nur zwischen den Mitgliedern ei-
ner Kasse, sondern auch zwischen den Kassen selbst und
zwischen den strukturstarken und strukturschwachen
Regionen. Moderne Medizin innerhalb eines Landes
verlangt nun einmal einen überall ähnlichen finanziellen
Aufwand, und zwar unabhängig davon, wo die Men-
schen leben. Wer also richtigerweise Belastungen von
den Versicherten wegnimmt und sie wieder dort hin-
stellt, wo sie hingehören, nämlich zu den Kassen, der
muß nicht nur generell für die notwendige Gegenfinan-
zierung sorgen, sondern er muß sie von vornherein und
geradezu mit besonderer Sorgfalt für die Kassen in den
strukturschwachen Regionen absichern, konkret vor al-
lem auch in den ostdeutschen Ländern. Aber genau dies
war im ersten Entwurf so gut wie überhaupt nicht der
Fall. Trotz beachtlicher Nachbesserung ist es aber noch
immer eine zentrale Schwäche dieses Gesetzes.

Ein funktionierendes Gesundheitswesen verlangt be-
kanntlich nicht nur wirtschaftlich gesunde Kassen und
akzeptable Beitragssätze, sondern vor allem auch die
Entwicklung eines entsprechenden Leistungsangebotes
und gesicherter Finanzierungsmöglichkeiten. Hier aber
gibt es, wie wir wissen, noch immer gravierende Unter-
schiede zwischen den alten und den neuen Bundeslän-
dern.

Deshalb war es richtig, daß mit dem vorliegenden
Gesetz die im GKV-Finanzstärkungsgesetz vorgesehene
zeitliche Begrenzung des 1999 erstmalig Ost und West
übergreifenden Risikostrukturausgleiches gestrichen
wurde. Dies ist ohne Frage eine wichtige Hilfe, denn es
stellt die finanziellen Transfers auf eine wesentlich soli-
dere Basis. Aber es wäre unseres Erachtens nur konse-
quent gewesen, auch die gegenwärtig bei 1,2 Milliarden
DM festgeschriebene finanzielle Begrenzung dieses Ri-
sikostrukturausgleichs aufzuheben oder, wenn man dies
schon aus welchen Gründen auch immer nicht macht,
diese Summe zumindest substantiell aufzustocken. Die
jetzt bestehende Limitierung führt bekanntlich dazu, daß
für 1999 die Einkommensunterschiede in Ost und West
eben nur teilweise ausgeglichen werden.

Meine Damen und Herren, jeder weiß, daß hohe
regionale Arbeitslosigkeit die Finanzsituation der
Krankenkassen zusätzlich verschärft. Auch davon sind
die neuen Bundesländer in besonderer Weise betroffen.
Ich möchte deshalb erneut die Frage aufwerfen, inwie-
weit es geboten erscheint, die vor Jahren aus rein fiska-
lischen Gründen erheblich abgesenkten Krankenversi-
cherungsbeiträge, die von der Bundesanstalt für Arbeit
kommen, zumindest in den Ländern, die unter überpro-
portional hoher Arbeitslosigkeit leiden, abhängig von
der tatsächlichen Höhe der Arbeitslosigkeit im Sinne
eines Nachteilausgleiches wieder anzuheben.

Die im Gegensatz zu den Beteuerungen der Regie-
rung auch heute noch bestehenden Unwägbarkeiten bei
der Gegenfinanzierung sowie manche Budgetfestsetzun-
gen, die anfangs offensichtlich ohne jedes Augenmaß

Dr. Dieter Thomae

916 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


erfolgt sind, könnte man auf diese Weise weitgehend
vermeiden.

Meine Damen und Herren, wer Ausgabenbegrenzung
in Form sektoraler Budgets einführt, muß der wirt-
schaftlichen Leistungskraft und der konkreten Versor-
gungssituation in den unterschiedlichen Regionen viel
stärker Rechnung tragen. Die Grundlohnentwicklung im
Osten wird, wie wir wissen, auch im laufenden Jahr im
Minusbereich liegen. Deshalb war es beispielsweise
wichtig, daß wenigstens im parlamentarischen Verfah-
ren die Budgetfestlegung für die ambulante Versorgung
im Osten nicht auf der Grundlage einer nach Ost und
West getrennten Berechnung der Veränderungsrate der
Grundlohnsumme vorgenommen, sondern so modifiziert
wurde, daß die zur Verfügung stehende Summe spürbar
aufgestockt und eine zumindest ähnliche Tendenz wie in
den alten Bundesländern ermöglicht wird.

Allerdings hat diese Verbesserung keine Entspre-
chung bei Heilmittelerbringern, wie Logopäden und an-
deren Gesundheitsberufen, gefunden. Hier gab es bis
1990 intakte Versorgungsstrukturen, die oft eliminiert
wurden, aber hier ist bisher im Gegensatz zum Beispiel
zu den niedergelassenen Ärzten eine vergleichbare
Neuformierung ausgeblieben. Die Aufgabe besteht hier
nicht nur allein darin, die Existenzgrundlagen der Lei-
stungserbringer zu erhalten, sondern überhaupt erst
einmal wieder die Entwicklung einer bedarfsdecken-
den Versorgung zu ermöglichen. Diese Situation ist mit
dem vorliegenden Gesetz völlig verkannt worden. Ich
meine, sie sollte im Rahmen der demnächst vorzube-
reitenden Strukturreform einen besonderen Stellenwert
erhalten.

Sektorale Budgets – diese Erfahrung haben alle ge-
macht – sind kein geeignetes Instrument zur Steuerung
von Gesundheitsaufgaben. Um so unverständlicher ist
es, wenn es mit diesem Gesetz zu einem Rückfall in
längst überwunden geglaubte Zeiten sektoraler Budge-
tierung mit all ihren Ungerechtigkeiten sowie reglemen-
tierenden und Initiative erstickenden Begleiterscheinun-
gen kommt. Auch Sie von der Koalition hatten diese
Meinung einmal. Hier sind wir uns, glaube ich, auch ei-
nig.

Auch deshalb ist abschließend aus unserer Sicht zu
sagen: Das Gesetz ist – trotz dieser von mir erwähnten
Mängel – ein absolut notwendiger Schritt, wenn es im
Jahr 2000 zum – ich betone – großen Wurf einer tief-
greifenden Strukturreform im Gesundheitswesen kom-
men soll. Gleichzeitig macht es nach unserer Auffassung
aber auch grundsätzliche Denkfehler und Versäumnisse
der Koalition deutlich, die die Qualität dieses Gesetzes
erheblich beeinträchtigen. Wir werden uns deshalb der
Stimme enthalten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr weise!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401415300
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt das Wort dem Abgeordneten Dr.
Wolfgang Wodarg, SPD.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1401415400
Leider hat Herr
Thomae eine Frage nicht zugelassen. Deshalb melde ich
mich noch einmal, um auf die deutlichen Widersprüche
hinzuweisen, die er uns hier präsentiert hat. Er hat näm-
lich einerseits darüber geklagt, daß wir die Krankenhäu-
ser nicht mehr ausgebremst hätten, daß wir im ambu-
lanten Bereich so sparen würden und die Budgets so
herunterschrauben würden, aber die Krankenhäuser ver-
schonen würden. Andererseits hat er hinterher gesagt,
daß es dann, wenn wir die Krankenhäuser mehr an die
Kandare genommen hätten, zu Wartelisten gekommen
wäre. Sie scheinen offenbar selber nicht zu wissen, was
Sie wollen. Ich glaube, wir können froh sein, daß Sie
jetzt aus der Verantwortung für dieses schwierige Gebiet
entlassen worden sind.

Außerdem haben Sie gesagt: Teure Medikamente sei-
en dann für chronisch Kranke nicht mehr bezahlbar.
Man würde mit dem Budget nicht auskommen. Herr
Thomae, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß wir jah-
relang versucht haben, mit Ihnen zu einer Lösung zu
kommen, bei der die Qualitätssicherung im Vordergrund
gestanden hätte, und daß wir die Positivliste eingefordert
haben, damit genau die Medikamente bezahlbar bleiben,
die wirklich erforderlich sind, und damit wir den Stall
ausmisten, der bei uns in Deutschland bei der Arznei-
mittelverordnung zum Himmel stinkt. Das ist so, weil
wir eben kaum Qualitätssicherung in der Medizin haben.
Ich weiß, wovon ich rede.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Als Amtsarzt wissen Sie das!)


Dann haben Sie gelobt, daß natürlich Sie dafür ge-
sorgt haben, daß es den Krankenkassen jetzt so gutgeht.
Herr Thomae, Sie scheinen zu vergessen, daß wir nicht
dafür da sind, daß es den Krankenkassen gutgeht; viel-
mehr sind wir dafür da, daß es den Kranken gutgeht. Die
haben Sie in der Tat ausgeplündert; denn die Kranken –
also diejenigen, die Medikamente und Hilfe brauchen –
waren es, die dafür gesorgt haben, daß die Kassen der
Krankenkassen so voll sind. Diesen Zusammenhang
muß man doch einmal sehen. Das Geld, das die Kran-
kenkassen jetzt als Polster haben, haben die Schwäch-
sten in unserer Gesellschaft gezahlt. Das haben Sie ver-
anlaßt. Das Geld ist über die Zuzahlung hereingekom-
men. Wir versuchen jetzt, das zu korrigieren, was Sie
verbockt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar nicht!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401415500
Herr Kollege Dr.
Thomae, bitte.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1401415600
Sehr geehrter Herr
Wodarg, Sie wissen genau, wenn Sie eine Positivliste
formulieren, so bedeutet dies nicht, daß Sie Kosten ein-
sparen – das behaupten Sie immer wieder, Sie scheinen
sich nicht mit dieser Thematik beschäftigt zu haben –,
sondern in den Ländern, in denen es eine Positivliste
gibt, ist der Arzneimittelverbrauch bezogen auf die deut-

Dr. Ruth Fuchs

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 917


(A) (C)



(B) (D)


sche Bevölkerung mindestens so hoch wie in den Län-
dern, wo es keine gibt.

Dann müssen Sie auch klipp und klar sagen, wie Sie
es bei dieser Frage mit den Naturheilmitteln halten,
wenn Sie eine Positivliste haben. Da fällt es Ihnen aus-
gesprochen schwer, denn in dem Entwurf, der mit Ihnen
erarbeitet wurde, waren die Naturheilmittel so gut wie
nicht vertreten. Das sagen Sie bitte dem deutschen Bür-
ger. Wie halten Sie es mit der Therapiefreiheit in
Deutschland? Wenn Sie die Positivliste auf diesen Weg
bringen, wird die Therapiefreiheit eingeschränkt. Diese
Punkte müssen Sie bei Ihrer Frage genau berücksichti-
gen.

Sie haben auch einen weiteren Punkt angesprochen,
sehr geehrter Herr Wodarg: Ich rate Ihnen, bevor Sie
über die Thematik Arzneimittel, chronisch Kranke und
Arzneimittelbudget reden, schauen Sie sich einmal ge-
nau an: Wir haben in den letzten Jahren eine Stabilität
bei den Ausgaben im Arzneimittelbereich. Wir haben
eine Basis von 92/93. Diese Basis wird jetzt noch einmal
abgesenkt. Von daher vermute ich in der Tat, daß bei
chronisch Kranken, weil ein Arzneimittelbudget mit Re-
greß besteht, innovative Arzneimittel nicht mehr so ver-
schrieben werden wie es medizinisch notwendig ist.


(Lachen des Abg. Dr. R. Werner Schuster [SPD])


– Ihnen fällt es schwer, dies zu verstehen, aber die Fak-
ten sprechen dafür. Vor allen Dingen im Bereich der
neuen Bundesländer wird dies ein entscheidendes The-
ma sein, weil dort die Arzneimittelbudgets niedrig ange-
ordnet sind.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401415700
Nächste Rednerin ist
jetzt die Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch, SPD.


Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1401415800
Verehrte Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Thomae,
was Sie gerade gemacht haben, ist unverantwortlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben uns aufgezeigt, daß wir am Ende dieses Jahres
einen Überschuß von 2 Milliarden DM in der Kranken-
versicherung haben und wir damit sorgsam umzugehen
haben. Das sind nicht Gelder der Krankenversicherung,
das sind Beiträge von Versicherten, und das sind Gelder
von denen, die als Kranke Zuzahlungen geleistet haben.
Diese 2 Milliarden DM können eine hervorragende Ge-
sundheitsversorgung garantieren. Sie befinden sich nicht
in guter Gesellschaft, wenn Sie glauben, Sie müßten sich
mit Dr. Villmar zusammentun und den Teufel an die
Wand malen und kranke Menschen in diesem Land ver-
unsichern, wohl wissend, daß ein Überschuß von 2 Mil-
liarden DM vorhanden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist der eine Punkt.

Der nächste Punkt, Herr Dr. Thomae. Sie haben mit
all den Aufgaben, die wir haben werden – Verzahnun-
gen, Krankenhausbereich –, recht. Ich frage Sie nur:
Warum sind Sie diese Problemlagen nicht in den letzten
16 Jahren angegangen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Haben wir doch in den Strukturverträgen, die Sie wieder kaputtmachen!)


Da sind Sie doch einfach hängengeblieben, und Sie ha-
ben sich darauf versteift, Klientelpolitik zu machen. Was
wir jetzt machen, ist nichts anderes, als daß wir Patien-
tinnen und Patienten entlasten, daß wir für eine Bei-
tragsstabilität sorgen, damit wir in dem Jahr 1999 die
Grundlagen dafür schaffen können, daß wir all die Auf-
gaben, die Sie benannt haben, gemeinsam angehen, um
das Gesundheitssystem in der Bundesrepublik zu stabili-
sieren.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Warum jammern die Kassen dann, daß die Gegenfinanzierung nicht steht?)


– Wir haben eine Gegenfinanzierung aus dem 620-DM-
Gesetz.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

– Das mag Ihnen nicht gefallen, aber ich finde es solida-
risch und gerecht, wenn ein Versicherungsbeitrag erho-
ben wird, dem auch eine volle gesundheitliche Leistung
der Krankenversicherung entgegensteht. Da habe ich
kein Problem.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es muß nicht sein, daß nichts in die Krankenkassen ge-
zahlt wird.

Der nächste Punkt, den wir haben. Sie haben vorhin
beklagt – da müssen sich die Damen und Herren von der
Opposition einigen –, daß das, was wir an Zuzahlung
zurückgenommen haben, nicht genug ist. Gleichzeitig
hat der erste Redner der CDU/CSU-Fraktion gesagt, er
hätte gerne die Zuzahlung. Sie müssen sich schon ein-
mal einigen: entweder Zuzahlung oder keine Zuzahlung.
Wenn wir die Zuzahlungen zurückführen, – –


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie wollen sie doch abschaffen!)


– Wir haben gesagt, wir werden chronisch Kranke entla-
sten. Wir haben nie etwas von Abschaffung gesagt. Wir
werden seriös mit dem Finanzsystem umgehen, weil wir
nur das schrittweise zurücknehmen können, was wir
auch finanzieren können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit werden wir dafür sorgen, daß Kranke bei uns
vernünftig und ordentlich behandelt werden können und
daß sich ihre Finanzsituation bessert. Das tut sie sehr
deutlich. Ich weiß, daß es Kritikpunkte gibt; aber da ma-
chen Sie meiner Meinung nach einen Denkfehler. See-
hofers Gesetz sah nämlich erst einmal 2 Prozent Zuzah-

Dr. Dieter Thomae

918 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


lung vor. Wir haben sie auf 1 Prozent für ein Jahr hal-
biert; danach entfällt sie. Sie sind letztendlich bei 1 Pro-
zent stehengeblieben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Natürlich! Na klar!)


Aber wir sollten hier neben den Kosten auch über die
reden, um die es geht: die kranken Menschen, diejeni-
gen, die mittlerweile, letztendlich auf Grund Ihrer Poli-
tik, 20 Milliarden DM Zuzahlungen leisten müssen, zu-
sätzlich zu ihren Versicherungsbeiträgen, die gewiß
nicht niedrig sind, aber für die sie auch eine gute Lei-
stung bekommen. Wir werden mit unserem Solidaritäts-
stärkungsgesetz zur Verbesserung ihrer Lage beitragen.
Wir werden auf der anderen Seite auch die berücksichti-
gen, die in diesem System arbeiten: die Ärzte. So wer-
den sich die Einnahmen der Ärzte im Jahre 1999 gegen-
über dem Jahr 1997 bundesweit voraussichtlich um
1,2 Milliarden DM erhöhen.

Mein Kollege Schmidbauer hat schon gesagt, wie wir
das Budget im Psychotherapeutengesetz ausgestalten.
Daß dies nun geschehen muß, haben Sie uns einge-
brockt. Sie hatten nicht den Mut und die Kraft, ein Bud-
get bereitzustellen, das dafür sorgt, daß man diese Lei-
stung tatsächlich den Versicherten zugute kommen las-
sen kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Warten Sie es ab!)


Was die innovativen Strukturverträge betrifft, kann
die Gesamtvergütung der Ärzte noch einmal um 0,6 vom
Hundert erhöht werden. Die Koalition wird im übrigen
dafür Sorge tragen, daß das Budget der Ärzte so gestal-
tet wird, wie im Gesundheitsgesetzentwurf vorgesehen.
Sie sehen: Die medizinisch notwendige Versorgung
wird mit einem ausreichenden Budget versehen; das ist
auch bei anderen Leistungen so.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das sehen viele anders!)


Durch die Rücknahme einer Änderung durch das
2. GKV-Neuordnungsgesetz haben wir die zahnmedizi-
nische Versorgung dahin zurückgeführt, wo sie hinge-
hört. Da müssen Sie sich vorhalten lassen, daß Sie Ver-
antwortung dafür tragen, daß es Umsatzrückgänge bis zu
37 Prozent gegeben hat, weil Patientinnen und Patienten
verunsichert waren


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Von wem wurden Sie verunsichert? – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Von wem denn?)


und weil sie zum Teil auch einfach nicht die Mehrkosten
tragen konnten. Zu was hat das letztlich geführt? Es
hat dazu geführt, daß Zahnarztpraxen geschlossen wur-
den und Zahntechniker in den Ruin getrieben wurden.
Wir werden jetzt dafür sorgen, daß die Patienten den
notwendigen Zahnersatz erhalten und daß die Kranken-
kassen wieder dafür Sorge tragen, daß es bei all dem
immer im Sinne der Patienten läuft, zum einen was den

Kostenbereich, aber auch was die Qualitätsfrage anbe-
langt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Dafür prozentuale Zuzahlung!)


Aber Sie haben nicht nur Leistungen gekürzt. Sie ha-
ben sie bei Jugendlichen gänzlich gestrichen. Auch das
werden wir in diesem Gesetz korrigieren.

Die Elemente, die mit Absicht von seinen Schöpfern
in das Sozialgesetzbuch hineingeschrieben wurden,
nämlich Solidarität der Versicherten und ihre Stärkung,
sind von Ihnen verändert worden. Sie haben PKV-
Elemente in das Gesetz eingetragen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]:Das war aber sehr vernünftig!)


Sie haben einen Weg eingeleitet, nach dem Medizin
nach Kassenlage des einzelnen Patienten verabreicht
werden sollte. Sie haben das heute wieder mit Ihrer For-
derung nach einer Grundversorgung bekräftigt; alles an-
dere kann sich dann derjenige kaufen, der es sich leisten
kann.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer hat denn das gefordert? – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wer war denn das?)


Ein solches Gesundheitssystem ist mit uns nicht zu ma-
chen. Dafür haben Sie die Quittung bekommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Wir werden diese PKV-Elemente in diesem Vorschalt-
gesetz zurücknehmen.

Jetzt noch ein paar Worte zum Beratungsverfahren.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Oh!)


Ich möchte Ihnen auch hier dafür danken, daß Sie sich
im Gesundheitsausschuß, auch wenn Sie jetzt so hä-
misch dazwischenrufen, Herr Dr. Thomae, sehr koope-
rativ gezeigt haben.

Ich möchte auch etwas zu der gebotenen Eile sagen,
mit der wir an die Dinge herangegangen sind. Sie wa-
ren doch so perfide, ein Gesetz zu verabschieden, des-
sen Auswirkungen auf die Krankenversicherten erst
am 1. Januar 1999 zum Tragen kommen, damit Ihnen
das bei der Bundestagswahl nicht die Petersilie ver-
hagelte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hat uns letztendlich zu dieser Eile gezwungen, da
wir zum Beispiel verhindern wollten, daß ab 1. Januar
1999 Kranke je Behandlung bei Psychologen 10 DM
zuzahlen müssen, daß weitere Zuzahlungen automatisch
mit den Einkommen erhöht werden; das alles sollte am
1. Januar in Kraft treten. Denn Sie haben natürlich kal-
kuliert, daß, wenn das am 1. Januar in Kraft getreten wä-
re, die Leute gesagt hätten: Guckt mal, was die Sozis

Gudrun Schaich-Walch

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 919


(A) (C)



(B) (D)


und die Grünen da gemacht haben! Aber so lassen wir
Sie nicht aus der Sache heraus. Deshalb beeilen wir uns.
Deshalb haben wir Streß gehabt. Ich danke Ihnen für Ihr
Verhalten, das Sie im Ausschuß gezeigt haben. Ich bin
froh darüber, daß wir dieses Gesetz, das wir jetzt haben,
verabschieden werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der F.D.P.: Sie sollten die Koalition nicht so schonen!)


Ich möchte noch einen Beitrag dazu leisten. Während
des Beratungsverfahrens sind natürlich auch Verände-
rungswünsche an uns herangetragen worden, unter ande-
rem der Wunsch, das eine oder andere noch ergänzend
mit aufzunehmen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401415900
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Aribert
Wolf?


Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1401416000
Nein, das wurde
vorhin bei meinem Kollegen auch nicht gestattet. Das
werde ich jetzt auch so handhaben.

Wir haben die Veränderungswünsche, die an uns her-
angetragen worden sind, diskutiert. Wir haben entschie-
den, daß wir diese Veränderungswünsche zurückstellen
müssen, auch im Bereich von Rehabilitation, auch das
Gesundheitsstrukturgesetz, weil wir das, was wir jetzt
gemacht hätten, damit absolut überfordern würden. Au-
ßerdem handelt es sich bei dem Thema Rehabilitation
um eine Problemlage, die weitaus größer ist als die der
Zuzahlung von 25 DM auf 17 DM.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Was haben Sie im Wahlkampf versprochen?)


Wir haben erste Maßnahmen im Bereich der Rehabi-
litation eingeleitet. Wir haben nämlich die Streichung
von Urlaub wieder rückgängig gemacht. Wir werden
gemeinsam mit Vertretern aus dem Bereich der Renten-
versicherung darüber diskutieren, daß wir für die Reha-
bilitation Rahmenbedingungen schaffen. Dort entschei-
den wir uns nach Qualität.

Wenn Sie glauben, daß wir jetzt innerhalb von zwei
Wochen im Kur- und Rehabereich das reparieren kön-
nen, was Sie mit Ihrer rabiaten Kürzung in Schutt
und Asche gelegt haben, dann machen Sie den Bür-
gern etwas vor. Ihnen vorzumachen, daß man mit der
Absenkung der Zuzahlungen Kliniken, die vor der
Schließung stehen, noch retten kann, auf diesen Weg
bringen Sie uns nicht. Wir werden das Thema ver-
antwortungsbewußt angehen, nach dem, was wir benö-
tigen, und die Qualität im Bereich der Rehabilitation
stärken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

So, wir haben im Wahlkampf sehr viel versprochen.

Da haben Sie recht. Wir haben uns auch mit Eile an
die Umsetzung der Versprechen herangemacht. Wir
werden diese Versprechen schrittweise umsetzen; denn

wir garantieren Ihnen: Wir regieren sicher länger als vier
Jahre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401416100
Das Wort hat jetzt
der Abgeordnete Wolfgang Zöller, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1401416200
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die
letzten Tage Diskussionen mit Rotgrün führt, dann hört
man immer, Sie hätten ein Problem, das Gesetz sei so
schnell gestrickt worden. Ich glaube, es geht nicht um
das Problem, daß Sie zu schnell gestrickt haben. Das
Problem liegt darin: Sie wußten nicht, ob Sie einen Pull-
over oder eine Hose stricken wollten. Zum Schluß kam
eine langärmelige Unterhose heraus, wenn ich mir das
Ding hier genau anschaue.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, im wesent-
lichen führen Sie doch zwei Gründe an, warum ein Vor-
schaltgesetz notwendig ist. Erstens: Beitragssatzstabili-
tät. Dies bräuchten Sie zur Vorbereitung einer Struktur-
reform. Aber die Ausgabenentwicklung 1997 plus
1,1 Milliarden DM und 1998 plus 2 Milliarden DM wi-
derspricht ja gerade dem, was Sie vorhaben. Auf Grund
dieser Zahlen brauchen Sie kein Vorschaltgesetz.

Frau Kollegin Schaich-Walch, Sie sagen, wir seien
die Probleme nicht angegangen. Wir haben sie sogar
gelöst! Schauen Sie sich doch einmal die Beitragsent-
wicklungen der letzten fünf, sechs Jahre an: stabile Bei-
träge. Schauen Sie sich die Kassenlage der gesetzlichen
Krankenversicherungen an: Überschüsse. Da sagen Sie,
die Aufgaben sind nicht gelöst worden? Dann müssen
Sie sich einmal die Ergebnisse anschauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der SPD: Zuzahlungen!)


Alle Fachleute sind sich da mit uns einig. Aus diesem
Grund allein ist das Vorschaltgesetz nicht notwendig.

Das zweite, was Sie ansprechen, ist die soziale Ge-
rechtigkeit. Sie prangern insbesondere die Zuzahlungs-
erhöhung von 5 DM als unsozial an. Sie können mir ab-
nehmen, daß uns diese Zuzahlungserhöhung bestimmt
nicht leichtgefallen ist.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401416300
Herr Kollege Zöller,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Sei-
fert?


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1401416400
Ich habe keine Angst
vor Zwischenfragen.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1401416500
Herr Kollege Zöller, Sie spra-
chen davon, daß Sie während Ihrer Regierungszeit Bei-
tragsstabilität gewährleistet hätten.

Gudrun Schaich-Walch

920 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Wollen Sie nicht zugeben, daß die Erhöhung der Zu-
zahlung auch eine Erhöhung der Beiträge ist, und zwar
ausschließlich von den Kranken bezahlt?


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1401416600
Selbstverständlich.
Wenn Sie sich noch zwei Minuten gedulden, dann werde
ich Ihnen das vorrechnen und begründen. Einverstanden?


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Aber eine Erhöhung der Beiträge ist es doch?!)


– Ja, selbstverständlich.

(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Ich will einfach darauf hinweisen, daß Sie auch das berücksichtigen sollten)


– Ich stehe dazu und werde das gleich auch mit Zahlen
belegen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das ist ja wunderbar!)

Kommen wir zu der sozialen Ungerechtigkeit, die Sie

uns vorhalten. Ich glaube, eines müssen Sie uns einge-
stehen: Diese Zuzahlungen haben dazu geführt, daß
durch sie die Beitragssatzstabilität gewährleistet und daß
– das ist für mich viel wichtiger – die Versorgungssi-
cherheit auf hohem Niveau über das ganze Jahr sicher-
gestellt wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.])


Weil Sie, Herr Schmidbauer, gerade so lachen muß ich
an diesem Punkt sagen – Entschuldigung, fast hätte ich
etwas anderes gesagt –, Sie haben doch die Leute verun-
sichert, indem Sie gesagt haben: Das wird unsozial, die
Versicherten müssen alles bezahlen. Ich zitiere Sie
wortwörtlich: „einseitig gewaltig verschoben“.

Mit Zahlen kenne ich mich ein bißchen aus. Mit Ihrer
Zustimmung, auch mit der des Herrn Kollegen Dreßler,
lag die Zuzahlung für die Versicherten früher bei 51,9
Prozent. Diese Zuzahlung ist jetzt um 1,1 Prozent ver-
ändert worden. Und Sie sprechen jetzt von „einseitig“
und „gewaltig“. Es tut mir leid, sagen zu müssen: Sie
verunsichern die Leute mit unwahren Zahlen. Ich sage
noch einmal: Eine ganzjährige Versorgungssicherheit ist
mir diese erhöhte Zuzahlung wert.

Weiter stellt sich für mich die Frage, was ist ge-
rechte – –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401416700
Apropos Frage, Herr
Kollege. Der Kollege Dreßler möchte ebenfalls eine
Zwischenfrage stellen.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1401416800
Aber Sie halten bitte
die Uhr an! Sie läuft nämlich weiter.


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1401416900
Herr Kollege Zöller, nach-
dem sie gerade dem Hohen Hause die Unterschiede in
der Zuzahlungsarithmetik zwischen Ihrer Politik und der
Politik, die wir als sozialdemokratische Fraktion mitge-
tragen hätten, erläutert haben, frage ich Sie: Wie be-
werten Sie die Äußerung des ehemaligen Bundesge-
sundheitsministers Seehofer auf dem Deutschen Ärzte-

tag in Eisenach im Jahre 1997, daß sich die Beitragsre-
lation von 50:50 zwischen Arbeitern Angestellten hier
und Unternehmen dort auf zwei Drittel zu einem Drittel
zu Lasten der Arbeitnehmer verändert habe?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1401417000
Ich kann Ihnen sa-
gen: Die Zahlen, die ich Ihnen vorgetragen habe, bezie-
hen sich auf die 5 DM Zuzahlungserhöhung. Meine
Zahlen stimmen. Ich bin gerne bereit, das mit Ihnen im
Privatissimum nachzurechnen. Herr Kollege Dreßler,
das ist doch ganz einfach: Bisher hatten wir eine Zu-
zahlung von 9 Milliarden DM. Dann kamen die 5 DM
dazu. Mit diesen 5 DM – vorher waren es 51,9 Prozent –
sind es 53 Prozent.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


An diesen Zahlen ist nichts zu ändern.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Die Rechnung will ich sehen!)

– Ich bin gern bereit, in der nächsten Sitzung des Ge-
sundheitsausschusses Ihnen diese Rechnung vorzulegen.


(Abg. Dreßler meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401417100
Bitte, Herr
Kollege Dreßler.


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1401417200
Herr Zöller, entschuldigen
Sie, wenn ich nachbohre. Räumen Sie mir denn wenig-
stens ein, daß es, wenn die These des ehemaligen Ge-
sundheitsministers auf dem Deutschen Ärztetag zutrifft,
unmöglich richtig sein kann, was Sie hier gerade in Pro-
zentzahlen zum Ausdruck gebracht haben?


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1401417300
Ich kann wiederum
nur meine Zahlen bestätigen, die ich vorgetragen habe.
Die kann ich beweisen.


(Rudolf Dreßler [SPD]: Dann stimmt die Aussage Seehofers nicht. Schönen Dank!)


Es ist immer gefährlich, einen Satz aus dem Zusam-
menhang zu reißen. Man müßte einmal sehen, was da
insgesamt gesagt worden ist. Ich bin sicher, daß unser
früherer Minister Seehofer genau richtig gehandelt hat.
Auf seine Zahlen konnte man sich verlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Für mich stellt sich natürlich schon die Frage: Was ist

gerechter, sozial verträgliche Zuzahlungen oder Aus-
grenzungen von Leistungen am Ende eines Jahres?


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401417400
Herr Abgeord-
neter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordne-
ten Seehofer?


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1401417500
Dem sei so.

Dr. Ilja Seifert

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 921


(A) (C)



(B) (D)



Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1401417600
Herr Kollege Zöller,
Sie sind sicherlich meiner Meinung – das nehme ich an –,
daß ich das, was der Kollege Dreßler gerade behauptet
hat, auf dem Ärztetag nicht einmal geträumt habe?


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1401417700
Ich kenne Sie sehr
gut; aber in Ihre Träume bin ich noch nicht vorgedrun-
gen. Wenn Sie das hier bestätigen, dann bin ich selbst-
verständlich Ihrer Meinung.

Lassen Sie mich auf einen weiteren Widerspruch von
Ihnen zurückkommen. Sie haben den chronisch Kran-
ken eine besondere Entlastung versprochen. Aber hier
geht es Ihnen wie bei der Ökosteuer: Die Verpackung
verspricht etwas anderes, als der Inhalt dann hergibt.


(Beifall des Abg. Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU])


Ich werde Ihnen das jetzt an einem Beispiel belegen:
Die sogenannte Erleichterung für chronisch Kranke im
Vorschaltgesetz führt in der Praxis zu erheblichen
Nachteilen für die Familien. Bisher mußten Familien, in
der eine Person chronisch krank war, Zuzahlungen in
Höhe von maximal 1 Prozent ihres Familieneinkom-
mens leisten.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wieviel war das?)


Die neue Regelung sieht zwar vor, daß der chronisch
Kranke nach einem Jahr von der 1prozentigen Zuzah-
lung befreit wird. Was aber auf den ersten Blick wie ei-
ne Verbesserung aussieht, beinhaltet jedoch eine erheb-
liche Benachteiligung für Familien, denn Ihre neue Zu-
zahlungsregelung gilt nur für den chronisch Kranken
selbst und nicht – wie bisher – auch für die Familien-
angehörigen. Die übrigen Familienangehörigen und Mit-
glieder müssen künftig bis zu 2 Prozent des Familien-
einkommens für Zuzahlungen aufbringen. Das bedeutet
eine Verdoppelung der Zuzahlungen für diese Familien.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Unerhört!)

Wieso das eine Erleichterung für chronisch Kranke ist,
müßten Sie mir einmal zu erklären versuchen; das wird
Ihnen nicht gelingen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich versuche es auch einmal mit einem Zahlenbei-

spiel, weil eine Kollegin der Grünen gesagt hat, man
könne das mit dem Kindergeld ausgleichen: Auch das ist
eine Milchmädchenrechnung. Für eine Familie mit ei-
nem Kind und einem Monatseinkommen von 5 000 DM,
in der ein Familienmitglied chronisch krank ist, bedeutet
die Neuregelung, daß sie mit jährlichen Zuzahlungen bis
zu einer Höhe von 1 200 DM belastet wird. Die alte Re-
gelung – unsere Regelung – hat eine maximale Zuzah-
lungshöhe von 600 DM vorgesehen. Da reicht Ihre Kin-
dergelderhöhung von 360 DM pro Jahr nicht einmal aus,
um die 600 DM Differenz, die die Familie mehr zahlen
muß, auszugleichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Sie nehmen den Leuten mehr aus der linken Tasche, als
Sie versprochen haben, ihnen in die rechte Tasche zu
geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie sehen, hier kann man nicht von Gerechtigkeit spre-
chen. Sie haben nämlich einfach zu viele handwerkliche
Fehler gemacht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein weiterer
Punkt ist, daß mit der Einführung Ihrer Positivliste auf
chronisch Kranke künftig viele Mehrbelastungen zu-
kommen werden, weil sie dann nämlich alle ausgeschie-
denen Medikamente alleine voll zahlen müssen, ohne
daß es ihnen angerechnet wird. Ich halte es schon für
paradox, daß man chronisch Kranke entlasten will und
ihnen im gleichen Atemzug durch Arzneimittel, deren
Kosten nicht übernommen werden, neue Belastungen
aufbürdet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In diesem Zusammenhang ist noch etwas festzustel-

len – damit die Bevölkerung auch weiß, welch tolle Re-
gelung Sie in Ihrem Gesetzentwurf haben –: Sie verteu-
feln die Bonusregelung, die wir in unserem Gesetz ha-
ben. Das gleiche machen aber auch Sie. Sie haben in Ih-
rem Gesetz geregelt: Wenn die Ärzte Arzneimittelko-
sten einsparen, kann das eingesparte Geld – ich sage es
etwas überspitzt – für die Honorarvergütung genom-
men werden.


(Bundesministerin Andrea Fischer: Nein!)

– Entschuldigung, die Fraktion der SPD, der ich nicht
angehöre, hat zu diesen Strukturverträgen geschrieben,

daß Einsparungen aufgrund eines Unterschreitens
des Budgets für Arznei-, Verband- und Heilmittel
mit dem Ziel der Verbesserung ... verwendet wer-
den können. Hier liegt eine sehr interessante Ge-
staltungsmöglichkeit für die Selbstverwaltung ...

(Bundesministerin Andrea Fischer: Was stand da noch? Zur Verbesserung ...?)

– Daß sie zur

Verbesserung der Qualität der Versorgung verwen-
det werden können.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401417800
Moment, Herr
Zöller! – Ich wollte der Frau Ministerin nur sagen: Sie
dürfen von der Regierungsbank nicht dazwischenrufen,
sondern die Regierung muß sich anhören, was das Par-
lament, die Parlamentarier ihr sagen.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1401417900
Das heißt: Im Klar-
text fordern Sie doch praktisch die Leute auf, durch Ein-
sparung bei den Medikamenten das ärztliche Honorar zu
steigern. Hätten wir einen solchen Vorschlag gemacht,
hätte ich einmal hören wollen, wie die linke Seite dieses
Hauses unseren Vorschlag zerrissen hätte.

Noch etwas – auch das müssen Sie sich anhören –:
Wir haben nicht die Zuzahlung kritisiert, wir haben kri-

922 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


tisiert, daß Sie vor der Wahl gesagt haben, Sie nehmen
die Erhöhung der Zuzahlung um 5 DM zurück.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Was haben Sie gemacht? Bei kleinen Arzneimittelpak-
kungen wird die Zuzahlung um 1 DM zurückgenom-
men, bei Kuren und Fahrtkosten gibt es keine Rücknah-
me des Satzes. Sie haben den Wähler getäuscht. Das
kritisieren wir. Wir stehen zur Zuzahlung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich komme zum Schluß: Sie, meine sehr geehrten

Damen und Herren, bestrafen die Ehrlichen auch noch
mit Ihrer Krankenhausnotopferregelung. Die Ehrli-
chen sind bei Ihnen wieder die Dummen, weil sie dop-
pelt bezahlen. Sie haben nämlich ihren Beitrag in Höhe
von 20 DM oder 60 DM im Jahre 1997 gezahlt. Nun
müssen sie mit ihrem Beitrag zur gesetzlichen Kranken-
versicherung die sich ergebenden Mindereinnahmen
mitfinanzieren. Statt die Verpflichtung der Länder ein-
zufordern, gehen Sie den bequemen, aber wie ich meine,
ungerechten Weg. Deshalb ist Ihr Vorschaltgesetz un-
ausgegoren und unnötig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401418000
Jetzt hat die
Frau Bundesministerin Andrea Fischer das Wort.


Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401418100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Zöl-
ler, trotz der Versuche, Ihre Kritik am Schluß Ihrer Rede
zu begründen, muß ich Ihnen sagen: Die Kritik trifft
nicht zu. Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie an
unserer Politik kritisieren wollen. Wollen Sie kritisieren,
daß wir unsere Wahlversprechungen und Zusagen nicht
einhalten?


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Sie halten sie nicht ein!)


Oder wollen Sie kritisieren, daß wir wichtige Parameter
der gesetzlichen Krankenversicherung berücksichtigen,
zum Beispiel die Beitragssatzstabilität und die Frage der
Gegenfinanzierung?


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das hätten Sie vor der Wahl machen müssen!)


Bei Ihrer Kritik an diesem Gesetz sind Sie intellektuell
ausgesprochen unredlich vorgegangen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Opportunistisch!)


Angesichts der komplexen Interessenlage im deut-
schen Gesundheitswesen ist doch vollkommen klar:
Wenn man ein solches Vorhaben durchführt – die Zeit
spielt dabei keine Rolle –, dann ist der größte Teil der
Kritik politisch motiviert und in der Regel von Interes-
sen geleitet.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Nein!)


Sie kritisieren uns und machen sich dabei das eine Mal
die Kritik des einen Leistungserbringers und das andere
Mal die Kritik eines anderen Leistungserbringers zu ei-
gen. Das Ergebnis ist zum einen eine Kritik, die besagt:
„Ihr gebt zuviel Geld aus!“, und zum anderen eine Kri-
tik, die besagt: „Ihr spart zuviel ein!“ Sie müssen sich
wirklich entscheiden, was die Stoßrichtung Ihrer Kritik
sein soll.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist doch Ihre Stoßrichtung!)


Beide Kritikpunkte können nicht gleichzeitig zutreffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401418200
Frau Ministe-
rin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zöl-
ler?


Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401418300

Ja.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1401418400
Geben Sie mir recht,
wenn ich sage, daß Sie gerade das Gegenteil von dem
gesagt haben, was ich zum Ausdruck gebracht habe? Ich
habe klipp und klar gesagt: Ich stehe zu diesen Zuzah-
lungen, weil ich sie für sozial gerechter halte. Ich kriti-
siere nur, daß Sie vor der Wahl den Menschen verspro-
chen haben, daß die Zuzahlung um 5 DM verringert
wird. Nun wollen Sie eine Reduzierung um eine lumpige
Mark. Damit haben Sie die Wähler getäuscht.

Hätten Sie vor der Wahl gesagt, daß es eine Verringe-
rung der Zuzahlung für Arzneimittel nur um 1 DM ge-
ben wird, anstatt zu sagen, die Zuzahlung beträgt in Zu-
kunft 8, 9 und 10 DM, dann würde ich Sie nicht kritisie-
ren. Was wollen Sie erreichen? Sie wollen die Zuzah-
lung um 1 DM reduzieren. Mich hat geärgert, daß Sie
dem Wähler vor der Wahl mehr versprochen haben, als
Sie nun halten wollen. Hätten Sie vor der Wahl gesagt,
wir können keine Reduzierung um 5 DM durchführen,
würde ich nicht Kritik äußern.

Ich stehe zu der Zuzahlung. Nur haben Sie nach mei-
ner Ansicht die Wähler getäuscht, weil Sie mehr ver-
sprochen haben, als Sie jetzt halten.


Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401418500

Herr Zöller, Ihnen bleibt ja erspart, Ihre Versprechungen
im Zusammenhang mit der Steuerreform einhalten zu
müssen.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Sie reden jetzt von anderen Sachen!)


Daher kann ich verstehen, daß Sie uns jetzt diesen Vor-
wurf machen wollen.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Zur Sache! – Zuruf von der F.D.P.)


Wolfgang Zöller

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 923


(A) (C)



(B) (D)


– Nein, wir wollen jetzt nicht darüber reden. Wir könn-
ten Ihr Wahlprogramm genauso auseinandernehmen.


(Weitere Zurufe von der F.D.P.)

– Ich kann Ihnen gerne das Manuskript meiner Rede aus
der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes zeigen.


(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


– Meine Herren, entweder Sie wollen eine Antwort von
mir – in diesem Fall lassen Sie mich jetzt reden –, oder
Sie lassen es bleiben. In diesem Fall antworte ich Ihnen
nicht auf Zwischenfragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Zur Sache sollen Sie etwas sagen!)


Ich habe schon in der ersten Lesung gesagt: Auch ich
hätte mir eine stärkere Reduktion der Zuzahlungen ge-
wünscht. Dieses geht nicht, weil wir die Beitragssatzsta-
bilität und auch die Konsequenzen aus der Gegenfinan-
zierung zu beachten haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das wußten Sie aber vorher!)


Es ist nicht so einfach, die von Ihnen hinterlassene Hy-
pothek, die Zuzahlung der Versicherten in Höhe von 20
Milliarden DM, in einem Schritt um die Hälfte zu redu-
zieren. Die Reduktion um 1 DM, von der Sie sagen, das
sei nur eine lumpige Mark, bedeutet insgesamt eine
Summe von 1 Milliarde DM, was in der Krankenversi-
cherung viel ist. Deswegen akzeptiere ich Ihre Kritik
nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie haben mehr versprochen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401418600
Frau Ministe-
rin, es gibt weitere Wünsche nach Zwischenfragen.


Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401418700

Ich wünsche keine weiteren Zwischenfragen, weil die
Herren offensichtlich lieber selber reden, als mir zuzu-
hören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das ist am Thema vorbei!)


Ich stelle fest, daß mit diesem Gesetzentwurf ein ganz
klarer Kurs eingeschlagen worden ist.


(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401418800
Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, Sie müssen ein bißchen ruhiger
sein, damit man die Ministerin verstehen kann.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wir verstehen sie sehr gut!)



Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401418900

Wir haben uns am Grundsatz der Beitragssatzstabilität
orientiert. Dazu will ich ganz deutlich sagen: Beitrags-
satzstabilität ist im Interesse der Versicherten, die nicht
so hohe Beiträge zahlen können. Das ist an die Adresse
der Leistungserbringer gerichtet, aber auch an die
Adresse der vorigen Bundesregierung, die nämlich die
Beitragssatzstabilität zu Lasten der Versicherten ge-
währleistet hat. Formal blieben die Sozialversicherungs-
beiträge zwar unverändert, aber gleichzeitig sind die Zu-
zahlungen ständig gestiegen.

Wenn Sie jetzt darauf verweisen, daß es Zuzahlungen
gegeben hat, denen auch die frühere Opposition zuge-
stimmt hat, dann sage ich Ihnen: Das ist in diesem Zu-
sammenhang irrelevant; die Zuzahlungen sehen aus der
heutigen Perspektive der Versicherten anders aus, weil
die Belastung der Versicherten an eine Schallmauer ge-
stoßen ist.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das stimmt ja einfach nicht!)


Deswegen muß hier dringend etwas getan werden. Es ist
gut und richtig, daß dieser Gesetzentwurf die übermäßi-
ge Belastung der Versicherten in dem Maße zurückführt,
wie wir es zur Zeit finanzieren können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das ist die Unwahrheit! Das wissen Sie ganz genau!)


Hier ist bereits vieles zu den Gegenfinanzierungs-
maßnahmen gesagt worden, die ausreichen, um die Bei-
tragssatzstabilität zu gewährleisten. Aber ich möchte et-
was aufgreifen, was im Moment im Mittelpunkt der
Auseinandersetzungen steht: Die neue Regierung habe
doch eine stabile Krankenversicherung mit Über-
schüssen in Höhe von 2 bis 3 Milliarden DM übernom-
men. – Das ist richtig.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mitte des Jahres haben Sie noch von 6 Milliarden DM Defizit gesprochen!)


Aber um welchen Preis? Daß wir im Moment einen
Überschuß in der gesetzlichen Krankenversicherung ha-
ben, ist die Folge der von Ihnen eingeführten Kostener-
stattungsregelung, die zu Verwirrung und Streit in den
Zahnarztpraxen sowie schließlich dazu geführt hat, daß
der Umsatz in den Zahnarztpraxen zum Teil um 30 Pro-
zent und mehr zurückgegangen ist. Um diesen Preis ha-
ben Sie den Überschuß in diesem Jahr erwirtschaftet,
und diesen Preis wollen wir im nächsten Jahr nicht mehr
zahlen. Deswegen brauchen wir andere Maßnahmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Detlef Parr [F.D.P.]: Der Preis wird künftig noch höher!)


Niemand von uns hat je bestritten, daß die sektorale
Budgetierung nur eine Übergangsphase darstellen kann;
niemand von uns hat bei der ersten Lesung des Gesetz-
entwurfes etwas anderes gesagt. Wir haben die sektorale
Budgetierung nur auf ein Jahr angelegt.


(Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Das ist Unsinn!)


Bundesministerin Andrea Fischer

924 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Nun werfen Sie uns Budgetierungsorgien und ähnliches
vor. Es ist schon ein bißchen erstaunlich, daß die heutige
Opposition wie Alice im Wunderland agiert und ruft:
Ein grüner Elefant, ein grüner Elefant! Mit Verlaub, die
Budgetierung haben wir nicht erfunden.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Sie haben sie doch wiederbelebt!)


Deswegen brauchen Sie sich jetzt nicht so sehr darüber
zu wundern, daß wir über Ausgabenbegrenzung im Ge-
sundheitswesen reden.

Jeder, der sich um stabile Finanzen in der gesetzli-
chen Krankenversicherung kümmert, wird um Maßnah-
men zur Ausgabenbegrenzung nicht herumkommen.
Wir reden mit den Leistungserbringern darüber, wo die
annehmbare Grenze dafür liegt. Sie dagegen haben ein-
fach versucht, bestimmte Leistungen auch der Grund-
versorgung in dem Sinne zu privatisieren, daß die Leute
sie selbst bezahlen müssen. Das ist ein anderer Weg der
Ausgabenbegrenzung, nämlich der unsoziale Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Sie rationieren! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie erzählen den Leuten doch nur etwas!)


Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
müssen sich schon fragen lassen, warum Sie sich da auf
etwas einlassen, was Sie doch eigentlich viel besser wis-
sen. Wir beschneiden doch überhaupt nicht die Ausga-
ben, sondern wir begrenzen im nächsten Jahr ihren Zu-
wachs.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist ja eine Logik!)


Einerseits haben Sie uns gesagt – auch das ist wieder ei-
ne intellektuelle Unredlichkeit –, wir gingen mit der
Heckenschere daran; andererseits haben Sie sich drei
Minuten später darüber empört, daß wir für jeden Sektor
eigene Regeln gefunden hätten, mit denen wir die be-
sonderen Bedingungen des jeweiligen Sektors berück-
sichtigen wollten.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann stimmt aber Ihre Aussage nicht!)


Dies haben wir getan, dazu stehen wir auch. Aber das
lehrt uns einiges – darauf weise ich in diesem Zusam-
menhang auch noch einmal hin – über den politischen
Stil in dieser Debatte.

Wir haben zwischen der ersten Lesung und der zwei-
ten und dritten Lesung dieses Gesetzentwurfs Aus-
schußberatungen und Anhörungen durchgeführt. Wir
haben auch mit den diversen Gruppen, die davon betrof-
fen sind, Einzelgespräche geführt.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Sie haben aber nicht zugehört!)


Daraufhin haben wir Veränderungen vorgenommen.
Auch hier muß man sich bei der Kritik wieder entschei-
den: Ist jetzt das Eingehen auf Veränderungsvorschläge
ein Einknicken und Feigheit, oder ist das nicht ein Zei-
chen dafür, daß man bereit ist, sich beraten zu lassen,

daß man den Dialog führt und dabei auch veränderungs-
bereit ist, weil man nämlich auf die Zusammenarbeit mit
allen setzt?


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das sieht aber nicht nach Dialog aus!)


An diesem politischen Stil halte ich fest, obwohl die Er-
fahrungen nicht nur gut sind, die wir damit in den letzten
Wochen gemacht haben.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann müssen Sie in diese Richtung schauen!)


– Nein, ich schaue zu Ihnen. Sie machen sich doch all
diese Argumente zu eigen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nein, da liegt der Streit mit Ihnen!)


Ich beharre darauf: Wir sind gerade den Leistungs-
erbringern in vielen kritischen Punkten, die sie in den
Anhörungen angemerkt hatten, entgegengekommen.
Dann erwarte ich aber auch, daß sie das Wesen des
Kompromisses erkennen, das darin besteht, daß man
nicht alles bekommt, was man gefordert hat. Unsere
Aufgabe als diejenigen, die hier Gesetze beschließen, ist
es, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interes-
sen zu finden. Ich meine, daß dieser Gesetzentwurf die-
sen Ausgleich ermöglicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will noch einmal folgendes ganz deutlich sagen:
Selbstverständlich bedeutet eine Begrenzung der Ausga-
ben eine Aufforderung an die Leistungserbringer, wirt-
schaftlich zu handeln. Ich appelliere an all diejenigen,
die jetzt mit Verweis auf die Budgets meinen, die Men-
schen in Panik versetzen zu müssen: Finden Sie zum
rechten Maß zurück!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Honorare werden im nächsten Jahr so erhöht wie die
Löhne aller Beschäftigten. Mit welcher Berechtigung
reklamiert die Ärzteschaft eine höhere Honorarsteige-
rung – und damit höhere Einkommen – als alle anderen
Menschen in diesem Land?

Ich meine, es geht nicht an, daß die Patienten und die
Versicherten mit Horrorszenarios verunsichert werden.
Es ist möglich, mit diesen Budgets zu haushalten und
mit ihnen auszukommen. Es ist so, daß man auch in ei-
ner ärztlichen Praxis über ein Jahr hinweg planen kann.
Es ist so, daß das Verordnungsverhalten gesteuert wer-
den kann.

Herr Zöller, noch ein Wort abschließend: Wenn Sie
sagen, wir würden einen Anreiz geben, daß die Ärzte
wenig verordnen, damit sie hinterher mehr verdienen,
dann ist das schlicht die Unwahrheit.


(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg [SPD] – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das steht doch im Brief!)


Die Regelverletzung vorhin, für die ich mich an dieser
Stelle noch einmal in aller Form entschuldigen will, ha-

Bundesministerin Andrea Fischer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 925


(A) (C)



(B) (D)


be ich begangen, weil Sie genau das beim Vorlesen des
Briefes der SPD-Fraktion nicht gesagt haben: Es ist
nämlich nicht so, daß die Einsparungen bei Medika-
menten in das individuelle ärztliche Honorar fließen.
Damit sollen vielmehr Maßnahmen der Qualitätssiche-
rung finanziert werden. Das ist doch der Dreh- und An-
gelpunkt.

Niemand von Ihnen kann ernsthaft behaupten, daß je-
des Medikament, das in diesem Land verschrieben wird,
wirklich verschrieben werden muß und für die Versi-
cherten existentiell notwendig ist. Da gibt es im Rahmen
der Therapiefreiheit eine große Bandbreite. Wir wollen
den Ärzten dabei helfen bzw. sie darin unterstützen, daß
sie ihr Verordnungsverhalten auf den Aspekt der Wirt-
schaftlichkeit orientieren und gleichzeitig eine hohe
Versorgungsqualität wahren können.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Sie müssen nicht allen helfen!)


Da gibt es großen Spielraum. Deswegen gibt es über-
haupt keine Veranlassung, irgend jemanden in Panik zu
versetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist wirklich ein gutes Zeichen, daß die neue Bun-
desregierung mit den Gesetzen, die wir vor einigen
Stunden verabschiedet haben, und auch mit diesem Ge-
setzentwurf zeigt, daß sie es ernst meint mit dem, was
sie im Wahlkampf versprochen hat. Sie geht wirklich
beherzt an die Umsetzung ihrer Versprechungen. Damit
wird deutlich gemacht, was wir auch in Zukunft zu tun
gedenken, nämlich zu unseren Worten zu stehen und uns
dabei mit allen einigen zu wollen.

Ich weiß, daß im Moment einige Aufregung herrscht.

(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Bei der Mi nisterin am meisten!)

Nach meinem Eindruck handelt es sich dabei zum Teil
auch um Aufregung, die eine lange Vorgeschichte hat,
da sehr viele Empfindlichkeiten berührt werden. Alle
müssen ein Interesse an einem guten Gesundheitswesen
haben, das wir bezahlen können und das den bisherigen
hohen Standard der gesundheitlichen Versorgung in
Deutschland bewahrt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber nicht mit diesen Methoden!)


Das berührt die Interessen aller Beteiligten, die auf den
ersten Blick scheinbar gegenläufige Interessen haben.

Unser aller Interesse muß es sein, im nächsten Jahr
eine gute Strukturreform auf den Weg zu bringen. Des-
halb rufe ich in der gegenwärtigen Lage alle Beteiligten
zur „Abrüstung“ auf und dazu, zum Dialog zurückzu-
kehren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Unfriede war das!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401419000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Wolf Bauer.


Dr. Wolf Bauer (CDU):
Rede ID: ID1401419100
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen! Meine Herren! Der „Kölner Stadtanzeiger“
widmet in seiner heutigen Ausgabe eine ganze Seite der
gesetzlichen Krankenversicherung. Er schreibt – ich zi-
tiere –:

... daß die Patienten entlastet, die Leistungen ver-
bessert, Mehrkosten von den Krankenkassen über-
nommen werden sollen – und dabei sollen die Bei-
träge zur Krankenversicherung stabil bleiben. Es
gleicht der Quadratur des Kreises ...

Ich kann das nur so kommentieren, daß der „Kölner
Stadtanzeiger“ recht hat. Denn das geht alles so nicht.
Weder ist in der Zeitung zu lesen, noch steht in dem
vorliegenden Gesetzentwurf, wie das Ganze solide ge-
genfinanziert werden soll. Frau Ministerin hat soeben
nur gesagt, wie man es nicht finanzieren soll. Aber sie
hat nicht gesagt, wie man es finanziert.

Da will nun – darauf will ich noch einmal hinweisen
– die rotgrüne Koalition bei den Arzneimitteln 1 Milli-
arde DM einsparen. Zunächst einmal suggeriert sie da-
mit, man könne das bei der pharmazeutischen Industrie
holen. Ich sage Ihnen: Die, die am meisten betroffen
sind, sind die Patienten, die dadurch eine ganze Reihe
von Medikamenten nicht mehr bekommen,


(Zuruf von der SPD: Warum denn nicht?)

die sie sonst bekommen hätten. Sie müssen die Arznei-
mittel, die nicht mehr auf einem Rezept stehen, jetzt sel-
ber bezahlen; daran führt kein Weg vorbei. Das sind nun
die Wahlgeschenke der SPD: Was man durch eine Ver-
ringerung der Zuzahlung in die eine Tasche hineinsteckt,
holt man dadurch, daß die Patienten mehr selber finan-
zieren müssen, auf der anderen Seite wieder heraus.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hundertprozentige Selbstbeteiligung!)


Ich kann nicht verstehen, daß Sie, Frau Ministerin, sa-
gen, es würden keine Ausgaben beschnitten. Das ist
doch letztendlich nichts anderes als eine reine Beschnei-
dung von Ausgaben.

Hinzu kommt – das ist für mich viel wichtiger –, daß
durch dieses Solidaritätsstärkungsgesetz – zumindest im
Arzneimittelbereich – nicht mehr Solidarität eingeführt
wird; es kommt eher zu einer Entsolidarisierung. Ich
will Ihnen das nachweisen: 24 Millionen Menschen
brauchen zur Zeit keine Zuzahlung zu leisten; das sind
die Mitglieder der Krankenkassen, die geringe Einkom-
men haben. 47 Millionen Menschen müssen Zuzahlun-
gen leisten; sie haben höhere Einkommen. Ich weise
noch einmal darauf hin: Höchstens 2 Prozent des Ein-
kommens müssen für Zuzahlungen aufgewendet wer-
den, bei chronisch Kranken höchstens 1 Prozent. Nun
verringern Sie die Zuzahlungen und entlasten damit
doch nur den Teil der Versicherten, die höhere Ein-
kommen haben. Wo bleibt denn da die soziale Gerech-
tigkeit? Die stimmt doch an dieser Stelle nicht. Sie for-
dern wir letztendlich ein.

Jedes Budget führt zwangsläufig zu einer Rationie-
rung. Wenn ein Topf leer ist, dann ist er eben leer. Und
wenn im November das Arzneimittelbudget aufge-

Bundesministerin Andrea Fischer

926 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


braucht ist und zu Weihnachten eine Grippewelle
kommt, dann ist der Topf immer noch leer. Ich frage
Sie, Frau Ministerin: Wie soll sich das alles über ein
Jahr planen lassen? Die Ärzte, die wir haben, sind gut;
aber daß sie wissen sollen, welche Krankheitsbilder be-
vorzugt zum Ende des Jahres auftreten, das können Sie
einfach nicht einfordern, das wird nicht funktionieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich habe es ja schon gesagt: In der Hauptsache betrifft es
die Patienten, die ein kleineres Einkommen haben. Ich
erinnere Sie von der SPD an Ihre Wahlkampfsprüche
von der „Umverteilung von unten nach oben“. Genau
das, was Sie uns angekreidet haben, machen Sie heute.

Eines steht fest: Wenn die rotgrüne Mehrheit ihr Ge-
setzesvorhaben durchdrückt, dann können die Ausgaben
der GKV mit Hilfe der Sozialklausel und der Überforde-
rungsklausel nicht mehr so sozial verträglich gesteuert
werden, daß sowohl diejenigen damit leben können, die
ein kleines Einkommen haben, als auch diejenigen, die
ein höheres Einkommen haben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Wir wollen uns gar nicht darüber unterhalten, wie es mit
Demographie- und Innovationsfaktoren ist; die kämen
noch hinzu.

Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Hier wird
medizinisch Notwendiges über die zur Verfügung ste-
hende Geldmenge definiert. Das ist das politische Ziel
der SPD. Das wollen wir nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber vielleicht geht die SPD ja noch in sich und be-
denkt, was ihr die Bundesgesundheitsministerin nahe-
gelegt hat – ich zitiere –:

Aber zuerst beschließen und sich danach öffentlich
über das beklagen, was man beschlossen hat, ist
weder überzeugend noch hat es politisches Format.

Manch einer beurteilt die derzeitige Gesundheitspolitik
der SPD nicht so charmant wie die Bundesgesundheits-
ministerin, denn immer öfter hört man die Worte „Soli-
daritätszerstörungsgesetz“, „Frauenarbeitsplatzvernich-
tungsgesetz“ oder auch „Chaostage von Bonn“.

Ich greife nun das auf, was Herr Thomae vorhin
schon angesprochen hat. Man muß einmal überlegen,
wie die Beratung in bezug auf das Arznei- und Heilmit-
telbudget abgelaufen ist. Wir gingen mit einer Vermin-
derung von 4,5 Prozent des Budgets in die Beratung,
dann wurde die Verminderung auf 6,89 Prozent erhöht,
auf einmal kam man zu einer Zuzahlung von 7,5 Prozent
dann wurde ein Pro-Kopf-Betrag von 541,61 DM einge-
führt, bevor man wieder zu den 7,5 Prozent zurückging,
um sich dann letztendlich von den Krankenkassen vor-
rechnen zu lassen, daß es eigentlich nur 4 Prozent sein
dürfen. Diese 4 Prozent werden wir voraussichtlich im
nächsten Jahr in einer Novellierung zu besprechen haben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das kann ich mir nicht vorstellen!)


– Es wird aber so kommen.

Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, der
mich auch sehr beschäftigt. In der Koalitionsvereinba-
rung steht, daß man ein Bündnis für Arbeit will, daß
man Rahmenbedingungen für den Mittelstand, für freie
Berufe usw. schaffen will. Das, was hier geschaffen
wird, ist genau das Gegenteil. Die Zahl der Arbeitsplätze
wird verringert. Es werden Arbeitsplätze abgebaut.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Man muß vor allem einmal über die Situation der

Ärzte in den neuen Bundesländern nachdenken. Wenn
das eintritt, was im Gesetz vorgesehen ist, wird es ver-
heerende Folgen für die neuen Bundesländer geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben einfach andere Voraussetzungen als wir hier.

Ich würde Ihnen gern, wenn ich noch Zeit hätte, die
einzelnen Ausführungen aus der Anhörung zu den Ar-
beitsplätzen vorstellen. Bis zu 100 000 sind betroffen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401419200
Leider ist Ihre
angemeldete Redezeit vorbei.


Dr. Wolf Bauer (CDU):
Rede ID: ID1401419300
Meine Damen, meine
Herren, ich habe leider keine Zeit mehr. Das ist schade.
Sie von der SPD sind mit dem Slogan „Wir machen
nicht alles anders, aber vieles besser“ angetreten. Was
ist daraus geworden? Sie machen alles anders und nichts
besser. Ein Beweis dafür ist das hier vorgelegte Solida-
ritätsstärkungsgesetz, das wir selbstverständlich ableh-
nen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401419400
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Regina Schmidt-Zadel.


Regina Schmidt-Zadel (SPD):
Rede ID: ID1401419500
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Um Ihrer Kritik und Ihrer
Aufgeregtheit – sie sind heute sehr deutlich geworden –
gleich zu Beginn zu begegnen: Wir debattieren und ver-
abschieden heute ein Gesetz zur Stärkung der Solidarität
im Gesundheitswesen, das nicht notwendig gewesen
wäre,


(Beifall des Abg. Klaus Kirschner [SPD])

wenn die alte Regierung in der vergangenen Legislatur-
periode nicht eine Gesundheitspolitik betrieben hätte,
die die solidarischen Elemente in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung systematisch ausgehöhlt und in Teilbe-
reichen sogar außer Kraft gesetzt hat.


(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.])


– Herr Thomae, keine Aufregung.
Dieses Solidaritätsstärkungsgesetz ist unsere Antwort

auf Ihre Solidaritätsschwächungspolitik der letzten Jahre.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Wolf Bauer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 927


(A) (C)



(B) (D)


Ihre Gesundheitspolitik war chaotisch; das haben die
Wählerinnen und Wähler gemerkt. Die Ergebnisse bei
der Bundestagswahl waren nicht zuletzt auf Ihre un-
mögliche Gesundheitspolitik zurückzuführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wir haben sie nicht belogen!)


Schauen Sie sich die Zuzahlungsorgien an, die Sie
veranstaltet haben, bevor Sie etwas zu den Zuzahlungen
sagen! Herr Zöller, es geht den Krankenkassen heute nur
deshalb gut, weil die Versicherten und die Kranken ge-
zahlt haben und nicht die Krankenkassen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nicht nur deshalb!)


Sie haben gerade gesagt, daß wir eine Milchmädchen-
rechnung aufmachen. Ich würde mit Ihnen gerne über
Ihre Milchbubenrechnung in der nächsten Sitzung des
Gesundheitsausschusses diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will noch einmal sehr deutlich darauf hinweisen:
Dieses Vorschaltgesetz ist notwendig, um die gröbsten
Ungerechtigkeiten und die schlimmsten Belastungen zu
korrigieren, die den Bürgerinnen und Bürgern durch Ihre
total verfehlte Gesundheitspolitik zugemutet worden sind.

Für uns, meine Damen, ist besonders wichtig: Jede
Rentnerin, die sich ab 1. Januar keine Arzneizuzahlun-
gen von ihrer Rente absparen muß, jeder Jugendliche,
dessen Zahnersatz wieder von der Krankenkasse und
nicht mehr aus dem schmalen Geldbeutel des Familien-
vaters bezahlt wird,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die waren doch ganz befreit!)


und jedes abgeschaffte Krankenhausnotopfer, dessen In-
kassokosten in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen,
rechtfertigen dieses Gesetz und auch die notwendige
Eile; denn es soll noch am 1. Januar in Kraft treten.


(Beifall der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD])


Wir haben den Versicherten versprochen, die Bela-
stungen abzubauen. Wir halten Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie bauen die Qualität der Versorgung ab!)


Ich will nur auf wenige Bereiche eingehen. Das Kran-
kenhausnotopfer ist neben dem Zahnersatz für Jugend-
liche geradezu ein Paradebeispiel. Mit der Einführung
des Notopfers ist die Finanzierung der Instandhaltung
der Krankenhäuser quasi Privatsache der Versicherten
geworden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Weil sich die Länder nicht zur Finanzierung bereit erklärt haben!)


Das Prinzip der paritätischen Finanzierung der gesetzli-
chen Krankenversicherung durch Arbeitgeber und Ar-

beitnehmer zu gleichen Teilen wurde außer Kraft ge-
setzt.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stimmt gar nicht!)


Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. Eines
unserer zentralen Anliegen ist, diesen Systembruch so
schnell wie möglich zu korrigieren. Wir haben daher das
Krankenhausnotopfer für die Jahre 1998 und 1999 auf-
gehoben und auf Dauer abgeschafft. Wer für das laufen-
de Jahr bereits eine Zahlung geleistet hat, erhält diese
von der Krankenkasse zurückerstattet.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401419600
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Regina Schmidt-Zadel (SPD):
Rede ID: ID1401419700
Ich habe, wie auch
Herr Zöller, keine Angst vor Zwischenfragen; aber ich
will ihm die Gelegenheit jetzt nicht geben, weil seine
Kollegen vorhin genauso gehandelt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Zuzahlungschaos des Seehofer-Jahres 1997

– ich will es einmal so nennen – hat doch gezeigt, daß
tatsächlich höchstens 80 Prozent der Versicherten das
Notopfer gezahlt haben. Deswegen haben wir das getan
– und nichts anderes –, was wir den Wählerinnen und
Wählern in diesem Bereich versprochen haben. Das
sollten Sie zur Kenntnis nehmen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Und wie finanzieren Sie das? – Gegenruf des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Jäger 90!)


– Wir haben Ihnen – auch die Frau Ministerin hat eben
darauf hingewiesen – die Finanzierungspläne vorgelegt.
Sie sollten sich einmal damit beschäftigen. Das haben
Sie bisher anscheinend noch nicht getan.

Im Krankenhaussektor soll das Solidaritätsstärkungs-
gesetz bis zur Verabschiedung einer grundlegenden Re-
form zusätzlich für Beitragsstabilität sorgen. Das ist
ein wichtiges Anliegen für uns, und dem werden wir
vieles unterordnen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach nee! Darum weiter Zuzahlungen!)


Im Krankenhausbereich – da haben wir auch auf die
Experten gehört und den bei der Anhörung vorgetrage-
nen Argumenten Rechnung getragen – haben wir Rege-
lungen gefunden, mit denen, so denke ich, die Kranken-
häuser sehr gut leben können. Grundsätzlich wird der
Einnahmenzuwachs für die Krankenhäuser 1999 mit
derselben Grundlohnrate begrenzt wie die Gesamtver-
gütung der Vertragsärzte, nämlich auf der Grundlage der
im kommenden März festzustellenden Ist-Rate des Jah-
res 1998.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Plus Tarifverträge!)


Der gesamte Bereich der ambulanten Leistungen der
Krankenhäuser – ambulantes Operieren, vor- und nach-

Regina Schmidt-Zadel

928 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


stationäre Behandlungen – unterliegt dieser Begrenzung
nicht, Herr Dr. Thomae.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das habe ich ja nicht gesagt!)


Ich glaube – wenn ich Ihre Rede richtig verstanden habe
–, Sie haben das Gesetz nicht genau gelesen. – Hinzu
kommen eine ganze Reihe von Ausnahmetatbeständen,
die krankenhausspezifische Besonderheiten berücksich-
tigen.

Sie sehen: Durch das Solidaritätsstärkungsgesetz
werden die Budgets der Krankenhäuser nicht gekürzt,
sondern mit Augenmaß und sehr moderat im Rahmen
der Grundlohnrate auf Basis von 1998 – mit den Aus-
nahmetatbeständen sogar noch darüber hinaus – erhöht.
Es gibt also keinen Grund für Schwarzmalerei. Ein
Krankenhaussterben – ich finde es unverantwortlich,
was da gesagt und wie vielfach es beschworen worden
ist – wird es ebenfalls nicht geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Allerdings – der Appell an die Krankenhausträger
muß sein –: Die Wirtschaftlichkeitsreserven im Kran-
kenhausbereich sind keineswegs alle ausgeschöpft. Es
gilt sie zu nutzen. Sie verschaffen den Krankenhäusern
zusätzlich Luft.

Im vorliegenden Solidaritätsstärkungsgesetz sind da-
her Anreize verankert worden, die von den Krankenhäu-
sern auch genutzt werden sollten. Ambulante Opera-
tionen sind 1999 ausdrücklich von der Deckelung aus-
genommen worden. Hier bietet sich den Krankenhäusern
ein weites Feld, um Kosten zu vermeiden.

Ich will auf einige Punkte hinweisen: 20 000 Opera-
tionen des grauen Stars, 100 000 Krampfaderoperatio-
nen und 55 000 Nasenscheidewandkorrekturen pro Jahr
müssen nicht stationär durchgeführt werden.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Der Meinung sind wir auch!)


Zahlreiche Eingriffe sind sogar grundsätzlich vermeid-
bar. Die Fehlbelegungsrate – auch das ist in der Anhö-
rung gesagt worden – ist noch immer zu hoch.

Die Regierungskoalition hat ein Gesetz vorgelegt, das
die medizinisch notwendigen Leistungen im stationären
Bereich auch für das kommende Jahr, 1999, sichert.
Nicht mehr und nicht weniger ist beabsichtigt. Das
kommende Jahr wird dazu genutzt – auch darauf haben
die Vorrednerinnen und Vorredner hingewiesen –, eine
umfassende Strukturreform vorzubereiten. SPD und
Bündnis 90/Die Grünen halten auch hier den Fahrplan
ihrer Koalitionsvereinbarungen ein.

Ich will die Gelegenheit nutzen – weil ich eben auch
von Ihrer Aufgeregtheit gesprochen habe –, Ihnen ein
friedliches und nachdenkliches Weihnachtsfest und dann
vielleicht eine nicht so aufgeregte Diskussion im näch-
sten Jahr zu diesem Thema zu wünschen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401419800
Jetzt hat der
Abgeordnete Wolfgang Lohmann das Wort.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1401419900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schmidt-
Zadel, vielen Dank für die freundlichen Wünsche. Wenn
ich jetzt in der Weihnachtszeit mit meiner Familie zu-
sammen bin, werde ich manches von dem vergessen,
was hier heute gesagt worden ist; davon können Sie aus-
gehen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wenn Sie mich nicht vergessen!)


Frau Ministerin, solche Debatten müssen gelegentlich
auch hart sein, auch die Aussagen. Aber ich meine, sich
intellektuelle Unredlichkeit vorzuwerfen geht ein biß-
chen weit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wenn ich dann die Aufregung sehe, in die Sie sich hin-
eingesteigert haben, mache ich mir ernsthafte Sorgen;
denn ich weiß nicht, ob Sie als Ministerin die Schwie-
rigkeiten, denen Sie natürlich ausgesetzt sind, lange aus-
halten werden.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje! Da ist der Wunsch Vater des Gedankens!)


Sie haben eben lauthals von uns verlangt: Sie müssen
sich entscheiden. Ich sage Ihnen: Sie müssen sich ent-
scheiden. Sie müssen jetzt zum Beispiel endlich sagen,
ob Ihre Wahlgeschenke über Einsparungen finanziert
werden sollen oder ob es Ihnen, wie Sie immer wieder
gebetsmühlenartig behaupten, nur darum geht, Zuwäch-
se zu beschneiden. Wollen Sie nach wie vor bestreiten,
daß zumindest – es ist bereits gesagt worden – im Arz-
neimittelbereich Einsparungen in Höhe von rund einer
Milliarde DM vorgenommen worden sind? Sind das
keine Einsparungen? Sollen das Zuwächse sein? Dann
verstehe ich Ihre Sprache allerdings nicht mehr richtig.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Negative Zuwächse!)


Bei den Zahnärzten wollen Sie 600 Millionen DM ein-
sparen. 1,6 Milliarden DM sollen aber keine Einsparung
sein. Ich verstehe das nicht. Geben Sie bitte zu, daß das
Einsparungen sind.

Zu dem Hin und Her mit dem verehrten Kollegen
Dreßler möchte ich sagen: Herr Kollege Dreßler, Sie ha-
ben in der ersten Lesung dieses Gesetzes gesagt – ich
habe das Protokoll dabei, ich zitiere daraus –:

Wenn wir nämlich heute die Regierungserklärung
des Bundeskanzlers debattieren und zugleich in er-
ster Lesung Gesetzentwürfe einbringen, die die
Ankündigungen aus der Regierungserklärung be-
reits umsetzen wollen und sollen, dann beweist die
neue Koalition damit, daß die Glaubwürdigkeit von

Regina Schmidt-Zadel

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 929


(A) (C)



(B) (D)


Regierungsarbeit bei ihr wieder einen besonderen
Rang erhält, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Das war bei der Einbringung vor ziemlich genau einem
Monat. Was wir danach alles erlebt haben! Kann man
das noch glaubwürdig nennen?


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nein! Bei aller Liebe nicht!)


Sie haben – man muß schon sagen – die Stirn gehabt,
uns am vorigen Mittwoch in der Ausschußsitzung 45
Änderungsanträge auf 69 Seiten auf den Tisch zu legen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Plus 10 Änderungsanträge!)


– Thomae, red nicht immer dazwischen. – Frau Schaich-
Walch – sehr ehrenwert – bedankt sich hinterher bei uns,
daß wir durch unsere intensiven Nachfragen – fast fünf
Stunden lang – wenigstens die allergrößten Schwierig-
keiten vermieden haben und daß ihre Kollegen bei
dieser Gelegenheit erfahren konnten, was das Ganze
eigentlich soll. Aber es blieb doch noch viel offen.

Ich nenne hier bewußt keine Namen, weil es keine öf-
fentliche Sitzung war; dann darf ich das, glaube ich,
nicht. Aber ein Kollege der SPD sagte nach fünf Stun-
den: Ich habe das Gefühl, wir tun hier nichts Gutes.
Daraufhin habe ich gesagt: Das Gefühl habe ich schon
den ganzen Tag, daß wir hier nichts Gutes tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ein anderer sehr namhafter Kollege, dessen Namen
ich auch nicht nennen darf, sagte, weil ihm die Regie-
rung zwei oder drei klare Fragen nicht beantwortet hat:
Wenn dieser Antrag nicht zurückgezogen wird, mar-
schieren wir ins Chaos.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Haben sie denn zurückgezogen?)


Das sind doch nicht unsere Begriffe.
In den Zeitungen spricht man vom „Gesundheits-

chaos“. Das sind nicht unsere Äußerungen. „Dreßler
sauer über Pannen.“ Ich meine, er schaut immer bärbei-
ßig; aber hier ist er besonders gelungen abgebildet. So
böse hat er mich noch nie angesehen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das kann sich ändern!)


Das ist offensichtlich auf Sie zugeschnitten, Frau
Fischer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Dreßler und andere sagen: Es stimmt einiges

nicht; wir müssen noch Änderungen vornehmen. Da das
in diesem Verfahren nicht mehr geht, wird das nun of-
fensichtlich als Novelle eingebracht. Sie sagen – auch
das liegt mir vor –, Fischer weise die Kritik Dreßlers zu-
rück; alles würde stimmen. Wenn einige von der SPD,
die dabei waren, das nicht verstanden hätten, seien sie

selbst schuld. Es bleibe so, wie es ist. – Bitte entschei-
den Sie sich und sagen Sie uns, was Sache ist. Das müs-
sen wir doch wissen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das, was vorliegt, Herr Lohmann!)


Sie handeln mit diesem Gesetz nicht nur unsozial,
sondern auch ungerecht. Die hohe Versorgungsqualität
ist gesichert. Heute ist schon mehrfach gesagt worden,
daß Sie sich angesichts der Überschüsse, die wir haben,
für die von Ihnen gewünschte Strukturreform viel Zeit
hätten nehmen können.

Auch dazu verweise ich auf die Ausschußberatungen.
Ihre Vertreter im Ausschuß sind am vergangenen Mitt-
woch zweimal gefragt worden, ob die K45-Zahlen – das
sind die Rechnungsergebnisse des ersten Dreivierteljah-
res – vorhanden sind. – Nein. Es wurde nachgefragt:
Sind die Zahlen nicht da? – Nein, die Zahlen sind nicht
da. – Am nächsten Tag sickerte durch: Die Zahlen sind
wohl doch da. Am übernächsten Tag wurden sie per
Presseinformation von Ihnen veröffentlicht. Das ist kein
redliches Umgehen mit den Mitgliedern des Ausschus-
ses.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Offensichtlich hatten Sie vor, diese aus unserer Sicht

traumhaften Zahlen, die wir uns vor einem Jahr noch gar
nicht hätten träumen lassen, zu verschweigen, bis das
ganze Machwerk über die Bühne gegangen ist. Sie ha-
ben die Zahlen dann doch noch veröffentlichen müssen,
weil einige nachgehakt haben, und müssen nun zugeben:
Die Beitragssatzstabilität – von Ihnen und auch von
allen anderen gewünscht – ist auch ohne dieses Gesetz
gesichert. Sie hätten also Zeit, Ihre Strukturreform zu
überdenken.

Das Fazit: Erstens. Das Gesetz ist völlig überflüssig;
denn die Notwendigkeit weiterer Sparbeiträge ist nicht
gegeben. Die Überschüsse wurden eben schon genannt:
1997 waren es 1,1 Milliarden DM, in diesem Jahr sind
es 2 Milliarden DM. Wenn das nichts ist, dann weiß ich
nicht, wie man Beitragssatzstabilität sonst definieren
soll.

Zweitens. Das Gesetz ist schädlich für Patienten und
Arbeitsplätze; denn die Rückkehr zur Budgetierung
führt nachweislich in die Irre, nämlich zur Rationierung,
das heißt zur Vorenthaltung medizinisch notwendiger
und qualitativ hochwertiger Versorgung für die Patien-
ten. Um die geht es, nicht um das Honorar der Ärzte.

Drittens. Das Gesetz bedeutet keine Solidaritätsstär-
kung, sondern eine Zerstörung der Solidarität; denn es
verbaut die mühsam eingeleitete Neugewichtung von
Solidarität, Subsidiarität und Eigenverantwortung.

Es tut uns sehr leid: Deswegen können wir dem Ge-
setz nicht zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401420000
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Margrit Spielmann.

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


930 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)



Dr. Margrit Spielmann (SPD):
Rede ID: ID1401420100
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, mit
dem vorliegenden Vorschaltgesetz können die Patienten,
die Ärzte und auch die Krankenhäuser in den neuen
Bundesländern durchaus zufrieden in die Zukunft blik-
ken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die neue Bundesregierung stellt sich damit voll und
ganz hinter das in Deutschland endlich wieder zum Ziel
erhobene Solidaritätsprinzip. Sie stoppt den von der
früheren Bundesregierung eingeschlagenen Weg der
Privatisierung von Gesundheitsrisiken und der Entsoli-
darisierung der gesetzlichen Krankenkassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So geben wir die Grundlage dafür, daß die notwendige
wirtschaftliche Stabilität der Krankenkassen gesichert
und die für das Vertrauen in unser Gesundheitssystem so
wichtige Beitragsstabilität erreicht wird.

Mit dem Vorschaltgesetz werden Verbesserungen für
das Gesundheitssystem in den neuen Bundesländern er-
zielt. So können allen Presseerklärungen und lautstarken
Ärztedemonstrationen zum Trotz gerade die niederge-
lassenen Ärzte in den neuen Ländern wieder mit größe-
rer Zuversicht in die Zukunft blicken;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


denn über den vorgesehenen West-Ost-Ausgleich erhal-
ten die Ärzte in den neuen Ländern die Sicherheit, die
sie benötigen, um qualitativ gute Patientenbetreuung zu
gewährleisten und zu gestalten.

Ich behaupte, daß, anders als die frühere Regierung,
welche durch ihre Passivität zu der Schieflage im Ge-
sundheitswesen in den neuen Ländern beigetragen hat,
die jetzige Regierung mit diesem Gesetz nicht nur eine
medizinisch hochwertige Versorgung der Patienten ge-
währleistet, sondern auch Sicherheit für die Arztpraxen,
für die Kliniken in den neuen Ländern bietet und da-
durch Arbeitsplätze sichert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein weiterer wichtiger Punkt des Vorschaltgesetzes

ist, daß die Tarifentwicklung in den neuen Ländern zu-
künftig bei der Berechnung der Budgets der Kranken-
häuser berücksichtigt wird. Die bisherige Regelung hat,
wie wir alle wissen, dazu geführt, daß den Kliniken in
den neuen Ländern im wörtlichen Sinne die Luft aus-
ging, bestehende Unterschiede in den Standards zemen-
tiert wurden und dadurch die Schere zwischen Ost und
West auch in diesem Bereich immer mehr auseinander-
ging. Nun – Gott sei Dank – wird eine strukturelle An-
gleichung überhaupt erst möglich, Lücken können ge-
schlossen und die notwendige Modernisierung in den
Kliniken in den neuen Ländern vorangetrieben werden.

Mit der Streichung der bisher geltenden Befristung
des Finanzierungsstärkungsgesetzes setzen wir ein wei-
teres Signal für die Menschen in den neuen Bundeslän-

dern und auch dafür, daß wir unserem Versprechen der
Schaffung der sozialen Einheit zwischen Ost und West
höchste Priorität einräumen und die Bedürfnisse ernst
nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, um es noch einmal ganz
klar zu sagen: Die jetzige Bundesregierung wird nicht
zulassen, daß die soziale Einheit in Deutschland auch im
Gesundheitsbereich auf halbem Wege steckenbleibt.


(Unruhe)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401420200
Frau Kollegin,
einen kleinen Moment! – Ich bitte um etwas Ruhe. Es ist
die erste Rede der Kollegin. Sie hat auch nicht die stärk-
ste Stimme. Deswegen helfen Sie ihr doch ein bißchen,
indem Sie etwas ruhiger sind!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)



Dr. Margrit Spielmann (SPD):
Rede ID: ID1401420300
Danke, Frau Präsi-
dentin.

Durch das Vorschaltgesetz werden viele Verbesse-
rungen erreicht. Neben der Absenkung der Zuzahlung
denke ich hier besonders an die Wiederaufnahme von
Zahnersatz für Kinder und Jugendliche in den Lei-
stungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
und an die Zuzahlungsbefreiung für chronisch Kranke.
Aus eigener Anschauung weiß ich, wie schwer es gerade
chronisch Kranke in den neuen Ländern haben, diese
Zuzahlung zu finanzieren.

Ich fasse zusammen. Das jetzige Vorschaltgesetz
bietet allen Beteiligten, den Krankenkassen, den Lei-
stungserbringern und den Beitragszahlern, erhebliche
Vorteile gegenüber den bisherigen Regelungen. Vor al-
len Dingen kehren wir damit zum Solidaritätsprinzip zu-
rück und verhindern die Beitragserhöhung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese – das sage ich als Ostdeutsche – Gesundheitspoli-
tik ist gerade für den Osten eine notwendige, eine ver-
trauensbildende Maßnahme. Gerade die Menschen in
den neuen Bundesländern können wieder Vertrauen in
die Gesundheitspolitik fassen; denn ihre spezifischen
Probleme werden berücksichtigt,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die wurden auch in der Vergangenheit berücksichtigt! ihre Sorgen werden ernst genommen, und vor allen Dingen werden ihnen Lösungen angeboten. Das Vorschaltgesetz schafft eine stabile Grundlage für bevorstehende Strukturreform und ist darauf angelegt – darauf lege ich besonderen Wert –, daß das Zu Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 931 sammenwachsen der Krankenversicherungssysteme in Ost und West zukünftig gewährleistet wird. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


(A) (C)


(B) (D)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401420400
Frau Kollegin
Spielmann, ich möchte Ihnen im Namen des ganzen
Hauses zu Ihrer ersten Rede gratulieren, die, wie man ja
gesehen hat, unter erschwerten Bedingungen stattfand.


(Beifall)

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen nun

zu den Abstimmungen.
Nach § 31 unserer Geschäftsordnung liegen zwei

schriftliche Erklärungen vor, und zwar von der Kollegin
Monika Heubaum und dem Kollegen Hans-Ulrich Klo-
se, die ich mit Ihrer Zustimmung zu Protokoll gebe.*)

Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen über den
von den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung der Soli-
darität in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
– Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS ange-
nommen.

Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche
Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Urnen besetzt? – Ich sehe, daß alle Urnen be-
setzt sind. Ich eröffne die Abstimmung. –

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ih-
nen später bekanntgegeben.**)

Wir setzen die Beratungen fort. Ich kann den näch-
sten Tagesordnungspunkt erst dann aufrufen, wenn Sie
Platz genommen haben. – Können Sie versuchen, die
Gänge frei zu machen und die Gespräche, wenn mög-
lich, nach draußen zu verlagern? Ich muß nämlich
Wahlvorgänge leiten. Dazu brauche ich einen Überblick.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Wahl der Vertreter der Bundesrepublik
Deutschland in der Parlamentarischen Ver-

(zugleich Vertreter in der Versammlung der Westeuropäischen Union)


__________
*) Anlage 6
**) Seite 933 A

setzes über die Wahl der Vertreter der Bun-
desrepublik Deutschland zur Parlamentari-
schen Versammlung des Europarates
– Drucksachen 14/176, 14/177, 14/178, 14/179,
14/180 –

Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, der F.D.P. und
der PDS vor.

Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der
SPD auf Drucksache 14/176? – Wer stimmt dagegen? –
Gibt es Enthaltungen? – Der Wahlvorschlag ist ein-
stimmig angenommen worden.

Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/177? – Stimmt je-
mand dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Dieser Wahl-
vorschlag ist ebenfalls einstimmig angenommen wor-
den.

Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/178? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Auch dieser Wahlvor-
schlag ist einstimmig angenommen worden.

Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/179? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Auch dieser Wahlvorschlag ist ein-
stimmig angenommen worden.

Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/180? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen
der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der PDS und
der F.D.P. bei einigen Gegenstimmen von der
CDU/CSU und einigen Enthaltungen von der CDU/CSU
angenommen worden.

Damit sind die Vertreter der Bundesrepublik
Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des
Europarates, die zugleich Vertreter in der Versammlung
der Westeuropäischen Union sind, gewählt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Steuerentlastungsge-
setzes 1999/2000/2002
– Drucksache 14/23 –

(Erste Beratung 6. Sitzung)

a) Zweite Beschlußempfehlung und zweiter Be-

richt des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

– Drucksache 14/158 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Heidemarie Ehlert
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)

Klaus Wolfgang Müller (Kiel)

Reinhard Schultz (Everswinkel)

Carl-Ludwig Thiele

Dr. Margrit Spielmann

932 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


b) Zweiter Bericht des Haushaltsausschusses

(8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsord-

nung

– Drucksache 14/167 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Jacoby
Abg. Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel

Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die
Aussprache über diesen Gesetzentwurf namentlich ab-
stimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinba-
rung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.
– Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.


(Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Eine halbe Stunde, Frau Präsidentin!)


– Das habe ich gesagt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst

die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1401420500
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Heute beraten wir das Steuerände-
rungsgesetz 1998. Es enthält folgende Maßnahmen: die
Anpassung der Pensionsrückstellungen an die höhere
Lebenserwartung sowie die Verlängerung der steuerli-
chen und handelsrechtlichen Aufbewahrungsfrist für
Buchungsbelege von sechs auf zehn Jahre.

Wir haben diese beiden Maßnahmen vom Steuerent-
lastungsgesetz 1999 abgekoppelt. Wie Sie wissen, haben
wir in der letzten Woche die Entlastung für Familien
und Normalverdiener beschlossen. Es liegt nicht an der
Bundesregierung oder den Koalitionsfraktionen, wenn
wir heute einen weiteren Entwurf beraten müssen.
Vielmehr mußte auf Grund der Forderung der Oppositi-
on eine Anhörung dazu durchgeführt werden.

Zu den Maßnahmen im einzelnen. Für die Bewertung
von Pensionsrückstellungen – § 6 a Einkommensteuer-
gesetz – gilt folgendes: Die Menschen leben länger. Die
höhere Lebenserwartung findet in neuen oder geänder-
ten biometrischen Rechnungsgrundlagen ihren Nieder-
schlag. Sie lösen eine Pflicht zu Zuführungen zu den
Pensionsrückstellungen der Unternehmen aus. Der Ge-
setzentwurf sieht vor, den Mehrbetrag auf eine ange-
messene Zeitspanne gleichmäßig zu verteilen. Konkret
ist vorgesehen, ihn auf drei Jahre 1999, 2000 und 2001,
zu verteilen. Diese Regelung stellt sicher, daß es zu ei-
nem zutreffenden Ausweis der Pensionsrückstellungen
zu den jeweiligen Bilanzstichtagen kommt.

In ihrer schriftlichen Stellungnahme zum Entwurf des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 geht die Ar-
beitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung da-
von aus,

daß eine Verteilung des Übergangsbetrages auch
handelsrechtlich begründet ist.

Der Verband, in dem natürlich auch die Wirtschaft or-
ganisiert ist, hält

die vorgesehene Regelung für eine Lösung des
Übergangsproblems, die den sehr unterschiedlichen
Situationen in der Praxis in sinnvoller Weise Rech-
nung trägt.

In der Anhörung der Verbände hat die Frage eine
Rolle gespielt, ob den Unternehmen ein Wahlrecht ein-
geräumt werden sollte. Wir haben uns für eine pragmati-
sche steuerliche Übergangslösung entschieden. Sie be-
rücksichtigt in angemessener Weise den Nachholbedarf
und zugleich den prognostizierten Mehrbedarf in den
kommenden Jahren.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wolfgang Zeitlmann [CDU/ CSU]: Wenig Applaus!)


Die Bundesregierung geht davon aus, daß mit der Ver-
teilung der Zuführung in dem Dreijahreszeitraum in der
Praxis die Möglichkeit besteht, weitgehend Gleichklang
zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz herzustellen.

Die Bundesregierung verbindet mit dieser Gesetzes-
vorlage die Zusage, daß sie in Zukunft auf eine raschere
Anpassung der biometrischen Rechnungsgrundlagen
drängen wird. Sie soll nicht wieder 15 Jahre auf sich
warten lassen; dies hatten wir nämlich aufzuarbeiten.

Die Verteilung der erhöhten Zuführungen zu den
Pensionsrückstellungen führt infolge der höheren Be-
standsbewertung im Entstehungsjahr zu rund 3 Milliar-
den DM Mindereinnahmen. Sie sind durch die im Ent-
wurf des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002
ausgewiesenen Mehreinnahmen durch Verbreiterung der
steuerlichen Bemessungsgrundlage gedeckt.

Die Verlängerung der steuerlichen und handelsrecht-
lichen Aufbewahrungsfrist für Buchungsbelege von
sechs auf zehn Jahre muß ebenfalls noch in diesem Jahr
vorgenommen werden. Sie entspricht dem Beschluß des
Bundesrates vom 27. November, der auf der Grundlage
eines Antrags des Landes Schleswig-Holstein zustande
gekommen ist. Unser Ziel ist es, die Ermittlungsverfah-
ren gegen zur Zeit noch anonyme Kunden und Mitar-
beiter von Kreditinstituten wegen Verdachts der Steuer-
hinterziehung bzw. der Beteiligung an der Steuerhinter-
ziehung zu unterstützen.

Es handelt sich um einen Kompromiß. Die verlän-
gerte Aufbewahrungsfrist gilt für Buchungsbelege, nicht
dagegen für die gesamten schriftlichen Unterlagen wie
zum Beispiel Geschäftsbriefe. Das hält den zusätzlichen
Raumbedarf der Unternehmen in Grenzen,


(Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Na ja!)

zumal es ja die moderne Technik gibt. Neben einem si-
cherlich begrenzten zusätzlichen Raumbedarf kommt
keine Erschwernis auf die Wirtschaft zu.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Reiner Unsinn! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das Restaurant wird zum Lager mit Essensausgabe!)


Unterlagen wie Bücher, Inventare, Bilanzen unterliegen
wegen ihrer besonderen Nachweisfunktion bereits heute
einer zehnjährigen Aufbewahrungsfrist. Diese Frist
deckt sich im übrigen mit der Verjährungsfrist bei Steu-

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 933


(A) (C)



(B) (D)


erhinterziehung. Von daher ist es sachgerecht, die Frist
so zu verlängern.

Ich bitte Sie, dem Entwurf des Steueränderungsgeset-
zes 1998 zuzustimmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Sie haben uns nicht überzeugen können!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401420600
Bevor ich
den nächsten Redner aufrufe, teile ich Ihnen das von
den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte

Ergebnis der namentlichen Abstimmung mit. Es
handelt sich um den Entwurf eines Gesetzes zur
Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Kranken-
versicherung, kurz: Solidaritätsstärkungsgesetz. Abge-
gebene Stimmen: 578. Mit Ja haben gestimmt 339,
mit Nein haben gestimmt 210. Es gab 29 Enthaltun-
gen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen wor-
den.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Achim Großmann [SPD]: Das war eure letzte Abstimmung, die ihr gewonnen habt!)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 574;
davon

ja: 336
nein: 209
enthalten: 29

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt

Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)


Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold

Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Otto Schily

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

934 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Hans-Joachim Welt

Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek (Leipzig)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)


Margareta Wolf (Frankfurt)


PDS
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Dr. Uwe-Jens Rössel

Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Friedrich Bohl
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Dr. Wolfgang Bötsch
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Hermann Gröhe
Manfred Grund

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf)


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Manfred Heise
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhemshaven)

Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 935


(A) (C)



(B) (D)


Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Röttgen
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt

(Mühlheim)


Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Diethard W. Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Wilhelm - Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert

Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller

F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle

Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günter Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Enthalten
SPD
Monika Heubaum
Hans-Ulrich Klose
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla (Ursula) Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert

Jetzt fahren wir in der Debatte fort. Das Wort hat der
Abgeordnete Hansgeorg Hauser.


Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1401420700

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Während im sogenannten Vorläufer zum so-
genannten Steuerentlastungsgesetz in der letzten Woche
die Geschenke verteilt wurden, etwa das Kindergeld, das
dann von den Betroffenen später durch Steuererhöhun-
gen an anderer Stelle finanziert werden muß,


(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Vorsicht!)

ist das Steueränderungsgesetz, also der zweite Teil der
Salamitaktik, schon weniger angenehm. Wie bitter der
dritte Teil dann wird, das hat die Anhörung am Montag
und Dienstag dieser Woche ergeben, in der die große
Mehrheit der Sachverständigen laut „Handelsblatt“ von
gestern „die Vorlage förmlich in der Luft zerrissen“ hat.


(Zuruf von der SPD: Dann müssen wir demnächst einmal Sachverständige einladen!)


Im Steueränderungsgesetz geht es – es ist richtig, was
die Frau Staatssekretärin gesagt hat – um die Anpas-
sung der Pensionsrückstellungen sowie um die Ver-
längerung der Aufbewahrungsfristen für bestimmte
Geschäftsunterlagen.

Wir sind uns alle einig, daß die Änderung des § 6 a
Einkommensteuergesetz notwendig ist, da – das hat der

sachverständige Versicherungsmathematiker Professor
Heubeck sehr deutlich festgestellt – „drastische Verlän-
gerungen der Lebenserwartung und der damit zusam-
menhängenden Veränderung der Sterbewahrscheinlich-
keit“ in den letzten Jahren eingetreten sind.

Meine Damen und Herren, wenn man das mit der
Debatte von heute nachmittag vergleicht, in der abge-
stritten worden ist, daß man in der Rentenversicherung
eine Anpassung braucht und die diesbezüglich getroffe-
nen Maßnahmen wieder zurückgenommen hat, dann
muß ich sagen, daß diese Feststellung von Professor
Heubeck eine ganz andere Sprache spricht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Der Wirtschaft wird das zugemutet; für die gesetzliche
Rentenversicherung ist offensichtlich eine solche Vor-
sorge nicht zu treffen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Staatliche Willkür!)

Meine Damen und Herren, die bisherigen Bilanzan-

sätze müssen daher zwingend angepaßt werden, auch
wenn die Höhe der Anpassung von einigen Experten
möglicherweise als nicht ganz ausreichend angesehen
wird. Das ist aber nicht Gegenstand dieses Gesetzes;
darüber müssen wir uns zu einer anderen Zeit unterhal-
ten, um vielleicht noch einmal zu diskutieren, wie diese
Anpassungen auszusehen haben.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

936 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Strittig an der Gesetzesänderung ist ohne Zweifel die
steuerliche Behandlung des Mehraufwandes. Während
handelsrechtlich der Anpassungsbedarf sofort, zum
31. Dezember 1998, ermittelt und über vier Jahre verteilt
wird, werden im Steuerbereich die Erfassung ab 1999
und eine dreijährige Verteilung vorgeschrieben. Abwei-
chend von der bisherigen Behandlung gibt es hier kein
Wahlrecht mehr. Vielmehr wird zwingend vorgeschrie-
ben, diese Verteilung auf drei Jahre vorzunehmen. Es
ergibt sich also damit wieder eine neue Abweichung der
Steuerbilanz von der Handelsbilanz. Damit wird das
Maßgeblichkeitsprinzip natürlich erneut durchlöchert.

Es ist schon interessant, daß die Frau Staatssekretärin
als Begründung den einzigen Sachverständigen zitierte,
der diese zwingende Verteilung befürwortet hat. Alle
anderen Sachverständigen – ich habe das noch einmal
nachgezählt – haben diesen Zwang abgelehnt und sich
für das Wahlrecht eingesetzt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sehen nicht ein, warum diese bisher bewährte Regel
abgeändert werden soll.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Um Handelsbilanz und Steuerbilanz nicht getrennt er-
stellen zu müssen, schlagen wir deshalb vor, die han-
delsrechtliche Behandlung auch für die steuerrechtliche
Behandlung zugrunde zu legen, das heißt, den Anpas-
sungszeitpunkt auf Wirtschaftsjahre, die zum 31. De-
zember 1998 enden, zu fixieren und ein Recht für die
Verteilung auf bis zu vier Jahre festzulegen. Wir plädie-
ren also für das Wahlrecht und nicht für den Zwang.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Wären Sie noch Staatssekretär, würden Sie das anders sehen!)


Der zweite Teil des Steueränderungsgesetzes bein-
haltet eine gravierende Änderung der Aufbewahrungs-
fristen. In § 147 Abs. 3 der Abgabenordnung wird die
Frist für die Aufbewahrung der in Abs. 1 Nrn. 1 und 4
aufgeführten Unterlagen von bisher 6 auf 10 Jahre ver-
längert. Es ist unglaublich, mit welcher Rücksichtslosig-
keit insbesondere kleinen und mittleren Firmen neue
Kostenbelastungen aufgebürdet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Aber auch bei den großen Unternehmen – auch dafür
gab es beredte Zeugen – wird dies zu erheblichen
Schwierigkeiten führen, da 40 Prozent mehr archiviert
werden müssen. Dafür gibt es in den meisten Firmen
natürlich keine freien Kapazitäten.


(Detlev von Larcher [SPD]: Da muß gar nicht mehr archiviert werden!)


Der Ausgangspunkt ist genannt worden. Er liegt in
der Tatsache begründet, daß es der Finanzverwaltung,
insbesondere in Nordrhein-Westfalen, nicht gelungen
ist, einige Hunderte oder Tausende von Fällen aus dem
Bereich der Überprüfung von Geldtransfers ins Ausland
rechtzeitig vor Ablauf der Aufbewahrungsfristen aufzu-

klären und die entsprechenden Unterlagen sicherzustel-
len. Wegen dieser vergleichsweise wenigen Fälle muß
die gesamte gewerbliche Wirtschaft einschließlich aller
Freiberufler und sonstigen Selbständigen erhebliche
Mehrbelastungen auf sich nehmen. Wir sind der Mei-
nung, daß das eine vollkommen unverhältnismäßige und
unangemessene Maßnahme zugunsten der Finanzver-
waltung ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Damit es hier keine Mißverständnisse gibt – das
wollen Sie uns natürlich gerne anhängen –, möchte ich
folgendes sagen: Wir sind selbstverständlich ebenfalls
dafür, daß Steuerhinterziehung verfolgt wird und auch
geeignete Maßnahmen getroffen werden können, um die
entsprechenden Verfolgungen und Untersuchungen
durchführen zu können.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie tun nichts dafür! – Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Dafür haben Sie 16 Jahre nichts getan!)


Dazu hatte die Verwaltung 6 Jahre Zeit. Auch jetzt noch
hat die Verwaltung – auch das haben die Experten be-
stätigt – geeignete Möglichkeiten, bestimmte Beweise
sicherzustellen. Die Wirtschaft hat nun jedoch mit voll-
kommen überzogenen Maßnahmen zu rechnen und zu
arbeiten. Wir halten das für skandalös.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Skandalös ist die Steuerhinterziehung! – Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Da spricht der Sprecher der Schutzgemeinschaft der deutschen Steuerhinterzieher!)


Der Vertreter des Gastgewerbes – um einmal die Pra-
xis eines kleinen Bereiches zu veranschaulichen –, aber
auch eine ganze Reihe von anderen Experten, beispiels-
weise aus dem Handwerk, haben klargemacht, was es
für sie bedeutet, wenn nun Tonnen von zusätzlichem
Papier unnötigerweise archiviert und aufbewahrt werden
müssen. Wir sind der Meinung, daß das Gebot der Ver-
hältnismäßigkeit gröblichst verletzt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Professor Bareis hat auf die historische Entwicklung
dieser Vorschriften hingewiesen. Bis vor 40 Jahren
mußte man die entsprechenden Unterlagen noch 10 Jah-
re aufheben. Dann wurde in zwei Schritten, 1959 und
1976, die Frist auf 7 bzw. auf 6 Jahre verkürzt. Hin-
sichtlich der Schriftgutaufbewahrung galt seit 1959 be-
reits eine Erleichterung, um, wie es damals hieß, die aus-
ufernde Flut der aufzubewahrenden Unterlagen einzu-
dämmen. Man hat es also schon damals eingesehen. In
der Zwischenzeit ist die Flut der Belege noch größer
geworden. Herr Bareis sagt, die Begründung von damals
sei auch heute noch richtig und sinnvoll. Dem schließen
wir uns an. Das ist auch unsere Meinung, und deshalb
lehnen wir diese Verlängerung ab.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 937


(A) (C)



(B) (D)


Es ist schon zynisch, wenn man uns im Ausschuß
vorhält, daß die Wirtschaft auf moderne Archivierungs-
techniken zurückgreifen kann.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das soll man mal einem kleinen Handwerksbetrieb sagen! Das ist eine Frechheit!)


Für diejenigen, die solche Techniken bisher nicht ange-
wendet haben, kostet die Einführung sehr viel Geld.
Außerdem – auch das haben wir gehört – ist eine Neu-
installierung solcher Techniken sehr zeitaufwendig.
Auch dafür sind, wie gesagt, Beispiele genannt worden.
Im übrigen ist noch lange nicht garantiert – auch das ist
gesagt worden –, daß man, wenn man eine solche
moderne Technologie einmal eingeführt hat, sie für alle
Zeit nutzen kann. Durch Systemänderungen, insbeson-
dere im Bereich der Software, ist es sehr häufig vorge-
kommen – das hat uns zum Beispiel der Vertreter der
BASF klargemacht –, daß man wieder vollkommen neue
Techniken einführen und kostspielige Anpassungen vor-
nehmen muß.

In anderen Ländern sind die Aufbewahrungszeiten in
der Regel kürzer und wesentlich weniger stringent gere-
gelt. Auch das kann ein Wettbewerbsnachteil für die
deutsche Wirtschaft sein.

Meine Damen und Herren, Belastungen wie die auf
Grund der nun vorgesehenen Änderung der Aufbewah-
rungsfristen sind geradezu symptomatisch für das ge-
samte sogenannte Steuerentlastungsgesetz.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Belastungsgesetz!)

Während draußen in der Wirtschaft der Bundeskanzler
und die Koalitionsvertreter das Märchen erzählen,


(Detlev von Larcher [SPD]: Märchen erzählen Sie!)


daß der Mittelstand entlastet würde, wird hier im Parla-
ment durch die Regierung heftig an neuen Belastungen
gearbeitet. Das ganz dicke Ende kommt im nächsten
Frühjahr mit massiven neuen Belastungen für die ge-
samte Wirtschaft.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So ist das!)

Die Anhörung der nahezu 150 Fachleute aus Verbän-

den und Organisationen hat sehr eindeutig ergeben, daß
die geplanten Maßnahmen des Steuerentlastungsgeset-
zes drastische Auswirkungen haben werden. Neue, zum
Teil existenzbedrohende Änderungen wie die Abschaf-
fung der Teilwertabschreibung, das rückwirkende
Wertaufholungsgebot, Einschränkungen von Rückstel-
lungsbildungen usw. führen zu deutlichen Steuererhö-
hungen, die durch die geplanten Steuersatzsenkungen
bei weitem nicht ausgeglichen werden. Strukturände-
rungen werden behindert oder ganz blockiert, so daß zur
Zeit vollkommen überhastete Maßnahmen ergriffen
werden, um Betriebe zu veräußern oder andere Struktu-
ren zu schaffen.

Das hat bereits Auswirkungen in der Wirtschaft. Die
Geschäftserwartungen und das Wirtschaftsklima sind
erheblich schlechter geworden. Eine Untersuchung der
IHK Frankfurt zeigt sehr deutlich, daß das Klima erheb-

lich schlechter geworden ist und daß die Investitionsbe-
reitschaft sowie die Bereitschaft, Neueinstellungen vor-
zunehmen, erheblich zurückgegangen sind. Das sind
deutliche Reaktionen auf die von Ihnen angekündigte
Steuerpolitik. Sie haben es in den wenigen Wochen
nicht nur geschafft, eine ganze Reihe von Menschen zu
verunsichern,


(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Kein Stück!)

sondern Sie haben es auch geschafft, daß das Wirt-
schaftsklima innerhalb dieser kurzen Zeit in den Keller
gegangen ist.


(Zuruf von der SPD: Dummes Zeug!)

Nehmen Sie dieses Steuergesetz wieder zurück, so

wie es Ihnen die Experten empfohlen haben!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Machen Sie ein ordentliches Steuerreformgesetz mit
niedrigen Steuersätzen, wenigen Ausnahmen und einer
vernünftigen Entlastung, dann werden auch wir auf Ihrer
Seite stehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401420800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christine Scheel.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401420900

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es geht
heute, Herr Hauser, nicht um das gesamte Steuerentla-
stungsgesetz, sondern es geht um den sogenannten
zweiten Vorläufer. Es ist schon nett – es ist ja kurz vor
Weihnachten –, wenn einer neuen Regierung, die erst
kurze Zeit im Amt ist, neue biometrische Berechnungs-
grundlagen vorgelegt werden, die belegen, daß es eine
längere Lebenserwartung gibt. Das ist wunderbar und
freut uns alle. Auch der Rückgang im Bereich der Inva-
lidisierung ist durchaus als sehr positiv zu bewerten.

§ 6 a Abs. 3 Einkommensteuergesetz schreibt nun für
die Berechnung von Pensionsrückstellungen die An-
wendung der anerkannten Regeln der Versicherungs-
mathematik vor. Die entsprechende Änderung müssen
wir in diesem Jahr beschließen und auch gesetzlich um-
setzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


So lösen die neuen Richttafeln, die Anfang November
1998 erschienen sind, die Richttafeln von 1983 ab.
Darin, Herr Hauser, besteht ja Übereinstimmung.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das ist richtig! – Zuruf des Abg. Hans Michelbach [CDU/CSU])


Die einzige Differenz zwischen der heutigen Vorlage,
Herr Michelbach, und Überlegungen, die während der
Anhörung und auch von der Opposition geäußert wur-
den, liegt in der Frage, ob die Verteilung auf mehrere
Jahre zwingend ist oder ob es ein Wahlrecht für die Un-

Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)


938 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



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(D)


ternehmen gibt. Hier liegt nun ein Vorschlag vor, der im
Ergebnis eine gleichmäßige Verteilung des Betrags auf
die drei Jahre von 1999 bis 2001 vorsieht. Dieser Kom-
promiß, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-
Fraktion, berücksichtigt zum einen die anerkannten Re-
geln der Versicherungsmathematik, zum zweiten die
Richttafeln von 1998 und zum dritten – das ist ganz
wichtig – auch das Stichtagsprinzip.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Geldabschöpfung!)


Dies ist mit handelsrechtlichen Grundsätzen vereinbar
und hat den Vorteil, auf einfache Weise handhabbar zu
sein.


(Zuruf von der CDU/CSU: Eben nicht!)

Wir meinen, daß der vorgesehene Übergangszeitraum

vernünftig ist. Er ist schon heute im Gesetz angelegt.
Wenn man recherchiert – dies wurde auch von der Ar-
beitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung be-
stätigt, die sich auf diesem Gebiet auskennt –, dann
kommt man zu dem Ergebnis, daß gerade der Mittel-
stand von dieser Verteilung Gebrauch gemacht hat.
Deswegen kann ich zu der Kritik, das sei mittelstands-
feindlich, nur sagen: Es ist durchaus richtig, daß wir die
Regelung in dieser Form vorgelegt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Dann müßten sie doch wählen können!)


Nun zur Verlängerung der steuerlichen und han-
delsrechtlichen Aufbewahrungsfristen von sechs auf
zehn Jahre. Herr Hauser, nach Ihrer Rede muß ich Ihnen
sagen: Wollen wir doch einmal abwarten, ob beispiels-
weise die leerstehenden gewerblichen Immobilien in den
neuen Bundesländern, die es bedauerlicherweise dort
gibt und die Entscheidungen der alten Bundesregierung
zu verdanken sind, zu diesem Zweck angemietet oder
gepachtet werden müssen. Sie tun gerade so, als ob wir
als neue Regierungsfraktion ausgerechnet für dieses
Problem eine Lösung hätten finden wollen. Wir wollen
einmal abwarten, wieviel Räume für die Lagerung der
Akten angemietet werden müssen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist ja ein Zynismus!)


– Wenn Herr Hauser übertreibt, dann kann ich zynisch
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!)


Man muß doch die Ausgangslage betrachten. Es gibt
im Falle von Steuerhinterziehung eine Verjährungsfrist
von zehn Jahren. Daraus folgt, daß in diesem Zeitraum
ermittelt werden muß. Es kann aber nur dann ermittelt
werden, wenn die notwendigen Belege und Unterlagen
vorliegen. Das ist doch vollkommen logisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es geht um die Bekämpfung der Steuerhinterziehung
und nicht darum, irgend jemanden zu verärgern.

Wer Mißbrauch bekämpfen will, muß unserer Rege-
lung zustimmen, zumal wir eine Kompromißlösung ge-
funden haben. Diese sieht nicht vor, daß – wie Sie im-
mer so schön sagen – jeder Wisch aufgehoben werden
muß, sondern es geht um Aufzeichnungen, Inventare,
Jahresabschlüsse, Lageberichte, Eröffnungsbilanzen und
um Buchungsbelege. Um Mißbrauch vorzubeugen, ist es
durchaus legitim, daß für die Durchführung der Ermitt-
lungen die Aufbewahrungsfrist in diesem Bereich an die
Verjährungsfrist angepaßt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es gibt durchaus auch Kritik, die in die andere Rich-
tung geht. Herr Ondracek von der Deutschen Steuer-
Gewerkschaft hat die Auffassung vertreten, daß wir
nicht genug sammeln. Er kritisiert, daß wir die ur-
sprünglich von Niedersachsen vorgelegten Vorschläge
nicht umgesetzt haben und daß wir die Regelung auf die
eben erwähnten Unterlagen beschränkt haben und eben
nicht all die Unterlagen einbezogen haben, die die Steu-
erfahndung eigentlich für die Ermittlung braucht. Er
sagte: Wenn man weiß, daß die Steuerfahndung kommt,
wird „clean“ gemacht. Er sprach so schön von „verzau-
bern“. Aus diesem Grunde meinen wir, daß möglichst
viele der Unterlagen, die die Steuerfahndung braucht,
aufgehoben werden müssen. Deswegen dient dieser
Vorschlag der Bekämpfung der Steuerhinterziehung.
Dafür treten wir ein.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401421000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jörg-Otto Spiller.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1401421100
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Im Mittelpunkt der
Steuerreform stehen die beiden Fragen, über die wir uns
heute unterhalten, nicht. Wenn es nach uns gegangen
wäre, hätten wir diesen Teil der Gesetzgebung in der
vorigen Woche schon abschließen können. Aber es ist
das gute Recht der Oppositionsfraktionen, eine Anhö-
rung zu verlangen. Sie haben es getan.

Wir hätten ein schnelleres Verfahren bevorzugt. Aber
nach der Anhörung darf ich sagen: Ich möchte mich bei
Ihnen ausdrücklich bedanken. Die Position der Regie-
rung und der Koalition ist nämlich aus der Anhörung in
der Sache gestärkt hervorgegangen.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Hier ist das Protokoll!)


– Ich habe das Protokoll ebenfalls und empfehle, es zu
lesen.

Christine Scheel

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 939


(A) (C)



(B) (D)


Herr Hauser, in bezug auf die Aufbewahrungsfristen
muß ich als erstes klarstellen: Wir haben in den Gesetz-
entwurf nicht hineingeschrieben, daß sämtliche Ge-
schäftsunterlagen zehn Jahre aufzuheben seien. Das ist
vielmehr ein Kompromiß, in dem steht, daß Buchungs-
belege, Geschäftsabschlüsse, Bilanzen und ähnliches
zehn Jahre lang aufbewahrt werden müssen. Zum Teil
wurde aber von der Finanzverwaltung und auch von
Bundesländern gefordert, daß die vollständige Ge-
schäftskorrespondenz ebenfalls zehn Jahre aufbewahrt
werden sollte. Das haben wir herausgenommen, und das
ist ein vernünftiger Kompromiß.

Herr Hauser, wenn Sie den Wirtschaftsverbänden die
direkte Fangfrage stellen, ob sie Papier lieber sechs oder
zehn Jahre lang aufheben wollen, dann sagen sie Ihnen
natürlich, ihnen seien sechs Jahre lieber.


(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Drei wären noch besser!)


Wenn Sie fragen, ob sie sehr schnell Ordnung in ihre
Unterlagen bringen wollten oder ob sie sich damit lieber
ein bißchen mehr Zeit ließen, dann sagen sie vielleicht
auch, daß es ihnen lieber wäre, wenn sie sich etwas
mehr Zeit lassen könnten.

Relevanter war in der Anhörung aber der deutliche
Hinweis, daß es einen ganz sachlichen Zusammenhang
gibt: Es geht um die Bekämpfung von Steuerhinterzie-
hung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man tut gerade dem Mittelstand Unrecht, wenn man ihm
generell Sympathie für Steuerhinterziehung unterstellt.


(Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Da haben Sie recht! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer macht das denn?)


– Herr Kollege Michelbach, die Masse auch der Mittel-
ständler gehört doch zu den redlichen Steuerzahlern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die haben doch wie jeder redliche Steuerzahler ein In-
teresse daran, daß diejenigen, die Steuern hinterziehen,
auch ein hohes Risiko eingehen.


(Beifall bei der SPD)

Das ist doch im Interesse aller redlichen Steuerzahler.
Was diesen Punkt angeht, stehen wir gut da, nach dieser
Anhörung noch besser als vorher.

Zu den Pensionsrückstellungen muß ich noch etwas
sagen. Es ist ja erfreulich, daß die Lebenserwartung
steigt, und wir nehmen die unangenehme Folge gern in
Kauf, daß die Steuereinnahmen zunächst zurückgehen
werden; das muß man hinnehmen. Daß die Lebenser-
wartung von Jahr zu Jahr steigt, ist ein Prozeß. Aber es
werden eben nicht in jedem Jahr neue Sterbetafeln er-
rechnet, so daß man sich auf einen Stichtag verständigen
muß. Diese Systematik ist bisher unumstritten gewesen.

Als einziges war jetzt – Herr Kollege Hauser hat es
gesagt – die Frage des Wahlrechtes kontrovers. Herr
Hauser, Sie sind ja dabeigewesen. Die Sachverständi-
gen, die eine neutrale Position beziehen,


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Professor Bareis!)

weil sie selbst keine unmittelbaren Interessen verfolgen,
kamen zum einen vom Institut der Wirtschaftsprüfer.
Die Wirtschaftsprüfer sind vom Gesetz her verpflichtet,
neutral zu sein, keine Interessen der einen oder anderen
Seite zu verfolgen, sondern neutral zu prüfen. Zum an-
deren war es der Versicherungsmathematiker Professor
Heubeck. Beide haben gesagt, daß die Lösung ohne
Wahlrecht vernünftig ist.

Am deutlichsten haben das die Wirtschaftsprüfer ge-
sagt, weil folgendes natürlich zutrifft: Wenn eine höhere
Rückstellung notwendig ist, dann kann man es doch
nicht im Belieben der einzelnen lassen, ob sie eine sol-
che Verpflichtung in der Bilanz ausweisen oder nicht, je
nachdem, ob es ihnen gefällt oder nicht. Es kann doch
nicht im Belieben des einzelnen stehen, ob man die
Wahrheit sagt oder nicht. Das muß sich doch in der
Bilanz korrekt ausweisen lassen, und zwar ohne jedes
Wahlrecht.

In ähnlicher Weise hat es auch Professor Heubeck
dargelegt.


(Joachim Poß [SPD]: Die Staatsregierung in Bayern sieht es genauso! – Gegenruf der Abg. Ina Lenke [F.D.P.]: Die hat auch nicht immer recht!)


– Wir wollen gerne zu Protokoll nehmen, daß die baye-
rische Staatsregierung nicht immer recht hat; aber
manchmal hat sie doch recht.

Professor Heubeck hat nun wirklich recht, und ich
möchte Ihnen vorlesen, was er in seiner schriftlichen
Stellungnahme, die dem Finanzausschuß zugeleitet wor-
den ist, geschrieben hat:

Es ist ... durchaus sachgerecht, den auf dieser Pe-
riodisierung

– es ist kein Prozeß von Tag zu Tag, sondern ein laufen-
der Prozeß, daß die Lebenserwartung steigt –

beruhenden Auffüllbetrag nicht voll im ersten Jahr,
sondern auf einige Jahre verteilt der Rückstellung
zuzuführen.


(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Eben!)

Der im Gesetz vorgesehene Übergangszeitraum
von vier Jahren mit einer im Ergebnis dreijährigen
gleichmäßigen Verteilung ... auf die Jahre 1999 bis
2001 ist ein vertretbarer Kompromiß, der die aner-
kannten Regeln der Versicherungsmathematik, die
Eigenschaften der Richttafeln 1998 und das Stich-
tagsprinzip berücksichtigt. Er ist aus meiner Sicht
vereinbar mit handelsrechtlichen Grundsätzen und
hat zudem den Vorteil der einfachen Handhabbar-
keit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jörg-Otto Spiller

940 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Besser kann es doch nicht sein. Ich möchte mich bei
Ihnen bedanken, daß Sie uns dazu verholfen haben, daß
die Sachverständigen dies noch einmal in solch großer
Klarheit zum Ausdruck gebracht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401421200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele.


(Zurufe von der SPD: Nein!)

– Doch, er hat das Wort.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1401421300
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten heute in abschließender Lesung den zweiten
Vorläufer des im Hinblick auf die Arbeitsplätze und die
Wirtschaft als Steuerentlastungsgesetz getarnten Steuer-
belastungsgesetzes.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

In der diesbezüglichen Anhörung in dieser Woche

haben mit Ausnahme von Herrn Hickel und des DGB alle
Sachverständigen erklärt, daß Ihr Gesetzesentwurf Ihr
selbstgestecktes Ziel verfehlt, nämlich mehr Wachstum
und mehr Beschäftigung in Deutschland zu erreichen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Unterschied zur Anhörung im Rahmen der Steu-
erreform der alten Koalition besteht darin, daß die Sach-
verständigen seinerzeit zu der Reform gesagt haben: Ja,
aber ... Zu Ihrer Reform sagen alle Sachverständigen:
Nein, das ist nicht der Weg, mit dem neue Arbeitsplätze
in Deutschland geschaffen werden können.

Deshalb fordern wir von der F.D.P. Sie auf: Ziehen
Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Machen Sie eine ver-
nünftige Steuerreform! Entdecken Sie den Charme der
Langsamkeit!


(Joachim Poß [SPD]: Nach der Weihnachtspause, Herr Thiele!)


Das haben Sie doch selbst gefordert. Wir bitten Sie: Ma-
chen Sie jetzt endlich einmal von dem Reiz der Gründ-
lichkeit Gebrauch, und legen Sie diesem Hause einen
gründlichen und vernünftigen Gesetzentwurf vor!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Machen Sie doch einmal von dem Reiz des Nachdenkens Gebrauch!)


Es ist ja erstaunlich, daß Sie überhaupt nicht über ein
geschlossenes Konzept verfügen. In der letzten Woche
wurde vom Deutschen Bundestag ein erster Vorläufer
beschlossen. In dieser Woche wird ein zweiter Vorläufer
beschlossen. Demnächst kommt wahrscheinlich ein
dritter Vorläufer.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt an Ihnen! – Detlev von Larcher [SPD]: Sie erzählen Märchen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Märchenonkel!)


Irgendwann kommt sogar der Schlußläufer. Wir wollen
einmal sehen, wann dieser ganze Lauf ein Ende haben
wird.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Märchenstunde!)


Der zentrale Punkt – den kritisieren nicht nur wir,
sondern auch die Sachverständigen und die gesamte Öf-
fentlichkeit – besteht darin, daß Sie eine Politik der Ver-
unsicherung betreiben. Die Steuerpflichtigen, insbeson-
dere die Unternehmen in unserem Land, haben über-
haupt keine Vorstellung davon, wie das Steuerrecht im
nächsten Jahr aussehen wird. Das hat zwangsläufig zur
Folge, daß Investitionsentscheidungen zurückgehalten
werden, daß im Laufe des nächsten Jahres Tatbestände
geschaffen werden, die bereits ab dem 1. Januar näch-
sten Jahres gelten. Wie soll jemand investieren, wenn er
nicht einmal weiß, unter welchen steuerlichen Rahmen-
bedingungen dies geschieht?


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


So schafft man kein Vertrauen. So schafft man keine
Investitionen. So schafft man keine Arbeitsplätze.

Herr Minister Lafontaine, ich habe gerade im Fernse-
hen gesehen, wie Sie erklärt haben, daß es Ihr Ziel ist,
die Zahl der Arbeitslosen auf 3 Millionen zu verringern.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gutes Ziel!)


Wir wünschen Ihnen im Interesse der Arbeitslosen viel
Erfolg. Nur, dieser Gesetzentwurf ist der falsche Weg,
um die von Ihnen selbst gesteckten Ziele überhaupt er-
reichen zu können.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die einzige Mehrbeschäftigung erreichen Sie bei den

steuerberatenden Berufen. Die können sich momentan
vor Anfragen nicht retten, wie jetzt steuerlich noch et-
was geregelt werden soll. Denn ein Handwerker, der
sein Lebenswerk in seinen Betrieb gesteckt hat, weiß gar
nicht, ob er dieses Lebenswerk im nächsten oder im
übernächsten Jahr zur Sicherung seines Lebensabends
überhaupt nutzen kann, weil Sie den bei der Veräuße-
rung von Betriebsteilen geltenden halben Steuersatz im
Rahmen der Altersvorsorge streichen wollen. Das ist ei-
ner der Gründe, warum momentan so viel an Beratung
erforderlich ist.

Sie hätten die Möglichkeiten, einen vernünftigen
Weg zu gehen. Sie können auch jetzt noch das Modell
der F.D.P. übernehmen, Herr Finanzminister. Ich emp-
fehle es Ihnen.


(Beifall bei der F.D.P. – Lachen bei der SPD)

Dann haben Sie die Möglichkeit, hier etwas mehr

Vertrauen zu schaffen.
In der Sache würde ich es für richtig halten, wenn die

Steuerfahndung innerhalb von sechs Jahren endlich be-
ginnt und wenn nicht, um einzelne zu treffen, alle Steu-

Jörg-Otto Spiller

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 941


(A) (C)



(B) (D)


erpflichtigen mit einem unsinnigen Verwaltungsauf-
wand im Sinne einer Schleierfahndung belegt werden.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Genau! – Joachim Poß [SPD]: Sie wollen die Steuerhinterziehung schützen! Die F.D.P. ist doch bekannt: Schutzgemeinschaft der Steuerhinterzieher!)


Sie hätten unserem Vorschlag folgen können: Ver-
längerung um ein Jahr für das Kreditgewerbe, dann hät-
ten Sie die nämlich auch bekommen. Sie betreiben hier
eine Verunsicherung und eine Mehrbelastung der Wirt-
schaft, die leider nicht zu mehr Arbeitsplätzen führen
wird.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Der Schutzhäuptling der Steuerhinterzieher! – Gegenruf des Abg. Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Das ist doch beleidigend! – Joachim Poß [SPD]: Das ist aber zutreffend!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401421400
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Heidemarie Ehlert.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1401421500
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Die heutige Behandlung
von Pensionsrückstellungen und Aufbewahrungsfristen
steht symbolisch für das Chaos im gesamten Gesetzge-
bungsverfahren.


(Beifall bei der PDS)

Erst darf die Öffentlichkeit einen Entwurf für ein

Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 zur Kenntnis
nehmen, dann gibt es zum Gesetzentwurf einen Vorläu-
fer, und nun diskutieren wir bereits den zweiten, ur-
sprünglich nicht vorgesehenen Vorläufer. Hinsichtlich
dieses Durcheinanders hat die neue Bundesregierung
nun wirklich Kontinuität zu ihrer bisherigen Politik be-
wiesen.

Die Ausdehnung der Aufbewahrungsfristen soll der
Finanzverwaltung und Gerichtsbarkeit die Möglichkeit
geben, Steuerhinterziehung besser zu verfolgen. Wäh-
rend der vergangenen Tage, auch heute wieder, war
diesbezüglich von Kollegen wiederholt die Meinung zu
hören, daß Steuerhinterziehung nur den Bereich der
Banken und Versicherungen betreffe und man daher die
Ausdehnung der Aufbewahrungsfristen auf den Finanz-
sektor beschränken solle.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401421600
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Scheel?


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1401421700
Aber gern.

Vizepräsientin Dr. Antje Vollmer: Bitte.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401421800

Frau Ehlert, Sie beklagen, daß es einen zweiten Vorläu-

fer gibt, der im Hinblik auf den Ablauf der Gesetzesbe-
ratungen das Chaos noch verstärken würde. Können Sie
mir dann die Frage beantworten, warum ausgerechnet
die Opposition, obwohl schriftliche Stellungnahmen
schon längst vorlagen, eine Anhörung beantragt hat, die
uns als Regierungsfraktionen letztendlich – von der Ge-
schäftsordnung selbstverständlich korrekt – in die Lage
versetzt hat, diesen zweiten Vorläufer vorzulegen? Sonst
hätte es nämlich nur einen gegeben.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1401421900
Die Themen, die wir
heute behandeln, und die Auswirkungen waren so wich-
tig, daß eine Anhörung dringend notwendig war.


(Beifall bei der PDS)

Erst in der Ausschußsitzung wurden uns durch die

Regierung die Auswirkungen der Pensionsrückstellun-
gen eindeutig geklärt. Deshalb wurde die Anhörung ge-
fordert.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Der den zweiten Vorläufer verursacht, beklagt sich jetzt!)


Ich bin erstaunt über Ihr kurzes Gedächtnis. Offen-
sichtlich ist Ihnen der Fall des Bäderkönigs und Strauß-
Freundes Zwick noch in bester Erinnerung; er müßte es
auf jeden Fall noch sein. Das Problem der Steuerhinter-
ziehung und somit der Ausdehnung der Aufbewahrungs-
fristen läßt sich eben nicht auf einen Bereich der Volks-
wirtschaft beschränken.


(Beifall bei der PDS)

Gemäß Gesetzentwurf sollen Aufbewahrungsfristen

allerdings nur für Buchungsbelege und nicht – wie von
der PDS gefordert – für alle steuerlich relevanten Belege
ausgedehnt werden.

Schon aus diesem Grund ist es zweifelhaft, ob die
Neuregelung zum gewünschten Ergebnis führen wird.
Aber offensichtlich ist die Aufklärung von Steuerhinter-
ziehung nicht gewollt, und wir können es uns leisten, auf
30 Milliarden DM hinterzogene Steuern zu verzichten.
Es fehlen uns in den Finanzämtern einfach die Be-
triebsprüfer. Meine Damen und Herren, das müssen Sie
einfach zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der PDS)

In Sachen Pensionsrückstellung nur soviel: Die Er-

höhung der Zuführung zu den Rückstellungen ist not-
wendig; darin sind wir uns alle einig. Problematisch war
allerdings die Behandlung des Themas seitens der Re-
gierung. Die PDS trägt die vorgeschriebene Drittelung
der Rückstellungserhöhung mit, damit Steuerausfälle für
den Bundeshaushalt planbar sind.

Mit der Verteilung auf drei Jahre wird nun auch auf
die unterschiedliche wirtschaftliche Lage der Unterneh-
men Rücksicht genommen. Die erneute Begünstigung
von Großunternehmen wird erstmals in diesem Haus
verhindert, und das ist neu.


(Beifall bei der PDS)


Carl-Ludwig Thiele

942 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401422000
Danke schön.
– Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-
brachten Gesetzentwurf eines Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002. Der Finanzausschuß empfiehlt, den ver-
abschiedenten weiteren Teil des Gesetzentwurfs in der
Ausschußfassung mit dem Titel „Entwurf eines Steuerän-
derungsgesetzes 1998“ anzunehmen und den übrigen
Teil einer späteren Beschlußfassung vorzubehalten.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen
worden.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlußabstimmung. Die Fraktionen SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, an die vorgesehenen Plätze zu
gehen. Sind alle Urnen besetzt? – Das scheint der Fall zu
sein. Dann eröffne ich die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses im Raum, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe damit die Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen spä-
ter bekanntgegeben.*)


(Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] wirft eine Stimmkarte in die Urne – Zurufe von der CDU/CSU: Schwindel!)


– Liebe Schriftführer, wenn ich die Abstimmung ge-
schlossen habe, ist sie an sich geschlossen.

Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zur öffentlichen
Verunsicherung in der Euro-Region Neiße in-
folge der Verurteilung von Taxifahrern und
Haltung der Bundesregierung zum Vorgehen
des Bundesgrenzschutzes in diesem Zusam-
menhang


(Unruhe)

– Ich möchte gerne die Aussprache eröffnen, aber vorher
brauchen wir etwas Ruhe und Übersichtlichkeit im Saal.
Deswegen bitte ich, die Gänge frei zu machen und sich
__________
*) Seite 943 D

auf die Plätze zu begeben. Wer noch etwas zu bereden
hat, möge das bitte draußen tun. – Ich glaube, ich kann
die Aussprache jetzt eröffnen. Als erste hat das Wort die
Abgeordnete Christine Ostrowski.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1401422100
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Der Bundesgrenzschutz verteilt
im ostsächsischen Raum Flugblätter:

Lassen Sie sich nicht von Schleuserbanden miß-
brauchen, nehmen Sie keine offensichtlich illegal
eingereisten Personen in Ihrem Taxi mit.

Wären Sie Taxifahrer in Zittau und beförderten als
solcher einen ausländischen Bürger, sagen wir, von Zit-
tau nach Bautzen, also innerhalb Deutschlands, und kä-
men in eine Kontrolle des BGS, bei der festgestellt wird,
daß Ihr Fahrgast illegal eingereist ist, wären Sie schon
so gut wie im Gefängnis.

30 Taxifahrer im Raum Zittau/Görlitz, 41 Prozent al-
ler dort tätigen, standen vor Gericht, sechs sind rechts-
kräftig zu Haftstrafen zwischen zwölf und 26 Monaten –
ohne Bewährung – verurteilt, vier sitzen bereits ein, weil
sie Personen gefahren hatten, wie es ihnen das Perso-
nenbeförderungsgesetz vorschreibt. Daß ihre Fahrgäste
illegal über die Grenze kamen, wußten die Chauffeure
nicht – ihr Pech. Ermittlung, Anklage, Urteil: Schuldig
des Einschleusens von Ausländern.

Was passiert hier eigentlich? Was ist los in diesem
Lande, in dem der BGS bundesweit – stets auf der Suche
nach illegal eingereisten Ausländern verdachtsunabhän-
gig kontrollieren kann und das insbesondere gegenüber
Berliner und Brandenburger Taxifahrern und in Sachsen
weidlich tut, wo Taxifahrer der Strafverfolgung unter-
liegen, weil sie nichts anderes tun, als Personen zu be-
fördern?

Dies alles geschieht auf sogenannter rechtlicher
Grundlage, konkret dem § 92, dem „Schleuserparagra-
phen“, mit dem 1994 das Ausländergesetz verschärft
wurde. Auf ihn stützen sich BGS, Polizei und Justiz in
ihrem Handeln.

Wir sehen jetzt, wohin die Verschärfung des Auslän-
derrechts führt: zur Ungeheuerlichkeit eines regelrech-
ten Generalverdachtes gegen ausländische Bürger und
gegen einen Berufsstand. Quasi per se sind ausländische
Bürger des illegalen Grenzübertrittes verdächtig und
Taxifahrer der Schleusung.

Der Schleuserparagraph gehört deshalb auf den Prüf-
stand; denn wer Ausländer kriminalisiert – genau das
sehen wir jetzt –, kriminalisiert letzten Endes auch deut-
sche Staatsbürger.


(Beifall bei der PDS)

Während Berliner und Brandenburger Taxis zwar

immer wieder kontrolliert werden, bisher aber lediglich
Ermittlungsverfahren eingeleitet und Verhöre durchge-
führt wurden, geht es in Sachsen scharf zur Sache, spielt
der Freistaat Vorreiter in Sachen Verurteilung: Umkehr
der Beweislast, Urteile ohne Bewährung, vermutlich
auch Rechtsbeugung. Ein Staatsanwalt, der die Anklage
gegen einen Taxifahrer vertrat und direkt an den Er-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 943


(A) (C)



(B) (D)


mittlungen in erster Instanz beteiligt war, entschied
später als Berufungsrichter über die Berufung und wies
sie ab – was sonst?

Zum Befördern sind Taxifahrer nach dem Personen-
beförderungsgesetz verpflichtet. Das Ausländergesetz
stellt die Beförderung von illegal eingereisten Personen
unter Strafe. Woran erkennt der Taxifahrer, daß eine
Person illegal eingereist ist?

Die Argumentation geht so: Im Landkreis Zittau
wohnen nur 1 000 Ausländer, darunter 600 polnische
Studenten und 150 Asylbewerber. Letztere kommen auf
Grund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse als Taxikun-
den ohnehin nicht in Frage. Das müsse der Taxifahrer
von vornherein wissen. Das heißt also, die in diesem
Raum wohnenden Ausländer – die polnischen Studenten
und die 150 Asylbewerber – sind also quasi per se als
Illegale eingestuft.

Ein Taxifahrer fragt: Wenn ich keine Ausländer mit-
nehme, gelte ich als Nazi, wenn ich Ausländer mitneh-
me als Schlepper. Wie macht man es richtig? Das ist ei-
ne berechtigte Frage; denn der BGS droht – ich zitiere –:

Bei der Mitwirkung an illegalen Grenzübertritten
ist mit folgenden Konsequenzen zu rechnen: Frei-
heits- oder Geldstrafe, eventuell Einziehung des
Fahrzeuges, auch Entzug der Konzession.

Also befördert ein Teil der Taxifahrer keine ausländi-
schen Personen mehr: Einem Kranken wurde die Fahrt
zum Krankenhaus verweigert. Ein anderer Teil aber gibt
sich für die Denunziation nicht her. „Ich nehme jeden
Fahrgast mit, auch einen ausländischen, wenn er Sanda-
len anhat. Ich habe nämlich auch schon Deutsche im
Bademantel gefahren.“

Aber das Damoklesschwert drohender Strafverfol-
gung führt faktisch zur Denunziationspflicht für alle
Bürger und schürt ausländerfeindliches Klima. Nach den
Drohungen auf dem Flugblatt heißt es nämlich: „Teilen
Sie uns Anwerbungsversuche oder andere derartige
Feststellungen mit – auf Wunsch auch diskret.“

Das Klima am Dreiländereck zu Polen und Tsche-
chien ist für Ausländer und Fremde frostig gewor-
den, die Atmosphäre unter der Bevölkerung nicht min-
der. Schon wird das Ausland aufmerksam. Ausländische
Journalisten versuchen, in Zittau Taxi zu fahren, um zu
sehen, ob sie stehengelassen werden, weil sie Ausländer
sind.

Durch das rigorose Vorgehen, die rücksichtslose Ab-
strafung und die Abschreckungsurteile nehmen ge-
genseitige Verdächtigungen, öffentliche Rechtfertigun-
gen, Beunruhigung und Angst zu. Schon werden die
absurdesten Forderungen laut, zum Beispiel an jeder
Ausfahrtstraße jedes Fahrzeug vom BGS kontrollieren
zu lassen.

Wenn der Gesetzgeber nicht hinnehmen will, daß die
Bundesrepublik dem Polizeistaat wieder ein Stück nä-
herkommt, dann muß er das Ausländergesetz novellie-
ren. Der Schleuserparagraph darf auf Personen keine
Anwendung finden, die im Rahmen ihres gesetzlichen
Auftrages Dienstleistungen erbringen.


(Beifall bei der PDS)

Unter Strafe kann nur wirkliches Schleusen, der Grenz-
übertritt und Beihilfe dazu, gestellt werden.

Wir fordern die Bundesregierung auf, schnellstens
initiativ zu werden. Das Recht hat die Funktion, den so-
zialen Frieden zu erhalten, nicht ihn zu zerstören.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401422200
Bevor ich den
nächsten Redner aufrufe, teile ich Ihnen das von
den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Er-
gebnis der namentlichen Abstimmung über den Ent-
wurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002
mit. Abgegebene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt
363, mit Nein haben gestimmt 204. Es gab keine Ent-
haltung. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen wor-
den.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 565;
davon

ja: 361
nein: 204

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt

Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen

Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster

Dagmar Freitag
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel

Christine Ostrowski

944 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)


Winfried Mante
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld

Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek (Leipzig)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)


Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 945


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla (Ursula) Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert

Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Friedrich Bohl
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Dr. Wolfgang Bötsch
Dr. Ralf Brauksiepe
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)



(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf)


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Manfred Heise
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhemshaven)

Erwin Marschewski

Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Röttgen
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt

(Mühlheim)


Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Diethard W. Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm

Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß

(Emmendingen)


Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Werner Wittlich
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller

F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

946 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Par-
lamentarischen Staatssekretär Fritz Rudolf Körper, der
für die Bundesregierung spricht.

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1401422300
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Nur soviel zu meiner Vorrednerin: Ihr
merkwürdiges Verhältnis zu unserer unabhängigen Ju-
stiz und den Justizbehörden entspricht nicht dem unse-
ren.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Ich will festhalten: Seit dem Jahre 1992 ist die ge-

zielte Beteiligung von einzelnen Taxifahrern an uner-
laubten Einreisen von Drittausländern durch Transporte
aus dem Grenzgebiet festgestellt worden. Es ist richtig:
1996 nahm die Zahl dieser Handlungen, insbesondere
im Grenzgebiet Görlitz-Zittau, sprunghaft zu. Es wurden
insgesamt 53 Ermittlungsverfahren gegen Taxifahrer ge-
führt, die sich in der strukturschwachen Region eine lu-
krative Einnahmequelle verschafft hatten. An 15 Prozent
aller durch den Bundesgrenzschutz festgestellten
Schleusungen waren Taxifahrer beteiligt, die gegen hohe
Pauschalbeträge illegal Eingereiste unmittelbar im
Grenzraum aufnahmen und weit ins Landesinnere trans-
portierten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Auf Grund der hohen kriminellen Intensität und auch

der zunehmenden Verstrickungen in Schleusungsorgani-
sationen verhängten die Gerichte empfindliche Frei-
heitsstrafen ohne Bewährung gegen die Taxifahrer, de-
nen die vorsätzliche Beteiligung an Einschleusungen
nachgewiesen wurde. Allein die Staatsanwaltschaft
Görlitz zählte im Februar 1998 28 dieser Verfahren. Alle
in der Berufungsinstanz angefochtenen Urteile wurden
bestätigt. Die Revisionsverfahren sind bis jetzt nicht
abgeschlossen. In einem besonders gravierenden Fall
wurde ein Taxifahrer, der nachweislich innerhalb von
fünf Monaten 96 Ausländer eingeschleust hatte, zu
einer Haftstrafe von vier Jahren und zwei Monaten ver-
urteilt.

Da auch 1997 die Tathandlungen von Taxifahrern
anhielten und es zu 20 weiteren Ermittlungsverfahren
kam, versuchte der Bundesgrenzschutz, seine Präventi-
onsarbeit durch verschiedene Aktivitäten gezielt zu ver-
stärken, beispielsweise durch Gesprächsrunden und Zu-
sammenarbeit mit den Taxifahrerverbänden. Das Ziel,
den kriminellen Schleusern die Möglichkeit der Tatbe-
gehung unter Nutzung des Taxigewerbes zu entziehen,
wurde weitestgehend erreicht. Strafurteile und präventi-
ve Maßnahmen führten mittlerweile dazu, daß in diesem
Jahr, also im Jahre 1998, nur noch in fünf Fällen wegen
der Beteiligung von Taxifahrern an Verstößen gegen das
Ausländergesetz im Bereich der Ostgrenze ermittelt
wurde.

Die Behauptung, daß infolge dieser präventiven und
repressiven Maßnahmen rechtmäßige Beförderungen
verweigert würden, ist mir bekannt. Nicht bekannt
wurden mir bisher konkrete Fälle, in denen es zu echten

Beförderungsverweigerungen gegenüber ausländischen
und ausländisch aussehenden Fahrgästen gekommen ist.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Aber sehr wohl!)

Sicherlich ist eine Verhärtung und eine gewisse

Trotzhaltung seitens der Taxifahrer zu verzeichnen. Die-
se wird von interessierter Seite und vor allem auch von
bestimmten Medien dazu benutzt, die gesamte Proble-
matik nicht immer objektiv darzustellen. Es wurden so-
gar ausländisch aussehende Personen als Köder einge-
setzt, um die Transportverweigerung der Taxifahrer zu
belegen. Die dadurch hervorgerufenen Szenarien, über
die dann berichtet wurde, entsprechen jedoch nicht der
Realität.

Nach den Erfahrungen des Bundesgrenzschutzes
können die Taxifahrer im Grenzgebiet sehr wohl erken-
nen, wann es sich um offensichtlich unerlaubt eingerei-
ste Personen handelt. Hierfür sind nämlich die Staatsan-
gehörigkeit und die Hautfarbe keinesfalls ein Kriterium.
Objektive Merkmale sind für diese Entscheidung heran-
zuziehen, und diese objektiven Merkmale gibt es auch in
der Praxis. Beispielsweise hinterlassen wochenlange be-
schwerliche Reisewege, behelfsmäßige Unterkünfte und
schließlich ein langer Marsch über die grüne Grenze,
oftmals bei schwierigsten Witterungsverhältnissen und
verbunden mit der Überquerung von natürlichen Hin-
dernissen wie Bergen und Flüssen, unzweifelhaft deutli-
che Spuren bei den Betroffenen.


(Widerspruch bei der PDS)

Ich erwarte, daß sich die Beteiligung von Taxifahrern

an kriminellen Einschleusungen weiter zurückent-
wickelt, so daß Stafverfolgung und Prävention einerseits
sowie das Taxigeschäft andererseits auch entlang der
Grenze nicht mehr in Widerspruch zu geraten brauchen.
Eine schnelle Entspannung der derzeit noch emotional
aufgeheizten Situation sollte die Folge sein. Gleichwohl
sollte auch weiterhin versucht werden, in der Grenzregi-
on durch die regionalen Dienststellen des Bundesgrenz-
schutzes vertrauensbildende Maßnahmen zu ergreifen.
Für eventuell verunsicherte Taxifahrer soll und wird der
Bundesgrenzschutz nach wie vor jederzeit Ansprech-
partner und Berater sein.

Wir werden dieses schwierige Problem weiter beob-
achten, auch eine sachbezogene und sachliche Diskussi-
on darüber führen und gegebenenfalls weiterhin in die-
sem Sinne entsprechende Entscheidungen finden.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.])


Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächster Redner in
der Debatte ist der Abgeordnete Günter Baumann,
CDU/CSU.


Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1401422400
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Bundesgrenzschutz er-
füllt in der Grenzregion zu Polen und Tschechien eine
ganz besonders wichtige Aufgabe. Die Männer und

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 947


(A) (C)



(B) (D)


Frauen vom BGS leisten einen wichtigen Dienst für die
Sicherheit in unserem Rechtsstaat, für die Sicherheit von
uns allen. Darauf möchte ich besonderen Wert legen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich möchte es daher zu Beginn meiner Ausführungen
nicht versäumen, den Leuten vom BGS für ihren nicht
ganz ungefährlichen Dienst in dieser Region ganz be-
sonders zu danken.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)


Gestatten Sie mir einige kurze Bemerkungen zu die-
ser Grenze, zu dieser Grenzregion. Die Grenze zwischen
Deutschland und Tschechien schreibt eine besondere
Geschichte im Leben der Menschen auf beiden Seiten.
Als Bewohner dieser Grenzregion und seit acht Jahren
Bürgermeister einer Grenzstadt zu Tschechien kenne ich
die Geschichte und die Probleme unmittelbar vor Ort
aus erster Hand. Nach 1945 war es eine dichtbewachte
Grenze, um die Flucht von Tschechen und Slowaken zu
verhindern, ab 1961 durchlässig mit den entsprechenden
kommunistischen Kontrollen, die wir alle noch kennen.
In der Wendezeit, im Herbst 1989, war die Grenze er-
neut stark bewacht, um die Flucht von Menschen zu
verhindern. Aber das System konnte sich trotzdem nicht
halten. Wir haben nun eine neue Freiheit. Die Grenze ist
offen, Stacheldraht und Mauer gehören der Vergangen-
heit an. Zahlreiche neueröffnete Grenzübergänge sind
Zeugnis vom Verständnis der Menschen auf beiden
Seiten.

Meine Damen und Herren auch von der PDS, immer
mehr Brücken werden geschlagen, Brücken für Men-
schen und damit für die friedliche Entwicklung und den
wirtschaftlichen Aufschwung auf beiden Seiten. Die
Kontakte der Menschen in der Region sind gut.

Diese Grenzregion erfährt gegenwärtig eine Bela-
stung, speziell in den letzten Jahren, durch illegale
Grenzübertritte von Ausländern. BGS, Landespolizei
und auch Zoll haben eine hohe Verantwortung bei der
Überwachung der bestehenden Grenze,


(Georg Janovsky [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

bei der Einhaltung der bestehenden Gesetze und bei der
Verhinderung von Straftaten. Aus vielen persönlichen
Gesprächen weiß ich, daß diese Männer und Frauen ih-
ren Dienst pflichtbewußt erfüllen und oft auch ihre Ge-
sundheit riskieren müssen.


(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Meine Damen und Herren, die Gewaltbereitschaft
von Schleusern nimmt in der letzten Zeit besonders an der
tschechischen Grenze drastisch zu. Die Aufgabe der Ver-
antwortlichen sollte es sein, alles zu tun, die in der Grenz-
region eingesetzten Einheiten des BGS noch besser aus-
zustatten, damit ihre Erfolgsquote noch besser wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Genau! Das ist eine Aufgabe für den Staatssekretär, und dazu hat er nichts gesagt!)


Es muß heute erwähnt werden, daß in dieser Grenz-
region zu Tschechien die Angst der Bevölkerung vor il-
legal eingereisten Ausländern erheblich angewachsen ist
und die Zahl der Straftaten gerade in der letzten Zeit er-
heblich zugenommen hat. Aus dem BGS-Bericht vom
letzten Jahr, der uns allen vorliegt, wissen wir, daß von
1993 bis 1997 im Grenzgebiet allein 45 000 Straftaten
von illegal Eingereisten registriert wurden.

Die Ausländerpolitik der alten Bundesregierung war
richtig und hat bewirkt, daß die Zahl illegaler Einreisen
erheblich reduziert wurde. Erwähnen möchte ich hier
das Schengener Abkommen und die Neuorganisation
des Bundesgrenzschutzes Anfang dieses Jahres. Aus
verschiedenen Gründen hat in den letzten Monaten die
Zahl der illegal Eingereisten bereits wieder drastisch zu-
genommen. Allein das Bundesgrenzschutzamt Chemnitz
hat im November 1998 703 unerlaubte Einreisen festge-
stellt und nahm über 55 Schleuser fest. Bei diesen ille-
galen Einreisen haben sich leider auch einige Taxifahrer
als Mittäter schuldig gemacht. Insgesamt sind an der
Grenze zu Tschechien und Polen 150 Ermittlungsverfah-
ren gegen Taxifahrer anhängig.


(Roland Claus [PDS]: Ermittlungsverfahren sind keine Verurteilungen!)


– Ermittlungsverfahren habe ich gesagt. – Eine beson-
ders starke Anhäufung zeigt sich im Zittauer Raum, wo
von 39 zugelassenen Taxifahrern allein 11 vor Gericht
standen.

Ich möchte eindeutig betonen: Ich möchte nichts ge-
gen die übergroße Mehrheit der Taxifahrer sagen, die
ehrlich und rechtschaffen ihre Tätigkeit ausüben. Aber
es kann nicht angehen, daß sich einige schwarze Schafe
– auch wenn diese aus ihrer wirtschaftlichen Situation
heraus meinen, daß es gerechtfertigt ist – als Helfershel-
fer der Schleuser betätigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt nach § 22 des Personenbeförderungsgesetzes

eine Beförderungspflicht. Taxifahrer üben auch nicht
den Beruf eines Hellsehers oder eines Hilfspolizisten
aus. Aber auch Taxifahrer haben wie jeder andere Bür-
ger eine Mitverantwortung in unserem Rechtsstaat. Ille-
gal eingereiste Personen nachts in der Nähe der Grenze
aufzunehmen ist eine Unterstützung bzw. eine Hilfelei-
stung bei einer Straftat, die gegen §§ 92ff. des Auslän-
dergesetzes verstößt.

Bestimmt kann es einzelne Fälle geben, in denen Ta-
xifahrer den Tatbestand der illegalen Einreise nicht er-
kennen. Aber in den bekannten Fällen, in denen Taxi-
fahrer rechtskräftig verurteilt wurden, waren die Fakten
und die Beweislage bezüglich der Mittäterschaft bei der
Einschleusung eindeutig. Die Verurteilungen zu Haft-
strafen basieren auf gesicherten Erkenntnissen, daß eini-
ge Taxifahrer in der Grenzregion von skrupellosen
Schleusern gewonnen wurden.

Es ist auch bekannt, daß für solche Fahrten das Ta-
xameter regelmäßig nicht zur Berechnung des Fahrprei-
ses eingesetzt wurde, sondern daß vorab hohe Pauscha-
len gezahlt wurden.

Günter Baumann

948 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Von ganz besonderer Bedeutung ist gerade auf die-
sem Gebiet eine verstärkte Aufklärungsarbeit, um ein
weiteres Anwachsen der Zahl dieser Straftaten zu ver-
hindern. Hierzu gibt es ein Rundschreiben des Taxiver-
bandes, das Informationsblatt des BGS, verschiedene
Presseinformationen und einiges andere mehr.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401422500
Herr Kollege Bau-
mann, die Debattenzeit beträgt nur fünf Minuten.


Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1401422600
Ich komme zum
letzten Satz.

Entscheidend ist, die offene und ehrliche Zusammen-
arbeit zwischen BGS, Landespolizei, der Bevölkerung,
den Verantwortlichen vor Ort und nicht zuletzt den Ta-
xifahrern zu verbessern, um die Zahl der Verbrechen an
der Grenze zu reduzieren. Es ist unsere Pflicht, die Si-
cherheit unserer Bürger zu erhöhen.

Auf die Vorwürfe der PDS kann ich nur antworten:
Eine öffentliche Verunsicherung in dieser Region gibt es
nicht. Die Bevölkerung steht zum BGS.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Fahren Sie doch mal hin!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401422700
Herr Kollege Bau-
mann, das war Ihre erste Rede in diesem Hohen Hause.
Ich beglückwünsche Sie im Namen des gesamten Par-
laments dazu.


(Beifall)

Die nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kolle-

gin Sylvia Voß, Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1401422800
Werte
Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Taxi nur für
Deutsche“ übertitelte die Berliner Tageszeitung „taz“
diese Woche einen Bericht über die skandalösen Taxi-
fahrerprozesse in Sachsen, Brandenburg und Berlin.
Damit traf sie den Nagel auf den Kopf – fast! Ganz
richtig hätte es eigentlich heißen müssen: Taxi nur für
diejenigen, die deutsch aussehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


Der Bundesgrenzschutz hat in der Ära Kohl begon-
nen, in den östlichen Grenzregionen verschiedene Flug-
zettel an Taxifahrer zu verteilen, in denen jene aufgefor-
dert werden, „keine offensichtlich illegal eingereisten
Personen zu befördern“- wohlgemerkt nicht über die
Grenze, sondern innerhalb unseres Landes. Wie aber er-
kennt man offensichtlich illegal eingereiste Personen?
An der Hautfarbe? In Deutschland leben 200 000 Deut-
sche mit schwarzer Hautfarbe. Am fremdländischen
Aussehen? An der Kleidung, Zöpfen, dunklen Haaren,
dunklen Augen? Es leben viele fremdländisch aussehen-
de Menschen in Deutschland, die überwiegende Zahl
von ihnen legal. Daran erkennt man sie vielleicht – so

immerhin die Auffassung der Richter am Zittauer Land-
gericht –, daß Gepäck nicht im Kofferraum, sondern auf
dem Rücksitz des Taxis gelassen wird. Meine Güte,
dann müßten mich schon viele Taxifahrer gar nicht mit-
genommen haben. Das mache ich nämlich auch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ich würde Sie auch nicht mitnehmen!)


– Das ist schön von Ihnen. Ich würde auch nicht gerne
mit Ihnen fahren.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Mit dem roten Schal würde ich Sie nicht mitnehmen!)


– Die Herren auf der rechten Seite heulen immer wie die
Wölfe. Das habe ich schon öfter beobachtet. Wolfsrudel
sind wenigstens sozial. Sie sind es nicht. Sie behandeln
ihre Weibchen auch viel netter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS, sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Taxifahrer können das nicht unterscheiden, weil
es weder typisch illegal eingereiste Personen gibt noch
typisch aussehende Deutsche. Denn es gibt auch fremd-
ländisch aussehende Touristen. Sie, die immer für den
Mittelstand eintreten, sollten sich einmal überlegen, was
solche Regelungen für den Tourismus in einer Region
bedeuten.

Es führt inzwischen auch dazu, daß Taxis sicherheits-
halber niemanden mehr befördern, der eines der richter-
lich festgestellten Merkmale trägt: niemanden, der
schwarzer Hautfarbe ist, niemanden, der ausländisch,
fremdländisch, aussieht, und niemanden, der nachts
nicht gut gekleidet ist. Ich möchte Ihnen ein Beispiel sa-
gen. Ich bin Ärztin. Es gibt Leute, denen etwas wider-
fährt, die einen Herzanfall bekommen, die eine Nieren-
kolik kriegen, die im Straßengraben liegen, die dreckig
aussehen und die der Hilfe bedürfen. Wenn sie die nicht
mitnehmen, ist es unterlassene Hilfeleistung. Das sind
dann keine illegal Eingereisten, nur weil sie dreckig
sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wer kann es diesen Taxifahrern angesichts von Haftstra-
fen bis zu zweieinhalb Jahren ohne Bewährung verden-
ken? Das ist wahrlich kein Pappenstiel.

Wohin derartiger unzivilisierter staatlicher Druck ein-
schließlich Denunziationspflicht führt, zeigt das Beispiel
eines in der Nacht von Jugendlichen zusammengeschla-
genen Dönerbudenbesitzers in Zittau. Er hatte ein Bein
und eine Rippe gebrochen, vier Zähne verloren und
blutete aus dem Ohr. Kein Taxi war bereit, diesen ver-
letzten Mann ins Krankenhaus zu fahren. Ich glaube, wir
sollten uns alle einig sein: Das ist unterlassene Hilfelei-
stung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


Solche Flugblätter, wie sie in unterschiedlicher Aus-
prägung durch den Bundesgrenzschutz kursieren, berei-

Günter Baumann

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 949


(A) (C)



(B) (D)


ten auch Boden für Rassismus und seine schlimmen
Folgen, die wir in Deutschland zu beklagen haben.

Wir sind sehr erfreut über die Erklärung couragierter
Taxifahrer aus anderen Städten, die sich mit ihren säch-
sischen Kolleginnen und Kollegen solidarisierten, indem
sie ihre Bereitschaft erklärten, jeden Fahrgast unvorein-
genommen zu befördern. Da zeigen sie jene Zivilcoura-
ge, die hier offensichtlich vielen abhanden gekommen
ist. Anstand gegenüber Fremden ist in Deutschland lei-
der immer noch nicht selbstverständlich.

Die Taxifahrer dieser Region riskieren ihre Freiheit
und setzen ihre berufliche Zukunft aufs Spiel. Wenn sie
illegal eingereiste Ausländer befördern, drohen ihnen
hohe Strafen einschließlich des Entzugs ihrer Taxifah-
rerlizenz und der Fahrerlaubnis. Das vernichtet ganze
Existenzen.

Im gleichen Amtsgerichtsbezirk Zittau – daran möge
man einmal denken – gab es zum Beispiel einen voll-
trunkenen Mann, der ein Kind überfahren hat, das ge-
storben ist. Dieser wurde lediglich zu einer Bewäh-
rungsstrafe verurteilt. Wir möchten hier einmal die Ver-
hältnismäßigkeit herausstellen.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Auffas-
sung, daß Taxifahrerinnen und Taxifahrer unbeschwert
von staatlicher Drangsal ihrem Gewerbe nachgehen
sollen,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie sind doch Regierungspartei! Sie reden, als ob Sie in der Opposition sind!)


daß jedem Menschen in unserem Land die Fahrt in ei-
nem Taxi ermöglicht werden sollte, daß die Lösung des
Problems des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleu-
sens von Ausländern Sache des Staates ist und daß Per-
sonenkontrolle und Denunziation nicht zur Pflichtaufga-
be des Berufsstandes der Taxifahrer gemacht werden
dürfen. Das, was wir jetzt ausbaden, haben Sie ange-
rührt.

Die Fraktion der Grünen fordert dies nachdrücklich
und wird sich entsprechend engagieren, falls Sie das be-
ruhigt.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: Beifall von den Kommunisten!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401422900
Frau Kollegin Voß,
auch für Sie war das die erste Rede in diesem Hohen
Hause.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ganz schön blamiert!)


Ich beglückwünsche Sie im Namen aller Kolleginnen
und Kollegen dazu.


(Beifall)

Nunmehr erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr.

Guido Westerwelle, F.D.P.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1401423000
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst einmal begrüßt die Fraktion der
Freien Demokraten, daß der Parlamentarische Staatsse-
kretär beim Bundesministerium des Inneren die diffe-
renzierte und abgewogene Politik der alten Bundesregie-
rung in dieser Frage fortsetzen möchte. Wir nehmen ihn
ausdrücklich gegen die Angriffe aus der Fraktion der
Grünen in Schutz.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir haben den Eindruck, daß es hier um ein Span-

nungsverhältnis geht, das zwischen der Verfolgung von
Schlepperbanden auf der einen Seite und dem Schutz
von Ausländerinnen und Ausländern vor Diskriminie-
rung auf der anderen Seite besteht. Ich möchte Ihnen,
sehr geehrte Kollegin von der PDS, sagen: Den Ein-
druck zu erwecken, als ginge es hier, wie Sie wörtlich
gesagt haben, um den Vollzug eines „Polizeistaates“,
halte ich für abwegig.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der PDS)


Sie haben selbst vom „Polizeistaat“ gesprochen. Das
paßt nicht zu einer solchen Diskussion.

Bei einer Abwägung muß man aus unserer Sicht je-
denfalls zwei Kriterien berücksichtigen: Es werden
Menschen und Menschenleben durch Schlepperban-
denunwesen gefährdet; Ausländerinnen und Ausländer
in Deutschland müssen natürlich jederzeit jedes Beför-
derungsmittel wählen dürfen, wie das jeder Deutsche
auch kann.


(Beifall bei der F.D.P.)

Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich diese Dis-
kussion. Alles andere ist Ideologie.

Wenn Sie – beide Rednerinnen – die Beispiele aus
den Zeitungen wiedergeben, die wir alle aus dem Inter-
net und entsprechenden Recherchen bekommen, dann
verkürzen Sie Sachverhalte. Es mag im Einzelfall in der
Tat so sein, daß dies nicht akzeptabel ist. Aber wir leben
in einem Rechtsstaat, und in einem Rechtsstaat ent-
scheidet über Anklagen die Justiz, entscheiden die
Richter. Weder Abgeordnete der PDS noch Abgeordnete
der Grünen sind die Oberrichter in dieser Frage.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir halten es deswegen für wichtig, darauf hinzuwei-

sen, daß es sich auch nach dem bestehenden Straftat-
bestand um eine Vorsatztat handelt. Das heißt, je-
mand wird verurteilt für die vorsätzliche Tat, mit Wissen
und mit Wollen. Wenn Sie den Eindruck erwecken, es
würde jemand zu einer solchen Freiheitsstrafe verurteilt,
ohne daß er gewußt hat und ohne daß er gewollt hat,
weswegen er angeklagt wird, ist das ein Angriff auf die
Unabhängigkeit der Justiz, aber keine politische Be-
wertung.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Nein! Nein!)


Sylvia Voß

950 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Deswegen möchte ich in aller Klarheit sagen: Wissen
und Wollen – –


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Sie kennen doch die Problematik des bedingten Vorsatzes, Herr Westerwelle!)


– Herr Kollege Gysi, meine Formalqualifikation als Ju-
rist steht der Ihrigen nicht nach.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das habe ich nicht bestritten!)


Davon dürfen Sie bitte ausgehen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Ich habe mir seit meiner Promotion vorgenommen, daß
ich mich nicht mehr examinieren lasse, auch nicht von
Ihnen, Herr Gysi.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wie dem auch sei: Es handelt sich um Wissen und

Wollen. Sie können nicht den Eindruck erwecken, als
würde jemand rechtskräftig verurteilt, der nicht, was den
objektiven und den subjektiven Tatbestand angeht, für
schuldig befunden wurde. Wenn Sie sagen, daß Rechts-
mittel eingelegt wurden, dann wird das der Gang durch
die juristischen Instanzen lösen müssen. Wenn Sie sa-
gen, daß die Rechtsmittel noch nicht ausgeschöpft sind,
dann ist es eine Selbstverständlichkeit, daß hier der
Rechtsstaat zum Zuge kommen muß.

Der Bundes-Zentralverband Personenverkehr – Taxi
und Mietwagen e.V. mit dem Sitz in Frankfurt am Main
spricht selbst davon, daß sich Taxifahrer nicht von
Schleuserbanden mißbrauchen lassen sollen und dürfen
und daß sie vor allen Dingen alle Anwerbungsversuche
oder anderen derartigen Feststellungen dem Bundes-
grenzschutz oder jeder anderen Polizeidienststelle mel-
den sollten. Das ist ein sachdienlicher Umgang seitens
der Betroffenen. Taxifahrer sind natürlich keine Hilfsbe-
amten der Staatsanwaltschaft; das unterscheidet sie von
Polizisten. Aber es gibt immer wieder, überall, in jeder
Berufsgruppe schwarze Schafe. Und wenn schwarze
Schafe erwischt werden, dann müssen sie vor Gericht
gestellt werden. Das ist überhaupt keine Frage.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401423100
Die nächste Rednerin
ist die Abgeordnete Barbara Wittig, SPD.


Barbara Wittig (SPD):
Rede ID: ID1401423200
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Der Herr Staatssekretär hat mit seinem
Beitrag sehr zur Versachlichung der emotional geführten
Debatte beigetragen. Dafür danke ich ihm ausdrücklich.
Das ist nämlich die einzige Möglichkeit, Licht in das
Dunkel dieser beantragten Debatte zu bringen.

Worüber reden wir eigentlich? Über die Haltung der
Bundesregierung zur öffentlichen Verunsicherung in der
Euro-Region Neiße infolge der Verurteilung von Taxi-
fahrern und über die Haltung der Bundesregierung zum

Vorgehen des BGS, in diesem Zusammenhang zu De-
nunziationen aufzurufen.

Fangen wir mit den öffentlichen Verunsicherungen
an. Da ist zunächst nach der Verurteilung von Taxifah-
rern zu fragen. Wenn vorsätzlich – das wurde gerade
von meinem Vorredner gesagt – gegen zum Teil hohe
Pauschalbeträge illegal Eingereiste im Grenzraum auf-
genommen und ins Landesinnere befördert werden, dann
ist das Schleusung. Schleusung ist nicht Rechtens. Wem
sage ich das?

Einzeltäter oder ganze Organisationen nutzen
schamlos und skrupellos die Notlage der Ärmsten der
Armen aus und kassieren, wie wir auch bereits gesagt
haben, zum Teil sehr hohe Summen dafür. Wir sind uns
doch wohl darüber einig, daß dieses Treiben sowohl zu
verurteilen als auch zu bestrafen ist.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Über die Höhe der Strafe kann man unterschiedlicher

Meinung sein. Ich bin auch der Meinung, daß die Ver-
hältnismäßigkeit in jedem Falle zu wahren ist. Meines
Erachtens ist es aber auch egal, wer sich dieses Verge-
hens schuldig macht. Für mich stehen alle Schleuser in
einer Reihe und auf der gleichen Stufe.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Deshalb habe ich keine Probleme damit, daß diese Per-
sonen die Härte der Verurteilung bzw. der Bestrafung
trifft. Vor dem Gesetz sind alle gleich.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Es geht um die Herstellung und um die Durchsetzung
von Ordnung und Recht. Darauf haben die Bürgerinnen
und Bürger einen Anspruch, auch und gerade in den
Grenzregionen.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Eigentlich könnte man das Ganze auch ins Gegenteil

verkehren. Öffentliche Verunsicherung würde nämlich
wirklich entstehen, wenn es keine Reaktionen auf Un-
recht gäbe.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!)

Öffentliche Verunsicherung ist in meinen Augen aber

auch, wenn Richter, die mit diesen Vorgängen von Amts
wegen befaßt sind, in der Öffentlichkeit – man höre
jetzt: – als Werkzeuge einer Abschottungspolitik be-
zeichnet werden.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Unglaublich! – Georg Janovsky [CDU/CSU]: Skandalös!)


– Das halte ich auch für skandalös; das muß ich schon
sagen. – In meinen Ohren klingt das nach Verunglimp-
fung und ist in der Sache natürlich weit gefehlt.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch der Vorwurf der Abschottung, der hier gemacht
wurde, entspricht natürlich nicht den Realitäten und der
Praxis unserer Ausländer- und Flüchtlingspolitik.

Dr. Guido Westerwelle

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 951


(A) (C)



(B) (D)


Zum zweiten Teil der beantragten Debatte, nämlich
dem Vorwurf an den BGS, in diesem Zusammenhang
zur Denunziation aufzurufen: Ich kann nur vermuten,
daß hier auf das Informationsmaterial des BGS Bezug
genommen wird, das die Überschrift trägt: „Nein zu
Schleppern und Schleusern.“ Ich kann mit dem Info-
Blatt leben. Der BGS macht seinen Job, nämlich aufklä-
ren, wachsam sein und um Mithilfe bitten.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Was ist mit diesem Flugblatt beabsichtigt?


(Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

– Es ist nichts Anonymes. Es ist auch keine Drohung,
wie die Kollegin Frau Ostrowski ausgesprochen hat. Ich
sagte schon einmal: Ich kann mit diesem Flugblatt leben.

Es dient der Aufklärung und auch der Mithilfe. In
meinen Augen ist das keinesfalls eine Denunziation.
Vielmehr bin ich der Meinung, daß Mitwirkung von
Bürgern eine Bürgerpflicht ist; denn nur so können wir
gemeinsam die Kriminalität bekämpfen. Das ist, wie ich
bereits sagte, Bürgerpflicht in meinen Augen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401423300
Frau Kollegin Wittig,
auch für Sie war dies die erste Rede in diesem Hohen
Haus. Deshalb auch an dieser Stelle für Sie die herzlich-
sten Glückwünsche aller Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall – Jürgen Türk [F.D.P.]: Und dann noch so eine gute!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kolleginnen! Verehrter Zuschauer! Ich glaube, es ist nur
einer.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Zwei!)

– Wir haben zwei.

Zur späten Stunde haben wir ein nicht unkomplizier-
tes Thema zu behandeln. Ich habe mir die Beiträge an-
gehört. Ich denke, es wird von völlig unterschiedlichen
Sachverhalten gesprochen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Zum
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401423400
Du hilfst uns hinter der
Grenze mit und fährst unsere Leute an irgendeinen si-
cheren Platz; dafür bekommst du deine Beschäftigung
und ein hohes Salär.

Zum anderen wurde davon gesprochen, daß ein Taxi-
fahrer über die Landstraße fährt und am Straßenrand
oder in einem Ort eine Person stehen sieht. Die Person
winkt, der Taxifahrer hält an, nimmt sie mit und be-
kommt nachher ein Verfahren und wird verurteilt, weil
ihm nachgewiesen wird, daß er wissen mußte, daß es

sich hierbei um keine legale Person handeln konnte, und
er deshalb vorsätzlich – mindestens mit bedingtem Vor-
satz – gehandelt hat. Ich denke, das muß man auseinan-
derhalten, weil es beide Fälle gibt.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Richtig! Sehr richtig!)


Ich muß Ihnen sagen, daß es leider nicht so ist – ich
habe hier ein Urteil –, daß eine hohe Freiheitsstrafe von
mehr als einem Jahr von den dortigen Gerichten nur
ausgesprochen wird, wenn es sich um eine solche ver-
einbarte Schleusertätigkeit handelt. Das Urteil von ei-
nem dortigen Amtsgericht, das ich hier vorliegen habe,
bestraft einen Taxifahrer, der drei Jugoslawen, die kein
Visum hatten, auf der Straße aufgelesen und für ein Sa-
lär von 200 DM ein Stück transportiert hatte. Von exor-
bitanten Preisen kann man in diesem Fall nicht reden.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Wie sind denn die näheren Umstände der Tat?)


Wir als Bundestag haben nicht die Aufgabe, uns mit
den Einzelheiten der Justiz in Sachsen zu beschäftigen.
Das soll der Sächsische Landtag, der meiner Kenntnis
nach morgen darüber diskutiert, und das sollen die dort
Verantwortlichen tun. Es geht allenfalls um die Frage –
hier ist die Bundeszuständigkeit gegeben –: Hat sich der
Bundesgrenzschutz in den letzten Jahren und bis zum
heutigen Tage ordnungsgemäß verhalten, oder gibt es
etwas zu kritisieren bzw. zu verändern? Ich will mich
lediglich auf diese Frage konzentrieren.

Mir liegt aus dem Jahr 1997 eine Empfehlung des
Bundesgrenzschutzes vor – ich denke, da muß man den
Bundesgrenzschutz heftig kritisieren –, nach der Aus-
länder vor dem Transport nach Personalpapieren und der
Herkunft ihres Geldes zu fragen sind


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Hört! Hört!)

und die Beförderung abzulehnen ist, wenn sie dieser
Aufforderung nicht nachkommen. Ich suche nach einer
Rechtsgrundlage für ein solches Verlangen. Wenn das
im Jahr 1997 geschehen ist, dann ist das mindestens
rechtlich äußerst zweifelhaft und auch von uns in Frage
zu stellen.

Nun sind Flugblätter verteilt worden – Sie hatten aus
einem vorgelesen –, in denen es darum geht, daß Taxi-
fahrer darauf aufmerksam gemacht werden, daß sie sich
weigern sollen, wenn sie darauf angesprochen werden,
sich für Schleusertätigkeiten zur Verfügung zu stellen.
Wenn also irgendein Bandenchef oder der Verbin-
dungsmann einer Bande kommt und sagt: „Kannst du
das in Zukunft für uns machen? Du bekommst dafür das
und das Geld“, dann soll der entsprechende Taxifahrer
den Vorgang melden oder sich jedenfalls verweigern.

Aber es sind auch andere Flugblätter verteilt worden.
Ich zitiere aus einem Flugblatt, in dem steht: „Bei Auf-
nahme von Fahrgästen achten Sie bitte auf das äußere
Erscheinungsbild, auf den Kleidungszustand und andere
Auffälligkeiten.“ Würde ich nach diesen Kriterien vor-
gehen, dann müßte ich, nachdem ich mich vorhin umge-
schaut habe, feststellen, daß es hier durchaus Personen
gibt, die, wenn sie irgendwo in der Nähe von Zittau am
Straßenrand gestanden hätten, ihren Ausweis hätten vor-

Barbara Wittig

952 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


zeigen müssen, weil sie die hier angesprochenen Auf-
fälligkeiten aufweisen.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Wen meinen Sie genau?)


Ich meine, daß das nicht geht. Die Polizei – auch wenn
es der Bundesgrenzschutz ist – kann nicht versuchen, Ta-
xifahrer zu Hilfssheriffs zu machen. Dazu fehlt die Be-
fugnis. Es handelt sich um eine Praxis aus dem Jahr 1997,
die nicht korrekt und äußerst beanstandenswert ist.

Noch viel schlimmer sind für mich die Folgen. Wenn
Sie aus der Gegend dort kommen, dann müssen Sie wis-
sen, daß Taxifahrer in Zittau heute mit einer Plakette
herumfahren, auf der steht: „Ich befördere keine Aus-
länder.“ Es gibt auch Busfahrer, die außen am Bus ein
Plakat mit der Aufschrift „Ich befördere keine Auslän-
der“ befestigen, um sich möglicherweise BGS-
Kontrollen zu entziehen oder vielleicht in der Bevölke-
rung beliebt zu machen. Angesichts solcher Flugblätter,
solcher Praktiken und auch solcher Prozesse, die zu
Verurteilungen führen, hat aber das Ganze eine Dimen-
sion erreicht, bei der wir uns fragen müssen, ob das
nicht tatsächlich zu skandalösen Verhärtungen und Si-
tuationen und möglicherweise im Ansatz zu Fremden-
feindlichkeit führen kann.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Genau darum geht es!)

Deshalb ist es richtig und wichtig, genau hinzusehen.

Das haben Anwaltsvereinigungen und Vereinigungen
von Taxifahrern getan. Es gibt Protestschreiben, die von
mehreren hundert Taxifahrern aus dem ganzen Bundes-
gebiet unterschrieben sind. Wir müssen das ernst neh-
men und uns darum kümmern. Wir haben innerhalb der
Regierungsfraktionen in einem Vorgespräch zu dieser
Debatte vereinbart, daß wir uns das dort selber einmal
von den Beteiligten erzählen lassen und uns mit Leuten
vom Bundesgrenzschutz, von der Justiz und aus dem
Taxigewerbe unterhalten. So können wir uns dann ein
Bild darüber machen, ob es notwendig ist, hier zu ande-
ren Anweisungen zu kommen, und ob möglicherweise
auch eine Klarstellung in den einschlägigen §§ 92 und
92a des Ausländergesetzes notwendig ist, um Klarheit
zu schaffen, was mit schweren Strafen belegt werden
soll und was nicht.

Abschließend möchte ich sagen: Bei uns in der Frak-
tion gibt es niemanden, der Sympathien für Schleuser-
banden oder dafür hat, daß in Not geratene Menschen
ausgenutzt werden, weil sie über die Grenze geschafft
werden wollen. Wir alle haben die Bilder aus dem Fern-
sehen vor Augen, wo in Lieferwagen 80 Leute unterge-
bracht werden oder auf andere waghalsige und lebensge-
fährliche Art und Weise Menschen in Not und Flücht-
linge über die Grenze geschafft werden. Denjenigen, die
damit ihr Geld verdienen und Vermögen anhäufen, muß
das Handwerk gelegt werden; gegen sie muß vorgegan-
gen werden. Darin sind wir uns einig. Ob das aber zu
solchen Verhältnissen führen darf, wie sie aus der Ge-
gend um Zittau berichtet werden, ist der Untersuchung
wert. Damit müssen wir uns näher beschäftigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401423500
Nächste Rednerin in
der Debatte ist die Abgeordnete Petra Pau, PDS.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401423600
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Eine Kollegin fragte eben, worüber
wir eigentlich reden. Der Zeitung entnahm ich, daß die
verehrte Kollegin Pieper, die jetzt nicht da ist, meinte,
daß das hier überhaupt eine ganz abseitige Debatte sei.
Abseitig ist hieran höchstens der Zeitpunkt und das In-
teresse, das an diesem Problem gezeigt wird.

Je länger ich darüber nachdenke und mich damit be-
fasse, um so mehr komme ich zu der Überzeugung, daß
diese Debatte am ehesten in den Kontext unseres allerer-
sten Tagesordnungspunktes paßt, in dem wir über Men-
schenrechte und deren Unteilbarkeit geredet haben. Es
handelt sich um keine kriminalpolitische Debatte und
keine zur inneren Sicherheit, wie es der Staatssekretär
eben meinte, wenn ich ihn richtig verstanden habe.

Es stand die Frage im Raum, worüber wir eigentlich
reden. Seit 1990 war die damalige Regierungskoalition
auf der Suche nach neuen Aufgaben für den BGS. An
der Ostgrenze ist man fündig geworden. Die illegale
Einreise wird von vornherein der organisierten Krimi-
nalität zugeschrieben.


(Jürgen Türk [F.D.P.]: Was denn sonst?)

Flucht und Migration werden also inzwischen – so habe
ich leider den Beitrag des Staatssekretärs verstanden –
auch von der SPD als Bedrohung der inneren Sicherheit
betrachtet. Nein, nicht Flucht und Migration bedrohen
die innere Sicherheit. Ich will deutlich unterstreichen,
daß Schleuser- und Schlepperbanden, die auf die be-
schriebene Art und Weise zu menschenunwürdigen Be-
dingungen Menschen in das Land bringen, natürlich ent-
sprechend verfolgt und abgeurteilt werden müssen. Aber
man kann doch, bitte schön, nicht Flüchtlinge und Mi-
granten von vornherein als Kriminelle abstempeln.


(Beifall bei der PDS)

Man ist also an der Ostgrenze fündig geworden. Nun

reicht die technische Abriegelung durch eine unsichtbare
Mauer, die durch Nachtsichtgeräte kontrolliert wird,
nicht aus, sondern es wird zusätzlich ein Klima von De-
nunziation und Bespitzelung geschaffen. Dabei geht es
schon längst nicht mehr allein um die Taxifahrer.

Wir haben uns die Situation vor Ort angesehen. Nicht
nur in der Presse ist zu lesen – darüber wird auch von
BGS-Beamten ganz stolz berichtet –, daß der BGS so-
genannte VPs hat. Ich habe wirklich einen Moment dar-
über nachgedacht, was VP bedeutet. „Vertrauensperson“
des BGS ist die Übersetzung.

Dazu wurde erklärt, daß sich eigentlich jeder Bewoh-
ner dieser Grenzregion als potentieller Informant des
BGS verstehen und verdächtige Vorgänge melden soll.
Ich finde, daß diese Praxis nicht nur dringend überprü-
fungswürdig, sondern tatsächlich abzuschaffen ist. Die-
ses Stadium sollten wir überwunden haben.


(Beifall bei der PDS)

Ich komme zu den Taxifahrern zurück. Ich habe heute

in Bonn einen Taxifahrer gefragt, ob er sich vorstellen

Hans-Christian Ströbele

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 953


(A) (C)



(B) (D)


könne, daß zu seinem Berufsbild die Überprüfung des
Fahrgastes auf all die mehrfach genannten Kriterien ge-
hört. Er hat mich einfach zurückgefragt – ich frage auch
Sie zurück –: Müssen Taxifahrer dann nicht überall und
zu jeder Zeit alle Fahrgäste, möglichst mit Hilfe des
nächsten Polizeireviers, darauf überprüfen lassen, ob es
sich bei ihnen nicht um Diebe, Triebtäter oder Steuer-
flüchtlinge handelt?

Ich denke, diese Anforderung kann nicht an Taxifah-
rer, Besitzer von Hotels und Pensionen und an Menschen
gestellt werden, die in der Öffentlichkeit Dienstleistungen
erbringen. Es muß die Aufgabe der dafür zuständigen Or-
gane, also der Polizei und – bitte schön – auch des BGS,
bleiben. Diese Aufgabe muß aber mit verhältnismäßigen
Mitteln erfüllt werden und nicht dadurch, daß wir Bürge-
rinnen und Bürger unterschiedlicher Herkunft auf diese
Art und Weise aufeinanderhetzen.

Ein dritter Gedanke, der hier bisher noch keine Rolle
spielte. Ich habe unterstrichen, daß kommerzielle
Fluchthilfe zu verfolgen ist. Wir sollten uns aber trotz-
dem die entsprechenden Maßstäbe ansehen. Am 21. Fe-
bruar 1980 hat das Bundesverfassungsgericht ein ein-
schlägiges Urteil gesprochen. Ein Fluchthelfer hatte da-
mals Vergütung eingeklagt. Das Gericht hat grundsätz-
lich entschieden, daß es nicht in jedem Fall anstößig ist,
eine Hilfeleistung, selbst die für einen Menschen in ei-
ner Notlage, von einer Vergütung abhängig zu machen.
Heute ist es schon anstößig, ja strafwürdig, wenn Taxi-
fahrer Menschen in Not befördern, insbesondere dann –
dies ist ein wörtliches Zitat aus den BGS-Papieren;
schreiben Sie diesen Ausdruck nicht mir zu –, wenn sie
„undeutsch“ aussehen.

Ich finde, wir haben an diesem Tag, an dem wir am
Morgen über Menschenrechte debattiert haben, allen
Grund, uns noch einmal der heute in der UNO-
Vollversammlung verabschiedeten Deklaration zuzu-
wenden,


(Beifall bei der PDS)

in der nicht nur die Allgemeine Erklärung der Allgemei-
nen Menschenrechte gewürdigt wurde, sondern vor allen
Dingen auch der Mensch, der unter Gefahren und unter
Androhung von Strafe versucht, menschenwürdig mit
Verfolgten umzugehen und ihnen zu ihren Menschen-
rechten zu verhelfen.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401423700
Das Wort hat jetzt
der Kollege Hans-Peter Kemper, SPD.


Hans-Peter Kemper (SPD):
Rede ID: ID1401423800
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Ich will die gerade von der Kol-
legin Pau gestellte Frage aufgreifen. Auch ich frage
mich: Worüber reden wir eigentlich? Wenn ich Sie re-
den höre, dann komme ich zu dem Schluß, daß der
Zweck dieser Aktuellen Stunde nicht mehr klar zu er-
kennen ist.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.])


Wir reden darüber, wie wir Straftaten verfolgen und
verhindern können. Wenn Sie uns vorwerfen, wir wür-
den Migration als organisierte Kriminalität bezeichnen,
dann muß ich darauf antworten, daß wir dies sicherlich
nicht tun. Migration ist ein Menschenrecht. Aber
Schleusertum ist organisierte Kriminalität. Über diesen
Punkt können Sie mit uns nicht verhandeln.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir werden mit aller Härte das Schleusertum verfolgen.
Auch Taxifahrer, die sich wie Schleuser verhalten, ge-
fährden die innere Sicherheit und werden es mit uns zu
tun bekommen. Darüber gibt es keinen Zweifel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)


Mich überrascht einigermaßen das, was Sie in die
Vorfälle hineindichten. Sie beschuldigen nicht nur den
BGS der einseitigen Handhabung der Vorschriften. Sie
beschuldigen auch die gesamte Justiz. Der Vorwurf der
Rechtsbeugung war noch der geringste Vorwurf, den Sie
ins Feld geführt haben. Dazu muß ich sagen, daß ich
immer noch wesentlich mehr Zutrauen zu unserer unab-
hängigen Justiz als zu den Aussagen der PDS habe.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht doch ganz schlicht und einfach darum, Straf-
taten zu verhindern. Ich weiß mich mit der Mehrheit des
Hauses einig: Illegale Einreise, Unterstützung illegaler
Einreisen und Schleusertum sind Straftaten. Wir sind
uns auch im wesentlichen darüber einig, daß das von uns
nicht toleriert wird.


(Beifall der Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD] und Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.])


Der illegale Grenzübertritt und der Weitertransport
durch Taxen ins Binnenland haben, wie wir eben in Gott
sei Dank sehr sachlicher Weise von meiner Kollegin
Wittig und von Staatssekretär Körper gehört haben, seit
1992 sehr stark zugenommen und 1996 einen Höhe-
punkt erreicht. Es hat nicht nur eine Vielzahl von Er-
mittlungsverfahren, sondern auch eine Vielzahl von
Verurteilungen gegeben. Das sind Verfahren gewesen,
die von unabhängigen Gerichten zum Abschluß gebracht
worden sind und Wirkung gezeigt haben. Verurteilungen
haben ihre Wirkung sowohl im repressiven als auch im
präventiven Bereich.

Es geht hier doch nicht darum, unbedarfte Taxifahrer
zu verfolgen und vor den Kadi zu schleppen, die fahrläs-
sig oder unbewußt jemanden mitnehmen, sondern es
geht um Leute, die sich vorsätzlich oder grob fahrlässig
der Schleusung strafbar machen und viel Geld verdie-
nen, indem sie die Notlage der Menschen ausnutzen.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU])


In diesen Fällen ist eine konsequente Strafverfolgung
unabdingbar. Die Strafen haben ja auch bereits Wirkung
gezeigt.

Petra Pau

954 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Die Kritik am Bundesgrenzschutz ist völlig überzo-
gen. Wenn sich der Bundesgrenzschutz hier falsch ver-
hält oder in Sprache und Verhalten überzogen reagiert,
dann muß das kritisiert und überprüft werden. Ich sehe
das zur Zeit aber nicht, obwohl mir die angesprochenen
Flugblätter auch bekannt sind. Sprache und Inhalt dieser
Flugblätter waren angemessen und zurückhaltend.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Ich verstehe die Kritik am Bundesgrenzschutz auch

nicht. Der Bundesgrenzschutz ist Bundespolizei. Er un-
terliegt dem Legalitätsprinzip und ist verpflichtet, Straf-
taten zu verfolgen. Nichts anderes tut er.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Eine weitere Aufgabe des Bundesgrenzschutzes und der
Polizei neben der Repression ist es, präventiv tätig zu
werden. Wenn der BGS ein Flugblatt verteilt, in dem
steht, man solle keine Straftaten begehen, keine illegalen
Einwanderer aufnehmen und sich nicht als Schleuser
betätigen, dann ist das keine Drohung und auch kein
überzogenes Handeln, sondern einfach ein Hinweis auf
geltende Gesetze.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Geltende Gesetze sind einzuhalten; da gibt es mit uns
überhaupt nichts zu verhandeln und zu diskutieren. Das
sind Selbstverständlichkeiten, und Selbstverständlich-
keiten müssen auch nicht unbedingt zu dieser Zeit in
Aktuellen Stunden behandelt werden.

Dort, wo es Verfehlungen gibt, wo sich Ermittlungs-
behörden falsch verhalten, können Sie mit unserer Un-
terstützung rechnen. Das wird überprüft, und da werden
die Verantwortlichen auch zur Rechenschaft gezogen.
Aber pauschale Verurteilungen ganzer Ermittlungsein-
heiten sind mit uns nicht zu machen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401423900
Jetzt spricht der
Kollege Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Jetzt wird es noch einmal munter!)



Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1401424000
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man
den Text der Tagesordnung „Haltung der Bundesregie-
rung zur öffentlichen Verunsicherung ... infolge der
Verurteilung von Taxifahrern und Haltung der Bundes-
regierung zum Vorgehen des Bundesgrenzschutzes in
diesem Zusammenhang“ nimmt und wenn man den bei-
den Rednern von der PDS zugehört hat, die hier das
Thema behandelt haben, dann kann man nur den Ein-
druck gewinnen, daß die Herrschaften von ganz links
außen ihr Verhältnis zum Rechtsstaat noch nicht berei-
nigt haben oder keine klare Haltung zum Rechtsstaat
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Kollegen der Koalition und der Opposition – mit
Ausnahme der PDS –, die hier gesprochen haben, haben
ja deutlich gemacht, daß es nichts mit Denunziantentum
zu tun hat, wenn der BGS jemanden aufruft, gesetzwid-
riges Verhalten zu melden. Ich bin ja froh, daß Sie von
der PDS die Katze heute aus dem Sack gelassen haben;
denn aus Ihren Beiträgen wird vielen klar, wo Sie ste-
hen. Am Flugblatt des BGS – ich habe das scheinbar
autorisierte Flugblatt hier; ich weiß nicht, worüber Herr
Kollege Ströbele gesprochen hat, das müßte man einmal
sehen – ist gar nichts auszusetzen. Das ist der ganz nor-
male Versuch einer Polizei, die Bürger zur Mithilfe bei
der Verfolgung von Straftaten aufzufordern. Das ist le-
gitim.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Jetzt sage ich Ihnen aber etwas anderes – und da bin

ich ganz giftig –: Wer wie die Kollegin Ostrowski hier
sagt – ich habe es mir sofort mitgeschrieben –, daß wir
mit dieser Maßnahme des BGS „dem Polizeistaat wieder
ein Stück näher kommen“,


(Zurufe von der PDS: Jawohl!)

der hat – so muß ich wirklich sagen – noch nichts von
Demokratie verstanden.


(Widerspruch von der PDS – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Und vom Rechtsstaat!)


– Natürlich. Ihr Gequatsche hat mit Rechtsstaat, mit
Recht und Ordnung, überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Heidemarie Lüth [PDS]: Das ist ja unverschämt!)


Dies ist es nicht einmal wert, darüber hier nachts um
22 Uhr noch zu sprechen. Ich meine das wirklich so.

Ich sage Ihnen ein Weiteres: Das, über was Sie hier
diskutieren, in ein Verhältnis zu der weltweiten Verlet-
zung von Menschenrechten zu bringen, ist genauso ab-
surd. Das ist wirklich unterhalb jeder Gürtellinie. Damit
mag ich mich gar nicht abgeben.


(Zurufe von der PDS)

Jetzt will ich zu den zwei wirklich bemerkenswerten

Dingen dieser Diskussion kommen, nämlich zu den bei-
den Redebeiträgen der Koalitionsabgeordneten der Grü-
nen. Die Besonderheit des Abends liegt darin


(Hans-Peter Kemper [SPD]: Das gefällt ihm!)

– ja, das gefällt mir schon –, daß ein Bundesinnenmini-
ster öffentlich sagt, die Grenze der Belastbarkeit durch
Zuwanderung und Migration sei überschritten, während
seine Koalitionsfreunde hier solche Reden halten. Man
hat im Regierungslager eine gewisse Unruhe hinsicht-
lich der beiden Beiträge der Grünen bemerkt, wobei ich
den Beitrag von Frau Voß als Jungfernrede verstehe und
sage: Sie wußte noch nicht, was sie tat.


(Widerspruch bei der PDS)

Aber der Kollege Ströbele weiß natürlich ganz genau,
was er hier sagt.

Hans-Peter Kemper

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 955


(A) (C)



(B) (D)


Ich bin gespannt, wie ihr das Problem löst, daß ihr
zwar eine Regierung bildet, den Minister aber öffentlich
in Dingen kritisiert, in denen er recht hat, und nun hier
versucht, ihn im Rahmen der Themen BGS bzw. der
Durchsetzung von Recht und Gesetz an den Grenzen mit
einer Menschenrechtsdebatte zu überfrachten. Ich warte
voller Genuß, wie das weitergeht und wie Sie das auflö-
sen.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Ich auch!)

Das wird ungeheuer spannend und interessant.

Herr Minister, ich wünsche Ihnen, daß Sie bei Ihren
Formulierungen zur Zuwanderung bleiben, die Sie ein-
mal getroffen haben, daß Sie sich Ihrer Koalitionspart-
ner erfolgreich erwehren können und daß Sie dann viel-
leicht zu Ergebnissen kommen, die uns in die Lage ver-
setzen, auch Ihnen einmal Applaus zu spenden. Das wä-
re eine ganz positive Entwicklung.

Die Damen und Herren der Grünen, die hier Kritik
geübt haben, sollten noch einmal in Klausur gehen und
sich überlegen, was sie hier angerichtet haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401424100
Herr Kollege
Zeitlmann, ich denke, wir sollten auch in einer Aktuel-
len Stunde den Stil des Hauses bewahren und die Aus-
führungen der anderen Kolleginnen und Kollegen nicht
unbedingt als Gequatsche disqualifizieren.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Ich gelobe Wiederholung! – Gegenruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das gäbe eigentlich einen Ordnungsruf, wenn die Präsidentin jetzt streng wäre!)


Nächster Redner ist jetzt der Bundesinnenminister,
Otto Schily.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1401424200
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich bin
schon etwas verwundert über das, was hier in dieser De-
batte vor sich geht. Wenn wir meinen, das Parlament sei
die oberste Instanz, um die Rechtsfindung herbeizufüh-
ren – –


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das ist gar nicht unser Thema!)


– Doch, das ist Ihr Thema. Denn Sie haben Urteile an-
gegriffen und von Rechtsbeugung gesprochen. Das ist
ein massiver und frontaler Angriff auf die Unabhängig-
keit der Justiz. Es gehört zu den Grundelementen eines
Rechtsstaates, daß auch wir als Legislative Achtung vor
der Unabhängigkeit der Judikative bewahren.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Auch über den Diskussionsbeitrag des Kollegen Strö-
bele war ich einigermaßen überrascht. Er hat hier die

richtige Erkenntnis vorgetragen – das können wir ihm
zubilligen –, daß es natürlich um unterschiedliche Sach-
verhalte geht. Aber ist es nun Aufgabe des Parlaments,
in individuellen Fällen zu prüfen, wie der Sachverhalt
ist?


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das ist der Punkt!)


Sollen wir jetzt im Parlament eine Beweisaufnahme
vollziehen? Es ist Aufgabe der Gerichte, die Zeugen zu
befragen, die richtigen Tatsachen-Feststellungen zu tref-
fen und dann zu einer Subsumtion, zu einer rechtlichen
Bewertung, zu kommen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


So geht es in einem Rechtsstaat zu. Das sollte Kollege
Ströbele auf Grund seiner guten juristischen Ausbildung,
als guter Jurist, als den ich ihn kenne, eigentlich auch
wissen. Soweit zum repressiven Bereich.

Nun zum präventiven Bereich. Man kann zur Diskus-
sion stellen, ob sich der Bundesgrenzschutz richtig ver-
halten hat. Natürlich ist es ein Problem, wie man prä-
ventiv auf solche Situationen eingeht, weil es – das gebe
ich zu – ein Spannungsverhältnis ist, ob sich jemand
zum Mittäter oder zum Gehilfen macht. Dafür gebe ich
ein sehr drastisches Beispiel: Ein Mann kommt mit ei-
nem großen Geldsack, aus dem noch ein paar Geld-
scheine fallen, aus einer Bank heraus, hält vielleicht eine
Waffe in der Hand und ist maskiert. Wenn dieser Mann
ein Taxi anhält, dann kann man natürlich sagen: Sie ha-
ben eine Beförderungsverpflichtung, nehmen Sie ihn
mit. Ein Polizeibeamter würde aber sagen: Ich mache
Sie darauf aufmerksam, daß sie das nicht dürfen. Das ist
eine klare Gehilfenschaft zu einer Straftat. – Es muß al-
so eine Abgrenzung vorgenommen werden. Die Tatsa-
chen-Feststellung ist Aufgabe der Justiz, dafür haben
wir sie.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Bundesgrenzschutz hat die Aufgabe, in einer sol-

chen Situation präventiv mitzuwirken. Das tut er durch
ein Flugblatt, das ich vor mir habe.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist in Ordnung!)


– Dieses Flugblatt ist in Ordnung.
Da steht:
Der Bundesgrenzschutz informiert: Nein zu
Schleppern und Schleusern.

Ist das zu beanstanden? Ich wüßte nicht, warum.
An alle Taxifahrerinnen und Taxifahrer

Nach meinem Kenntnisstand ist das mit der Taxifahrer-
innung abgesprochen.

Taxifahrerinnen und Taxifahrer werden nach unse-
ren Erkenntnissen oft von professionellen Schlep-
pern und Schleusern angesprochen, um Personen,

Wolfgang Zeitlmann

956 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


die illegal über die Grenze nach Deutschland ein-
reisen, an deren Zielorte zu bringen. Hinter solchen
Angeboten stecken meist gut organisierte Schleu-
serbanden, die die Not von Menschen für ihre skru-
pellosen Geschäfte ausnutzen.
Neben verstärkten Kontrollmaßnahmen wenden wir
uns mit diesem Informationsblatt und folgenden
Bitten an Sie:
Lassen Sie sich von Schleuserbanden nicht miß-
brauchen! Nehmen Sie keine offensichtlich illegal
eingereisten Personen in Ihrem Taxi mit! Teilen Sie
Anwerbungsversuche oder andere derartige Fest-
stellungen uns oder jeder anderen Polizeidienst-
stelle mit – auf Wunsch auch diskret.
Bei der Mitwirkung an illegalen Grenzübertritten
ist mit folgenden Konsequenzen zu rechnen: Frei-
heits- oder Geldstrafe, eventuelle Einziehung des
Fahrzeuges oder auch Entzug der Konzession als
Taxiunternehmer.
Wir danken Ihnen für Ihre Mithilfe und wünschen
Ihnen gute Fahrt!

Was ist an diesem Flugblatt zu beanstanden? Gar nichts.
Das ist ein sehr sorgfältig und vernünftig ausgearbeitetes
Flugblatt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Nun habe ich dem Kollegen Ströbele zugehört, der
eine Passage aus einem angeblichen Flugblatt zitiert hat.
Daraufhin habe ich den Kollegen Körper gebeten, Herrn
Kollegen Ströbele zu bitten, mir doch das Flugblatt zur
Verfügung zu stellen. Dessen Text würde mir in der Tat
nicht so gut gefallen, wenn er so wäre, wie Sie das be-
hauptet haben. Aber der Kollege Ströbele verfügt über
dieses Flugblatt nicht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann nicht sein!)


Das ist natürlich problematisch. Wenn man den Bundes-
grenzschutz in Mißkredit zu bringen versucht, dann habe
ich, in meinem Amt als Bundesinnenminister, die
Pflicht, mich vor den Bundesgrenzschutz zu stellen. Das
tue ich hiermit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß es für
die Kolleginnen und Kollegen des Bundesgrenzschutzes
nun wahrlich keine leichte Aufgabe ist, die sie dort lei-
sten. Wenn man über solche Dinge redet, dann darf man
auch über die Menschenrechte der Angehörigen des
Bundesgrenzschutzes reden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das richte ich an die Adresse der PDS, die hier einen
Ton anschlägt, der völlig unangemessen ist.

Bevor solche Behauptungen aufgestellt werden, so
empfehle ich dem Kollegen Ströbele, sollte die private
Beweisaufnahme etwas sorgfältiger vollzogen werden,

als er es hier gemacht hat. Dann können wir uns auch
über solche Fragen verständigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401424300
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Abgeordnete Günter Graf, SPD.


Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1401424400
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es
ist in dieser Debatte alles gesagt worden. Der Bundesin-
nenminister hat in aller Deutlichkeit auf die Fakten hin-
gewiesen. Er hat sie juristisch bewertet, und ich habe
dem nichts hinzuzufügen.

Eines will ich jedoch in aller Deutlichkeit sagen:
Mich hat es schon sehr überrascht, als ich las, daß die
PDS eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt.
Worum geht es? Wir – das war die große Mehrheit die-
ses Hauses – haben den Bundesgrenzschutz an der
Grenze eingesetzt, um insbesondere der illegalen Zu-
wanderung, den Schleusungen, dem Menschenhandel,
dem Rauschgifttransfer usw. wirksamer begegnen zu
können. Dafür haben wir den BGS an die Grenze ge-
schickt.

Daß sich der BGS, wie übrigens die gesamte Polizei
in Deutschland, bei seiner Arbeit bestimmter Mittel be-
dient, wird von Ihnen hier kritisiert. Er kann aber nur er-
folgreich arbeiten, wenn er darauf aufmerksam macht,
was passieren könnte, und die Menschen um Unterstüt-
zung bittet, wenn sie etwas sehen. Nur wenn andere mit-
helfen, kann er erfolgreich arbeiten.

Wir haben Gott sei Dank eine offene Grenze. Wir ha-
ben Stacheldraht und Minengürtel abgebaut, Betonwän-
de eingerissen und schicken Bundesgrenzschützer – zi-
vilisiert – an die Grenzen, die ihre Aufgabe wahrnehmen
sollen, und Sie stellen sich hierhin und klagen das an.
Wenn Sie es mit diesem Thema ernst gemeint hätten –
einige von Ihnen sind dafür erfahren genug –, dann hät-
ten Sie sich mit dem Vorsitzenden des Innenausschusses
in Verbindung gesetzt und gesagt: Laßt uns das einmal
in einer Innenausschußsitzung bereden, der Bundesin-
nenminister oder der Staatssekretär berichten über das
Thema Bundesgrenzschutz. Dann hätten wir vernünftig
miteinander reden können. Sie jedoch ziehen eine Show-
Veranstaltung ab, und so geht es nicht.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401424500
Die Aktuelle Stunde
ist damit beendet.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu
der Verordnung der Bundesregierung

Bundesminister Otto Schily

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 957


(A) (C)



(B) (D)


Verordnung zur Verlängerung der Frist in
§ 27 des Investitionsvorranggesetzes
– Drucksachen 14/50, 14/69 Nr. 2.2, 14/94 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Hacker
Andrea Astrid Voßhoff

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Es ist
vereinbart worden, daß folgende Kolleginnen und Kol-
legen ihre Redebeiträge zu Protokoll geben: Hans-
Joachim Hacker, Andrea Voßhoff, Jürgen Türk, Gerhard
Jüttemann und Hans-Christian Ströbele. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch.*)

Wir kommen damit zur Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Rechtsausschusses zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung zur Verlängerung der
Frist nach dem Investitionsvorranggesetz auf den
Drucksachen 14/50 und 14/94. Wer stimmt für diese Be-
schlußempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig ange-
nommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 12a bis 12c
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abge-

ordneten Christine Ostrowski, Dr. Gregor Gysi
und der Fraktion der PDS eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Anpassung der wohn-
geldrechtlichen Regelungen – Wohngeldanpas-
sungsgesetz (WoGAG)

– Drucksache 14/19 –

(Erste Beratung 5. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuß)

– Drucksache 14/142 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Spanier

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christi-
ne Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Fortführung des Wohnraum-Modernisie-
rungsprogramms der Kreditanstalt für Wie-
deraufbau bis zum Jahr 2000
– Drucksache 14/126 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen(federführend)FinanzausschußAusschuß für Angelegenheiten der neuen LänderHaushaltsausschuß

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christi-
ne Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf
und der Fraktion der PDS

–––––––––––––
*) Anlage 7

Verbesserte Förderung der Wohnungsmoder-
nisierung im Altbaubestand und bei Wohn-
hochhäusern nach dem Investitionszulagenge-
setz 1999
– Drucksache 14/127 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen(federführend)FinanzausschußAusschuß für Angelegenheiten der neuen Länder

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Es ist verein-
bart worden, daß folgende Kolleginnen und Kollegen ih-
re Rede zu Protokoll geben: Dr. Christine Lucyga, Han-
nelore Rönsch (Wiesbaden), Franziska Eichstädt-Bohlig,
Dr. Karlheinz Guttmacher, Gert Willner sowie Wolf-
gang Spanier. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.*)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Damit erteile ich der Abgeordneten Christine

Ostrowski, PDS, das Wort.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1401424600
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht ob der
späten Stunde, aber auch Sie wohnen, und das Wohnen
ist ein Thema, das uns alle angeht. Im übrigen geht es
um einen wichtigen Gesetzentwurf unsererseits – das
Wohngeldanpassungsgesetz –, der heute in der zweiten
und dritten Lesung auf der Tagesordnung steht.

Ich konnte so manches Spannende während der Be-
ratung des Gesetzentwurfs beobachten: erstens wie sich
das Verhalten ändert, wenn die politischen Rollen ver-
tauscht sind. CDU/CSU und F.D.P. entwickelten sich
plötzlich zum Vorkämpfer einer Wohngeldnovelle.
Hätten sie doch dieses Kämpfertum bewiesen, als sie an
der Regierung waren.


(Beifall bei der PDS)

SPD und Grüne schienen sich wiederum ihrer Forde-

rungen aus der Oppositionszeit nur schwer zu erinnern,
ihre Argumente erinnerten teilweise an die der Kohl-
Regierung.

Zweitens war spannend, wie sich das Verhalten
gleicht, wenn politische Rollen vertauscht sind. Die alte
Regierungskoalition ging mit dem Wohngeldverspre-
chen in den Wahlkampf und erfüllte es nie. Die neue
Koalition versprach den Wählern dasselbe, konkrete In-
itiativen unternahm sie bisher nicht; denn Bekenntnisse
sind keine Handlungen.

Drittens war spannend, wie sich gleiches Verhalten
fortsetzt, obwohl politische Rollen vertauscht sind. Es
war ein PDS-Gesetzentwurf, und in seiner Ablehnung
bewies man quer durch alle Parteien Kontinuität. Zur
glaubhaften Begründung mußten die merkwürdigsten
Argumente herhalten, zum Beispiel, das Gesetz sei nur
die 1995 vom Bundesrat beschlossene Härtefallrege-
lung. Das stimmt. Wir haben sie aufgegriffen. Es war
nur schwer nachzuvollziehen, warum ein Härtefall im
––––––––––
*) Anlage 8

Vizepräsidentin Petra Bläss

958 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998


(B)



(A) (C)



(D)


Wohngeld 1995 gilt, aber 1998, wo sich die Verhält-
nisse extrem verschärft haben, nicht mehr gelten soll.
Auch das Argument, verwaltungsmäßig sei das über-
haupt nicht mehr zu schaffen, ist merkwürdig, denn
wenn man überlegt, welch grundlegende Gesetzesände-
rungen und Reformen wir in den letzten Tagen be-
schlossen haben, die auch alle funktionieren, zieht das
wohl nicht. Auch das Argument, daß Ostwohngeldbe-
zieher durch unseren Entwurf bevorteilt würden, ist un-
sinnig, denn jeder, der Augen zum Sehen hat, weiß, daß
die Einkommensverhältnisse und die Modernisierungs-
mieten im Osten ausgesprochen auseinanderklaffen.

Das vierte Spannende, was man als kleinste Oppositi-
on im Bundestag bewirken kann. Sie müssen es ja nicht
zugeben, aber es ist trotzdem so gewesen: Unser Gesetz-
entwurf hat öffentlichen Druck bewirkt. Der Bundes-
kanzler verlor in seiner Regierungserklärung kein einzi-
ges Wort zum Wohnen und zum Wohngeld schon gar
nicht. Bundesminister Müntefering mußte sich, nachdem
wir unseren Entwurf eingebracht hatten, in der Debatte
immerhin zu einem Termin durchringen, etwas nebulös
hieß es: im Jahre 1999. Als wenig später der Mieterbund
deutlich öffentliche Kritik übte, mußte sich Müntefering
auch in der Presse erklären, und jetzt haben es alle Mie-
ter in der Bundesrepublik lesen können. Meine Damen
und Herren, Sie müssen nun an die Wohngeldreform
heran, ob Sie wollen oder nicht. Ich hatte es Ihnen ge-
sagt: Wir helfen Ihnen, Ihre Wahlversprechen zu erfül-
len.


(Beifall bei der PDS)

Daß allerdings noch immer keine konkreten Vorstel-

lungen vorhanden sind, zeigt das Ausweichen des Bun-
desministers bei Anfragen im Ausschuß. Er hat keine
Ahnung, wie hoch das Finanzvolumen seiner vorausge-
sagten Wohngeldnovelle sein soll. Er kann keine Eck-
punkte nennen. Er weiß eigentlich überhaupt nichts, und
er sagt uns auch klipp und klar: Ich werde nichts Kon-
kretes sagen.

Ich vermute also, daß Sie dem Gesetzentwurf der
PDS nicht zustimmen werden, daß Sie noch nicht so
weit sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Schade, gerade der späte Abend wäre für die Sternstun-
de, die ich mir so sehr gewünscht hätte, richtig passend
gewesen.

Es stehen noch zwei weitere Anträge von uns auf der
Tagesordnung, erstens die Fortführung des KfW-
Modernisierungsprogramms. Mit diesem Programm
konnten über 3 Millionen Wohnungen im Osten saniert
werden. Das Programm läuft 1998 aus und wird 1999
nur noch abfinanziert. Es muß dringend verlängert wer-
den


(Iris Gleicke [SPD]: Lesen Sie doch einmal die Regierungserklärung!)


– nein, in der Regierungserklärung ist das genauso ne-
bulös gesagt worden, wie sich Ihr Minister die ganze
Zeit verhält –, weil der Sanierungsbedarf im Osten noch
vorhanden ist; ein Drittel der Wohnungen sind mit über-

durchschnittlich hohem Aufwand zu sanieren. Das Inve-
stitionszulagengesetz alleine kann die Sache nicht lei-
sten, selbst wenn es novelliert werden würde.

Mit unserem zweiten Antrag schlagen wir Ihnen vor,
das Investitionszulagengesetz zu novellieren, nämlich
die Förderung der Wohnungssanierung mit der Förde-
rung des Mietwohnungsneubaus gleichzusetzen. Ich
glaube, das ist das Mindeste, was man unter Beachtung
der ostdeutschen Situation machen muß. Denn wir müs-
sen bedenken: Falls Ihre Pläne der Steuerreform Wahr-
heit werden, das heißt, falls die erhöhten Absetzungen in
städtischen Sanierungsgebieten Wahrheit werden – –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401424700
Frau Kollegin
Ostrowski, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Dr. Lucyga?


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1401424800
Am späten Abend? –
Aber bitte schön, natürlich.


Dr. Christine Lucyga (SPD):
Rede ID: ID1401424900
Frau Kollegin, haben
Sie sich, als Sie Ihre Anträge formuliert haben, vielleicht
einmal mit dem Bauminister von Mecklenburg-
Vorpommern verständigt, der zwar nicht Ihrer Fraktion,
aber Ihrer Partei angehört, und wenn ja: War er bereit,
die Mehrausgaben aus seinem Ressort zu bestreiten? Hat
er Sie im weiteren darüber aufgeklärt, wie sich der
Bauminister Mecklenburg-Vorpommerns zu dem Vor-
haben der Bundesregierung zu verhalten gedenkt?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1401425000
Liebe Kollegin, ich be-
rate mich grundsätzlich, bevor ich Anträge stelle. Eine
andere Arbeitsweise kennen wir überhaupt nicht.


(Lachen bei der SPD)

Wir konsultieren nicht nur unsere eigenen Minister, die
wir ja jetzt haben, sondern auch andere Leute. Sie kön-
nen ganz beruhigt sein, weil das Interessante an den
Anträgen, die ich soeben vorgeschlagen habe, ist, daß
sie eben nicht nur eine Geldausgabe sind,


(Dr. Christine Lucyga [SPD]: Das müßten Sie doch mit Ihrem Minister absprechen können!)


wie es jetzt in Ihrer Frage anklang, sondern Sie wissen
ganz genau: Wenn wir diese Mittel weiterhin einsetzen,
dann wird dabei ein beschäftigungspolitischer Effekt
herauskommen, der ungefähr – die Experten streiten
sich dabei ein bißchen – ein Vierfaches bis Achtfaches
der eingesetzten Finanzmittel bringt. Das heißt, Sie ha-
ben also einen Gewinn.


(Beifall bei der PDS)

Wir sollten also diese Programme fortsetzen; denn

wenn es nämlich nicht passiert, das heißt Ihre Steuerplä-
ne im Steuerentlastungsgesetz Wahrheit werden, dazu
das KfW-Programm nicht fortgesetzt wird und außer-
dem die Zulagen bei der Modernisierung des Mietwoh-

Vizepräsidentin Petra Bläss

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1998 959


(A) (C)



(B) (D)


nungsprogramms bei 180 DM pro Quadratmeter bleiben,
dann kann ich Ihnen nur sagen, daß Sie Ihre Koalitions-
vereinbarung in diesem Punkt mit der Klospülung hin-
unterspülen können.

Sie hatten sich vorgenommen, Ihren Schwerpunkt in
der Bestandsförderung zu setzen. Wenn diese Program-
me wegfallen, dann ist auch dieses Bekenntnis in der
Koalitionsvereinbarung weggefallen.

Deshalb kann ich Ihnen nur raten – natürlich rate ich
Ihnen, unserem Wohngeldanpassungsgesetz zuzustim-
men, und selbstverständlich werden die Anträge beraten
–: Stimmen Sie unseren Anträgen zu. Wenn Sie das
nicht wollen, dann machen Sie doch einfach selber wel-
che.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1401425100
Wir sind damit am
Ende dieser Debatte und kommen zur Abstimmung über
den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Anpassung
der wohngeldrechtlichen Regelungen auf Drucksache
14/19. Der Ausschuß für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/142, den Ge-
setzentwurf abzulehnen. Ich lasse nun über den Gesetz-
entwurf der PDS auf Drucksache 14/19 abstimmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen

wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen?
– Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen, CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der
PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-
ordnung die weitere Beratung.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/126 und 14/127 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluß unserer Tagesordnung. Da dies tatsächlich die
letzte Sitzung des Bundestagsplenums im Jahr 1998 war,
möchte ich Ihnen allen an dieser Stelle stellvertretend
für das Bundestagspräsidium ein friedliches und fröhli-
ches Weihnachtsfest wünschen und vor allem einen gu-
ten Start in das Jahr 1999.


(Beifall)

Zum Schluß muß ich aber wieder ganz profan wer-

den: Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 20. Januar 1999, 13.00 Uhr
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.