Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich der Kollegin Erika Reinhardt zu ihrem heutigen 65. Geburtstag ganz herzlich gratulieren.
Der Kollegin Regina Schmidt-Zadel, die am 20. Januar ihren 60. Geburtstag feierte, und dem Kollegen Dr. Willibald Jacob, der am 26. Januar seinen 65. Geburtstag beging, spreche ich nachträglich ebenfalls die besten Glückwünsche von uns allen aus.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:1. Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Deutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung - Drucksache 13/6848 -2. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz) - Drucksachen 13/3994, 13/5057, 13/5663, 13/5679, 13/6825 -3. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Regelung der Altschulden für gesellschaftliche Einrichtungen, zur Änderung des Erblastentilgungsfonds-Gesetzes und zur Änderung des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost - Drucksachen 13/6088, 13/6336, 13/6667, 13/6826 -4. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Risiken der Transrapid-Finanzierung5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernd Reuter, Hermann Bachmaier, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bundesstiftung ,,Entschädigung für NS-Unrecht' - Drucksache 13/6824 -6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick, Hanns-Peter Hartmann, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Arbeitsaufnahme des Deutschen Bundestages ab 1. Mai 1999 in Berlin - Drucksache 13/6821 -7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Amateurfunk - Drucksache 13/6439 -8. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Gemeinsame Verantwortung für mehr Beschäftigung in DeutschlandVon der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.Weiterhin ist interfraktionell vereinbart worden, die für Freitag vorgesehene Beratung der Vorlagen zum Elternurlaub als Zeitkonto - Tagesordnungspunkt 11 - abzusetzen.Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschußüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:Bei dem in der 151. Sitzung des Deutschen Bundestages am 14. November 1996 überwiesenen nachfolgenden Gesetzentwurf soll die Mitberatung des Haushaltsausschusses entfallen:Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Gerald Häfner, Wolfgang Schmitt , Volker Beck (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für Rwanda - Drucksache 13/6165 -überwiesen:Rechtsausschuß
Auswärtiger AusschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungDer in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages am 5. Dezember 1996 überwiesene nachfolgende Entschließungsantrag soll nachträglich dem Finanzausschuß zur Mitberatung überwiesen werden:Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Klaus Riegert, Wolfgang Börnsen , Heinz Dieter Eßmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Gisela Babel, Dr. Olaf Feldmann, Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit für unsere Gesellschaft - Drucksachen 13/2652, 13/5674, 13/6399 -überwiesen:Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
FinanzausschußSind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann verfahren Wir so.
Metadaten/Kopzeile:
13810 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1997
Präsidentin Dr. Rita SüssmuthIch rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 c sowie Zusatzpunkt 1 auf:2. a) Abgabe einer Erklärung der BundesregierungDeutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklungb) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungDeutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung- Drucksache 13/6787 -c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- zu dem Antrag der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.Verbesserung des Jugendaustausches zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik- zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Gysi, Heinrich Graf von Einsiedel, Manfred Müller , weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDSFörderung des deutsch-tschechischen Jugendaustausches- Drucksachen 13/5542, 13/5579, 13/6595 —Berichterstattung:Abgeordnete Matthias BerningerKlaus Hagemann Helmut Jawurek Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerRosel NeuhäuserZP1 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.Deutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung- Drucksache 13/6848 -Zum interfraktionellen Antrag liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache zwei namentliche Abstimmungen durchführen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind heute morgen hier zusammengekommen, um über ein wichtiges Kapitel deutscher und europäischer
Geschichte, deutscher und europäischer Nachbarschaft miteinander zu sprechen. Es war das große Ziel deutscher Politik nach Gründung unserer Bundesrepublik, Verständigung und Versöhnung zwischen dem deutschen Volk und allen seinen Nachbarn zu erreichen. Alle deutschen Bundesregierungen, alle deutschen Bundeskanzler - Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt, Helmut Schmidt und auch ich selbst - haben mit ganzer Kraft für dieses Ziel gearbeitet.
Im Verhältnis zu unseren westlichen Nachbarn waren große Schritte zur Verständigung und Versöhnung schon bald nach dem Krieg erfolgreich. Zwischen uns und unseren östlichen Nachbarn standen dagegen bis vor wenigen Jahren nicht nur die Vergangenheit und die Erfahrung des Krieges, sondern auch die Gegenwart des Eisernen Vorhangs. Dennoch gab es wegweisende Initiativen - ich erwähne hier vor allem Willy Brandt -, um ein neues Kapitel in unseren Beziehungen zu Polen und zur damaligen Tschechoslowakei zu beginnen. Doch erst mit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes hatten wir dazu eine wirkliche Chance, die wir dann genutzt haben. In der letzten Zeit haben wir vieles in diesem Sinne bewegen können.
In der letzten Woche haben wir - die Bundesregierung gemeinsam mit der Regierung der Tschechischen Republik - die Deutsch-Tschechische Erklärung unterzeichnet. Der Weg zu dieser Erklärung war lang. Es geht nicht darum, einen Schlußstrich zu ziehen. Es ging und geht darum, auch im Verhältnis zu unseren tschechischen Nachbarn jene Themen offen anzusprechen und zu besprechen, die unseren Weg in eine gemeinsame Zukunft erschweren könnten.
Geschehenes kann nicht ungeschehen gemacht werden. Gewalt und Unrecht haben auf beiden Seiten tiefe Wunden geschlagen und Bitterkeit hinterlassen. Dies alles kann nicht mit einer Erklärung aus der Welt geschafft werden. Es geht darum, als Nachbarn in Europa ehrlich miteinander umzugehen. Tschechen und Deutsche bekennen sich in der Erklärung zu ihrer geschichtlichen Verantwortung.
Wir Deutschen wissen um das schwere Unrecht, das das nationalsozialistische Deutschland den Tschechen zugefügt hat. Das tschechische Volk - das wollen wir nie vergessen - hat damals länger als andere unter deutscher Okkupation, unter Unrecht und Krieg gelitten. Der Rassenwahn der Nationalsozialisten hat nicht zuletzt den Juden in der damaligen Tschechoslowakei Furchtbares angetan. Wir haben in diesem Haus am Montag dieser Woche auch der Opfer von Theresienstadt gedacht.
Es entspricht christlich-jüdischer und humanistischer Tradition, auf den einzelnen Menschen zu schauen. Das millionenfache Leiden darf uns nicht den Blick auf das einzelne Opfer verstellen. Ich denke, es ist unsere menschliche Pflicht, das Leid der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge nicht zu vergessen. Trauer ist kein Akt kleinlicher Aufrechnung. Weder wird deutsche Schuld durch das Unrecht der Vertreibung auch nur um ein Jota gemindert, noch hebt deutsche Schuld das Unrecht der Vertreibung auf.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Die Sudetendeutschen haben einen Anspruch darauf, daß wir vor der Tragik ihres Schicksals nicht die Augen verschließen, sondern das an ihnen verübte Unrecht beim Namen nennen. Unter uns leben noch viele, die durch persönliche Erinnerung an Flucht und Vertreibung unmittelbar und nachhaltig betroffen und geprägt sind.
Vielen - Deutschen und Tschechen -, die selbst gelitten haben, fällt es nach wie vor schwer, das Leid der anderen vorbehaltlos anzuerkennen. Gerade sie bitte ich, gemeinsam mit uns - vor allem mit der jungen Generation beider Völker - in die Zukunft zu gehen. Dies sage ich mit großem Respekt auch zu jenen Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag und im tschechischen Parlament, denen es nach der Erfahrung des eigenen Lebens nicht leicht fällt, der Deutsch-Tschechischen Erklärung zuzustimmen.
Die Erklärung kann die noch fortbestehenden Wunden aus der Vergangenheit bei den Betroffenen nicht aus der Welt schaffen; sie kann die Geschichte auch nicht in allen ihren Einzelheiten erfassen und bewerten. Die Erklärung soll jedoch - bei allem Respekt für die verletzten Gefühle - einen Beitrag zur Aussöhnung leisten. Sie soll uns helfen, gemeinsam den Teufelskreis gegenseitiger Aufrechnung und Schuldzuweisung zu durchbrechen.
Meine Damen und Herren, es gibt keinen Anspruch auf Vergebung. Versöhnung läßt sich nicht verordnen. Um so bewegender ist es, wenn Menschen sie wagen und ihre Herzen auch gegenüber jenen öffnen, die ihnen Unrecht zugefügt haben. Ich hoffe, die Bereitschaft zur Versöhnung wird auch bei denen wachsen, die mit der Deutsch-Tschechischen Erklärung nicht einverstanden sind.
Die große Mehrheit der Menschen in unseren Ländern will den Weg der Zusammenarbeit, ja der Freundschaft. Wir können dabei an die vielen guten Kapitel unserer langen und gemeinsamen Geschichte anknüpfen. Deutsche und Tschechen haben über Jahrhunderte hinweg Haus an Haus gelebt. Die Epochen friedlichen und geistig befruchtenden Zusammenlebens sind dabei weitaus länger und schöpferischer gewesen als die Zeiten bitterer Konfrontation.
Der Text der gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Erklärung geht klar und auch mutig auf strittige Abschnitte unserer gemeinsamen Geschichte ein. Dies - und das will ich betonen - hat es zwischen unseren Völkern in dieser Form noch nicht gegeben. Es ist nach meiner Überzeugung ein guter Text, der den festen Willen auf beiden Seiten zum Ausdruck bringt, gemeinsam in eine bessere, in eine europäische Zukunft zu gehen.
Mein besonderer Dank gilt all jenen, die ihren Beitrag zum Zustandekommen dieser Erklärung geleistet haben. Ich danke vor allem den beiden Außenministern Josef Zieleniec und Klaus Kinkel sowie den beiden Unterhändlern Vizeminister Vondra und Staatssekretär Hartmann. Die Ausgangsvorstellungen bei diesen Gesprächen lagen ziemlich weit auseinander. Aber es ist gelungen, aufeinander zuzugehen. Als Ergebnis haben wir ein Dokument, das Zugeständnisse von beiden Seiten enthält.
Der Wert dieses Textes, meine Damen und Herren, liegt nicht zuletzt darin, daß er in einigen wichtigen Fragen weiterführt als etwa der Nachbarschaftsvertrag von 1992. Für mich ist vor allem die erhebliche Annäherung - Annäherung! - bei der gemeinsamen Geschichtsbetrachtung bemerkenswert. Die tschechische Seite bezeichnet erstmals Vertreibung, Enteignungen und Ausbürgerung als Unrecht. Der „kollektive Charakter" der Schuldzuweisung an die Sudetendeutschen wird ebenso bedauert wie das Gesetz Nr. 115 vom 8. Mai 1946, das bei uns in Deutschland als „Amnestiegesetz" bekannt ist.
Für die priviligierte Gewährung von Aufenthaltserlaubnissen für Sudetendeutsche wurden klare Zusicherungen erreicht. In der Vermögensfrage bleibt jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet und respektiert, daß die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Dem entspricht, daß wir bei der Gestaltung unserer Beziehungen „weiterhin der Verständigung und dem gegenseitigen Einvernehmen Vorrang einräumen", wie es in der Erklärung heißt.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Deutsch-Tschechische Erklärung eröffnet ein weites Feld neuer Aufgaben, denen wir uns gemeinsam stellen wollen. Ich verbinde besondere Hoffnungen mit dem geplanten deutsch-tschechischen Gesprächsforum. Neben der bereits bestehenden Historikerkommission brauchen wir ein solches Forum, um die weitere Verständigung zwischen unseren Völkern auf einer möglichst breiten Grundlage und unter Beteiligung aller am deutsch-tschechischen Verhältnis interessierten Kreise zu fördern.
Dazu zählen selbstverständlich auch die Sudetendeutschen. Niemand darf ausgegrenzt werden. Aber das andere gilt auch: Niemand sollte sich selbst ausschließen. Die Sudetendeutschen haben gezeigt, daß sie sich trotz des verständlichen Schmerzes über den Verlust der Heimat vom Geist des Friedens und der Verständigung leiten lassen. Hunderttausende von ihnen - und das wollen wir nicht vergessen - sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten in ihre alte Heimat gefahren und haben dort die Stätten der Jugend und auch das Grab der Eltern besucht. Sie haben in der Vergangenheit mit ihrem Beitrag zum Aufbau unserer Bundesrepublik Deutschland und mit ihrer klaren Absage an Haß und Vergeltung ein Beispiel gegeben. Was dies bedeutet, kann wohl keiner ermessen, der den Verlust der Heimat nicht selbst oder in seiner eigenen Familie erlebt hat.
Heute sind die Sudetendeutschen aufgerufen, ein neues Beispiel zu geben. Sie können Brücken in die Zukunft, Brücken zwischen dem deutschen und dem tschechischen Volk bauen. Wahr ist auch: Viele unter ihnen tun dies bereits seit vielen Jahren.
Das tschechische Volk habe ich in meiner Rede in Prag gebeten, den guten Willen der Sudetendeutschen zu sehen und auch anzunehmen. Das ist die beste Voraussetzung für ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zwischen unseren beiden Völkern.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Meine Damen und Herren, die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen unseren Ländern haben sich in den vergangenen Jahren bereits sehr gut entwickelt. Vor allem freue ich mich über die Zunahme des Jugendaustausches. Ich hoffe sehr, daß die jungen Menschen in besonderer Weise von dem gemeinsam errichteten Zukunftsfonds profitieren werden. Gleiches wünsche ich mir für Projekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit - wie zum Beispiel im Rahmen der EUREGIO - und für die Förderung der deutschen Minderheit in Tschechien.
Ein entscheidendes Ziel deutscher Politik bleibt der Bau des Hauses Europa. Wir wissen, die europäische Einheit ist die sicherste Gewähr für Frieden und Freiheit im 21. Jahrhundert. Tschechien hat in den europäischen Einigungsprozeß, in den Bau des Hauses Europa, ein großes geistig-kulturelles Erbe einzubringen. Mein Aufenthalt in der vergangenen Woche in Prag, dieser alten und glanzvollen europäischen Metropole, hat mir dies erneut bestätigt. Wir, die Deutschen, wollen, daß die Tschechische Republik so bald wie möglich Mitglied der Europäischen Union und der NATO wird. Dies entspricht auch unserem ureigenen Interesse. Stabilität, Sicherheit und Wohlstand bei allen unseren östlichen Nachbarn nutzen auch uns.
Unsere gemeinsame Erklärung dient deshalb nicht nur dem bilateralen Verhältnis. Sie ebnet zugleich den Weg für unsere gemeinsame europäische Zukunft. Ein vereintes Europa wird es nur geben, wenn dieses Europa von den Menschen getragen wird. Nationale Institutionen - Regierungen und Parlamente - und zwischenstaatliche Einrichtungen können ihren Beitrag leisten, um den Frieden zu sichern. Wirtschaftliche Zusammenarbeit kann dazu beitragen, Interessengegensätze zu überwinden. Aber ohne den Beitrag von Millionen einzelner Menschen würde es uns nicht gelingen, das Friedenswerk der Einheit Europas zu vollenden.
Meine Damen und Herren, wir wollen und wir dürfen den Schmerz und die Tränen dieses Jahrhunderts nicht vergessen. Das schulden wir den Opfern. Nur so kann - wenn überhaupt - die Erfahrung des Leidens in jenen Tagen einen Sinn ergeben und uns eine wirkliche Mahnung sein. Nur durch Wahrhaftigkeit läßt sich nach dem Schrecken unseres Jahrhunderts eine gute Zukunft für die Menschen in unseren beiden Ländern gewinnen und sichern. Wir - Tschechen und Deutsche - wollen einander gute Nachbarn sein.
Wir haben jetzt, wenige Jahre vor dem Ende dieses Jahrhunderts, die Chance, zum Bau einer Friedensordnung in Europa, die sich auf die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte und des Völkerrechts gründet.
Kommende Generationen werden uns danach fragen und beurteilen, wie wir in unseren Tagen die moralischen und die praktischen Herausforderungen bewältigen, um Frieden und Freiheit heute und - was noch sehr viel wichtiger ist - für kommende Generationen zu sichern. Wir wünschen uns, daß unsere Kinder und Enkel hineinwachsen in eine Welt, in der nie wieder Menschen unter fremder Besatzung zu leiden haben, eine Welt, in der nie wieder Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Sie sollen hineinwachsen in eine Welt, in der die Völker in Frieden, Freiheit und Wohlstand miteinander leben können.
Diese Aufgabe geht jeden von uns etwas an. Ich bitte Sie alle, daran mitzuwirken. In diesem Geiste bitte ich Sie auch, der Deutsch-Tschechischen Erklärung zuzustimmen.
Es spricht jetzt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute als Parlament der Deutsch-Tschechischen Erklärung zustimmen, dann sollten wir uns der Motive erinnern, die Präsident Havel und die tschechische Seite dazu führten, eine Erklärung vorzuschlagen, eine Erklärung, mit der die Belastungen aus der Vergangenheit so weit ausgeräumt werden könnten, daß sie einer gutnachbarschaftlichen und freundschaftlichen Zukunft nicht im Wege stehen.
Sich diese Motive noch einmal ins Gedächtnis zu rufen macht auch klar, was es für ein kleines Land bedeutet, mit Deutschland als dem bevölkerungsreichsten, wirtschaftlich stärksten und politisch einflußreichen Staat in Europa Beziehungen zu unterhalten, unter Bedingungen, die tiefen Angsten und Traumata in der tschechischen Bevölkerung aus der deutschen NS-Besatzungszeit, aber auch durch deutsche Besitzansprüche und Rückkehrforderungen Nahrung geben.
Vertrauen, Zutrauen, freundschaftliche Nachbarschaft können unter solchen Vorzeichen schwer wachsen. Diese Erinnerung mahnt uns Deutsche erneut, zurückhaltend und rücksichtsvoll mit unserem Gewicht und mit unserer Verantwortung umzugehen. Die Angst vor Deutschland ist eine geschichtsmächtige Erfahrung, die nach wie vor in Europa und bei unseren Nachbarn einen Faktor gesellschaftlicher Identität und politischen Handelns darstellt.
Gerade vor diesem Hintergrund ist die DeutschTschechische Erklärung von Bedeutung. Sie setzt - so hoffen wir - den Endpunkt eines von Willy Brandt begonnenen und konzipierten Prozesses historischer Verständigung mit den Staaten, die ehedem Opfer deutscher Besatzung und Vernichtung während der Nazizeit waren, und sie öffnet - so hoffen wir - den Weg in eine noch stärker von Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigem Austausch geprägte Zukunft.
In der öffentlichen Debatte über diese Sache ist oft der Begriff des Schlußstrichs verwendet worden. Dies ist unseres Erachtens eine unzutreffende Charakterisierung. Im Gegenteil: Der nun endlich
Rudolf Scharping
gefundene Konsens sollte als eine Chance für die neue Dimension in den Beziehungen unserer beiden Völker betrachtet werden. Wir sind nicht frei in der Wahl unserer Geschichte. Aber wir sind frei in der Entscheidung darüber, was wir als Tradition pflegen wollen, und frei in der Entscheidung darüber, wie wir die Zukunft im Interesse unserer Kinder gestalten werden.
Ich wende mich also nicht nur an den Deutschen Bundestag und seine Mitglieder oder die deutsche Öffentlichkeit. Ich wende mich auch in besonderer Weise an unsere Nachbarn in der Tschechischen Republik. Wir sollten uns darüber freuen, daß ihr Botschafter Jiri Grusa heute unter uns ist und daß viele Menschen in der Tschechischen Republik über Fernsehen und Radio dieser Debatte folgen.
Deutsche und Tschechen haben eine lange gemeinsame Geschichte; länger und intensiver, als sie die Deutschen mit fast allen anderen europäischen Völkern hatten. Wir sollten angesichts der schrecklichen, der brutalen, der grausamen Erfahrungen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts die Erfahrungen aus den vielen anderen Jahrhunderten nicht vergessen: die guten Traditionen und die Tatsache, daß wir in Europa mit fast keinem anderen Volk - wenn überhaupt mit einem - so eng, so dicht, so nah und so freundschaftlich verbunden waren und sind wie mit dem tschechischen Volk. Die unseligste Phase unserer gemeinsamen Geschichte, fortgesetzt auch durch den Eisernen Vorhang und den kalten Krieg, hat uns gezwungen, viele Jahrzehnte aneinander vorbeizuleben.
Es war der „Prager Frühling" 1968, der das tschechische Nachbarvolk in der alten Bundesrepublik wieder in unser Bewußtsein rückte. Die spontane Sympathie, die später der Charta 77, aber auch Politikern wie Alexander Dubcek, entgegengebracht wurde, war ein äußeres Zeichen der Hoffnung, daß es trotz der kommunistischen Unterdrückung vielleicht Veränderungsmöglichkeiten gäbe. Das tschechische und damals auch das slowakische Volk haben auf diese Weise den Deutschen, gerade auch den Deutschen in der damaligen DDR, Mut gemacht, für Freiheit und Demokratie einzutreten.
Wir alle wissen, wie brutal dieser mutige Versuch dann - das will ich ausdrücklich sagen - mit deutscher Hilfe unterdrückt wurde. Dennoch wage ich die Behauptung, daß die im Prager Frühling geborenen Ideen dazu beigetragen haben, die Grundlagen, auch im Osten Deutschlands, zu legen, die dann viele Jahre später zur Wende des Jahres 1989 führten.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle allen Dank sagen, die sich schon Ende der sechziger Jahre in der Tschechoslowakei dem Kommunismus entgegengestellt hatten. Ihnen und den Dissidenten in anderen kommunistischen Diktaturen ist es zu verdanken, daß die gelungene Westintegration, die Versöhnung, die mit der Politik Konrad Adenauers verbunden ist, und der Versuch des „Wandels durch Annäherung" über die Friedens- und Entspannungspolitik, die untrennbar mit dem Namen Willy Brandts verbunden ist, letztlich zum Erfolg führten.
Im Rahmen dieser Politik ist es erfreulicherweise relativ schnell gelungen, mit den meisten Völkern Mittel- und Osteuropas zu Versöhnungsabkommen und zu vertraglichen Beziehungen zu kommen. Das ist mit der Tschechoslowakei und später .mit der Tschechischen Republik nicht im gleichen Ausmaß gelungen wie zum Beispiel mit Rußland oder Polen. Hier bestand Nachholbedarf, zumal die politische Wende vielen Aspekten im täglichen Zusammenleben unserer beiden Völker in den letzten Jahren ein hohes Maß an Normalität gegeben hat.
Die Verabschiedung der Erklärung, über die wir heute reden, stellt also die Chance auf den Beginn einer neuen Qualität in unseren Beziehungen dar. Mit dieser gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Erklärung schließen wir spät, aber nicht zu spät endlich das letzte Kapitel deutscher Ostpolitik ab. Diese Ostpolitik war von den Elementen der Annäherung und der Versöhnung geprägt. Tschechien ist nun das letzte Land, mit dem dieser zweite und wichtigste Teil der Ostpolitik, die Versöhnung, zu einem positiven Abschluß gebracht wird. Damit wird der Beginn eines neuen Weges markiert.
Ich will, wie der Herr Bundeskanzler, an dieser Stelle den beiden Verhandlungsführern, Herrn Staatssekretär Vondra auf der tschechischen und Herrn Staatssekretär Hartmann auf der deutschen Seite, namens der SPD-Fraktion unseren Dank für die schwierige Arbeit, die sie geleistet haben, aussprechen.
Mir ist bewußt, daß es viele gibt, die an Einzelaspekten der Erklärung aus guten Gründen Kritik üben. Was aber bleibt, ist die Gesamtleistung, die großen Respekt verdient.
Danken möchte ich auch allen tschechischen Politikern - ich nenne hier den Ministerpräsidenten, aber auch den Parlamentspräsidenten -, die mit dazu beigetragen haben, daß die Diskussion über diese Erklärung nicht zur innenpolitischen Profilierung in einem Wahlkampf mißbraucht wurde.
Ich füge dem die Hoffnung an, daß es auch uns auf deutscher Seite immer gelingen möge, aus dem Leid
Rudolf Scharping
I der Vergangenheit nicht den Funken eines parteipolitischen Vorteils schlagen zu wollen.
Meine Damen und Herren, ich brauche wohl nicht zu betonen, daß es eigentlich beschämend ist, daß wir so lange gebraucht haben, mit dem Nachbarland, mit dem wir aufs engste und innigste über viele Jahrhunderte verbunden und verflochten sind, zu dieser versöhnenden Erklärung zu kommen.
Es ist müßig, hierbei nun irgendwelche Schuldzuweisungen vorzunehmen. Ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt nur zu deutlich, daß die Gründe der schwierigen Versöhnung in der Komplexität der Sache liegen und wohl auch in der menschlichen Natur, nur schwer vergessen zu können.
Ich möchte hier eines völlig klarstellen: Niemand sollte sich der Illusion hingeben, daß mit der vorliegenden Erklärung das Unrecht und die Schuld, die beide Seiten zu verantworten haben, aus der Welt geschafft werden können. Jegliches Gegeneinanderaufrechnen von Verfehlungen und Verbrechen ist daher fehl am Platz. Niemand verlangt, daß nach der Verabschiedung dieser gemeinsamen Erklärung nun die Vergangenheit zu vergessen sei, ganz im Gegenteil. Was wir aber alle hier in Deutschland und in Tschechien anstreben sollten, das ist die Bereitschaft und die Fähigkeit zu verzeihen.
Meine Damen und Herren, unter dem Stichwort „Lidice" steht in der neuesten Ausgabe des „Brockhaus" folgendes:
Ort in Mittelböhmen, etwa 500 Einwohner. Lidice wurde am 10. Juni 1942 von der SS als Repressalie für das Attentat auf R. Heydrich völlig zerstört, weil die Einwohner die Attentäter unterstützt haben sollen. Die männlichen Einwohner über 16 Jahre wurden erschossen , die Frauen in das Konzentrationslager Ravensbrück gebracht, wo 52 von 195 umkamen. 98 Kinder wurden zum Zwecke der „Eindeutschung" in SS- Lager deportiert.
Das ist eine erschreckend nüchterne Beschreibung einer entsetzlichen Barbarei und zeigt, wie schwer es ist, herauszutreten aus dem Schatten einer Zeit, in der wir Deutsche uns als Herrenvolk über die halbe Welt aufgespielt und aufgeschwungen hatten.
Das ist ja nur die Spitze des Eisbergs der Leiden, die wir Deutsche dem tschechischen Volk zugefügt haben. Nichts davon können wir ungeschehen machen. Aber für meine Kolleginnen und Kollegen möchte ich doch sagen, daß vielleicht aus der Fähigkeit zum Erinnern und mit dem weiten offenen Herzen, das Verzeihung ermöglicht, eine bessere Grundlage für die Zukunft geschaffen werden kann; denn die Einsicht in eigene Schuld ist die Grundlage für jede Bereitschaft zur Versöhnung. Das Unrecht, das man selbst erlitten hat, wird durch eigene Schuld nicht geringer. Der eigene Anspruch auf Vergebung
aber sollte es jedem auch leichter machen, der anderen Seite zu vergeben.
Deshalb will ich an dieser Stelle ganz besonders dem Präsidenten der Tschechischen Republik, Václav Havel, danken; denn er hat den Anstoß zu dieser gemeinsamen Erklärung gegeben, und er hat schon vor Jahren den Mut und die Kraft gefunden, auch über den tschechischen Teil der Schuld zu sprechen, ihn einzuräumen und die Deutschen dafür um Vergebung zu bitten.
Für diese historische Leistung mußte der tschechische Präsident Václav Havel im eigenen Land viel Kritik einstecken. Letztlich aber ist seine Einsicht unsere gemeinsame geworden und die Grundlage dafür, daß diese Entschließung heute überhaupt beraten und vom deutschen Parlament beschlossen werden kann. Ich verbinde diesen Dank an Václav Havel mit den guten Wünschen für seine weitere Genesung und mit der Hoffnung, daß er seinem Volk und der tschechisch-deutschen Aussöhnung noch lange dienen kann.
Meine Damen und Herren, die einigende Basis der gemeinsamen Erklärung ist das Eingeständnis der Schuld auf beiden Seiten.
Ich will einen Aspekt herausgreifen, der von besonderer Tragik ist: Die Vertreibung der Sudetendeutschen ist ebenfalls Unrecht. Sie hat Menschen schreckliches Leid zugefügt. Wer könnte das nicht sehen?
Wir, die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, können das vielleicht gerade deshalb, weil es von besonderer Tragik ist, an das Schicksal jener deutschen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu denken, die unter Lebensgefahr gegen die Hitler-Diktatur gekämpft haben, die im Widerstand waren, in die Konzentrationslager gehen mußten oder flohen, die später in ihre Heimat zurückkehrten und nur wegen ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Volk vertrieben wurden. Die Vertreibung war ein bitteres Schicksal und eine böse Antwort.
Dennoch bleibt, daß der Beweis für Versöhnungsfähigkeit gerade von jenen Sozialdemokraten erbracht wurde. Sie haben als erste die Hand zur Versöhnung gegenüber den Tschechen ausgestreckt. Männer wie Wenzel Jaksch oder Volkmar Gabert
und viele Angehörige der Seliger-Gemeinde haben auch unter großen Anfeindungen ihrer eigenen Landsmannschaft dafür gekämpft, daß die Aussöhnung zwischen Tschechen und Deutschen möglich wird.
Meine Damen und Herren, der kritische Blick in die Geschichte, der an solchen Tagen unverzichtbar ist, bedeutet nicht, daß wir in allen Punkten der Bewertung dieser Geschichte mit unseren Nachbarn einen gemeinsamen Nenner finden. Dies wird nicht möglich sein, jedenfalls heute nicht. Das kann auch
Rudolf Scharping
nicht das Ziel der gemeinsamen Erklärung sein. Versöhnung braucht die gute Erinnerung, den Zorn überwunden zu haben und mit einem offenen Herzen jene Zeit zu gestalten, die wichtiger ist als die Vergangenheit, über die wir streiten, nämlich die Zukunft.
Zusammenführende Gemeinsamkeiten gibt es aber auch in der aus der Schuld erwachsenden gemeinsamen Verantwortung und in dem gemeinsamen festen Willen, diese Zukunft besser zu gestalten.
Lassen Sie mich hinzufügen, daß mit hastigen Besuchen, mit routinierten Gesten und mit dem einen oder anderen zwar formal korrekten, juristischen Hinweis eher neue Risiken heraufbeschworen werden. Es gibt in diesem Prozeß, vorsichtig gesagt, auch mißverständliche Signale. Deshalb ist es so notwendig, daß sich der Deutsche Bundestag diese Erklärung zu eigen macht und sie mit einer möglichst großen Mehrheit - am schönsten wäre Einstimmigkeit - verabschiedet.
Ich habe von unserer Geschichte und von unserer Zukunft gesprochen, von der langen Zeit des friedlichen Zusammenlebens und den schrecklichen Erfahrungen in diesem Jahrhundert. Vor diesem Hintergrund ist der für uns nach vorn gewandte Teil der Deutsch-Tschechischen Erklärung von besonderer Wichtigkeit. In der Erklärung wird ein besonderes Gewicht auf die zukünftige Integration Tschechiens in die europäischen und atlantischen Strukturen gelegt. Diese Vorstellung mit Leben zu erfüllen wird eine der Hauptaufgaben der Zukunft sein. Also rufe ich dazu auf, daß beide Parlamente in diesen wie in allen anderen Fragen eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Die Erarbeitung der gemeinsamen Erklärung haben sich die Regierungen vorbehalten. Ich mache keinen Hehl daraus, daß ich es lieber gesehen hätte, wenn die Volksvertretungen beider Länder früher daran beteiligt gewesen wären. Für die vor uns liegenden Aufgaben halte ich es aber für völlig unabdingbar, daß die Gestaltung der gemeinsamen Zukunft maßgeblich auch von den parlamentarischen Gremien getragen wird. In diesem Sinne gebe ich der Hoffnung Ausdruck, daß mit der Deutsch-Tschechischen Erklärung, der die SPD-Bundestagsfraktion geschlossen zustimmen wird, ein neues fruchtbares Kapitel in der Geschichte unserer beiden Völker aufgeschlagen wird.
Es spricht jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt der gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Erklärung zu. Diese Erklärung bildet eine gute Grundlage, auf der wir in Zukunft die Beziehungen unserer beiden Staaten gestalten können.
Uns allen liegt daran, daß die Aussöhnung zwischen Tschechen und Deutschen weiter vorankommt. Diese Absicht hat am Anfang der Überlegungen zu einer gemeinsamen Erklärung über die deutsch-tschechischen Beziehungen gestanden. Der Text, der uns heute vorliegt und der letzte Woche in Prag unterzeichnet wurde, gibt uns Hoffnung, daß wir auf dieser Grundlage den Weg der Versöhnung weiter beschreiten können und daß dieser Weg uns gut in eine gemeinsame Zukunft führt.
Was lange währt, wird endlich gut. Das könnte auch über dem Bemühen um diese Deutsch-Tschechische Erklärung stehen. Es war ein gutes, manchmal auch ein zähes Stück Arbeit in nicht immer einfachen Verhandlungen. Geduld, Verständnis, Augenmaß haben schließlich den Erfolg möglich gemacht. Dafür danken wir der Bundesregierung ausdrücklich, vor allem Ihnen, Herr Bundeskanzler, und Ihnen, Herr Bundesminister Kinkel.
Auch möchte ich die Leistung der beiden Verhandlungsführer, Staatssekretär Hartmann und Vizeaußenminister Vondra, ausdrücklich würdigen und mich dafür bedanken, daß sie die Verhandlungen mit Umsicht, Diskretion und Sachverstand über manche Klippe geführt haben.
Nicht alles, was über das deutsch-tschechische Verhältnis im allgemeinen und im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Wortlaut der Erkärung im besonderen in den zurückliegenden zwei Jahren geschrieben und gesagt wurde, war immer hilfreich. Schließlich sind die deutsch-tschechischen Beziehungen heute so gut wie noch nie zuvor in der über 50jährigen Nachkriegsgeschichte.
Hätte die Bundesregierung alle Ratschläge befolgt, anstatt sich auf diskrete Art um Einvernehmen mit der tschechischen Regierung zu bemühen, dann läge uns wahrscheinlich noch immer kein zustimmungsfähiger Text vor. Die Entscheidung des Bundeskanzlers, die Verhandlungen über diese Erklärung eben nicht unter Zeitdruck zu stellen, war nicht nur der Sache angemessen, sondern sie war Bedingung für den Erfolg.
Nichts wäre für die Zukunft der deutsch-tschechischen Beziehungen gefährlicher gewesen als der Versuch, mit heißer Nadel eine Erklärung zusammenzufügen.
Gewiß, der vorliegende Text ist ein Kompromiß. Das kann auch gar nicht anders sein. Nicht in allen Punkten sind die gewählten Formulierungen für jeden restlos zufriedenstellend, schon gar nicht erschöpfend oder abschließend. Dennoch ist ein Dokument entstanden, das vom Ringen um die Wahrheit geprägt ist. Es ist ein Dokument, das noch vor zehn
Dr. Wolfgang Schäuble
Jahren undenkbar gewesen wäre. Weil so viel Sorgfalt und so viel Mühe auf diese Erklärung verwendet werden mußten, ist es auch richtig, daß wir im Parlament nicht noch einmal durch Interpretationen oder durch Betonen einzelner Aspekte eine Quelle für neue Mißverständnisse schaffen.
Ich verstehe und würdige das Bemühen, dabei mitzuhelfen, daß auch im tschechischen Parlament eine breite Mehrheit für diese Erklärung zustande kommt. Auch ich habe mich an diesen Bemühungen in den letzten Tagen beteiligt; wir haben auch mit dem tschechischen Parlamentspräsidenten darüber gesprochen. Aber ich glaube, am Ende aller Gespräche hat sich bestätigt: Wenn wir nicht neue Gefahren in bezug auf Fehlinterpretationen oder Mißverständnisse schaffen wollen, dann ist es das Allerbeste, daß wir tun, was wir im gemeinsamen Antrag aller Fraktionen ausgedrückt haben, nämlich daß wir im Deutschen Bundestag ohne Wenn und Aber, ohne Vorbehalte und ohne Zusätze oder Ergänzungen dieser gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Erklärung zustimmen.
Eine Aussöhnungserklärung ist freilich noch nicht die Versöhnung selbst. Sie ist Ausdruck unserer Bereitschaft und unseres festen Willens, aufeinander zuzugehen, den Blick in die Zukunft zu richten und die Vergangenheit hinter uns zu lassen, ohne diese Vergangenheit zu verdrängen. Wir wünschen uns, daß wir bei den Beziehungen unserer Völker an das Verbindende unserer langen Geschichte anknüpfen und zu einem dauerhaft guten, nachbarschaftlichen Verhältnis gelangen können.
Versöhnung ist nicht in erster Linie eine Frage von Reden und Majoritätsbeschlüssen, sondern Versöhnung muß zwischen den Menschen wachsen. Deshalb läßt sich auch Vergangenheit niemals mit juristischen Mitteln ungeschehen machen. Wir in Deutschland haben da in diesen Jahren vielfältige schmerzhafte Erfahrungen machen müssen. Die gemeinsame Erklärung spiegelt etwas von dieser Erkenntnis wider.
Versöhnung kann nur gelingen, wenn sie auf echtem gegenseitigem Verständnis gründet, wenn sie die Bereitschaft zum Eingeständnis der eigenen Schuld einschließt. Versöhnung setzt voraus, sich mit der ganzen Geschichte auseinanderzusetzen, und sie erfordert den Mut, auch die dunklen Seiten anzusprechen. Nur das Hinsehen macht frei, weil die Vergangenheit sich nicht ungeschehen machen läßt. Verschweigen und Verdrängen würden den Keim neuer Zwietracht säen.
So bin ich überzeugt, daß die Zeit reif ist, daß wir die gemeinsame Verantwortung von Tschechen und Deutschen für unsere Geschichte in dieser gemeinsamen Erklärung aussprechen. Wir sind dabei aufeinander angewiesen. Richard von Weizsäcker hat das im Dezember 1995 bei seiner Rede in der Prager Karls-Universität so formuliert: „Keine der beiden Seiten kann mit ihrer schweren Vergangenheit ohne die andere fertig werden. "
Aus der Einsicht in die Geschichte erwächst Verantwortung. Die „Deutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung" ist ein Dokument solcher Einsicht. Sie gründet im Bewußtsein, „daß der gemeinsame Weg in die Zukunft ein klares Wort zur Vergangenheit erfordert". Nur wer sich zu dieser Vergangenheit bekennt, kann Zukunft gestalten.
Klaus von Dohnanyi hat am vergangenen Montag an dieser Stelle in einer eindrucksvollen Rede, für die ich ihm auch im Namen meiner Fraktion gedankt habe, bei der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus darüber gesprochen, wie wir der geschichtlichen Wahrheit gegenübertreten können:
Wer aber den Mut hat, dieser Vergangenheit ins Auge zu sehen, der kann auch die Kraft haben, diese Vergangenheit auf sich zu laden, um in diesem Bewußtsein Deutschlands Beitrag für die Zukunft Europas zu leisten.
So hat auch unsere heutige Debatte Bedeutung über unsere Grenzen hinaus. Sie wird Rückschlüsse darüber zulassen, wie das wiedervereinte Deutschland seiner Verantwortung gegenüber seinem tschechischen Nachbarn gerecht wird und mit einem der schwierigsten Teile seiner Vergangenheit umgeht.
Das Bekenntnis zur Vergangenheit ist für uns Deutsche zunächst und vor allem das Eingeständnis, daß wir dem tschechischen Volk in der nationalsozialistischen Zeit großes Unrecht zugefügt haben. Unter Mißachtung des Völkerrechts wurde im Frühjahr 1939 der noch junge tschechoslowakische Staat von der Wehrmacht gewaltsam besetzt. Schlimmes und Unwiederbringliches wurde von Deutschen in den Jahren der Besatzung den Tschechen angetan. Das hat sich ins Gedächtnis der tschechischen Nation eingeprägt. Als Deutsche stehen wir in dieser Verantwortung und müssen uns immer wieder damit auseinandersetzen, was damals möglich war.
Wir wissen auch, daß sich Unrecht nicht gegen Unrecht aufrechnen läßt. Es gibt keine kollektive Schuld; Schuld ist ebenso wie Unschuld immer individuell. Die gemeinsame Erklärung verschweigt auch das Unrecht der Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer Heimat nicht.
Eine Erklärung, die dieses schmerzvolle Kapitel der deutsch-tschechischen Beziehungen nicht ausspart, muß deshalb auch manche alten Wunden wieder aufreißen, die nur mühsam vernarbt sind. Aber auch da helfen gegenseitige Schuldzuweisungen nicht, sondern vertiefen nur alte Wunden und schlagen neue.
Der Synodalrat der evangelischen Kirche der böhmischen Brüder hat dies auf feinsinnige Weise formuliert, als er sagte:
Wir sind uns jedoch bewußt, daß der Weg in die Zukunft nicht durch nie endende Schuldzuweisungen, sondern durch aufrichtige Reue, gegenseitiges Bemühen um Verständnis und durch die Sehnsucht nach Versöhnung geöffnet wird.
Niemand hat größeres Interesse an dieser echten, dauerhaften Aussöhnung als unsere sudetendeut-
Dr. Wolfgang Schäuble
schen Landsleute. Sie haben 1945/46 am eigenen Leib erfahren, was es heißt, über Nacht die angestammte Heimat zu verlieren und buchstäblich mit leeren Händen in der Fremde aufgenommen zu werden. Sie hatten alles verloren und mußten nochmals ganz von vorn und ganz von unten anfangen.
Dabei machten sie nicht nur und immer die Erfahrung von überwältigender Hilfsbereitschaft. Um so größer, um so bewundernswerter sind deshalb die Versöhnungsbereitschaft und der Aufbauwille unserer heimatvertriebenen sudetendeutschen Landsleute. Aus Trümmern und Ruinen ist der Wiederaufbau gelungen und in Deutschland ein vorher nicht gekanntes Maß an wirtschaftlichem Wohlstand und sozialer Sicherheit verwirklicht worden.
Die Heimatvertriebenen haben an dieser Entwicklung entscheidenden Anteil gehabt. Die Heimatvertriebenen haben bereits 1950 mit der Stuttgarter Charta ein Dokument wahrhaft menschlicher Größe verabschiedet. Sie haben darin schon damals eine eindeutige Absage an Rache und Vergeltung formuliert, und sie haben dadurch die Aussöhnung mit unseren östlichen Nachbarn wesentlich erleichtert.
Es ist nicht zuletzt dem Verantwortungsbewußtsein unserer Heimatvertriebenen und ihrer Sprecher zu verdanken, daß nationalistische Kreise in Deutschland nach 1945 keinen nennenswerten politischen Einfluß gewinnen konnten.
Was in mehr als vier Jahrzehnten des Wiederaufbaus in der Bundesrepublik gelang, sollte uns zuversichtlich stimmen. Auch nach verheerenden Erfahrungen können Verständigung, Toleranz und Miteinander gedeihen.
Franz Josef Strauß hat mit Blick auf die Leistungen unserer Heimatvertriebenen zu Recht vom Friedensnobelpreis gesprochen, der nicht vergeben wurde. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich immer für die Sorgen und Anliegen unserer sudetendeutschen Landsleute in besonderem Maße verantwortlich gefühlt. Sie wird sich auch künftig für die Belange der sudetendeutschen Landsmannschaft einsetzen.
Wir nehmen auch die Sorgen derjenigen ernst, die sich in den letzten Wochen kritisch zu dieser gemeinsamen Erklärung geäußert haben. Wir respektieren die Motive derjenigen, die heute dieser Erklärung ihre Zustimmung nicht geben können; denn wir sind fest davon überzeugt, daß die Aussöhnung mit unseren tschechischen Nachbarn nur gelingen kann, wenn wir den Weg gemeinsam mit unseren sudetendeutschen Landsleuten gehen. Ich bin sicher, die Mehrheit der Menschen in unserem Land teilt diese Auffassung.
Erinnerung ist das tragende Element, dessen Verschwinden uns ins Leere stürzen läßt. Aber gleichwohl darf uns die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit den Blick auf die vor uns liegenden Aufgaben nicht verstellen. Geschichte ist immer für die Zukunft offen. Am Ausgang dieses 20. Jahrhunderts
bietet sich Deutschen und Tschechen die Chance, an die besseren Teile unserer Geschichte anzuknüpfen.
Zum erstenmal seit dem Ende der Nachkriegszeit sind Freiheit, Demokratie und Menschenrechte auch im östlichen Teil unseres Kontinents möglich. Europa wächst zusammen. Die Tschechische Republik steht auf Grund ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung an vorderster Stelle, wenn es um die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in Europäische Union und Nordatlantische Allianz geht. Nur die künstliche Bipolarität der Nachkriegszeit verhinderte, daß alte geschichtsträchtige europäische Städte wie Prag, Eger und Karlsbad auch politisch zu Europa dazugehören konnten.
Unsere historischen Erfahrungen, die nachbarschaftliche Nähe und die kulturellen Bande unserer langen Geschichte bringen es mit sich, daß Deutschland für die Anliegen der ostmitteleuropäischen Reformstaaten besonders aufgeschlossen ist und sich dafür besonders engagiert. Es kann nicht in unserem Interesse liegen, wenn in Ostmitteleuropa eine sicherheitspolitische Grauzone entstünde und sich hinter der deutschen Ostgrenze dauerhaft ein Wohlstandsgefälle auftun würde.
Einen besseren Garanten für die Sicherheit und für den Wohlstand aller Menschen als ein integriertes Europa kann es nicht geben. Deshalb setzen wir uns nachdrücklich für eine rasche Aufnahme Tschechiens in Europäische Union und Atlantische Allianz ein.
Ein immer enger zusammenwachsendes Europa ist keine abstrakte Konstruktion am politischen Reißbrett. Die Menschen profitieren ganz unmittelbar davon. Mir hat sich in diesem Zusammenhang ein persönliches Erlebnis eingeprägt, das für mich den atemberaubenden weltpolitischen Umbruch 1989/90 wie die Einbindung unseres deutschen Schicksals in die europäische Entwicklung so bemerkenswert deutlich macht. Es war am 1. Juli 1990, dem Tag, an dem die Personenkontrollen an der innerdeutschen Grenze abgeschafft wurden. Ich habe das damals mit dem Kollegen der Regierung von Lothar de Maizière als Innenminister der Bundesrepublik Deutschland an der innerdeutschen Grenze vollzogen.
Unmittelbar nach diesem Ereignis bin ich nach Waldsassen/Heiligkreuz gefahren und habe dort mit dem tschechischen Amtskollegen Langosch einen neuen Grenzübergang eröffnet. Anschließend haben wir im Rathaus von Waidhaus an diesem 1. Juli 1990 das Abkommen über den zu errichtenden Autobahngrenzübergang Waidhaus unterzeichnet. Als wir dann beim Mittagessen zusammensaßen, hat mir der Kollege Langosch eröffnet, daß er sich eigentlich rechtswidrig in Deutschland aufhalte. Er besaß nämlich keinen gültigen Paß. Langosch, dem ehemaligen Dissidenten, war nämlich noch ein paar Wochen zuvor, wie so vielen anderen, der Ausweis abgenommen worden. Er war erst am Tag vor unserem Zusammentreffen zum Innenminister der damals noch
Dr. Wolfgang Schäuble
Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik bestellt worden. Die Paßstelle seines Ministeriums hatte es noch nicht geschafft, ihm ein gültiges Ausweisdokument auszustellen. Ich habe ihn dann begleitet, so daß er unbeschadet wieder zurückgekommen ist.
Im Zusammenhang aber mit der Abschaffung der Grenzkontrollen in Deutschland und der Öffnung eines neuen Übergangs zur damals Tschechischen und Slowakischen Republik mit einem Innenminister, dem man noch ein paar Tage zuvor den Paß abgenommen hatte, wird für mich etwas von deutscher und europäischer Geschichte und von dem Wunderbaren der Jahre 1989/90 sichtbar.
Die Menschen in den Grenzregionen haben auf genauso eindrucksvolle Weise in den vergangenen sechs Jahren Erfahrungen mit den Folgen des Falls des Eisernen Vorhangs machen können: im Bayerischen Wald, im Fichtelgebirge oder im Erzgebirge. Früher waren die Grenzgebiete in Oberfranken oder der Oberpfalz weit entferntes Zonenrandgebiet, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. An der geographischen Lage hat sich nichts geändert. Aber seit der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes hat sich die Stellung der Grenzgebiete entscheidend verbessert.
In der Euregio Egrensis ist grenzüberschreitende Zusammenarbeit ein fester Bestandteil des politischen Alltags geworden. Und der Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union wird den Grenzregionen in noch größerem Umfang die Möglichkeit eröffnen, zu zentralen Lagen im großflächigen Wirtschaftsraum Europa zu werden. Wer wie ich an der. deutsch-französischen Grenze zu Hause ist, der weiß, was es bedeutet, durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit sowie durch Öffnung und Offenhaltung der Grenzen aus einer Randlage in eine neue europäische Zentralität zu kommen.
In Bayern und Sachsen wird Tschechisch bereits heute als Fremdsprache an Gymnasien gelehrt, und im Rahmen des Euregio-Egrensis-Gastschuljahres können tschechische Gymnasiasten ein halbes Jahr in ihren bayerischen und sächsischen Partnerschulen in Bayreuth, Klingenthal oder Selb mit ihren gleichaltrigen Mitschülern verbringen. Kann es eine bessere Übung in Verständigung zwischen unseren Völkern, kann es einen besseren Beweis für ein zusammenwachsendes Europa geben?
Heute nachmittag wird eine Gruppe tschechischer Austauschschüler aus Oberfranken in Bonn eintreffen; sie wollen sich auf Einladung des Kollegen Koschyk bei uns im Bundestag umsehen. Die deutschtschechischen Jugendtreffen orientieren sich am erfolgreichen Modell des Deutsch-Französischen Jugendwerks. So, verehrte Kolleginnen und Kollegen, können wir hoffen, daß in der jungen Generation das gegenseitige Verständnis endlich wächst, das als
Fundament für eine echte Aussöhnung unserer Staaten trägt.
Bleibendes und Bewegendes wurde in den vergangenen Monaten über die Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen gesagt. Wahrhaftigkeit vor uns selbst, Wahrhaftigkeit vor unserer Geschichte, Mut zum Eingeständnis von Schuld und die Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen, am Bau des geeinten Europas mitzuwirken und eine bessere, friedliche Zukunft zu gestalten - dies ist die Richtschnur unseres politischen Handelns, so wie es in der Präambel unseres Grundgesetzes heißt: „von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen" .
Ich bin überzeugt, daß wir mit dieser „DeutschTschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung" auf diesem Weg ein gutes Stück weiter vorankommen. Deshalb bitte ich alle in diesem Haus und in unserer Bevölkerung, auf diesem Weg mitzugehen.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Antje Vollmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erinnern wir uns: Als 1974 der Prager Vertrag zur endgültigen Abstimmung im Deutschen Bundestag stand, da mußten die Architekten der Ostpolitik bis zuletzt bangen, ob sie eine Mehrheit für die Ratifizierung des Vertrages in diesem Parlament finden würden - fast so, wie das derzeit im tschechischen Parlament die Sorge ist. Bei uns ist damals der Aufbruch zu einer neuen Politik gegenüber den Nachbarn im Osten von vielen als bedrohlich empfunden worden. Ja, das böse Wort vom „Verrat" machte damals die Runde.
Wenn wir heute über die Deutsch-Tschechische Erklärung debattieren, dann ist zuerst eines festzustellen: Selbst in den schwierigsten Momenten der Verhandlungen über diesen Text gab es nie auch nur den Hauch eines Zweifels, daß die überwältigende Mehrheit der Mitglieder dieses Parlaments dem Geist und dem Ziel der gemeinsamen Erklärung zustimmen würde, und das über alle Fraktionsgrenzen hinweg. Wenn wir diese beiden Momente der Geschichte unserer Demokratie vergleichen, dann können wir daran die Fortschritte messen, die wir insgesamt gemacht haben.
Die Gespaltenheit der Parteien über die Ostpolitik der frühen 70er Jahre war auch ein Spiegelbild der Befindlichkeit der damaligen Gesellschaft. Sie war auch ein Spiegelbild der tiefen Gespaltenheit des Kontinents. Die breite Zustimmung zu Geist und Inhalt der Deutsch-Tschechischen Erklärung ist ein Ausdruck des Versöhnungswillens unserer Bevölke-
Dr. Antje Vollmer
rung und ihrer Entschlossenheit, über alle Grenzen hinweg, die Zukunft zu meistern.
Es ist dieser breite gesellschaftliche Konsens hier im Parlament, unter den Parteien, ja sogar bis hinein in die Vertriebenenfamilien, der letzten Endes auch der treibende Motor war, die schwierigen Verhandlungen zu einem guten Ende zu bringen. Denn die Parteipolitik, auf sich allein gestellt, war oft - bei uns wie bei den Tschechen - nahe an dem Punkt, an dem sie dem Kalkül ihrer eigenen Binnensicht hätte erliegen können. Sie hat es nicht getan.
Da gab es viele Stimmen, die eine gemeinsame Erklärung der deutschen und der tschechischen Regierung für überflüssig erklärten. Doch eigentlich meinten sie, daß sie die damit verbundenen innenpolitischen Schwierigkeiten nicht schultern wollten oder nicht für lohnend empfanden. Es gab auch viele, die daran erinnerten, daß man alte Wunden nicht aufreißen solle. Dafür gab es gute Argumente, doch eigentlich meinten sie, daß sie sich mit dem Schicksal der Vertriebenen nicht in voller Ernsthaftigkeit auseinandersetzen wollten. Das gilt, meine ich, für einen Teil der politischen Linken und auch der 68er.
Für die andere Seite, für die konservative Seite, hätte das aber die Versuchung bedeuten können, sich einer unangenehmen Aufgabe zu entziehen, nämlich diesen Vertriebenen ehrlich zu sagen, was möglich und notwendig ist, was die Politik an alten Wunden beheben kann und welche sie nicht aufzuheben imstande ist.
Warum aber ist diese Erklärung ein so notwendiger Schritt in den Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen? Eine Antwort auf diese Frage hat der tschechische Staatspräsident Václav Havel gegeben. Seine Begründung war: „Für uns Tschechen ist das Verhältnis zu Deutschland immer gleichbedeutend gewesen mit unserem Verhältnis zu Europa. " Er erinnerte an die Jahrhunderte einer engen Verbindung, ja einer kulturellen Symbiose zwischen den Deutschen und den Juden - besonders den jüdischen Bürgern - und den Tschechen, und er erinnerte daran, daß zu dieser Zeit alle gemeinsam - Deutsche, Juden und Tschechen - in Europa zu Hause waren. Damals lag die europäische Hauptstadt ebenso in Prag wie in Paris.
Doch mit dem Unheil des Nationalismus und seines bösen Rausches, der alle europäischen Völker in mehr oder weniger großem Maße erfaßt hat - die Deutschen am verheerendsten -, brach dieses Zusammenleben, dieses Heimatrecht in einer gemeinsamen europäischen Kultur, auseinander. Aus der früheren Gemeinschaft wurde das mißtrauische Nebeneinander einer übergroßen und einer kleinen Nation im Werden, und diese wiederum, die kleine tschechische Nation, hatte große Schwierigkeiten mit der deutschen Minderheit im Lande. Deutschland orientierte sich nur an den Großmächten Europas und in aggressiver Konkurrenz zu ihnen. Die Tschechen fühlten sich an den Rand gedrängt.
Tatsächlich aber ist im Jahre 1938 mehr zerbrochen als nur ein Nachbarschaftsverhältnis. Damals haben sich nämlich auch die westlichen Demokratien in ganz Europa selbst verraten. Als sie mit dem Münchener Abkommen dem nationalsozialistischen Deutschland den Beginn der Aggressionen und dann des Aggressionskrieges gegen die Nachbarn erlaubten, nahmen sie sich selbst ein Stück ihrer demokratischen Würde, und sie nahmen der Mitte Europas den Schutz einer fragilen Friedensordnung. Dieses Stück Selbstaufgabe war das Verheerende am Münchener Abkommen.
30 Jahre später, als der „Prager Frühling" durch die sowjetischen Panzer niedergewalzt wurde, waren wieder deutsche Truppen dabei - Herr Scharping hat daran erinnert -, diesmal ostdeutsche. Und wieder erfuhren die Tschechen die europäischen Demokratien, darunter auch die westdeutsche, als merkwürdig handlungsschwach.
Es ist also mehr als verständlich, wenn Václav Havel von der zentralen Bedeutung Deutschlands für das Selbstverständnis und auch für das Europabild der Tschechen spricht. Aber er hat in jener Rede in der Karls-Universität - 50 Jahre nach Kriegsende - noch etwas gesagt: „Auch für die Deutschen ist ihr Verhältnis zum kleinen tschechischen Nachbarn immer ein Spiegelbild ihres Gesamtverhältnisses zu Europa gewesen. "
Unser Verhältnis zu den Tschechen ist also ein Spiegelbild unseres Verhältnisses zu ganz Europa. Ob Deutschland einer Politik der Menschenrechte, der Normen des Völkerrechts und einer Politik des Friedens verpflichtet war oder dem Gegenteil, das ließ sich gerade am Verhältnis zu den kleinen Nachbarn viel deutlicher ablesen als am Verhältnis zu den europäischen Großmächten.
Wer ein einheitliches, friedliches Europa will, ein Europa der großen und kleinen Demokratien, der muß zunächst Frieden in der Mitte Europas herstellen. Diesem Frieden, diesem Zur-Ruhe-Kommen in der Mitte des Kontinents dient diese Erklärung. Deswegen ist sie zu begrüßen.
Noch eine zweite Erinnerung lohnt sich an diesem Tag wachzurufen. So wie der Zweite Weltkrieg eigentlich mit dem Einmarsch in Prag begann, so hätte sich logischerweise angeboten, ebenfalls mit den Verhandlungen zur Beendigung des Kalten Krieges in Prag zu beginnen, wenn man denn diese Zeit der Konfrontation beenden wollte.
Tatsächlich fanden auch - das ist doch interessant - die ersten tastenden Versuche einer neuen Ostpolitik und der Verständigung schon im Jahre 1968, also noch zu Zeiten der Großen Koalition statt. Damals gab es, verantwortet von Sozialdemokraten und Konservativen, die ersten Gespräche mit den Vertretern des Prager Frühlings. Die Verhandlungen waren relativ weit gediehen, als am 20. August die Tschechen
Dr. Antje Vollmer
mit Tränen in den Augen zu ihren deutschen Verhandlungspartnern kamen und sagten, sie müßten nun ihr Mandat aufgeben, in Prag seien die Panzer aufgefahren. Wer hätte damals gedacht, daß es noch einmal fast 30 Jahre dauern würde, bis endlich diese Erklärung hier im Deutschen Bundestag verabschiedet werden könnte? Es ist wirklich ein großes Glück, daß wir endlich soweit sind.
Irritationen hat es darüber gegeben, ob diese Erklärung nun den Charakter eines Schlußstriches hat, eines Schlußstriches unter die gemeinsame böse Vergangenheit. Nein, wie alle meine Vorredner möchte auch ich sagen: Es ist kein Schlußstrich, sondern es ist etwas Positives, nämlich ein Schlußstein der Ost-, Entspannungs- und Friedenspolitik, die letztendlich - Herr Bundeskanzler, Sie haben es erwähnt - von allen deutschen Regierungen gemeinsam getragen wurde.
Ebendiese Friedenspolitik, deren Schlußstein wir heute hier verhandeln, hat diesem Land die glücklichste historische Konstellation beschert, die es jemals hatte. Deutschland ist nicht nur friedlich und mit der Zustimmung aller seiner europäischen Nachbarn vereinigt, wir sind zugleich mit allen unseren Nachbarn, mit den großen wie mit den kleinen, auf der Basis der gemeinsamen demokratischen Werte in einem neuen Europa zu Hause. Die Option auf dieses neue Europa ist viel mehr, als es das Deutschland Bismarcks je hatte. Das ist eine viel günstigere Situation als in der Weimarer Republik, das ist mehr, als die Gründungsmütter und Gründungsväter der Bonner Republik je zu hoffen gewagt hätten. Ich glaube, man kann dem ganzen Land zu diesem Ergebnis und zu dieser einmaligen politischen Situation gratulieren.
Daß es dazu kommen konnte, ist das Verdienst vieler, nicht zuletzt der Tausenden von Bürgern beider Länder, die längst mit einer Bürgerdiplomatie begannen, bevor die großen Diplomaten ans Werk gingen. In der Alltagspraxis sind die Verhärtungen und Verletzungen der Vergangenheit längst aufgelöst und aufgeweicht. Gerade an diesen Versöhnungen haben sich viele Gruppen und Initiativen aktiv beteiligt, unter ihnen insbesondere viele Bürger aus den neuen Bundesländern, denen Prag immer sehr viel näher und nicht nur ein Besuchsort, sondern oft auch ein Fluchtort war. Unter diesen Gruppen waren aber auch viele Sudetendeutsche, die längst wieder angefangen haben, in der alten Heimat neue Freunde zu finden.
Wer den schwierigen Weg der Verhandlungen verfolgt hat, der weiß auch - keiner der Vorredner hat es ausgelassen -, daß ganz besonderer Dank den beiden Unterhändlern gebührt, also Sascha Vondra und dem Staatssekretär Hartmann.
In so schwierigem Gelände - ich habe es manchmal sogar von nahem erlebt - kommt man nicht allein mit Diplomatenkenntnissen weiter, sondern
letzten Endes nur mit dem Risiko freundschaftlichen Vertrauens.
Dank seitens der Fraktion der Grünen gilt auch den beiden Außenministern, die in ihren Ländern - in der Tschechischen Republik in einer ganz komplizierten Wahlkampfsituation - die schwierigen Prozesse der Koordinierung vollbracht haben. Nicht vergessen möchte auch ich den besonderen Einsatz eines ungewöhnlichen Botschafters, den des Jiři Gruša.
Auch bei Ihnen, Herr Bundeskanzler, möchte ich mich bedanken,
und zwar, weil Sie Wort gehalten haben und sich der letzten und schwierigsten politischen Klärung in Ihrem eigenen Lager, der Auseinandersetzung mit den Sudetendeutschen und dem Gutsagen, dem Eintreten für diese Erklärung, nicht entzogen haben.
Herr Ministerpräsident Stoiber, ich bin bei allen Irritationen, die ich manchmal angesichts Ihrer Positionen hatte, sehr froh, daß Sie am Ende die Erklärung mit unterstützen. Ich weiß, daß dies nicht einfach ist.
Letztendlich konnte dieser schwierige Prozeß nur gelingen, weil jeder an seinem Platz seine spezielle Rolle gespielt hat. Daß in einem bestimmten Moment die Kette dieses Prozesses gehalten und jeder seine spezielle Aufgabe wahrgenommen hat, ist für mich die wichtigste Erfahrung in diesem Prozeß.
Nun, am Ende begreife ich auch - ich will das betonen, obwohl ich oft gedrängt habe -, daß dieser Prozeß eine solch lange Zeit brauchte: Es war eben doch das schwierigste, weil mit zuviel menschlichem Leid befrachtete Stück der Ostpolitik.
Damit komme ich nun zum Inhalt, zur Formulierung der Erklärung. Vielleicht hat Herr Reißmüller von der FAZ recht, wenn er schreibt, eigentlich hätten überhaupt nur zwei Sätze formuliert werden müssen, nämlich:
1. Die Deportation der deutschen Minderheit aus der Tschechoslowakei verstieß, so wie die Deportation von Tschechen aus den Sudetengebieten, gegen Recht und Moral.
2. Gegen die Tschechische Republik wird es keine materiellen Ansprüche ... geben.
Es ist wahr: Vieles wäre einfacher gewesen, wenn es für diese beiden Sätze in beiden Parlamenten eine Mehrheit hätte geben können. Wir wissen aber, daß solche Mehrheiten auf beiden Seiten, und zwar aus den unterschiedlichsten, zu respektierenden Verfassungsgrundsätzen nicht möglich waren. Das genau
Dr. Antje Vollmer
war der Raum für die großen Unsicherheiten, die „Gespensterdebatten" und die sich zerdehnende Zeit, die es im Laufe des Prozesses gegeben hat.
Gerade aus diesem Wissen heraus will ich festhalten: Diese Erklärung enthält die weitestmögliche Annäherung an diese zwei einfachen Sätze. Faktisch stimmen wir damit zu, daß Vertreibungen gegen Recht und Moral der Völker verstoßen und daß sie dennoch - um des Friedens willen - nicht wieder rückgängig gemacht werden können.
Darf eine deutsche Regierung, darf ein deutsches Parlament einer solchen Erklärung zustimmen? Ja, wir dürfen und wir müssen es sogar, im Interesse der eigenen Nation und auch im europäischen Interesse. So notwendig nämlich diese Zeit für die vielen Verständigungsprozesse war, um so deutlicher ist auch, daß wir - der Herr Bundeskanzler hat daran erinnert - für das neuzubauende Europa keine Zeit mehr verlieren dürfen.
Vor allen Dingen dürfen wir eines nicht mehr: Wir dürfen die nächste Generation - ich freue mich über Einigkeit darüber im ganzen Haus - nicht mehr zu Gefangenen der Vergangenheit machen. Gerade deswegen mußte diese Generation von Politikern klären, was zu klären ist.
Hier noch ein persönliches Wort: Wir werden um so weniger Gefangene der Vergangenheit sein, wenn wir dazu kommen, die Opfer jener vergangenen bösen Zeit als Individuen zu ehren. Darum hoffe ich auch, daß es im Rahmen des vereinbarten Zukunftsfonds noch eine Regelung zur individuellen Entschädigung der NS-Opfer gibt. Deswegen hoffe ich, daß die tschechische Regierung nach den ganzen Turbulenzen der Verhandlungen und der Debatten im Parlament die Größe findet, direkt mit den Sudetendeutschen und ihren Vertretern zu sprechen.
So also verstehe ich diese Erklärung. Sie macht Deutsche und Tschechen frei, endlich im neuen, demokratischen Europa mit einem befriedeten Zentrum in der Mitte des Kontinents anzukommen. Sie ist der Schlußstein einer ganzen Etappe von allen Parteien verantworteter Ostpolitik. Darum ist sie für Europa gut - und nicht nur für die Deutschen und Tschechen. Es ist gut für Europa, daß es diese Erklärung jetzt endlich gibt.
Danke schön.
Es spricht jetzt Dr. Wolfgang Gerhardt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle wollen - dazu dient auch unsere Entscheidung nachher - Verständigung und Versöhnung in Europa. Wir beraten und entscheiden heute über einen ganz wichtigen Baustein. Bis wir zu diesem Baustein kamen, mußten wir - als Gesellschaft und als Politiker - viele Tabuschwellen überwinden.
Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der damaligen UdSSR von 1970, der deutsch-polnische Grundlagenvertrag aus dem selben Jahr, der deutsch-tschechoslowakische Vertrag von 1974 - das waren wichtige erste Bausteine. Damals haben wir dem deutschen Volk so manche Tabuschwelle nicht ersparen können und sind dafür heftig kritisiert worden.
Eigentlich könnten wir heute in diesem Hause sagen, wir sollten uns auch mit uns selbst versöhnen, weil die eingeleitete Atlantische Partnerschaft und das Eingehen dieses Landes in das westliche Bündnis wichtige Bausteine waren - das ist mit dem Namen Konrad Adenauer verbunden - und weil das Zugehen auf die osteuropäischen Nachbarn aus der deutschen Geschichte in diesem Jahrhundert und aus unserer geographischen Lage notwendig war. Beides ist heute unumstritten; beides ist wichtig. In diesen Punkten sollten wir uns mit uns selbst versöhnen.
Deshalb möchte ich sagen - das kann mir in diesem Hause niemand verdenken -: Liberale Außenminister haben Jahrzehnte Verantwortung für diese Politik getragen. Sie waren nicht immer im höchsten Ansehen, als sie mutige Entscheidungen treffen mußten. An dieser Stelle danke ich - bevor wir zu diesem Schlußbaustein kommen - Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel sehr herzlich für ihr Engagement und ihre Arbeit.
Wir haben - wie keine Generation vor uns - zum ersten Mal die Chance, nach der Überwindung der Teilung Europas eine gemeinsame Region des Friedens und der Stabilität zu schaffen. Deshalb sollten wir offen zu dieser Erklärung Stellung nehmen. Sie ist ein mutiges Bekenntnis zur historischen Wahrheit zwischen den beiden Völkern, zwischen Tschechen und Deutschen. Sie ist Klarheit über Leid und Unrecht, das wir einander zugefügt haben. Gleichzeitig ist sie aber auch Ausdruck des gemeinsamen Willens, diese dunklen Schatten zu überwinden.
Wir müssen jetzt den Blick auf die Zukunft richten. Unser Ziel ist die gemeinsame Gestaltung eines freien, demokratischen und vereinten Europas. Darin liegt der eigentliche Sinn dieser Erklärung. Sie erschöpft sich nicht darin, daß sie ausschließlich eine Buchhaltung der Vergangenheit ist. Die Fähigkeit zum Umgang mit der Vergangenheit ist wichtig; sie ist Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses einer Gesellschaft.
Der Bischof von Pilsen, Frantisek Radkowski, einer der höchsten Würdenträger der katholischen Kirche Tschechiens, hat gesagt:
Der zeitliche Abstand zu den Ereignissen gibt uns eine große Chance, weil einzig und allein die Wahrheit befreit. Tschechen und Deutsche müssen ehrlich und wahrheitsgetreu bekennen, was damals geschehen ist. Dies ist die einzige Möglichkeit zur Aussöhnung.
Dr. Wolfgang Gerhardt
Die Deutsch-Tschechische Erklärung trägt dieses Bekenntnis; sie hat diesen Mut. Deswegen war sie auch auf beiden Seiten nicht unumstritten.
Aber auch der Prager Schriftsteller Pavel Kohout trifft das Richtige. Er sagt, Verständigung und Versöhnung gerade zwischen jungen Menschen unserer beiden Länder sind viel weiter fortgeschritten, als dies manche wahrhaben wollen. Gewalt, Flucht und Vertreibung, das war die bittere geschichtliche Erfahrung der Kriegs- und Nachkriegsgeneration. Für die junge Generation heute ist es die Freiheitsrevolution in Europa vor sechs Jahren, verbunden mit den Ereignissen auch in Prag. Für diese Generation hat sich unauslöschlich die Rede eingeprägt, die HansDietrich Genscher vom Balkon der deutschen Botschaft in Prag gehalten hat. Und für diese junge Generation tragen wir Verantwortung. Auch ihr müssen der Blick und unsere Aufmerksamkeit gelten. Das ist der eigentliche Kern, der in der Chance einer Aussöhnung liegt. Sie muß auf die Zukunft gerichtet sein.
Wir wollen in gemeinsamer Verantwortung die Vergangenheit überwinden. Deshalb ist es einfach notwendig, klar zu sagen, wo der Ursprung des ganzen Elends liegt. Es ist wahr, daß Deutschland Verantwortung für Flucht und Vertreibung von Menschen aus dem tschechoslowakischen Grenzgebiet und für die Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakischen Republik trägt. Es ist wahr, daß der nationalsozialistische Terror den Boden für Flucht, Vertreibung, Zwangsaussiedlung und all das Elend bereitet hat, das wir heute beklagen, das die Sudetendeutschen bitter erleiden mußten. Es ist wichtig, daß auch von der tschechischen Seite gesagt worden ist, daß sie den kollektiven Charakter der Schuldzuweisung für falsch hält, daß sie Vertreibung und Zwangsaussiedlung der Sudetendeutschen bedauert und auch das Leid spürbar zum Ausdruck bringt, daß sie zu den Exzessen Stellung nimmt, die elementaren humanitären Grundsätzen widersprochen haben.
Mich hat an den Vertragsverhandlungen auf deutscher und tschechischer Seite ausdrücklich gestört, daß man über Worte gestritten hat, aber nicht fähig war, gemeinsam das Leid zum Ausdruck zu bringen, das Menschen widerfahren ist. Die Kinder, die mit mir in meine kleine Dorfschule in Hessen gegangen sind und die vertrieben waren, hat nicht interessiert, unter welchem Rechtstitel die Vertreibung stattgefunden hat, die haben das menschliche Leid der Vertreibung gespürt. Das muß zum Ausdruck gebracht werden. Darum geht es, um die Kenntnisnahme dieser Ereignisse.
Dieses gemeinsame Bekenntnis im historischen Bewußtsein von Ursache und Wirkung ist für uns Verpflichtung für die Zukunft. Politische Verfolgung, Gewalt und Vertreibung dürfen sich in Europa nicht mehr wiederholen.
Der Vertrag von 1992 drückt das aus. Eingedenk der zahlreichen Opfer, die Gewaltherrschaft, Krieg
und Vertreibung gefordert haben, und des schweren Leids, das vielen unschuldigen Menschen zugefügt wurde, haben sich beide Seiten damals in guter Nachbarschaft und in freundschaftlicher Zusammenarbeit verpflichtet, „ein für allemal der Anwendung von Gewalt, dem Unrecht und der Vergeltung von Unrecht mit neuer Ungerechtigkeit ein Ende zu machen".
Meine Damen und Herren, die gemeinsame Erklärung kann geschehenes Unrecht nicht wiedergutmachen, aber sie kann den Teufelskreis des gegenseitigen Aufrechnens und der Unfähigkeit zur Versöhnung durchbrechen.
Versöhnung, das ist eine geistige Herausforderung. Wir haben uns als Freie Demokraten von Anfang an für diese Versöhnung von Deutschen und Tschechen eingesetzt. Wir haben mit Nachdruck die Verhandlungen der tschechischen und der deutschen Regierung über diese gemeinsame Aussöhnungserklärung unterstützt. Wir danken an dieser Stelle - ich möchte das auch sehr persönlich tun - nicht nur den Verhandlungsführern. Verhandlungsführer sind nur in der Lage, Verhandlungen zu führen, wenn sie die politische Rückendeckung spüren. Deshalb danke ich an dieser Stelle Klaus Kinkel, der diese politische Rückendeckung gegeben hat und sich auch von Widerständen nicht hat beeindrucken lassen.
Da war in kritischen Phasen Verhandlungsgeschick und Fingerspitzengefühl. Die F.D.P. stimmt dieser Erklärung zu, Wort für Wort, weil sie eine große Chance bietet.
Wir müssen erkennen, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, in die Zukunft zu blicken.
Es war der erste demokratisch gewählte Präsident der damaligen Tschechoslowakei, Václav Havel, der uns die Hand zur Versöhnung gereicht hat. Das war für ihn nicht einfach. In seiner damals tschechoslowakischen, jetzt tschechischen Gesellschaft hat er Widerstände. Er ist kritisch bewertet worden. Er hat diese Worte nicht sprechen können, ohne Mut zu beweisen. Aber er hat sie gesprochen, weil er sich klar war, daß das Wort ein giftiger Pfeil sein kann, aber auch eine befreiende Macht, wie er sich ausdrückt. Diese Erklärung wird eine befreiende Wirkung für die beiden Völker und für die Zukunft Europas entwickeln.
Meine Damen und Herren, unsere gemeinsame Aufgabe ist es, eine neue Kultur des Zusammenlebens in Europa zu entwickeln. Dieses Zusammenleben verlangt nicht nur Freiheit und Abwesenheit von Unrecht, es beinhaltet die Verpflichtung, die bestehenden Wohlstandsgrenzen zu überwinden. Es geht nicht nur um gleiche Freiheitsrechte, wir müssen auch gleiche Chancen haben. Das kann nur - auch verbunden mit dieser Debatte - durch die klare
Dr. Wolfgang Gerhardt
Aussage geschehen, daß wir die Aufnahme der Staaten Mittel- und Südosteuropas in die Europäische Union und in die transatlantischen Sicherheitssysteme möchten. Wir wollen mit ihnen gemeinsam Stabilität und Sicherheit in Europa erreichen.
Wir alle, die Staaten der gesamten Europäischen Union, haben bisher immer von Erweiterungen profitiert. Deshalb müssen unser Land und auch wir ganz besonders Anwalt der Aufnahme der Tschechischen Republik in die Europäische Union und positiver Begleiter ihrer weiteren Integration sein. Der Beitritt unseres Nachbarn bringt nicht nur wesentliche Fortschritte bei politischer oder wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Nein, er beinhaltet auch die Chance zu mehr Freizügigkeit. Das ist eine große Chance für die Überwindung historischer Barrieren und für den Ausbau gutnachbarschaftlicher Beziehungen.
Meine Damen und Herren, wir verfolgen als Deutsche wie unsere Nachbarn, die Tschechen, das gleiche Ziel: mit Mut und Willen zur Versöhnung, mit der Chance und der Fähigkeit zur Heilung alter Wunden die geistige Voraussetzung für die Bildung eines freien Europa zu schaffen. Wir werden bei der Gestaltung dieser Zukunft die Vergangenheit und auch nicht das Leid, das vielen Menschen zugefügt wurde, vergessen können. Aber wir müssen den Willen zu Frieden und Versöhnung und zur Freundschaft mit unseren tschechischen Nachbarn haben. Wir müssen jetzt unsere Kraft auch für die Gestaltung der gemeinsamen Zukunft aufbringen.
Die Zukunft ist nicht fern, sie ist schon da. Wir wollen sie in guter Nachbarschaft gestalten.
Wir stimmen dem Vertrag, wie ich sagte, Wort für Wort zu.
Das Wort erhält jetzt Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob wir diese Debatte zufällig am 30. Januar durchführen. Auf jeden Fall ist es symbolisch; denn es ist der Tag, an dem im Jahre 1933 Hitler die Macht in Deutschland ergriff. Hätte das deutsche Volk dies damals verhindert, dann brauchten wir heute nicht über diese Erklärung zu diskutieren. Die gesamte Geschichte wäre anders verlaufen. Wir werden mit diesem Tag, dem 30. Januar, auf lange Zeit verbunden bleiben. Auch die künftige Generation wird diese Geschichte noch aufzuarbeiten haben.
Ich glaube aber, das Wichtigste ist, daß meine Generation - das ist ja eigentlich schon die Nachkriegsgeneration - die Voraussetzungen dafür schafft, daß die neue Generation möglichst unbelastet eine gemeinsame Zukunft in Europa gestalten kann.
Ich bin mir darüber im klaren, daß die DeutschTschechische Erklärung auch diesem Ziel dient. Deshalb wird es aus der Abgeordnetengruppe der PDS keine einzige Gegenstimme zu dieser Erklärung geben.
Ich füge aber hinzu: Das bedeutet nicht, daß wir jeden Teil der Erklärung ausgereift und historisch gerecht formuliert finden. Im Gegenteil: Wir haben auch Kritik, schon am Zustandekommen nicht so sehr wegen der Dauer der Verhandlungen, sondern wegen eines Umstandes, der hier auch schon von anderen kritisiert worden ist, daß nämlich die beiden Parlamente aus den Verhandlungen völlig herausgehalten worden waren, die Regierung aber zu jeder Zeit die Funktionäre der sudetendeutschen Landsmannschaften einbezogen hatte, die eigentlich nicht Verhandlungspartner für solche Verhandlungen sind. Ich finde, daß man solche Verhandlungen nicht an einem Parlament vorbei führen darf.
Wichtiger sind aber bestimmte inhaltliche Momente in der Erklärung. Lassen Sie mich sagen, welche Bedenken wir haben. Ich muß sie hier einfach auch formulieren.
Da heißt es in Ziffer 2:
Die deutsche Seite bekennt sich zur Verantwortung Deutschlands für seine Rolle in einer historischen Entwicklung, die zum Münchener Abkommen von 1938, der Flucht und Vertreibung von Menschen aus dem tschechoslowakischen Grenzgebiet sowie zur Zerschlagung und Besetzung der tschechoslowakischen Republik geführt hat.
Das ist natürlich nicht falsch. Aber trifft es wirklich den Kern? Kann man nur von einer „Rolle" Deutschlands sprechen? Ich weiß um die Mitverantwortung der Briten, der Franzosen und anderer Mächte, zum Beispiel für das Münchener Abkommen von 1938. Aber hätte es nicht heißen müssen:' „Die Hauptverantwortung trägt Deutschland"? Denn Deutschland war es, das das Sudetengebiet beanspruchte. Deutschland ist in die Tschechoslowakei einmarschiert und hat sie okkupiert. Deutschland war es letztlich auch, das die Tschechoslowakei zerschlagen hat; das waren nicht die Briten, nicht die Franzosen, nicht die Italiener. Deshalb ist es nicht eine Rolle, die wir dabei gespielt haben, sondern es ist leider die entscheidende Rolle. Ich finde, das hätte man auch sagen müssen.
Es heißt im nächsten Absatz, daß wir das Leid und das Unrecht bedauern,
das dem tschechischen Volk durch die nationalsozialistischen Verbrechen von Deutschen angetan worden ist. Die deutsche Seite würdigt die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und diejenigen, die dieser Gewaltherrschaft Widerstand geleistet haben.
Auch das ist richtig. Aber ich finde, auch das ist nicht ausreichend. Leid und Unrecht geschehen täglich in jedem Land auf dieser Welt; auch Verbrechen
Dr. Gregor Gysi
gibt es leider täglich. Nein, hier hätten die Worte Massenmord und Deportation mit hineingehört; denn das war das Einmalige, das, was es unterschied von anderen Verbrechen, von anderem Leid, von anderem Unrecht, das es auf dieser Welt leider immer noch gibt.
Im nächsten Absatz wird dann ausgeführt, daß sich die deutsche Seite auch bewußt ist,
daß die nationalsozialistische Gewaltpolitik gegenüber dem tschechischen Volk dazu beigetragen hat, den Boden für Flucht, Vertreibung und zwangsweise Aussiedlung nach Kriegsende zu bereiten.
Ich finde auch diese Formulierung zu schwach; denn das war natürlich die entscheidende Ursache für das, was später geschehen ist. Hätte es diese Verbrechen, hätte es den Einmarsch nicht gegeben, hätte es nicht die Entscheidung des nationalsozialistischen Regimes gegeben, den Sudetendeutschen zwangsweise und kollektiv die deutsche Reichsangehörigkeit aufzudrücken, dann hätte es auch die späteren schlimmen Folgen nicht gegeben.
In der DDR war die Verurteilung der nationalsozialistischen Verbrechen am tschechischen Volk nie ein Problem; die hat immer stattgefunden. Was aber ausgeblendet wurde in der Geschichte, das waren die Exzesse und das Unrecht, das es bei der zwangsweisen Aussiedlung, das heißt bei der Vertreibung, gegeben hat. Das haben wir aufzuarbeiten; denn dieses Unrecht nicht zu benennen, war auch Unrecht.
Dennoch hätte bei diesem Abschnitt etwas hinzugehört. Damals, 1945, war die Sicht eine andere. Heute ist Vertreibung in jeder Form für uns ein Unrecht. Aber damals war auch das Geschichtsbild ein anderes. Man kann doch auch nicht leugnen, daß leider, leider sehr viele Sudetendeutsche dem Naziregime zugestimmt und sich auch an seinen Verbrechen beteiligt haben. Natürlich waren es niemals alle. Es hat unter den Sudetendeutschen auch viele gegeben - Herr Scharping, Sie haben auf die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hingewiesen; dazu gehörten auch viele Kommunistinnen und Kommunisten, aber auch bürgerliche Kräfte -, die eindeutig Widerstand gegen die Henlein-Partei und gegen das nationalsozialistische Regime geleistet haben. Daß das nicht gewürdigt wurde, sondern daß sie einfach wie alle anderen mitbehandelt worden sind, ist und bleibt eine Schande in der Geschichte; das ist wahr.
Dennoch hätte hinzugefügt werden müssen, daß es eben eine Erfahrung mit der sogenannten fünften Kolonne gab und daß auf dieser Grundlage im Potsdamer Abkommen - also nicht irgendwo, sondern völkerrechtlich verankert - die Zwangsaussiedlung beschlossen wurde. Sie war doch nicht eine alleinige
Entscheidung der tschechischen Regierung. Ich finde, man hätte das mit erwähnen müssen.
Zu Recht ist das sogenannte Amnestiegesetz kritisiert worden, wonach selbst bei Exzessen und bei grobem Unrecht keine strafrechtliche Verantwortlichkeit stattgefunden hat. Das ist wahr. Das haben Sie auch betont, Herr Bundeskanzler. Aber hätte nicht auch dazugehört, zu sagen, daß, obwohl es in der Bundesrepublik Deutschland niemals ein solches Amnestiegesetz gegeben hat, nur ganz wenige strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden sind, die nationalsozialistische Verbrechen begangen haben? Das ist auch ein Kapitel der Geschichte, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Es handelt sich also um eine Art faktische, wenn auch keine gesetzliche Amnestie.
Es ist darauf hingewiesen worden, wie sich die Beziehungen nach 1945 gestaltet haben. Es gab millionenfache freundschaftliche und enge Beziehungen zwischen Familien in der DDR und Familien in der Tschechoslowakei. Auf diese guten Beziehungen sollten wir in der Zukunft bauen.
Es gab aber auch das Jahr 1968 mit dem Einmarsch der sowjetischen und anderer Truppen. Wie man heute aus historischer Sicht weiß, sind zwar die Truppen der DDR nicht mit einmarschiert, aber die DDR hat in vielfacher Hinsicht bei diesem Einmarsch Hilfe gewährt, bei seiner Vorbereitung und Durchführung. Der Einmarsch ist nichts anderes als eine eklatante Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des slowakischen und des tschechischen Volkes mit militärischer Gewalt gewesen.
Da ich hier in einer historischen Verantwortung stehe, will ich die Gelegenheit nutzen, mich im Namen meiner gesamten Partei bei dem tschechischen und dem slowakischen Volk dafür aufrichtig zu entschuldigen.
Sie haben in der Ziffer IV die Rechtsfragen angesprochen, zu denen ich etwas sagen möchte. Herr Bundeskanzler, Sie haben einen Satz gesagt, dem man in jeder Hinsicht nur zustimmen kann: „Das millionenfache Leiden darf uns nicht den Blick auf das einzelne Opfer verstellen." Das ist wahr. Wäre diese Erkenntnis aber nicht die Grundlage dafür gewesen, anzuerkennen, daß die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen auch ein individuelles Entschädigungsrecht haben? Diese Erkenntnis sollte dazu führen, daß wir nicht nur in einen Zukunftsfonds einzahlen, sondern den Opfern dieses Entschädigungsrecht zubilligen.
Daneben wird auch der deutsche Rechtsstandpunkt hinsichtlich der Ansprüche der Vertriebenen aufrechterhalten. Ich weiß nicht, ob den Vertriebenen damit wirklich gedient ist. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, sagen, diese Fragen bleiben offen, dann wissen Sie, was dies unter anderem bedeutet: Bei je-
Dr. Gregor Gysi
der Verhandlung, die Sie mit der tschechischen Seite führen werden, bei jedem Abkommen und bei jeder Kreditvereinbarung wird es immer wieder Funktionäre der sudetendeutschen Landsmannschaften geben, die sagen werden: Jetzt ist aber der Zeitpunkt gekommen, diese offenen Fragen zu klären. Sie setzen sich mit diesem Satz selbst unter Druck. In dieser Hinsicht - es war eine Chance - wäre ein Schlußstrich erforderlich gewesen, anstatt falsche Hoffnungen zu wecken. Denn Sie alle wissen: Natürlich wird es die Realisierung von Vermögensansprüchen zu keinem Zeitpunkt geben. Also hätte man das auch klar und deutlich sagen sollen. Es bringt nichts, bei einigen falsche Hoffnungen zu wecken.
In der Erklärung gibt es einen interessanten Satz, der sie mir wieder sehr viel sympathischer macht:
Beide Seiten erklären deshalb, daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden.
Wenn das wirklich so gemeint ist, dann heißt das, daß in Verhandlungen solche Fragen nicht berücksichtigt werden, deren Behandlung zu einer Belastung führt. Damit würden solche Fragen für die Zukunft ausgeschlossen werden. Es tut mir leid, Herr Bundeskanzler, daß ich Ihnen sagen muß: Sie haben unmittelbar nach der Unterzeichnung auf der Pressekonferenz das erstemal diese Erklärung verletzt; denn Sie haben mit Ihrer Äußerung eine Belastung herbeigeführt, obwohl Sie gerade unterschrieben hatten, keine diesbezügliche Belastung in der Zukunft mehr zuzulassen.
Sie müssen doch die Ängste in der tschechischen Bevölkerung verstehen. Sie bekommt doch mit, wie die Eigentumsfragen in der ehemaligen DDR behandelt werden. Das Hauptziel war dort, die Eigentumsstrukturen von 1945 wiederherzustellen. Das ist doch der Sinn und Zweck des Grundsatzes „Rückgabe vor Entschädigung" . Es vergeht aber kein Tag, an dem nicht innerhalb und außerhalb dieses Hauses die Ausnahmen angezweifelt werden, zu denen Sie sich vertraglich verpflichtet haben, nämlich die Ausnahmen hinsichtlich der besatzungsrechtlichen Enteignungen und der Bodenreform. Bei allen Völkern muß der Eindruck entstehen, daß unbedingt bis zum Jahre 1945 eigentumsrechtlich rückabgewickelt werden soll. Das ist die Sorge des tschechischen Volkes, wenn diese Fragen offenbleiben. Für diese Sorge muß man doch Verständnis haben.
Deshalb glaube ich, daß hier eine andere Formulierung besser gewesen wäre. Aber ich füge hinzu: Es ist wichtig, daß der Verzicht enthalten ist, künftig damit die Beziehungen nicht zu belasten. Das ist eine Chance, und das macht vielen von uns die Zustimmung möglich. Nicht daß wir glauben, daß das in Zukunft nicht auch wieder angezweifelt werden würde, wie wir das bei der Unterschrift nach der Bodenreform erlebt haben; aber immerhin steht es da, und man kann damit in der Politik umgehen.
Deshalb werden viele Abgeordnete unserer Gruppe der Erklärung letztlich zustimmen. Es wird auch Abgeordnete geben, die sich der Stimme enthalten werden. Deren Bedenken teilen wir, wie ich das hier zum Ausdruck gebracht habe, nur ist unsere Schlußfolgerung, ob man deshalb zustimmt oder sich enthält, halt unterschiedlich ausgefallen. Damit leben wir in unserer Gruppe ganz gut und weiter zusammen, weil die Kritik ebenso übereinstimmend ist wie die Zustimmung zu dem eigentlichen Anliegen.
Danke schön.
Es spricht jetzt der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Deutsche haben aus unserer Geschichte und gerade nach der Wiedervereinigung für Europa eine ganz besondere Verantwortung. Als Lehre aus unserer Vergangenheit haben wir uns ein für allemal für einen gemeinsamen Weg mit den anderen europäischen Demokratien entschieden. Nie wieder Machtpolitik, nie wieder Nationalismus, nie wieder Hochmut und nie wieder Rassismus in Europa - das ist die geschichtliche Perspektive, in der wir heute unsere Debatte zur deutsch-tschechischen Aussöhnungserklärung führen. Diese Debatte betrifft unsere grundlegende außenpolitische Weichenstellung seit dem Kriegsende, unser Selbstverständnis für ein europäisches Deutschland.
Unsere Außenpolitik der Vernunft und der Verantwortung steht auf einem breiten, überparteilichen Fundament, und ich bin sicher, daß diese Debatte und die anschließende Abstimmung dies bekräftigen werden. Ich bin auch sicher, daß wir dadurch ein neues Vertrauenssignal nach Europa aussenden. Das ist ganz wichtig in der jetzigen Phase, in der die Weichen für das Europa des 21. Jahrhunderts gestellt werden.
Seit dem Fall der Mauer bemüht sich Deutschland in ganz besonderer Weise, das Zusammenwachsen Europas voranzutreiben. Die Menschen in Tschechien, in Polen, in Ungarn, in den baltischen Staaten und in allen anderen mittel- und osteuropäischen Umbruchländern sehnen sich danach, dem einen und ganzen Europa zuzugehören. Sie schauen dabei natürlich in besonderer Weise auf Deutschland, und sie bauen in besonderer Weise auf unser Engagement. Das kann ja auch gar nicht anders sein. Diese Hoffnungen dürfen und werden wir nicht enttäuschen.
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Das gilt in ganz besonderem Maße natürlich auch
gegenüber unseren tschechischen Nachbarn. Für uns muß das Herz Europas am Wenzelsplatz genauso schlagen wie in Berlin, Brüssel oder Paris.
Die Deutsch-Tschechische Erklärung ist kein Schlußstrich, aber sie ist ein Schlußeckstein in unserer Politik der Aussöhnung nach Westen wie nach Osten. Sie vollendet das Werk, das Männer wie Konrad Adenauer, Willy Brandt und Walter Scheel begonnen haben und das Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher über viele Jahre entschlossen fortführten. Diese Politik hat uns die Rückkehr in die Völkergemeinschaft und schließlich die Wiedervereinigung gebracht.
Es ist schon angesprochen worden: Wir sind zum erstenmal in unserer Geschichte nur noch von Freunden umgeben. Das ist ein ganz wertvolles Gut, das gehegt und gepflegt werden muß.
Wir werden natürlich nicht vergessen - es ist notwendig, daß wir das nach draußen betonen -, wie und wo unsere Partner und Freunde uns geholfen haben: bei der Rückkehr in die Völkergemeinschaft nach 1945, bei der Errichtung von Rechtsstaat und marktwirtschaftlichen Strukturen und letztlich auch bei der Wiedervereinigung. Wir werden das nicht vergessen. Das verpflichtet uns auch in ganz besonderer Weise.
Unsere Freundschaft zu den Vereinigten Staaten wird zu Recht als ein ungeschriebener Verfassungsgrundsatz bezeichnet. Und es ist ja fast symbolisch, daß die neue amerikanische Außenministerin, Madeleine Albright, in der Tschechischen Republik geboren ist. Wir freuen uns, daß sie in Kürze zu ihrem ersten Besuch in die Bundesrepublik kommen wird.
Die Versöhnung und Freundschaft mit Frankreich wurde von de Gaulle „das eigentliche Nachkriegswunder" genannt. Wahrlich kein geringeres Wunder ist nach all dem Schrecklichen, was geschehen ist, unser besonderes Verhältnis zu Israel. Die in den 70er Jahren begonnene Aussöhnung mit unseren östlichen Nachbarn wurde nach dem Fall der Mauer mit den demokratischen Regierungen auf eine neue Grundlage gestellt, so auch im Verhältnis zu Prag durch den Nachbarschaftsvertrag von 1992. Er war in unseren bilateralen Beziehungen bereits ein wichtiger Schritt nach vorne. Wir waren damals aber noch nicht so weit, daß das Unrecht der Vergangenheit wirklich beim Namen genannt werden konnte.
Die Deutsch-Tschechische Erklärung, die Dienstag vor einer Woche in Prag unterzeichnet wurde, spricht hier zum ersten Mal eine deutliche und unzweideutige Sprache. Was dem tschechischen Volk durch die Verbrechen des Nationalsozialismus angetan wurde und was den Sudetendeutschen durch Vertreibung, Enteignung, Ausbürgerung und kollektiver Schuldzuweisung angetan wurde, wird in der Erklärung offen und ehrlich als Unrecht angesprochen und bedauert.
Dieses klare Wort zur Vergangenheit zusammen mit unserem Beitrag für die Opfer des Nationalsozialismus und vor allem der politische Wille, mit den aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen in einer Weise umzugehen, daß sie unsere zukünftigen Beziehungen nicht belasten, sind die wichtigen, über den Nachbarschaftsvertrag von 1992 hinausgehenden Elemente der Erklärung.
Zugleich ist unsere Rechtsposition deutlich gewahrt, wobei jede Seite respektiert, daß die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Damit ist die Erklärung in unserer Politik der Aussöhnung und der guten Nachbarschaft und Freundschaft in Europa der abschließende, wahrlich nicht leicht gewesene Baustein.
Über die Erklärung ist fast zwei Jahre lang verhandelt worden. Es war manch schwierige Situation zu meistern. Das Ergebnis lohnt die Anstrengung - so sieht es jedenfalls die Mehrheit der Bürger in beiden Ländern, so sehen es unsere Partner und Freunde und unsere anderen Nachbarn in Europa, die diese Erklärung ausdrücklich begrüßt haben, die Europäische Union genauso wie die amerikanische Regierung, Österreich genauso wie Frankreich. Ich finde, das ist bemerkenswert, und möchte für diese Solidaritätserklärungen ausdrücklich danken.
Die Bundesregierung, der Deutsche Bundestag, wir Deutschen reichen heute unseren tschechischen Nachbarn die Hand in Vertrauen, Freundschaft und der Zuversicht, in eine gute gemeinsame europäische Zukunft zu gehen. Ich bin zuversichtlich, daß auch das tschechische Parlament mehrheitlich in diesem Sinne entscheiden wird. Was jetzt erreicht wurde - das sage ich mit großem Nachdruck -, ist auch im tschechischen Interesse.
Meine Damen und Herren, in dieser Erklärung gehen beide Seiten ein wichtiges Stück aufeinander zu - ein Bewußtsein, das heilen kann, was an Wunden noch immer schmerzt. Für manche auf der tschechischen Seite und für viele Sudentendeutschen ist es schwer oder nicht möglich, diesen Schritt mit zu vollziehen.
Gerade ich als derjenige, der die Gespräche mit den Sudentendeutschen geführt hat, verstehe das. Ich will deutlich und klar sagen, daß ich in den Gesprächen, die manchmal sehr schwierig waren, verstanden habe, daß nicht zu allem Zustimmung kommen konnte. Ich hätte mir, um es deutlich zu sagen, manches auch anders vorstellen können.
Ich habe großes Verständis dafür, daß vieles noch weh tut. Besonders bei der Kriegsgeneration ist noch viel an Bitterkeit und Ängsten vorhanden. Wenn ich heute auch diese Bürgerinnen und Bürger in der Tschechischen Republik sowie die Sudetendeutschen um Verständnis und Zustimmung bitte, dann tue ich das unter Achtung der jeweiligen Gefühle.
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Wer von Gewalt, Unrecht und Vertreibung betroffen war, verdient Mitgefühl und nicht Kritik.
Wir wollen mit dieser Erklärung der geschichtlichen Wahrheit ins Auge schauen. Wir wollen nicht vergessen oder verdrängen. Daß dies nicht ganz so einfach ist, hat die Diskussion über die einzelnen Passagen der Erklärung gezeigt.
Daß über die Vertreibung bei unseren tschechischen Nachbarn nach langen Jahren des Verdrängens - das muß man so deutlich sagen - jetzt aber offen diskutiert wird, ist ganz wichtig. Wenn sich heute beide Seiten unmißverständlich zum Recht als Grundlage ihrer Beziehungen bekennen, heißt das auch, daß sie darin übereinstimmen, daß sich Verfolgung und Vertreibung nie mehr wiederholen dürfen.
Wir wissen, daß man Geschichte nicht rückgängig machen kann. Wer das versuchen würde, reißt neue Wunden auf. Aber der Blick muß 50 Jahre nach Kriegsende endgültig nach vorne gerichtet werden.
Ich möchte heute zunächst besonders all diejenigen auf tschechischer Seite hervorheben, die seit Jahren für eine neue Politik gegenüber Deutschland eintreten: ehemalige Bürgerrechtler und Europäer wie Präsident Václav Havel, Pavel Kohout oder Jiri Dienstbier. Ohne ihr großes persönliches Beispiel wäre der jetzige Schritt nicht möglich gewesen.
Ich möchte auch Premierminister Klaus und meinem Kollegen Zieleniec, der sich ungeheuer stark eingesetzt hat, für ihr Engagement danken. Selbstverständlich danke auch ich den beiden direkten Unterhändlern Vondra und Hartmann.
Im übrigen haben viele in diesem Haus mitgeholfen. Herr Bundeskanzler, auch ich danke Ihnen - so wie das vorhin Frau Vollmer getan hat -, daß Sie sich jetzt ganz klar hinter die Notwendigkeit der Aussöhnung mit der Tschechischen Republik, mit den dort lebenden Menschen stellen.
Ich möchte stellvertretend für einige das besondere Engagement der Kollegen Lamers, Verheugen und das von Frau Vollmer erwähnen, weil das, was von ihnen kam, hilfreich war. Ich wiederhole, was Herr Gerhardt vorhin gesagt hat: Ich bitte, zu verstehen, daß ich meiner Fraktion in besonderer Weise danke, daß sie mich in den schwierigen Monaten der Verhandlungen uneingeschränkt unterstützt hat.
Ein ganz besonderes Wort der Achtung und des Respekts geht an die Sudetendeutschen. Es fällt mir überhaupt nicht schwer, das zu sagen - im Gegenteil. Die überwältigende Mehrheit unter ihnen war von Anfang an zur Versöhnung bereit. Sie haben viel Gutes bewegt, vor allem auch im Stillen: von unzähligen Begegnungen der Menschen über Ferienlager tschechischer Kinder beim Sozialwerk der Sudetendeutschen Landsmannschaft bis hin zur Versöhnungsbibliothek in Reichenberg. All dies stand zwangsläufig nicht im Rampenlicht. Um so wichtiger ist es an
einem solchen Tag wie heute, es zu erwähnen und dafür zu danken.
Wir wissen - ich weiß es ganz besonders aus den vielen Gesprächen mit den Sudetendeutschen -, wie sehr sie an ihrer alten Heimat hängen.
Beim Niederlassungsrecht hat die Assoziierung Prags an die Europäische Union bereits Fortschritte gebracht. Die künftige Mitgliedschaft unserer beiden Länder in der Europäischen Union wird die Freizügigkeit und damit das Recht, in dem jeweils anderen Land zu leben, möglich machen.
Die Erklärung wird es jetzt schon möglich machen, daß bei Anträgen auf Daueraufenthalt humanitäre und andere Belange, insbesondere eben verwandtschaftliche Beziehungen, familiäre und weitere Bindungen, berücksichtigt werden. Das ist für die Betroffenen eine ganz wichtige Vereinbarung.
Übrigens sind mehr und mehr Tschechen bereit - das ist sehr erfreulich -, das Engagement der Sudetendeutschen anzuerkennen. Ich bitte ganz besonders die Sudetendeutschen und die deutsche Minderheit in Tschechien, ihr bisheriges konstruktives Wirken mit dem gleichen Engagement fortzusetzen, und ich bitte unsere tschechischen Nachbarn in besonderer Weise, jetzt auf die Sudetendeutschen zuzugehen.
Mein Kollege Zieleniec sagte neulich: Wir haben zu lange übereinander geredet; jetzt machen wir einen Doppelpunkt, und danach beginnt die direkte Rede. Das ist der Geist, den wir brauchen. Ich füge hinzu - das habe ich auch in den Gesprächen am 20. Dezember und jetzt am Rande der Unterzeichnung in Prag gesagt -: Davon darf niemand ausgesperrt sein.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, daß diese Erklärung versöhnende Wirkung entfalten wird. Dazu müssen wir aber natürlich gelebte Nachbarschaft praktizieren. Ich selber will mich für dieses Ziel mit der gleichen Energie wie für die Erklärung einsetzen. Wir müssen und werden alles dafür tun, daß das, was über den Rhein hinweg mit Frankreich und über die Oder hinweg mit Polen gelang, auch über Böhmerwald und Erzgebirge hinweg wahr wird: gute, freundschaftliche Zusammenarbeit. Das Weimarer Dreieck, die Partnerschaft zwischen Deutschen, Franzosen und Polen, ist zu einem festen Pfeiler des europäischen Neuanfangs geworden. Auch das Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen kann und muß zu einem solchen tragenden Pfeiler werden.
Es gab viele tragische, ja sogar furchtbare Augenblicke in dem tausendjährigen Drama der Tschechen und der Deutschen, wie es Václav Havel einmal sagte. Aber es gab eben auch viele Glanzlichter einer
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
gemeinsamen Kultur im Herzen Europas, getragen von Deutschen, von Tschechen und Juden. Daran sollten wir wieder anknüpfen. Ich bin überzeugt, daß uns das gelingen wird.
Dafür, daß Tschechen und Deutsche über ihre gemeinsame, 800 Kilometer lange Grenze hinweg endlich wieder ganz normale Nachbarn werden, liegen doch auch die besten Voraussetzungen vor. Wir sind für Prag der wichtigste Wirtschaftspartner; ein Drittel der Investitionen in der Tschechischen Republik kommt aus Deutschland. Millionen deutscher Touristen besuchen jedes Jahr Prag. Ich habe es noch einmal nachprüfen lassen: Es sind Millionen von Touristen. Vergessen wir nicht: Unsere Soldaten sichern gemeinsam den Frieden in Bosnien. Die Euregios Eger, Elbe, Böhmerwald, Neiße sind auf gutem Weg. Bayern und Sachsen und ihre tschechischen Nachbarn leisten viel. Das Festival des deutschen Theaters in Prag war ein großes Ereignis. Die Nachfrage nach Deutschunterricht ist enorm.
Wir haben viel erreicht; noch mehr ist möglich. Ich habe den tschechischen Außenminister mit seiner Frau eingeladen, an einem der nächsten Wochenenden zusammenzutreffen - auf seinen Wunsch wird das zunächst an der Grenze nach Sachsen stattfinden, danach an der Grenze nach Bayern -, um ganz bewußt dort gemeinsame Initiativen zu beraten.
Unser Ziel muß das alte europäische Miteinander sein, von dem Botschafter Jiři Gruša sprach. Der Zukunftsfonds wird eine wichtige Rolle spielen für Partnerschaftsprojekte, Wissenschaftsbegegnungen, für die Verbreitung der Sprachen, die Pflege von Baudenkmälern und Gräbern. Die Vorbereitungen für den gemeinsamen Fonds laufen. In diese Projekte müssen die Sudetendeutschen einbezogen werden. Das haben wir von der anderen Seite nicht nur zu erwarten. Vielmehr gehen wir davon aus, daß sie das auch von sich aus will. Dasselbe gilt übrigens auch für das deutsch-tschechische Gesprächsforum. Umweltfragen bedrücken uns; sie müssen wir aufgreifen.
Besonders wichtig aber ist, daß die Jugend zusammenkommt. Deshalb haben wir die Mittel für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch erhöht.
Am 20. Dezember, als ich in Prag mit meinem Kollegen Zieleniec das Protokoll zur gemeinsamen Erklärung unterzeichnete, habe ich zusammen mit ihm ein Gymnasium besucht, dessen Schüler deutsches und tschechisches Abitur machen. Diese Schule ist ein Vorbild für Partnerschaft, Schüleraustausch und Klassenfahrten nach Deutschland. Ich habe die Abiturklasse eingeladen. Ich habe das Gefühl, wir brauchen mehr solcher Schulen.
Die Zahl der Jugendlichen, die an einem Austausch teilnehmen, steigt jährlich an. Die vereinbarten Koordinierungsbüros in Regensburg und Pilsen müssen ihre Arbeit aufnehmen. Das Jugendtreffen in Polička im September unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Herzog und Präsident Havel
war ein großer Erfolg, an dem wir in diesem Jahr anknüpfen wollen.
Bei diesem Treffen haben - das finde ich besonders bemerkenswert - tschechische und deutsche Jugendliche auf die Frage „Was trennt euch?" geantwortet: „Nichts." Gibt es ein hoffnungsvolleres Zeichen?
Auch von dem Zukunftsfonds wird besonders die Jugend profitieren.
Aber was ganz wichtig und entscheidend ist: Bald werden Tschechen und Deutsche im europäischen Haus noch enger zusammen sein. Prag gehört mit zu den ersten Kandidaten, die in die Europäische Union und in die NATO aufgenommen werden.
Wir haben den Freiheitswillen der Tschechen nicht vergessen, der mit zur Wiedervereinigung geführt hat. Wir haben nicht vergessen, daß für Tausende von Deutschen Prag das Tor zur Freiheit war. Am 30. September 1989 überbrachte Hans-Dietrich Genscher vom Balkon unserer Prager Botschaft unseren ostdeutschen Landsleuten die ersehnte Nachricht: Der Weg in die Freiheit ist offen. Wir haben das alles nicht vergessen.
Seit über 1 000 Jahren ist das Schicksal der Deutschen und Tschechen im Guten wie im Bösen eng verknüpft. Drei Jahre vor dem Eintritt in ein neues Jahrtausend haben wir nun ein neues Kapitel dieser Geschichte aufgeschlagen. Präsident Havel hat seine große Rede an der Karlsuniversität mit einem ganz persönlichen Bekenntnis seines Optimismus beendet.
Ich bin persönlich überzeugt, daß Deutsche und Tschechen am Beginn einer neuen, besseren Ära stehen. Der Bau eines friedlichen, freien und geeinten Europas ist für beide Völker die große Chance. Das ist ein Jahrhundertgeschenk, wie es sich Generationen vor uns nicht hätten träumen lassen. Wir werden sie gemeinsam wahrnehmen für unsere Bürger in Deutschland, in Tschechien und für eine gemeinsame Zukunft in Europa.
Das Wort hat der Kollege Günter Verheugen, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die DeutschTschechische Erklärung, über die wir heute sprechen, ist bereits in Kraft getreten. Sie gilt seit der Unterzeichnung durch die Regierungschefs und die Außenminister am 21. Januar. Die Zustimmung der beiden Parlamente ist keine völkerrechtlich vorgeschriebene Ratifizierung, sondern ein politischer Akt, der die Verbindlichkeit des Dokumentes erhöhen und ihm einen besonderen, herausgehobenen Rang verleihen soll.
Das ist auch notwendig; denn diese Erklärung, so jung sie ist, hat ja schon eine bewegte Geschichte.
Günter Verheugen
Die beiden Verträge, die dieser Erklärung vorangegangen sind, der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der CSSR von 1973 - bezeichnenderweise der letzte in der Reihe der damaligen Ost-Verträge - und der Vertrag von 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik, haben zu ihrer Zeit das geregelt, was geregelt werden konnte. Das war viel, aber eben nicht alles.
Schwierige, die Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten belastende, manchmal sogar vergiftende Streitfragen blieben ausgeklammert. Vielleicht hätten wir uns über die Zeit und in die gemeinsame Zukunft in der Europäischen Union retten können, wenn der Vertrag von 1992 mit mehr Leben erfüllt worden wäre; vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls ist in den letzten Jahren immer klarer geworden, daß wir die offenen Probleme der gemeinsamen Vergangenheit nicht in das gemeinsame Europa mit hinüberschleppen können.
Meine Fraktion hat deshalb die Initiative des tschechischen Präsidenten Havel von Anfang an unterstützt und sich bei vielen Gelegenheiten im Bundestag dafür ausgesprochen, noch einmal den Versuch zu machen, ein neues auf dem Mut zur Wahrheit über die Vergangenheit und zur Verantwortung für die Zukunft beruhendes Kapitel der deutsch-tschechischen Beziehungen zu beginnen.
In diesem Zusammenhang ist dann auf tschechischer Seite das Wort vom Schlußstrich gefallen. Ich habe das nie so verstanden, als sei damit ein Schlußstrich unter die Geschichte gemeint. Das wäre sehr verwegen. Ich habe es so verstanden, daß wir mit Vorwürfen und Gegenvorwürfen, einseitigen Schuldzuweisungen und diesem unfruchtbaren Teufelskreis von Forderungen und Gegenforderungen Schluß machen wollen.
In einem solchen Sinne ist ein Schlußstrich möglich und - wie das Beispiel Polen zeigt - schon vorbildlich und modellhaft vorgeführt worden. Eine gemeinsame Geschichte, die in diesem Jahrhundert Leidensgeschichte war, für eine Politik der guten Nachbarschaft fruchtbar zu machen ist aber wohl nur möglich, wenn man sich dieser Geschichte wirklich stellt. Das tut die gemeinsame Erklärung. Darum kann nicht überraschen, daß sie auf beiden Seiten nicht ohne Schmerzen zustande kam.
Ich habe in den letzten Monaten viele Briefe bekommen und viele Gespräche mit Deutschen und mit Tschechen geführt, für die der Begriff Leidensgeschichte keine Historikerformel, sondern persönliches, oft traumatisches Erleben war. Ich habe Schilderungen von Greueltaten gehört und gelesen, die mir wirklich das Herz zusammengekrampft haben und keine Antwort auf die Frage finden können, wie Menschen Menschen so etwas antun konnten. Natürlich können wir viele historische Faktoren benennen - auch solche, die weiter als 1938 zurückreichen -, mit denen sich Voraussetzungen und Bedingungen erklären lassen. Aber das entschuldigt nichts.
Wir stoßen hier an eine Grenze, die uns am Ende zum Verstummen zwingt. Wir können kein Unrecht ungeschehen machen. Nichts wird durch Beharren auf Rechtsstandpunkten besser. Der Versuch einer juristischen Aufarbeitung kann nur scheitern. Um jeden Preis recht behalten zu wollen läßt uns nur in den alten Schützengräben verharren.
Manchen Sudetendeutschen - beileibe nicht allen - habe ich sagen müssen, daß ihr eigenes Leid und das Unrecht, das ihnen zugefügt wurde, in einem Zusammenhang von Ursache und Wirkung steht, vor dem sie selbst die Augen fest verschlossen hatten. In der Erklärung ist dieser Zusammenhang in einer für Deutschland sehr schonenden Form dargestellt. Aber er ist immerhin nicht verschwiegen.
Ich möchte doch glauben, daß die damalige Tschechoslowakei eine Überlebenschance als Mehrvölkerstaat hatte, wenn die nationalsozialistische Machtpolitik diese Chance nicht niedergewalzt hätte. Insofern hat diese nationalsozialistische Machtpolitik mehr als nur zum späteren Unrecht der Vertreibung beigetragen.
Ich weiß, daß die große Mehrheit der Sudetendeutschen ernsthaft Freundschaft und Versöhnung mit unseren tschechischen Nachbarn wünscht. Die Sudetendeutschen sind keine Revanchisten. Es wird in der Tat sehr darauf ankommen, wie sie in die Begegnungs- und Dialogmöglichkeiten einbezogen werden, die die gemeinsame Erklärung eröffnet. Wir wollen aus diesem Dialog niemanden ausgrenzen, gerade auch die Erlebnisgeneration auf beiden Seiten nicht.
Ich habe gestern Volkmar Gabert - bis vor wenigen Wochen geschäftsführender Vorsitzender und heute Präsidiumsmitglied des Sudetendeutschen Rates - gebeten, mich beim nächsten Besuch in Prag zu begleiten. Ich möchte ihn zu den Gesprächen mit der Regierung, mit dem Parlament und den Parteien mitnehmen. Ich glaube nicht, daß Türen, die bisher immer offen waren, dann verschlossen sein werden.
Bei der Gelegenheit sollte dann auch darüber gesprochen werden, daß wir doch noch einmal überlegen müssen, ob in der Frage der Opferentschädigung der Zukunftsfonds nicht wenigstens in individuellen Härtefällen auf beiden Seiten - tschechischer und deutscher Seite - zur Hilfe benutzt werden kann. Es gibt schreckliche Einzelschicksale. Ich könnte sie Ihnen vorführen, Menschen, denen nicht geholfen worden ist, weil sie in irgendwelche Gesetzeslücken gefallen sind. Ich plädiere hier sehr dafür, daß wir an dieser Stelle mit dem Zukunftsfonds großzügig verfahren.
Ich glaube nicht, daß die juristisch offene, politisch aber nicht mehr aufrufbare Vermögensfrage wirklich ein so zentrales Hindernis für die Entwicklung der Beziehungen ist. Vielleicht ist es naiv; aber ich bin
Günter Verheugen
fest davon überzeugt, daß enge persönliche Kontakte und Bindungen das beste Mittel sein werden, unseren tschechischen Nachbarn die Angst zu nehmen, es könnte jemals der Versuch unternommen werden, altes Unrecht durch neues Unrecht zu ersetzen.
Der Bundeskanzler war an dieser Stelle in Prag leider nicht sensibel genug. Herr Bundeskanzler, dem juristisch korrekten Hinweis, daß die Vermögensfragen offenbleiben, hätte der Hinweis folgen müssen, daß die vorliegende Erklärung der Regierung jedenfalls politisch nicht mehr erlaubt, solche Ansprüche tatsächlich zu stellen. Ich bin dagegen, den Sudetendeutschen an dieser Stelle Sand in die Augen zu streuen. Wer den Mut zu dieser Erklärung hat, muß auch den Mut haben, zu sagen, was sie tatsächlich bedeutet.
Lassen Sie mich etwas zum Stichwort Sensibilität sagen. Auf der hohen Ebene der internationalen Politik, wo Staaten mit Staaten verkehren, lassen sich natürlich Erklärungen zustande bringen, die von der Einsicht in das Notwendige und Mögliche getragen sind. Aber solche Erklärungen sind nur Papier und nicht mehr wert als Papier, wenn die betroffenen Menschen sie nicht mit Leben erfüllen. Deshalb sollte keiner von uns in Prag auf dem hohen Roß des großen und starken Nachbarn einreiten. Die Tschechische Republik ist für uns ein kleiner Nachbar. Aber wir sind für die Tschechen der große, von vielen als übermächtig empfundene Nachbar.
In der Tschechischen Republik haben die Menschen feinere Ohren als wir in Deutschland, was die Töne im deutsch-tschechischen Verhältnis angeht. Sie sind empfindlicher und deshalb auch leicht verletzlich. Eine fordernde, ja herausfordernde Sprache, wie sie von manchen bis in die jüngste Zeit hinein geführt worden ist, richtet schlimme Verwüstungen an. Wer so daherredet, die Tschechen müßten sich erst einmal dafür entschuldigen, was sie getan hätten, der sollte vielleicht erst einmal seine Argumente in der Diskussion mit tschechischen Widerstandskämpfern erproben. Ich habe das vor wenigen Tagen tun müssen. Glauben Sie mir: Es ist nicht einfach, tschechischen KZ-Opfern verständlich zu machen, warum sich das tschechische Volk beim deutschen Volk entschuldigen soll.
Meine Damen und Herren, der gemeinsam eingebrachte Antrag, wonach der Deutsche Bundestag der Deutsch-Tschechischen Erklärung zustimmen soll, drückt das aus, was alle Fraktionen des Bundestages wollen; das ist der gemeinsame Nenner, von dem ich hoffe, daß er zu einer sehr breiten Mehrheit führt. Für die Beratungen im tschechischen Parlament wird sehr wichtig sein, wie breit die Zustimmung zu dieser Erklärung im Deutschen Bundestag ausfallen wird.
Vor diesem Hintergrund werden vielleicht manche Kolleginnen und Kollegen nicht ganz verstehen, warum wir trotzdem in die Lage gekommen sind, eine kontroverse Abstimmung durchführen zu müssen. Ich versuche, Ihnen das zu erklären, und bitte Sie, im Gedächtnis zu behalten, was ich zum psychologischen Problem des Umgangs des größeren mit dem kleineren Nachbarn schon gesagt habe.
Die Deutsch-Tschechische Erklärung ist von Anfang an ein politischer Prozeß gewesen, an dem die SPD operativ beteiligt war. In der ersten Phase bis zur tschechischen Parlamentswahl im vergangenen Juni ging es darum, in der Tschechischen Republik ein innenpolitisches Klima zu fördern, das den Regierungen das schwierige Verhandlungsgeschäft überhaupt erst ermöglicht hat.
Die SPD hatte die Aufgabe übernommen, ihre tschechische Schwesterpartei, eine sozialdemokratische Partei - übrigens mit alter und stolzer Geschichte -, von Anfang an in die Bemühungen um die Erklärung einzubinden und somit zu verhindern, daß die deutsch-tschechische Frage in Wahlkampfmunition umgemünzt wurde. Der tschechische Außenminister hat mir mehr als einmal bestätigt, daß er ohne diese Sicherheit nicht hätte verhandeln können. Die CSSD, die tschechische Sozialdemokratie, hat das getan, was als europäische Verantwortung von ihr erwartet werden durfte, aber damit womöglich auf die paar Prozente verzichtet, die am Ende zum vollständigen Wahlsieg gefehlt haben.
In der zweiten Phase, nach der tschechischen Wahl, die bekanntlich zu einer Minderheitsregierung in Prag geführt hat, wurde die Aufgabe noch schwieriger. Jetzt geht es darum, eine möglichst breite Mehrheit im tschechischen Parlament zu erreichen. Diese Mehrheit ist ohne die CSSD nicht möglich. Ich brauche hier nicht in Einzelheiten zu gehen. Es mag die Feststellung genügen, daß ursprünglicher Widerstand in der Sache aufgegeben wurde und dafür einige Zugeständnisse im Verfahren erwartet wurden. Es ging dabei im wesentlichen um die Rolle der Parlamente im Entscheidungsprozeß, die sich die tschechische Seite sichtbarer wünscht.
Mit dem Änderungsantrag versucht meine Fraktion, den tschechischen Wunsch zu erfüllen, daß die Parlamente mehr tun, als nur ja und amen zu sagen. Hören Sie jetzt bitte genau zu: Dieser Antrag als gemeinsamer Beschlußvorschlag für beide Parlamente würde mit Sicherheit die erwünschte breite Mehrheit in Prag garantieren. Wir vergeben uns mit diesem Text nichts; denn alles, was darin steht, steht auch in der Erklärung selbst. Die Hervorhebung des Punktes, der den eigentlichen politischen Durchbruch der Erklärung darstellt, ist in unseren Augen logisch und richtig.
Es geht hier also nicht um etwas, was wir im Deutschen Bundestag unbedingt brauchen. Es geht darum, unseren tschechischen Freunden eine Arbeit, die für sie unendlich viel mühevoller ist als für uns, etwas zu erleichtern.
Kollege Schäuble ist auf dieses Thema bereits eingegangen. Er hat dazu etwas Wichtiges gesagt. Herr Kollege Schäuble, ich muß Ihnen widersprechen; Sie unterliegen einem Irrtum in der Beurteilung. Es ist nicht so, daß der einfache Satz, den wir beschließen wollen, das Beste ist. Er wäre dann das Beste, wenn
Günter Verheugen
im tschechischen Parlament auch nur dieser eine Satz beschlossen würde. Das wird aber nicht geschehen. Wenn Sie unserem Antrag heute nicht folgen, dann öffnen Sie dem tschechischen Parlament genau die Tür, die viele von uns in den letzten Monaten verzweifelt bemüht waren zuzuhalten, nämlich die Tür zu einer Beschlußfassung, die eine Interpretation bedeuten wird, die von dem abweicht, was die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag unter dieser Erklärung verstehen.
Sie haben es heute in der Hand, dies noch zu verhindern. Ich sage das wirklich mit allem Ernst. Sie müssen den Preis kennen, den Sie bereit sind zu zahlen, wenn Sie auf unseren Vorschlag nicht eingehen wollen. Der Preis ist, daß nicht Verständigung, sondern neuer Dissens beginnen kann.
Ich möchte betonen, daß während des gesamten von mir geschilderten Prozesses eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit beiden Außenministern bestanden hat, für die ich dankbar bin. Es ist nichts hinter dem Rücken der beiden Regierungen geschehen. Nichts.
Unsere tschechischen sozial-demokratischen
Freunde, zu denen noch viele gehören, die im Widerstand gegen das NS-Unrecht gestanden haben, haben unseren tiefen Respekt. Ich weiß, sie werden das Richtige tun.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat das getan, was ihr möglich war. Den letzten Schritt können wir nur gemeinsam tun. Es wäre ein erster Schritt im Geiste der Erklärung, der wir heute zustimmen wollen.
Für die deutsche Sozialdemokratie vollendet sich mit der Annahme dieser Erklärung eine Politik, für die vor allem der Name Willy Brandt steht. Schon deshalb können wir in dieser Stunde nicht kalt oder geschäftsmäßig sein. Für uns ist dies eine bewegende Stunde. Sie gemahnt an den unvergeßlichen Satz aus der ersten Regierungserklärung Willy Brandts: „Wir wollen ein Volk von guten Nachbarn sein, nach innen und nach außen." Es hat viel mit den politischen Konsequenzen aus dieser Haltung zu tun, daß uns in dieser Woche der Präsident eines frei gewählten tschechischen Parlamentes besuchen konnte.
In der Erklärung wird das Wort Versöhnung gebraucht. Ich selber zögere, das zu tun. Es ist ein großes Wort und ein hoher Anspruch. Das Wort rechtfertigt sich nicht aus sich selbst heraus. Es kann nur durch das gerechtfertigt werden, was wir als Deutsche und als Tschechen, und zwar als einzelne Menschen, in Zukunft wirklich tun.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Theo Waigel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Entscheidung, ja oder nein zur Deutsch-Tschechischen Erklärung zu sagen, ist mir und meinen Kollegen aus der CSU-Landesgruppe nicht leichtgefallen. Die überwiegende Mehrzahl der CSU-Abgeordneten wird der Erklärung heute zustimmen. Damit gehen wir nicht über die schwerwiegenden Bedenken hinweg, die mir, dem Bayerischen Ministerpräsidenten, dem Kollegen Michael Glos und dem Fraktionsvorsitzenden der CSU im Bayerischen Landtag, Alois Glück, in vielen intensiven Gesprächen von seiten der Sudetendeutschen vorgetragen wurden.
Die Deutsch-Tschechische Erklärung ist kein Schlußstrich. Sie ist weder Wende noch Abschluß in den deutsch-tschechischen Beziehungen und im Verhältnis der Völker. Sie ist ein wichtiger Mosaikstein im Prozeß der Annäherung und Versöhnung. Der Text spiegelt wider, was heute an Aufarbeitung der Geschichte möglich ist. Er zeigt die Fortschritte, die im beiderseitigen Verhältnis seit der „samtenen Revolution" 1989 möglich waren, wirft aber auch ein Schlaglicht auf das, was auf dem Weg zu gegenseitigem Verstehen und Vertrauen noch zu leisten ist.
Wir wollen die Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen weiter begleiten und mitgestalten. Wir wollen die Tschechische Republik in nicht allzu ferner Zukunft als Partner in der Europäischen Union und in der NATO sehen. Wir wollen diese Entwicklungen nutzen, unsere Vorstellungen und die berechtigten Anliegen unserer sudetendeutschen Mitbürger einzubringen und zu vertreten.
Deshalb sagen wir ja zu diesem Zwischenschritt - getreu dem Kerngedanken der Verantwortungsethik, die Folgen von Tun und Unterlassen zu bedenken.
Wir respektieren jeden - und erwarten diesen Respekt von allen Angehörigen des Hauses -, der der Erklärung nicht zustimmen kann. Das Leid und das Unrecht, das den Sudetendeutschen angetan wurde, hat tiefe und schmerzende Wunden hinterlassen, besonders bei den Betroffenen und deren Angehörigen. Wer angesichts dessen die Schritte, die die tschechische Seite auf die Sudetendeutschen zuzugehen bereit war, als nicht weitreichend genug ansieht, darf für diese Haltung nicht kritisiert werden.
Für die gesamte CSU gilt: Gutnachbarliche Beziehungen Deutschlands zu seinen Nachbarn in Mittel- und Osteuropa sind zentrales Anliegen unserer Politik.
Menschliche Begegnungen, wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit sowie das ehrliche Bemühen um Aussöhnung und Vergebung tragen zum Bau eines neuen Europa bei.
Unsere sudetendeutschen Landsleute spielen in diesem Prozeß eine positive Rolle. In den vergangenen Jahren haben sie hunderttausendfach Brücken der Verständigung zu unseren tschechischen Nachbarn geschlagen. Sie haben menschliche Kontakte zu Tschechen und Angehörigen der in Tschechien
Dr. Theodor Waigel
verbliebenen deutschen Volksgruppe geknüpft. Bürgerhäuser, Denkmäler und Friedhöfe werden mit ihrer Hilfe erhalten. Sie bauen Dorfkirchen in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien wieder auf. Kinder und Enkel der Vertriebenen werden dort wieder getraut und getauft.
Von diesem Engagement der Sudetendeutschen zugunsten der Heimat profitiert auch die Tschechische Republik in vielfältiger Hinsicht.
Deshalb erneuere ich meine Bitte an die tschechische Seite: Suchen Sie das Gespräch mit den Repräsentanten der Sudetendeutschen!
Dabei darf nicht auf die Einrichtung des deutschtschechischen Gesprächsforums gewartet werden. Es ist hohe Zeit für einen Dialog zwischen der Tschechischen Republik und den ehemaligen Staatsbürgern.
Die Kirchen bieten in den nächsten Tagen in Franzensbad die Gelegenheit zur Begegnung. Diese Chance sollten beide Seiten zu einer ersten Annäherung nutzen. Dieser Dialog ist vor allem wichtig, um die Belastungen des Verhältnisses zwischen Tschechen und Sudetendeutschen aus deren gemeinsamer Vergangenheit in diesem Jahrhundert aufzuarbeiten.
Wir sind uns alle der deutschen Schuld bewußt. Auf den Tag genau vor 64 Jahren versank Deutschland mit der Machtergreifung Hitlers in einem Strudel von Verbrechen und Barbarei, der unser Land und unser Volk in die größte Katastrophe seiner Geschichte zog. Die Nationalsozialisten brachten unzählbares und unsagbares Leid über unsere Nachbarvölker. Die Tschechoslowakei war das erste Opfer der aggressiven deutschen Außenpolitik: der Staat zerschlagen und besetzt, das Volk geknechtet.
Die Geschichte kann aber nicht auf die Jahre zwischen 1938 und 1945 verengt werden. Unrecht, das von Deutschen begangen wurde, kann Unrecht nicht rechtfertigen, das Deutschen angetan wurde.
Wer sich in Lidice voll Scham und Trauer der deutschen Greuel erinnert, der muß auch der Opfer des Brünner Todesmarschs oder des Massakers an der Brücke von Aussig mit Trauer und Mitleid gedenken.
Lassen Sie mich aus einem Brief zitieren, den unser Kollege Jonny Klein, dem dieses Anliegen auch ein ganz persönliches war, kurz vor seinem Tod schrieb:
Die Sudetendeutschen sind geschichtserfahren genug, um Verbrechen nicht zu leugnen, sondern zu bekennen und zu bedauern, die im deutschen Namen und von Deutschen begangen wurden. Sie wehren sich aber gegen eine Geschichtsinterpretation, die an den Anfang ausschließlich deutsche Schuld setzt und die Verbrechen an Deutschen rechtfertigt.
In diesem Geist muß der Dialog geführt werden. Die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts der Sudetendeutschen bei Gründung der Tschechoslowakei und deren Minderheitenpolitik, die von Deutschen, Polen und Ungarn als bedrückend empfunden wurde, gehören ebenso zur Geschichte wie das Münchner Abkommen und die maßlose Hetze der Nationalsozialisten im Sudetenland. Es darf nichts verschwiegen und nichts gegeneinander aufgerechnet werden.
Das Schicksal der Tschechen im Sudetenland 1938 kann nicht mit der Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer jahrhundertelangen Heimat verglichen werden. Die Qualen, die Tschechen durch Deutsche erdulden mußten, rechtfertigen nicht die Brutalitäten bei der Vertreibung.
Opfer ist jeder für sich selbst. Die Qual des anderen mildert nicht den eigenen Schmerz.
Die Sudetendeutschen haben schon 1949 in der sogenannten Eichstätter Adventsdeklaration der Vergeltung abgeschworen und auf den Sieg der Gerechtigkeit vertraut. Sie haben sich 1950 in der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen" zu einem friedlichen Ausgleich in einem einigen Europa bekannt.
Die Menschen, die sich zu diesen Grundsätzen bekannten, hatten noch den unmittelbaren Eindruck des Elends und der Not der Vertreibung vor Augen. Sie lebten in Lagern oder fremden Wohnungen und wußten trotz der Hilfsbereitschaft der eingesessenen Bevölkerung nicht, ob ihnen die Integration gelingen würde.
Ich selbst erinnere mich noch an den Tag, an dem ich als kleiner Bub erlebte, wie die Heimatvertriebenen in unser Haus kamen. Ich verdanke ihnen unendlich viel. Ich wäre wahrscheinlich nicht auf die höhere Schule gekommen und hätte wahrscheinlich nicht studieren können ohne deren Einsatz. Vieles in meinem Leben wäre anders verlaufen, wenn nicht in unserem Haus großartige sudetendeutsche Landsleute gelebt hätten.
In der Folge haben sie überall mit ihrer Tüchtigkeit, Erfahrung und ihrem Fleiß blühende Gemeinwesen wie Neugablonz, Geretsried oder Bubenreuth geschaffen, traditionelles Handwerk ihrer Heimat zu neuem wirtschaftlichen Erfolg geführt, ganz entscheidend zum Wiederaufstieg Deutschlands beigetragen und unsere auf Frieden und Ausgleich gerichtete Politik mitgestaltet.
Viele Staaten haben nach dem Zusammenbruch des Sozialismus die ausgestreckte Hand der Versöhnung ergriffen. Der Dialog zwischen den ostdeutschen Landsmannschaften und Polen ist im Gange. Die Slowakei, Ungarn und Rumänien bekennen sich zum Unrecht der Vertreibung oder bedauern den Verlust ihrer deutschen Bevölkerung. Lennart Meri, der Präsident Estlands, erklärte schon 1995: „Das Land der Esten ist auch die Heimat der Deutschbalten. "
Hier liegt allerdings auch ein substantieller Fortschritt in der Deutsch-Tschechischen Erklärung. Es ist gelungen, eine pragmatische Lösung zu finden,
Dr. Theodor Waigel
I die den Sudetendeutschen Wege zu einem Daueraufenthaltsrecht einschließlich der Möglichkeit zum Grunderwerb eröffnet. Wir werden uns dafür einsetzen, diesem ersten Schritt weitere folgen zu lassen. Am Ende dieses Weges sollte die Anerkennung des Rechts auf die Heimat stehen.
Auch in anderen Bereichen enthält die Deutsch-Tschechische Erklärung gute Ansätze. So wird die Vertreibung beim Namen genannt und klar ausgesprochen, daß durch die Vertreibung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde. Vertreibung verstößt immer gegen das Völkerrecht, zu dem sich auch die Tschechische Republik in der Erklärung bekennt. Vertreibung ist Unrecht. Jeder, der von Vertreibung betroffen war, ist in diesem Sinne unschuldiges Opfer.
Ausbürgerung und Enteignung wird als Quelle von Leid und Unrecht gegenüber unschuldigen Menschen anerkannt. Wir begrüßen diese Distanzierung von den Beneš-Dekreten.
In vorher nie gekannter Form bedauert die tschechische Seite den kollektiven Strafcharakter der Vertreibung.
Mit Genugtuung sehen wir, daß sich die Tschechische Republik vom sogenannten Amnestiegesetz vom 8. Mai 1946 distanziert und dessen rechtsstaatswidrigen Kern bloßlegt, der im Klima des Hasses und der Revanche der Nachkriegszeit wurzelt.
Durch die Erklärung werden die nach dem Krieg erlassenen tschechoslowakischen Gesetze, die sich auf die Vertreibung der Sudetendeutschen beziehen, ebensowenig anerkannt wie die auf deren Grundlage ergangene Rechtsprechung.
Die Erklärung berührt weder die Gültigkeit von Verträgen oder individuellen Rechtsansprüchen noch enthält sie eine abschließende Regelung zu den offenen Fragen des deutsch-tschechischen Verhältnisses. Herr Kollege Verheugen, der Bundeskanzler hat in Prag genau das gesagt, was er sagen mußte und durfte - verfassungs- und rechtsgetreu.
Die Vergangenheit kann und soll nicht durch einen Federstrich für erledigt erklärt werden. Unser Blick aber ist nach vorne gerichtet. Der deutsch-tschechische Zukunftsfonds, aus dem Projekte gemeinsamen Interesses finanziert werden, bietet neben der Möglichkeit zur Hilfe für Gewaltopfer vielfache Anknüpfungspunkte für eine Verstärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.
Junge Leute aus Deutschland und Tschechien werden sich im Rahmen des Jugendaustausches kennenlernen und einander verstehen.
Das deutsch-tschechische Gesprächsforum bietet neben dem direkten Dialog zwischen Sudetendeutschen und Tschechen die Möglichkeit, Mißverständnisse und Mißtrauen abzubauen. In all diesen Zukunftsprojekten müssen die Sudetendeutschen einen
ihrer Geschichte und Tradition entsprechenden Platz finden.
Deutschland und Tschechien - das sind Herzländer Mitteleuropas. Kaum einmal hat die Geschichte zwei Länder und Völker so miteinander verwoben und so tief entfremdet.
Der heilige Nepomuk bewacht nicht nur die schicksalsbeladene Karlsbrücke in Prag, sondern steht auch an zahllosen Brücken bei uns.
Die deutschen Kaiser Karl IV. und Rudolf II. haben in Prag residiert und das Verhältnis der Völker teils fruchtbringend, teils tragisch geprägt. Karl der IV. gründete in Prag die erste deutschsprachige Universität.
Franz Kafka hat in Prag gelebt, es geliebt und daran gelitten. Adalbert Stifter beschrieb den Böhmerwald. Balthasar Neumann aus Eger schuf architektonische Meisterwerke für Auftraggeber in Deutschland wie in Böhmen. Seine Kunst gehört ebenso zum Erbe ganz Europas wie die Musik von Dvořák und Smetana. Smetanas großes Werk „Mein Vaterland" vermittelt ein eindringliches Gefühl für die Landschaft Böhmens.
In seinem Buch „Die wunderbaren Jahre", diesem Mikrokosmos gestohlener Jahre für Jugendliche in der früheren DDR, beschreibt Reiner Kunze an einer Stelle, wie er den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei 1968 miterlebt hat und wie erschrocken er war zu erfahren, auch Soldaten der Volksarmee hätten die Grenze überschritten.
Es gibt Vergleiche und Bezüge. Berlin 1953 und Prag 1968: Der Freiheitswille des Volkes wird durch totalitäre Macht unterdrückt. 1933: Deutsche fliehen nach Prag und finden dort Schutz - 1968 und 1977: Tschechische Regimegegner gehen nach München, Berlin oder Hamburg.
Viel bleibt zu tun. Gräben müssen zugeschüttet, Vertrauen aufgebaut werden, damit Wirklichkeit werden kann, was Pavel Kohout bei seiner großen Rede zur Eröffnung der Europäischen Festwochen 1996 in Passau in folgende Worte kleidete:
Wie viele böse Geister auch immer unseren alten Kontinent umkreisen und umwerben mögen, immer wieder und immer mehr setzt sich zur Wehr und gewinnt an Gewicht - Europas guter Geist.
Die CSU und ich persönlich werden unseren Teil dazu beitragen, ebenso wie unsere sudetendeutschen Landsleute.
Ich danke Ihnen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne hat seine Exzellenz, der Vorsitzende des Parlaments von Georgien, Herr Surab Schwanija, Platz genommen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Herr Präsident, ich begrüße Sie und die Mitglieder Ihrer Delegation herzlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages. Mit großem Interesse haben wir in diesem Hause die Entwicklung Ihres Landes verfolgt und versucht, positiv dazu beizutragen. Unser besonderer Respekt gilt der gelungenen Installierung demokratischer Institutionen, bei der das Parlament eine besonders wichtige Rolle gespielt hat.
Zwischen unseren Ländern besteht eine tiefe und weit zurückreichende Verbundenheit. Ich freue mich sehr, daß sich diese Brücke wieder neu gebildet hat und trägt. Ihr Besuch in Deutschland wird dazu beitragen.
Ich wünsche Ihnen auch weiterhin einen angenehmen und gewinnbringenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Meckel, SPD.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Nach der ersten demokratischen Wahl in der DDR verabschiedeten wir als frisch gewählte Parlamentarier gleich zu Beginn unserer Tätigkeit eine Erklärung, in der wir uns zu der aus unserer Geschichte erwachsenen Verantwortung bekannten. Damals hieß es unter anderem:
Die Volkskammer der DDR bekennt sich zur Mitschuld der DDR an der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 durch Truppen des Warschauer Paktes. Das erste frei gewählte Parlament der DDR bittet die Völker der Tschechoslowakei um Entschuldigung für das begangene Unrecht.
Uns war damals wichtig, uns mit offenem Blick auf unsere Geschichte und in der Solidarität mit unseren Nachbarn, die Leid durch uns erfahren hatten und mit denen wir eine gemeinsame Geschichte teilten, den Herausforderungen des Jahres 1990 zu stellen.
1968 war ein Jahr, das auch für die Bundesrepublik und ihren Umgang mit der Geschichte wichtig wurde. 1968, das bedeutete durch die Ereignisse in Prag und der ganzen Tschechoslowakei für viele Menschen in der DDR erst große Hoffnung, eine Hoffnung, die dann im August mit Panzern gnadenlos niedergewalzt wurde.
Ich weiß natürlich, diese Haltung war nicht auf die DDR beschränkt, doch fühlten wir uns existentiell betroffen.
Meine Damen und Herren, sprechen wir heute über die Geschichte und die Bedeutung der Geschichte von Tschechen und Deutschen, so ist nicht nur davon zu reden, daß die Belastungen der Vergangenheit die Zukunft nicht mehr verdunkeln sollen. Es ist heute mehrfach gesagt worden, daß belastete Vergangenheit nur dann wirklich vergangen ist, wenn sie offenliegt und vernarben kann und nicht wie eine schwelende Wunde weiter brennt.
Doch ist an einem solchen Tag auch von der Geschichte zu reden, die unsere Völker miteinander verbindet. Dazu gehören die Erfahrungen der DDR- Bürger mit der Tschechoslowakei und Prag. Das ist eine Geschichte, die Zukunft hat und die uns in bleibender Erinnerung ist.
Da waren nicht nur die unvergeßlichen Bilder, die heute schon angesprochen wurden, von DDR-Flüchtlingen in der Botschaft in Prag und der Nachricht Hans-Dietrich Genschers, daß der Weg in die Bundesrepublik offen ist. Prag und Budapest, das waren europäische Metropolen, die uns zugänglich waren, mit ähnlicher Bedeutung wie Rom und Paris für die Deutschen auf der anderen Seite des Vorhanges. Prag wurde zum Ort unzähliger Begegnungen von Deutschen aus Ost und West. Nicht nur 1968, sondern auch 1977 blickten wir bewundernd auf Tschechen und Slowaken, die den Mut hatten, öffentlich zu widerstehen und es wagten, wie Václav Havel es formulierte, in der Wahrheit zu leben.
Der Terror in der CSSR war eher noch härter als in der DDR, und um so wichtiger war diese Botschaft, die sich von Prag aus an alle Welt richtete: Menschlichkeit, Recht und Menschenrechte können zwar verhöhnt, getreten und mißachtet, aber nicht zunichte gemacht werden.
Diese Botschaft hat uns aufgerichtet und zu eigenem Handeln und Reden angespornt und ermutigt, und mehrfach gab es in der Folge gemeinsame Initiativen zwischen der Opposition in der DDR mit Leuten von Charta 77.
Für diese Erfahrungen, die sich für unzählige ehemalige DDR-Bürger mit Prag verbinden, sind wir bleibend dankbar. So ist es von besonderer Bedeutung, daß Václav Havel, der vor 20 Jahren mit der Gruppe seiner Freunde für uns wichtig war, heute an der Spitze des tschechischen Staates steht. Auch wir wünschen uns und hoffen, daß er bald wieder voll genesen wird und für Deutsche - für Tschechen natürlich zuerst - und für ganz Europa weiter tätig sein kann.
Die heute zu verabschiedende Erklärung ist nicht der große Wurf, den man sich vielleicht gewünscht hätte. Doch ist sie von so hoher Bedeutung, daß sie Zukunft eröffnet und Vergangenheit so zur Sprache bringt, daß sie auch künftig differenziert ausgesprochen werden kann, ohne daß sich damit Angst und Unsicherheiten verbinden. Das ist der Erfolg, den sie für uns alle darstellt. Ich möchte an dieser Stelle meiner Hoffnung Ausdruck geben, daß gerade auch die betroffene Generation - an die tschechischen Sozialdemokraten insbesondere wurde hier schon erinnert - auf der Grundlage dessen, was heute hier bestätigt wird, diesen Weg mitgehen kann.
Die vorliegende Erklärung soll in die Zukunft weisen. Sie wird es nur, wenn wir sie mit Leben erfüllen.
Markus Meckel
An vieles in Vergangenheit und Gegenwart kann man anknüpfen und muß es weiterführen. Seit 1990 ist im konkreten Zusammenleben von Tschechen und Deutschen eine Unmenge getan worden, was durch die Diskussionen der letzten Jahre zu sehr in den Hintergrund gerückt worden ist. Trotzdem sind in unserem bilateralen Verhältnis noch viele Anstrengungen nötig. Wichtig ist die Begegnung der Jugend unserer Völker. Die Jugend hat die Fähigkeit, ganz anders nach vorn zu schauen. Doch wäre es gewiß gut, wenn auch sie die Vergangenheit kennt und die Erinnerung an die Leiden bewahrt, allerdings so, daß sie nicht zu einer Belastung, sondern zu einer Mahnung für die Zukunft wird.
In der Erklärung sind zwei Zukunftsprojekte beschlossen worden: der Zukunftsfonds und das deutsch-tschechische Forum. Ich bedauere sehr, daß die nun wahrhaftig viel zu lange Zeit bis zum Abschluß der Erklärung nicht stärker zur Vorbereitung dieser Projekte genutzt wurde. Es ist nämlich wichtig, daß wir nun nicht lange warten müssen - wie ich es beim jetzigen Stand befürchte -, bis dann konkret etwas geschieht. Beim Forum sollte man die Erfahrungen der letzten Jahre mit dem deutsch-polnischen Forum berücksichtigen und nicht einfach eine Neuauflage ins Auge fassen.
Ein Problem sehe ich auch beim Zukunftsfonds: Er soll einerseits zu einem überwiegenden Teil für Projekte zugunsten von Opfern nationalsozialistischer Gewalt verwandt werden, andererseits für Zukunftsprojekte, für die Beispiele genannt sind. Ich halte das für eine unglückliche Konstruktion. Dem tschechischen Staat ist ja dafür zu danken, daß er auf Grund des Alters der Betroffenen dem deutschen Handeln - dem, was wir schon vor Jahren hätten tun sollen - vorgegriffen hat und die Opfer nationalsozialistischer Gewalt entschädigt hat. Ich hätte mir nun gewünscht, daß die Rückerstattung dieses Geldes und die Hilfe für Opfer institutionell zumindest unterscheidbar von den Zukunftsprojekten geregelt wird.
Außerdem erscheint es mir wichtig, daß die Meinung der Opfer selbst berücksichtigt wird, wenn es um diese genannten Projekte geht. Hier haben wir im Umgang mit den baltischen Opfern manche problematische Erfahrung gemacht, die wir nicht vergessen sollten. Jedenfalls wäre es falsch, Altenheime zu bauen, die erst in zwei bis drei Jahren fertig sind, obwohl die Betroffenen sehr alt sind und in ihren Familien leben, wo sie wohl auch bleiben wollen, und heute schon Hilfe brauchen.
Ich hoffe, daß in den jetzt schnell einsetzenden Gesprächen über die konkreten Konzeptionen Lösungen gefunden werden, die tragfähiger als das, was bisher auf dem Tisch liegt, sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach den langjährigen Diskussionen hoffe ich, daß es in Zukunft im Alltag unserer Beziehungen auf das Nötige ankommt, was jeden Tag mit Kraft und Engagement zu tun ist. Laßt uns gleichzeitig als Deutsche und Tschechen die großen europäischen Herausforderungen angehen, die jede Mühe lohnen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der bayerische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine sehr verehrten Herren! Der Freistaat Bayern fühlt sich in besonderer Weise den Sudetendeutschen verbunden. Deswegen erlaube ich mir auch, in dieser Debatte das Wort zu ergreifen.
Die Nachbarschaft Bayerns zu Böhmen hat dazu geführt, daß nach dem Zweiten Weltkrieg besonders viele Sudetendeutsche bei uns eine zweite Heimat gefunden haben. Von den über drei Millionen vertriebenen Sudetendeutschen kam über eine Million nach Bayern. Sie und ihre Nachkommen bilden auch heute einen wichtigen Teil der bayerischen Bevölkerung - als unser „vierter Stamm" neben den Franken, den Schwaben und den Altbayern.
Die Sudetendeutschen haben sich trotz des Leides und des Unrechts, das sie erlitten haben, schon bald für den Ausgleich mit den östlichen Nachbarn und für die Versöhnung eingesetzt. Sie waren nie Radikale, Hitzköpfe oder Revanchisten. Sie haben in ihrer neuen Heimat beim Wiederaufbau der Wirtschaft und der demokratischen Ordnung angepackt. Sie haben sich für die Entwicklung unseres Landes mit all ihren Fähigkeiten eingesetzt. Am Wandel Bayerns vom armen Agrarland zum heute hochmodernen Industrie- und Dienstleistungsstandort haben die Sudetendeutschen einen wesentlichen Anteil.
Bayern ist ihnen verpflichtet; es verdankt ihnen viel. Die Anliegen der vertriebenen Sudetendeutschen sind deshalb im besonderen auch bayerische Anliegen. Als Zeichen dieser besonderen Verbundenheit hat der Freistaat Bayern im Jahre 1954 die Schirmherrschaft über die Sudetendeutschen übernommen. Ich stehe in dieser Verantwortung meiner Vorgänger und bekräftige diese Schirmherrschaft auch für die Zukunft.
Zugleich wünscht Bayern eine gute Nachbarschaft mit dem tschechischen Volk, mit dem uns nicht nur eine lange gemeinsame Grenze, sondern auch vielfältige historische, kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen verbinden, die trotz des Eisernen Vorhangs nie ganz abrissen. Deshalb war es auch ganz natürlich, daß Bayern gleich nach der politischen Wende 1989 den Kontakt zu der neuen demokratischen Regierung in der damaligen Tschechoslowakei aufgenommen hat.
Auch von dort wurde die Zusammenarbeit gesucht. Wir haben es als besonderes Zeichen empfun-
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
den, daß der neugewählte Staatspräsident Václav Havel seine erste Auslandsreise nach Deutschland, nach Berlin und München, unternahm. Wir haben es weiterhin als eine besondere Auszeichnung gesehen, daß im Juli 1990 der tschechische Ministerpräsident Petr Pithart zu einem Besuch nach Bayern kam und dort eine intensive bayerisch-tschechische Zusammenarbeit auf Regierungsebene vereinbart hat.
In den sieben Jahren seither hat sich eine gute Nachbarschaft mit vielen Bausteinen - über hundert Schulpartnerschaften, ein reger Lehreraustausch, neue Verkehrswege, besserer Umweltschutz, starke wirtschaftliche Vernetzungen in Industrie, Handel und Handwerk, eine gute grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Euregios - entwickelt. Bayern hat auch den Bau der Erdölpipeline von Ingolstadt nach Prag unter großen Schwierigkeiten ermöglicht, damit die Tschechische Republik von den Öllieferungen aus der Ukraine und Rußland unabhängiger wurde. So fangen wir hinsichtlich der Beziehungen zur Tschechischen Republik nicht beim Nullpunkt an, wenn jetzt die Deutsch-Tschechische Erklärung in Kraft tritt.
Auch die Sudetendeutschen haben sofort nach 1989 den Kontakt zu ihrer früheren Heimat aufgenommen. Natürlich hatten diejenigen, die die Vertreibung am eigenen Leib erlebt hatten, das Unrecht, das ihnen geschehen ist, nicht vergessen. Deshalb waren nach der „samtenen" Revolution im Herbst 1989 die Erwartungen groß, daß auch diese Verletzungen anerkannt, verurteilt und damit geheilt werden könnten, vor allem, als der neugewählte tschechoslowakische Staatspräsident Václav Havel erklärte - ich zitiere -:
Ich persönlich verurteile die Vertreibung und Aussiedlung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg und halte sie für unmoralisch.
Das war ein Satz, der Größe zeigte und ans Herz ging.
Allerdings mußten viele erkennen, daß Václav Havel mit diesem Wort der Bewußtseinslage seines Volkes weit vorausschritt.
Wie schwer sich die tschechische Politik damit immer noch tut, das zeigen ja auch die Worte des tschechischen Ministerpräsidenten Václav Klaus anläßlich der Unterzeichnung der Erklärung vor ein paar Tagen in Prag. „Nach der Beendigung der Okkupation", sagte er, „ist etwas geschehen, für das wir keinen Begriff finden können, der beide Seiten zufriedenstellen könnte." Die Vertreibung bezeichnete er dort als „erzwungenen Weggang". Ich kann verstehen, daß die Sudetendeutschen in diesen Worten noch keine Bereitschaft zu einer ehrlichen Aufarbeitung der Vergangenheit erkennen können.
Meine Damen, meine Herren, die tschechische Bevölkerung hatte während der 40jährigen kommunistischen Herrschaft gar keine Chance, die Vergangenheit objektiv zu erforschen und sich offen mit den historischen Ereignissen auseinanderzusetzen. Ehrliche Verständigung mit Deutschland war gewiß nicht das Anliegen der kommunistischen Regime. Im Gegenteil, das Feindbild Deutschland wurde zur Stabilisierung der eigenen Machtverhältnisse nur zu gern gepflegt.
Wir Deutschen konnten und mußten nach 1945 der historischen Wahrheit ins Auge sehen. Wohl kein anderer Zeitraum der deutschen Geschichte ist genauer erforscht und durchleuchtet worden als die Zeit des Naziregimes. Nach 50 Jahren können wir viel offener und klarer mit der dunklen Zeit umgehen als unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Deswegen sprechen wir in der Erklärung auch deutlich die Verbrechen der NS-Zeit an.
Natürlich, auch in Deutschland prägten die schmerzhaften Erkenntnisse der Wissenschaftler und die bitteren Erfahrungen derer, die unter dem NS- Regime gelitten hatten, erst allmählich das Denken der gesamten Bevölkerung. Schon die Diskussion um die Deutsch-Tschechische Erklärung hat aber in den vergangenen zwei Jahren das Bewußtsein auch in der Tschechischen Republik wachgerüttelt. Ich bin sicher, daß die Erklärung eine Chance bietet, daß auch in der breiten Bevölkerung Kenntnis und Verständnis für die früher in ihrem Land lebenden Deutschen wachsen.
Die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und menschlichen Beziehungen zu unserem östlichen Nachbarland haben sich seit 1989 zum Guten gewandelt. Was noch fehlte, war eine tragfähige Grundlage für die weitere Entwicklung des sudetendeutsch-tschechischen Verhältnisses, das der Nachbarschaftsvertrag vom Februar 1992 ausgeklammert hatte.
Wir haben unzählige Male darauf hingewiesen, daß man dazu auch die Betroffenen braucht. Die Sudetendeutschen hätten deshalb stärker in den Dialog um die Verhandlungen über die Deutsch-Tschechische Erklärung einbezogen werden müssen.
Die Chance dazu hätte bestanden. Dadurch hätten traumatische Erfahrungen verarbeitet, Vorbehalte überwunden und offene Gräben zugeschüttet werden können. Wieviel Vertrauen hätte bei den betroffenen Menschen entstehen können, hätte man sie stärker beteiligt. Den Sudetendeutschen war doch klar, daß Verhandlungen auch immer zu einem Kompromiß führen müssen. Aber die Zustimmung zu der Erklärung wäre ihnen vielleicht eher möglich gewesen, wenn sie in angemessener Weise einbezogen worden wären. Nichtbetroffene tun sich leichter, einem Kompromiß zuzustimmen, als diejenigen, um deren ureigenste Angelegenheiten es geht.
Die Bayerische Staatsregierung hat sich während des Gangs der Verhandlungen immer wieder für die berechtigten Anliegen der Sudetendeutschen eingesetzt, und wir hatten auch die Möglichkeit, das eine oder andere einzubringen. Ich glaube, daß dadurch manches inhaltlich klarer geworden ist.
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
Den größten Fortschritt bringt die jetzige Ziffer III der Erklärung, in der die tschechische Seite erstmalig das durch die Vertreibung entstandene Leid und Unrecht bedauert. Ich halte das im Zusammenhang mit der Anerkennung der Völkerrechtsordnung in Ziffer I der Erklärung für den wichtigsten Fortschritt; denn nach dem Völkerrecht ist jede Vertreibung Unrecht.
Ein wichtiges Bekenntnis zur geschichtlichen Wahrheit ist es, daß ebenfalls erstmals die Dekrete über die Enteignung und Ausbürgerung, der kollektive Charakter dieser Dekrete, die Exzesse während der Vertreibung und das sogenannte Amnestiegesetz bedauert werden.
Ich verstehe, daß sich manche diese Formulierungen noch klarer gewünscht hätten. Aber halten wir fest: Die tschechische Seite bedauert die Vertreibung. Das ist für mich das Zukunftsweisende an dieser Erklärung.
Für die Staatsregierung ist es von entscheidender Bedeutung, daß die Erklärung keinen Verzicht auf Individualansprüche, die das Vermögen betreffen, darstellt. Die Bundesrepublik Deutschland kann das nicht, und sie tut das auch nicht. Deshalb ist die Erklärung auch kein Schlußstrich.
Wenn man sich schon einig ist, daß Vertreibung Unrecht ist, hätte es nahegelegen, sich in der Erklärung auch über das Heimatrecht der Sudetendeutschen grundsätzlich zu verständigen. Zu einer Rückwanderungswelle, wie es manche in der Tschechischen Republik befürchten, wäre es doch gar nicht gekommen. Die Vertriebenen sind in unserem Land längst tief verwurzelt. Es wäre ein Zeichen der Versöhnung gewesen, das auch dieses Hohe Haus noch 1990 für die Vertreibung in Ex-Jugoslawien immer wieder eindringlich gefordert hat.
Immerhin sind praktische Regelungen gefunden worden, die den vertriebenen Sudetendeutschen und ihren Familienangehörigen in Anknüpfung an ihren Herkunftsort die Möglichkeit eröffnen, unter Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit in ihrer früheren Heimat leben zu können.
Im historischen Teil ist die Erklärung unvollständig, weil sie mit den Ursachen für die Vertreibung erst 1938 mit dem Münchener Abkommen beginnt. Der aufkeimende Nationalismus hat aber besonders seit Beginn dieses Jahrhunderts das sudetendeutschtschechische Verhältnis beeinträchtigt.
Trotz der unverkennbaren Mängel ist die Erklärung ein Baustein für die Zukunft und bietet Entwicklungsmöglichkeiten, die wir nutzen wollen. Allein schon die Einrichtung eines Gesprächsforums und des Zukunftsfonds zeigt in aller Deutlichkeit, daß die Erklärung keinen Schlußstrich bildet, sondern den Prozeß der Nachbarschaft und der Zusammenarbeit dynamisch weiterentwickeln will.
Gerade weil wichtige Fragen aus der jüngeren Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet sind, wird das Gesprächsforum im deutsch-tschechischen Dialog eine große Aufgabe zu erfüllen haben. An diesem Dialog müssen die Sudetendeutschen intensiv beteiligt werden. Nur so kann das Forum seinen angestrebten Sinn erfüllen.
Der Ausgestaltung des Zukunftsfonds kommt für die Entwicklung des deutsch-tschechischen Verhältnisses besondere Bedeutung zu. Die Sudetendeutschen müssen hier mitgestalten können. Sie sind an einem Wiederaufblühen ihrer früheren Heimat interessiert. Die vielen Hilfsaktionen, die in den vergangenen sieben Jahren im Wege der „stillen Diplomatie" durchgeführt wurden, zeigen das deutlich. Sudetendeutsche haben mit Tschechen über Jahrhunderte hinweg friedlich zusammengelebt und sind diesem Land innig verbunden.
Herr Präsident, meine Damen, meine Herren, Leugnen, Vergessen und Verharmlosen des Unrechts oder der Geschichte befreit nicht von der Last der Vergangenheit.
Den Sudetendeutschen wird immer wieder vorgehalten, sie sollten nicht zurück in die Vergangenheit schauen, sondern an die Zukunft denken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Fähigkeit zur Zukunft hat nur, wer die geschichtliche Wahrheit erkennt." Auf dieser Grundlage entsteht Versöhnung. Nur so können Deutsche und Tschechen langfristig zusammenfinden. Wenn wir das erreichen, erfüllt die Deutsch-Tschechische Erklärung ihren Sinn. Dann ist sie eine Brücke in die Zukunft Europas.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen, SPD.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Von den Schmerzen der Vergangenheit Abschied zu nehmen, das ruft diese Schmerzen zurück in das Gedächtnis dessen, der Opfer war. Kann man vor diesen Schmerzen davonlaufen? Nein, man muß ihnen ins Gesicht sehen.
Wieder sieht das Opfer den Täter vor sich in seiner Grausamkeit. Wieder fühlt es die Angst vor der Gewalt. Sie springt das Opfer an. Der Boden unter den Füßen bricht auf. Wieder hört das Opfer den eigenen stummen Schrei. Wieder das Gefühl, verloren zu sein! Das Grundvertrauen ist seither erschüttert. Jan Skacel, ein tschechischer Lyriker, schreibt: „Alles schmerzt sich einmal durch bis auf den eigenen Grund. "
Ich glaube, ja, ich bin sicher: Die gemeinsame Erklärung wird helfen, jenes Grundvertrauen, das er-
Gert Weiskirchen
schüttert worden ist, wieder aufzubauen und neu zu festigen. Sie kann das Ungeheuerliche, das geschehen ist, nicht vergessen machen: nicht die staatliche Vernichtung Tschechiens nach 1938 von deutscher Hand, nicht Lidice, nicht die Shoa. Sie will es auch nicht vergessen machen - auch nicht, daß Deutsche vertrieben wurden.
Nur wer sich der Leiden der Opfer bewußt bleibt, wird die Kraft aufbringen, die Furien des Erinnerns zu bändigen. Ein jedes der Opfer - auch bei den Vertriebenen - hatte seinen Namen, hatte Recht auf sein unbeschädigtes Leben. Mit jedem, der gemordet wurde, starb ein Universum. Wer seine Schuld anerkennt, macht Platz dafür, daß vergeben werden kann.
Hannah Arendt hat das in der schmerzhaften Debatte bei uns schon deutlich gemacht. Sie hat beschrieben, wie Schuld den Menschen unrettbar an die Vergangenheit fesseln kann. Die Opfer verharren im Zustand der Anklage; die Täter panzern sich im Schweigen ein. Die einen wollen nicht vergessen; die anderen können nicht vergessen. Offener und öffentlicher Diskurs aber kann die wechselseitige Versteinerung lösen.
Lieber Herr Ministerpräsident, wenn Sie in Ihrer Rede darauf aufmerksam machen wollten, daß die Versteinerungen aufgebrochen werden müssen, dann bitte ich daran zu erinnern, daß es bereits in den 70er Jahren unter den Dissidenten im Zusammenhang mit der Charta 77 mutige Tabubrecher gegeben hat - nicht nur politisch -, die gesagt haben:
„Als wir die Deutschen vertrieben, haben wir Tschechen uns selbst aus Europa vertrieben." Das ist ein Zitat des Tabubrechers Erazim Kohak, 1979 geschrieben.
Wenn Sie bei Ladislav Hejdanek nachlesen, der gesagt hat, daß wir - die Tschechen -, als die Deutschen vertrieben wurden, das Grundvertrauen in eine Möglichkeit des Rechtsstaates zerstört haben und daß wir die Kollektivschuld den Sudetendeutschen zugeschoben haben, indem wir sie vertrieben haben, werden Sie feststellen: Wer Kollektivschuld auf wen auch immer schiebt, nimmt sich aus dem europäischen Rechtskreis selbst heraus. Das hat Ladislav Hejdanek gesagt. Ich finde, wir haben bislang leider nicht diese schmerzhafte und schonungslose Diskussion, die es seit den 70er Jahren in der damaligen Tschechoslowakei gegeben hat, zur Kenntnis genommen. Ich finde es gut, daß die deutsch-tschechische Historikerkommission nun darangegangen ist, dies aufzuarbeiten.
Jan Kren hat klar gesagt: Worauf es jetzt ankommt, ist, daß nicht die Internationale der Nationalisten siegen darf. Jetzt kommt es darauf an, daß wir mit dieser Deutsch-Tschechischen Erklärung auch die Möglichkeit eröffnen, daß man über die eigene Schuld anders diskutiert - auch in der Tschechischen Republik -, als das bisher geschehen ist.
Erazim Kohak schrieb:
Eine Nation Masaryks hätte es nicht gebraucht, sich der Methoden Hitlers zu bedienen; wenn sie dies getan hat, dann hatte sie ihre edelsten Ideale verraten und sich dem künftigen Verderben ausgeliefert.
Die gemeinsame Erklärung setzt einen Punkt der Politik hinter die unerhörte Schwere des Vergangenen, und sie öffnet mit einem Doppelpunkt die Zukunft, die schon lange begonnen hat. Sie knüpft an an die Hoffnungen, die der Nationalismus verschüttet hatte.
Bernard Bolzano, Emanuel Radl, Jan Patocka - sie alle stehen für Möglichkeiten des gemeinsamen Zusammenlebens zwischen Deutschen und Tschechen. Die sind seit Jahrzehnten erprobt, und sie sind gut erprobt. Der Austausch, das Lernen voneinander, die Verständigung - das hat es schon lange gegeben. Der unerhörte Aufruf der „Charta" von 1985, wonach der Weg nach Europa nur über die Selbstbestimmung der Deutschen und deren Vereinigung führen kann, hat sich bewahrheitet; dieser Weg ist gegangen worden.
Ich bitte darum, daß alle diejenigen, die noch zweifeln, sich darüber klarwerden: Die Deutsch-Tschechische Erklärung ist ein wesentlicher Schritt nach vorn. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnten sie dadurch ergänzen, daß Sie dem Antrag der SPD- Bundestagsfraktion ebenfalls Ihre Zustimmung geben, und zwar aus folgendem Grund: Das Wichtigste ist jetzt, daß das tschechische und das deutsche Parlament eine gemeinsame Entschließung hinsichtlich der Erklärung und auch für die Zukunft verabschieden. Darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommt es jetzt an. Wir werben dafür, daß Sie gemeinsam mit der Erklärung auch dem Antrag der SPD zustimmen.
Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, teile ich Ihnen mit, daß mir eine Reihe von Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen. Es handelt sich um drei Sammelerklärungen aus den Reihen der CDU/CSU, mehrere einzelne Erklärungen aus den Reihen der CDU/CSU sowie um eine Sammelerklärung aus der Gruppe der PDS. Da die Listen zum Teil relativ lang sind, schlage ich vor, daß wir aus ökonomischen Gründen auf die Verlesung der einzelnen Namen verzichten. Einverstanden? - Gut.
Ich gehe auch davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist, daß diese Erklärungen zu Protokoll genommen und nicht mündlich vorgetragen werden.*)
*) Anlagen 2 bis 6
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. eingebrachten Antrag zur Deutsch-Tschechischen Erklärung; das ist die Drucksache 13/6848. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6849 vor, über den wir zuerst abstimmen. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall; dann eröffne ich die Abstimmung.
Darf ich fragen, ob ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat?
- Dann darf ich um etwas Beschleunigung bitten.
Kann ich jetzt davon ausgehen, daß alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben haben? - Das scheint der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses dieser namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag unterbreche ich die Sitzung, wobei ich darauf hinweise, daß wir anschließend eine weitere namentliche Abstimmung durchführen werden und daß sich mehrere einfache Abstimmungen anschließen.
Die Sitzung ist einstweilen unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Darf ich die Parlamentarischen Geschäftsführer einen Augenblick zu mir bitten? -
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6849 bekannt. Abgegebene Stimmen: 616. Mit Ja haben gestimmt: 276. Mit Nein haben gestimmt: 331. Enthaltungen: 9. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 615;
ja: 276
nein: 330
enthalten: 9
Ja
SPD
Brigitte Adler Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau
Hans Berger
Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve
Ludwig Eich Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert
Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher
Waltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard
Klaus Lohmann
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß Dorle Marx
Ulrike Mascher
Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich Renate Rennebach Otto Reschke
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe
Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler Otto Schily
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt Walter Schöler
Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Volkmar Schultz (Köln) Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Amke Dietert-Scheuer
Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe
Werner Schulz Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Petra Bläss
Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Dankward Buwitt Manfred Carstens
Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig .Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr. -Ing. Rainer Jork
Michael Jung Dr. Egon Jüttner
Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr. -Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshof en Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr. -Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu
Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz
Bernd Schmidbauer Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von WaldburgZeil
Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn
Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr. -Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
PDS
Wolfgang Bierstedt Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Dr. Ludwig Elm
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Günther Maleuda Christina Schenk
Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Wir stimmen jetzt über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. zur DeutschTschechischen Erklärung auf Drucksache 13/6848 ab. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte wiederum die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Kann ich jetzt davon ausgehen, daß alle anwesenden Mitglieder des Hauses abgestimmt haben? - Wo gibt es noch ein Problem? - Ich gehe davon aus, daß jetzt alle ihre Stimmkarte abgegeben haben.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich ein weiteres Mal die Sitzung des Bundestages.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Beratungen fort.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. „Deutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung", Drucksache 13/6848, bekannt. Abgegebene Stimmen 621; mit Ja haben gestimmt: 578; mit Nein haben gestimmt: 20; Enthaltungen: 23.
Der Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 620;
ja: 577
nein: 20
enthalten: 23
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun
Paul Breuer
Monika Brudlewsky Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Renate Diemers Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl
Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst
Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshof en Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr. -Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers Dr. Norbert Lammert Helmut Johannes Lamp Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun Löwisch
Dr. Michael Luther
Erich Maaß Erwin Marschewski
Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf Michels
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald Norbert Otto Hans-Wilhelm Pesch Anton Pfeifer
Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Adolf Roth Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu
Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz
Bernd Schmidbauer Christian Schmidt Dr. -Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg
Hans Peter Schmitz
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora Bärbel Sothmann
Carl-Dieter Spranger
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
SPD
Brigitte Adler
Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Hans Berger
Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl
Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange
von Detlev Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
von Margot Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke
Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Otto Schily
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Volkmar Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen
Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Hans Wallow Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln)
Angelika Beer Matthias Berninger
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger
Kerstin Müller
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt Wolfgang Schmitt (Langenfeld)
Ursula Schönberger
Waltraud Schoppe
Werner Schulz Christian Sterzing
Manfred Such
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn
Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Heinrich Graf von Einsiedel
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz Heidemarie Lüth Manfred Müller
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Fraktionslos
Kurt Neumann
Nein
CDU/CSU
Renate Blank Georg Brunnhuber Albert Deß
Dr. Wolfgang Götzer
Josef Hollerith Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr. Egon Jüttner Heinrich Lummer Rudolf Horst Meinl Dr. Gerd Müller Angelika Pfeiffer
Erika Reinhardt
Dr. Erich Riedl Kurt J. Rossmanith Johannes Singhammer Erika Steinbach
Dr. Fritz Wittmann Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
Enthaltungen
CDU/CSU
Jürgen Augustinowitz Wilhelm Dietzel Manfred Grund
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Dietrich Mahlo Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Dr. Peter Ramsauer Wolfgang Steiger
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Uwe-Jens Heuer Gerhard Jüttemann Rolf Köhne
Dr. Christa Luft
Dr. Günther Maleuda Christina Schenk
Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. zur Verbesserung des Jugendaustausches zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik. Das ist die Drucksache 13/6595 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5542 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Förderung des deutsch-tschechischen Jugendaustausches. Das ist ebenfalls die Drucksache 13/6595, hier aber die Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5579 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz)
- Drucksachen 13/3994, 13/5057, 13/5663, 13/5679, 13/6825 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Erwin Marschewski
Herr Kollege Marschewski, wünschen Sie das Wort? - Bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf folgende Erklärung zu § 44 a des Beamtenrechtsrahmengesetzes abgeben: Das nunmehr unstreitige Dienstrechtsreformgesetz erweitert die Teilzeitmöglichkeit für Beamte erheblich. Für Bundesbeamte sieht es auf Antrag der Beamten die Einführung der voraussetzungslosen und unbefristeten Teilzeit vor.
In Übereinstimmung mit dem neugefaßten Art. 75 des Grundgesetzes, der die Rahmenkompetenz des Bundes eingeschränkt hat, verzichtet das Reformgesetz darauf, für die Beamten der Länder eine in die Einzelheiten gehende Regelung der Teilzeitbeschäftigung im Beamtenrechtsrahmengesetz zu treffen. Damit bleibt es den Ländern überlassen, die gesamte Teilzeitbeschäftigung ihrer Beamten eigenverantwortlich landesgesetzlich zu regeln.
Herzlichen Dank.
Das Wort zu weiteren Erklärungen wird nicht erbeten.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/6825? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Gegenstimmen der Gruppe der PDS und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
- Also, auch einige Gegenstimmen aus den Reihen der CDU/CSU. Richtig? - Das halten wir so fest.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Regelung der Altschulden für gesellschaft-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
liche Einrichtungen, zur Änderung des Erblastentilgungsfonds-Gesetzes und zur Änderung des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost
- Drucksachen 13/6088, 13/6336, 13/6667, 13/6826 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das scheint nicht der Fall zu sein.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, hat der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel das Wort zu einer Erklärung zur Begründung seines Abstimmungsverhaltens nach § 31 unserer Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich lehne in Übereinstimmung mit meiner Abgeordnetengruppe die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Regelung der Altschulden für gesellschaftliche Einrichtungen, zur Änderung des Erblastentilgungsfonds-Gesetzes und zur Änderung des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost ab.
Ich lehne die Beschlußempfehlung ab, weil nach diesem Kompromiß die Länder an der Refinanzierung des Erblastentilgungsfonds beteiligt und damit mit ins Boot genommen werden sollen. Ich begrüße es natürlich, daß die sogenannten kommunalen Altschulden nunmehr - entsprechend einer alten Forderung auch meiner Gruppe - in den Erblastentilgungsfonds eingestellt werden. Aber die ostdeutschen Länder - ich betone: die Länder - waren nie Schuldner dieser sogenannten Kredite, für deren Verbindlichkeiten sie nun zum Teil aufkommen sollen. Auch handelt es sich nicht um kommunale Schulden im Sinne des bürgerlichen Rechts, sondern um Staatsschulden der DDR, für deren Tilgung allein der Bund im Rahmen des Erblastentilgungsfonds aufzukommen hätte.
Ich lehne die Beschlußempfehlung auch deshalb ab, weil die vorgeschlagene Lösung des Problems den Charakter eines faulen Kompromisses hat, für den in der Endkonsequenz die ohnehin finanziell stark angeschlagenen ostdeutschen Städte und Gemeinden zu einem großen Teil die Zeche zahlen müssen. Die ostdeutschen Länder werden nämlich über die Reduzierung der Finanzmasse für den kommunalen Finanzausgleich zumindest einen Teil der auf sie zukommenden Mehrausgaben aus den ihnen von der Bundesregierung übertragenen Zins- und Tilgungsleistungen - diese Leistungen müssen sie immerhin 30 Jahre lang tragen - für die Refinanzierung des Erblastentilgungsfonds an die Städte und Gemeinden der fünf neuen Bundesländer weiterreichen.
Ich lehne den ausgehandelten Kompromiß auch deshalb ab, weil die ostdeutschen Kommunen bereits jetzt - im siebenten Jahr der deutschen Einheit - eine Pro-Kopf-Verschuldung von 3 000 DM erreicht haben und damit sogar den Schuldenstand altbundesdeutscher Kommunen aus 47 Jahren Bundesrepublik übertreffen. Eine Folge der dramatischen Finanznot der ostdeutschen Kommunen, die sich mit der vorgeschlagenen Regelung weiter zuspitzen wird, ist vor allem die spürbar rückläufige Entwicklung kommunaler Investitionen. Dadurch können die Kommunen ihrer Rolle als wichtigster öffentlicher Auftraggeber und Konjunkturmotor nicht mehr gerecht werden.
Ich lehne die vorliegende Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auch deshalb ab, weil die unselige Ungleichbehandlung der Regionen, die bereits zu Zeiten der DDR unter SED-Herrschaft praktiziert wurde, nunmehr fortgesetzt wird. Wieder wird Berlin eine Sonderrolle zugebilligt - aber jetzt unter anderen Vorzeichen als in der DDR. Was wäre seitens der Bundesregierung wohl gegenüber Berlin geschehen, wenn der Regierende Bürgermeister nicht der CDU, sondern einer anderen Partei angehört hätte?
Ich will ausdrücklich betonen, daß ich die konsequente Haltung des Berliner Senats gegenüber der Bundesregierung in der Altschuldenfrage sehr hoch schätze und mir ähnliches auch von den Regierungen Mecklenburg-Vorpommerns, Brandenburgs, Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens gewünscht hätte. Um dem Grundsatz der Gleichbehandlung zu entsprechen, hätten alle diese Länder dann eben auch Anspruch auf die gleichen Konditionen. Das wiederum hätte zur Konsequenz, daß der Bund vollständig und allein für die Altschulden aufkommen müßte. Dagegen verstößt die vorliegende Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ganz ausdrücklich.
Schließlich lehne ich diese Beschlußempfehlung ab, weil sie gegen die Regeln des Einigungsvertrages verstößt. Gemäß diesen Regelungen war das Vermögen der Altparteien und Massenorganisationen der DDR sozialen Zwecken in den neuen Bundesländern vorbehalten. Nunmehr sollen große Teile des Altparteienvermögens und des Vermögens der Massenorganisationen nach dem Willen der Bundesregierung und des Vermittlungsausschusses zweckentfremdet für die Refinanzierung des Erblastentilgungsfonds eingesetzt werden. Das lehnen wir ganz entschieden ab. Die Kommunen in Ostdeutschland können bereits jetzt kaum noch soziale Aufgaben erfüllen. Sie hoffen ganz dringend auf die Mittel aus dem Fonds des Altparteienvermögens und des Vermögens der Massenorganisationen der DDR und nicht auf eine solch zweckentfremdete Verwendung.
Aus all diesen Gründen lehnen wir die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ab.
Danke schön.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermitt-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
lungsausschusses auf Drucksache 13/6826? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 12a bis 12h auf:
12. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-Abkommen vom 20. November 1995 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Staat Israel andererseits
- Drucksache 13/6616 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft Finanzausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes"
- Drucksache 13/6618 —
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet der Energieeinsparung bei Haushaltsgeräten
- Drucksache 13/6723 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung des Nachweises der Eigentümerstellung und der Kontrolle von Luftfahrtunternehmen für die Aufrechterhaltung der Luftverkehrsbetriebsgenehmigung und der Luftverkehrsrechte
- Drucksache 13/6820 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr Innenausschuß
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Albert Schmidt , Steffi Lemke, Vera Lengsfeld, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vorzeitige Realisierung und Finanzierung der Eisenbahnstrecke „Mitte-DeutschlandLinie"
- Drucksache 13/4040 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidemarie Lüth, Dr. Heidi Knake-Werner, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Neuordnung der Ausbildung in den Altenpflegeberufen in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 13/6529 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Reinhold Hemker, Horst Sielaff, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Berücksichtigung sozialer und ökologischer Mindeststandards in der EU-Bananenverordnung
- Drucksache 13/6625 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuß für die Angelegenheiten
der Europäischen Union
h) Beratung des Antrags des Bundesministeriums für Wirtschaft
Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" für das Wirtschaftsjahr 1995
- Drucksache 13/6700 —
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß Ausschuß für Wirtschaft
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind. - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13a bis 13m auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 13 a:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Revision des Übereinkommens vom 20. März 1958 über die Annahme einheitlicher Bedingungen für die Genehmigung der Ausrüstungsgegenstände und Teile von Kraftfahrzeugen und über die gegenseitige Anerkennung der Genehmigung
- Drucksache 13/5718 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
- Drucksache 13/6631 -
Berichterstattung:
Abgeordneter
Albert Schmidt
Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 13/6631, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Stimmenthaltungen ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Gruppe der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkte 13 b bis 13 d:
b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. März 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Korea über den Luftverkehr
- Drucksache 13/4797 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
- Drucksache 13/6694 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Jung
c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. August 1994 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam über den Luftverkehr
- Drucksache 13/6167 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
- Drucksache 13/6745 -
Berichterstattung: Abgeordneter Lothar Ibrügger
d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. November 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Usbekistan über den Luftverkehr
- Drucksache 13/6168 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
- Drucksache 13/6746 -
Berichterstattung: Abgeordneter Lothar Ibrügger
Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf den Drucksachen 13/6694, 13/6745 und 13/6746, die Gesetzentwürfe unverändert anzunehmen.
Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich aus Gründen der Zeitökonomie über die drei Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Ich bitte jetzt diejenigen, die den drei Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die drei Gesetzentwürfe sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 e:
Beratung des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß § 93 a Abs. 4 der Geschäftsordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Europäische Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
- Prüfung der rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen sowie der Beziehungen der Beobachtungsstelle zum Europarat -
- Drucksachen 13/6129 Nr. 2.1, 13/6638 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Koschyk
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Christian Sterzing
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Kann ich davon ausgehen, daß Sie den Bericht des Ausschusses einschließlich der Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung zur Kenntnis genommen haben?
- Das ist der Fall. Tagesordnungspunkt 13 f:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission „Initiative für den Ostseeraum"
- Drucksachen 13/5555 Nr. 2.22, 13/6509 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Börnsen
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 g:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Angelika Graf (Rosenheim), Halo Saibold sowie weiterer Abgeordneter
Information der Bundesregierung für Urlauberinnen und Urlauber - Überarbeitung der „Ferienfahrt"-Broschüre
- Drucksachen 13/4728, 13/6510 -
Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4728 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 h:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 135 zu Petitionen - Drucksache 13/5136 -
Wer stimmt dafür?
- Ich sage noch einmal: Sammelübersicht 135 auf Drucksache 13/5136. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 135 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 i:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 136 zu Petitionen
- Drucksache 13/5137 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 136 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 j:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 162 zu Petitionen - Drucksache 13/6328 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 162 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 k:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 172 zu Petitionen
- Drucksache 13/6740 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 172 ist bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 l:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 173 zu Petitionen
- Drucksache 13/6741 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 173 ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS mit den Stimmen der anderen Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 13m:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 174 zu Petitionen
- Drucksache 13/6742 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 174 ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Michaele Hustedt, Dr. Jürgen Rochlitz, Albert Schmidt , weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Energien in das öffentliche Netz
- Drucksache 13/2684 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Rechtsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz
- Drucksache 13/5357 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Rechtsausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Debatte eine Stunde vorgesehen. Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Nun eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen.
- Das ist Ihr Antrag. Es ist Ihr Privileg, als erste zu sprechen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte fällt auch eine Vorentscheidung darüber, ob in diesem Hause die politische Bereitschaft besteht, das Stromeinspeisungsgesetz in einen liberalisierten Energiemarkt hinüberzuretten, oder ob die Einführung des Wettbewerbes dazu genutzt werden soll, um dieses erfolgreiche Instrument erst unwirksam zu machen und dann ganz aufzuheben. Wie heißt es doch in der Offensive der Stromkonzerne zum Stromeinspeisungsgesetz immer so schön: „Politische Sonderlasten sind auf ein wettbewerbsneutrales Maß zurückzuführen. "
Wer zum jetzigen Zeitpunkt für eine Reduktion der Einspeisevergütung eintritt, wird - gewollt oder ungewollt - das erfolgreiche Instrument demontieren. Für die bestehenden Windkraftanlagen und auch für die Wasserkraftwerke wird es Bestandsschutz geben, davon gehe ich aus; aber eine Fortsetzung der positiven Entwicklung des Stromeinspeisungsgesetzes ist bei einer Absenkung der Einspeisevergütung nicht mehr möglich.
Es ist völlig klar, daß der nächste qualitative Sprung nicht mehr durch den weiteren Ausbau der Windkraftanlagen an der Küste erfolgen wird. Der nächste Sprung wird vielmehr durch die Installation von Windkraftanlagen im Binnenland kommen müssen, und hier herrschen schlechtere Windverhältnisse. Dieser neue Sprung wäre nicht zu schaffen, wenn man jetzt die Einspeisevergütung absenkt; er ist nur dann zu schaffen, wenn die Einspeisevergütung mindestens auf dem Niveau gehalten wird, welches im Moment vorhanden ist. Die Investoren in diesem Bereich warten auf politische Signale. Eine Absenkung würde sehr viele abschrecken. Damit wäre schon jetzt der Schaden eingetreten.
Das Stromeinspeisungsgesetz hat in der Vergangenheit eine hoffnungsvolle Entwicklung hinsichtlich der Expansion der Windkraftindustrie ermöglicht. Unsere Position ist, daß man dieses Gesetz ausweiten muß und nicht abschaffen darf. Wir haben deshalb den Gesetzentwurf der Bündnisgrünen vorgelegt. Er enthält, daß die Kraft-Wärme-Kopplung in das Gesetz aufgenommen wird und daß für Binnenlandstrom und Photovoltaik endlich eine kostendekkende Vergütung festgeschrieben wird.
Auch die Bundesratsinitiative, die heute mit behandelt wird, zielt moderat in dieselbe Richtung. Insbesondere die Verbesserungen in bezug auf die Biogasanlagen begrüßen wir ausdrücklich. Allerdings lehnen wir die Fünfprozentdeckelung, die in diesem Entwurf enthalten ist, ab. Diese würde wahrscheinlich schon 1998 den Stopp der Weiterentwicklung der Windkraft in Niedersachsen und Schleswig-Holstein bedeuten.
Deutschland ist dabei, durch eine vorwiegend an den Interessen der Stromkonzerne ausgerichtete Politik die Chancen für den Zukunftsmarkt der erneuerbaren Energien zu verschlafen. Rexrodt ist nicht nur gegen das Klimaschutzziel; er ist auch gegen das Stromeinspeisungsgesetz. Wie anders ist seine Antwort auf den Brief von van Miert zu erklären, der dem EU-Kommissar offensichtlich von der Lobby der großen Stromkonzerne in die Feder diktiert wurde? Rexrodt hätte diesen Brief ganz entschieden zurückweisen müssen, denn sein Inhalt steht im Widerspruch zum geltenden EU-Recht.
Wenn es nach Rexrodt ginge, würde jetzt die Chance genutzt, das Gesetz ganz abzuschaffen. Die F.D.P. erweist sich damit wieder einmal als die Partei der Alttechnologien und der Monopolisten.
Deutschland muß aufpassen, daß es bei den erneuerbaren Energieträgern nicht den Anschluß verliert. Zum Beispiel hat Japan neuerdings ein 400-Megawatt-Programm im Bereich der Photovoltaik aufgelegt. Aus unserer Sicht ist das der Einstieg in das Solarzeitalter, der Einstieg in die Massenproduktion. Hier liegt die Herausforderung für den Produktionsstandort Deutschland.
Als Ökologin könnte mir das egal sein: Auch wenn wir die Computertechnologie verschlafen haben, ist es dennoch so, daß heute in fast jedem Haushalt - außer bei Herrn Kohl, hörte ich - ein Computer steht. Aber die Arbeitsplätze in diesem Technologiebereich
Michaele Hustedt
wurden in den Ländern geschaffen, die frühzeitig erkannt haben, daß in diesem Bereich ein Zukunftsmarkt entsteht. In diesen Ländern wurden die Investitionen rechtzeitig getätigt und damit zukunftssichere Arbeitsplätze geschaffen.
Mir ist es als Mitglied des Wirtschaftsausschusses deshalb überhaupt nicht egal, ob Deutschland die neuen Entwicklungen verschläft und ob wir es verpassen, rechtzeitig auf den Zug aufzuspringen. Daß Deutschland diese Entwicklungen verpaßt, muß nicht sein, denn Deutschland hat eine gute Ausgangsbasis: Das Forschungs- und Ausbildungsniveau ist auf Weltstandard; es hapert leider wieder einmal an der zögerlichen Umsetzung.
Von 1991 bis 1996 hat in Deutschland die Energiegewinnung aus Windkraft geboomt. Jetzt befindet sie sich in einer Flaute. Die Hersteller melden seit 1996 einen Rückgang um 15 Prozent. Das ist nicht das Resultat eines gesättigten Marktes, sondern die Folge unsicherer politischer Rahmenbedingungen und der massiven Kampagne der EVUs. Wir haben mit dem Stromeinspeisungsgesetz ein erfolgreiches Instrument. Jetzt muß es darum gehen, es auszuweiten und nicht abzuschaffen.
Es wird darum gehen, dieses Gesetz zeitgleich zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes an den Wettbewerb anzupassen. Mit der Realisierung des Vorschlags der Grünen zur Energierechtsreform wäre das überhaupt kein Problem, weil das Stromeinspeisungsgesetz mit unserem Poolmodell völlig kompatibel ist.
Wenn man aber auf das Durchleitungsmodell, wie Herr Rexrodt es vorschlägt, setzt, dann muß man sich überlegen, wie dieses Gesetz wettbewerbsneutral angepaßt werden könnte. Ich hoffe, daß sich alle konstruktiven Kräfte in diesem Parlament, die für die regenerativen Energien sind, an der Suche nach einer Lösung beteiligen, damit dieses Gesetz erhalten bleibt.
Es sind verschiedene Vorschläge in der Diskussion, unter anderem die Quotenvariante, nach der man jedem Stromproduzenten, egal ob es sich um importierten oder um im Binnenland hergestellten Strom handelt, eine bestimmte Quote für Strom aus regenerativen Energien auferlegt. Auch die Variante der Fondslösung ist schon im Gespräch. Auf jeden Fall glaube ich, daß es durchaus möglich ist - in der EU- Richtlinie ist es bereits enthalten -, dieses Stromeinspeisungsgesetz nicht nur zu erhalten, sondern es im Wettbewerb sogar auszudehnen und weiterzuentwickeln, um damit Umweltschutz auch im Wettbewerb voranzubringen und nicht abzuschaffen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Ramsauer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit der Feststellung beginnen, daß es sich beim Stromeinspeisungsgesetz um eines der erfolgreichsten Gesetze der vergangenen Jahre handelt. Es hat exakt das bewirkt, was die Energieprogramme der Bundesregierung und der Unionsfraktionen, aber auch die Verlautbarungen im Rahmen der Klimakonferenzen in Rio und Berlin nachdrücklich fordern, nämlich den Anteil der regenerativen Stromerzeugung, so wirksam es nur geht, zu steigern.
Oder andersherum beleuchtet: Wie sonst als unter anderem mit einem solchen Gesetz sollte es denn möglich sein, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent zu reduzieren oder - wie es das Grünbuch der EU-Kommission zur Strategie für erneuerbare Energien als Ziel vorschlägt - den Beitrag der erneuerbaren Energien bis 2010 zu verdoppeln?
Aber, meine Damen und Herren, trotz allen Erfolgs sind es vor allem zwei Dinge, derentwegen wir über eine sach-, ziel- und zeitgerechte Weiterentwicklung dieses Erfolgsgesetzes nachdenken müssen. Meine Vorrednerin hat dies ja auch schon angeschnitten.
Erstens. Durch die enorme Zunahme der Windstromproduktion gibt es offenbar vor allem im Norden Deutschlands regionale Belastungsverzerrungen bei den EVUs.
Zweitens. In einem mehr wettbewerbsorientierten Ordnungsrahmen für den deutschen und europäischen Strommarkt muß das Stromeinspeisungsgesetz mit seinen Auswirkungen wettbewerbsneutral angepaßt und kompatibel gemacht werden.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates unternimmt einen sehr diskussionswürdigen Anlauf, um diesen beiden Erfordernissen gerecht zu werden, das heißt, einen wettbewerbsneutralen Ausgleich regionaler Belastungsverzerrungen zu gewährleisten.
Die Arbeitsgruppe Wirtschaft der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in intensiven Gesprächen nun einige Eckpunkte für eine Anpassung des Stromeinspeisungsgesetzes formuliert. Ich möchte diese im wesentlichen skizzieren, zunächst aber mit einem Irrtum aufräumen, meine Damen und Herren. In einer Broschüre der Elektrizitätswirtschaft mit dem Namen „Stromthemen" wurde vor einigen Wochen geschrieben, die Unionsfraktion plane eine Absenkung auf 12 bis 14 Pfennig. Das stimmt nicht, das steht nicht in diesen Eckpunkten.
Viele andere Presseorgane haben dies dann schlicht und einfach abgeschrieben. Ich möchte das an dieser Stelle nur einmal richtigstellen.
Wir wollen in diesen Eckpunkten folgendes: Wir wollen erstens eine Beschränkung der Novelle aus pragmatischen Gründen auf eine Korrektur von Fehlentwicklungen bei der Windenergie. Ich füge hinzu: soweit es sich wirklich um Fehlentwicklungen handelt. Wir waren der Auffassung, daß die Einbeziehung von Wasserkraft, Biomasse und anderen Energieformen im regenerativen Bereich die Gesetzesno-
Dr. Peter Ramsauer
velle erheblich verzögern würde, weil damit noch ein Riesenberg von zusätzlichen Klärungen und Untersuchungen notwendig wäre.
Zweitens. Unser Ziel ist eine Senkung der Einspeisevergütung für Windenergie, sofern sie sich als überhöht erweist. Dabei kommen für uns für Neuanlagen - wohlgemerkt: für Neuanlagen; denn für bestehende Anlagen wollen wir eine Vertrauensschutzregelung - grundsätzlich zwei Varianten in Betracht, nämlich entweder eine Absenkung der Einspeisevergütung unter den derzeitigen Wert von 90 Prozent des Letztverbraucherstrompreises oder die Begrenzung der erhöhten Einspeisevergütung für Neuanlagen auf eine bestimmte Strommenge je Anlage, wobei diese Einspeisevergütung dann den Gesamtkosten und einer angemessenen Eigenkapitalverzinsung einer leistungsfähigen Anlage an einem mittleren Standort entsprechen sollte.
Meine Damen und Herren, ich möchte ausdrücklich die Bedingungen präzisieren, die unseres Erachtens erfüllt sein müssen, bevor es zu Veränderungen kommt. Die von den EVUs aufgestellte Behauptung der Mehrkosten durch das Stromeinspeisungsgesetz und die damit verbundene Frage der sogenannten vermiedenen Kosten müssen einer ganz präzisen Würdigung unterzogen werden. Hier gehen nämlich die Auffassungen über die Werte meilenweit auseinander.
So reden beispielsweise die EVUs manchmal von vermiedenen Kosten in Höhe von 4 oder 5 Pfennig je Kilowattstunde, etwa beim Import von russischem Kernkraftstrom von Lenergo aus Sankt Petersburg, wie Ende letzten Jahres zu lesen war. Mindestens genauso plausibel sind vermiedene Kosten in Form der Vorbezugskosten der Regionalverteilunternehmen, die auf der Mittelspannungsebene bei 14 oder 15 Pfennig pro Kilowattstunde liegen können. Beispielsweise die Schleswag muß endlich einmal ihre tatsächlichen Vorbezugskosten offenlegen, wogegen sie sich bis heute wehrt, wozu sie aber gemäß einem jüngsten BGH-Urteil verpflichtet ist.
Wenn es um die Feststellung der vermiedenen Kosten geht, muß beim Kohlestrom im Hinblick auf die Produktionskosten bei den EVUs zuerst einmal der Subventionsanteil herausgerechnet werden; denn es geht nicht, daß wir beim Kohlestrom den Subventionsanteil für die Verwendung heimischer Steinkohle abziehen und dann an diesem "heruntersubventionierten" Preis die regenerativen Energien messen. Das ist äußerst problematisch.
Besonders problematisch ist, meine Damen und Herren, daß sich Mehrkosten durch die Aufnahme von Windstrom nur durch Simulation an Hand eines Computerprogrammes herleiten - das ist im Verbreitungsgebiet der Schleswag erfolgt -, nicht aber de facto nachgewiesen werden konnten. Der Grund: Die dazu erforderliche zeitgleiche Leistungsmessung sowohl beim Einspeiser als auch beim EVU ist bislang nicht möglich.
Vor diesem Hintergrund ist es gut, daß der Bundesgerichtshof in seinem Urteil zum Stromeinspeisungsgesetz vom 22. Oktober klar festgelegt hat, was hinsichtlich der Einspeisevergütung unter vermiedenen Kosten zu verstehen ist, nämlich die jeweils höchsten alternativen Vorbezugskosten eines EVU. Darüber, so das Gericht, sei das jeweilige EVU auch zur Auskunft verpflichtet.
Darüber hinaus können wir die Belastungen aus dem Stromeinspeisungsgesetz auf keinen Fall als die einzigen sogenannten politischen Sonderkosten im Raum stehenlassen. Nach einer Schätzung des Bundeswirtschaftsministeriums vom Februar 1995 liegen solche politischen Sonderkosten durch Umweltlasten bei der Kohle etwa bei 2,0 Pfennig, bei Atomstrom bei 1,0 Pfennig pro Kilowattstunde. Die Konzessionsabgabe liegt noch einmal bei 1,0 Pfennig, so daß sich insgesamt 4,0 Pfennig je Kilowattstunde ergeben.
Demgegenüber betrug die Belastung des Strompreises durch das Stromeinspeisungsgesetz selbst auf Basis der meines Erachtens überhöhten Zahlen der VDEW im Schnitt nur 0,06 Pfennig je Kilowattstunde. So gesehen wären sämtliche Mehrkosten der EVUs nur ein Bruchteil dessen, was von ihnen stets behauptet wird. Ich füge aber hinzu: Es gibt hier regionale Belastungsverzerrungen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.
Ebenso präzise müssen die Produktionskosten regenerativer Energieträger untersucht werden, bevor wir zu endgültigen Beschlußfassungen kommen. Hier wurden von seiten der Wirtschaft für die nächste Zeit umfangreiche Untersuchungen angekündigt. Ein Gutachten liegt inzwischen vor. Dies legt, kurz gesagt, dar, daß etwa 90 Prozent des Windenergiepotentials, das noch vorhanden ist, in Deutschland nur bei einer Einspeisevergütung von mindestens 17 Pfennig erschließbar ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erst wenn a11 diese Fragen ausgiebig geprüft sind, kann der Frage des Ob und des Wie der Korrektur der Einspeisevergütung für Windstrom endgültig nähergetreten werden. Wir haben auf dem Weg zu einer Korrektur des Stromeinspeisungsgesetzes noch viel zu tun. Die Fakten werden aber eines Tages klar vor uns liegen. Dann, so hoffe ich, werden wir zu einem kleinen Energiekonsens in diesem Hause kommen.
Das Wort hat jetzt der Minister für Finanzen und Energie des Landes Schleswig-Holstein, Herr Claus Möller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Stromeinspeisungsgesetz hat sich beim Ausbau der regenerativen Energien, vor allem der Windenergie, hervorragend bewährt.
Minister Claus Möller
1990 waren bundesweit gerade einmal 70 Megawatt Windkraftleistung am Netz. Heute sind es über 1 545 Megawatt, davon allein 540 Megawatt in Schleswig-Holstein. Auch im Jahre 1996 gab es eine zusätzliche Installation von über 120 Megawatt.
In Schleswig-Holstein werden zur Zeit bereits über 7 Prozent des Stromverbrauchs durch Windenergie gedeckt.
Der vom Stromeinspeisungsgesetz beflügelte Windboom ist nicht nur für den Klimaschutz von großer Bedeutung. Deutschland gehört auf diesem Zukunftsmarkt technologisch heute mit zur Weltspitze: mit 10 000 neuen Arbeitsplätzen, davon 1 500 in Schleswig-Holstein. Ich denke, wir müssen technologisch an der Spitze bleiben, damit nicht nur unsere Nachbarn in Skandinavien, sondern auch wir den Exportmarkt bestimmen.
Dafür war und ist das Stromeinspeisungsgesetz ein wichtiger Antriebsmotor.
Mit der Präzisierung des Stromeinspeisungsgesetzes wollen wir erreichen, daß es den ursrünglichen Anliegen des Gesetzgebers künftig besser entspricht; Stichworte: Härteklausel, Abnahmeverpflichtung, Off-shore-Bereich. Vor allem muß die Härteklausel deshalb präzisiert werden, weil Regionalversorger und Vorlieferanten sie nicht freiwillig anwenden. Ich denke, daß diese Präzisierung mit dem Bundesratsantrag gut gelungen ist. Jedenfalls wollen sich meine politischen Freunde der SPD-Fraktion ihm anschließen. Auch Sie, Herr Dr. Ramsauer, haben seine positiven Ansätze gesehen.
Der besonderen Belastung Norddeutschlands wurde durch die neu aufgenommene Regelung Rechnung getragen, daß auch im Verbundbereich eine Härteklausel von 5 Prozent des aufgenommenen Stroms gilt. Es wird kritisiert, daß das in zwei oder drei Jahren zu einem Ende der Windenergienutzung führen würde. Das sehe ich nicht so. Ich komme nachher noch darauf zurück.
Im Schleswag-Bereich wird die Fünfprozentgrenze zunächst zu einer Kostenentlastung führen, da der Anteil des Windstroms im Schleswag-Versorgungsgebiet 1996 bereits etwa 10 Prozent betragen hat, ohne daß dies zu Strompreiserhöhungen geführt hat.
Richtig ist allerdings, daß bei der Preisaufsicht für 1997 ein Strompreiserhöhungsantrag in der Größenordnung von einem Pfennig vorliegt, der ausschließlich mit der Nutzung der Windenergie begründet wird. Wir werden - vielleicht auch dank des BGH-Urteils - in die Prüfung natürlich auch den Vertrag über Stromlieferungen der Preussenelektra an die Schleswag einbeziehen, der uns demnächst vorgelegt wird.
Ich denke, für die nächsten zwei oder drei Jahre ist die Härteklausel der richtige Weg. Ich habe bei der Anhörung im Wirtschaftsausschuß gesagt, daß es selbst bei der Ausschöpfung des Deckels von 5 Prozent im gesamten norddeutschen Bereich zu maximal 0,3 bis 0,4 Pfennig Strompreiserhöhung kommen kann, wenn man die Kosten anerkennt, die die Stromversorgungsunternehmen uns weismachen wollen.
Schleswig-Holstein wurde zu der Bundesratsinitaitive auch dadurch ermutigt, daß der Bundestag im Mai 1995 das Stromeinspeisungsgesetz einstimmig bekräftigt und den Versorgungsunternehmen wegen ihrer Klage beim Bundesverfassungsgericht deutlich die Meinung gesagt hat, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Zwischenzeitlich ist ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig.
Der schleswig-holsteinische Landtag - mit den Stimmen fast aller Parteien - und die Landesregierung haben hierzu eine eindeutige Stellungnahme beschlossen. Nach der Stellungnahme des Hamburger Verfassungsrechtlers Professor Koch sehe ich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch gelassener entgegen. Professor Koch hat sehr prägnant herausgearbeitet, daß das Stromeinspeisungsgesetz im Einklang mit der Verfassung steht.
Im Mittelpunkt der Diskussion um die Windenergie steht zur Zeit die Frage der Höhe der Vergütung. Ich finde es sehr gut, Herr Dr. Ramsauer, daß Sie heute den Vorschlag bezüglich der 11 oder 12 Pfennig - das wird ja immer wieder behauptet - vom Tisch genommen haben.
Ich warne vor einer zu schnellen, starken und pauschalen Absenkung der Vergütung für Windenergie. Wir brauchen Bestandsschutz für die Anlagen, die es gibt. Wir brauchen die derzeitige Vergütungshöhe, jedenfalls für die Anlagen im Binnenland, und dort liegen noch die großen Entwicklungspotentiale.
Ich stelle für Schleswig-Holstein fest, daß wir uns einer Diskussion für neue, große 1-MW-Anlagen in sehr windhöffigen Gebieten dahin gehend werden nicht entziehen können, ob es zu einer gewissen Anpassung der Vergütung kommt.
Auch die Debatte um das neue Energierecht ist kein Hindernis, die präzisierende Novelle des Stromeinspeisungsgesetzes jetzt zu verabschieden, im Gegenteil. Gerade wenn man die Stromrichtlinie der EU, insbesondere Art. 8 Abs. 3, liest, weiß man, daß Regelungen für die vorrangige Abnahme von Strom aus regenerativen Energien ausdrücklich ermöglicht werden. Gerade dann, wenn es gelingt, eine wirkliche Wettbewerbsstruktur mit wirksamer organisatorischer Trennung zwischen Stromnetz und Stromerzeugung zu schaffen, können vom Netzbetreiber Mehrkosten nach dem Stromeinspeisungsgesetz wettbewerbsneutral und weitgehend problemlos umgelegt werden. Ich halte das nach wie vor für die beste Lösung.
Eine schnelle Entscheidung über die Präzisierung der Härteklausel schließt eine Neuregelung der Förderung regenerativer Energien im Rahmen der dringend erforderlichen Novellierung des Energierechts
Minister Claus Möller
im Zusammenhang mit der EU-Richtlinie keineswegs aus, im Gegenteil. Wir brauchen die Zukunftsabsicherung der regenerativen Energien im Energierecht.
Meine Damen und Herren, wir brauchen kurzfristig für die regenerativen Energien vernünftige politische Rahmenbedingungen. Wir brauchen Rechtssicherheit; sie schafft hoffentlich sehr bald das Bundesverfassungsgericht. Wir brauchen Planungssicherheit. Das hat der Bundestag auch durch die Novellierung des Bundesbaugesetzes geschaffen; das wird auf Länderebene umgesetzt. Aber wir brauchen jetzt auch ökonomische Kalkulierbarkeit. Ich denke, dafür ist der Vorschlag der Präzisierung der Härteklausel für die nächsten zwei Jahre der richtige Weg. Wir sollten dann gemeinsam in Ruhe über die Energierechtsreform und über die langfristige Absicherung der regenerativen Energien diskutieren.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Friedhoff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Beratung der beiden vorliegenden Anträge gewinnt die Diskussion um erneuerbare Energien an Fahrt; dies begrüßt die F.D.P.-Bundestagsfraktion. Im Interesse von Klimaschutz und Ressourcenschonung sollte der mögliche Beitrag der erneuerbaren Energien weiterhin ausgeschöpft werden.
Frau Hustedt, vielleicht nehmen Sie zur Kenntnis: Es war der ehemalige Bundeswirtschaftsminister, mein Kollege Herr Dr. Haussmann, der dieses Ziel als einer der ersten Verantwortlichen in der Bundesregierung klar vor Augen hatte. Mit der Gründung des Forums „Erneuerbare Energien" installierte er eine Denkschule mit dem Ziel, den Einsatz dieser Energieträger zu verstärken und ihren Anteil am Energiemix zu steigern. Nicht zuletzt auf Grund dieser Initiative und auf Anregung des Hohen Hauses ist 1990 das Stromeinspeisungsgesetz geschaffen worden. Dieses Gesetz überläßt den Ausbau regenerativer Energien nicht allein dem Staat - auch hier ist Eigeninitiative gefragt; Gestaltungsräume können vom einzelnen genutzt werden -, und es hat Kräfte freigesetzt und Innovationen gefördert.
Neue Techniken sind entstanden und werden kontinuierlich weiterentwickelt. Auch wenn der Blick schon damals auf die großen Betreiber von Windkraftanlagen zum Beispiel in Dänemark und in den Niederlanden gerichtet war, waren zum damaligen Zeitpunkt das Ausmaß der Expansion und die Möglichkeiten des technischen Fortschritts nicht so klar. Dies ist an den Kosten abzulesen, mit denen man damals gerechnet hat. 50 Millionen DM waren veranschlagt - nachzulesen im damaligen Gesetzentwurf -, eine Summe, die weit übertroffen wurde.
Mit der Flankierung dieses Gesetzes durch Förderprogramme von Bund und Ländern ist ein sehr starker Zubau vor allem neuer Windanlagen ausgelöst worden. Dies unterstützt auch die F.D.P.-Bundestagsfraktion prinzipiell. Aber es hat auch zu wirtschaftlichen Verwerfungen geführt, die auf Dauer so nicht tragbar sind. Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Stromeinspeisungsgesetzes, der heute zur ersten Beratung ansteht, zeigt das sehr deutlich.
Die betroffenen Länder haben erkannt, daß die Mehrbelastungen durch die Förderung der Windenergie vor allen Dingen an der Küste und auf den Inseln nicht unverändert so hingenommen werden können. Signale, Wettbewerbsverzerrungen in den Griff zu bekommen, sind auch aus Brüssel gekommen. Wir werden uns nicht nur wegen der EU-beihilferechtlichen Problematik, sondern auch vor dem Hintergrund der Beratungen zur Novellierung des Energiewirtschaftsrechts zunehmend mit der nationalen Subventionspolitik befassen müssen.
Die Stromeinspeisungsvergütung ist vielerorts zu einer Dauersubvention geworden und hat zu hohen Mitnahmeeffekten geführt. Vielerorts wird damit Geld verdient,
allerdings nicht zu Marktpreisen.
- Die F.D.P. wird immer dagegen sein, wenn wir das Geld der Bürger erst einsammeln müssen, damit dann andere bevorzugt werden. Dagegen werden wir immer vorgehen. Das werden wir auch hier tun.
Die Zeche zahlen nämlich die Verbraucher in den betroffenen Regionen durch die Erhöhung der dortigen Strompreise. Dies will die F.D.P. ändern. Deshalb beraten wir zur Zeit intensiv in Gesprächen mit allen Beteiligten mögliche Änderungen des Gesetzes.
Die F.D.P. steht zum Stromeinspeisungsgesetz; es muß allerdings novelliert werden. Es ist wohl niemand im Hause, der etwas anderes will. Daß der Bestandsschutz mit aufgenommen werden muß, daß wir nicht von jetzt auf gleich in eine andere Form hineingehen können, ist auch der F.D.P. völlig klar.
Wir wollen auch zukünftig eine Förderung der regenerativen Energien mit Hilfe dieses Instrumentes; deshalb müssen wir es novellieren. Aber es muß einen fairen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten ermöglichen. Betreiber und Hersteller brauchen Investitions- und Planungssicherheit. Darin stimmen wir alle überein.
Die F.D.P. befürwortet eine baldige Novelle, damit die Gelder, die für die Entwicklung regenerativer Energien eingesetzt werden, nicht fehlgeleitet, sondern in Zukunft noch zielgerichteter eingesetzt werden können.
Paul K. Friedhoff
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Köhne.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Stromeinspeisungsgesetz hat sich bewährt. Der Anteil regenerativer Energien in diesem Land ist deutlich gestiegen. Im flachen Norden stehen mittlerweile über 4 000 Windkraftanlagen, und im bergigen Süden sind zahlreiche kleine Wasserkraftwerke wieder in Betrieb. Über 10 000 neue Arbeitsplätze sind entstanden. 2,5 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß blieben uns im letzten Jahr erspart. Dieser erfolgreiche Weg muß weiter beschritten werden.
Obwohl dieses Gesetz einmütig von allen Parteien dieses Parlamentes gestützt wird, steht es unter Druck; unter dem Druck der großen Stromkonzerne, allen voran der Preussenelektra, die ihre Monopolstellung verteidigen wollen. Mit verschiedensten Methoden, von der Bestellung zweifelhafter Gefälligkeitsgutachten bei der EU bis zum offenen Gesetzesbruch durch Verweigerung der Zahlung der Einspeisungsvergütung, wird versucht, dieses Gesetz zu unterlaufen.
Der Grund: Sie wollen ihre exorbitanten Profite verteidigen. Genau darüber müssen wir uns unterhalten, Kollege Friedhoff, wenn es darum geht, daß vielerorts viel Geld verdient wird. Allein die Preussenelektra hat nach Recherchen des Bundesverbands Windenergie 1995 unter Berücksichtigung zweifelhafter gewinnmindernder Rückstellungen eine Kapitalrendite von über 30 Prozent und einen Überschuß vor Steuern in Höhe von 1 Milliarde DM erwirtschaftet, und dies, obwohl die Stromkonzerne einen Anstieg ihrer Mehrbelastung allein an der Küste mit zweifelhaften 150 Millionen DM beziffert haben.
Die Stromkonzerne nagen also keinesfalls am Hungertuch, und die Einspeisungsvergütungen sind durchaus finanzierbar. Die Einspeisungsvergütungen sind in dieser Höhe auch gerechtfertigt.
Es geht bei den vermiedenen Kosten nicht allein um die Brennstoffkosten, sondern insgesamt um die Bereitstellungskosten in Höhe der Vorbezugskosten der Regionalversorger. Das ist mittlerweile auch kartellrechtlich bestätigt worden. Es ist im übrigen ein Problem der Stromkonzerne, daß sie unsinnige Überkapazitäten geschaffen haben. Im Prinzip müssen sie dafür bestraft werden.
Das Stromeinspeisungsgesetz ist nicht nur umweltpolitisch, sondern auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Es führt dazu, daß im Bereich erneuerbarer Energien Arbeitsplätze geschaffen und erhalten werden. Dieser Bereich ist in der Regel arbeitsintensiver als zum
Beispiel Atomenergie. Die großen Stromkonzerne hingegen investieren entweder in kapitalintensive Branchen, oder sie kaufen ganz einfach andere auf. Wenn, wie geschehen, Preussenelektra mit 12,5 Prozent bei der Hamburger HEW einsteigt, wird damit logischerweise kein einziger Arbeitsplatz geschaffen.
Das Stromeinspeisungsgesetz muß also voll erhalten bleiben. Der Antrag des Bundesrates wird dieser Forderung übrigens nicht gerecht. Er läuft darauf hinaus, daß zum Beispiel im Versorgungsgebiet von Preussenelektra die Regenerativstrommenge auf 2 mal 5 Prozent des derzeitigen Stromumsatzes begrenzt würde. Nach Angaben des Bundesverbandes Windenergie könnte diese Grenze bereits 1998 erreicht sein.
Wir halten es daher für sinnvoll, eine andere Form der sogenannten Härteklausel zu finden.
Statt einer Einschränkung des Stromeinspeisungsgesetzes oder einer Minderung der Vergütung halten wir eine Ausweitung des Gesetzes für Kraft-WärmeKopplung-Anlagen und eine kostendeckende Förderung für Solarstrom für geboten.
Also nicht zurück, sondern vorwärts zu einer umweltfreundlichen Energieversorgung! Das ist das Gebot der Stunde.
Für die Bundesregierung spricht jetzt Herr Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien ist ein wichtiger Bestandteil einer zukunftsweisenden Energiepolitik, einer Energiepolitik, die sich neben einer sicheren und wirtschaftlichen Versorgung auch den Zielen Ressourcenschonung und Umwelt- und Klimaschutz verpflichtet weiß. Deshalb hat die Bundesregierung erneuerbare Energien in erheblichem Umfang gefördert. Ich nenne hier als Beispiele nur die beträchtlichen F-und-E-Mittel für die Photovoltaik, das 250-
Megawatt-Windenergieprogramm und auch das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien des Bundeswirtschaftsministeriums.
- Das sind insgesamt mehr als eine Milliarde DM bei all diesen drei Punkten zusammen. Ich denke, das ist eine ganz ordentliche Größenordnung.
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
Das Stromeinspeisungsgesetz fördert seit 1991 die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien durch eine erhöhte Einspeisungsvergütung. Das hat vor allem zu einem verstärkten Einsatz der Windkraft geführt. Herr Minister Möller hat hier die Zahlen genannt: 1990 unter 100 Megawatt Windkraftleistung am Netz. Mittlerweile sind es Ende 1996 rund 1 600 Megawatt. Ich glaube, kein anderer Bereich erneuerbarer Energien, auch nicht die schon immer stärker zur Stromerzeugung genutzte Wasserkraft, kann derartige Erfolge aufweisen.
So sehr der Ausbau der Windkraftnutzung zu begrüßen ist, dürfen auf der anderen Seite die besonderen Probleme in den windgünstigen Regionen nicht übersehen werden, in denen sich naturgemäß diese Anlagen auf wenige Standorte konzentrieren. Die Abnahme- und Vergütungspflicht nach dem Stromeinspeisungsgesetz hat zu einer zunehmenden und einseitigen finanziellen Belastung dieser Regionen geführt, und zwar sowohl bei den Versorgungsunternehmen als auch bei den Verbrauchern. Über die Höhe dieser Belastung wird heftig gestritten. Aber auch darüber sollte man sich Klarheit verschaffen, wenn man Energiepolitik mit Verstand und nicht nur mit dem Gefühl machen will.
Wie sind die wirtschaftlichen Fakten? In der überschaubaren Zukunft vollzieht sich der Ausbau der Windkraft vor dem Hintergrund mehr als ausreichender Kraftwerkskapazitäten. Im wesentlichen werden durch Windstrom nur die variablen Kosten der Stromproduktion in anderen Anlagen vermieden. Diese sind vergleichsweise niedrig. Auch längerfristig kann Windkraft nur in sehr begrenztem Umfang den Zubau sonstiger Kraftwerke ersetzen, da die Versorgung bei Windstille oder bei nur schwachen Winden ebenfalls gesichert sein muß.
Der massive Ausbau der Windkraftanlagen auf Basis des Stromeinspeisungsgesetzes hat eine rasante technologische und wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht, und zwar in einem Ausmaß, das so vor wenigen Jahren kaum vorstellbar war. Das ist gut so.
Wir müssen uns aber auch die Frage stellen, Frau Kollegin Hustedt, ob die Mindestvergütung für Windstrom abgesenkt oder wenigstens je nach Standort differenziert werden kann, und zwar - das betone ich ausdrücklich - ohne damit einen weiteren Ausbau der Windenergie zu gefährden.
Ich denke, auf längere Sicht ist es den Verbrauchern, die letztlich die zusätzlichen Kosten aufbringen müssen, nicht zuzumuten, zugunsten der Windkraft 17 Pfennig pro Kilowattstunde - und damit deutlich mehr als für Strom aus anderen Anlagen - zu zahlen, wenn die Kosten für Windstrom mit 12 oder weniger Pfennigen angegeben werden. Ich sage es noch einmal deutlich: Wir wollen Investitionen in erneuerbare Energien. Selbstverständlich sollen die Investoren eine angemessene Rendite erzielen können. Es dient aber letztlich auch den erneuerbaren Energien nicht - ich betone: nicht -, wenn des Guten zuviel getan wird.
Der Entwurf des Bundesrates zielt im wesentlichen auf eine bessere regionale Verteilung der Belastungen aus dem Stromeinspeisungsgesetz ab. Im Ergebnis führt dies dazu, daß die Kosten für Anlagen in den Küstenregionen Schleswig-Holsteins und Niedersachsens auf das ganze Preussenelektra-Gebiet, das von Flensburg bis vor die Tore Frankfurts reicht, verteilt werden. Ich sehe hierin durchaus einen geeigneten Ansatz, um ein Teil der Probleme abzumildern. Darüber hinaus muß aber weitergehend geprüft werden, ob nicht an windgünstigen Standorten inzwischen eine Überförderung festzustellen ist, die abgebaut werden sollte.
Hinzu kommt, daß die Europäische Kommission das Gesetz unter beihilferechtlichen Aspekten prüft. Sie hält eine unveränderte Mindestvergütung für Windenergie nach europäischem Beihilferecht für problematisch. Zudem sei die Förderung zeitlich nicht begrenzt und nicht degressiv ausgestaltet. Auch Brüssel sieht die Notwendigkeit einer besonderen Regelung für Altanlagen, die einen gewissen Vertrauensschutz genießen, für die aber eine Dauerförderung ebenfalls nicht in Betracht kommen könne.
Ein Zurückschneiden der Förderung wäre - auch das will ich hier sagen - unseres Erachtens keine Politik gegen erneuerbare Energien. Im Gegenteil: Auch erneuerbare Energien stehen in der öffentlichen Diskussion. Gerade das Stromeinspeisungsgesetz mit seiner für eine Marktwirtschaft untypischen Preisfestsetzung wird ständig juristisch angegriffen. Derzeit laufen einige Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Bundeswirtschaftsministerium hat übrigens namens der Bundesregierung klar Stellung bezogen und die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes ohne Wenn und Aber bejaht.
Nur, die verfassungsrechtliche Angreifbarkeit des Gesetzes erhöht sich, wenn wir auf sichtbar gewordene Probleme nicht reagieren, sondern unnötige Belastungen von Verbrauchern und Regionen hinnehmen, obwohl sie - jedenfalls in diesem Ausmaß - für das angestrebte Ziel nicht erforderlich sind. Ich denke, es liegt daher auch im wohlverstandenen Interesse der erneuerbaren Energien selbst, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Förderung und Belastung auf Dauer gewahrt bleibt.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?
Bitte sehr.
Die windgünstigen Standorte in Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind aus meiner Sicht in der Tat schon besetzt. Die große Frage ist doch jetzt nicht, ob noch sehr viele Investitionen an der Küste stattfinden. Die große, entscheidende Frage ist doch viel-
Michaele Hustedt
mehr, ob wir Windkraftanlagen jetzt auch im Binnenland bekommen, wo nicht so günstige Windverhältnisse herrschen wie an der Küste. Wie sehen Sie die Bedingungen für diese ungünstigeren Windstandorte, wenn Sie die Einspeisevergütung senken wollen? Gibt es dann aus Ihrer Sicht überhaupt noch Chancen, daß in diese ungünstigeren Windstandorte, zum Beispiel in der Eifel oder in Sachsen, investiert wird?
Frau Kollegin Hustedt, genauso, wie es vorhin falsch war, daß Sie dem Bundeswirtschaftsminister unterstellt haben, er strebe eine Beseitigung des Stromeinspeisungsgesetzes an, ist es falsch, wenn Sie sagen, wir wollten hier pauschal und radikal Einschnitte in die bestehenden Regelungen vornehmen. Uns geht es darum, einen differenzierten Ansatz einzubringen, die unterschiedliche Standortqualität zu berücksichtigen und zu gewährleisten, daß es an keinem Standort letztlich zu einer Überförderung kommt. Wenn ich gesagt habe, daß wir wollen, daß es auch in Zukunft Zubau gibt, dann beinhaltet das auch, daß wir nachdenken und prüfen, wie dies an Standorten schlechterer Qualität auch in Zukunft möglich sein wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will noch sagen - damit komme ich auf Ihren Gesetzentwurf zurück, Frau Kollegin Hustedt -: Es dient mit Sicherheit nicht den Interessen der erneuerbaren Energien, wenn das Stromeinspeisungsgesetz zu einem umfassenden Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien umgestaltet und die Förderung für alle Energien pauschal erhöht würde, wie die Grünen dies vorgeschlagen haben. Eine generelle Erhöhung der Vergütung auf 95 Prozent des Durchschnittserlöses würde wohl von der Kommission als Provokation empfunden und müßte das Gesetz ernsthaft gefährden. Auch eine Anhebung der Vergütung für die gesamte Wasserkraft um 15 Prozentpunkte ist nicht vertretbar. Dies würde primär nur den Wasserkraftanlagen zugute kommen, die schon sehr lange bestehen.
Als Resümee möchte ich festhalten: Nicht der fördert Umwelt und erneuerbare Energien am besten, der zu Lasten der Verbraucher möglichst hohe Einspeisevergütungen gesetzlich vorschreibt. Es ist umgekehrt: Eine Förderung, die in ihrer Höhe, Dauer und Struktur sachlich nicht zu rechtfertigen ist, ist eher eine Gefahr für den Fortbestand des Stromeinspeisungsgesetzes. Deshalb muß es so ausgestaltet werden, daß die rechtlichen Risiken für seinen Fortbestand reduziert werden. Selbstverständlich muß die Lösung auch mit einem stärker liberalisierten EU- Energiemarkt vereinbar sein.
Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine zügige Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes ist geboten, auch um eingetretene Verunsicherungen bei den Investoren abzubauen. Hier sollten wir alle konstruktiv zusammenarbeiten.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dietmar Schütz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will festhalten: Das Stromeinspeisungsgesetz hat sich bewährt, und wir sind aufgefordert, es im Kern nicht zu gefährden.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates zu diesem Gesetz und der Gesetzentwurf der Grünen zum gleichen Thema fallen zeitlich zusammen mit der schon beschlossenen EU-Richtlinie für den ElektrizitätsBinnenmarkt und mit dem vom Bundesrat schon behandelten Entwurf eines Energiewirtschaftsgesetzes der Bundesregierung. In diesen eng miteinander verknüpften Diskussionen stellt sich nun die Frage: Wie müssen wir das vorhandene Stromeinspeisungsgesetz reformieren, um es dauerhaft zu sichern? Und es stellt sich auch die Frage: Wie kann und wie muß es in das Gesamtgefüge von EU-Elektrizitäts-Binnenmarktrichtlinie und nationalem Energiewirtschaftsrecht eingepaßt werden?
Die Ziele des bisher von allen Parteien des Deutschen Bundestages getragenen Stromeinspeisungsgesetzes - insbesondere die CO2-Minderung - sind nach der Verabschiedung des Gesetzes von der Bundesregierung auch auf der Rio-Konferenz von 1992 feierlich bestätigt und auf 25 Prozent CO2-Reduktion konkretisiert worden. Es hat sich inzwischen eine ausgesprochen produktive und innovative Windkraftindustrie mit einem großen Potential zukunftsfähiger qualifizierter Arbeitsplätze entwickelt, die gerade in den strukturschwachen Regionen aufgebaut wurde und dort auch erhalten werden muß.
Es wäre daher geradezu eine Ironie der Geschichte, wenn nun die ursprünglichen Autoren insbesondere der CDU/CSU zulassen würden, daß das Stromeinspeisungsgesetz durch die Umsetzung des Energiewirtschaftsgesetzes in der uns vorliegenden Fassung faktisch obsolet wird. Dies gilt um so mehr, da die EU-Elektrizitäts-Binnenmarkt-Richtlinie das Stromeinspeisungsgesetz in allen strittigen Punkten tragen würde. Dies wird von der EU-Richtlinie expressis legis gesichert, sowohl in der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung - dem sogenannten Service publique - auf Beachtung des Umweltschutzes als auch in der Vorrangeinräumung für regenerative Energien auf der Ebene der Übertragungsnetze und auch der Verteilernetze in den Art. 8 und 11.
Ganz anders im Entwurf des nationalen Energiewirtschaftsgesetzes, wo der Umweltschutz lediglich in der Zielformulierung eine Rolle spielt und sonst nirgendwo. Der Rexrodt-Entwurf bietet keine Überlebenschance für regenerative Energien. Er muß an dieser Stelle nachhaltig geändert werden.
Bisher waren wir uns immer einig, daß es auch Aufgabe der gesamten Stromindustrie sein soll,
Dietmar Schütz
daran mitzuwirken, den regenerativen Energien faire Marktzugangsmöglichkeiten zu eröffnen und zu erhalten und das Ganze nicht dem Steuerzahler zu überlassen. Ich appelliere daher an uns alle, daß wir diese gemeinsame Position beibehalten, nicht nur in der heutigen Diskussion zum Stromeinspeisungsgesetz, sondern auch in den nächsten Monaten bei der Behandlung des Energiewirtschaftsgesetzes. Ich appelliere auch an die Stromindustrie, diese Aufgabe gemeinsam zu tragen. Je mehr sie sie gemeinsam trägt, desto weniger kommt es zu Wettbewerbsverzerrungen.
Das Kernstück des Bundesratsvorschlages ist die Neufassung der Härteklausel mit einer im Ergebnis doppelten fünfprozentigen Deckelung. Mir erscheint die vorgeschlagene Neufassung mit der ersten Fünfprozentdeckelung auf der Verteilerebene für die kommunalen bzw. regionalen Versorgungsunternehmen unabdingbar zu sein, um so eine großräumigere Verteilung der Mehrbelastung zu erreichen. Im Ergebnis werden einige Stadtwerke und vor allem die regionalen Versorger Schleswag - diese beiden sofort - und EWE - dieser etwas später - entlastet.
Das ist etwas anderes als eine gesamte fünfprozentige Deckelung, Frau Hustedt. Dieser Ansatz ist wesentlich wirkungsvoller als die alte Härtefallklausel; er kann unsere Unterstützung finden.
Der Bundesratsentwurf normiert darüber hinaus für die sogenannte Verbundebene, die zur Einspeisungszahlung herangezogen wird, wenn die ersten fünf Prozent Stromanteile aus regenerativen Energien erreicht sind, einen zweiten Fünfprozentdeckel. Bei Überschreitung dieser Marge wird eine Stromeinspeisung regenerativer Energien nicht mehr zugelassen. Konkret entlastet dieser Vorschlag Preussenelektra im Küstenbereich; dieses Unternehmen wird seinerseits aber durch die Neuformulierung der Härteklausel zunächst deutlich stärker belastet.
Meine Damen und Herren, ich will den Streit, wie viele Kilowattstunden dieses Limit bedeutet - ob es bei 4,5 Milliarden Kilowattstunden liegt oder nicht - und wann dieses Limit greift - ob es schon 1998, wie es Frau Hustedt angeführt hat, oder erst im Jahre 2003 greift, wie andere sagen - nicht entscheiden. Wichtig ist, daß zwei Entwicklungen konsequent ausgeschlossen werden: Erstens will ich für die Einspeisung regenerativer Energien nicht schon jetzt mengenmäßige oder zeitlich festgelegte Limits haben.
Zweitens will ich aber auch nicht, daß alle Zusatzbelastungen beim küstennahen Verbundunternehmen - das ist hier Preussenelektra - hängenbleiben. Es muß einen Lastenausgleich mit anderen EVU vor Erreichen des zweiten Deckels geben.
Wir müssen deshalb Lösungen finden, die diese Kappung der regenerativen Energien nicht erforderlich machen und die auch die ausschließliche Belastung nur eines einzigen Unternehmens verhindern. Deswegen muß man über den zweiten Deckel reden, um andere Lösungen zu finden. Dies kann durch die Einbettung dieses Gesetzentwurfes in das Energiewirtschaftsgesetz geschehen.
Bei der Befolgung der uns von der EU auferlegten Operation des Unbundling, das heißt der Trennung von Produktion, Übertragungsnetzen und Verteilernetzen, wäre es naheliegend, möglicherweise sogar bei Beibehaltung des Stromeinspeisungsgesetzes in der jetzigen Form, auf der Ebene der Netzbetreiber regenerative Energien einzuspeisen. Diese Netzbetreiber müßten wirtschaftlich selbständig und unabhängig von Produzenten und Verteilern sein, um eine neutrale Funktion ausüben zu können.
Auf dieser so festgelegten Einspeisungsebene wäre somit nicht ein EVU alleine betroffen, sondern es wäre möglich, einen Ausgleich zwischen allen EVU zu schaffen. Dies wäre meines Erachtens wegen der Einräumung eines Vorrangs für regenerative Energien und auch aus dem Allgemeininteresse am Umweltschutz verfassungsrechtlich unbedenklich. Das Kohleurteil würde an dieser Stelle nach meiner Einschätzung nicht ziehen. Hier geht es um einen anderen Ansatzpunkt als im Verfassungsgerichtsurteil.
Wir müssen uns, meine Damen und Herren, in den nächsten Monaten darüber unterhalten, welches Modell zur Sicherung der regenerativen Energien wir bevorzugen: Ob wir unter Beibehaltung des Stromeinspeisungsgesetzes, so wie ich es gerade dargelegt habe, lediglich die Paßstelle zum Energiewirtschaftsgesetz schaffen, was eher dem dänischen Modell gleicht, ob wir, wie Frau Hustedt angedeutet hat, ein Poolmodell nach dem englischen System schaffen oder ob wir, wie es die Amerikaner gemacht haben, eine dynamische Quotierung für regenerative Energien vorziehen, darüber müssen wir eine Diskussion führen. In diesem Zusammenhang darf es keinen Zweifel daran geben, daß die Einspeisung regenerativer Energien langfristig gesichert wird und daß darauf - darüber sind wir uns wohl alle einig - Investitionsentscheidungen gestützt werden können.
Neben der Härteklausel und der Abnahmeverpflichtung muß à la longue das Stromeinspeisungsgesetz möglicherweise eine differenzierte Regelung zur Einspeisevergütung treffen.
Noch halte ich die Aussagen insbesondere aus den Kreisen der EVU in vielen Fällen für falsch, die Strommüller in den Starkwindgebieten an der Küste würden bei den neuen und hocheffizienten Windkraftanlagen Mitnahmeeffekte erzielen.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich bin gleich am Ende meiner Rede, Frau Präsidentin. - Es müssen bei einer seriösen Berechnung auch die langfristigen Finanzierungssituationen und die Wartungskosten
Dietmar Schütz
bedacht werden. Die uns jetzt vorgelegten Gutachten bestätigen dies.
Wir werden die Argumente gründlich prüfen und erst nach einer offen geführten Diskussion über die Höhe der Einspeisevergütung entscheiden, insbesondere unter dem Aspekt, daß auch die Binnenlandstandorte berücksichtigt werden.
Die Sozialdemokraten werden für die regenerativen Energien stehen, und wir werden das in den kommenden Diskussionen zum Energiewirtschaftsrecht zeigen.
Danke sehr.
Jetzt hat der Abgeordnete Wolfgang Börnsen das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, daß es der Diskussion förderlich ist, daß auch die Opposition das Energieeinspeisungsgesetz im Grundsatz anerkennt und meint, daß es viele gute Grundzüge enthält, auf denen man aufbauen kann.
Zweitens, Dietmar Schütz, ist es, glaube ich, auch hilfreich, wenn es Vorschläge gibt, wie man korrigieren kann, ohne zu verändern. In der jetzigen sehr zugespitzten Situation ist es um so hilfreicher, je mehr Modelle und neue Wege aufgezeigt werden, die zufriedenstellend sind.
Als wir vor zehn Jahren damit begannen, die Windenergie zum Thema zu machen, war das noch ein Sonderthema für einige Exoten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß der damalige Forschungsminister Heinz Riesenhuber für das „Monster von der Marsch", für den Growian, querbeet durch das ganze Haus gescholten und damit die Windenergie als verwegener Vorschlag angesehen wurde. Ich kann mich gut an die Situation erinnern, als wir - Dietrich Austermann, Erich Maaß und viele andere - vor zehn Jahren aus unseren eigenen Reihen einen Gruppenantrag eingebracht haben. Wir sagten, man kann nicht allein auf Kernkraft und Kohle bei uns setzen, sondern wir müssen auch auf die regenerativen Energien setzen. Damals wurden viele noch als Pioniere und zum Teil als versponnene Erneuerer angesehen. Das ist heute anders. Heute gibt es eine breite parlamentarische Mehrheit für das Energieeinspeisungsgesetz und auch dafür, zu vertretbaren Korrekturen zu kommen.
Der Bund und die Länder, aber auch viele Private haben inzwischen viele anerkennenswerte Initiativen eingeleitet. Das Beispiel Windenergie zeigt, daß unerschöpfbare Energien heute eine Erfolgsstory sind. Allein in Schleswig-Holstein wurden in den letzten zehn Jahren dadurch 1 000 neue Arbeitsstellen geschaffen, bundesweit, so sagt man, über 10 000 neue Arbeitsstellen. Windenergie ist heute als eine umweltschonende Spitzentechnologie anerkannt. Allein 1995 sind über 1 Millionen Tonnen CO2 durch den Einsatz von Windenergieanlagen vermieden worden. Windkraftanlagen wurden ein Exportschlager für unser Land. Deutschland wurde innerhalb eines Jahrzehnts zum Windland Nummer eins in Europa und ist bereits Nummer zwei in der Welt.
Dieser Boom zeigt aber auch Schattenseiten und Verwerfungen. Repräsentanten des Tourismus, des Natur- und Denkmalschutzes, zunehmend aber auch Bürgerinnen und Bürger - wir wissen in SchleswigHolstein ein Lied davon zu singen - sind gegen den Bau von Windkraftanlagen. Wir müssen diese Vorbehalte deutlich abbauen. Wildwuchs wird kräftig kritisiert, ebenso die Prägung der Landschaft, der Lärm, die Schlaglichteffekte und besonders die zunehmenden Kosten.
Hier haben wir im Interesse unserer eigenen Volkswirtschaft und von Millionen von Stromkunden zu handeln, und darin sind wir uns einig. Dabei geht es nicht nur um die Anschubfinanzierung des Bundes, die in den letzten 20 Jahren über 6,5 Milliarden DM ausgemacht hat. Dazu gehören die 3 Milliarden DM, die der Forschungsminister in den letzten 20 Jahren ausgegeben hat. Dazu gehört fast die gleiche Summe, die der Bundesminister für Wirtschaft ausgegeben hat. Dazu gehören auch 2 Milliarden DM, die über die Deutsche Ausgleichsbank an die Windmüller für günstige Kredite ausgegeben worden sind. Auch die Länder haben allein von 1991 bis 1996 mehr als 1 Milliarde DM für die Förderung von Windkraftanlagen ausgegeben. Darin sind noch nicht die Subventionen für die Stromeinspeisung und noch nicht die Folgekosten für Investitions- und Eigenheimzulagen enthalten.
Jetzt machen Stromkunden mit Recht Front gegen zusätzliche Belastung durch regenerative Energien und - das ist schon gesagt worden - im Norden ganz besonders gegen die einseitig zu übernehmenden Sonderlasten. Auch der EU-Wettbewerbskommissar Karl van Miert hat die hohe Subventionierung kritisiert und die Bundesregierung aufgefordert, sie zurückzufahren. Entsprechend handelt der Bundeswirtschaftsminister.
Die großen norddeutschen Energieversorgungsunternehmen rechnen mit Sonderlasten, die Schleswag zum Beispiel im letzten Jahr mit 150 Millionen DM. Im Jahr 2000 rechnet sie mit 600 Millionen DM. Dies ist ein wahnsinniger Anstieg der Zusatzkosten, der natürlich vor Ort noch einmal zu überprüfen sein wird, jedoch nicht aus der Welt zu schaffen ist, auch wenn man über die Höhe der Zusatzkosten streiten kann.
70 Prozent aller Windkraftanlagen stehen in windgünstigen Regionen Norddeutschlands. Dort leben aber nur 4 Prozent der Verbraucher, die allein rund 60 Prozent der Zusatzkosten, die sich aus dem Stromeinspeisungsgesetz ergeben, tragen. Das muß man wissen. Diese Sonderlasten wirken sich besonders auf die drei regionalen Stromversorgungsgesellschaften aus und verteuern den Strom. Dadurch gerät der Norden im Wettbewerb der Regionen in eine Schieflage. Auch das darf nicht sein.
Wolfgang Börnsen
Die Verteuerung, die von einigen propagiert wird, ist meines Erachtens der falsche Weg.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?
Ja, gerne.
Herr Kollege Börnsen, könnten Sie mir einmal sagen, wann Schleswag zum letztenmal die Preise erhöht hat?
Die Erhöhung der Preise für 1997 ist beantragt worden und muß jetzt zusammen mit der schleswig-holsteinischen Landesregierung, die für die Genehmigung zuständig ist, umgesetzt werden. Es kommt also zu einer Verteuerung des Stroms. Damit ist Ihre Frage hoffentlich beantwortet.
Ich habe darauf aufmerksam gemacht, daß einige für die Position der Verteuerung eintreten. Das ist nach meiner Einschätzung der falsche Weg. Deutschland hat in Europa bereits die höchsten Strompreise.
Wenn wir unseren Wirtschaftsstandort sichern und verbessern wollen, dann müssen die Strompreise gesenkt werden.
Dadurch ergibt sich eine Kostenentlastung für die Arbeitsplätze und für die Wirtschaft insgesamt.
Ich glaube, daß Einigkeit darin besteht, einmal nachdrücklich die Härteklausel anzuwenden. Das ist noch nie getan worden. Sie ist im Gesetz enthalten und bietet Möglichkeiten, eine allgemeine Kostenentlastung und -übertragung zu erreichen.
Eine weitere Möglichkeit zur Lösung dieses Problems, die im Gesetzentwurf aufgenommen worden ist - die Fondslösung -, möchte ich hervorheben. Daß sich alle EVUs an den Sonderlasten, die regional auftreten, zu beteiligen haben, halte ich für einen vernünftigen und auch richtigen Weg.
Die dritte Lösung sieht eine Prüfung dahin gehend vor, ob gerade durch die Technologieverbesserung im Bereich der Windkraft die Frage der Windkraftvergütung neu überdacht werden muß. Die Vorwürfe von Mitnahmeeffekten sowie die Forderung, die Windmüller hätten kein Anrecht auf einen Vertrauensschutz, müssen aus der Welt. Sie, die Pioniere waren und ein Abenteuer, ein Risiko eingegangen sind, müssen ihren Vertrauensschutz behalten. Das gilt auch für den Abschreibungszeitraum.
Wir müssen zwar insgesamt zu einer Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes kommen, eine Korrektur sollte jedoch nur in wichtigen Bereichen vorgenommen werden, wenn es nämlich darum geht, den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt zu verbessern, die regionalen Verwerfungen zu verändern und gleichzeitig dazu beizutragen, daß die erneuerbaren Energien in unserem Land eine Zukunft erhalten und wir dadurch die Attraktivität unseres Wirtschaftsstandortes sichern.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hermann Scheer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht wiederholen, was schon zuvor gesagt worden ist, sondern auf vier Punkte eingehen, die meines Erachtens in dieser Diskussion wesentlich sind.
Der Bundestag hat im Mai 1995 nahezu einhellig das Verhalten der Energieversorgungsunternehmen, nämlich das Stromeinspeisungsgesetz aktiv zu brechen, verurteilt. Seitdem wird versucht, dieses Votum des Bundestages systematisch zu zerbröseln und in der öffentlichen Diskussion Desinformationen zu streuen,
die im Grunde genommen vor allem die Seriosität derjenigen, die seitens der Energiewirtschaft diese Behauptungen etwa über Zahlen streuen, extrem in Frage stellen.
Es ist eine Frage der politischen Kultur, ob der Bundestag dieses Zerbröseln mitmacht oder nicht. Er muß an dem festhalten, wozu er sich politisch verpflichtet hat und was er für richtig hält. Er darf sich dabei vor allem nicht belügen lassen.
Daß die Zahlen über Mehrkosten, die gestreut werden, überhaupt noch ernsthaft diskutiert werden, ist im Grunde genommen erstaunlich. Laut BGH-Urteil und vielen anderen Urteilen ist völlig klar, daß die vermiedenen Kosten nur die vermiedenen Bezugskosten beim bisherigen Vorlieferanten sein können und überhaupt nichts anderes. Alles andere ist mit keinem marktwirtschaftlichen Prinzip vereinbar und entspricht allenfalls planwirtschaftlichen Kategorien.
Ich finde es erstaunlich, daß darüber überhaupt noch ernsthaft diskutiert wird. Ich unterstreiche die Notwendigkeit dessen, was der Kollege Ramsauer gesagt hat: Es müssen endlich einmal die präzisen Zahlen zugrunde gelegt werden und nicht irgendwelche Behauptungen.
Es ist auch nicht richtig, daß das Stromeinspeisungsgesetz eine Subvention darstelle. Vielmehr ist es eine Mehrvergütung, weil umweltfreundlicher Strom angeboten wird, also etwas gemacht wird -
Dr. Hermann Scheer
das Gesetz nennt das ebenfalls als Bedingung -, was die Energieversorgungsunternehmen nicht machen. Wo kommen wir denn hin, nun ausgerechnet - das ist meine Kritik an dem zweiten Punkt, nämlich der Mengenbeschränkung, der Obergrenze im zweiten Deckel, des Schleswig-Holstein-Entwurfs - bei erneuerbaren Energien eine Mengenbeschränkung einzuführen, die bedeutet, daß ab zehn Prozent Marktanteil Schluß ist?
Eine Mengenbeschränkung gibt es bei Kohle und bei anderen nicht, aber ausgerechnet bei umweltfreundlich, emissionsfrei produziertem Strom. - Das heißt, so etwas einzuführen ist falsch.
Im übrigen wäre es meines Erachtens in keiner Weise verfassungskonform, bei einem Energieträger, für den soviel spricht, eine Obergrenze einzuführen. Dem ist nicht dadurch abgeholfen, daß man diese Grenze nach ein paar Jahren vielleicht noch einmal gesetzlich ausdehnt. Damit wird die Dauerauseinandersetzung über erneuerbare Energien in Zukunft prolongiert.
Neu ist, daß die EU-Richtlinie eindeutig klarmacht, daß alle Ansinnen, eine Verfassungsbeschwerde einzulegen, im Grunde hinfällig sind, denn das EU-Recht ist verbindlich. Das EU-Recht sieht eindeutig vor, daß eine getrennte Unternehmensrechnung stattfinden muß. Die Behauptung der vermiedenen Brennstoffkosten bei den EVUs paßt im Grunde genommen überhaupt nicht mehr in den Rahmen der EU-Richtlinie, weil nur noch die Bezugskostenvergleiche eine Rolle spielen dürfen. Deswegen werden alle Klagen dieser Art hinfällig sein. Das wird sich zeigen und ist ziemlich eindeutig.
Wir müssen bei Modifikationen des Stromeinspeisungsgesetzes die getrennte Unternehmensrechnung in Rechnung stellen, also Lastenvergleiche - natürlich gibt es dafür gute Gründe, dann aber ohne Mengenbegrenzung - anders ansetzen, und zwar in Form eines bundesweiten Ausgleichs, was durch die EU-Richtlinie ausdrücklich erlaubt ist.
Zum Schluß komme ich zu noch einem Punkt; der ist fast frivol. Ich spreche niemanden in diesem Hause an, sondern die allgemeine Debatte. Die Art und Weise, wie teilweise darüber diskutiert wird, daß einige, die Windkraftanlagen betreiben, jetzt auch Gewinne machen, ist geradezu abenteuerlich.
Das heißt doch: Wer umweltschädliche Energieversorgung betreibt, darf noch und noch Gewinne machen, aber diejenigen, die das anders machen, nicht. Mit diesen falschen Maßstäben kommen wir niemals zu marktwirtschaftlichen Lösungen der Ökologiefrage.
Marktwirtschaftliche Lösungen sind intelligentere Lösungen, wenn sie richtig angesetzt werden und richtig betrieben werden.
Daß sich nun ausgerechnet einige aus der Energiewirtschaft über Gewinne, über Mehrbelastungen oder über sonstige Dinge, die man dem Kunden nicht zumuten dürfe, mokieren, ist doch unglaublich. Da gibt es milliardenschwere steuerfreie Rückstellungen aus dem Betrieb von Atomkraftwerken.
Da werden von jemandem zwei Milliarden DM etwa für den Aufkauf einer Mineralölkonzernzentrale bezahlt. Da haben wir Mineralölsteuerbefreiungen für mineralölverarbeitende Betriebe und Steuersubventionen auf herkömmliche Energieträger noch und noch.
Da haben wir 3 bis 3,5 Milliarden Mehrtarifierung allein in Ostdeutschland, wogegen jetzt die ostdeutschen Gemeinden klagen. Und dies alles soll zumutbar sein oder war gegenüber dem Stromkunden zumutbar. Aber 60 Millionen DM Mehrbelastung für Einspeisungen von Strom aus erneuerbaren Energien - die es in der Tat sind und nicht mehr - sollen für den Stromkunden eine Zumutung sein? Wenn die Bürger über die wahren Verhältnisse abstimmen, werden sie für eine höhere Vergütung bei erneuerbarer Energie sein und nicht für eine geringere.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kurt-Dieter Grill.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Scheer, ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie hier wirklich die richtige Interpretation von Marktwirtschaft vorgeführt haben, aber das werden wir im Ausschuß noch einmal miteinander erörtern.
Ich denke, es ist durch die Beiträge aus der Koalition deutlich geworden, daß eine Vermutung oder eine Kritik im Hinblick auf die Abschaffung des Stromeinspeisungsgesetzes obsolet ist, weil ich niemanden gehört habe, der heute morgen der Abschaffung des Stromeinspeisungsgesetzes das Wort geredet hat.
Es wäre ja auch schlecht, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn wir die Erfolgsstory dieses Gesetzes und seiner Wirkungen nicht fortschreiben würden, allerdings unter Prüfung der Dinge, die von den Kollegen hier auch schon vorgetragen worden sind.
In diesem Zusammenhang, Herr Möller, will ich noch einmal auf folgendes hinweisen, weil mir das schon wegen vielerlei anderer Debatten ein inneres Anliegen ist: Wenn Sie heute morgen hier feststellen können, daß Deutschland in Sachen Windenergie
Kurt-Dieter Grill
Weltspitze ist, so liegt das daran, daß die erforderlichen Programme seit dem Regierungswechsel 1983 sowohl von Bundesforschungsministern der Union und der F.D.P. wie von den Bundeswirtschaftsministern umgesetzt worden sind. Von niemand anderem stammt auch das Stromeinspeisungsgesetz. In dem Sinne bedanke ich mich für das Lob für den Erfolg unserer Politik.
- Es ist nur so, daß manche in der Debatte draußen, lieber Dietmar Schütz, das vergessen, und ich denke, das ist schon ein Anlaß, es hier noch einmal festzuhalten.
Es gibt also keine grundsätzliche Aufgabe des Gedankens an ein Stromeinspeisungsgesetz, und ich nehme ausdrücklich das auf, was Frau Hustedt hier zu der höchst spannenden Frage - juristisch wie auch wirtschaftlich und von der Konstruktion her - gesagt hat, welche Konsequenzen wir möglicherweise in einer Energierechtsnovelle ziehen müssen. Das darf aber nicht dazu führen, daß wir jetzt die Novelle zum Stromeinspeisungsgesetz zurückstellen, sondern wir sollten hier schon die Entscheidung suchen.
Es könnte nur sein - und ich will vorsichtigerweise darauf hinweisen -, daß manchen, die in dieser Debatte auf die Monopole hingewiesen haben, auf dem Wege zum Energiewirtschaftsgesetz die Monopolisten abhanden kommen. Ich will nur darauf hinweisen, daß das bei einer Liberalisierung der Märkte kein Gegenstand mehr ist. Dieser Popanz, Buhmann, oder wie immer man das nennen will, könnte also in der Debatte entfallen.
Der nächste Punkt ist, meine Damen und Herren: Es besteht gar kein Zweifel darüber, daß wir den Zukunftsmarkt erneuerbare Technologien im übrigen nicht nur für die deutsche Energieversorgung brauchen, verehrter Herr Scheer. Wenn Sie sich einmal mit den Wissenschaftlern unterhalten, die auch mit den Geldern arbeiten, die aus den Bundestöpfen kommen, dann wird sehr schnell deutlich, gerade bei der Photovoltaik, daß wir weniger über einen deutschen Markt reden als über Exportmärkte. Das heißt überhaupt nicht, daß wir in der Frage der Anwendungsbreite etwa auch von Photovoltaik nicht mehr tun müssen, können und sollten. Ich sage das hier ausdrücklich, weil bei der heutigen Debatte über das Stromeinspeisungsgesetz - ich will wenigstens einmal darauf hinweisen, damit das klar ist - der Wind allzusehr im Vordergrund der Erörterung steht. Hier ist über Photovoltaik und Solarstrom schon geredet worden. Aber ich füge ausdrücklich hinzu, daß dann auch Stichworte wie Biomasse noch einmal in die Erörterung mit einbezogen werden müssen.
Ich will auch gar keinen Zweifel daran lassen, weil es trotz aller Erklärungen, die abgegeben worden sind, immer wieder Nachfragen gibt: Über den Bestandsschutz diskutiert niemand bei uns. Den stellt niemand in Frage. Das ist vollkommen klar, so daß wenigstens an dieser Front Ruhe einkehren sollte.
Es ist auch nicht zu leugnen, wenn Sie einmal den Verlauf der Debatte Revue passieren lassen, daß die regionale Unwucht allein schon dadurch deutlich geworden ist, daß kein Unternehmen genannt worden ist, das westlich oder südlich des Verbreitungsgebietes der Preussenelektra liegt. Wir reden heute morgen nur über ein norddeutsches Problem.
Deswegen will ich einmal die Frage nach der Pflicht aller stellen. Ich greife einmal das Beispiel mit dem bundesweiten Ausgleich, das Sie, Herr Schütz, gebracht haben, auf. Die Diskussion kann nur dann richtig geführt werden, wenn die anderen überhaupt an die 5-Prozent-Klauseln herangeführt werden. Sonst ist das im Grunde genommen eine Diskussion, die sich einzig und allein um ein Gebiet Deutschlands dreht und deswegen auch nicht zu einer Vielfalt der erneuerbaren Energien und ihres Einsatzes in der Stromerzeugung führt.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang nach einem Gespräch mit dem Bundesverband Erneuerbare Energie von heute morgen eine kritische Bemerkung in Richtung Schleswig-Holstein und rot-grüner Landesregierung machen. Wir haben im November einen parlamentarischen Abend gehabt. Da hat der Staatssekretär Voigt von den Grünen für die schleswig-holsteinische Landesregierung eine fulminante Rede darüber gehalten, was für ein Stromeinspeisungsgesetz wir im Bundestag verabschieden müssen. Der Bundesverband Erneuerbare Energie beklagt sich heute morgen bei mir, daß praktisch 1997 und wahrscheinlich auch in einem erheblichen Teil von 1998 eine totale Blockade des Ausbaus der Windenergie in Schleswig-Holstein existiert,
weil erst Regionalpläne gemacht werden müssen. Sie blockieren im Augenblick nach Aussagen des Bundesverbandes Erneuerbare Energie den Ausbau der Windenergie. Die Investoren in Schleswig-Holstein können ihre bereits genehmigten Bauanträge nicht realisieren.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Börnsen?
Nein, Frau Präsidentin, ich möchte meine Rede zu Ende führen; meine Redezeit ist praktisch zu Ende. Ich möchte noch meinen Schlußsatz sagen.
Kurt-Dieter Grill
- Wenn Sie der Meinung sind, daß meine Behauptung falsch war - das kann ja gut sein -, stelle ich dagegen: Ich bin der Meinung, daß der Bundesverband Erneuerbare Energie eine sehr zuverlässige Adresse ist, auf die auch Sie sich sonst stützen. Ich gehe davon aus, daß Herr Carstensens mir heute morgen die Wahrheit gesagt hat.
Zusammenfassend will ich sagen: Wir sollten an der Novelle des Stromeinspeisungsgesetzes entsprechend arbeiten. Es ist hier, wie ich glaube, auch deutlich geworden, daß durchaus die Chance zu Gemeinsamkeiten gegeben sein kann.
Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß wir mit den Gutachten, die gerade diese Woche in Bonn vorgestellt worden sind, möglicherweise auch die Chance haben, die Diskussion durch Fakten zu versachlichen und zu einer gesicherten Auseinandersetzung auch mit den EVUs zu kommen, damit endlich Klarheit in die Debatte kommt. Wir wollen Sicherheit für die Investoren in die Windenergie. Wir werden uns von dem Wege hin zu einer Gemeinsamkeit im Sinne dessen, was Peter Ramsauer am Anfang gesagt hat, durch die eine oder andere Irritation nicht abbringen lassen. Vielleicht können wir ja, Frau Hustedt, etwas Gemeinsames schaffen, auch wenn es schwer wird.
Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Kuhlwein das Wort.
Herr Kollege Grill, wir nehmen zur Kenntnis, daß der Bundesverband Erneuerbare Energie in diesem Bereich Informationen hat, die nicht ganz den Tatsachen entsprechen und die deswegen in diesem Hause korrigiert werden sollten, damit der Minister des Landes Schleswig-Holstein für Finanzen und Energie nicht noch einmal in die Debatte eingreifen muß, was er ja tun könnte.
Nehmen Sie, Herr Grill, bitte zur Kenntnis, daß Schleswig-Holstein in den letzten Jahren wirklich führend beim Ausbau der Windenergie gewesen ist, daß wir inzwischen dabei sind, 7 Prozent des Strombedarfs des Landes aus Windenergie zu decken, daß im Jahre 1996 zusätzlich 120 Megawatt an Leistung durch Windenergieanlagen installiert worden ist und daß für 1997 ebenfalls damit gerechnet werden kann, daß erneut 120 Megawatt zusätzliche Windenergieanlagenleistung installiert wird.
Deswegen sollte hier nicht der Eindruck erweckt werden, daß ausgerechnet das Land, das sich in den letzten Jahren am meisten um regenerative Energien verdient gemacht hat, Blockaden aufbauen würde, wenn es darum geht, hier ein weiteres Stück voranzukommen.
Es antwortet der Kollege Grill.
Herr Kollege Kuhlwein, ich nehme zur Kenntnis, daß Sie mit viel Wind um das herumgeredet haben, was ich hier vorgetragen habe.
Das, was Sie alles gemacht haben und von dem Sie erzählt haben, hätten Sie ohne das Stromeinspeisungsgesetz gar nicht durchführen können.
Meine Behauptung, daß konkret in Schleswig-Holstein zur Zeit nicht gebaut werden kann,
weil Sie erst Regionalpläne seitens der Landesregierung aufstellen wollen, haben Sie nicht widerlegt.
Wir müssen aufpassen, daß wir nicht in eine zweite Debattenrunde kommen. Wenn aber ein Mitglied des Bundesrates das Wort wünscht, muß ich das zulassen. Ich tue das auch gerne.
Bitte, Herr Minister Möller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zahl, die hier genannt worden ist, daß auch im letzten Jahr ein Anstieg der installierten Leistungen um 20 Prozent erfolgte, ist richtig.
Richtig ist auch, daß das Land Schleswig-Holstein die Umsetzung des Bundesbaugesetzes, was die Privilegierung angeht, in Angriff genommen hat, um ordnungsrechtlich in Abstimmung mit den Kreisen die Raumordnungspläne für die Windenergie abzusichern. Ich will nicht leugnen: Bei dem rasanten Ausbau der Windenergie haben wir regional Akzeptanzprobleme. Deshalb mußten wir ein geordnetes Verfahren in den Regionen wählen, um auf diese Probleme mehr Rücksicht zu nehmen.
Was Herr Kuhlwein schon gesagt hat, ist richtig: Es gibt keinen Baustopp. Selbstverständlich wird in einigen Kreisen weitergebaut. In Dithmarschen - gerade der Kollege Austermann wird das wissen - haben wir überhaupt keine Probleme, weil dort ausreichend Baugenehmigungen vorliegen. Wir werden die ersten Raumordnungspläne im Jahre 1997 so weit fertigstellen, daß wir mit dem Ausbau der Windenergie in Schleswig-Holstein zügig vorankommen. Ich bleibe bei der Prognose von einem Zuwachs um vermutlich wieder 100 MW.
Ich denke, ein solcher geordneter Ausbau war die Intention des Bundestages, als das Bundesbaugesetz novelliert worden ist.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Austermann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch einmal die Aussagen geraderücken, die der Energieminister des Landes Schleswig-Holstein eben gemacht hat.
Tatsache ist, daß durch einen Erlaß der Landesregierung vom 27. November letzten Jahres neue Anlagen in Schleswig-Holstein zur Zeit nicht genehmigt werden. Dies wird so lange gelten, bis der eine oder andere Regionalplan in Kraft treten kann.
Jetzt kann man sich natürlich die Frage stellen, Herr Möller, wie lange es dauert, bis derartige Regionalpläne in Kraft treten können, und wie es mit der Position der Gemeinden aussieht.
Sie hatten eben Dithmarschen angesprochen. Von den 117 Gemeinden in Dithmarschen haben 31 Gemeinden gegen die Pläne der Landesregierung votiert, die zur Folge haben, daß nur noch auf sogenannten Eignungsflächen, die die Behörden des Kreises auswählen, Windenergie gewonnen werden kann. Das heißt: Was wir hier an Privilegierung gemeinsam durchgesetzt haben, wird in SchleswigHolstein mit sofortiger Wirkung obsolet. Über jede einzelne Windmühle entscheidet künftig nur noch die Landesregierung.
Es ist davon auszugehen, daß die Regionalpläne wegen der zu erwartenden Rechtsstreitigkeiten in absehbarer Zeit nicht in Kraft treten werden. Das heißt: Für neue Anlagen gibt es in absehbarer Zeit - für mich bedeutet das: in den nächsten ein bis zwei Jahren - keine einzige Genehmigung.
Das bestätigt im Grunde genommen den Zickzackkurs, den die Landesregierung in Sachen Windenergie in den letzten Jahren eingeschlagen hat. Das fing 1994 mit dem Nein zur Privilegierung an. Durch die Grünen wurden Sie im Koalitionsvertrag zur Zustimmung der Privilegierung gedrängt. Jetzt folgt durch einen Erlaß der Landesregierung der Ausstieg aus der Privilegierung. Diese Tatsachen stimmen nicht mit dem überein, was Sie ständig im Lande erzählen. Es tut mir leid, dies sagen zu müssen.
Es ist richtig und wichtig, daß diese Tatsachen einmal klargestellt werden.
Ich darf leider weitere Wortmeldungen nicht zulassen. Ich denke, wir hatten genug Gelegenheit, die unterschiedlichen Gesichtspunkte darzustellen.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 13/2684 und 13/5357 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die beiden Gesetzentwürfe sollen außerdem dem Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus überwiesen werden. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Risiken der Transrapid-Finanzierung
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Gila Altmann.
Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Wissmann, schlafen Sie eigentlich noch ruhig, wenn Sie wissen, Sie schlagen morgens die Zeitung auf und Ihnen kommen schon wieder zehn neue Argumente gegen den Transrapid entgegen? Die Industrie freut sich bereits, daß sie noch mit einem blauen Auge davonkommen kann, und selbst die FAZ - Ihnen sonst immer gewogen - rechnet Ihnen vor, jede Verzögerung der Umkehr mache einen Irrtum nur teurer, und fleht Sie an, die Akte Transrapid rasch zu schließen. Vielleicht haben Sie sie ja unter dem Arm.
Was brauchen Sie eigentlich noch, um aus dem Schwebezustand auf den Boden der Realität zu gelangen?
Herr Wissmann, tun Sie uns doch einen Gefallen: Machen Sie doch bitte diese Aktuelle Stunde zu einer Stunde der Wahrheit!
Geben Sie zu, was wir alle schon wissen: Bei steigenden Kosten, sinkenden Erlösen und nicht vorhandenem Bedarf ist der Transrapid ein Dinosaurier in der Verkehrsgeschichte und zum Aussterben verurteilt.
Die Industrie hat Ihnen vorgerechnet, daß es keinen wirtschaftlich rentablen Betrieb gibt. Der Durchschnittspreis für jeden gefahrenen Kilometer ist von bisher 28 Pfennig auf fast 60 Pfennig, also um mehr als das Doppelte, hochgeschossen. Weil die Fahrgastzahlen nach unten gehen, gehen die Preise rauf - das ist eine Binsenweisheit. Eine Transrapidrückfahrkarte für eine vierköpfige Familie von Hamburg nach Berlin würde danach zwischen 1 100 und 1 400 DM kosten. Wer eigentlich soll unter diesen Bedingungen hin- und herfahren, Shopping gehen, ins Theater gehen, und das mehrmals im Jahr?
Gila Altmann
Das kann sich nicht einmal die F.D.P.-Klientel leisten.
Herr Wissmann, erzählen Sie uns nicht, Wirtschaftlichkeit sei Sache der Industrie, der Bund sei nur für den Fahrweg zuständig. Es sollte Sie schon interessieren, wenn Sie auf einer milliardenschweren Investitionsruine sitzenbleiben. Sie wollen zwar die Investitionskosten in 40 Jahresraten unabhängig von den Erlösen zurückhaben - ein frommer Wunsch -, doch was geschieht eigentlich, wenn Sie gebaut haben und jährlich absehbare Verluste in Millionenhöhe eingefahren werden? Wer übernimmt denn die Defizite, wenn die Betreibergesellschaft den Konkurs androht oder pleite geht? Dann muß doch der Bund und damit der Steuerzahler einspringen, wie wir es aus der Bahngeschichte kennen. Für die Abrißkosten muß die öffentliche Hand allemal herhalten.
Was ist mit der Preisentwicklung am Fahrweg selbst? Wie steht es denn nun mit der Kostensteigerung bei Hochtief um 40 Prozent?
Aber Sie wollen ja sparen und nun teilweise einspurig schweben. Nur kommen Sie bei der Schmalspurversion mit dem Zehnminutentakt nicht hin, und Sie vergessen, daß damit viele der Fahrgäste, die Sie nötig brauchen, wegbleiben. Hochgeschwindigkeit im Bummelzugtakt, betriebswirtschaftlich gesehen eine wahre „Wissmännchen-Rechnung" !
Wenn dieser Irrsinn so weitergeht, dann ist ein zweites Kalkar vorprogrammiert nach dem Prinzip, erst bauen, dann schauen, dann verschenken. So wurden schon einmal etliche Steuermilliarden in den Sand gesetzt. Muß man jeden Fehler wiederholen, statt aus ihm zu lernen? Dieses Verschleudern von Steuergeldern können wir uns schon lange nicht mehr leisten.
Kommen Sie uns nicht mit dem Argument, Transrapidgegner seien Technikfeinde und Bedenkenträger. Technikfeindlich sind die unbelehrbaren Anhänger eines ökonomisch, ideologisch und verkehrspolitisch katastrophalen Hochgeschwindigkeitswahns, einer Technologie, die dringend notwendige Mittel für eine wirklich innovative Weiterentwicklung der Rad-Schiene-Technik blockiert.
Bereits in den 70er Jahren wollte sich Georg Leber vergeblich mit dem Transrapid ein verkehrspolitisches Denkmal setzen. Schon damals stand fest, daß die Rad-Schiene-Technik durch den Transrapid sträflichst vernachlässigt wird. Nicht zufällig wird heute der TGV, nicht der ICE exportiert. Wenn also beim Transrapid etwas trägt, dann sind es die Bedenken.
Wir glauben Ihnen auch das Märchen von den neuen Investoren nicht. Wir erinnern uns nur zu genau an das Windei mit den Niederländern, die angeblich bis nach Amsterdam durchschweben wollten. Eine Nachfrage bei Ihrer niederländischen Kollegin, und die Seifenblase war zerplatzt.
Also, Herr Wissmann: Legen Sie heute die Fakten auf den Tisch!
- Das sagt man nicht. Das ist sexistisch. -
Haben Sie den Mut, sich zu einem verkehrspolitischen Desaster zu bekennen! Noch ist Zeit, die Signale auf Halt zu stellen und den Transrapid auf den Schrottplatz der Geschichte zu befördern. Ansonsten - das sage ich Ihnen, Herr Wissmann - rasen Sie mit ihm ungebremst ins politische Aus.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Fischer.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Die CDU/CSU-Fraktion, die Koalition will das Projekt Transrapid Hamburg-Berlin und steht auch dazu.
Wir sind im Zeitplan. Nach dem Konzept ist vorgesehen, nach dem Raumordnungsverfahren eine erste Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durchzuführen. Diese ermöglicht eine Prognose für die Zukunft. Deswegen sind Szenarien erforderlich und Prämissen, die den Szenarien zugrunde gelegt werden.
Dies geht methodisch gar nicht anders.
Herr Schmidt, wenn Sie hier antreten und sagen: Ich gebe Ihnen verläßliche Zahlen für das Jahr 2005,
dann sind Sie wirklich ein ganz weiser Mensch.
Schaffen Sie also keine Verwirrung mit Falschbe-
Dirk Fischer
hauptungen, sondern sagen Sie, daß es darum geht, ein Szenario für das Jahr 2005 zu entwickeln!
Es geht um die Kernfragen des industriellen Finanzierungskonzepts und des Kabinettsentscheids vom März 1994, um eine gemeinschaftliche Konzeption der öffentlichen Hand, der Industrie und der Banken mit einer staatlichen Infrastrukturverantwortung und einer privaten Betriebsverantwortung, sauber ordnungspolitisch abgegrenzt, wie wir es bei allen Verkehrsträgern und -wegen wollen. Dies alles bleibt. Es gibt keine Verschiebung. Jede Spekulation, von wem auch immer, ist völlig überflüssig und geht daneben.
Der Bundesminister hat dies vor dem Verkehrsausschuß eindeutig erklärt. Die Debatte im Ausschuß hat keine Frage offengelassen.
Der Minister hat richtig gehandelt, weil er für die weitere Behandlung einen notwendigen Impuls gegeben hat und weil er im besten Interesse des Bundes und des Projektes gehandelt hat. Wir sind dem Bundesminister für diese Ausführungen dankbar.
Es geht dabei um die Abwägung einer sachlich vertretbaren Kostenentwicklung, der Beibehaltung der Aufgabenteilung, der Verhinderung jeglicher Quersubventionierung. Die Wirtschaftlichkeit, gestützt auf Verkehrsprognosen, muß hergestellt werden.
Der Bericht liegt Ende März/Anfang April vor. Sie wissen das; es steht im Konzept. Sie aber tun so, als ob wir heute bereits über ein Endergebnis beraten könnten. Das heißt: Sie informieren bewußt falsch. Sie stiften Verwirrung in einer Phase der Erarbeitung der Grundlagen. Dies ist abzulehnen.
Wenn der Bericht vorliegt, wird sich das Kabinett damit befassen - so steht es im Konzept. Dies wird ganz seriös abgearbeitet.
Vor Einleitung des Planfeststellungsverfahrens wird es eine Kabinettsbefassung und -entscheidung geben. Nach dem Planfeststellungsbeschluß wird eine zweite Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durchgeführt.
Deren Ergebnis ist für den Bund bei der Bereitstellung von Haushaltsmitteln, für Industrie und Banken bei der Bereitstellung von Investitionsrisikokapital, wie es das Wort besagt, entscheidend. Nur so ist es logisch und verantwortbar.
Der Bund hat seine Aufgaben erfüllt. Auch die Industrie und die Banken müssen dies leisten. Sie müssen und werden dies tun im vollen Bewußtsein, welche Symbolbedeutung es für den Standort Deutschland und die Zukunft des Industrie- und Technologiestandortes Deutschland hat. Ich rufe sie auf, endlich Verantwortung für unser Land, die Arbeitsplätze und unsere Zukunft wahrzunehmen.
Die Opposition treibt hier ein sachwidriges, ein destruktives, ein bewußt erzeugtes Verwirrungsspiel. Es geht aber um die gerechte Behandlung aller Verkehrsträger und ihrer Verkehrswege. Deshalb treten Sie, Herr Schmidt, bei der Bewertung der RadSchiene-Neubaustrecke zwischen Köln und Frankfurt bitte mit dem gleichen Maßstab an!
Die Fragen, die Sie zum Transrapid stellen, unterdrücken Sie hinsichtlich der Strecke Köln-Frankfurt nämlich bewußt.
Die Deutsche Bahn Aktiengesellschaft hat im Anhörverfahren gesagt: Kommt der Transrapid nicht, muß die Hochgeschwindigkeitsstrecke HamburgBerlin gebaut werden. Auch dabei ist Landverbrauch notwendig.
Sagen Sie den Leuten vor Ort, die heute um Wald und Liegenschaften fürchten, daß wir dann eine Hochgeschwindigkeitsstrecke bauen müssen, bei der die Landschaftszerschneidung und andere Dinge sehr viel gravierender, die ökologischen und die Energiewerte negativer sind.
Die Prognosen im Verkehrsbereich sind in der Praxis oft weit übertroffen worden. Für die SNCF- Stammstrecke Paris-Lyon waren 6 Millionen Passagiere prognostiziert. Im ersten Jahr der Inbetriebnahme waren es schon 8 Millionen.
Heute sind es bereits 21 Millionen.
Eurotunnel, erstes Betriebsjahr: 8 Millionen Passagiere. Im letzten Jahr waren es 13 Millionen.
Für den Flughafen München-Riem waren 6 Millionen Passagiere prognostiziert. Der neue Flughafen hat für das Jahr 2000 eine Prognose von 12 Millionen.
Dirk Fischer
Wir haben im letzten Jahr im Flughafen München II - ich gebe die Zahl, glaube ich, erstmalig bekannt - fast 16 Millionen Passagiere gehabt. Was haben sie damals dazu gesagt? Sie wollen doch gar nicht mehr an Ihre damaligen Worte erinnert werden.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist leider abgelaufen. Sie müssen zum Ende kommen.
Das ist mein Schlußwort. - Ich bin von Herzen dankbar, daß sich in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg die Jungsozialisten, die Jungen Liberalen und die Junge Union zu einer Initiative pro Transrapid zusammengeschlossen haben. Es geht um deren Zukunft. Sie haben es satt, daß Sie, die Technologieverweigerer, die Arbeitsplatzverweigerer, die Zukunftsverweigerer, ihnen in dieser Frage die Zukunft verderben.
Ich sage der SPD: Gerhard Schröder hat die Kurve gekriegt.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Es geht wohl nicht an, daß wir die Leute mit einem HubschrauberShuttle von der Expo nach Laatzen fliegen und sagen: Jetzt zeigen wir euch eine Technologie, deren Anwendung wir nie wollen.
Herr Kollege, wenn ich Sie unterbreche, dann müssen Sie sich auch unterbrechen lassen.
Dies ist wohl lächerlich.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Ferner.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ich denke, das aufgeregte Geschrei des Kollegen Fischer zeigt, wie hoch das Wasser schon steht, nämlich bis Oberkante Unterlippe.
Die derzeitigen Verrenkungen, die es in Sachen Transrapid gibt, sind wahrlich zirkusreif. Da will Herr Wissmann den Transrapid nicht mehr um jeden Preis bauen. Das Bundesfinanzministerium will nicht mehr als 5,6 Milliarden DM zur Verfügung stellen. Dann will Herr Wissmann ausländische Investoren akquirieren. Bauverzögerungen durch Proteste in Wakkersdorf werden selbst von Herrn Vogel von Thyssen nicht mehr ausgeschlossen. Dirk Fischer zieht jetzt sogar den hochwirtschaftlichen Eurotunnel zu Rate.
Herr Staatssekretär Henke sagt, die Kosten müßten realistisch kalkuliert werden, und die Industrie müsse endlich ein tragbares Finanzierungskonzept vorlegen. Das haben wir schon vor fünf Jahren gesagt. Die Verkehrsleistung wird in dem Zwischengutachten um ein Drittel niedriger prognostiziert als vorher.
Somit muß ich Ihnen sagen, liebe Kollegen und Herr Wissmann: Alles, was wir vor vier oder fünf Jahren an Befürchtungen hatten, ist mittlerweile eingetreten. Wir haben im nachhinein leider recht behalten, weil Sie in Ihrer ideologischen Verbohrtheit keine Kritik angenommen haben.
Diese Sturheit rächt sich jetzt bitter. Die Großmannssucht rächt sich bitter. Das starre Festhalten an der Relation Hamburg - Berlin rächt sich jetzt bitter, genauso wie die Kritik, die Sie achtlos in den Wind geschlagen haben.
Sie, Herr Wissmann, sind schuld daran, daß es möglicherweise weder einen Transrapid noch eine leistungsfähige ICE-Strecke zwischen Hamburg und Berlin geben wird; denn bei dem Investitionsvolumen, das Sie für die Schiene nur noch haben, möchte ich ein großes Fragezeichen setzen, ob eine ICE- Neubaustrecke zwischen Hamburg und Berlin wirklich gebaut werden kann.
Die Exportchancen, die von den Gutachtern in der Anhörung letztes Jahr ohnehin als sehr niedrig eingeschätzt worden sind, haben Sie durch die Wahl dieser Strecke nun endgültig kaputtgemacht. Denn wenn Sie, wie wir es vorgeschlagen haben, eine kürzere Anwendungsstrecke gewählt hätten, die auch früher in Betrieb gehen könnte, wäre das alles kein Problem. Ich sage Ihnen, Herr Wissmann: Es war ein schwerer politischer Fehler, stur an dieser langen und sehr umstrittenen Strecke festzuhalten.
Es stehen jetzt alle im Regen - die Stadt Hamburg, die Stadt Berlin, die Stadt Schwerin, die Beschäftigten, die Systemindustrie, die Bauindustrie. Sie, Herr Wissmann, stehen ebenfalls im Regen.
Wenn man einmal dieses vielgelobte Modell der „public-private partnership" hinterfragt, muß man fragen: Was soll denn das eigentlich noch? Das Engagement der Industrie ist ohnehin unheimlich gering. Selbst der Bundesrechnungshof hat gesagt: Der Bund muß seine Risiken weiter zurückführen. Sie haben in dieser Hinsicht nichts getan. Jetzt bekommen alle kalte Füße. Sie, Herr Wissmann, bekommen kalte Füße, aber auch die Industrie. Die Prognosen sind eben schon genannt worden.
Elke Ferner
Es gibt das Handicap, daß ein so großes Projekt eben EU-weit ausgeschrieben werden muß. Niemand kann sicherstellen, daß die deutsche Bauindustrie diese Aufträge auch bekommt.
Insofern wird sich die deutsche Bauindustrie auch nicht an der Betriebsgesellschaft beteiligen.
Es ist wirklich rührend, Herr Wissmann, wie Sie jetzt noch versuchen, ausländische Investoren zu gewinnen.
Es ergibt sich dann für eine vierköpfige Familie ein derart hoher Fahrpreis - ihn hat die Kollegin Altmann eben hochgerechnet -, der nicht dazu anregt, die Verbindung mit dem Transrapid zu nutzen. Man wird wahrscheinlich auf den noch verbliebenen Interregio, vielleicht aber auch auf einen schnelleren Zug der Dänischen Staatsbahn zurückgreifen, um von Hamburg nach Berlin zu kommen.
Was im Moment abläuft, ist ein Schwarzer-PeterSpiel. Es hat begonnen; wir sind mittendrin. Ich füge hinzu: Was hier seit Wochen läuft, erweckt den Eindruck, daß der Einstieg in den Ausstieg geprobt wird. Wenn Sie, Herr Wissmann, unsere Forderungen angenommen oder wenigstens einmal in Erwägung gezogen hätten, dann würden Sie jetzt nicht vor einem Scherbenhaufen stehen. Sie haben die Finanzierungsrisiken ignoriert und wollten keine kürzere Anwendungsstrecke. Sie sind mit dem Kopf durch die Wand gegangen. Herr Wissmann, ich muß Ihnen sagen: Ihre Politik ist gescheitert; Sie machen keine zukunftsorientierte Verkehrspolitik. Mit Steuergeldern können Sie schon gar nicht seriös umgehen.
Sie, Herr Wissmann, kommen mir vor wie ein Bungee-Springer, der mit vollem Anlauf über das Brükkengeländer springt, nur leider den Fehler hat, daß er weder über Seil noch Netz verfügt. Ich glaube, 1998 werden Sie die Quittung dafür bekommen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Zeiten großer Aufgeregtheiten, wie wir sie jetzt beim Transrapid erleben,
ist man ab und zu gezwungen, sich wieder einmal ein wenig auf die Tatsachen zurückzuziehen,
die dem Gesetz zugrunde gelegen haben, das wir mit Mehrheit beschlossen haben, und sich einmal zu fragen: Wie schauen die Zahlen denn aus? Wo stehen wir? Wie ist der Sachstand? Wer hat was zu erledigen? Und wie schaut es tatsächlich aus?
Nun hat der Deutsche Bundestag, vielleicht für viele in der Industrie überraschend, das Magnetschwebebahnbedarfsgesetz sehr zügig verabschiedet. In einer namentlichen Abstimmung gab es 340 Ja-Stimmen. Das Allgemeine Magnetschwebebahngesetz ist ebenfalls in Kraft getreten. Der Bundesrat hat Ihnen nicht den Gefallen getan, dieses Gesetz nicht anzunehmen. Er hat es angenommen.
Nun ist die Industrie dran. Sie hat erste Zahlen vorgelegt. Nun wird jede einzelne Zahl hervorgezogen und zum Totmacher des Transrapid erklärt. Das ist ja bei jedem großen Projekt geschehen. Ich erinnere an die ICE-Strecke Köln-Rhein-Main. Am Anfang wurden die Kosten auf 3,3 Milliarden DM geschätzt; der geschätzte Spitzenwert betrug 11,5 Milliarden DM. Vergeben worden ist die Strecke für 7,7 Milliarden. Dazwischen gab es, wie immer, überall Aufregung.
So auch beim Transrapid. Allerdings - das ist richtig - sind die Gesetzgebungsverfahren deswegen so zügig abgeschlossen worden, weil sich das Parlament mit voller Kraft
in die Sache hineingekniet und sie abgeschlossen hat, während ich in bezug auf die Industrie den Eindruck habe, daß sich in vielen Firmen immer nur die Kreisliga mit dem Thema beschäftigt.
Herr Vogel von Thyssen hat erkannt, daß das nicht mehr so weitergeht. Ich zitiere aus der Bilanzpressekonferenz vom 27. Januar:
Für mich gibt es keinen Zweifel an der technischen, ökonomischen und ökologischen Richtigkeit dieses Verkehrskonzeptes.
Das Rad-Schiene-System hat seinen maximalen Reifegrad erreicht. Wo das hochgezüchtete RadSchiene-System aufhört, fängt das Magnetschwebesystem an. Es bringt Quantensprünge bei der Geschwindigkeit, in der Verringerung des Energieverbrauchs und in der Umweltverträglichkeit. Natürlich tun wir alles, daß diese deutsche Erfindung und Entwicklung auch deutsche Arbeitsplätze schafft. Wir wollen den Transrapid. Wir wollen die Anwendungsstrecke in Deutschland.
Horst Friedrich
Er führt weiter aus:
Die politische Unterstützung der Bundesregierung ist vorbildlich, und wir meinen, es kann durchaus zu einer Lösung der noch offenen Probleme kommen.
Die aktuellen Schätzungen des Verkehrsaufkommens machen das nicht einfach, schließen aber eine Wirtschaftlichkeit des Projektes nicht von vornherein aus.
Es wäre eine Niederlage für den Standort Deutschland, wenn das System ins Ausland ginge. Unsere Nachfolgegenerationen würden es dann - wie bei vielen anderen in Deutschland verhinderten oder verschlafenen Technologien - später gegen teures Geld von dort kaufen müssen.
Bravo, Herr Vogel, kann ich nur sagen. Es bleibt nur zu hoffen, daß sich Herr von Pierer und andere, die versammelte deutsche Industrie mit einer Bilanzsumme, die jenseits von 500 Milliarden DM liegt, tatsächlich auch einmal auf der Vorstandsetage über Thyssen hinaus mit dem Problem beschäftigen und dann tatsächlich vorlegen, was es bedeuten würde, diese Technik in Deutschland umzusetzen.
Lieber Herr Schmidt, Ihre dummen Zwischenrufe werden nicht dadurch klug, daß Sie sie dauernd wiederholen.
Es ist ja nicht so, daß andere meinen, die Technik wäre nur in Deutschland beheimatet. Ich erinnere an den Maglev in Japan, der seine erste Testfahrt im Frühjahr 1997 hat.
Ich zitiere den Vizepräsidenten der Central Japan Rail Co.: „Die Deutschen haben die Technik, wir haben das Ziel." Wohl wahr, kann ich nur sagen, wenn man sich das anhört, was Sie vorbringen.
Es muß irgendwann einmal einen Konsens geben, und wenn die Mehrheit im Deutschen Bundestag Gesetze beschlossen hat, dann muß man sie auch umsetzen, und zwar bis zu den Punkten, die in das Gesetzgebungsverfahren eingebaut sind, so beispielsweise die Revision.
Ich glaube, es wäre für Niedersachsen der Höhepunkt des Jahres 2000, wenn die Expo 2000 in Niedersachsen eröffnet würde, aber der Transrapid beerdigt worden wäre. Ich erinnere hier an die Aussagen eines Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, und ich verkneife mir das Zitat des Noch-Fraktionsvorsitzenden der SPD Rudolf Scharping in einem Brief an den Betriebsratsvorsitzenden von Thyssen in Kassel. Den habe ich hier bereits einmal zitiert. Halten Sie sich an die Weisheiten, die darin stehen, und denken Sie darüber nach, bevor Sie dauernd so etwas verbreiten!
Danke sehr.
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Dagmar Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn der Transrapid alles ist, was Sie an Zukunft zu bieten haben, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht, Deutschland.
Mein Fazit der letzten Sitzung des Verkehrsausschusses ist allerdings etwas anders, als es bislang vorgetragen worden ist. Passend zur Jahreszeit hat Verkehrsminister Wissmann kalte Füße bekommen. Dagegen helfen jedoch keine handgestrickten Sokken mehr, leider auch keine roten. Was Ihnen, Herr Minister, heute nur noch helfen kann, ist ein Blick auf Realitäten, auf Zahlen und Fakten, die inzwischen vorliegen.
Da reicht im Grunde genommen schon das aus, was Sie in der Ausschußsitzung vorgetragen haben. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß die „Technologiefeinde und Bedenkenträger" - O-Ton ThyssenChef Vogel - zu Recht seit Jahren die Wirtschaftlichkeit des Projekts in Frage gestellt haben.
Ich verhehle nicht: Ich empfinde eine gewisse Genugtuung, daß die Ignoranz und Arroganz, mit denen Sie den Sachverständigen in den Anhörungen des Verkehrsausschusses zum Transrapid begegnet sind, auf Sie zurückfallen. Es war immerhin Ihr Sachverständiger Professor Rothengatter, der vor einem euphorischen Umgang mit den Bestfallanalysen gewarnt hat. Das haben Sie nicht zur Kenntnis genommen. Im Gegenteil: Sie haben seine Zahlen immer wieder mißbraucht, um letzten Endes doch festzustellen, daß das Passagieraufkommen weitaus geringer sein wird. Es war schon abenteuerlich, zu erleben, wie Sie die Passagierzahlen schöngerechnet haben. Es gab Reisende, die mal schnell von Berlin nach Hamburg in die Oper oder zur Reeperbahn fahren wollen. Es wurde von Reisenden gesprochen, die aus Rostock via Haltepunkt in der Nähe von Schwerin nach Berlin fahren wollen.
Sie gingen von Tausenden aus, die von Rostock über Schwerin fahren wollen. Sie sprachen von Leuten, die hochgradig zeitsensibel, aber wenig kostensensibel sind. Es gibt eine Reisezeiteinsparung von zehn Minuten bei Reisekosten, die um mindestens ein Drittel höher liegen als jetzt.
Daß der Transrapid in einer Region, die von Arbeitslosigkeit - es wurde schon im Ausschuß klar,
Dr. Dagmar Enkelmann
daß immer wieder die Schaffung neuer Arbeitsplätze genannt wurde, die nicht umgesetzt werden konnte - wirklich arg gebeutelt ist, gebaut wird oder daß Sie mit dem Transrapid ausgerechnet einer Region wie der Prignitz einen Tourismusboom voraussagen - ich glaube nicht, daß die Leute ausgerechnet dort hinfahren, um den Transrapid zu sehen -, ist wirklich mehr als lächerlich. Nein, Ihre politische Entscheidung pro Transrapid strotzte vor Technikhörigkeit und war eine Entscheidung einzig im Profitinteresse von Thyssen und der anderen Betreiber.
Während sich Thyssen-Chef Vogel unflätig über diejenigen äußert, die ihren Widerstand artikuliert haben, sieht sein Vorstandsvorsitzender Rohkamm inzwischen allerdings die Ampel auf Gelb. Mit dem Selbstzeugnis eines Realisten stellt er fest: „Wir werden den Teufel tun, in ein Projekt zu investieren, bei dem wir keinen ausreichenden Return on Investment bekommen." Ich denke, das ist Realismus, wie er heute gebraucht wird.
Das, was bislang von Thyssen unter anderem dort investiert worden ist - zirka 130 Millionen DM -, wird von ihnen selbst als Peanuts betrachtet; großzügig, wie sie sind. Nebenbei bemerkt, wäre auch das Risiko gerade für die Betreiber in der Zukunft äußerst gering. Das Risiko würde nach wie vor beim Steuerzahler liegen; denn wenn einmal gebaut ist, dann kann man die Strecke nicht einfach stillegen. Für den Abbruch wäre letzten Endes der Bund und am Ende vor allen Dingen der Steuerzahler und die Steuerzahlerin zuständig.
Nehmen Sie jetzt die Prognosen ernst, sonst wird es teuer: nicht für Thyssen und Hochtief, sondern für den Steuerzahler.
Was nun die Industrie offenkundig tatsächlich dazu bringt, langsam Abstand von einer mehr als fragwürdigen Investition zu nehmen, sind die Fakten, die auch Minister Wissmann nicht länger geheimhalten konnte. Es gibt deutliche Korrekturen hinsichtlich der gefahrenen Personenkilometer. Interessanterweise wurde an dieser Stelle von der Industrie nie ein Break-even genannt. Möglicherweise liegen die momentan genannten Zahlen bereits unterhalb der Rentabilitätsgrenze.
Deutliche Korrekturen mußten auch hinsichtlich der bis jetzt angesetzten Taktzeiten vorgenommen werden, also von 10 auf möglicherweise 30 Minuten oder noch länger. Es war die Rede von einer Verringerung der Traktionen. Das alles soll nach wie vor wirtschaftlich sein? Das wage ich arg zu bezweifeln. Ich denke, daß diese Korrekturen die Wirtschaftlichkeit des Projekts nachhaltig negativ beeinflussen. Sie haben im Grunde genommen den Einstieg in den Ausstieg aus dem Milliardenspielzeug eingeläutet.
Aber noch eines: Sie haben gedacht, die Ossis sind dumm. Denen preisen wir ein glitzerndes Spielzeug an, und die Ossis jubeln dazu mit glänzenden Augen. - Aber wir Ossis haben inzwischen gelernt, mit Instrumenten eines demokratischen Rechtsstaates umzugehen. Immerhin haben sich Tausende mit Einwendungen an den Raumordnungsverfahren beteiligt. Es gab zahlreiche Aktionen und öffentliche Diskussionen von Bürgerinitiativen. Diese haben eine Mehrheit aufhorchen lassen, die immer deutlicher fordert, Steuergelder sollen nicht weiter für unsinnige Prestigeobjekte ausgegeben werden.
Noch ist es nicht zu spät auszusteigen. Wagen Sie diesen Schritt, Herr Wissmann!
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Herr Bundesverkehrsminister Wissmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Klaus von Dohnanyi hat in der, wie ich finde, sehr eindrucksvollen Rede Anfang dieser Woche sinngemäß gesagt: Die Autorität der Demokratie hat auch etwas mit der Form der Auseinandersetzung ihrer Repräsentanten untereinander zu tun.
Ich finde, bei allem, was wir hier an unterschiedlichen Meinungen haben mögen: Wenn wir um ein solches Zukunftsthema ringen, dann macht höhnisches Gelächter und persönliche Herabsetzung doch noch viel weniger Sinn als bei jedem anderen Thema.
- Ich habe hier die Untertöne schon sehr genau herausgehört. Den Damen und Herren, die im Saale und auf den Rängen sind, sage ich nur: Wir ringen doch letztlich - ich hoffe, an diesem Punkt gemeinsam - um eine Antwort auf die Frage - Herr Kollege, es wäre ganz sinnvoll, wenn Sie mir dabei zuhören würden -: Wo sollen in einem Hochlohnland mit vergleichsweise hohen Produktionskosten im 21. Jahrhundert die Arbeitsplätze in der Industrie herkommen?
Wenn jetzt der ICE leider im Wettbewerb bei Amtrak in Amerika verloren hat -
- wegen eines Kostenunterschieds - -
- Frau Kollegin, schreien ist schlechter als zuhören. Ich habe Ihnen zugehört.
Herr Kollege Schmidt, jetzt bitte ein bißchen ruhiger.
Ich bitte Sie schlicht um die Geduld des Zuhörens und auch des Verarbeitens des einen oder anderen Gedankens.
Wenn wir beim ICE auf dem Weltmarkt, obwohl wir eine hervorragende Technologie haben, insbesondere mit der neuesten ICE-Generation, bisher keinen großen Auftrag bekommen haben, dann hat das damit zu tun, daß wir zwar technisch gut sind,
aber die anderen technisch gleich gut sind und wir in den Kosten über den anderen liegen.
Jetzt frage ich mich: Woher sollen im 21. Jahrhundert die Arbeitsplätze für junge Leute, die hier auf der Tribüne sitzen oder uns zuhören, kommen?
Wir wollen doch nicht auf ein Lohnniveau wie in anderen Ländern heruntergehen. Wir können auf den Weltmärkten im Grunde genommen nur dann bestehen, wenn wir technologisch vor den anderen liegen und den Mut haben, neue Technologien, auch wenn es schwierig ist, wenn es Pioniergeist erfordert, gegen Widerstände durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in aller Ruhe gesagt: Das kann doch wohl kein Gedanke sein, der nur bei einem christlichen Demokraten oder einem Liberalen möglich ist.
Vielmehr hat er etwas mit ökonomischer Vernunft zu tun.
Nicht umsonst stellt sich Helmut Schmidt
am 14. Januar 1997 vor die SPD-Fraktion und weist darauf hin, daß wir von Hoch- und Spitzentechnologie und ihrer Durchsetzung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten leben werden.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns sachgerecht an das Thema heranbegeben - sachgerecht und nicht vorurteilsbeladen -, dann müssen wir uns zunächst einmal auch in der parlamentarischen Auseinandersetzung an die normalen Abläufe halten. Ich habe im Verkehrsausschuß alles gesagt, was ich zu diesem Zeitpunkt sagen konnte.
Ich habe im Verkehrsausschuß angekündigt, daß das Industriekonsortium und die Gutachter die Prognosen und die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung im März/April vorlegen werden und ich dann selbstverständlich gerne erneut zur Auskunft zur Verfügung stehe.
Diejenigen, die heute die Aktuelle Stunde beantragt haben, scheinen mir nicht an den Ergebnissen ernsthafter Untersuchungen interessiert zu sein,
sondern daran, ein Thema hochzuziehen und es dann, möglicherweise noch mit Zahlenmanipulationen, in ein Licht zu rücken, das der Wahrheit nicht entspricht.
- Herr Kollege, wenn vorhin gesagt wurde, 60 Pfennig pro Kilometer seien eine seriöse Kalkulation, dann ist das schlicht unwahr,
aus den Sternen herbeigezogen, damit man den Leuten die Angst einreden kann, es werde so teuer, daß sich der Normalbürger die Reise nicht leisten könne.
Argumentieren Sie doch mit seriösen Argumenten von Pro und Kontra, und ziehen Sie nicht Zahlenmanipulationen heran, um etwas, was Sie sowieso nicht wollen, öffentlich schlechtzumachen!
Meine Damen und Herren, die Lage ist ganz klar: Die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen und der Bundesrat haben die notwendigen Gesetze zur Verwirklichung dieser umweltfreundlichen Transporttechnologie auf der Strecke Hamburg-Berlin zeitgerecht vollzogen.
Wir haben mit Sorgfalt, aber auch mit Tempo alle Planungsverfahren in Gang gebracht. Wir sind mit dem Raumordnungsverfahren sehr weit vorangeschritten; in Mecklenburg-Vorpommern ist es sogar bereits abgeschlossen.
Bundesminister Matthias Wissmann
Es kann keiner sagen, die Politik habe nicht alle Aufgaben zügig erledigt.
Ich möchte ausdrücklich auch denen aus anderen politischen Reihen wie dem Bürgermeister von Hamburg, Voscherau, danken, die zusammen mit Herrn Seite in Mecklenburg-Vorpommern und seiner Regierung, zusammen mit der großen Koalition in Berlin und zusammen mit uns zügig und engagiert arbeiten, weil sie wissen: Es geht auch um die Zukunft dieser Regionen, wenn wir dort eine moderne Technologie verwirklichen.
Jetzt machen wir das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was wir am 2. März 1994 im Kabinettsbeschluß angekündigt haben, nämlich einen weiteren Schritt einer entsprechenden Wirtschaftlichkeitsrechnung, die von Gutachtern und der Industrie erarbeitet wird und im März/April vorzulegen ist. Wir werden bei der Fortsetzung des Verfahrens eine abschließende Wirtschaftlichkeitsuntersuchung am Ende des Planfeststellungsverfahrens haben. Nicht mehr und nicht weniger wird geschehen.
Ich mußte und muß auf einen Tatbestand hinweisen. Wir haben eine Zusammenarbeit des Staates mit privaten Firmen, eine sogenannte „private-public partnership" . Der Staat, vertreten durch die Bundesregierung, steht mit jedem Komma zu seiner Zusage, den Fahrweg im vertretbaren Kostenrahmen zu finanzieren. Aber die Industrie hat sich verpflichtet, den Betrieb des Transrapid wirtschaftlich zu tragen und dafür auch das Risiko und den Pioniergeist auf sich zu nehmen. Es gibt eine ganz klare Arbeitsteilung, und bei dieser Arbeitsteilung bleiben wir.
Die Bundesregierung wird in den kommenden Wochen zusammen mit den anderen Beteiligten alles tun, um dieses Projekt zum Erfolg zu führen. Klar ist: Es muß und es wird ein wirtschaftliches Projekt sein.
Was mich an der Diskussion stört, ist, daß die, die sich sonst um Wirtschaftlichkeitsfragen nahezu nie kümmern, bei dieser Angelegenheit wirtschaftliche Fragen stellen, die sie sonst nie gestellt hätten.
Manchmal hat man den Eindruck: Wenn es kein verkehrspolitisches Argument gegen den Transrapid mehr gibt, dann sucht man Kostenargumente. Gibt es kein umweltpolitisches Argument mehr, weil nachgewiesenerweise der Energieverbrauch des Transrapids günstiger ist als die ICE-Technologie, dann sucht man mit Zahlen die Öffentlichkeit zu verunsichern.
Ich sage Ihnen klar: Wir machen unsere Hausaufgaben.
Wir tun alles, um die Technologie durchzusetzen. Wir gehen gleichzeitig mit dem Geld des Steuerzahlers sorgfältig um. Das ist unsere Verpflichtung.
Es geht jetzt um die Frage, ob die Industrie - das ist aus den Erklärungen der letzten Tage auch herauszulesen - den Führungswillen und den Pioniergeist hat, mit uns zusammen dieses Projekt zu verwirklichen, für das technologiepolitisch, ökonomisch und ökologisch viel spricht, da es für die Zukunft des Standortes Deutschland eine große Perspektive enthalten würde.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Geduld und Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kristin Heyne.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde die Debatte, die wir heute erleben, ausgesprochen ärgerlich. Der Deutsche Bundestag diskutiert über ein Milliardenprojekt auf der Basis von Indiskretionen, von lancierten Pressemitteilungen und von eifrigen Bekenntnissen. Herr Fischer hat das hier eindrucksvoll zelebriert.
Herr Wissmann, der Einstieg über die Veranstaltung am Montag, den Sie gewählt haben, war, finde ich, an der Grenze des Erträglichen.
Was wir in den letzten Wochen erlebt haben, war zum Beispiel, daß Zahlen und Ergebnisse, die es angeblich noch nicht gibt - wir haben mehrfach im Ministerium danach gefragt -, plötzlich in der Zeitung auftauchen. Selbst jetzt weigert sich der Parlamentarische Staatssekretär, dieses Gutachten, das nachgewiesenerweise vorliegt, dem Parlament zur Verfügung zu stellen. Wer macht denn hier eine Scheindebatte, wo die Fakten nicht auf den Tisch kommen?
Herr Minister, Sie sagen: Wir ringen gemeinsam. Wir ringen nicht gemeinsam.
Sie ringen hinter verschlossenen Türen, ohne daß es jemand sehen darf.
Wir haben erlebt, daß solche Selbstverständlichkeiten wie der Satz „Wenn es zu teuer wird, kaufen wir nichts", zu dem der Herr Minister sich ja durch-
Kristin Heyne
gerungen hat, ein großes Medienecho hat. Was ist denn das eigentlich für ein komisches Geschäft, wo so ein Satz eine derart hohe Bedeutung hat?
Wir erlebten gestern wieder von Thyssen-Chef Vogel: Wenn jemand nach Kosten und Wirtschaftlichkeit fragt, dann ist er technologiefeindlich.
Herr Wissmann, Ihr Engagement hätte ich gerne in der vorigen Debatte erlebt, als es um Wind- und Solarenergie ging. Da legen Sie die völlig anderen Maßstäbe an und haben plötzlich nicht die Sorge, die Märkte zu verschlafen.
Ich habe den Eindruck, daß es hier nicht in erster Linie um rationale Wirtschaftlichkeitsprüfungen geht, sondern es riecht mir eher danach, daß eine ein bißchen angegammelte Ware verkauft werden soll.
- Sie geben sie uns nicht.
- Lieber Herr Fischer, legen Sie doch einmal die Fakten auf den Tisch! Ich habe gestern im Haushaltsausschuß den Parlamentarischen Staatssekretär gefragt, ob der Haushaltsausschuß die Wirtschaftlichkeitsberechnungen auf den Tisch bekommen wird. Nein, wurde geantwortet, sie gehen nur ins Kabinett. Hier ist eine Öffentlichkeit nicht gefragt.
Wir haben es mit einem altbekannten Ladenhüter zu tun. Das ist ja eine alte Debatte; Frau Altmann hat darauf hingewiesen. Man braucht dann schon besonders günstige Bedingungen, um diese Ware noch an den Mann, in diesem Falle an den Minister, zu bringen. Diese günstigen Bedingungen schienen sich mit dem Beschleunigungsgesetz für den zügigen Ausbau der Infrastruktur in den neuen Ländern zu finden. Außerdem paßte natürlich der Minister mit dem Outfit des forschen, innovationsfreudigen Machers zu diesem Projekt. Insofern, Herr Minister, ist es eben doch notwendig, in diesem Zusammenhang auch von Personen zu reden.
Selbst diese optimierten Bedingungen des Beschleunigungsgesetzes haben für den Transrapid nicht gereicht. Zusätzlich mußte noch das Bedarfsgesetz erfunden werden. Dieses Gesetz besagt ganz schlicht, daß wir einen Transrapid zwischen Hamburg und Berlin brauchen. Das wird per Gesetz festgestellt, und damit sind all die lästigen Fragen, ob der Transrapid eine geeignete Verbindung ist, ob er überhaupt gebraucht wird, vom Tisch.
Mehr noch: Für all die Leute, die vom Bau des Transrapids betroffen sind, die an dieser Strecke wohnen und deren Lebensraum von dieser Strecke massiv eingeschränkt wird,
ist es nicht mehr möglich, überhaupt in Frage zu stellen, ob dieses Verkehrsmittel gebraucht wird.
- Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, Herr Fischer, wenn Sie wollen.
Im übrigen ist das mit der neuen Trasse - das wissen Sie genau - dummes Zeug. Nur wenn der Transrapid nicht fährt, hat die Trasse zwischen Hamburg und Berlin über Büchen überhaupt eine Chance, wirtschaftlich zu sein, anderenfalls nicht.
Selbst die Wirtschaftlichkeitsberechnung hätte die Bundesregierung so nicht machen müssen. Sie kommt deswegen zustande, weil die privaten Betreiber, insbesondere die Banken, daran interessiert sind, es nachzurechnen. Das ist auch sinnvoll.
Nur, ob diese Wirtschaftlichkeitsberechnungen für die Steuerzahler tatsächlich Wirtschaftlichkeit bringen, das ist überhaupt noch nicht gesagt; denn der Poker geht jetzt hinter verschlossenen Türen weiter, nachdem wir öffentlich die Drohgebärden gesehen haben. Welche Zugeständnisse da gemacht werden, das werden wir möglicherweise erst nach Jahren erfahren, nämlich dann, wenn wir es zu zahlen haben.
Die Mehrheit des Parlaments hat den Verkehrsminister davon befreit, den Nutzen dieses Projekts auch im Parlament hieb- und stichfest darzulegen.
Dieses Parlament hat in Sachen Transrapid den Löffel abgegeben. Herr Minister, das war geschickt eingefädelt. Aber das schöne Kleid des Hochgeschwindigkeitsministers hat inzwischen riesengroße Löcher. Die neuen Fahrgastzahlen sind nicht nur eine kleine Veränderung Ihrer Planung, sondern ein heftiger Einbruch, und über die aktuellen Baukosten einschließlich der Anbindung in Berlin und Hamburg haben Sie sich zwar bisher erfolgreich ausgeschwiegen - -
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Herr Präsident, ich komme zum Schluß.
Kristin Heyne
Die verzweifelten Versuche, die Kosten doch noch zu senken, lassen das Schlimmste ahnen. Herr Minister Wissmann, Sie haben jetzt noch die Chance, Ihr löchriges Kleid freiwillig abzulegen, bevor es von alleine herunterfällt. Wenn Sie nicht sehr schnell zu realitätsgerechter Politik zurückfinden, dann werden Sie, Herr Verkehrsminister, bald ohne Kleider dastehen. Wir fordern Sie auf: Beenden Sie dieses Projekt!
Nun gebe ich dem Abgeordneten Hans Georg Wagner das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich neulich vor der Sitzung des Verkehrsausschusses hinter Herrn Wissmann in den Sitzungssaal gehen wollte, wurde er von einem großen Pressepulk empfangen. Da ich ohnehin nicht an ihm vorbeikam und er die Tür versperrte, habe ich mich danebengestellt und zugehört, was er den Journalisten erzählte.
- Da hat doch jeder mitgehört; Sie konnten es abends sogar im Fernsehen sehen.
Herr Wissmann sagte, der Transrapid komme nicht um jeden Preis.
Da dachte ich: Hoppla, das ist ja eine völlige Umkehrung der bisherigen Situation. Nun gehst du in die Sitzung des Verkehrsausschusses und hörst dort, wie der Minister erklärt, daß die Jahre alten Forderungen der Sozialdemokraten und anderer nach Wirtschaftlichkeitsberechnungen - Berechnungen der Baukosten usw. - nun erfüllt werden. Nichts war. Innen sagte er: „Nicht um jeden Preis", aber diesen Preis nannte er auch nicht. Das ist eine Umkehrung der Situation gewesen.
Nun etwas ganz anderes, Herr Minister. Vor einem halben Jahr haben wir nicht nur Ihren Haushalt, sondern auch den des Forschungsministers verabschiedet. Dort sind 200 Millionen DM für weitere Versuche im Emsland mit dem jetzigen Transrapid eingestellt worden. Auf die Frage von uns: „Warum ist das so?" hieß es: „Es sind noch einige Prüfungen vorzunehmen, um die Einsatzreife dieses Projekts sicherzustellen. " Im Jahre 1997 muß also erst noch die Einsatzreife überprüft werden, weil es etwa Risse an den Betonpfeilern gibt. Ihr Staatssekretär sagte gestern, wenn bei weiteren Versuchen Risse nicht vermieden werden können, müssen wir versuchen, auf Stahlträger umzustellen.
Das heißt im Klartext, Sie können diese Versuchsreihe wegwerfen, Sie fangen von vorne an, zu erforschen, ob dieses Ding auf Stahlträgern überhaupt funktioniert. Es gibt also eine völlige Unsicherheit. Wenn das alles so sicher ist, wie Sie, Herr Fischer, und andere behaupten, frage ich, warum dann noch einmal rund 380 Millionen DM Forschungsgelder im Emsland ausgegeben werden müssen. Wir könnten das Geld sinnvoller einsetzen.
Nun hat die Industrie Ihr Wort, Herr Wissmann, aufgegriffen. Auch sie sagt jetzt plötzlich: „Nicht um jeden Preis werden wir das Ding machen." Ihr Staatssekretär hat heute morgen in Goslar gesagt: „Wenn das alles nicht stimmt - es muß eine harte Wirtschaftlichkeitsrechnung vorgelegt werden -, passiert in der Sache nichts." In der Antwort auf die Frage 60 der Kollegin Gila Altmann von gestern hat Ihr Ministerium gesagt, nach den Informationen, die Ihr Haus gegenwärtig bekomme, müsse man von einer Gefährdung des Projekts sprechen. Welche Informationen liegen Ihren Aussagen eigentlich zugrunde? Wenn es noch keine Informationen gibt, kann man doch als Ministerium nicht schreiben, daß sie gegenwärtig an das Ministerium herangetragen werden. Das paßt für mich nicht zusammen.
Herr Ministerpräsident Seite, morgen werden Sie im Kölner „Express", wie ich lese, die Industrie auffordern, doch bitte in Deutschland zu bleiben und damit unter anderem Arbeitsplätze auch in Mecklenburg-Vorpommern zu sichern. Ich möchte Ihnen wirklich von Herzen sagen: Seien Sie äußerst vorsichtig mit solchen Hoffnungen, und erwecken Sie diese Hoffnungen auch nicht bei Ihrer Bevölkerung! Ich bin absolut sicher, daß Sie hereingelegt werden. Die Bundesregierung ist ja im letzten Jahr schon vielfach hereingelegt worden: Zusage von Ausbildungsplätzen, Zusage von Arbeitsplätzen. Sie ist nur veräppelt worden. Seien Sie deshalb vorsichtig, wenn Sie Ihrer Bevölkerung vormachen, hier würde irgend etwas passieren!
Die Industrie geht nicht ins Ausland. Vielleicht wissen Sie auch, warum. Vielleicht fragen Sie einmal Herrn Rohkamm oder Herrn Vogel, warum sie nicht ins Ausland gehen. Weil sie dort schon waren! 14 Jahre lang haben sie versucht, den Transrapid außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu erforschen und durchzusetzen. Sie hatten null Erfolg. Dann kamen sie zu uns und fanden auch in sozialdemokratischen Befürwortern diejenigen, die sagten: Dann machen wir die Versuchsstrecke halt im Emsland und versuchen, dort einmal rundzufahren. Ohne Erprobung wollen Sie jetzt mit dem Bau beginnen. Was bei Gegenverkehr oder in Tunneln passiert, ist völlig ungeklärt.
Sie haben sich für die Strecke Hamburg-Berlin entschieden. Wir waren dagegen. Eine kürzere Strecke, etwa nach Sperenberg, hätte vollkommen ausgereicht, um nachzuweisen, daß so etwas funktioniert.
Wir haben starke Bedenken. Diese rühren auch daher, daß in der Liste, Herr Wissmann, die Sie uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben, wo denn überall in der Welt der Transrapid eingesetzt
Hans Georg Wagner
werden könnte, in den meisten Fällen klein geschrieben druntersteht: zwischenzeitlich Entscheidung für Rad-Schiene-Technik gefallen. Das heißt, sie wollen gar keinen Transrapid mehr haben. Wir können den Leuten in Santiago de Chile also weismachen, sie könnten irgendwann einmal schnell nach Valparaiso fahren. Das mag eine akzeptable Darstellung nach außen sein, aber hier nützt es letztendlich nichts.
Ich meine, sowohl technologisch, wirtschaftlich als auch ökologisch ist dieses Projekt gescheitert. Je schneller Sie auf unsere Basis kommen, Herr Minister, desto schneller könnten wir gemeinsam eine andere, bessere Lösung suchen.
Schönen Dank.
Nun bekommt der Abgeordnete Dionys Jobst das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Schlußfolgerungen, die eben der Kollege Wagner gezogen hat, hat er gezogen, ohne verläßliche Fakten vorweisen zu können.
Die Art, in der die heutige Debatte geführt wird, ist wirklich unverständlich, und ich finde sie auch ärgerlich. Es ist von der Stunde der Wahrheit gesprochen worden. Tatsache ist, daß der Transrapid ein großes Infrastruktur- und Technologieprojekt darstellt. Tatsache ist auch - das erleben wir heute wieder -, daß die Diskussion von der Opposition mit ideologischen Scheuklappen geführt wird.
Die Absicht ist deutlich erkennbar: So wie bei anderen neuen Technologien wollen Sie das Projekt Transrapid verhindern.
Meine Damen und Herren, wir scheuen die Diskussion über den Transrapid nicht. Wir wollen eine sachliche Debatte. Emotionen, so wie sie heute wieder vorgebracht wurden, zeugen von unsicheren und unseriösen Argumenten. Wir wollen nicht, daß der Transrapid ins Museum fährt.
Wir wollen, daß er eingesetzt wird. Deshalb wehren wir uns gegen die Verhinderungskampagne, die Sie jetzt erneut angezettelt haben.
Ich sage Ihnen auch: Die Voraussetzungen müssen stimmen. Für uns ist der Transrapid kein Prestigeobjekt.
Das gilt für die Firma Thyssen und auch für uns. Unsere Haltung ist - das hat der Minister ganz deutlich bekräftigt -: Die Entscheidung über den Bau und den Einsatz des Transrapid wird letzten Endes dann getroffen, wenn die Wirtschaftlichkeitsrechnung vorliegt. Deshalb ist es unverantwortlich, diese Technologie schon jetzt kaputtzureden und sie um jeden Preis abzuschreiben.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ignorieren erneut die Zukunftsnotwendigkeiten im Verkehr. Sie verschließen sich neuen Entwicklungen. Zu Neuem gehört Mut und Risikobereitschaft gepaart mit Verantwortung.
Der Transrapid kann dazu beitragen, daß die Schiene - in den Zurufen wurde immer wieder von der Renaissance der Schiene geredet - neuen Auftrieb erhält. Sie als Gefangene Ihrer Ideologie vertreten aber nach wie vor ein antiquiertes Verkehrskonzept.
Der Verkehr stellt uns vor große Herausforderungen. Die Staus auf unseren Straßen mit ihren erheblichen Kosten für Wirtschaft und Bürger erfordern ein leistungsfähiges Schienennetz. Mobilität ist für die Gesellschaft und den Wirtschaftsstandort Deutschland unverzichtbar. Der Transrapid stellt eine Ergänzung des Rad-Schiene-Systems und eine Alternative zum Kurzstreckenflugverkehr dar.
Sehr geehrter Herr Schmidt, der Transrapid ist seit dem Bau der ersten Eisenbahn die erste grundlegende Innovation in der Bahntechnik.
Wir dürfen die Marktchancen nicht vertun. Wir müssen auch die ökologischen Vorteile deutlich sehen, auf die es immer wieder ankommt.
Wir wollen, daß der Transrapid auch wirtschaftlich ein sinnvolles und vertretbares Projekt wird.
Dr. Dionys Jobst
Der Bundesverkehrsminister hat nichts anderes ausgedrückt als eine Selbstverständlichkeit, wenn er gesagt hat: Nicht um jeden Preis.
Die Magnettechnologie bietet Chancen. Sie unterliegt aber auch der Verantwortlichkeit. Das Projekt muß sich rechnen. Deshalb ist eine gründliche, stimmige Wirtschaftlichkeitsrechnung eine zwingende Voraussetzung. Es gibt deshalb keinen Grund, die Flinte schon jetzt ins Korn zu werfen.
Der Bund hat erhebliche Vorleistungen gebracht, die Entwicklungskosten nämlich nahezu vollständig bezahlt. Er ist bereit, die Baukosten zu übernehmen. Jetzt ist es Aufgabe der Betreiber, das rollende Material und den Betrieb zu finanzieren. Bei dieser grundlegenden Entscheidung muß es bleiben. Eine Veränderung der Risikoaufteilung darf und wird es nicht geben. Die Wirtschaftlichkeitsrechnung wird also die endgültige Entscheidung bringen.
Wir haben heute wieder erlebt, daß die Haltung der SPD sehr widersprüchlich ist.
Maßgebliche Politiker der SPD - die Ministerpräsidenten Eichel und Schröder sowie der Bürgermeister Voscherau und Ihr Fraktionsvorsitzender Scharping - haben sich eindeutig für diese Technologie ausgesprochen.
Der frühere Bundesverkehrsminister Leber hat damals das Startsignal für diese neue Technologie gegeben. Ihre Vertreter im Bundesrat haben den Gesetzen zur Magnetschwebebahn zugestimmt. Von dieser Tatsache können Sie doch nicht ablenken.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, beim Transrapid ist also Weitsicht ebenso wie Verantwortung gefragt.
Wir brauchen fundierte Grundlagen. Diese werden wir im März oder April erhalten. Wir brauchen keine Emotionen.
Ich bin überzeugt, daß wir zu einer zukunftsweisenden Entscheidung kommen werden.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Eckart Kuhlwein, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fand gut, daß der Kollege Jobst gesagt hat, für die Koalition sei der Transrapid kein Prestigeprojekt. Das gibt die Chance, wieder sachlich darüber zu diskutieren.
Das gibt Ihnen die Chance, Ihre Ideologie beiseite zu schieben und sich die Zahlen genauer anzugucken,
die heute bekanntgegeben worden sind und die wir wohl mehr oder weniger im April bestätigt bekommen werden.
Die Zahlen sehen so aus, daß das Leuchten, das der Bundesverkehrsminister früher immer in den Augen gehabt hat, wenn er vom Transrapid gesprochen hat, heute erheblich schwächer ist. Er strahlte nicht mehr so, sondern meldete Bedenken an, weil er gute Gründe hat und die Papiere auch noch besser kennt als wir, die diese Bedenken teilen.
Sie wußten, Herr Wissmann, daß Ihre Zahlen auf tönernen Stelzen - könnte man in diesem Zusammenhang sagen - standen. Aber Sie wollten ja nicht wahrhaben, was Ihnen viele Wissenschaftler, Naturschutzverbände, der Bundesrechnungshof und auch die Opposition in diesem Haus schon vor vielen Jahren vorgerechnet haben. Sie haben sich das in den letzten Jahren schlicht und einfach schöngerechnet. Aber, Herr Bundesverkehrsminister, die Zeit wird nicht kommen, in der jedes Jahr 14 bis 15 Millionen Menschen allein mit dem Transrapid zwischen Berlin und Hamburg hin- und herpesen, um eben einmal auf dem Kurfürstendamm flanieren zu gehen oder umgekehrt - auch das Beispiel ist schon genannt worden - das St.-Pauli-Theater zu besuchen.
Wir wissen, Herr Kollege Fischer, daß Reisen bildet. Aber angesichts der Wirtschafts-, Finanz- und Einkommenspolitik der letzten Jahre hat sich die Ausgangsbasis geändert. Ausgerechnet eine Partei, die in den letzten Jahren gepredigt hat, die Masseneinkommen müßten stagnieren oder sinken, damit der Standort Deutschland wieder gefestigt werde, will uns weismachen, daß im Jahre 2010 die Leute so reich sind, daß sie ihren Feierabend in einem türkischen Restaurant auf dem Ku'damm verbringen können, obwohl sie in einer Dreizimmerwohnung in einem Hochhaus in Hamburg-Mümmelmannsberg wohnen. Dazu wird es nicht kommen. Die Wachstumsraten, die Sie zugrunde gelegt haben, sind abenteuerlich gewesen.
Sie sollten sich damit abfinden, daß wirtschaftliches Rechnen auch auf der Linken dieses Hauses möglich ist und daß die Bürgerinitiativen, die am Anfang angetreten sind, um ein Projekt vor ihrer Haustür zu verhindern, von dem sie Lärm, Abgase und Baustellen über viele Jahre hinweg erwarten mußten, inzwischen eine sehr rationale verkehrs-, wirtschafts- und finanzpolitische Diskussion führen. Sie
Eckart Kuhlwein
sagen überhaupt nicht mehr: „Transrapid ja, aber nicht in meinem Vorgarten!", sondern: „Transrapid zwischen Hamburg und Berlin ist Unsinn!"
Lassen Sie mich zum Schluß noch zwei Bemerkungen machen. Die erste: Herr Kollege Wissmann, ich habe noch einmal nachgesehen, was im Haushalt des Bundesministers für Bildung und Forschung für die Verkehrsforschung Schiene vorgesehen ist. Da sollen im Jahre 1997 über 90 Millionen DM für die endgültige Entwicklung dieses Stelzenmonsters ausgegeben werden und nur noch ganze 5,6 Millionen DM für die Rad-Schiene-Technik.
Ich frage Sie: Wo ist denn die Zukunftsfähigkeit einer Regierung, die etwas, was wir markt- und exportreif hätten, nicht mehr fördert und statt dessen Wolkenkuckuckseier ausbrütet?
Letzte Bemerkung. Herr Wissmann, kehren Sie um, bevor die ersten Milliarden in den Sand gesetzt sind! Verabschieden Sie sich von diesem Projekt! Wir können Ihnen versichern: Auch im Himmel der verkehrspolitischen Vernunft herrscht Freude über einen Sünder, der Buße tut.
Nun habe ich zwei wichtige Hinweise vergessen. Dem Hamburger Bürgermeister möchte ich dringend empfehlen, jetzt ganz schnell einen Antrag auf eine ICE-Verbindung zwischen Hamburg und Berlin zu stellen, weil der Transrapid abgefahren ist.
- Dem Hamburger Bürgermeister, meinem guten Freund Henning Voscherau, mit dem ich schon sehr oft darüber geredet habe.
Das zweite ist: Für Gerhard Schröder habe ich Verständnis. Der braucht eine besondere Attraktion im Emsland, damit möglichst viele zur Expo gehen. Länderministerpräsidenten sind so: Die nehmen alles - Hauptsache, sie haben nichts dazubezahlt.
Schönen Dank.
Das Wort hat Herr Ministerpräsident Berndt Seite.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Über dem Projekt Transrapid steht für mich das Thema „Mut zur Zukunft" .
Welchen Weg in die Zukunft soll das strukturschwächste Land Mecklenburg-Vorpommern beschreiten, wenn es nicht zwei Dinge tut: erstens gut ausgebildete Menschen zu haben und zweitens eine Infrastruktur, die eine wirtschaftliche Entwicklung möglich macht?
Deshalb haben wir von Anfang an auf diese Hochgeschwindigkeitsstrecke gesetzt.
Ich muß Ihnen wirklich sagen, Frau Kollegin Heyne: Ich bin sehr enttäuscht von dem, was Sie gesagt haben. Mit keinem Wort haben Sie Mecklenburg-Vorpommern erwähnt. Sie möchten eigentlich, daß der Transrapid an Mecklenburg-Vorpommern vorbeifährt.
Sie möchten, daß wir weiter mit der Pferdekutsche fahren, mit der Bockschürze am Wegesrand stehen und Ihnen zuwinken, wenn Sie mit dem Rucksack vorbeikommen. Das wollen Sie.
Meine Damen und Herren, dies ist eine Gespensterdebatte. Oder ist es Torschlußpanik? Ich kann mich jedenfalls des Eindrucks nicht erwehren, daß einige die Nerven verlieren, kurz bevor die Zielgerade erreicht ist.
Es ist noch gar nicht lange her, als am 13. Oktober 1994 im Thronsaal des Schweriner Schlosses die Magnetschwebebahnplanungsgesellschaft gegründet wurde. Kurz danach begann sie mit der Planung der Transrapidstrecke zwischen Hamburg und Berlin. Einen Monat später hat der Bundesgesetzgeber das Magnetschwebebahnplanungsgesetz verabschiedet, und wiederum einen Monat später haben die Länder Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin die Arbeit zur Vorbereitung der notwendigen Raumordnungsverfahren aufgenommen.
Für den Abschnitt in unserem Land ist dieses Verfahren am vergangenen Mittwoch mit der Übergabe der landesplanerischen Beurteilung an den Vorhabenträger abgeschlossen worden. Ausnahmsweise kann also von langatmigen Planungsverfahren keine Rede sein.
Im Gegenteil: kurze, hochkonzentrierte Arbeit jenseits allen politischen Streits. Wegen der oft geschmähten öffentlichen Verwaltung wird der Entwicklungsvorsprung der deutschen Industrie nicht verlorengehen. Nach 27 Monaten Arbeit wird in Kürze erstmals eine trassenbezogene Wirtschaftlich-
Ministerpräsident Dr. Berndt Seite
keitsrechnung für eine Transrapidstrecke vorgelegt werden können.
In dieser Situation verlieren jetzt manche Nerven und Geduld. Es waren Indiskretionen aus dem Bereich der Industrie, die den Auslöser für das Aufflammen der Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt gegeben haben. Denjenigen, die den Transrapid partout nicht haben wollten, kommt diese Diskussion natürlich gerade recht.
Bekannt ist auch, daß einem großen Teil der bundesdeutschen Medien eine von Fakten losgelöste politische Auseinandersetzung gut zupaß kommt.
Und jetzt sind wir soweit, daß der Thyssen-Chef auf Grund der angeblichen Reaktion von Politik und Öffentlichkeit ein Scheitern dieses Projektes nicht mehr ausschließt. Soweit haben wir es mit dieser Gespensterdebatte schon gebracht. Wer spielt hier das Schwarze-Peter-Spiel?
Meine Damen und Herren, wenn wir in puncto Zukunftsfähigkeit unseres Landes ernst genommen werden wollen, dann ist es das mindeste, daß wir die Entscheidung über den Bau der Transrapidstrecke Hamburg-Berlin nicht auf der Basis von Informationshäppchen, sondern auf der Grundlage der kompletten neuen Daten treffen.
Die Erwartungen an das Projekt waren von Anfang an hoch. Es sollte nicht nur ein neues Produkt auf den Markt kommen, sondern es soll erstmals auch ein öffentliches Verkehrssystem in einer Form des „private-public partnership" finanziert werden. Es würde dem Standort Deutschland gut anstehen, wenn beides auch verwirklicht würde.
Wo kommen jetzt die neuen Fahrgastprognosen her? Eine kam von uns. Veränderungen in der Erlöskalkulation sind auf Grund der prognostizierten Ein- und Aussteigerzahlen im Großraum Schwerin erforderlich. Aus Mecklenburg-Vorpommern kam die Forderung, der Transrapid müsse über Schwerin geführt werden; denn - so unsere Begründung - die Ein- und Aussteigerzahlen würden mit der Nähe zur Landeshauptstadt ansteigen. Die Untersuchungen haben diese Behauptung mehr als bestätigt. Allerdings werden die Leute aus Schwerin nicht zugleich in beide Richtungen, sondern entweder nach Hamburg oder nach Berlin fahren.
Vielleicht muß man also auch die Berechnung der Erlöse umstellen.
Das ist eine rechnungsrelevante Größe. Lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen. Es ist eine Forderung meines Landes, die bei jeder Wirtschaftlichkeitsbetrachtung berücksichtigt werden muß.
Für die neuen Länder, insbesondere den strukturschwachen Nordosten Deutschlands, ist die Förderung der Verkehrsinfrastruktur von herausragender Bedeutung. Denn von einer guten Verkehrsinfrastruktur hängt Wirtschaftsentwicklung ab. Wie sonst sollte der Osten den Anschluß je erreichen?
Wir brauchen langfristiges Denken nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft. Ein solches Pionierprojekt kann sich nicht innerhalb von zwei Jahren rechnen. Auch für die Industrie gilt: Wir brauchen keinen Aktionismus, sondern Mut zur Langfristigkeit und die Bereitschaft, dem kurzatmigen Zeitgeist Paroli zu bieten.
Gerade weil die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung den allgemeinen Erwartungen nicht entspricht, ist der Bau der Magnetschwebebahn wichtig. Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Zukunftsprojekt arbeiten!
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich muß Ihnen eines sagen. Als Ostdeutscher begreife ich eines nicht: Seit 14 Jahren sitzen Sie im Bremserhäuschen, nie auf der Lokomotive. Sie wissen überhaupt gar nicht, wo die Kanzel beim Transrapid ist. Die einzige Zustimmung zur Zukunft, die ich vor einigen Jahrzehnten - damals noch jenseits der Grenze - gesehen habe, war, als Sie die Einführung des Farbfernsehers beklatscht haben. Das war alles. Das ist Ihre Zukunftskompetenz.
Ich frage mich: Wo nehmen Sie den Paradigmenwechsel her? Wann wollen Sie den überhaupt herbeiführen, wenn Sie keine Zukunftsideen haben?
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Börnsen, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Daß gerade die Grünen über jemanden spotten, der zum Bundestag und zur Wohnung mit dem Fahrrad fährt, finde ich weniger witzig. Dann machen Sie
Wolfgang Börnsen
das selber einmal nach, bevor Sie hier Kritik in dieser Weise üben.
- Inzwischen steigen Sie ja in die großen Wagen, und wir fahren Fahrrad. Das machen wir.
Es geht in dieser Debatte um zwei Punkte. Einmal: Sind wir bereit, unser Land und die nächsten Generationen für die Zukunft vorzubereiten? Schaffen wir zukunftsorientierte Arbeitsplätze, schaffen wir eine Zukunft, in der dieses Land auch für neue Märkte offen ist?
Unsere zweite Überlegung ist: Wir stellen weltweit fest, daß die Verkehrsballungen immer größer werden. Wir stoßen zum Schaden der Umwelt und vor allen Dingen von Hunderttausenden von Menschen an die Grenzen.
Als vor 60 Jahren der Ingenieur Hermann Kemper die Magnetbahntechnik zum Patent angemeldet hat, ging er von der Überlegung aus: Was kann ich dazu beitragen, um ohne großen Energiebedarf ein Verkehrsmittel zu entwickeln, das Zukunft hat? 1984 haben verdienstvollerweise auch Sozialdemokraten mit dazu beigetragen, daß der Probelauf begonnen hat. Daß jetzt der Verkehrsminister diese Initiative aufgegriffen und verstärkt hat und die Magnetbahntechnik für die Strecke Hamburg-Berlin umsetzt, ist im Grunde genommen die Wahrnehmung der Verantwortung für das Technologieland Nummer 1 in Europa und Nummer 2 in der Welt, nämlich für den Standort Deutschland.
Es ist schon richtig, daß unser Land durch Risikobereitschaft, durch Wagnisfähigkeit, durch Mut und Initiative groß geworden ist. Doch zur Zeit sind wir kleinmütig, verstockt und in manchen Bereichen kleinkariert;
das besonders, wenn es sich populistisch ausnutzen läßt. Damit kommen wir nicht weiter. Vizeweltmeister im Export wird man, wenn man die Nase vorn hat, und nicht, wenn man zurückkehrt und alles bremst, was neu ist und was Fortschritt und Zukunft bedeutet. Damit macht man die Zukunft unserer Kinder kaputt.
Die Magnetschnellbahn - das ist von einigen von Ihnen noch gar nicht begriffen worden - ist das umweltschonendste Massenverkehrsmittel der Zukunft.
Es ist energiesparender als jede andere Konkurrenz, als Bahn, als Boot, als Auto, als alles, was zu diesem Bereich gehört.
Dieses Verkehrsmittel ist leiser, in der Umsetzung insgesamt auch wirtschaftlicher und dient dazu, auch in Zukunft eine Verbindung zwischen großen Metropolen zu ermöglichen, ohne den Flugverkehr einbinden zu müssen.
Dieses Verkehrsmittel hat eine große Zukunft. Vor allen Dingen eröffnet es unserem Land eine Chance, weil wir den Konkurrenten in der Entwicklung dieser Technologie immer noch einige Jahre voraus sind. Vorausgesetzt, wir sagen heute nein, würden in zehn Jahren die Kritiker von heute fragen: Warum laßt ihr in Deutschland japanische Bahnen fahren? Warum praktizieren die das umweltschonendere Verkehrsmittel? Hättet ihr doch damals aufgepaßt!
Ihr Spott im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit ist nicht zu verstehen, wenn Sie sich einmal ansehen, was wir in der vorausgegangenen Debatte diskutiert haben: die Frage der öffentlichen Förderung der Windenergie.
Die öffentliche Hand hat in 20 Jahren zur Förderung von 3 000 Windmühlen in Deutschland 10 Milliarden DM ausgegeben. Das zeigt, daß man bereit ist, auf neue Technologien zu setzen. Nur, es ist ein Widerspruch, in diesem Bereich ja zu sagen und bei einem Projekt, das die Koalition und auch große Teile der Sozialdemokraten für notwendig und richtig hält, nein zu sagen. Kehren Sie um!
Ich kann mir gut vorstellen, daß ein Minister, der mit offenen Karten spielt, von Ihnen mit Spott und Häme überzogen wird. Offen über die Wirtschaftlichkeit zu diskutieren - ganz anders, als manche von Ihnen dies hinter verschlossenen Türen machen - spricht für seine Courage und für seine Verantwortung.
Wir sollten davon ausgehen, daß die kritische Überprüfung der Wirtschaftlichkeit auch ein Ansatzpunkt dafür sein kann, zu einer Neubestimmung des Projektes zu kommen.
Wolfgang Börnsen
Ob mit deutscher, europäischer oder anderer ausländischer Beteiligung: Der Transrapid muß kommen. Das sollte unsere Forderung sein.
Das Wort hat der Kollege Klaus Hasenfratz, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Mehrmals ist in dieser Aktuellen Stunde der Begriff „Stunde der Wahrheit" benutzt worden. Herr Jobst ist über diese Debatte enttäuscht. Für Herrn Wissmann ist es eine Zukunftsdebatte. Der Herr Ministerpräsident setzt dem noch eines darauf, indem er von einer Gespensterdebatte redet.
Herr Ministerpräsident, zu dieser Einschätzung haben Sie mit Ihren gespenstischen Darstellungen am meisten beigetragen.
Es ist sehr oft gesagt worden, daß in dieser Technologie die Chance für die Zukunft liegt und daß wir die Zukunft unserer Kinder im Auge behalten müssen. Für verantwortliche Politiker hat die Frage der Finanzierung genauso einen hohen Stellenwert wie die Frage, wie die Risiken in der Zukunft für unsere Kinder abzuwenden sind. Auch das gehört zu einer verantwortungsvollen Politik.
Wenn ich mir das Haushalts-, Steuer- und Rentenchaos dieser Bundesregierung ansehe, dann muß ich feststellen: Wenn Sie von diesem Projekt nicht Abstand nehmen, dann werden Sie dieses Chaos noch erhöhen.
Herr Fischer, Ihr Beitrag - der Kollege Kuhn wird gleich noch eines daraufsetzen - zeugt von einer Art „Angstbeißen". Hundebesitzer kennen das.
Angstbeißen entsteht, wenn man sehr charakterschwach ist und unsicher geworden ist. Ihre Beiträge zeugen von dieser Unsicherheit.
Die Opposition wird gegeißelt, daß sie Zahlen in die Welt posaunt, die jeder Grundlage entbehren. Ich frage einmal: Wer hat denn die Zahlen in der letzten Sitzung des Ausschusses geliefert?
Teilaussagen des Ministers Wissmann ist zu entnehmen, daß sich die Fahrgastzahlen geändert haben: Sie liegen mittlerweile zwischen 11,4 und 15,2 Millionen. Erstaunlicherweise mußten die Personenkilometer von 4,1 auf 2,5 bis 3,5 Milliarden Personenkilometer nach unten korrigiert werden.
Für mich ist nicht klar - vielleicht kann Herr Kuhn dazu gleich noch eine Aufklärung geben; eine Andeutung hat Ministerpräsident Seite ja schon gemacht -, wie das denn zusammenhängt, wenn ich mehr Fahrgastzahlen habe, aber gleichzeitig die gefahrene Strecke weit nach unten korrigiere.
Die Begründung, die sicherlich genannt wird: Es gibt ja noch ein Zusteigen im Raum MecklenburgVorpommern, im Raum Schwerin. Dann müßte sich die Zahl, die vorher bei 14 Millionen gelegen hat, aber erhöhen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Hamburger gar nicht nach Berlin, sondern nur nach Schwerin wollen und die Berliner gar nicht nach Hamburg wollen, sondern in Schwerin aussteigen. Der Zuwachs von Fahrgästen im Raum Mecklenburg-Vorpommern müßte auch die Personenkilometer wesentlich erhöhen.
Aus dem Hause des Herrn Wissmann gibt es eine tolle Aussage des Pressesprechers. Der hat den Nagel auf den Kopf getroffen und hat auch die Lösung. Ich zitiere aus der „Stuttgarter Zeitung", wo Herr Steinle sagt:
Die neue Strecke könnte noch zu einer unglaublichen Touristenattraktion werden. Vielleicht machen einmal die Japaner statt eines Besuchs in Rothenburg ob der Tauber lieber eine Fahrt mit dem Transrapid.
Eine Wahnsinnsidee! Dafür lohnt es sich glatt - etwas polemisch -, die Milliarden auszugeben!
Die Mär, Kolleginnen und Kollegen, daß dieses Projekt Tausende von Arbeitsplätzen schafft, glauben Sie doch selber nicht.
Die Mär, daß es ein Exportschlager für die deutsche Magnetschwebetechnik wird, können Sie doch gar nicht mehr glauben.
Ich will auch noch die Bemerkung von Herrn Minister Wissmann aufgreifen, daß bei Amtrac das ICE- Konsortium nicht zum Zuge gekommen ist. Herr Minister, Sie könnten damit den Eindruck erwecken, daß wir zu hohe Löhne haben oder daß das Projekt zu teuer ist. Sie wissen aber ganz genau, daß für den
Klaus Hasenfratz
Auftrag von Amtrac die Forderung besteht, daß 65 Prozent der Wertschöpfung für diese Projekte in den USA stattfinden müssen. Deshalb hat sich TGV auch mit dem Partner Bombardier zusammengetan, weil Bombardier die Fertigungsstätten in den USA hat.
Versuchen Sie nicht, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, mit unseren hohen Kosten kämen wir mit dem ICE im Ausland nicht an, aber mit dem Transrapid würden wir die ganze Welt überschwemmen und die Kunden würden nur so Schlange stehen. Alle Projekte in Nordamerika sind mittlerweile - das ist vorhin schon genannt worden - mit der Rad-SchieneTechnik bestellt worden. Ich weiß nicht, wer den Transrapid sonst noch kaufen soll, vielleicht Südafrika oder Brasilien. Die Industrie - das wissen Sie auch - geht nur nach reinen Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten. Die Kollegin Enkelmann hat gesagt, die Rendite müsse stimmen, sonst würde die Industrie einen Teufel tun, das zu finanzieren.
Nur Sie beharren weiter darauf. Sie erheben den Anspruch auf Unfehlbarkeit Ihrer Beschlüsse. Herr Wissmann, ich fordere Sie auf: Pfeifen Sie das Spiel ab, und nehmen Sie Schaden von den Steuerzahlern, auch damit es nicht zu einem weiteren Debakel Ihrer Politik kommt!
Das Wort hat der Kollege Werner Kuhn, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe es ja nicht gerne zu, aber diese Aktuelle Stunde heute, durch Bündnis 90/Die Grünen einberufen, hat natürlich auch etwas für sich.
Sie zeigt wieder einmal, auf welchem streckenweise lächerlichen Niveau Sie sich - Frau Altmann gemeinsam mit Frau Enkelmann - in dieser Debatte um neue Technologien, um Innovation, um Verkehrstechnologien der Zukunft und um unseren Wirtschaftsstandort Deutschland bewegt haben. Das war wirklich besorgniserregend. Ich kann nur sagen: Wenn man Frau Enkelmann mit ihren leuchtenden Ossi-Augen und mit Silberspielzeug und allem, was Sie da vorgebracht haben, sieht, dann war das billigster Stil, Kindergartenkombination Schnatterinchen und Pittiplatsch.
Sie wissen, was ich damit meine. Da kann ich ja nur lachen.Es ist unglaublich, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie etliche Oppositionspolitiker, getragen von einer wirtschaftszerstörenden Triumphwelle vieler Medien
- das möchte ich hier einmal eindeutig sagen -, gegen neue Technologien und auch gegen Magnetschwebebahntechnik zu Felde ziehen. Der Wirtschaftsstandort Deutschland wird schlechtgeredet; er wird beschädigt. So werden wir von der Physiologie und von der Psyche her als Standort mitten in Europa nicht anerkannt werden. Dagegen müssen wir uns wehren.Dabei sind wir logistisch und terminlich - das wurde hier schon von vielen Vorrednern gesagt - auf dem richtigen Weg. Das Raumordnungsverfahren wird im Februar 1997 in Mecklenburg-Vorpommern abgeschlossen; unser Ministerpräsident hat das gesagt. Daß natürlich eine WU I stattfinden muß, noch einmal alles durchkalkuliert werden muß, das hat Herr Fischer heute in seiner wirklich beeindruckenden Rede dargestellt.
Jawohl, das möchte ich ihm bescheinigen.Wenn ich zunächst einen Korridor von 50 Kilometern zwischen Hamburg und Berlin als Trasse festgelegt habe und dann zu einer Linienführung übergehe, muß ich doch die Kosten einigermaßen bestimmen. Ich weiß gar nicht, woher Sie schon die ganzen Daten haben, Frau Enkelmann.
Entweder haben Sie hellseherische Fähigkeiten oder nach wie vor Undercoverleute mit konspirativen Sitzungen; aber darin haben Sie ja Erfahrung. Ich kann das nicht nachvollziehen. Es tut mir leid.
Ich bleibe dabei: Die Magnetschwebebahn zwischen Hamburg und Berlin ist für die deutsche Exportwirtschaft und für den norddeutschen Raum - für Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, SchleswigHolstein, Berlin und auch für Brandenburg - von existentieller Bedeutung.Gegen alle Bedenkenträger mit einer Risikobereitschaft wie bei Vollkaskomentalität in Deutschland müssen wir uns wehren. Wir werden das Projekt gemeinschaftlich mit der Industrie durchsetzen.
- Das werden wir nicht erklären.Ich sage Ihnen noch eines: Natürlich haben sich sämtliche Beteiligten erst einmal warm angezogen, als wir die Sache konstruktiv in Angriff genommen haben und es um die Wirtschaftlichkeitsberechnung ging. Sie haben alle Eventualitäten eingebaut. Das Horrorszenario, daß es nicht funktioniert, wird nicht
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1997 13881
Werner Kuhneintreten. Aber es sind harte Rahmenbedingungen geschaffen.Jetzt müssen wir prüfen, ob wir wirklich schon im ersten Anlauf an jeder Peripherie der beiden großen Städte einen Haltepunkt brauchen.
- Nicht „Ah" ! Das muß man technisch durchdenken. Dazu sind Sie aber überhaupt nicht in der Lage. Das muß ich Ihnen einmal so sagen. Sie können nur polemisch zu Felde ziehen.Möglicherweise müssen wir im ersten Schritt bei Teilstrecken auf die Doppelgleisigkeit verzichten. Technisch ist das alles möglich.
Wir werden den Transrapid um das Jahr 2005 in Betrieb nehmen.
- Wir müssen in Schwerin halten. Das belegen die Zahlen.Herr Hasenfratz, Sie haben mich sozusagen als Sachverständigen angekündigt. Sie sprachen in Ihrer Rede von Angstbeißern. Ich glaube, Sie sitzen zu Hause im Ruhrgebiet auf einer Kohlenhalde und sind der Angstbeißer, der die 9 Milliarden DM Kohlesubventionen bewahrt. Da ist keine Innovation, da ist wenig von neuen Technologien zu merken.
Wir gehen nach vorne und werden den Transrapid bauen.Ich muß Ihnen noch sagen: Die Erlösseite ist gar nicht so kompliziert und schlecht. Wir haben die 284 Kilometer ursprünglich mit 28 Pfennig geplant. Wenn ich das hochrechne und die Einnahmeentwicklung in Deutschland berücksichtige - dabei muß man auch die Investitionsentwicklung betrachten -, dann komme ich, selbst wenn ich 40 oder auch 45 Pfennig ansetze - und solche Szenarien müssen durchgerechnet werden -, immer noch auf einen Fahrpreis zwischen 120 und 130 DM. Ihre Horrorvision von 1 200 oder 1 500 DM für eine vierköpfige Familie - das können Sie sich ausrechnen - ist abwegig.
Der Sachsenwald, und die armen Pferdchen dürfen nicht mehr laufen, weil der böse Transrapid durch das Gebiet fährt, und dann kommt er blutverschmiert im nächsten Bahnhof an, weil sämtliche Vögel an seinen Windschutzscheiben kleben - das sind Ihre Horrorvisionen. Gegen die können wir uns nur wehren.
Die Zeit, Herr Kollege.
Ich komme zum Schluß: Wenn man einen großen Sprung wagen will, muß man kurzzeitig zwei Schritte zurückgehen, um Anlauf zu nehmen. Das sollten wir jetzt gemeinschaftlich tun.
Ich unterstütze auch die Pro-Transrapid-Bewegung unserer jungen Generation. Diese Leute sagen uns eindeutig: Wenn ihr weiter so degeneriert und verkalkt am Wirtschaftsstandort Deutschland arbeitet, dann werden wir es alleine tun. Wir hätten es sonst als Enkel nachher auszubaden. Ich kann nur sagen - -
Ihre Redezeit! Das ist das letzte, was Sie sagen.
Jawohl, Herr Präsident. - Wir haben genügend Vorsprung vor unseren Mitbewerbern in Mitteleuropa. Lassen Sie es uns zur nationalen Aufgabe von Politik, Wirtschaft und der gesamten Öffentlichkeit erklären, diese Investitionen in Angriff zu nehmen, damit unsere Enkel uns nachher nicht zum Vorwurf machen, daß sie die Technologie, die dann in unseren Nachbarländern, in Europa gebaut und auch betrieben wird, wie schon in so vielen anderen Fällen zurückkaufen müssen. In diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 4 sowie den Zusatzpunkt 5 auf:
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck , Otto Schily, Dr. Helmut Lippelt, Bernd Reuter, Winfried Nachtwei, Fritz Rudolf Körper, Christa Nickels, Dr. Angelica Schwall-Düren, Dr. Antje Vollmer, Dr. Peter Struck, Gerald Häfner, Uta Titze-Stecher, Siegfried Vergin, Geit Weisskirchen (Wiesloch), Rudolf Scharping und der Fraktion der SPD, Joseph Fischer (Frankfurt), Kerstin Müller (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus in den osteuropäischen Staaten
- Drucksache 13/6844 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernd Reuter, Hermann Bachmaier, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Bundesstiftung „Entschädigung für NS-Unrecht"
- Drucksache 13/6824 —Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß Haushaltsausschuß
Durch den Antrag auf Drucksache 13/6844 wird der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6737 ersetzt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Debatte eine Stunde vorgesehen. Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Tage ist es her, daß wir zum zweitenmal gemeinsam aller Opfer des Nationalsozialismus gedacht haben. Lehren aus der Vergangenheit wollten wir ziehen - so hieß es in allen Reden.
Jetzt kommt die Nagelprobe; denn die Glaubwürdigkeit des Gedenkens entscheidet sich am Umgang mit den überlebenden Opfern. Mit Argumenten wie: „Absolute Gerechtigkeit gibt es nicht; es ist vieles geleistet worden", versucht man, berechtigte Ansprüche abzuwimmeln. Solange noch Opfer des Nationalsozialismus in bitterer Armut leben, dürfen wir nicht ruhen, ihnen zur Durchsetzung ihrer berechtigten Ansprüche zu verhelfen.
Die DDR - das wissen wir alle - hat ihre Verpflichtungen gegenüber Juden im Ausland, die durch Deutschland verfolgt wurden, nicht erfüllt. Deshalb ist in Art. 2 des Einigungsvertrages vorgesehen, daß verfolgte Juden, die nur geringe oder keine Leistungen bekommen haben, künftig in eine Entschädigungsregelung einbezogen werden. Deshalb wurde der Artikel-2-Fonds mit der Jewish Claims Conference vereinbart.
Dieser sieht vor, daß schwerstverfolgte Juden eine monatliche Rente von 500 DM erhalten können. Schwere Verfolgung wird definiert: mindestens sechs Monate KZ-Haft, 18 Monate Ghetto oder Verstecktleben. Auf die Geringfügigkeitsgrenze von 10 000 DM, die bisherige Entschädigungszahlungen nicht überschreiten durften, um in den Genuß dieser Regelung zu kommen, wurde zur Jahreswende in einer Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Jewish Claims Conference jetzt verzichtet. Nach Angaben des BMF in der gestrigen Sitzung des Rechtsausschusses hat der Bundesfinanzminister deshalb noch einmal 130 Millionen DM für den Haushalt 1997 vorgesehen.
Der Ausschlußtatbestand, daß ausgerechnet Opfer aus Osteuropa keine Entschädigungsleistungen aus diesem Fonds bekommen, ist allerdings geblieben. Das ist doppelt ungerecht; das ist ein zweifacher Skandal.
Betrachten wir die Gerechtigkeitsfragen: Wohnsitzvoraussetzungen. In Osteuropa bekommt man keine Entschädigungsrente. Bei einem gleichen
Schicksal kann man sie überall sonst auf der Welt erhalten.
Vor wenigen Tagen war Dr. Bergmann, der Vorsitzende der lettischen verfolgten Juden, die im KZ oder in Ghettos waren, hier in Bonn und berichtete uns, daß er mit seinem Bruder gemeinsam die gleiche Zeit im gleichen Konzentrationslager saß. Sein Bruder lebt in Deutschland. Er erhält eine monatliche Rente von 500 DM. Dr. Bergmann lebt weiter in Lettland, von wo ihn die Nazis verschleppt hatten. Er bekommt nichts von der Bundesrepublik Deutschland.
Es ist makaber, daß ausgerechnet die Juden, die ihren Wohnsitz heute am Tatort des millionenfachen Mordens haben, von den Leistungen aus dem auf der ganzen Welt geltenden Entschädigungsfonds ausgeschlossen sind. Überlebende des Holocaust müssen heute aus ihrem Heimatstaat in den Westen auswandern, um einen nennenswerten Entschädigungsbetrag für die erlittenen Verfolgungsmaßnahmen von der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten. Diese Situation ist politisch und moralisch nicht akzeptabel.
Noch empörender wird allerdings der Vergleich, wenn man sich auf der einen Seite die Täter- und auf der anderen Seite die Opferversorgung anschaut. Täter, Mitglieder der SS und Waffen-SS, selbst verurteilte Kriegsverbrecher erhalten Kriegsopferrenten von der Bundesrepublik Deutschland, auch im Ausland. In Rumänien beziehen 1 014 Personen, in Kroatien 1 010 Personen und in Slowenien 2 380 Personen Kriegsopferrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz. NS-Opfer in diesen Staaten bekommen nichts, keine müde Mark bisher. Das ist ein Skandal. Großzügigkeit auf der Täterseite, Kleinlichkeit gegenüber den Opfern - das kennzeichnet die Entschädigungspolitik der letzten Jahre.
Nichts gegen Kriegsopferrenten für zwangsrekrutierte Mitglieder der Waffen-SS. Darunter gab es arme Kerle, die keine Verbrechen begangen haben. Sie sollen ihre Renten meinetwegen behalten. Aber den schwerstverfolgten NS-Opfern sollte man sie dann auch nicht mehr verwehren. Daß auch Verbrecher und Freiwillige der SS Kriegsopferrenten erhalten, ist ein Skandal. Heinz Barth, der Schlächter von Oradour, erhält 720 DM monatlich, Lehningk-Emden, der Mörder von Caiazzo, erhält 708 DM monatlich Kriegsopferrente. Selbst die Witwen der Verbrecher Freisler und Heydrich erhalten diese Zusatzrenten, wie die „Zeit" von heute in einem Beitrag schreibt. Nach Schätzung der „Zeit" zahlen wir jährlich 637 Millionen DM an Kriegsverbrecher, nicht an Soldaten, wohlgemerkt. Dies wäre ein Deckungsvorschlag: Wenn man das streichen würde, erhielte man einen Betrag, der bei weitem höher als all unsere Forderungen zum Entschädigungsrecht ist.
Der Ausschluß osteuropäischer Juden aus den auf der übrigen Welt geltenden Entschädigungsregelungen muß beendet werden. Organisationen der Verfolgten und der Überlebenden des Holocaust aus
Volker Beck
Osteuropa, die Jewish Claims Conference, das American Jewish Committee und der Zentralrat der Juden in Deutschland haben gefordert, endlich die Regelungen des Artikel-2-Fonds auch auf Osteuropa auszudehnen. Hier geht es darum, die 13 000 dort noch lebenden jüdischen Schwerstverfolgten, die die Kriterien dieses Fonds erfüllen, endlich in die Entschädigungsregelungen einzubeziehen. Es handelt sich hier - wenn man unserem Vorschlag folgt, wonach man den Lebenshaltungsindex bei der Auszahlung der Renten berücksichtigt - um eine Summe von zunächst maximal 40 Millionen DM pro Jahr. Das ist meines Erachtens eine Forderung, die wahrlich nicht kühn ist, die angesichts der eben erwähnten Problematik sogar eher bescheiden ist.
Wir fordern auch, daß die im Haushalt vorgesehenen Globalabkommen für alle NS-Opfer, die ein anderes Verfolgungsschicksal hatten, abgeschlossen werden. Die hierfür vorgesehenen 80 Millionen DM hätte es ohne den Versuch einer interfraktionellen Initiative zu dem Antrag, über den wir heute sprechen, nicht einmal gegeben.
Ich fordere Sie auf - wir haben heute morgen über das Verhältnis zu Tschechien gesprochen - auch Tschechien freiwillig in eine solche Regelung einzubeziehen.
Zum Schluß möchte ich noch etwas zu dem vorliegenden Antrag der SPD betreffend eine Stiftung für die inländischen „vergessenen" Opfer des Nationalsozialismus sagen. Es handelt sich um Deserteure, Zwangssterilisierte, Homosexuelle, aber auch um Juden, Sinti und Roma, die wegen der engen Antragsfristen in der Vergangenheit nichts bekommen haben. Wir werden Ihren Antrag in den Beratungen unterstützen, weil wir jeden Fortschritt begrüßen, den wir hier erreichen können. Ich verstehe aber nicht, wer nach Ihrem Antrag etwas bekommen soll und was er bekommen soll. Ich habe auch nicht verstanden, daß Sie im Ausschuß ohne Begründung unserem Antrag, der die Berliner Landesregelung auf die Bundesrepublik Deutschland ausdehnen wollte, die Unterstützung versagt haben. Ich meine, eine Bundesregelung - der Bund ist für die Entschädigung zuständig - darf nicht hinter bestehendes Landesrecht zurückfallen. Dennoch werden wir uns, wenn es auf Grund dieses Antrages im Hause ernsthafte Gespräche mit allen Seiten geben sollte, konstruktiv an der Diskussion beteiligen.
Die Zeit drängt. Bei den ausstehenden Entschädigungsregelungen müssen wir jetzt handeln. Ein Setzen auf die biologische Lösung diskreditiert alle Anstrengungen des Gedenkens und Erinnerns. Wenn es ohne Konsequenzen für die Opfer bleibt, ist es hohles Pathos.
Das Wort hat der Kollege Heinz-Jürgen Kronberg, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die beiden vorliegenden Anträge behandeln ein Thema, das nicht nur einen schwarzen oder, richtiger gesagt: einen braunen Flecken in der deutschen Geschichte bezeichnet, sondern auch eine nicht beschreibbare Zahl von unermeßlich leidvollen Einzelschicksalen umfaßt.
Ein Versuch der Wiedergutmachung im wirklichen Sinne ist schon von Anbeginn zum Scheitern verurteilt und kann sich somit nur in einem symbolischen Gehalt wiederfinden. Die Bundesregierung hat sich seit der Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 im Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Opfern gesehen und hat im Laufe der letzten Jahrzehnte durch das Setzen verschiedener Schwerpunkte versucht, ihrer Verantwortung auch gerecht zu werden.
Seit den 50er Jahren wurden Opfer nach dem Bundesentschädigungsgesetz und nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz entschädigt, natürlich nur diesseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Es wurden summa summarum zirka 100 Milliarden DM für Entschädigungsleistungen nicht nur in Deutschland, sondern weit über unsere Grenzen hinaus aufgewendet.
Natürlich - ich habe das bereits gesagt -: Osteuropa war ausgeschlossen. Seit dem Fall der Mauer und der Öffnung der politischen Grenzen zwischen den beiden Blöcken Europas hat sich hier eine vollkommen neue Situation ergeben. Viele Verfolgte, viele Geschädigte des NS-Regimes in Osteuropa, die bis dahin überhaupt keine Möglichkeit hatten, Wiedergutmachungsleistungen zu beantragen, sahen sich plötzlich dazu in der Lage, nur: Die gesetzliche Grundlage, das BEG und das AKG, bestand inzwischen nicht mehr.
Gerade Bundeskanzler Kohl war es, der in dieser Situation besonderen Wert auf eine Lückenschließung bei den Wiedergutmachungsregelungen legte. So wurden verschiedene Stiftungen zur Versöhnung und Verständigung in Osteuropa gegründet: Die Stiftung in Warschau wurde mit 500 Millionen DM ausgestattet, die Stiftung in Moskau mit zirka 1 Milliarde DM, und im letzten Jahr haben wir für die MOE- Staaten haushaltsrechtlich ein Stiftungskapital von 80 Millionen DM bereitgestellt.
Im Rahmen der heute vormittag besprochenen Deutsch-Tschechischen Erklärung wurde ein Zukunftsfonds in Höhe von insgesamt 165 Millionen DM inklusive des tschechischen Anteils gebildet, der vorrangig Opfern und Geschädigten des NS-Regimes zugute kommen soll.
Darüber hinaus wurde der Artikel-2-Fonds mehrfach aufgestockt, um jüdische Opfer, die aus Osteuropa nach Deutschland ausgewandert sind, gegebenenfalls zu entschädigen. Seit 1992 ist durch die Erweiterung der Zugangsbestimmungen auch eine laufende Hilfe für die eben genannte Gruppe möglich.
Die letzten Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der Claims Conference fanden im Dezember 1996 statt und endeten mit einer vorbehaltli-
Heinz-Jürgen Kronberg
chen Einigung bis zum Auslaufen im Jahre 1999. Man kann sich also keineswegs des Eindrucks erwehren, daß gerade in den vergangenen Jahren auf diesem Gebiet eine ganze Menge veranlaßt wurde.
Auch ich würde den Opfern und Geschädigten in Osteuropa viel lieber noch umfangreichere Entschädigungen zugute kommen lassen, aber in Zeiten, in denen wir gezwungen sind, durchgreifender und bescheidener zu wirtschaften, so daß wir uns von der Opposition sogar den Vorwurf von Sozialabbau anhören mußten, wäre es sehr schwer, dem Bürger auf der Straße zu erklären, warum wir weitere mehrstellige Millionenbeträge zur Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus bereitstellen.
Ich will - damit kein falscher Eindruck aufkommt - diesen Bürgern nicht nach dem Munde reden, überhaupt nicht. Ich habe auch persönlich eine ganz andere Meinung. Ich denke aber trotzdem, daß man diese Tatsache nicht einfach ignorieren und nicht so tun kann, als ob es sie gar nicht gäbe.
Herr Kollege Kronberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nachtwei?
Ja, bitte.
Herr Kronberg, Sie haben gerade die Leistungen der Bundesregierung in diesem Bereich hervorgehoben. Es ist unbestreitbar, daß in den letzten Jahren einiges geschehen ist. Aber würde Ihnen möglicherweise die Argumentation auf der Straße etwas leichter fallen, wenn Sie zu diesen großen, zunächst sehr eindrucksvollen Pauschalzahlen auch sagen würden, was die Zahlungen konkret für einzelne ehemalige Getto-
oder KZ-Häftlinge bedeutet?
In Moskau bedeutet das zum Beispiel: Grundbetrag 300 DM und für einen Monat Haft 25 DM, das heißt als maximale Einmalzahlung 1 000 DM. Meinen Sie nicht, daß die Bürger auf der Straße angesichts dessen mehr Verständnis hätten und sagen würden, daß solche Größenordnungen eher im Bereich von Almosen liegen?
Herr Kollege Nachtwei, Sie haben in gewisser Weise recht. Auf der anderen Seite ist es sehr schwer, die Zahlen zu vergleichen, weil ein Betrag von zum Beispiel 30 DM in Frankreich und Bulgarien etwas vollkommen Unterschiedliches ist. In Frankreich bekommen Sie dafür gerade mal ein Mittagessen, in Bulgarien ist dies ein gesamter Monatslohn. Deswegen ist es sehr schwer, den Vergleich, den Sie eben angeführt haben, der eine gewisse Berechtigung hat - das will ich Ihnen gar nicht absprechen -, hier zu Rate zu ziehen.
Meiner Ansicht nach ist es jedenfalls höchst anerkennenswert, daß durch zahlreiche Verhandlungen der letzten Monate viele Lücken geschlossen wurden, wenn auch nicht zu jedermanns vollsten Zufriedenheit. Das Handeln der Bundesregierung war insoweit richtig, als man sagen kann „Schnelle Hilfe ist doppelte Hilfe", auch wenn wir das Wort „schnell" in diesem Zusammenhang in Anführungszeichen setzen mögen.
Wenn ich andererseits die Ziffer 1 des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen lese, in der eine Erweiterung des Artikel-2-Fonds im Bereich Osteuropa gefordert wird, so weiß ich zwar, daß dies eine alte Forderung der Claims Conference ist, weiß aber auch, daß dies weder Gegenstand noch Inhalt der letzten Einigung zwischen Bundesregierung und Claims Conference war. Im Ergebnis dieser Verhandlungen erklärte die Claims Conference demgegenüber, daß sie bis zum Ablauf im Jahre 1999 keine weiteren Forderungen an die Bundesregierung herantragen möchte. Das heißt, daß sich Bündnis 90/Die Grünen mit dem Antrag auf einem Feld engagieren, aus dem sich die Claims Conference schon wieder zurückgezogen hat.
Abschließend muß ich zu dem Antrag aber ganz einfach einen haushaltsbezogenen Vorbehalt geltend machen. Wenn ich Ihr Argument mit Herrn Bergmann höre, so muß man dazu auch sagen, daß Herrn Bergmann und vielen anderen Geschädigten in den baltischen Staaten vor zwei Jahren im Rahmen der beantragten Stiftung, die interfraktionell vereinbart war, eine Entschädigung angeboten wurde. Genau dieser Herr Bergmann hat hier in Bonn eine Pressekonferenz gegeben, bei der er dies strikt abgelehnt hat, weil er es als lächerlich bezeichnet hat.
Herr Kollege Kronberg, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Aber gern.
Herr Kollege Kronberg, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Jewish Claims Conference mir gestern auf Nachfrage noch einmal bestätigt hat, daß die Frage des Artikel-2-Fonds in Osteuropa, die in dem gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen angesprochen ist, für sie mit den Gesprächen, die sie mit der Bundesregierung zur Jahreswende geführt hat, nicht erledigt ist, sondern daß sich diese Erledigungserklärung, die es vielleicht gegeben hat - darüber weiß ich nichts -, womöglich auf andere Gesprächsgegenstände bezogen hat?
Meines Wissens gibt es nur einen Artikel-2-Fonds und in dieser Frage keine verschiedenen Gebiete. Es ist über den Artikel-2-Fonds im Dezember 1996 verhandelt worden. Es ist zwischen der Bundesregierung und der Claims Conference eine Einigung getroffen worden.
Dazu sagt vielleicht Frau Karwatzki nachher noch etwas.
Heinz-Jürgen Kronberg
Auch wenn ich solche Argumente wie „Ausschluß von osteuropäischen Juden von jeglicher Entschädigung" höre, dann ist das Polemik. Sie wissen ganz genau, daß osteuropäische Juden entschädigt worden sind, auch wenn es nach anderen Maßstäben geschehen ist.
Aber es ist nicht so, daß sie überhaupt keine Entschädigung bekommen hätten. Ungarische Juden, wie Sie sie anführen wollen, werden über die MOE-Stiftung entschädigt werden können.
Auch das wissen Sie ganz genau.
Aber nun zum SPD-Antrag, weil wir auch den noch vor uns liegen haben, nämlich über eine Bundesstiftung zur „Entschädigung für NS-Unrecht" im Rahmen Deutschlands. Dazu ist erst einmal zu bemerken, daß er ohne Frage in der Tradition des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/1193 steht, der im Dezember des letzten Jahres nach anderthalbjähriger Beratung im Innenausschuß nach intensiver Diskussion abgelehnt wurde. Inhaltlich ist er um einiges allgemeiner gehalten als der von Bündnis 90/Die Grünen. Wenn ich mich recht erinnere, waren wir auch in der Berichterstatterrunde mit der SPD, speziell mit dem Kollegen Reuter, immer einig, daß wir, wenn wir von einer Stiftung gesprochen haben, eine Bund-Länder-Stiftung gemeint haben und nicht eine Bundesstiftung. Deswegen gehört da an die erste Stelle schon einmal ein Fragezeichen.
Wenn wir natürlich als erstes den Rahmen in Form einer Bundesstiftung von uns aus - neben den genannten Gründen - hinterfragen, dann müssen wir auch auf den bisher eigentlich vorhandenen Konsens noch einmal zurückschauen und zu den Ländern blicken. Da hat zum Beispiel das Land Hessen im September 1996 versucht, basierend auf seiner - das meine ich jetzt nicht sarkastisch - wirklich vorbildlichen Stiftung des hessischen Härtefonds für vergessene NS-Opfer, eine Bundesratsinitiative zu lancieren.
Die Antwort der Bundesländer wiederum war sehr ernüchternd. Bayern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Berlin haben Bedenken und Vorbehalte geltend gemacht, wobei bemerkt werden muß, daß paradoxerweise Berlin selbst eine solche Stiftung unterhält. 10 von den 16 Bundesländern haben dieser Initiative wohl überhaupt erst gar keine großartige Bedeutung beigemessen. Sie haben nämlich erst gar nicht geantwortet. Brandenburg hat als einziges Land die Initiative begrüßt und sich zur Unterstützung bereit erklärt. Folglich können wir somit auch das Kapitel der Länderbeteiligung schließen und kehren deswegen zum Bund zurück.
Ich finde es einfach nicht angemessen, wenn einerseits gerade von der SPD Einsparungen zugunsten von anderen dringend erforderlichen Ausgaben oft blockiert werden und andererseits statt neuer Einnahmemöglichkeiten neue Ausgaben durch erweiterte Entschädigungsleistungen gefordert werden. Dies erweckt - das ist die eigentliche Kritik - in meinen Augen vorsätzlich Hoffnungen bei Betroffenen, die zu erfüllen objektiv weder der Bund allein in der Lage ist noch die Länder bereit sind.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Siegfried Vergin, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 27. Januar, dem Tag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz vor 52 Jahren, hat der Deutsche Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Wer nachdenkt, wird von Scham erfüllt, daß es mehr als 50 Jahre gedauert hat, ehe eine deutsche Bundesregierung und der Deutsche Bundestag als höchste Repräsentanz des deutschen Volkes den Bundespräsidenten gebeten haben, einen offiziellen jährlichen Tag des Gedenkens an diese „furchtbarste und einmalige Zerstörung menschlichen Wertes", so Michel Friedman, Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, im November 1992, auszurufen.
Noch ist dieser Tag nicht im Bewußtsein der Bevölkerung verhaftet, und wir Politiker auf allen Ebenen haben ihn noch nicht in unseren Köpfen. Wir sind somit aufgefordert, in unserem politischen Umfeld darauf hinzuwirken, daß der Sinn eines solchen Gedenktages deutlich wird.
Er muß den Opfern gerecht werden und der Demokratie Wege zu besserer Stabilität weisen. Es reicht nicht, sich der Toten zu erinnern und zu mahnen, daß solches Unrecht sich in Gegenwart und Zukunft nicht wiederhole.
Tatsache ist, daß Überlebende noch unter uns sind. Erinnerungen an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges mögen bei uns selbst in den Hintergrund treten; bei den Überlebenden der Shoah und der Nazibarbarei werden sie im Alter gegenwärtiger, wie alle wissenschaftlichen Untersuchungen sowohl in Israel als auch in den europäischen Ländern zeigen.
Aber nicht nur Erinnerungen kommen zurück. Die Überlebenden leiden heute mehr denn je an den Spätfolgen von Lagerhaft und Verfolgung, an physischer und psychischer Gebrechlichkeit, leben vielfach in bitterer Armut. Dies wurde den Kollegen des Innenausschusses bei ihrem Besuch in Israel eindrücklich dargestellt. Sie haben den Gesprächspartnern zugesagt, in ihren Fraktionen das Erfahrene zur Besprechung zu bringen. Mit den vorliegenden Anträgen ist dies einzulösen. Ich appelliere an Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sich bei diesen Beratungen nicht nur mit dem Finanzminister auseinanderzusetzen, sondern von dem leiten zu lassen, was vorgetragen wurde.
Siegfried Vergin
Am 11. Mai 1995 legte die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen ihren Antrag „Errichtung einer Bundesstiftung ,Entschädigung für NS-Unrechtr" an der sich auch die Länder beteiligen sollten, im Deutschen Bundestag vor. Sie nahm damit eine Idee der SPD-Bundestagsfraktion wieder auf, die Ende der 80er Jahre im Deutschen Bundestag am Widerstand der Koalition gescheitert war. Mein Fraktionskollege Fritz Rudolf Körper hat in der damaligen Debatte für die SPD erklärt, daß in der Tat „ein großes Unbehagen" bestehe, „weil wir es bis zum heutigen Tag nicht geschafft haben, eine für alle Betroffenen zufriedenstellende Regelung zu finden". „Die Vielzahl der geschaffenen Härtefonds" mache „es den Betroffenen vielfach unmöglich, sich im Dschungel der Entschädigungsvereinbarungen zurechtzufinden". Wir haben damals an den Deutschen Bundestag appelliert, in dieser geschundene Menschen betreffenden Frage einen Konsens aller Demokraten zu finden. Auch Kollege Marschewski hat in Jerusalem ausdrücklich darauf verwiesen, wie notwendig dies sei.
Ich erinnere an dieser Stelle an ein Wort der Frau Abgeordneten Professor Süssmuth, die anläßlich der Debatte um das Holocaust-Denkmal am 9. Mai 1996 auf Versäumnisse in der sogenannten Entschädigungsproblematik einging. Sie unterstrich, daß es nach wie vor Opfer gebe, die es zu rehabilitieren gelte; namentlich erwähnt wurden die Deserteure. Unsere Aufgabe sei es, so Frau Süssmuth, „denjenigen, die alt und gebrechlich, innerlich noch immer tief verwundet sind", möglicherweise mit dem „Mittel einer Stiftung" zu helfen.
Ich weise auch auf eine Entschließung des Vereins „Gegen Vergessen - Für Demokratie" vom 31. Oktober 1996 an den Deutschen Bundestag hin, in der eine Bundesstiftung gefordert wird. Zum Vorstand dieses Vereins gehören nicht nur Hans-Jochen Vogel und Hanna Renate Laurien, sondern auch der ehemalige F.D.P.-Berichterstatter für Wiedergutmachung, Wolfgang Lüder, und die CDU-Abgeordneten Friedbert Pflüger und Professor Rupert Scholz.
Dennoch, der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Antrag zur Errichtung einer Bundesstiftung für NS-Opfer wurde in den Beratungen des federführenden Innenausschusses am 11. Dezember 1996 von der Regierungskoalition erneut abgelehnt. Die Begründungen dafür waren nicht überzeugend. Kollege Bernd Reuter kündigte deshalb in der Sitzung an, daß die SPD-Fraktion einen Antrag vorlegen werde, dessen Ziel es sei, Rahmenbedingungen für eine Stiftungslösung zu finden, die bei gutem Willen aller Beteiligten am Ende durchsetzbar sein sollte.
Diesen Antrag legen wir heute vor. Über die Einzelheiten müssen wir uns, Herr Kollege Kronberg, natürlich verständigen. Schnelle und unbürokratische Hilfe für den bisher nicht oder nur unzureichend berücksichtigten Personenkreis der NS-Opfer und ihrer Angehörigen ist nötig, wenn wir uns nicht dem Vorwurf aussetzen wollen, daß ein zutiefst von
Unrecht gezeugtes Problem durch Zeitablauf erledigt werden soll.
Mit Recht stellt der Verein „Gegen Vergessen - Für Demokratie" fest:
Inzwischen ist deutlich geworden, daß die Entschädigungsregelungen hinsichtlich einzelner Betroffener nach wie vor Lücken und Mängel aufweisen. Das gilt beispielsweise für „Euthanasie"-Geschädigte und Zwangssterilisierte, Homosexuelle oder Menschen, die wegen ihrer Lebensweise im Sinne der NS-Ideologie als „gemeinschaftsstörend" galten und darum geschädigt wurden .
Über eine Stiftungslösung ist schnelle Hilfe erreichbar, wie die schon bestehenden Landesstiftungen zeigen.
Bei dem bereits erwähnten Gespräch von Mitgliedern des Innenausschusses in Jerusalem wurden wir aber vor allem auf die Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus in den europäischen Staaten angesprochen. Ausdrücklich gewürdigt wurde dabei, was die Bundesrepublik heute schon leistet. Gemeint sind die drei GUS-Stiftungen, die 1 Milliarde DM zur Verfügung haben, und die deutsch-polnische Stiftung „Verständigung und Aussöhnung" mit 500 Millionen DM.
Wir müssen aber feststellen, daß mit diesen Stiftungsregelungen nicht nur Ungleichheit auf Grund des Wohnortes der Opfer in Osteuropa selbst eingetreten ist, sondern vor allem eine Ungleichheit der Opfer in Ost- und Westeuropa in Kauf genommen wurde. Unser Grundsatz bei den Beratungen des von der Grünen-Fraktion und uns vorgelegten Antrags wird sein: Die Schwere der Verfolgung, nicht der Wohnort, soll über eine Entschädigung entscheiden.
Wir begrüßen, daß sich der Haushaltsausschuß auf seiner Sitzung am 14. November 1996 darauf geeinigt hat, für Zuschüsse an einzurichtende Stiftungen „Verständigung und Aussöhnung in den mittel- und osteuropäischen Staaten" 80 Millionen DM - verteilt auf drei Jahre - bereitzustellen. Mit 1998 zu beginnen, meine Damen und Herren, ist aber nicht ausreichend.
Die Zuteilung der Mittel des sogenannten Artikel-
2-Fonds über die Claims Conference in den westlichen Staaten hat sich bewährt. Warum dieser Fonds nicht auf die osteuropäischen Staaten ausgedehnt werden soll, bleibt bisher unbeantwortet. Ich wiederhole: Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß der Wohnort und nicht die Schwere des Verfolgungsschicksals über eine angemessene Entschädigung entscheidet.
Siegfried Vergin
Ich bitte Sie deshalb, der Überweisung des SPD- Antrags „Bundesstiftung für NS-Unrecht" wie auch dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen Bündnis 90/ Die Grünen und der SPD zur Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus in den osteuropäischen Staaten zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, im federführenden Innenausschuß sowie im Haushaltsausschuß muß bald darüber beraten und entschieden werden. Ich lege auf dieses „bald" großen Wert. Die noch lebenden Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes haben Anspruch darauf, daß wir uns durch eine schnelle Entscheidung zu ihnen bekennen. Bei dem Gespräch in Tel Aviv, das ich für unsere Kollegen im Innenausschuß alleine geführt habe, ist mir eindringlich mitgegeben worden, schnelle Entscheidungen zu treffen, egal, wie sie ausgehen. Es muß Sicherheit für die Betroffenen hergestellt werden.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Burkhard Hirsch, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich - Herr Kollege Vergin, das wissen Sie - werden wir der Überweisung der Anträge an den Innenausschuß zustimmen. Wir werden dort in allen Einzelheiten über sie reden, und wir werden dort auch eigene Anträge stellen, um unsere Position klarer zu machen.
Ich stimme Ihnen vollkommen zu, daß wegen des Alters der noch überlebenden Opfer, denen wir gerecht werden wollen, in dieser Frage keine Zeit zu verlieren ist. Sie haben auch recht, daß die Verbrechen, deren wir gedacht haben, nicht Vergangenheit sind; ihre Wirkungen sind Gegenwart. Da ist nichts vergessen, und da darf auch nichts vergessen werden. In dem Punkt sind wir uns einig.
Sie haben die Deserteure - ich sage: die Opfer der NS-Militärjustiz - erwähnt, die heute hier nicht zur Debatte stehen. Uns berührt es in derselben Weise wie Sie, daß es bisher keine Möglichkeit gegeben hat, darüber eine interfraktionelle Verständigung herbeizuführen. Die Formel, die gefunden worden war, hat keine endgültige Zustimmung gefunden. Wir werden Anträge des Bundesrates dazu zu behandeln haben, und wir sind der Meinung, daß das ein Punkt ist, in dem jeder einzelne Abgeordnete, unabhängig davon, welcher Fraktion er angehört, wirklich nach seinem eigenen Gewissen ohne Rücksicht auf taktische Überlegungen entscheiden sollte.
Herr Kollege Dr. Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dem Kollegen Penner kann ich grundsätzlich nichts abschlagen,
- wenn es sich um Fragen handelt.
Herr Kollege Dr. Hirsch, mir ist gerade bei dem Thema der Deserteure, aber auch bei dem Thema der Entschädigung aufgegangen, wie sinnlos manchmal Koalitionsmehrheitsschranken sein können. Finden Sie nicht, daß bei dieser Frage die Kraft des Parlaments ausreichen müßte, aus sich selbst heraus eine Mehrheit zu suchen?
Verehrter Herr Kollege Penner, wir haben es ja mehrfach bei Fragen, die wirklich Gewissensfragen sind, jedem Abgeordneten überlassen, das zu tun, was er nach der Verfassung eigentlich bei jeder Abstimmung tun muß, nämlich ohne Rücksicht auf taktische oder andere Überlegungen seiner innersten Überzeugung zu folgen, ohne nach rechts und links zu gucken. Das ist einer dieser Fälle. Wir haben ja nun seit über zwei Legislaturperioden gemeinsam und auch getrennt versucht, zu Lösungen zu kommen. Es ist nicht möglich gewesen. Aber das Thema muß erledigt werden. Darum begrüße ich es, daß es Anträge des Bundesrates dazu gibt, die hier zu behandeln sein werden. Dann muß man entscheiden.
Herr Kollege Dr. Hirsch, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Hirsch, ist Ihnen bekannt, aus welchem Grund der Vorschlag, der zugegebenermaßen ein Thema betrifft, das hier nicht zur Debatte steht, das Sie aber angesprochen hatten, nämlich das Thema der Deserteure und ihrer Entschädigung, der mit dem Kollegen Kröning in der Arbeitsgruppe konsentiert worden war, in der SPD-Fraktion keine Mehrheit gefunden hat?
Ja, ich kann das erläutern; aber es wird dann einen Augenblick in Anspruch nehmen. In diesem Konsens war eine Formulierung enthalten, in der es heißt, daß die Urteile Bestand haben sollen, die auch nach heutigen Maßstäben fundamentalen Rechtsgrundsätzen nicht widersprächen. Da ist hinterfragt worden, was das heißen soll; es ist ja eine abstrakte Formulierung. Die einen sagen, sie meinten damit Urteile, bei denen der Deserteur gleichzeitig wegen einer anderen Straftat - etwa, weil er einen Kameraden erschossen hat, um fliehen zu können, oder was auch immer - belangt wurde. Die anderen - dazu gehören Kollegen aus Ih-
Dr. Burkhard Hirsch
rer Fraktion - sagen, nein, sie wollten weiter gehen und beispielsweise auch die Urteile über solche Deserteure weiterhin gelten lassen, die eine Schwächung der Verteidigungskraft herbeigeführt haben. Das aber ist im Grunde genommen bei jeder Desertion der Fall.
Ich frage mich, wie man sich nach 50 Jahren in eine solche Situation hineinversetzen und wirklich beurteilen und nachweisen kann, was im Einzelfall gewesen ist. Ich frage mich: Was ist mit denen, die damals als „Wehrkraftzersetzer" wegen Lappalien zum Tode verurteilt wurden? Ich frage mich, ob es wirklich Gerichte waren, die unabhängig gewesen sind, oder ob es nicht Mummenschanz, also Ausübung von Terrorherrschaft im äußeren Gewande eines justizförmigen Verfahrens, gewesen ist. Ich finde, daß man nach 50 Jahren solche Fragen nicht mehr beantworten kann.
Dies ist der Grund, warum ich und, soweit ich weiß, auch zahlreiche Kollegen aus der SPD und aus anderen Fraktionen, auch aus meiner Fraktion, sagen, daß wir der Auslegung, die wir gehört haben, so nicht folgen können. Das hat die Verhandlungen sehr weit zurückgeworfen. Wenn es denn nun so ist - ich kann niemandem seine Überzeugung nehmen -, dann lassen Sie uns einfach entscheiden, jeder so, wie er es für sich für richtig hält.
Aber es steht heute nicht zur Entscheidung. Wir werden darüber sicherlich noch vertrauensvolle Gespräche führen.
Zurück zu den Anträgen, die heute gestellt sind. Es ist mir vollkommen unmöglich, in dieser Sache polemisch zu werden. Ich will mich auch nicht provozieren lassen, obwohl ich manchmal die Überheblichkeit bestaune, mit der alle bisherigen Bemühungen um Gerechtigkeit und alle Leistungen, die doch erbracht worden sind, geringgeschätzt werden.
Es ist leicht, zu fordern; es ist schwer, zum Realismus aufzurufen. Mit der Wiedergutmachung angefangen haben wir im Jahre 1954. Herr Kollege Beck, bitte nehmen Sie mir nicht übel, daß ich folgendes so sage; ich will Ihnen daraus gar keinen Vorwurf machen. Als wir Anfang der 50er Jahre die ersten Wiedergutmachungsgesetze geschaffen haben, gab es Sie noch nicht. Ich weiß nicht, ob Sie sich in die damalige Lage hineinversetzen können, ob Ihnen bewußt ist, welche materiellen Leistungen wir der eigenen Bevölkerung abverlangt haben. Ich weiß nicht, ob Sie das wirklich so abtun können; Sie haben „abwimmeln" gesagt. Damals waren alle den Schrecken des Zweiten Weltkriegs noch viel näher als heute. Die Regelungen, die damals beschlossen wurden, waren bewußt unvollständig und erfaßten nur schweres Unrecht, weil man sich darüber klar war, daß es keine finanzielle Regelung geben könnte, die in irgendeiner Weise auch nur annähernd dem großen Wort „Wiedergutmachung" entsprechen könnte, das wir immer benutzt haben.
Wenn man nun nach Jahren neu anfängt, neue Leistungen schafft, neue Forderungen stellt, dann schafft man sehr leicht neues Unrecht, weil natürlich die Frage, ob das, was neu geregelt wird, nicht auch für alle früher entschiedenen Fälle angewandt werden müßte, berechtigt ist. Man kann nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt sozusagen wieder von vorn anfangen.
Es werden, auch nach heutigen Maßstäben, tatsächlich hohe Leistungen erbracht. Es sind 120 Milliarden DM. Alle Gruppen, die da genannt werden, auch die von Ihnen genannten Homosexuellen, die Zwangssterilisierten, die Sinti und Roma, die „Wehrkraftzersetzer", die sogenannten Gemeinschaftsschädlichen, die sogenannten Arbeitsscheuen und wie sie alle bezeichnet wurden, sind berücksichtigt worden. Sie alle sind von den Regelungen erfaßt worden, sei es von Gesetzen, sei es von Härteregelungen. Allein die vielfältigen Härteregelungen machen inzwischen insgesamt 537 Millionen DM aus. Die Zwangssterilisierten, die Sie öfter erwähnt haben, haben allein aus diesem Bereich 100 Millionen DM erhalten. Ich sage nicht, daß das ausreichend ist. Ich frage nur: Wie kommen wir eigentlich dazu, die Leistungen geringzuschätzen, die wir erbracht haben oder die wir von unseren Bürgern dafür mit Recht verlangt haben?
Herr Kollege Dr. Hirsch, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Ungern, aber eine, ja.
Vielen Dank, auch wenn es Sie Überwindung kostet.
Ich möchte Sie insbesondere fragen, ob nicht auch Sie sehen, daß es natürlich aus der Opferperspektive heraus besonders schwierig ist, nichts erhalten zu haben, wenn man weiß - auch wir stellen das fest -, daß die Bundesrepublik Deutschland auf diesem Gebiet sehr viel geleistet hat, und zwar wesentlich mehr als die DDR, die sich allenfalls um ein paar Leute im eigenen Land gekümmert hat. Gerade beim Artikel-2-Fonds handelt es sich um eine relativ neue Regelung, die wir geschaffen haben. Diese Regelung haben wir ja erst nach 1990 geschaffen. Das war ein wichtiger Schritt, um ein Defizit zu beseitigen. Warum aber sollen die osteuropäischen Opfer akzeptieren, daß sie hier ausgeschlossen sind? Meinen nicht auch Sie, daß wir hierbei, gerade weil es sich um eine aktuelle Regelung handelt, schnell Unebenheiten beseitigen sollten, um dieses Problem zu lösen?
Ich habe den Einheitsvertrag nicht ausgehandelt. Ich nehme an, Sie haben
Dr. Burkhard Hirsch
ihm genauso wie wir zugestimmt. Er beinhaltet ja in Artikel 2 diese Beschränkung.
Nur, wie kommen Sie zu der wirklich absurden Behauptung, wir hätten uns überwiegend um die Entschädigung der Ansprüche in der Bundesrepublik gekümmert? Das haben wir selbstverständlich nicht getan.
Wir haben mit 12 westeuropäischen Staaten Abkommen über Individualentschädigungen getroffen. Ihre Behauptung ist doch nicht zutreffend.
Ich wollte noch Weiteres zu den Härterichtlinien ausführen. Die Bundesregierung hat dem Innenausschuß mehrfach - ich kann Ihnen die jeweilige Bundestagsdrucksache nennen - in allen Details berichtet, wie hoch die an die von Ihnen immer wieder genannten Gruppen gezahlten Leistungen waren und welche Beträge geleistet worden sind. Das alles können Sie in allen Einzelheiten in Ihren Unterlagen nachlesen.
Der Artikel-2-Fonds ist geschaffen worden, weil die frühere DDR überhaupt keine Entschädigungsleistungen erbracht hatte.
Aus ihm sind jüdischen Opfern von 1990 bis zum Jahre 1999 in 86 000 Fällen Leistungen in einer Höhe von 1 Milliarde DM zugesagt worden. Auch das ist kein Pappenstiel.
Wir haben wiederholt gefordert, bei der Entschädigung nicht auf allgemeine Leistungen auszuweichen, also auf eine Mitfinanzierung von Altersheimen und dergleichen, sondern eine Individualentschädigung zu ermöglichen, da ja auch jeder allein Unrecht erlitten hat.
Wir haben mit zwölf westlichen Ländern Globalabkommen über individuelle Entschädigungen abgeschlossen. Drei Ostblockländer - Rumänien, Bulgarien und Ungarn - hatten sehr früh auf Leistungen verzichtet. Was Tschechien angeht, bahnt sich nun hoffentlich eine besondere Lösung an.
In den Stiftungen für Rußland, die übrigens das Baltikum mit einschließen, da, als sie gegründet wurden, das Baltikum noch ein Teil Rußlands war - aus dem Rußlandfonds werden also auch Antragstellern aus dem Baltikum Leistungen gewährt -, und in den Stiftungen für Weißrußland, die Ukraine und Polen sind jüdischen und nichtjüdischen Opfern Mittel in Höhe von 1,5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt worden, wobei wir wie auch bei den früheren Globalabkommen mit den westlichen Ländern den Umfang der Entschädigungsleistungen im jeweiligen Einzelfall dem Fonds überlassen.
Natürlich können Sie mit Recht fragen: Wieso werden die westlichen Länder anders als die östlichen behandelt? Auch das ist eine Frage, die sich aus der Geschichte einfach erklären läßt. Dies ist natürlich eine Folge des Kalten Krieges gewesen.
In derselben Weise wollen wir die bisher nicht berücksichtigten individuellen Fälle in den mittel- und osteuropäischen Staaten regeln. Dafür haben wir im Bundeshaushalt - das ist von Herrn Kronberg schon vorgetragen worden - Mittel in Höhe von 80 Millionen DM sozusagen erkämpft. Ich bin stolz darauf, daß uns das gelungen ist, daß die Haushälter das mitgemacht und dem Bundestag empfohlen haben und daß wir das so beschlossen haben.
Dabei gehen wir davon aus, daß die Anspruchsteller nach denselben Grundsätzen Leistungen erhalten sollen, wie sie bei den bisherigen Fonds in den früheren Ostblockstaaten angewendet werden. Hinsichtlich einer Ausdehnung des Artikel-2-Fonds auf jüdische und nichtjüdische Ansprüche möchten wir nicht differenzieren. Auch da ist die Schwere der Beschädigung des Opfers entscheidend. Eine Ausdehnung des Fonds auf diese Länder würde nach unserer Befürchtung dazu führen - darüber werden wir im Innenausschuß im einzelnen sprechen -, daß alle im Fonds bisher festgelegten Leistungen unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung und der Gerechtigkeit erneut aufzurollen sind. Das halten wir nicht für berechenbar. Wir können das nicht leisten. Wir würden mehr Erbitterung als Rechtsfrieden schaffen.
Der zur Verfügung stehende Betrag von 80 Millionen DM soll so einfach, unbürokratisch und schnell wie irgend möglich die überlebenden Opfer erreichen. Darum wollen wir keine weiteren Globalabkommen mit den einzelnen Ländern abschließen, sondern einen Fonds in welcher Rechtsform auch immer - das ist uns egal - bilden, auf Grund dessen man so bald wie möglich handlungsfähig sein sollte. Darüber werden wir im Ausschuß im einzelnen sprechen. Ich hoffe, daß sich die Bundesregierung und die beteiligten Ressorts weiter positiv an diesem Unternehmen beteiligen.
Übrigens hat es mich bei der formalen Frage der Abstimmung gewundert, daß der Beschluß des Innenausschusses zu einem von der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen beantragten Fonds nicht gleichzeitig mit zur Entscheidung steht. Der Innenausschuß hat nämlich eine entsprechende Beschlußempfehlung vorgelegt. Es sind also die beiden Anträge übrig, die Sie, Herr Kollege Vergin, erwähnt haben.
Selbstverständlich wollen wir diese Anträge dem Innenausschuß überweisen, damit wir dort im einzelnen darüber beraten können.
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 30. Januar 1933 - also heute vor 64 Jahren - hat Reichspräsident Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannt. Noch heute sind - auch
Ulla Jelpke
in Bonn - Straßen und Plätze nach Hindenburg benannt. An seinem Grab werden regelmäßig Blumenkränze niedergelegt. In der politischen Öffentlichkeit erfährt derjenige, der Hitler die Macht übertragen hat, mehr Respekt als die überlebenden Opfer faschistischer Herrschaft. Nur wenige jüdische und nichtjüdische KZ-Insassen haben die Qualen und Torturen überlebt. Größtenteils sind sie heute über 70 Jahre alt, schwer traumatisiert und häufig auch krank.
Mit einigen Ländern hat die Bundesregierung Globalabkommen - ich wiederhole: Globalabkommen - abgeschlossen, unter anderem mit Polen, Weißrußland, der Ukraine und der Russischen Föderation. Die ehemaligen Getto- und KZ-Häftlinge, die in diesen Ländern leben, haben allenfalls eine einmalige Zahlung erhalten. Überlebende, die in anderen ost- oder mitteleuropäischen Ländern leben - beispielsweise in Griechenland -, haben bis zum heutigen Tag keine individuelle Entschädigung - und darum geht es meines Erachtens - bekommen.
Auch in der Deutsch-Tschechischen Versöhnungserklärung, der wir vor wenigen Stunden zugestimmt haben, fehlt die Festschreibung einer individuellen Entschädigung für die in Tschechien lebenden 8 500 NS-Opfer. Alexander Bergmann, von dem heute schon die Rede war, Vorsitzender des Vereins der ehemaligen jüdischen Getto- und KZ-Häftlinge Lettlands, hat in einer Veranstaltung, die vor wenigen Tagen im Wasserwerk stattfand, die Ungleichbehandlung der in West- und in Ostdeutschland lebenden NS-Opfer angeprangert. Er fragte, warum es in Deutschland offenbar die grausame Tradition der Selektion gebe - früher war es die zwischen Juden und Nichtjuden, heute ist es die zwischen den im Westen und im Osten lebenden Juden.
Zahlreiche im Bundesgebiet lebende nichtjüdische NS-Opfer werden bis zum heutigen Tage nicht als Opfergruppen anerkannt: Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, Euthanasiegeschädigte, Zwangssterilisierte, Sinti und Roma, Homosexuelle und Wehrmachtsdeserteure haben keinen Anspruch auf Entschädigung; Homosexuelle und Deserteure sind bis heute nicht rehabilitiert.
Wird die Frage der Opferentschädigung weiterhin auf die lange Bank geschoben, so wird die Zeit entscheiden. Statistisch gesehen dürfte schon in vier Jahren keines der lettischen NS-Opfer mehr leben. Deshalb fordere ich, heute schnell und unbürokratisch einer politischen Lösung zuzustimmen. Die Grünen haben die Anträge dazu vorgelegt.
Demgegenüber - mein Kollege Beck hat es schon angesprochen - bekommen Tausende ehemaliger Mitglieder der Waffen-SS in den USA und in England von der deutschen Regierung Renten in Höhe von etwa 500 Dollar pro Monat. Darüber hinaus leistet Deutschland Direktzahlungen an 1 500 ehemalige lettische Mitglieder der Waffen-SS - je höher der Dienstgrad, desto höher die Rente. Meines Erachtens kann dieser Zynismus kaum noch übertroffen werden.
Frau Kollegin Jelpke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Hirsch?
Ja, gerne.
Frau Kollegin, ist Ihnen bei Ihrer Aussage über Entschädigungsleistungen an Mitglieder der Waffen-SS bewußt, daß wir im deutschen Recht nicht die Kategorie einer verbrecherischen Organisation kennen, daß es aber sowohl im Bundesversorgungsgesetz als auch im Allgemeinen Kriegsfolgengesetz sehr wohl ausdrückliche Regelungen darüber gibt, daß Leistungen an Kriegsverbrecher beschränkt oder ausgeschlossen werden können? Dabei besteht ein Problem in der Tat darin, daß sich diese Regelungen im wesentlichen auf diejenigen beziehen, die nicht in der Bundesrepublik ihren Sitz haben. Aber wenn Sie pauschal sagen, daß Leistungen an Kriegsverbrecher gezahlt werden - Sie haben gesagt: an Mitglieder der Waffen-SS -: Ist Ihnen bewußt, daß Sie nicht einfach jeden Angehörigen der Waffen-SS als Verbrecher kennzeichnen können? Ist Ihnen das bewußt?
Das ist mir sehr wohl bewußt, Herr Dr. Hirsch. Aber für mich ist wichtig, darzustellen, daß an Mitglieder der Waffen-SS Renten gezahlt werden. Sie haben ja eben selbst die Einschränkung erwähnt, daß man Renten auch aberkennen könne; mein Kollege Beck ist in seiner Rede ausführlich darauf eingegangen. Ich bin der Meinung, daß man hier sehr differenziert vorgehen muß. Eigentlich trage ich hier nur vor, was der Jüdische Weltkongreß und das Jüdische Komitee immer wieder anprangern, daß man nämlich Menschen, die auf der Seite der SS gekämpft haben, Renten zubilligt, Opfern aber nicht. Das ist der wesentliche Punkt, den ich hier vermitteln möchte.
Frau Kollegin Jelpke, gestatten Sie, ehe Sie wieder ansetzen, noch eine Zwischenfrage? Ich rechne Ihnen das alles nicht auf Ihre Zeit an.
Ja.
Frau Jelpke, teilen Sie mit mir die Ansicht, daß es skandalös ist, daß man bei inländischen Antragstellungen nach dem Bundesversorgungsgesetz selbst verurteilten Kriegsverbrechern Renten gewähren muß? Sind Ihnen Fälle bekannt, in denen im Ausland Lebenden wegen des Tatbestandes Kriegsverbrechen oder Zugehörigkeit zur SS oder Waffen-SS, selbst bei Lagerpersonal, Renten nach dem Bundesversorgungsgesetz verwehrt wurden?
Ich habe das, Herr Kollege Beck, hier auch schon mehrfach angeprangert. In meinen Augen ist das ein grobes Unrecht - das ist gar keine Frage -, insbesondere wenn es um verurteilte SS-Täter geht.
Entschuldigen Sie, Frau Kollegin Jelpke, es gibt noch eine Frage.
Liebe Kollegin, sind Sie bereit, zuzugeben, daß der eben von Ihnen geäußerte Satz, Täter kriegen eine Entschädigung, Opfer nicht, so falsch ist? Denn Opfer kriegen Entschädigung. Sie können nicht einfach pauschal sagen, Täter kriegen Entschädigung, Opfer kriegen keine Entschädigung. So haben Sie eben wörtlich gesagt.
Herr Kronberg, wenn Sie meine Rede inhaltlich verfolgt haben,
dann haben Sie sehr wohl bemerkt, daß ich sehr genau zu differenzieren weiß. Daß es natürlich Opfer gibt, die entschädigt worden sind, hat Herr Dr. Hirsch hier schon vorgetragen. Das steht überhaupt nicht im Widerspruch zu dem, daß wir heute über ganz bestimmte Gruppen sprechen, insbesondere was die SS-Opfer in den baltischen Staaten beziehungsweise die Nichtentschädigten angeht. Ich möchte hier unter gar keinen Umständen den Eindruck erwecken, als ob es gar keine entschädigten Opfer gebe. Das wäre mit Sicherheit eine falsche Interpretation meiner Ausführungen.
Die Waffen-SS trägt die Verantwortung für die Liquidierung von Hunderttausenden von Juden und Kommunisten. Sie war für die Belieferung der KZs mit Zyklon B verantwortlich. Diesen Tätern zahlt die Bundesregierung monatliche Renten. Die überlebenden Opfer der Shoa hingegen gehen leer aus. Das ist in meinen Augen beschämend.
Auf einen zweiten Widerspruch möchte ich noch aufmerksam machen: Hier wird immer von leeren Kassen gesprochen - zweifellos. Aber dieser Haushaltsentwurf sieht wieder 31 Millionen DM für Vertriebenenverbände vor. Diese Vertriebenenverbände haben über ihre Publikationen nicht selten geschichtsrevisionistische und antisemitische Inhalte verbreitet. Ich frage mich: Warum gibt die Bundesregierung diesen Organisationen nach wie vor immer wieder Geld, die so etwas publizieren?
Um den Opfern der faschistischen Verbrechen einen Lebensabend ohne materielle Not zu ermöglichen, unterstütze ich die Anträge, die die Grünen heute vorgelegt haben.
Ich möchte jedoch noch darauf hinweisen, daß die Firmen, die von Zwangsarbeit profitiert haben, nicht aus der Verantwortung entlassen werden dürfen. Ich nenne nur Siemens, Degussa, Daimler-Benz, Krupp,
Dresdner und Deutsche Bank sowie die IG-FarbenNachfolger Bayer, Hoechst und BASF.
Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme zum Schluß. - Das alles sind Namen, die uns heute noch etwas sagen. Die IG Farben ist ja dadurch bekannt, daß sie darauf klagt, ihr Eigentum wiederzubekommen. Ich meine, das sollten wirklich die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter als Entschädigung bekommen. Eindringlich plädiere ich dafür, daß Sie am heutigen Jahrestag der Machtübernahme durch Hitler ein Zeichen setzen und diesen Anträgen zustimmen.
Danke.
Das Wort hat die Kollegin Uta Titze-Stecher.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Knapp drei Jahrzehnte habe ich im Landkreis Dachau gelebt, etwa 4 Kilometer von dem ehemaligen KZ Dachau entfernt, das heute eine KZ-Gedenkstätte ist. Bekanntlich ist in Dachau das erste KZ im damaligen Reich von Hitler errichtet worden.
In der Nähe eines solchen Ortes kann niemand gleichgültig gegenüber dem Geschehen im Dritten Reich bleiben; denn man stößt überall auf Spuren der Vergangenheit: auf Spuren von Verfolgung, Haft, Mißhandlung, Folter, Gewalt, Mord und Tod. Nicht allein die Dokumentation in der heutigen Gedenkstätte zwingt zur ständigen Auseinandersetzung. Für mich war es vor allem die häufige persönliche Begegnung mit überlebenden Opfern des NS-Terrors, die mich parteiisch bis zur unbedingten Parteinahme für Verfolgte und Opfer gemacht hat.
Nach Dachau kamen und kommen jährlich immer noch überlebende NS-Opfer, wenn auch immer weniger. Sie kamen jahrelang aus den westeuropäischen Ländern zum Tage der Befreiung des KZ Dachau durch die Amerikaner Ende April 1945. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks kommen auch - wenn auch selten genug - überlebende Opfer aus osteuropäischen Staaten. Mit Hilfe von Dachauer Bürgerinnen und Bürgern, vor allem aber dank des unermüdlichen, uneigennützigen und höchstpersönlichen Einsatzes der Leiterin der dortigen Gedenkstätte kommen sie - oft ein einziges und letztes Mal -zurück an den Ort ihrer schrecklichsten Erinnerungen.
Die Begegnungen und Gespräche mit diesen Überlebenden aus Osteuropa haben mich nachhaltig erschüttert und mir deutlich gemacht - das wurde hier schon mehrfach von allen bisherigen Rednern geäußert -, daß uns nur noch sehr wenig Zeit bleibt, die armselige Situation, in der sich der Großteil der Opfer befindet, durch angemessene Regelungen der
Uta Titze-Stecher
Entschädigungsfragen für die bisher vergessenen Opfer zu erleichtern und zu verbessern.
Genau dieses, nämlich angemessene Entschädigungsregelungen für die bisher vergessenen Opfer in Osteuropa, ist das Anliegen des vorliegenden Antrages der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD. Es geht dabei nicht nur um Fragen von Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, also um Fragen von Moral und Geld. Es geht vor allem um folgendes: Der Umgang mit den NS-Verfolgten ist für mich ein Maßstab für die demokratische Kultur in diesem Land. Solange es noch Überlebende des Holocaust gibt, gibt es für mich - das sollte in diesem Hause einvernehmlich gelten, zumindest gehe ich davon aus - keinen Platz für Einwände solcher Art wie „Wir haben doch schon genug bezahlt! " Als ob materielle Entschädigung jemals das erlittene Leid aufwiegen könnte! So wie wir gemeinsam am Montag dieser Woche den Gedenktag für alle Opfer des Nationalsozialismus begangen haben, so sollten wir gemeinsam den Überlebenden des NS-Terrors ein Leben in Würde sichern.
Gedenken allein - das ist am Montag ebenfalls offiziell und öffentlich gesagt worden - genügt nicht. Ausstellungen, Diskussionen und Veranstaltungen an den Tagen der Befreiung der Konzentrationslager oder auch an den Tagen zur Erinnerung an die Greuel der Reichspogromnacht sind richtig, sind wichtig und haben unbestreitbar ihren Stellenwert für uns alle: für unsere Eltern, für uns und vor allem für unsere Jugend. Zu Recht aber stellten die Jugendlichen am Montag dieser Woche während der Diskussion im Wasserwerk Fragen nach den Gründen für die bisher unterbliebene umfassende Wiedergutmachung und Entschädigung NS-Verfolgter aus den osteuropäischen Staaten. Genauso richtig war der Hinweis aus den Reihen der Jugendlichen, daß die Glaubwürdigkeit der politisch verantwortlichen Klasse auf dem Prüfstand stehe: Einerseits finden offizielle Gedenkfeiern statt, andererseits leben viele der so gewürdigten Opfer noch immer in entwürdigenden Verhältnissen.
Diese unhaltbare Situation will - wie schon gesagt - unser gemeinsamer Antrag ändern. Die SPD schätzt durchaus - auch das soll hier klar gesagt werden - die Höhe der geleisteten Entschädigungen. Wir schätzen diese hoch ein und verkennen nicht, daß die Bundesrepublik seit 1952 durch eine Reihe von Gesetzen - Herr Hirsch, Sie haben das betont - Wiedergutmachungs- und Entschädigungsleistungen festgelegt und geleistet hat. Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Gesetze und Verträge - Herr Hirsch, Sie nicken -: BEG, BRüG, Israel-Vertrag, Globalverträge mit 12 westeuropäischen Staaten. Das ist alles schon gesagt worden. Ich brauche darauf nicht mehr einzugehen. Die Vielzahl dieser Gesetzeswerke und die Verflochtenheit dieser Regelungen machen es selbst professionellen Beratern schwer, kompetente Beratung zu gewährleisten; ganz abgesehen davon, daß viele der Betroffenen über die Existenz der Härtefonds und rentenrechtlichen Regelungen überhaupt nicht informiert sind und nichts davon wissen.
Beim vorliegenden Antrag - ich bitte um Zustimmung - geht es um die jüdischen NS-Opfer, die heute in osteuropäischen Staaten leben. Sie sind bisher ohne Entschädigung geblieben, weil sie wegen der Ost-West-Konfrontation - also aus historischen Gründen, Herr Hirsch - überhaupt nicht in der Lage waren, Ansprüche geltend zu machen. Dies gilt insbesondere für die Bewohner derjenigen Staaten Osteuropas, mit denen die Bundesrepublik Deutschland bislang noch keine Globalabkommen zugunsten der Verfolgten des NS-Regimes geschlossen hat. Selbst in den Fällen, in denen auf Grund von Abkommen bereits Einmalbeträge gezahlt worden sind, sind diese weitaus geringer gewesen als die nach dem Bundesentschädigungsgesetz oder als die Entschädigungsbeträge für jüdische Verfolgte, die heute im westlichen Ausland leben.
Ich bin mir der Problematik, solcher Bemerkungen durchaus bewußt, Herr Hirsch. Man muß aber diese Bemerkungen machen dürfen, weil bei den Betroffenen zum Teil eine erhebliche Verbitterung herrscht. Es kann und muß unser gemeinsames Interesse sein, daß diese Gerechtigkeitslücke geschlossen wird und daß die Überlebenden des Holocaust nicht gezwungen sind, in den Westen auszuwandern, um einen nennenswerten Entschädigungsbetrag für erlittene Verfolgung zu erhalten.
Allerdings scheitert die Gleichbehandlung der Opfer mit Wohnsitz in osteuropäischen Staaten mit den in westlichen Staaten lebenden Opfern bislang an den von der Bundesregierung selbst erlassenen Vergaberichtlinien. Auf diese Problematik hat der Kollege Vergin eindringlich hingewiesen. Diese Vergaberichtlinien sehen Leistungen nur an Opfer vor, die in westlichen Staaten leben. Gerade deswegen ist es dringend notwendig, vergleichbare Regelungen mit osteuropäischen Staaten zu treffen. Wir befinden uns übrigens, was die Unterstützung dieser Forderung anbelangt, in Übereinstimmung mit einer Reihe von Verfolgtenorganisationen wie der Jewish Claims Conference und dem Zentralrat der Juden.
Ein Wort zu den schon bestehenden Globalabkommen, zur individuellen Entschädigung von Verfolgten in Polen, Rußland, Weißrußland und der Ukraine. Natürlich ist dies eine gute Entscheidung gewesen, aber für mich nur ein erster Schritt. Denn die Ausstattung dieser Stiftung ist dünn, wie Sie selbst wissen. Die daraus erfolgten Einmalleistungen - in Höhe von 550 DM beispielsweise in Polen - werden zum Teil als Diskriminierung empfunden. Deshalb sollte die Bundesregierung bei weiteren Abkommen unbedingt darauf achten, bei entsprechender Bedürftigkeit laufende Leistungen zu bewilligen.
In diesem Zusammenhang möchte ich ein deutliches Wort sagen: Wir begrüßen natürlich soziale Projekte in Estland und Litauen wie die Unterstützung von Pflegeheimen, Altersheimen und Krankenhäusern, weil sie der Gesamtbevölkerung zugute kommen. Aber sie dürfen nicht ausschließliche Entschädigungsleistung sein und schon gar nicht Ersatz für
Uta Titze-Stecher
wohlberechtigte individuelle Entschädigungsansprüche bei entsprechender Bedürftigkeit.
Damit wir das nicht vergessen, erinnere ich in diesem Zusammenhang an die im Deutschen Bundestag von uns allen, also auch von Ihnen auf der rechten Seite, am 29. Juni 1994 beschlossene Resolution. Sie ist in diesem Punkt eindeutig. Ich darf die Ziffer 3 zitieren:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, bei den weiteren Verhandlungen darauf hinzuwirken, daß diese Lösung den individuellen Bedürfnissen der Opfer nationalsozialistischer Unrechtsmaßnahmen nahekommt.
Ich denke, hier ist es durchaus gerechtfertigt, von einer Bringschuld zu sprechen.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Uhr.
Wieviel Zeit habe ich noch?
Gar keine.
Auch bei Ihnen müßte ein Minuszeichen erkennbar sein.
Ich glaube, ich habe hier bei Reden schon fünfmal gesagt, daß ich rechts blind bin und deswegen die Lampe nie sehe, außer ich wende mich ihr bewußt zu.
Ich komme zum Schluß. Ich appelliere an Sie alle - und denke, daß wir es schaffen sollten -, unsere einvernehmlichen Beschlüsse auch gemeinsam umzusetzen. Den einstimmigen Beschluß des Haushaltsausschusses vom November letzten Jahres haben Sie, Herr Hirsch, dankenswerterweise erwähnt.
Es bleibt zu hoffen, daß die Gespräche zwischen Bundesfinanzministerium und Auswärtigem Amt schnell zu Ergebnissen führen, damit die anspruchsberechtigten - oft älteren - Menschen in den genannten Staaten überhaupt noch die Möglichkeit erhalten, in den Genuß einer Einmalzahlung zu kommen.
Ich schließe mit dem Wunsch eines Jugendlichen vom vergangenen Montag. Er saß neben mir im Wasserwerk und sagte: Ich will eigentlich nur wissen, wie wir mit den lebenden NS-Opfern tatsächlich umgehen.
Der vorliegende Antrag gibt eine sehr gute Antwort. Deshalb bitte ich Sie um interfraktionelle Gemeinsamkeit - den betroffenen Menschen zuliebe.
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Irmgard Karwatzki.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer sich mit der Materie des NS-Entschädigungsrechts befaßt hat, weiß, daß die Entschädigungspraxis der Bundesrepublik Deutschland auf einem umfassenden Regelwerk basiert, das im Laufe der letzten 50 Jahre vielfach verfeinert und ergänzt worden ist.
Die Bundesrepublik Deutschland hat - wie schon vor ihrer Gründung die Länder und Gemeinden - die moralische und finanzielle Wiedergutmachung des vom NS-Regime verübten Unrechts stets als vorrangige Aufgabe behandelt. Sie war in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten - insbesondere auch mit den Verfolgtenorganisationen - bestrebt, Wiedergutmachungsregelungen zu schaffen, die im Rahmen des finanziell Möglichen umfassend gestaltet und in einem angemessenen Zeitraum verwaltungsmäßig umgesetzt werden konnten.
Alle an der Gesetzgebung und der Durchführung der Wiedergutmachungsgesetze Beteiligten waren sich dabei stets bewußt, daß eine vollständige „Wiedergutmachung" im Wortsinn nicht möglich sei. Tote und das unermeßliche Leid, das den Opfern von NS- Unrecht zugefügt wurde, können nicht durch Geldoder andere Leistungen aufgewogen werden.
Trotz der unterschiedlichen, sehr komplexen Unrechtstatbestände ermöglichte es dieses Regelungswerk jedoch, daß nahezu alle durch NS-Unrecht verursachten Schäden erfaßt werden. Alle Regelungen stehen in einem nach Grund und Umfang der Schädigung ausgewogenen Verhältnis zueinander.
Auf die Grundlagen für die Entschädigung ist hingewiesen worden: auf das Bundesentschädigungsgesetz und das Allgemeine Kriegsfolgengesetz sowie auf zahlreiche weitere gesetzliche und außergesetzliche Regelungen. Ich kann es mir deshalb hier ersparen, darauf weiter einzugehen, möchte allerdings anmerken: Die Bundesrepublik Deutschland ist somit sehr wohl ihrer Pflicht nachgekommen, Entschädigung für das den NS-Opfern zugefügte Leid zu leisten.
Seit Jahrzehnten, liebe Kolleginnen und Kollegen, bestand in diesem Hause Einvernehmen, daß die Wiedergutmachungsgesetzgebung abgeschlossen ist. Auch eine neue Bundesstiftung müßte bei ihren Leistungen die bestehenden Vorschriften berücksichtigen.
- Das sagen Sie. - Ein Abgleich mit den darauf gewachsenen Grundstrukturen wäre unabdingbar. Die Bundesstiftung wäre gleichermaßen an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. In jedem Fall, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist zu bedenken: Eine Neuauflage der Entschädigungsregelungen würde zwangsläufig die überwiegende Mehrheit Betroffener benachteiligen, die diese Regelung nicht mehr nutzen können.
Die Ergänzungen der Entschädigungsregelungen in jüngster Zeit waren insbesondere notwendig, um diejenigen Betroffenen in die Regelungen mit einzu-
Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki
beziehen, die die gesetzlich vorgesehenen Stichtags- und Wohnsitzvoraussetzungen nicht erfüllen konnten. In erster Linie betraf dies die heute in den osteuropäischen Staaten lebenden NS-Opfer.
Rechtlich, nicht nur historisch, ist dies aus den Reparationsregelungen auf der Grundlage des sogenannten Potsdamer Abkommens von 1945 zu erklären, die bereits eine Aufteilung Deutschlands zwischen Ost und West für die Reparations- und Entschädigungsleistungen vorsahen.
Zur Überwindung des Ost-West-Gegensatzes hat die Bundesrepublik Deutschland dennoch im Zusammenhang mit der deutschen Einigung zunächst Vereinbarungen zugunsten NS-Verfolgter mit der Republik Polen sowie den Nachfolgestaaten der Sowjetunion geschlossen - darauf ist hingewiesen worden -, dies, obwohl die Sowjetunion und Polen im Jahre 1953 jeweils gegenüber ganz Deutschland auf weitere Reparationen verzichtet haben.
Die in diesen Staaten vereinbarungsgemäß errichteten Stiftungen wurden seitens der Bundesrepublik Deutschland mit 500 Millionen DM in Polen bzw. mit
1 Milliarde DM in der GUS ausgestattet. Aus den Mitteln werden auf Antrag NS-Verfolgten Einmalzahlungen gewährt. Die Stiftungen in Moskau und Minsk leisten Entschädigungen auch an NS-Opfer mit ehemaliger sowjetischer Staatsbürgerschaft in den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen.
Die Bundesregierung hat es vermieden, liebe Kolleginnen und Kollegen, die baltischen NS-Opfer ausdrücklich an die Stiftungen in Rußland und Weißrußland zu verweisen, und hat daher mit den drei baltischen Staaten zusätzlich eine eigenständige Entschädigung für NS-Opfer in Form einer humanitären Geste vereinbart. Abgeschlossen sind die Verhandlungen mit den Staaten Estland und Litauen. Die Verhandlungen mit Lettland dauern noch an.
Frau Kollegin Karwatzki, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nachtwei? Ich muß jetzt zu seinen Gunsten intervenieren, weil ich vorhin schon einmal grimmig geguckt habe, als er den Versuch einer Zwischenfrage unternommen hat.
Ja, gut.
Bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben die Leistungen der Bundesrepublik gegenüber den baltischen Staaten angesprochen, die humanitäre Geste von jeweils
2 Millionen DM für jeden Staat.
Ist Ihnen bekannt, daß die Verhandlungen zunächst einmal sehr lange dauerten und daß bemerkenswerterweise die Verhandlungen mit Lettland jetzt schon über drei Jahre lang dauern und demnach dem Kriterium, das Sie vorhin nannten, daß solche Regelungen zügig getroffen werden müssen, nicht entsprechen?
Ist Ihnen zweitens bekannt, daß sich die bisher getroffenen Regelungen mit Estland und Lettland auf soziale Einrichtungen allgemein beziehen und den ursprünglichen Adressaten im besten Falle zufällig zugute kommen?
Beide Fragen kann ich mit Ja beantworten. Mir ist das bekannt.
Die Politik der Bundesregierung zur Überwindung des Ost-West-Gegensatzes wird nunmehr durch die für die mittel- und osteuropäischen Staaten beabsichtigte humanitäre Maßnahme fortgesetzt. Hierfür wurde im Bundeshaushalt 1997 - Herr Hirsch hat darauf hingewiesen - eine Verpflichtungsermächtigung von 80 Millionen DM, fällig in den Jahren 1998 bis 2000, ausgebracht. Dadurch, so meine ich, werden die sogenannten weißen Flecken der Entschädigung in den bislang nicht berücksichtigten MOE- Staaten Albanien, Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Ungarn und den Nachfolgestaaten Jugoslawiens beseitigt.
Vorgesehen sind in Anlehnung an die Stiftungen in Polen und in der GUS „Zuschüsse in Form von humanitären Hilfen für nationalsozialistisches Unrecht in besonderen Härtefällen" . Die Hilfen sollen nach dem Willen des Haushaltsgesetzgebers in Art und Umfang den polnischen und den GUS-Stiftungen vergleichbar sein.
Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Finanzen führen zur Zeit umfassende Gespräche über die Umsetzung der Haushaltsermächtigung, um die Leistungen den NS-Opfern in den MOE-Staaten zügig und unbürokratisch zukommen zu lassen. Soweit Modifikationen der Entschädigungsregelungen auf Grund bisheriger Erfahrungen angezeigt sind, wird dies selbstverständlich veranlaßt.
Die Bundesregierung hat sich zu diesem Weg entschlossen, obwohl die Haushaltslage angespannt ist und obwohl die Staaten Ungarn, Bulgarien und Rumänien in den Friedensverträgen von 1947 auf Ansprüche gegen das Deutsche Reich bzw. auf Reparationen gegenüber Deutschland verzichtet haben.
Die Forderung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die osteuropäischen Länder in die Leistungen aus dem Artikel-2-Abkommen einzubeziehen, ist aus unserer Sicht nicht der richtige Weg. Die Bundesregierung hat in den osteuropäischen Staaten daher bewußt einen anderen Weg eingeschlagen: den der genannten humanitären Hilfe.
Dies alles zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß sich die Bundesregierung sehr wohl ihrer Verpflichtung auch gegenüber den osteuropäischen NS- Opfern gestellt hat.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Ich bitte persönlich noch einmal um Nachsicht, daß ich bei der einen oder anderen Zwischenfrage etwas säuerlich geguckt und die Kurzintervention, Herr Nachtwei, nicht zugelassen habe. Aber wir haben allein in dieser Debatte als Folge von zahlreichen Zwischenfragen um mehr als 25 Minuten überzogen. Ich muß daher ein bißchen darauf achten, daß die Zeitökonomie des Parlamentes gewahrt wird. Ich bitte um Nachsicht.
Wir kommen jetzt -zu den Überweisungen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 13/6844 und 13/6824 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 e sowie Zusatzpunkt 6 auf:
5. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Andrea Fischer , Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Effizienz des Hauptstadtumzugs Teil I: Bauplanung
- Drucksachen 13/4123, 13/6594 -
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Franziska Eichstädt-Bohlig, Oswald Metzger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Effizienz des Hauptstadtumzugs
Teil II: Verwaltungsreform, Personalkonzept, Wohnungsfürsorge
- Drucksachen 13/4731, 13/6627 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oswald Metzger, Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Antje Vollmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung eines Sonderausschusses Berlin-Umzug
- Drucksache 13/3989 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ältestenrat
Haushaltsausschuß
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Ökologische Konzepte für die Parlaments- und Regierungsbauten in Berlin
- Drucksachen 13/3042, 13/5156 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Wilma Glücklich Peter Conradi
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Stand der Maßnahmen der Bundesregierung zum Umzug nach Berlin und zum Ausgleich für die Region Bonn
- Drucksache 13/5371 —
Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Haushaltsausschuß
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick, Hans-Peter Hartmann, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Arbeitsaufnahme des Deutschen Bundestages ab 1. Mai 1999 in Berlin
- Drucksache 13/6821 —
Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
Zu den Großen Anfragen liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen soll 10 Minuten erhalten. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin soll zum politischen Signal für die Integration von Ost- und Westdeutschland und zum Brückenschlag zu den Staaten Osteuropas werden.
Ich denke, gerade heute morgen hat die gemeinsame Erklärung des Parlaments zu der unter schwierigen Bedingungen erarbeiteten deutsch-tschechischen Vereinbarung gezeigt, wie wichtig dieses Ziel, aber auch wie mühselig diese Aufgabe und wie weit der politische Weg noch ist.
Da zur Zeit immer wieder behauptet wird, der Umzug sei eigentlich nur eine organisatorische Aufgabe, möchte ich darauf hinweisen - das ist mir sehr wichtig und ernst -: Dieses Ziel dürfen wir im kleinen, all-
Franziska Eichstädt-Bohlig
täglichen Parlamentshickhack nicht aus den Augen verlieren.
- Ja, danke.
Ich möchte gleichzeitig aber auch meine Kritik äußern. Es macht mir Sorgen, daß die Art der Umzugsplanung diese Zielsetzung entschieden konterkariert. Es entsteht mehr und mehr der Eindruck, daß wir nach der Phase der Umzugsverweigerung und der vielfachen Umzugsverzögerung jetzt zum Umzug der Selbstbedienung und zum Umzug der Reformverweigerung kommen. Das alles macht mir große Sorge.
Es ist gut, daß das gerade in diesen Tagen durch den Bericht des Rechnungshofes wieder so deutlich in das politische Bewußtsein gekommen ist: Bei der Regierung fehlt absolut der Wille zur Verwaltungsreform.
Ich bedanke mich ganz herzlich beim Haushaltsausschuß, daß er auf Initiative der Koalitionsfraktionen der Regierung gestern eine deutliche Ohrfeige erteilt und massiv angemahnt hat, endlich Zeichen des Reformwillens zu setzen. Es wurde auch stark kritisiert, daß die versprochenen Organisationsuntersuchungen weitgehend gar nicht durchgeführt worden sind, also nicht einmal der Einstieg in die Reform organisiert wird.
Die wichtigsten Ziele des Problems Organisationsreform sind klar. Es geht zum einen darum, die Zahl der Ministerien zu verkleinern. Es geht zum anderen darum, die Ressorts im einzelnen zu verschlanken, sie zu modernisieren, zu enthierarchisieren und für das Jahr 2000 fit zu machen.
Es geht aber auch darum - das ist die Umzugsdebatte -: Wie soll mit den doppelten Dienstsitzen in Bonn und Berlin umgegangen werden? Der Rechnungshof hat hierzu klar seine Kritik geäußert. Er befürchtet, daß es - freundlich ausgedrückt - ein erhebliches Risiko unwirtschaftlicher Aufgabenwahrnehmung gibt. Wir wissen alle: Es gibt Forderungen nach bis zu 62 Stellen mehr in einem Ressort. Die Tendenz zur Aufblähung ist also deutlich sichtbar.
Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weng zu?
Ja.
Bitte schön.
Frau Kollegin, es ist jetzt schon eine Weile her: Als Sie die „Ohrfeige" des Haushaltsausschusses ansprachen, habe ich mich gemeldet. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Haushaltsausschuß eine differenzierte Ohrfeige an die Bundesregierung ausgeteilt hat?
Das will ich Ihnen gern gönnen. Immerhin finde ich es toll, daß diese Ohrfeige auch auf Antrag der Koalitionsfraktionen ausgeteilt worden ist. Ich gestehe Ihnen gerne zu, daß es eine differenzierte Ohrfeige war.
Ich möchte noch einen Punkt zum Bereich Verwaltungsreform erwähnen. Alle Fraktionen haben immer wieder die zentrale Tauschbörse und die Verpflichtung aller beteiligten Behörden zu einem ressortübergreifenden Personaltausch eingefordert. Auch dieser zentrale Punkt ist bis heute nicht realisiert worden.
Der zweite Bereich: Es fehlt - und zwar wirklich durchweg; ich bin alle Bereiche noch einmal durchgegangen - am Willen zur Sparsamkeit.
Dies gilt nicht nur für die Baumaßnahmen - leider, Herr Kansy -, und zwar sowohl beim Bundestag als auch bei der Regierung. Es gilt vielmehr auch für die geplanten personalwirtschaftlichen Maßnahmen und bei genauerem Hinsehen leider auch für die Wohnungsfürsorge. Das Problem ist - so reagiert ja auch die Öffentlichkeit -: Die Gestaltung des Umzugs hat sehr tiefe Bedeutung für das Verhältnis von Parlament und Regierung zur Bevölkerung.
Gerade in Zeiten, in denen von der Mehrheit der Bevölkerung vielfache und einschneidende Sparleistungen abverlangt werden, kann es nicht angehen, daß die Regierung und auch das Parlament Wasser predigen und selbst Wein trinken. Ich denke, diesen Satz müssen wir sehr ernst nehmen.
- Ich habe Ihnen vorhin das Ziel genannt. Ich weiß, daß einige, wie Sie, dagegen sind. Lassen wir das einfach einmal so stehen.
Frau Abgeordnete, würden Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal vom Abgeordneten Conradi, zulassen?
Ja.
Gut.
Frau Abgeordnete, würden Sie einräumen, daß die von Ihnen hier beklagten
Peter Conradi
Verteuerungen zum Teil auch auf Forderungen, etwa nach ökologischer Bauweise, zurückgehen, die Sie gestellt haben und die unsere Bauten teurer machen als die von Ihnen sonst zum Vergleich herangezogenen Bürocontainer von irgendwelchen dämlichen Investoren, die nichts in dieser Richtung tun, daß Sie selbst also die Verteuerung herbeiführen, die Sie dann öffentlich lautstark beklagen?
Herr Conradi, Sie wissen, daß zu unseren relativ bescheidenen Bitten und Forderungen gehört hat, auf der Reichstagskuppel Solarzellen anzubringen. Das sollte 1 Million DM kosten. Dieser Betrag ist im Vergleich zu den Kosten des Tunnels, die derzeit bei 75 Millionen DM liegen - die Notwendigkeit eines solchen Tunnels ist bis heute nicht nachgewiesen -, wirklich noch unter der Peanuts-Schwelle. Ich könnte jetzt noch eine Reihe weiterer Beispiele erwähnen. Ich nenne einmal den zweiten, den Valentyn-Tunnel, bei dem für mehr als 10 Millionen DM eine Art Flughafenhalle unter der Ebert-Straße eingerichtet werden soll. Auch in bezug darauf kann ich nur sagen: Herr Conradi, geben Sie mir doch zu, daß das eine Baumaßnahme ist, die überhaupt nicht nötig ist.
Dagegen wären ökologische Impulse sowohl für die Bauwirtschaft als auch für Innovationen hinsichtlich unserer gesamten ökologischen Wirtschaftsweise wichtig.
Es gibt den weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage, diesmal von der Abgeordneten Frau Baumeister.
Bitte schön. Ich habe das Rederecht.
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, würden Sie mir darin zustimmen, daß Veränderungen des Hauses 105 - ob sie nun sinnvoll sind oder nicht, lasse ich einmal dahingestellt sein - auch zu Zeitverzögerungen in der Planung geführt haben? Auch diese Anträge sind von Ihnen gekommen. Ich will damit zum Ausdruck bringen, daß sowohl Veränderungen im ökologischen Bereich als auch in der Bauplanung durchaus auf Ihre Initiative hin vorgenommen wurden.
Frau Kollegin Baumeister, Sie wissen aber sehr wohl, daß diese Forderung nach Sparsamkeit und Bescheidenheit von unserer Fraktion nicht erst seit heute erhoben wird, sondern daß wir immer dann, wenn über die Maßnahmen in der Baukommission gesprochen worden ist, den Finger gehoben und deutlich gesagt haben: Darf es nicht etwas bescheidener sein? Können wir auch einmal über die Kosten diskutieren?
Gerade der Vorsitzende, Herr Kansy, hat immer wieder gesagt: Über Kosten reden wir später. - Dann war es eines Tages zu spät.
Das ist doch das Problem. Es ist aber nicht das Problem unserer Fraktion. Sie haben recht, daß viele der Punkte heute nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
Ich kann das gleichzeitig auch noch in bezug auf die Arbeit im Haushaltsausschuß darlegen. Auch dort hat unser Kollege Metzger immer bei allen Punkten rechtzeitig den Finger gehoben, vor Kostensteigerungen gewarnt und zu Bescheidenheit aufgefordert. Er wird das auch weiterhin immer dann tun, wenn es im weiteren Verfahren nötig ist. Deswegen will ich gleich in meinem Redebeitrag auf ein neues Beispiel eingehen, auf das Innenministerium, weil das Ganze nicht nur ein Problem des Bundestags, sondern auch der Regierung ist.
- Ich danke Ihnen, daß Sie mir soviel Gelegenheit geben, auf einzelne Beispiele des Sündenregisters der Unbescheidenheit einzugehen. Ich möchte heute nämlich weder über Tunnel noch über einige andere Broschen an den Bundestagsbauten diskutieren, statt dessen möchte ich gern auf ein Beispiel, das Innenministerium, das demnächst im Haushaltsausschuß zur Diskussion ansteht, eingehen.
Ich will das zum einen tun, um Ihnen ein Beispiel dafür zu geben, wie liederlich die Regierung unsere Große Anfrage beantwortet hat. Unsere Frage hieß: Wieviel des Raumbedarfs des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und des Bundesministeriums des Innern, für die zur Zeit Mietliegenschaften gesucht werden, könnte aus eigenen Liegenschaften gedeckt werden?
Diese Frage ist überhaupt nicht beantwortet worden, statt dessen heißt die Antwort: Das Bundeskabinett hat am 17. April 1996 die Unterbringung des Bundesministeriums des Innern bei einem privaten Investor beschlossen. Für das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau wird die Frage einer mietweisen Unterbringung noch geprüft.
Ich habe das angeführt, damit Sie sehen, wie differenziert die Antworten erfolgt sind. Gleichzeitig ist die Frage nach dem eigenen Flächenbesitz, den der Bund in Berlin hat, überhaupt nicht beantwortet worden. Die Antwort ist uns aber vom Land Berlin gegeben worden.
Wenn der Umzugsplan so vollzogen wird, wie er zur Zeit vorgegeben ist, dann hat der Bund insgesamt noch ungefähr 300 000 Quadratmeter Hauptnutzfläche, also etwa genausoviel an bundeseigenem Leerstand oder nicht sinnvoll genutzten Flächen in Berlin, wie zur Zeit verplant wird. Insofern frage ich
Franziska Eichstädt-Bohlig
ganz entschieden: Warum muß der Bund Liegenschaften anmieten, wenn er eigene Liegenschaften erneuern und der Nutzung zuführen kann?
Ich will das gleich mit Zahlen darstellen. Es ist uns geantwortet worden - so ist es auch im Haushaltsausschuß diskutiert worden -, daß die Erneuerung der Gebäude in der Mauerstraße eigentlich nur 230 Millionen DM kosten soll. Auf einmal, als Herr Kanther da nicht mehr hinein wollte, hieß es, es kommen noch 100 Millionen DM an Kosten für Sicherungsmaßnahmen hinzu. Ich möchte wissen, warum er soviel mehr Sicherungsmaßnahmen braucht als der Bundeskanzler. Aber, man weiß ja nie, warum das nötig ist. Selbst mit diesen Maßnahmen kostet das Objekt 330 Millionen DM, mit Beräumungskosten und ihren Stellplatzwünschen 375 Millionen DM. Jetzt kommt eine Vorlage, daß für knapp 420 Millionen DM Miete für 30 Jahre das Innenministerium bei Freiberger angemietet werden soll. Ich frage mich wirklich, ob so die Relationen und die Prioritäten sinnvoll gesetzt werden.
Ich hoffe sehr, daß sich der Haushaltsausschuß dieses Themas endlich nach dem Prinzip der Bescheidenheit und nicht nach dem Prinzip der Selbstbedienung - an dieser Stelle habe ich ein wenig das Gefühl, es geht auch nach dem Prinzip: man muß den Investoren etwas in den Rachen werfen - annimmt.
- Darf ich? Ich würde gerne weiterreden.
Insgesamt muß man deutlich sagen - danach wird auch immer wieder von der Presse gefragt -: Der Kostenrahmen in Höhe von 20 Milliarden DM für den Hauptstadtumzug ist vom ersten Tag an viel zu großzügig gesetzt worden. Deswegen ist er auch einhaltbar. Ich fordere den Bauminister und Umzugsbeauftragten dringend auf, ihn wirklich einzuhalten.
Wir sagen und haben mit vielen Beispielen nachgewiesen, daß dieser Kostenrahmen um mindestens 2 Milliarden DM gesenkt werden könnte. Aus diesen Kostensenkungen könnte der Umzug für die Föderalismusstandorte und noch einiges mehr locker finanziert werden.
Insofern fordere ich Sie auf, nicht immer nur zu sagen, Sie könnten den Kostenrahmen einhalten - bei diesem Rahmen ist das wirklich kein Kunststück -, sondern ich fordere Sie auf, endlich sparsamer zu werden, um mit dem, was in diese Bauprojekte reingesteckt wird, andere Dinge finanzieren zu können.
Ich möchte zum Schluß zu unseren Forderungen kommen. Die wichtigsten möchte ich hier nennen.
Das erste ist: Wir halten es für dringend erforderlich, daß ein Sonderausschuß, am liebsten als Unterausschuß des Haushaltsausschusses, eingerichtet wird, damit die vielen Formen der sehr kleinteiligen Verschwendung und die reduzierte Informationspolitik, wie sie der Umgszugsbeauftragte betreibt, endlich differenziert aufgedröselt werden können. Denn nur dann wird man mit diesen Problemen fertig werden und bessere Lösungen erarbeiten können.
Das zweite ist: endlich eine zentrale ressortübergreifende Personalbörse.
Das dritte ist: Die Verwaltungsreform muß angegangen werden. Dabei unterstützen wir deutlich die Forderungen des Haushaltsausschusses. Das ist völlig klar.
Das vierte ist: Es ist, und zwar aus dem Stand - Frau Baumeister, auch nach dem jetzigen Planungsstand -, ohne Zeitverzögerung jetzt noch machbar, sowohl bei den Regierungsbauten als auch insbesondere bei den Bundestagsbauten, 10 Prozent der Kosten zu kürzen. Ich fordere Sie auf, mit uns gemeinsam die BBB und die BBD dazu zu bringen, daß sie diese Kürzungen zusammen mit den Architekten vornehmen.
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende. Kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich bin gleich am Ende meiner Rede.
Der nächste Punkt ist: Wir haben vorgeschlagen, auf den Luisenblock zu verzichten und damit auch auf den Erschließungstunnel.
Last, not least meine zwei letzten Forderungen. Wir fordern die Bundesregierung auf, Kosten- und Zeitpläne in differenzierter Art für die in Bonn zu vollziehenden Maßnahmen vorzulegen und auch endlich ein differenziertes Föderalismuskonzept vorzulegen und dies auch mit Entschiedenheit anzugehen.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Dietmar Kansy.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Eichstädt-Bohlig, die Regierung nach der Effizienz ihres Handelns zu fragen ist gutes Recht jedes Parlaments. Ich bin sicher, daß der Bundesbauminister, der gleichzeitig unser Umzugsbeauftragter ist, Ihnen die Fragen beantworten wird. Etwas verwundert bin ich allerdings schon über die Fragen zum Handeln des Deutschen Bundestags, die Sie an die Bundesregierung stellen.
Wir hatten uns doch ausdrücklich vorbehalten, sowohl im baulichen als auch im sozialen, als auch im personellen Bereich, den Umzug nach unseren Vorstellungen zu gestalten und vor der deutschen Öffentlichkeit auch zu verantworten. Insofern ist der
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
eine Teil der Anfrage, nämlich daß Sie die Regierung nach dem Handeln des Parlamentes befragen, ein Schlag in das Gesicht des Parlaments.
Herr Dr. Kansy, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn es so früh sein muß, Frau Kollegin.
Herr Kollege Kansy, ist Ihnen bekannt, daß auch für die Durchführung und für die Maßnahmen- und Kosteneinhaltung von Bundestagsbauprojekten die Regierung und in diesem Fall der Umzugsbeauftragte verantwortlich ist? Stimmen Sie mir zu, daß wir am Beispiel des Schürmann-Baus wunderbar nachvollziehen können, wie das Parlament seine Hände in Unschuld wäscht, wenn es um die Folgen von Fehlplanungen geht? Wenn Sie so konsequent sind, daß Sie dem Bauminister diese Lasten abnehmen wollen, - -
- Es ist für die Verantwortlichkeit egal, ob es BBB oder Bundesbaudirektion ist.
Dann nehmen Sie dem Bauminister auch dafür die Verantwortung ab!
Frau Kollegin, Sie haben eine - es tut mir leid - unsinnige Frage gestellt. Wir sind - das ist noch die Antwort, Frau Präsidentin - als Abgeordnete aus unseren Wahlkreisen gewählt. Wir fragen uns schon langsam, die wir Woche für Woche Stunden in dieser Baukommission verbringen: Haben wir wirklich in einer Zeit von 4 Millionen Arbeitslosen nichts Besseres zu tun, als Fragen bis ins letzte Detail zu stellen? - Natürlich bedienen wir uns des Bundesbauministers. Natürlich bedienen wir uns der Bundesbaudirektion und irgendwelcher Ingenieur- und Architekturbüros. Aber wir haben für das, was wir dort machen, die politische Verantwortung. Wir tragen sie auch, und zwar guten Gewissens.
Ich möchte jetzt zunächst einmal schwerpunktmäßig auf die von Ihnen angesprochene Bauplanung des Bundestages eingehen. Die anderen Fragen wird die Kollegin Baumeister anschließend ansprechen. Ich möchte aber für die CDU/CSU-Fraktion, Herr Bundesbauminister, doch sagen, daß wir auch den baulichen Teil des Regierungsumzuges, der sich im wesentlichen gegenüber anfänglich völlig anderen Vorstellungen auf Altbauten stützt, mit tragen. Aber für die Umsetzung des baulichen Teils des Bundestagsumzugs erfolgt, wie Sie wissen, die Detailentscheidung innerhalb des Parlamentes durch die Baukommission des Ältestenrats.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, insbesondere die Leute, die in dieser Kommission arbeiten: Wenn ich mir den Fragenkatalog der Grünen für diese beiden Großen Anfragen ansehe, dann habe ich den Eindruck, daß suggeriert wird, wir als Baukommission würden sozusagen frei im Raum schweben, wir hätten große Entscheidungsspielräume. Das ist doch keineswegs der Fall. Genau das Gegenteil ist richtig: Zeitrahmen, Kostenrahmen, Art und Umfang der Baumaßnahmen basieren auf Beschlüssen des ganzen Deutschen Bundestags, die mit jeweils großen Mehrheiten im Plenum des Bundestages gefaßt wurden.
Deswegen darf ich an dieser Stelle noch einmal an das Wesentliche erinnern.
Zum Zeitrahmen. Am 10. März 1994 beschloß das Plenum nach monatelanger, teils emotionaler Diskussion, daß der Deutsche Bundestag „seine Arbeit in Berlin" „in der übernächsten Legislaturperiode möglichst früh, spätestens in der Sommerpause 2000", aufnehmen soll. Sämtliche Bauarbeiten, die den Deutschen Bundestag betreffen, sind nicht auf das Ende dieses Rahmens ausgerichtet; vielmehr haben wir uns seitens des Bundestages immer vorgenommen, diesen Rahmen möglichst nicht voll auszuschöpfen.
So ist es nicht verwunderlich, daß nach derzeitigem Stand alle modernisierten Altbauten spätestens im Laufe dieses Jahres fertiggestellt werden, der Reichstag 1999 und die beiden Neubaukomplexe Ende 1999, mit Ausnahme des sogenannten Luisenblocks, zu dem wir einvernehmlich gesagt haben: Den brauchen wir nicht zum Umzug; der kann ein oder zwei Jahre später fertig werden. Jegliche Behauptung, der Zeitrahmen werde verfehlt, entspricht überhaupt nicht der Beschlußlage des Parlaments. Das Gegenteil ist richtig: Wir haben uns bemüht, in diesem Korridor die Anfangstermine zu erreichen und nicht die letzten Termine anzupeilen.
Zweite Frage: Kosten. Sie haben schon das Berlin/ Bonn-Gesetz angesprochen. Damals haben einige Leute - eine Dame sitzt übrigens, in Rot gekleidet, in der ersten Reihe der Sozialdemokraten - gesagt, der Betrag von 20 Milliarden DM sei heruntergerechnet; 80 Milliarden, 100 Milliarden DM seien die wahren Kosten.
Heute höre ich plötzlich aus der Opposition: Die sind immer noch viel zu hoch angesetzt; da könnte man schlappe 2 Milliarden DM streichen, und es liefe immer noch.
Herr Dr. Kansy, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten?
Meine Damen und Herren, die Kosten sind eindeutig begrenzt.
Nein?
Ich gestatte sie. Bitte.
Herr Kansy, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß weder die Zahl 80 Milliarden noch die Zahl 100 Milliarden DM von mir genannt worden ist
- Sie kommen demnächst und zeigen mir das; das gibt es nicht, weil ich es nie gesagt habe -,
sondern daß ich der festen Überzeugung bin, daß Sie mit 20 Milliarden DM nicht auskommen werden, daß es teurer wird?
Ich finde, in diesen Zeiten haben wir etwas anderes zu tun, als 20 Milliarden DM in den Umzug zu stekken.
Frau Kollegin, da Sie mich gefragt haben, ob ich das zur Kenntnis nehme, nehme ich das zur Kenntnis. Wenn ich Ihre Zukunftsprognosen mit denen der Kollegin Eichstädt-Bohlig in einen Topf werfe und mische, kommen wir genau in der richtigen Mitte heraus.
Noch einmal zu den Kosten. Wir haben in dem Berlin/Bonn-Gesetz für die Baumaßnahmen des Deutschen Bundestages einschließlich Grunderwerb, einschließlich Wettbewerbe, einschließlich Infrastruktur, einschließlich parlamentsnahe Einrichtungen 4,070 Milliarden DM vorgesehen. Nach der letzten Kostenüberprüfung, die Sie übrigens auf Seite 52 der Antwort der Bundesregierung auf Teil I der Anfrage der Bündnisgrünen nachlesen können, liegen wir jetzt - ich wiederhole: für alles, nicht nur für die reinen Baumaßnahmen - mit 3,833 Milliarden DM 237 Millionen DM unter dem Kostenrahmen des Berlin/Bonn-Gesetzes. Insofern kann überhaupt keine Rede davon sein, daß wir überschreiten. Es kann auch keine Rede davon sein, daß wir uns nicht in allen Bereichen bemühen, diese Kosten noch zu unterschreiten.
Noch einige Worte zum Konzept des Parlamentsviertels. Das ergab sich doch aus zwei Forderungen des Deutschen Bundestages, die wir umsetzen. Die eine war, wir sollten das Parlament der kurzen Wege bauen. Man kann darüber streiten, ob man das wollte oder nicht; der Mehrheitsbeschluß ist, auf großangelegte Provisorien zu verzichten und dauerhafte Lösungen zu schaffen, die bis weit ins nächste Jahrhundert Bestand haben.
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig - falls Sie mir Ihr Ohr leihen, nachdem Sie mich angesprochen haben -, wir bauen nicht luxuriös, und wir bauen auch nicht pompös. Aber ich sage das mit einem Stück Selbstbewußtsein als Teil des Verfassungsorganes Bundestag: Wir bauen würdig und angemessen für uns in Berlin. Das ist etwas anderes als übertrieben und luxuriös.
Wenn ich Ihnen noch eines sagen darf, was über Berlin hinausgeht: Es gibt im demokratischen Deutschland eine unselige Tradition, Parlamentsbauten in Sozialhilfe umzurechnen, als ob ein selbstbewußter „Bauherr Demokratie" und soziale Gerechtigkeit unterschiedliche Dinge wären. Es gibt einen Satz, der zugegebenermaßen nicht aus den politischen Zielen des Steuerzahlerbundes und auch nicht aus den Regieanweisungen des Bundesrechnungshofes stammt, sondern von dem verstorbenen französischen Präsidenten Mitterrand. Dieser hat einmal gesagt: Ein Volk ist so groß wie seine Architektur.
Ich meine, wir haben als Demokratie, die wir nun einmal - und zwar einmalig, wahrscheinlich für viele Generationen - in Berlin bauen, unseren Bürgern auch baulich etwas zu hinterlassen, das sie mit diesem demokratischen Rechtsstaat, mit dieser Bundesrepublik Deutschland identifizieren können. Man rennt zu Millionen zu den Schlössern ehemaliger absoluter Herrscher, von Neuschwanstein bis Sanssouci.
Wir bauen in einer Welt, wo sich von Kirche bis Kommerz alles baulich Ausdruck verschafft, und wir bekommen von Ihnen immer den guten Ratschlag, wir sollten uns als Parlament verstecken.
Ich wiederhole mich: Wir haben als Verfassungsorgan zwar nicht luxuriös und pompös zu bauen, aber so, daß wir uns vor den Menschen in diesem Land auch mit unseren baulichen Anlagen sehen lassen können.
Zum Schluß noch zur Ökologie. Wir haben gemeinsam mit den Stimmen aller Fraktionen einen Beschluß gefaßt. Ich meine, was wir in Berlin umsetzen, ist mehr als vorzeigbar. Es ist schon gesagt worden: Natürlich gibt man einmal mehr Geld dafür aus, aber dafür müssen wir geradestehen.
Sie suggerieren, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig - natürlich rein zufällig -, einigen Berliner Medien einen Tunnelskandal, Kitaskandal, Waschbeckenskandal, Restaurantskandal und was sonst noch alles für Skandale. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir bauen unser Parlamentsviertel nach festen Vorgaben, die die große Mehrheit dieses Parlaments trägt. Wir liegen eindeutig im Zeit- und Kostenrahmen. Wir bauen ein
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
ökologisch überdurchschnittlich gutes Parlament. Es wird für Millionen von Besuchern - und nicht nur für uns - ein Haus der offenen Türen werden, und zwar bis ins nächste Jahrhundert hinein.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wilhelm Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute fünf Anträge und Antworten auf Anfragen und zwei zusätzlich neu eingebrachte. Das sind also sieben Grundlagen und Schriften des Parlaments. Die SPD hat sich in diesem Zusammenhang nicht - bisher jedenfalls nicht - an dieser Flut von Anträgen und Anfragen beteiligt,
weil wir darauf hinweisen wollen, daß es in dieser Zeit unsere Aufgabe ist, sich sehr aktiv und intensiv in den für diese Arbeit eingerichteten vielfältigen Kommissionen zu bewegen und zu arbeiten.
Dort können wir uns austauschen und erhalten eine Menge von Informationen. Ich weiß zwar, daß ich mit den von mir ab und zu kritisch in Ansatz gebrachten Worten und Beiträgen beklagen mußte und muß, daß uns der Umzugsbeauftragte und die Regierung mit ihren Informationen manchmal etwas kurz halten. Aber ich will doch sehr deutlich sagen: Wir haben die Chance in diesen Kommissionen, und wir nutzen sie. Von daher sollten wir auf dieser Basis miteinander sprechen.
Es macht noch etwas anderes weitere Schwierigkeiten, sich mit diesen sieben Anträgen zu befassen. Fünf davon sind nämlich mittlerweile schon ein Jahr alt. Sie sind auf eine Basis gestellt worden, von der ich meine, daß sie inzwischen zu einem großen Teil überholt ist.
Was mich erschreckt, ist, daß die Basis, die die Anfragen insbesondere der Grünen beinhaltet, immer noch die Diktion bestimmt, mit der man sich heute, ungefähr ein Jahr später, mit dem Umzugsgeschehen und dem, was dazugehört, auseinandersetzt. Das finde ich bedauerlich. Von daher finde ich es richtig, daß wir die Debatte nutzen, um einiges klarzustellen.
Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion ist klar, daß es trotz einiger unnötiger Verunsicherungen durch Initiatoren eines Verschiebungsbeschlusses im vorigen Jahr
kein Wackeln gibt, was den Umzug anbetrifft. Der Umzug wird stattfinden, und wir werden alles mit tun, um dieses Projekt zu realisieren.
Ich frage alle diejenigen, die immer noch den Eindruck erwecken, der Umzugsbeschluß sei rückholbar, was sie denn mit dem machen wollen, was in Berlin schon längst vollendet worden ist oder sich auf dem Wege zur Vollendung befindet. Ich kann nur sagen: Wer jetzt im sechsten Jahr nach dem Umzugsbeschluß immer noch in dieser Weise politisch aktiv ist, ist falsch beraten.
Meine Damen und Herren, ich möchte hinzufügen, daß der Bericht der Bundesregierung, der nun schon auf den Tag genau sechs Monate alt ist, allerdings auch überreif ist, was eine Debatte anbetrifft. Wir tun gut daran, solche Berichte in den Gremien, aber auch hier im Bundestag zum Anlaß einer Beratung zu nehmen.
Mein Kollege Conradi wird nachher speziell über die Baumaßnahmen sprechen. Ich möchte mich auf einige generelle Themen sowie auf die Bereiche des Personal- und Sozialwesens konzentrieren.
Vorab möchte ich aus Sicht der SPD-Fraktion feststellen, daß die Festlegung eines Umzugstermins demnächst konkret angegangen werden muß; ich bitte auf die Formulierung zu achten. Die hektische Debatte im Herbst 1996, die mit den beruhigenden Äußerungen der Fraktionsvorsitzenden endete, war nämlich nur insofern hilfreich, als sie für eine Schärfung des Bewußtseins in dieser Frage gesorgt hat. Denn die Forderungen aller Beteiligten - im Bau- und Planungssektor genauso wie im Organisations- und Personalwesen - nach mehr Klarheit sind rund zweieinhalb Jahre vor dem möglichen Umzugstermin doch sehr verständlich. Wir brauchen für das Planen und Bauen, aber genauso auch für die ganz persönlichen Entscheidungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei der Regierung, beim Bundestag, bei den Abgeordneten, bei den Fraktionen und an sonstigen Stellen betroffen sind, demnächst jedenfalls Klarheit.
Daß dabei zum Beispiel mit dem nach langen Verhandlungen im Sommer 1996 verabschiedeten sogenannten Dienstrechtlichen Begleitgesetz und mit dem Umzugstarifvertrag zwei wichtige Eckpunkte geschaffen worden sind, finde ich richtig. Ich erwähne es hier ausdrücklich noch einmal mit dem Hinweis darauf, daß die Kommentierungen in manchen Bereichen der Öffentlichkeit und der Presse aus unserer Sicht nicht geteilt werden, im Gegenteil, zurückgewiesen werden.
Die weiteren Schritte, zum Beispiel die Befragung des Personals, die Auslegungsregeln für die Bestimmungen und vor allem die in diesen Tagen endlich beginnenden Personaltauschmaßnahmen sind dafür übrigens ein deutlicher Beleg. Ich mahne ausdrücklich an, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß der Personaltausch umgehend konkretisiert wird und bei dem zu erwartenden unergiebigen Ausgang dieser
Wilhelm Schmidt
Maßnahme sofort die große Personalbörse in Gang gebracht wird.
Die dafür nötigen Schritte sollten schon jetzt vorbereitet werden, um nicht erneut Zeit zu verlieren. Dies alles muß mit dem eindeutigen Ziel geschehen, die Zahl der nach Berlin ziehenden Menschen aus Kostengründen - Frau Eichstädt-Bohlig, darauf weisen Sie ja immer hin - und unter sozialen Erwägungen so gering wie möglich zu halten.
Dabei müssen wir uns aber um die Belange aller kümmern. Ich habe die Personengruppen eben genannt und möchte ausdrücklich noch einmal sagen, daß wir uns hier bei den Mitarbeitern der Abgeordneten besonders schwertun. Ihnen gegenüber haben wir aber die gleiche Verantwortung wie gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Regierungsecke, aus der Bundestagsverwaltung, aus dem Bereich der Fraktionen und aus den übrigen beteiligten Behörden.
Im übrigen geht es nicht nur um die Bonner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Umkehrschluß geht es auch um diejenigen, die von Berlin aus an andere Standorte wechseln oder die innerhalb Deutschlands am Umzugsgeschehen beteiligt sind und in andere Städte umziehen müssen.
Wir sind es uns auch selber schuldig; denn es geht um ein funktionierendes Parlament. Wir müssen nämlich dafür sorgen, daß unser System mit einem Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterhin funktioniert, die eine wichtige Grundlage unserer Arbeit sind. Von daher versteht es sich von selbst, daß wir auch in diese Richtung denken und handeln.
Wir wissen allerdings nicht einmal ganz genau, wie viele tausend es sein werden. Deswegen brauchen wir die Festlegung auch der Begleitprojekte, die nun zügig vorangebracht werden müssen. Hinsichtlich deren Realisierung habe ich nun doch einige Sorgen. Das sage ich nicht nur hier, sondern ich habe es auch in den Kommissionen zum Ausdruck gebracht - meine Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion gleichermaßen.
An erster Stelle steht zum Beispiel - wenn ich das schon nenne - der Bereich der Wohnungsfürsorge. Herr Minister Töpfer, das ist für uns schon ein ganz wichtiger Teil. Wenn wir - wie auch immer, das ist alles noch nicht ganz konkret und exakt überschaubar - zu einem bestimmten Termin die Büro- und Sitzungsräume und das Plenargebäude, den Reichstag also, in Berlin fertiggestellt und damit die Arbeitsbedingungen für die Abgeordneten geschaffen haben, sollte für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beispielsweise auch ausreichender Wohnraum in Berlin vorhanden sein.
Ich finde, wir müssen den zeitlichen Gleichklang an dieser Stelle sehr deutlich betonen, genauso wie wir auch fordern, daß sich die Regierung mit ihren Dienststellen zum gleichen Zeitpunkt wie das Parlament mit seinen Einrichtungen in Berlin entsprechend arbeitsfähig wiederfindet. Von daher bin ich sicher, und wir werden immer wieder darauf hinweisen, daß wir noch einiges tun müssen, um an dieser Stelle die Kongruenz entsprechend herzustellen.
Die Bedenken an mancher Stelle werden zur Zeit übrigens eher größer als kleiner. Wenn ich sehe, wie mit den Verlosungen und den Verkäufen von Bundeswohnungen und bundeseigenen Häusern in Berlin umgegangen wird, die schon vorab verteilt werden, kann ich Ihnen nur sagen: So unprofessionell, wie das zur Zeit läuft, habe ich geradezu einen Horror davor, was geschehen könnte und was geschehen wird, wenn es größere Objekte und größere Einheiten betrifft. Wenn dieser Meinkram schon nicht funktioniert, wie soll es dann erst mit den Großprojekten gelingen?
Im übrigen weise ich darauf hin, daß der Dissens zwischen Bund und Berlin über technische und soziale Infrastrukturmaßnahmen aus meiner Sicht völlig unzulänglich ist. Er darf nicht fortgesetzt werden. Wir müssen an dieser Stelle auf eine schnelle Einigung zwischen Berlin und dem Bund pochen.
Daß der kritische Ansatz in wichtigen Teilen der Großen Anfragen inzwischen auch ganz aktuell vom Bundesrechnungshof in seinem Prüfungsbericht vom Silvestertag des vergangenen Jahres an den Haushaltsausschuß unterstrichen wird, kennzeichnet die Berechtigung der auch von der SPD in den Kommissionen und in der Öffentlichkeit immer wieder vorgebrachten Bedenken und Forderungen. Kostenträchtige Sonderentscheidungen wie die Reichstagskuppel und der Versorgungstunnel sind einige Spezialbeispiele, die auch von uns heftig kritisiert worden sind.
Wenn aber der Gesamtkomplex des Umzugsgeschehens, wie vom Bundesrechnungshof aufgeführt, immer noch als unkoordiniert und unabgestimmt eingestuft wird, muß dies alle Alarmglocken schrillen lassen. Im Prüfbericht heißt es wörtlich: „Die personalwirtschaftlichen Festlegungen sind bis heute keinem Ressort der Regierung gelungen." Da ist die über die Anfrage der Grünen hinausgehende Sorge schon berechtigt, daß hier ein wichtiger Teilbereich gegen die Wand zu fahren droht.
Ich frage ganz bewußt in Richtung des Regierungsumzugsbeauftragten: Wer verzögert denn eigentlich ständig? Geschieht dies möglicherweise mit Vorsatz? Ist dies vielleicht eine nicht steuerbare Reaktion in den Amtsstuben mancher Ministerien? Sind die Bremser dort in den Amtsstuben vielleicht nach wie vor in einer ganz bestimmten Schlüsselrolle? Wo bleibt der klare Auftrag, wo bleibt die Kontrolle? Wo bleiben die Konsequenzen für manche gewachsenen Defizite?
Wenn sich der Bundesrechnungshof sehr umfänglich und kritisch mit dem nicht einmal im Ansatz vollzogenen Auftrag des Parlaments auseinandersetzt, die „Organisationsstrukturen der Ministerien mit Blick auf den Regierungsumzug sowie mit dem Ziel der Konzentration auf ministerielle Aufgaben" anzu-
Wilhelm Schmidt
passen, dann spricht das Bände. Dieser Bewertung entsprechen auch die Antworten auf diesen Komplex der Großen Anfragen.
Lassen Sie mich zum Schluß ein offenes Wort an die Berliner Seite richten. Herr Staatssekretär Wartenberg, fühlen Sie sich bitte nicht persönlich angesprochen; ich weiß genau, daß Sie sich unglaublich engagiert in dieser Phase bemühen. Aber es ist doch so, daß wir große Sorge über die Art und Weise haben, wie in der Öffentlichkeit in Berlin über einzelne Themen gesprochen wird. Die kleinkrämerische Haltung, die über die Kindertagesstätte, die über Restaurantverträge und über manches andere in der letzten Zeit zu lesen war, ist nicht hinnehmbar. Gerade die Berliner Seite sollte noch mehr als je zuvor akzeptieren, daß dies eine Riesenchance für die Berliner Infrastruktur ist,
eine neue Chance für die Entwicklung als Metropole und vor allen Dingen auch eine Möglichkeit ist, Arbeitsplätze zu schaffen und den Wirtschaftsstandort Berlin verbessern zu helfen. Wir stehen dazu. Wir wollen das machen. Wir alle sollten in dieser Hinsicht an einem Strang ziehen.
Der Antrag der PDS schon jetzt einen Umzugstermin festzulegen, ist einfach nicht zeitgemäß und wird von uns nicht mitgetragen werden. Auch alle anderen Anträge werden wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht mittragen können.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, ich greife Ihre Formulierung „kleinkrämerische Haltung" auf. Ich hatte mir dies schon vorhin notiert, als Frau Eichstädt-Bohlig in altbewährter Manier mit schlagwortartigen Katastropheninszenierungen gesprochen hat, was der Realität überhaupt nicht gerecht wird.
Wir haben weder eine Zeitverzögerung noch eine Kostenüberschreitung. Zeigen Sie uns doch einmal, an welcher Stelle es zu Kostenüberschreitungen kommt.
Sie können sich doch nicht nur hier herstellen und so tun, als sei alles danebengegangen. Sagen Sie doch einmal, in welchen Bereichen es erkennbar zu Kostenüberschreitungen gekommen ist! Teilen Sie uns das doch bitte einmal mit!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Teilen Sie meine Auffassung, Herr Heinrich, daß jedes zweite Waschbecken in den Büros - -
- Das muß der Öffentlichkeit einmal deutlich gesagt werden. Sagen Sie doch, daß in jedem Raum Waschbecken und Kühlschränke eingerichtet werden sollen, selbst da, wo die Räume der Fraktionsvorsitzenden drei Achsen haben. Das ist doch eine absurde Geschichte. Sagen Sie doch der Öffentlichkeit, daß Tunnelverbindungen geplant und gebaut werden, die wirklich unnötig sind!
Stimmen Sie mit mir überein, daß der Flächenverbrauch bei Verkehrsflächen, in Lobbybereichen und Treppenhausanlagen im Dorotheenblock und teilweise auch im Alsenblock, wo ganz normale Verwaltungsarbeit geleistet werden soll, überproportional hoch ist?
Herr Heinrich, stimmen Sie mit mir überein, daß der Konstruktionsaufwand für bestimmte Techniken, Fassaden und Dachaufbauten einen solchen Umfang eingenommen hat, daß man nicht mehr davon sprechen kann, daß das nötig und ästhetisch sinnvoll ist, sondern wirklich nur luxuriös ist, um sich damit großartig zu inszenieren?
Frau Kollegin, Ihre Beispiele zeigen eben doch, von welcher Seite aus Sie das betrachten. Wenn Sie heute als erstes die Frage der Waschbecken aufwerfen,
dann muß ich wirklich sagen: Das, was jedem mittelmäßigen Unternehmen zugebilligt wird, was Standard ist und von seiten der Vorschriften Gott sei Dank auch Standard sein muß, wollen Sie hier in Frage stellen.
Wenn Sie auf den Tunnel zu sprechen kommen, dann ist es nicht richtig, daß wir uns dazu nicht bekennen. Wir bekennen uns dazu. Wir halten ihn für notwendig, und zwar auch auf Grund des Sicherheitsbedürfnisses, das wir in Berlin, wo eine ganz andere Situation als hier in Bonn herrscht, haben. Denn in Berlin - das wissen Sie ganz genau; Sie wollen das nur nicht in den Zusammenhang bringen - haben wir eben nicht die Möglichkeit, über öffentliche Flächen in unsere Gebäude zu gelangen. Das hat uns der Berliner Senat nicht zugebilligt. Hierzu gab es ganz klar eine ablehnende Haltung. Deshalb mußten wir auf eigenem Gelände eine Zufahrt schaffen, was wir in konzentrierter Form gemacht haben.
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, wir sind uns in einem Bereich einig. Das ist der Bereich der Ökologie. Wir haben einen gemeinsamen Antrag. Den Antrag
Ulrich Heinrich
haben wir auch umgesetzt. Wir stehen dazu, daß wir in Berlin beispielhaft bauen und weit über den Durchschnitt der normalen Anforderungen Signalwirkungen aussenden, um auch von dieser Seite aus eine positive Wirkung in unserem Land zu erreichen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch die herbe Kritik des Bundesrechnungshofes ansprechen, der ganz deutlich Umsetzungsdefizite signalisiert hat, wozu wir klare Vorgaben gemacht haben, nämlich zur Verschlankung, zur Entbürokratisierung und zur Effizienzsteigerung. Zu diesen Forderungen stehen wir als F.D.P.-Bundestagsfraktion nach wie vor.
In dem Zusammenhang möchte ich Sie, Herr Minister Töpfer, bitten, daß Sie die Dinge aufgreifen, die moniert worden sind, damit wir in dieser Frage beispielhaft sein können. Denn es ist eine einmalige Chance, im Rahmen des Umzuges entsprechende Strukturen zu verändern. Diese Riesenchance nicht wahrzunehmen wäre unverantwortlich.
Die große Anfrage der Grünen, verbunden mit der Forderung des Einsetzens eines Sonderausschusses, zeigt, widersprüchlicher kann man es nicht mehr machen: auf der einen Seite Effizienzerhöhung - wofür auch wir sind -, auf der anderen Seite Bürokratievermehrung durch einen Sonderausschuß und durch eine zusätzliche Dikussionsebene
mit einer zusätzlichen Belastung unseres Betriebes. Der Kollege Kansy hat doch Recht gehabt, als er vorhin beklagt hat, wieviel Stunden wir damit verbringen, um Berlin tatsächlich aufzubauen. Und dann wollen wir uns durch zusätzliche Bürokratie selber noch Fallstricke legen und unsere eigenen Kommissionen, die vom Ältestenrat eingesetzt sind, mit einer Sonderkommission belasten, die dann alles noch einmal abwägen soll! Welches Selbstverständnis von Parlamentarismus haben Sie denn eigentlich, Frau Kollegin?
So etwas darf man nicht einmal denken, geschweige denn in einem Antrag zum Ausdruck bringen. Das kann doch nur in die Irre führen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine erneute Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Ich habe jetzt die Zahlen nicht genau im Kopf. Dennoch: Ist Ihnen klar, daß der Anteil der Parlamentsprojekte bei etwa 7 oder 8 Milliarden DM liegt, daß ein großer weiterer Teil der 20 Milliarden DM von der Regierung verplant werden
- das kann sein, deswegen habe ich eben gesagt, ich hätte die Zahlen nicht genau in Erinnerung; ich lasse mich gerne über die Zahlen belehren -
und daß die Kontrolle über diese Maßnahmen nur sehr bescheiden, nämlich vom Haushaltsausschuß im Rahmen der Haushaltsplanungen, ausgeübt werden kann?
- Nein, das geht einfach objektiv nicht, weil die Maßnahmen sehr kompliziert sind. Deswegen ist es dringend nötig, mehr in diesem Bereich zu tun. Für den Bereich Verwaltungsreform haben Sie eben selbst belegt, daß es dringend nötig ist.
Ja, zu verschlanken, aber nicht zu verbreitern - das ist das Notwendige, was wir zu tun haben.
Sie sprechen von 7 oder 8 Milliarden DM. Ich glaube, Sie haben eben der Rede des Kollegen Kansy nicht zugehört.
Wie kommen Sie als Mitglied der Baukommission jetzt dazu, in einer öffentlichen Debatte von 7 oder 8 Milliarden DM zu reden - das ist glatt das Doppelte des Tatsächlichen -, nur um entsprechende Schlagzeilen zu provozieren und um zu sagen, der Bundestag überziehe um 100 Prozent?
- Nein, Frau Kollegin, ich glaube, wir haben uns jetzt sehr intensiv ausgetauscht. Ich wollte noch etwas zum Personalgesamtkonzept sagen.
Ich meine, daß wir in der Situation, in der wir heute sind, noch nicht die Forderung erheben können, wir bräuchten jetzt eine Personalbörse. Wahrscheinlich werden wir sie brauchen. Aber wir werden sie nicht heute brauchen. Dazu fehlen uns die Zahlen und die Angaben über die konkreten Auswirkungen. Insofern ist die Forderung nach einer Personalbörse zum jetzigen Zeitpunkt zu früh.
Ulrich Heinrich
Herr Kollege Schmidt, wir haben ein abgestuftes Verfahren, und die Personalbörse steht erst an dritter Stelle.
- Die erste Stufe ist abgeschlossen; wir befinden uns in der zweiten Stufe; die dritte Stufe ist die Personalbörse. Das, was dann noch notwendig ist, wird in der Personalbörse, die auch ich mittrage, aufgearbeitet werden müssen.
Zum Schluß noch zu den Kosten. Die 20 Milliarden werden nicht überschritten; sie werden, wenn möglich, unterschritten. Es gibt Signale, daß wir sie unterschreiten, und wir werden unsere Anstrengungen weiter darauf richten, dies auch tatsächlich zu erreichen.
Es besteht kein Anlaß, um mit Überschriften wie „Selbstbedienungsladen" oder was auch immer an die Öffentlichkeit zu treten. Wir haben bisher solide geplant, weder luxuriös noch übermütig, sondern so, wie es nicht nur dem Bundestag, sondern wie es Deutschland zusteht, hier tatsächlich einen entsprechenden Bau vorzeigen zu können.
Ich bin mir sicher, daß mit dem Abschluß des Umzugs Berlin das politische Zentrum Deutschlands werden wird, und darauf freue ich mich heute schon. Wir sind auf einem guten Weg.
Danke schön.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort Frau Eichstädt-Bohlig.
Ich wollte mich nur für die falsche Zahl entschuldigen. Herr Kansy hatte ja richtig die 4 Milliarden genannt, und ich hatte den Betrag für die Wohnungsfürsorge, der nach Angaben der Personal- und Sozialkommission inzwischen bei 1,6 Milliarden liegt, und die 950 Millionen für die personalwirtschaftlichen Maßnahmen gedanklich dazugezählt und deswegen dann etwas nach oben übertrieben.
Dann hat jetzt Klaus-Jürgen Warnick das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als die Abgeordneten der PDS/Linke Liste im Juni 1991 für einen Umzug nach Berlin stimmten, war damit die Forderung nach einem möglichst schnellen und effizienten Umzug unter Nutzung aller damals vorhandenen räumlichen Möglichkeiten in Berlin verbunden. Es war kein Blankoscheck für die Bundesregierung, und es war keine Entscheidung für einen langwierigen Luxusumzug mit Sonderprivilegien.
- Stellen Sie eine Zwischenfrage, dann kann ich alles sagen. Ich habe so wenig Zeit.
Der Grundgedanke: Parlament und Bundesregierung sollten vor allem näher am Geschehen und am realen Leben in Ostdeutschland sein, um nicht noch mehr wirklichkeitsfremde Entscheidungen zu treffen.
Wie bitter notwendig ein schneller Umzug, verbunden mit der Hoffnung auf Erkenntniszuwachs, gewesen wäre, zeigen die nicht mehr zu zählenden Fehlentscheidungen im Zuge des Versuchs der deutschen Einheit - oder soll ich sagen, im Zuge des gescheiterten Versuchs?
Wir wollen die unsägliche Diskussion um einen konkreten Umzugstermin und den Termin der Arbeitsaufnahme des Bundestages in Berlin beenden und endlich Planungssicherheit für alle Betroffenen herstellen.
Ich möchte deswegen auf einen Widerspruch in der Rede des Kollegen Schmidt aufmerksam machen. Er hat ja die Forderung nach einem konkreten Termin anfänglich bekräftigt, und er hat zum Schluß gesagt, er könne aber nicht mitgehen, wenn jetzt die PDS vorschlägt, einen konkreten Termin zu benennen.
Das ist doch schon sehr merkwürdig. Aber vielleicht erklärt er das in einer Kurzintervention im nachhinein.
Der Deutsche Bundestag kann seine Arbeit in Berlin zum 1. Mai 1999 kostengünstig aufnehmen, wenn vorhandene Räumlichkeiten des Bundes und des Landes Berlin genutzt und, wo notwendig, kurzzeitig Räume, die in ausreichender Zahl vorhanden sind, angemietet werden. Dadurch kann auf die Errichtung von Provisorien verzichtet werden.
Ich kann auch überhaupt nicht verstehen, daß völlig überzogene Bedingungen und Anforderungen für das neue Regierungsviertel in Berlin gestellt werden, die es in Bonn so nicht gibt. Auch in Bonn ist nicht alles eitel Sonnenschein und alles auf einmal dagewesen. Die Bundestagsabgeordneten haben im Wasserwerk getagt, die SPD-Kollegen sind teilweise bis heute in provisorischen Containern untergebracht. Bei Hochwasser mußten zum Beispiel zahlreiche Gebäude kurzfristig geräumt werden, es gab Baumaßnahmen am Langen Eugen etc., ohne daß deswegen die deutsche Demokratie zusammengebrochen wäre oder der Parlamentsbetrieb entscheidend gefährdet wurde.
Ein exemplarisches Beispiel für überzogene Forderungen ist der Plan zum Bau einer separaten Bundestags-Kita, obwohl entsprechende Berliner Angebote für eine Mitnutzung bestehender Einrichtungen vorliegen.
Klaus-Jürgen Warnick
- Aber natürlich. - Als Begründung dafür werden übrigens Bedingungen genannt, die es in Bonn niemals gegeben hat.
Es verfestigt sich bei mir der Eindruck, daß der Umzug bei vielen Umzugsgegnern und -verschleppern zu einer Art Vorratshaltung benutzt wird. Wenn schon Umzug, dann aber bitte sehr fein und zu allerbesten Bedingungen. Mit weniger geben wir uns nicht zufrieden. Und nach dem Motto einer Lebensmittelverkäuferin, die ihre Kunden fragt: „Darf's vielleicht ein paar Gramm mehr sein?" wurde wohl der zukünftige Raumbedarf in Berlin ermittelt. Lieber ein paar Räume mehr anfordern, ablassen kann man später immer noch. Und das, obwohl das Parlament kleiner werden soll und die Ministerien ihr Arbeitsplatzkontingent reduzieren sollen. Statt dessen werden mehr Stellen gefordert.
Die gestrige Kritik des Bundesrechnungshofes und des Haushaltsausschusses an den Vorbereitungen für den Berlin-Umzug spricht wohl für sich.
Im übrigen schätze ich es wie Frau Eichstädt-Bohlig aus demselben Grund genauso ein, daß die 20 Milliarden DM ausreichen werden, weil man sich im Vorfeld sehr klug und sehr weise wesentlich mehr bewilligt hat, als überhaupt notwendig war.
Wir wollen mehr Transparenz und eine demokratische Mitwirkung der Bevölkerung in Bonn und Berlin,
aber nicht so wie beim neuen Bundeskanzleramt, bei dem letztendlich nur der Kanzler bestimmt, wo es langgeht, was gebaut wird und wieviel dies kosten soll. Dabei hat das Parlament nichts mitzureden.
Wir wollen, daß in Bonn begriffen wird, daß nach Berlin und nicht nur nach West-Berlin umgezogen wird
und daß auch Wohnungsbaustandorte im Ostteil Berlins berücksichtigt werden und auch dort Verwaltung angesiedelt wird,
so zum Beispiel in den riesigen, von der russischen Armee verlassenen Flächen in Karlshorst. Dies wäre ein Zeichen an den Osten und ein Symbol dafür, daß Arroganz und Ablehnung von „unzumutbarer" Arbeit im Ostdschungel nicht das Markenzeichen dieser Regierung sind.
Unterstützen Sie unseren Antrag für einen konkreten Termin. Der 1. Mai 1999 ist nach unserer Auffassung technisch und organisatorisch günstig und machbar. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf zu wissen, was auf sie zukommt und wann genau der Umzug präzise stattfindet. Die bisherige Planung des Berlin-Umzuges durch Bundesregierung und Koalitionsfraktionen hat jedoch zu nahezu übereinstimmendem Unmut in breiten Bevölkerungsschichten geführt.
In einer Zeit der rigorosen Umverteilungen von unten nach oben, von arm zu reich, in einer Zeit, in der fast allen Deutschen energisches Sparen verordnet wird, können nicht mit vollen Händen Privilegien für einige wenige verteilt werden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Baumeister.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich auf das personalwirtschaftliche Gesamtkonzept und auf die Wohnraumversorgung konzentrieren. Ich möchte es aber zunächst nicht versäumen zu sagen, daß ich sehr froh bin, daß die Stimmen der Kritiker weniger geworden sind, und daß der Umzug eine große Aufgabe ist, der, Frau Eichstädt-Bohlig - da sind wir uns einig -, sicherlich dazu dient, daß die Vollendung der deutschen Einheit auch Wirklichkeit wird.
Er ist aber auch eine riesige Chance. Er ist eine Chance für den Standort Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Technologie. Hierzu möchte ich nur den Informationsverbund Bonn-Berlin erwähnen.
Gerade weil der Umzug nicht mit irgendwelchen Versetzungen, Umsetzungen oder Betriebsverlagerungen vergleichbar ist, mußten wir Regelungen schaffen, die diesem auch Rechnung tragen. Bei den Bauvorhaben haben wir eine bundeseigene Baugesellschaft mit dem Ziel gegründet, schneller und billiger zu bauen. Mit dem Bonn-Berlin-Gesetz haben wir dem Antrag zur Vollendung der Einheit Deutschlands Rechnung getragen und zwischen Bonn und Berlin eine faire Arbeitsteilung vereinbart.
Wir haben das personalwirtschaftliche Gesamtkonzept und das Dienstrechtliche Begleitgesetz beschlossen, um die Zahl der tatsächlich Umziehenden deutlich kleiner zu halten als die Zahl der Arbeitsplätze, die verlagert werden - insgesamt 18 500. Mit der Wohnungsfürsorge haben wir Maßnahmen getroffen, die auch dieser einzigartigen Herausforderung gerecht werden.
Ich sage, daß der Umzug auf einer soliden Basis steht, daß wir im Zeit- und Kostenrahmen sind - das wurde schon von meinen Vorrednern betont - und daß alle Ungereimtheiten, die hierüber in die Presse gelangen, sicherlich nur der Verwirrung und Irritation dienen.
Ich möchte mich aber, Frau Eichstädt-Bohlig, auf die Teile Ihrer Fragen beziehen, die sich inhaltlich auf die Arbeit der Baukommission beziehen. Hier frage ich mich eigentlich schon, was wir hier tun. Denn viele dieser Fragen haben wir lange diskutiert. Wir haben sie ordentlich beraten und sie dann einer Lösung zugeführt. Hier drängt sich für mich schon ab und zu die Frage auf, ob dies nicht auch ihrer eige-
Brigitte Baumeister
nen Profilierung dienen sollte oder ob es hier tatsächlich um Sacharbeit und Sachfragen geht.
Gerade bei einem so schwierigen Projekt, denke ich, ist es nicht richtig, daß man dies immer wieder in der Öffentlichkeit in die parteipolitische Auseinandersetzung zieht. Hier sollten wir ernsthaft nach Lösungen suchen. Ich glaube, dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, tun wir in diesen Kommissionen.
Ich will mich deshalb darauf beschränken, zu sagen, daß die Fertigstellung des Reichstagsgebäudes und die Wahl des Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin am 23. Mai 1999 natürlich Eckpunkte für den Zeitplan sind und daß der Bundestag dann dort in Berlin arbeiten wird.
Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zum Dienstrechtlichen Begleitgesetz machen, das von Ihnen und Ihrer Fraktion, Frau Eichstädt-Bohlig, immer wieder kritisiert wird.
Es sind, wie Sie vielleicht bemerkt haben, Änderungen eingebaut worden - es sind nicht viele, aber einige -, die das geltende Recht betreffen. Mit der berühmten Regelung zum Kochherd, die im übrigen auf eine Verordnung von 1935 zurückgeht und heute kaum noch irgendwo Anwendung findet - zumindest ist mir das nicht bekannt -, läßt sich natürlich trefflich Stimmung machen. Die Frage, ob das heute noch zeitgemäß ist, will ich nicht beantworten. Ich stelle dies auch in Frage. Aber so zu tun, als ob bei den nach Berlin Umziehenden immer nur obendrauf gelegt wird, ist, glaube ich, infam und sicherlich nicht gerechtfertigt.
Ich möchte hier nur darauf verweisen, daß wir mit einer Sonderurlaubsregelung und mit einer besseren Teilzeitregelung versucht haben, die tatsächliche Zahl der Umziehenden wesentlich kleiner zu halten und damit natürlich auch Kosten einzusparen. Wieviel es sind, kann ich Ihnen heute nicht sagen. Aber ich bin mir sicher, daß dies auch Auswirkungen haben wird; denn eines stelle ich in den Fraktionen, aber auch in Gesprächen mit anderen fest: Die Zahl derjenigen, die bereit sind umzuziehen, steigt. Wir wollen mit den Regelungen und mit dem personalwirtschaftlichen Gesamtkonzept insgesamt erreichen, daß die Zahl derjenigen, die umziehen müssen, noch kleiner wird.
Der Deutsche Bundestag - das wissen Sie - hat zwischenzeitlich mit dem Personaltausch begonnen. Ich denke, gerade den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - da sind wir uns einig - im einfachen und mittleren Dienst sind wir dies schuldig. Als erster Tauschpartner wurde das Statistische Bundesamt vorgestellt. Noch in dieser Woche sollen 322 Stellen für den einfachen und mittleren Dienst beim Statistischen Bundesamt ausgeschrieben werden. Die Ausschreibungen der anderen Tauschbehörden werden in Kürze folgen. Bis Ende des Jahres sollen die Bediensteten des Deutschen Bundestages wissen, bei welcher Tauschbehörde sie künftig tätig sein werden.
Ich stimme all denen zu, die sagen, daß der Personaltausch alleine nicht reichen wird. Deshalb hat sich die Bundesregierung gegenüber der Personal- und Sozialkommission bereit erklärt, Mitarbeitern des einfachen und des mittleren Dienstes den Wechsel auf freie und frei werdende Stellen in Berlin-Ressorts ohne eigene Überhänge und in Bonn-Ressorts zu ermöglichen. Hierzu wird ein geschlossener Bewerberkreis eingerichtet. Das heißt, auf entsprechende Stellen können sich nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Deutschen Bundestages, des Bundespräsidialamtes und des Bundeskanzleramtes bewerben. Im Kreis der Umzugsbeauftragten hat man sich darauf geeinigt, in der Praxis jetzt schon entsprechend zu verfahren, auch wenn ein förmlicher Kabinettsbeschluß hierzu noch aussteht.
Auch wenn es bei der Umsetzung in Einzelfällen zu organisatorischen Problemen kommen sollte, möchte ich der Bundesregierung für die Bereitschaft danken, dies so auszuführen. Der Kabinettsbeschluß wird entsprechend der Zusage der Bundesregierung auch eine Regelung für den gehobenen und den höheren Dienst enthalten. Denkbar wäre hier eine Quotierung. Aber ich will dem nicht vorgreifen.
Ich möchte an dieser Stelle nicht verschweigen, daß die Verwirklichung dieser Pläne sicherlich zu einem Zielkonflikt führen wird. Das liegt daran, daß die Zahl der frei werdenden Stellen relativ gering ist, da wir eine zweiprozentige Stellenkürzung beschlossen haben.
Ich denke, daß wir dann, wenn diese Maßnahmen, nämlich Personaltausch und geschlossener Bewerberkreis, nicht ausreichen, die Anregung aufgreifen sollten, die uns im übrigen auch der Bundesrechnungshof vorgetragen hat, nämlich eine zentrale Personalbörse einzurichten; auch hierin stimme ich Ihnen zu.
Wir halten uns auch an die Vereinbarungen mit dem Land Berlin, wonach der Bund die erforderlichen Infrastruktureinrichtungen selbst mitbringen soll. Dies, Herr Warnick, gilt eben auch für die Kita, die Sie angesprochen haben. Es ist nicht richtig, zu behaupten, daß wir uns als Deutscher Bundestag verweigert hätten. Es lag kein Angebot vor - Herr Staatssekretär Wartenberg nickt. Wenn ich die Vorgänge richtig deute, ist das Problem auf eine Streitigkeit innerhalb des Bezirks Berlin-Mitte zurückzuführen und damit ein besonderes Problem der PDS. Aber das will ich an dieser Stelle nicht gesondert ausführen.
Wir haben uns auch verpflichtet, für Bundeswohnungen zu sorgen. Ziel war und ist es, eine zusätzliche Belastung für den Berliner Wohnungsmarkt zu vermeiden; denn der Bund hat immer gesagt, er bringe seine Wohnungen mit. Wir wollten nicht zu einem Verdrängungsprozeß auf dem Berliner Wohnungsmarkt beitragen.
Erlauben Sie mir noch zum Schluß - meine Redezeit läuft ab - eine Bemerkung zu dem Sonderausschuß Berlin-Umzug, Frau Eichstädt-Bohlig. Mir ist die Sinnhaftigkeit nicht klar. Ich denke, daß wir schon genügend Gremien haben, die zu diesem Aus-
Brigitte Baumeister
schuß in Konkurrenz stehen würden. Ich sehe in einem solchen Oberausschuß mehr Verwirrung als konstruktiven Nutzen. Ferner sehe ich nur mehr Bürokratie, längere Entscheidungswege und letztendlich Mehrarbeit für die Parlamentarier. Denn in diesem Ausschuß sitzen dieselben Abgeordneten wie in der Baukommission, in der Personalkommission und in den anderen Ausschüssen. Ich frage mich: Was soll das Ganze?
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Conradi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich sind wir schon in Berlin; denn wir hatten am 20. Juli 1991 beschlossen, daß wir in vier Jahren in Berlin sein wollten.
Warum sind wir noch nicht in Berlin? Weil die äußerst knappe Mehrheit von 18 Stimmen bei 660 abgegebenen Stimmen für ein solches Großprojekt nicht ausgereicht hat. In den beiden großen Fraktionen war eine Mehrheit gegen Berlin.
- Jetzt wollen Sie auf einmal zwischen den beiden Parteien unterscheiden. Ansonsten treten die Parteien CDU und CSU gemeinsam als Fraktion auf. Machen Sie einmal langsam! Sie waren mehrheitlich dagegen; wir waren mehrheitlich dagegen.
Es hat drei Jahre intensiver, sehr mühsamer Verhandlungen in der Föderalismuskommission, in der Konzeptkommission, in der Baukommission und in der Personalkommission gebraucht, um viele Kompromisse zu erreichen. Der Rheinbund hat hart geschachert. Am Schluß gab es nur noch Gewinner. Wir haben dann 1994 mit großer Mehrheit, einschließlich der Grünen, das Berlin-Bonn-Gesetz beschlossen und den Terminplan für den Umzug, den Kostenrahmen und die Einzelheiten festgelegt. Wir konnten also den Beschluß mit der knappen Mehrheit nicht in vier Jahren umsetzen. Jetzt werden es acht Jahre.
Wenn wir nun von einigen aufgeregten Berlin-Politikern und Berliner Journalisten gescholten werden, dann nehmen wir das gelassen hin. Man braucht tragfähige Mehrheiten - so ist Demokratie -; geschrieben ist allemal schneller und leichter als geplant und gebaut.
Unsere Aufgabe, die Bauten für den Bundestag in Berlin gut zu planen, den Umzug vernünftig und kostengünstig zu bewerkstelligen, die Arbeitsfähigkeit des Parlaments in jedem Zeitraum zu sichern und eine angemessene Gestaltung des Baus für die demokratische Volksvertretung zu finden, ist überwiegend kein Streitpunkt zwischen der Regierungsmehrheit und der Opposition. Sie ist vielmehr eine Aufgabe des ganzen Hauses.
Natürlich gibt es ab und zu Parteienstreit, etwa wegen der Kuppel. Die CDU/CSU wollte auf einmal die von ihr favorisierte Kaiser-Wilhelm-Kuppel. Die F.D.P. hat gesagt, daß dies nicht im Koalitionsvertrag stehe. Die SPD hat dann zähneknirschend einer modernen Kuppel zur Mehrheit verhelfen müssen. So war es, Herr Kansy. Sie werden mir das bestätigen.
Im Zuge der Beratungen über das schreckliche Tunnelprojekt haben die Koalitionsfraktionen den größten Tunnel aller Zeiten durchgesetzt.
Ich höre, daß es bei Ihnen Streit gibt, ob der Tunnel Brigitte-Baumeister-Tunnel oder Dietmar-KansyTunnel heißen soll.
Unser Vorschlag ist: Wir nennen ihn CDU/CSU- F.D.P.-Tunnel, damit klar wird, wer diesen Tunnel damals beschlossen hat.
Immerhin ist es uns auf Initiative der Bündnïsgrünen gelungen, die Koalitionsfraktionen für ein zukunftsorientiertes, ökologisch vernünftiges, energiesparendes Bauen zu gewinnen. Es wird sich nur nicht überall rechnen, weil es in diesem Haus noch keine Mehrheit für die längst überfällige Besteuerung des Energieverbrauchs gibt. Aber irgendwann wird es sich einmal rechnen. Nur finde ich es unanständig, Frau Eichstädt-Bohlig, auf der einen Seite verteuernde Maßnahmen durchzusetzen und sich dann in der Öffentlichkeit zu beklagen, es werde alles zu teuer.
Es geht also überwiegend nicht um Parteienstreit. Es geht überwiegend um saubere handwerkliche Arbeit, damit das Parlament in Berlin arbeitsfähig ist. Es wäre schön, wenn auch Sie, die Bündnisgrünen, das allmählich begreifen würden und Mehrheitsentscheidungen akzeptieren könnten. Ihr nörglerisches Gezeter im Stil der „Bild"-Zeitung, das alles würde zu teuer, und Vokabeln wie Selbstbedienung
sind wirklich nicht am Platze, vor allem, wenn man Bescheid weiß, wie die Entscheidungen zustande kommen und um was es hier geht.
Wer sich auf diese Weise öffentlich anbiedert, Frau Eichstädt-Bohlig, indem er das Parlament schlechtmacht, macht auch sich selbst schlecht.
Ich finde es zudem komisch, wenn Sie hier die Bundesregierung, so als wäre der Herr Bauminister unser Vorgesetzter, fragen, was sie denn von den Parlamentsbauten halte. Sie wissen doch ganz ge-
Peter Conradi
nau, daß wir alleine in Baukommission, Ältestenrat und Haushaltsausschuß für die Parlamentsbauten und ihre Kosten verantwortlich sind, die Regierung aber überhaupt nicht. Wenn Sie diese hier zum Vorgesetzten machen und fragen, kann ich nur sagen: Ihr seid mir schöne Parlamentarier!
Zu den Kosten will ich Ihnen hier noch einmal Adolf Arndt zitieren. Er war einmal der Kronjurist der SPD. Er hat einen Vortrag über „Demokratie und Bauen" gehalten. Er hat gesagt:
Immer ist es ein Alarmzeichen, wenn in einer Demokratie, die Vergeudung keineswegs scheut, der Fanatismus einer angeblichen Sparsamkeit laut wird, daß die Gesellschaft es ja gar nicht wert sei, sich selbst in Bauten Organe zu geben, die dem Gemeinsamen gewidmet sind. Eine Demokratie ist nur so viel wert, wie sich ihre Menschen wert sind, daß ihnen ihr öffentliches Bauen wert ist.
Das sollten Sie einmal überlegen.
Über diesen Bau hier - ich erinnere mich - sind in der Presse dieselben Debatten geführt worden, die Sie dauernd anzetteln. Aber heute sagen nicht nur viele Menschen im Inland, sondern auch außerhalb Deutschlands, daß dieser Bau, an dem wir als Baukommission, als Bauherren beteiligt waren - Sie noch nicht -, die deutsche Demokratie in einer würdigen, in einer offenen, in einer schönen Weise darstellt. Und darum geht es auch in Berlin.
Ein Parlamentsgebäude ist, Frau Eichstädt-Bohlig, kein Finanzamt. Es geht nicht um Unbescheidenheit, wie Sie hier unterstellen. Es geht schon gar nicht um Luxus oder um überhöhte Ansprüche, sondern es geht um zweckmäßige Räume für die Arbeit eines Parlaments, für Begegnung, für Diskussion, für Streit und für Kompromiß, für Kommunikation untereinander, für Kommunikation mit den Medien und denen, die uns hierher geschickt haben. Wer die Parlamentsbauten wie Sie mit irgendwelchen beliebigen Investoren-Bürokästen vergleicht, der weiß wenig von parlamentarischer Arbeit, beleidigt in Wirklichkeit das Volk und seine Vertretung.
Berlin ist nicht Bonn. Manches wird dort anders sein, auch in den Bauten. Wir bemühen uns dort wie hier um Offenheit, Zugänglichkeit, Freundlichkeit. Vielleicht gelingt uns das. Wir wollen kein bauliches Würdegehabe mit neuklassizistischer Langeweile, mit diesen Natursteinverkleidungen, wie sie in Berlin zur Zeit befohlen werden.
Zur Zugänglichkeit gehört, daß die Menschen, die zu uns kommen, sich bei uns willkommen fühlen, daß das Volk bei der Volksvertretung zu Hause ist, daß sie hier nicht geduldet, nicht architektonisch herumkommandiert werden. Das ist uns hier im Bonner Plenarsaal ganz gut gelungen. Beim Reichstag, der allein von der Architektur her ein anderer Bau ist, ist das schwerer. Aber, ich glaube, wir werden auch dort erfolgreich sein.
Ich will ein Wort zum Platz der Republik sagen. Der Parlamentsbereich muß sich als Standort der Gesetzgebung eines demokratischen Staatswesens präsentieren. Von daher verbietet sich eine Isolierung und Abschottung gegen die Öffentlichkeit.
Wir haben gemeinsam - gemeinsam, Herr Dr. Kansy - die Ausschreibung für den städtebaulichen Ideenwettbewerb Spreebogen beschlossen. Die Sicherheit des Parlaments läßt sich mit dem Versammlungsgesetz gewährleisten. Parlamente anderer Länder mit längerer demokratischer Erfahrung als wir brauchen keine Bannmeile. Es wäre kleinmütig, ja, erbärmlich, wollten wir das Volk in Berlin von der Volksvertretung fernhalten,
wollten wir es fernhalten von dem Platz, auf dem Ernst Reuter damals bei der Blockade die Völker der Welt aufgerufen hat: „Schaut auf diese Stadt!", wollten wir das Volk fernhalten von dem Platz, auf dem John F. Kennedy sagte, er sei ein Berliner.
- Da lasse ich mich korrigieren. Ich war der Meinung, es sei vor dem Reichstag gewesen. Ich werde es nicht mehr sagen, es ist ja in Ordnung.
Nur wer uns da vom „Druck der Straße" schwafelt, den wollen wir daran erinnern, daß die Einheit Deutschlands möglich wurde, als die Menschen in der DDR friedlich auf die Straße gingen. Das soll auch in Berlin überall, das soll auch auf dem Platz der Republik möglich sein.
Am Potsdamer Platz baut das deutsche Kapital, an seiner Spitze Daimler-Benz; weniger als 1 000 Meter nördlich im Spreebogen baut die deutsche Demokratie - ein spannender Wettbewerb. Ich bin zuversichtlich, daß wir, der Bauherr Demokratie, am Ende gut dastehen werden.
Über die Bundeshauptstadt Bonn schrieb Wolfgang Pehnt 1979 - das möchte ich noch gern zitieren -:
Vielleicht ist der lange Weg zur Bundeshauptstadt auch ein Abbild der Gesellschaft, die ihn geht, widersprüchlich in ihren Interessen, bald kleinmütig, bald zu großen Zielen aufgelegt, die sich dann wieder nicht realisieren lassen. Doch immerhin auch offen für Revisionen, für neue Ideen; gezwungen, aber auch fähig zum Kompromiß in der Hoffnung, daß es letzten Endes ein guter Kompromiß wird oder doch ein halbwegs erträglicher.
Das, was Wolfgang Pehnt vor fast 20 Jahren über den
mühsamen Weg Bonns zur Bundeshauptstadt gesagt
Peter Conradi
hat, gilt wohl auch für Berlin. Ich hoffe, es wird ein guter Kompromiß. Er soll uns gut gelingen.
Das Wort hat jetzt Bundesminister Dr. Klaus Töpfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte am Anfang unterstreichen, daß der Umzug mehr als eine rein organisatorische Aufgabe ist. Es ist eine Aufgabe, die im Mittelpunkt des deutschen Einigungsprozesses steht in einer Zeit, in der die bipolare Welt überwunden werden konnte, in der Europa eine neue, eine weitere Perspektive gewinnt. Diese Entscheidung in dem vorgegebenen Zeitrahmen umzusetzen trägt zur gesamtgesellschaftlichen und gesamtpolitischen Profilierung dieses Landes bei.
Deswegen habe ich allen Anlaß, zunächst sehr herzlich dafür zu danken, daß wir an vielen Stellen die Kraft und die Überzeugung gefunden haben, dies nicht als eine parteipolitische Veranstaltung zu verstehen, daß wir über Parteigrenzen hinweg zusammengearbeitet haben und daß wir, wenn es einmal Mißverständnisse gab, zusammenkommen konnten, um sie wieder auszuräumen. Dafür habe ich der Personal- und Sozialkommission zu danken.
Frau Kollegin Baumeister hat sehr sachlich und deutlich dargestellt, was wir in der Personal- und Sozialkommission gemeinsam entschieden und vorgelegt haben, was notwendig war, um vielen Menschen frühzeitig ihre Sorgen zu nehmen - hier in Bonn, aber auch in Berlin. Denn bisher hat noch niemand darauf hingewiesen, daß dieser Beschluß zwei Seiten hat
- richtig, Entschuldigung! - und daß er auf beiden Seiten Menschen betrifft, die intensiv fragen: Wann kann ich mehr Klarheit bekommen?
Ich habe der guten Zusammenarbeit mit der Baukommission zu danken. Natürlich gibt es dort Überschneidungen; das ist gar keine Frage. Natürlich werden wir noch den einen oder anderen Rechnungshofbericht bekommen, weil er an uns gerichtet ist, obwohl er vielleicht Entscheidungen des Parlaments betrifft. Auch das kann man, glaube ich, in guter Zusammenarbeit klären. Daß sich unsere Zusammenarbeit bis zu den Gremien der Bundesbaugesellschaft erstreckt, ist eine vernünftige Regelung.
Ich habe auch dem Haushaltsausschuß ganz herzlich zu danken. Herr Kollege Koppelin ist, glaube ich, noch als einziger Vertreter des Haushaltsausschusses hier.
- Weng war da; es waren alle da. Ich wollte das gar nicht kritisch anmerken.
Natürlich war man nicht immer beglückt, wenn man aus dem Haushaltsausschuß kam. Ganz am Ende aber ist man doch wesentlich vorangekommen. Es wird der großen Aufgabe schon gerecht, daß wir unsere Ziele in Angriff nehmen, daß wir immer nach der gemeinsamen Position suchen, nicht um falsche Kompromisse zu erreichen, sondern um zu belegen: Dies ist im wiedervereinten Deutschland eine Herausforderung eigener Art.
Wir sollten deswegen mit großem Nachdruck darauf aufmerksam machen, daß Wichtiges auf den Weg gebracht worden ist. Das Dienstrechtliche Begleitgesetz ist genannt worden. Es wurde hier in diesem Hause mit breiter Mehrheit verabschiedet.
Auch hier warne ich generell davor, der Verlokkung zu erliegen, aus der Profilierung gegen dieses Gesetz Schlagzeilen zu machen. Meine Damen und Herren, wer dieser Verlockung erliegt - und es gibt einige, die ihr immer wieder erliegen -, der wird hinterher sehen, daß er die Schlagzeile schnell verloren hat, daß er aber Menschen verunsichert hat. Das ist ein sehr hoher Preis, den wir nicht zahlen sollten.
Es gibt den „goldenen Handschlag" nicht. Es stimmt nicht, was man dem öffentlichen Dienst immer wieder vorwirft, daß man seine Mobilität nur durch gewaltige Zuschüsse ermöglichen könne.
Es ist mit Augenmaß gehandelt worden, mit der klaren, entscheidenden Zielsetzung: Tun wir alles, um die Zahl der Umziehenden so gering wie nur möglich zu halten! Das ist die übergeordnete Zielsetzung. Sie ist ökonomisch richtig; denn jeder Umzug, der nicht stattfinden muß, spart uns Geld. Außerdem erspart er den Menschen etwas, was sie für sich möglicherweise gar nicht mehr nutzen könnten oder wollten.
Es gibt hier keinen goldenen Handschlag. Wir versuchen, eine möglichst vernünftige Linie zu finden, um sagen zu können: Wenn es irgendwie geht, werden wir den betroffenen Menschen den Umzug nicht abverlangen. Aber wenn dies nicht geht, gilt unstrittig die Folgepflicht.
Ich freue mich darüber, daß der Deutsche Bundestag selbst diese Initiative jetzt ergriffen hat, daß der Tauschpartner Statistisches Bundesamt aufgenommen worden ist und daß es gute Chancen dafür gibt, das wahr zu machen, was wir uns vorgenommen haben, nämlich den Bediensteten im einfachen und mittleren Dienst, die vor dem Umzugsbeschluß eingestellt worden sind, den Umzug zu ersparen. Das ist das Ziel.
Ich meine, dies ist in Kenntnis der Lage der Menschen außerordentlich sinnvoll.
Wir sind bei dem Unterbringungskonzept der Bundesregierung ein gutes Stück weitergekommen. Keine Frage. Es ist richtig und gut, daß wir in besonderer Weise vorhandene Bausubstanz nutzen wollen. Ich kann das, was Kollege Conradi hier gesagt hat,
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
nur unterstreichen: daß wir uns in die Stadt, in ihre Geschichte hineinarbeiten, indem wir vorhandene Bausubstanz nicht deswegen ablehnen, weil sie vielleicht in einer Zeit deutscher Geschichte geschaffen worden ist, die heute zu ihren ganz schwarzen Teilen zählt. Dies ist eine vernünftige Herausforderung und wird dazu beitragen, daß wir kein Regierungsghetto bekommen, sondern uns in die Jahresringe dieser Stadt, in ihre Geschichte voll und ganz einbinden. Das ist eine prima Sache.
Zu beklagen ist, meine Damen und Herren, daß „Preußens" noch nicht die Richtlinien für Normbüros gehabt haben - das ist wahr - und daß das Verhältnis von Hauptnutzfläche zu Bruttogeschoßfläche vielleicht manchmal schlechter ist als bei dem von Herrn Kollegen Conradi angesprochenen Investorenblock. Das verteidige ich sehr offensiv. Es wäre schade, wenn der geologisch wunderbare Innenhof an der Invalidenstraße nur deswegen nicht erhalten bliebe, weil er im Raumkonzept des Verkehrsministeriums nicht vorgesehen ist. Das zu verhindern, muß sich eine Demokratie vornehmen. Deswegen wird das so gemacht.
Damit sich keine falschen Zahlen festsetzen: Die Bundesregierung hat beschlossen, daß das Bundesinnenministerium in ein Mietobjekt zieht. Sie hat es beschlossen, nachdem der Kostenvergleich vorgenommen worden war und nachdem deutlich war, daß alle fünf damals betrachteten Mietobjekte deutlich billiger sind als die Modernisierung dieses Gebäudes an der Französischen Straße. Wer sich die Zeit genommen hat, sich das Gebäude einmal anzusehen, wird sagen: Das ist nachvollziehbar. Daß wir gerade an diese Stelle ein Innenministerium bauen, kann der eine oder andere vielleicht nur positiv finden, wenn er darüber nachdenkt.
Nur damit es klar ist: In dem vom Finanzministerium, vom Bauministerium und vom Innenministerium dem Haushaltsausschuß mittlerweile zugeleiteten Schreiben steht deutlich, daß der Barwert dieses Anmietens bei 266,809 Millionen DM liegt, nicht bei den von Ihnen gerade genannten 425 Millionen DM. Selbst wenn Sie alle Nebenkosten in den Barwert hineinrechnen, was wir bei der anderen Rechnung nicht gemacht haben, kommen Sie auf eine Größe von rund 365 Millionen DM. Ich wollte das, damit es nicht falsch im Raum stehenbleibt, richtiggestellt haben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gern.
Doch, ich muß an dieser Stelle leider Zahlen nennen.
Zum einen habe ich die Frage, ob in Ihrer eigenen Vorlage nicht der Barwert von summa summarum 401 Millionen DM genannt wird zuzüglich 18,5 Millionen DM als Einmalzahlung.
Zum zweiten ist mir eine andere Frage wichtig. In der Großen Anfrage haben Sie dargelegt, daß Sie die Mauerstraßengebäude nicht, wie in dem KPMG-Gutachten dargestellt, vermieten, sondern für nachgeordnete Behörden nutzen wollen. Insofern frage ich Sie schon, ob die Gebäude, wenn sie für nachgeordnete Behörden hergerichtet werden, keine Erneuerungsmaßnahmen brauchen oder wie Sie in einem solchen Fall den Wert der Gebäude anrechnen und warum da so widersprüchliche Angaben von Ihnen gemacht worden sind.
Liebe Frau Eichstädt-Bohlig, gern will ich Ihnen das alles beantworten. Eines möchte ich aber auch sagen: Wenn wir uns bei diesem Thema, das wir heute endlich einmal hier im Hohen Hause erörtern, auf diese Ebene begeben, dann kommen wir bald dahin, daß alle Menschen glauben, wir sind nur noch mit der letzten kleinen Schraube beschäftigt und wissen gar nicht mehr, wo das insgesamt eigentlich hinführt.
Im gegenwärtigen Zeitpunkt ist in diesem Haus eine nachgeordnete Behörde untergebracht; dort sitzt die Gauck-Behörde. Die Frage mußten wir Ihnen sinnvollerweise so beantworten. Es ist ganz unstrittig, daß dann, wenn wir das Bundesinnenministerium dort unterbringen, andere Sanierungsmaßnahmen, einschließlich der Sicherungsmaßnahmen, erforderlich sein werden, als wenn wir eine nachgeordnete Behörde dort unterbringen. Deswegen ist das nachhaltig vernünftig und richtig, was hier beschlossen worden ist. Dies ist der ganze Zusammenhang.
Ich kann Ihnen das auch noch einmal mit allen Details schriftlich geben. Ich wollte nur nicht, daß das so stehenblieb; so etwas verfestigt sich doch schnell.
Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen. Die Anträge, die uns hier vorliegen, betreffen Berlin, aber auch Bonn. Mir liegt sehr daran, deutlich zu machen, daß wir auch das, was wir im Bonn-Ausgleich entwickelt haben, in voller Übereinstimmung verläßlich fixiert haben und umsetzen, daß wir von den 2,81 Milliarden DM gegenwärtig schon einvernehmlich 2 Milliarden DM für Maßnahmen vorgesehen haben und daß solche Institutionen wie Caesar und die Fachhochschulen gefördert werden. Ich kann nur sagen: Wir sollten alles daransetzen, nicht nur glaubwürdig in bezug auf Zeit und Kosten mit Blick auf Berlin zu sein, sondern auch mit Blick auf Bonn. Die Menschen hier in Bonn haben diese Verläßlichkeit
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
verdient. Ich wollte das nur als Ergänzung anfügen, damit das nicht untergeht.
Ich freue mich natürlich schon darüber, daß wir das Nutzungskonzept für die Gebäude - Bonn-Konzept - hier einvernehmlich festgelegt haben; ich freue mich schon darüber, daß es uns gelungen ist, die Tür für Bonn als einen UN-Standort aufgemacht zu haben. Das ist weiß Gott nicht leicht gewesen. Ich kann nur sagen: Viele haben gut zusammengearbeitet, um dieses Ziel zu erreichen. Ich freue mich sehr darüber, daß wir auch die Möglichkeit haben, die Gebäude mit in der Höhe überschaubaren Mitteln so zu renovieren, daß sie für die Nachnutzung bereit sind. Es ist also nicht nur eine Seite betroffen. Vielmehr behandeln wir beide Seiten, glaube ich, mit gleicher Ehrlichkeit und Nachdrücklichkeit.
Lassen Sie mich noch einige wenige Sätze zum Wohnungskonzept sagen. Zunächst einmal ist es erfreulich, daß wir den ersten Spatenstich für den Moabiter Werder gemacht haben. 716 Wohnungen entstehen dort, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Parlament im Rahmen einer wirklich sinnvollen, guten Regelung.
Wir haben die Investorenwettbewerbe für die anderen Baumaßnahmen auf den Weg gebracht. Der Wettbewerb für den Flughafen Gatow ist ebenfalls auf gutem Weg. Wir wollen städtebauliche Zeichen in einer Stadt setzen, in der es solche Wohnsiedlungen wie „Onkel Toms Hütte" gibt. Es wäre vielleicht ganz gut, daß wir auch in bezug auf den Wohnungsbau Zeichen dafür setzen könnten, wie so etwas insgesamt zu entwickeln ist. Ich weiß, daß viele engagierte und qualifizierte Berliner Architekten und Architektenbüros sich daran beteiligen. Ich hoffe, daß wir auch hier ein gutes Beispiel setzen können.
Ich füge wieder hinzu: In gleicher Weise müssen wir uns um die Wohnungsfürsorge in Bonn mit kümmern. Es ist gut, daß in dem 20-Milliarden-DM-Programm jetzt auch 150 Millionen DM für die Wohnungsfürsorge in Bonn vorgesehen sind. Auch das ist wichtig, damit diejenigen, die aus Berlin hierherkommen, wissen, daß für sie wirklich etwas getan wird.
Ein Allerletztes, meine Damen und Herren. Natürlich ist der Rechnungshofbericht im Hinblick auf die Organisationsfragen von großer Bedeutung. Keiner wird die Ausführungen des Rechnungshofs nicht ernst nehmen. Die Bundesregierung nimmt sie ernst. Ich kann nur in bezug auf das von mir geleitete Ministerium, das Bauministerium, folgendes sagen: Wir werden gegenwärtig bereits davon auszugehen haben, daß im Personalbereich ein Minus von 20 Prozent erreicht wird. Wir hatten eine Zahl von über 600 Mitarbeitern, und diese Zahl wird dann bei 480 liegen. Von über 74 Referaten werden 20 gestrichen; von 11 Unterabteilungen werden 4 ersatzlos gestrichen. Was den nachgeordneten Bereich anlangt, werden wir die zwei großen Einrichtungen, nämlich Bundesbaudirektion und Bundesforschungsanstalt für Raumordnung und Landeskunde, zusammenfassen. Es wird verschlankt, und das wird jedem einzelnen Ressort abverlangt. Das wird in einem Bericht, den der Kollege Kanther vorlegen wird, noch einmal für die Bundesregierung zusammenfassend vorgetragen.
Ich weiß, daß der Kollege Scholz in seiner Kommission zum schlanken Staat genau in dieselbe Richtung denkt, so daß wir im Dialog mit dem Parlament unsere Hausaufgaben machen werden. Eine Gefährdung des Kostenrahmens oder des Zeitraums des Umzugs ist davon jedenfalls nicht zu erwarten. Wir haben diese „differenzierte Backpfeife", wie der Kollege Weng, glaube ich, gesagt hat, sicherlich gespürt und werden das so umsetzen.
Ich sage noch einmal: Dies ist eine Herausforderung, der sich die Bundesregierung ohnehin stellt. Es geht nicht um die Frage, ob der Rechnungshof in seinem Bericht schon alle Informationen aufgenommen hat, die in der Zwischenzeit vorliegen. Ich glaube, daß das nicht der Fall ist. Aber das werden wir in aller Ruhe und Sachlichkeit auf den Tisch legen. Zu glauben, man wolle hier keine Reformfähigkeit beweisen, ist schlicht und einfach an der Sache vorbei-
diskutiert.
Abschließend: Das ist ein großes Projekt für Parlament und Regierung. Wenn wir belegen könnten, daß wir uns im Zeit- und Kostenrahmen gut bewegen, ohne uns parteipolitisch an jeder Ecke zu verkeilen, wäre das ein gutes Signal im wiedervereinten Deutschland.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6822 zur federführenden Beratung an den Ältestenrat und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3989, 13/5371 und 13/6821 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Die Überweisungen sind so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und F.D.P. zu einem ökologischen Konzept für die Parlaments- und Regierungsbauten in Berlin. Das ist die Drucksache 13/5156. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3042 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh-
Vizepräsidentin Michaela Geiger
lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Lennartz, Dr. Marliese Dobberthien, Susanne Kastner, weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD
Minimierung hormonell wirkender Chemikalien, die ins Wasser gelangen
- Drucksache 13/4786 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Gila Altmann , Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Maßnahmen gegen eine Umweltgefährdung durch hormonell wirksame Chemikalien
- Drucksache 13/6146 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Klaus Lennartz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer es wagt, Umweltrisiken offen anzusprechen, muß wissen, daß er von dieser Regierung nicht gerade mit Begeisterungsstürmen aufgenommen wird. Dann spult diese Koalition immer das gleiche Ritual ab: Zunächst wird versucht, das Problem zu verniedlichen oder gar zu ignorieren. Wächst der öffentliche Druck und zwingt zur Stellungnahme, beruft man sich gerne auf fehlende 100prozentige wissenschaftliche Beweise, um die eigene Untätigkeit unter Beweis zu stellen.
Dies war in der letzten Umweltdebatte über den Elektrosmog so und wird sich nach dem altbekannten Muster wiederholen; vielleicht mit einem kleinen Unterschied: Der Presse ist es zu verdanken, daß die drohende Gefahr für die Menschen durch hormonell wirkende Chemikalien stärker ins Zentrum des öffentlichen Bewußtseins und Interesses gerückt ist. Renommierten Zeitungen und Nachrichtenmagazinen war die Kleine Anfrage der SPD allemal eine Titelgeschichte wert. Bei der Bundesregierung ruft sie lediglich ein Achselzucken hervor. Doch, sehr verehrter Herr Staatssekretär, dem öffentlichen
Druck wird sich Ihre Umweltministerin, ob sie will oder nicht, stellen müssen.
Jahr für Jahr gehen in Deutschland allein 20 Millionen Packungen mit Antibabypillen über den Ladentisch, 700 000 Tonnen Waschmittel fließen jährlich in unsere Abwässer, und 28 000 Tonnen Pestizide werden im Jahr auf ein Drittel der Gesamtfläche Deutschlands versprüht. Die in diesen Produkten enthaltenen hormonell wirkenden Substanzen können in den Kläranlagen auch modernster Art nicht abgebaut werden. Sie gelangen beispielsweise über das Uferfiltrat wieder in unser Trinkwasser, in ländlich geprägten Gebieten in die Trinkwasserbrunnen.
Insgesamt werden 100 000 Industriechemikalien europaweit in die Gewässer gespült, in die Luft geblasen und auf Feldern versprüht. Alljährlich kommen tausend neue Chemikalien hinzu. Nur wenn man weiß, wonach man sucht, wird man auch etwas finden. Aus diesem Grunde müssen sämtliche Inhaltsstoffe offengelegt werden.
Wir schwimmen in einem Meer von Östrogenen und Umweltgiften, deren Gefahren für die Menschen wir heute nur erahnen können. Wir stehen am Anfang eines Dramas; der Vorhang beginnt sich gerade erst zu heben.
Es klingt vielleicht bei dem einen oder anderen lächerlich, aber unter hormonellen Gesichtspunkten ist es wahr: Jeder Mann hier und außerhalb dieses Plenums ist nur halb soviel Mann wie sein eigener Großvater. Das gilt auch für Herrn Kansy, der hier intensiv seine Gespräche führt. Nun sind schlaffe Typen in der Politik keine Seltenheit. Man sehe sich nur diese Regierung an, bezogen auf die Arbeitslosigkeit, dann wissen Sie, wovon ich rede.
Diese Aussage aber klingt weniger lächerlich, wenn man weiß: Allein in den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Spermien von 45 bis 60 Millionen pro Milliliter auf 20 bis 30 Millionen pro Milliliter im Durchschnitt bei allen deutschen Männern gesunken. Dies ist ein alarmierender Trend, der leider weltweit überall Bestätigung findet. Man muß sich deshalb ernsthaft und ohne Panikmache der Frage annehmen, ob der männliche Teil der Bevölkerung in einigen Jahren überhaupt noch zeugungsfähig ist. Ich weiß, daß das für den einen oder anderen etwas lächerlich klingt. Aber es sind nun einmal Fakten und Tatsachen, an denen wir nicht vorbeigehen können. Und Sie, meine Damen, gehen bitte davon aus, daß Sie nicht ausschließen können, von diesen hormonellen Wirkungen demnächst ebenfalls betroffen zu sein. Das wissen wir noch nicht.
Lassen Sie mich einen Vergleich aus dem Tierreich nehmen: Ein Veterinär jedenfalls würde schon heute jeden Zuchtbullen mit diesem Spermiogramm sofort
Klaus Lennartz
notschlachten. Das können Sie gerne auf sich beziehen.
Als Ursachen des Spermienrückgangs sind Umweltgifte mit östrogener Wirkung benannt. Die verniedlichende Erklärung, zu enge Beinkleidung sei ein Grund, was gerne von der F.D.P. formuliert wurde, ist damit vom Tisch. Wir wissen heute nicht, was wir morgen wissen werden. Aber mit etwas gesundem Menschenverstand läßt sich ein UrsacheWirkungs-Geflecht heute schon erkennen. Das ist annähernd genug. Das können auch Sie nicht vom Tisch wischen.
Obwohl die Wissenschaftler erst jetzt beginnen, sich mit den gesundheitlichen Folgen östrogener Stoffe zu befassen, zeigen erste Studien an Mensch und Tieren eine Verbindung zwischen hormonell wirkenden Chemikalien und ihren unzähligen Auswirkungen auf. Studien aus vielen Teilen der Welt über die Verweiblichung männlicher Vögel, Reptilien und Fische sprechen eine deutliche Sprache. Weltweit registrieren Wissenschaftler unter Männern eine Zunahme von Hodenanomalitäten, Mißbildungen im Genitalbereich, eine Verschlechterung der Qualität und Quantität von Spermien sowie eine Zunahme von Prostatakrebs. Wie ich eben bereits sagte: Keiner kann ausschließen, ob nicht ähnlich gefährliche hormonelle Wirkungen auch bei Frauen auftreten können.
Hormonell wirksame Substanzen sind allgegenwärtig. Wir essen sie, wir trinken sie und wir atmen sie ein. Synthetische Hormone begegnen uns in Konservendosen und Kronkorken ebenso wie in Lebensmittelverpackungen, Reinigungs- und Waschmitteln sowie in vielen fetthaltigen Lebensmitteln. Ein privater Vorsorgeschutz ist angesichts der Vielzahl der Substanzen für die Bevölkerung schlichtweg unmöglich.
Von vielen dieser chemischen Stoffe geht eine akute Vergiftungsgefahr aus. Das ist richtig. Aber der ständige Nachschub aus Nahrung und Trinkwasser sorgt für eine gleichbleibend hohe Konzentration im menschlichen Körper, die sich auf das menschliche Hormonsystem negativ auswirkt.
Besorgniserregend ist auch, daß die Ansammlung mehrerer hormonähnlicher Stoffe selbst in geringen Konzentrationen verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann. Ich erinnere insbesondere an den Trend der zunehmenden Verschlechterung der Körperabwehrkräfte und die Defekte im Immunsystem. Ich glaube, es ist auch in diesem Hause kein Geheimnis mehr, daß 30 Millionen Deutsche an Allergien oder Asthma leiden. Diese Schäden sind das alarmierendste Warnsignal für die Gefahren, die von den Umweltbelastungen auf die Menschen ausgehen.
Dabei kann vorbeugender Gesundheits- und Umweltschutz Kosten drastisch reduzieren helfen. Allein in Deutschland betrugen 1994 die Ausgaben für den Gesundheitssektor 460 Milliarden DM. Vielleicht sollte sich Gesundheitsminister Seehofer das einmal vor Augen führen, bevor er den Kranken in die Tasche greift. Die Ursache muß behandelt werden und nicht ihre Auswirkungen.
Vernetztes Denken ist hier gefragt, nicht End-of -the-
pipe-Denken.
Doch diese Regierung übt sich in Wohlgefälligkeit und ignoriert jegliche Maßnahme zum vorbeugenden Gesundheitsschutz. Ich nenne ein Beispiel: Ende 1995 teilte der Parlamentarische Staatssekretär Walter Hirche auf meine Frage mit - man höre genau zu! -, daß die östrogene Wirkung von Stoffen bisher kein Kriterium bei der Bewertung des Gefährdungspotentials für die menschliche Gesundheit darstelle. Das war die Auskunft im Oktober 1995.
Meine Damen und Herren, von den 100 000 im Umlauf befindlichen Chemikalien sind bisher nur 0,1 Prozent - sprich: 100 - auf ihre hormonelle Wirkung untersucht worden. Vor diesem Hintergrund verwundert die Aussage von Herrn Hirche allerdings nicht. Sie ist ein Ausdruck von Ignoranz und dreister Verharmlosung.
Die Nationale Akademie der Wissenschaften in den USA hat ein Expertengremium zur Bewertung dieser Bedrohungen mit einem umfangreichen Forschungsprogramm eingerichtet. Herr Staatssekretär, Sie wollen doch nicht sagen, daß es sich dort um reine Phantasten handele, die diese Auskünfte erteilt haben - im Gegensatz zu Ihnen. Glauben schützt vor Schaden nicht. Wir sind es uns, unseren Kindern und den zukünftigen Generationen schuldig, sofort geeignete Maßnahmen für den Gesundheitsschutz zu treffen.
Hormonelle Veränderungen sind ein längerer Prozeß. Sie können nicht wie das Licht mit dem Schalter gestoppt werden. Der Schutz von Leben und Gesundheit muß vor Geschäfts- und Gewinninteressen absoluten Vorrang haben. In einem beunruhigenden Ausmaß ist diese Regierung allerdings der Auffassung, daß Chemikalien so lange unschuldig sind, bis man ihre Schuld bewiesen hat. Dieses Denken hat Menschen immer krank gemacht oder krank werden lassen und hat zahllose Ökosysteme ruiniert.
Schadstoffe kennen keine Staatsgrenzen. Wir haben es hier mit einem globalen Problem zu tun. Internationale Anstrengungen sind deshalb notwendig, um die Situation in den Griff zu bekommen. Solange von den Produzenten und Anwendern nicht sichergestellt werden kann, daß chemische Substanzen für Mensch und Natur unbedenklich sind, muß das Prinzip der Eintragsvermeidung gelten. Darüber hinaus müssen flächendeckende Untersuchungen des Trinkwassers auf das Vorkommen hormonell wirksamer Stoffe durchgeführt und die Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet vorangetrieben werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt keine Gesellschaft, die völlig frei von Risiken ist. Aber wir alle haben ein Recht darauf, die Substanzen zu kennen, denen wir und unsere Kinder ausgesetzt
Klaus Lennartz
sind. Wir haben ein Recht darauf, daß wir uns an dem Prinzip Verantwortung orientieren. Nirgendwo ist erkennbar, daß diese Herausforderung vor dieser Bundesregierung auch nur ansatzweise begriffen wird und daß sie sich ihr stellt.
Nur wenn wir die Vermeidung von Umweltgiften als Chance für eine gesicherte Zukunft begreifen, als Chance für eine ökologische und wirtschaftliche Zukunft, kann eine sinnvolle Umweltpolitik über Partei- und Ländergrenzen hinweg betrieben werden. Dafür steht Ihnen die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zur Verfügung.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Harald Kahl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Spätestens nach dem Chemieunfall von Lake Apopka in Florida, bei dem 1981 das Insektizid Dicofol in größeren Mengen in den See gelangte und man bei darin lebenden Alligatoren Geschlechtsanomalien und gehäufte Krebserkrankungen feststellte, wurde die Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisiert.
Im gleichen Jahr trat eine amerikanische Forschergruppe mit der Feststellung an die Öffentlichkeit, daß in schadstoffbelasteten amerikanischen Seen auffällige Störungen der Fortpflanzungsfähigkeit sowie des Sexual- und Brutpflegeverhaltens bei Fischen, Vögeln, Reptilien und Säugern auftreten. Stakkebaek und Mitarbeiter kamen bei ihren Studien 1992 in Kopenhagen zu dem Ergebnis, daß bei Untersuchungen menschlicher Spermien in allen Erdteilen die mittlere Spermiendichte in den Jahren von 1938 bis 1990 von durchschnittlich 113 Millionen auf 66 Millionen je Milliliter Samenflüssigkeit abgenommen habe. Erstmals führten Stakkebaek und Sharpe aus Edinburgh dieses Phänomen auf die mögliche Einwirkung östrogenartig wirkender Chemikalien zurück. Bis heute ist das eine Hypothese, der eine Reihe von Untersuchungen mit gegensätzlicher Aussage gegenüberstehen. So untersuchte der amerikanische Forscher Harry Fisch eingefrorene Samenproben von 1 283 Männern in den Jahren von 1970 bis 1994. Resultat: Eine geringe Zunahme der Spermienzahl. Sein Kollege Paulsen fand bei 510 jungen Männern in Seattle von 1972 bis 1993 eine Vermehrung der Samenfäden um 10 Prozent. Anfang 1996 verglich er von mehr als 1 200 Männern aus New York, Minnesota und Los Angeles deren Spermienzahl. Siehe da, es gab ein Ergebnis von 131 Millionen, 101 Millionen und 73 Millionen.
Professor Alexander Lerche vom Institut für Reproduktionsmedizin der Universität Münster stellt alle bisher genannten Zahlen in Zweifel. Sein Petitum: Es ist kein Vergleich möglich zwischen den Spermienzählverfahren mit dem Mikroskop und den computergestützten Zählverfahren. Die modernen Verfahren kommen auf wesentlich geringere Zahlen.
Es gibt erhebliche regionale Unterschiede. So haben zum Beispiel die Finnen im Durchschnitt eine höhere Spermiendichte als die Engländer. Weiterhin spielen die Jahreszeit der Probennahme sowie die Anzahl der Tage sexueller Enthaltsamkeit vor der Samenspende eine Rolle.
Von der Universität Münster zur Untersuchung verschickte Ejakulatproben ergaben in verschiedenen Laboratorien Unterschiede bis zu 70 Prozent.
Auch die Biologin Theodora Alborn, heute bei der US-Abteilung des World Wide Fund for Nature, räumt ein: Direkt nachweisbar sei der Zusammenhang mit den hormonähnlich wirkenden Chemikalien und der Umwelt nicht.
Aus dem Gesagten wird deutlich: Wir bewegen uns bei diesem Thema wissenschaftlich noch auf sehr dünnem Eis. Fest steht aber auch: Es gibt keine wissenschaftlich belastbaren Beweise, die einen Zusammenhang zwischen einer endokrinen Wirkung von Chemikalien und einer bisher nicht eindeutig bewiesenen absinkenden Spermiendichte bei Männern, bei Geschlechtsanomalien oder Krebshäufigkeiten herzustellen erlauben.
Zudem ist die Frage zu stellen: Haben sich unsere Lebensgewohnheiten und Umwelteinflüsse nicht generell geändert? Sind bestimmte Einzelbefunde nicht das Ergebnis eines Geschehens, an dem eine Vielzahl von Einzelfaktoren sich letztlich addieren, multiplizieren oder gar potenzieren?
Tatsache ist - und das bestreitet keiner -: Es gibt weltweit auf diesem Gebiet erhebliche Wissenslücken. Weil dem so ist, hat die Bundesregierung in Wahrnehmung ihrer Vorsorgepflicht gehandelt, um die mögliche Gefahr, die von bestimmten endokrin wirksamen Substanzen ausgehen kann, zu minimieren. So wurden bereits im Juli 1989 zu PCB und im Dezember 1989 zu PCP Verbotsregelungen erlassen, die deutliche Wirkungen gezeigt haben. Gemäß Chemikaliengesetz bestehen für neue Stoffe sowohl in der Grundstufe als auch für Stufe 1 und für Stufe 2 Prüfverpflichtungen hinsichtlich fortpflanzungsgefährdender Wirkungen mit der 7. Änderung der Richtlinie 67/769 EWG.
Nach Inkrafttreten der EU-Altstoffverordnung werden alle vor dem Jahr 1981 in Verkehr gebrachten sogenannten alten Stoffe systematisch bewertet und toxikologisch untersucht. Wegen der großen Anzahl wird die Prüfung noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Deutschland setzt sich weiterhin im Rahmen des OECD-Prüfrichtlinienprogramms für eine schnelle Etablierung einfacherer und kostengünstiger Prüfmethoden ein.
Darüber hinaus stellt das BMU im Rahmen des Umweltforschungsplanes für ein Forschungsvorhaben „Chemikalien in der Umwelt und Wirkung auf das endokrine System" über drei Jahre jährlich 1,5 Millionen DM zur Verfügung. Schwerpunkte dabei sind erstens die Darstellung der Expositionssitua-
Dr. Harald Kahl
tion und Abschätzung der Exposition natürlichen bzw. synthetischen Ursprungs, zweitens die Wirkung dieser Stoffe auf Mensch und Tier und drittens die Ermittlung der Inzidenz bestimmter Krankheiten des Menschen, die mit den Umwelthormonen in Zusammenhang gebracht werden.
Der Dachverband der europäischen chemischen Industrie CEFIC teilt die geäußerte Besorgnis über bestimmte Chemikalien. Auch er vertritt die Auffassung, daß die Forschung auf diesem Gebiet intensiviert werden muß. Nur umfassende wissenschaftliche Untersuchungen, die bisherige Ergebnisse kritisch hinterfragen, und nicht vorschnelle Schlüsse, die zu unangebrachtem Aktionismus führen, haben letztlich Aussicht auf Erfolg.
Im Rahmen eines EU-weiten Forschungsprogramms der CEFIC mit einem Mitteleinsatz von 11 Millionen ECU soll das Problem europaweit angegangen werden. Es nur aus Sicht endokrin wirkender Chemikalien zu betrachten hieße, den Gesichtskreis einzuengen. Gegenstand der Diskussion muß dabei auch die Exposition durch natürliche Stoffe mit endokriner Wirkung in der Nahrung sein.
Ich fasse zusammen: Die mögliche Gefährdung von Mensch und Tier durch endokrin wirksame Chemikalien ist ein sehr ernstzunehmendes Thema, bei dem es erhebliche Wissenslücken gibt. Überlegungen über angemessene Maßnahmen bei möglichen Risiken können nur auf der Grundlage von wissenschaftlich belegten Fakten erfolgen. Dazu ist die Forschung weltweit zu intensivieren; die Bundesregierung ist daran maßgeblich beteiligt.
Nicht blinder Aktionismus führt zur Lösung des Problems, sondern politisches Handeln auf der Grundlage wissenschaftlich belastbarer Forschungsergebnisse. Zur Festlegung von Grenzwerten fehlt gegenwärtig noch der wissenschaftliche Hintergrund. Ein deutscher Alleingang auf diesem Gebiet ist aus meiner Sicht nicht zielführend.
Wer in der Öffentlichkeit Hypothesen als wissenschaftlich belastbare Beweise verkauft, handelt genauso fahrlässig wie jener, der dieses Problem herunterspielt. Wir von der CDU/CSU-Fraktion tun beides nicht.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Rochlitz.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema taugt weder zu Panikmache und Hysterie noch zu Verharmlosung.
Kühle Sachlichkeit ist angebracht.
Erlauben Sie mir doch, folgendes an die Adresse des Hauses zu richten: Das Ausmaß der hier diskutierten Gesundheitsgefährdung durch hormonell wirksame Chemikalien steht wieder einmal in keinem Verhältnis zur heute angesetzten Debattenlänge.
Es liegt schon eine gewisse Ironie darin, daß zwar der Rentendebatte der ihr gebührende Zeitrahmen zugestanden wird, aber die Debatte über Fruchtbarkeits- und Reproduktionsstörungen und damit über die Nachkommenschaft dieser Gesellschaft gerade einmal en passant erfolgt.
Dieser Unterschätzung - oder soll ich sagen: Geringschätzung? - der schleichenden Gesundheitsgefährdung durch Hormonchemikalien erlag die Koalitionsmehrheit in dieser Legislaturperiode bereits mehrmals. Da helfen alle Beschuldigungen von Herrn Kahl nichts. So weigerte sie sich entgegen dem von ihr so hochgehaltenen Vorsorgeprinzip beispielsweise, eine schärfere Gangart gegen die auch hormonell wirkenden Pyrethroide einzuschlagen, die die Lufthansa noch immer in großem Maßstab zur Desinfektion und der Direktverbraucher im Elektroverdampfer gegen Schnaken verwendet. Bei der im Weinbau eingesetzten Hormonchemikalie Vinclozolin sieht die Bundesregierung nach eigenen Aussagen keinerlei Handlungsbedarf. Und bei den Verdachtschemikalien der Chlorparaffine hat die Industrie schneller reagiert als die Bundesregierung. Verboten sind sie deswegen immer noch nicht.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Koalition: Wollen Sie Ihre Fehler beständig wiederholen? Bedenken Sie doch: Es handelt sich um Alltagschemikalien. Ihre Verbreitung ist über Farben, Kunststoffe, Reinigungsmittel und Konservendosenbeschichtungen ubiquitär. Und am wichtigsten ist: Die Wirkung dieser Chemikalien ist erschütternd und betrifft nicht nur die jetzt lebenden Generationen, sondern auch ihre Kinder und Enkel, soweit gerade die davon nicht verhindert werden.
Wir schleppen einige hundert meist langlebige Chemikalien mit uns herum, darunter etliche, von denen man inzwischen weiß, daß sie den Hormonhaushalt stören. Die Konzentrationen dieser Substanzen in unserem Körper liegen einige tausendmal über der natürlichen Konzentration der frei verfügbaren Hormone wie zum Beispiel des biologisch aktiven Östrogens. Bereits erstaunlich geringe Mengen an freiem Östrogen sind aber bereits in der Lage, die fötale Entwicklung im Mutterleib nachhaltig zu beeinflussen. Die unvorstellbar kleine Konzentration eines Zehntelteils pro Milliarde reicht hierzu aus.
Im Hinblick auf eine solch extreme Empfindlichkeit können auch kleine Mengen schwach östrogenartig wirkender Verbindungen dramatische Schäden anrichten, unter ihnen Chemikalien, die tausendmal weniger wirksam sind als das vom Körper selbst produzierte Östradiol, und das, weil sie sämtliche Schutzvorrichtungen des Körpers gegen freie Östrogene, einschließlich der plazentalen Barriere, spielend umgehen. Dies kann ebenso für andere Hor-
Dr. Jürgen Rochlitz
mone wie die der Schilddrüse gelten, ist aber in diesen Fällen noch nicht einmal ansatzweise untersucht.
Erhöhte Brust- und Hodenkrebsraten, ein vermehrtes Auftreten von Hodenhochstand und Harnröhrenspalte bis hin zu schweren Verhaltensstörungen sind die Folge. Denken Sie daran, daß zwei Drittel der Brustkrebsfälle weder auf Veranlagung noch auf die bekannten Risikofaktoren zurückzuführen sind, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit auf die heute zur Diskussion stehenden Chemikalien.
Meine Damen und Herren, die Störung des Hormonsystems als Ursache dieser Befunde ist keine wirre Hypothese. Sie hat in Hunderten von Einzeluntersuchungen im Tierreich, an Zellkulturen und in epidemiologischen Studien über den Menschen deutliche und übereinstimmende Hinweise gefunden. Wer jetzt auf den letzten wissenschaftlichen Beweis warten will, macht sich ebenso schuldig wie diejenigen, die die Tragödien um Contergan, Pentachlorphenol und die Holzschutzmittel zu verantworten haben. Ich denke, solche Tragödien gilt es abwenden, und da sollten wir wirklich alle zusammenstehen.
Danke schön für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Günther Bredehorn.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man könnte versucht sein, unsere heutige Debatte als einen weiteren Akt der unendlichen Serie von „Stoff des Monats" -Debatten anzusehen. Allzuoft werden Unfälle oder Presseveröffentlichungen oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Anlaß genommen, um aus Ängsten politisches Kapital zu schlagen. Ich möchte deshalb dafür werben, daß wir heute nicht nach diesem Klischee verfahren, uns gegenseitig Verharmlosung oder Aufbauschen von Umwelt- und Gesundheitsgefahren vorzuwerfen.
So verantwortungslos und untätig, wie in Presseerklärungen behauptet, ist diese Bundesregierung nun auch nicht, und so allwissend und tatkräftig, wie die Opposition mit ihren Forderungen tut, ist sie ebenfalls nicht. Sonst hätten Sie ja mit Ihren Ministerpräsidenten und Ihren Länderfürsten schon längst einmal ernsthaft reden und sie dazu veranlassen müssen, die flächendeckende Untersuchung von hormonell wirkenden Substanzen in Gewässern durchzuführen. Die Länder nämlich sind für die Überwachung der Gewässer- und Trinkwasserqualität zuständig.
Das Thema der hormonell wirkenden Substanzen in Gewässern verdient eine ernsthafte parlamentarische Behandlung. Wir haben es in der Tat mit einer nicht zu vernachlässigenden und wissenschaftlich noch nicht ausreichend ausgeleuchteten Gefahr zu tun. Eine Reihe von weitverbreiteten Pestiziden und Industriechemikalien, die auch in unseren Gewässern zu finden sind, können das Reproduktionsverhalten von Mensch und Tier beeinträchtigen und endokrine Wirkungen haben. Dazu gehören Pestizide, Fungizide, Insektizide, Nematozide, Industriechemikalien wie Alkylphenole, PCB, PCP usw. Sie können das in der Antwort der Bundesregierung auf die SPD-Anfrage nachlesen.
Das berechtigte Anliegen, das Gefahrenpotential dieser Stoffe zu begrenzen, teilt die F.D.P. Mit vorschnellen Forderungskatalogen aber ist es nicht getan. Das Politikverständnis der rot-grünen Umweltpolitiker - nur wer möglichst schnell möglichst viele Stoffe verbietet, ist ein guter Umweltpolitiker - ist einfach zu simpel. Die F.D.P. unterstützt das Vorgehen der Bundesregierung. Wir brauchen mehr Erkenntnisse und verbesserte sowie vereinheitlichte Meßmethoden. Das Umweltbundesamt hat im März 1995 zu diesem Komplex ein Fachgespräch geführt. Das Umweltministerium hat Forschungsvorhaben für Wirkungsstudien und die Entwicklung einer Test-, Beobachtungs- und Bewertungsstrategie in Auftrag gegeben. Weitere Forschungsvorhaben des Forschungsministeriums und des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes sind der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen zu entnehmen.
Schließlich hat die Bundesregierung im Rahmen der OECD die Entwicklung von international standardisierten Meßverfahren für APEO angestoßen.
Auch in der Vermeidungsstrategie sind wir weiter, als uns das die Opposition glauben machen will. Ich erwähne die Pestizid- und Chemikalienverbote beispielsweise hinsichtlich DDT, Atrazin, PCP und PCB. Ich erinnere an die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie zur Verringerung des Einsatzes von APEO. Die Bundesregierung versucht weiter, in der Paris-Kommission eine möglichst europaweite Reduzierung dieses Stoffes zu erreichen.
Das gleiche gilt für die Verwendung von TBT bei Antifoulinganstrichen. Wer diese nur beispielsweise aufgezählten Maßnahmen schlicht als Untätigkeit oder Verzögerung diffamiert, setzt sich dem Verdacht aus, er wolle wieder einmal nur aus Umweltgefahren politisches Kapital schlagen.
Voreilige und nicht durchsetzbare Verbotskataloge, wie sie die rot-grünen Anträge auch enthalten, lehnen wir ab. Sie wissen genau, daß TBT- Schiffsanstriche nicht national verboten werden können. Die Schiffahrt ist international, und deshalb müssen wir darauf hinarbeiten, die Entwicklung und Verwendung von Ersatzstoffen international anzustoßen.
Pestizidverbote unterliegen nicht den nationalen, sondern europäischen Spielregeln. Dafür brauchen wir Ersatzstoffe. Wir stimmen Ihnen darin zu, daß noch erheblicher Forschungs- und Meßbedarf besteht. Hierfür sollten wir uns alle gemeinsam einsetzen und dies voranbringen. Auch Sie von der SPD sind dort, wo Sie in den Landesregierungen Verantwortung haben, gefordert, mitzuwirken.
Günther Bredehorn
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Problematik der hormonell wirkenden Chemikalien geht es einmal mehr um mögliche Folgen der Industrialisierung, deren Ursache-Wirkung-Beziehungen noch nicht eindeutig geklärt sind. Nichtsdestotrotz existiert aber eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß Stoffe mit östrogener Wirkung in die Nahrungskreisläufe von Mensch und Tier gelangen und dort entsprechende Wirkungen auslösen. Der Wal mit zwei Eierstöcken und zwei Hoden, von dem 1989 aus dem kanadischen Quebec berichtet wurde, war sicher nur eine spektakuläre Episode eines schleichenden Prozesses.
Seit einem halben Jahrhundert beobachten Biologen immer wieder schwere Fruchtbarkeitsstörungen. Die „taz" brachte letzten Sommer einen interessanten Artikel über ein Buch aus den USA namens „Our Stolen Future" heraus, das dort ein Bestseller wurde. Dieses Buch veröffentlichte zahlreiche Fälle, die für sich als Launen der Natur erscheinen, in ihrer Häufung aber zu ernster Besorgnis Anlaß geben sollten.
So hörten Anfang der 50er Jahre in Florida plötzlich die Adler auf, sich zu paaren. 80 Prozent waren steril geworden. 1970 schlüpfte in Ontario nur noch ein Fünftel der Silbermöwen, und viele von ihnen waren Mißgeburten. Die berühmten Florida-Alligatoren erwischte es in den 80ern: Nur 18 Prozent aller Jungtiere schlüpften. Die Unfruchtbarkeit zeigte sich bei der Hälfte der Männchen in der Schrumpfung der äußeren Geschlechtsmerkmale. Das sind Fakten, Herr Bredehorn, und keine Horrorgeschichten.
Aber nicht nur in den Sümpfen schrumpfte die Zeugungsfähigkeit. Laut Untersuchungen der Universität Kopenhagen hat sich die Anzahl der Spermien in der menschlichen Samenflüssigkeit seit 1938 weltweit halbiert. Herr Lennartz hat ja schon davon gesprochen. Aber vielleicht interessiert es die Herren in diesem Raum nicht mehr.
Verantwortlich für all diese beängstigenden Fakten könnten hormonähnliche Stoffe sein, die aus Verpackungen, PVC-Wasserrohren und Getränkeflaschen diffundieren, die nach Medikamenteneinnahmen von Mensch und Tieren über den Urin in die Umwelt gelangen oder die sich durch den Einsatz von Pestizidsubstanzen wie DDT und Chemikalien wie PCB oder als Folge von Stoffen wie Dioxinen und Furanen in der Nahrungskette angereichert haben. Die Fettschicht des erwähnten Wals war diesbezüglich übrigens Sondermüll.
Aber es geht nicht nur um mögliche Unfruchtbarkeit. Es verdichten sich auch die Anzeichen dafür, daß sich die Risiken, an Prostata- oder Brustkrebs zu erkranken, durch die genannten Stoffe deutlich erhöhen. All dies kann für eine verantwortungsvolle und dem Vorsorgeprinzip verpflichtete Umwelt- und Gesundheitspolitik nur bedeuten, Maßnahmen zum Verbot bzw. zur Reduzierung dieser gefährlichen Substanzen zu ergreifen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen, Ihre Anträge zeigen: Auch Sie sorgen sich, wie die PDS, um Ihren Nachwuchs. Aus diesen und vor allem aus inhaltlichen Gründen unterstützen wir die Anträge.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Walter Hirche.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will gern einräumen, daß mich nach dem Buch „Der stumme Frühling" kaum ein anderes Buch so bewegt hat wie „Unsere bedrohte Zukunft". Wir haben es mit einem ernsten Thema zu tun. Ich nehme gerne den Satz auf, der vorhin gesagt worden ist, daß man mit kühler Sachlichkeit an das Thema herangehen muß. Deswegen, so denke ich, hatte die Polemik, die in der ersten Rede zu hören war, etwas mehr mit Selbstbefriedigung als mit dem Thema Zeugungsfähigkeit zu tun.
Meine Damen und Herren, es ist eine vertiefte Prüfung notwendig, weil das Vorsorgeprinzip insgesamt angewendet werden muß. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß wir die klassischen Wege, mit denen wir arbeiten, wenn wir Probleme abarbeiten, auch bei diesem Thema beschreiten sollten: erstens Forschung und Abklärung des Verdachts, zweitens Bewertung der Daten und drittens schließlich Entscheidung über Maßnahmen.
Bei einigen Umweltchemikalien - das fehlte in dieser Debatte - hat genau dieser Weg schon zu Verboten geführt. Ich verweise auf polychlorierte Biphenyle - PCB - und DDT, die in Deutschland verboten sind. Aber es reicht nicht, wenn etwas nur in Deutschland verboten ist. Wir brauchen internationale Verbote. Die Bundesregierung strebt solche Verbote im Rahmen einer internationalen Konvention an.
Aber wenn wir uns dafür einsetzen, daß etwas international verboten wird, dann verlangen die anderen Staaten - im übrigen genau wie unsere Öffentlichkeit -, daß solche Verbote auf begründete Verdachtsmomente gestützt sind. Nur auf der Basis nachprüfbarer Analysen sind internationale Maßnahmen durchsetzbar.
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
Daß wir solche Analysen angehen wollen, gebietet schon das Vorsorgeprinzip, dem sich die Bundesregierung verpflichtet fühlt. Verdachtsmomente müssen Forschungen auslösen. Deshalb hat die Bundesregierung gehandelt, weil wir eben, wenn Verbote ausgesprochen werden sollen, solche Belege auf den Tisch legen wollen.
Die in beiden Anträgen erhobene Forderung, die Forschung auf dem Gebiet der hormonell wirkenden Chemikalien zu verstärken, halte ich für gerechtfertigt. Bundesumwelt- und Bundesforschungsministerium haben aber genau deshalb entsprechende Forschungsvorhaben längst ausgeschrieben. Schauen Sie einmal in den Bundesanzeiger von Ende Dezember. Das Bundesumweltministerium wird für genau diese Forschung innerhalb der nächsten drei Jahre 4,5 Millionen aus dem Umweltforschungsplan bereitstellen. Darüber hinaus wird die EU-Kommission mit Unterstützung der Bundesregierung die Forschung über hormonell wirkende Chemikalien voraussichtlich zu einem ihrer Schwerpunkte im Bereich Umwelt und Klima machen. Zur Vermeidung von Doppelarbeit werden im Umweltbundesamt die Forschungsaktivitäten in der Europäischen Union und in den USA erfaßt und ausgewertet.
Meine Damen und Herren, im übrigen ist die Überprüfung der bestehenden Teststrategien ein wichtiger Bestandteil der vom BMU geförderten Forschung, weil wir nicht sicher sind, ob die Art und Weise, wie bisher abgeprüft wird, uns wirklich rechtzeitig und frühzeitig zu den Problemen hinführt. Deshalb will ich nicht ausschließen, daß der Prüfumfang bei Chemikalien infolge neuer Erkenntnisse über die Wirkung von Chemikalien auf das endokrine System erweitert oder geändert wird.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu der Forderung sagen, bundesweit eine flächendeckende Erfassung der Gewässer- und Trinkwasserbelastung vorzuschreiben. Sie wissen, kostenträchtige Meßprogramme bedürfen in Zeiten knapper öffentlicher Haushaltsmittel einer eingehenden Prüfung. Deswegen setzen wir darauf, daß man zunächst Pilotstudien angeht. Diese Schritte hat der Bund bereits getan. Wie der Kollege Bredehorn bereits gesagt hat, steht dem aber nicht entgegen, daß die Grünen in den Ländern, wo sie zum Beispiel Umweltminister stellen, flächendeckende Untersuchungen durchführen. Wir glauben, daß wir mit Pilotstudien zunächst auf dem richtigen Wege sind.
Ich fasse zusammen:
Erstens. Die notwendigen Forschungsvorhaben sind eingeleitet.
Zweitens. Verbote von DDT und PCB bestehen in Deutschland.
Drittens. Beschränkungsmaßnahmen der geforderten Art bei Stoffen sind derzeit auf Grund der Erkenntnisse noch nicht gerechtfertigt.
Viertens. Eine eventuelle Änderung der Prüfstrategie wird erforscht, aber ihre Festsetzung ist verfrüht.
Fünftens. Eine flächendeckende Erfassung einer größeren Anzahl von Chemikalien in Gewässern ohne vorherigen Nachweis der Notwendigkeit im Rahmen von Pilotprojekten ist nicht angemessen.
Dies alles ergibt: Die Bundesregierung nimmt das Problem ernst. Die entsprechenden Maßnahmen sind eingeleitet. Wir werden hoffentlich in absehbarer Zeit über Konsequenzen berichten können und dann gemeinsam über zusätzliche Maßnahmen, die gegebenenfalls geboten sind, entscheiden.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4786 und 13/6146 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich komme zum Tagesordnungspunkt 7:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Albert Schmidt , Gila Altmann (Aurich), Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Novellierung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm
- Drucksache 13/6346 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Kollege Albert Schmidt.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lärm, insbesondere Verkehrslärm, ist eine der schlimmsten Beeinträchtigungen, denen die Menschen heutzutage ausgesetzt sind. Seit Jahren steht dabei der Fluglärm nach dem Straßenverkehrslärm an zweiter Stelle. Der zunehmende Flugbetrieb rund um die Uhr bedeutet für Hunderttausende, wenn nicht für Millionen von Menschen, die in der Umgebung von Flughäfen leben, immer mehr Krach bei Tag und, was besonders unerträglich ist, auch zu nachtschlafender Zeit. Nicht nur alte Menschen, nicht nur Kinder macht der Dauerstreß seelisch und körperlich krank. Aktuelle Schätzungen des Umweltbundesamtes zum Beispiel - so haben wir in einer Anhörung des Bundestages zum Verkehrslärm allgemein erfahren - haben ergeben, daß Verkehrslärm jährlich sogar für einige tausend Todesopfer verantwortlich sei, weil er durch die Erhöhung des Blutdruckes zu mehr Herzinfarkten führt.
Albert Schmidt
Die Verantwortung dafür, daß speziell beim Fluglärm kein besserer Schutz existiert, trägt - das muß man so deutlich sagen - die Bundesregierung. Wir haben zwar ein Fluglärmgesetz, aber es gilt seit 1971 praktisch unverändert über ein Vierteljahrhundert. Es ist in den wesentlichen Punkten nicht novelliert worden, obwohl es seitdem einen explosiven Zuwachs des Flugverkehrs gegeben hat. Das heißt, das Fluglärmgesetz in der vorliegenden Form berücksichtigt zum Beispiel noch nicht einmal die Grenz-
und Richtwerte, wie sie für den sonstigen Verkehrslärm angewendet werden. Die tatsächliche Lärmbelastung wird künstlich heruntergerechnet, indem die Lärmpegel zum Beispiel über sechs Monate Bemittelt werden und noch nicht einmal zwischen Tag und Nacht unterschieden wird. Das ist eine Praxis, deren Verfassungsmäßigkeit getrost bezweifelt werden darf.
In dieser Form, liebe Kolleginnen und Kollegen, so hat es ein Verfassungsrechtler einmal ausgedrückt, ist das Gesetz eigentlich mehr ein Gesetz zum Schutz der Flughäfen gegen die Anwohnerinnen und Anwohner als umgekehrt.
Unser Antrag, der heute in die Beratungen geht, schlägt deshalb vor, endlich das veraltete Gesetz zu novellieren, und benennt eine ganze Reihe von Kriterien, von denen ich jetzt nur die wichtigsten kurz ansprechen möchte.
Erstens. Der Schutz der Gesundheit - das muß man so einfach und deutlich an den Anfang stellen - muß Vorrang vor allen anderen werkehrlichen und wirtschaftlichen Belangen haben.
Zweitens. Das Gesetz muß gegen jeden unzumutbaren Fluglärm schützen. Das heißt, sein Geltungsbereich muß auch Regionalflughäfen, Landeplätze, allgemeine Luftfahrt, Sportfluggeräte und militärische Tieffluggebiete einbeziehen.
Drittens. Die bisherigen Mittelungspegel - ich habe das kurz angesprochen - müssen durch den längst üblichen sogenannten Beurteilungspegel ersetzt werden, bei dem nicht nur die Quantität, sondern zusätzlich die Qualität des Lärms mit in die Berechnung eingeht. Zusätzlich müssen die Maximalpegel, also die lautesten Überflüge, in die Ermittlung der Belastung einbezogen werden. Spezielle Wetterlagen im übrigen, wie zum Beispiel Ostwind, sind bisher - das hat sich gezeigt - in sehr vielen Fällen nicht berücksichtigt worden und müssen einbezogen werden.
Viertens. Der Schutz vor Nachtfluglärm - das ist uns ganz besonders wichtig - ist ebenfalls durch die Berücksichtigung von den Maximalpegeln, also von den lautesten Überflügen, zu verbessern. Dabei sind insbesondere Schlafzeiten von Kindern und Kernruhezeiten zu schützen. Alle Betroffenen haben ein Recht auf Nachtruhe, auch wenn sie in der Nähe von Flughäfen leben.
Fünftens. Der passive Lärmschutz ist durch schallgedämmte Raumlüfter, nicht nur durch Lärmschutzfenster zu verbessern.
Sechstens. Es muß bei der Planung von Flughäfen und bei der Festlegung von Lärmschutzzonen von dem maximal abwickelbaren Verkehr an diesem Flughafen und nicht von der momentanen Situation ausgegangen werden.
Siebentens. Die technischen Fortschritte im Flugzeugbau, die zu einer Lärmminderung führen können, müssen den Betroffenen möglichst umgehend zugute kommen. Das heißt, daß die Schutzvorschriften des Gesetzes in Abweichung von der bisherigen Praxis, bei der man ein Vierteljahrhundert nichts getan hat, alle zwei Jahre an Hand des jeweiligen Standes der Technik neu überprüft und aktualisiert werden müssen.
Schließlich der letzte Punkt, den ich hier in der Kürze der Zeit ansprechen möchte: Die Stellung der Fluglärmbeauftragten ist aus unserer Sicht unbedingt zu stärken. Sie sind nicht den Luftfahrts- und Wirtschaftsbehörden zuzuordnen, sondern den Umwelt- und Gesundheitsministerien. Wenn ich es richtig sehe, spricht ja nachher der Staatssekretär aus dem Umweltministerium zu uns. Das ist auch ein Signal dafür, daß es hier um Umwelt- und Gesundheitsschutz und nicht nur um ein verkehrspolitisches Problem geht.
Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen: Wenn sich der Flugverkehr in Deutschland seit Ende der 60er Jahre verfünffacht hat, sowohl in bezug auf die Zahl der Passagiere als auch in bezug auf die Zahl der Starts und Landungen und vor allem die Zahl der Luftfrachtvorgänge, dann ist es angesichts dieser Wachstumsrate höchste Zeit, auch an die Begrenzung des Flugverkehrs zu denken. Deshalb haben wir neben einem neuen Fluglärmgesetz auch verlangt, daß im Rahmen eines Klimaschutzprogrammes zum Beispiel endlich mit der Besteuerung von Kerosin ernst gemacht wird. Wenn diese Subvention endlich abgeschafft würde, stünden der öffentlichen Kasse jährlich wenigstens 7 Milliarden DM zur Verfügung, mehr als genug Geld, um besseren Schutz vor Fluglärm zu finanzieren.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Letzgus.
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Durch den vom Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Antrag vom 28. November 1996 soll die Bundesregierung aufgefordert werden, umgehend das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm zu novellieren. Gewiß, Kollege Schmidt - da haben Sie recht -, das Gesetz ist ein wenig in die Jahre gekommen. Es stammt vom März 1971. Auch ist es eine lobenswerte Sache, sich für die Verminderung von Fluglärm einzusetzen. Allerdings möchte ich darauf verweisen, daß Bemühungen, das Fluglärmgesetz zu novellieren, in der Vergangenheit bereits mehrfach - sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat - gescheitert sind, und zwar immer an Kostenfragen.
Auch der vorliegende Antrag erscheint mir unter diesem Blickwinkel wenig realistisch. Er geht einerseits in seinen Forderungen weit über das heutige Lärmschutzniveau im Flugverkehr hinaus, ohne die daraus resultierenden wirtschaftlichen und finanziellen Folgen für die deutschen Flughäfen und die Bundesrepublik zu berücksichtigen. Andererseits läßt er die Verminderung des Fluglärms, die in den letzten Jahrzehnten bereits erreicht wurde und die in Zukunft weitergehen wird, völlig außer acht.
- Dazu komme ich gleich noch; das stimmt nicht ganz.
Aus verkehrspolitischer Sicht ist zum Antrag folgendes anzumerken: Bereits 1969 setzte sich die Internationale Zivilluftfahrtorganisation, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, mit den Problemen des Fluglärms auseinander. Sie legte erstmals gewichtsabhängige Emissionswerte für die Zulassung von Strahlflugzeugen fest. Es wurde beschlossen, daß Flugzeuge, die bis Oktober 1977 ihre Musterzulassung erhalten, den Anforderungen des Kapitels 2 aus Anhang 16 genügen müssen. Flugzeuge, die danach zugelassen werden, müssen die weitaus strengeren Anforderungen des Kapitels 3 erfüllen.
Deutschland hat die in diesem Kapitel vorgesehenen Grenzwerte in der Lärmschutzforderung für Luftfahrzeuge vom April 1981 um bis zu 4 weitere dB(A) abgesenkt. Damit hat Deutschland neben der Schweiz die für diese Flugzeuge strengsten Lärmgrenzwerte.
Seit April 1988 dürfen auf Flughäfen der EG keine Flugzeuge mit Strahlantrieb mehr landen und starten, die nicht zumindest die Lärmgrenzwerte des Kapitels 2 erfüllen.
Seit November 1990 dürfen die Flugzeugflotten der EG nur noch durch die viel leiseren Kapitel-3-
Flugzeuge ergänzt bzw. ersetzt werden. Ab dem Jahr 2002 dürfen nur noch diese Flugzeuge auf den Flughäfen der Gemeinschaft landen und starten.
Diese politischen Vorgaben haben dazu geführt, daß bereits im Jahre 1992 über 75 Prozent aller Flugbewegungen auf deutschen Flughäfen von den Kapitel-3-Flugzeugen durchgeführt wurden. Die deutschen Flughäfen haben diese Entwicklung gefördert, indem sie lärmabhängige Start- und Landegebühren eingeführt und zusätzlich mit dem Listenverfahren einen Anreiz in Form eines Landegebührenbonus zum Betrieb leiserer Flugzeuge innerhalb der Kapitel-3-Flotte geschaffen haben.
Trotz der Zunahme an Flugbewegungen, Herr Schmidt, haben die Beeinträchtigungen durch Fluglärm abgenommen. Das wird am Flughafen Frankfurt besonders deutlich. Hier hat man in den letzten zehn Jahren eine Steigerung der Flugbewegungen um 50 Prozent registriert. Trotzdem gibt es am Airport Frankfurt konstante bzw. abfallende Lärmkurven. In keinem Wohngebiet am Frankfurter Flughafen wurden 61 dB(A) überschritten. Das ist der Geräuschpegel eines normalen Gesprächs. So werden zumindest am Frankfurter Flughafen die von Ihnen geforderten 55 dB(A) am Ohr des Schläfers - sicherlich auch der Schläferin - erreicht.
Zu den von Ihnen angeführten Landeplätzen ist folgendes anzumerken: Durch die Landeplatzverordnung vom April 1976 wird der Flugbetrieb zeitlich auf den Landeplätzen eingeschränkt, die häufig von kleineren Propellermaschinen angeflogen werden. Durch die Veränderung des § 6 der Luftverkehrsordnung für Überlandflüge nach Sichtflugregeln mit zivilen Propellermaschinen, der eine Mindestflughöhe von 600 m festschreibt, ist eine weitere Lärmminderung in diesem Bereich erfolgt. Außerdem ist anzumerken, daß die Bundesregierung an einer Novellierung der Landeplatzverordnung arbeitet, um weitere Verbesserungen im Lärmschutz zu erreichen, um so unter anderem das Problem der Platzrunden zufriedenstellend zu lösen.
Auch gegen die in Ihrem Antrag geforderte Minderung der Lärmbelästigung durch militärische Tiefflüge hat die Bundesregierung entsprechende Maßnahmen getroffen. So wurde der Flugbetrieb zeitlich eingeschränkt und ein Großteil der fliegerischen Ausbildung ins Ausland bzw. auf den Raum über Nord- und Ostsee verlagert. Ab 1990 dürfen Tiefflüge nur noch in einer Mindestflughöhe von 300 m über Grund durchgeführt werden.
Insgesamt hat das Tiefflugaufkommen über dem Gebiet der Bundesrepublik stark abgenommen. Es kann festgestellt werden, daß das Fluglärmgesetz von 1971 von der Wirklichkeit bereits zum Teil überholt wurde. Die damals festgelegten Lärmpegel, die in der Schutzzone 1 einen Wert von 75 dB(A) und in der Schutzzone 2 einen solchen von 67 dB(A) vorsahen, werden heute auf Grund des verbesserten Fluggerätes als Dauerschallpegel nicht mehr erreicht.
Der Lärmpegel, der in den 60er Jahren von einem Jet verursacht wurde, wird heute nicht einmal mehr von 100 Flugzeugen erreicht. Besonders vorbildlich in diesem Fall - das möchte ich hier anmerken - sind die Airbus-Flugzeuge. Sie reduzieren den Lärmteppich im Vergleich zu den 70er Jahren um 90 Prozent. Ein Lärmpegel von 85 dB(A) wird heute nur noch auf dem Rollfeld erreicht. Schon beim Überfliegen des
Peter Letzgus
Flugplatzzaunes sind moderne Jets nicht lauter als ein vorbeifahrender Lkw.
Forschungsprogramme der deutschen Triebwerkindustrie, die gemeinsam mit dem Forschungsministerium und dem Wirtschaftsministerium durchgeführt werden, haben das Ziel, eine Lärmminderung um weitere 10 dB(A) bis zum Jahre 2010 zu erreichen, was einer weiteren Halbierung des heutigen Lärmpegels entspricht.
Die Bemühungen der deutschen Flughäfen, die bisher mehr als 600 Millionen DM in Lärmschutzmaßnahmen investiert haben, werden ebenfalls dazu beitragen, Lärmbelästigungen weitgehend abzubauen. Weitreichende Entschädigungen bei Bauvorhaben sowie die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen in den Schutzzonen, die eine Folge des - so empfinde ich das - überzogenen Antrags der Grünen wären, würden die deutschen Flughäfen für den zivilen Bereich und den Bund für den militärischen Bereich in finanzielle Situationen bringen, die beide - speziell in dieser Zeit - nicht meistern könnten.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Ganseforth.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Letzgus, wer hat Ihnen diese Informationen gegeben? Von welchem Flughafen haben Sie sie bekommen? Wo leben wir denn? Bilden sich die Menschen, die in der Nähe von Flughäfen leben und leiden, den Lärm nur ein? Man könnte das denken, wenn man Ihnen zugehört hat.
Wegen seiner spezifischen Eigenschaften ist Lärm der stärkste Eingriff hinsichtlich der Lebensqualität und der Gesundheit: Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und die Zunahme der Herz- und Kreislauferkrankungen sind die Folge. Wenn Sie sagen, die Kostenfrage hätte dazu geführt, daß man bisher gegen den Lärm nichts unternommen hat, dann kann ich Ihnen nur sagen: Auch Lärm verursacht erhebliche Kosten.
26 Prozent der lärmbedingten Kosten auf Grund des Produktivitätsverlustes, der Gesundheitsfürsorge, der Schäden an Eigentumswerten und der Beeinträchtigungen der psychischen Befindlichkeiten entfallen auf den Luftverkehr. Besonders ältere Menschen und Kinder erleben den Lärm in der Nähe von Flugplätzen als unerträglich. Sie haben die Lärmbelastung heruntergerechnet.
Man muß feststellen, daß die Flughafendichte in der Bundesrepublik extrem hoch ist. In den alten Ländern beträgt der Abstand zwischen den Verkehrsflughäfen, also zwischen den großen Flughäfen, im Mittel 150 Kilometer; der Abstand zwischen den Fluglandeplätzen, also den kleinen Flughäfen, beträgt im Mittel 30 Kilometer. Es gibt allein 333 Landeplätze und Sonderlandeplätze, an denen der allgemeine Luftverkehr stattfindet. Die Menschen bilden sich doch nicht nur ein, daß es an diesen Orten laut ist.
Dazu kommen militärische Flughäfen, Regionalflughäfen, Hubschrauberlandeplätze und Verkehrsflughäfen. Wir sind unheimlich zugepflastert mit diesen Flughäfen. Deutschland ist dazu das Land mit dem dichtesten Flugverkehr der Erde. Deshalb müßten hier auch besonders weitgehende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergriffen werden. Aber da ist Fehlanzeige, das Gegenteil ist der Fall.
Seit 1971 - wir haben es gehört - wurde das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm praktisch nicht geändert, und die Verfassungsmäßigkeit dieser Maßnahme ist bei der Anhörung im Verkehrsausschuß hinterfragt und kritisiert worden. Nur sind die Betroffenen nicht in der Lage, an Daten heranzukommen.
Die Novellierung des Fluglärmgesetzes ist in vielerlei Hinsicht überfällig. Ein Punkt - darauf sind Sie eben voll abgefahren - ist zum Beispiel das Lärmmaß. Das verwendete Lärmmaß ist nicht geeignet, die Belastungen wiederzugeben. Der äquivalente Dauerschallpegel, der als Grundlage für die Festsetzung der Lärmschutzbereiche und der Entschädigungsregeln verwendet wird, berücksichtigt nicht die Belastung durch extreme Einzelereignisse, wie der Fluglärm sie darstellt. Besonders in der Nacht, wo weniger dichte Belastungen auftreten, die dann aber um so stärker sind, wird durch den äquivalenten Dauerschallpegel die Belastung „gesundgerechnet", und dann kommt man zu den Daten, die Sie hier nennen. Hier bedarf es dringend der Berücksichtigung des Spitzenschallpegels, also nicht des Bemittelten.
Ob die Einbeziehung der zehn höchsten Maximalpegel, wie der vorliegende Antrag es beschreibt, der richtige Weg ist und ob das praktikabel ist, muß geprüft werden. Aber wir müssen in diese Richtung gehen. Das gilt übrigens auch für das Instrument der Umweltkapazität. Das ist noch sehr zu erhärten und zu hinterfragen.
Ein besonderes Thema - es ist schon angesprochen worden - ist der Handlungsbedarf bei Nachtflügen. Es geht nicht, daß jeder Flughafen das für sich alleine regelt, sondern das muß überregional geregelt werden; denn die Nachtruhe ist ein besonderes Gut.
Nicht nur die Nachtruhe, auch die Tagesrandzeiten, die die Schlafzeiten von Kindern und alten Menschen betreffen, sind sehr lärmsensibel. Auch wenn laute Flugzeuge, die Kapitel-3-Flugzeuge, von denen
Monika Ganseforth
Sie gesprochen haben, nachts nicht mehr starten und landen dürfen, werden immer mehr Flüge unnötigerweise in die Nacht verlegt. Daß beispielsweise für immer mehr Menschen der Urlaub mit einer Nacht ohne Schlaf beginnt und endet, weil die Fluggesellschaften ihre Flüge, wo irgend möglich, in die Nacht oder in die Tagesrandzeiten legen, ist weder nötig, noch hat das etwas mit Lebensqualität zu tun,
und zwar nicht nur für die Urlauber, sondern auch für die lärmgeplagten Menschen im Umfeld der Flughäfen. Die Urlauber werden gar nicht gefragt. Oder müssen die Briefe wirklich nachts transportiert und mit dem Flugzeug über kurze Strecken befördert werden? Das sind alles Dinge, die nicht nötig sind. Nachtflüge müssen auf das unabwendbare Minimum beschränkt werden, und zwar generell.
Dabei müssen auch Regelungen auf EU-Ebene getroffen werden. Es darf nicht zu einer Verlagerung auf ausländische Flughäfen kommen.
Der faire Wettbewerb zwischen den Standorten muß erhalten bleiben. Dann entfällt auch das Argument von der Zerstörung der Arbeitsplätze, das Sie immer so gern benutzen. Mit dem werden - ob berechtigt oder nicht - humane Regelungen heute vielfach diffamiert oder verhindert. Entschädigungsregelungen und passiver Lärmschutz sind nur der zweitbeste Weg, aber auch da muß mehr gemacht werden.
Ein weiteres Thema ist die Verbesserung der Bürgerbeteiligung. Es gibt zwar die Fluglärmkommissionen, ihre Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten sind jedoch in der Praxis sehr unterschiedlich ausgeprägt. Da sie nur beratende Funktion haben, kann ihre Empfehlung übergangen werden, und häufig wird das auch sehr ignorant getan. Die Zugangsmöglichkeiten der Fluglärmkommission zu Daten sind sehr unterschiedlich geregelt. Hier müssen die Rechte auf Information und Mitwirkung verbindlich festgelegt werden.
Die Kommunen müssen bei der Änderung von An- und Abflugkorridoren sowie bei der Festsetzung oder Änderung von Lärmschutzbereichen an zivilen, aber auch an militärischen Flugplätzen beteiligt werden. Das fehlt nämlich bisher. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, daß im grenznahen Bereich Gemeinden auch bei Entscheidungen jenseits der Grenze beteiligt werden.
Zusammengefaßt: Es geht nicht an, daß sich der Luftverkehr und die Flughäfen praktisch selbst kontrollieren und genehmigen.
Neben dem Lärmschutzgesetz von 1971, von dem wir gesprochen haben, steht auch die Novellierung der Landeplatzverordnung von 1976 noch aus. Sie haben das praktisch als auf Ihrer Habenseite verbucht angesprochen. Seit fünf Jahren pendelt die Landeplatzverordnung zwischen Verkehrs- und Umweltministerium hin und her und befindet sich noch immer in der Abstimmung.
1992 hat der Bundesrat die Novellierung initiiert. 1995 hat er dann das äußerst ungewöhnliche und selten angewandte Instrument einer Anfrage im Bundesrat gewählt, um die Bundesregierung hier in die Pflicht zu nehmen und ihr Beine zu machen - bisher ohne Erfolg. Dabei ist es überfällig, Regelungen zu treffen, um den teilweise unerträglichen Lärm von Propellerflugzeugen an Flughäfen zu senken.
Die Lebensdauer beispielsweise zweimotoriger Flugzeuge beträgt bis zu 27 Jahren, die der einmotorigen sogar bis zu 35 Jahren. Wie es dann mit dem Lärmschutz und der Technik aussieht, kann man sich vorstellen. Da die Flugzeuge zum Teil nicht mehr nachrüstbar sind, wird versucht, die Umsetzung der Landeplatzverordnung zu verhindern, denn dann müßten einige dieser alten Brummer aus dem Verkehr gezogen werden. Die Lärmbelastungen durch sie würden dann endlich verschwinden.
Die geltende Landeplatzverordnung und auch die geplante gelten nur für etwa 15 Prozent der Landeplätze. Von den 333 Flughäfen, die ich vorhin angesprochen habe, werden also nur 15 Prozent durch die Landeplatzverordnung geregelt. Für die übrigen Flughäfen gelten diese Regelungen nicht, zum Beispiel für all jene, die unter 20 000 Flugbewegungen im Jahr haben. Das sind gerade die, die an den Schönwetterwochenenden so belastet sind. Es ist auch nicht geplant, diese Flughäfen in die neue Landeplatzverordnung einzubeziehen.
Es kann ja wohl nicht angehen, daß jeder Rasenmäher am Wochenende strengeren Auflagen unterliegt als die Kleinflugzeuge!
Lärm wird zwar öffentlich beklagt, aber es fehlt an wirksamen Maßnahmen auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene. Wir haben das Grünbuch der Europäischen Kommission „Künftige Lärmschutzpolitik" bekommen, das im November 1996 herausgekommen ist. Darin werden auch Gründe angeführt - ich finde dies sehr wichtig, weil es wirklich ein nicht nur nationales Problem ist -:
Lärmminderungsmaßnahmen wurde bisher - trotz der Tatsache, daß Lärm laut Meinungsumfragen als eine der wichtigsten Beeinträchtigungen der Lebensqualität angesehen wird - im allgemeinen eine geringere Priorität eingeräumt als Maßnahmen zur Verringerung anderer Umweltprobleme wie Luft- und Wasserverschmutzung.
Nun kommt die vermutete Begründung:
Einer der Gründe dafür könnte darin zu finden
sein, daß die Entscheidungsträger sich dieser Pro-
Monika Ganseforth
bleme nicht bewußt sind bzw. die - wenig spektakulären - Auswirkungen von Lärm nicht kennen: Die Wirkungen von Lärm sind heimtückisch schleichend, nicht plötzlich katastrophal.
Genau das ist der Grund, warum immer nur darüber geredet und nichts getan wird.
Wir fordern Sie auf: Ergreifen Sie die Initiative! Legen Sie ein Programm zur Verbesserung des Schutzes der Menschen vor Fluglärm vor! Ändern Sie das Fluglärmgesetz! Wir brauchen endlich eine wirksame Novelle der Landeplatzverordnung! Nehmen Sie die Sorgen der durch Fluglärm belasteten Menschen endlich ernst, und machen Sie sich nicht weiterhin zum verlängerten Arm einer gut organisierten und finanzstarken Lobby!
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuviel Lärm ist ungesund. Ungeachtet der Frage, wer welche Geräusche ab wann als Lärm empfindet, dürfte dies weitgehend konsensfähig sein. Es ist sicher auch nicht schwierig, eine Gemeinsamkeit darüber herzustellen, daß es angenehmere Orte gibt als die unmittelbare Nähe zu laufenden Düsenmotoren.
Beim Blick auf den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen allerdings ist es schnell mit den Gemeinsamkeiten vorbei. Nicht nur, daß man den Eindruck gewinnen könnte, daß Lärmschutz in der Umgebung von Flughäfen bisher nicht stattfindet. Überspitzt ausgedrückt scheint es so zu sein, daß Flughäfen praktisch über Nacht in bisher als Wohngegend ausgewiesene Gebiete verlegt worden sind, deren Bewohner jetzt plötzlich mit dem Lärm konfrontiert werden. So weit, so falsch.
Auch sonst gehen die Kollegen von Bündnis 90/ Die Grünen von falschen Voraussetzungen aus. Als Berechnungsgrundlage von Verkehrslärm, Herr Kollege Schmidt, hat sich der Mittelungspegel bewährt und international durchgesetzt, was für den weltweit operierenden Luftverkehr von besonderer Bedeutung ist. Zahlreiche Lärmexperten haben darauf hingewiesen: Durch Betrachtung des Maximalpegels wird die tatsächliche Emissionsbelastung objektiv nicht zutreffender wiedergegeben. Dies gelte auch für die empfundene Lärmbelästigung. Außerdem sei zu berücksichtigen - so beispielsweise der Lärmfachmann Ulrich Heuber -, daß bei der „Betrachtung von Lärm ein physikalisches Maß eingesetzt werden muß, das auch betroffene Bürger und die Rechtsprechung verstehen und nachvollziehen können" .
Richtig ist, daß sich der Beurteilungspegel von Geräuschemissionen des Luftverkehrs von denen des Straßen- und Schienenverkehrs unterscheidet. Eine Verdoppelung oder Halbierung der Flugbewegungen bedingt eine Zu- bzw. Abnahme des Pegels von 4 dB(A). Bei den anderen Verkehrsträgern sind es 3 dB(A). Beide Größen liegen allerdings an der Grenze dessen, was an Veränderungen vom menschlichen Ohr überhaupt noch wahrgenommen werden kann.
- Das ist kein Witz. Lesen Sie die Fakten doch einmal nach, Frau Professor Ganseforth!
Insofern macht auch die von Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagene Änderung des Beurteilungspegels wenig Sinn, weil damit kaum signifikante Verbesserungen zu erreichen wären.
Wenn in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Schmidt, in Ihrem Antrag auf das Urteil des BGH von 1993 Bezug genommen wird, dann wird suggeriert, daß die unterschiedlichen Beurteilungsgrundlagen für Flug- und sonstigen Verkehrslärm verfassungwidrig seien bzw. für alle Verkehrslärmemittenten die gleichen Kriterien gelten müßten. Allerdings - das fügen Sie nicht hinzu - stellt der BGH auch fest, daß auf Grund der kurzzeitigen Schallentwicklungen „Düsenfluglärm und das Geräusch vorbeifahrender Züge hinsichtlich der Lärmentwicklung und ihrer Auswirkungen auf das menschliche Lärmempfinden ersichtlich nicht gleich zu bewerten sind". Das muß man dazusagen.
Die Stärke der Lärmbelästigungen durch den Flugverkehr hat in der Vergangenheit trotz des wachsenden Verkehrsaufkommens kontinuierlich abgenommen. Einige Beispiele. Im Vergleich mit einer Boeing 727 besitzt ein Airbus 320 einen um 90 Prozent kleineren Lärmteppich von 85 dB(A) und mehr. Das ist immer noch eine gewaltige Lärmemission; aber sie konzentriert sich derzeit ausschließlich auf das Flughafengelände.
Auf dem Flughafen Frankfurt ist die Zahl der Flugbewegungen von 1980 bis 1995 um 56 Prozent gestiegen. Aber die Stärke der Lärmbelästigung hat im gleichen Zeitraum um 29 Prozent abgenommen.
Mit Blick auf den raschen technischen Fortschritt bei der Entwicklung lärmgeminderter Trieb- und Fahrwerke und den damit verbundenen höheren oder niedrigeren Start- und Landegebühren, mit Blick auf neue satellitengestützte Landesysteme mit dann lärmoptimierten Anflugrouten und mit Blick auf die im Vergleich zum ICAO-Standard ohnehin strengeren Grenzwerte in Deutschland wird sich die Lärmbelästigung an den Flughäfen weiter vermindern, und das, ohne daß man deswegen mit kostenfördernden und arbeitsplatzfressenden Ungeheuern nachhelfen muß.
Wir werden die Beratungen mit Aufmerksamkeit verfolgen.
Danke.
Herr Kollege, da war noch der Wunsch nach einer Zwischenfrage der Kollegin Ganseforth.
Das ist vorbei.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte den Eindruck, Kollege Letzgus sieht das mit dem Fluglärm gar nicht so tragisch. Möglicherweise teilt er die Auffassung des Kollegen Protzner, des CSU-Generals, der gesagt hat, daß Tiefflieger nicht lauter sind als Schlagbohrer.
- Ja, wahrscheinlich auch.
- Das ist wohl durchaus zu ertragen, Kollege Letzgus.
Meine Damen und Herren, es ist bedauerlich, aber vermutlich wird es dem vorliegenden Antrag nicht anders ergehen als anderen vorher: Er wird von der Koalitionsmehrheit schlicht und einfach abgebügelt. Es ist - das ist hier schon gesagt worden - wirklich allerhöchste Zeit für eine Novellierung. Dieses Gesetz hat 26 Jahre auf dem Buckel. Ich denke, man sollte angesichts der verkehrlichen und der technischen Entwicklung endlich etwas Neues vorlegen.
Die Fluglärmbelastung in der Bundesrepublik ist außerordentlich hoch. Das hängt mit der hohen Siedlungsdichte, aber auch mit der hohen Verkehrsdichte zusammen. Gerade der Flugverkehr hat in den letzten Jahren explosionsartig zugenommen. Die positiven Tendenzen, die es hinsichtlich des innerdeutschen Flugverkehrs gibt, werden im Grunde genommen aufgefressen durch die Zunahme des Langstrekkenflugverkehrs. Besonders verstärkt hat sich der Nachtflugverkehr.
Lärm kann krankmachen; das ist hier schon deutlich gesagt worden. Zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Fluglärm gehören Schwerhörigkeit, Kreislaufschäden und Magenkrankheiten. Heute weiß man, daß Gesundheitsgefährdungen bereits bei niedrigeren Belastungen als vermutet eintreten und daß bestimmte Gruppen besonders belastet und gefährdet sind, nämlich Kranke, alte Menschen und Kinder. Die können am allerwenigsten für den Fluglärm.
Das existierende Fluglärmschutzgesetz ist völlig unzureichend und schützt in der Tat eher die Flughafenbetreiber vor den berechtigten Forderungen der Betroffenen als die Fluglärmbetroffenen vor dem Lärm. Die PDS kann daher die Änderungsvorschläge der Grünen unterstützen, nämlich die Einbeziehung von Regionalflughäfen, Sportfluggeräten, militärischen Übungsgebieten usw. in das Gesetz sowie die Ablösung des Bewertungskriteriums „Dauerschallpegel" durch den Beurteilungspegel Lr und auch die anderen Punkte, die in den Vorschlägen enthalten sind.
Insgesamt allerdings bedarf auch der Ansatz der Grünen einiger Kritik. Ich sage das, wohlwissend, daß es inzwischen andere Anträge - auch von den Grünen - zum Flugverkehr gibt. Ich will das einfach an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen. Es reicht meines Erachtens nicht aus, auf der einen Seite einen Maßstab „Umweltkapazität" einzuführen, auf der anderen Seite aber die Planungsgrundlagen, die eine unkoordinierte Ausweitung von Flughafenkapazitäten geradezu fördern, unangetastet zu lassen. Eine bundeseinheitliche Bedarfsermittlung, Planung und vor allem Steuerung von Flughafenkapazitäten ist von der Gesetzeslage her zur Zeit nämlich gar nicht möglich. Ich verweise nur auf die Diskussion in der letzten Sitzung des Verkehrsausschusses, als wir über den Antrag der PDS diskutiert haben. Ich denke, hier ist dringender Handlungsbedarf gegeben.
Weiterhin vermisse ich Aussagen zu einer Verlagerung des Kurzstreckenflugverkehrs bis 600 Kilometer auf die Bahn. Denn der beste Schutz vor Fluglärm ist der, der sozusagen an der Quelle ansetzt; das heißt, grundsätzlich brauchen wir eine Reduktion des gesamten Flugaufkommens.
Selbstverständlich wäre es ein Fortschritt für die Betroffenen, wenn militärische Tieffluggebiete in das Lärmschutzgesetz einbezogen und Schallschutzaufwendungen erstattet würden. Nur, wir gehen grundsätzlich vom Irrsinn militärischer Tiefflüge aus. Deshalb kann die Forderung nur sein: Einstellung sämtlicher militärischer Tiefflüge.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Walter Hirche.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die weitere Reduzierung des Fluglärms bleibt ein wichtiges verkehrs- und umweltpolitisches Ziel der Bundesregierung. Denn vor allem im Umfeld der großen Flughäfen gibt es Bereiche, in denen die dort wohnende Bevölkerung sehr großen Belastungen durch den Flugbetrieb ausgesetzt ist. Die Forderung nach einer umweltgerechten Gestaltung der Mobilität von Personen und Gütern gilt selbstverständlich auch für den Bereich des Luftverkehrs. Allerdings möchte ich doch darauf hinweisen, daß die Bundesregierung in den vergangenen Jahren eine Fülle von Maßnahmen zur Lärmreduzierung im Luftverkehr durchgeführt hat. Immerhin konnten in den letzten 20 Jahren bei den Verkehrsflugzeugen durch technische Innovationen Lärmminderungen um bis zu 20 Dezibel erreicht werden.
Die Bundesregierung setzt sich für folgende Maßnahmen ein; ich trenne hier den zivilen und den militärischen Bereich.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erstens. Die technischen Möglichkeiten zur Lärmreduzierung an der Quelle, das heißt am Flugzeug und an den Triebwerken selbst, sollen weiter ausgeschöpft werden, vor allem indem die Geräuschgrenzwerte für Verkehrsflugzeuge dem Stand der Technik entsprechend weiter gesenkt werden. Ich verweise insbesondere auf die Bemühungen von BMW/Rolls-Royce im Süden von Berlin, in Brandenburg, eine neue Generation von Triebwerken in Deutschland zu entwickeln.
Zweitens. Auf Grund einer Vorschrift der Europäischen Gemeinschaft ist die stufenweise Ausmusterung aller lauten Strahlflugzeuge der zweiten Generation, der sogenannten Kapitel-2-Flugzeuge, bis zum Jahr 2002 erreicht worden.
Drittens. Durch den Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente, vor allem die Staffelung der Landegebühren in Abhängigkeit von der Lärmentwicklung des Flugzeugs, werden finanzielle Anreize für eine beschleunigte Umrüstung auf lärmarme Flugzeuge geschaffen.
Viertens. Der Anteil der besonders lärmgeminderten Flugzeuge innerhalb der Kapitel-3-Flugzeuge ist durch die Fortentwicklung dieser Anreizsysteme weiter anzuheben.
Fünftens. Es ist die Diskussion über angemessene Betriebszeitregelungen zu erwähnen, die sicher im Verkehrsausschuß und im Umweltausschuß fortgeführt wird. In den Beratungen könnte sich die Frage einer eventuellen Novellierung der Landeplatzverordnung und der künftigen Behandlung der Nachtflugbeschränkungen stellen.
Im Bereich des militärischen Flugbetriebs konnten ebenfalls spürbare Lärmminderungen erreicht werden.
Erstens hat sich der Umfang des militärischen Flugbetriebs seit der Wiedervereinigung Deutschlands durch den Abzug der sowjetischen Luftstreitkräfte, durch die Verlegung von Teilen der NATO- Verbände und durch die Verkleinerung der Bundesluftwaffe erheblich vermindert.
Zweitens wurde für Tiefflüge mit militärischen Strahlflugzeugen die generelle Mindestflughöhe auf 300 Meter über Grund angehoben, während zuvor in bestimmten Tieffluggebieten in einer Mindesthöhe von 75 Metern geflogen werden durfte.
Drittens ist der militärische Flugbetrieb mittlerweile an 15 von früher insgesamt 34 militärischen Flugplätzen mit Lärmschutzbereichen eingestellt worden.
Es wurden also im zivilen und im militärischen Bereich deutliche Erfolge erzielt. Lassen Sie mich aber darauf hinweisen, daß neben den technischen und betrieblichen Maßnahmen zur Lärmminderung im Luftverkehr insbesondere über planerische Lärmschutzvorschriften und ihre Änderung nachgedacht werden muß. Das betrifft nicht nur den Bund, sondern die Länder in gleicher Weise.
Eine vorausschauende Siedlungsplanung im gesamten Flugplatzumland ist gefordert. Auch alle Redner, die gerade gesprochen haben, wissen: Ein Teil derjenigen, die sich heute verständlicherweise über Flugplatzlärm beschweren, sind erst dort hingezogen, nachdem der Flugplatz schon lange bestanden hat. Sie hätten von den Schwierigkeiten, die dort auftreten, wissen können.
Dennoch: Es muß eine Optimierung der Flugverfahren und Flugstrecken unter Lärmgesichtspunkten gemacht werden. In der Vergangenheit sind schon 1 Milliarde DM für Maßnahmen gegen Fluglärm aufgewendet worden. Es hat mehrere Vorstöße zur Veränderung der Vorschriften gegeben. Sie wissen, daß diese Maßnahmen, die letzte etwa 1992, im Bundesrat gescheitert sind, und zwar auf Grund der Kosten, die dabei entstehen.
Frau Kollegin Ganseforth, ich rufe in Erinnerung, daß zum Beispiel unter Bundeskanzler Schmidt 1975 wichtige Maßnahmen, die damals zur Verschärfung der Vorschriften gegen Lärm im Verkehrsbereich geplant waren, wegen der Kostenfrage gebremst wurden. Ganz offenkundig muß sich jede Bundesregierung mit den Kosten auseinandersetzen. Der zentrale Fehler der vorliegenden Anträge ist, daß die Frage der Kosten völlig ausgeklammert wird.
Meine Damen und Herren, es ist das alte Spiel: Die Opposition weist auf verbesserungswürdige Dinge hin, ignoriert die Kostenfrage und behauptet dann, es würde nicht ausreichend gehandelt. Deswegen: Der Verkehrsausschuß, der Umweltausschuß und die anderen Ausschüsse werden sich mit den Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation beschäftigen. Wir werden alles daransetzen, eine Verbesserung der Situation zu erreichen, aber unter Beachtung des Gesamtrahmens.
Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/6346 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Berichts des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Nutzerinnen und Nutzer von Grundstücken in den neuen Bundesländern (Nutzerschutzgesetz)
- Drucksachen 13/2822, 13/6819 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo
Hans-Joachim Hacker
Dr. Uwe-Jens Heuer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Wi-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
derspruch höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Ausschußvorsitzende, der Abgeordnete Horst Eylmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gruppe der PDS hat gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Zwischenbericht des Rechtsausschusses über den Stand der Beratungen des Gesetzentwurfs der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/2822 beantragt. Diesen Zwischenbericht erstatte ich wie folgt:
Der Deutsche Bundestag hat den von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der PDS vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Nutzerinnen und Nutzer von Grundstücken in den neuen Bundesländern in seiner 80. Sitzung vom 18. Januar 1996 in erster Lesung beraten und zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen.
Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat zu dem Gesetzentwurf bisher noch keine abschließende Stellungnahme abgegeben. Der Rechtsausschuß hat den Gesetzentwurf bislang schon sehr intensiv beraten, nämlich in insgesamt neun Sitzungen. Er hat darüber hinaus in seiner 57. Sitzung vom 25. September 1996 unter anderem auch zu diesem Gesetzentwurf eine öffentliche Anhörung durchgeführt, an der insgesamt zehn Sachverständige und Verbandsvertreter teilgenommen haben. Hinsichtlich der Ergebnisse der Anhörung darf ich auf das Protokoll dieser Sitzung mit den anliegenden Stellungnahmen der Sachverständigen verweisen.
Parallel zu diesem Gesetzentwurf der Gruppe der PDS haben wir den Gesetzentwurf des Bundesrates beraten. Zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/2022 haben die Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. im Rechtsausschuß einen Änderungsantrag unter der Bezeichnung „Gesetz zur Absicherung der Wohnraummodernisierung und einiger Fälle der Restitution" - Wohnraummodernisierungsgesetz - eingebracht. Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen hat ebenfalls einen Änderungsantrag gestellt, und zwar zum einen zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates, den ich eben erwähnte, und zum anderen zum Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P.
Im Ausschuß besteht Einvernehmen darüber, daß der Gesetzentwurf der PDS zusammen mit den übrigen Vorlagen beraten werden soll, wie es auch in der Vergangenheit schon der Fall war. Die Ausschußberatungen konnten bisher noch nicht abgeschlossen werden, da insbesondere innerhalb der Fraktion der CDU/CSU noch Beratungsbedarf zu der Frage gesehen wird, ob und in welchem Umfang gesetzliche Regelungen geschaffen werden sollen, um Formfehler, darunter die vom BGH bemängelten Formfehler bei den Abschlüssen von Grundstückskaufverträgen nach dem sogenannten Modrow-Gesetz vom 7. März 1990, zu heilen.
Lassen sie mich noch hinzufügen: Je länger man sich mit der Problematik beschäftigt, um so mehr Streitfälle kommen ins Blickfeld. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu den Fällen, in denen in der DDR Eigentumserwerb aus den verschiedensten Gründen gescheitert ist. Darunter sind Fallgestaltungen, in denen es aus formalen Gründen nicht zu einem Eigentumsübergang gekommen ist. Dafür kann man sich schon eine Heilung vorstellen. Es gibt aber auch Fehler materiellrechtlicher Art, die einem Eigentumserwerb oder - andersherum gesagt - einem Eigentumsverlust entgegenstehen. Ich nenne in diesem Zusammenhang die von den DDR-Behörden bewußt herbeigeführte Außerachtlassung der Erben dritter Ordnung.
Auch verfassungsrechtliche Gesichtspunkte spielen, wie Sie sich denken können, eine Rolle. Inzwischen gibt es die Rechtsprechung des BGH. Wenn Eigentum vorhanden ist, kann es nun unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung entschädigungslos durch ein Gesetz enteignet werden. Das sind Gesichtspunkte, denen man sich mit Sorgfalt widmen muß.
Der Rechtsausschuß ist bestrebt, seine Beratungen baldmöglichst abzuschließen. Wir sind uns der Dringlichkeit dieses Gesetzgebungsvorhabens, aber auch der damit verbundenen rechtlichen Schwierigkeiten bewußt.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Joachim Hacker.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Eylmann, wenn das so weitergeht, wenn sich die Damen und Herren von der Koalition anstrengen, dann feiert der Antrag meiner Fraktion vom 15. März 1995, „Vorrang für die Nutzer in Ostdeutschland", auf Drucksache 13/803 seinen zweiten Geburtstag im Deutschen Bundestag.
Ich hoffe, daß dieser zweite Geburtstag nicht gefeiert werden muß.
Mit diesem Antrag wurden die Probleme aufgegriffen, die sich bereits damals in den Vermögensfragen deutlich zeigten. Um die Betroffenen von Sorgen, die sie schwer bedrücken, zu befreien, hatten wir den Wählern 1994 zugesichert, daß wir diese Fragen endlich einer Lösung zuführen wollen. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, blockieren die mögliche und dringend notwendige Lösung nun seit fast zwei Jahren. Worum geht es eigentlich, und warum werden diese Fragen nicht gelöst? Diese Fragen stellen sich die Betroffenen immer wieder.
Hans-Joachim Hacker
Nach der Verabschiedung des Eigentumsfristengesetzes Ende 1996 sehe ich insgesamt drei Regelungskomplexe, die dringend einer Lösung bedürfen. Erstens geht es um die Schaffung von Investitionsvoraussetzungen im Bereich des restitutionsbehafteten Wohnungsbestandes in den neuen Ländern. Die Mieter in diesen Wohnungen haben schon lange kein Verständnis mehr dafür, daß unklare Eigentumsverhältnisse die Schaffung eines normalen Wohnungsstandards verhindern. In vielen dieser Häuser ist die Zeit 1990 stehengeblieben. Das siebente Jahr der deutschen Einheit erleben die Mieter in DDR-Grau, mit zusätzlichen Verängstigungen bezüglich der künftigen Gestaltung der Mietverhältnisse.
Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Verfügungsbeschränkungen nach § 3 des Vermögensgesetzes stellte die Sachverständige Frau Kern vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen ergänzend zu ihrer Stellungnahme bei der Anhörung des Rechtsausschusses am 25. September 1996 fest:
In den restitutionsbehafteten Wohnungsbestand könnten rd. 9,4 Mrd. DM investiert und damit 23 000 Arbeitsplätze geschaffen werden.
Diese Zahlen sind nicht aus der Luft gegriffen; sie sind exakt untersetzt.
Hier wird also nicht nur eine juristische Blockade, sondern auch eine massive Wirtschaftsblockade deutlich. Mittelständische Unternehmen in den neuen Ländern könnten in hohen Größenordnungen Investitionsmaßnahmen im Bereich der Modernisierung tätigen und damit Arbeitsplätze sichern und neue Arbeitsplätze schaffen. Eine Frage drängt sich in diesem Zusammenhang auf: Wer stellt eigentlich die zuständigen Ressortminister für Justiz und Wirtschaft in diesem Land?
Zum zweiten Regelungskomplex: Während die BvS unter der Fachaufsicht und Kontrolle des Bundesfinanzministers ganze Dörfer gegen den Willen der Bewohner veräußern will - ich erinnere an den Fall des brandenburgischen Ortes Liebenberg -, war die Bundesregierung bisher nicht in der Lage, die offenen Fragen im Zusammenhang mit der Begründung von Volkseigentum während der DDR-Zeit und den Grundstücksverkäufen 1990 einer Lösung zuzuführen. Herr Eylmann, ich stimme Ihnen völlig zu: Die Fälle sind sehr kompliziert und auch nicht alle vergleichbar. Um so dringender ist aber die Notwendigkeit, daß wir endlich zu Regelungen, zu Lösungen kommen. Wir hatten schon fast eine Regelung erreicht; ich komme darauf in meiner Rede noch zurück.
Diese Probleme sind für viele Familien mittlerweile zu Existenzfragen geworden. Jeder Monat Verzug bei der Regelung vergrößert die Ungewißheit und bedeutet oftmals ökonomische Nachteile erheblichen Ausmaßes. Herr Eylmann, damit bin ich bei dem angesprochenen Punkt: Im November 1996 waren wir in den Berichterstattergesprächen fast zum Erfolg gekommen. Die Formulierungshilfe des Bundesministeriums der Justiz vom 11. Oktober 1996 schien einen
Kompromiß zu eröffnen. - Herr Dr. Luther nickt; wir stimmen darin überein.
Warum ist bislang nichts weiter geschehen? - Weil seit Wochen eine gesteuerte Diskussion geführt wird, in der völlig unterschiedliche Sachverhalte zusammengebunden werden; auch darin, denke ich, sind wir einer Meinung. Zusammengeführt werden hier die Thematik der Nachkriegsenteignungen einerseits und die Verstaatlichungen während der DDR- Zeit sowie die Grundstücksverkäufe 1990 andererseits. Ich wiederhole insofern meine Kritik an dem Herrn Bundesjustizminister und an denjenigen, die ihn dabei unterstützen. Statt sich mit unrealistischen Vorschlägen in die Debatte um die Enteignungen 1945 bis 1949 einzuschalten, hätte er konkrete Vorschläge zur Lösung der Grundstücksprobleme vorlegen können und, so meine ich, müssen.
Ich wiederhole: Zehntausende Familien in Ostdeutschland sind verunsichert. Die in den BGH-Urteilen entwickelten Kriterien zur Rechtsungültigkeit der kommunalen Grundstücksverkäufe 1990, bei denen unkorrekte Bezeichnungen der veräußernden Kommunen benutzt wurden, sind fernab der Lebensrealität in der sich im Umbruch befindlichen Gesellschaft am Ende der DDR-Zeit. Das nicht zu erkennen oder nicht erkennen zu wollen und daraus nicht politisches Handeln abzuleiten muß an dieser Stelle erneut aufs schärfste kritisiert werden.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie nehmen nach wie vor Realitäten in den neuen Ländern nicht wahr. Sie machen wie zu den Wahlen 1990 und 1994 Versprechungen.
- Ich werde Ihnen das gleich beweisen, Herr Geis.
Bei den von der Bodenreform Betroffenen nähren Sie die Hoffnung, die abgeschlossene Gesetzgebung könne, oftmals zu ihren Gunsten, nochmals aufgerollt werden - ein völlig unrealistisches Unterfangen. Wir sind uns völlig einig, was den Inhalt und die Umstände der Bodenreform angeht; aber wie ist das mit Ihnen? Ich verweise nur darauf, was Herr Bundesminister Bohl in der letzten Sitzungswoche dazu ausgeführt hat.
Meine Damen und Herren, eine andere Gruppe, die Häuslebauer mit Grundstücksverträgen, die mit Formfehlern behaftet sind, vertrösten Sie von Monat zu Monat, ja, von Jahr zu Jahr. Es gibt Bürgerinnen und Bürger einer Initiative in Halle, Saale, aber auch in Mecklenburg-Vorpommern und im Großraum Berlin, die mich - und sicherlich auch Sie - seit Monaten anrufen, Briefe schreiben und immer wieder die Frage stellen: Wann endlich kommt das Nutzerschutzgesetz? - Wenn es einen anderen Namen bekäme, wäre ich damit auch einverstanden. - In diesen Chor von Fragestellern reihen sich die Länder, die Kommunen und die Berufsverbände ein, insbesondere die Notarkammern der Länder wie auch die Bundesnotarkammer.
Hans-Joachim Hacker
Der Antrag der SPD-Bundestagsfraktion - ich hatte das bereits gesagt - stammt vom 15. März 1995. Die Gesetzentwürfe des Bundesrates und der Gruppe der PDS stammen vom 18. Juli 1995 bzw. vom 31. Oktober des gleichen Jahres. Wer notwendige Gesetzesinitiativen derartig blockiert, wer sich an Nebeldebatten beteiligt, statt für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu handeln, muß sich zwangsläufig vorwerfen lassen, seiner Verantwortung gegenüber dem Gemeinwesen nicht gerecht zu werden.
In ihrer Presseerklärung vom 11. Dezember 1996 haben die Kollegen Geis, Dr. Luther und Dr. Mahlo erklärt:
Die Koalition wird die aufgeworfenen Fragen der Verkäufe aus sogenanntem Volkseigentum in der ersten Sitzungswoche des neuen Jahres verabschieden.
Ich nehme an, Herr Geis, Sie haben das Jahr 1997 gemeint. Wir befinden uns heute in der zweiten Sitzungswoche des Jahres. Trotz des Engagements einzelner Kollegen der Koalition und des von hoher Fachkompetenz getragenen Bemühens von Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums, einen Lösungsweg zu finden und zu gestalten, sind die Spitzen von Regierung und Koalition in dieser Frage bislang handlungsunfähig. Ich kann nur sagen: Kommen Sie endlich zu einem Ergebnis, das erstens den Lebensrealitäten, wie sie zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse bestanden, gerecht wird und zweitens den redlichen Erwerbern endlich die ersehnte und verdiente Ruhe bringt und damit sozialen Frieden schafft.
Bereits im November 1996, meine Damen und Herren, hatte Herr Staatssekretär Funke, den ich herzlich begrüße, in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung" auf die Gefahren für Investitionen und die wirtschaftliche Gesamtentwicklung hingewiesen, aber auch die Umgehungen des Einigungsvertrages durch die Aushebelung des Vermögensgesetzes im Zivilrechtsweg kritisiert. Es muß endlich gehandelt werden - ich greife damit Ihre Kritik auf - wir müssen zum Punkt kommen!
Zum dritten Regelungskomplex, meine Damen und Herren: Die Restitution von Vermögenswerten, die während der NS-Zeit enteignet worden sind, ist Gegenstand hochjuristischer Diskussionen geworden. Auch hier hat das Bundesjustizministerium leider eine Wackelpolitik betrieben, die eine klare Linie vermissen läßt.
Es kann hier nur eine Entscheidung geben: Das in der NS-Zeit Enteignete muß den Opfern der Enteignungsmaßnahmen - egal, ob es sich um natürliche oder juristische Personen handelt - endlich zurückgegeben werden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die PDS hat für heute die Debatte um den von ihr vor gut einem Jahr eingebrachten Entwurf für ein Nutzerschutzgesetz beantragt. Der Hintergrund dieses Antrags weist wirklich auf ein eigenartiges Verhalten der Bundesregierung - konkret: des Justizministeriums - und, so glaube ich, auch der Koalition hin. Zumindest konnte man das den Ausführungen von Herrn Eylmann entnehmen.
Tatsache ist - Herr Hacker hat das jetzt sehr ausführlich erläutert -: Der Gesetzentwurf des Bundesrates für ein Nutzerschutzgesetz, ebenso der Gesetzentwurf der PDS, der Antrag der SPD und auch unser Änderungsantrag, der sich schon auf das noch gar nicht existente Wohnraummodernisierungsgesetz bezieht - all das kann nicht weiter verhandelt werden, weil Regierung und Koalitionsfraktionen seit Dezember auf Tauchstation gegangen sind.
Hintergrund des Konflikts ist die Heilung zivilrechtlicher Mängel einer Rechtskonstruktion, nach der rechtlich fehlerhafte Enteignungen aus der DDR-Zeit auf eine klare Rechtsgrundlage gestellt werden sollen, damit - darauf aufbauend - das nach der Wende geschaffene Vermögensrecht sowie die verschiedenen schuldrechtlichen und sachenrechtlichen Vereinbarungen überhaupt greifen können. Hintergrund ist gleichzeitig die Frage der Anerkennung der Grunderwerbe nach dem sogenannten Modrow-Gesetz.
Nachdem nun zwei namhafte Zeitungen diese neue Form der „Bildung von Volkseigentum durch die Bundesrepublik" angeprangert haben, besteht wieder die Gefahr, daß alles noch einmal wieder aufgerollt wird, daß die unglückseligen Auseinandersetzungen um divergierende und in der DDR-Zeit veränderte Eigentumsansprüche wieder beginnen und daß ein erneutes Aufrechnen Ost gegen West und West gegen Ost erfolgt. Das darf auf keinen Fall passieren. Daher fordere ich Sie eindringlich auf, bei Ihren offenbar sehr schwierigen Beratungen darauf zu achten, daß wir nicht wieder in diese Situation kommen.
Unsere Fraktion hat sich immer stark gegen das Vermögensrecht gewandt und auch viel Kritik am Sachenrechtsbereinigungsgesetz, an der Schuldrechtsbereinigung usw. geübt. Uns ist aber klar, daß es nicht darum gehen kann, die Rechtstatsachen, die jetzt geschaffen sind, und die Klarheit, auf der aufbauend jetzt gehandelt wird und auf die sich die Alteigentümer und die späteren Neueigentümer einstellen, wieder in Frage zu stellen. Von daher fordern wir Sie auf, hier nicht neue Kriegsschauplätze zu schaffen.
Für das weitere Verfahren sind unsere Forderungen relativ überschaubar und einfach:
Erstens bitten wir Sie, endlich die im Dezember weggesteckten Karten wieder auf den Tisch zu legen. Wir hoffen, daß sie im Prinzip wieder ähnlich
Franziska Eichstädt-Bohlig
auf dem Tisch liegen werden, wie wir es im Dezember diskutiert haben.
Zweitens fordern wir Sie auf, keine Rechtskonstruktionen in die Debatte zu bringen, die neuen Streit zwischen Alt- und Neueigentümern, zwischen Ost und West auslösen.
Drittens erwarten wir - ich hoffe, daß auch das konstruktiv beendet ist -, daß der leidige Streit um die Bodenreformgrundstücke nicht mit den Entwürfen zum Nutzerschutzgesetz oder zum Wohnraummodernisierungsgesetz verknüpft wird.
Last not least gehen wir davon aus, daß wir dann, wenn die Karten erneut auf dem Tisch sind, eine angemessene Beratungszeit haben werden und die Oppositionsparteien nicht wieder alles husch-husch von einem Tag auf den anderen absegnen sollen, nur weil Sie eine so lange Beratungszeit gebraucht haben.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hildebrecht Braun.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viele Menschen unterschätzen die Problematik des Nutzerschutzgesetzes. Sie ahnen nicht, wie schwer es ist, dieser Thematik tatsächlich gerecht zu werden, und sie ahnen auch nicht, wie wichtig dieses Gesetz für die Realität in den neuen Bundesländern sein wird.
Der Nutzerschutz und die damit zusammenhängenden politischen Fragen zeigen genau auf, wie schwierig es ist, ein Unrechtssystem, welches sich scheinbar rechtsstaatliche Gesetze gegeben hatte, in einen Rechtsstaat zu überführen und dabei zu versuchen, die vielfältigen Ungerechtigkeiten so aufzulösen, daß der Gerechtigkeit weitestgehend Raum gegeben werden kann, so daß wieder Rechtsfrieden und Rechtssicherheit eintreten.
In den letzten Wochen kamen neue Fragen hinzu, die besonders schwierig sind: Probleme mit der Wiedergutmachung an Juden, die noch vor Ende des Dritten Reiches geschädigt wurden, aber auch Rechte der Gewerkschaften, was weitreichende Auswirkungen speziell in der Wohnungswirtschaft in den neuen Bundesländern haben kann.
Wenn wir als Parlament unsere Verantwortung ernst nehmen, dann müssen auch wir als Abgeordnete den Gesamtkontext verstehen und dürfen uns nicht einfach darauf verlassen, daß das, was uns von den Fachleuten vorgegeben wird, wohl schon richtig sein wird. Das bedeutet intensives Einarbeiten in eine wirklich schwierige Problematik, und zwar deswegen, weil die meisten von uns nicht dabei waren, als das stattfand, zu dessen Lösung wir uns jetzt zusammenfinden.
Ich möchte aber auch auf einen Aspekt eingehen, der in den alten Bundesländern für Verunsicherung gesorgt hat. Es hat die meisten der mit diesem Thema befaßten Kollegen verletzt, als willige Vollstrecker Honeckers bezeichnet zu werden, weil sie überprüfen und auch überprüfen müssen, welche Akte der DDR Bestand haben und auch Bestand haben müssen. Dabei möchte ich hinsichtlich der Formfehler auf eines hinweisen: Die DDR war ein Staat, in dem die normative Kraft des Faktischen galt, in dem man sich zwar theoretisch gegen Handeln des Staates gerichtlich zur Wehr setzen konnte, in dem aber bereits die hierfür notwendigen Anwälte fehlten und das Risiko äußerst groß war, wenn man gegen staatliches Handeln vorging.
Der Kollege Luther hat uns hierzu manch interessante Dinge berichten können und dieses auch sehr plastisch dargestellt. Daß ein solcher Staat auf Formvorschriften wie die Zustellung an nicht im Staatsgebiet der DDR Lebende, die ja insbesondere dem Schutz der Betroffenen dienen sollten, keine Rücksicht nahm, sondern daß äußerst schlampig mit diesen Vorschriften umgegangen wurde, ist der Grund für viele der heute bestehenden Probleme. Zudem müssen wir, die wir in der Tradition des Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland großgeworden sind, erkennen, daß wir dem alten System der DDR nicht einfach unsere rechtsstaatlichen Grundsätze überstülpen und die Richtigkeit von Maßnahmen daran messen können.
Als Beitrag zum Karneval muß man allerdings den Bundesratsvorschlag ansehen, daß alle Rechtshandlungen - in diesem Zusammenhang noch von Recht zu sprechen, erscheint ohnehin fraglich -, die zur DDR-Zeit Bestand gehabt hätten, auch heute noch Bestand haben sollen. Ich befürchte, daß wir dann selbst die Mauer nicht hätten abreißen dürfen.
Lassen Sie mich abschließend feststellen, daß im Rechtsausschuß Einvernehmen darüber besteht, daß alle Vorlagen zum Nutzerschutz gemeinsam beraten werden sollen. Die noch anstehenden Fragen werden wir zügig, präzise, aber nicht übereilt und hektisch lösen. Denn nur so erreichen wir Rechtssicherheit und Rechtsfrieden.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe-Jens Heuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Braun hat eben von Hektik gesprochen. In der Geschäftsordnung heißt es, die Ausschüsse seien zur baldigen Erledigung der ihnen überwiesenen Aufgaben verpflichtet. Man
Dr. Uwe-Jens Heuer
kann nun darüber streiten, was eine „baldige Erledigung" ist. Die Parlamentsmühlen arbeiten langsam und unsicher, wenn es nicht gerade darum geht, Regierungsvorlagen wie das Sparpaket durchzupeitschen. Was sich der Gesetzgeber jedoch in diesem Fall leistet, ist in meinen Augen skandalös.
Mich und auch andere Abgeordnete erreichen jeden Tag Briefe und Telefonate von Betroffenen und ihren Interessenverbänden mit der bangen Frage: Was wird denn nun? Finden wir mit unseren Anliegen wenigstens in ein paar Punkten Gehör? Wann entscheidet der Bundestag?
Vielleicht gibt es nicht viele Frauen und Männer in diesem Hause, die die Nöte und Ängste der Betroffenen verstehen können. Aber wenn Eigentums- und Nutzungsverhältnisse an Grundstücken und Häusern in Frage gestellt werden, weil beim Verkauf ein Partner mit einem falschen Briefkopf am Werke war oder weil vor 30 Jahren bei der Umwandlung in Volkseigentum kein Notar dabei war, dann sind das schon existentielle Fragen. Wenn alte Leute befürchten müssen, daß sie von ihrem Grundstück, das sie mühevoll kultiviert und über viele Jahre in Schuß gehalten haben, vertrieben werden, weil sie die unverhältnismäßig hohe Pacht nicht mehr bezahlen können, dann ist das schon eine Lebensbedrohung.
Der Entwurf der PDS enthält konsequente Lösungsvorschläge, die ich hier nicht näher erläutern will. Wir können den unglückseligen Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" nicht wieder aufheben. - Sie selbst sind ja zu großen Teilen damit nicht mehr glücklich. - Aber wir wollen seine negativen und ungerechten Auswirkungen mildern und mehr Rechtssicherheit schaffen.
Auch im Entwurf des Bundesrates finden sich vernünftige Vorschläge. Und selbst im Änderungsantrag der Regierungsfraktionen unter der schwierigen Bezeichnung „Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz" sind annehmbare Punkte zu finden. Darüber mußte gründlich diskutiert werden, und darüber ist gründlich diskutiert worden. Neunmal - das ist gesagt worden - hat der Rechtsausschuß das Thema auf der Tagesordnung seiner Sitzungen gehabt. Es hat eine interessante und aufschlußreiche Anhörung stattgefunden. Das geht aus dem Bericht hervor. Wir waren im Grunde fertig. Das wissen Sie alle. Wir standen unmittelbar vor der Entscheidung.
Und was passierte dann? - Am 4. November gab die „FAZ" den Auftakt zu massiven Angriffen gegen die nutzerfreundlichen Punkte im Änderungsantrag. In der Zeitschrift „Wirtschaftsrecht" erschien ein Artikel von Dr. Beate Gruen: „Der Bund als williger Vollstrecker der DDR" . Im „Handelsblatt" wurde am 12. November noch eins draufgesetzt: „Der Deutsche Bundestag - Honeckers willige Vollstrecker".
Auf gut deutsch: Die Verfasser und Befürworter nutzerfreundlicher Regelungen im eigenen Lager wurden vom Zentralorgan des deutschen Großkapitals abrupt und mit harschen Worten zurückgepfiffen.
Ich habe darüber in der Sitzung des Bundestages gesprochen. Sie waren dabei. Diese Artikel schlugen ein wie eine Bombe. Ich möchte das so sagen.
- Nein, wie eine Bombe. - Ich möchte Ihnen sagen: Diese Artikel führten zu einer vollständigen Änderung der Situation. Seit November hat der Rechtsausschuß nur noch Beschlüsse zur Vertagung der Sache gefaßt. In zwei Sitzungen im Januar war sie gar nicht mehr auf der Tagesordnung. Die neue Situation ist auf diese Weise entstanden, auch wenn wir vorher gemeinsam eine gute und gründliche Arbeit geleistet haben.
Nun hat Herr Eylmann von immer noch neuen Fällen gesprochen. Die BGH-Entscheidung hatten wir vorher. Aber jetzt hat er plötzlich von problematischen verfassungsrechtlichen Fragen gesprochen. - Dann kann das noch lange dauern.
Herr Braun hat gesagt: Sie ahnen nicht, wie schwer das ist. - Wir waren ja fertig, meine Damen und Herren. Jetzt aber wird gesagt, es gebe Beratungsbedarf. Dieser Beratungsbedarf entstand aber just nach der Intervention der „FAZ".
Wenn man diese Tatsache betrachtet, dann muß man zu dem Ergebnis kommen, daß die Alteigentümer und deren Rechtsanwälte sowie politischen Interessenvertreter ursprünglich angenommen hatten, sie könnten die Ostdeutschen über die Klausel vom unredlichen Erwerb flächendeckend vertreiben. Das hat nicht funktioniert, weil es in der DDR offensichtlich herzlich wenig Fälle unredlichen Erwerbs gab, wie die Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen und die Verwaltungsgerichte inzwischen herausbekommen und in ihren Entscheidungen festgestellt haben.
Deshalb hat man zwei Umwege beschritten: erstens Vertreibung durch überzogen hohe Pacht und zweitens Vertreibung auf zivilrechtlichem Wege durch Geltendmachung von Formfehlern. Dann wurde - unter sehr anerkennenswerter Arbeit auch des Bundesjustizministeriums - versucht, den zweiten Weg ein bißchen zu erschweren. Da wurde ihm gezeigt, wie die wirkliche Lage ist.
Ich bin also der Meinung, wir sollten unseren Entwurf weiter im Paket behandeln. Ich habe noch nicht alle Hoffnung fahren lassen, daß es wenigstens zu einem Minimum an Einvernehmen kommt. Auf die Dauer werden wir aber unseren eigenen Vorschlag per Einbindung in dieses Paket nicht auf die lange Bank schieben lassen. Die Leute warten wirklich auf unsere Entscheidung. Sie sind durch die Diskussion unsicher geworden. Es handelt sich in vielen Fällen
Dr. Uwe-Jens Heuer
um alte Leute, die wissen wollen: Was wird denn nun aus uns? Dazu muß ich sagen: Herr Luther, ich hoffe auf Sie.
Auf jeden Fall hat der Herr Kollege Luther jetzt das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist richtig: Es liegt eine hohe Erwartung auf mir. Herr Heuer, ich muß Sie aber vielleicht ein wenig enttäuschen.
Ich weiß, daß wir den PDS-Antrag seit einem Jahr bei uns im Rechtsausschuß behandeln. Der PDS-Antrag enthält eine Vielzahl von Punkten, die auch das Nutzerschutzgesetz enthält. Deswegen haben wir uns in der Ausschußberatung entschlossen, diese Vorlagen gemeinsam zu behandeln.
Es sind zwei Punkte, die für uns wichtig sind - ich will diese heute noch einmal benennen; sie sind Gegenstand des schon benannten Koalitionsantrages, der diskutiert wurde -: Es handelt sich zum einen um die Erleichterung von Modernisierung und Instandsetzung im anmeldebelasteten Wohnungsbestand und zum anderen um - ich möchte das einmal so bezeichnen - eine Klarstellung des Art. 19 des Einigungsvertrages, daß nämlich Verwaltungsakte wirksam bleiben sollen, außer wenn sie rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechen.
Wir haben in der Koalition und im Rechtsausschuß sehr intensiv darüber beraten und das Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz entwickelt.
Wir haben die Diskussion aber nicht abschließen können, weil das Thema sehr kompliziert ist. Gestatten Sie mir an dieser Stelle trotzdem, einmal den Vorschlag vorzutragen, den die PDS in ihrem Antrag niedergeschrieben hat. Es steht dort:
Rechtsgeschäfte zur Übertragung eines Grundstücks oder Gebäudes ... gelten trotz eines etwa vorhandenen Mangels als wirksam, wenn der Erwerber darauf vertrauen durfte, daß der Erwerb in der Deutschen Demokratischen Republik Bestand haben würde.
Meine Damen und Herren, wenn wir diesen Passus verabschiedet hätten, hätten wir nach einer Weile festgestellt, daß wir etwas Wirkungsloses verabschiedet hätten. Warum? - Der BGH beschäftigt sich nicht mit den Fällen des Vermögensgesetzes. Der BGH kann nur rein zivilrechtliche Fragestellungen beantworten. Er stellt hierzu die Frage: Ist nach Zivilgesetzbuch der DDR bzw. nach BGB zu DDR-Zeiten überhaupt ein Vertrag zustande gekommen? Wenn das Ergebnis ist, daß ein Vertrag nach ZGB überhaupt nicht zustande gekommen ist, weil die zivilrechtlichen Ansprüche nicht erfüllt sind, dann ist natürlich - in Übereinstimmung mit Art. 19 des Einigungsvertrages - kein Verwaltungsakt vorhanden, und dann braucht er natürlich auch nicht geschützt zu werden. Das ist der Kern unseres Problems.
Das ist der Kern der Diskussion.
Ich muß ganz einfach sagen: Ich bin über die Diskussion in der Öffentlichkeit Ende letzten Jahres froh gewesen, weil sie uns allen - auch uns in der Koalition - diese Problematik sehr verdeutlicht hat. Diese Diskussion hat uns davor bewahrt, einen Weg zu beschreiten, der möglicherweise im nachhinein dazu geführt hätte, daß wir einen wirkungslosen Paragraphen verabschiedet hätten. Also müssen wir noch einmal in Klausur gehen und darüber nachdenken, wie wir zu einer Lösung kommen.
Was wir wollen und was wir müssen, ist ganz klar: Wir müssen versuchen, zu formulieren, was ein Verwaltungsakt überhaupt ist. Natürlich wäre es besser, wenn wir den ganzen Sachverhalt ein Stück aus der zivilrechtlichen Schiene herausnehmen könnten. Denn der BGH - das ist mein Eindruck - ist nicht in der Lage, das sachgemäß zu bewerten.
Wir müssen bei der Definition des Verwaltungsaktes ansetzen. Denn die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes, das den Sachverhalt bei Enteignungen im Zusammenhang mit dem Vermögensgesetz klärt, zeigt ganz deutlich, daß die tatsächlichen Verhältnisse der ehemaligen DDR Beachtung finden müssen. Dafür gibt es im Moment keinen Vorschlag. Herr Hacker, auch in Ihrem Antrag, den Sie erwähnt haben, haben Sie dafür keinen Vorschlag und keine Lösung auf den Tisch gelegt. Sie können diesen Lösungsvorschlag gerne noch vorlegen. Wir als Koalition sind bislang die einzigen, die überhaupt versuchen, sachgerecht an das Problem heranzugehen.
Wir wollen eine Lösung. Diese muß klarstellen, daß bei der Bewertung dessen, was in der DDR geschehen ist, berücksichtigt wird, daß die tatsächlichen Verhältnisse in der früheren DDR ihre Besonderheiten hatten. Deswegen muß unter diesen Gesichtspunkten ein Verwaltungsakt entsprechend definiert werden.
Ein anderes, viel virulenteres Problem, nämlich die sogenannten Briefkopfurteile, ist erst in der letzten Zeit hochgekommen. Diese Urteile sind weder Gegenstand Ihres Antrages, Herr Hacker - sie sind auch nicht Gegenstand des Nutzerschutzgesetzes -, noch sind sie Gegenstand des heute zu diskutierenden PDS-Antrages.
Das muß der Wahrheit halber einmal klar gesagt werden.
Dr. Michael Luther
Ich habe gelernt, daß viele Kollegen - auch aus meiner Fraktion - das, was zu DDR-Zeiten, und das, was während der Wende geschehen ist, nicht mehr so genau wissen. Die Diskussion hat mir Gelegenheit gegeben, darauf noch einmal aufmerksam zu machen. Ich darf noch einmal ganz kurz auf den Sachverhalt hinweisen: Die Regierung Modrow hatte auf Grund des Runden Tisches am 7. März 1990 das Verkaufsgesetz der DDR geändert. Danach war der Verkauf von volkseigenen Grundstücken möglich. In dieser Zeit haben die Bürger, die vorher Grund und Boden nicht kaufen konnten, die Gelegenheit genutzt, sind zum Bürgermeister gegangen und haben gesagt: Wir wollen unser Grundstück haben.
Die Zeit war von der Demonstration im Herbst geprägt. Die staatliche Ordnung war einigermaßen durcheinander, wenn überhaupt vorhanden. Neugewählte Bürgermeister, die sich erst einmal orientieren mußten, waren ins Amt gekommen. Sie sahen sich vielen Menschen gegenüber, die sagten: Wir wollen jetzt unser Grundstück kaufen. - Natürlich sind da Fehler geschehen. Diese Fehler werden uns heute vom BGH angekreidet. Ich glaube aber, daß - im Unterschied zu der Aussage des BGH, wonach der Falsche gehandelt hat - nicht der Falsche, sondern der Richtige gehandelt hat; der Richtige ist in den Verträgen aber falsch bezeichnet. Das müssen wir, denke ich, klarstellen.
Ich weiß, daß wir wegen dieses schwierigen und so häufigen Problems zu einer schnellen Klarstellung im Gesetz kommen müssen. Ich hoffe, daß wir das bald schaffen. Im Februar sollten wir zum Schluß kommen. Es hatte objektive Gründe, warum wir es nicht im Januar geschafft haben. Leider kann ich die aus Zeitgründen nicht mehr nennen.
Bevor ich meine Rede beende, möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, der Bundesregierung und namentlich dem Parlamentarischen Staatssekretär Funke recht herzlich zu danken. Er hat uns bei der Gesetzesformulierung bisher ganz hervorragend unterstützt.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache und beende damit diesen Tagesordnungspunkt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Amateurfunk
- Drucksache 13/6439 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Post und Telekommunikation Rechtsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Parlamentarische Staatssekretär Paul Laufs.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung tritt entschieden dafür ein, daß die Belange des Amateurfunkdienstes weiterhin, wie seit nahezu 48 Jahren, in einem eigenständigen Gesetz über den Amateurfunk geregelt werden.
Der von ihr vorgelegte Entwurf des Amateurfunkgesetzes 1997 paßt das heute noch gültige vorkonstitutionelle Gesetz über den Amateurfunk vom 14. März 1949 an das gegenwärtig bestehende rechtliche Umfeld an und ergänzt es im Interesse der Funkamateure, die sich in ihrer überwältigenden Mehrheit am runden Tisch Amateurfunk engagiert und sachkundig in den Meinungsbildungsprozeß eingebracht haben.
Es gibt bundesweit 75 000 Funkamateure, die alle immer sehr wach, sehr kommunikativ und artikuliert die Politik begleiten. Dafür möchte ich ihnen Respekt zollen und Dank sagen.
Meine Damen und Herren, im wesentlichen sind drei Regelungsbereiche zu berücksichtigen, die zunächst allgemein für alle Telekommunikationsdienstleistungen, also auch für den modernen Amateurfunkdienst, gelten, dessen Besonderheiten aber zusätzlich eingefügt werden sollen: erstens das Telekommunikationsgesetz, kurz TKG, mit seinen Verordnungen, insbesondere der Telekommunikationszulassungsverordnung, zweitens das Bundes-Immissionsschutzgesetz mit seiner 26. Verordnung über elektromagnetische Felder und drittens das Gesetz über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten mit seinen Verordnungen.
Dazu ist folgendes anzumerken: Das TKG kennt den Begriff der Genehmigung nicht mehr, verlangt aber eine Frequenzzuteilung für jede Frequenznutzung. Im Amateurfunkgesetzentwurf wird deshalb an Stelle der Genehmigung dem Funkamateur nach bestandener fachlicher Prüfung von der Regulierungsbehörde Teilnahme am Amateurfunkdienst gestattet und ein personenbezogenes Rufzeichen zugeteilt. Mit der Zuteilung dieses Rufzeichens erwirbt der Funkamateur das Recht, die im Frequenznutzungsplan für den Amateurfunkdienst ausgewiesenen Frequenzen zu nutzen. Diese Frequenzen gelten aus dem Gesetz heraus als zugeteilt.
Nach der 26. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 16. Dezember 1996 hat der Betreiber einer Hochfrequenzanlage zwei Wochen vor der Inbetriebnahme der zuständigen Behörde diesen Sachverhalt anzuzeigen. Der Anzeige ist die vom Bundesamt für Post und Telekommunikation nach telekommunikationsrechtlichen Vorschriften zu erstellende Standortbescheinigung beizufügen.
Mit der Telekommunikationszulassungsverordnung 1997 nach TKG gilt diese Vorschrift sinngemäß auch für Funkamateure. Der Funkamateur hat der Regulierungsbehörde vor Betriebsaufnahme seine
Parl. Staatssekretär Dr. Paul Laufs
Berechnungsunterlagen für die ungünstigste Antennenkonfiguration seiner Amateurfunkstelle vorzulegen. Als Fachmann verantwortet er den Betrieb seiner Amateurfunkstelle. Die Standortbescheinigung wird nur auf Antrag ausgestellt.
Die Schutzanforderungen zur elektromagnetischen Verträglichkeit müssen auch von Funkamateuren für ihre selbstgebauten Amateurfunkstellen eingehalten werden. Für den Kollisionsfall soll das Verfahren zur Beseitigung elektromagnetischer Unverträglichkeiten durch eine Rechtsverordnung geregelt werden. Dieser nachträglich eingebrachten Forderung des runden Tisches Amateurfunk hat die Bundesregierung in ihrer Bundesrats-Gegenäußerung entsprochen.
Zu den Besonderheiten möchte ich noch bemerken:
Das neue Amateurfunkgesetz soll keine Altersbegrenzung für das Ablegen der fachlichen Prüfung für Funkamateure mehr enthalten, die heute bei 18 Jahren liegt. Außerdem soll auch für Noch-nichtFunkamateure der Ausbildungsbetrieb unter Aufsicht eines Funkamateurs gestattet werden. Hier ist in besonderer Weise an die Nachwuchsförderung gedacht, die es einem Funkamateur als Lehrer erlaubt, seinen Schülern diesen experimentellen Funkdienst nahezubringen.
Ich möchte zusammenfassen: Der neue Entwurf für das Amateurfunkgesetz 1997, wie er Ihnen vorliegt, wird alle mittlerweile aufgetretenen Mängel des alten Gesetzes beheben, den neuen Entwicklungen in der Frequenzordnung nach TKG, der elektromagnetischen Verträglichkeit nach EMVG und der Umweltverträglichkeit nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz Rechnung tragen und den Amateurfunkdienst nicht einengen, sondern für diesen stark experimentell ausgerichteten Funkdienst mehr Freiheiten schaffen, als es sie für die anderen Dienste gibt.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Rübenkönig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Diskussion zum neuen Telekommunikationsgesetz wurde festgelegt, daß der Amateurfunk separat behandelt und hierfür ein neues Gesetz vorgelegt werden muß. Denn die verstärkte Ausrichtung des experimentellen Amateurfunks auf technische Studien und den Selbstbau von Amateurfunkstellen machen deutlich, daß das Amateurfunkgesetz aus dem Jahre 1949 den neuesten Anforderungen nicht mehr gerecht wird.
Meine Damen und Herren, wir, die SPD, sind stolz darauf, daß auch durch unsere Mitarbeit heute der Entwurf eines modernen Amateurfunkgesetzes vorliegt, der dem Stand der heutigen Entwicklung, des technischen Fortschritts entspricht. Die Rechte der
Funkamateure konnten beibehalten werden und werden im neuen Entwurf voll berücksichtigt.
In vielen Diskussionen mit Amateurfunkern, den Mitgliedern des Deutschen-Amateur-Radio-Clubs, insbesondere mit dem runden Tisch Amateurfunk, aber auch mit den kooperativen Vertretern des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation konnten unter anderem zwei wesentliche Punkte erreicht werden:
Erstens. Der internationale Zusammenhang bleibt erhalten; denn im Rahmen der Gesetzgebung wurde am 27. August 1996 einmütig per Vertragsgesetz der Konvention und Konstitution der Internationalen Fernmeldeunion zugestimmt. Deswegen ist a) der Bezug auf Art. 4 der Konstitution und Konvention der Internationalen Fernmeldeunion voll gesichert und b) der Hinweis auf die Vollzugsordnung für den Funkdienst, VO-Funk, voll enthalten.
Zweitens wurde eine Störfallregelung aufgenommen, weil das Gesetz über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten, nämlich das EMVG, auf die meisten Amateurfunkgeräte nicht direkt anwendbar ist.
Meine Damen und Herren, gerade in einem dichtbesiedelten Lande wie dem unseren bedarf es wegen der recht komplexen technischen Zusammenhänge auch Lösungen für den Fall, daß zwischen einer Amateurfunkstelle und einem anderen Gerät
zum Beispiel wegen Mängeln in dessen elektromagnetischer Immunität sachgerechte Konfliktlösungen greifen, welche Nutzen und Lasten der elektromagnetischen Verträglichkeit in unserem Umfeld gerecht verteilen.
Hier hat die Entscheidung des Bundesrates, auf Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen, richtungsweisenden Charakter. Es ist gut, Herr Dr. Laufs, daß die Bundesregierung das Votum des Bundesrates auch in das Gesetz übernommen hat. In einer hierfür noch zu erarbeitenden Durchführungsverordnung muß dies so geregelt werden, daß eine technisch einwandfreie, eine im Geiste des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit entwickelte und sozialverträgliche Lösung für eine sogenannte Störfallregelung sichergestellt wird.
Amateurfunk, meine Damen und Herren, das ist Zukunft. Als der deutsche Kosmonaut und Funkamateur Thomas Reiter im Frühjahr 1996 eine Funkverbindung im Weltall herstellte, wurde die Faszination Amateurfunk noch einmal überdeutlich. Diese Ereignisse wurden in vielen Schulen an schuleigenen Amateurfunkstationen verfolgt und verhalfen der heranwachsenden Generation oft zu einem Schlüsselerlebnis, das ihnen eine positive Grundeinstellung zum Nutzen unserer Technik für die Menschheit vermittelt.
Gerhard Rübenkönig
Dies ist nur ein Beispiel dafür, daß der Amateurfunkdienst mit seiner Grundidee des Experimentalgedankens Denkweisen anstößt, die letztlich auch dem Industriestandort Deutschland zugute kommen.
Funkamateure bauen sich ihre Geräte überwiegend selbst. Das ist ein Spezifikum des Amateurfunkdienstes. Es wird nicht das Gerät selbst genehmigt und eine Frequenz zugewiesen, nein: Die Funkamateure selbst haben die Fähigkeit erworben, dies mit allen Pflichten und Rechten selbstverantwortlich zu tun, und sie können aus verschiedenen ihnen zugewiesenen Frequenzbereichen geeignete Frequenzen für ihre Experimente wählen. Das dürfen sie aber erst dann, wenn sie eine bis zu zwei Jahren dauernde Ausbildung hinter sich und anschließend die Amateurfunkprüfung bestanden haben. Sie sind dann im Sinne der VO-Funk, also der Vollzugsordnung für den Funkdienst als Bestandteil des Internationalen Fernmeldevertrages oder - wie er heute heißt - der Konstitution und Konvention der Internationalen Fernmeldeunion, ordnungsgemäß ermächtigte Personen, die sich mit der Funktechnik aus rein persönlicher Neigung und nicht aus wirtschaftlichem Interesse befassen.
Ich meine, Amateurfunk wirkt nicht nur der Technikfeindlichkeit entgegen und bildet Funktechniker für Not- und Katastrophenfälle aus, sondern Amateurfunk heißt auch Innovation der Kommunikationstechnik und Veränderung sozialer Verhaltensweisen.
Im Amateurfunk wechseln dank seines Experimentalcharakters Umfeld und Rahmenbedingungen schneller, und oft eilen Entwicklungen voraus, die uns Aufschlüsse über die Zukunft der Kommunikationsgesellschaft geben können. Amateurfunk ist für mich daher mehr als die hochqualifizierte Beschäftigung mit der Funktechnik in der Freizeit und mehr als die Kommunikation der Funkamateure untereinander. Amateurfunk vermittelt den kranken, blinden und älteren Funkamateuren einen neuen Lebenssinn und schafft durch seine auf Völkerverständigung ausgerichteten weltweiten Funkkontakte täglich neue menschliche Beziehungen.
Die Funkamateure haben auch ihre Umwelt entdeckt. Fragen der gegenseitigen Verträglichkeit von elektronischen Geräten und auch der Schutz von Personen in elektromagnetischen Feldern stellen eine neue Herausforderung für die Funkamateure dar. Amateurfunk und Umweltschutz, das ist daher kein Widerspruch.
Ich bin der Auffassung, daß sich der Amateurfunk ständig mit unserer Gesellschaft fortentwickeln muß und daher eigene Regeln und rechtliche Rahmenbedingungen braucht. So ist es richtig und notwendig, die Zukunft des Amateurfunks künftig mit diesem, auf seine Belange abgestellten modernisierten Amateurfunkgesetz abzusichern.
Im Gesetz ist noch nicht die Forderung der Amateurfunker nach einem Anhörungsrecht enthalten.
Insofern begrüße ich die geplante Anhörung im Ausschuß für Post und Telekommunikation, die noch rechtzeitig vor der zweiten und dritten Lesung stattfindet. Wir versprechen uns davon, die eine oder andere Anregung zu bekommen, um diesen schon richtungsweisenden Entwurf eines Gesetzes über den Amateurfunk noch einmal zu optimieren.
Ich denke, daß das neue Amateurfunkgesetz für die Amateurfunker eine leistungsfähige Grundlage für die Zukunft des Amateurfunks bildet. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir dieses neue Gesetz durch schnelle und intensive Beratung im Ausschuß so schnell wie möglich auf den parlamentarischen Beschlußweg bringen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hermann Pohler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat den Entwurf des neuen Amateurfunkgesetzes vorgelegt. Dies ist in gewisser Beziehung etwas wirklich Besonderes; denn das Gesetz über den Amateurfunk, das nun ersetzt werden soll, stammt vom 14. März 1949. Obwohl keiner die Qualität des alten Amateurfunkgesetzes bestreitet - sicherlich ist das einer der Hauptgründe für seine lange Existenz -, so besteht doch heute weitgehend Einigkeit darüber, daß die aktuellen Anforderungen - nicht nur die Anforderungen an die technische Entwicklung, sondern vor allem die Erfordernisse des europäischen Rechts, die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes und insbesondere die Bestimmungen des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten - eine grundlegende Überarbeitung notwendig gemacht haben.
Einigkeit konnte sehr schnell darin erzielt werden, daß das Amateurfunkgesetz nicht im Rahmen der Neuordnung des TKG mitgeregelt werden sollte und daß auch eine gemeinsame Behandlung von Amateurfunkern und CB-Funkern nicht weiter verfolgt wurde.
Bereits im Vorfeld erreichten uns zum aktuellen Gesetzentwurf eine Vielzahl von Bitten und Verbesserungsvorschlägen seitens der Amateurfunker. Wir werden all diesen Vorschlägen im Rahmen der Beratungen nachgehen. Wir werden auch den Vertretern des runden Tisches Amateurfunk die Gelegenheit geben, im Fachausschuß die wesentlichen Vorschläge zu erläutern. Wir werden die Gelegenheit nutzen, derzeit möglicherweise noch bestehende Mißverständnisse aufzuklären.
So bin ich der festen Überzeugung, daß auch der Problembereich der sogenannten Störfallregelung zufriedenstellend geklärt werden kann. Der Bundesrat hat hierzu in seiner Stellungnahme eine Präzisierung und Ergänzung des Gesetzestextes gewünscht. Zu Recht ist die Bundesregierung darauf eingegan-
Dr. Hermann Pohler
gen. Ausgeschlossen werden muß, daß Amateurfunker zukünftig allein dadurch benachteiligt sein könnten, daß ihr Gerät nicht über eine CE-Kennzeichnung verfügt oder zulässigerweise verändert worden ist.
Klar muß aber auch sein, daß die Funkamateure gegenüber anderen Betreibern elektronischer Geräte nicht bevorzugt werden können. Hier möchte ich einmal ganz nachdrücklich die besondere Stellung des Amateurfunkers hervorheben, der in seiner Person nicht nur Betreiber eines Sendefunkgerätes, sondern darüber hinaus gleichzeitig auch Hersteller und zuständige und benannte Stelle im Sinne des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten ist. Daraus ergeben sich nicht nur besondere, um nicht zu sagen einmalige Rechte für den Funkamateur, sondern selbstverständlich auch besondere Pflichten und eine hohe Verantwortung.
Nach einer ersten Durchsicht des Gesetzentwurfes glaube ich sagen zu können, daß der Gesetzentwurf die wesentlichen Belange der Amateurfunker berücksichtigt und vorbehaltlich der ausführenden Verordnungen faire und interessengerechte Regelungen enthält bzw. ermöglicht.
Besonders hervorheben möchte ich dabei die Möglichkeit, den Ausbildungsfunkbetrieb nach § 4 zu regeln, und zwar so, wie er sich in den neuen Ländern bereits ausgezeichnet bewährt hat. Wie Sie sich sicherlich vorstellen können, ist es mir eine besondere Freude, wenn Erfahrungen der neuen Bundesländer zu Verbesserungen führen, von denen zukünftig auch die alten Länder profitieren können. Das ist nicht immer der Fall.
So wird zukünftig in ganz Deutschland erstmals die Möglichkeit bestehen, daß Funkamateure andere ausbilden und es Personen ohne Fachprüfung gestatten können, unter ihrer Aufsicht und vor allem unter ihrer Verantwortung am Amateurfunkdienst teilzunehmen. Soweit mir bekannt ist, sind die Erfahrungen, zum Beispiel in Sachsen, durchweg positiv. Die Funkamateure erhalten damit die Gelegenheit, in verantwortungsvoller Weise den Amateurfunk auch für den Nachwuchs interessant zu machen und den Einstieg in den Amateurfunkdienst zu erleichtern.
Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß entsprechend der Entschließung des Ausschusses für Post und Telekommunikation vom 27. Oktober 1993 der runde Tisch Amateurfunk als demokratisch legitimierte Vertretung der Amateurfunker uns als Ansprechpartner zur Verfügung stehen soll.
Es erscheint mir auch im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens unerläßlich, zunächst eine Willensbildung innerhalb der Amateurfunkergemeinde herbeizuführen und Einzel- und Gemeininteressen zu selektieren. Ich halte es zwar für falsch, von vornherein Vorschläge und Anregungen einzelner Personen von den Beratungen auszuschließen, möchte aber eindringlich darauf hinweisen, daß es selbstverständlich nicht unser Ziel sein kann, uns Vorstellungen einzelner zu eigen zu machen, die von der Mehrheit der Amateurfunker nicht geteilt werden.
In aller Regel wird es daher unumgänglich sein, zunächst eine fachliche und sachliche Abstimmung der individuellen Vorstellungen mit dem runden Tisch vorzunehmen, da wir mit der vor uns liegenden Gesetzesberatung die Interessen der ganz überwiegenden Mehrheit der Amateurfunker berücksichtigen wollen.
Recht schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Manuel Kiper.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der Einbringung des Amateurfunkgesetzes will die Bundesregierung vorkonstitutionelles Recht durch eine Neufassung ersetzen, die den technischen Fortschritt berücksichtigt. Die Rechte der Amateurfunker sollen dabei - ich zitiere - „gegenüber der bisherigen Regelung nicht eingeschränkt werden". Wir wissen, im Nationalsozialismus waren die Funkamateure verboten, und ihnen sind von den Alliierten weitgehende Rechte eingeräumt worden.
Ich begrüße grundsätzlich das Vorhaben, vorkonstitutionelles Recht grundgesetzkompatibel zu machen. Das Vorhaben sollte abgewickelt sein, bevor das BMPT selbst abgewickelt ist. Ich begrüße auch die genannte Zielsetzung, die Rechte der Amateurfunker nicht einzuschränken. Maßstab zur Beurteilung des vorgelegten Gesetzentwurfes sollte deshalb und wird deshalb auch unter den Amateurfunkern die tatsächliche Einhaltung dieser Selbstverpflichtung der Bundesregierung sein.
Mir drängen sich bei diesem Gesetz zwei Fragen auf:
Erstens. Werden der Internationale Fernmeldevertrag und die Vollzugsordnung für den Funkdienst tatsächlich angemessen in deutsches Recht übersetzt? 1985 hat sich die Bundesrepublik völkerrechtlich verbindlich verpflichtet, die Bestimmungen dieses Vertrages in deutsches Recht zu übersetzen. Das Gesetz zum Internationalen Fernmeldevertrag schließt ausdrücklich eine Schlechterstellung der Funkamateure gegenüber Betreibern anderer Funkdienste aus. Von meiner Seite aus sind hier Zweifel angebracht. Ich freue mich, daß wir unter den Obleuten bereits vereinbart haben, im zuständigen Ausschuß eine Anhörung zum Gesetz durchzuführen.
Eine zweite Frage drängt sich mir auf. Es ist doch schließlich die erklärte Zielsetzung der Bundesregierung, zu einer Verschlankung der Behörden zu kommen. Ich stelle mir die Frage, wieso der Amateurfunk dermaßen detailliert geregelt werden muß, wie es der Gesetzentwurf vorsieht. Ich möchte aus der Be-
Dr. Manuel Kiper
gründung zur Neufassung des Amateurfunkgesetzes zitieren - „umfassende Ermächtigungen für den Erlaß einer Ausbildungs- und Prüfungsverordnung und einer Verordnung zur Durchführung des Amateurfunkdienstes jeweils mit Gebührenregelungen". Weitere Verordnungsermächtigungen sind auch noch vorgesehen. Wunderbarerweise werden 0,7 Millionen DM Mehreinnahmen für den Bund erwartet. Warum diese Regelungswut? Geht es um Arbeit für Hunderte von Mitarbeitern des Bundesamtes für Post und Telekommunikation, die offensichtlich nicht mehr genügend ausgelastet sind? Wo bleibt der vielbeschworene Abbau der Regelungsdichte, verehrte Kolleginnen und Kollegen?
Nun erweckt die Bundesregierung mit ihrem Entwurf den Anschein, den großen Regelungsaufwand zu betreiben, um elektromagnetische Verträglichkeit wie elektromagnetische Umweltverträglichkeit endlich sicherzustellen. Ich bin überrascht, daß nun anscheinend auch die Regierung Elektrosmog ernst nehmen will.
Dieses Vorhaben könnte meine volle Unterstützung finden. Manche Amateurfunkanlagen in Wohngebieten strahlen in der Tat so stark, daß ihre Leistung aus diesem Grunde vermindert werden muß. Gerätestörungen wie Befindlichkeitsstörungen bei Nachbarn würden dann in der Tat abnehmen.
Aber das Gesetz gewährleistet nicht, was die Begründung verspricht. Es ist lediglich eine Kann-Bestimmung eingebaut. Sie wird zudem noch von einer entsprechenden Regelung im TKG abhängig gemacht.
Wir wissen, daß die Telekommunikationsbetreiber bei der kürzlich erfolgten Verabschiedung der Verordnung über elektromagnetische Felder die Geburt eines zahnlosen Tigers erwirkt haben. So wie ich den Minister und die verehrten Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe, werden sie für den verstärkten Schutz vor Elektrosmog nicht das Notwendige tun.
Lassen Sie mich deshalb abschließend sagen: Nach dem Text der Begründung deckt sich der - Zitat - „realisierte Hauptzweck" des Gesetzentwurfes „mit den Hauptforderungen der deutschen Funkamateure" . Ich finde es zufriedenstellend, wenn es so ist. Die Äußerungen mancher Funkamateure lassen mich an dieser Aussage zweifeln.
Wir werden das Gesetz deshalb im Ausschuß gründlich prüfen müssen. Wir Bündnisgrünen werden auch die Nebenzielsetzungen auf den Prüfstand stellen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dem Amateurfunk kommt eine hohe gesellschaftliche Bedeutung zu. Der weltumspannende Amateurfunkdienst trägt wesentlich zur Völkerverständigung bei. Er fördert die menschliche Kontaktaufnahme. Er erweitert die Kenntnisse auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik und Elektronik. Das weltweite Amateurfunknetz dient auch als effektives Notfunknetz. Viele Innovationen im Bereich der Elektronikindustrie gehen auf Ideen und den persönlichen Einsatz von Funkamateuren zurück.
Erwähnenswert sind bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes im Plenum auch mehrere Aspekte aus der Geschichte des Amateurfunks in Deutschland, zum Beispiel sein Verbot unter Androhung der Todesstrafe während der französischen Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg, seine Unterdrükkung während des Zweiten Weltkriegs, die letztlich zu nur acht sogenannten linientreuen lizenzierten Funkamateuren führte, und schließlich der Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg, als auf Initiative der Funkamateure hin mit Unterstützung der Alliierten am 14. März 1949 ein Gesetz über den Amateurfunk entstand. Diese Geschichte beeindruckt mich als Liberalen deswegen besonders, weil sie auf Eigeninitiative, private Verantwortungsübernahme und demokratisches Engagement der Funkamateure hinweist.
Bei den Beratungen des nun vorgelegten Gesetzentwurfes werden wir diesen Hintergrund und diese Geschichte besonders berücksichtigen. Für die F.D.P. gilt dabei der Grundsatz: Soviel Markt wie möglich, soviel Regulierung wie nötig. Eigeninitiative ist uns zu wichtig, als daß wir riskieren wollten, sie durch Überregulierung zu ersticken.
Das heute noch gültige Amateurfunkgesetz ist älter als das Grundgesetz. In dem knappen halben Jahrhundert seit 1949 hat sich viel getan. Vor allem gab es eine Veränderung der Technik, die gerade im Bereich der Telekommunikation rasant war. In den letzten Jahren haben sich die Innovationen in diesem Bereich fast überschlagen.
Vor diesem Hintergrund ergab sich dringender Modernisierungsbedarf für das Amateurfunkgesetz. Wichtig für die Amateurfunker ist, daß es bei einem eigenständigen Gesetz bleibt. Es wird der besonderen Bedeutung des Amateurfunks gerecht. Die starke Ausrichtung des experimentellen Amateurfunks auf technische Studien und den Selbstbau von Amateurfunkstellen rechtfertigen dieses Vorgehen.
Schon im Vorfeld der Erarbeitung des Gesetzentwurfes wurden ausführliche Gespräche mit den Betroffenen, insbesondere mit den Amateurfunkvereinigungen, geführt. Die Forderungen aus den Reihen der Funkamateure können mit dem vorgelegten Entwurf als weitgehend erfüllt angesehen werden.
Die Bundesregierung hat nun auch eine Störfallregelung aufgenommen. Dies entspricht dem Votum des Bundesrates.
Dr. Max Stadler
Die Hauptforderungen der deutschen Funkamateure auf eine fachliche Prüfung als Voraussetzung zur Teilnahme am Amateurfunkdienst und auf ein lebenslanges Amateurfunkzeugnis werden erfüllt.
Die F.D.P. tritt - wie auch die anderen Parteien - dafür ein, daß die Betroffenen im Ausschuß für Post- und Telekommunikation nochmals ausführlich gehört werden. Dadurch wird sichergestellt, daß Einwände gegen den Entwurf kritisch gewürdigt werden.
Für die F.D.P. kann ich zusichern, daß wir die vorgeschlagenen Regulierungen - auch die für die Zuteilung eines Frequenzbereichs - noch einmal ausführlich dahin gehend prüfen werden, ob eine Regulierung überhaupt notwendig ist, ob eine Regulierung in diesem Ausmaß notwendig ist oder ob mehr Freiheit für die Funkamateure nicht angemessener wäre.
Vielen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/6439 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 31. Januar 1997, 9 Uhr ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen sowie den Funkamateuren auf der Tribüne einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.