Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Darf ich die Fraktionsgeschäftsführer kurz zu mir bitten. -
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 13/8948 -
Die Frage 1 der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard, die Frage 2 des Kollegen Manfred Grund und die Frage 3 der Kollegin Ulrike Mehl werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Walter Hirche zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Horst Kubatschka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Erkenntnis, daß sich die Zerstörung der Ozonschicht durch den Einsatz von schwefelarmem Kerosin stark verringern ließe, und beabsichtigt sie, sich bundes- oder EU-weit für die Umstellung auf schwefelarmes Kerosin einzusetzen, zumal die Mineralölindustrie diesen Flugtreibstoff sofort liefern könnte und die Flugpreise nur wenig steigen würden?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kubatschka, Einwirkungen von Schwefeltröpfchen auf Klima und Luftchemie sind weitgehend unbekannt. Hier besteht noch Forschungsbedarf. Der Ozonabbau in der Stratosphäre ist kein Problem des zivilen Unterschalluftverkehrs, sondern eines des zivilen Überschalluftverkehrs, der über Deutschland verboten ist. Aufschluß über die noch offenen Fragen sollen unter anderem das Forschungsvorhaben des BMBF „Schadstoffe in der Luftfahrt" und das Forschungsvorhaben des Umweltbundesamtes „Auswirkungen der Emissionen des Luftverkehrs oberhalb der Tropopause auf die stratosphärische Ozonschicht" erbringen.
Die Bundesregierung nimmt die Befürchtungen über die Umweltgefahren, die durch den Luftverkehr entstehen können, gleichwohl sehr ernst. Am 17. September dieses Jahres hat das Bundeskabinett das von Frau Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel und Herrn Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann gemeinsam vorgelegte „Konzept für Luftverkehr und Umwelt" beschlossen. Das Konzept formuliert Ziele und ein Bündel von Maßnahmen für einen umweltverträglichen Luftverkehr, mit denen der Umweltschutz im Bereich des Luftverkehrs verbessert werden soll. Neben anderen Zielen wird eine weitere deutliche Herabsetzung des Schwefelgehaltes im Kerosin angestrebt.
In Deutschland angebotene Kerosine haben einen Schwefelanteil von etwa 0,05 Gewichtsprozent, der deutlich unter dem international zulässigen Normwert von 0,3 Gewichtsprozent liegt. Die EG-Richtlinie 93/12/EWG des Rates vom 23. März 1993 über den Schwefelgehalt bestimmter flüssiger Brennstoffe verpflichtet die Kommission zur Vorlage eines Vorschlags, der unter anderem neue Grenzwerte für Kerosin für Luftfahrzeuge festlegen soll. In diesem Rahmen ist es Ziel der Bundesregierung, eine weitere deutliche Herabsetzung des Schwefelgehalts zu erreichen.
Ihre erste Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, wie ist auf diesem Gebiet der Stand der Verhandlungen bei der EU?
Wir rechnen damit, daß wir möglicherweise im nächsten Jahr zu einem Ergebnis kommen. Genaueres kann ich aber im Augenblick nicht sagen. Herr Abgeordneter, ich will gerne präzise Auskünfte über den Stand der Verhandlungen einholen und sie Ihnen im Nachgang zu dieser Fragestunde mitteilen.
Dafür herzlichen Dank. Welche Erfolgsaussichten sehen Sie für die Durchset-
Horst Kubatschka
zung des Standpunktes der Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen bei der EU?
Herr Abgeordneter, die Erfolgsaussichten sind deutlich besser geworden, nachdem man sich innerhalb der EU im Rahmen der Vorbereitungen auf die Konferenz von Kyoto darauf verständigt hat, auch das Thema „Besteuerung des Kerosins" aufzunehmen. Ich denke daher, daß die Frage „Kerosin und dessen Einwirkung auf die Umwelt" einen deutlich höheren Stellenwert hat.
Die Debatte der neun Staaten, die sich kürzlich in Berlin zur Vorbereitung der Konferenz von Kyoto und zur Formulierung von Positionen im Zusammenhang mit dem Thema „Umwelt und Steuern" getroffen haben, hat am Rande ergeben, daß das Thema „Luftverkehr und Auswirkungen auf die Umwelt" eine immer größere Rolle spielt.
Wir sind uns in diesem Zusammenhang darüber im klaren, daß entsprechende Regelungen, die allein auf Europa beschränkt sind, wegen der Globalität des Luftverkehrs nur sehr begrenzte Wirkungen haben.
Ich sehe keine weiteren Fragen.
Die Frage 5 der Abgeordneten Dr. Leonhard wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereiches. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Funke zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Rolf Schwanitz auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung die zunehmende tiefe Beunruhigung der Bevölkerung in den neuen Bundesländern, insbesondere im ländlichen Raum, zu zerstreuen, die infolge der aktuellen Diskussion über die Revision der Enteignungen in der SBZ von 1945 bis 1949 aufgetreten ist?*)
*) s. hierzu auch Fragen 30-33.
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, aus der Sicht der Bundesregierung besteht für eine Beunruhigung, wie Sie dies genannt haben, keinerlei Veranlassung. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, daß sie nicht die Absicht hat, die geltenden Bestimmungen zu den Enteignungen zwischen 1945 und 1949, wie sie im Einigungsvertrag, im Vermögensgesetz, im Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz und in der Flächenerwerbsverordnung verankert sind, einer Revision zu unterziehen.
Ich verweise insoweit auf die Ausführungen, die Bundesminister Bohl am 16. Januar dieses Jahres im
Deutschen Bundestag gemacht hat. Diesen Ausführungen habe ich von meiner Seite nichts hinzuzufügen. Ich habe diese Ausführungen eben noch einmal gelesen. Sie sind auch von Ihrer Fraktion mit Beifall bedacht worden.
Ihre erste Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, wenn Sie formulieren, daß Sie für die Beunruhigung keine Veranlassung sehen, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen denn die tiefen Beunruhigungen bekannt sind, die insbesondere im ländlichen Raum in jüngster Zeit wieder entstanden sind.
Es hat sicherlich die eine oder andere Meinungsäußerung gegeben, insbesondere nach dem Bundesparteitag der CDU in Leipzig. Insoweit ist mir die subjektive Seite in den neuen Bundesländern durchaus bekannt. Aber objektiv besteht kein Anlaß zur Beunruhigung.
Zweite Zusatzfrage.
Darf ich aus Ihren Worten entnehmen, daß auf Grund der von Ihnen jetzt im Zusammenhang mit Leipzig angesprochenen Ereignisse, die die Diskussionen natürlich erneut in diese Richtung befördert haben, die Bundesregierung keinen Anlaß sieht, von ihren Grundpositionen abzuweichen, obwohl die stärkste Partei der Regierungskoalition hier involviert ist?
Ihre Annahme ist richtig. Der Antrag auf dem Bundesparteitag der CDU war an die Bundestagsfraktion gerichtet, nicht an die Bundesregierung.
Mir ist die Weisheit der Bundesregierung nicht klar, warum die Fragen 30 bis 33 nicht in diesem Zusammenhang behandelt werden, daß also das Justizministerium allein für die Beruhigung zuständig ist und das Bundesministerium der Finanzen für die Sachfragen.
Da alle Beteiligten anwesend sind und wenn Sie, Frau Karwatzki und Herr Funke, einverstanden sind, würde ich jetzt gerne die Fragen 30 bis 33 vorziehen, weil sie einen unmittelbaren Sachzusammenhang zu dem haben, was bisher gefragt worden ist.
Selbstverständlich.
Dann darf ich mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär, bedanken und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Ich darf Sie, Frau Staatssekretärin Karwatzki, bitten, die Fragen zu beantworten.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Wir kommen zunächst zur Frage 30 des Kollegen Hacker:
Steht die Bundesregierung weiterhin uneingeschränkt zu den auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage vorgenommenen Enteignungen in der SBZ in den Jahren 1945 bis 1949, und wird sie die darauf basierenden Regelungen im Einigungsvertrag, im Vermögensgesetz, im Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz und in der Flächenerwerbsverordnung weiterhin konsequent umsetzen und die diesbezüglichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nach Sinn und Wortlaut beachten?
Herr Kollege Hacker, die Bundesregierung hat immer wieder erklärt, daß die Enteignungen in der früheren Sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 Unrecht waren. Sie hat - wie sich aus Ziffer 1 der Gemeinsamen Erklärung der beiden Deutschen Staaten vom 15. Juni 1990 ergibt - jedoch im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis genommen, daß die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik keine Möglichkeit gesehen haben, die damals getroffenen Maßnahmen zu revidieren.
Die Bundesregierung steht zur geltenden Rechtslage. Sie hat nicht die Absicht, auf eine Änderung der im Einigungsvertrag verankerten Nichtrückgängigmachung dieser Enteignungen oder auf eine gesetzliche Neuregelung der Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen einschließlich des Flächenerwerbs hinzuwirken. Auch heute kann ich die von Bundesminister Bohl am 16. Januar 1997 hier im Deutschen Bundestag für die Bundesregierung abgegebene Stellungnahme nur bekräftigen.
Ihre Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, vor dem Hintergrund Ihrer Erklärung, die Sie eben abgegeben haben, frage ich noch einmal ganz konkret: Kann ich Ihre Erklärung so verstehen, daß die Bundesregierung keine praktischen Auswirkungen der Beschlüsse des CDU-Parteitages in Leipzig auf das Regierungshandeln und auf die Gesetzgebung des Bundes sieht, insbesondere nicht hinsichtlich einer Änderung des Vermögensgesetzes, das diesen Bereich der Enteignungen 1945 bis 1949 regelt.
Herr Kollege Hacker, das habe ich ja gerade ausgeführt.
- Bitte.
Dann rufe ich Ihre Frage 31 auf, Herr Kollege Hacker:
Welche Auswirkungen treten nach Auffassung der Bundesregierung ein, wenn die Rechtsbeständigkeit der in Frage 30 genannten Enteignungen durch Veränderung
- des § 1 Abs. 8 Buchstabe a des Vermögensgesetzes und
- der Regelungen des EALG über Ausgleichsregelungen zugunsten der Alteigentümer
aufgehoben und damit das Gesamtsystem der Ausgleichsregelungen für Kriegseinwirkungen und Kriegsfolgen politisch, ökonomisch und juristisch in Frage gestellt wird, insbesondere auch hinsichtlich der unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung dann zwangsläufig zu erwartenden erneuten Forderungen weiterer Betroffenengruppen ?
Herr Kollege Hacker, die Bundesregierung strebt - jetzt wird das noch einmal sehr deutlich - weder die Aufhebung des Restitutionsausschlusses für Besatzungsenteignungen nach § 1 Abs. 8 Buchstabe a des Vermögensgesetzes noch eine Änderung des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes zugunsten von früheren Eigentümern an. Die Frage nach den Auswirkungen möglicher Gesetzesänderungen ist daher rein hypothetischer Natur. Ich sehe deshalb keine Veranlassung, näher darauf einzugehen.
Zusatzfragen?
- Bitte.
Hat die Bundesregierung in Kenntnis der von Herm Bundesminister Bohl auf die Frage nach möglichen Neuverteilungen gegebenen klaren Antwort, daß es nichts neu zu verteilen gebe, was nicht im Rahmen der Flächenerwerbsverordnung und des EALG zumindest rein theoretisch längst zugeordnet worden sei, zwischenzeitlich eine andere Sicht in der Beantwortung dieser Frage angenommen?
Nein. Wir bleiben bei der Haltung, die hier von Minister Bohl vorgetragen wurde.
- Bitte.
Herr Kollege Schwanitz.
Frau Staatssekretärin, Ihre Feststellung, daß die Annahme einer solchen Änderung rein hypothetischer Natur sei, beruhigt uns natürlich. Aber wir wissen - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der heutigen Fragestunde -, daß an eine Koalitionsfraktion sehr wohl ein politischer Auftrag mit diesem Inhalt ergangen ist. Ich möchte Sie deswegen noch einmal fragen, ob Sie vor dem Hintergrund der unterschiedlichen inhaltlichen Positionen der Bundesregierung auf der einen Seite und des politischen Auftrages an die CDU/CSU-Fraktion auf der anderen Seite nicht dem Parlament behilflich sein wollen und es darüber informieren könnten, welche Auswirkungen diese Änderungen insbesondere im Bereich des Vermögensgesetzes hätten. Denn dies wäre für die politische Diskussion wichtig.
Herr Kollege Schwanitz, ich weiß nicht - denn der Auftrag ist an die Fraktion erteilt worden -, ob hier bereits etwas in die Wege geleitet worden ist. Ich habe soeben im Namen der Regierung Informationen in dieser Angelegenheit zur Kenntnis gegeben.
Dann rufe ich die Frage 32 des Kollegen Dr. Thalheim auf:
Wie im einzelnen will die Bundesregierung die Unsicherheiten in den landwirtschaftlichen Unternehmen der neuen Länder beseitigen und eine Gefährdung dieser Unternehmen verhindern, die durch die Verzögerungen bei der Umsetzung des Flächenerwerbsprogramms bisher entstanden sind und die durch die jüngsten politisch initiierten Diskussionen um die Rückgabe der Bodenreformflächen an Alteigentümer zusätzlich für Unsicherheit gesorgt haben?
Herr Kollege Thalheim, Verzögerungen bei der Umsetzung des Flächenerwerbs wurden von seiten der Bundesregierung nicht verursacht. Die Flächenerwerbsverordnung ist am 30. Dezember 1995 in Kraft getreten. Die Umsetzung konnte allerdings erst beginnen, nachdem das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 21. Mai 1996 einen gegen den Beginn der Umsetzung gerichteten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt hatte.
Die bislang eingegangenen Kaufanträge werden auf der Grundlage des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes und der Flächenerwerbsverordnung von der Privatisierungsstelle so zügig wie möglich bearbeitet. Gefährdungen der Unternehmen sind nicht ersichtlich. Im landwirtschaftlichen Bereich ist allerdings bislang eine eher verhaltene konkrete Kaufbereitschaft der erwerbsberechtigten Pächter festzustellen. Die Ursachen dafür sind naturgemäß vielfältig und liegen im Bereich der unternehmerischen Verantwortung.
Aus der Sicht der Bundesregierung besteht kein Anlaß für Unsicherheiten im Zusammenhang mit Diskussionen über die Rückgabe der Bodenreformflächen an Alteigentümer. Die Bundesregierung hat immer betont, daß eine Änderung des Restitutionsausschlusses nicht in Betracht kommt. Ich erinnere hier noch einmal an die Erklärung von Bundesminister Bohl.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, können Sie bestätigen, daß die nach der Wiedervereinigung entstandenen landwirtschaftlichen Unternehmen in den neuen Ländern in der Regel eine geringe Ausstattung an Eigenflächen haben und daß deshalb das Flächenerwerbsprogramm eine wichtige Basis dafür ist, einen Nachteilsausgleich für die Schäden, die vor der deutschen Vereinigung entstanden sind, herzustellen, und wird die Bundesregierung bei den entsprechenden Verhandlungen in Brüssel in dieser Richtung argumentieren?
Die Verhandlungen führen nicht wir, sondern der zuständige Fachminister. Ich sage Ihnen dies trotzdem zu.
- Bitte.
Eine weitere Zusatzfrage? -
Dann rufe ich die Frage 33 des Kollegen Dr. Thalheim auf:
Was wird die Bundesregierung tun, um das Entschädigungs-
und Ausgleichsleistungsgesetz einschließlich der Flächenerwerbsverordnung nunmehr schnellstmöglich umzusetzen?
Herr Kollege Thalheim, die Bundesregierung ist an einer zügigen Umsetzung des EALG interessiert. Die im Rahmen des Flächenerwerbs bis zum Abschluß eines Kaufvertrages in jedem Einzelfall erforderlichen umfangreichen Vorarbeiten werden von der BVVG so schnell wie möglich durchgeführt. Dazu gehört zum Beispiel die Prüfung der Berechtigung des Erwerbsinteressenten, die Prüfung der Verfügbarkeit der Fläche und, sofern es sich um den Erwerb durch ein LPG-Nachfolgeunternehmen handelt, die Feststellung der Landesbehörden über die ordnungsgemäße Vermögensauseinandersetzung.
Ihre Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß das Flächenerwerbsprogramm direkter Bestandteil des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes ist und daß demzufolge eine Infragestellung der Regelung letztendlich das Infragestellen des hier im Hause gefundenen Kompromisses zum EALG bedeutete?
Nein,
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Könnten Sie das Nein begründen, Frau Staatssekretärin?
Das Nein ergab sich aus Ihrer Frage.
Den ersten Teil Ihrer Frage hätte ich ganz klar mit einem Nein beantworten müssen. Die Frage war aber ein bißchen lang, so daß ich überlegen mußte,
Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki
ob ich sie insgesamt mit einem Nein beantworten kann.
Herr Kollege Hacker, Sie haben eine weitere Frage.
Frau Staatssekretärin, ich würde das Problem gerne noch einmal aufgreifen und fragen, ob Sie einen inhaltlichen und juristischen Zusammenhang zwischen dem EALG und der Flächenerwerbsverordnung sehen. Eine zweite, dazugehörende Frage wäre: In welchem Umfang sind bislang Flächen im land- und forstwirtschaftlichen Bereich veräußert worden?
Soweit ich weiß: etwa 10 Prozent. Das ist, gemessen an der Sorge, die durch Ihre Fragen zum Ausdruck kommt, sehr wenig.
- Die Flächenerwerbsverordnung gehört zum EALG; damit gehört beides zueinander.
- Bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Die anderen Fragen aus Ihrem Bereich rufe ich später auf.
Zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz liegen keine weiteren Fragen vor.
Dann rufe ich den Bereich des Bundesministeriums für Wirtschaft auf. Die Fragen 7 und 8 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Bernd Neumann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 der Abgeordneten Odendahl auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung jeweils kurzfristig die beiden letzten Sitzungen des Beirats für Ausbildungsförderung abgesagt hat, und was sind im einzelnen die Gründe hierfür?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Es trifft zu, daß zwei geplante Sitzungen des Beirates für Ausbildungsförderung verschoben werden mußten, weil der Entwurf eines 12. Berichts nach § 35 BAföG, der in diesen Sitzungen beraten werden sollte, nicht fertiggestellt werden konnte. Es war das Ziel, Ergebnisse der Beratungen der Bund-Länder-AG zur Reform der Ausbildungsförderung möglichst weitgehend zu berücksichtigen.
Anfang November wurde der Beirat zu seiner nächsten Sitzung am 24. November 1997 eingeladen.
Bitte schön, Ihre erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Bundesregierung entgegen dem Berichtsentwurf der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, in dem festgehalten ist, daß die Bundesregierung vor der Beschlußfassung der Regierungschefs von Bund und Ländern am 18. Dezember 1997 von einem eigenen Vorschlag absieht, nun doch, wie im Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie angekündigt, einen eigenen Gesetzentwurf zur BAföG-Reform vorlegen wird? Und wann wird dieser vorliegen?
Frau Kollegin, Ihre jetzige Frage hat mit der Ausgangsfrage überhaupt nichts zu tun. Ich bin dennoch gerne bereit, sie zu beantworten.
In der Ausgangsfrage, Herr Präsident, ging es um den Beirat und um nichts anderes.
Ich habe das wohl verstanden.
Der Auftrag der Ministerpräsidenten aus ihrer Sitzung vom 22. Oktober an die sogenannte Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Hinblick auf die Reform der Studienfinanzierung war, auf der Grundlage der beiden schon vorliegenden Modelle, des Bayern-Modells und des Drei-Körbe-Modells, und der entsprechenden Finanzierungsmodalitäten, die auch ermittelt waren, einen gesetzesreifen Vorschlag zu machen, der im übrigen kostenneutral sein sollte.
Wir haben darüber beraten und sind zu dem Ergebnis gekommen - das hat Minister Dr. Rüttgers eben auch in der Sitzung des Forschungsausschusses vorgetragen -, daß wir selbst an einem Gesetzentwurf für den Vorschlag, den wir selbst befürworten, nämlich das sogenannte Bayern-Modell, mitwirken werden und daß gleichzeitig die Vorsitzende auf Länderseite in dieser AG, Frau Ministerin Schuchardt, von uns gebeten wird, für die Länder einen Gesetzentwurf der Länderseite vorzulegen, der sich auf das Drei-Körbe-Modell bezieht.
Darüber hinaus haben wir die Länder aufgefordert, sicherzustellen, daß sie untereinander zu einer einheitlichen Meinung gelangen. Denn es ist ja wichtig, daß die Länder, wenn sie in ihrer Gesamtheit ein Modell wollen, dafür sorgen, daß sie sich in wesentlichen Punkten darüber einig sind. Das ist im Augenblick nicht der Fall. Sie wissen, daß die große Mehrzahl der Länderjustizminister im Hinblick auf die notwendige Veränderung des Unterhaltsrechts gegenüber beiden Modellen Bedenken hat und daß es von
Parl. Staatssekretär Bernd Neumann
den Finanzministern der Länder gegenüber dem Drei-Körbe-Modell nach wie vor kritische Einwände gibt.
Es wird ein Vorschlag vorgelegt werden, der sich auf das sogenannte Bayern-Modell bezieht, und wir gehen davon aus, daß die Länderseite unter Verantwortung von Frau Schuchardt dasselbe mit Bezug auf das von ihr favorisierte Modell tut.
Frau Kollegin, die Antwort hat uns ja nun wirklich weit von Ihrer Ausgangsfrage, der Frage 9, weggeführt. Ich bitte Sie also darum, daß Sie eine Zusatzfrage stellen, die einen Zusammenhang zur Frage 9 aufweist. - Bitte schön.
Das ist in Ordnung. Allerdings hat der Herr Staatssekretär soeben Ausführungen gemacht, die durchaus in einem sachlichen Zusammenhang zur Frage 9 stehen. Sie, Herr Präsident, sagen: Es ist sehr schwierig, einen Zusammenhang mit dem BAföG zu erkennen. Ich sage: Er ist gegeben.
Frau Kollegin, ich lasse nur Zusatzfragen zu, die sich auf die Frage 9 beziehen. Ich bitte, das zu berücksichtigen.
Dazu habe ich keine Frage mehr. Ich werde das, was ich fragen möchte, in meiner Zusatzfrage zu meiner zweiten Frage unterbringen.
Herr Kollege Hilsberg, eine Zusatzfrage zu Frage 9? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär Neumann, ausgehend von Ihrer Antwort auf Frage 9, möchte ich anmerken: Man muß Sorge haben, daß es im Zuge der jetzigen Beratungen über die BAföG-Reform nicht zu einer Einigung kommen wird. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen: Wann wird die Bundesregierung initiativ werden, um sicherzustellen, daß es eine Anpassung der Höhe des BAföG an die steigenden Lebenshaltungskosten - die kontinuierlich durchzuführen ist - für den Fall geben wird, daß es nicht zu einer Einigung kommt?
Ich muß Ihnen sagen, daß ich auch bei dieser Frage keinen Sachzusammenhang sehe. Herr Staatssekretär, ich stelle anheim, ob Sie die Frage beantworten wollen.
Ich bin bereit, auf alles zu antworten. Ich sehe allerdings auch keinen Zusammenhang zum Beirat für Ausbildungsförderung.
Danke. - Dann rufe ich die Zusatzfrage des Kollegen Kubatschka auf.
Herr Staatssekretär, in München bekommen noch 9 Prozent der Studenten BAföG-Leistungen, 3 Prozent die Höchstförderung. Verdient dann eigentlich der Beirat für Ausbildungsförderung überhaupt noch seinen Namen?
Herr Staatssekretär.
In § 44 BAföG ist dieser Beirat vorgesehen, der die Aufgabe hat, unser Ministerium im Hinblick auf die Durchführung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zu beraten. Ich kann doch wohl unterstellen, daß auch Sie davon ausgehen, daß auch zukünftig Ausbildungsförderung für bedürftige Studenten geleistet werden soll.
- Und möglichst mehr; das ist richtig.
Wir beziehen nach wie vor - je nach Maßstab und Berechnung - knapp 20 Prozent der Studenten - in München mag der Prozentsatz der Geförderten ausgesprochen niedrig sein - in diese Förderung mit ein. Wir sind aber schon der Auffassung, daß das Absinken dieser Quote bedenklich ist. Das heißt, ein solcher Beirat für Ausbildungsförderung hat - abgesehen von den Vorschriften des Gesetzes - nach wie vor eine wichtige Funktion; er wird auch - wie ich das bereits in der Antwort auf die Frage 9 andeutete - im November zur jetzigen Situation angehört werden. Er ist also unverzichtbar.
Dieser Beirat setzt sich aus mehr als 20 Mitgliedern aus wichtigsten Bereichen zusammen, die mit Ausbildung zu tun haben. Daher kann ich Ihre Frage nur als ironische Frage verstehen. Ich glaube nicht, daß Sie den Ausbildungsbeirat ernsthaft abschaffen wollen.
Dann rufe ich die Frage 10 der Kollegin Odendahl auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag den nächsten Bericht nach § 35 BAföG vorzulegen, in dem das Ergebnis der alle zwei Jahre vorzunehmenden Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2 des Gesetzes unter Berücksichtigung der Entwicklung der Einkommensverhältnisse und der Vermögensbildung, von Veränderungen der Lebenshaltungskosten sowie der finanzwirtschaftlichen Entwicklung darzustellen ist?
Die Berichte nach § 35 BAföG sind alle zwei Jahre, regelmäßig in den Monaten Dezember/Januar, dem Deutschen Bundestag zugeleitet worden. Es ist beabsichtigt, den 12. Bericht entsprechend vorzulegen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Sie haben eben zwei Monate benannt. Darf ich - denn es ist wichtig, diese Unterlage vor dem Treffen der Ministerpräsidenten zu haben - um Konkretisierung bitten? Ist es möglich, daß uns dieser Bericht im Dezember zugesandt wird?
Möglich ist vieles, garantieren kann ich das nicht. Es spricht ja auch viel dafür, Frau Kollegin, den 18. Dezember einzubeziehen, also den Tag, an dem die Ministerpräsidenten auf der Grundlage der Gesetzesvorlagen, die wir gerade diskutiert haben, darüber beraten werden, in welcher Weise und mit welchen finanziellen Dimensionen die Studienfinanzierung weiter erfolgen soll. Dies wird dann auch Maßstab für unser weiteres Vorgehen sein.
Da die im Zweijahresrhythmus vorgelegten Berichte, wie Sie wissen, nicht nur einen analytischen Teil haben, sondern gleichzeitig auch bewerten und die daraus resultierenden Konsequenzen ziehen, spricht eine Menge dafür, diese wichtige Sitzung einzubeziehen und den Bericht auf der Grundlage dieser Sitzung anzufertigen. Aber Sie können davon ausgehen, daß wir in jedem Fall im Dezember oder Januar zu Ergebnissen kommen werden und Sie einen dementsprechenden Bericht fristgemäß - wie das auch in den früheren Jahren üblich war - vorgelegt bekommen, der dann auch zu den Konsequenzen etwas enthält.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 11 des Abgeordneten Braune auf:
Wann ist mit der Veröffentlichung der Ergebnisse der 15. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zu rechnen, die aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie finanziert und von der HochschulSystem GmbH im Sommersemester 1997 mit Hilfe einer repräsentativen Umfrage durchgeführt worden ist?
Der Bericht über die 15. Sozialerhebung wird turnusgemäß im Herbst 1998 vorgelegt werden.
Zusatzfrage.
Der Begriff „Herbst" umfaßt einen längeren Zeitraum. Da kann man sicher sehr unterschiedlicher Meinung sein. Wir sind der Meinung, daß dies zu spät ist.
Die Frage: Wann wird es konkret sein? Könnte es sein, daß die Bundesregierung auf Grund der von uns vermuteten weiteren Senkung der Fördersätze die derzeitige BAföG-Debatte als unangenehm empfindet und deshalb diese Ergebnisse möglichst spät vorlegen will?
Verehrter Herr Kollege, es gibt auch hier feststehende Usancen. Die Veröffentlichung werden wir nicht von anderen - von Ihnen möglicherweise im Hinterkopf berücksichtigten - Terminen abhängig machen. Die sogenannten Sozialerhebungen - in diesem Fall ist es die 15. - erfolgen in einem Abstand von jeweils drei Jahren. Wir haben sie immer turnusgemäß im Herbst eines Jahres vorgelegt. Ich weiß nicht, ob Sie wissen - falls nicht, sage ich es -, daß dieser Bericht immer auf den Daten, auch den ökonomischen, des vorangegangenen Jahres basiert. Das heißt, das Hochschulinstitut HIS ist dabei, die Daten auf der Basis von 1997 aufzubereiten, um den Endbericht dann im Herbst des Jahres 1998 vorlegen zu können. Bei den vergangenen Berichten ist man genauso vorgegangen: Der 14. Bericht wurde also auf der Grundlage der Daten des Jahres 1994 ermittelt und im Jahre 1995 vorgelegt.
Zweite Zusatzfrage? - Dann Herr Kubatschka. Bitte, Ihre Frage.
Herr Staatssekretär, wird der Bericht bestätigen, daß die Bundesrepublik im europaweiten Vergleich auf einem der hintersten Plätze bei der Förderung ihrer Studenten liegt?
Verehrter Herr Kollege, der Bericht wird im Augenblick angefertigt. Ich bin nicht bereit, Prognosen darüber abzugeben, ob er etwas bestätigt oder nicht. Er wird aber sicherlich bestätigen - was auch im nächsten Anpassungsbericht stehen wird -, daß eine Anpassung von Bedarfssätzen nötig ist.
Frau Kollegin Odendahl.
Darf ich Sie, Herr Staatssekretär, zur Präzisierung des Termins, wann die 15. Sozialerhebung vorliegen wird, fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß der Herbst am 21. Dezember endet?
Frau Kollegin, vielleicht kann ich Ihre Sorge hinsichtlich der Ihnen aus Ihrer Sicht vorenthaltenen Daten dieses Berichts dadurch etwas beseitigen, daß ich Ihnen sage: Wichtige Daten, die die Höhe der BAföG-Sätze und die Prozentsätze betreffen, werden bereits Grundlage des zweijährigen Berichts sein, der Ende Dezember, spätestens Anfang Januar vorgelegt wird.Die Sozialerhebung geht noch etwas tiefer. Sie beleuchtet die soziale Herkunft der Studierenden, Einnahmen und Ausgaben, Förderung nach dem BAföG, Wohnung und Ernährung. Sie geht auch auf die Situation behinderter und chronisch kranker Studie-
Metadaten/Kopzeile:
18226 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. November 1997
Parl. Staatssekretär Bernd Neumannrender ein. Der Hauptpunkt, über den wir diskutieren, wird aber bereits in dem Bericht, nach dem Sie vorhin gefragt haben und der demnächst vorgelegt wird, enthalten sein. Ich füge hinzu: Wir werden bemüht sein, diesen Standardbericht über die 15. Sozialerhebung so früh wie möglich vorzulegen, und werden das nicht von irgendwelchen Daten abhängig machen, die Sie als sachfremd ansehen könnten.
Dann rufe ich die Frage 12 des Kollegen Braune auf:
Trifft es zu, daß das Bundeskabinett am 11. Juli 1997 festgelegt hat, daß in der laufenden Legislaturperiode keine Leistungsverbesserungen beschlossen werden, und welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die wirtschaftliche und soziale Situation der Studierenden?
Es trifft zu, daß das Bundeskabinett am 11. Juli 1997 entschieden hat, in der laufenden Legislaturperiode keine Leistungsverbesserungen zu beschließen. Die Bundesregierung wird die wirtschaftliche und soziale Situation der Studierenden im Zusammenhang mit der Vorlage des 12. Berichts nach § 35 BAföG prüfen und darlegen.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, heißt das, wenn die Bundesregierung überhaupt keine neuen Regelungen treffen möchte, daß die Ergebnisse der Ministerpräsidentenrunde am 18. Dezember für die Bundesregierung eigentlich bedeutungslos sind?
Nein. Die Ergebnisse dieser Sitzung sind sogar entscheidend; denn die Bundesregierung will, genauso wie die Länder es wollen, eine Verbesserung der Studienfinanzierung, insbesondere im Hinblick auf ihre Gerechtigkeit. Das ist der Grund, weshalb - ich hatte es eben schon ausgeführt - die Bundesregierung das sogenannte Bayern-Modell präferiert, welches vorsieht, daß für die Vergabe von Kindergeld und Steuerfreibeträgen ausschließlich die Kriterien angelegt werden, die auch für BAföG-Empfänger gelten, wodurch ein Stück mehr Gerechtigkeit geschaffen wird. Ein solches Modell führt im übrigen dazu, daß wir etwa eine halbe Milliarde DM gewinnen, die für die Erhöhung der BAföG-Sätze, die Elternfreibeträge ausgegeben werden kann, um ein Stück mehr Chancengleichheit zu schaffen. Das ist das Ziel der Bundesregierung. Deswegen sind wir daran interessiert, am 18. Dezember gemeinsam mit den Ländern zu einem Ergebnis zu kommen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in welchen Zeitabläufen sieht die Bundesregierung nach der Entscheidung der Ministerpräsidentenrunde - sei es
das Bayern- oder das Drei-Körbe-Modell - Regelungsschritte vor? Sind Sie der Meinung, daß es noch in dieser Legislaturperiode zu einer Regelung kommen kann?
Wir sind nur ein Teil der Bundesregierung. Die Bundesregierung, der Bundeskanzler an der Spitze, hat gemeinsam mit den Ministerpräsidenten vereinbart, daß es noch in dieser Legislaturperiode zu einer Reform kommen wird. „In dieser Legislaturperiode" heißt, eine Regelung zu haben, bevor dieses Parlament auseinandergeht. Dies streben wir an. Wenn wir am 18. Dezember - hoffentlich - ein konkretes Ergebnis haben werden, werden wir, was unseren Teil betrifft, das zügig umsetzen.
Zusatzfrage von Herrn Hilsberg.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß Sie prüfen wollen, ob Sie die Bedarfssätze auf Grund der nächsten Erhebung anpassen werden, und um sicherzustellen, daß wir den gleichen Kenntnisstand haben, möchte ich Sie fragen: Können Sie bestätigen, daß die Schere zwischen den Bedarfssätzen einerseits und. der Entwicklung der Lebenshaltungskosten andererseits seit 1990 kontinuierlich auseinandergedriftet ist?
Ja.
Die Zusatzfrage des Kollegen Berninger.
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung bzw. das Bundeskabinett hat beschlossen, daß es auch im Bereich der BAföG-Reform zu keinen Leistungsverbesserungen kommen wird. Stimmen Sie mit mir überein, daß die Reform, die Sie soeben beschrieben haben das Bayern-Modell -, die vorsieht, bei einigen Studierenden Sozialtransfers einzubehalten, um sie anderen Studierenden zugute kommen zu lassen, unterm Strich eher eine Verschlechterung der Situation der Studierenden darstellt, vor allem vor dem Hintergrund, daß sehr viele Studierende nicht deshalb länger studieren, weil sie gern sonderlich viel Zeit an der Uni verbringen wollen, sondern in aller Regel deshalb, weil die Betreuungs- und Studienverhältnisse derart schlecht sind, daß sie dazu gezwungen sind? Außerdem werden viele Studierende systematisch gezwungen, immer mehr zusätzlich zu arbeiten. Sie können deshalb nicht ordnungsgemäß - so haben Sie es soeben formuliert - studieren.
Finden Sie nicht auch, daß das insgesamt eine Leistungsverschlechterung für die Studierenden darstellt und diese Reform zwar mit dem Beschluß des Kabinetts in eine positive Verbindung zu bringen ist, daß sie allerdings nicht mit der wirtschaftlichen und
Matthias Berninger
sozialen Lage der Studierenden positiv übereinstimmt?
Herr Kollege, ich hoffe, ich habe den Kern Ihrer Frage erkannt, und werde mich auf diesen konzentrieren. Wenn Sie von Kosten und Ausgaben für das BAföG reden, müssen Sie wissen, daß die Bundesregierung, aber insbesondere alle Länderregierungen, alle Ministerpräsidenten der Arbeitsgruppe und damit uns den Auftrag gegeben haben, nur Modelle vorzulegen, die kostenneutral sind, das heißt, die eine Erhöhung der Gesamtkosten, die bereits jetzt für das BAföG anfallen, nicht vorsehen.
Ich füge mit Blick auf die Kollegen aus dem sozialdemokratischen Bereich hinzu, daß dies insbesondere der Wille der Finanzminister ist, die - wie ich einem Vorgang entnehme, hatten sie keine Gelegenheit, das sogenannte Drei-Körbe-Modell vorher zu bewerten -, deutlich gemacht haben, auch dies könne nur auf der Basis von Kostenneutralität erfolgen. Das führt dazu, daß alle Finanzminister einmütig das Drei-Körbe-Modell ablehnen. Das zum ersten Teil Ihrer Frage.
Sie können beklagen, daß insgesamt nicht mehr Geld zur Verfügung steht. Es ist aber unzulässig, dies einem Teil der Politik zuzuordnen; denn dies ist auf Grund der dramatischen Finanzlage der gemeinsame Wille aller Ministerpräsidenten und auch der Bundesregierung.
Dennoch glaube ich, daß man, wenn man sich auf das Bayern-Modell konzentriert, schon ein Stück mehr Gerechtigkeit schaffen kann. Ich sehe nämlich nicht ein, daß sich auf der einen Seite diejenigen, die bisher BAföG bekommen, an die Regelstudienzeiten halten müssen, daß sie darüber hinaus weitere Kriterien wie Prüfungen und den Nachweis eines ordentlichen Studiums erfüllen müssen, und daß zur selben Zeit diejenigen, deren Eltern bis zum 27. Lebensjahr der Studierenden Kinderfreibeträge und Kindergeld in Anspruch nehmen können, diese Kriterien nicht zu erfüllen haben.
Das Bayern-Modell sieht vor, daß diejenigen, deren Kinder studieren, nur dann Kindergeld bekommen bzw. Kinderfreibeträge in Anspruch nehmen können, wenn sie die gleichen Kriterien erfüllen, die auch für BAföG-Empfänger gelten. Ich halte dies für ein Stück mehr Gerechtigkeit. Wenn wir das Geld, das wir dadurch einsparen - immerhin eine halbe Milliarde DM -, dazu nehmen können, den mit Recht von Ihnen als zu niedrig bzw. nicht rechtzeitig erhöht beklagten Bedarfssatz im positiven Sinne deutlich zu verändern, wäre das ein Stück mehr Gerechtigkeit, als wir bisher hatten. Deswegen glaube ich schon, daß die Situation für die jetzigen Studenten dann, wenn es zu einer solchen BAföG-Reform nach dem BayernModell kommt, insgesamt günstiger ist als in der augenblicklichen Lage.
Liebe Kollegen, ehe ich die nächste Zusatzfrage aufrufe, möchte ich auf folgendes aufmerksam machen: Wir waren der Auffassung, daß wir mit der Fragestunde etwas
früher fertig werden, als dies ursprünglich vorgesehen war. Darum ist interfraktionell vereinbart worden, den Beginn der Aktuellen Stunde auf 14 Uhr vorzuziehen. Nun brauchen wir doch etwas länger für die Fragestunde. Ich bitte aber alle Beteiligten, sich auf das Notwendige zu beschränken, damit wir die Kollegen nicht zu sehr enttäuschen.
Herr Kollege Kubatschka, Sie hatten noch eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ausgehend von der Tatsache, daß 1992 442 000 Studenten gefördert wurden und 1996 nur 274 000 - also ein deutliches Absinken der Förderquote - frage ich Sie: Hat das keine Konsequenzen für die soziale Zusammensetzung der Studenten? Werden dadurch nicht mögliche Studenten aus sozial schwachen, aus finanzschwachen Familien vom Studium abgehalten?
Herr Kollege, Sie stellen eine Frage, die mehr die Sozialerhebung betrifft, die wir noch vorlegen werden. Ich betone: sie liegt noch nicht vor. Mir liegen noch keine Daten vor.
Es ist natürlich logisch, daß die Nichtanpassung der Förderung der Studienfinanzierung - in diesem Fall das BAföG - an die Lebenshaltungskosten - was wir im übrigen auch beklagen, deswegen hat Minister Rüttgers vor zwei Jahren ein anderes Modell vorgeschlagen, das eine deutliche Erhöhung vorsah, welches aber von Ihnen abgelehnt wurde - natürlich insbesondere diejenigen trifft, die nur über ein geringes Einkommen verfügen. Aber inwieweit sich das bei den verschiedenen Einkommensschichten bemerkbar macht, ist Gegenstand der Sozialerhebung, die alsbald vorgelegt wird.
Vielen Dank. Herr Kollege Tauss, bitte schön.
Herr Staatssekretär, auf welcher Grundlage beruht Ihre gerade geäußerte Annahme, daß die Finanzminister vom Drei-Körbe-Modell abgerückt seien? Auf welche Finanzminister berufen Sie sich dabei?
Bernd Neumann, Parl. Staatssekretär beim Bundes. minister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie: Zum einen hatte ich ausgeführt, daß sich die Konferenz der Finanzminister der Länder am 23. Oktober 1997 erneut mit der Reform der Studienfinanzierung befaßt hat. Vor der Beschlußfassung in der Ministerpräsidentenkonferenz hat es mangels Vorlage keine Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben. Vorsorglich haben die Finanzminister der Länder ihre Forderung nach strikter Kostenneutralität bekräftigt. Darin waren sich alle einig.
Herr Kollege Tauss, Sie haben nur eine Zusatzfrage.
Ich rufe die Zusatzfrage des Kollegen Schmitt auf.
- Doch, er war fertig.
Bitte, Herr Kollege Schmitt, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es verläßliche Erkenntnisse oder konkrete Zahlen darüber, inwieweit die eingesparten Anpassungen beim BAföG seit 1994 zu einer Entlastung der öffentlichen Haushalte geführt haben?
Natürlich gibt es Zahlen; aber ich habe sie jetzt nicht präsent. Falls sie Sie interessieren, können wir sie Ihnen gern zustellen.
Vielen Dank.
Dann rufe ich die Frage 13 der Kollegin Edelgard Bulmahn auf. Sie ist nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht Staatsminister Helmut Schäfer zur Verfügung.
Die Fragen 14, 15 und 16 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Erler auf:
Mit welchen Maßnahmen wird die Bundesregierung die Regierung der Russischen Föderation dabei unterstützen, das jetzt von Staatsduma und Föderationsrat ratifizierte Chemiewaffenübereinkommen in den vorgesehenen Fristen zu implementieren, und welche Unterstützung ist dabei von den anderen Staaten der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten zu erwarten?
Herr Kollege, nach Kenntnis der Bundesregierung ist das schwierigste Problem der Regierung der Russischen Föderation bei der Erfüllung der ihr aus dem Chemiewaffenübereinkommen erwachsenden Verpflichtungen die Bereitstellung der Finanzmittel, die für die Vernichtung der russischen Bestände an chemischen Waffen erforderlich sind.
Die Bundesregierung arbeitet seit 1993 mit der russischen Regierung bei den notwendigen Vorarbeiten für die Vernichtung hautschädigender russischer Kampfstoffe zusammen. Diese Zusammenarbeit dient der Errichtung einer Pilotanlage für die Kampfstoffvernichtung in Gorny, Region Saratow. Die Bundesregierung hat für diese Zusammenarbeit in den Jahren 1993 bis 1997 insgesamt 32 Millionen DM, das heißt jährlich rund 6 Millionen DM, aufgewandt.
Es ist beabsichtigt, diese Zusammenarbeit fortzusetzen und sie im Hinblick auf die bereits erbrachten russischen Eigenleistungen und die am 5. November dieses Jahres erfolgte Ratifikation des Chemiewaffenübereinkommens auszuweiten, soweit dies im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten liegt.
Der Rat der Europäischen Union hat am 14. Mai dieses Jahres die Bereitschaft erklärt, der Russischen Föderation für den Zeitraum 1997 bis 1999 aus dem TACIS-Programm für Projekte, die mit der Vernichtung chemischer Waffen und mit der Umstellung von ehemaligen Einrichtungen zu deren Herstellung in Zusammenhang stehen, 10 bis 15 Millionen ECU bereitzustellen. Die Billigung derartiger Projekte erfolgte unter der Voraussetzung, daß die Russische Föderation ihre Ratifikationsurkunde zum Chemiewaffenübereinkommen hinterlegen würde. Diese Voraussetzung wurde am 5. November 1997 erfüllt.
Von den EU-Partnern haben sich die Niederlande, Schweden und Finnland bereit erklärt, die Russische Föderation bei der Vernichtung ihrer Bestände an chemischen Waffen zu unterstützen. Die USA beabsichtigen, zusammen mit Rußland eine Anlage zur Vernichtung von Nervenkampfstoffen zu errichten.
Ihre Zusatzfrage, Kollege Erler.
Herr Staatsminister, selbst wenn man diese ganzen Zahlen addiert und noch die amerikanischen in Millionenhöhe spezifizieren würde, was Sie jetzt nicht getan haben, kommt man auf eine Zahl, die sich deutlich von den von russischer Seite geäußerten Erwartungen unterscheidet. Von russischer Seite ist die Rede, daß eine westliche Hilfe in Höhe von 5 Milliarden DM gebraucht wird, um in dem Vertragszeitraum von höchstens 15 Jahren die Vernichtung der 40 000 Tonnen an Giftgasbeständen tatsächlich erreichen zu können. Wie soll denn diese Lücke überbrückt werden, und wie sieht Ihre Stellung zu der Erwartung von 5 Milliarden DM an Hilfe aus?
Ich habe darauf hingewiesen, daß es nicht Sache der Europäischen Union ist, sondern auch Sache der Vereinigten Staaten von Amerika, zu der Vernichtung dieser Waffen wesentlich beizutragen - auch finanziell -, und daß entsprechende Verhandlungen geführt werden bzw. daß seitens der USA schon jetzt beabsichtigt ist, mit Rußland voranzukommen, auch beim Bau der notwendigen Anlagen.
Ich gehe davon aus, daß die russischen Forderungen sicherlich sehr hoch sind. Man muß sehen, wie man hier zusammenkommen kann. Jedenfalls ist das, was wir bisher getan haben, beachtlich - sowohl das, was wir, die Bundesrepublik, getan haben, als auch das, was die Europäische Union getan hat. Ich weiß nicht, inwieweit es russischerseits Unzufriedenheit über das gibt, was bisher geleistet werden konnte.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, es gibt zum Teil abenteuerliche Praktiken bei der Vernichtung der russischen Chemiewaffen. Vor vier Jahren ist zum Beispiel bei Schichanij eine oberirdische Explosion von C-Waffen mit entsprechenden giftigen Wolken herbeigeführt worden. Es gibt sogar Pläne, die C-Waffen durch eine unterirdische Atomwaffenexplosion auf Nowaja-Semlja zu vernichten. Verbindet sich die westliche Hilfsbereitschaft mit einer Vorstellung über eine umweltverträgliche und auch die Sicherheit Westeuropas berücksichtigende Art der Beseitigung der C-Waffen?
Das tut sie sicher. Ich gehe davon aus, daß sich im Laufe der Zeit auch die russische Einstellung zu diesen schwierigen Prozessen der Vernichtung solcher Waffen verbessern wird, besonders unter dem dauernden Eindruck der Kontrollen, die wir durchführen. Sie wissen, daß gerade jetzt wieder eine Expertenkommission vor Ort war und mit den Russen über diese Entwicklung gesprochen hat. Ich höre, daß auch Ihr Unterausschuß Interesse an einer solchen Reise zeigt. Wir begrüßen das ausdrücklich; denn dann können Sie sich vor Ort selbst ein Bild machen.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Erler auf:
Welches sind nach den jüngsten Ratifizierungen des Chemiewaffenübereinkommens durch Rußland und den Iran aus Sicht der Bundesregierung die wichtigsten noch verbleibenden Staaten, die dem Abkommen angehören sollten, es aber bisher nicht unterzeichnet bzw. ratifiziert haben, und welche Chance sieht die Bundesregierung, auch diese Staaten in das weltweite Verbot und die weltweite Beseitigung von C-Waffen einzubinden?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat sich seit Zeichnung des Chemiewaffenübereinkommens am 13. Januar 1993 beharrlich für die baldige Inkraftsetzung und die Universalität dieses Übereinkommens eingesetzt. Sie sieht es als einen Erfolg ihrer Bemühungen an, daß das Übereinkommen am 27. Mai 1997 in Kraft treten konnte und daß das Ziel der Universalität des Übereinkommens nach der Ratifikation durch die Russische Föderation als dem immerhin 104. Staat einen wesentlichen Schritt nähergerückt ist.
Weitere Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel bleiben der Beitritt der dem Übereinkommen noch fernstehenden Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie einzelner Staaten in Südosteuropa, in der GUS, in Ost- und Südostasien sowie in Lateinamerika und Afrika. Die Bundesregierung wird sich auch künftig bei allen sich bietenden Gelegenheiten in bilateralen Gesprächen sowie im Rahmen der gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit der Europäischen Union dafür einsetzen, daß auch diese Staaten so bald wie möglich dem Chemiewaffenübereinkommen beitreten.
Ihre Zusatzfrage, Herr Kollege Erler.
Herr Staatsminister Schäfer, würden Sie mir zustimmen, daß es doch bemerkenswert ist, daß mit dem Iran jetzt ein wichtiges Land aus dieser von Ihnen als erste genannten Gruppe der Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, überwiegend islamische Staaten, eine Ratifizierung vorgenommen hat, und wäre es nicht eigentlich politisch sinnvoll, dies in irgendeiner Weise zu honorieren, um auf diese Weise einen Anreiz für die anderen Länder dieser Gruppe der Staaten des Nahen und Mittleren Ostens zu schaffen, statt, wie das zum Beispiel die amerikanische Politik tut, insgesamt eine Containment-Politik fortzusetzen, ausgedrückt etwa im Helms Burton Act oder im Iran Libya Sanction Act?
Mir steht nicht an, hier im Zusammenhang mit Ihrer Frage die amerikanische Außenpolitik gegenüber dem Iran zu diskutieren. Aber es ist richtig - ich kann das bestätigen und tue das hiermit auch -, daß es natürlich ein Fortschritt ist, wenn ein Staat, gleichgültig, welcher Staat, auch der Iran, ein solches Übereinkommen ratifiziert. Es kommt jetzt allerdings auch darauf an, wie die Umsetzung dieser legalen Maßnahme erfolgt und was in der Praxis in bezug auf Proliferation, auf den Ankauf von Waffen seitens des Iran festzustellen ist. Sie hatten heute morgen im Auswärtigen Ausschuß Gelegenheit, zu diesem Thema den amerikanischen Botschafter zu hören.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, mehrere von den Staaten, die bisher noch zögern, dem Chemiewaffenübereinkommen beizutreten, argumentieren damit, daß sie das von Fortschritten bei der atomaren Abrüstung abhängig machen wollen. Führt auch nach Auffassung der Bundesregierung das von uns gemeinsam vertretene Ziel der Universalität der Gültigkeit des C-Waffen-Übereinkommens über Fortschritte bei der atomaren Abrüstung?
Man sollte das nicht verbinden. Ich bin der Auffassung, daß wir sowohl im Bereich der atomaren Abrüstung als auch unabhängig davon im Bereich der Chemiewaffen weiterkommen müssen. Ich halte diesen Bezug nicht für logisch und nicht für in Ordnung. Aber trotz allem muß man sehen, daß es überall noch Tendenzen gibt, sich solche Waffen zuzulegen oder sie nicht abzuschaffen und nicht einmal dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten. Sie wissen das. Das ist natürlich eine Politik, die man nicht gutheißen kann, egal, von wem sie betrieben wird.
Dann rufe ich die Frage 19 des Kollegen Schmitt auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß es seit Mai 1997 bei der Ausstellung von Visa für die Russische Föderation seitens
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
der russischen Behörden eine sehr restriktive Praxis gegenüber Bundesbürgern gibt - so werden nach Angaben Betroffener private Einladungen für die Erteilung eines Visums nicht mehr anerkannt, und für den Besuch Moskaus ist für jeden Besucher eine Sondergenehmigung erforderlich -, und beabsichtigt die Bundesregierung, sich bei der Russischen Föderation für eine bürgerfreundlichere Regelung bei der Visumserteilung einzusetzen?
Herr Kollege Schmitt, seit Frühjahr 1996 erschwert eine vom russischen Außenministerium verfügte Regelung kurzfristige Besuche außerhalb des von Reisebüros organisierten Tourismus. Individualreisende benötigen danach für ein Visum ein kostenpflichtiges, in jedem Einzelfall vom russischen Partner bzw. Einladenden gesondert anzuforderndes Antragsformular des Außenministeriums. Dadurch verteuert und verzögert sich das Visumsverfahren erheblich. Davon betroffen sind nicht nur Deutsche, sondern auch die Angehörigen der anderen visumspflichtigen Staaten. Hauptleidtragende sind der Wirtschaftsverkehr sowie der Kultur- und Wissenschaftsaustausch.
Nach der neuen Praxis berechtigen russische Visa zudem nur zum Besuch der Städte, die im Visum eingetragen sind. Eine Sondergenehmigung für Moskau-Besucher ist nicht erforderlich.
Die Bundesregierung hat an die Russische Föderation auf allen Ebenen appelliert, um die restriktive Visumspraxis zu ändern. Bundeskanzler Kohl sprach das Thema im Januar dieses Jahres gegenüber Präsident Jelzin an. Bundesminister Rexrodt kritisierte die Visaregelungen in seinen Gesprächen in Moskau im Frühjahr dieses Jahres. Bundesminister Kinkel bat in einem Brief vom Juli 1997 an seinen Amtskollegen Primakow um Abkehr von der restriktiven Visapraxis und forderte den neuen russischen Botschafter in Deutschland bei seinem Antrittsbesuch auf, sich für Verbesserungen einzusetzen.
Vertreter des russischen Außenministeriums versprechen zwar regelmäßig, sich für Verbesserungen einzusetzen. Sie verweisen jedoch gleichzeitig in ihren Antworten auf die Innenbehörden, die Zahl und Art der Reisebewegungen in Russland kontrollieren wollten. Die Beglaubigung von Einladungsformularen durch das Außenministerium sei erforderlich, um Fälschungen und Mißbräuche zu verhindern.
Die Bundesregierung ist weiterhin bemüht, die russische Seite davon zu überzeugen, daß ihre gegenwärtige Visapraxis nicht den guten partnerschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern entspricht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung im Verhalten der Russischen Föderation eventuell auch eine Reaktion auf die deutsche Praxis bei der Erteilung von Visa für russische Staatsbürger, und führen die gegenwärtigen Anforderungen deutscher Behörden an die einladenden Bundesbürger nicht auch zu einer Benachteiligung von Bürgerinnen und Bürgern insbesondere mit niedrigem Monatseinkommen?
Sie wissen, daß es auch bei uns eine restriktive Visumspraxis gibt. Es gibt immer wieder Klagen insbesondere bei Geschäftsreisenden, die nach Deutschland wollen. Sie sind uns bekannt. Wir bemühen uns, es nach Möglichkeit dort abzustellen, wo wir sicher sind, daß Reisende ständig nach Deutschland ein- und ausreisen, die schon aus Gründen, die ich genannt habe - Wissenschaft, Kultur, Handel -, nach Deutschland müssen und weiß Gott in der Lage sind, ihre Reise zu finanzieren. Ich glaube, da müssen wir auch weiterkommen.
Auf der anderen Seite sind wir der Auffassung, daß die Einführung solcher restriktiven Praxen nicht so sehr mit einer Retourkutsche auf deutsches Verhalten zusammenhängt, sondern mehr einer sehr starken bürokratischen Gewohnheit entspricht, wie wir sie dort eigentlich schon früher kannten. Wir können nur hoffen, daß das moderne Rußland sich moderneren Praxen zuwendet.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Sie bestätigen eigentlich, daß eventuell Zusammenhänge zwischen russischem und deutschem Verhalten nicht ganz auszuschließen sind.
Nein, Herr Kollege, das kann ich nicht bestätigen. Die restriktive Visumspraxis bezieht sich ja nicht nur auf Deutsche. Damit hängt es nicht zusammen. Das ist uns von der russischen Seite auch nicht gesagt worden. Es hängt eher damit zusammen, daß man im russischen Innenministerium glaubt, Auflagen machen zu müssen, um überprüfen zu können, wer sich in Rußland bewegt. Das gilt ja nicht für Reisende, die über ein normales Reisebüro ihre Visen beantragen, sondern vor allem für Einzelreisende. Hier muß man zu einer vernünftigen, modernen Praxis zurückfinden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Erler.
Herr Staatsminister, ich muß doch noch einmal auf die Frage des Zusammenhangs von Restriktionen auf beiden Seiten zurückkommen. Inzwischen hat sich ja auch auf der deutschen Seite eine Praxis entwickelt, die man nur als restriktiv bezeichnen kann. Auch russische Staatsbürger, die nach Deutschland kommen und für die eine private Einladung vorliegt, müssen jetzt das Original in der Hand halten. Es muß eine Bestätigung durch die zuständige Ausländerbehörde in Deutschland vorliegen, sozusagen eine Abzeichnung dieser Einladung, und es muß eine Verdienstbescheinigung von dem Einladenden vorgelegt werden. Das geht so weit, daß sogar Einladende der Besoldungsgruppe B 9 nach-
Gernot Erler
weisen müssen, ob sie tatsächlich imstande sind, einen Gast zu empfangen; dafür könnte ich Ihnen Beispiele nennen.
Ich frage Sie noch einmal: Liegt hier nicht ein bedrohliches Zeichen paralleler Art vor, daß nämlich die Hoffnungen auf echte Freizügigkeit, die nach dem großen Systemwechsel von 1989/90 und der Beendigung des Kalten Kriegs vorhanden waren, eigentlich zerrieben werden? Welche Maßnahmen wird denn die Bundesregierung ergreifen, um die Realität endlich wieder etwas näher an diese Hoffnungen heranzubringen?
Das Außenministerium ist nicht für alles verantwortlich, was seitens der Innenbehörden - das gilt auch für die Ausländerbehörden - für notwendig erachtet wird; das muß man ganz klar sagen. Diejenigen, die, wie Herr Fischer, aus den Ländern kommen, wissen das ganz genau. Die Zusammenhänge zwischen Einreise- und Asylpraxis und zwischen Einreise und Mißbräuchen sind hinlänglich bekannt.
Die Praxis, die Sie beschrieben haben, Herr Kollege Erler, bezieht sich nicht nur auf Rußland, sondern ganz allgemein auf Staaten, die mit uns keine besonderen Regelungen bezüglich der Visumsfreiheit getroffen haben. Ich kann nur hoffen, daß solche bürokratischen Hemmnisse, wie sie von Ihnen zu Recht genannt worden sind, sowohl unsererseits als auch russischerseits möglichst bald beseitigt werden.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Mit ein bißchen gutem Willen können wir die restlichen Fragen innerhalb einer Viertelstunde beantworten. Daher möchte ich die Fragestunde noch zu Ende führen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Lintner zur Verfügung.
Die Frage 20 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 21 und 22 wurden zurückgezogen.
Ich rufe jetzt die Frage 23 der Kollegin Amke Dietert-Scheuer auf:
Welche tatsächlichen Veränderungen begründen die Einschätzung in den - über die Verwaltungsgerichtsverfahren in Asylsachen auch der Öffentlichkeit zugänglichen - Lageberichten der Bundesregierung über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak seit Juni 1997, wonach Verfolgungsmaßnahmen auf Grund bloßer Asylantragstellung nicht als wahrscheinlich erscheinen, während an anderer Stelle der Lageberichte gesagt wird, daß irakische Sicherheits- und Justizorgane bereits das Stellen eines Asylantrags in die Nähe der Straftatbestände „Verbreiten von Falschnachrichten" im Ausland bzw. Kritik und Beleidigung der Staatsorgane rückten, und ist es zutreffend, daß sich gegenüber den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts vom Februar 1997 nicht die tatsächliche Verfolgungslage, wohl aber die asylpolitische Schlußfolgerung geändert hat?
Frau Kollegin Dietert-Scheuer,
die Antwort lautet wie folgt: Das Auswärtige Amt erstellt im Rahmen der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG und den §§ 14 und 99 VwGO Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in einer Reihe von Staaten, zu denen auch der Irak gehört. Die Berichte sollen vor allem dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und den Verwaltungsgerichten als Entscheidungshilfe im Asylverfahren, aber auch bei der Abschiebung rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber durch die Innenbehörden der Bundesländer dienen.
Bei ihrer Erstellung werden sämtliche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen herangezogen. Dazu gehören Informationen von Menschenrechtsgruppen, Oppositionskreisen, Rechtsanwälten, UNHCR und Regierungskreisen sowie Abgeschobenen.
Die Lageberichte sind als „Verschlußsache - Nur für den Dienstgebrauch" eingestuft. Es liegt im Verantwortungsbereich der Gerichte, den Zugang zu den Lageberichten durch organisatorische Maßnahmen auf die Personen zu beschränken, die Vertrauensbeteiligte sind. Durch das restriktive Weitergabeverfahren soll sichergestellt werden, daß die Lageberichte ohne Rücksichtnahme auf außenpolitische Interessen formuliert und möglichst aus der öffentlichen Diskussion herausgehalten werden können. Ferner sollen vertrauliche Quellen und Informationen dadurch weitgehend geschützt bleiben.
Aus diesem Grunde nimmt die Bundesregierung nicht öffentlich zum Inhalt von Lageberichten Stellung. Das Auswärtige Amt stellt auf Anfrage aber sicher, daß Abgeordnete des Deutschen Bundestages Einsicht in einzelne Lageberichte nehmen können.
Frau DietertScheuer, Sie haben eine Zusatzfrage?
Danke schön, Herr Lintner. Der von Ihnen vorgetragene Text war mir bereits bekannt. Die Frage, um die es mir im Kern geht, ist damit aber natürlich nicht beantwortet. Es geht darum, ob es eine Änderung in der Praxis der irakischen Regierung gibt, was die Verfolgung von Personen auf Grund eines illegalen Verlassens des Landes und Asylantragstellung betrifft. Es gibt Hinweise in dem Lagebericht, daß man nicht damit rechnet, daß die betreffenden Personen bestraft werden. Meine Frage: Beruht das auf konkreten Erkenntnissen, oder ist das eine Vermutung?
Frau Kollegin, Sie wissen, daß schon bisher die Lage dort sehr unterschiedlich beurteilt werden muß, und zwar je nachdem, um welchen Bevölkerungskreis und welche Region es sich handelt. Daran hat sich eigentlich nichts geändert. Es wird im Einzelfall geprüft. Damit ist sichergestellt, daß eine Gefährdung der betroffenen Personen ausgeschlossen werden kann.
Die zweite Zusatzfrage.
Ich muß noch einmal nachfragen und um Beantwortung meiner konkreten Frage bitten. Gibt es Erkenntnisse darüber, daß der Irak von der gesetzlichen Regelung abweicht und Personen nicht wegen Asylantragstellung im Ausland bestraft, oder nicht?
Es gibt keine generell neuen Erkenntnisse.
Dann rufe ich die Frage 24 der Abgeordneten Amke DietertScheuer auf:
Welche Auskunft kann die Bundesregierung über Inhalt und Beteiligte der Gespräche zwischen deutschen Vertretern und Kurden aus dem Nordirak in Bonn geben, und welche Art von Unterstützung können nach Auffassung der Bundesregierung die kurdischen Parteien aus dem Nordirak bei dem Versuch leisten, den Fluchtweg aus dem Nordirak zu beschränken, das Schlepperwesen zu bekämpfen bzw. die Rückübernahme von Abgeschobenen sicherzustellen?
Gespräche mit Vertretern der kurdischen Parteien aus dem Nordirak zu der in der Fragestellung genannten Thematik finden nicht statt. Derartige Überlegungen, wie in der Fragestellung angesprochen, stellen sich der Bundesregierung von daher nicht.
Ihre erste Zusatzfrage.
Meines Wissens hat es am 6. November Gespräche zwischen Vertretern des Bundesinnenministeriums und gegebenenfalls des BAF1 - das weiß ich nicht konkret - mit dem Vertreter der KDP in Bonn, mit Herrn Dilshad Barzani, gegeben. Das wurde mir von Herrn Dilshad Barzani bestätigt. Können auch Sie dieses Gespräch bestätigen?
Nein, das kann ich nicht bestätigen.
Keine weiteren Zusatzfragen? - Nein.
Die Fragen 25 und 26 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht Frau Karwatzki zur Verfügung. Die Fragen 27, 28 und 29 entfallen, weil die Kollegen Bulmahn und Kolbe nicht anwesend sind. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe nun Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu Finanzproblemen bei der staatlichen Rentenversicherung
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Abgeordneten Andrea Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, daß ich für alle im Hause spreche, wenn ich zu Beginn dieser Debatte meine Bestürzung über den Unfall des Kollegen Dreßler ausdrücke und ihm von dieser Stelle aus gute Wünsche von uns allen für eine möglichst baldige Genesung ausspreche.
Eben habe ich noch einmal in einer Tickermeldung gelesen, daß der Bundeskanzler sagt, ein Rentenbeitrag von 21 Prozent sei auf Dauer nicht akzeptabel. - Recht hat er! Letzten Sonntag las ich, daß Herr Gerhardt sagt, mit ihm werde es keine Mehrwertsteuererhöhung geben. Da frage ich mich: Wer spinnt jetzt hier?
Ich, die ich mich daran erinnere, daß Sie eine Woche davor noch einer Mehrwertsteuererhöhung zugestimmt haben,
oder derjenige, der eine Woche später sagt, das sei mit ihm nicht zu machen?
Ganz offensichtlich begibt sich die Regierung gerade in Opposition zu sich selbst, weil sie merkt, wie die Bevölkerung unter diesem Höchststand von Abgaben bei Sozialversicherungen und Steuern ächzt und stöhnt. Sie will das Problem dadurch beseitigen, daß sie zwar sagt: „O ja, wir fühlen mit der armen Bevölkerung" , aber nichts tut. Sie tun überhaupt nichts, sondern reden nur und erzählen den Leuten: Es ist ja wirklich furchtbar, was wir hier angerichtet haben!
Die Opposition macht Ihnen angesichts dieser Lage ein Angebot nach dem anderen. Aber kaum kommt von uns ein Angebot, legt die Regierung noch eins drauf. Wir waren bereit, die Mineralöl- und Mehrwertsteuer zur Senkung der Lohnnebenkosten zu erhöhen. Darauf sagt die Regierung, eine Mineralölsteuererhöhung wolle sie nicht, und schraubt die Bedingungen hoch. Dann bietet ein anderer Tell der Opposition an, als Gegenleistung noch weniger zu verlangen. Daraufhin sagen Sie: Wenn ihr die Erhö-
Andrea Fischer
hung der Mehrwertsteuer mittragt, müßt Ihr auch der Rentenreform zustimmen!
Jetzt sind Sie noch einen Schritt weitergegangen und haben noch eins draufgelegt. Sie sagen jetzt: Ihr sollt nicht nur der Rentenreform zustimmen, sondern auch der Steuerreform. - An diesem Punkt waren wir alle im Sommer schon einmal. Damals hat es nicht funktioniert, warum sollte es jetzt funktionieren? Sie haben wohl nicht verstanden, wie man Kompromisse schließt. Da müssen sich beide Seiten bewegen; die eine kann nicht stehenbleiben und zur anderen sagen: Mach etwas!
Die Bundesregierung hat die Rentenversicherung vor die Wand gefahren. Die Bundesregierung hat den historischen Höchststand der Abgabenbelastung zu verantworten. Die Bundesregierung hat auch den Höchststand der Arbeitslosigkeit zu verantworten. All das fällt in Ihre Verantwortung.
Die Angebote, die die Opposition angesichts dieser Lage macht, sind im Interesse der Versicherten und des Arbeitsmarktes. Deswegen sind wir zu Kompromissen bereit, aber nicht - das sage ich hier noch einmal ganz deutlich - um den Preis der Selbstaufgabe. Sie müssen uns entgegenkommen.
Für die Bündnisgrünen ist in diesem Zusammenhang ein Einstieg in die ökologische Steuerreform von existentieller Bedeutung, weil von einer Umfinanzierung ein politisches Signal in Richtung ökologischer Umbau ausgehen muß.
Das eigentliche Trauerspiel ist aber: Wir reden die ganze Zeit über nichts anderes als Schadensbegrenzung für Ihre verfehlte Politik. Eigentlich müßten wir über Strukturreformen der Rentenversicherung reden. Dazu kommen wir gar nicht, weil Sie es so weit getrieben haben. Das Ausmaß des Schadens ist erheblich, zum Beispiel beim Verlust des Vertrauens in die gesetzliche Rentenversicherung. Heute konnte man lesen, daß 40 Prozent aller jungen Leute für eine Grundrente sind. Nun werden alle Sozialpolitiker im Hause sofort wieder aufstehen und sagen: Wir haben so viele gute Argumente gegen eine Grundrente! Prompt schlägt man wieder mit der Keule drauf.
Ich glaube, diese Befürchtungen sollte man nicht in beschwichtigender Weise von der Hand weisen. Man sollte sie vielmehr als ein Signal dafür nehmen, daß die jungen Leute jedwedes Vertrauen in die Rente verloren haben.
Wenn Sie nur das Rentenniveau senken, ohne gleichzeitig über eine Mindestsicherung zu reden, dann fragen sich die jungen Leute: Was kriege ich hinterher noch? Wenn Sie nicht über weitere Strukturreformen der Rentenversicherung reden wollen, dann fragen sich die jungen Leute mit ihren unterbrochenen Berufsbiographien, Werk- und Honorarverträgen: Was wird aus uns?
In dieser Situation sind sie bereit, denen zu folgen, die sagen: Wir hätten da eine ganz einfache Lösung. Es reicht dann nicht, daß die versammelte Schar der Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitiker sagt: Die Lösung ist nicht so einfach. Das wissen wir. Hier geht es aber um ein politisches Problem, das endlich politisch ernst genommen werden muß. Mit dem, was Sie in den letzten Jahren gemacht haben, haben Sie dieses politische Problem überhaupt erst in diesem Ausmaß geschaffen.
Die Umfinanzierung kann nur der allererste Schritt sein. Sie dient der Schadensbegrenzung. Es geht auf Ihr Konto, daß sie überhaupt notwendig ist. Viel notwendiger ist es aber, daß wir endlich über grundlegende und weitreichende Reformen in der Rentenpolitik sprechen.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Peter Keller.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Als älterer Zeitgenosse stimmt es mich schon traurig, wenn 40 Jahre nach Einführung der dynamischen Rente ein möglicher Vertrauensverlust für dieses Sicherungssystem droht.
Ich will darauf hinweisen, daß die Beständigkeit des Rentensystems die Lebensgrundlage für die meisten Menschen in unserem Lande ist. Dafür tragen wir Verantwortung.
Ich appelliere deshalb an alle Parteien - das gilt für alle -, daß wir im nächsten Jahr keinen Rentenwahlkampf führen, weil das sicherlich ein unwürdiges Schauspiel wäre. Niemandem dient es, wenn wir 40 Jahre vernünftige Rentenpolitik fahrlässig zerreden würden.
Deshalb sage ich auch für die Öffentlichkeit ganz deutlich: Keine Rentnerin und kein Rentner müssen heute oder morgen um ihre Rente fürchten. Sie werden die verdiente Gegenleistung für ihr Arbeitsleben und für die gezahlten Beiträge erhalten. Die Union
Peter Keller
war immer und ist der Garant für den Generationenvertrag. Dafür stehen wir ein.
Die Aktuelle Stunde gibt mir auch die Möglichkeit, deutlich zu sagen, daß wir die Weichen für die Rentenversicherung richtig gestellt haben. Unser Strukturkonzept enthält wirksame Maßnahmen,
welche die Zukunft der Renten sicher machen. Unsere Politik enthält drei Elemente:
Erstens. Wir sparen im System; das geben wir zu. Es ist notwendig, denn ohne Sparen gibt es keine Strukturreform.
Zweitens. Wir bauen das Rentensystem für das 21. Jahrhundert um, was Sie nicht tun, liebe Kollegen von der SPD. Wir werden der Bevölkerungsentwicklung durch die Einführung eines demographischen Faktors Rechnung tragen.
Dabei wird aber keine Rente gekürzt.
Nur der weitere Anstieg der Renten wird etwas gebremst werden. Das ist eine gerechte Lösung im Rahmen der Verteilung der Lasten auf Altere und Jüngere.
Das dritte Element: Wir nutzen die Reform auch zur Gestaltung. Unverzichtbar ist die Weiterentwicklung der Kindererziehungszeiten im Rentenrecht. Die entsprechenden Regelungen werden weiter verbessert werden.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben sich einer Strukturreform einfach versagt. Wir meinen, das Modell der ausschließlichen Umfinanzierung, so wie Sie es praktizieren wollen, ist zu kurzsichtig und greift nicht.
Unser politisches Ziel muß jetzt sein, die Weichen für eine dauerhafte Entlastung zu stellen.
Noch einmal zurück zu den Ursachen für diese Beitragsentwicklung. Sie war nicht vorauszusehen, weil dafür ein ganzes Bündel von Gründen verantwortlich ist. Die Großindustrie hat leider in den Jahren 1996 und 1997 noch über 200 000 Frühverrentungen vollzogen. Die Kosten dafür betrugen allein 1997 20 Milliarden DM. Die Beitragseinnahmen fielen natürlich auch durch den massiven Abbau von Beschäftigung. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung.
Wenn wir die Rentenversicherung weiter über den Generationenvertrag im Umlageverfahren finanzieren wollen, müssen alle dazu ihren Beitrag leisten: die Rentner, die jetzt Rente bekommen, die jüngeren Beitragszahler und die Unternehmer, die jetzt gefordert sind, endlich mehr Beschäftigung zu schaffen.
Denn nur sie allein können Arbeit geben; sie zögern aber noch bei der Einstellung.
Eine letzte Bemerkung. Wir dürfen einen Rentenbeitrag von 21 Prozent nicht zulassen; das ist unsere feste Überzeugung. Denn 21 Prozent untergraben das Vertrauen vor allem der Jugend in dieses Umlagesystem im Generationenvertrag. Deshalb muß die politische Vernunft siegen.
Die Opposition hat sich unserem Angebot zur Strukturreform bisher verschlossen. Aber es gibt nur eine gemeinsame Lösung: die Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt sowie die Strukturreform - beide sind unverzichtbar.
Lassen Sie mich eines noch bemerken: Das Zauberwort, das über allem schwebt, heißt „mehr Beschäftigung" . 21 Prozent Rentenbeitrag wären ein Hindernis für mehr Arbeitsplätze. Deshalb ist gemeinsames politisches Handeln unverzichtbar. Dazu möchte ich heute besonders die SPD auffordern.
Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Ottmar Schreiner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte von dieser Stelle heute den Kollegen Rudolf Dreßler, der hier in Bonn im Krankenhaus liegt, sehr herzlich grüßen. Er hätte hier heute ansonsten geredet. Vielleicht ist dieser Vorgang für uns alle Anlaß, hin und wieder darüber nachzudenken, ob wir nicht gelegentlich etwas kürzertreten sollten.
Nach dem Beitrag des Kollegen Keller fällt es sehr schwer, in der Sache ruhig zu bleiben. Der Kollege Keller hat jetzt als Lösung vorgeschlagen, die vorgezogene Umfinanzierung und die Rentenkürzungen bereits im nächsten Jahr vorzunehmen.
Ich will Ihnen, lieber Kollege Keller, aus der „Süddeutschen Zeitung" von heute zitieren, wie Ihre Partei, die CSU, das sieht. - Überschrift: Die CSU wendet sich gegen die Bonner „Renten-Farce". - Es heißt dort:
Finanzminister Erwin Huber meinte, es gäbe nach wie vor „keine überzeugenden Gründe für ein Vorziehen der Rentenreform" . ... Ein Münchner Kabinettsmitglied sagte der Süddeutschen Zeitung, es gebe in Bayern „großen Unmut über diese sagenhafte Farce, daß die CDU in Bonn auf Druck der FDP alle Absprachen über den Haufen wirft, während unser
- beklagenswerter -
Parteichef Theo Waigel in München auf einer Partei-Vorstandssitzung davon nichts mitbekommt".
Ottmar Schreiner
In der Bonner Koalition gehe es zu „wie im Irrenhaus".
Meine Damen und Herren, das ist die offizielle Kommentierung durch die bayerische CSU, für die Sie hier anscheinend nicht geredet haben. Man fragt sich ja, wenn die Koalition hier in Bonn ein beklagenswertes „Irrenhaus" ist, wie die CSU in München vermeldet, ob Sie Wärter oder Insasse dieses Hauses sind. Das muß die CSU-Landesgruppe ihrerseits einmal klären, wie sie ihre Rolle in diesem Irrenhaus definiert.
Meine Damen und Herren, ich will zunächst noch einige Sätze zu dem von Ihnen in den letzten Wochen immer wieder vorgetragenen Vorwurf sagen, die sozialdemokratische Mehrheit im Bundesrat sei für die nun unabdingbare Erhöhung des Rentenbeitragssatzes auf 21 Prozentpunkte zum 1. Januar des nächsten Jahres verantwortlich. An diesem Vorwurf ist überhaupt nichts dran!
Die Bundesregierung hat niemals auch nur die geringste Anstrengung unternommen, den Anstieg des Beitragssatzes im kommenden Jahr zu verhindern. Das Rentenreformgesetz sollte erst 1999 in Kraft treten. Selbst wenn es vorgezogen würde, könnten die Leistungskürzungen zur Verbesserung der Liquidität und zur Vermeidung des Beitragsanstiegs im Jahre 1998 praktisch keinen Beitrag leisten. Niemals haben Bundesregierung und Koalition die Erhöhung des Bundeszuschusses und der Mehrwertsteuer schon für die Zeit ab 1998 vorgeschlagen, sondern immer erst ab 1999. Insoweit ist die vorgesehene Erhöhung des Beitragssatzes auf 21 Prozent ausschließlich im Verantwortungsbereich der Bundesregierung und der sie tragenden Mehrheit hier im deutschen Parlament zu suchen.
Der Bundeskanzler selbst hat vor wenigen Tagen gesagt, der Anstieg auf 21 Prozent sei nicht hinnehmbar, sei nicht verantwortbar. Wenige Tage später läßt er im Bundeskabinett genau dieses beschließen. Welch ein Tollhaus, kann man da nur sagen!
Wir haben in der vorigen Woche von seiten der SPD noch einmal versucht, Ihnen einen sehr maßvollen Gesamtvorschlag zu machen, um die lähmende Stagnation hier in Bonn zu überwinden.
Um im kommenden Jahr die drohende Beitragserhöhung auf 21 Prozent zu verhindern, schlagen wir Ihnen deshalb erneut vor:
Erstens. Der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung wird bereits zum 1. Januar 1998 im Umfang eines Beitragspunktes erhöht, wobei zunächst die externen versicherungsfremden Leistungen zu erstatten sind. Die Finanzierung erfolgt über eine maßvolle
Anhebung von Verbrauchsteuern schon im Jahre 1998. Beides hat die SPD schon im Vermittlungsverfahren zur Steuerreform gefordert.
Zweitens. Die sogenannte Rentenreform 1999, die bereits gegen die Stimmen der SPD verabschiedet worden ist, darf unter keinen Umständen auf 1998 vorgezogen werden.
Die Rentenkürzungen werden von der SPD kategorisch abgelehnt. Über die Zukunft dieses Gesetzes und alternative Vorschläge anderer Parteien müssen die Wählerinnen und Wähler in der kommenden Bundestagswahl im September 1998 entscheiden können.
Drittens. Es müssen Sofortmaßnahmen zum Stopp des Mißbrauchs der 610-DM-Beschäftigungsverhältnisse ergriffen werden, die bereits zum 1. Januar 1998 in Kraft gesetzt werden müssen.
- Die Geringfügigkeitsgrenze könnte zum Beispiel von 610 auf 300 oder 200 DM abgesenkt und in Zukunft nicht mehr der Einkommensentwicklung angepaßt werden. Dann hätten Sie einen sinnvollen Einstieg zur Lösung dieses für die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung immer schwieriger werdenden Problems.
Im übrigen haben Redner der Koalition vor anderthalb Jahren bei der ersten Lesung des SPD-Gesetzentwurfes hinsichtlich der Lösung der Probleme der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse hier im Deutschen Bundestag offen eingeräumt, daß es massive Mißbräuche gebe, und zugesagt, daß die Koalition in absehbarer Zeit eigene Vorstellungen vorlegen werde. Inzwischen sind anderthalb Jahre ins Land gegangen, ohne daß Sie irgendeinen Vorschlag hier im Deutschen Bundestag präsentiert haben.
Deshalb halten wir es für angemessen, zumindest eine Teillösung dieses Problems mit in das Gesetzespaket zur Rentenreform hineinzunehmen. Das würde Sie unter gar keinen Umständen überfordern.
Meine Damen und Herren, ich will schließen mit dem Gedanken: Wir reichen Ihnen noch einmal die Hand, um einen Weg aus der Malaise zu finden. Wir haben einen Vorschlag gemacht, der Sie in keinem einzigen Punkt überfordert. Dieser Vorschlag ist ernst gemeint. Wenn Sie auch diesen Vorschlag ablehnen werden, dann sind Sie in der Tat nichts anderes mehr als eine reine Negativkoalition, die mit ih-
Ottmar Schreiner
ren Mehrheiten hier im deutschen Parlament sinnvolle Vorschläge ablehnen kann,
aber ihrerseits nicht mehr in der Lage ist, irgendwelche positiven Handlungsmöglichkeiten zur Lösung der großen Probleme unseres Landes zu präsentieren.
Herzlichen Dank.
Nun gebe ich der Abgeordneten Dr. Gisela Babel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einer Bemerkung an Herrn Schreiner: Die Renten werden nicht gekürzt.
Sie werden in dem Maße langsamer erhöht, wie sich die Nettolohnsteigerung entwickelt. Es ist also festzuhalten: Die Renten werden nicht gekürzt.
Der Beitragssatzanstieg auf 21 Prozent kam auch für die Liberalen überraschend.
Bei den Koalitionsverhandlungen zur Rentenreform im April dieses Jahres ist uns noch das Sinken des Beitragssatzes in Aussicht gestellt worden.
In der Öffentlichkeit tobt mittlerweile die Meinungsschlacht: Eine Ursachenforschung findet statt, Rezepte werden angeboten, und die Systemdiskussion bricht wieder aus. Dies alles hilft nicht viel weiter.
Ich will einmal auf einige Tatsachen hinweisen, die angesichts dieses Nebels schon nicht mehr wahrgenommen werden. Die F.D.P. steht zu den in der Rentenreform getroffenen Entscheidungen. Sie steht zum Spargesetz, dem Rentenstrukturgesetz und zur Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt, um dadurch einen höheren Bundeszuschuß finanzieren zu können.
Wir beharren aber auch auf der getroffenen Entscheidung, daß beide Teile zeitgleich in Kraft treten sollen:
entweder beides zum 1. Januar 1999 - so hatten wir
das beschlossen - oder, wenn wir es vorziehen können, früher, also in Form eines neuen Blitzgesetzes,
welches die Strukturreform früher in Kraft treten läßt.
Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal etwas zu den Ursachen sagen. Die Beitragsausfälle sind zum ersten Folge von Prozessen, die wir teilweise mit Gesetzen in Gang gesetzt haben und im Grunde für gut halten. Wir wollten nämlich Kosten senken und hatten dies über den Weg der Absenkung der Lohnfortzahlung vorgesehen. Diese Absenkung ist zwar nicht in den Tarifverträgen verwirklicht worden; aber sie wurde kompensiert. Den Unternehmen sind hier Kosten in einer Größenordnung von 10 Milliarden DM von der Schulter genommen worden; entsprechend geringer waren die Beiträge.
Zweiter Punkt: Betriebe und Tarifpartner sind flexibler geworden; sie regeln die Arbeitszeiten nun intelligenter. Es gibt jetzt Arbeitszeitkonten, die sich auf das Jahr beziehen. Danach wird in arbeitsreichen Zeiten mehr gearbeitet als in arbeitsarmen. Das ist ein ganz vernünftiger Vorgang. Aber: Auch hier gehen Beiträge verloren.
Zum dritten: Die Rentenversichung muß nicht nur Beitragsausfälle verkraften. Sie hat auch höhere Ausgaben als vermutet.
Warum? Weil wir die Schleuse bei der Frühverrentung - das sage ich an die Adresse aller Parteien, Frau Fuchs - zu spät geschlossen haben. Und dies ist ganz kräftig genutzt worden, meine Damen und Herren.
Der Beitragssatzanstieg ist also durchaus erklärbar. Auch die Arbeitslosigkeit trägt ihren Teil dazu -bei.
Aber, meine Damen und Herren: Nicht zu den Ursachen gehören die 610-DM-Jobs, wie man der Öffentlichkeit glauben machen will.
Der Beitragssatzanstieg ist von den Gegnern dieser Arbeitsverhältnisse zum Halali auf die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse genutzt worden. Der Beitragssatzanstieg soll nun herhalten, den 610-DM-
Verträgen den Garaus zu machen. Ich sage Ihnen noch einmal: Eine Verteuerung dieser Beschäftigungsverhältnisse taugt nicht zur Lösung der Finanzprobleme in der Rentenversicherung, eher im Gegenteil.
Eines will ich hier noch festhalten, weil viele sagen, daß das, was die Koalition vorgeschlagen hat, nichts nütze oder nicht helfe: Die Rentenreform tritt erst
Dr. Gisela Babel
1999 in Kraft - vielleicht können wir sie vorziehen - und wirkt nur langsam: Die Reform der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente tritt im Jahr 2000 stufenweise in Kraft. Die Berücksichtigung der demographischen Entwicklung wird sich erst im Jahr 2015 voll auswirken. Die beschlossene Anhebung der Altersgrenzen bei Frühverrentung wirkt erst im Jahre 2000. - Das heißt: Die einzige Möglichkeit, den Beitragssatzanstieg kurzfristig zu verhindern, ist eine Erhöhung des Bundeszuschusses. Ein solch schnelles Handeln probieren wir nun.
Zum Angebot der SPD soviel: Das, was Sie hier verkünden, Herr Schreiner, ist im Grunde nicht so ganz neu.
Immerhin aber haben Sie gesagt, daß auch Sie den Beginn vorziehen würden. Sie würden also mittragen, daß mit dieser gemeinsamen Entschließung ein Beitragssatzanstieg auf 21 Prozent verhindert werden soll. Das finde ich positiv; das will ich auch einmal festhalten. Ich appelliere also an die SPD, der Erhöhung der Mehrwertsteuer im Bundesrat zuzustimmen. Aber, meine Damen und Herren, dann kann Ihnen doch egal sein, wann das Rentenstrukturgesetz, dem Sie eh nicht zustimmen - weder heute noch morgen, noch übermorgen - und von dem Sie sagen, daß Sie es im Wahlkampf thematisieren wollen, in Kraft tritt.
Sie können die Bürger im Wahlkampf darüber befragen.
Wir brauchen eine Lösung, von der wir sagen können, daß sie generationenverträglich ist. Es kann nicht sein, daß unsere Maßnahmen nur die Beitragszahler, die Erwerbstätigen belasten und die Rentner völlig außen vor lassen. Ich glaube, diese Politik sollte von der Koalition auch im Zusammenhang mit der Steuer betrieben werden.
Mein letzter Satz, Herr Präsident: Wir stehen zu Gesprächen mit der Opposition sowohl über Rente als auch über Steuern zu jeder Zeit, Tag und Nacht, bereit. Bitte nehmen Sie diese Bereitschaft zur Kenntnis!
Ich bedanke mich.
Ich gebe der Abgeordneten Petra Bläss das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Dr. Babel, die Phantasie scheint wirklich keine Grenzen zu kennen, wenn es um die Umschreibung von Sozialraubbaugesetzen geht.
Wenn Sie hier von einem sogenannten Blitzgesetz sprechen, dann lassen Sie sich und Ihren Kolleginnen
und Kollegen von der Koalition sagen: Nach dem Blitz folgt bekanntlich der Donner.
Wir alle wissen, das Gewitter ist längst über uns, und der Abstand zwischen Blitz und Donner ist nicht sehr groß.
Das Chaos um die Rente wird immer größer. Und ich sage Ihnen: Das Dilemma ist hausgemacht.
Der Sozialminister Blüm erhält Unterstützung von uns in seiner Einschätzung der Ursachen für die Einnahmeausfälle in der Rentenversicherung. Durch die Umwandlung versicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse in geringfügige Beschäftigung und in Scheinselbständigkeit gehen der Rentenkasse mittlerweile jährlich über 6 Milliarden DM verloren. Die Entlastungen der Wirtschaft durch die Spargesetze der letzten Jahre schmälerten die Bruttolohnsumme um 20 Milliarden DM. Da die Entlastungen aber nicht im geringsten zu den versprochenen Einstellungen geführt haben, bleibt einzig ein Einnahmeverlust in Höhe von 4 Milliarden DM für die Rentenkasse. Das heißt unter dem Strich: 10 Milliarden DM Einnahmen wurden verschenkt; sie machen bekanntlich zwei Drittel der Höhe des Problems aus, vor dem wir heute stehen.
Wer aber hat diese Deregulierungspolitik zu verantworten? - Der Arbeitsminister Blüm! Ursache und Wirkung liegen hier - tief verquickt -, und der Bundesminister Blüm erntet dieser Tage das Ergebnis seiner Gesamtpolitik - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Meine Kolleginnen und Kollegen, es muß endlich Schluß damit sein, die Rentenversicherung kaputtzureden; der Blick muß auf die Beschäftigungs- und Verteilungspolitik in diesem Lande gerichtet werden.
Schauen wir auf die Verteilung im Sozialbudget. In den letzten 20 Jahren hat sich der Anteil, der über Steuern finanziert wird, gravierend verringert, und der Anteil, der über Beiträge finanziert wird, hat sich von 58 Prozent auf 65 Prozent erhöht. Der Staat entzieht sich immer mehr seiner Verantwortung. 88 Milliarden DM weniger Beiträge hätten erhoben werden müssen, dann wäre die Verteilungsstruktur geblieben.
Ein zusätzlicher Bundeszuschuß ist daher kein Geschenk für die Rentenkasse. Hier hilft kein Reparieren; hier muß grundlegend stabilisiert werden.
Ein stetig auf 30 Prozent des Rentenanteils erhöhter Bundeszuschuß ist dringend erforderlich.
Dr. Gisela Babel
- Ich werde gleich noch ein paar Finanzierungsvorschläge machen.
- Leider kann ich jetzt nicht auf die Zwischenrufe eingehen; hören Sie am besten zu. - Die der Rentenversicherung im Laufe der Jahre übertragenen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, die Ausnahmesituation infolge der deutschen Einheit und die anhaltenden arbeitsmarktbedingten Belastungen sind plausible Gründe für eine solche Höhe. Gegenwärtig wären das 30 Milliarden DM mehr. - Doch woher das Geld nehmen?
Meine Damen und Herren, die Medien bringen es dieser Tage ans Licht, wie die Wirkungen der Steuervergünstigungen für Gutverdienende und Vermögende hierzulande aussehen. Es ist ein sozialpolitisches Unding, daß diese sich mit Immobilien in den neuen Bundesländern steuerfrei rechnen können und nun für den Bundeszuschuß eine Mehrwertsteuererhöhung her soll, die vor allem wieder einmal die sozial Benachteiligten trifft.
Diese Entwicklung muß endlich gestoppt werden, und es muß eine sozial gerechte Steuerreform in Angriff genommen werden.
Es muß über eine den neuen Bedingungen entsprechende Bemessungsgrundlage der Beiträge für die Arbeitgeber zur Sozialversicherung nachgedacht werden. Bekanntlich hat die PDS in ihrem alternativen Rentenreformkonzept den Vorschlag der Wertschöpfung gemacht. Reichtum wird produziert; er muß nur in die Sozialkasse fließen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, das Dilemma ist nicht nur hausgemacht, sondern auch politisch gewollt. Wer Ausgaben kürzen will oder Ausgabekürzungen rechtfertigen will, muß Einnahmemiseren produzieren. Das wird tagtäglich praktiziert; dieser Taktik folgen Sie! Ich befürchte, daß Panik gemacht wird, um strategisch letztlich dem Systembruch, nämlich dem Grundrentenmodell, den Weg zu bahnen. Kollegin Fischer hat ja die neuesten Umfragen zitiert.
Sie wissen genau, daß diese Stimmungsmache gerade bei den jungen Leuten die entgegengesetzte Wirkung hat. Das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung schwindet - in dieser Beziehung sage ich: durchaus berechtigt - bei der jungen Generation völlig.
Die PDS steht für eine solche Kürzungspolitik nicht zur Verfügung.
Ich gebe das
Wort dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schließe mich ausdrücklich dem Wunsch des Hauses, wie er von Frau Fischer formuliert wurde, an, daß nämlich Rudolf Dreßler bald gesund werden möge, so daß ich mich mit ihm wieder streiten kann.
Wir sind Gegner, aber keine Feinde.
Eine Stunde, in der Lösungen aufgezeigt werden würden, ist mir lieber als 100 Aktuelle Stunden.
- Ich habe diese Aktuelle Stunde nicht beantragt, die Koalition auch nicht.
Ich finde, die Rentendebatte wird durch eine Inflation an Diskussionen nicht leichter. Im übrigen wird es auch keine Gewinner dieser inflationären Diskussionen geben. Ich stelle fest - in dieser Verantwortung stehen wir alle; das hat nichts mit Parteien zu tun -, daß die Rentner, um die es geht, die Diskussion, die wir hier führen, schon lange nicht mehr verstehen.
- Ich komme dazu, nur langsam!
Wenn es um Vertrauen geht, ist ein Beitragssatz von 21 Prozent ein Fanal. Jetzt können wir das zwar weiter bedauern, aber die Frage lautet: Was ist zu tun? - Unsere Antwort steht auf zwei Schienen: Rentenreform und Umfinanzierung.
- Die bekämpfen wir auch durch Entlastung - nicht nur, aber auch dadurch!
Ich will festhalten: Zur Rentenreform verweigern Sie Ihre Zustimmung. Das ist Ihr gutes Recht, nur will ich doch auf einen gewissen Widerspruch aufmerksam machen: Herr Kollege Schreiner spricht hier - Originalton - zunächst von Rentenkürzungen. Alles erschrickt! Im zweiten Satz sagt er, das Vorziehen der
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Rentenreform bringe nichts. - Was heißt das? Dann ist es doch auch keine Kürzung.
Er hat recht, eine Reform braucht Zeit, um zu wirken. Wir greifen nämlich nicht in Besitzstände ein. Wir kürzen nicht. Der Beweis dafür ist, daß der Entlastungseffekt im ersten Jahr relativ gering ist. Selbst das, was Sie im letzten Jahr bekämpft haben, nun aber wieder zurücknehmen wollen - die verkürzte Anrechnung der Ausbildungszeiten -, bringt in den ersten Jahren nichts, weil wir langfristig reformieren.
- Ich erkläre es gerade: Die Rentenreform kommt. Der Zug fährt, jetzt geht es um die Umfinanzierung.
Ich schließe mich dem Appell der Sozialpartner an
- BDA, DGB, DAG -, möglichst schnell zu handeln. Es gibt kein anderes Mittel, das den Beitragssatz schnell so stark senkt. Wenn die Änderung am 1. April in Kraft tritt, ergibt sich eine Entlastung von 12,6 Milliarden DM oder 0,7 Prozent des Beitragssatzes. Kein anderes Mittel ist dem vergleichbar. Selbst das Vorziehen der demographischen Formel bringt nur 700 Millionen DM. Das ist beitragsunerheblich.
Auch andere Ausweichmanöver, die ich strikt ablehne, beispielsweise die Senkung der Beiträge zur Pflegeversicherung - dies würde die Pflegekassen in Schwierigkeiten bringen -, tragen nicht.
- Ich will das ja nur klarstellen, schreien Sie doch nicht sofort! - Die Pflegeversicherung, so umstritten sie zunächst war, ist heute neben der Unfallversicherung die Sozialversicherung, die nicht im Streit steht. Niemand kann daran interessiert sein, daß diese
neue Sozialversicherung ins Gerede kommt.
Jetzt noch zu den Zahlen. Aber schimpfen Sie nicht über die Zahlen, ich trage nur Mitverantwortung - keine Flucht! - für die Fakten. Die Schätzzahlen zu den Steuereinnahmen haben mit den Schätzzahlen zum Rentenbeitrag eines gemeinsam: Sie beruhen auf den Eckwerten der Bundesregierung - der ich bekanntlich nicht alleine angehöre. Es wäre arrogant und vermessen von mir, zu behaupten, ich sei klüger als die Schätzer der Bundesregierung.
Es schmeichelt mir zwar, Frau Babel, ich könnte auch einen solchen Eindruck erwecken, aber klüger bin ich nicht.
Deshalb: Ich habe weder den Überblick verloren noch die Leute wissentlich hinters Licht geführt. Die Zahlen beruhen auf den Eckwerten der Bundesregierung, und die mußten leider - zu meinem großen Bedauern! - verändert werden. Zwischen Oktober 1996 und Oktober 1997 gab es 627 000 weniger Beschäftigte und 431 000 mehr Arbeitslose. Die Rentenversicherung hatte im August/September im Vergleich zum Vorjahr 2 Milliarden DM weniger Einnahmen.
- Das will ich gleich begründen.
Die Entlastung der Wirtschaft durch unsere Sparmaßnahmen war größer, als alle erwartet haben. Beispielsweise wird das Volumen der Kompensation für die nicht vollständige Übernahme der Lohnfortzahlung in den Tarifverträgen auf 15 Milliarden DM geschätzt. Herr Stihl schätzt es auf 20 Milliarden DM. Ich mache diesbezüglich keinen Rückzug. Ich habe das für notwendig gehalten.
Leider ist aber die Zahl der Neueinstellungen hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben.
Die Differenz zwischen Beschäftigungsabbau und Anstieg der Arbeitslosigkeit in Höhe von 200 000 Stellen kann nicht allein damit begründet werden, die seien in die stille Reserve abgewandert. Da muß ein Teil weiter beschäftigt sein. Der Unterschied ist, daß er früher beitragspflichtig beschäftigt war, heute aber beitragsfrei beschäftigt ist.
Die stille Reserve kann nicht die einzige Erklärung für diese Diskrepanz sein, daß die Beschäftigung stärker zurückgegangen ist, als die Arbeitslosigkeit angestiegen ist.
Ich bin für einen Kompromiß. Ich finde es richtig, daß Sie der Einigung wegen zwei Punkte zurückgenommen haben.
- Haben Sie sie nicht zurückgenommen? Dann habe ich zu früh gejubelt. Ich nehme das zurück.
Die Umfinanzierung ist nicht nur ein Notbehelf; sie ist auch ein Stück Gerechtigkeit. Beim Sozialbudget gab es eine Verschiebung von der Steuerbelastung zur Beitragsbelastung. Das ist die falsche Fahrtrichtung. Wir brauchen zwei Dinge: erstens die Rückführung der gesamten Steuer- und Abgabenquote, zweitens eine neue Zuordnung: weg von der Arbeit hin zu den Steuern. Weg von der Arbeit heißt nicht, daß die Lohnbezogenheit aufgegeben wird. Aber: Die Beitragsbelastung hat seit 1975 um 7 Prozent zugenommen. Das ist auch im Hinblick auf Gerechtigkeit eine falsche Gewichtung.
- Das wollen wir ja gerade! Sie blockieren es doch! Auch ich bin nicht dafür, heute das Schwarze-PeterSpiel zu spielen.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Umfinanzierung ist nicht nur der Rettungsanker für die Rentenversicherung, sondern auch der Versuch, das Gewicht neu zu ordnen: weg von den Beiträgen, weg von den Arbeitsplätzen hin zum Verbrauch, und zwar ohne das System der lohnbezogenen Rente aufzulösen.
Ich hoffe, daß in diesem Bundestag die Anhänger der lohnbezogenen Rente auch weiterhin in der Mehrheit sind. Wir lehnen Grundsicherung, Grundrente ab. Sie ist teuer, sie ist ungerecht, und sie ist leistungsfeindlich.
Aber wenn wir diese Diskussion noch lange führen, arbeiten wir den Gegnern unseres Systems in die Hände. Deshalb bin ich nicht für eine neue Aktuelle Stunde, sondern schnell für eine Stunde der Lösung.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Gerd Andres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wissen aus Geschichte und Literatur, daß es Daten gibt, die die Welt verändern. Seit der Bundesarbeitsminister vor 14 Tagen den Rentenbeitrag in Höhe von 21 Prozentpunkten bekanntgegeben hat,
hat sich die sozialpolitische Debatte in diesem Lande in einer dramatischen Art und Weise verändert.
Ich muß ganz ernsthaft fragen, Herr Bundesarbeitsminister, insbesondere hinsichtlich Ihrer Beschwörungsformeln am Schluß Ihrer Rede: Wer soll Ihnen, Herr Norbert Blüm, in diesem Lande überhaupt noch irgendeine Zahl glauben?
Ihr Koalitionspartner sagt in dieser Debatte: „Wir waren völlig überrascht."
Ich muß Ihnen sagen: Die Fakten sind ganz eindeutig.
Erstens. Der Bundesregierung war der Beitragssatz von deutlich über 20,6 Prozent bereits seit Anfang August bekannt. Dies war der eigentliche Grund für die damaligen Versuche, die Rentenreform vorzuziehen. Sie wollten mit Ihrer Umfinanzierung den Anstieg des Beitragssatzes verschleiern.
Zweitens. Der drohende Beitragssatz von 21 Prozent wurde von Rudolf Dreßler, dem ich sehr gewünscht hätte, daß er hier heute selber hätte reden können, am 8. August 1997 der Presse mitgeteilt und vom Bundesarbeitsminister wütend dementiert. „Dreßler verbiegt die Fakten, um Rentner und Beitragszahler zu verunsichern" hieß es bei Ihnen.
Wer hat sie denn verunsichert? Wer sorgt denn dafür, daß wir wieder die Struktur- bzw. die Grundsatzdebatte in der Altersversorgung führen? Doch nur Sie!
Drittens. Es gibt und gab keine einzige Gesetzesvorlage der Koalition, in der die Mehrwertsteuer bereits 1998 erhöht werden sollte, um der Rentenversicherung einen zusätzlichen Zuschuß zu überweisen. Die SPD hingegen hat im Bundestag eine solche Vorlage - zusammen mit der Anhebung der Mineralölsteuer und einer Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages - bereits zweimal zur Abstimmung gestellt, zuletzt am 31. Oktober 1997.
Viertens. Blüm, Schäuble und andere nennen als Ursache für den Anstieg des Beitragssatzes das Wegbrechen der Einnahmen plus Mißbrauch bei geringfügig Beschäftigten - wie soeben geschehen - und Scheinselbständigkeit. Auf diese Erosion der Beitragszahlerbasis hat die SPD seit langem hingewiesen und längst entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt.
Herr Bundesarbeitsminister, wer redet hier, wer hat gehandelt?
Die hausgemachte Beitragskatastrophe stellt die Akzeptanz der bewährten Sozialversicherung weiter in Frage. In dieser Situation hat Ihnen die SPD die Hand entgegenstreckt. Wir haben Ihnen angeboten, über eine maßvolle Anhebung der Verbrauchsteuer ab 1998 den erneuten Anstieg der Lohnzusatzkosten zu verhindern. Ich wiederhole: Mit uns gemeinsam kann ein Rentenversicherungsbeitrag in Höhe von 21 Prozent schnellstens verhindert werden. Mit uns kann aber nicht das Geschäft gemacht werden, durch eine solche Konstruktion Ihre mißratene Rentenreform über die Bühne zu bringen. Das kommt nicht in Frage!
Alle hier im Hause sind doch der Meinung, daß die Belastung der Rentenversicherung durch beitragsungedeckte Leistungen verringert werden muß. Eine ordnungspolitisch korrekte Finanzierung dieser Leistungen ist längst überfällig, und das geht nur über Steuern. Lassen Sie uns also das Notwendige tun, Herr Bundesarbeitsminister.
Gerd Andres
Die Volkspartei CDU hat unsere ausgestreckte Hand bisher ausgeschlagen, weil sie sich in die politische Gefangenschaft der F.D.P. begeben hat.
Sie wollen uns zumuten, Ihre langfristig verheerende Rentenkürzungspolitik zu unterschreiben. Nur dann wollen Sie der Entlastung der Beitragszahler bereits ab 1998 zustimmen. Sie nehmen damit die Arbeitnehmer und die Unternehmer in Geiselhaft, um von uns die Mitverantwortung für ein untaugliches Rentenkonzept zu erpressen. Aber das wird es mit uns nicht geben, Herr Bundesarbeitsminister!
Statt konstruktiver Politik haben Sie Ihre Rentenachterbahn - '99, '98, '99, '98 - um einen sechsten Looping ergänzt. Ich kann Ihnen die technischen Daten nennen: Am 27. Juni 1997 haben Sie Ihr Rentenreformgesetz mit dem Inkrafttretensdatum 1. Januar 1999 vorgestellt. Am 5. August haben Sie in diesem Haus beschlossen, auf das Jahr 1998 vorzuziehen. Am 4. September haben die Spitzen von CDU und CSU in Andechs bei Starkbier entschieden, lieber auf das Vorziehen zu verzichten, weil das eine Nullrunde für die Rentner bedeuten würde, also 1999. Am 8. September hat die CDU/CSU-Fraktion beschlossen: Es bleibt doch bei 1998. Zugleich beschließt die F.D.P.-Fraktion, die Nichtmehrvorziehung hinzunehmen und zeigt sich vom erneuten Umkehrbeschluß des Partners überrascht, also wieder 1998. Am 26. September hat es die Koalition dann doch beim Termin 1999 belassen. Am 10. Oktober haben Sie sogar die sogenannte Rentenreform 1999 verabschiedet.
Vorgestern verkündet die Koalition, die Rentenkürzung auf 1998 vorzuziehen.
Der Partner CSU befindet sich allerdings weiter auf dem Stand von Andechs und beharrt auf 1999. Das Ganze wird dann von Herrn Hintze als „Rentenreform aus einem Guß" bezeichnet. - Was für ein Tollhaus!
Ich sage Ihnen: Die Menschen in diesem Lande sind Ihre Zumutungen restlos leid. Daher appelliere ich an Sie: Lassen Sie uns gemeinsam den Weg gehen, der sich vorgestern vormittag angedeutet hat. Wir können uns schnell über die jetzt notwendigen Schritte zur Stabilisierung der Rentenfinanzen verständigen. Noch ist Zeit dazu, eine vernünftige Lösung zu finden; sie läuft jedoch bald ab.
Ich gebe dem Abgeordneten Volker Kauder das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich hier manchen Zwischenruf von den Bänken der Opposition höre, dann kann ich nur sagen: Sie sollten sich um die Sache streiten und nicht bestimmte Begriffe verwenden und damit den Eindruck erwecken, als ob es hier um eine fröhliche, lustige Angelegenheit ginge. Bedenken Sie, welchen Eindruck die Menschen an den Bildschirmen von einer solchen Diskussion bekommen. Wer sich so verhält wie Sie jetzt gerade, macht nicht den Eindruck, daß er ein Problem ernsthaft lösen möchte.
Zunächst einmal zu Ihnen, Kollege Andres: Sie haben gesagt, die CDU hätte die Hand ausgeschlagen, die die SPD ausgestreckt habe. Diese Aussage ist falsch. Wir haben gestern gesagt - so berichten es die Medien, es ist auch Ihnen gesagt worden, und Wolfgang Schäuble hat es mehrfach erklärt -: Wir stehen zu jeder Tages- und Nachtzeit zu Gesprächen zur Verfügung, um miteinander zu verhandeln.
Worum geht es eigentlich? Es geht darum, daß dieser Deutsche Bundestag mit der Mehrheit der Regierungskoalition ein Rentenreformgesetz beschlossen hat, das langfristig eine Antwort auf die Fragen gibt, die die jungen Menschen und auch die ältere Generation heute stellen.
Wir haben ein Rentenstrukturgesetz beschlossen, das mittel- und langfristig wirkt. Wir haben dazu eine Finanzierung beschlossen, die dazu beitragen kann und soll, daß der Rentenversicherungsbeitrag nicht auf 21 Prozent steigt.
Dieses geschlossene Konzept wurde hier beschlossen und liegt jetzt dem Bundesrat vor. Sie müßten eigentlich nur noch der Erhöhung der Mehrwertsteuer zustimmen; dann wären wir nicht bei den 21 Prozent.
Wir alle sind uns einig, daß der Rentenversicherungsbeitrag von 21 Prozent zu hoch ist.
- Herr Kollege Schreiner, mit Ihrer Weigerung, eine Strukturreform durchzuführen, werden die Rentenversicherungsbeiträge langfristig auf über 25 Prozent steigen.
Volker Kauder
Dies wollen Sie den Menschen zumuten.
- Herr Schreiner, Sie sollten nicht immer so herumschreien! Wenn Sie zugeben müssen, daß die Rentenversicherungsbeiträge auf über 25 Prozent steigen werden, können Sie den Menschen doch nicht weismachen, daß Sie mit einer 5-Prozent-Umfinanzierung und der Herausnahme der versicherungsfremden Leistungen aus der Rentenversicherung das Problem lösen können. Nein, wir brauchen eine Strukturreform, und wir brauchen die Umfinanzierung. Wir haben beides angeboten,
und darüber können wir jetzt reden.
Ich wäre an Ihrer Stelle auch so nervös, wenn ich hören würde, was Jungsozialisten - also Leute aus Ihren eigenen Reihen - sagen. Die sind mit der Aussage „Nur noch neues Geld in die Rente" nicht einverstanden, weil sie sehen, daß sich Grundlegendes ändern muß.
Dies haben wir nun auf den Weg gebracht. Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie das Angebot an, das wir gemacht haben. Wir reden darüber, wie man die Umfinanzierung hinbekommt. Sie brauchen doch die Verantwortung für den Strukturteil der Rentenreform gar nicht zu übernehmen - darüber können wir doch miteinander reden -, aber übernehmen Sie Verantwortung dafür, daß die Rentenversicherungsbeiträge nicht auf 21 Prozent steigen. Dies können wir miteinander leisten.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Berninger, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als die Zahl 21 Prozent in der Öffentlichkeit durchsickerte, konnten wir alle einen Finanzminister sehen, der sich große Sorgen machte, konnten wir ein Kabinett sehen, das anfing, zu sagen, das gehe nicht, konnten wir einen Bundeskanzler sehen, der sagte, es würde ihm jetzt reichen, 21 Prozent seien zuviel. In dem ganzen Konzert sahen wir einen Arbeitsminister, der sagte, er sei nur der Bote der Botschaft; man dürfe nicht ihn für die Botschaft prügeln. - Dies wäre sicherlich eine vernünftige Grundhaltung, wenn der Bote die Botschaft immer ordentlich und zum richtigen Zeitpunkt verkündet hätte. Das hat er aber nicht getan.
Die Opposition hat schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, daß uns in diesem Jahr eine Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge auf 21 Prozent
droht. Die Bundesregierung hat gesagt: Nein, das wird nicht kommen. Sie hat der realistischen Einschätzung der Opposition nicht vertraut.
Mich stört noch etwas anderes an dem Bild des Boten Norbert Blüm. Der Bundesarbeitsminister ist für die Rentenpolitik verantwortlich. Er ist in dieser Diskussion mehr als nur Bote. Er ist derjenige, von dem wir Antworten auf die Fragen zur Rentenreform erwarten. Aus meiner Sicht sind diese Antworten immer noch nicht gegeben worden.
Jetzt wird gesagt, Sie hätten die Rentenstrukturreform ab dem Jahre 1999 in Gang gebracht. Ich teile Ihre Einschätzung hierzu überhaupt nicht.
Sie haben eine sogenannte Rentenstrukturreform beschlossen, halten aber gleichzeitig an all dem im Rentensystem fest, von dem ich glaube, daß es grundlegend verändert werden muß.
Sie geben keine Antwort darauf, daß die Normalerwerbsverhältnisse so nicht mehr vorhanden sind, daß wir in Zukunft mehr Teilzeitbeschäftigung haben werden und daß die Teilzeitbeschäftigung in der Rentenversicherung aufgewertet werden muß. Sie geben mit Ihrem Vorschlag keine Antwort darauf, daß die Erwerbsbiographien immer löchriger werden. Das einzige, was Sie machen, ist: Sie bauen innerhalb des Rentensystems systematisch Leistungen ab und wollen damit kaschieren, daß dieses Rentensystem, wenn Sie nichts an dem Leistungsäquivalenzprinzip ändern, wenn für Sie der Lohn für Lebensleistung nach wie vor hauptsächlich das Erwerbseinkommen und nicht mehr ist, nicht ausreicht.
Meine Damen und Herren, über die Krise des Rentensystems freuen sich natürlich andere. Herr Biedenkopf höhnt - hören Sie einmal, was Ministerpräsident Biedenkopf sagt -, die Rente sei so sicher wie die Vollbeschäftigung. Mich ärgert es tierisch, daß der Mann, der seit 25 Jahren mit einem Alternativrentenmodell herumgeht, ohne auch nur einmal zu sagen, wie er es bezahlen will, plötzlich bei der jungen Generation wachsende Zustimmung findet. Ich fand es hochinteressant, Herr Minister Blüm, daß Sie Ihre Rede damit begonnen haben, daß die Rentnerinnen und Rentner verunsichert sind. Ich glaube aber, die Debatte über die 21 Prozent markiert endgültig einen Wendepunkt in der Rentendebatte. Die junge Generation - und nicht die alte - ist es nämlich, die
Matthias Berninger
Ihnen die kritische Frage stellt, wie dieses System auf Dauer zu halten ist.
Das Hauptproblem, das wir haben, ist doch, daß das Vorziehen Ihrer Reformvorschläge, die ich für falsch halte - ich habe das eben begründet -, den Rentenbeitrag nicht senkt. Der bayerische Ministerpräsident Stoiber sagt, 0,04 Prozent sei die Veränderung im Vergleich zu den jetzigen 21 Prozent. Das kann man also vergessen.
Es geistern in der öffentlichen Debatte zwei Alternativvorschläge herum. Der eine Alternativvorschlag, nur die Mehrwertsteuer heraufzusetzen, stammt von der SPD und von Herrn Schröder. Das haben wir Grünen für falsch gehalten. Den anderen Alternativvorschlag halte ich für sehr vernünftig. Er wurde von uns häufig vorgetragen und vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Schäuble übernommen, nämlich ganz besonders Wert darauf zu legen, daß man in den Preisen für das Mineralöl, sprich: bei der Ökosteuer, eine Quelle sieht, mit der man das Sozialsystem auf andere Füße stellen kann.
Ich gebe Minister Blüm völlig recht, daß die Erwerbsarbeit alleine nicht mehr ausreichen wird, um das Rentensystem in Zukunft zu finanzieren. Das Problem, das alle Sozialpolitiker der CDU/CSU haben, ist, daß sie den politischen Elch-Test nicht mehr bestehen. Sie wissen, welche grundlegenden Reformen nötig sind, die F.D.P. stellt sich ihnen in den Weg, sie müssen ausweichen und fallen um. Das ist der Hauptgrund, warum wir immer höhere Beiträge haben werden, warum am Ende dieser Debatte nicht stehen wird, daß die Renten sicher sind, warum am Ende dieser Debatte nicht stehen wird, daß die junge und die alte Generation in dieses System vertrauen, sondern daß am Ende dieser Debatte das Fazit gezogen werden muß: Die Renten sind sicher, nur die Beiträge nicht.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Storm, CDU/CSU- Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat hat die Ankündigung, daß der Beitragssatz im nächsten Jahr auf 21 Prozent ansteigen wird, ein Stück weit so etwas wie einen Schock in der öffentlichen Debatte bewirkt. Es kommt aber nun darauf an, daß wir durch einen ruhigen Blick auf die Fakten wieder dazu beitragen, daß sowohl die heutige Rentnergeneration als auch die jüngere Generation das Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme zurückgewinnen können. Deswegen ist entscheidend, daß wir überlegen: Woran liegt es eigentlich, daß der Beitragssatz in dieser Größenordnung ansteigen wird, wenn wir nicht zusätzliche Maßnahmen ergreifen?
Noch vor drei Jahren hat der Rentenversicherungsbericht 1994 für das nächste Jahr eine Prognose abgegeben, die fast zwei Beitragssatzpunkte niedriger war. Wenn der Beitragssatz also nun um zwei Punkte höher liegt, als man es damals erwartet hatte, so ist das keineswegs eine Fehleinschätzung des Arbeitsministers, sondern das hat ganz handfeste Gründe in der Entwicklung der Arbeitsmarktlage. Wir haben mittlerweile 20 Milliarden DM Folgekosten der Frühverrentung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies allein macht mehr als einen Beitragssatzpunkt aus. Wir haben durch den massiven Einbruch der Beschäftigung, anhaltend in den letzten Monaten, natürlich einen weiteren Wegfall von Beitragseinnahmen.
Wenn man nun die Lösung allein in der Umfinanzierung sieht, dann muß eines ganz klar sein: Wenn wir vor zwei oder drei Jahren den Bundeszuschuß in dem Ausmaß erhöht hätten, das wir nun gemeinsam anstreben, dann hätten wir zwar einen etwas niedrigeren Beitragssatz, aber die Anstiegsdynamik wäre die gleiche, die wir jetzt haben. Sie hat nämlich ihre Ursache im wesentlichen in der Arbeitsmarktentwicklung. Diese Arbeitsmarktentwicklung ist ganz zentral auch auf das zurückzuführen, was im Moment in Europa an Umbruch passiert.
Da gibt es Zusammenhänge. Wir haben nicht nur im Bereich der Sozialversicherung, sondern auch im Bereich der Steuern Ausfälle. Wir hatten gestern die Steuerschätzung. Sie zeigt, daß die Steuereinnahmen in diesem Jahr um etwa 4 Prozent niedriger liegen, als noch vor einem Jahr geschätzt worden ist
- dazu komme ich gleich, Herr Schreiner -, obwohl die Annahmen für das Wirtschaftswachstum nahezu unverändert gegenüber denen von vor einem Jahr sind.
- Was lehrt uns das? Vor zwei Wochen gab es in einer großen deutschen Zeitung folgenden Beitrag: Ein Land in Europa hat sein Steuersystem reformiert, und zwar hat es die Einkommensteuer so gesenkt, daß es nun Beitragssätze zwischen 19 und 45 Prozent hat. Ich frage Sie: Was glauben Sie, welches Land das war? Es war Italien, ein Land mit einer Linksregierung, in dem die Nachfolger der Kommunisten als führende Regierungspartei eine Steuerreform auf den Weg gebracht haben, die im Grunde genau dem entspricht, was wir auch hier in Deutschland brauchen.
Dies zeigt, daß wir ohne strukturelle Reformen - das betrifft sowohl den Bereich der Steuern als auch der Rente - keine Chance haben, diese Krise zu be-
Andreas Storm
wältigen. Deswegen war es so entscheidend, daß die Koalition im Oktober die Rentenstrukturreform auf den Weg gebracht hat.
Der Kollege Berninger hat vorhin darauf hingewiesen, daß es vor allen Dingen für die junge Generation darauf ankommt, rechtzeitig die Weichen zu stellen. Wenn wir nun gemeinsam der Auffassung sind, daß ein Beitragssatz von 21 Prozent nicht akzeptabel ist, dann kann es ein Beitragssatz von 26 oder 27 Prozent, auch wenn er erst in 30 Jahren drohen würde, erst recht nicht sein.
Aus diesem Grunde ist es unbedingt erforderlich, daß wir gemeinsam mit der Umfinanzierung, über die wir uns hoffentlich in den nächsten Tagen einig werden, die notwendigen strukturellen Änderungen über die neue Rentenformel in Kraft setzen, wie es auch der Deutsche Bundestag am 10. Oktober beschlossen hat. Wenn wir zu solchen strukturellen Änderungen nicht bereit sind, dann hat nicht nur die ältere, sondern auch die junge Generation keine angemessene Chance auf dem Weg in das nächste Jahrhundert.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Mascher, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Der Kollege Storm hat den ruhigen Blick angemahnt, den wir auf die Situation der Renten werfen sollten, und hat dann den Hinweis auf Italien gebracht. Herr Storm, ich denke, das italienische Rentensystem mit all seinen Problemen und Verwerfungen können Sie uns auch bei ruhigem Blick wirklich nicht als Beispiel anbieten.
Auch das Hohelied auf die Strukturreform verfängt bei den Menschen überhaupt nicht, weil sie nicht begreifen können, warum 64 Prozent mehr sein soll als 70 Prozent. Es ist weniger, was den Menschen in der Tasche bleibt.
Wenn hier Sorgen artikuliert werden, die Rentenreformvorstellungen der Grünen und der SPD gingen nicht zusammen, dann kann ich Sie beruhigen. Da gibt es eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten. Das reicht durchaus aus, gemeinsam endlich eine vernünftige Reform auf die Reihe zu bringen.
Herr Kauder hat gesagt, er fordere uns auf, um die Sache zu streiten. Jetzt will ich einmal hinsichtlich seines Beitrages zur Sache kommen. Er hat immer so getan, als wäre, wenn die SPD jetzt dem Rentenreformgesetz 1999, insbesondere dem Teil, in dem es um die Mehrwertsteuererhöhung geht, zustimmte, das Problem mit den 21 Prozent gelöst. Das ist falsch, Herr Kauder.
In Ihrem Rentenreformgesetz 1999 ist die Mehrwertsteuererhöhung für 1999 vorgesehen.
Der 21-Prozent-Beitrag für 1998 ist damit überhaupt nicht in den Griff zu bekommen. Bleiben Sie deswegen bei der Sache und erzählen Sie hier nichts Falsches!
Ich komme zu dem, was Norbert Blüm hier gesagt hat: Es ist bewundernswert, wie er angesichts des Scherbenhaufens, vor dem er mit seiner Rentenpolitik steht, hier immer noch versucht, Gemeinsamkeiten zu beschwören und deutlich zu machen, daß wir alle gemeinsam die Rentenversicherung verteidigen müssen. In der Tat müssen wir sie verteidigen. Das geht aber nicht mit dem öffentlichen Verwirrspiel um eine Rentenreform 1999, dann 1998, dann wieder 1999, dann wieder 1998. Außerdem gibt es noch die berühmte Andechser Linie, hinter der sich Herr Waigel vergraben hat, die sich auf 1999 bezieht. Deswegen kann ich auch nicht verstehen, warum der Kollege Keller, der ja aus Bayern kommt, plötzlich sagt, wir sollten das alles schon 1998 machen.
Wenn wir dann jedesmal ein Blitzgesetz gemacht hätten, wie es Frau Dr. Babel vorschlägt, dann hätten wir jetzt, glaube ich, schon das vierte oder fünfte Blitzgesetz zu verabschieden: einmal 1998, dann 1999, dann wieder zurück. So kann man eine solide Finanzierung der Rentenversicherung nicht erreichen.
Wir sollten immer wieder ganz deutlich machen, wo die Ursachen sind. Die erste Ursache sind die hohe Arbeitslosigkeit, die hohen Vorruhestandskosten, die Einnahmeausfälle. Die zweite Ursache ist die völlig verfehlte Finanzierung des Prozesses der deutschen Einheit, die die Rentenversicherung mit Lasten belegt hat, die jetzt dazu führen, daß wir bei 21 Prozent gelandet sind. Der dritte Grund ist der rasante Anstieg der versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse. Dort muß man doch ansetzen: Man muß doch endlich die Rentenversicherung von den Lasten der deutschen Einheit befreien und sie durch eine moderate Anhebung der Verbrauchsteuern, die dann alle trifft und damit auch gerechter ist, in die Lage versetzen, ihren eigenen Aufgaben gerecht zu werden. Man darf nicht Krokodilstränen darüber vergießen, daß die Rentenversicherung jetzt in einer schwierigen Lage ist.
Lassen Sie uns zu dem Punkt, bei dem es Möglichkeiten der Verständigung gibt, zurückkommen, nämlich zu einer gerechten Finanzierung der deutschen Einheit durch alle Steuerzahler.
Dazu müssen wir an die Verbrauchsteuern heran. Die SPD hat Vorschläge für eine Mehrwertsteuererhöhung und für eine ökologische Steuerreform gemacht. Wenn hier beschworen wird, daß Hände aus-
Ulrike Mascher
gestreckt seien und Tag und Nacht verhandelt werden könne, dann sollten wir auch Verhandlungen führen. Von der SPD hat es genug Vorschläge gegeben. Jetzt sollten auch Sie einmal zu einem konstruktiven Miteinander kommen.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Grund, CDU/CSU- Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt wenige Lebensbereiche, die für den einzelnen derart existentiell sind wie Wohnen, Arbeiten, Gesundheit und Altersvorsorge. Die Altersvorsorge, insbesondere die gesetzliche Rentenversicherung, ist in die Schlagzeilen und ins Gerede gekommen. Dies löst bei den Betroffenen - bei der aktuellen Rentnergeneration, aber auch bei den jetzigen und zukünftigen Beitragszahlern - Verunsicherungen aus. In den neuen Bundesländern, in denen sich das Dreisäulenmodell, bestehend aus gesetzlicher Rentenversicherung, betrieblicher Altersvorsorge und privater Lebensversicherung, praktisch auf die gesetzliche Rentenversicherung reduziert, gestaltet sich die aktuelle Diskussion besonders problematisch.
Meine Damen und Herren, wir sollten hier eines ganz klar und deutlich herausheben: Es gibt keine akute Finanzkrise der gesetzlichen Rentenversicherung, die zu Rentenkürzungen oder auch dazu führen könnte, daß laufende Renten nicht gezahlt werden. Renten werden gezahlt und nicht gekürzt.
Das ist nicht das Thema, über das wir uns in der heutigen Aktuellen Stunde unterhalten.
Wer aber die gesetzliche Rentenversicherung wegen der Beitragsentwicklung grundsätzlich zur Disposition stellt, muß wissen - ich spreche hier für die neuen Bundesländer -, daß es in den neuen Bundesländern keine Alternative zur gesetzlichen Rentenversicherung gibt.
Tatsächlich gibt es Herausforderungen für die gesetzliche Rentenversicherung, und zwar eine gegenwärtige und eine zukünftige Herausforderung. Die zukünftige Herausforderung resultiert aus der demographischen Entwicklung in Deutschland und aus der Verlängerung des Lebensalters. Von 1983 bis 1993 hat sich die Lebenserwartung eines 65 jährigen um 1,4 Jahre - jährlich um 1,7 Monate - verlängert. Dieser Trend wird sich fortsetzen.
Gleichzeitig wird sich bis zum Jahre 2030 das Verhältnis der Zahl der Beitragszahler zu der Zahl der Leistungsempfänger deutlich verändern. Auf dieses Problem hat der Gesetzgeber mit dem Rentenreformgesetz 1992 reagiert, und darauf reagiert die Koalition nun mit dem Rentenreformgesetz 1999. Erstmals
werden die Rentner die sich aus der Entwicklung der Lebenserwartung ergebenden Belastungen durch einen verringerten Rentenanstieg, nicht durch eine Rentenkürzung mittragen. Durch den langsameren Rentenanstieg, Herr Kollege Berninger, und die Absenkung der Erwerbsunfähigkeitsrenten wird der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung im Jahre 2030 um 2,5 Prozentpunkte niedriger ausfallen als ohne Reform. Das entlastet ohne Zweifel die dann beitragszahlende Generation.
Zur aktuellen Herausforderung: Auf Grund von mehr als 4 Millionen Arbeitslosen in diesem Lande fehlen der Rentenversicherung Beitragszahler. Wegbrechende Beitragszahler und Belastungen durch Frühverrentungen, aber auch die Sondersituation der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Aufbau und der Finanzierung der Rentenversicherung in den neuen Bundesländern führen zum aktuellen Beitragssatz von 20,3 Prozent und wahrscheinlich von 21 Prozent im nächsten Jahr. Diese 21 Prozent unterstreichen die Notwendigkeit der Rentenreform 1999: Reformieren und umfinanzieren, eine um 1 Prozent höhere Mehrwertsteuer als Kompensation für einen Beitragsprozentpunkt bei der Rentenversicherung. Für die stärkere Steuerfinanzierung gibt es gute Gründe, so die nicht beitragsgedeckten Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung.
Aber, meine Damen und Herren, glauben wir ja nicht, daß die Last leichter wird, wenn der Rucksack von hinten nach vorn geschnallt wird. Zwar entlasten wir kurzfristig den Faktor Arbeit, indem der Verbrauch stärker besteuert wird; doch Umfinanzierung ist kein Reformersatz. Allein mit Umfinanzierung oder gar mit Einnahmeverbesserungen, wie sie die SPD vorhat, sind weder die aktuellen noch die zukünftigen Herausforderungen der gesetzlichen Rentenversicherung zu bewältigen. Deshalb brauchen wir strukturelle Reformen nicht an der, sondern innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung.
Wenn eine soziale Säule wie die Rentenversicherung ins Wanken gerät, können wir uns vor wohlmeinenden und weniger wohlmeinenden Ratschlägen nicht retten. So wird uns geraten, das Rentenniveau in den neuen Bundesländern bei 82 Prozent einzufrieren oder ab sofort eine gemeinsame Rentenanpassung in Ost und West vorzunehmen. Beide Vorschläge verkennen, daß fast die Hälfte der Rentner in den neuen Bundesländern durch das Abschmelzen der Auffüllbeträge und durch die Veränderung des Rentenanpassungsmodus in den nächsten Jahren keine oder eine verminderte Rentenerhöhung erfahren wird.
Diese Vorschläge verkennen: Innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung gibt es einen Finanzverbund. Niemand kam bisher auf die Idee, die Rentenentwicklung im Saarland von der in Bayern oder Baden-Württemberg abzukoppeln.
Manfred Grund
Defizite infolge von Strukturwandel auszugleichen war immer Bestandteil der solidarischen Rentenversicherung.
- Ich rede an das gesamte Haus gerichtet. - Damit werden auch die Wanderungsbewegungen innerhalb Deutschlands berücksichtigt. Allein nach 1989 sind 1 Million meist gutausgebildete Menschen der Arbeit wegen aus den neuen in die alten Bundesländer gezogen und zahlen dementsprechend Beiträge in die Rentenversicherung. 300 000 Pendler, die in den neuen Bundesländern wohnen und in den alten Bundesländern arbeiten, zahlen hohe Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung.
Meine Damen und Herren, die Koalition reagiert auf die Herausforderungen an die gesetzliche Rentenversicherung. Unser Konzept heißt reformieren, das heißt anpassen und umfinanzieren, damit Renten und Beiträge sicher sind. Aber eine Umfinanzierung allein ersetzt nicht die notwendigen Reformen.
Danke.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anke Fuchs, SPD-Fraktion.
Keine Sorge, Herr Kollege, von Renten verstehe ich was.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wurde davon gesprochen, daß das Vertrauen in die Rentenversicherung beschädigt sei. Ich will am Anfang meiner wenigen Bemerkungen ganz ernsthaft sagen: Ich glaube, wir täuschen uns darüber, wie dramatisch der Vertrauensverlust ist. Ich sage sogar: Das Vertrauen in die Rentenversicherung ist hin. Wir werden alles zu tun haben, um es wieder aufzubauen. Das wird ein großes Stück Arbeit bedeuten.
Herr Kollege, ich freue mich nicht darüber; denn dieser Vertrauensschwund, der nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis von Politik ist, wird doch Wasser auf die Mühlen derjenigen gießen, die eigentlich die Grundrente wollen. Ich sage dem Kollegen aus Sachsen, der sich mit Vehemenz zur Rentenversicherung bekennt: Überzeugen Sie einmal Herrn Biedenkopf, damit er endlich mit der unsinnigen Diskussion aufhört, als ob eine allgemeine Grundrente ein vernünftiges Konzept für eine Alterssicherung
wäre. Damit muß Schluß sein, damit wir gemeinsam das aufbauen können, was wir wollen.
Auch wenn wir all Ihren Vorhaben zugestimmt hätten, wenn wir der für Januar 1999 geplanten Reform und der damit einhergehenden Mehrwertsteuererhöhung zugestimmt hätten - wie Sie es im Deutschen Bundestag getan haben -, hätten wir die Erhöhung des Beitragssatzes auf 21 Prozent nicht verhindert. Das heißt: All Ihre an unsere Adresse vergossenen Krokodilstränen sind falsch. Es geht vielmehr um die Frage, ob die Rentenreform 1998 oder 1999 verwirklicht wird. Aber das ist Ihr Bier, da Sie die Mehrwertsteuer doch erst ab 1. Januar 1999 erhöhen wollten. Machen Sie das doch! Mit dem heute anstehenden Thema, wie wir die Beitragssatzerhöhung auf 21 Prozent, die das Kabinett beschlossen hat, verhindern, hat das nichts zu tun.
Das ist doch wie im Tollhaus: Der Kanzler sagt, eine Beitragssatzerhöhung sei unerträglich, stimmt aber einer Beitragssatzerhöhung zu. Wenn wir die Beitragssatzerhöhung jetzt verhindern sollten, wird das nachher noch als Beitragssatzsenkung verkauft. Für wie dumm hält diese Bundesregierung eigentlich die Menschen in unserem Lande?
Man muß einmal darauf hinweisen, daß 1989 ein Konsens über die Frage bestand, wie eine Reform, die die Lasten gleichmäßig auf Beitragszahler, Rentner und Bundeszuschuß verteilt, entwickelt werden kann. Diesen Reformansatz haben Sie verworfen, weil Sie zusammen mit der F.D.P. eine Politik des Sozialabbaus betreiben wollten. Deswegen möchte ich noch einmal auf den Kern zurückkommen: Wir müssen die Frage beantworten, wie wir Arbeitsplätze schaffen und wie aus Arbeitslosen wieder Beitragszahler werden. Das ist das A und O.
Ich finde es hochinteressant, daß der Bundesarbeitsminister Gesetze verabschiedet hat, gegen die wir gestimmt haben, sich aber nicht die Mühe gemacht hat, zu untersuchen, welche Auswirkungen diese Gesetze auf den Arbeitsmarkt haben. Ein wenig müßte man doch mitdenken. Wenn man Gesetze auf den Weg bringt, muß man sich auch rechtzeitig über die Nachwirkungen Gedanken machen. All dies fällt doch nicht vom Himmel.
Bei jeder Gesprächsrunde haben Sie uns versprochen, daß die Arbeitslosigkeit jetzt abgebaut wird. Sie ist aber immer weiter angestiegen. Sie haben ABM zurückgeschnitten und durch die Reformen im Gesundheitswesen Arbeitsplätze abgebaut. Dann wundern Sie sich, daß es weniger Beitragszahler gibt?
Anke Fuchs
Ich möchte noch einmal etwas zu den 610-DM-
Jobs sagen und mich darüber mit Frau Babel unterhalten. Es geht doch nicht um die Frage der Abschaffung dieser Jobs. Es verhält sich doch ähnlich wie bei Steuerschlupflöchern. Wir lassen zu, daß Menschen, aus welchen Gründen auch immer, keine Steuern zahlen. Wenn sie es aber nicht tun, beklagen wir uns darüber, daß die Steuereinnahmen zurückgehen. So ähnlich verhält es sich doch auch hier. Es geht doch schon lange nicht mehr darum, einigen Leuten Freiheiten zu sichern, wie Sie es beschreiben, sondern um eine Erosion auf dem Arbeitsmarkt. Wenn 8 Millionen Menschen, egal, wie Sie es statistisch differenzieren, in solchen Arbeitsverhältnissen stehen
- ich schicke Ihnen gerne die neuesten Zahlen zu -, geht es nicht mehr darum, daß sich einige Leute aus der Sozialversicherungspflicht verabschieden, sondern das ist ein Zeichen dafür, daß diese Jobs zu einem Spiel geworden sind. Ich habe neulich gelesen, daß bei 40 Prozent der auf dem Arbeitsmarkt angebotenen Arbeitsplätze Tagelöhner gesucht wurden, die sieben Tage in der Woche arbeiten. Wir haben das Einfallstor so weit geöffnet, daß auch Arbeitgeber, die ihren Verpflichtungen nachkommen wollen, ihre normalen Arbeitsverhältnisse in 610-DM-Jobs umwandeln. Das ist das Kernproblem. Diese Entwicklung müssen wir stoppen. Wir müssen klarstellen, daß eine Versicherungspflicht besteht. Erwerbsfähigkeit führt zur Versicherungspflicht. Dann kann man darüber nachdenken, welche Auswirkungen solch ein Konzept beispielsweise auf Studenten hätte. Das ist aber nicht das Thema. Wir müssen zu dem Prinzip zurückkehren, daß man durch Erwerbstätigkeit beitragspflichtig wird. Das muß Grundsatz bleiben und darf nicht die Ausnahme werden.
Darüber, Frau Babel, möchte ich mich mit Ihnen unterhalten. Es geht hier um Steuerschlupflöcher. Es ist doch immer wieder die gleiche Geschichte, daß man zuläßt, daß aus einer Ausnahme der Normalfall wird. Wir sind bereit, die Erhöhung des Beitrages zu verhindern, auch wenn sie schon von der Bundesregierung beschlossen wurde. Wir bieten noch einmal an, die Lohnnebenkosten zu senken. Wir haben dafür schon vor längerer Zeit ein Konzept vorgelegt, das eine Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge durch Einführung einer moderaten Ökosteuer und Senkung der Rentenversicherungsbeiträge durch eine moderate Anhebung der Mehrwertsteuer vorsah. Unsere Vorschläge waren Ergebnisse des Vermittlungsausschusses. Sie haben sie im Deutschen Bundestag abgelehnt. Auch daran muß man noch einmal erinnern.
Gleichwohl wäre es - das soll ein versöhnender Satz zum Schluß sein - für die gesamte Bevölkerung
gut, wenn wir es schafften, in der Rentenversicherung wieder anzufangen, Vertrauen aufzubauen.
Danke schön.
Als letztem Redner im Rahmen der Aktuellen Stunde zur Rentenversicherung erteile ich jetzt das Wort dem Abgeordneten Wolfgang Vogt, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn dieser Aktuellen Stunde hat der Kollege Ottmar Schreiner mit Blick auf den schweren Unfall des Kollegen Rudolf Dreßler gesagt, er gebe doch zu überlegen, ob es nicht sinnvoll sei, ab und zu etwas kürzerzutreten. Ich stimme ihm ausdrücklich zu. Wir könnten auch mit solchen Aktuellen Stunden kürzertreten.
Wir haben am 10. Oktober in der zweiten und dritten Lesung des Rentenstrukturgesetzes alle Argumente ausgetauscht. Wir haben schon am 31. Oktober, Frau Kollegin Andrea Fischer, über einen drohenden Beitragssatz von 21 Prozent diskutiert. Es hat keine neuen Argumente gegeben. Paul Mikat, ein ehemaliger Kollege von uns, hat einmal gesagt, neue Argumente ließen sich nicht beliebig vermehren, aber bekannte Argumente ließen sich beliebig wiederholen. In der Situation befindet sich diese Aktuelle Stunde. Sie war überflüssig wie ein Kropf.
Die Renten werden pünktlich gezahlt. Aber der Beitragssatz ist zu hoch. Herr Kollege Berninger, wenn Sie sagen, der Beitragssatz von 21 Prozent sei der Wendepunkt, dann müssen Sie eigentlich von Überlegungen Abstand nehmen, mit der SPD eine Koalition einzugehen. Wenn die 21 Prozent der Wendepunkt sind, dann müssen Sie in der Rentenversicherung Maßnahmen ergreifen, durch die der Beitragsanstieg abgebremst wird. Das können Sie nur
- ach, Herr Kollege Schreiner, Ihr Zwischenruf ist der Situation wieder nicht angemessen -,
wenn Sie in Leistungsansprüche eingreifen. Die Sozialdemokratische Partei hat - das ist ihr gutes Recht; ich habe ihr das am 10. Oktober bestätigt - eine Strukturreform abgelehnt, die genau die Absicht verfolgt, die Lasten, die sich aus der demographischen Entwicklung ergeben, auf die Schultern der Jungen und der Alten zu verteilen.
Wolfgang Vogt
Frau Kollegin Anke Fuchs, Sie haben den Konsens von 1992 angemahnt und gesagt, wir hätten ihn verlassen.
Nein, wir haben diesen Konsens nicht verlassen, sondern wir haben diesen Konsens des Jahres 1992, die neuen Lasten auf jung und alt zu verteilen, mit dem Rentenreformgesetz 1999 bekräftigt und fortentwikkelt und ihm keineswegs eine Absage erteilt.
Lieber Herr Kollege Schreiner, Sie wissen genau, daß eine Aktuelle Stunde die am wenigsten geeignete Gelegenheit ist, über Kompromisse und Möglichkeiten der Annäherung zu reden. Ich hoffe, daß wir am Donnerstag im Vermittlungsausschuß in einer vernünftigeren Atmosphäre als derjenigen in dieser Aktuellen Stunde darüber reden. Sie können davon ausgehen, daß CDU/CSU und F.D.P. gemeinsam der Auffassung sind: Je frühzeitiger die Beitragszahler entlastet werden können, um so besser ist es. Über die Instrumente werden wir uns - notfalls auch streitig - unterhalten.
Eine letzte Bemerkung. Frau Kollegin Fuchs, Sie haben völlig zu Recht - ich stimme Ihnen da ausdrücklich zu - darauf hingewiesen, daß es hinsichtlich der Erosion der beitragspflichtigen Beschäftigung und der Vermeidung von Steuern durch Ausnutzung von steuerlichen Ausnahmetatbeständen eine Parallele gibt. Das ist richtig.
Die beabsichtigte Steuerreform ist von dem Gedanken getragen, Ausnahmetatbestände zu beseitigen, damit die Steuersätze gesenkt werden können.
Dieser Konzeption, die Sie hier so gepriesen haben, haben Sie in diesem Hause widersprochen, und Sie haben sie im Vermittlungsausschuß sowie im Bundesrat abgelehnt.
Sie haben das Prinzip, das Sie hier bejaht haben, selbst widerlegt.
Ich appelliere aber auch an die F.D.P.,
das, was bei der Steuerreform richtig ist, auch jetzt bei den beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zu sehen: Je höher die Zahl der Ausnahmen auf diesem Feld ist, um so höher werden die Beiträge sein müssen.
Deshalb appelliere ich hier in Sachen der Steuerreform an die SPD und in Sachen der Rentenreform an die F.D.P. Ich glaube, wir werden zusammenkommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. November 1997, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.