Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht zum Zusammen-
treffen des Kabinettsausschusses „Neue Länder“ mit
der Sächsischen Staatsregierung am 16. Dezember
1998, Genehmigung des Haushaltsplans der Bundes-
anstalt für Arbeit für das Jahr 1999 und Zeichnung
des Römischen Statuts des Internationalen Strafge-
richtshofs. Ich schlage vor, daß wir anschließend bei
der Befragung in dieser Reihenfolge der Themen vorge-
hen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Staatsminister beim Bundeskanzler, Rolf Schwa-
nitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Ich möchte Sie informieren, daß ich heute dem Ka-
binett einen Bericht über das Zusammentreffen des Ka-
binettsausschusses „Neue Länder“ mit der Sächsischen
Staatsregierung gegeben habe.
Wie Ihnen noch in Erinnerung ist, hat der Bundes-
kanzler bereits in der Regierungserklärung die Absicht
der Bundesregierung geäußert, künftig in Zweimonats-
abständen in die neuen Länder zu gehen und dort mit
Landesvertretern, mit Landeskabinetten gemeinsam zu
tagen, in der Absicht, bei dieser gemeinsamen Beratung
von Landeskabinetten und Bundesregierung regionale
Probleme, insbesondere die wirtschaftliche und arbeits-
marktpolitische Situation zu besprechen und die in den
Ländern vorhandenen Probleme einer gemeinsamen Lö-
sung zuzuführen.
Der Bundeskanzler hat auch vor dem Hintergrund,
daß dies eine neue Qualität der Zusammenarbeit und Be-
fassung mit ostdeutschen Angelegenheiten ist, darauf
gedrungen, daß bereits in diesem Jahr eine erste gemein-
same Sitzung zwischen dem Kabinettsausschuß „Neue
Länder“ und einem Landeskabinett der neuen Länder
stattfinden soll.
Es hat bei dem gemeinsamen Treffen des Bundes-
kanzlers mit den ostdeutschen Ministerpräsidenten am
24. November dieses Jahres eine Besprechung zu die-
sem Vorschlag gegeben. Es ist mit den ostdeutschen
Ministerpräsidenten über diesen Vorschlag der Bundes-
regierung, solche in Zweimonatsabständen stattfinden-
den gemeinsamen Sitzungen anzuberaumen, Einver-
nehmen erzielt worden.
Es hat daraufhin die Festlegung gegeben, daß es ein
erstes gemeinsames Treffen mit der Sächsischen Staats-
regierung geben soll. Es wird am 16. Dezember in Dres-
den stattfinden. Es hat Kontakte zwischen dem Bundes-
kanzleramt und der Staatskanzlei des Freistaates Sach-
sen gegeben.
Mit Brief vom 7. Dezember hat der sächsische
Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten
und der Chef der Staatskanzlei des Freistaates Sachsen,
Staatsminister Günter Meyer, der Bundesregierung Vor-
schläge für die Tagesordnung dieser gemeinsamen Sit-
zung unterbreitet. Diese Vorschläge sind heute im Kabi-
nett erörtert worden. Das Kabinett hat sich damit befaßt.
Es hat seinerseits Ergänzungsvorschläge besprochen.
Dieses Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Es
wird zunächst darum gehen müssen, mit der Sächsischen
Staatskanzlei in Verbindung zu treten, ihr das Ergebnis
der Besprechung des Kabinetts mitzuteilen sowie eine
Endabstimmung in diesem Verfahren zu erzielen.
Auf dieser Grundlage werden dann die Ressorts so-
wohl in der Sächsischen Staatsregierung als auch in der
Bundesregierung vorbereitet, so daß eine gute und kon-
struktive und der Problemlösung dienende Befassung
möglich ist. Wir sind sicher, daß dies ein guter Auftakt
wird.
Herzlichen Dank.
Danke schön, Herr
Staatsminister.
744 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
Als erster Fragesteller ist mir der Kollege Nooke ge-
meldet.
Danke, Herr Präsident.
– Herr Staatsminister, gibt es über den Organisationser-
laß vom 27. Oktober 1998 hinaus einen Beschluß des
Bundeskabinetts, daß Sie als Staatsminister für Angele-
genheiten der neuen Länder bestellt werden und dieses
Amt ausführen? Wie groß ist Ihre direkte Budgetver-
antwortung, und wie viele Mitarbeiter sind Ihnen unter-
stellt?
Herr Kollege, der Organisationserlaß, den Sie angespro-
chen haben, ist geltendes Recht und ist in Kraft. Damit
ist mir die Beauftragung übertragen worden. Folglich
habe ich hier beispielsweise die Vorbereitung der orga-
nisatorischen Dinge auf meinem Tisch.
Die organisatorische Abwicklung im Kanzleramt
wird dem Grundsatz dienen, daß die Zuständigkeiten für
die operativen Regierungsgeschäfte der einzelnen Res-
sorts in den Ressorts verbleiben. Meine Funktion wird
die einer koordinierenden Tätigkeit sein und natürlich
auch darin bestehen, ostdeutsche Interessenslagen in die
Regierungsgeschäfte einzubringen. Ich habe deswegen
besonderen Wert darauf gelegt, daß in meinem Arbeits-
stab die Referate so aufgebaut werden, daß Quer-
schnittsthemen dabei die entscheidende Grundlage bil-
den. Es werden insgesamt fünf Referate in meinem un-
mittelbaren Bereich neben meinem persönlichen Stab
aufgebaut.
Es wird damit genau das umgesetzt, was die Regie-
rung in der Regierungserklärung angekündigt hat, insbe-
sondere auch das, was die die Regierung tragenden Par-
teien im Zusammenhang mit den Wahlauseinanderset-
zungen angekündigt haben, nämlich die Beauftragten-
funktion vom Kanzleramt aus zu stärken und damit
mehr Möglichkeiten wahrzunehmen, als das in der Ver-
gangenheit in der Beauftragtenfunktion eines beamteten
Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium der
Fall war.
Eine Zusatzfrage.
Noch eine Nachfrage.
Wir hatten hier eine Debatte mit dem Beauftragten für
Angelegenheiten der Kultur und der neuen Medien,
Herrn Michael Naumann, der – wenn er heute die Mög-
lichkeit erhält – zum Staatsminister bestellt werden soll.
Wird es Unterschiede zwischen Ihnen und dem Staats-
minister für Angelegenheiten der Kultur und der neuen
Medien geben? Sind Sie dann Dienstvorgesetzter oder
nur Vorgesetzter? Wo ist der Unterschied auszumachen?
Selbstverständlich wird es da Unterschiede geben, die
beispielsweise daraus resultieren, daß ich Mitglied die-
ses Hauses bin und Staatsminister Naumann nicht. Wir
werden dort, in der Zuständigkeit, was meine Tätigkeit
als Staatsminister beim Bundeskanzler betrifft, die
Funktionen wahrnehmen, was die Möglichkeiten um-
setzt, die wir programmatisch vor der Bundestagswahl
angekündigt haben und die wir inhaltlich im Rahmen
der Regierungspolitik – übrigens auch an vielen Punk-
ten, die wir in den letzten Wochen im Haus besprochen
haben – kenntlich machen können.
Nächster Fragestel-
ler ist der Kollege Werner Labsch.
Herr Staatsminister Schwa-
nitz, ich habe mit Genugtuung und Freude gehört, daß
Sie die ostdeutschen Landesregierungen besuchen wer-
den, um festzustellen, wo die Schwerpunkte der Förde-
rung liegen werden. Ich frage Sie ganz besonders inter-
essiert: Haben Sie in Ihrem Gepäck auch Fragen der
Weiterführung des Braunkohletagebaus, der Rekultivie-
rung seiner Folgen und seiner Altlastenbeseitigung in
der ehemaligen DDR? Wenn ja, dann ist es gut. Dann
hätte ich nur die Bitte, daß Sie diese Fragen nicht nur
mit der sächsischen Regierung, sondern mit allen betrof-
fenen Landesregierungen gleichermaßen besprechen.
Ich kann Ihr Gespräch ein wenig mit Wissen anrei-
chern. Die Sanierungsleistungen im eigentlichen Sinne
nehmen natürlicherweise durch die Umsetzung des
Teils 1 des Verwaltungsabkommens ab; denn im Laufe
der Jahre wird ja etwas erreicht. Aber es ist bisher ein
erheblicher Teil strittig, obwohl es eine Befriedung
durch Übernahme von Leistungen nach Verwaltungsab-
kommen 2b in VA 1 geben könnte. Das sind Leistungen,
die, zum Beispiel bei dem aufsteigenden Grundwasser,
bisher in VA 2b eingeordnet sind, ebenso der soge-
nannte Altbergbau. Ich würde Sie bitten, dies zum Ge-
sprächsthema zu machen, aus dem Teil VA 2b die von
mir genannten Leistungen – diese werden nämlich sehr
unterschiedlich finanziert; das ist der Grund – in den
Teil VA 1 mit hineinzubringen und in Dresden vielleicht
einen Rahmen zu bilden beginnen, –
Herr Kollege, Ent-
schuldigung, Sie sollten sich vielleicht doch etwas kon-
zentrieren.
Ich habe doch gefragt, ob es
im Gespräch ist.
Ich möchte Sie bit-
ten, sich zu konzentrieren.
Ich bitte Sie also, dies dann
doch mit den übrigen Ländern gemeinsam zu machen.
Meine Frage: Hatten Sie das vorgesehen, Herr Minister?
Wenn nicht, möchte ich Sie bitten, das mit hineinzu-
nehmen.
Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis dafür, daß
Vizepräsident Rudolf Seiters
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 745
(C)
(D)
wir – ich hatte das eingangs in meinem Bericht auch er-
wähnt – das Verfahren der Abstimmung der Tagesord-
nung noch nicht abgeschlossen haben, sondern daß dies
im Verlauf dieser Woche geschehen wird. Ich bitte um
Verständnis dafür, daß ich deswegen jetzt nicht ab-
schließend hier öffentlich erklären kann – auch nicht ge-
genüber der Sächsischen Staatsregierung –, was dort
Gegenstand sein wird. Das ist vielmehr einfach auch ei-
ne Frage des wechselseitigen Verfahrens, dies zu be-
sprechen. Ich will Ihnen aber gern versichern, daß mir
das Problem bekannt ist und daß wir noch in dieser Wo-
che außerhalb der gemeinsamen Sitzung des Kabi-
nettsausschusses „Neue Länder“ und der Sächsischen
Staatsregierung mit den an dem Problem Beteiligten zu
einem ersten Gespräch zusammenkommen werden.
Ich sehe wie auch Sie, daß die Problemlage nicht nur
territorial den Freistaat Sachsen berührt, sondern selbst-
verständlich auch die anderen ostdeutschen Länder be-
troffen sind, soweit sie von Sanierungstätigkeit im Zu-
sammenhang mit dem ostdeutschen Braunkohlebergbau
berührt sind. Insofern ist gewährleistet, daß die Bundes-
regierung sich mit dem Thema befaßt, und ich bin zu-
versichtlich, daß wir angesichts vieler Befürchtungen,
die mir auch aus dem Kreis der Betroffenen signalisiert
werden, jenseits der Kabinettsausschußsitzung mit der
Staatsregierung, in eine Lösung eintreten werden, die
noch vor der Sitzung liegt.
Nächster Fragestel-
ler ist der Kollege Jürgen Türk.
Herr Staatsminister, zu der er-
sten Frage: Wir haben noch in der letzten Legislaturpe-
riode ein Gesetz verabschiedet, um die Investitionszula-
gen zu verdoppeln und ihre Zahlung zu verlängern.
Meine Frage: Liegt Ihnen schon die Zustimmung der EU
dafür vor, weil hier ja Handlungsbedarf besteht?
Herr Kollege, ich habe bereits anläßlich der Debatte zur
Regierungserklärung kritisiert, daß das Investitionszula-
gengesetz, das hier in der 13. Legislaturperiode mit einer
großen parlamentarischen Mehrheit verabschiedet wor-
den ist – das war ja ein Gesetzentwurf, der auch von
Teilen der Opposition mitgetragen worden ist –, und die
Frage der Beanstandungen aus der EU öffentlich und
auch durch entsprechende parlamentarische Vorstöße
der alten Bundesregierung nicht einer Lösung zugeführt
worden sind. Sie haben bemerkt, daß wir das Investi-
tionszulagengesetz 1996 dadurch EU-kompatibel ma-
chen, daß die dafür notwendigen Änderungen im Zu-
sammenhang mit der Steuergesetzgebung auf den Weg
gebracht worden sind. Dies hat das Parlament bereits
passiert. Es besteht mit der EU Einvernehmen darüber,
daß das Investitionszulagengesetz 1999 nicht beanstan-
det wird, weil wir Anfang nächsten Jahres eine entspre-
chende Gesetzesänderung auch zu diesem Bereich ma-
chen werden. Auch der Bereich des Fördergebietsgeset-
zes ist durch eine entsprechende gesetzliche Änderung
im Rahmen der Steuergesetzgebung auf den Weg ge-
bracht, so daß in der Tat grünes Licht und Einverneh-
men mit der Kommission bestehen.
Ich gebe Ihnen das
Wort zu einer kurzen Zusatzfrage, möchte aber um Ver-
ständnis bitten, daß wir angesichts der Vielzahl von an-
gemeldeten Fragestellern künftig auf die Zusatzfragen
dann doch verzichten.
Vielen Dank.
Herr Staatsminister, Sie wollten ganz schnell ein För-
derkonzept auf den Tisch legen. Liegt es in Grundlinien
vor, und beinhaltet diese Förderkonzeption, daß zum
Beispiel Ostdeutschland von der Ökosteuer befreit wird,
und haben Sie auch schon Maßnahmen vorgesehen, um
die Zahlungsmoral zu verbessern?
Herr Abgeordneter, das sind eigentlich drei Fragen.
Aber ich will gerne auf alle drei Punkte kurz eingehen.
Ich bin mir voll darüber im klaren, daß die Frage der
höheren Effizienz der einzelnen wirtschaftsfördernden
Instrumente gegenüber Ostdeutschland nicht schnell in-
nerhalb von zwei Wochen zu lösen ist. Das haben Ver-
treter der Bundesregierung gegenüber dem Parlament
auch nicht anders erklärt.
Wir werden deshalb nach meinem Dafürhalten in ein
zweistufiges Verfahren einzutreten haben. Wir werden
die wirtschaftsfördernden Instrumente im Jahre 1999
kritisch zu durchleuchten haben hinsichtlich Zielgenau-
igkeit, Transparenz und Hürden von seiten der Verwal-
tung, die den Zugang einzelner Unternehmer – nach
meinem Dafürhalten insbesondere im kleinen und mit-
telständischen Bereich – beeinträchtigen. Weil diese
Diskussion nicht im Januar 1999 abgeschlossen sein
wird, werden wir als neue Bundesregierung dafür Sorge
zu tragen haben, daß bei den Haushaltsberatungen zum
Bundeshaushalt 1999 im Rahmen des von der alten
Bundesregierung eingestellten Förderungskonzeptes
neue Schwerpunkte gesetzt werden, so wie wir sie auch
in der Regierungserklärung deutlich gemacht haben.
Zum Thema Zahlungsmoral will ich noch einmal
ausdrücklich sagen, daß dies für die Bundesregierung
ein wichtiges Thema ist. Es war Hintergrund dafür, daß
der Bundeskanzler bereits in seiner Regierungserklärung
auf dieses Thema Bezug genommen hat. Ich sehe mit
großem Interesse den Initiativen von seiten des Bundes-
rates entgegen. Die Bundesregierung sieht hier in der
Tat Prüfungs- und Handlungsbedarf im Interesse einer
Sicherung von Zahlungsmoral in Ostdeutschland.
Ich will auch gerne die Gelegenheit zum Anlaß neh-
men, um zu sagen, daß die Beeinträchtigung dieser
Zahlungsmoral in Ostdeutschland nach meinem Dafür-
halten schon in den letzten eineinhalb Jahren Dimensio-
nen angenommen hat, die in Teilen gerade auch des
mittelständischen und handwerklichen Bereiches den
Glauben an den Rechtsstaat in Frage stellen. Insofern
Staatsminister Rolf Schwanitz
746 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
handelt es sich hier in der Tat um ein dringendes Pro-
blem.
Das dritte Thema war die Ökosteuer, wenn ich das
noch richtig in Erinnerung habe. Die die Bundesregie-
rung tragenden Fraktionen haben das Thema Ökosteuer
in dem Wahlkampf 1998 an ganz zentraler Position pro-
grammatisch vertreten. Wir haben, wie dies auch die alte
Bundesregierung und die sie damals tragenden Fraktio-
nen vor der Bundestagswahl öffentlich angekündigt ha-
ben, die Steuerpolitik mit zu einem Thema der Wahl-
kampfauseinandersetzung gemacht. Die jetzige Bundes-
regierung hat eine Legitimation des Wählers, ihre steu-
erpolitischen Vorstellungen umzusetzen. Insofern wird
es zu einem ökologischen Steuerreformkonzept kom-
men, das ein gesamtdeutsches Konzept ist.
Ich will aber ausdrücklich noch einmal bekräftigen,
daß nach wie vor gilt, was der Bundeskanzler in der Re-
gierungserklärung deutlich gemacht hat, nämlich daß die
Strompreisdifferenz zwischen den alten und den neuen
Bundesländern ein Standortnachteil für Ostdeutschland
ist. Ich persönlich werde darauf dringen, daß wir deshalb
zu einer schnellen Lösung kommen. Ich bin zuversicht-
lich, daß es dort in der Tat zu Bewegung kommt, die
in den letzten Jahren so leider nicht gesehen werden
konnte.
Ich gebe das Wort
Frau Christine Ostrowski.
Herr Staatsminister,
der Ministerpräsident Sachsens hat den Wunsch geäu-
ßert, den Bau der Autobahn A 17, Dresden – Prag, in
dieser Kabinettssitzung zu thematisieren. Ich habe eine
Frage zur Finanzierung der Bundesautobahn. Ich frage
Sie, ob Sie die Auffassung des Bundesministers Münte-
fering teilen, daß die dringlichen Vorhaben, die im Bun-
desverkehrswegeplan aufgenommen worden sind – dazu
gehört die A 17 –, vorangetrieben werden müssen, und
zwar angesichts folgender drei Tatsachen.
Erstens. Die Autobahn A 17 ist im Bundesverkehrs-
wegeplan mit Kosten in Höhe von 625 Millionen DM
veranschlagt. Die tatsächlichen Kosten betragen
1,3 Milliarden DM. Das heißt, das Nutzen-Kosten-
Verhältnis ist unter ein Maß gesunken, das ihre Auf-
nahme in den Bundesverkehrswegeplan eigentlich nicht
zuläßt.
Zweitens. Auch eine Privatfinanzierung geht offen-
sichtlich den Bach runter; denn das Gutachten, das noch
durch die alte Bundesregierung auf den Weg gebracht
worden ist und die Verdrängungseffekte bei einer Maut
analysieren sollte, macht eine Maut nicht realisierbar.
Das Ganze ist für einen Privatinvestor nicht finanzier-
bar.
Drittens. Tatsache ist, daß die sächsische Sozialde-
mokratie, deren Mitglied Sie sind, zu den schärfsten
Gegnern der A 17 gehörte und noch vor den Bundes-
tagswahlen den betroffenen Bürgern in Briefen verspro-
chen hatte, wenn sie denn die Regierung stellt, sich in-
tensivst gegen die A 17 zu stellen oder sich für eine an-
dere Trassenführung einzusetzen. Teilen Sie die Auffas-
sung Ihres Ministers Müntefering, daß dieses Projekt
unter diesen Bedingungen vorangetrieben werden sollte?
Frau Ostrowski, das Zitat, das Sie angesprochen haben,
steht nach meinem Erinnern – ich habe es jetzt nicht
unmittelbar vor mir liegen, so daß ich auf Ihre Aussage
angewiesen bin – unmittelbar im Zusammenhang mit
der Aussage der Bundesregierung in der Regierungser-
klärung, daß wir in der Tat ein großes Interesse daran
haben, den Infrastrukturausbau in Ostdeutschland, was
insbesondere die Frage der Verkehrswege und dort in
ganz besonderem Maße die Verkehrsprojekte „Deutsche
Einheit“ betrifft, zügig voranbringen zu wollen. Das ist
auch meine Auffassung. Ich halte das für einen wichti-
gen Punkt.
Ich bitte um Verständnis dafür, daß Detailfragen, die
Sie angesprochen haben, meinerseits nicht einer öffent-
lichen Erörterung unterzogen werden, bevor wir mit der
Sächsischen Staatsregierung in das Gespräch eintreten.
Das bleibt abzuwarten und erfolgt heute in einer Woche.
Im übrigen war es in den letzten Jahren gute Tradition,
daß sich die Bundesregierung nicht zu Positionen der
Parteien oder von Parteien äußert. Das gilt auch für
Landesverbände und Bezirksverbände von Parteien.
Dieser Gepflogenheit möchte ich mich nicht verwehren.
Die nächste Frage-
stellerin ist Frau Katherina Reiche.
Herr Staatsminister,
welche Kompetenzen werden im Bundeskanzleramt da-
für gebündelt und vor allem wie, um der Aussage in der
Regierungserklärung von Gerhard Schröder, daß der
Aufbau Ost Chefsache ist, gerecht zu werden? In diesem
Zusammenhang würden mich Ihre Zuständigkeiten als
Staatsminister für die Angelegenheiten der neuen Län-
der über die von Ihnen genannten Koordinierungsaufga-
ben hinaus interessieren. Wie groß ist Ihr tatsächliches
Budget?
Die Aussage, daß der Aufbau Ost Chefsache ist, bezieht
sich insbesondere – darüber bin ich froh – auf die Tätig-
keit des Bundeskanzlers selbst. Ein wichtiges Beispiel
hierfür, das übrigens auch jenseits des Parteibuches die
ungeteilte Zustimmung der ostdeutschen Ministerpräsi-
denten erfahren hat, sehen Sie in der Absicht, daß der
Kabinettsausschuß „Neue Länder“ künftig dezentral in
Ostdeutschland gemeinsam mit den Landesregierungen
tagen wird. Ich habe großes Verständnis dafür, daß die
ostdeutschen Ministerpräsidenten dies als eine neue
Qualität der Befassung mit ostdeutschen Problemen be-
greifen. Ich habe in den wenigen Wochen meiner bishe-
rigen Tätigkeit lernen können, daß es schon unter der
alten Bundesregierung einen Ausschuß für Ostdeutsch-
land gegeben hat, der nach meinen Informationen zum
letzten Mal im April 1992 getagt hat und der sich noch
nie in seiner Geschichte, was für das Bundeskabinett alt
Staatsminister Rolf Schwanitz
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 747
(C)
(D)
in den letzten acht Jahren liegt, zu einer Sitzung in die
neuen Bundesländer aufgemacht hat. Insofern teile ich
die Unterstützung der Ministerpräsidenten: Das ist in der
Tat eine neue Qualität.
Ich werde dem Kanzler im Rahmen meiner Tätigkeit
so weit zur Seite stehen, wie er dies nicht unmittelbar
selbst ausführen kann. Das wird im wesentlichen drei
Dinge betreffen: Das wird zum ersten künftig, wie auch
bezogen auf den 16. Dezember, die Vorbereitungen der
gemeinsamen Sitzungen des Kabinettsausschusses
„Neue Länder“ mit den Landesparlamenten betreffen.
Dort wird es um konkrete einzelne Projekte gehen. Hier-
für bin ich unmittelbar zuständig. Es wird zum zweiten
um die in der Regierungserklärung formulierte Absicht
gehen, ein Aufbauprogramm Zukunft Ost auszuarbeiten,
zu koordinieren. Die koordinierende Tätigkeit wird vom
Bundeskanzleramt bezogen auf die einzelnen Ressorts,
die fachlich die Federführung haben, von meiner Seite
wahrgenommen.
Ich will auch nicht unerwähnt lassen, daß die Ent-
scheidung des Deutschen Bundestages im Gegensatz zur
Strategie der alten Bundesregierung und der sie tragen-
den Fraktionen während der letzten acht Jahre, einen
Vollausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
einzustellen, natürlich auch meine Tätigkeit besonders
prägen wird. All dies sind Dinge, die in meinen unmit-
telbaren Bereich fallen.
Nächster Fragestel-
ler ist Dr. Michael Luther.
Herr Staatsmi-
nister Schwanitz, ich habe gelernt: Sie sind zum Beispiel
zuständig für die gemeinsamen Kabinettsitzungen und
für andere Fragen der Koordinierung. Meine Frage ist:
Sind Sie auch zuständig für ganz bestimmte Sachfragen?
Mich hat irritiert, daß die Erarbeitung eines Konzeptes
für die Fortführung der Arbeit der BVS federführend im
Bundesfinanzministerium bearbeitet wird. Ich könnte
mir vorstellen, daß zukünftig bestimmte Themenfelder,
deren Inhalt fast ausschließlich die neuen Bundesländer
betrifft, in den Bereich „Aufbau Ost“ fallen. Daher stellt
sich für mich die Frage: Ist daran gedacht, daß auch sol-
che Sachfragen in Ihre Kompetenz fallen?
Herr Kollege Dr. Luther, der Begriff der Koordinierung
ist nicht kompatibel mit dem Begriff der Federführung,
einmal abgesehen davon, daß der Begriff der Federfüh-
rung kein Begriff ist, der die Bundesregierung in ihrer
Tätigkeit prägt.
Wir haben bereits weit vor der Bundestagswahl am
27. September klargemacht, daß wir eine Zentralstelle
im Bundeskanzleramt schaffen wollen, die nicht die ein-
zelnen Zuständigkeiten für das laufende Geschäft der
Ressorts zentralisiert. In Reflexion auf eine Diskussion
Anfang der 90er Jahre will ich ganz deutlich sagen: Sie
wissen, daß insbesondere die sozialdemokratische Frak-
tion, aber auch die damalige Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gegenüber der alten Bundesregierung die Schaf-
fung eines Aufbauministeriums gefordert hat. Die alte
Bundesregierung unter dem damaligen Bundeskanzler
Helmut Kohl und auch unter Ihrer Mitwirkung, denn Sie
gehörten ebenfalls der Fraktion an, die diese alte Bun-
desregierung getragen hat, waren der Auffassung, daß
eine solche Institution nicht erforderlich ist. Im Gegen-
teil, man ging davon aus, daß die Angleichung der wirt-
schaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse offen-
sichtlich in drei bis fünf Jahren zu bewerkstelligen sei.
Deswegen ist im politischen Raum die Schaffung ei-
nes Aufbauministeriums am Ende der 12. Legislaturpe-
riode verneint worden. Dies ist nicht nur bei Ihnen
– schon damals mit einem klaren Nein –, sondern auch
bei den Sozialdemokraten geschehen. In der 13. Legis-
laturperiode von 1994 bis 1998 hat es bei der SPD in der
Tat eine Diskussion gegeben, wie das Beauftragtenver-
hältnis, das die Bundesregierung nach langem Zögern
eingerichtet und einem beamteten Staatssekretär beim
Bundeswirtschaftsminister zugeordnet hat, qualitativ
verbessert werden kann. Das Ergebnis dieser Bespre-
chung hat in die Programmatik, in die Wahlaussagen,
insbesondere auch der Sozialdemokratischen Partei,
Eingang gefunden und wird von dieser Bundesregierung
umgesetzt.
Die Umsetzung macht sich insbesondere an zwei
Dingen fest, die ich ausdrücklich benennen will: zum ei-
nen in der Berufung eines Staatsministers hierfür und
zum anderen in der Wahrnehmung der koordinierenden
und nicht der ressortierenden Zuständigkeit.
Alles andere hieße, die Diskussion der letzten acht Jahre
völlig zu konterkarieren. Ich begrüße ausdrücklich – das
will ich noch einmal sagen; ich glaube, daß das auch im
Ausschuß Ihre persönliche Zustimmung gefunden hat –
die Tatsache, daß wir künftig ein Beauftragtenverhältnis
haben, das sich nicht nur mit wirtschaftlichen Fragen be-
schäftigt, sondern beispielsweise auch soziale und
rechtliche Fragen behandelt, in die Beauftragsfunktion
integriert. Das stellt eine veränderte Situation gegenüber
derjenigen der letzten Jahre dar; denn die Frage der in-
neren Einheit hat in der Tat noch mehr Gewicht als die
der wirtschaftlichen Situation.
Nächster Fragestel-
ler ist Dr. Joachim Schmidt.
Dr.-Ing. Joachim Schmidt (CDU/
CSU): Herr Staatsminister, die Bundesregierung strebt
weitreichende Änderungen im deutschen Steuerrecht an,
und sie beabsichtigt eine Erhöhung der Energiesteuer.
Welche Auffassung teilen die Bundesregierung und Sie
selbst, Herr Staatsminister, im Hinblick auf die Bela-
stungen der Unternehmen, insbesondere des Mittelstan-
des, in den neuen Bundesländern, die durch die Einfüh-
rung der Ökosteuer zustande kommen. Dies gilt ganz
besonders vor dem Hintergrund einer bekanntlich gerin-
gen Kapitalausstattung und Liquidität.
Staatsminister Rolf Schwanitz
748 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
Herr Abgeordneter Dr. Schmidt, ich teile die Auffassung
der Bundesregierung – diese haben wir auch in der ge-
samten Zeit vor der Bundestagswahl deutlich gemacht –,
daß die Einführung einer Ökosteuer vor dem Hinter-
grund der enormen Abgabenlast, die auch die Unter-
nehmen in Ostdeutschland zu tragen haben, insbesonde-
re die kleinen und mittelständischen Unternehmer – Sie
haben es beschrieben –, und die als sehr drückend emp-
funden wird, ein vordringliches Anliegen ist.
Die letzten acht Jahre der deutschen Einheit waren
dadurch geprägt, daß zu keinem einzigen Zeitpunkt die
Lohnnebenkosten der ostdeutschen Unternehmungen re-
duziert werden konnten. Im Gegenteil: Sie sind immer
massiv gestiegen, in Teilbereichen, wie Sie wissen, über
das westdeutsche Maß hinaus. Deshalb ist es dringend
erforderlich, daß im Rahmen einer Steuerkonzeption ei-
ne Entlastung, eine Absenkung im Bereich der Lohnne-
benkosten, organisiert wird. Dies wird mit der ökologi-
schen Steuerreform passieren. Ich will nicht unerwähnt
lassen, daß auch die Absenkung des Körperschaftsteuer-
satzes in Kombination mit einem Nachfrageschub durch
die große Steuerreform auch aus ostdeutscher Sicht ge-
rade für kleine und mittelständische Unternehmen und
für Handwerker ein ganz zentrales Thema ist.
Wir werden die Be-
fragung der Bundesregierung verlängern. Vor diesem
Hintergrund bitte ich sehr darum, daß die Kolleginnen
und Kollegen kurze Fragen stellen und daß nach Mög-
lichkeit auch kurze Antworten erfolgen.
Ich gebe das Wort Frau Heidi Lüth.
Herr Staatsminister, Ihnen
ist sicherlich bekannt, daß die Lausitzer und Mitteldeut-
sche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft, die ja zum Fi-
nanzministerium gehört, gegenwärtig insbesondere im
Raum Leipzig umfangreiche ehemalige Bergbaugebiete
veräußert. Können Sie mir sagen, wie der gegenwärtige
Stand der Dinge ist, wieviel schon verkauft wurde und
zu welchen Preisen? Würden Sie sich der Meinung der
Gemeinden anschließen, daß der Ausverkauf dieser
Ländereien Planungsunsicherheit in den Kommunen zur
Folge hat und viele Dinge gegenwärtig nicht mehr reali-
siert werden können, weil diese Verkäufe ins Haus ste-
hen?
Frau Abgeordnete, ich bitte um Verständnis dafür, daß
die Beantwortung einer Frage nach dem konkreten Um-
fang der Veräußerungen und nach Zahlen einer Vorbe-
reitung durch die Bundesregierung bedarf. Ich empfehle
Ihnen, eine entsprechende Frage in einer Fragestunde zu
stellen. Ich verweise auf den Grundzusammenhang der
Frage des Kollegen Labsch, zu der ich bereits Stellung
genommen habe.
Nächster Fragestel-
ler ist der Kollege Klaus Haupt.
Herr Staatsminister, nach
manchen Dingen muß man dreimal fragen. Zweimal ha-
ben Sie eine Antwort unterlassen. Ich frage deswegen
kurz und bündig: Über welches Budget verfügen Sie?
Ich hänge die Frage an: In welcher Rolle sind Sie am
Bündnis für Arbeit beteiligt, wenn es um den Nachteils-
ausgleich für den Osten geht?
Herr Abgeordneter, Ihre erste Frage ist nach meinem
Dafürhalten nicht unbeantwortet geblieben. Vielmehr
habe ich deutlich gemacht, daß im Rahmen meiner ko-
ordinierenden Tätigkeit die Arbeit meines Arbeitsstabes
im Bereich des Kanzleramtes liegt und dort auch budge-
tiert ist. Die operative Zuständigkeit, die Zuständigkeit
für die eigentlichen Regierungsgeschäfte, liegt in den
Ressorts. Ich weiß nicht, in welchem Umfang insgesamt
Haushaltsmittel für diese Einzelbereiche zur Verfügung
stehen. Das kann ich aber gerne nachtragen und Ihnen
zukommen lassen.
Es hat im Zusammenhang mit dem Thema „Bündnis
für Arbeit“, wie Sie verfolgt haben, ein Einvernehmen
gegeben, sich in Arbeitsgruppen weiter mit den Dingen
zu beschäftigen. Dabei wird es auch eine Arbeitsgruppe
zum Thema Ostdeutschland geben, an der ich beteiligt
sein werde.
Das Wort hat der
Kollege Günter Baumann.
Herr Staatsminister,
Sie sind speziell für die neuen Länder zuständig. Daher
möchte ich Sie gerne fragen, wie Sie die Belastungen
speziell der Pendler, die täglich zur Arbeit fahren müs-
sen, vor dem Hintergrund der geplanten Benzinpreiser-
höhungen beurteilen. Sie wissen, daß relativ viele Men-
schen in den neuen Ländern fahren müssen. Ich bitte
darum, bei der Antwort auch zu berücksichtigen, daß im
Osten weniger verdient wird als hier.
Herr Abgeordneter, selbstverständlich wird auf alle die-
jenigen, die Pkws zu benutzen haben, im Rahmen der
ökologischen Steuerreform eine Mehrbelastung zukom-
men. Ich bin fernab von einer Position, die hier mit Ver-
neinen oder Verschweigen reagiert. Ich will aber aus-
drücklich darauf aufmerksam machen, daß die alte Bun-
desregierung – Sie gehören doch einer Fraktion an, die
sie getragen hat – nach den Bundestagswahlen 1994 die
Mineralölsteuer um 16 Pfennig pro Liter angehoben hat.
Das ist wesentlich mehr, als wir im Rahmen der
ökologischen Steuerreform vorsehen. Insofern bitte ich
darum, daß Sie sich die Frage vor dem Hintergrund der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 749
(C)
(D)
Sensibilität, die Sie damals gegenüber den Pendlern ge-
zeigt haben, selber beantworten.
Das Wort hat der
Kollege Ulrich Klinkert.
Herr Staatsminister
Schwanitz, ich muß eine Nachfrage zur Ökosteuer stel-
len. Sie haben mehrfach, aber wenig konkret auf diesbe-
zügliche Fragen geantwortet. Zu Recht haben Sie darauf
hingewiesen, daß das Energiepreisniveau in den neuen
Bundesländern deutlich höher liegt als das Energiepreis-
niveau in den alten Bundesländern. Ich möchte von Ih-
nen konkret wissen, wie Sie persönlich zu dem Vor-
schlag des sächsischen Wirtschaftsministers stehen, die
Energiesteuer in den neuen Bundesländern nicht einzu-
führen, und was Sie ihm bei Ihrem Besuch in Dresden
antworten werden.
Was ich ihm in Dresden antworte, vermag ich Ihnen
jetzt nicht zu sagen – ich sage aber gleich etwas zur Sa-
che –, weil die entsprechende Frage zunächst einmal in
Dresden gestellt werden muß. Ich werde hier nicht öf-
fentlich eine Beratung vorwegnehmen, die gegebenen-
falls in Dresden ansteht. Ich bitte Sie, Herr Klinkert, da-
für um Verständnis. Das ist einfach ein Gebot fairen
Verfahrens auch gegenüber der sächsischen Staatsregie-
rung.
– Ich will auch gerne in der Sache antworten. Ich bin in
der Tat der Auffassung, daß die Energiepreise in ganz
Deutschland erhöht werden müssen, um die Lohnneben-
kosten senken zu können. Ich halte das für ein richtiges
und vernünftiges Vorgehen. Das steht im Gegensatz zur
Strategie der letzten acht Jahre, gemäß der Lohnneben-
kosten angehoben wurden, um Haushaltslöcher zu stop-
fen. Unsere Herangehensweise, die sehr wohl meine Zu-
stimmung findet, ist völlig anders.
Ich persönlich habe große Zweifel, ob der Vorschlag
einer regional differenzierten Einführung einer solchen
Steuerbelastung mit dem EU-Recht kompatibel wäre.
Das wäre allerdings im Gespräch weiter zu erörtern; ei-
nem solchen Gespräch kann ich aber – dafür bitte ich
noch einmal um Verständnis – öffentlich nicht vorgrei-
fen. Das würde bei der sächsischen Staatsregierung si-
cherlich nicht auf Verständnis stoßen.
– Herr Kollege Klinkert, Sie haben zwar kein Recht zu
einer Zusatzfrage; aber ich will gern noch einmal ergän-
zen und ausdrücklich sagen, daß der Bundeskanzler in
der Regierungserklärung und übrigens auch die Koaliti-
on im Koalitionsvertrag die Angleichung der Stromprei-
se als ein Handlungsfeld für diese Bundesregierung fest-
geschrieben haben. Ich persönlich werde darauf drän-
gen, daß wir dieses Thema zügig angehen.
Das Wort hat der
Kollege Dr. Ilja Seifert.
Herr Staatsminister, ich habe
zwei Fragen an Sie. Ich bitte Sie, Herr Präsident, um
Erlaubnis, beide stellen zu dürfen, obwohl sie unter-
schiedliche Themenbereiche betreffen. Ich werde versu-
chen, mich kurz zu fassen.
Meine erste Frage lautet: Welche Konzeption werden
Sie als Vertreter des Kabinetts im Gespräch mit der
sächsischen Staatsregierung gegenüber deren Absicht
verfolgen, dort eine Sparkassen-Holding aufzubauen, die
aller Voraussicht nach die Finanzkraft der Kommunen
erheblich schwächen wird? Ich erfahre immer wieder,
zum Beispiel in der Oberlausitz, daß es von seiten der
Kommunen erheblichen Widerstand gegen diese Hol-
ding gibt. Mit welcher Konzeption gehen Sie in dieses
Gespräch?
Herr Kollege, das Thema der sogenannten Sparkassen-
Holding ist ein landesspezifisches Thema, das zu aus-
führlichen Diskussionen, insbesondere zwischen der
sächsischen Staatsregierung und den sächsischen Kom-
munen, führt. Wir werden in diesem Zusammenhang si-
cherlich kein Thema ansprechen, von dem der Bund
nicht unmittelbar oder mittelbar betroffen ist.
Insofern bitte ich um Verständnis – diese Bitte reiht
sich in den von mir schon genannten Vorbehalt ein –:
Wenn ich heute etwas ausführlicher über Verfahren und
nicht über die konkrete Tagesordnung und folglich nicht
über unsere Positionen zu einzelnen Tagesordnungs-
punkten reden kann, ist dies dem noch nicht abgeschlos-
senen Verfahren geschuldet. Jedes andere Verhalten
würde von der sächsischen Staatsregierung nicht akzep-
tiert werden.
Darf ich eine zweite Frage
stellen?
Angesichts der Tat-
sache, daß wir zum Ende der Befragung kommen müs-
sen, kann ich eine Zusatzfrage leider nicht zulassen. –
Ich gebe das Wort der Kollegin Margarete Späte.
Herr Staatsminister,
Sie führten bereits aus, daß die Bundesregierung die
Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ fortführen will.
Was versteht die Bundesregierung unter Überarbeitung
des Bundesverkehrswegeplans? Welche Auswirkungen
hat dies auf die Projekte „Deutsche Einheit“?
Unter Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans ver-
steht die Bundesregierung – das hat sie öffentlich erklärt
und übrigens auch im Koalitionsvertrag und in der Re-
gierungserklärung festgehalten –, daß Prüfungen vorge-
nommen werden, die von der alten Bundesregierung
Staatsminister Rolf Schwanitz
750 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
nicht in ergebnisoffener Weise durchgeführt werden
konnten. Die politischen Konsequenzen werden so ge-
zogen, wie wir dies in der Regierungserklärung ange-
kündigt haben. Die Verkehrsprojekte werden zügig fort-
geführt.
Ich darf fragen, ob
der Wunsch nach einer wichtigen Frage zu den beiden
anderen genannten Themen besteht. – Das ist offen-
sichtlich nicht der Fall. Dann beende ich die Befragung
der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/143 –
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parla-
mentarische Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Ver-
fügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Thomas
Dörflinger von der CDU/CSU-Fraktion auf:
Gilt die im Abkommen zwischen der Europäischen Unionund der Schweiz jetzt getroffene Neuregelung der Kindergeld-zahlungen für Grenzgänger, nach der der Differenzbetrag zu denvon der Schweiz gezahlten Werten durch die deutsche Kinder-geldkasse ausgeglichen wird, auch für künftige durch SchweizerGesetzgebung bedingte Änderungen für die deutschen Grenz-gänger, wie etwa die Pläne im Züricher Kantonalparlament,nach denen das Kindergeld für ausländische Arbeitnehmer, dienicht dauernd in der Schweiz leben, um rund 20 Prozent gesenktwerden soll?
Dr
Herr Kollege, über ein Abkommen zwischen der
Europäischen Union und der Schweiz wird zur Zeit in-
tensiv und nach Kenntnis der Bundesregierung auch mit
guten Chancen für einen baldigen Abschluß verhandelt.
Dennoch ist es verfrüht, von einer getroffenen Regelung
zu sprechen. Die nachfolgenden Bemerkungen beruhen
auf dem aktuellen Stand der Verhandlungen. Änderun-
gen in dem in Rede stehenden Abkommensteil sind
nicht wahrscheinlich, aber man kann sie nicht ausschlie-
ßen.
Wenn das Abkommen in der jetzt vorgesehenen Fas-
sung in Kraft tritt, dann sind danach Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union in der Schweiz den schweizerischen Ar-
beitnehmern und Arbeitnehmerinnen gleichzustellen,
wie umgekehrt schweizerische Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in der Europäischen Union Unionsbürgern
gleichzustellen sind.
Dies gilt auch im Rahmen der vorgesehenen Koordi-
nierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Dann hät-
ten deutsche Grenzgängerinnen und -gänger nach der
Schweiz einen Kindergeldanspruch in derselben Höhe
wie schweizerische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin-
nen, und zwar auch in den Kantonen, die für ausländi-
sche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geringere
Kindergeldsätze vorsehen, die Sie in Ihrer Frage ange-
sprochen haben. Das bedeutet nicht, daß die Kantons-
parlamente derartige Bestimmungen nicht beschließen
dürften; sie finden nur wegen des Abkommens auf Bür-
gerinnen und Bürger der EU keine Anwendung.
Im übrigen ist im Rahmen der Koordinierung der Sy-
steme der sozialen Sicherheit vorgesehen, daß – wie
zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
schon jetzt – auch zwischen der Schweiz und der Euro-
päischen Union die Zahlung von Unterschiedsbeträgen
in den Fällen erfolgt, in denen Kindergeldansprüche in
zwei Vertragsstaaten bestehen und der Anspruch in dem
vorrangig zahlungsverpflichteten Staat niedriger ist als
in dem anderen Staat. Nach Kenntnis der Bundesregie-
rung sind Einschränkungen nicht vorgesehen. Deutsche
Grenzgängerinnen und -gänger nach der Schweiz er-
hielten also im Ergebnis Kindergeld nach dem höheren
von beiden nationalen Sätzen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Dörflinger.
Frau Staatssekre-
tärin, Sie haben selbst darauf verwiesen: Durch das
Nichtverabschieden im EU-Außenministerrat am gestri-
gen Tag ist die Angelegenheit etwas ins Stocken gera-
ten. Bis wann rechnet die Bundesregierung mit einem
Abschluß der Verhandlungen in der Weise, daß die EU-
Außenminister ihr Plazet zu dieser Regelung geben?
Dr
Die Verhandlungen sind bisher recht erfolgreich
verlaufen. Ich gehe davon aus, daß die Verhandlungen
mit der Schweiz über alle Abkommen in jedem Fall bis
zum Jahre 2001 abgeschlossen sein werden.
Ich rufe die Frage 2
des Abgeordneten Benno Zierer auf:
Entspricht es nach Kenntnis der Bundesregierung geltendemRecht, daß Eltern für ihren 18jährigen Sohn in der Zeit vonVollendung des 18. Lebensjahres bzw. von Beendigung seinerAusbildung an bis zum freiwilligen Eintritt des 18jährigen in dieBundeswehr als Soldat auf Zeit für vier Jahre kein Kin-dergeld erhalten, und sieht die Bundesregierung gegebenenfallsVeränderungsbedarf dahin, daß in diesen Fällen des freiwilligenDienstes von 18jährigen für einen gegebenenfalls näher zu be-stimmenden Zeitraum über die Vollendung des 18. Lebensjahresbzw. die Beendigung der Ausbildung hinaus Kindergeld gewährtwird?
Dr
Herr Abgeordneter, Kinder, die das 18. Lebens-
jahr vollendet haben, können für das Kindergeld grund-
sätzlich nur berücksichtigt werden, wenn und solange
sie für einen Beruf ausgebildet werden, mangels eines
Ausbildungsplatzes eine gewünschte Berufsausbildung
nicht beginnen oder fortsetzen können, ein Freiwilliges
Soziales oder Ökologisches Jahr ableisten, arbeitslos
oder wegen einer Behinderung außerstande sind, sich
selbst zu unterhalten. Von diesen Fallgestaltungen
könnte bei der von Ihnen angesprochenen Personen-
Staatsminister Rolf Schwanitz
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 751
(C)
(D)
gruppe Arbeitslosigkeit vorliegen; dann wäre ein Kin-
dergeldanspruch möglich. Dabei kommt es nicht auf das
Bestehen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld, sondern
nur auf die Arbeitslosmeldung beim Arbeitsamt an.
Eltern können also für einen volljährigen Sohn in der
Zeit von der Vollendung des 18. Lebensjahres bzw. von
der Beendigung seiner Ausbildung bis zum freiwilligen
Eintritt in die Bundeswehr als Soldat auf Zeit für vier
Jahre nur im Falle der Arbeitslosigkeit des Sohnes Kin-
dergeld erhalten. Weitere Voraussetzung ist dabei, daß
der Sohn noch nicht 21 Jahre alt ist. Soweit die Eltern
kein Kindergeld erhalten, können sie ihre tatsächlichen
Unterhaltsaufwendungen unter den Voraussetzungen des
§ 33 a des Einkommensteuergesetzes als außergewöhn-
liche Belastung geltend machen.
Neben den schon erwähnten Tatbeständen gibt es
auch einen Kindergeldanspruch für Kinder in einer
Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten
von nicht mehr als vier Monaten. Dafür ist maßgebend,
daß derartige Übergangszeiten im Ausbildungsgang häu-
fig unvermeidbar sind und eine Verweisung der jungen
Erwachsenen auf den Arbeitsmarkt bei Übergangszeiten
von bis zu vier Monaten unrealistisch ist. Auch Zwangs-
pausen von nicht mehr als vier Monaten vor und nach
der Ableistung des gesetzlichen Grundwehrdienstes sind
Übergangszeiten gleichzuachten, wenn im Anschluß
daran eine Berufsausbildung oder eine sonstige Ausbil-
dung aufgenommen oder fortgesetzt werden soll.
Der Grundwehrdienst ist in derartigen Fällen eine
vorgegebene Ausbildungsunterbrechung. Auch bei einer
freiwilligen Verpflichtung auf Zeit für bis zu drei Jahre
geht die Willensrichtung des Freiwilligen in der Regel
nicht dahin, die Schul- oder Berufsausbildung zu been-
den. Der Zeitsoldat trachtet vielmehr in der Regel da-
nach, durch die ihm auf Grund der freiwilligen Ver-
pflichtung zufließenden Bezüge und die sonstigen finan-
ziellen Vorteile eine bessere materielle Ausgangsbasis
für eine anschließende Ausbildung zu erlangen. Bei ei-
ner längeren Verpflichtung kann von einer typischen
Ausbildungsunterbrechung durch Wehrdienst in diesem
Sinne nicht mehr ausgegangen werden.
Eine Änderung in der in Ihrer Frage angesprochenen
Richtung ist nicht beabsichtigt.
Eine Zusatzfrage.
Da muß ich nachfragen:
Es geht darum, daß ein 18jähriger die Schulausbildung
abschließt, vier Monate später zur Bundeswehr geht und
sich dort für vier Jahre verpflichtet. Sie sehen keinen
Änderungsbedarf, wenn sich ein junger Mann für den
Dienst für unser Land und die Gemeinschaft meldet.
Halten Sie eine Änderung für notwendig oder nicht?
Dr
Nein. Das habe ich schon beantwortet; aber viel-
leicht darf ich Ihnen ergänzend noch folgendes sagen:
Auch das Wehrpflichtgesetz und das Soldatengesetz
machen diese Unterschiede zwischen Wehrpflichtigen,
Soldaten auf Zeit für zwei Jahre und freiwilligem zu-
sätzlichen Wehrdienst einerseits und den für längere Zeit
verpflichteten Soldaten auf Zeit andererseits. Während
bei ersteren, also den Wehrpflichtigen und den Soldaten
mit Dienstzeiten von bis zu zwei Jahren, das Arbeits-
platzschutzgesetz gilt, gilt es für die Längerdienenden
nicht, weil auch diese Gesetze davon ausgehen, daß jun-
ge Männer, die sich für vier Jahre und länger verpflich-
ten, dies nicht als Unterbrechung ihrer herkömmlichen
Ausbildung ansehen. Daher besteht für sie auch kein
Anspruch auf Kindergeld. Insofern werden wir uns den
Gepflogenheiten des Wehrpflichtgesetzes und des Sol-
datengesetzes auch weiterhin anpassen.
Es gibt keine weite-
ren Zusatzfragen. Damit sind wir am Ende dieses Ge-
schäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Bildung und Forschung. Die Frage 3 des
Kollegen Dr. Martin Mayer ist zurück-
gezogen worden.
Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundeskanz-
leramtes auf. Zur Beantwortung steht der Beauftragte
der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur
und der Medien, Dr. Michael Naumann, zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Wilhelm Josef
Sebastian auf:
Welche Kenntnis hat die Bundesregierung im Rahmen derBeteiligung des Bundes an den Baukosten über den Stand derVorbereitungen zum Bau des Arp-Museums in Remagen-Rolandseck angesichts widersprüchlicher Aussagen des LandesRheinland-Pfalz und der Arp-Stiftung über den möglichen Bau-beginn, und wie wirkt sich eine mögliche Änderung des Zeit-punktes des Baubeginns auf die haushaltsmäßige Bereitstellungder Bundesmittel aus?
Dr. Michael Naumann, Beauftragter der Bundesre-
gierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien:
Herr Abgeordneter, am 26. Juni 1996 hat der Haushalts-
ausschuß des Bundestages Ausgleichsmittel in Höhe von
13 Millionen DM für den Neubau des Arp-Museums in
Rolandseck entsperrt. Das Land Rheinland-Pfalz trägt
die Differenz zu den gesamten Baukosten in Höhe von
rund 30 Millionen DM.
Das Land Rheinland-Pfalz hat soeben mitgeteilt, daß
die baurechtlichen Voraussetzungen für den Museums-
neubau nunmehr gegeben seien. Der Stadtrat von Rema-
gen hat dem Bebauungsplan zugestimmt. – Der Archi-
tekt ist der berühmte Architekt Richard Meier, der gera-
de das Ghetty-Center in Los Angeles fertiggestellt hat. –
Die Änderung des Flächennutzungsplans sei ebenfalls
inzwischen erfolgt. Das Land geht also davon aus, daß
der Baubeginn im Herbst 1999 erfolgen kann.
Eine Änderung des Zeitpunkts des Baubeginns hat
keine Auswirkung auf die haushaltsmäßige Bereitstel-
lung der Bundesmittel. Die Bundesregierung wird aller-
dings sorgfältig prüfen, welchen Einfluß die in der Öf-
fentlichkeit diskutierte Frage der Authentizität der
Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis
752 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
Werke von Hans Arp und die erbrechtlichen Auseinan-
dersetzungen auf das Bauvorhaben selbst haben werden.
Die Bundesregierung wird alsbald ein Gespräch mit den
Verantwortlichen führen.
Ich rufe die Frage 5
des Abgeordneten Hans-Joachim Otto auf:
Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, die Me-dienaufsicht neu zu organisieren und an Stelle von 15 Landes-medienanstalten einen einheitlichen Kommunikationsrat vonBund und Ländern einzurichten, und welche Schritte plant siegegebenenfalls zur Umsetzung dieses Vorhabens?
Dr. Michael Naumann, Beauftragter der Bundesre-
gierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien:
Herr Abgeordneter Otto, die Formulierung, daß die
Bundesregierung einmal zu irgendeinem Zeitpunkt vor-
gehabt habe, an Stelle von 15 Landesmedienanstalten
einen einheitlichen Kommunikationsrat zu installieren,
ist falsch. Wenn Sie darauf abheben, daß die SPD auf
einem Parteitag einmal einen ähnlichen Beschluß gefaßt
habe, so werden Sie bei der Lektüre dieses Antrags fest-
stellen, daß auch dort das Wort „an Stelle“ nicht vor-
kommt. Dieser Kommunikationsrat war vielmehr immer
als ein konsensual zu besetzendes Beratungsgremium
gedacht.
So lautet denn meine offizielle Antwort: Über den
Vorschlag einer Neuordnung der auf viele Entschei-
dungsträger verteilten Medienaufsicht in Deutschland
hat die Bundesregierung noch nicht abschließend bera-
ten. Wegen der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung
kann dies nur in enger Kooperation zwischen Bund und
Ländern erreicht werden. Die hierzu notwendigen
Überlegungen sind noch nicht soweit gediehen, daß ge-
genwärtig eine konkrete Aussage zu ihrer Realisierbar-
keit getroffen werden kann.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Otto.
Herr Dr.
Naumann, am 23. November dieses Jahres haben sich
die medienpolitischen Sprecher der SPD-Fraktionen aus
dem Bundestag, den Landtagen sowie dem Europäi-
schen Parlament in Mainz zusammengetan und haben
die Erklärung abgegeben, daß ein solcher Kommunika-
tionsrat geschaffen werde. Meine Frage lautet jetzt:
Welche konkreten Schritte wird die Bundesregierung
ergreifen, um einen solchen Kommunikationsrat als
Verzahnung zwischen Bund und Ländern konsensual
schnellstmöglich herbeizuführen? Was läuft ab?
Dr. Michael Naumann, Beauftragter der Bundesre-
gierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien:
Der erste Schritt, den ich persönlich nicht als Beauf-
tragter irgendwelcher Parteitage, sondern als Beauftrag-
ter der Bundesregierung unternehmen würde, wäre, zu
versuchen, die Landesregierung von Bayern davon zu
überzeugen, daß es Sinn macht, sich in einem Gremium
zusammenzusetzen, das keine Entscheidungskompetenz,
sondern vor allem sehr viel Beratungskompetenz ver-
sammeln könnte. Ich würde den Ministerpräsidenten von
Bayern, der sich bisher wie übrigens auch sein Kollege
Teufel in Stuttgart, gegen einen solchen Kommunika-
tionsrat gesträubt hat, darauf hinweisen, daß dies nicht
ein Gremium sein wird, das Landeskompetenzen an sich
zu reißen versucht, sondern vielmehr Medienkompeten-
zen für die Diskussion und die Beratung zur Verfügung
stellen würde.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
Ich habe
Sie, Herr Dr. Naumann, also dahin gehend richtig ver-
standen, daß Sie persönlich als Beauftragter der Bundes-
regierung ein solches Beratungsgremium für sinnvoll er-
achten und sich dafür einsetzen werden?
Dr. Michael Naumann, Beauftragter der Bundesre-
gierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien:
Herr Abgeordneter, als Mitglied der F.D.P. müßten Sie
doch in der Lage sein, einen Konjunktiv zu entdecken.
Keine weiteren Fra-
gen. Ich danke Ihnen, Herr Dr. Naumann.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Arbeit und Sozialordnung auf.
– Ich habe nicht den Kollegen Schlauch aufgerufen,
sondern den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Arbeit und Sozialordnung.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Gerd Andres zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Georg Girisch
auf:
Welche Verfahren sind derzeit beim Europäischen Gerichts-hof anhängig, die geeignet sind, nach Abschluß zu ei-nem Sozialleistungstransfer von Deutschland in die EU-Partnerstaaten zu führen?
G
Herr Abgeordneter
Girisch, ich würde gern die Fragen 6 und 7 zusammen
beantworten, wenn Sie damit einverstanden sind.
Ich rufe also auch
Frage 7 auf:
Bei welchen der vom EuGH entschiedenen Fälle betreffendSozialleistungstransfers aus Deutschland in die EU-Partnerstaa-ten besteht nach Auffassung der Bundesregierung eine beson-dere Mißbrauchsgefahr?
Beauftragter der Bundesregierung Dr. Michael Naumann
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 753
(C)
(D)
G
Zur Zeit sind keine
weiteren Verfahren anhängig, die speziell den Export
deutscher Sozialleistungen betreffen. Mit weiteren Ver-
fahren ist aber bei der Frage der Kostenerstattung medi-
zinischer Behandlung im EU-Ausland zu rechnen, da in-
soweit über die konkreten Auswirkungen der Decker-
Kohll-Rechtsprechung noch weitgehend Unsicherheit
besteht. Hier ist zur Zeit ein belgisches Vorlageverfah-
ren anhängig, in dem es unter anderem um die Erstat-
tung einer nicht genehmigten Krankenhausbehandlung
im Ausland durch die belgische Krankenversicherung
geht. Die Bundesregierung wird sich mit einer eigenen
Stellungnahme an diesem Verfahren beteiligen.
Die Frage 7 beantworte ich wie folgt: Die Frage des
potentiellen Mißbrauchs stellt sich insbesondere dort,
wo die Gewährung von Sozialleistungen von spezifi-
schen medizinischen oder einkommensmäßigen Voraus-
setzungen abhängt, deren Überprüfung im Ausland nur
unter größten Schwierigkeiten möglich ist. Ein besonde-
res Mißbrauchsrisiko besteht zum Beispiel beim Kran-
kengeld sowie bei Leistungen der Arbeitslosenversiche-
rung; dies gilt aber nicht nur für das Ausland, sondern
auch für das Inland. Als besonders problematisch wer-
den deshalb in diesem Zusammenhang die beiden
EuGH-Urteile vom 3. Juni 1992 und vom 2. Mai 1996 in
der Rechtssache Paletta eingestuft, in denen der EuGH
entschieden hat, daß ein Arbeitgeber auch bei nahelie-
genden Zweifeln an der Richtigkeit einer ausländischen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung daran gebunden ist,
wenn er den Mißbrauch nicht konkret nachweisen kann.
Dies aber ist in der Praxis in Auslandsfällen kaum mög-
lich. Deshalb ist auf Initiative des Bundesministeriums
für Arbeit und Sozialordnung insbesondere in Italien
– bei der Familie Paletta handelt es sich um eine italieni-
sche Familie – ein System deutschsprachiger Vertrau-
ensärzte aufgebaut worden, die bereit sind, gegebenen-
falls für die deutsche Krankenversicherung oder für
deutsche Arbeitgeber vertrauensärztliche Kontrollunter-
suchungen durchzuführen.
Außerdem strebt die Bundesregierung eine verbes-
serte Zusammenarbeit der verschiedenen Leistungsträ-
ger an, um potentiellem Leistungsmißbrauch entgegen-
zuwirken. Hierzu soll im kommenden Halbjahr unter
deutscher EU-Präsidentschaft eine Entschließung des
Rates über einen Verhaltenskodex für die Zusammenar-
beit der Behörden bei grenzüberschreitender Leiharbeit
und bei der Bekämpfung von Leistungsmißbrauch und
illegaler Beschäftigung herbeigeführt werden.
Herr Kollege Gi-
risch, da der Parlamentarische Staatssekretär bereits die
Frage 7 mit beantwortet hat, können Sie jetzt Ihre Zu-
satzfragen auch auf diese Antwort ausdehnen.
Herr Staatssekretär,
stimmt es, daß die Bundesrepublik die meisten Trans-
ferleistungen bezahlt? Zweitens möchte ich Sie bitten,
zu konkretisieren, was die Bundesregierung zu tun beab-
sichtigt, um möglichen Mißbrauch zu verhindern.
G
Ihre Frage, ob die
Bundesrepublik Deutschland die meisten Sozialtransfers
bezahlt, kann ich nicht beantworten, weil mir entspre-
chende Vergleichszahlen in bezug auf andere EU-
Mitgliedsländer nicht zur Verfügung stehen.
Als Antwort auf Fragen Ihres Kollegen Klaus Hof-
bauer, die sich anschließen, werde ich etwas über den
Transfer von Sozialleistungen sagen, und ich werde
dann im einzelnen noch einmal darauf eingehen.
Was die Mißbrauchsbekämpfung angeht, möchte ich
sagen: Es geht uns darum, während unserer Präsident-
schaft Vereinbarungen anzustoßen, die ein koordiniertes
Verhalten der EU-Länder bei Leistungsmißbrauch mög-
lich machen. Dazu gibt es entsprechende Vorentwürfe.
Wir wollen in Gesprächen auf der Ebene der Sozialmi-
nister beim informellen Gipfel im Februar des kommen-
den Jahres den Versuch unternehmen, ein koordiniertes
Verhalten auf EU-Ebene zu ermöglichen.
Ich rufe die Frage 8
des Abgeordneten Klaus Hofbauer auf:
Welche Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs ha-ben in den vergangenen 15 Jahren einen Export von Soziallei-stungen von Deutschland in die EU-Partnerstaaten begünstigt?
G
Herr Abgeordneter,
wenn Sie einverstanden sind, würde ich die Fragen 8
und 9 gerne gemeinsam beantworten, weil ja der The-
menzusammenhang völlig klar ist.
Dann rufe ich auch
die Frage 9 auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Export von Sozi-alleistungen von Deutschland in die EU-Partnerstaaten in denzurückliegenden 15 Jahren, und welche Entwicklung erwartetsie für die kommenden Jahre?
G
Die Rechtspre-
chung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur in den
vergangenen 15 Jahren kann generell als ausgesprochen
europafreundlich qualifiziert werden. Bei der Frage des
Exports von Sozialleistungen stützt sich der EuGH nicht
nur auf die Verordnung 1408/71, welche einen weitge-
henden Export der Leistungen der sozialen Sicherheit
aus dem Beschäftigungsland eines Arbeitnehmers in
sein Wohnsitzland oder das seiner Familienangehörigen
vorsieht, sondern er stützt sich darüber hinaus auch un-
mittelbar auf das Primärrecht des EG-Vertrages, das
heißt das darin enthaltene Diskriminierungsverbot auf
Grund der Staatsangehörigkeit sowie die Rechte der
Unionsbürger auf Freizügigkeit, auf Warenverkehrsfrei-
heit und auf Dienstleistungsfreiheit. Teilweise kommt er
dabei zu Ergebnissen, die in der Verordnung 1408/71
nicht explizit vorgesehen sind.
Besondere Bedeutung für Deutschland hatten in den
letzten 15 Jahren vor allen Dingen folgende Urteile:
Urteil vom 10. Oktober 1996, Hoever und Zachow, zum
754 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
Export von Erziehungsgeld; Urteil vom 5. März 1998,
Molenaar, zum Export von Pflegegeld sowie verschie-
dene Urteile zur Zahlung eines Ausgleichsbetrages,
wenn die im Ausland gezahlte Familienleistung niedri-
ger ist als die – nachrangige – deutsche Leistung.
Eine neue Dimension erhielt diese Rechtsprechung
jetzt durch die beiden Urteile vom 28. April 1998 in den
beiden Luxemburger Rechtssachen Decker und Kohll.
Hier hat der EuGH unter bestimmten Voraussetzungen
die Erstattung auch im Ausland erbrachter medizinischer
Leistungen nach inländischen Tarifen vorgeschrieben.
Damit eröffnet er den Versicherten in diesen Fällen über
die begrenzte Regelung der Verordnung 1408/71 hinaus
eine zusätzliche Anspruchsberechtigung. Welche kon-
kreten Auswirkungen diese Rechtsprechung für
Deutschland haben wird, läßt sich zur Zeit noch nicht
sagen. Ich habe schon eben in der Beantwortung der
Frage Ihres Kollegen darauf hingewiesen, daß von bel-
gischer Seite weitere Verfahren anhängig sind und die
konkrete Ausgestaltung der Frage der Gewährung medi-
zinischer Leistungen noch vor dem Hintergrund dieser
Urteile und Verfahren geprüft werden muß.
Die Frage 9 möchte ich wie folgt beantworten: Nach
Angaben des Statistischen Bundesamtes zur Volkswirt-
schaftlichen Gesamtrechnung stieg der Gesamtumfang
der sozialen Leistungen aus Deutschland in die EG-
Länder von 1,3 Milliarden DM im Jahre 1983 auf
2 Milliarden DM im vergangenen Jahr an. Für die näch-
sten Jahre wird mit einem jährlichen Anstieg von rund
5 Prozent gerechnet. Der weit überwiegende Teil dieser
Leistungen beruht aber entweder auf nationalem Recht
oder auf den Regelungen der Verordnung 1408/71; nur
ein sehr geringer Bruchteil hiervon, der aber statistisch
nicht ausgewiesen wird, läßt sich unmittelbar auf EuGH-
Rechtsprechung zurückführen. Es handelt sich zu einem
großen Teil um beitragsbegründete Zahlungen der deut-
schen Rentenversicherung an Rentner, die ihren Wohn-
sitz in andere Mitgliedstaaten verlegt haben.
Ich bin gerne bereit, Herr Abgeordneter, Ihnen auch
eine entsprechende Zahlenreihe zur Verfügung zu stel-
len, die darstellt, wie hoch der jährliche Soziallei-
stungstransfer in EU-Länder ist. Ich will mir nur erspa-
ren, jetzt die Zahlenkolonnen vorzulesen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
wie wollen Sie im nächsten halben Jahr, wenn Sie den
Vorsitz im Europäischen Rat haben, Kontrollmechanis-
men einbauen?
G
Ich habe schon
eben versucht, das anzudeuten. Wir haben die Absicht,
mit den europäischen Mitgliedsländern Vereinbarungen
zu treffen – ob im Wege einer Richtlinie oder anderer
Instrumente, ist gegenwärtig noch offen –, die in den
Fragen des Leistungsmißbrauchs, illegaler Beschäfti-
gung und ähnlichem zu gemeinsamem Verhalten führen.
Nehmen Sie es mir nicht übel: Das kann gegenwärtig
nicht konkretisiert werden, weil auch das Gegenstand
von Verhandlungen ist und erst im Verlauf des nächsten
halben Jahres geklärt werden kann.
Ein zweiter Aspekt, der möglicherweise in Ihrer Fra-
ge steckt: Wir könnten mit dem Thema in einer anderen
Art und Weise umgehen, wenn die Verordnung 1408/71
– von mir mehrfach zitiert – geändert würde. Dazu be-
darf es aber der Einstimmigkeit, so daß Änderungen auf
absehbare Zeit nicht realistisch sind.
Eine Zusatzfrage,
die Kollegin Claudia Nolte.
Herr Staatssekretär, in-
wieweit ist Ihnen bekannt, daß andere EU-Länder ihren
Export zunehmend auf Sachleistungen umstellen? Gibt
es Überlegungen, dies in bestimmten Fällen auch in der
Bundesrepublik Deutschland zu tun? Inwieweit werden
Sie in Absprache mit den EU-Mitgliedstaaten versuchen,
entsprechende Regularien zu finden, um diese Umstel-
lung zu verhindern oder zu pflegen?
G
Die beiden Urteile zu
Kohll und Decker im Gesundheitsbereich machen deut-
lich, daß das Sachleistungsprinzip – konsequent ange-
wandt – solche Entwicklungen verhindern würde. Die
alte Bundesregierung, der Sie die Ehre hatten anzugehö-
ren, hat im Gesundheitsbereich Veränderungen vorge-
nommen, die eine Entwicklung vom Sachleistungsprin-
zip zum Kostenerstattungsprinzip zur Folge hatten, was
solche Urteile erst möglich gemacht hat.
Wir werden morgen in den Regelungen im Bereich
der gesetzlichen Krankenversicherung, die dem Bun-
destag zur Beratung vorliegen, entsprechende Korrektu-
ren vornehmen. Wir glauben, damit einem möglichen
Export von Leistungen in EU-Länder einen Riegel vor-
schieben zu können.
Inwieweit andere europäische Länder Entwicklungen
hin zum Sachleistungsprinzip nehmen, kann ich gegen-
wärtig nicht beantworten. Da bitte ich um Ihr Verständ-
nis. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen über solche Tenden-
zen, sofern sie vorhanden sind, schriftlich Auskunft zu
geben.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Singhammer.
Herr Staats-
sekretär, sieht die Bundesregierung in der ausdehnenden
Rechtsprechung des EuGH eine Belastung der Systeme
der sozialen Sicherung in Deutschland? Wenn das so ist:
Sind Sie bereit, im Rahmen der europäischen Ratspräsi-
dentschaft den steinigen Weg zu gehen, die von Ihnen
angesprochene Richtlinie 1408/71 zu verändern, obwohl
das Einstimmigkeit erfordert?
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 755
(C)
(D)
G
Herr Abgeordneter,
ich verweise auf meine Antwort auf die Frage des Ab-
geordneten Hofbauer, in der ich dargestellt habe, daß ich
kaum Möglichkeiten sehe, die Richtlinie 1408/71 zu
verändern.
Mit Ihrem Hinweis, daß das ein steiniger Weg sei,
haben Sie völlig recht. Ich erinnere mich noch an die
letzte Legislaturperiode, in der ich als Mitglied des Aus-
schusses für Arbeit und Sozialordnung ähnliche Fragen,
wie Sie sie jetzt stellen, an die damalige Bundesregie-
rung gerichtet habe. Ich nehme mit Genuß zur Kenntnis,
daß sich Ihre Haltung gegenüber der letzten Legislatur-
periode verändert hat.
Im übrigen will ich wiederholen, was ich eben schon
in einer Antwort gesagt habe: Wenn der Leistungsexport
von 1983 bis 1997 zwar von 1,3 Milliarden DM auf
2 Milliarden DM angestiegen ist, aber nur zu einem ver-
schwindend geringen Teil auf Grund von EuGH-
Urteilen, dann teile ich Ihre Unterstellung, die in der
Frage enthalten war, nicht, daß EuGH-Urteile zu einer
kräftigen Ausweitung von Sozialleistungen führen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Büttner.
Herr Staatssekre-
tär, darf ich aus Ihrer Antwort auf die hier gestellten
Fragen schließen, daß diese Bundesregierung anders als
ihre Vorgängerin bei der Formulierung von bundesdeut-
schen Gesetzen die europäische Rechtslage stärker be-
rücksichtigen wird, um solche Urteile und Auswirkun-
gen künftig zu verhindern?
G
Ja.
Die Frage 10 des
Abgeordneten Aribert Wolf wird auf Grund von Nr. 2
Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet.
Um schriftliche Beantwortung ihrer Fragen haben
ferner der Kollege Hartmut Koschyk und der Kollege
Dietrich Austermann gebeten.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär Andres, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Paul Breuer
auf:
Ist es richtig, daß die noch im Sommer 1998 vom heutigenParlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium derVerteidigung, Walter Kolbow, MdB, abgegebene Garantie fürden Erhalt aller Standorte der Bundeswehr für die Dauer vonvier Jahren durch den Bundesminister der Verteidigung dahin
gehend wieder aufgehoben worden ist, daß nach dem Ende derArbeit der Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ voraussicht-lich im Herbst 2000 neue Entscheidungen zur Struktur der Bun-deswehr getroffen werden, die notwendigerweise die Schließungvon Standorten zur Folge haben?
B
Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Breuer,
als Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Verteidigungs-
ausschuß wissen Sie natürlich sehr genau, daß die
Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ im Frühjahr
1999 ihre Aufgabe aufnehmen wird. Erst wenn deren
Ergebnisse vorliegen, wird beurteilt werden können, ob
es Auswirkungen auf einzelne Standorte geben kann.
Eine gegebenenfalls erforderliche Umsetzung zur
Realisierung würde dann weitere Zeit in Anspruch neh-
men. Bis dahin bleibt es bei den von der Bundesregie-
rung bislang abgegebenen Aussagen zu den einzelnen
Standorten.
Eine Zusatzfrage,
Kollege Paul Breuer.
Frau Staatssekretärin,
meine Frage war etwas konkreter, nämlich ob die Ga-
rantie, die der heutige Parlamentarische Staatssekretär
im Verteidigungsministerium Kolbow vor Antritt seines
Amtes abgegeben hat, daß sich bis zum Jahre 2002 kei-
ne Veränderungen ergeben würden, nach wie vor auf-
rechterhalten wird.
B
Der von Ihnen und mir
sehr geschätzte Kollege Kolbow ist nicht davon ausge-
gangen, daß die neue Bundesregierung schneller arbei-
ten kann, als das bei der alten Bundesregierung der Fall
war. Vor allen Dingen müssen wir in dieser Wahlperi-
ode noch Maßnahmen, die Sie in Ihrer Bundesregierung
beschlossen haben, wieder rückgängig machen.
Es geht jetzt wirklich darum, daß wir das von uns an-
gestrebte Ziel, nämlich daß die Kommission ihre Aufga-
ben bis zum Sommer 2000 erledigt hat, erreichen, um
dann zu sehen, ob es überhaupt notwendig ist, Verände-
rungen vorzunehmen.
Insofern hat der Kollege Kolbow meines Erachtens
Rechtens gehandelt, als er im Sommer 1998 sagte, er se-
he zur Zeit überhaupt keinen Grund, an der bisherigen
Stationierung nicht festzuhalten bzw. die von Ihnen be-
schlossene und jetzt noch stattfindende Auflösung von
Standorten nicht vorzunehmen.
Darüber hinausgehende Entscheidungen fallen erst,
wenn wir die Arbeiten im Jahre 2000 abgeschlossen ha-
ben. Es könnte sein, daß wir dann zu dem Ergebnis
kommen, daß wir keine Standorte auflösen müssen.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
756 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
Frau Staatssekretärin, ist
es richtig, oder trügt mich da mein Eindruck, daß sich
Herr Minister Scharping in der Sitzung des Verteidi-
gungsausschusses in der vorvergangenen Sitzungswoche
dahin gehend ausgedrückt hat, daß ab dem Jahr 2000
durchaus Veränderungen vorgenommen werden können,
und wie vereinbart sich das mit Ihrer Aussage, daß Ihr
Kollege Kolbow als Parlamentarischer Staatssekretär
nun der Meinung ist, daß bis zum Jahre 2002 keine Ver-
änderungen vorgenommen werden?
B
Wir wollen noch einmal
feststellen: Der Kollege Kolbow hat dies im Sommer
1998 gesagt, als die Bayerische Staatsregierung über die
von Ihrer Bundesregierung bereits beschlossenen Redu-
zierungen, die in dieser Wahlperiode zum Teil noch um-
gesetzt werden, diskutierte, und er hat dabei festgestellt,
daß es darüber hinaus keine Entscheidungen geben wer-
de.
Der Bundesminister der Verteidigung hat erklärt – ich
finde, das ist völlig korrekt –, daß sich am Ende der Ar-
beit dieser Kommission herausstellen kann: Wir ändern
nichts an den Standorten, oder: Wir stellen fest, daß die
Struktur der Streitkräfte Korrekturen erfordert – wofür
einiges spricht. Deswegen hat er in seiner Verantwor-
tung als Verteidigungsminister nunmehr seit dem 29.
Oktober 1998 diese Frage offenlassen müssen. Ich glau-
be, das war vernünftig.
Aber der Obmann der SPD-Fraktion, der im Sommer
1998 in Bayern einer Diskussion, die von seinen Freun-
den aus der CSU angezettelt worden ist, gegenüberstand,
hat natürlich darauf hingewiesen, daß die Reduzierung
von Standorten, die da stattfand und noch stattfindet, auf
Ihr Konto und nicht auf unser Konto geht.
– Kein Mensch kann wissen, wie sich die weitere Situa-
tion entwickelt. Wir wollen eine wirklich ergebnisoffene
Kommission einsetzen und nicht von vornherein sagen:
Ihr habt dieses und jenes zu beschließen. Auch Sie, Herr
Kollege Breuer, haben einmal in einer Koalitionsregie-
rung gesessen, die Stein und Bein geschworen hat, daß
wir 370 000 Soldaten haben würden. Der augenblicklich
aktuelle Stand, der noch von Ihnen zu verantworten ist,
ist aber 326 000.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Koppelin.
Frau Staatssekretärin, da
Sie nicht ausschließen können, daß Standorte geschlos-
sen werden, muß ich Sie fragen, ob das bereits jetzt Ein-
fluß auf Ihre Haushaltspolitik hat, das heißt, daß Sie die
Mittel für die Standorte erst einmal zurückfahren, da Sie
ja nicht wissen, welche Standorte Sie erhalten wollen
und welche nicht.
B
Herr Kollege Koppelin,
Sie sind ein viel zu erfahrener Haushalts- und Verteidi-
gungspolitiker, als daß Sie nicht selbst sehr genau wüß-
ten, daß die alte Bundesregierung im Bereich der Infra-
struktur – auch jener unbezweifelbar feststehenden
Standorte – nicht genügend Geld zur Verfügung gestellt
hat. Es sind in den letzten Jahren, Herr Kollege Koppe-
lin, sogar notwendige Infrastrukturmaßnahmen nicht
durchgeführt worden, obwohl man genau wußte, daß es
dann, wenn man es zu spät tut, kostenintensiver wird
und entsprechende Folgekosten verursacht. Ich gehe
nicht davon aus, daß die Bundesregierung, die seit dem
29. Oktober 1998 im Amt ist, Grund hat, an den weni-
gen Infrastrukturmitteln, die Sie zur Verfügung gestellt
haben, noch weitere Abstriche zu machen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Adam.
Frau Staatssekretärin,
wie darf ich Ihre Antworten im Hinblick auf den kon-
kreten Fall in Mecklenburg-Vorpommern werten? Hier
war von der alten Bundesregierung geplant worden, den
Standort Dehmen nach Schwerin zu verlegen. Da ich,
einer Tradition folgend, am Heiligen Abend diesen
Standort besuchen werde, würde mich interessieren, ob
im Rahmen der Wehrstrukturkommission das Verfahren
angehalten wird?
B
Nein, Herr Kollege. Wir
haben ausdrücklich – das habe ich vorhin schon dem
Kollegen Breuer geantwortet – gesagt: Standortverände-
rungen, -verlagerungen oder -reduzierungen, die jetzt
stattfinden, gehen auf Beschlüsse der vorangegangenen
Bundesregierung und der sie tragenden Mehrheitspartei-
en bis September 1998 zurück. Es wäre unredlich und
unkorrekt, wenn wir zum augenblicklichen Zeitpunkt
sagen würden: Dies gilt nicht mehr, und das werden wir
verändern.
Allerdings kann es sich ergeben – ich werde Ihnen
gerne zusichern, daß wir uns das im Einzelfall anschau-
en werden; Sie haben heute im Verteidigungsausschuß
ein ähnliches Thema diskutiert –, daß es in dem einen
oder anderen Standort Veränderungen gibt, über die be-
reits die alte Bundesregierung nachgedacht hat und die
wir, wenn sie uns zur Kenntnis gebracht werden, sorg-
fältig prüfen werden. Aber mir ist bis zum heutigen Tag
nicht bekannt, daß es hier Veränderungswünsche von
seiten der mecklenburg-vorpommerschen Landesregie-
rung oder von seiten der Bundeswehr gegeben hat.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Dr. Klaus Rose.
Frau Staatssekretärin,
sind Sie mit mir nicht der Meinung, daß in Bayern keine
Diskussion über die Schließung von Standorten ange-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 757
(C)
(D)
zettelt worden ist? Vielmehr hat man in Bayern nach
Beurteilung der Aussagen, die Herr Scharping noch in
seiner Funktion als SPD-Fraktionsvorsitzender gemacht
hat, nämlich mit 250 000 Mann oder weniger auszu-
kommen, logisch gesagt: Das bedeutet Schließung von
Standorten. Ist das jetzt anders? Spricht Herr Scharping
nicht mehr von 250 000 Mann?
B
Herr Kollege Rose, ich
könnte mir vorstellen, daß natürlich Aussagen, die der
frühere Fraktionsvorsitzende der SPD gemacht hat, eine
solche Wirkung gehabt haben. Ich kenne das natürlich
auch. Wir sind ja miteinander lange genug im politi-
schen Geschäft. Aber ich weiß auch durch Besuche in
Bayern sehr gut, daß natürlich der Kollege Scharping
dort ganz besonders darauf hingewiesen hat, daß das
weiterhin gilt, was die SPD-Bundestagsfraktion mit ihrer
Mehrheit beschlossen hatte, nämlich, daß wir an der
Größenordnung festhalten und daß wir uns nach der ge-
wonnenen Bundestagswahl mit Sorgfalt die Struktur, die
Standorte und den Umfang der Bundeswehr ansehen
werden. Dies gilt. Sie haben natürlich als Wahl-
kampfthema die andere Aussage genommen, die Herr
Scharping in früheren Zeiten einmal geäußert hat. Sie
wissen, daß man als Verteidigungsminister eine beson-
dere Verantwortung für die Menschen hat, die in den
Standorten arbeiten, und für die Bürger, die an ihren
Standorten hängen. Deshalb finde ich die Vorsicht, mit
der sich der Minister hierzu geäußert hat, mehr als be-
rechtigt. Ich sage Ihnen voraus, wir werden mit großer
Sorgfalt und im Rahmen der Diskussion mit Ihnen über
die Frage des Umfangs, der Struktur und der möglichen
Standorte beraten, bevor es zu Veränderungen kommt.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Siegfried Hornung. Dann möchte ich al-
lerdings die eingereichten Fragen des Kollegen Werner
Siemann aufrufen, die den gleichen Punkt zum Inhalt
haben.
Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, mich bedrückt eine ganz große Sorge:
In meinem Wahlkreis sind elf Standorte. Als ich darauf
kürzlich hingewiesen habe, haben einige gefragt: Noch?
Nun höre ich vom Staatsminister des Auswärtigen,
Herrn Volmer, daß wir im Prinzip überhaupt keine Bun-
deswehr mehr brauchen. Wie verhält sich das zu dem,
was Sie hier versuchen, glaubwürdig darzustellen?
B
Herr Kollege Hornung, es
gibt zwei Dinge, die mich daran hindern, Ihnen die ehr-
lichste Antwort darauf zu sagen. Das eine ist der Um-
gang, den man als Frau natürlich auch in das Parlament
einbringen sollte, das andere ist das Amt, das ich beklei-
de. Aber ich möchte Ihnen ausdrücklich sagen: Das ist
nicht die Meinung der Bundesregierung, auch nicht die
Meinung des Parlaments in seiner Mehrheit. Ich glaube,
es ist jedem freigestellt, auch in seiner Funktion als
Parlamentarier – der Kollege Volmer ist auch frei ge-
wählter Parlamentarier – Denkanstöße zu geben. Daß er
diese Denkanstöße dann umsetzen kann, vermute ich
nicht.
– Ja, aber er hat dies nicht als Mitglied der Regierung
gesagt, wie Sie wissen.
Ich rufe jetzt die
Frage 14 des Abgeordneten Werner Siemann auf:
Käme die von der Bundesregierung einzusetzende Kommis-sion „Zukunft der Bundeswehr“ in einem Globalgutachten zudem Ergebnis, daß die Bundeswehr um 100 000 Soldaten undca. 40 000 zivile Mitarbeiter schrumpfen soll, würde das dannbedeuten, daß weitere Standorte zu schließen seien, und wie ge-denkt die Bundesregierung die daraus resultierenden wirtschaft-lichen und sozialen Konsequenzen für Soldaten und zivile Mit-arbeiter sowie deren Familienangehörige und für die Kommunenzu lösen?
B
Herr Kollege Siemann,
Bundesminister Scharping hat mehrfach öffentlich dar-
auf hingewiesen, daß die Arbeit der Kommission „Zu-
kunft der Bundeswehr“ ergebnisoffen und ohne Vor-
festlegungen erfolgt. Dazu gehört auch, daß sich die
Bundesregierung nicht an der Erörterung hypothetischer
Ergebnisse der Kommissionsarbeit beteiligen wird.
Eine Zusatzfrage?
Frau Staatssekretä-
rin, ich habe dazu eine Zusatzfrage, die Sie sicherlich
beantworten können: Wie hat sich die bisherige Redu-
zierung der Anzahl der Soldaten, der zivilen Mitarbeiter
und der Standorte auf die Beteiligten ausgewirkt? Lau-
fen dazu Untersuchungen? Gibt es dazu schon Ergebnis-
se oder Zwischenergebnisse?
B
Wir beide kommen aus
einem Bundesland, das neben Bayern auch zum heuti-
gen Zeitpunkt noch die meisten Standorte hat, nämlich
Niedersachsen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß für das
Land Niedersachsen bislang durch die Reduzierung der
Bundeswehr an Zeit- und Berufssoldaten sowie zivilen
Arbeitskräften ein Verlust von mindestens 30 000 Ar-
beitsplätzen entstanden ist. Darüber hinaus ist ja die
Struktur, die von der alten Bundesregierung gewählt und
vom Parlament beschlossen worden ist, noch nicht end-
gültig umgesetzt. Aber ich sage Ihnen gern zu, daß das
auch in die Aufgaben der Kommission einfließen muß.
Ich würde sehr empfehlen, daß wir uns auch im Vertei-
digungsausschuß dieser Frage einmal gemeinsam an-
nehmen.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Dr. Klaus Rose
758 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
Frau Staatssekretä-
rin, würde sich bei einer Reduzierung der Bundeswehr
auf die Hälfte des heutigen Personalumfangs, also auf
zirka 170 000 Soldaten, wie Bündnis 90/Die Grünen es
immer wieder fordern, die Anzahl der heute noch 700
Standorte auf dann nur noch 300 Standorte verringern?
B
Jetzt muß ich Ihnen wie-
der mit dem antworten, was in der Antwort auf Ihre
Hauptfrage so schön formuliert worden ist: Wir sind er-
gebnisoffen, und wir haben ausdrücklich nicht vor, die
Erörterung hypothetischer Ergebnisse vorzunehmen. Ich
kann mir – hypothetisch – ernsthaft nicht vorstellen, daß
wir eine Bundeswehr im Umfang von nur 170 000 Sol-
daten haben werden.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Jürgen Koppelin.
Frau Staatssekretärin, da
Sie soeben in Ihrer Antwort deutlich gemacht haben, daß
die Beratungen der Kommission ergebnisoffen sind, darf
ich Sie fragen, ob Sie nicht doch Chancen sehen, daß die
Bundeswehr reduziert wird, zumal Ihr Koalitionspartner
das – Sie haben ja selber Zahlen genannt – fordert. Er-
gebnisoffen heißt ja wohl doch auch – das machen Sie ja
deutlich, auch wenn Sie in netter Form ein bißchen dar-
um herumreden –, daß es eine Reduzierung der Bun-
deswehr geben kann.
B
Die Freiheit zum Nach-
denken, Herr Koppelin, sollte eigentlich auch der Bun-
desregierung erhalten bleiben. Ich muß Ihnen ehrlich ge-
stehen: Die Freiheit zum Nachdenken halte ich für sinn-
voll. Hätte die damalige Bundesregierung 1991 mit uns
gemeinsam, wie wir Ihnen das angeboten haben, sogar
in sehr verantwortlicher Weise, über eine zeitgemäße
Struktur der Bundeswehr und ihres Umfangs nachge-
dacht, dann wäre das Thema heute sicherlich im Kon-
sens erledigt gewesen. Jetzt haben wir aber eine Situa-
tion – die kennen Sie sehr genau –, daß wir einen Ver-
teidigungshaushalt haben, der mehr als 50 Prozent Per-
sonalkosten umfaßt und in dem ein Teil der Struktur
nicht mehr zeitgemäß ist. Wir werden zuerst unsere
Schularbeiten machen, bevor wir darüber nachdenken,
wie groß der Umfang der Bundeswehr sein soll. Sie
werden mich nicht dazu bringen, daß ich Überlegungen,
die eine Partei angestellt hat – diese Freiheit muß sie ha-
ben; es muß sogar die Freiheit geben, daß Leute in die-
sem Parlament sagen, wir brauchen überhaupt keine
Bundeswehr mehr –, hier kommentiere. Aber am Ende
werden die in der Bundesregierung dafür verantwortli-
chen Personen, nämlich der Bundesminister der Vertei-
digung und die ihn unterstützenden Parlamentarischen
Staatssekretäre sowie der Generalinspekteur, die In-
spekteure und andere,
mithelfen, eine zeitgemäße, vernünftige Struktur zu ge-
stalten.
Eine letzte Zusatz-
frage hierzu vom Kollegen Paul Breuer.
Frau Staatssekretär, Sie
sagten, daß Sie sich nicht vorstellen können, daß die
Bundeswehr bis auf 170 000 Soldaten sinkt. Sie haben
allerdings auch gesagt, daß Sie Teile der Struktur der
Bundeswehr für nicht mehr zeitgemäß halten. Darf ich
Sie danach fragen, ob denn für diese Teile, die nicht
mehr zeitgemäß sind – Sie müßten sie auch zahlenmäßig
identifizieren –, folgendes gilt: daß sie zukünftig nicht
mehr existent sein werden, und das heißt dann bei etwa
40 000 Soldaten: minus 14 000 zivile Mitarbeiter, etwa
20 000 Umzüge und 80 bis 100 Standorte weniger.
B
Herr Kollege Breuer, Sie
sind bei den Hypothesen. Sie haben vergessen, welche
sorgfältigen Diskussionen wir im Verteidigungsaus-
schuß geführt haben. Sie wissen auch aus den gemein-
samen Diskussionen, die wir beide an verschiedenen
Stellen in der Öffentlichkeit geführt haben, sehr gut, daß
es Punkte gibt, bei denen man darüber nachdenken
könnte, ob die Struktur zeitgemäß ist.
Auch der Kollege Breuer hat da sein Nachdenken
nicht aufgegeben gehabt. Das heißt nicht automatisch,
daß wir die Bundeswehr zur Zeit in erheblichem Maß
reduzieren können. Das ist meine persönliche Meinung.
Das sage ich nicht als Regierungsmitglied; als Verteidi-
gungspolitikerin sehe ich das zur Zeit nicht. Aber Sie
werden eine Antwort bekommen. Sie können sich an der
Diskussion beteiligen. Wir sind für kluge Anregungen
aufgeschlossen. Wir werden nicht den Fehler wiederho-
len, den Sie gemacht haben, daß wir in unsere Kommis-
sion nur Leute hereinholen, die der Regierung genehm
sind. Vielmehr wollen wir Leute, die uns etwas von ih-
rem Sachverstand und ihrer Kompetenz mitbringen kön-
nen. Ich gehe fest davon aus, daß darunter auch Vertre-
ter der Union sein werden.
Ich rufe die Fra-
ge 15 des Kollegen Werner Siemann auf.
Beabsichtigt die Bundesregierung, wegen der Schließungvieler Standorte die Reform bereits auf 1999 vorzuziehen, odersoll damit bis nach der Bundestagswahl im Jahre 2002 gewartetwerden?
B
Herr Kollege, die Kom-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 759
(C)
(D)
mission soll ihre Arbeit spätestens bis zum Herbst 2000
abschließen. Auf der Basis ihrer Arbeit wird die Bundes-
regierung ihre Entscheidungen sachgerecht treffen.
Wahltermine spielen dabei keine Rolle.
Damit sind wir am
Ende dieses Geschäftsbereiches. Frau Staatssekretärin,
ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Die
Neuordnung dieses Ministeriums hat dazu geführt, daß
gleich drei Parlamentarische Staatssekretäre zur Beant-
wortung zur Verfügung stehen, nämlich Lothar Ibrüg-
ger, Siegfried Scheffler und Achim Großmann, die sich
die Beantwortung teilen.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Thomas
Dörflinger auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Verstoß des Regio-nalverbands Hochrhein-Bodensee im Benehmen mit der Indu-strie- und Handelskammer Konstanz, die restlichen einbahnig zubauenden Abschnitte der BAB 98 privatvorzufinanzieren, einerseits im Hinblick auf die generelle Reali-sierung und andererseits im Hinblick auf eine mögliche Entla-stung des Haushalts des Bundesministeriums für Verkehr, Bau-und Wohnungswesen?
Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekre-
tär Ibrügger.
L
Herr
Kollege Dörflinger, mit der privaten Vorfinanzierung
können einzelne Projekte im Bundesfernstraßenbau
frühzeitig realisiert werden. Es können jedoch keine
dauerhaften Haushaltsentlastungen erzielt werden, da
die Bau- und Finanzierungskosten im Rahmen der zu
zahlenden Refinanzierungsraten in späteren Jahren den
Bundeshaushalt belasten. Die Anzahl der nach dieser
Finanzierungsart zu bauenden Maßnahmen ist daher be-
grenzt worden.
Die von Ihnen genannten Abschnitte der Bundesauto-
bahn A 98 sind nicht Bestandteil der 27 vom Deutschen
Bundestag bzw. in Abstimmung mit dem Haushaltsaus-
schuß beschlossenen Maßnahmen der privaten Vorfi-
nanzierung des Bundes.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekre-
tär, interpretiere ich Sie richtig, daß das, was Sie eben
vorgetragen haben, entweder dazu führen müßte, den
Beschluß des Haushaltsausschusses im Sinne einer Er-
weiterung der 27 dort genannten Projekte neu zu über-
denken, oder aber dazu, daß die Bundesregierung den
„normalen Weg“ über den Bedarfsplan Bundesfernstra-
ßen dann mit besonderem Nachdruck verfolgt, um die
noch nicht im „vordringlichen Bedarf“ befindlichen Ab-
schnitte der A 98 dort hinein zu bekommen?
L
Herr
Kollege Dörflinger, der Haushaltsausschuß hat am 25.
März 1998 den Vorschlag zur Ausweitung der privaten
Vorfinanzierung im Rahmen freier Verpflichtungser-
mächtigungen um 15 weitere Straßenbauprojekte, weit-
gehend Ortsumfahrungen mit einem Bauvolumen von
insgesamt rund 550 Millionen DM, von dem die Hälfte
auf die neuen Bundesländer entfällt, zur Kenntnis ge-
nommen. Die Beratung vom März dieses Jahres zeigt
auch, daß der Umfang der bereits jetzt durch Privatfi-
nanzierung bedachten Projekte eine Größenordnung er-
reicht hat, die bei der Gestaltung des Investitionshaus-
haltes des Bundesverkehrsministeriums und bei der
Ausgestaltung der Investitionsmaßnahmen zum Beispiel
am Anfang der einzelnen Haushaltsjahre so stark zu Bu-
che schlägt, daß die Bundesregierung gegenwärtig nicht
beabsichtigt, den Umfang zu erweitern.
Das zum ersten Teil Ihrer Frage, ob der Haushalts-
ausschuß eine weitere Entscheidung im Parlament be-
wirken könnte. Im übrigen wäre das eine Aufgabe, die
im Parlament bei den Beratungen des Haushaltsplanes
für 1999 zu bedenken wäre.
Zu der weiteren Frage, ob es andere Möglichkeiten
gibt, die die Bundesregierung veranlassen, dieses Pro-
jekt im Rahmen der laufenden Haushaltsgestaltung zu
finanzieren, muß ich Sie darauf hinweisen, daß den
Ländern vereinbarungsgemäß eine Quote für das Haus-
haltsjahr zugeteilt wird. Im Rahmen dieser Quote haben
die Länder weitestgehend die Entscheidung darüber zu
treffen, welche Maßnahmen zu finanzieren sind.
Soweit es das Land Baden-Württemberg betrifft, ha-
ben wir einen hohen Stand baureifer Maßnahmen. Vor
allem durch den Prozeß der deutschen Einheit und die
damit verbundene Verwendung der ursprünglich den
Ländern zustehenden Investitionsmittel in Ostdeutsch-
land gibt es in Baden-Württemberg 25 baureife Projekte,
die aber im Rahmen der Länderquote zu finanzieren
sind. Die Entscheidung darüber, welches Projekt im
Haushaltsjahr 1999 zu finanzieren ist, hängt in entschei-
dendem Maße davon ab, welche Bewertung die Landes-
regierung Baden-Württemberg für dieses Projekt vorge-
nommen hat.
Zur Beantwortung
der Frage 17 des Abgeordneten Wolfgang Dehnel rufe
Ist die Ankündigung der Bundesregierung, den Bau der A 17zwischen Dresden und Tschechien zu überprüfen, dahin gehendzu verstehen, daß die A 17 trotz bereits begonnener Baumaß-nahmen aus dem Bundesverkehrswegeplan möglicherweise wie-der gestrichen werden soll?
S
Herr Kollege Dehnel, auf Ihre Frage, in der Sie der
Bundesregierung unterstellen, daß sie bereits die Strei-
chung der Trasse beschlossen hat, kann ich schlichtweg
mit einem Nein beantworten. Ich möchte die Tradition
ein bißchen brechen, welche die vorherige Regierung
praktizierte, und etwas weiter ausholen: Nein, für die
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
760 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
Bundesautobahn A 17 Dresden–Prag wurde auf der
deutschen Seite die Linie der Gesamtstrecke schon be-
stimmt. Ich gehe davon aus, daß Ihnen bekannt ist, daß
zwischen den Punkten A 4 bis B 173 ein Abschnitt von
rund 3,6 Kilometern Länge seit August des Jahres in
Bau ist. Für den zweiten Teilabschnitt zwischen B 173
und B 170 läuft zur Zeit das Planfeststellungsverfahren.
Alle weiteren Abschnitte von rund 32 Kilometern Länge
sind in der Planung. Das Planfeststellungsverfahren dort
soll 1999 eingeleitet werden. Bei diesem Planungsstand
wird kein Anlaß – jetzt kommen wir wieder zu dem
Wort – zu einer Streichung des Objektes gesehen.
Die in der Frage zitierte Ankündigung ist der Bundes-
regierung nicht bekannt. Auch dem Minister, mir selbst
und dem Hause liegt diese Ankündigung nicht vor. Die
Aussagen zur Überarbeitung des Bundesverkehrswege-
planes in der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober
1998 haben die konzeptionellen und organisatorischen
Überlegungen für die notwendigen Arbeiten im Gegen-
teil noch beschleunigt. Es besteht aber seitens der Bun-
desregierung noch keine Aussage – ich unterstreiche das
noch einmal – zur Streichung von Einzelprojekten, wie
sie in der Frage unterstellt wird.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
Sie wissen, daß es Komplikationen mit der tschechi-
schen Seite gegeben hat, aber auch Überprüfungswün-
sche von der Regierungsseite. Wird es zu Verzögerun-
gen bei dem Bau der A 17 kommen? Welche Aufwen-
dungen werden durch die zusätzliche Überprüfung ent-
stehen?
S
Sie
unterstellen jetzt die Streichung. Sie akzeptieren jetzt
erst einmal, daß es zu Verzögerungen kommt. Mir ist
natürlich bekannt, daß es auf tschechischer Seite Zu-
satzwünsche bzw. finanzielle Probleme gibt. Der Pla-
nungsstand der Bundesregierung sieht so aus, daß es
keine Verzögerung gegenüber dem bisherigen Termin
geben wird.
Konkret – das bezieht die Überprüfung mit ein – ist
noch nichts absehbar. Wir beide müssen noch bis zum
Frühjahr 1999 warten, bis die Ergebnisse auf dem Tisch
liegen. Sie wissen, daß mit dieser Überprüfung das pro-
gnostizierte Verkehrsaufkommen, das Kosten-Nutzen-
Verhältnis und all diese Dinge, insbesondere diejenigen
von der tschechischen Seite, noch nicht vorliegen. Auf
dem Tisch liegt nur der erste Arbeitsentwurf. Wir beide
müssen uns bis zum Frühjahr gedulden, bis konkrete
Aussagen möglich sind.
Noch eine kurze
Zusatzfrage. Kann ich der Antwort entnehmen, daß sich
die Bundesregierung energisch für den Bau der A 17
einsetzen wird?
S
Das haben Sie meinen Worten sicherlich nicht entneh-
men können.
Auf jeden Fall wird die Bundesregierung eine Überprü-
fung vornehmen. Ich weiß nicht, ob dies, wie Sie sagen,
„energisch“ stattfinden wird. Das Ergebnisse dieser
Überprüfung wird uns beiden bis zum Frühjahr 1999
bekanntgegeben.
Eine weitere Zu-
satzfrage, Frau Ostrowski.
Herr Staatssekretär, ich
habe eine Zusatzfrage zur Finanzierung. Entsprechende
Signale kamen aus der gestrigen Landtagssitzung. Herr
Minister Schommer hat dort verkündet, daß die Studie
hinsichtlich der Machbarkeit einer privaten Finanzierung
im vierten Bauabschnitt das Ergebnis gebracht hat, daß
dies nicht zu realisieren ist. Das heißt, daß bei Gesamt-
kosten von 1,3 Milliarden DM auf die Bundesregierung
die konventionelle Finanzierung insgesamt zukommen
würde. Das bedeutet, daß 386 Millionen DM, die privat
vorfinanziert werden sollten, nun wieder auf die Bun-
desregierung zukommen. Ich frage Sie schlicht und er-
greifend: Wo nehmen Sie die 386 Millionen DM her?
S
Ich
möchte mich hier nicht zu Aussagen der sächsischen
Staatsregierung äußern. Dazu sollte die entsprechende
Stelle selbst Stellung nehmen. Ich stimme Ihnen zu, daß
die aktuellen Kosten nach wie vor 1,32 Milliarden DM
betragen. Damit ist immer noch die Bauwürdigkeit ge-
geben, weil das Kosten-Nutzen-Verhältnis nach wie vor
bei 1 : 2 oder 1 : 3 liegt. Damit ist die entsprechende
Bauwürdigkeit gegeben.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Eduard Lintner.
Herr Staatssekretär,
Ihr Minister hat versichert, daß im Bau befindliche
Maßnahmen nicht gestoppt würden. Hier handelt es sich
um eine solche Maßnahme. Muß ich jetzt aus Ihrer
Antwort schließen, daß Sie zu dieser grundsätzlichen
Position doch nicht stehen?
S
Ich
weiß nicht, aus welcher Antwort Sie das entnehmen
konnten. Nach wie vor gelten sowohl die Koalitionsver-
einbarung als auch die Aussagen des Ministers Franz
Müntefering, daß an im Bau befindlichen Projekten
festgehalten wird und daß ihr Bau selbstverständlich
Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 761
(C)
(D)
weitergeführt wird. Das schließt nicht aus, daß entspre-
chende Alternativen überprüft werden.
In diesem konkreten Fall, handelt es sich, was die
deutsche Seite angeht, um eine Grundsatzfrage. Ich
möchte auf die Frage zurückkommen, ob seitens der
Bundesregierung eine Streichung vorliegt. Ich muß das
zurückweisen; es liegt keine Streichung des Projektes
vor.
Ich rufe die Fra-
ge 18 auf:
Bis wann wird die von der Bundesregierung angekündigteÜberprüfung von Alternativen zu den bisherigen Verkehrspla-nungen, wie zum Beispiel der ,,Sachsen-Magistrale“ , abgeschlossen sein?
S
Im
Grunde genommen sind die Fragen 17 und 18 schon zu-
sammengefaßt beantwortet worden. Natürlich bereitet
das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen entsprechend der Koalitionsvereinbarung
diese Thematik umfassend auf. Ich habe schon einige
Aspekte dieser Betrachtung, auch die Einbeziehung von
Alternativen, genannt. Dazu gehören das prognostizierte
Verkehrsaufkommen, Reisegeschwindigkeiten, Fahrzei-
ten, Investitionskosten usw. Schon aus der Aufzählung
dieser wenigen Punkte können Sie erkennen, daß die
Überprüfung nicht wenige Wochen nach der Übernahme
der Verantwortung durch die neue Bundesregierung ab-
geschlossen sein kann. Diese Ergebnisse werden zum
Frühjahr 1999 vorliegen.
Eine Zusatzfrage.
Die alte Bundesre-
gierung hat sich sehr dafür eingesetzt, daß gerade in den
strukturschwachen Regionen wie dem Erzgebirge und
dem Vogtland eine Anbindung durch Autobahnen und
Eisenbahnlinien erfolgt. Wird sich die neue Bundesre-
gierung mit gleicher Intensität dem Ausbau dieser Strek-
ken widmen?
S
Selbstverständlich. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat
gesagt, daß der Aufbau Ost und, ganz dezidiert einge-
schlossen, die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“
bzw. der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur oberste Prio-
rität haben. Der Bundeskanzler, die Bundesregierung,
mich eingeschlossen, und, so denke ich, auch die Mit-
glieder des zuständigen Ausschusses sind nicht so ver-
messen, daß sie die in einer früheren Legislaturperiode
von uns bzw. den entsprechenden Experten erstellten
Prognosen über das Verkehrsaufkommen – ich nehme
nur diesen einen Faktor – von einer Überprüfung aus-
schlössen. Diese Überprüfung schließt, unabhängig von
den grundsätzlichen Aussagen der Bundesregierung,
auch Alternativen ein. Ansonsten hat aber der Ausbau
der Verkehrsinfrastruktur nach wie vor absolute Priori-
tät.
Zur Beantwortung
Sie lautet:
Für welche Projekte des Vordringlichen Bedarfs des Bun-desverkehrswegeplans steht bereits fest, daß sie bei der geplan-ten Fortschreibung des Planwerks entfallen oder abgestuft wer-den, nachdem der Parlamentarische Staatssekretär beim Bun-desministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, LotharIbrügger, laut Bericht der „Badischen Zeitung“ vom 26. No-vember 1998 bei einem Besuch in Freiburg im Breisgau erklärthat, daß eine ganze Reihe von Projekten von der neuen Bundes-regierung gestrichen werden?
Bitte.
L
Herr
Kollege Weiß, die Koalitionsfraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen haben sich darauf verständigt,
den Bundesverkehrswegeplan zügig zu überarbeiten.
Das gilt auch und zunächst für die zu aktualisierenden
Strukturdaten und Verkehrsprognosen und für die Be-
wertungsmaßstäbe, die verkehrsträgerübergreifenden In-
tegrations- und Substitutionseffekte und für die Sicher-
stellung der Finanzierbarkeit einschließlich der Folgeko-
sten. Die ersten Arbeiten dazu sind bereits eingeleitet.
Dieser frühe Stand der Arbeiten an dem künftigen Bun-
desverkehrswegeplan ermöglicht noch keine Aussagen
zu Einzelprojekten.
Eine Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, kann angesichts der Tatsache, daß Sie
jetzt noch keine Aussage zu Einzelprojekten machen
können, eine Einschränkung, was die Überarbeitung an-
belangt, vorgenommen werden? Können Sie uns zum
Beispiel mitteilen, ob Projekte, die rechtskräftig plan-
festgestellt, aber noch im Bau sind, aus einer Überprü-
fung bzw. einer Abstufung herausgenommen werden,
und ob Projekte, die aktuell im Planfeststellungsverfah-
ren sind, daraufhin überprüft werden, ob sie abgestuft
werden, oder davon ausgenommen sind?
L
Herr
Kollege Weiß, die Bundesregierung arbeitet im Zusam-
menwirken mit allen Bundesländern an der Umsetzung
des Ausbauplans für die Bundesfernstraßen, auf den sich
Ihre Frage im Kern bezieht,
auch wenn bisher vom Bundesverkehrswegeplan die
Rede war. Die Länder planen im Auftrag des Bundes
nach den gesetzlichen Vorgaben, die das Parlament als
verbindliche Vorgabe auch für das Wirken der Bundes-
Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler
762 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
regierung erlassen hat; danach handelt die Bundesregie-
rung. Das gilt für alle Projekte des vordringlichen Be-
darfs, die im Ausbauplan für die Bundesfernstraßen
festgelegt sind.
Bei dem Besuch, den ich selbst in Freiburg durchge-
führt habe und auf den Sie in Ihrer Frage abgestellt ha-
ben, habe ich aber gleichfalls zum Ausdruck gebracht,
daß der Zielzeitpunkt 2012 für die Projekte des vor-
dringlichen Bedarfs im geltenden Ausbauplan für die
Bundesfernstraßen, der eigentlich gesetzliche Vorgabe
ist, schon wegen der Fülle der jetzt geplanten, planfest-
gestellten oder in der Planung befindlichen Maßnahmen
des vordringlichen Bedarfes, wenn man sich die Investi-
tionsraten der vergangenen Jahre und auch die voraus-
sehbare Finanzentwicklung vor Augen hält, mindestens
auf das Jahr 2024 hinausgeschoben werden müßte. Das
heißt, schon in den vergangenen Jahren bestand eine
chronische Unterfinanzierung des Bundesverkehrswege-
plans.
Daraus leitet sich die Schlußfolgerung ab, daß alle
Maßnahmen, die als vordringlicher Bedarf festgeschrie-
ben sind, auch weiter geplant werden, allerdings alle
Maßnahmen, bei denen teilweise enorme Kostensteige-
rungen aufgetreten sind, erneut einer Kosten-
Management-Analyse unterzogen werden müssen, um
die Nutzen-Kosten-Ziffern neu zu ermitteln. Damit fol-
gen wir im übrigen auch dem einmütigen Beschluß des
Rechnungsprüfungsausschusses und auch des Haus-
haltsausschusses des Deutschen Bundestages sowie des
Bundesrechnungshofes, daß für jede Maßnahme, die zur
Zeit geplant wird, eine Planfeststellung erfolgen muß
und rechtlich unanfechtbare Planfeststellungsunterlagen
erstellt werden müssen. Erst dann kann gerechtfertigter-
weise die Entscheidung getroffen werden, mit den Bau-
arbeiten für ein Projekt zu beginnen.
Es dürfte Ihnen, Herr Kollege Weiß, angesichts von
rund 1 400 Projekten im Bundesverkehrswegeplan und
diesem Planungsverlauf schon deutlich geworden sein,
daß in jedem Bundesland neu zu bewerten ist, mit wel-
chen Vorhaben begonnen werden kann. Dies gilt gerade
für Baden-Württemberg in besonderer Weise, weil dort
viele Maßnahmen planungsrechtlich abgeschlossen sind,
aber auf Grund der Finanzsituation der vergangenen acht
bzw. neun Jahre neu mit dem Land Baden-Württemberg
im Hinblick auf die Haushaltsjahre 1999 folgende abzu-
stimmen sind. Dies geschieht in engem Zusammenwir-
ken mit den Länderregierungen.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
Herr
Staatssekretär, Sie haben nachdrücklich auf das Problem
der Finanzlage beim Bundesfernstraßenbau gerade in
Baden-Württemberg hingewiesen. Bei Ihrem Besuch in
Freiburg haben Sie erklärt, daß Sie dem Projekt „Stadt-
tunnel Freiburg“ im Zuge der B 31 mit einem Finanzie-
rungsvolumen von zirka 400 bis 600 Millionen DM gute
Chancen einräumen, künftig in den vordringlichen Be-
darf – bisher steht das Projekt im weiteren Bedarf – auf-
genommen zu werden. Heißt dies, daß Projekte in Ba-
den-Württemberg die bisher im vordringlichen Bedarf
standen, zumindest in einer Größenordnung von 400 bis
600 Millionen DM – wenn nicht mehr – aus dem vor-
dringlichen Bedarf Straßenbau im Bundesverkehrswe-
geplan herausfallen werden?
L
Nein,
Herr Kollege Weiß, das können Sie daraus überhaupt
nicht schließen. Zunächst einmal ist die Entscheidung
über die Dringlichkeit von Projekten Sache des Parla-
mentes. Die Bundesregierung folgt hier dem gesetzli-
chen Auftrag.
Weiterhin habe ich in Freiburg erklärt, daß die Bun-
desregierung bereit ist, den Planungsprozeß für die Tun-
nelstrecke in Freiburg jetzt mit zu genehmigen, weil die
Gesamtmaßnahme nur im Zusammenhang geplant und
bewertet werden kann, auch vom Parlament. Es geht
darum, die Voraussetzung dafür zu schaffen, aus den
drei Varianten, die gegenwärtig zur Debatte stehen,
durch einen unmittelbaren Planungsprozeß vor Ort die
Variante herauszufiltern, die als die ortsverträglichste
und unter städtebaulichen Gesichtspunkten als qualitativ
hochwertigste anerkannt werden kann. Erst dann wird
auch das Parlament in der Lage sein, zu entscheiden, auf
welche Art und Weise dieses Projekt im Ausbauplan für
die Bundesfernstraßen verankert wird.
Wir haben ausdrücklich erklärt – übrigens auch im
Einvernehmen mit der Landesregierung von Baden-
Württemberg –, daß wir der Auffassung sind, daß eine
so wichtige Maßnahme im Gesamtrahmen des Bundes-
fernstraßenbaus nicht an einer einzelnen Stelle durch ei-
ne reine Verzögerung des Planungsprozesses aufgehal-
ten werden kann, weil die Abschnitte, die von Westen
und Osten zum Tunnel führen, Teil des vordringlichen
Bedarfs sind. Diese Dringlichkeit hat das Parlament
festgestellt. Danach handeln wir.
Eine Zusatzfrage
der Abgeordneten Ostrowski.
Herr Staatssekretär, ich
habe gehört, daß ein Vorhaben für die Einordnung in
den vordringlichen Bedarf bis jetzt ein Nutzen-Kosten-
Verhältnis von mindestens 3 : 1 haben muß. Ich frage
Sie: Trifft diese Ziffer zu? Wenn diese Ziffer zutrifft:
Bedeutet sie, daß Projekte, deren Nutzen-Kosten-
Verhältnis bei einer Überprüfung unter den Wert 3 : 1
fällt, aus dem vordringlichen Bedarf gestrichen werden?
L
Frau
Kollegin, der Gesetzgeber hat im Gesetz keine feste
Vorgabe in Form eines Nutzen-Kosten-Verhältnisses
getroffen. Das Verhältnis von 3 : 1, das Sie hier ange-
sprochen haben, ist vielmehr das Ergebnis einer Berech-
nung im Zuge der Festlegung des letzten Ausbauplanes
für die Bundesfernstraßen. In diesem Zusammenhang
schieden alle Maßnahmen mit einem Nutzen-Kosten-
Parl. Staatssekretär Lothar Ibrügger
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 763
(C)
(D)
Verhältnis unter 3 : 2 aus dem vordringlichen Bedarf
aus. Alle Maßnahmen mit einem Nutzen-Kosten-
Verhälntis besser als 3 : 1 blieben im vordringlichen Be-
darf.
Die Entscheidung über die Dringlichkeit einer Maß-
nahme – ich wiederhole es – liegt ausschließlich in der
Verantwortung des Parlamentes, unabhängig davon, ob
ein Verhältnis von 3 : 1 oder 2 : 1 erreicht wird. Ich be-
tone aber: Jedes Projekt muß am Ende bezüglich seines
Nutzen-Kosten-Verhältnisses gerechtfertigt werden.
Sonst ist die Ausgabe der Steuergelder nicht zu verant-
worten.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Thomas Dörflinger.
Herr Staatssekre-
tär, interpretiere ich Ihre Antwort richtig, die Sie dem
Kollegen Weiß auf die Frage bezüglich des Stadttunnels
der B 31 in Freiburg und der Verbindung nach Osten
und Westen gaben, indem ich sage, daß die Bundesre-
gierung mit besonderem Nachdruck den Ausbau der Be-
reiche vorantreiben möchte, die östlich von Freiburg,
nämlich in Richtung Donaueschingen, liegen?
L
Herr
Kollege, ich wiederhole für die Bundesregierung: Bei
allen Maßnahmen, deren Planung als vordringlicher Be-
darf der Gesetzgeber der Bundesregierung und den Län-
dern auferlegt hat, werden die Arbeiten ohne Einschrän-
kung durchgeführt. Nur: Die Umsetzung solcher Pro-
jekte, das heißt: die Finanzierung, orientiert sich gemäß
der Bundeshaushaltsordnung und des Haushaltsgesetzes
jeweils an den jährlich zur Verfügung stehenden Mit-
teln, die im Zusammenwirken mit den Ländern auf die
Projekte umgelegt werden.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Dorothea Störr-Ritter.
Herr Staatsse-
kretär, Sie haben heute gesagt – so stand es auch in der
„BZ“ vom 6. November –, daß unter dem jetzigen Etat
allenfalls die aktuellen Vorhaben bis zum Jahr 2024
realisierbar wären. Gedenkt die Bundesregierung des-
halb, den Etat für aktuelle Straßenbauvorhaben zukünf-
tig zu erhöhen?
L
Diese
Erhöhung liegt in der Verantwortung des Parlamentes,
das den Bundeshaushalt beschließt. Die Länder und der
Bund stimmen darin überein, daß allein der Aufwand für
die Unterhaltung der Bundesfernstraßen eine Größen-
ordnung annimmt, die Anlaß zu der Befürchtung gibt,
daß mit den noch zur Verfügung stehenden Mitteln
Neubaumaßnahmen nicht angemessen finanziert werden
können.
Die Bundesregierung kann nicht von sich aus sagen,
daß die Mittel massiv erhöht werden. Wenn Sie die Re-
striktionen des Bundeshaushaltes betrachten – diese
kennen Sie ja selbst aus der Vergangenheit; ein Viertel
des Etats muß für Zinszahlungen aufgewendet werden –,
dann kommen Sie zu dem Schluß, daß es gegenüber
dem Steuerzahler unverantwortlich wäre, Projekte in
Gang zu setzen, die am Ende nicht solide finanziert
werden können.
Deswegen muß jedes Projekt auf den Prüfstand. Dies
erfordern schon unsere Bundeshaushaltsordnung und das
Gesetz über den Ausbauplan für die Bundesfernstraßen.
In diesem Sinne wird die Bundesregierung Bericht er-
statten. Das Parlament wird dann die Entscheidung tref-
fen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Peter Dreßen.
Herr Staatssekretär, wird die
neue Bundesregierung ähnliche Entscheidungen wie die
alte Bundesregierung treffen und Straßenbaumaßnah-
men anfangen, um sie dann jahrelang liegenzulassen?
Die Frage des Kollegen Dörflinger ging ja dahin, daß in
Döggingen bereits vor Jahren ein Tunnel gebaut worden
ist, aber vergessen worden ist, eine Brücke zu bauen.
Die Bürger sind natürlich verärgert, wenn Straßenbau-
maßnahmen begonnen und aus finanziellen Gründen
nicht fortgesetzt werden. Wird die Bundesregierung we-
nigstens dafür sorgen, daß begonnene Maßnahmen eini-
germaßen zügig fertiggestellt werden?
L
Herr
Kollege Dreßen, die Bundesregierung nimmt Ihre In-
formation mit Interesse zur Kenntnis. Uns treibt sicher-
lich gemeinschaftlich um, daß der Vorrang für den Bau
von Ortsumgehungen zur Entlastung der Ortschaften
von Lärm, Abgasen und Erschütterungen eine Zielrich-
tung des Parlaments war. In diesem Sinne wird die Bun-
desregierung weiterhin handeln.
Ich rufe die Fra-
ge 20 des Abgeordneten Dr. Klaus Rose auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Chancen der Eisen-bahnstrecken Nürnberg–München–Salzburg–Wien bzw. Nürn-berg–Regensburg–Passau–Wien, im nächsten Jahrhundert ICE-Hauptstrecken zu werden?
Herr Staatssekretär Ibrügger, bitte.
L
Herr
Kollege Dr. Rose, Anliegen der Bundesregierung ist es,
mit Österreich wie mit den anderen Nachbarländern
auch eine Ressortvereinbarung zur Attraktivitätsverbes-
serung und zur Sicherung der Leistungsfähigkeit des
grenzüberschreitenden Schienennetzes zu treffen. Eine
Parl. Staatssekretär Lothar Ibrügger
764 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
bilaterale Arbeitsgruppe aus Vertretern der Verkehrsmi-
nisterien und Bahnen beider Länder hat hierzu entspre-
chende verkehrliche und wirtschaftliche Untersuchun-
gen durchgeführt und Vorschläge erarbeitet, die auch die
beiden angesprochenen länderübergreifenden Eisen-
bahnstrecken Nürnberg–Regensburg–Passau–Wien und
München–Salzburg–Wien betreffen. Auf dieser Basis
wird zur Zeit eine Ressortvereinbarung vorbereitet.
Unter Einrechnung notwendiger Abstimmungen wird
eine Unterzeichnung durch die Verkehrsminister beider
Länder für etwa Mitte des nächsten Jahres eingeplant.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß die in dieser
Frage eigenverantwortlich entscheidenden Eisenbahnge-
sellschaften die Strecken mit Zügen in ICE-Qualität nut-
zen werden. Ein Schritt in diese Richtung ist schon der
Einsatz eines ICE der Deutschen Bahn AG in der Rela-
tion Hamburg–Nürnberg–Wien und Gegenrichtung.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
Ihrer Antwort entnehme ich, daß die Bahnlinie Nürn-
berg–Passau–Wien nach wie vor nicht einer Rückstu-
fung anheimfallen soll, sondern nach Auffassung der
Bundesregierung eine internationale ICE-Strecke bleibt.
L
Ich
biete Ihnen an, Ihnen die Ergebnisse der angesprochenen
Arbeitsgruppe, die zur Zeit zusammengestellt werden,
an die Hand zu geben. Jetzt kommt es darauf an, auch
auf die beteiligten Bundesländer zuzugehen und die Er-
gebnisse der Arbeitsgruppe mit den Ländern, also auch
mit dem Freistaat Bayern, zu erörtern. In dem Zeitplan
zum Ressortabkommen sind all die Punkte, die Sie gera-
de angesprochen haben, enthalten: Information des Frei-
staates Bayern auf Arbeitsebene, Verständigung über
das weitere Vorgehen und Sicherstellung des Mittragens
der Inhalte des Ressortabkommens durch die Bahnen
beider Länder. In diesem Zusammenhang wird auch die
Strecke, die Sie angesprochen haben, weiter zu erörtern
sein.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Herr Staatssekretär,
sind Sie mit mir der Meinung, daß Meldungen, wie sie
zum Beispiel in der österreichischen Bahnzeitschrift
„Eisenbahn Österreich“ zu lesen sind, aber auch Äuße-
rungen, wie sie von der Eisenbahnergewerkschaft bei-
spielsweise im Raum Passau/Plattling vertreten werden,
nämlich daß die Strecke Nürnberg–Regensburg–Passau
in eine Regionalbahn – die Österreicher sprechen von
einer „Franz-Joseph-Bahn“ – umgewandelt werden soll,
Falschmeldungen und Kassandrarufe sind?
L
Herr
Kollege Dr. Rose, der Deutsche Bundestag hat einmütig
die Bahnreform beschlossen. Die Ausgestaltung des An-
gebotes auf den Schienenstrecken obliegt einzig und al-
lein der unternehmerischen Verantwortung der beteilig-
ten Bahnen. Die Meldungen und Äußerungen, die Sie
gerade zitiert haben, sind der Bundesregierung nicht be-
kannt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich sie bekommen
könnte, um darauf gegebenenfalls reagieren zu können.
Ich rufe die Fra-
ge 21 des Abgeordneten Dr. Klaus Rose auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, das Eisenbahnvermögen,vor allem die Immobilien, zu 51 Prozent im Bundesbesitz zubelassen, und welche Auskunft kann die Bundesregierung zuden Konditionen und den Bietern hinsichtlich des Verkaufs derrestlichen 49 Prozent der Gesellschaftsanteile am Bundeseisen-bahnvermögen geben?
L
Herr
Kollege Dr. Rose, der Bundesminister für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen ist darum bemüht, so rasch wie
möglich eine Lösung für die Veräußerung der Anteile
des Bundeseisenbahnvermögens an den 18 Eisenbahn-
wohnungsgesellschaften mit insgesamt rund 112 000
Wohnungen vorzulegen.
Dabei steht im Vordergrund, daß die gesetzlich veran-
kerte Wohnungfürsorge garantiert wird.
Herr Rose, Ihre Zu-
satzfrage bitte.
Herr Staatssekretär,
diese Auskunft ist wunderbar. Damit wird fortgesetzt,
was vorherige Bundesregierungen getan haben. Sind Sie
der Meinung, daß dies im besten Sinne des Wortes eine
Kontinuität ist, und sind Sie mit mir auch der Meinung,
daß die Bieter, die an den möglichen 49 Prozent der Ge-
sellschaftsanteile teilhaben, als seriöse Unternehmen
und nicht als mieterschädigende Immobilienhaie be-
zeichnet werden sollten?
L
Herr
Kollege Dr. Rose, an Bewertungen bzw. Beurteilungen
dieser Art beteiligt sich die Bundesregierung nicht. Im
Zusammenhang mit der Veräußerung der Gesellschafts-
anteile an der Eisenbahnwohnungsgesellschaft muß ich
aber daran erinnern, daß die Bundesregierung, die bis
zum 27. Oktober dieses Jahres in der Verantwortung
war, bei den Verkaufsverhandlungen damit konfrontiert
wurde, daß der Hauptpersonalrat beim Präsidenten des
Bundeseisenbahnvermögens der von der alten Bundes-
regierung vorgeschlagenen und beabsichtigten Art des
Verkaufes nicht zugestimmt hat. Damit war dieser Ver-
kauf gescheitert.
Wir wollen ein solches Ergebnis nicht erzielen, son-
dern im Einvernehmen mit dem Hauptpersonalrat beim
Parl. Staatssekretär Lothar Ibrügger
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 765
(C)
(D)
Präsidenten des Bundeseisenbahnvermögens dafür Sor-
ge tragen, daß sozialverträgliche Wege beschritten wer-
den und daß die benötigten Wohnungen für Wohnungs-
fürsorgezwecke dauerhaft gesichert werden. Gleichzeitig
wollen wir aber auch das haushaltspolitische Ziel errei-
chen – dies war bereits Absicht der alten Bundesregie-
rung –, Haushaltsmittel auch für das Eisenbahnvermö-
gen freizusetzen.
Noch eine Zusatz-
frage, bitte.
Herr Staatssekretär,
sind Sie der Meinung, daß die von Ihnen apostrophierte
Sozialverträglichkeit, die aus meiner Sicht wertvoll ist,
nur erreicht werden kann, wenn 51 Prozent des Bundes-
eisenbahnvermögens im Besitz des Bundes bleiben?
L
Herr
Kollege Dr. Rose, dies kann zum gegenwärtigen Zeit-
punkt nicht in dieser Art und Weise beantwortet werden,
weil die Überprüfungen und Gespräche gegenwärtig
noch andauern.
Eine Zusatzfrage,
bitte sehr, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär,
können Sie die Sicherung der Wohnungsfürsorge, von
der Sie soeben gesprochen haben, vielleicht noch etwas
konkretisieren? Das heißt, welche konkreten Ziele zur
Sicherung der Wohnungsfürsorge haben Sie? Denn das,
was man immer wieder hört, ist sehr allgemein. Ich
möchte dies gerne untermauert haben.
L
Frau
Kollegin, Ausgangspunkt der Antwort der Bundesregie-
rung war die Frage des Kollegen Dr. Rose. Sie bezog
sich ausdrücklich auf das Eisenbahnvermögen bzw. auf
die 112 000 Wohnungen der Eisenbahnwohnungsgesell-
schaften. Ich darf Ihnen aber versichern: Wir suchen ei-
ne sozialverträgliche Lösung, die den Zweck der benö-
tigten Wohnungen dauerhaft sicherstellt.
Im übrigen haben wir dies in der Koalitionsvereinba-
rung geregelt. Ich darf daraus zitieren:
Bei der Privatisierung bundeseigener Wohnungsbe-
stände gehen wir sozialverträgliche Wege, wie
Kaufangebote an Kommunen und Länder, Ge-
nossenschaftsgründungen, Mieterprivatisierung zur
Vermögensbildung und Altersvorsorge oder Erhalt
einzelner Gesellschaften bei größerer Wirtschaft-
lichkeit.
Dies ist die Leitlinie der Bundesregierung, die sich
allerdings nur aus der Beantwortung der Frage des Kol-
legen Dr. Rose ableiten läßt, die aber nicht unmittelbar
Gegenstand der Frage war, die er der Bundesregierung
gestellt hat.
Noch eine Zusatz-
frage? – Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich
habe sehr wohl verstanden, wonach Kollege Rose ge-
fragt hat. Aber da Sie in Ihrer Antwort auf seine Frage
auf die Wohnungsfürsorge eingingen, habe ich noch
einmal nachgefragt.
Ich kenne den diesbezüglichen Passus aus der Koali-
tionsvereinbarung durchaus. Mir ging es darum, daß Sie
vielleicht etwas Konkreteres sagen könnten über das
hinaus, was ich allgemein sowieso schon weiß. Wenn
Sie dies nicht können, ist das auch gut.
L
Na-
türlich können wir das, Frau Kollegin, nur nicht in dieser
Sekunde. Wir werden Ihnen auf Ihre Frage hier in der
Fragestunde gerne unmittelbar, aber schriftlich eine
Antwort geben, wenn Sie damit einverstanden sind.
Meine Damen und
Herren, ich bekenne, daß ich eine Zusatzfrage mehr zu-
gelassen habe, als ich durfte. Ich bitte um Nachsicht.
Wir kommen nun zur Frage 22 des Abgeordneten
Beabsichtigt die Bundesregierung, das Verkehrsprojekt„Deutsche Einheit“ Nr. 8 (ICE-Neubaustrecke Nürn-burg–Erfurt–Leizig–Berlin) in demselben Zeitraum und auf dervorgesehenen Trasse fortzuführen und fertigzustellen, wie esvon der vorangegangenen Bundesregierung vorgegeben wurde,und, wenn ja, ist sie dann bereit, sich ohne Einschränkung vonder in den Anträgen der Fraktion der SPD (Drucksache 13/7081)und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache13/4139) enthaltenen Ablehnung des VDE-Projektes Nr. 8 zu di-stanzieren?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Scheffler zur Verfügung. – Bitte sehr, Herr
Scheffler.
S
Lieber Kollege Otto, durch die Bundesregierung wird
derzeit gemäß Bundesschienenwegausbaugesetz der Be-
darfsplan Schiene überprüft. Wie ich heute schon mehr-
fach ausgeführt habe, sind in diese Überprüfung natür-
lich Teile der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ und
im konkreten Fall das Verkehrsprojekt „Deutsche Ein-
heit“ Nr. 8 einbezogen. Die ersten Auswertungen der
Ergebnisse lassen schon erkennen, daß das Verkehrs-
projekt „Deutsche Einheit“ weiterhin als vordringlicher
Bedarf bestätigt werden kann. Endgültige Aussagen –
das werden Sie auch auf Grund der von mir vorhin
etwas detaillierter gemachten Äußerungen verstehen –
werden erst nach Vorlage der Ergebnisse der Bedarfs-
planüberprüfung im Frühjahr 1999 möglich sein.
Parl. Staatssekretär Lothar Ibrügger
766 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
Die in der Koalitionsvereinbarung genannten Prüfungen
von Alternativen zu den bisherigen Planungen der Vor-
haben, der sogenannten Mitte-Deutschland-Linie und
der sogenannten Franken-Sachsen-Magistrale, werden
dabei ebenfalls Berücksichtigung finden.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte.
Herr Staatsse-
kretär, Ihren Worten und den vorangegangenen Worten
v
grünes Licht für das Verkehrsprojekt Nr. 8,
insbesondere die Strecke Erfurt-Nürnberg. Vor diesem
Hintergrund frage ich: Sind Sie dann auch gewillt, zur
kontinuierlichen Fortführung dieses Projektes im Früh-
jahr nächsten Jahres die Vereinbarung für die Folgefi-
nanzierung abzuschließen, damit es zu keiner Unterbre-
chung in der Durchführung dieses Projektes kommt?
S
Was die Durchführung betrifft, muß ich sagen: Sie wis-
sen, daß die vergebenen Bauaufträge – wie es auch der
zuständige Minister gesagt hat; aber auch die gesamte
Bundesregierung bekennt sich grundsätzlich dazu –
weitergeführt werden. Das schließt natürlich nicht aus,
daß das Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ insgesamt
überprüft wird, daß auch Alternativen geprüft werden.
Insofern kann auf die von Ihnen gestellte Frage heute
keine endgültige Antwort gegeben werden. Wir werden
Ihnen unsere Antwort hierzu dann, wenn die Überprü-
fung im Frühjahr 1999 erfolgt sein wird, geben.
Eine weitere Zusatz-
frage, Herr Kollege Otto.
Ich kann also
feststellen: Es gibt keine absolute Sicherheit für die
kontinuierliche Fortführung dieses Projektes, da die Prü-
fung noch nicht abgeschlossen ist.
S
So
kann ich Ihnen das nicht bestätigen. Ich sage Ihnen: Das
Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ wird wegen der
Priorität für den Aufbau Ost und natürlich auch aus
Gründen der Verkehrsinfrastruktur weitergeführt wer-
den. Das schließt nicht aus, daß entsprechende Alterna-
tiven geprüft werden.
Frau Lengsfeld, eine
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
Sie haben uns jetzt alles und nichts versprochen. Des-
wegen frage ich noch einmal nach: Werden denn durch
die Prüfungen, die nach Ihren eigenen Aussagen bis zum
Frühjahr 1999 dauern sollen, die Bauvorhaben dieser
Strecke gefährdet oder nicht?
S
Was die Termine oder die Bauvorhaben betrifft – ohne
jetzt in die Diskussion einzelner Bauabschnitte oder ein-
zelner Projekte, ob 8.1 oder 8.2, einzusteigen –, kann ich
Ihnen sagen: Insgesamt steht die Bundesregierung nach
wie vor zum Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ und zu
dem, was dort als vordringlicher Bedarf bezeichnet wird.
Das stellt die Bundesregierung ja überhaupt nicht in
Frage. Aber Sie werden verstehen, daß im Rahmen der
Überprüfung nach dem Schienenwegeausbaugesetz Al-
ternativen geprüft werden, die sowohl von Gutachtern
als auch von der Deutschen Bahn AG, also aus dem ei-
genen Hause, kommen, und es wird dann eine endgülti-
ge Beschlußfassung im Frühjahr 1999 geben.
Ich darf an dieser Stelle noch einmal daran erinnern,
daß die Prüfung von Alternativen das prognostizierte
Verkehrsaufkommen, Reisegeschwindigkeiten, Fahr-
zeiten, Umweltverträglichkeit, Investitionskosten be-
rücksichtigt. Angesichts dessen werden Sie verstehen,
daß man das, was in der Koalitionsvereinbarung vom
20. Oktober steht, natürlich nicht in vier oder acht Wo-
chen abschließend beurteilen kann.
Frau Kollegin, Sie
dürfen keine weitere Zusatzfrage stellen. Nur der Frage-
steller darf zwei Zusatzfragen stellen. Das habe ich vor-
hin schon falsch gemacht; das mache ich nicht noch
einmal.
Jetzt kommen wir zur Frage 23 des Kollegen Norbert
Sieht die Bundesregierung bei einer Ablehnung des Baus derICE-Trasse über Erfurt oder einer Änderung derStreckenführung, die dann nicht mehr die Thüringer Landes-hauptstadt einschließt, einen Widerspruch zu den Aussagen vonBundesminister Franz Müntefering, der in der Aussprache zurRegierungserklärung am 12. November 1998 sowie am18. November 1998 im Ausschuß für Verkehr, Bau- und Woh-nungswesen eine zügige Fortführung der Verkehrsprojekte„Deutsche Einheit“ in Aussicht gestellt hat?
Herr Staatssekretär, bitte.
S
Kollege Norbert Otto, bei den Infrastrukturinvestitionen
wird, wie ich bereits ausgeführt habe, den Verkehrspro-
jekten „Deutsche Einheit“ seitens der Bundesregierung
nach wie vor Vorrang eingeräumt. Das steht überhaupt
nicht im Widerspruch zur Prüfung von Abschnitten des
Verkehrsprojektes „Deutsche Einheit“ Nr. 8, zumal sie
sich im Eisenbahnkorridor der zu überprüfenden Pla-
nung von Vorhaben gemäß der Koalitionsvereinbarung
befinden.
Da ich Ihre Sorgen, Kollege Otto, aus vielen Gesprä-
chen, auch im Verkehrsausschuß, kenne und weiß, daß
Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 767
(C)
(D)
Sie Ihren Wahlkreis in Erfurt haben und hinter Ihrer
Fragestellung letztendlich die nicht ausgesprochene Fra-
ge der Anbindung Erfurts in einem zukünftigen ICE-
Konzept steht, will ich weiterführend sagen, daß Erfurt
nach wie vor – auch nach Überprüfung anderer Alterna-
tiven – eingebunden ist.
Ihre erste Zusatzfra-
ge, Herr Kollege, bitte.
Herr Staatsse-
kretär, ich bedanke mich für Ihr Engagement für meine
Heimatstadt Erfurt. Ich denke, die Stadt ist es wert.
Ist Ihnen die Verlautbarung des Herrn Abgeordneten
Rezzo Schlauch bekannt, der laut „Leipziger Volkszei-
tung“ vom 28. November 1998 gesagt hat,
die Trassenführung über Erfurt sei vom Tisch, es beste-
he weitestgehend Einigkeit mit Herrn Müntefering, daß
die Trasse über das Vogtland geführt werde? Nun haben
wir uns vorhin von Herrn Staatsminister Volmer beleh-
ren lassen müssen, daß man sowohl als Abgeordneter als
auch als Mitglied der Regierung sprechen kann. Wie be-
urteilen Sie die Aussage von Herrn Schlauch? Vielleicht
hat er dies als Bürger und nicht als Fraktionsvorsitzen-
der Ihres Koalitionspartners gesagt. Klassifizieren auch
Sie das als Unsinn, oder hat die Aussage des Fraktions-
vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, daß die ICE-
Trasse des Projektes Nr. 8 über das Vogtland geführt
wird, irgendeine Substanz?
S
Mir liegt natürlich der Artikel der „Leipziger Volkszei-
tung“ vor. Nach dieser Pressemeldung gab es Rückspra-
chen sowohl mit dem zuständigen Minister als auch mit
dem von Ihnen zitierten Fraktionsvorsitzenden, unserem
Kollegen Schlauch. Es gibt zwischen den Fraktionen des
Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD keine anderen
Vereinbarungen als die, die in der Koalitionsvereinba-
rung stehen.
Im übrigen bin ich berechtigt, hier zu sagen, daß der
Kollege Schlauch von der Presse falsch zitiert wurde.
Infolgedessen gibt es auch keine Vereinbarung zwischen
Herrn Minister Müntefering und Herrn Schlauch.
Eine weitere Zusatz-
frage der Kollegin Lengsfeld, bitte.
Herr Staatssekretär,
Sie haben uns ja eben versichert, daß Erfurt trotz Prü-
fung aller Alternativen auf jeden Fall in der Planung
bleibt. Allerdings muß ich gestehen, daß ich nicht richtig
verstehe, wo Erfurt bleibt, wenn – die Prüfung soll ja er-
gebnisoffen sein – man sich für eine Alternativstrecke
entscheiden würde. Aber lassen wir das beiseite.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Verkehrs-
wegeplanungsbeschleunigungsgesetz im nächsten Jahr
ausläuft und alle neuen Planungen einen ungleich länge-
ren Zeitraum in Anspruch nehmen würden?
S
Das ist selbstverständlich nicht nur der Bundesregierung
bekannt. Ich selbst war in der letzten Legislaturperiode
Berichterstatter meiner Fraktion für die Verkehrspro-
jekte in den neuen Bundesländern.
Das hat überhaupt nichts mit der konkreten Feststel-
lung zu tun, daß die Bundesregierung die Überprüfung
von Alternativen bis zum Frühjahr 1999 vereinbart hat.
Es schließt auch nicht aus, daß im Rahmen des Pla-
nungsbeschleunigungsgesetzes die Aufträge des Ver-
kehrsprojektes „Deutsche Einheit“ wie vorgesehen fort-
gesetzt werden können.
Herr Staatssekretär, ich konnte
Ihrer Antwort eben entnehmen, daß die Stadt Erfurt als
ICE-Haltepunkt vorgesehen ist. Ich weiß, daß zum Bei-
spiel auch eine Metropole wie Montabaur ICE-
Haltepunkt ist – nichts gegen Montabaur. Die Stadt Hei-
delberg hingegen, die touristisch und wissenschaftlich
nicht ganz unbekannt und unbedeutend ist, soll als ICE-
Haltepunkt wegfallen. Können Sie mir erklären, nach
welchen Kriterien die ICE-Haltepunkte festgelegt wer-
den?
S
Ich
habe nicht festgestellt, daß die Stadt Erfurt auf jeden
Fall ICE-Haltepunkt wird, sondern ich habe gesagt – das
können Sie im Protokoll nachlesen –, daß die Stadt Er-
furt bei entsprechenden alternativen Korridoren auch
eingebunden ist. Das ist eine ganz andere Lesart.
Zu Projekten von einzelnen Städten, Kommunen und
Gemeinden kann ich mich zum jetzigen Zeitpunkt na-
türlich nicht konkret äußern. Wir beide müssen uns ge-
dulden, bis die entsprechenden Gutachten und Exper-
tenmeinungen vorliegen und sich die Bundesregierung
im Frühjahr 1999 ein abschließendes Urteil gebildet hat.
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär Scheffler.
Wir kommen nun zu Frage 24 der Abgeordneten Do-
rothea Störr-Ritter:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für denweiteren Ausbau der Bahnstrecken in Baden-Württemberg ausdem Ergebnis der Volksabstimmung in der Schweiz vom29. November 1998, mit dem nunmehr definitiv die Finanzie-rung des neuen 57 km langen Gotthardtunnels und des neuen
Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler
768 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
36 km langen Lötschbergtunnels für den Schienenverkehr gesi-chert wurde, um von deutscher Seite her eine Verbesserung desAnschlusses für den alpenquerenden Güterverkehr auf derSchiene zu gewährleisten?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Ibrügger zur Verfügung. Bitte sehr, Herr Staats-
sekretär.
L
Frau
Kollegin Störr-Ritter, die Bundesregierung ist bei ihren
bisherigen Planungen immer davon ausgegangen, daß
die sogenannte neue Eisenbahn-Alpentransversale in der
Schweiz mit dem Basistunnel am Gotthard und
Lötschberg als Kernelement die Zustimmung der
schweizerischen Bevölkerung findet. Der Bundesmi-
nister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat schon
frühzeitig ein Abkommen mit der Schweiz zur Siche-
rung der Leistungsfähigkeit des nördlichen Zulaufs zu
dieser Alpentransversale geschlossen, das am 2. Juni
dieses Jahres in Kraft getreten ist.
Es sieht als wesentliche Maßnahme auf deutscher
Seite den Ausbau des Oberrheinkorridors Karlsruhe –
Freiburg – Basel vor. Neben dem derzeit ab-
schnittsweise im Bau befindlichen Streckenteil Karlsru-
he – Offenburg soll der Streckenzug Offenburg – Basel
bedarfsgerecht stufenweise ertüchtigt werden. Erste Stu-
fe ist die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der vorhan-
denen zweigleisigen Strecke durch den Einbau moderner
Betriebsleit- und Signaltechnik, die im Mai 1999 in Be-
trieb gehen soll. Für die zweite Stufe, den abschnittswei-
sen viergleisigen Ausbau zur Beseitigung kapazitiver
Engpässe, laufen die Planfeststellungsverfahren an. Die
dritte Stufe ist der durchgehende viergleisige Ausbau der
Strecke Offenburg – Basel im Hinblick auf die Vollaus-
lastung der neuen Eisenbahn-Alpentransversale.
Aus Sicht der Bundesregierung wird das Ergebnis der
Volksabstimmung in der Schweiz als Bestätigung der
bisherigen Verabredungen gesehen und ausdrücklich
begrüßt.
Frau Kollegin, eine
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatsse-
kretär, kann dann sichergestellt werden, daß der Ausbau
des dritten und vierten Gleises zwischen Offenburg und
Basel bis zum Jahr 2006 – dann soll der Lötschbergtun-
nel in Betrieb genommen werden – abgeschlossen ist?
L
Frau
Kollegin Störr-Ritter, der Ausbau der Schienenwege
richtet sich nach dem Schienenwegeausbaugesetz. Der
Bund beteiligt sich an den Kosten dieser Schienenwege
mit entsprechenden Baukostenzuschüssen.
Der Fertigstellungszeitpunkt orientiert sich natürlich
auch daran, ob rechtlich unanfechtbare Planungen vor-
liegen. Angesichts Ihres beruflichen Hintergrundes wer-
den Sie mir zustimmen, daß niemand mit Bestimmtheit
sagen kann, ob angefochtene Schienenausbauvorhaben
wirklich zu dem Zeitpunkt umgesetzt sein werden, zu
dem das Parlament ihre Fertigstellung erwartet. Deswe-
gen sehen Sie mir nach, daß ich heute keine Aussage
über einen bestimmten Fertigstellungszeitpunkt machen
kann. Dieser hängt von den dann rechtlich unanfechtba-
ren Planungen ab, die sich schließlich als Investitions-
entscheidungen im Bundeshaushalt niederschlagen.
Ihre zweite Zusatz-
frage, bitte sehr.
Herr Staatsse-
kretär, welche Chancen sieht die Bundesregierung in-
nerhalb welcher Zeit, weitere Zulaufstrecken innerhalb
Baden-Württembergs zur Alpenüberquerung anzubin-
den? Ich denke an die Gäubahn oder an die Südbahn.
L
Frau
Kollegin Störr-Ritter, wir werden im federführenden
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen am
25. Januar 1999 den Schienenwegeausbaubericht der
Bundesregierung erörtern. Ich möchte Sie bitten, diese
Fragestellung dann in die parlamentarischen Beratungen
mit einzubringen.
Ich kann gegenwärtig nur Aussagen zu den auch uns
gesetzlich bindenden Vorgaben des Schienenwegeaus-
baugesetzes machen.
Eine weitere Frage
des Kollegen Wiese, bitte sehr.
Herr Staatsse-
kretär, wie bewerten Sie vor dem Hintergrund der
Schweizer Entscheidung die Bemühungen bei uns im
Bodenseeraum, in der Region Ulm-Bodensee-
Oberschwaben, eine weitere Alpentransversale für die
Zukunft anzustreben, nämlich den Splügen-Basistunnel?
Sie kennen mit Sicherheit die Diskussion, die seit 20
Jahren läuft, daß man davon ausgehen muß, daß auch
mit dem Ausbau vom Gotthardtunnel und vom
Lötschbergtunnel die Alpentransversale Splügen nicht
für alle Zeiten aus der Diskussion verschwindet.
Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Bemü-
hungen des Landes Baden-Württemberg – das kann man
in der Regierungserklärung von Ministerpräsident Teu-
fel nachlesen –, die Strecke Ulm – Friedrichshafen –
Lindau zu elektrifizieren, um besser an die neuen Al-
pentransversalen heranzukommen?
L
Herr
Kollege, die Bundesregierung kann zum heutigen Zeit-
punkt zu der von Ihnen aufgeworfenen Frage keine ab-
schließende Bewertung vortragen. Dies beruht auf Er-
wägungen, die vorrangig hier im Parlament selbst zu
treffen sind, vor allem auch im Zusammenwirken mit
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 769
(C)
(D)
unseren Nachbarstaaten, die den Alpentransit zu ge-
währleisten haben.
Die Bundesregierung ist über das Ergebnis der
Volksabstimmung in der Schweiz hocherfreut. Dies ist
aus unserer Sicht eine historische Entscheidung für die
Verkehrsmagistralen durch die Alpen innerhalb der Eu-
ropäischen Union.
Ob und in welcher Weise sich weitere wirklich be-
grüßenswerte und denkbare Alternativen an Alpenque-
rungen ergeben, muß der Planungsprozeß in der Zukunft
zeigen. Dazu gehören insbesondere die Abstimmungen
und Überlegungen über den weiteren Ausbau des Schie-
nennetzes in der Bundesrepublik Deutschland.
Sie haben leider kei-
ne weitere Zusatzfrage.
Der Kollege Weiß hat eine weitere Frage, bitte.
Herr
Staatssekretär, in der Antwort auf die Frage der Kollegin
Störr-Ritter haben Sie auf die drei Stufen für den Aus-
bau der Rheintalstrecke zwischen Offenburg und Basel
hingewiesen. Die Deutsche Bahn AG hat mitgeteilt, daß
sie derzeit die Planunterlagen aktualisiert und das Plan-
feststellungsverfahren für diesen Streckenabschnitt Ende
1999 einleiten will.
Ist denn die Bundesregierung unbeschadet der Un-
wägbarkeiten, die sich in einem Planfeststellungsverfah-
ren noch ergeben können, bereit, darauf zu drängen, daß
der durchgehende vierspurige Ausbau der Rheintalbahn
von Offenburg bis Basel bis zum Jahre 2006, wenn der
Lötschbergtunnel in Betrieb gehen soll, erfolgt, und wird
sie in Gesprächen mit der Schweiz auch darauf drängen,
daß die innerschweizerischen Zulaufstrecken zu den
neuen Schienentunneln bis dahin fertiggestellt sind?
L
Herr
Kollege, die Bundesregierung ist wie bei allen anderen
Schienenprojekten im Schienenwegenetz der Bundesre-
publik Deutschland vor allem mit Blick auf unsere
Nachbarländer daran interessiert, daß die Grenzen ihren
trennenden Charakter für den Güter- und Personentrans-
port mit der Eisenbahn verlieren. Die Inkompatibilität
der Systeme, die Unvereinbarkeit bei der Signaltechnik
und vieles andere mehr beschweren uns in besonderer
Weise.
Deswegen wird die Bundesregierung alles in ihren
Kräften Stehende tun, um gemeinschaftlich mit unseren
Nachbarn den Ausbau der Schienenwege voranzutrei-
ben. Dazu gehört in besonderer Weise wegen dieser
auch historischen Entscheidung in der Schweiz der Aus-
bau der Schienenstrecken in Richtung Süden innerhalb
der Europäischen Union. Dies schließt die von Ihnen
genannten Strecken ein.
Wir kommen nun
zur Frage 25 der Abgeordneten Dorothea Störr-Ritter:
Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung, umfür Straßengüterverkehr aus den Niederlanden und Nord-deutschland, der zur Alpenquerung die schweizerischen Schie-nenstrecken nutzen will, bereits außerhalb Baden-Württembergsbzw. im jeweiligen Heimatland Umschlaganlagen von der Stra-ße auf die Schiene einzurichten bzw. auf deren Einrichtung hin-zuwirken?
Zur Beantwortung steht auch hier der Staatssekretär
Ibrügger zur Verfügung. Bitte sehr.
L
Frau
Kollegin Störr-Ritter, die Bundesregierung fördert den
Bau von Umschlaganlagen des kombinierten Verkehrs.
Diese Förderung bezieht sich auf den Bau und Ausbau
von öffentlichen Umschlaganlagen des kombinierten
Verkehrs und kann auch von Dritten beantragt werden.
Insbesondere Grunderwerb, Infrastrukturmaßnahmen,
Gebäude und Umschlaggeräte werden bei Dritten zu-
mindest zu 20 Prozent als zinsloses Darlehen und zu
maximal 80 Prozent als Baukostenzuschuß gefördert.
Die Deutsche Bahn AG erhält 100 Prozent als Bauko-
stenzuschuß.
Mit der niederländischen Seite werden intensive Ge-
spräche über die Verlagerung der Verkehre auf die um-
weltfreundlichen Verkehrsträger Schiene und Binnen-
schiff geführt, wobei bereits jetzt günstige und gut ge-
nutzte Verbindungen mit dem Zug im unbegleiteten
kombinierten Verkehr von Rotterdam, Duisburg und
Köln nach Italien bestehen, die mit Ganzzugverbindun-
gen bedient werden und so eine attraktive Nutzung bie-
ten.
Zur Zeit werden die für den Alpentransit besonders
wichtigen Umschlaganlagen in Köln-Eifeltor, Karlsruhe
und Mannheim, insbesondere bei der BASF, in erhebli-
chem Umfang gefördert. Der Bau von Umschlaganlagen
des kombinierten Verkehrs wird in Zukunft in noch grö-
ßerem Umfang als bisher gefördert, um das Ziel einer
spürbaren Entlastung der Straße zu erreichen.
Eine Zusatzfrage,
bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Staatsse-
kretär, wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang das
Ansinnen auch von Vertretern östlich gelegener Ge-
meinden – wenn man es einmal von der Oberrheinschie-
ne aus betrachtet –, im Bereich Ulm/Stuttgart bessere
Voraussetzungen mit Güterbahnhöfen zu schaffen, um
in der Zukunft den alpenquerenden Güterverkehr zu be-
wältigen? Sie wissen – ich gehe davon aus, daß Sie das
so sehen –, daß gerade die Lombardei sowie die Bun-
desländer Baden-Württemberg und Bayern die wirt-
schaftlichen Triebfedern im Herzen Europas sind und
daß gerade unter diesem Gesichtspunkt die notwendigen
Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen, da-
mit nicht die gleiche Nadelöhrsituation in den Alpen
entsteht wie am Ende der A 7 bei Bregenz. Wie bewer-
ten Sie diese Perspektive?
Parl. Staatssekretär Lothar Ibrügger
770 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
L
Herr
Kollege, Nadelöhrsituationen wollen wir vermeiden, wo
es nur geht. Alle Anstrengungen der Bundesregierung
im Verkehrswesen sind darauf ausgerichtet, insgesamt
eine Verbesserung des Verkehrsnetzes zu erreichen. Die
Leistungsfähigkeit dieses Netzes kann nur gesteigert
werden, wenn die Knoten – dazu zählen wir die Um-
schlaganlagen des kombinierten Verkehrs – gestärkt
werden. In diesem Sinne teile ich Ihre Auffassung. Wo
immer wirtschaftliche und leistungsfähige Nachfrage
besteht, müssen auch die Initiativen der privaten verla-
denden Wirtschaft, der gewerblichen Wirtschaft, aber
auch der Deutschen Bahn AG unterstützt werden, um
mehr Güter auf die Schiene zu bekommen.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Weiß, bitte.
Herr
Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort auf die Frage des
Kollegen Wiese so verstehen, daß die Bundesregierung
auf die Deutsche Bahn AG so einwirken wird, daß sie
ihre bisherigen Planungen, den Schienengüterverkehr in
Richtung Schweiz auf der Rheintalstrecke zu konzen-
trieren, überdenkt und daß weitere Zulaufstrecken durch
Baden-Württemberg für eine Verteilung des Schienen-
güterverkehrs genauso gleichrangig geplant werden?
L
Herr
Kollege, ich möchte seitens der Bundesregierung noch
einmal darauf hinweisen, daß sich die Ausgestaltung des
Angebotes im Personen- und Güterverkehr mit der
Bahnreform grundsätzlich verändert hat. Das heißt, die
Deutsche Bahn und ihr Vorstand sind eigenverantwort-
lich tätig.
Die Bundesregierung hat dafür Sorge zu tragen, daß
der Zugang zum Netz der Schienenwege in der Bundes-
republik Deutschland für jedermann diskriminierungs-
frei gewährleistet wird. Deswegen wäre ein Drängen al-
lein bei der Deutsche Bahn AG aus der Sicht der Mit-
glieder ihres Aufsichtsrates und ihres Vorstands, soweit
sie für die Gestaltung des Angebotes verantwortlich
sind, sicherlich hilfreich. Aus der Sicht der Bundesregie-
rung muß ich Ihnen allerdings sagen: Für die Gestaltung
des Angebotes haben wir die gesetzlichen Vorkehrungen
so getroffen, daß ein diskriminierungsfreier Zugang ge-
währleistet ist. Deswegen kann und wird sich die Bun-
desregierung hier nicht einseitig den Vorwurf gefallen
lassen dürfen, daß sie ein Verkehrsunternehmen begün-
stigt und Wettbewerber, die mit Verkehrsangeboten
auch auf die Schiene wollen, ausschließt oder in irgend-
einer Weise benachteiligt. Diesen Eindruck möchte ich
hier nicht entstehen lassen.
Vielen Dank.
Jetzt kommt die Frage 26 des Kollegen Helias.
Welche finanziellen Mittel wurden dem Berliner Senat imRahmen des Wasserstraßenprojektes Hannover–Magdeburg–Berlin überwiesen?
Dazu steht zur Beantwortung der Staatssekretär Sieg-
fried Scheffler zur Verfügung. – Herr Staatssekretär,
bitte.
S
Frau Präsidentin! – Herr Kollege Helias, wenn Sie ge-
statten, würde ich die Fragen 26 und 27 gern zusammen
beantworten. – Vielen Dank.
Dann rufe ich auch
noch die Frage 27 auf:
Welche Auflagen waren mit der Mittelüberweisung verbun-den, und wie übt der Bund die Kontrolle über die Verwendungaus?
S
Das Wasserstraßenprojekt Hannover–Magdeburg–Ber-
lin, also das Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 17,
wird von der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des
Bundes ausgeführt. Im Gegensatz zur Auftragsverwal-
tung im Straßenbau planen die nachgeordneten Behör-
den des Bundes dieses Projekt. In Einzelfällen, die in der
Regel auf Beteiligungsmaßnahmen des Bundes an Brük-
ken beschränkt sind, zum Beispiel – als Berliner kennen
Sie sich ein bißchen aus – für die Südostalleebrücke mit
einer Zahlung von 2,9 Millionen DM in 1998, werden
Zahlungen entsprechend einer jeweiligen Verwaltungs-
vereinbarung geleistet. Die Überweisungen erfolgen in
der Regel nach Baufortschritt.
Im Jahr 1998 wurden bei einer weiteren Maßnahme
zusätzlich Zahlungen des Bundes an das Land Berlin
geleistet. Im Zuge des Neubaus der Schleuse Charlot-
tenburg wurden dem Land Berlin bis heute 4,8 Millio-
nen DM als Pauschalbetrag zugewiesen. Dies erfolgte
im Rahmen einer entsprechenden Verwaltungsvereinba-
rung zwischen dem Bund und dem Land Berlin. Diese
Vereinbarung sieht einen Pauschalbetrag zur Erstattung
aller Aufwendungen, die dem Land im Zusammenhang
mit dem Neubau der Schleuse entstehen, in Höhe von
insgesamt 10 Millionen DM vor. Die Summe wurde auf
Grund von Fiktivkosten ermittelt. Darin sind unter ande-
rem enthalten: Grundstücksübereignung, Nutzung des
Baufeldes, Dienstbarkeiten, Entschädigungen, Räu-
mungskosten in Höhe von 50 Prozent, Vermessung etc.
Da es sich um eine pauschale Abgeltung handelt, erfolgt
hier auch keine weitere Kontrolle der Mittelverwendung
durch den Bund.
Eine Zusatzfrage? –
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
wenn Sie das so einfach beantworten können: Wie be-
urteilen Sie denn die Tatsache, daß die Berliner Finanz-
senatorin eine parlamentarische Anfrage zur Mittelver-
wendung seit Anfang Juni 1998 nicht beantworten kann
und zur Klärung eines so einfachen Sachverhaltes eine
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 771
(C)
(D)
vierte Fristverlängerung bis Ende Januar 1999 erbeten
hat?
S
Ich
stehe hier nicht Rede und Antwort, um Aussagen der
Finanzsenatorin des Landes Berlin zu kommentieren.
Ich möchte mich dazu auch nicht äußern.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Herr Staatssekretär,
wann ist denn mit der Fertigstellung des Wasserstraßen-
projektes zu rechnen, und wann fällt die endgültige Ent-
scheidung, ob zum reibungslosen Schiffsverkehr ein
Spreedurchstich nach der Charlottenburger Schleuse er-
forderlich ist? Oder ist ein solcher Durchstich eventuell
entbehrlich?
S
Wie bei den anderen Projekten, ob Schiene oder Straße,
erfolgt natürlich auch bei dem Wasserstraßenprojekt, das
für die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die
Wasserwege sehr wichtig ist, eine entsprechende Über-
prüfung. Sie wissen, daß Einwendungen im Rahmen von
Planfeststellungsverfahren und, wenn der Plan festge-
stellt ist, in Brandenburg im Rahmen der unteren Was-
serstraße Havel auf dem Tisch liegen, so daß über den
Bauverlauf und auch über den Abschluß heute keine
endgültige Aussage getroffen werden kann. Das gilt hier
gleichermaßen wie für die anderen Projekte. Auch dazu
wird im Frühjahr 1999 eine Bewertung auf den Tisch
gelegt.
Die dritte Zusatzfra-
ge, Herr Kollege Helias? – Bitte.
Ja, das ist ja auch zu
zwei Fragen.
Ich weiß. Ich zähle
genau mit.
Danke.
Herr Staatssekretär, im Interesse der Betroffenen, die
von einem solchen Spreedurchstich ja mit ihren weiteren
Planungen abhängig sind, wäre es doch erforderlich, daß
die Bundesregierung eine klare Position bezieht und
sagt, ob denn nach dem Bau der Charlottenburger
Schleuse der bisherige Wasserstraßenverlauf ausrei-
chend ist, so daß Euro-Schiffe ungehindert durchkom-
men können, oder ob das eben nicht der Fall ist, so daß
ein Spreedurchstich mit erheblichen Umbaumaßnahmen
nötig ist. Wie ist da Ihre Bewertung?
S
Ich
werde mich zu diesem Zeitpunkt Ihnen gegenüber nicht
in einem abschließenden Urteil äußern. Ich kann aber
aus der bisherigen Tätigkeit als Mitglied des Verkehrs-
ausschusses seit 1990 sprechen, wo seitens der alten
Bundesregierung das Verkehrsprojekt „Deutsche Ein-
heit“ Nr. 17 auf dem Tisch lag, und zwar bis zum heuti-
gen Tag letztendlich auch in Abstimmung mit den be-
troffenen Ländern, also Brandenburg, Sachsen-Anhalt
und natürlich Berlin. Ich selbst war ja Moderator zwi-
schen dem Senator Strieder und der alten Bundesregie-
rung, was gerade den Neubau der Charlottenburger
Schleuse betrifft. Aber gegenwärtig – da bitte ich Sie um
Verständnis – kann ich zu weiteren Vorhaben als Fol-
gemaßnahmen der Charlottenburger Schleuse keine
Stellung nehmen.
Die letzte Frage,
Herr Kollege, bitte sehr.
Können Sie denn
wenigstens sagen, Herr Staatssekretär, in welchem Zeit-
raum Sie eine solche Aussage treffen könnten?
S
Ich
habe Ihnen den Zeitraum genannt.
Im Frühjahr 1999 wird hier etwas auf dem Tisch liegen.
Vielleicht ist Ihnen bekannt, daß noch in diesem Jahr er-
ste Gespräche zwischen der neuen Bundesregierung so-
wie dem Senator Strieder und dem Verkehrssenator ge-
führt werden sollen. Gesprächsgegenstand ist eine all-
gemeine Überprüfung. Auf dieser Grundlage werden wir
im Frühjahr 1999 unsere Stellungnahme abgeben kön-
nen.
Vielen Dank. Damit
ist die Fragestunde beendet. Ich danke den Staatssekre-
tären für die Beantwortung der Fragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Zu-
satzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Pflicht zur Vorlage eines Bundeshaushalts
1999 in den verfassungsrechtlichen Fristen
angesichts der widersprüchlichen Aussagen
zur Finanz- und Haushaltspolitik in der Bun-
desregierung
Als erstes erteile ich das Wort dem Kollegen Merz,
CDU/CSU. Bitte sehr.
Siegfried Helias
772 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
Frau Präsidentin! Mei-
ne sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben diese
Aktuelle Stunde beantragt, Herr Bundesfinanzminister,
weil wir von Ihnen erwarten, daß Sie, nachdem wir Sie
zweimal erfolglos dazu aufgefordert haben, uns sagen,
wann Sie beabsichtigen, dem Deutschen Bundestag den
Entwurf des Haushaltsplanes 1999 vorzulegen. Wir ha-
ben heute den zweitletzten Sitzungstag des laufenden
Jahres und gehen morgen in die Weihnachtspause.
Herr Lafontaine, das Grundgesetz erlegt der Bundes-
regierung und Ihnen als dem zuständigen Ressortmi-
nister eine verfassungsrechtliche Pflicht auf. Diese
Pflicht lautet wörtlich im Artikel 110 Abs. 2 des Grund-
gesetzes:
Der Haushaltsplan wird für ein oder mehrere Rech-
nungsjahre, nach Jahren getrennt, vor Beginn des
ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz
festgestellt.
Das Grundgesetz erwartet sogar eine rechtskräftige Fest-
stellung des Haushaltsplanes vor Beginn des Kalender-
jahres. Wir erwarten von Ihnen, Herr Lafontaine, daß
Sie uns und die deutsche Öffentlichkeit über den Haus-
haltsplan informieren, und zwar nicht erst im Laufe des
nächsten Jahres.
Wir können dies von Ihnen vor allem deshalb erwar-
ten, weil Sie jetzt seit fast drei Monaten die Regierungs-
verantwortung tragen.
Wir erwarten dies aber von Ihnen auch deshalb, weil
Sie, Herr Lafontaine, das kennen, was derjenige, den Sie
zu Ihrem Haushaltsstaatssekretär gemacht haben, schon
im Sommer dieses Jahres aufgeschrieben hat. Der da-
malige haushaltspolitische Sprecher der SPD-
Bundestagsfraktion hat bereits im Juni dieses Jahres den
damaligen Kanzlerkandidaten der SPD, Gerhard Schrö-
der, darauf hingewiesen, daß die Spielräume für den
Bundeshaushalt 1999 gering sind. Er hat dann empfoh-
len, im Falle einer sozialdemokratisch geführten Regie-
rung den Erblasthaushalt, wie er sich ausgedrückt hat,
im Dezember unverändert erneut im Parlament einzu-
bringen und Ihre politischen Gewichtungen dann bei den
weiteren Beratungen vorzunehmen.
Herr Lafontaine, wir und Sie wissen, daß die verfas-
sungsmäßige Pflicht eine Sollvorschrift ist. Aber Sie
können deswegen nicht beliebig gegen diese Verpflich-
tung des Grundgesetzes verstoßen. Wir erwarten von Ih-
nen wenigstens, daß Sie vor Ablauf des Jahres 1998 er-
klären, warum Sie sich nicht in der Lage sehen, den
Bundeshaushaltsplan 1999 vorzulegen. Diese Pflicht ha-
ben Sie allerdings, Herr Lafontaine!
Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang sagen: Sie
können sich, wenn Sie dieser Pflicht nicht nachkommen,
den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie wieder mit der alt-
bekannten Leichtfüßigkeit, um nicht zu sagen Nachläs-
sigkeit, mit den öffentlichen Finanzen umgehen, wie die
Bundesrepublik Deutschland dies aus fast allen Jahren
einer SPD-geführten Bundesregierung zwischen 1969
und 1982 gekannt hat, meine Damen und Herren.
Ich habe mir zur Vorbereitung dieser Diskussion,
meine Damen und Herren, noch einmal sämtliche Zah-
len seit 1970 geben lassen. Es ist in den 13 Jahren der
SPD-geführten Bundesregierung in keinem Jahr ein
Bundeshaushalt vor Beginn des Haushaltsjahres festge-
stellt worden. Es ist in der Zeit der alten Regierung
Helmut Kohl und Theo Waigel bis auf ein Jahr – und
das war das Jahr der deutschen Einheit – in jedem Jahr
vor Beginn des Haushaltsjahres der Haushaltsplan
rechtskräftig festgestellt worden.
Herr Lafontaine, wir erwarten von Ihnen heute eine
verbindliche Aussage darüber – es mag ja Gründe geben
–, warum Ihnen das nicht gelingt. Wenn Sie uns diese
Auskunft nicht geben, dann sagen wir Ihnen noch ein-
mal: So einfach kommen Sie nicht davon, daß Sie vor
den Weihnachtstagen des Jahres 1998 großzügig Ge-
schenke verteilen, nämlich eine Kindergelderhöhung in
der Größenordnung von 5,8 Milliarden DM beschließen
lassen, ohne zu sagen, wie das finanziert werden soll,
daß Sie die Ausfälle bei den 620-DM-
Beschäftigungsverhältnissen in Höhe von 4,5 Milliar-
den DM in Kungelrunden der sozialdemokratischen Fi-
nanzminister besprechen, aber hier keine klare Linie er-
kennen lassen und nicht sagen, wie diese Ausfälle für
den Bundeshaushalt 1999 bezahlt werden sollen, und
daß Sie die Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge
beschließen lassen, ohne ebenfalls klar und erkennbar
und für jeden nachvollziehbar zusagen, wie die entspre-
chende Finanzierung über den Bundeshaushalt vonstat-
ten gehen soll.
Herr Lafontaine, Sie haben heute die letzte Gelegen-
heit,
vor Ablauf des Jahres 1998 zu sagen, warum es Ihnen
nicht gelingt, einen Haushaltsplan fertigzustellen, wel-
che Gründe dafür bestehen. Die deutsche Öffentlichkeit
hat einen Anspruch darauf, daß mit dem Wichtigsten,
was in Bonn zu entscheiden ist, nämlich mit den öffent-
lichen Finanzen, begonnen wird und vom Finanzmi-
nister der Bundesrepublik Deutschland vor Ende des
Jahres eine klare Aussage dazu gemacht wird, welche
zusätzlichen Belastungen auf die Bürgerinnen und Bür-
ger und auf die Betriebe in der Bundesrepublik
Deutschland im nächsten Jahr zukommen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 773
(C)
(D)
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluß noch sagen – –
Wir sind in der Ak-
tuellen Stunde.
Ich bleibe beim Thema
der Aktuellen Stunde.
Ja, aber Ihre Rede-
zeit ist abgelaufen.
Vielen Dank, die nach-
folgenden Redner werden dies aufgreifen.
Herr Lafontaine, dieses Desaster, das Sie in der An-
hörung des Finanzausschusses in diesen Tagen erleben,
bedarf auch an dieser Stelle der Erklärung.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir sind am Beginn einer Aktuellen Stun-
de. Deswegen weise ich darauf hin, daß die Redezeit
fünf Minuten beträgt, für die Bundesregierung zehn Mi-
nuten. Ich werde mich dazwischenschalten müssen, weil
wir sonst die Spielregeln nicht einhalten.
Ich erteile das Wort dem Bundesfinanzminister Oskar
Lafontaine.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Die Opposition möchte über die Frage der „Pflicht
zur Vorlage eines Bundeshaushalts 1999 in den verfas-
sungsrechtlichen Fristen angesichts der widersprüchli-
chen Aussagen zur Finanz- und Haushaltspolitik in der
Bundesregierung“ debattieren – zumindest eine beein-
druckende Formulierung, wie ich einräumen muß.
Vielleicht haben Sie, meine Damen und Herren von
der Opposition, aber übersehen, daß am 27. September
1998 eine Bundestagswahl stattfand und daß daraufhin
ein Regierungswechsel stattfand. Ein Inkrafttreten des
Haushalts zum Jahresbeginn 1999 ist daher zeitlich
schwer möglich und kann auch von Ihnen nicht ernsthaft
gefordert werden.
Die Bundesregierung will eine zügige, aber zugleich
auch ordnungsgemäße und gewissenhafte Aufstellung
und Beratung des Bundeshaushaltes 1999. Es liegt auch
in unserem Interesse, den etatlosen Zeitraum kurz zu
halten, denn mit dem Inkrafttreten des neuen Haushalts
schaffen wir den haushaltsrechtlichen Rahmen für neue
politische Akzente, mit deren Umsetzung wir bereits in
den letzten Tagen begonnen haben.
Die Beschlußfassung im Kabinett zum neuen Haus-
haltsentwurf wird am 20. Januar erfolgen. Das hatte ich
schon öfter vorgetragen, aber ich sage es hier gerne noch
einmal. Die Beratungen im Bundestag und im Bundesrat
können bis Ende Mai 1999 abgeschlossen werden. Der
Bundeshaushalt 1999 wird dann Anfang Juni 1999 ver-
kündet.
Sie, Herr Kollege Merz, haben sich nicht nur hin-
sichtlich der Amtszeit geirrt. Wir sind noch nicht drei
Monate im Amt. Psychologisch verstehe ich ja, daß Ih-
nen das viel zu lange vorkommt.
Auch Ihre Aussage, Sie hätten den Haushalt immer
pünktlich vorgelegt, stimmt nicht; denn der Bundes-
haushalt 1999 wird dann früher wirksam als der Haus-
halt 1995, der am Beginn der letzten Wahlperiode stand.
Dieser Haushalt wurde erst Ende Juni 1995 verkündet.
Ich erinnere mich noch genau.
– Natürlich hatte der Bundesrat Einspruch eingelegt.
Das ist richtig. Aber es ändert nichts daran, daß Sie mit
der Feststellung, Sie hätten immer pünktlich vorgelegt,
schlicht und einfach eine falsche Behauptung aufgestellt
haben.
Auf Grund der verfehlten Finanzpolitik der letzten
Jahre mußte nach Amtsübernahme der neuen Bundesre-
gierung ein Kassensturz durchgeführt werden.
Die haushaltspolitische Bestandsaufnahme hat die Be-
fürchtungen bestätigt. Die Finanzdaten für 1999 und die
Folgejahre sind Makulatur, und zwar nicht wegen un-
vorhersehbarer finanzwirtschaftlicher Veränderungen,
sondern weil Sie von der alten Regierung einfach unse-
riös gearbeitet und falsch geplant haben.
Sie haben milliardenschwere Risiken bei den Steuer-
einnahmen, den Arbeitsmarktaufwendungen, den Ge-
währleistungen, im Rentenbereich und bei der Privatisie-
rung ignoriert oder zu gering veranschlagt. Sie sind die
strukturellen Probleme des Haushaltes nicht angegan-
gen; vielmehr haben Sie die Probleme vor sich herge-
schoben und deren Lösung in die Zukunft vertagt. Als
Folge dieser unseriösen Politik zeigen sich gegenüber
Ihren geschönten Zahlen schon für 1999 Mehrbelastun-
gen in der Größenordnung von 10 Milliarden DM. Im
Finanzplanungszeitraum erreicht die Deckungslücke,
wie jeder weiß, rund 20 Milliarden DM, was Sie bisher
Friedrich Merz
774 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
immer durch Veräußerung des Tafelsilbers kaschiert ha-
ben. Jeder weiß das.
Das zeigt, daß es für die von Ihnen vor der Wahl groß
angekündigte Steuerreform mit einem Nettoentlastungs-
effekt von 30 Milliarden DM nie auch nur den gering-
sten finanzpolitischen Spielraum gab.
Deshalb ist es kein Wunder, daß Sie in Ihrem Finanz-
plan dafür keine Mark eingesetzt hatten. Das zeigt – um
das noch einmal in Erinnerung zu rufen –, wie unseriös
Sie gearbeitet haben.
Die vorherige Bundesregierung hat große Probleme
hinterlassen. Die Zinslasten des Bundes haben sich seit
1982 fast vervierfacht – von gut 20 Milliarden DM auf
80 Milliarden DM. Die Zins-Steuer-Quote im Bundes-
haushalt hat sich im gleichen Zeitraum auf rund
24 Prozent – das ist die aktuelle Zahl – verdoppelt. Die
Verschuldung des Bundes und seiner Sonderrechnungen
wird Ende des Jahres bei 1,45 Billionen DM liegen und
damit den Schuldenstand des Jahres 1982 – er lag bei
308 Milliarden DM – mehr als vervierfacht haben.
Wenn Sie hier von leichtfüßiger Politik sprechen, dann
fällt dieser Vorwurf aber in vollem Umfang auf Sie zu-
rück. Wie leichtfüßig haben Sie die Schulden auf extre-
me Höhen getrieben!
Angesichts dieser Erblast sind große Anstrengungen
erforderlich, um wieder Ordnung in die Bundesfinanzen
zu bringen.
Dennoch ist die Bundesregierung entschlossen, die
Nettokreditaufnahme zu begrenzen, und zwar so zu be-
grenzen, daß der Art. 115 eingehalten wird.
Bis zum Inkrafttreten des neuen Haushalts gelten die
Regeln der vorläufigen Haushaltsführung. Aber auch
während dieser vorläufigen Haushaltsführung gibt es
keinen Investitionsstau, wie Sie behaupten. Die von Ih-
nen lancierten Meldungen über eine Investitionsblocka-
de in zweistelliger Milliardenhöhe sind falsch. Der
größte Teil der Investitionen gerade im Bereich der Ver-
kehrsinfrastruktur kann wie geplant weiterfinanziert
werden, da diese Investitionen auf rechtlich begründeten
Verpflichtungen des Bundes beruhen oder weil es sich
um Maßnahmen handelt, für die im Haushalt 1998 oder
in früheren Haushaltsplänen bereits Beträge bewilligt
worden sind. Das gleiche gilt für wichtige arbeitsmarkt-
politische Leistungen aus dem Bundeshaushalt bzw. aus
dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit. Hier handelt
es sich ganz überwiegend um Fortsetzungsmaßnahmen,
deren Finanzierung im Zeitraum der vorläufigen Haus-
haltsführung zulässig ist.
Bei neuen Investitionen oder sonstigen neuen Maß-
nahmen werden wir sorgfältig prüfen, ob vor Verab-
schiedung des neuen Haushalts eine Finanzierung nach
den einschlägigen verfassungsrechtlichen und haushalts-
rechtlichen Vorschriften möglich ist.
Das von uns initiierte Sofortprogramm zur Bekämp-
fung der Jugendarbeitslosigkeit ist eine solche unab-
weisbare Maßnahme.
Dieses Programm ist ein erster wichtiger Schritt zur
Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitschancen von
100 000 Jugendlichen. Ich fordere Sie daher auf, Ihre
polemischen Angriffe gegen dieses Programm zu unter-
lassen. Die Jugend braucht das Programm.
Es ist richtig, meine Damen und Herren: Auf Grund
der enormen Erblast, die wir angetreten haben – –
– Ich glaube, Sie sind die einzigen in Deutschland, die
bei 1,5 Billionen DM Schulden noch lachen. Die ande-
ren lachen da nicht mehr.
Auf Grund dieser Erblast und der unseriösen Wirt-
schaft der letzten Jahre brauchen wir etwas Zeit, um die
Dinge ins Lot zu bringen. Diese Zeit werden wir uns
nehmen. Sie werden damit leben müssen.
Ich erteile das Wort
Herrn Dr. Günter Rexrodt, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Haushalt, so heißt es zu
Recht, ist das Kursbuch der Nation. Ich stelle fest: Ge-
genwärtig gibt es weder einen Haushaltsentwurf 1999
noch einen erkennbaren Kurs in der Finanz- und Steuer-
politik dieser Regierung. Das ist eine Tatsache.
Es ist schon richtig: Zwischen haushaltspolitischer Klar-
heit und gesamtpolitischer Solidität einer Regierung gibt
es einen engen Zusammenhang.
Bundesminister Oskar Lafontaine
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 775
(C)
(D)
Herr Lafontaine, Sie begründen die Verschiebung der
Einbringung damit, daß es Erblasten gebe; man müsse
einen Kassensturz machen; es gebe immer neue Haus-
haltslöcher, von denen bisher nichts erkennbar gewesen
sei. Dies ist nicht richtig.
Ich habe über Monate hinweg gelesen: „Wir sind bereit.
SPD.“ Wenn Sie doch bereit gewesen wären! Nichts da!
Unvorbereitet sind Sie, und zwar nicht nur im Detail;
das würde Ihnen noch jeder nachsehen. Es gibt keine
Linie und kein Konzept in der Finanz- und Steuerpolitik:
ein bißchen Fortsetzen der Konsolidierungspolitik auf
der einen Seite und auf der anderen Seite Nachfragesti-
mulierung an der falschen Stelle. Da wird mit der Stö-
rung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gear-
beitet, um so möglicherweise Art. 115 des Grundgeset-
zes zu umgehen; dann wird das wieder nicht getan. Da
wird anhaltend über die günstige Entwicklung der Steu-
ereinnahmen gesprochen – so in einem Papier von Herrn
Diller an den Haushaltsausschuß; das ist gerade eine
Woche her –, und auf Seite 4 desselben Papieres lesen
wir dann etwas über Steuermindereinnahmen wegen
schlechter Wirtschaftsdaten. So wird gearbeitet.
Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen:
Sie sind nicht vorbereitet.
Sie kommen nicht klar, obwohl Ihnen hochqualifizierte
und auch loyale Apparate zur Verfügung stehen. Der
Grund ist ein ganz einfacher: Sie haben es nicht ver-
mocht, sich auf die Grundlinien Ihrer Politik zu einigen,
nicht etwa nur in Randfragen, sondern auch in wichtigen
Kernfragen, deren Lösung für das Schicksal und die
Entwicklung dieses Landes in den nächsten Jahren ent-
scheidend ist. Das ist der Grund dafür, daß der Haushalt
1999 nicht rechtzeitig eingebracht wird.
Exkulpieren Sie sich nicht damit, daß Sie an Erbla-
sten zerbrächen, auch nicht damit, daß Sie in Sachfragen
zunächst Diskussionen mit den Betroffenen führen
müßten! Das Gerede von den Erblasten entbehrt jeder
Grundlage.
Seit Jahren ist Ihnen der gesamte Haushalt, die Finanz-
planung, jedes Kapitel, jede Ausgabe, jede Zahl bekannt.
Sie hätten in kürzester Zeit, wenn notwendig, Korrektu-
ren einbringen können. Es gibt keine Geheimnisse über
irgendeine Haushaltsposition. Deshalb ist das Gerede
vom Kassensturz nur eine Nebelkerze.
Zweitens. Der von uns vorbereitete Haushalt war
grundsolide.
Die Wirtschaftsforschungsinstitute – hören Sie zu – ha-
ben in ihrem Herbstgutachten festgestellt:
Nach der Prognose der Institute stellt sich die fi-
nanzielle Lage der öffentlichen Haushalte besser
dar, als dies bei den gegenwärtigen Diskussionen
offenbar unterstellt wird.
Der Herr Bundesfinanzminister möchte die Leute mit
Kindergeld und mit niedrigen Eingangssteuersätzen zum
1. Januar unterm Weihnachtsbaum beglücken.
Das kostet Geld; das hat er nicht. Also muß die Bemes-
sungsgrundlage verbreitert werden. Das soll Geld brin-
gen. Die Pläne dafür sind aber unausgegoren; also muß
nachgebessert werden. Das kostet Zeit und verwirrt die
Leute und auch uns im Parlament.
Zwischenzeitlich bemerkt man, daß die Wirtschaft von
einer neuen Bemessungsgrundlage bei den Pensions-
rückstellungen ausgeht. Da fehlen dann wieder Steuer-
einnahmen. Also erfindet man ein Vorläufergesetz und
einen weiteren Vorläufer und macht die Verwirrung to-
tal. Das sind die Gründe, warum der Haushalt nicht
rechtzeitig eingebracht wird.
Die Regierung möchte die Beiträge zur Rentenversi-
cherung senken. Das kostet Geld. Dazu erfindet man
eine Ökosteuer, die keine ist,
weil sie die Unternehmen, die viel Energie verbrauchen,
entlastet und diejenigen, die schon sparsam sind, den
Mittelstand nämlich, zusätzlich schröpft. Bei den 620-
Mark-Jobs gibt es genau das gleiche Theater.
Diese Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen. So
schafft man keine Arbeitsplätze, so vernichtet man sie.
So kann ein Parlament auch nicht arbeiten; so etwas
kann es im Hinblick auf die Verabschiedung des Haus-
haltes nicht hinnehmen. Ich möchte für meine Fraktion
unser äußerstes Mißfallen ausdrücken.
Lassen Sie die Katze jetzt aus dem Sack und nicht erst
nach der Wahl in Hessen. Stimmen Sie sich besser ab,
Dr. Günter Rexrodt
776 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
schaffen Sie Klarheit, nehmen Sie die Ihnen übertragene
Verantwortung wahr und bezeugen Sie Respekt vor dem
Parlament – einen Respekt, wie ihn dieses Parlament
verdient.
Schönen Dank.
Ich erteile das Wort
jetzt dem Kollegen Oswald Metzger, Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man kann
es nicht mehr hören, Kollege Rexrodt, wenn Sie hier von
der Solidität der Haushaltsführung der alten Regierung
reden. Schauen Sie sich an, was die von Ihnen zitierten
Gutachter, hier der Sachverständigenrat, im aktuellen
Herbstgutachten präsentiert haben: Ein strukturelles De-
fizit von 1,2 bis 1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
wurde durch Privatisierungserlöse mit dem gigantischen
Ausmaß von 32 Milliarden DM im diesjährigen 98er
Haushalt finanziert. Allein um diese Erblast zu bewälti-
gen – wenn Tafelsilber verscherbelt ist, kann man diese
Lücke nicht anders schließen als durch Sparmaßnahmen
oder Neuverschuldung –, muß die neue Bundesregie-
rung, die 43 Tage im Amt ist, zunächst einmal quer
durch die Häuser einen internen Kassensturz machen.
Bei diesem hausinternen Kassensturz stellt sie eine Fülle
von Risiken fest, die Sie hinterlassen haben.
Ich würde mich an Ihrer Stelle also schämen, heute
die großen Töne zu spucken.
Denken Sie daran, daß 1991 und 1995 nach den Wahlen
die damalige Regierung, die nicht gewechselt hatte, son-
dern im Amt blieb, die Verabschiedung des Haushalts
erst Monate nach dem Jahresultimo vornahm. Sie er-
wecken hier den Eindruck, als ob das Grundgesetz etwas
anderes vorsehe. Dabei steht im Kommentar zum
Grundgesetz explizit, daß es in der Regel unmöglich ist,
den Haushalt fristgerecht festzustellen,
wenn im Herbst Wahlen stattfinden.
Sie haben auch nicht zugehört, als der Finanzminister
heute sagte, daß am 20. Januar der Haushalt des näch-
sten Jahres im Kabinett vorgelegt wird. Die Wahl in
Hessen ist am 7. Februar.
Sie werden sich wundern: Die Regierungsfraktionen
werden alles daransetzen, Grundziele im Haushalt ein-
zuhalten, die gemäß den Aussagen des Finanzministers
lauten: Die Grenze des Art. 115 des Grundgesetzes wird
unterschritten. Das Maastricht-Kriterium wird eingehal-
ten, obwohl die Erlöse der Privatisierungen nicht das
Defizit vermindern. Die mittelfristige Finanzplanung
wird Perspektiven aufzeigen, die eine Konsolidierung
über die nächsten vier Jahre ermöglichen. Sie können
den Haushalt an Hand seiner Zahlen überprüfen und
werden dann feststellen, daß bestimmte Maßnahmen, die
auch Sie früher durchgeführt haben, nicht deshalb aus-
bleiben können, nur weil jetzt eine andere Regierung die
Verantwortung trägt. Sie werden sich mit der Tatsache
anfreunden müssen, daß in der Übergangsphase, in der
wir Ihre Erblasten abtragen müssen, bestimmte Privati-
sierungsmaßnahmen die einzige Möglichkeit darstellen,
die Einhaltung der grundgesetzlich vorgeschriebenen
Verschuldungsgrenze zu erreichen.
Darüber hinaus werden wir als neue Regierung
– auch in diesem Punkt sind wir uns einig – andere Ak-
zente setzen. Wir müssen die investiven Ausgaben wie-
der erhöhen. Unter der alten Koalition, genaugenommen
seit 1992, ist die Quote der Investitionsausgaben des
Bundes ständig gesunken. Sie haben immer gepredigt:
Wir haben einen Haushalt für Wachstum und Beschäfti-
gung.
Das Gegenteil war der Fall. Sie haben die Arbeitskosten
nach oben getrieben und die Investitionen nach unten
gefahren. Damit haben Sie gleichzeitig die Ausgaben für
den Arbeitsmarkt explodieren lassen.
Der entscheidende Punkt ist: Unsere Gesellschaft be-
findet sich in einer Situation, in der die öffentlichen
Ressourcen ausgepowert sind.
Wir sollten im Rahmen dieser tagespolitischen Ausein-
andersetzung einmal innehalten und uns bewußtmachen,
daß Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik – wie in der
Ökologiepolitik – bedeutet, daß wir nicht heute die Mit-
tel vervespern, die die nachfolgenden Generationen
brauchen.
Ähnlich wie im Zusammenhang mit der Rentenre-
form wird die neue Regierung durch eine neue Steuerge-
setzgebung genau die Akzente setzen, die Wachstum
und Investitionen stärken und die Nachfrage, aber auch
die Angebotsbedingungen für die Wirtschaft verbessern.
Denken Sie an die Aussage, die Unternehmenssteuerre-
form vorzuziehen! Diese Ankündigung des Bundes-
kanzlers war absolut richtig.
Dr. Günter Rexrodt
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 777
(C)
(D)
An dieser Aufgabe lassen wir uns messen. Aber wir
haben uns mit Erblasten herumzuschlagen, die Sie zu
verantworten haben und die Sie hier nicht einfach weg-
diskutieren können.
Vielen Dank.
Das Wort hat die
Kollegin Christa Luft, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Ein auf die leichte Schulter
zu nehmendes Faktum ist es freilich nicht – dies ist un-
bestritten –, wenn der Nation vor Beginn eines neuen
Haushaltsjahres ein Haushaltsplan nicht vorliegt, weil
dadurch in der Bevölkerung Verunsicherungen, geschürt
nun noch durch die Koalitionsabgeordneten, genährt
werden.
Abgesehen von der Tatsache, daß die Kritik der Kol-
legen Merz und Rexrodt an diesem Faktum für mich ab-
solut überzogen war, möchte ich sagen, daß die Regie-
rung schon ihren Anteil an dem entstandenen Zustand
hat. Wir haben alle noch gut das Hü und Hott im Ohr,
welches es bei der Frage der Besteuerung oder Nichtbe-
steuerung von 620-Mark-Jobs gegeben hat. Wir haben
noch den Zickzackkurs vor Augen, den es bei der Dis-
kussion der Ökosteuer gegeben hat. Wir haben noch
unterschiedlichste Aussagen zur Neuverschuldung im
Ohr. Soll sie sich im nächsten Jahr erhöhen oder nicht?
Diese Vorwürfe hat sich die neue Regierung an die
Brust zu heften.
Von der Natur der Sache her ist es natürlich für die
Opposition ein gefundenes Fressen, wenn der Tatbe-
stand eingetreten ist, daß der Nation vor Beginn des
Haushaltsjahres ein Haushaltsbuch fehlt. Nur: Die Auf-
regung der Oppositionsneulinge in diesem Parlament,
der CDU/CSU- und auch der F.D.P.-Fraktion, empfinde
ich als künstlich, aufgesetzt und überhaupt nicht glaub-
würdig.
Ich darf daran erinnern, daß die abgewählte Regierung
in den 90er Jahren den Haushaltsplan in den meisten
Fällen zwar pünktlich vorgelegt hat. Aber gerade wir
Haushaltsausschußmitglieder erinnern uns auch daran,
wie viele überplanmäßige und außerplanmäßige Ausga-
ben zu bewilligen und wie viele Korrekturen vorzuneh-
men waren, weil nicht solide geplant worden ist. Diesen
Punkt dürfen Sie bitte nicht vergessen.
Ich erinnere auch daran, meine Damen und Herren
von den Nicht-mehr-Regierungsfraktionen, daß Sie noch
am vergangenen Freitag den ersten Vorläufer des
Steuerentlastungsgesetzes nicht passieren lassen wollten,
weil Sie ein Interesse daran hatten, noch einmal Sand ins
Getriebe zu streuen. Dann wären die Eckpunkte für den
neuen Bundeshaushalt ja noch später zu Papier gebracht
worden.
Auch das dürfen Sie bitte nicht vergessen.
Wir von der PDS-Fraktion legen selbstverständlich
Wert darauf, daß es alsbald zu einem Haushaltsentwurf
kommt. Die Finanzlage ist eng; das ist bekannt. Wir
wundern uns daher, daß nicht mehr Einnahmequellen
von der Bundesregierung ins Auge gefaßt werden. Ich
erinnere beispielsweise an notwendige Aktivitäten zur
Wiedererhebung der Vermögensteuer.
Kürzlich hat der Vorsitzende der sozialdemokratischen
Bundestagsfraktion erklärt, wenn auch noch unverbind-
lich, daß er sich die Erhebung einer Millionärsabgabe
vorstellen könne. Ich bin darauf gespannt, wie sich diese
Diskussion in den jetzigen Koalitionsparteien weiter-
entwickeln wird.
An die vorläufige Haushaltsführung des Bundes stel-
len wir folgende Mindestanforderungen – ich möchte
das hier noch einmal sagen –: Bei den arbeitsmarktpoli-
tischen Maßnahmen in West und Ost darf es wegen ei-
nes nicht vorliegenden Haushalts zu keinerlei Verunsi-
cherungen kommen.
Das betrifft ebenfalls die Absicherung des Programms
für die 100 000 jungen Menschen, die in Ausbildung
und Arbeit kommen sollen.
Wir erwarten feste Zusagen seitens der Bundesregie-
rung, daß bei der Finanzierung von Infrastrukturmaß-
nahmen und bei der Wirtschaftsförderung in den neuen
Bundesländern keine Einschnitte und keine zeitlichen
Verzögerungen zugelassen werden. Auch das gehört da-
zu, wenn man die Angelegenheiten in den neuen Län-
dern zur Chefsache gemacht hat. Wir erwarten, daß die
zusätzlichen Ausgaben, die es für Bund und Länder ge-
ben wird, fair verteilt werden und nicht wegen einer zu-
sätzlichen Belastung der Länder am Ende die Belastun-
gen an die Kommunen weitergegeben werden, die ja oh-
nehin bis über die Halskrause verschuldet sind. Dann
wären nämlich die Menschen, die dort wohnen, letztlich
die Leidtragenden.
Strengste Kontrolle erwarten wir von der Bundesre-
gierung gegenüber der BvS. Es kann doch nicht sein,
daß ständig Forderungen im zwei- und dreistelligen
Millionenbereich als nicht eintreibbar abgeschrieben
werden, wie es gerade dieser Tage wieder bei der Ro-
thenberger-Gruppe geschehen soll, parallel dazu aber
von der Treuhand privatisierte Unternehmen nur deshalb
pausenlos in die Pleite gehen, weil sie im In- und Aus-
land auf eine schlechte Zahlungsmoral ihrer Kunden
stoßen. Mit anderen Worten: Wir erwarten, daß Unter-
nehmen, die in Liquiditätsschwierigkeiten geraten, ohne
Oswald Metzger
778 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
daß sie selbst daran schuld sind, auch vom Bund unter-
stützt werden, damit nicht ständig neue Arbeitslose pro-
duziert werden.
Wir erwarten schließlich, daß Schluß ist mit der Ver-
äußerung des restlichen Bundesvermögens zum Stopfen
akuter Haushaltslöcher. Auch hier ist endlich eine Erlös-
Aufwand-Rechnung notwendig, die die abgewählte Ko-
alition leider immer verhindert hat.
Danke schön.
Das Wort hat der
Kollege Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Kein verantwortlicher
Familienvater würde zu Weihnachten seine Familie mit
Geschenken überhäufen und erst im Januar nachschau-
en, was er im Portemonnaie hat, es sei denn, er ist ein
Hochstapler.
So schreibt das „Handelsblatt“ denn auch mit Recht von
den „Rechentricks des frechen Oskar“ und weist darauf
hin, was der Bundesfinanzminister den Bürgern in die-
sem Lande zumutet.
Herr Bundesfinanzminister, Sie verstoßen gegen die
Verfassung, nämlich gegen Art. 110 des Grundgesetzes,
der vorschreibt, daß der Haushalt vor Beginn des Haus-
haltsjahres vorzulegen ist.
Wir erwarten nicht, daß Sie ständig das Grundgesetz
unter dem Arm mit sich führen; wir erwarten aber, daß
Sie es nicht mit Füßen treten. Das aber tut die Bundesre-
gierung, wenn sie den Entwurf des Bundeshaushalts
nicht rechtzeitig vorlegt.
Es gab schon einmal die Situation, daß ein Minister-
präsident aus einem kleinen Bundesland nach Bonn ge-
kommen ist, um Finanzminister zu werden. Das war am
1. Oktober 1982 Gerhard Stoltenberg. Innerhalb von vier
Wochen war der Haushalt fertig. Sie brauchen sechs
Monate für die gleiche Prozedur. Warum brauchen Sie
sechs Monate? Sie brauchen sie deshalb, weil Sie Ge-
schenke jetzt verteilen wollen und erst nach der Wahl in
Hessen – und keinen Tag vorher – hier in diesem Parla-
ment über den Haushalt diskutiert werden soll.
Erst zu diesem Zeitpunkt soll die große Debatte im Bun-
destag zu dem Haushalt, den Sie vorlegen wollen, statt-
finden.
Wenn man sich die Situation in den Bundesländern
anschaut, kann man feststellen: Sie haben bewährte
Vorturner. Herr Schröder hat in Niedersachsen vom
Staatsgerichtshof dreimal hintereinander eine Ohrfeige
wegen seiner Haushaltspolitik bekommen – weil er die
Gemeinden ausgeplündert hat und aus vielen anderen
Gründen. Die Landesregierung von Schleswig-Holstein
hat vom Verfassungsgericht viermal eins auf die Nase
bekommen, unter anderem auch wegen eines Immobili-
endeals. Denn man hat versucht, mit einem Rechentrick
– dies sind Rechentricks wie beim frechen Oskar – Geld
zu schaufeln, das man anderweitig mit vollen Händen an
falscher Stelle ausgegeben hat.
Das wichtigste Recht des Parlaments ist es, zu kontrol-
lieren, was die Regierung mit dem Geld des Steuerzah-
lers macht.
Jetzt möchte ich etwas zum Zeitplan der Bundesre-
gierung hinsichtlich der Aufstellung des Haushaltes
1999 sagen: Sie haben auf das Jahr 1995 Bezug genom-
men. Das ist natürlich besonders dreist. Der Haushalt
1995 wurde rechtzeitig vorgelegt.
Dann aber kamen die Ministerpräsidenten der SPD-
regierten Länder – Stichwort: Totalblockade – und ha-
ben drei Monate im Bundesrat gemauert, um die recht-
zeitige Verabschiedung des Haushalts zu verhindern. Es
war das erste Mal in der deutschen Verfassungsge-
schichte, daß so etwas geschehen ist.
Jetzt sage ich etwas zu der angeblichen Erblast. Ich
könnte aus dem „Spiegel“ zitieren und vieles aufzählen,
nachdem Kollege Diller schon im Haushaltsausschuß
versucht hat, mit Nebelkerzen zu werfen. Es gibt dazu
keine einzige konkrete Zahl. Wir stellen fest: In 1998
kommt es zu Minderausgaben für den Arbeitsmarkt in
Höhe von 5 Milliarden DM. Das setzt sich in das näch-
ste Jahr fort. Wir stellen fest: In 1998 gibt es höhere
Steuereinnahmen. Zusätzliche Privatisierungserlöse in
Höhe von 5 Milliarden DM aus dem Verkauf der Post-
bank, die wir eingeplant haben, werden überhaupt nicht
gebraucht. Das nehmen Sie als positives Faktum mit in
das nächste Jahr. Und schließlich erzählen Sie etwas
über Gewährleistungen, bei denen man nicht genau ab-
schätzen kann, was sich da möglicherweise ergeben
wird.
Dazu kann ich nur sagen: Sie versuchen, den Bun-
destag und die deutsche Öffentlichkeit mit dem, was Sie
tun, zu täuschen. Das ist nicht in Ordnung, insbesondere
dann nicht, wenn Sie darüber hinaus auch noch die Ver-
fassung brechen – und das vor dem Hintergrund, daß je-
de Regierung bei der Leistung ihres Amtseides zusagt,
daß sie die Verfassung einhält.
Dr. Christa Luft
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 779
(C)
(D)
Wie sieht es mit den Problemen aus, deren Folgen in
der Zukunft wirksam werden? Schauen wir uns das ein-
mal an. Das einzig vorhandene Problem ist von Rotgrün
gemacht. Rotgrün ist das Problem und nicht die Lösung!
Schauen Sie sich einmal die vorgesehenen Änderungen
an! Haben Sie eine Reform der 620-Mark-Jobs erreicht?
Finanzminister Möller aus Schleswig-Holstein sagte:
Mehrbelastungen muß Bonn ausgleichen. Das stammt
nicht aus Zeitungen von gestern oder von vorgestern.
Das steht vielmehr heute – nach Ihrer Einigung mit den
Ländern – in der Zeitung.
Was haben Sie denn bisher getan, um die Problematik
der Erhöhung des Kindergeldes zu lösen bzw. die Fra-
gen zu beantworten, die die Länder und die Gemeinden
in diesem Zusammenhang stellen? Wer spricht denn bei
dieser Problemlösung von den Gemeinden? Wo ist denn
Ihr Angebot? Es gibt kein einziges in die Zukunft ge-
richtetes Finanzproblem, das Sie uns anlasten könnten.
Ich möchte ein Letztes zur Finanzsituation und zu
dem, was Sie als Erblast bezeichnen wollen, sagen.
Wenn Sie die Staatsschuld mit einem Betrag von
1,4 Billionen DM beziffern – Bundesschuld und Staats-
schuld werden ja manchmal in einen Topf geworfen –,
so macht dies deutlich, daß Sie dazu offensichtlich auch
die Erblast aus der DDR zählen. Was bestätigt uns das?
Sie haben sich mit der Wiedervereinigung bis heute
nicht abgefunden. Sie wollten sie nie.
Sie sind deshalb auch nicht bereit, anzuerkennen, daß
die Belastungen, die sich aus den Spätfolgen des Sozia-
lismus ergeben haben, natürlich vom Steuerzahler zu
tragen sind.
Wenn man das nicht akzeptiert, dann sagt man einfach:
Helmut Kohl hat eine Erblast in Höhe von
500 Milliarden DM – in Klammern fügen Sie hinzu: auf
Grund der Wiedervereinigung – hinterlassen.
– Die andere konnten Sie doch nicht quantifizieren! Herr
Diller hat im Haushaltsausschuß gesagt, daß im Haus-
halt ein Loch von 20 Milliarden DM sei. Als wir nach
konkreten Zahlen fragten, hatte er nur ein Papier von
fünf Seiten, mit unterschiedlichen Schreibmaschinen ge-
schrieben und wahrscheinlich aus verschiedenen Stellen
zusammengetragen. Man hatte die Zuständigen wahr-
scheinlich noch nicht ausgetauscht. Sie hatten die Wahr-
heit geschrieben. Sie hatten von einer positiven Per-
spektive für 1998 und 1999 gesprochen.
Herr Finanzminister, in dieser Situation können wir
Sie nur auffordern: Sorgen Sie dafür, daß schnell Klar-
heit geschaffen wird, damit die Bürger vor Weihnachten
wissen, was die Konsequenz der Geschenke ist, die ein
unverantwortlicher Familienvater ihnen hier macht!
Das Wort hat der
Kollege Hans Georg Wagner, SPD-Fraktion.
Wenn es Sie interes-
siert: sehr schön. – Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Christoph Böhr aus Rheinland-Pfalz hat heute
eine Forderung an die CDU/CSU-Fraktion veröffent-
licht, die lautet: Die CDU muß endlich zur politischen
Attacke blasen. Da dachte ich: Das hat heute nachmittag
aber geklappt. Was Herr Merz und Herr Austermann
hier vorgetragen haben, war wirklich eine unglaublich
beeindruckende Attacke. Ich glaube, daß Herr Böhr sein
Fernsehgerät wieder ausgeschaltet hat, weil auch er der
Meinung sein muß, daß diese Ausführungen lächerlich
und unerträglich sind.
– Gut, ich kann ja verstehen, Herr Schäuble, daß Sie sich
darüber ärgern, daß wir das Kindergeld erhöht haben;
daß Sie sich darüber ärgern, daß wir den Eingangssteu-
ersatz gesenkt haben; daß Sie sich darüber ärgern, daß
wir Leuten, die Steuern hinterziehen wollen, eine Auf-
bewahrungsfrist für ihre Belege von zehn Jahren aufer-
legen – statt Ihrer sechs Jahre –, und daß Sie sich dar-
über ärgern, daß nun Großunternehmen andere Pensi-
onsrückstellungen vornehmen müssen als die, die Sie
vorsehen wollten. Das alles kann ich verstehen. Nur, las-
sen Sie uns die Freude darüber, daß wir das eingehalten
haben, was wir vor der Wahl versprochen haben. Das ist
etwas, was Sie 16 Jahre lang nicht geschafft haben.
Herr Kollege Rexrodt sprach eben vom Kursbuch der
Nation. In der Tat, Herr Kollege Rexrodt, haben die
Wählerinnen und Wähler am 27. September eine Kurs-
änderung beschlossen.
Diese Kursänderung besteht darin, daß die neue Bundes-
regierung auch einen neuen Bundeshaushalt vorlegt. In
den vergangenen sechs Wochen hat sie gute Arbeit ge-
leistet. Am 23. Dezember werden die Abteilungsleiter-
gespräche stattfinden; am 9. Januar werden die Gesprä-
che auf der Chefebene stattfinden; am 20. Januar wird
beschlossen – vor der Hessen-Wahl –, wie der Haus-
halt 1999 aussehen soll. Daran wird sich das weitere
parlamentarische Beratungsverfahren anschließen. Sie
sind eingeladen, dabei mitzumachen. Ich habe Ihnen ja
vorgeschlagen, die Beratung um eine Woche zu verlän-
gern; bei dieser Gelegenheit könnten Sie dann Ihre Al-
ternativvorschläge Punkt für Punkt einbringen. Bis jetzt
habe ich von Ihnen nur gehört: Ausführungen über BSE-
Probleme, Geschäftsordnungsdebatten und Beantragun-
gen von Aktuellen Stunden. Irgendwann einmal müssen
Sie ja zur politischen Arbeit zurückfinden und sich an
das halten, was Ihr Kollege Böhr gefordert hat. Er hat
nämlich erklärt: Die CDU muß endlich die Trauer über
die verlorene Wahl hinter sich lassen und zur politischen
Dietrich Austermann
780 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
Attacke blasen. – Richtig! Wir freuen uns auf diese
Auseinandersetzung.
Bisher ist es allerdings nicht zu dieser Auseinanderset-
zung gekommen.
Herr Finanzminister, wir hatten Zweifel, ob Sie es in
dieser kurzen Zeit schaffen würden, den Bundeshaushalt
völlig umzukrempeln.
– Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Aber wir
kennen uns ja gut: Wenn Herr Koppelin eine Forderung
aufstellt, die er am nächsten Tag wieder zurücknimmt,
dann wird behauptet, das sei Ihre Linie gewesen. Aber
jetzt ist eben nicht Ihre Linie, sondern unsere Linie ge-
fragt.
In Berichterstattergesprächen haben Sie Vorschläge prä-
sentiert, wonach ganze Behörden aufgelöst werden sol-
len, und am nächsten Tag haben Sie die gleichen Behör-
den personell aufgestockt. Ich bin gespannt, wie das bei
Ihnen zu einer Linie werden soll.
Die wichtigste Frage ist in der Tat die Frage der Inve-
stitionen; da haben Sie recht. 1995 ist schon das gleiche
gemacht worden wie jetzt. Zwei Monate später, als jetzt
der Haushalt 1999 verabschiedet werden wird, haben Sie
Ihren verabschiedet; Herr Kollege Rexrodt, daran waren
Sie ja auch beteiligt. Damals war überhaupt nicht von
einem Investitionsstau die Rede, der dadurch entstehen
könnte. Wir haben uns damals zurückgehalten, weil wir
Verständnis dafür hatten, daß das alles nicht so schnell
gehen kann. Aber jetzt machen Sie schon nach vier Wo-
chen den größten Krawall und bilden sich ein, damit ir-
gend jemanden beeindrucken zu können. Diejenigen, die
am 1. Januar ein erhöhtes Kindergeld auf ihrem Konto
vorfinden, werden kein Verständnis für Sie und für das,
was Sie hier darstellen, haben.
Wenn Sie, Herr Kollege Rexrodt, vom Kursbuch
sprechen und wenn Sie Klarheit und Wahrheit im Bun-
deshaushalt einfordern, dann erwidere ich: Sie haben als
damaliger Bundeswirtschaftsminister einem Haushalts-
plan zugestimmt, der um 1,3 Milliarden über der Ver-
schuldungsgrenze nach Art. 115 Grundgesetz lag. Diese
1,3 Milliarden sollten eigentlich für Investitionen ver-
wendet werden. Aber wenn Sie das, was Sie persönlich
in den Kohlerunden vereinbart hatten, hätten einhalten
wollen, wären diese 1,3 Milliarden schon aufgebraucht
gewesen. Sie haben ja mit dem Bundeshaushalt 1999 die
Bergleute hintergehen wollen; das gleiche gilt für die
Teilentschuldung des Saarlands und Bremens. Der Bun-
desfinanzminister sagte: Ich möchte, daß die Länder die
Hälfte davon tragen. Diese Position kann man akzeptie-
ren. Aber gleichzeitig hat er dafür keinen Betrag in den
Haushalt eingestellt. Die 1,3 Milliarden wären ja längst
aufgebraucht gewesen, wenn er nur das gemacht hätte,
wozu er vom Bundesverfassungsgericht gezwungen
worden ist.
Deshalb sollten Sie über Weihnachten Ruhe und Ge-
lassenheit bewahren. Wir sind froh darüber, daß wir
unsere Wahlversprechen schon größtenteils eingelöst
haben. Sie werden sehen, wie gut und solide der Bun-
deshaushalt 1999 sein wird.
Das Wort hat die
Kollegin Elke Wülfing, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wagner,
wir ärgern uns nicht, sondern wir freuen uns über Kin-
dergelderhöhungen. Wir freuen uns darüber, daß die Be-
kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Angriff genom-
men wird. Wir freuen uns über alle Ihre Geschenke. Wir
freuen uns nur nicht darüber, daß Sie diese Geschenke
vor Weihnachten machen, aber nicht wissen, wie Sie sie
im Januar bezahlen sollen.
Herr Bundesfinanzminister, es ist nicht verständlich,
daß Sie davon reden, angeblich irgendwelche Erblasten
gefunden zu haben, aber trotzdem, wie gerade beschlos-
sen, 7,1 Milliarden DM – einfach so in die Gegend ge-
streut – drauflegen, ganz in sozialistischer Manier: erst
einmal ausgeben, auch wenn die Einnahmen überhaupt
nicht zu überschauen sind.
Sicherlich nicht mit großer Freude haben Sie – in der
„FAZ“, in der „Stuttgarter Zeitung“, in der „Süddeut-
schen Zeitung“ – Überschriften wie „Vernichtendes Ur-
teil über Mindestbesteuerung“, „Überwältigende Ableh-
nungsfront bei Finanzwissenschaftlern“ gelesen. Es geht
dabei um Ihre Steuerreform – besser gesagt: um Ihr
Steuerbelastungsgesetz.
Wir haben folgende Situation: Sie haben schon 7,1
Milliarden DM ausgegeben, für die Erhöhung des Kin-
dergeldes und die Senkung des Eingangssteuersatzes. Die
sind also schon mal weg. Gestern mußten wir dann von
den Experten, und zwar von der Crème de la crème der
Finanzwissenschaftler in der Bundesrepublik Deutsch-
land – nicht, wie Sie gestern gemeint haben kommentie-
ren zu müssen, von angeblich Betroffenen –, hören, daß
fast alles, was in dem Gesetzentwurf steht, verfassungs-
widrig sein könnte und daß das, was Sie im Wahlkampf
im Zusammenhang mit der Mindestbesteuerung be-
schlossen haben, ganz sicher verfassungswidrig ist. Da
geht es immerhin um Einnahmen in Höhe von
1 Milliarde DM. Somit fehlen Ihnen bei dieser Steuerre-
form schon 8,1 Milliarden DM.
Wenn es stimmt, was man so hört, was alles bei Nu-
delgerichten verabredet wird, wird die Abschaffung der
Hans Georg Wagner
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 781
(C)
(D)
Teilwertabschreibung nicht wie vorgesehen erfolgen.
Das macht 3,4 Milliarden DM. Ich bin damit in der Sa-
che ja sehr einverstanden; denn die Streichung der Teil-
wertabschreibung wäre eine Katastrophe: für die ge-
werbliche Wirtschaft, für die Banken, für den Handel.
Das erweitert Ihr Loch auf immerhin 11,5 Milliarden
DM.
Genauso wird es sich mit der Streichung der Abzugs-
fähigkeit von Betriebsausgaben bei Auslandsgeschäften
verhalten. Auch das durchzusetzen wird Ihnen nicht ge-
lingen – weitere 1,4 Milliarden DM, insgesamt 12,9
Milliarden DM. Auch Ihre Vorhaben mit dem Mehr-
kontenmodell bekommen Sie nicht hin, wie gestern sehr
deutlich wurde. Somit sind wir – plus 1,1 Milliar-
den DM – bei insgesamt 14 Milliarden DM.
Damit sind wir aber erst bei der laufenden Nummer
37 im Gesetzentwurf angelangt. Es gibt aber 108 Bela-
stungspunkte. Dann kommt noch der Landwirtschafts-
minister, und dann kommt noch Herr Clement: Bei die-
sem Nudelgericht ist im Zusammenhang mit der Gewer-
beertragsteuer über weitere Entlastungen von 1,5 Milli-
arden DM gesprochen worden. Ich finde es richtig, daß
die Mittelständler entlastet werden. Nur, das sind teure
Nudeln. Dieses Geld fehlt Ihnen dann bei der Steuerre-
form. Sie bekommen das doch alles gar nicht mehr zu-
sammen!
Ich bin ein bißchen enttäuscht von Bauminister
Müntefering. Warum steigt der eigentlich nicht auf die
Barrikaden? Sie haben in diesem Steuerbelastungsgesetz
– es ist kein Entlastungsgesetz – so viele Dinge drin, die
die Bauwirtschaft belasten, daß ich mich frage, wie man
es überschreiben kann mit: „Ziel ist, Arbeitsplätze zu
schaffen“. Warum also steigt Herr Müntefering nicht auf
die Barrikaden, wenn es um sein Thema geht?
Eine solche Anhörung ist ja auch deshalb schön, weil
sich manchmal auch Freunde verplappern. In Ihrem
Bündnis für Arbeit haben Sie vage irgend etwas mit 35
Prozent für Unternehmenssteuern verabredet. Aber der
DGB-Vertreter, Herr Wehner, hat geplaudert: Diesen
Steuersatz wollen Sie gegenfinanzieren, zum Beispiel
mit der Abschaffung der degressiven AfA.
Dann bezahlt die Wirtschaft zweimal: Sie bezahlt jetzt
das Kindergeld und den Eingangssteuersatz und bezahlt
nachher noch einmal. Ich denke, das sollte man hier
deutlich machen.
Ich habe Ihre Wahlkampfanzeigen noch sehr gut in
Erinnerung. Danach sind Sie doch alle dafür, daß im
Mittelstand und im Handwerk mehr Arbeitsplätze ge-
schaffen werden. Sie tun aber genau das Gegenteil. Den
Haushalt können Sie deswegen nicht aufstellen, weil Sie
den Bürgern vor der Landtagswahl nicht die Wahrheit
sagen wollen.
Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen, ich habe einen Augenblick ge-
dacht: Was können eigentlich die armen Nudeln dafür?
Die esse ich nämlich sehr gerne. – Frau Kollegin, das
sollte nur ein Scherz sein.
Das Wort hat die Kollegin Antje Hermenau, Bündnis
90/Die Grünen.
Frau Wülfing, ich hätte gerne erlebt, wie Sie hier vorne
versuchen, auf der Grundlage Ihrer Petersberger Be-
schlüsse 30 Milliarden DM Nettoentlastung zu erklä-
ren.
Mein Gott, wären Sie rumgeeiert! Sie bekämen doch
schon bei den 10 Milliarden DM, die wir hier vorschla-
gen, große Probleme. Aber Ihre Sünden sind ja verges-
sen, weil keine Taten folgten.
Natürlich kann ich mir vorstellen, Herr Rexrodt, daß
Sie das Chaos der letzten Jahre vermissen. Ich verstehe
auch, Herr Austermann, daß Sie neugierig sind, wie wir
jetzt das auf die Reihe bekommen werden, was Sie in
den letzten Jahren nicht geschafft haben. Meine Herren,
Sie haben die Perspektive verloren. Sie denken, wir
würden so arbeiten wie Sie. Sie unterstellen uns Ihre
Arbeitsweise.
Sie versuchen mit ein paar Paragraphen und Artikeln,
diesen Eindruck zu erwecken.
Wer hat in den letzten Jahren denn ständig souverän
und haushoch den Wettbewerb „Flinke Nadel“ gewon-
nen? Ich erinnere mich zum Beispiel an Ihr Vorgehen im
Zusammenhang mit Maastricht. Da wurde von vornher-
ein ein zu niedriger Zuschuß an die Bundesanstalt für
Arbeit überwiesen, um im Laufe des Jahres eine über-
planmäßige Ausgabe tätigen zu können, die nicht zum
Maastricht-Kriterium gerechnet wurde. Sie haben im
Prinzip von vornherein geschummelt und unterstellen
jetzt auch uns eine solche Arbeitsweise.
Der zweite Akt im Wettbewerb „Flinke Nadel“
– wenn ich noch einmal für alle ins Gedächtnis rufen
darf, wohin eine so hektische Haushaltsführung führt –
sind die Kurz-ABM im Wahljahr. Ich erinnere mich
– das ist noch ganz frisch –: 75 000 Ostdeutsche hatten
wir im September 1998 mehr in ABM als im September
1997. Das klingt nicht schlecht. Das Problem an der Sa-
che ist: Das sind Kurz-ABM; die laufen noch in diesem
Jahr aus. Wir müssen uns jetzt Gedanken über eine
strukturelle Veränderung der Arbeitsmarktpolitik im
Osten machen, weil Sie mit solchen Kurzläufern und
solcher Atemlosigkeit solche Probleme geschaffen ha-
ben.
Elke Wülfing
782 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
Punkt drei im Wettbewerb „Flinke Nadel“ war die
Frage der Energiepfade. Bei Herrn Rüttgers, der damals
noch für Forschung und Bildung zuständig war, wurde
der Ausstieg aus dem Energiepfad „erneuerbare Ener-
gien“ – mal peu à peu, mal mit einem großen Sprung –
gemacht, weil man nicht mehr so recht wußte, was man
damit noch sollte bzw. wie man es auf die Reihe be-
kommt. Und damit trauen Sie sich in diese Debatte! Sie
trauen sich wirklich, uns Ihre Fehler zu unterstellen! Da
nutzen wir natürlich die Gelegenheit, Ihnen aufzuzeigen,
was Sie in den letzten Jahren angerichtet haben und was
wir jetzt in Ordnung bringen müssen. Seien Sie froh, daß
der Haushalt schon im Januar des nächsten Jahres vor-
liegen wird! Davon können Sie sich eine Scheibe ab-
schneiden.
Ein letzter Akt aus dem Wettbewerb „Flinke Nadel“,
allerdings ein guter – keiner von Ihnen –, einer, der
schnell gehen mußte und auch schnell kam, ist das Vor-
ziehen des Sofortprogramms zur Bekämpfung der Lehr-
stellenmisere und der Jugendarbeitslosigkeit. Seien Sie
froh, daß wir da schnell gehandelt haben!
Es ging darum, der Jugend in dieser Gesellschaft wieder
eine Heimat zu geben. Das haben Sie sträflich vernach-
lässigt, und zwar strukturell.
Sie haben das über Jahre schleifen lassen. Wir haben das
innerhalb weniger Monate in Angriff genommen.
Da werden wir im nächsten Jahr weiter erneuern und
verbessern müssen; aber ein erster Schritt ist getan. Sie
hatten jahrelang Zeit und haben gar nichts gemacht. Das
ist Fakt.
Das Wort hat der
Kollege Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir kritisie-
ren nicht, daß eine neue Bundesregierung eine gewisse
Zeit braucht, einen Haushaltsentwurf zu überarbeiten
und dann neu vorzulegen. Vielmehr kritisieren wir, daß
Sie seit Wochen jeden Tag neue Vorfestlegungen für
künftige Haushalte machen, sich aber gleichzeitig nicht
in der Lage sehen, hier einen Haushaltsentwurf ordent-
lich vorzulegen und einzubringen.
Wenn wir uns das Chaos der letzten Tage und Wo-
chen in Erinnerung rufen, dann müssen wir feststellen:
Mit diesem Chaos erhöhen Sie täglich das Haushaltsri-
siko.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr
Bundeskanzler hat von seinem Stuhl bis hier herüber,
auf diesen 2,50 Meter, zu Ihren Lasten 4,7 Milliarden
DM verloren, als er ankündigte, wie er die 620-Mark-
Beschäftigungsverhältnisse neu ordnen möchte.
– Und zu Lasten der Länder.
Ich sage Ihnen: Die Länder und die Gemeinden wer-
den es Ihnen nicht durchgehen lassen, daß Sie ihnen die
zustehenden Beträge vorenthalten. Sie werden den Län-
dern natürlich den Anteil der Kindergelderhöhung aus-
gleichen müssen. Sie werden natürlich auch die Nach-
teile aus der Neuregelung der 620-Mark-Beschäfti-
gungsverhältnisse ausgleichen müssen. Allein damit
sind Sie, Herr Lafontaine, mit rund 6,5 Milliarden DM
dabei; um diese Größenordnung handelt es sich.
Sehr viel schlimmer ist, daß Sie die Struktur des
Haushaltes fundamental zum Nachteil der investiven
Ausgaben verändern. Sie erhöhen den konsumtiven An-
teil zu Lasten der investiven Ausgaben.
Sie wissen auch nicht, wohin die Reise eigentlich ge-
hen soll. Auf die Frage des Kollegen Michelbach neu-
lich, ob man beabsichtige, die Staatsquote zu senken, hat
Die Bundesregierung strebt eine mittelfristige Be-
grenzung der Staatsquote an. Eine genaue Quantifi-
zierung ist derzeit nicht sinnvoll.
Da kommt einem geradezu das Grausen.
Der Kollege Wagner hat Gott sei Dank zugestanden,
daß die Frage der Investitionen sehr wohl vom Zeitpunkt
der Vorlage und der Verabschiedung des Haushaltes be-
troffen ist. Natürlich sind diejenigen Maßnahmen nicht
betroffen, für die bereits Beträge vorgesehen sind, für
die Verpflichtungsermächtigungen eingestellt sind. Aber
Sie können keine neuen Maßnahmen beginnen.
Nach unserer Schätzung geht es bei dem, was Sie hier
an Investitionsstau verursachen, immerhin um Beträge
in der Größenordnung von 15 bis 20 Milliarden DM.
Das ist mindestens soviel wie das, was die Gesamtentla-
stung Ihrer Steuerreform ausmachen soll – wenn sie
überhaupt so kommt, wie Sie sie angekündigt haben.
Aber ganz offensichtlich haben Sie, Herr Bundesfi-
nanzminister, ganz andere Sorgen. Wenn ich die „Frank-
furter Allgemeine Zeitung“ vom 7. Dezember richtig
gelesen habe, so haben Sie sich Sorgen über den Export
in Deutschland gemacht. Die neue deutsche Regierung
Antje Hermenau
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 783
(C)
(D)
werde nicht mehr „krampfhaft“ auf Exporterfolge set-
zen. Wer erfolgreich exportiert – so Lafontaines Kredo –,
tut dies letztlich immer zu Lasten eines anderen Lan-
des.
Ich habe noch in Erinnerung, daß Ihr damaliger
Kanzlerkandidat und jetziger Bundeskanzler Schröder
im Wahlkampf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit
unseres Landes in den Mittelpunkt gestellt hat. Im übri-
gen werden Sie, Herr Bundesfinanzminister, diese Sor-
gen ohnehin nicht mehr haben müssen, wenn Sie finanz-
politisch, verteidigungspolitisch und außenpolitisch wei-
terhin so viel Porzellan zerdeppern, wie Sie das in den
letzten Tagen und Wochen getan haben.
Denn damit wächst das Mißtrauen unserer Partner,
Freunde und Nachbarn. Das wird sich wirtschaftspoli-
tisch und auch in unseren Exporten mittel- und langfri-
stig niederschlagen.
Sie haben heute erfreulicherweise angekündigt, daß
Sie von der früheren Vorstellung abgerückt sind, unter
Umständen den Art. 115 in Anspruch zu nehmen. Sie
müssen wohl erkennen, daß es bei der komfortablen La-
ge, die Sie jetzt vorfinden, keinen Grund gibt, den Art.
115 in Anspruch zu nehmen: steigendes Wirtschafts-
wachstum, steigende Steuereinnahmen, sinkende Ar-
beitslosigkeit, weniger Ausgaben für den Arbeitsmarkt,
stabile Zinsen, stabile Preise.
Sie können es sich sogar leisten – mein Vorredner hat
es bereits gesagt –, eingeplante Privatisierungserlöse in
diesem Jahr nicht zu realisieren und ins nächste Jahr zu
verschieben, um sich damit einen größeren Puffer für die
Finanzierungsprobleme des nächsten Jahres zu verschaf-
fen, die Sie selber zu verantworten haben. Wir kritisie-
ren das auf das nachdrücklichste. Wir können die Aus-
reden, die Sie jetzt gebrauchen und vorbringen, nicht
akzeptieren. Es ist so, wie es schon hundertmal gesagt
worden ist: Sie machen jetzt Geschenke und offerieren
hinterher die Rechnung.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Konstanze Wegner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aufregung, die
die Opposition hier verbreitet, hat in der Tat etwas
Künstliches. Frau Kollegin Luft hat diesen Begriff schon
gebraucht. Auch ich hatte ihn in meinem Konzept. Er
stimmt einfach.
– Ich versuche, Sie ernst zu nehmen, aber das fällt mir
heute schwer angesichts dessen, was Sie hier abliefern.
Die Regierung wird einen Haushaltsentwurf vorlegen,
und zwar im Januar, das heißt – entgegen alle Spekula-
tionen – noch vor der Hessenwahl. In diesem Haus-
haltsentwurf wird erstens die verfassungsmäßige Grenze
des Art. 115 des Grundgesetzes respektiert werden.
Zweitens werden in ihm Maßnahmen zur langfristigen
Konsolidierung enthalten sein. Drittens werden mit ihm
in einigen Bereichen auch neue Akzente im Sinne der
Koalitionsvereinbarung gesetzt werden.
Den Haushalt eher vorzulegen war realistischerweise
nicht möglich. Das wissen Sie auch ganz genau. Der
Kassensturz mußte gemacht werden, um Klarheit über
die Haushaltslage zu gewinnen.
Wenn man hört, was Sie, Herr Repnik, und Ihre Kol-
legen hier ablassen: Wissen Sie, was man dann für einen
Eindruck hat? – Man hat den Eindruck, Sie hätten uns
Vollbeschäftigung und gefüllte Staatskassen hinterlas-
sen. So führen Sie sich hier auf.
In Wahrheit besteht Ihre Hinterlassenschaft jedoch in
der höchsten Massenarbeitslosigkeit und in der höchsten
Schuldenlast in der Geschichte dieser Republik. Das ist
der Grund, warum der Haushalt nicht sofort vorgelegt
werden kann. Das wissen Sie auch ganz genau.
Einen Vorgeschmack auf das, was die Opposition
heute hier bietet, hatten wir schon in der letzten Sitzung
des Haushaltsausschusses bekommen. Dort hat die Op-
position die Absicht der Regierung, der Bundesanstalt
für Arbeit einen Zuschuß in Höhe von
11 Milliarden DM zu gewähren, als verfassungswidrig
bezeichnet. Beanstandet haben Sie vor allem die Ein-
stellung des Sofortprogramms zur Bekämpfung der Ju-
gendarbeitslosigkeit in den Haushalt der Bundesanstalt.
Aber es ist verfassungsrechtlich zulässig, wenn die Bun-
desregierung den Haushalt der BA mit einem Defizit
von 11 Milliarden DM genehmigt. Art. 111 des Grund-
gesetzes ermächtigt sie, auch bei noch nicht bestehen-
dem Haushaltsgesetz „rechtlich begründete Verpflich-
tungen des Bundes zu erfüllen“.
Bartholomäus Kalb
784 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
Das Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendar-
beitslosigkeit ist darüber hinaus auch im Sinne von Art.
112 des Grundgesetzes unabweisbar, weil damit die ho-
he Jugendarbeitslosigkeit bekämpft wird. Es trägt dazu
bei, die Verpflichtung der beschäftigungspolitischen
Leitlinie der Europäischen Union zu erfüllen. Es muß
deshalb am 1. Januar 1999 in Kraft treten.
– Was Herr Fuchtel sagen wird, weiß ich schon. Er wird
sich auf den Rechnungshofbericht berufen, in dem in der
Tat kritisiert wird, daß das Programm bei der BA ange-
siedelt wird. Aber der gleiche Rechnungshof hat in die-
sem Bericht auch gesagt, daß sich das Problem in Kürze
von selbst erledigt, weil in dem Gesetz zur Wiederher-
stellung der Arbeitnehmerrechte, das wir eingebracht
haben und das morgen hier endgültig verabschiedet
wird, festgesetzt wird, daß dieses Programm künftig bei
der Bundesanstalt etatisiert wird. Insofern hat sich das
Problem gelöst, und Sie können sich Ihre ganze Spucke
sparen.
Ich wiederhole: Ihre Aufregung ist künstlich. Daß Sie
Ihre Chance als Opposition nutzen, um uns hier zu at-
tackieren, das ist Ihr gutes Recht. Aber an Ihrem Ver-
halten stört mich – das muß ich schon sagen –, daß Sie
jeden Hauch von Selbstkritik vermissen lassen.
Woran liegt es denn, daß wir heute in einer so außeror-
dentlich schwierigen haushaltspolitischen und arbeits-
marktpolitischen Situation sind? Es liegt daran, daß Sie
16 Jahre dieses Land regiert haben.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Jetzt hat der Kollege
Hans-Joachim Fuchtel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Dr.
Wegner weiß ja schon, was ich sagen werde. Ich aber
möchte wenigstens darauf hinweisen: Wenn ich so frech
wie Oskar wäre, würde ich hier behaupten, es sei das
alleinige Verdienst der Opposition, wenn 1999 diesem
Bundestag überhaupt ein Haushalt vorgelegt wird.
Das Gebot der Konsolidierung hat der Bundeskanzler
hier hochleben lassen. Aber was für Lippenbekenntnisse
das sind, möchte ich einmal an dem Beispiel des Zu-
schusses zur Bundesanstalt für Arbeit aufzeigen.
– Ja natürlich, wir verstehen uns in der Sache ja auch
ganz gut; solange Sie in der Opposition waren, verstan-
den wir uns noch besser.
Meine Damen und Herren, in dieser Zeit wird sicht-
bar, daß wir zirka 5 Milliarden DM in diesem Jahr übrig
haben werden. Wir haben nämlich 5 Milliarden DM we-
niger Ausgaben, und das ist ein Erfolg der früheren Re-
gierung.
Das darf hier einmal gesagt werden.
Ein Ergebnis dieser Politik wird auch sein, daß wir im
nächsten Jahr einen Rückgang an Arbeitslosen um etwa
200 000 haben werden. Darüber sind wir froh. Aber
auch das ist ein Erfolg der früheren Regierung.
Die Frage, die sich jetzt hier stellt, ist doch: Was
macht der jetzige Finanzminister daraus? Sie haben 11
Milliarden DM mehr. Und was machen Sie? Sie haben
sie bereits der Bundesanstalt für Arbeit wieder zugewie-
sen. Das ist keine Leistung, Herr Lafontaine; denn der
Waigel-Entwurf sah ebenfalls vor, daß 11 Milliarden
DM zur Verfügung stehen. Aber wir waren schon wei-
ter. Wir hatten schon einen Haushaltsentwurf. Den ha-
ben Sie jetzt noch nicht. Das ist der Unterschied.
Also brüsten Sie sich nicht weiter mit einer solchen Lei-
stung!
Sie könnten 8 Milliarden DM von dem Geld zur Sen-
kung der Nettokreditaufnahme oder zur Entlastung der
Finanzmärkte verwenden. Aber das tun Sie nicht. Reden
Sie also künftig nicht mehr vom Stopfen von Haus-
haltslöchern, wenn Sie das gar nicht ernsthaft vorhaben!
Genauso könnten Sie mit diesem Betrag die Sozialversi-
cherungsabgaben um 0,5 Beitragspunkte senken
– ohne diese komische Öko-Abkassiererei. Aber Sie tun
auch das nicht, Sie haben dazu nicht mal mehr die Kraft.
Sie könnten auch viele Milliarden für Investitionen ein-
setzen. Auch das tun Sie nicht.
Wir wissen, warum das alles so läuft. Wir haben sehr
genau beobachtet, wie die Personalpolitik hier läuft.
Noch nie haben wir erlebt, daß ein Haushaltsdirektor di-
rekt aus der Funktion eines Büroleiters in diese wichtige
Funktion hochbefördert wird. Was hier passiert ist, ist
der Öffentlichkeit bis jetzt entgangen. Hier kommt je-
mand, der der Büroleiter des saarländischen Schulden-
königs war, und der bekommt den Platz des Haushaltsdi-
rektors im Finanzministerium. Das muß man sich einmal
vorstellen! Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn
das dann diese Entwicklung nimmt.
Dr. Konstanze Wegner
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998 785
(C)
(D)
So kommt es dann auch, daß Sie jetzt 10 Milliarden DM
in weitere AB-Maßnahmen hineinpumpen.
Wir müssen darauf hinweisen: Hier handelt es sich
um einen klaren Bruch der Verfassung. Frau Kollegin
Dr. Wegner hat vorhin erklärt, es gehe hier um die Sozi-
algesetzgebung. Jawohl! Aber noch wichtiger ist die
Verfassung, und diese wird in diesem Punkt mißachtet.
Es ist der Bundesregierung untersagt, einen Schatten-
haushalt bei der Bundesanstalt für Arbeit zu verstecken.
Herr Finanzminister, nichts anderes tun Sie. Das ist ver-
fassungswidrig, und das kann man Ihnen nicht durchge-
hen lassen. Das muß hier deswegen ganz deutlich gesagt
werden.
Ich fasse zusammen: Hier wird schon zu Beginn die-
ser Regierungszeit an einem ganz wichtigen Punkt eine
große Störung des Vertrauens zum Parlament offen-
sichtlich. Ich kann Sie nur auffordern: Tun Sie so etwas
nie wieder!
Ich bin mir sicher, nach Weihnachten, wenn Sie dann
die Ratenzahlungen für die ganzen Geschenke, die Sie
ausgeteilt haben, erbringen müssen, dann werden immer
mehr Leute rufen: Wir wollen unseren Theo wiederha-
ben.
Nun erteile ich der
Kollegin Uta Titze-Stecher das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der letzte Satz hat mich wirklich schallend lachen las-
sen, Herr Kollege Fuchtel. Wenn Sie die Gesichter der
Stenographen betrachtet hätten – das konnten Sie natür-
lich aus dieser Position heraus nicht –, dann hätten Sie
auch deren Schmunzeln beobachten können. Das kann
man ja nicht ernst nehmen. Als Präsident für Ihre Ka-
mele sind Sie sicherlich effizienter als bei der Kritik des
Bundeshaushalts.
Es hat eine verräterische Anmerkung seitens des
Kollegen Kalb gegeben. Der Kollege Kalb äußerte näm-
lich, daß ihn vor allem die Politik dieser neuen Bundes-
regierung störe. Er hat nämlich alle Maßnahmen, die wir
bisher ergriffen haben, kritisiert. Das heißt, es stimmt,
was Frau Luft und Frau Wegner hier gesagt haben, daß
die Aktuelle Stunde einberufen worden ist, obwohl es
dafür keinen rationalen Grund gibt.
Sie bemühen ja heute so außerordentlich oft das
Grundgesetz. Darf ich Sie darauf aufmerksam machen –
auch der Bundesfinanzminister ist bereits darauf einge-
gangen –, daß der Art. 111 Grundgesetz die vorläufige
Haushaltswirtschaft regelt? Ich sage Ihnen auch, warum
– Sie wissen es –: Weil die Situation schlicht und ein-
fach eintreten kann, wie sie im Moment aktuell ist, daß
nämlich das Haushalts- und das Rechnungsjahr nicht
miteinander identisch sind.
Wenn Sie im Haushaltsausschuß und im Plenum be-
haupten, daß Ihnen das nie untergekommen ist, dann
muß ich sagen: Ja gut, wenn die neue Regierung die alte
Regierung ist, wie das 1994 der Fall war, dann ist es
natürlich nicht schwer, einen Bundeshaushalt einzubrin-
gen. Aber verabschiedet haben Sie ihn auch erst im
nächsten Sommer. Zur Bewältigung der augenblickli-
chen Haushaltssituation hat der Gesetzgeber Sorge ge-
tragen. Deswegen sollten Sie hier nicht so herummäkeln
und für diese Aktuelle Stunde Vorwände suchen.
Ihnen geht es darum, daß Sie die Politik der neuen
Regierung schlicht nicht verknusen können.
– Nun muß ich sagen, Herr Rexrodt, das können Sie
dann in der parlamentarischen Debatte bei der Einbrin-
gung von Gesetzentwürfen trefflich diskutieren. Da ist
der richtige Platz, aber nicht hier, wo Sie einen Vorwand
wie heute zum Anlaß nehmen, um herumzumeckern.
Wir hätten das im gleichen Fall nicht getan.
Es hat ein totaler Wechsel stattgefunden – das muß
ich Ihnen noch einmal sagen –, nämlich nicht nur mit
der neuen Bundesregierung, sondern auch mit der ge-
samten Konstellation, nämlich der Koalition. Es ist nun
mehr als verständlich und nachvollziehbar, wenn diese
neue Bundesregierung auch im Bundeshaushalt ihre ei-
gene Handschrift wiederfinden möchte.
Wie oft haben mir bei Haushaltsberatungen die Kol-
leginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen
freundlich lächelnd ins Gesicht gesagt: Tja, das geht
nicht, was du möchtest; wir regieren. – So ist es nun für
uns. Aus Ihrer Sicht ist das natürlich mißlich. Aber nur
ein Kind hätte geglaubt oder erwartet, daß die abge-
wählte Bundesregierung davon ausgehen kann, daß ihr
noch vor den Wahlen vorgelegter Bundeshaushalt von
uns schlicht übernommen werden könnte.
Ihnen geht es ja gar nicht um die Fristen. Ihnen geht
es ja nur ums Madigmachen.
Eine Bemerkung zum Thema Verfassungsmäßigkeit.
Da sind wir beim Punkt. Sie outen sich hier als Fans der
Verfassungsmäßigkeit der haushaltsrechtlichen Bestim-
mungen im Grundgesetz. Da muß ich aber herzhaft la-
chen.
Nicht erst, seit ich Vorsitzende im Rechnungsprü-
fungsausschuß bin weiß ich – acht Jahre Arbeit im
Rechnungsprüfungsausschuß haben mich dies gelehrt –,
daß die abgewählte Kohl-Regierung geradezu als Mar-
Hans-Joachim Fuchtel
786 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1998
(C)
kenzeichen ständige und hartnäckige Verstöße gegen
verfassungsmäßig normierte Grundsätze der Haushalts-
und Wirtschaftspolitik vorgewiesen hat.
Das sagt nicht die SPD, sondern das sagt selbst der
Bundesrechnungshof, und zwar Jahr für Jahr bei der
Vorlage seines Prüfberichts, zuletzt im November dieses
Jahres. Und der BRH ist nun der unparteiische Bewerter
schlechthin und nicht Sie.
Im Art. 110 – Sie haben heute sehr oft das Grundge-
setz bemüht, Herr Austermann – schreibt das Grundge-
setz zum Haushaltsplan und zum Haushaltsgesetz des
Bundes vor:
Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind in
den Haushaltsplan einzustellen…
So schlicht, so einfach. Nur, Sie haben es nie befolgt.
Der Bundesrechnungshof hat Ihnen zum wiederholten
Mal klargemacht, daß Ihre Art der Haushaltsrechnung,
nämlich die 16 Sondervermögen und ihre Einnahmen
und Ausgaben gesondert beizulegen, schlicht verfas-
sungswidrig ist, weil dies keinen Gesamtüberblick über
die Gesamtverschuldung des Haushaltes erlaubt. Dieses
und weitere Verstöße sind an der Tagesordnung gewe-
sen, beispielsweise Verstöße – ich mache es ganz kurz –
gegen Art. 109, Haushaltswirtschaft in Bund und Län-
dern, Art. 110, Haushaltsplan und Haushaltsgesetz, Art.
112, überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben,
ein ständiger Renner. Dies ist am Haushalt der Bundes-
anstalt für Arbeit verifiziert worden.
Das Neueste zum Thema hat die Präsidentin des
Bundesrechnungshofes im November voller Sorge ge-
äußert: Der Schuldenberg und die Zinsverpflichtungen,
die in 16 Jahren seit 1982 aufgehäuft worden sind, ha-
ben sich vervierfacht wie der Bundesfinanzminister ge-
sagt hat. Durch diese Ihre Erblasten sind die Spielräume
zur politischen Gestaltung so schmal geworden – ich
komme zu meinem Schlußsatz –, daß es wohl recht und
billig ist und seriöser Haushaltsführung entspricht, einen
völlig überarbeiteten Bundeshaushalt mit völlig überar-
beiteter mittelfristiger Finanzplanung vorzulegen. Dafür
müssen Sie uns wohl oder übel Zeit lassen.
Die Aktuelle Stunde
ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen
Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 10. Dezember
1998, 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.