Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich nachträglich dem Kollegen Gerhard Zwerenz, der am 3. Juni seinen 70. Geburtstag feierte, herzlich gratulieren.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache 13/1685 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß Innenausschuß
Finanzausschuß
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat fristgerecht beantragt, nach der ersten Beratung ohne Ausschußüberweisung unmittelbar in die zweite Beratung einzutreten. Die Fraktion der CDU/CSU wünscht, diesen Geschäftsordnungsantrag vor der Aussprache zu beraten. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenbar der Fall. Wir verfahren so.
Damit kommen wir zum Geschäftsordnungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Schulz, bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beantrage im Namen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN gemäß § 80 Abs. 2 der Geschäftsordnung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 106, nicht zu überweisen, sondern heute nach der ersten Lesung in die zweite und dritte Beratung einzutreten.
Sie wissen, wir haben einen Bleichlautenden Gesetzentwurf der Koalition auf Drucksache 13/900 vor wenigen Wochen in diesem Hause ausführlich behandelt.
Es hat dazu am 27. April eine erste Lesung stattgefunden. Am 28. April war diese Drucksache Gegenstand einer Anhörung im Rechtsausschuß. Die zweite und dritte Lesung dieser Vorlage hat am 12. Mai - bezeichnenderweise zwei Tage vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen und in Bremen - in diesem Hause stattgefunden. Es hat nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit gegeben, und in der Sache selbst gibt es überhaupt keine neuen Argumente.
Es hat sich in der Sache nichts, aber auch gar nichts geändert. Die Dinge sind klar, die Argumente sind ausgetauscht. Was heute stattfinden soll, ist ein mehr oder weniger fragwürdiges Unternehmen. Vielleicht ist es auch ein Stück Beschäftigungsprogramm für dieses Parlament.
Kommen Sie mir bitte nicht mit dem Argument, daß der erste Teil des Jahressteuergesetzes ja bereits behandelt worden sei und für den zweiten Teil des Jahressteuergesetzes, der sich mit der Reform der Unternehmensteuern und mit den kommunalen Finanzen beschäftigt, diese Grundgesetzänderung erforderlich sei. bann frage ich Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, wieso wir dieses ganze Prozedere schon einmal vollzogen haben.
Ich denke also, wir könnten das heute in einem Stück erledigen. Es ist offensichtlich für die Beratung des zweiten Teils des Jahressteuergesetzes am Freitag erforderlich, um das Kuddelmuddel zu beenden, das Sie, Herr Finanzminister, hier angerichtet haben und diesem Hause zumuten.
Wir brauchen heute Klarheit in der Sache. Deswegen bitte ich Sie, unserem Geschäftsordnungsantrag zu folgen. Lassen Sie uns die Würde des Hauses wahren
Werner Schulz
und uns heute die zweite und dritte Lesung dieser Vorlage durchführen.
Als nächster spricht der Kollege Joachim Hörster.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Würde dieses Hauses gehört es, daß wir Probleme, die die Bevölkerung und unser Land betreffen, offen und in aller Breite diskutieren und erörtern.
Dazu gehört insonderheit das Vorhaben, das Grundgesetz zu ändern, um zum einen zu ermöglichen, daß eine Gewerbesteuerreform durchgeführt werden kann, und zum anderen zu ermöglichen, daß die Gemeinden an der Umsatzsteuer beteiligt werden und damit eine sicherere Finanzierungsgrundlage haben, als dies derzeit der Fall ist.
Ich finde es leicht empörend, Herr Kollege Schulz, daß ausgerechnet ein Kollege aus den neuen Bundesländern offenbar verhindern will, daß die Einführung der Gewerbekapitalsteuer
vermieden werden kann. Diese Vermeidung ist aber eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Investitionsklima, das wir in den neuen Bundesländern brauchen.
Man kann sich nicht auf der einen Seite hinstellen und sagen, es werde zuwenig für die neuen Bundesländer getan, und auf der anderen Seite dann die Zustimmung zu einer Gewerbesteuerreform, zu einer Gemeindefinanzreform verweigern, alles in der Luft hängen lassen und in Kauf nehmen, daß wir zum 1. Januar 1996 die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern schädlich für die Entwicklung der dortigen Wirtschaft einführen müssen.
Deswegen sind wir der Auffassung, daß die Änderung des Art. 106 des Grundgesetzes in diesem Hause erneut diskutiert werden muß. Wenn Sie das ablehnen, werden wir das Thema erneut in dieses Haus bringen, weil wir Sie nicht aus der Verpflichtung entlassen werden, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen.
Im übrigen dienen die Beratungen in den Ausschüssen dazu - deswegen widersprechen wir dem Vorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -, die Sache zu erörtern, zu neueren Erkenntnissen zu kommen, vielleicht andere Vorschläge zu machen und
die Sache miteinander zu beraten. Nachdem sich zu einem bestimmten Teil des Jahressteuergesetzes erkennbar Bewegung bei der Opposition zeigt, nämlich wenn es um den Familienleistungsausgleich geht,
will ich die Hoffnung nicht aufgeben, daß Sie sich auch in diesem Bereich bewegen werden. Deswegen ist die sachgerechte Erörterung auch dieses Themas in den Ausschüssen notwendig.
Herr Kollege Struck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hörster, Sie haben leider wieder alles mißverstanden. Der Antrag von Herrn Schulz, den wir unterstützen, will Ihnen doch gerade helfen. Wir wollen das Verfahren beschleunigen und nicht diesen Tagesordnungspunkt absetzen. Wir sind wirklich zu jeder Hilfe für diese Koalition bereit.
Es sollte erstens Klarheit bestehen, daß es völlig unsinnig ist, einen Punkt, den der Bundestag schon mehrstündig debattiert hat und bei dem das Ergebnis klar ist, heute noch einmal zu diskutieren. Es ist doch eine Farce, was Sie hier veranstalten wollen.
Zweitens wissen Sie ganz genau, daß Sie nicht die erforderliche Mehrheit des Deutschen Bundestages für eine Änderung des Grundgesetzes bekommen. Die Gründe dafür haben wir ausführlich in der letzten Debatte vorgetragen, und diese Gründe bestehen nach wie vor.
Deshalb lassen Sie uns heute die erste Lesung und im Anschluß daran sofort die zweite und dritte Lesung durchführen. Dann werden Sie Klarheit haben, daß Sie im Deutschen Bundestag keine Mehrheit für eine Grundgesetzänderung haben. Wir verweisen nach wie vor darauf: Es gibt keine Lösung des Problems der Gemeindefinanzen ohne eine grundsätzliche Gemeindefinanzreform. Darum geht es und nicht um Schnellschüsse.
Herr Kollege van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann es ganz kurz machen. Wir sind für die mittelstandsfreundliche Absenkung der Gewerbeertragsteuer,
Jörg van Essen
wir sind für die Abschaffung der anachronistischen Gewerbekapitalsteuer, und wir sind insbesondere dafür, daß diese in den neuen Bundesländern erst gar nicht eingeführt wird.
Es ist völlig klar und durchsichtig, warum Sie diesen Antrag stellen: Die Gemeinden merken inzwischen, wie vernünftig unsere Vorschläge sind.
Von daher wollen Sie diesem Druck, dem Druck der vernünftigen Argumente, ausweichen. Genau das ist der Grund für Ihren Antrag.
Der Kollege Struck hat darauf hingewiesen - das ist natürlich richtig -, daß wir für eine Grundgesetzänderung eine Zweidrittelmehrheit brauchen. Sie aber brauchen sie auch für Ihren heutigen Geschäftsordnungsantrag. Wir werden Ihnen zu dieser Mehrheit nicht verhelfen.
Vielen Dank.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Kollegin Höll.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Partei des Demokratischen Sozialismus unterstützt den vorgebrachten Antrag eindeutig.
Das, was Sie wollen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ist nicht schön. Wenn Sie, Herr Hörster, davon ausgehen, daß wir insgesamt die Würde des Parlamentes wahren sollten, dann heißt das natürlich auch, daß man Diskussionen im Parlament und im Ausschuß ernst nimmt. Wenn ich aber den Sprechzettel des Vorsitzenden des Finanzausschusses sehe, in dem steht, daß zur Beratung - um 11 Uhr soll es losgehen - der Regierungsentwurf vorliegt, der alle Maßnahmen zur Unternehmensteuerreform aus der Ausgangsvorlage enthält, dann wird dadurch deutlich, daß Sie kein bißchen auf die Diskussionen und die Kritiken, die im Plenum und in der Anhörung von allen Sachverständigen vorgebracht wurden, eingehen.
Ich muß sagen: Es ist eine sehr große Zumutung, daß Sie uns Parlamentarier damit beschäftigen, etwas, was wir schon ausdiskutiert haben, sowohl im Ausschuß als auch im Plenum langatmig noch einmal zu diskutieren.
Es wäre sehr gut gewesen, wenn wir gerade als Abgeordnete aus den neuen Bundesländern heute früh in der Presse hätten lesen können, daß Herr Waigel inzwischen Initiativen unternommen hat, um
bei der Europäischen Union die Verlängerung der Sonderregelung für den Osten bezüglich der Gewerbekapitalsteuer zu erreichen. Das wäre zumindest ein Schritt gewesen, der gezeigt hätte, daß Sie in dieser Richtung einmal aktiv waren. Sie aber haben eine Idee und versuchen, sie hier entgegen aller Kritik durchzusetzen und beschäftigen uns dazu noch völlig unnötigerweise. Aus diesem Grunde unterstützt die PDS eindeutig den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Ich muß auch sagen: Im Prinzip könnte man die zweite Lesung auch ohne Debatte ansetzen; denn es wird heute sicherlich alles in der ersten Lesung gesagt. Von Ihnen können gar keine neuen Argumente kommen. Es ist wirklich eine große Zumutung. Was Sie hier abliefern, hat nichts mit der Würde des Parlamentes zu tun. Ganz im Gegenteil: Dadurch schaden Sie der Demokratie.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Ich weise darauf hin, daß nach § 80 Abs. 2 der Geschäftsordnung zur Annahme dieses Antrags eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder erforderlich ist.
Wer stimmt für den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Geschäftsordnungsantrag bei Zustimmung der SPD, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der PDS abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs zur Änderung des Grundgesetzes.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zum Gesetzentwurf anderthalb Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Darf ich bitten, daß diejenigen, die den Raum verlassen wollen, dies jetzt tun und die anderen Platz nehmen, damit wir mit der Beratung beginnen können.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Bundesfinanzminister, Dr. Theodor Waigel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Struck hat vorhin gesagt: Ein Antrag, der keine Chance auf eine ausreichende Mehrheit hat, macht in diesem Hause keinen Sinn. Das, meine Damen und Herren, ist offensichtlich der Ausgangspunkt dafür, daß die SPD für den Rest dieser
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Legislaturperiode keine Anträge mehr stellen kann, denn sie hat in den vergangenen Wochen und Monaten nicht eine einzige Abstimmung gewonnen, sondern alle Abstimmungen verloren, und zwar immer mit größeren Mehrheiten, als die Koalition sie eigentlich hat.
Insofern glaube ich, daß man dies wie auch manches andere nicht so ganz ernst nehmen sollte, sondern noch einmal in Ruhe über die Sache sprechen sollte.
- Herr Kollege von Larcher, Sie wissen doch noch gar nicht, was in der Früh kommt. Sie sind entweder durch zuviel Kaffee oder zuwenig Tee in der Früh so nervös, daß für Sie etwas Valium notwendig wäre.
Ich wollte nämlich Ihren Kollegen Jens gleich an erster Stelle ausdrücklich loben.
Das ist eine echte Debattenkultur: Er hat offen ausgesprochen, was andere Kolleginnen und Kollegen von der SPD ebenfalls denken und auch zum Ausdruck bringen. Er hat die SPD dazu aufgefordert, endlich den Widerstand gegen die dringend notwendige Gewerbesteuerreform aufzugeben.
Dieses Beispiel politischer Courage verdient Respekt und macht hoffentlich Schule. Die andere Haltung versteht in der Tat einfach niemand mehr: weder in der Wirtschaft noch bei vielen Kommunen und auch nicht bei den kommunalen Spitzenverbänden. Sehen Sie sich einmal die Briefe der kommunalen Spitzenverbände sehr genau an, welche Diskussion dort stattgefunden hat und in welch großem Ausmaß sie auf uns eingehen, eine Reform wollen, natürlich noch mit Garantien, natürlich mit entsprechenden Zusagen, wozu wir auch bereit sind.
- Aber natürlich. Ich kann bloß nicht auf jeden von Ihnen unartikuliert vorgetragenen Zwischenruf sofort eingehen. Wir können sehr wohl auf die Argumente der Kommunen eingehen. Notwendig ist die Aufgabe der Blockade seitens der Opposition gegenüber einer vernünftigen Gewerbesteuerreform, um die Chance für eine historische Gemeindefinanzreform zu nutzen.
Ich setze weiterhin auf die Vernunft und Ihre Verantwortung für den Standort Deutschland. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Es kann doch nicht sein, daß sich die SPD als eine Partei, die sich auch teilweise den Arbeitnehmern verpflichtet fühlt, ihrer Verantwortung für die Arbeitsplätze in Deutschland und für die Zukunftschancen unserer Wirtschaft entzieht. Die Arbeitnehmer und die Wirtschaft haben dafür kein Verständnis. Trotz der gut entwickelten Konjunktur wissen wir auch um die Risiken. Die Konjunktur läuft nicht von selbst, sondern sie läuft nur, wenn die entsprechende Finanz- und Steuerpolitik gemacht wird. Dazu gehört auch eine Unternehmensteuerreform, die aufkommensneutral sein muß, die aber die Struktur unseres Steuersystems wachstumsfördernd verbessert. Das ist notwendig.
Unser Vorschlag ist der richtige Weg für die Wirtschaft und für die Gemeinden.
Wir halten an der Reform der Gewerbesteuer und an der Umsatzsteuerbeteiligung der Gemeinden unverändert fest. Meine Damen und Herren, das wird kommen. Es gibt doch niemanden mehr in Ihren Reihen, der es grundsätzlich bestreitet. Die entscheidende Frage ist doch nur noch: Verschieben wir es um ein Jahr, oder geben wir uns die Mühe, es noch in diesem Jahr zu verabschieden, um am 1. Januar 1996 eine Unternehmensteuerreform zu haben?
Meine Damen und Herren, niemand bestreitet zwischenzeitlich noch, daß im internationalen Vergleich die Gewerbekapitalsteuer eine Arbeitsplatzvernichtungssteuer im internationalen Vergleich darstellt, eine Sonderbelastung, die zu der ohnehin zu hohen Belastung der Wirtschaft durch Steuern mit beiträgt.
Die Umsatzsteuerbeteiligung für die Gemeinden als Kompensation für die Unternehmensteuerreform ist der richtige Weg. Es gibt keine auch nur annähernd gleichwertige Alternative, die als Ersatz für die Einnahmenverluste der Gemeinden aus der Gewerbesteuerreform geeignet wäre. Alle anderen denkbaren Ausgleichsmöglichkeiten wären für die Gemeinden in quantitativer und in qualitativer Hinsicht schlechter. Nur durch die Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer wird ihre finanzielle Ausstattung um eine stetige, von der Konjunktur unabhängige und damit qualitativ und quantitativ dauerhafte günstige Einnahmequelle ergänzt. Die kommunale Haushaltsplanung wird auf eine völlig andere, sichere Grundlage gestellt. Die wichtigen Aufgaben der Gemeinden im sozialen, aber auch im kulturellen Bereich erhalten eine stabile, dynamisch wachsende, gut planbare finanzielle Basis.
Es ist auch makroökonomisch falsch, wenn die Gemeinden durch die bei einer Konjunkturabschwächung unweigerlich auftretenden Einnahmenverluste prozyklische Investitionsentscheidungen treffen. Sie sind auf eine Stärkung der konjunkturunabhängigen Einnahmequelle angewiesen. Die Gemeinden haben gerade deshalb immer wieder die Forderung nach einer auch qualitativ besseren Finanzausstattung erhoben. Wir kommen mit unserem Vorschlag Forderungen entgegen, die wir von den Kommunen im Grunde seit Jahrzehnten kennen.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Die vorgesehenen Verfahren der Umsatzsteuerbeteiligung der Gemeinden - Übergangsregelungen mit Besitzstandswahrung von 1996 bis 1999; ab dem Jahr 2000 Verteilung nach einem orts- und wirtschaftsbezogenen Verteilungsschlüssel - bringen eine größtmögliche Planungssicherheit für die Gemeinden.
Die Zeit drängt. Wir kommen nicht umhin, bei der Gewerbekapitalsteuer unverzüglich zu handeln. Wenn uns die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer jetzt nicht gelingt und sie dann, auf Grund der FU-rechtlichen Gegebenheiten, in den neuen Ländern eingeführt werden müßte, dann widerspräche dies nicht nur unserer steuerpolitischen Vernunft und unseren steuerpolitischen Vorstellungen. Die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern wäre ein krasser Widerspruch zu den Fördermaßnahmen der öffentlichen Hand in den neuen Ländern.
Mit der einen Hand geben wir langfristige Kredite zur Unterstützung der Unternehmen, mit der anderen Hand kassieren die Gemeinden Gewerbekapitalsteuer aus eben denselben Darlehen. Dieser ökonomische Unfug muß verhindert werden.
Wir können es nicht zulassen, daß durch die Einführung der Gewerbekapitalsteuer die Investitionen in den neuen Ländern ins Stocken geraten und damit negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und insgesamt auf den Aufbau Ost möglich sind. Wir können die Gewerbesteuerreform auch von daher nicht auf unbestimmte Zeit vertagen.
Bereits bei einem Aufschub der Reformmaßnahmen bis zum 1. Januar 1997, wie der Deutsche Städtetag angeregt hat, wäre eine Übergangsregelung notwendig. Die notwendigen Daten für einen orts- und wirtschaftsbezogenen Verteilungsschlüssel können bis zu diesem Zeitpunkt in keinem Fall vollständig erhoben und ausgewertet werden. Für die neuen Lander wäre dann vor der Übergangslösung eine zusätzliche Zwischenlösung notwendig. Dies ist wirklich ein vermeidbarer Schlingerkurs mit Nachteilen für alle.
Die Planungssicherheit der Kommunen liegt uns am Herzen. Dies kommt in unserem Entwurf für eine Übergangslösung auch klar zum Ausdruck. Jede einzelne Gemeinde bekommt ihre Gewerbesteuerausfälle voll ersetzt. Gleichzeitig haben die Gemeinden sofort am dynamischen Wachstum der Umsatzsteuer teil. Die finanziellen Auswirkungen während der Übergangsphase sind für die einzelnen Gemeinden voll planbar. Die Übergangsphase wird für gemeindescharfe Modellrechnungen genutzt. Erst deren Auswertung führt, selbstverständlich in Abstimmung mit den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände, zur endgültigen Festlegung des orts- und
wirtschaftsbezogenen Verteilungsschlüssels ab dem Jahr 2000.
Damit sind den einzelnen Gemeinden vor der endgültigen Einführung des Verteilungssschlüssels die konkreten Auswirkungen bekannt.
Wenn ich auch Bedenken, die von einzelnen kommunalen Vertretern immer noch vorgetragen werden,
nicht teilen kann, so bin ich doch bereit, die kommunalen Belange soweit wie möglich zu berücksichtigen.
Ich habe durchaus Verständnis für das Anliegen der Kommunen, bereits jetzt ihre zukünftige finanzielle Situation so frühzeitig wie möglich abschätzen zu können. Das gilt eben auch für die Frage, wie sich die Einnahmen nach dem Ende der Übergangsphase ab dem Jahr 2000 verteilen. Sie wollen auch eine klare Regelung, daß die restliche Gewerbesteuer nicht ohne ihre Zustimmung abgeschafft werden kann, ihr Selbstverwaltungsrecht unangetastet bleibt und das gemeindliche Hebesatzrecht Bestand hat. Diesen Forderungen der Kommunen kommen wir entgegen.
Ich habe den Präsidenten der kommunalen Spitzenverbände ein Angebot unterbreitet. Dies sieht für den Fall einer Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer weitere Verbesserungen vor. Es umfaßt im wesentlichen drei Punkte:
Erstens. Garantie einer Besitzstandswahrung jeder Gemeinde, auch über 1999 hinaus.
- Das ist doch wirklich der Gipfel! „Das können Sie gar nicht einhalten" ruft mir dieses Mannsbild zu und fordert es gleichzeitig von mir. Der weiß in der Früh überhaupt noch nicht, was er sagt. Das kann nicht nur auf Koffeinmangel zurückzuführen sein.
Zweitens. Eine verbindliche Festlegung der Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer im Grundgesetz, falls die Gewerbekapitalsteuer zum 1. Januar 1996 abgeschafft wird.
- Sie haben recht: Ein Benehmen hat der Mann! Es ist unglaublich. Herr von Schily, das kann man wirklich nur von Ihnen lernen: Benehmen.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Drittens. Eine Prüfung innerhalb der Koalition, ob die verbleibende Gewerbeertragsteuer im Grundgesetz stärker als bisher abgesichert werden könnte.
Dieses Angebot ist inzwischen im Präsidium des Deutschen Städtetages erörtert und in einem Beschluß anläßlich der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages ausdrücklich positiv beantwortet worden.
Jetzt sind wir gefordert, durch eine Zustimmung zu diesem Kurs der Gemeindefinanzreform die Grundlagen für die Realisierung dieser Verbesserungen zu schaffen. Mit diesen weiteren Zusagen für die Kommunen entspricht unser Gesetzentwurf den wesentlichen Forderungen. Es kann jetzt nicht mehr angehen, irgendwelche Vorwände ins Gefecht zu führen und aus parteistrategischen Erwägungen heraus die historische Chance zur Stärkung der Kommunalfinanzen, die in dieser Form so schnell nicht wiederkommt, zu vertun.
Wenn die Opposition in ihrer Presseerklärung vorn 19. Juni noch immer von einer Reise ins Ungewisse spricht, dann zeigt sie damit erneut: Die Fakten interessieren sie gar nicht. Sie taktiert weiter und schießt damit ein Eigentor.
Wir wollen die Gemeinden nicht länger vertrösten. Ich wiederhole: Wäre die Reform 1991 vollzogen worden, hätte die Wachstumsdynamik der Umsatzsteuer den Gemeinden allein bis 1995 über 2 Milliarden DM mehr in die Kassen gebracht.
Das Reformvorhaben würde den Gemeinden in den Jahren 1996 bis 1999 weitere Mehreinnahmen von 2 Milliarden DM bringen.
Die Gemeinden in den neuen Ländern erhalten zusätzlich einen Ausgleich für ihre fiktiven Gewerbesteuern. Die Mehreinnahmen durch diesen Verlustausgleich belaufen sich netto auf 650 Millionen DM.
Meine Damen und Herren, durch die Gemeindefinanzreform wird das verfassungsmäßige Recht auf kommunale Selbstverwaltung nicht beeinträchtigt. Der orts- und wirtschaftsbezogene Schlüssel sichert die Verbindung zwischen Gemeinde und Wirtschaft. Auch in Zukunft spielen die kommunalen Standortfaktoren eine wichtige Rolle für das kommunale Steueraufkommen. Den Gemeinden verbleibt das Hebesatzrecht auf die Gewerbeertragsteuer.
In diesem Punkt muß man auch die Relationen sehen. 80 % der Gewerbesteuereinnahmen erhalten die Gemeinden wie bisher. Die jetzt geplante Reform der Gewerbesteuer senkt das Aufkommen aus dieser Steuer um rund 20 %. Wenn von der Opposition angesichts dieser Fakten gesagt wird, wir wollten das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden aushöhlen, kann ich nur sagen: Das Gegenteil ist der Fall.
Zum verbleibenden Hebesatzrecht kommt die Sicherheit einer wachsenden, von der Konjunktur unabhängigen Steuer hinzu. Eine bessere Grundlage für die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden
kann ich mir nicht denken. Wo bleibt die Eigenständigkeit, wenn nicht über planbare finanzielle Mittel verfügt werden kann oder wenn eine Gemeinde vom Wohl und Wehe eines einzigen großen Betriebs abhängig ist?
Wir wollen das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden weiter stärken. Ich appelliere deshalb an Sie: Unterstützen Sie die Grundgesetzänderung. Verwehren Sie den Gemeinden nicht eine dauerhafte Reform ihrer Finanzen. Lassen Sie uns gemeinsam handeln. Verzögern Sie die Reform nicht.
Meine Damen und Herren, Albert Einstein hat einmal gesagt: „Welch triste Epoche, in der es leichter ist, ein Atom zu zertrümmern als ein Vorurteil." Dennoch, so glaube ich, werden wir langfristig Erfolg haben können. Ich hatte gestern ein Gespräch mit dem Verhandlungsführer der Mehrheit der Länder, Herrn Ministerpräsident Lafontaine, im Beisein des nordrhein-westfälischen Finanzministers Schleußer. Wir haben vereinbart, daß wir uns im Herbst zusammensetzen, Bundestags- und Bundesratsmehrheit, um miteinander über eine Unternehmensteuerreform zu beraten, in die auch die Gewerbekapitalsteuer einbezogen wird, in die selbstverständlich eine Gemeindefinanzreform einbezogen wird. In bezug auf die Unternehmensteuerreform hat die SPD die Meinung vertreten, sie müsse aufkommensneutral sein, wie auch wir es verlangen und für möglich halten, und ein Inkrafttreten ab 1. Januar 1997 sei denkbar. Wir sind der Meinung, man könnte es schon zum 1. Januar 1996 tun.
Wir werden uns zusammensetzen. Dazu ist als Grundlage auch ein solcher Gesetzentwurf, wie er auf dem Tisch liegt, notwendig. Darum ist die erste Lesung hier sinnvoll und vernünftig.
Wir werden dann die zweite und dritte Lesung vom Fortgang dieser Gespräche im Herbst abhängig machen. Wir haben für diese Gespräche eine gesetzliche und eine grundgesetzliche Grundlage.
Vielen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Volker Kröning.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute morgen steht im Plenum eine Debatte über die Grundgesetzänderung an; heute mittag steht in den Ausschüssen der sogenannte Restanten-Entwurf zum Jahressteuergesetz 1996 zur Beratung an. Welch groteskes Verfahren und welch ein peinlicher Titel für den Rest einer groß angekündigten Reform!
Volker Kröning
Die Beratung, zu der uns die Koalition heute und übermorgen - wenn es dabei bleiben sollte, Herr Dr. Waigel - zwingt, versucht, Gewerbesteuer- und Gemeindesteuerreform zu trennen, oder versucht zumindest, die Priorität, die nach der Koalitionsvereinbarung auf der Unternehmensteuerreform lag, umzukehren und nun die Gemeindefinanzreform mit Priorität zu belegen.
Beides mußte und muß seine Wirkung verfehlen. Die SPD-Bundestagsfraktion wundert sich, daß die Koalition mutwillig in eine Niederlage steuert. Nach der letzten Erklärung des Bundesfinanzministers könnte man schon sagen, daß sie beinahe in die Niederlage gesteuert wäre.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, hätten sich diese peinliche Situation ersparen können, wenn Sie unserem Angebot im Finanzausschuß gefolgt wären, das Paket, um das es heute und Freitag geht, sachlich und zeitlich konditioniert aus der Jahressteuergesetzgebung 1996 herauszunehmen und nach geordneter Vorbereitung zur Abstimmung zu stellen.
Wir können heute mit Genugtuung feststellen, daß diese Situation da ist.
Das Verfahren, das wir nun noch auf uns nehmen müssen - mit einem zwar zulässigen, aber dem Parlamentarismus nicht zuträglichen, sondern abträglichen Trick -, wird nicht zudecken, daß die Gewerbesteuerreform, so wie Sie sie angelegt haben, in einer Sackgasse gelandet ist. Schon heute, also noch vor den Beratungen am Freitag und noch vor den Beratungen in den Ausschüssen, die ja überhaupt noch nicht aufgenommen worden sind, läßt sich feststellen: Die Entlastung mag, ja sie wird Teilen der Wirtschaft willkommen sein; doch die Belastung, mit der sie - wie man so schön sagt -, gegenfinanziert wird, ist kontraproduktiv.
Darüber ist leider bisher viel zuwenig geredet worden. Wir sind froh, daß Sie auch auf diesen Teil unserer Argumente eingegangen sind und darüber noch eine Gesprächsmöglichkeit eröffnet worden ist.
Die Gegenfinanzierung führt, wie Sie, Herr Minister Waigel, in der Debatte am 12. Mai selber eingeräumt haben - heute haben Sie das Argument nicht mehr wiederholt -, mittelfristig zu einer Überkompensation. Das mag - dem können wir Sozialdemokraten uns ebenfalls nicht verschließen - einnahmepolitisch wünschenswert sein; das muß jedoch - auch darauf will ich den Finger legen - willkürlich wirken, solange die langfristigen Linien Ihrer Steuerpolitik nicht klar sind, geschweige denn in diesem Haus diskutiert worden sind.
Der mittelfristigen Mehrbelastung der Wirtschaft steht nämlich der Versuch - ich sage bewußt nur: Versuch - einer kurzfristigen Minderbelastung von Arbeitnehmern und Familien durch die Steuerfreistellung des Existenzminimums und die Erhöhung des Kindergeldes gegenüber. Dieser Versuch ist allerdings nach Auffassung der SPD-Fraktion rechtlich und sozial noch unzulänglich. Was immer dahinterstehen mag: Der Koalitionsentwurf, wie er sich in all seinen Komponenten darstellt, erweckt den Eindruck, daß er in dem einen Teil nicht hält, was er verspricht, und in dem anderen Teil gesetzgeberisch nicht einlöst, was verfassungsrechtlich aufgegeben ist.
Ich weise dazu noch einmal auf die im Ersten Bericht des Finanzausschusses enthaltene Beschlußempfehlung zur Anpassung des Existenzminimums und des Kindergeldes in den nächsten Jahren hin. Zu dieser Ergänzung des Gesetzentwurfs durch eine Beschlußempfehlung haben sich die Koalitionsfraktionen unter dem Druck der Argumente der Sachverständigenanhörung und der Opposition gezwungen gesehen.
Es bleibt ein Widerspruch: Der sozialpolitische Teil des Gesetzgebungsvorhabens wird so knapp angelegt, daß Nachbesserungen schon angekündigt werden, während auf der anderen Seite der wirtschaftspolitische Teil bis zur Stunde auf Biegen und Brechen durchgesetzt werden soll. Das konnte, das kann nicht gutgehen.
Doch auch wenn man den Teil Gemeindesteuerreform - das, was die Koalition ehrgeizig als Gemeindefinanzreform, ja als „historische Chance" bezeichnet hat - näher betrachtet, muß man feststellen: Dieses Vorhaben läßt etliche Fragen unbeantwortet. Wie soll das Verfassungsversprechen des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG, die finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden zu gewährleisten, eingelöst werden? Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben sogar gesagt, Sie wollen sie stärken. - Ja, gern, aber dauerhaft und für alle Beteiligten berechenbar.
So attraktiv die Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer ist, so schwer sind die Zusagen der Koalition bisher nachzuprüfen: kurzfristig bei der Übergangslösung mit Blick auf die einzelnen Gemeinden, mittelfristig beim Verteilungsschlüssel mit Blick auf die Gemeinden insgesamt und nicht zuletzt - das dürfen wir auch sagen, weil wir uns, Bundestagsfraktion und Ländermehrheit, nicht auseinanderdividieren lassen wollen - mit Blick auf die Länder, die unmittelbar für die Finanzausstattung der Gemeinden und den kommunalen Finanzausgleich verantwortlich sind.
Zu Recht spricht deshalb der Deutsche Städtetag in seiner Antwort auf das Schreiben, das Sie, Herr Dr. Waigel, kürzlich an ihn gerichtet haben, davon,
Volker Kröning
daß noch Gespräche nötig seien, und zwar nicht nur zwischen den Gemeinden und dem Bund, sondern auch zwischen den Gemeinden und den Ländern. Das verstehen wir unter kooperativem Föderalismus, Herr Dr. Schäuble, den Sie in der Debatte vom 12. Mai eingefordert haben.
Ich darf wiederholen, was ich damals gesagt habe: Der Gesetzentwurf berührt neben den Gemeinden auch und mehr noch die Länder. Der kommunale Finanzausgleich ist nicht erst betroffen, wenn die Gewerbeertragsteuer abgebaut oder abgeschafft werden würde, sondern auch schon dann, wenn die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft wird; denn der Ausgleich über die Umsatzsteuerbeteiligung wird von Bund und Ländern getragen.
Diese Weichenstellung fällt in eine Phase verschärfter Verteilungskämpfe in den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern; das wissen wir doch alle. Dazu nenne ich das Stichwort:
- Ich glaube, wir sind auf dem besten Wege, einem Stillstand des Parlamentarismus - das meinen Sie doch wohl - vorzubeugen. - Also die Stichworte: einmal Beschränkung der Erhöhung der Umsatzsteuerbeteiligung der Länder für den Systemwechsel beim Familienlastenausgleich auf das Jahr 1996. Das ist ein wunder Punkt an der beschlossenen Fassung des Gesetzentwurfs darüber wird noch im Vermittlungsausschuß zu reden sein. Zum anderen - und mehr noch - die Ankündigung der Koalition, die Umsatzsteueraufteilung zwischen Bund und Ländern, die beim Solidarpakt verabredet worden ist, aufzukündigen.
Nicht nur für die Opposition, sondern auch für die Länder läßt sich deshalb die Ablehnung der Verfassungsänderung mit den Worten zusammenfassen: So nicht und jetzt nicht!
Herr Dr. Waigel, es ist doch bezeichnend - und auch das gehört zur Transparenz dieses Verfahrens und zur Aufklärung des Publikums -, daß die Änderungen am Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes, die Sie dem Deutschen Städtetag angeboten haben, heute nicht in die Form von Anträgen gekleidet und von den Koalitionsfraktionen eingebracht worden sind. Mir ist auch nicht bekannt, Herr Hauser, daß Sie solche Änderungsanträge für heute mittag bei der einzigen Beratung, die zu diesem Thema im Finanzausschuß möglich ist, angekündigt haben. Sie können das ja nachholen.
Man hat den Eindruck, meine Damen und Herren, die Koalition wolle ihren Vorschlag gar nicht mehr konsensfähig machen. Jedenfalls hat sie die Hoffnung in diesem Moment aufgegeben. Wir fordern dringend ein, daß er konsensfähig gemacht wird - mit den Gemeinden, mit den Ländern und mit der
Opposition. Wir sollten uns das weitere Reden ersparen.
Wir sollten uns an die Arbeit machen. Danke.
Es spricht jetzt der Kollege Oswald Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute vor 40 Tagen - zwei Tage vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl - haben wir hier im Haus eine Debatte geführt. Ich habe damals gesagt: Die Debatte hat keine Substanz, sondern ist eine Wahlkampfveranstaltung. - Ich möchte die Behauptung wiederholen, wenngleich der Finanzminister heute durchaus differenzierende Töne angeschlagen hat, die es wert sind, daß man genauer darauf eingeht.
Ich möchte am letzten Punkt anknüpfen. Herr Finanzminister, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie am Schluß gesagt, Sie möchten die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzentwurfs erst im Herbst - nach möglichen Gesprächen mit den Ländern. Daraus schließe ich, daß Sie nicht darauf bestehen, am Freitag dieser Woche die Debatte hier im Haus fortzuführen.
Das halte ich für einen großen Fortschritt. Das möchte ich hier ausdrücklich ansprechen.
Auch bei uns in der Fraktion ist es so, daß wir uns im Bereich der Kommunalfinanzen intern vor dreieinhalb Wochen mit unseren eigenen Expertinnen und Experten - u. a. mit dem Frankfurter Stadtkämmerer Koenigs - getroffen und gewisse Eckpunkte für eine Regelung angesprochen haben, die wir allerdings gern erst zum 1. Januar 1997 hätten. Bis dahin ist der entsprechende Expertinnen- und Expertensachverstand zusammen, um mit den kommunalen Spitzenverbänden eine Lösung zu machen, die den Namen wirklich verdient. Denn was, bitte schön, ändert sich am Wirtschaftsstandort Deutschland, wenn die Gewerbekapitalsteuer nicht zum 1. Januar 1996, sondern erst zum 1. Januar 1997 abgeschafft wird? Das frage ich hier allen Ernstes.
- In dieser Debatte waren wir schon immer ein Stück
weit beweglicher als unsere Kolleginnen und Kollegen von der größeren Oppositionsfraktion. Aller-
Oswald Metzger
dings: Wir sind auch so weit kommunale Praktiker, daß wir die Anliegen, und zwar von Parteivertretern aller Fraktionen dieses Hauses, auf der kommunalen Ebene ernst nehmen.
Ich war vor zweieinhalb Wochen in Magdeburg beim Städtetag. Ich habe in der kommunalpolitischen Fragestunde mit Ihren Kollegen Blank von der CDU, Schmidt-Jortzig von der F.D.P. und Schily von der SPD genau über diesen Punkt diskutiert und dort das Mißtrauen herausgehört, das die kommunalen Spitzenverbände gegenüber diesen Absicherungsklauseln deshalb noch haben, weil sie nicht wissen, ob dann, wenn das statistische Datenmaterial vorliegt - wir ändern ja jetzt erst die statistischen Datengrundlagen im Statistikgesetz -, daraus wirklich ein wirtschaftsbezogener Schlüssel errechenbar ist, der in Zukunft als Abbildungsmaßstab für einen entsprechenden Umsatzsteueranteil dient, der wirklich den Ausfall bei der Gewerbekapitalsteuer kompensiert.
Herr Metzger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Thiele.
Bitte.
Herr Metzger, habe ich Sie gerade richtig verstanden, daß auch die GRÜNEN für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sind, weil diese Steuer die Arbeitsplätze in Deutschland belastet und dadurch mit Ursache für die Arbeitslosigkeit ist?
Diese Argumentation teile ich nicht. Aber wir haben so viel wirtschaftspolitischen Sachverstand, daß wir sagen können: Eine Substanzbesteuerung wie die Gewerbekapitalsteuer, die Betriebe auch dann zahlen, wenn es ihnen schlechtgeht, paßt nicht in die politische Landschaft.
Wir wollen die Gewerbeertragsteuer natürlich substantiell behalten. Dazu habe ich heute die Töne des Finanzministers gehört, der hier sogar davon spricht, daß man möglicherweise im Grundgesetz den Kommunen eine entsprechende Bestandsgarantie geben kann.
Ich denke, daß wir vor dem Hintergrund diese Beweglichkeit an den Tag legen.
Das, was der Finanzminister heute gesagt hat, klingt so, als ob dieser Bundestag und diese Bundesregierung die Finanznot der Kommunen plötzlich entdeckt hätten. Davon kann natürlich keine Rede sein. Bezüglich des in diesem Haus beschlossenen Jahressteuergesetzes, das, wenn der Bundesrat in dieser Woche die entsprechenden Entscheidungen
trifft, in den Vermittlungsausschuß gehen wird, werden die Kommunen wegen der Einnahmeausfälle durch die steuerliche Freistellung des Existenzminimums und durch den Familienleistungsausgleich - im Gegensatz zum ursprünglichen Regierungsentwurf, in dem 1,9 Milliarden DM Ausfall angesetzt worden waren, der aber tatsächlich 5,8 Milliarden DM beträgt - unter dem Strich ein überdurchschnittlicher Zahlmeister dieser steuerlichen Entlastungen sein. Die Bundesländer dagegen lassen sich, weil sie über den Bundesrat ein verfassungsrechtlich garantiertes institutionelles Instrument haben, um sich in diesen Verteilungskampf einzumischen, für ihre 11 Milliarden DM Steuerausfälle über die 4,6%ige Erhöhung des Umsatzsteueranteils einen Einnahmeausfall von 11,3 Milliarden DM gewähren.
Ich zitiere in diesem Zusammenhang unseren Kämmerer und derzeit amtierenden Oberbürgermeister von Frankfurt, Tom Koenigs: „Rettet die Städte vor dem Vermittlungsausschuß." Denn dort - das sage ich jetzt ganz deutlich - finden die Verteilungskämpfe statt. Wir können es nicht zulassen, daß der Bundesfinanzminister, weil er auf den Bundesrat angewiesen ist, den Ländern Ausgleiche einräumt, diese aber mit ihren Kommunen - und zwar gleichgültig, wer regiert - oftmals Schlitten fahren. Damit droht im Westen im nächsten Jahr das, was im Osten nach dem Föderalen Konsolidierungsprogramm nicht weitergegeben wird.
Manche Kommunen in den neuen Ländern werden von diesen im Regen stehengelassen, und die Länder haben in diesem Jahr ihre Haushalte saniert.
Herr Metzger, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Weng?
Bitte, Herr Weng.
Herr Kollege Metzger, Sie selbst haben sehr deutlich erklärt, daß der Bund bei der Finanzverteilung den kürzeren gezogen habe. In der Logik dieser Ihrer eigenen Erklärung: Sind Sie mit mir der Meinung, daß eine Besitzstandsverbesserung für die Gemeinden - wobei man diese nicht unendlich garantieren kann -
eine stärkere Beanspruchung der Länder bedeuten müßte?
Ich schätze die Situation so ein - ich sage das auch in einer offenen Parlamentsdebatte -: Die Bundesländer haben in diesem Verteilungskampf auf Grund der Verfassungskonstruktion dieser Republik eine stärkere Rolle. Sie wissen, Herr Kollege Weng, daß Ihnen
Oswald Metzger
nahestehende freie Wählervereinigungen in unserem Bundesland - auch Sie kommen ja aus Baden-Württemberg - nicht umsonst eine Kommunalkammer fordern, die die kommunalen Interessen stärker gewichtet, so daß die Kommunen, wie der Hauptgeschäftsführer des Städtetags, Diekmann, in Magdeburg vor zweieinhalb Wochen sagte, nicht ständig nur am Katzentisch sitzen, ihre Anregungen zum Gesetzgebungsverfahren zwar einbringen können, aber schlußendlich zwischen die Mühlsteine von Bundesinteressen und Länderinteressen geraten und zerrieben werden. Das ist Faktum in unserer Gesellschaft, und die Kommunen baden das leider aus.
Der Grundsatz „Wer bezahlt, bestellt" gilt im Geschäftsleben; für die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gilt er leider nicht. Auch das ist ein Punkt, Herr Finanzminister Waigel, bei dem die Glaubwürdigkeit eines Finanzministers natürlich größer wäre, wenn er zu dem gleichen Zeitpunkt, zu dem er - wie heute - versucht, den Äußerungen der Kommunen sehr differenziert entgegenzukommen, nicht erklären würde, er halte nach wie vor an den bereits im Bundeshaushalt 1995 vorgesehenen Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe, an Leistungen des Bundes fest, die auf die Sozialhilfeträger, auf die Kommunen, abgewälzt werden.
Hierzu gibt es - das wissen Sie wahrscheinlich - Rechtsgutachten, die die entsprechende Passage im Bundessozialhilfegesetz als verfassungswidrig einstufen, weil in einer bundesgesetzlichen Regelung steht, daß die Kommunen Leistungsträger sind, obwohl der Staatsaufbau, das Konnexitätsprinzip nach Artikel 104 des Grundgesetzes, nur Bund und Länder als Verfassungsorgane in den Finanzbeziehungen kennt und eine direkte Lastenübertragung auf eine dritte Seite eigentlich gar nicht zulässig ist. Die hessischen kommunalen Spitzenverbände haben ein entsprechendes Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Verschiedene Kommunen dieser Republik haben Klagen angekündigt. Hier tut sich ein Konflikt auf, den wir politisch regeln müssen, wenn wir über die Neufassung des Konnexitätsprinzips in den nächsten Monaten und Jahren reden wollen.
Die Sozialhilfe belastet in dieser Republik, in der die Zahl der Langzeitarbeitslosen immer noch auf sehr hohem Niveau stagniert bzw. in manchen Regionen sogar steigt, die kommunalen Haushalte inzwischen in großem Ausmaß. Ich will das am Beispiel des Landkreises Esslingen in Baden-Württemberg beziffern: Dort will der Kämmerer des Kreises im nächsten Jahr den Hebesatz der Kreisumlage, die als Refinanzierungsmittel für die Sozialhilfekosten bei den Gemeinden gilt, auf fast 35 Prozentpunkte erhöhen, was für Baden-Württemberg ein absoluter Spitzenwert wäre. Das bringt die dortigen Gemeinden zu einem hellen Aufschrei der Empörung. Sie sagen: Wir können unsere Zuführungsraten aus dem Verwaltungshaushalt nicht mehr selber erwirtschaften; deshalb lassen wir diese „Kostenwegdrückerei des Bundes" auf die kommunale Ebene nicht mehr zu. Das ist die kommunale Praxis. Vor diesem Hintergrund ist auch erklärbar, warum die CDU-Bürgermeister und -Oberbürgermeister genauso skeptisch
sind wie die Kolleginnen und Kollegen, die der SPD oder auch unserer Fraktion angehören, die da sagen: Wir glauben einfach nichts, bevor wir nicht Fakten auf dem Tisch haben.
Die von Ihnen angekündigte Zeitschiene, Herr Finanzminister, müssen Sie einfach um der Seriosität der Gespräche willen an den Tag legen. Ich sehe es als einen Fortschritt an, daß wir in dieser Woche nicht noch einmal das gleiche Verfahren, das wir schon am 12. Mai vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Bremen hier auf dem Tisch hatten, übers Knie brechen. Deshalb hoffe ich, daß die politische Vernunft hier einzieht.
Wir als bündnisgrüne Fraktion sind auf jeden Fall gesprächsbereit genug, uns differenzierten Lösungen hier nicht zu verschließen. Bei dieser wichtigen Geschichte, bei der es um die Finanzausstattung der Kommunen geht, sollte man wirklich, über alle politischen Lager hinweg, zu Konzepten kommen.
Vielen Dank.
Als nächste spricht die Kollegin Gisela Frick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die F.D.P.-Fraktion erkläre ich: Wir wollen die Grundgesetzänderung, wir wollen die Änderung des Art. 106, weil wir die Unternehmensteuerreform wollen. Daß wir nach relativ kurzer Frist hier wieder zusammenkommen, macht aus unserer Sicht durchaus einen Sinn; denn wir wollen die Gewerbesteuerreform so schnell wie möglich.
Herr Kröning, Sie haben eben gesagt, der Name „Restantengesetz" sei eher ein Armutszeugnis für die Gesamtplanung. Dazu muß ich sagen: Der Name ist nur ein Arbeitstitel; darüber sind wir uns einig. Aber wenn wir als F.D.P. diesem Werk einen Namen geben sollten, würden wir es als „Arbeitsplatzsicherungsgesetz" bezeichnen. Darin liegt auch das Gesamtinteresse, das wir alle haben sollten. Das ist auch der Sinn, weshalb wir jetzt weitermachen wollen.
Ich finde es sehr gut - auch das sage ich -, daß der Herr Minister eben erklärt hat, daß die Zeitschiene - ursprünglich war die Behandlung dieses Themas auf der Tagesordnung für Freitag angekündigt - nicht eingehalten wird, daß wir jetzt ein bißchen mehr Zeit haben.
Die Einbringung dieser Grundgesetzänderung heute macht durchaus Sinn, wenn wir weiter über die Gewerbesteuerreform und damit über die Sicherung des Standortes Deutschland und insbesondere der Arbeitsplätze in Deutschland reden wollen. Das wollen wir offensichtlich alle gemeinsam hier. Dann muß auch die Änderung des Grundgesetzes weiterhin im Raum stehen; denn sonst machte das Ganze
Gisela Frick
keinen Sinn: Ich kann nicht über die Gewerbesteuerreform reden, ohne die entsprechenden verfassungsrechtlichen Grundlagen zumindest in den Raum zu stellen.
Daß wir im Moment die erforderliche Zustimmung von Ihnen nicht bekommen, haben Sie sehr deutlich artikuliert - immer wieder, auch heute noch einmal. Wir hören allerdings von der Opposition auch andere Töne, sowohl aus der Richtung der GRÜNEN - gerade noch von Herrn Oswald Metzger - als auch aus Ihren Reihen, Herr Kröning. Ich bedauere sehr, daß Herr Jens heute nicht da ist; denn er könnte sich dann dieses Lob von Regierungsseite persönlich anhören.
: Das wird ihm
aber überbracht!)
Vielleicht hat es auch gute Gründe, daß er nicht da ist.
- Die Grundgesetzänderung - Sie haben das selber im entsprechenden Zusammenhang behandelt - macht aber nur Sinn in Verbindung mit der entsprechenden Unternehmensteuerreform bzw. der entsprechenden Gewerbesteuerreform. Wir wollen das weiterhin. Deswegen kann ich mich in der Argumentation kurz fassen. Das ist im Prinzip alles Wiederholung; da haben Sie recht.
Die Gewerbesteuer ist in sich eine antiquierte Steuer. Denn die Grundlagen, die ursprünglich zur Einführung der Gewerbesteuer geführt haben, gibt es heute nicht mehr. Die Gewerbebetriebe sind nicht zwangsläufig mehr mit Belastungen für die Gemeinden verbunden, was beispielsweise Immissionen und Emissionen angeht. Den Äquivalenzgedanken, der ursprünglich bei der Gewerbesteuer dabei war, können wir heute vernachlässigen - nicht in allen Fällen, aber weitgehend.
Wir haben bei der Gewerbesteuer eine Besteuerungsverdoppelung, und zwar in beiden Bereichen. Was die Gewerbekapitalsteuer angeht, haben wir ein Doppel zur Vermögensteuer, was den betrieblichen Bereich angeht. Bei der Ertragsteuer haben wir ein Doppel zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer, je nach Rechtsform. Das heißt, wir haben eine Doppelbelastung, die letztlich schlicht und einfach zu einer Mehrbelastung führt. Schon aus diesem Grunde muß die Gewerbesteuer fallen. Der Fall der Gewerbekapitalsteuer und die Minderung im Bereich der Gewerbeertragsteuer sind ein erster Schritt in diese Richtung.
Daß wir damit auch im internationalen Wettbewerb - der immer schwieriger wird; das wissen wir alle, darüber besteht große Einigkeit hier im Parlament - eine Zusatzbelastung für unsere Wirtschaft und für die Arbeitsplätze in Deutschland haben, ist auch klar. Das heißt also, auch aus Gründen der Wettbewerbsverzerrung und der Sonderbelastung muß diese Steuer wegfallen.
Ein weiterer Punkt: die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern. Wir haben eine Aussetzung bis Ende dieses Jahres und müßten zum 1. Januar 1996 - das ist schon x-fach gesagt worden - die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern einführen. Daß das schon an praktischen Voraussetzungen hapert, beispielsweise der Einheitsbewertung in den neuen Ländern, die noch gar nicht durchgeführt ist, haben wir in der Anhörung des Finanzausschusses sehr deutlich gehört. Daß es wirtschaftlich keinen Sinn macht, haben wir auch heute wieder mehrfach gehört. Es macht nun einmal keinen Sinn, staatsfinanziertes Fremdkapital in die Betriebe der neuen Länder hineinzupumpen und es auf der anderen Seite gleich wieder zur entsprechenden Besteuerung heranzuziehen. Auch von daher wollen wir die Einführung in den neuen Ländern nicht. Deshalb ist der Zeitdruck aus unserer Sicht schon sehr massiv, noch in diesem Jahr zum Abschluß zu kommen. Herr Metzger, wenn Sie eben die Frage gestellt haben: Was macht es für einen Schaden, wenn wir das zum 1. Januar 1997 machen?, dann sage ich Ihnen: Der Schaden besteht genau in diesem einen Jahr und den Problemen, die wir in den neuen Ländern bekommen. Das muß doch nicht sein!
Das letzte aus unserer Sicht ist der Gesichtspunkt der Steuervereinfachung. Ich war in der letzten Legislaturperiode noch nicht Mitglied des Parlaments. Ich weiß aber, daß im Finanzausschuß eine sehr ausführliche Anhörung zur Steuervereinfachung durchgeführt worden ist. Soweit ich die Protokolle richtig verstehe, hat fast jeder der Sachverständigen als allerersten Schritt die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer als Steuervereinfachung vorgeschlagen. Warum hören wir, wenn die Meinung dermaßen einheitlich ist, nicht auf die Sachverständigen? Eine Steuervereinfachung, die wir nach wie vor im Auge haben - das wird eine Daueraufgabe bleiben; das ist klar -, erfordert - beinahe zwingend - die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und entsprechende Schritte im Bereich der Gewerbeertragsteuer.
Das sind die Gründe, die aus unserer Sicht für eine Abschaffung sprechen. Das sind natürlich erst recht die Gründe, die dafür sprechen, jetzt eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes zu machen.
Wichtig ist aus unserer Sicht auch noch, daß wir uns mit den Einwendungen gegen diese Pläne auseinandersetzen. Das sind insbesondere die Einwendungen, die aus der Sicht der Kommunen kommen. Es ist selbstverständlich, daß wir das ernst nehmen. Wir wollen nichts über die Köpfe der Kommunen hinweg machen. Wir erkennen die finanzielle Eigenverantwortung der Kommunen an. Wir haben die Änderung des Art. 28 GG, durch die das ausdrücklich in das Grundgesetz gekommen ist, mitgetragen. Wir
Gisela Frick
wollen nicht, daß die Gemeinden durch eine Unternehmensteuerreform plötzlich ohne eigene Mittel und ohne eigene finanzielle Verantwortung dastehen.
Was wir aber sehr wohl in Frage stellen, ist, ob diese finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden tatsächlich den Erhalt bestimmter Steuerarten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag voraussetzt. Wenn wir das bejahen - so verstehe ich zum Teil die Einwendungen der Opposition -, dann zeigen wir uns total reformunfähig. Das ist ein Problem, das wir auch in vielen anderen Bereichen schon gesehen haben.
Die finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden verlangt, daß sie selbständig über eigene finanzielle Spielräume verfügen und daß sie damit auch gewisse eigene Quellen haben. Aber es heißt nicht, daß sie ganz bestimmte Steuern, wie gesagt, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag erhalten können.
Ich glaube, die Diskussion über die Kompensation für die Übergangszeit müssen wir ebenfalls unter diesem Gesichtspunkt sehen. Auch die bisherige Gewerbesteuer in ihren beiden Teilen Gewerbekapital-
und Gewerbeertragsteuer hat den Gemeinden ja nicht so viel Planungssicherheit gebracht, daß sie fünf Jahre im voraus ganz genau auf den letzten Pfennig hinter dem Komma wissen, was ihnen im Jahre X, in fünf Jahren beispielsweise, zur Verfügung steht. Es liegt im Wesen der Steuer, daß es eine dynamische Steuer ist. Das gilt für alle Steuern; jedenfalls wünschen wir uns das. Von daher hat es schon immer eine gewisse Unsicherheit gegeben. Sie betraf natürlich in erster Linie den Teil der Gewerbeertragsteuer, aber auch den der Gewerbekapitalsteuer.
Insofern ist, wenn wir jetzt den Gemeinden einen entsprechenden Anteil an der Umsatzsteuer und damit, wie wir es heute schon x-mal gehört haben, eine konjunkturunabhängige, ständig fließende und dazu auch noch dynamisch steigende Steuerbeteiligung geben, gerade unter dem Gesichtspunkt der Planungshoheit und der Planungssicherheit - auch das haben wir heute schon mehrfach gehört - eine deutliche Verbesserung für die Gemeindefinanzen da. Die kommunalen Spitzenverbände signalisieren jetzt ja auch nicht zu Unrecht durchaus Bereitschaft, hier mitzumachen. Die meisten zeigen nicht nur die Bereitschaft, sondern eine große Zufriedenheit damit, daß die Gemeindefinanzierung in diesen Bereichen umgestellt werden soll. Von daher glaube ich, daß ein Umdenken auch in den Reihen der Opposition schon in allernächster Zeit erfolgen wird.
Wir setzen mit der heutigen Einbringung unseres Antrages das parlamentarische Verfahren in dieser Hinsicht zunächst einmal in Gang. Dann werden wir in der folgenden Diskussion sehen, wie es weiterläuft. Aber ich bin ganz zuversichtlich, daß die Zeitvorgabe, die wir eben vom Herrn Minister gehört haben, also im Herbst dieses Jahres, einzuhalten ist und daß wir dann auch zu einer zweiten und dritten Lesung kommen, und zwar keineswegs als eine Neuauflage des 12. Mai, sondern mit anderen Ergebnissen. Deshalb noch einmal: Geben Sie sich einen
Ruck! Heute bringen wir den Gesetzentwurf erst einmal ein, damit wir eine entsprechende Arbeitsgrundlage für die weiteren Beratungen haben. Dann werden wir hier im Herbst sicher mit anderen Ergebnissen abstimmen.
Danke schön.
Das Wort nimmt jetzt der Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Frick hat eben gesagt: Wir wollen eine Verfassungsänderung, weil wir eine Unternehmensteueränderung wollen. Sie hat dann am Schluß sehr beiläufig die Lage der Gemeinden behandelt und hat ausgeführt, ihnen könne natürlich nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag dieselbe Situation wie jetzt garantiert werden.
Unser Problem ist, daß hier zwar über die Unternehmensteueränderung nachgedacht wird, daß aber nicht das Problem der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Gemeindefinanzierung im Mittelpunkt steht. Wir meinen, daß beide Fragen gestellt werden müssen; denn es geht ja heute um eine Grundgesetzänderung.
Für die Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer spricht manches. Sie würde möglicherweise die Einnahmestruktur der Gemeindefinanzen verbessern. Auch für die Abschaffung der Gewerbesteuer spricht manches. Sie ist stark konjunkturabhängig; das ist heute gesagt worden.
Dennoch meine ich, daß man den vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes aus prinzipiellen Gründen ablehnen muß. Der 12. Bundestag hat als Ergebnis einer gründlichen und aufgeschlossenen Diskussion in der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat im vorigen Jahr den Satz in das Grundgesetz eingefügt:
Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung.
Diese kürzlich in Kraft getretene Grundgesetzänderung wird mit dem jetzt vorgelegten Entwurf mißachtet. Finanzielle Eigenverantwortung meint doch nicht nur das Recht, Geld auszugeben, sondern es meint auch, daß diese Mittel zur Bestreitung der durch die Aufgabenerfüllung entstehenden Lasten wenigstens zu einem wesentlichen Teil aus eigenem Recht und eigenverantwortlich beschafft werden können. Dazu gehört die Verpflichtung, einen Teil der benötigten Einnahmen selbständig zu beschaffen und damit die finanziellen Konsequenzen des Ausgabeverhaltens auch vor den Wählern politisch zu vertreten.
So schlecht die Gewerbesteuer als finanzpolitisches Instrument der Gemeinden sein mag, so ist sie doch fast das einzige Stück finanzieller Eigenverantwortung der Gemeinden auf der Einnahmenseite.
Dr. Uwe-Jens Heuer
Der Abgeordnete Friedrich-Adolf Jahn sagte in der schon erwähnten Diskussion der Gemeinsamen Verfassungskommission:
Die institutionelle Garantie ist 1949 ins Grundgesetz gekommen. Der Grundgesetzartikel ist in diesem Punkt bis heute nicht verändert worden. Wir stellen praktisch fest, daß die kommunale Selbstverwaltung in manchen Bereichen nur auf dem Papier steht, und zwar deshalb, weil vieles durch die Subventionsverwaltung gesteuert wird. Nicht derjenige hat die Kompetenz, der die Zuständigkeit nach dem Gesetz hat, sondern derjenige hat die Macht, der die Subventionsverwaltung steuert.
So steht es im Protokoll vom 4. Juni 1992.
Die kommunale Selbstverwaltung - das wird kaum bestritten - ist seit der Annahme des Grundgesetzes von Tendenzen der Auszehrung befallen. Es hat gegen diese Tendenzen Widerstand gegeben, und es hat auch teilweise und zeitweise Gegentendenzen gegeben. Insgesamt aber war eine Tendenz zum bürokratischen Zentralismus vorhanden. Das Subsidiaritätsprinzip hat schon im nationalen Rahmen versagt, und die Bundesregierung arbeitet mit der beabsichtigten Reform weiter an seiner Schwächung.
Ich erinnere mich an viele Menschen in Ostdeutschland, die im Jahre 1990 in die Kommunalpolitik gegangen sind, weil sie überzeugt waren, daß die zentralistische Gängelung der Gemeinden, wie sie in der DDR üblich war, nun ein Ende haben werde, weil sie die Vorstellung hatten, jetzt könnten sie wichtige Probleme der Daseinsvorsorge und andere Fragen eigenverantwortlich gestalten. Sie sahen sich seit Sommer 1990 schwer enttäuscht und von einem Zaun aus zentralen bürokratischen Bestimmungen umstellt.
Was wird das Ergebnis der Veränderungen sein? Die eigenverantwortliche Entscheidung der Gemeinden über einen Teil ihrer Einnahmen wird durch ein Gerangel mehr oder weniger gemeindeferner Kräfte um die Aufteilung des Umsatzsteueraufkommens ersetzt werden. Im Änderungsvorschlag heißt es nur, daß sie etwas erhalten können; aber es ist kein Anspruch vorgesehen.
Es ist heute einiges dazu gesagt worden, was man zusagen und möglicherweise machen will. Aber wenn man das Grundgesetz ändert, hat man ein Tor geöffnet, und man kann nicht sagen, was im weiteren geschehen wird. Deswegen müssen die Entscheidungen - das soll ja jetzt auch passieren - aufgeschoben werden, damit man gründlich darüber reden kann, was eigentlich mit den Gemeinden geschehen soll.
Es ist schon erstaunlich, daß eine konservativ geführte Regierung, nur um in der Standortdebatte einen Punkt zu machen, ein derartiges Abenteuer mit so unkalkulierbaren Folgen anfängt; allerdings hält sie jetzt offenbar im Sprung inne.
Ich halte den Vorschlag, die Gegenfinanzierung über die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen für investierende Unternehmen zu erreichen, für grotesk. Für mich nicht überraschend, aber zu-
mindest im Rahmen der Standortdebatte doch erstaunlich ist es, daß damit für die Entlastung der 16 % Großunternehmen, die zur Gewerbekapitalsteuer herangezogen werden - das ist nur ein geringer Teil -, und der 30 % Unternehmen, die bisher Gewerbeertragsteuern zahlen, alle Unternehmen belastet werden sollen, also auch die Handwerker, kleine und mittelständische Unternehmen, die bekanntlich die meisten Arbeitsplätze schaffen.
Meine Damen und Herren, wir sind für eine Reform der Gemeindefinanzen. Sie könnte auch die Abschaffung der Gewerbesteuern einschließen. Aber wir sind für eine solche Reform, die die Initiative der Bürger stärkt, die sie anregt, sich an Politik im Rahmen ihrer Kommunen zu beteiligen, die sie zwingt, über die Folgen ihres Handelns nachzudenken.
Wir sind gegen eine Reform, die die Unternehmen aus der steuerlichen Mitverantwortung für die von ihnen genutzte Infrastruktur der Gemeinden entläßt. Wir sind gegen eine Reform, die die Eigenverantwortung der Kommunen abbaut und den bürokratischen Zentralismus aufbaut.
Eine solche Reform der Kommunalfinanzen bedarf einer gründlichen wissenschaftlichen Fundierung. Das ist jetzt vielleicht möglich, wenn ich den Herrn Finanzminister heute richtig verstanden habe. Dann soll man aber dazu die Zeit wirklich nutzen.
Die PDS hat dazu die Einsetzung einer entsprechenden Enquete-Kommission vorgeschlagen. In der Debatte zu diesem Vorschlag am 11. Mai 1995 hat Herr Kollege Willner darauf hingewiesen, daß die Kommunen keine staatliche Ebene sind. Das wissen wir. Aber wenn die hier vorgeschlagene Grundgesetzänderung in Kraft treten und in der Folge die Steuerhoheit der Gemeinden weiter reduziert werden sollte, dann bricht wieder ein Stück der Eigenständigkeit in der Gesamtverantwortung für alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft weg.
Herr Metzger vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat heute gesagt, daß hier ein Kompromiß zu Lasten der Kommunen geschlossen werden soll. Ich meine, wir müssen ernsthaft darüber diskutieren, wie wir die Eigenverantwortung der Kommunen sichern, nein, verstärken können. Das ist nach meiner Ansicht ein Verfassungsgebot des Grundgesetzes, das wir nicht ohne Not aushebeln sollten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster spricht der Kollege Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der für die Verfassungsänderung federführende Rechtsausschuß hat zu dieser Frage eine Anhörung durchgeführt. Die dort vertretenen Verfassungsrechtler haben ohne Ausnahme erklärt, daß es keinen vernünftigen Grund gibt, die Verfassungsänderung nicht zu verwirklichen.
Norbert Geis
Es geht im Prinzip letztlich um die Stärkung des Selbstverwaltungsrechtes der Gemeinden. Keiner von uns bestreitet, daß dies ein Verfassungsgrundsatz ist, dem wir alle verpflichtet sind. Bei dieser Stärkung geht es um eine Verbreiterung des Finanzierungsspielraumes der Gemeinden. Die Beteiligung an der Umsatzsteuer wäre eine solche Verbreiterung des Finanzierungsspielraumes der Gemeinden. Deshalb gibt es - ich wiederhole, was uns die Verfassungsrechtler gesagt haben - keinen vernünftigen Grund, auf die Verfassungsänderung mit dem Ziel, die Finanzierung der Gemeinden zu gewährleisten, zu verzichten.
Dennoch sperrt sich die SPD bislang gegen eine solche Verfassungsänderung. Sie von der SPD sind aber, wenn ich Sie richtig verstanden habe, im Grunde genommen nicht gegen die Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer, sondern Sie sperren sich gegen die Verfassungsergänzung, weil Sie die Kompensierung der Gewerbesteuer durch die Beteiligung an der Umsatzsteuer verhindern wollen.
Beides hat aber zunächst einmal nichts miteinander zu tun. Es wird zwar politisch sinnvollerweise verknüpft, aber verfassungsrechtlich ist dieses Junktim überhaupt nicht geboten. Die SPD könnte hier beispielsweise ohne weiteres der Verfassungsergänzung zustimmen und dann mit ihrer Mehrheit im Bundesrat die Reform der Gewerbesteuer blockieren.
Oder wir könnten ohne weiteres ins Gespräch kommen, wie wir gemeinsam die Gewerbesteuer reformieren. Das müßten wir sowieso spätestens im Vermittlungsausschuß.
Beides hat also zunächst einmal nichts miteinander zu tun. Aber die Verfassungsergänzung ist die Voraussetzung dafür, daß wir uns überhaupt darüber unterhalten, wie wir gemeinsam die Gewerbesteuer gestalten wollen.
Deswegen ist es nicht verständlich, weshalb Sie sich so hartnäckig gegen die Verfassungsergänzung wehren.
- Nein, ich wiederhole es: Sie machen nach meiner Auffassung den Denkfehler, daß Sie beides verknüpfen. Natürlich wird es politisch verknüpft, und das ist auch sinnvoll.
- Nein, von der Sache her ist es zunächst einmal notwendig, die Verfassungsänderung durchzuführen. Dann können wir uns darüber unterhalten, wie wir die Gewerbesteuer gestalten.
Wenn Sie eine Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht wollen, dann können Sie dies doch - das wissen Sie genausogut wie wir - im Bundesrat blokkieren. Also können Sie ohne weiteres den ersten Schritt tun. Sie vergeben sich dabei von Ihrer politischen Einstellung her überhaupt nichts. Im Gegenteil, Sie leisten einen Beitrag dazu, daß die Finanzierung der Gemeinden insgesamt verbreitert wird. Das ist doch eigentlich ein verfassungsrechtliches Gebot.
Natürlich ist es sinnvoll - daran will ich überhaupt keinen Zweifel lassen -, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen und die Gewerbeertragsteuer zu reduzieren. Wir haben hier vom Finanzminister die Gründe dafür gehört. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Es geht um die Konkurrenzfähigkeit unserer Unternehmen. Es besteht kein Zweifel - das wird auch von niemandem bestritten; reden Sie doch einmal mit Ihren Kommunalpolitikern und mit den Arbeitnehmern in den Gewerbebetrieben und in den Industriebetrieben -: Die Industrieunternehmen, die Gewerbebetriebe bei uns sind durch die Gewerbesteuer im Verhältnis zu den ausländischen Unternehmen in einer besonderen Weise belastet.
Sie sind sowieso schon stark belastet.
Wir haben eine hohe Belastung durch die Sozialkosten, wir haben eine hohe Belastung - auch das darf nicht verschwiegen werden - durch die Umweltkosten, und wir haben jetzt natürlich auch noch eine hohe steuerliche Belastung.
Wenn es uns ernst ist, den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland zu erhalten, und wenn wir es für unsere Betriebe interessant machen wollen, zu investieren und bei uns neue Arbeitsplätze zu schaffen, müssen wir die Kosten senken. Darüber sind sich doch im Grunde genommen alle einig. Deswegen müssen wir den ersten Schritt tun.
Lassen Sie mich ein paar weitere Aspekte anführen, die immer gegen die Reform der Gewerbesteuer eingewandt werden. Die Reform sei, so wird behauptet - völlig zu Unrecht, wie ich meine -, unter Umständen ein Verstoß gegen das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden. Das ist nicht der Fall. Es ist richtig: Die Gemeinden müssen nach dem Selbstverwaltungsrecht, das verfassungsmäßig garantiert ist, über Finanzquellen verfügen, deren Ausschöpfung sie selbst bestimmen. Das ist bei der Gewerbesteuer durch den Hebesatz zweifellos der Fall. Es ist auch richtig, daß dieses Erfordernis durch die Beteiligung an der Umsatzsteuer nicht gegeben ist.
Die Behauptung aber, die Gemeinden - das hat Frau Frick schon dargelegt - müßten ausschließlich über eigene Finanzquellen im Sinne der jetzigen Gewerbesteuer verfügen, ist falsch. Es reicht nach Art. 28 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes aus - Herr Heuer, wir haben dies in der Gemeinsamen Verfassungskommission mit ganz überwiegender Mehrheit gemeinsam so beschlossen -, wenn die Gemeinden finanzielle Grundlagen haben, mit denen sie im Sinne des Selbstverwaltungsrechtes eigenverantwortlich tätig werden und die ihnen übertragenen Aufgaben eigenverantwortlich erledigen können. Es
Norbert Geis
ist also nicht erforderlich, daß die Gemeinden durchweg über eigene Finanzquellen verfügen müssen. Es reicht zunächst einmal, wenn eine ausreichende finanzielle Grundlage gegeben ist.
Nun sagen uns die Verfassungsrechtler mit Recht, daß neben den vielen Quellen zur Finanzierung der Gemeindehaushalte eine solch eigenständige Finanzquelle, wie es die Gewerbesteuer darstellt, erhalten bleiben muß. Das gehört nach Meinung der Verfassungsrechtler - wir zweifeln nicht, daß dies richtig ist - zum Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden.
Durch die Beteiligung an der Umsatzsteuer und die Reform der Gewerbesteuer wird dies aber gar nicht geändert. Zwar wird die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft; das ist richtig. Die Gewerbeertragsteuer bleibt jedoch erhalten, wenn auch in reduzierter Form. Dies reicht, um dem Selbstverwaltungsrecht zu genügen.
Nun sagen uns die Kommunalpolitiker: Die Gewerbesteuer ist eine besondere Steuer. Sie reizt die Gemeinden, Gewerbeflächen auszuweisen. Dadurch leisten sie einen großen Anteil an dem Erhalt des Industriestandortes Bundesrepublik Deutschland. Das ist richtig. Jeder, der in der Gemeindepolitik tätig war oder noch tätig ist, weiß, welch entscheidende Rolle dies im Gemeinderat spielt. Das aber bleibt auch in Zukunft so. Der Verteilungsschlüssel, der bei der Umsatzsteuerbeteiligung vorgesehen ist, richtet sich nach den örtlichen Gegebenheiten, insbesondere nach der örtlichen Wirtschaftskraft. Damit bleibt es für die Gemeinden nach wie vor interessant, Gewerbeflächen auszuweisen und Betriebe anzusiedeln. Insofern stimmt auch dieses Argument nicht.
Es gibt noch ein weiteres Argument. Es heißt, daß der Bund dadurch, daß er den Gemeinden eine Beteiligung an der Umsatzsteuer eröffnet, einen direkten Durchgriff auf die Gemeinden hätte und gestalterisch in ihr Selbstbestimmungsrecht eingreifen könnte; dies sei verfassungsrechtlich nicht erlaubt. Es ist richtig: Dies wäre verfassungsrechtlich nicht erlaubt. Das ist aber hier nicht der Fall; denn das Geld, das über die Beteiligung an der Umsatzsteuer an die Gemeinden fließt, nimmt den Weg über die Länderebene. Die Länder verteilen diese Mittel. Ein Durchgriff des Bundes ist also schon von der Konstruktion her nicht gegeben. Deshalb ist auch dieses Argument, das uns bei der Frage „Ist so etwas verfassungskonform?" entgegengehalten worden ist, nicht stichhaltig.
Ein Letztes: Die Gemeindeverbände haben in dieser Anhörung gesagt, man müsse aus dieser Kann-Bestimmung eine Anspruchsbestimmung machen. Die Gemeinden hätten dann einen Anspruch auf eine Beteiligung an der Umsatzsteuer. Darüber kann man natürlich reden. Wenn ich den Finanzminister richtig verstanden habe, ist dies auch ein Punkt in den Gesprächen, die im Herbst stattfinden sollen.
Aber zunächst einmal gilt folgende Überlegung. Wir haben nach Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG allgemein die Verpflichtung, für eine ausreichende finanzielle
Grundlage der Gemeinden zu sorgen. In dem Augenblick, in dem das Gewerbesteueraufkommen reduziert wird und die Gemeinden dadurch nicht mehr in der Lage sein würden, auf ausreichende finanzielle Mittel zurückgreifen zu können, würde natürlich auf Grund der Regelung des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG aus der Kann-Bestimmung sofort eine Anspruchsbestimmung werden; denn der Staat hätte gar keine andere Möglichkeit als so zu verfahren, wie es die Beteiligung an der Umsatzsteuer eröffnet.
Deshalb meinen wir, daß all diese Überlegungen, die vielleicht ein wenig juristisch spitzfindig klingen, in der Sache vielleicht aber doch den Ausschlag geben können, nicht zutreffen. Es gibt - ich wiederhole - keinen vernünftigen Grund, Herr Kröning, jetzt den Schritt zur Verfassungsergänzung nicht zu tun. Dann können wir immer noch darüber reden, wie wir die Gewerbesteuer gestalten.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Joachim Poß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute erleben wir die Kaschierung eines Bremsmanövers. Die Dramaturgie wurde geändert, aber die Nebelscheinwerfer sind eingeschaltet geblieben. Garniert wird das Ganze mit einigen demagogischen Verdrehungen über Arbeitsplatzvernichtungen im Osten - darüber sollten Sie sich einmal in einem anderen Zusammenhang Gedanken machen -;
denn wir wissen, daß kaum Betriebe im Osten betroffen wären. Im übrigen kann ich Sie, Herr Bundesfinanzminister, nur herzlich bitten, Ihre Rolle als stärkster Wirtschaftspartner in der Europäischen Union wirklich so zu nutzen, daß die notwendige Aussetzung für die neuen Länder auch wirklich angestrebt und erreicht wird.
Bereits bei Ihrem ersten Anlauf am 12. Mai 1995 hat der Bundestag diese unausgegorenen Gewerbesteuerpläne der Koalition abgelehnt; denn die Änderung des Art. 106 GG ist eine notwendige Vorbedingung für diese Gewerbesteuerpläne. Mit der Ablehnung der Grundgesetzänderung wird der Rest gegenstandslos. So war es am 12. Mai.
Es gab in der Koalition noch einige zaghafte Versuche, die Gewerbesteuerpläne zu retten. Da war die Rede davon, den Einkommensteueranteil der Gemeinden zu erhöhen oder die Gewerbesteuerumlage abzusenken. Aber letztlich mußte die Koalition eingestehen, daß ihr erster Anlauf gescheitert war.
Joachim Poß
Heute ist sie mit diesem Anlauf endgültig gescheitert.
- Es ist mir egal, ob die GRÜNEN beweglich sind. Ich sage, Sie sind gescheitert. Das ist entscheidend am heutigen Tage.
Wir von der SPD haben im Rahmen der Beratung des Jahressteuergesetzes darum gebeten, diesen Teil abzukoppeln, gesondert zu beraten und nur die Teile zu beraten, die zum 1. Januar 1996 unbedingt in das Gesetzesblatt müssen: die Steuerfreistellung des Existenzminimums und der Familienleistungsausgleich. Das haben Sie zunächst abgelehnt, Herr Vorsitzender Thiele. Dann haben Sie anschließend selbst beantragt, daß die Gewerbesteuer und die damit zusammenhängenden Teile aus dem Artikelgesetz herausgenommen werden. Auch hieran sieht man, wie schwer es Ihnen gefallen ist, Ihre Niederlage einzugestehen.
Herr Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hauser?
Herr Kollege Poß, darf ich Sie fragen, wie Ihr Antrag zur Abkopplung gelautet hat? War es nicht so, daß Sie verlangt haben, mehrere Teile aus dem Gesetz abzukoppeln und nicht nur die Gewerbesteuer- bzw. Unternehmensteuerreform, wie wir das vorgeschlagen haben?
Es ist so, Herr Kollege Hauser, daß wir gesagt haben, wir müssen jetzt das regeln, was zum 1. Januar 1996 im Gesetzblatt stehen muß. Das war unser Antrag, den Sie mit einer Stimme Mehrheit, die Sie von seiten der Koalition haben, abgelehnt haben.
- Man sieht auch an dieser Zwischenbemerkung: Es fällt Ihnen schwer, Ihre Niederlage einzugestehen, Herr Hauser.
- Doch, die Gewerbesteuerpläne der Koalition sind im ersten Anlauf gescheitert, und zwar nicht nur, weil Sie die dafür notwendige Mehrheit im Bundestag nicht gefunden haben, sondern auch deshalb, weil die Hauptbetroffenen, nämlich die Gemeinden, diese Vorschläge eindeutig abgelehnt haben.
Die kommunalen Spitzenverbände haben Sie sogar ausdrücklich aufgefordert, Ihre Vorschläge aus dem Jahressteuergesetz herauszunehmen. Obwohl Sie massive Beeinflussungsversuche unternommen
haben, die kommunale Ebene in Ihrem Sinne zu mobilisieren, ist Ihnen das nicht gelungen. Die kommunalen Spitzenverbände sind bei ihrer Position geblieben. Sie haben Ihnen bestätigt, daß Ihre Pläne unausgereift und für die Gemeinden mit großen Risiken behaftet sind.
Deswegen wurde am 12. Mai 1995 hier im Interesse der Gemeinden abgestimmt.
Die Vorschläge sind auch abgelehnt worden, weil die vorgeschlagene Gegenfinanzierung über eine Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen die investierende Wirtschaft zusätzlich belastet hätte.
Nun haben Sie in dieser Woche einen zweiten Anlauf gemacht, der am heutigen Tage abgebrochen wird.
Warum diese Hartnäckigkeit? Wem gegenüber sind Sie zu einer solchen Alibiveranstaltung verpflichtet?
Welche Zusagen und Versprechungen müssen Sie jetzt eigentlich einlösen?
Was hat sich denn in den sechs Wochen seit dem ersten Scheitern inhaltlich getan? Hat die Bundesregierung neue Vorschläge vorgelegt, hat sie ein neues Konzept entwickelt? Gibt es inzwischen einen Konsens mit den Gemeinden oder den Ländern? In der Sache gibt es nichts wesentlich Neues. Der Bundesrat lehnt die von der Bundesregierung vorgelegten Vorschläge zur Gewerbesteuer ab. Hat sich sonst noch etwas getan? Die Antwort lautet schlicht: Nein, nichts.
Das heißt, ich muß das ein ganz klein wenig einschränken: Es hat sich fast nichts getan. Immerhin hat der Bundesfinanzminister mit Datum vom 29. Mai 1995 einen Brief an die kommunalen Spitzenverbände geschrieben und darin seine Bereitschaft für weitere Verbesserungen erklärt. Er hat heute darüber berichtet. Mit diesen Argumenten möchte ich mich jetzt auseinandersetzen.
Wenn man sich diese „Nachbesserungen" näher anschaut, muß man zugeben, daß sich Herr Waigel bewegt hat.
Aber wie? Diese Bewegung gleicht einem Eiertanz.
Das wird insbesondere deutlich, wenn Herr Waigel
die sogenannte Bestandsgarantie für die verblei-
Joachim Poll
bende Gewerbesteuer anspricht. Darauf will ich ausführlicher eingehen; denn dabei wird deutlich, daß Herr Waigel die wahren Absichten dieser Koalition verschleiert, wie alle Koalitionsredner heute morgen.
Herr Waigel schlägt in seinem Brief zum einen vor, zu prüfen, ob die Gewerbesteuer ausdrücklich in Art. 106 des Grundgesetzes aufgeführt werden soll. Dies sei, so Herr Waigel, im Ergebnis eine Bestandsgarantie für die noch verbleibende Gewerbeertragsteuer. Als zweites Angebot wiederholt Herr Waigel die vom Bundeskanzler gegebene Zusage, daß eine Abschaffung der Gewerbeertragsteuer nur dann und insoweit in Frage kommen kann, als diese Steuer durch eine neue, gleichwertige Finanzierung der Kommunen ersetzt wird.
Das heißt also im Klartext: Die Abschaffung der Gewerbeertragsteuer wird danach nicht ausgeschlossen. Aber wollte Herr Waigel nicht eine Bestandsgarantie abgeben? Was gilt denn nun? Ich frage Sie - ich kann Herrn Waigel persönlich nicht mehr fragen, er ist entschwunden -:
Welche Aussage gilt? Welches Angebot an die Kommunen gilt? Gilt das Angebot von Herrn Waigel, oder gilt die Zusage des Bundeskanzlers?
Es gibt aber noch eine viel wichtigere, eine dritte Variante in diesem Spiel: die Koalitionsvereinbarung vom November 1994. In der Koalitionsvereinbarung steht klipp und klar - ich zitiere -: Es wird „eine Gemeindefinanzreform angestrebt, in der die Gewerbesteuer Schritt für Schritt mit dem Ziel der Abschaffung gesenkt werden soll„.
Also frage ich Sie, die CDU/CSU und die F.D.P.: Gilt dies, oder gilt dies nicht?
Treten Sie hier an das Rednerpult, und erklären Sie, ob die Koalitionsvereinbarung in diesem Punkte gilt oder nicht. Sagen Sie den Gemeinden endlich, was Sie wirklich vorhaben.
Also: Gilt die Koalitionsvereinbarung, oder gilt die Aussage des Bundeskanzlers, oder gilt die Aussage von Herrn Waigel, der eine Bestandsgarantie für die
Gewerbeertragsteuer abgeben will? Ich vermute einmal, in der Koalition gelten alle drei Meinungen.
Aber das ist unredlich. Sie müssen - Sie haben ja davon gesprochen, daß es im Herbst zu Gesprächen kommen wird - Ihre wahren Absichten offenlegen. Der Weg, Ihre wahren Absichten zu verheimlichen und die Gemeinden im unklaren zu lassen, führt zu nichts, jedenfalls zu nichts Gutem. Dieses Vorhaben wird scheitern, wenn Sie diesen Weg nicht verlassen.
Nach dem Brief von Herrn Waigel vom 29. Mai stehen zwei Änderungen zu Ihren Vorschlägen im Raum: Erstens soll die Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer in Art. 106 des Grundgesetzes - davon hat Herr Geis gesprochen - nicht in Form einer Kann-Bestimmung festgelegt werden, sondern als zwingende Vorschrift. Das wäre ein Fortschritt im Sinne der Gemeinden. Nur: Die angebliche Sicherheit bringt das den Gemeinden auch nicht; denn über die Höhe der Beteiligung wird in einem einfachen Gesetz zu entscheiden sein. Erst dabei wird festgelegt, was auf die Gemeinden insgesamt zu verteilen ist. Darüber, was die einzelne Gemeinde nach der Übergangslösung erhalten soll, soll erst sehr viel später entschieden werden. Also gibt es für die Gemeinden auch in diesem Punkt in der Zukunft keine Sicherheit.
Zweitens hat Herr Waigel angeboten, die Gewerbesteuer im Grundgesetz ausdrücklich aufzuführen. Aber auch hier bleibt es beim Fragezeichen. Denn wenn Ihre Koalitionsvereinbarung gilt, werden Sie versuchen, das rückgängig zu machen. Oder Sie werden versuchen, die verbleibende Gewerbesteuer so auszuhöhlen, daß davon faktisch nichts mehr übrigbleibt. Also: Auch dies ist für die Gemeinden eine Reise ins Ungewisse. Deshalb kann es für diese Vorschläge keine Zustimmung geben. Sowohl der Städtetag als auch der Städte- und Gemeindebund lehnen Ihre Vorschläge auf Grund des Schreibens von Herrn Waigel vom 29. Mai ab. Das gilt für Ihre Parteifreunde Thallmair und Seiler; das können Sie nachlesen.
Wir werden heute im Finanzausschuß beantragen - ich hoffe, Sie werden dem zustimmen -, die Beratung über die Gesetzesvorlagen zu vertagen.
- Ich halte überhaupt keine überholte Rede, sondern ich decke auf, in welchen Widersprüchen Sie sich befinden. Es ist Ihnen unangenehm, daß ich das aufdecke.
Joachim Poß
Es ist auch für die Öffentlichkeit und für die vielen Kommunalpolitiker in Ihren Reihen interessant, daß es in der Koalition keine Klarheit in der Frage der Zukunft der Gemeinden gibt.
Hören Sie doch auf, Herr Hauser, hier noch weiteren Nebel zu werfen. Wir stellen die substantiellen Fragen, denen Sie bisher ausgewichen sind. Diese Debatte dient insofern der Klarheit - vielleicht muß ich Ihnen dafür sogar dankbar sein -, um die Widersprüche in dieser Koalition aufzudecken.
Dabei geht es auch darum - auch das gehört zur notwendigen Faktenerklärung, Herr Hauser -, bei den statistischen Berechnungsgrundlagen noch mehr Fakten zu sammeln, um die notwendige Klarheit zu schaffen, die gerade von den Gemeinden gefordert wird. Nur auf einer solchen Basis läßt sich über mögliche Neuregelungen reden. Vielleicht braucht man dafür weniger als fünf Jahre. Vielleicht geht das in zwei Jahren. Ich weiß es nicht. Nur: Wir brauchen diese Grundlagen, um tragfähige substantielle Entscheidungen treffen zu können.
Wir werden uns demnächst mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Einheitswerten befassen müssen. Auch daraus werden sich Konsequenzen für die Gemeindefinanzen ergeben, nämlich bei der Grundsteuer. Vielleicht bietet sich dann, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, eine gute Gelegenheit, das Thema Gemeindefinanzreform umfassend zu behandeln.
Wir werden noch über andere Dinge reden müssen, z. B. über die Beteiligung des Bundes an den Sozialhilfekosten der Gemeinden. Das heißt, wir haben einen erheblichen Gesprächs-, Diskussions-
und Klärungsbedarf. Dabei muß das Ziel sein, die kommunale Eigenverantwortung zu erhalten und zu stärken; sie darf keinesfalls geschwächt werden.
Die Gemeinden brauchen eine klare und gesicherte Perspektive. Ein kommunales Hebesatzrecht muß als ein Eckpfeiler der kommunalen Eigenverantwortung gesichert werden. Von daher brauchen wir die notwendigen Berechnungsgrundlagen; denn Sie können doch überhaupt nicht sagen, in welchem Maße die einzelnen Gemeinden von einer Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer betroffen sind.
Sie können doch überhaupt nicht sagen, welche Ausgleichsbeträge die Gemeinden erhalten werden. Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, daß die Gemeinden gerade an dieser Frage ein vitales Interesse haben und Klarheit wünschen. Auch Sie müssen die Bedenken und Sorgen der Gemeinden ernst nehmen.
Ich frage Sie: Welche Gemeinde verliert, welche gewinnt - und in welcher Höhe? Das können Sie heute nicht beantworten. Aber dann erklären Sie doch bitte, wann Sie in der Lage sein werden, hierüber Auskunft zu geben,
und zwar Auskunft über die Auswirkungen auf die einzelne Kommune nach dem Übergangsschlüssel und nach dem endgültigen Schlüssel. Das sind die Fragen, die wir demnächst zu klären haben werden.
Eine Reform des Gemeindefinanzsystems kann nur gelingen, wenn schon im Vorfeld eine Einigung mit den Gemeinden und auch mit den Ländern erreicht wird. Es kann nicht angehen, daß sich die Koalition im Koalitionsabkommen zu Lasten der Gemeinden einigt, anschließend dem Parlament unausgegorene Vorschläge vorlegt, diese hier in aller Länge und Breite diskutieren läßt, obwohl abzusehen ist, daß diese Vorschläge scheitern. Das erleben wir in der heutigen Debatte.
- Das ist keine überholte Rede; diese Rede wird noch sehr große Bedeutung haben, im Herbst, wenn es zu Gesprächen kommen sollte.
Denn ich habe die Fragen aufgeführt, die den Gemeinden beantwortet werden müssen, Herr Hauser. Erklären Sie doch bitte hier und heute - bisher haben Sie das doch nicht gemacht , ob das, was Sie wollen, nur der erste Schritt zur Umsetzung Ihrer Koalitionsvereinbarung ist und wann und wie Sie die nächsten Schritte gemäß der Koalitionsvereinbarung zur Abschaffung der Gewerbesteuer gehen wollen. Oder wollen Sie mit Ihren Bemerkungen zum Ausdruck bringen, daß die Koalitionsvereinbarung überhaupt nicht mehr gilt? Ich meine, Sie regieren ja so, als ob es überhaupt gar keine Vereinbarung gäbe. Das ist kennzeichnend für Ihren Stil. Ich bitte Sie, Herr Hauser, und die übrigen Kolleginnen und Kollegen der Koalition: Wenn schon das zuständige Haus diese Klarheit nicht herstellen konnte und Herr Waigel mit seinem Brief mehr Verwirrung als Klarheit hergestellt hat, vielleicht ist ja von Ihnen noch jemand in der Lage, die Dinge zu ordnen und zumindest etwas über die Zukunft Ihrer Koalitionsvereinbarung zu sagen.
Als letzter Redner zu diesem Beratungspunkt spricht Hans-Peter Repnik.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich darauf hinweisen, daß sich Herr Finanzminister Waigel nicht entfernt hat, weil ihm Ihre Ausführungen nicht gepaßt hätten, Herr Kollege Poß,
sondern weil er in das Kabinett muß. Er hat sich ja bei Frau Matthäus-Maier entschuldigt. Ich möchte dies hier ebenfalls tun, um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen.
Herr Poß, ich möchte gern den Zwischenruf vom Kollegen Hauser noch einmal aufgreifen, der gemeint hat, Sie hätten hier eine veraltete Rede vorgetragen. Ich möchte mich diesem Zwischenruf mit Nachdruck anschließen,
: Die ist hochaktuell!)
Daß Sie am 12. Mai in diesem Verfahren nicht mitgespielt haben, das würde ich jetzt noch mit wahltaktischen Argumenten entschuldigen. Heute fehlen Ihnen diese Argumente. Daß der Vorschlag des Bundesfinanzministers doch so schlecht nicht sein kann, zeigt, wie die Presse die Debatte vom 12. Mai kommentiert hat. Ich will nur drei Überschriften vorlesen: „Ein Votum gegen die Kommunen", hier in das Stammbuch der SPD von der „Süddeutschen Zeitung" geschrieben, „Widersinniges Nein" von der „FAZ" und „Obstruktion statt Opposition".
In dieser Woche - ich empfehle allen, das zu lesen -hat ein führender Repräsentant der Sozialdemokraten in einem Nachrichtenmagazin einen Aufsatz geschrieben, in dem er die Sozialdemokraten auffordert, Mut zur Wirklichkeit zu haben. Nehmen Sie doch bitte die Wirklichkeit zur Kenntnis, haben Sie Mut zu dieser Wirklichkeit und springen Sie.
Wirklichkeit ist nämlich, daß durch das bisherige Verhalten der SPD den Gemeinden Opfer zugemutet wurden.
Herr Repnik, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Poß?
Gern.
Herr Kollege Repnik, sind Sie bereit, die Frage zu beantworten, was jetzt für die Kommunen gilt: die Aussage des Bundeskanzlers, der Brief von Herrn Waigel vom 29. Mai oder die Koalitionsvereinbarung, in der eindeutig vom Ziel der Abschaffung der Gewerbesteuer gesprochen wird?
Herr Kollege Poß, ich wäre auf diesen Einwand nachher noch eingegangen, ich kann aber jetzt schon auf Ihre Zwischenfrage eingehen. Wir haben in der Koalitionsvereinbarung eine klare Aussage getroffen. Wir haben im jetzigen Verfahren im Zusammenhang mit der Änderung des Grundgesetzes und des Jahressteuergesetzes 1996 einen Teil dieser Koalitionsvereinbarung zur Umsetzung eingeführt.
Hans-Peter Repnik
Der Finanzminister hat eindeutig klargestellt, worüber wir jetzt und heute zu diskutieren haben. Sie sollten hier keine Nebelpatronen werfen.
Er hat in dem Brief an die Kommunen eine eindeutige Garantie im Hinblick auf die Gewerbeertragsteuer gegeben. Wir diskutieren heute über die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und darüber, daß wir den Kommunen einen zuverlässigen und dynamisch wachsenden Ausgleich verschaffen wollen und über nichts anderes.
Herr Kollege Poß hat noch eine Zusatzfrage.
Bitte.
Herr Kollege Repnik, wie erklären Sie den Widerspruch, daß Herr Waigel - so steht es in seinem Brief - einerseits die Gewerbesteuer im Grundgesetz ausdrücklich verankern will und andererseits in der Koalitionsvereinbarung ausdrücklich von der Abschaffung der Gewerbesteuer insgesamt gesprochen wird?
Ich möchte noch einmal mit Nachdruck darauf hinweisen, daß wir es im Moment mit einem Verfahren zu tun haben, das eindeutig und klar ist. Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem Bundeskanzler, dem Bundesfinanzminister und der Koalition. Wir reden über die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und über eine mittelstandsfreundliche Absenkung der Gewerbeertragsteuer und über nichts anderes.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weshalb wir die Grundgesetzänderung brauchen, möchte ich durch wenige Zahlen belegen. Die Gemeinden brauchen sie. Die Gewerbesteuereinnahmen sind seit 1970 um das 3,7fache gestiegen, die Umsatzsteuereinnahmen um das 5,7fache.
Wir haben hier eine Dynamik und eine Sicherheit, die den Kommunen ansonsten nicht gegeben ist. Ich erinnere an die Aussagen des Bundesfinanzministers von heute vormittag. Wenn wir bereits 1991 - das hatten wir vor - die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft und die Kommunen an der Umsatzsteuer beteiligt hätten, dann hätten die Kommunen jetzt schon 2 Milliarden DM mehr zur Verfügung, als sie es heute haben.
Wenn wir jetzt zum 1. Januar 1996 - das streben wir nach wie vor an - die Kommunen an der Umsatzsteuer beteiligen, dann entsteht allein in dem Zeitraum von 1996 bis 1999 ein Betrag von 2 Milliarden DM zusätzlich, der in die Kassen der Kommunen fließt. Deshalb laden wir Sie ein, hier mitzumachen.
Herr Repnik, es gibt weitere Zwischenfragen.
Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten, möchte ich noch einen Gedanken ausführen. Ich möchte Sie an eine Steuerreform erinnern, mit der sich vor vielen Jahren die damalige Große Koalition befaßt hat. Es ging um den Tausch der Gewerbesteuer gegen eine ertragreichere Steuer und die Beteiligung der Kommunen an der Einkommensteuer.
Als den Kommunen seinerzeit das Angebot gemacht wurde, daß sie mit 14 % an der Einkommensteuer beteiligt würden, war der Ausgleich über die Einkommensteuer im Vergleich zur Gewerbesteuerumlage, auf die sie verzichtet hatten, fast gleich groß. Die Zahlen lauteten: 6,4 Milliarden DM Ausfall, 7,1 Milliarden DM Einkommensteuereinnahmen.
1995, 25 Jahre nach Inkrafttreten dieser Reform, werden die Einkommensteuereinnahmen der Gemeinden um rund 10 Milliarden DM über den Nettoeinnahmen der Gewerbesteuer liegen. Das ist ein wesentlicher Pfeiler der kommunalen Finanzausstattung. Wir möchten ihnen - nachdem sie an der Einkommensteuer beteiligt sind - mit der Teilhabe an der Mehrwertsteuer einen weiteren sicheren und dynamisch wachsenden Pfeiler geben. Machen Sie also bitte in diesem Zusammenhang mit.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Larcher?
Bitte sehr.
Herr von Larcher, bitte.
Herr Kollege Repnik, könnten Sie bestätigen, daß das, was Sie immer als „Dynamik" bezeichnen und mit Zahlen zu belegen versuchen, dadurch zustande kommt, daß Sie die Gewerbesteuer mehrfach gesenkt und die Mehrwertsteuer erhöht haben? Wenn Sie eine dynamische Steuerbeteiligung versprechen, heißt das konsequenterweise dann auch, daß Sie im Kopf haben, die Mehrwertsteuer weiter zu erhöhen?
Ich kann nur sagen, daß erstens das Ergebnis zählt, und das Ergebnis heißt: Die Gemeinden fahren besser.
Ich möchte zweitens darauf hinweisen, daß die Kommunen durch ihr Hebesatzrecht über die Größenordnung der Gewerbesteuer selber entscheiden. Sie haben es also in der Hand.
Hans-Peter Repnik
Drittens kann überhaupt nicht bestritten werden, daß die Mehrwertsteuer genauso wie die Einkommensteuer eben eine eigene Dynamik hat, und an dieser eigenen Dynamik möchten wir die Kommunen in der Zukunft teilhaben lassen.
Herr Repnik, gestatten Sie auch noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grasedieck?
Bitte.
Herr Grasedieck, bitte.
Herr Repnik, Sie sagten vorhin: Wenn die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft wird, haben wir einen Teil unserer Koalitionsvereinbarung erreicht. Bedeutet das, daß das der erste Schritt ist, so daß Sie im zweiten Schritt die Gewerbeertragsteuer abschaffen?
Ich habe hierzu vorhin eine eindeutige Aussage gemacht. In der Koalitionsvereinbarung ist eine Aussage enthalten. Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt bereit, einen Teil dieser Koalitionsaussage zu realisieren. Darüber hinausgehende Pläne liegen derzeit nicht vor.
- Das ist keine Neuigkeit. Dies hat der Finanzminister in seinem Brief an die kommunalen Spitzenverbände festgeschrieben. Daran gibt es keinen Zweifel.
- Sie sollten jetzt nicht ablenken, sondern lassen Sie sich bitte ein auf den Sachverhalt, der heute zur Debatte steht, und das ist die Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer.
Ich möchte auch, Herr Poß, einen Eindruck korrigieren: Sie sprachen von einer massiven Beeinflussung der kommunalen Spitzenverbände. Wir haben niemanden beeinflußt. Wir haben Gespräche geführt. Im Gegensatz zu Ihnen ist die Einsicht bei den kommunalen Spitzenverbänden von Woche zu Woche gewachsen.
- Die kommunalen Spitzenverbände sind mittlerweile bereit, unter ganz bestimmten Kautelen diese
Reform zu unterstützen. Wir kennen doch ihre Briefe.
- Herr Poß, im Gegensatz zu Ihnen haben die Kämmerer längst die Chance dieser Reform erkannt, und ich kann sagen: offensichtlich auch Herr Lafontaine. Ich freue mich ausdrücklich, daß Herr Metzger für die GRÜNEN heute früh ebenfalls die Bereitschaft erklärt hat, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Über die Modalitäten werden wir uns noch unterhalten.
Ich möchte auch Ihre Erkenntnis, Herr Poß, in diesem Zusammenhang noch mit einigen wenigen Argumenten möglicherweise befördern. Vielleicht können Sie dann im Herbst doch noch mitstimmen.
Erstens. Es hieß immer wieder, daß die großen und die reichen Unternehmen durch die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer profitieren würden. Ich glaube, auch diesem Eindruck muß man entgegenwirken. Rund 350 000 deutsche Unternehmen zahlen Gewerbekapitalsteuer. Darunter sind rund 240 000 Einzelunternehmen und Personengesellschaften,
also typische mittelständische Betriebe. Sie sind die Stütze des Wirtschaftssystems und diejenigen, die die meisten Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Sie sollen dadurch ebenfalls entlastet werden - und eben nicht nur große und reiche Unternehmen.
Zweitens. Die Belastung der Unternehmen durch eine Steuer unabhängig vom Gewinn ist doch ein Irrsinn. Wir müssen diesen Irrsinn abschaffen. Wem soll man die widersinnige Besteuerung von Schulden erklären?
Im Hinblick auf die neuen Bundesländer ist eigentlich alles gesagt worden. Aber auch hier möchte ich mich noch einmal werbend an die Kolleginnen und Kollegen der SPD wenden. Meine Damen und Herren, wir machen jetzt gerade im Jahressteuergesetz 1996 auch ein großes kapitalstützendes Programm für die neuen Bundesländer.
Man stelle sich folgendes einmal vor: Wenn die Gewerbekapitalsteuer zum 1. Januar in den neuen Bundesländern eingeführt werden muß, dann hat dies zur Folge, daß vorhandenes Kapital geschwächt wird und darüber hinaus Darlehen, die im Rahmen von Aufbauprogrammen den Unternehmen gewährt werden, ebenfalls bei der Berechnung der Gewerbekapitalsteuer herangezogen werden. Dies können doch auch Sie beim besten Willen nicht wollen.
Selbst Ihr SPD-Kollege Schucht, Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, hat in der „Süddeutschen Zeitung" am 19. Juni vor einer großen Pleitewelle auf Grund einer Unterkapitalisierung der Unternehmen in den neuen Bundesländern gewarnt. Sie würden
Hans-Peter Repnik
dieser Pleitewelle Vorschub leisten, wenn Ihre Verweigerungshaltung dazu führen würde, daß die Gewerbekapitalsteuer zum 1. Januar 1996 in den neuen Ländern eingeführt werden müßte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Ministerpräsidentin Simonis hat erklärt, was eine Gemeindefinanzreform braucht: Festhalten an der Realsteuergarantie, Erhalten der Finanzautonomie der Gemeinden, Sicherung der kommunalen Selbstverwaltung und Hebesatzrecht als Anreiz für Unternehmensansiedlungen. Genau diese Garantie hat heute vormittag an diesem Pult der Finanzminister gegeben. Auch deshalb lade ich Sie ein: Folgen Sie dem Rat der Ministerpräsidentin Simonis - es ist ein guter Rat -, und machen Sie mit.
Herr Repnik, gestatten Sie eine letzte Zwischenfrage?
Ich gestatte eine letzte Zwischenfrage, wenn sie nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, Frau Präsidentin.
Nein, sie wird nicht angerechnet.
Herr Kollege Repnik, ist Ihnen bekannt, daß die Haltung der Brüsseler Kornmission doch wohl davon beeinflußt werden muß, ob durch die Nichteinführung der Gewerbekapitalsteuer in Ostdeutschland Wettbewerber aus anderen Regionen der Gemeinschaft benachteiligt würden? Wo sehen Sie denn die Benachteiligung beispielsweise von italienischen Konkurrenten?
Ist Ihnen bekannt, welches Ergebnis die Bemühungen der Bundesregierung bisher gehabt haben, ihren Einfluß in Brüssel geltend zu machen?
Letzte Frage: Ist Ihnen auch bekannt, daß eine Aussetzung der Vermögensteuer, die ja ebenfalls eine Sonderregelung darstellt, von Ihnen vor kurzem beschlossen worden ist?
Das sind drei Fragen gewesen.
Ich möchte mit Nachdruck bestätigen, daß sich die Bundesregierung bemüht, in Gesprächen mit der Kommission eine Klärung herbeizuführen. Es ist aber eindeutig, daß die Kommission bisher nicht bereit war, von der Ausnahmegenehmigung, die bis zum 31. Dezember 1995 gilt, abzuweichen.
Wir haben in den verbleibenden sechs Monaten die Chance, möglicherweise Unheil von den neuen Ländern abzuwenden. Wir haben heute nämlich keine Garantie dafür, daß Brüssel uns eine Verlängerung der Ausnahmeregelung gewährt. Diese Garantie gibt es nicht. Aber wir können, wenn wir wollen, die Voraussetzungen schaffen, daß die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern nicht eingeführt werden muß.
- Nein, nein, es gibt überhaupt keine Eierei.
Wir haben heute eine klare Entscheidung aus Brüssel, die heißt: Bis zum 31. Dezember 1995 ist die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern ausgesetzt. Wir haben im Moment keinen Anhaltspunkt dafür, daß Brüssel von dieser Entscheidung trotz Bemühens der Bundesregierung abgeht. Da ich dies weiß, kann ich, um ein Unheil von den neuen Ländern abzuwenden, die notwendigen Voraussetzungen doch nicht erst am 31. Dezember 1995 schaffen,
sondern ich muß heute handeln. Deshalb sagen wir: Wir müssen die Gewerbekapitalsteuer heute abschaffen, damit sie in den neuen Ländern nicht eingeführt wird. Das ist eine ganz klare und eindeutige Linie.
Ich kann nur sagen, Herr Kollege Poß: Folgen Sie Ihrem Kollegen, dem wirtschaftspolitischen Sprecher Jens, der die Notwendigkeit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer erkannt hat und der bei Ihnen dafür wirbt.
Da Herr Jens nicht der einzige ist, sondern wir von vielen anderen in persönlichen Gesprächen hören, daß sie durchaus ähnlich denken, würde ich Sie bitten, daß Sie den Gegensatz auflösen, den Ihr Parteifreund Dohnanyi vor einigen Monaten so beschrieben hat: Es gibt in der SPD eine Vieraugenwahrheit, und es gibt eine öffentliche Wahrheit.
Die Vieraugenwahrheit in der SPD ist längst die, daß man sagt: Es macht Sinn, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Machen Sie diese Vieraugenwahrheit zur öffentlichen Wahrheit! Dann nützen Sie dem Standort Deutschland, dann helfen Sie den Kommunen. Wir laden Sie ein, hier mitzumachen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/1685 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann haben wir die Überweisung so beschlossen.
Präsident Dr. Rita Süssmuth
Ich unterbreche die Sitzung. Die Sitzung wird um 13.00 Uhr mit der Befragung der Bundesregierung fortgesetzt.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat uns als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Gesetz zur Regelung der Sicherheitsanforderungen an Produkte und zum Schutz der CE-Kennzeichnung.
Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Norbert Lammert. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte um Ihren Bericht.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kabinett hat heute den vom Bundeswirtschaftsminister vorgelegten Entwurf eines Produktsicherheitsgesetzes verabschiedet. Damit kann das Gesetzgebungsverfahren, das insbesondere für den Verbraucherschutz von Interesse ist, beginnen und nach Einschätzung der Bundesregierung in wenigen Monaten abgeschlossen sein.
Mit diesem Gesetz werden die vorhandenen nationalen Regelungen zum Verbraucherschutz ergänzt, indem Hersteller und Händler dazu angehalten werden, nur sichere Produkte auf den Markt zu bringen. In gewissem Umfang ist dieses Gesetz so etwas wie ein öffentlich-rechtliches Gegenstück zu dem bereits existierenden Produkthaftungsgesetz.
Die Frage, warum es einer solchen Ergänzung überhaupt bedarf, hängt mit einer vor längerer Zeit verabschiedeten Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft mit Blick auf Produktsicherheit zusammen. Insofern stellt dieser Gesetzentwurf zugleich einen Bestandteil einer europaweiten Harmonisierung der Sicherheitsstandards dar. Das Gesetz soll der Schaffung vergleichbarer Produktions- und Vertriebsbedingungen im europäischen Binnenmarkt dienen und damit einen Beitrag zur Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen leisten.
Wir haben diesen Gesetzentwurf bewußt knapp gehalten, weil wir, wie ich gerade angedeutet habe, in der Bundesrepublik bereits über ein umfangreiches Sicherheitsinstrumentarium in Form von etlichen Spezialgesetzen verfügen, z. B. das Arzneimittel- und das Lebensmittelgesetz. Für die vielen Produkte, die bereits jetzt diesen speziellen Sicherheitsanforderungen unterworfen sind, verbleibt es bei diesen Regelungen. Das allgemeine Produktsicherheitsgesetz soll diese Fachgesetze ergänzen, gewissermaßen ein Netz unter die geltenden Gesetze ziehen und vorhandene Lücken schließen. Das könnte für solche Produkte wichtig sein, deren Gefährlichkeit bisher nicht bekannt ist oder auch nicht vermutet wird. Dafür ergibt sich in Zukunft die Handhabe zu schnellem Eingreifen, ohne daß erst in Spezialgesetzen langwierige Änderungen vorgenommen werden müßten.
Die eigentliche Relevanz dieses Gesetzes sehe ich darin, daß für weite Produktbereiche, z. B. für Lebensmittel und Autos, erstmalig eine bundeseinheitliche Ermächtigung für den Rückruf und die Warnung vor unsicheren Produkten eingeführt wird. Dies entspricht nicht nur den ausdrücklichen Vorgaben der genannten EU-Richtlinie, sondern auch Wünschen der Verwaltung und insbesondere natürlich von seiten der Verbraucherverbände.
Wir haben die vorgeschlagenen Bestimmungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechend so ausgestaltet, daß Maßnahmen des Herstellers bzw. Händlers behördlichem Handeln vorgehen. Die Behörden sollen aber erforderlichenfalls auch öffentliche Warnungen oder den Rückruf von Produkten anordnen und letztlich das Inverkehrbringen unsicherer Produkte untersagen können.
Schließlich haben wir mit Bezug auf die vom Präsidenten genannte CE-Kennzeichnung eine kurze Regelung in diesem Gesetzentwurf eingeführt, die die Möglichkeit eröffnet, gegen die unzulässige Verwendung des europäischen CE-Kennzeichens - CE steht für Communautée Européenne - vorzugehen, um mögliche Mißbräuche bei der Inanspruchnahme dieses Kennzeichens ausschließen zu können.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Darf ich das Haus fragen, ob zunächst zu diesem Themenbereich Fragen an die Bundesregierung gestellt werden? - Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, können wir davon ausgehen, daß mit diesem Gesetz auch Computer und Software in Zukunft mit abgedeckt sein werden, bei denen ja bislang im Hinblick auf Sicherheitsvorkehrungen keine gesetzlichen Vorgaben bestanden?
Herr Kollege, ich habe gerade erläutert, daß im Unterschied zu Spezialgesetzen, mit deren Hilfe wir bislang Sicherheitsvorkehrungen für einzelne Produkte geregelt haben, hier so etwas wie eine Generalregelung für Produkte geschaffen werden soll, die für den Fall des Verdachts der Gefährlichkeit von Produkten genau solche Aktionen ermöglichen soll, die an anderer Stelle bereits in Spezialgesetzen nicht ermöglicht werden.
Es gibt insofern auf der einen Seite weder einen ausdrücklichen Verweis beispielsweise auf Produkte aus dem Bereich der Datenverarbeitung, noch bedarf es auf der anderen Seite nach unserer Einschätzung vor dem Hintergrund einer solchen Regelung zusätzlicher spezifischer Regelungen.
Weitere Fragen dazu? - Dies ist nicht der Fall. Dann, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, seien Sie bedankt für Bericht und Fragebeantwortung.
Darf ich das Haus fragen, ob zu anderen Themen Fragen an die Bundesregierung gerichtet werden? - Bitte.
Ich weiß jetzt nicht, ob das schon behandelt worden ist. Ich war bei einer Anhörung; ich bitte den Herrn Präsidenten um Entschuldigung.
Ich habe, nachdem ich heute morgen in der Zeitung gelesen habe, daß eine Entscheidung bezüglich des Schürmann-Baues zu treffen sei und ein Gespräch zwischen dem Herrn Bundeskanzler, dem Herrn Finanzminister und dem Herrn Wohnungsbauminister stattgefunden hat, die Frage, ob die Bundesregierung uns die Entscheidung bzw. den Inhalt und das Ergebnis dieses Gesprächs mitteilen kann.
Darf ich fragen, wer die Frage beantwortet? - Herr Bundesminister Bohl, bitte.
Herr Kollege, ich darf Ihnen mitteilen, daß sich die Bundesregierung mit diesem Thema heute nicht befaßt hat.
Weitere Fragen? - Bitte sehr, Frau Kollegin.
Es hätte nicht unbedingt sein müssen, aber da wir Zeit haben, ist es ja vielleicht auch ganz schön, eine Frage an den Bundesminister für Verkehr zu richten.
Kann der Bundesminister für Verkehr sagen, wie der aktuelle Planungsstand der Betuwe-Linie in den Niederlanden ist? Kann der Bundesminister für Verkehr Auskunft darüber geben, ob das zwischen dem niederländischen Verkehrsministerium und dem Bundesminister für Verkehr im Jahre 1992 geschlossene Abkommen bezüglich der sogenannten BypassStrecken von den Niederlanden eingehalten werden wird?
Bitte sehr, Herr Bundesminister Bohl.
Der Bundesminister für Verkehr ist nicht anwesend. Dieses Thema ist auch nicht im Kabinett heute behandelt worden, aber das ist sicherlich eine sehr wichtige und auch detailliert vorgetragene Frage, die wir gern umgehend schriftlich beantworten werden.
Jetzt hebt sich keine Hand und kein Finger mehr. Wir haben die Frage-
stunde für 13.35 Uhr angekündigt. Die Kolleginnen und Kollegen, die Fragen eingereicht haben, haben sich auf diesen Zeitpunkt eingestellt. Deshalb unterbreche ich die Sitzung bis 13.35 Uhr.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 13/1707 -
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Da wir gelegentlich darauf hinweisen, wenn Kolleginnen oder Kollegen ihre erste Rede in diesem Hause halten, z. B. daß manche Fraktionen das mit einem Blumenstrauß quittieren, erlaube ich mir die Bemerkung, daß der Staatssekretär Karl Jung, der die Fragen zu diesem Geschäftsbereich beantworten wird, heute zum erstenmal in dieser Funktion auftreten wird.
- Ich darf nicht so weit gehen, schonende Behandlung für ihn zu erbitten.
Ich rufe die Frage 1, die der Kollege Klaus Hagemann gestellt hat, auf:
Welche Bemühungen hat die Bundesregierung auf europäischer und/oder nationaler Ebene bisher unternommen, um die immer mehr zunehmende illegale Beschäftigung von ausländischen Arbeitern ohne Arbeitserlaubnis zu Dumpinglöhnen zu verhindern, wodurch der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" ausgehöhlt wird, und bis wann ist mit konkreten Ergebnissen zu rechnen?
Herr Staatssekretär, ich bitte um Beantwortung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, vielen Dank für Ihre freundlichen Worte zu meinem heutigen Debüt.
Herr Abgeordneter Hagemann, Ihre Frage beantworte ich namens der Bundesregierung wie folgt: Die Bundesregierung mißt der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und der Beseitigung unterschiedlicher Beschäftigungsbedingungen in deutschen Arbeitsstätten große Bedeutung zu. Das ist in Antworten auf Kleine Anfragen und auch in Antworten auf mündliche Fragen wiederholt deutlich gemacht worden. Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit gerade im Bausektor gilt das unverändert.
Die Schwerpunkte illegaler Beschäftigung liegen insbesondere im Baubereich, im Gaststättengewerbe und in der Landwirtschaft. Konkrete Zahlen über das Ausmaß liegen nicht vor, well es im Wesen dieser Beschäftigung liegt, daß sie heimlich geschieht. Sie entzieht sich daher statistischer Erfassung. Deswegen kann ich auch die in Ihrer Frage eingeschlossene
Staatssekretär Karl Jung
Vermutung, die illegale Beschäftigung nehme immer mehr zu, weder bestätigen noch dementieren - auch wenn die Schlagzeile auf Seite 2 in der heutigen „Bild-Zeitung" für Ihre Vermutung spricht.
Die Rechtsvorschriften mit Straftatbeständen und Ordnungswidrigkeiten gegen die illegale Beschäftigung im Arbeitsförderungsgesetz, im Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und in der Gewerbeordnung reichen aus. Entscheidend sind die Kontrolle und die strikte Anwendung der Gesetze. Der größte Teil der Kontrollen liegt bei den Behörden der Arbeitsverwaltung, daneben bei der Polizei, den Ausländerbehörden, den Hauptzollämtem und der Gewerbeaufsicht.
Die Bundesregierung hat seit ihrem Amtsantritt stets darauf hingewirkt, daß bei der Arbeitsverwaltung die Voraussetzungen dafür geschaffen und verbessert worden sind, die illegale Beschäftigung wirkungsvoll bekämpfen zu können. In 30 ausgewählten Stützpunktarbeitsämtern wurde seit 1981 der Personalansatz zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung von damals 50 auf 397 Stellen erhöht. Seit September 1991 wurden in den neuen Ländern 14 Bearbeitungsstellen zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung eingerichtet. Bundesweit sind 541 Bedienstete der Arbeitsverwaltung in diesem Bereich tätig.
Neben diesen besonderen Einrichtungen stehen in den Arbeitsämtern zur Bekämpfung von Leistungsmißbrauch und unerlaubter Ausländerbeschäftigung insgesamt noch 930 Plankräfte zur Verfügung. Infolge des Wegfalls von Aufgaben an unseren Westgrenzen durch das Schengener Abkommen sind seit 1991 zusätzlich 800 Zollbeamte insbesondere im Rahmen der Bekämpfung der illegalen Ausländerbeschäftigung tätig.
Auf Initiative des Bundesarbeitsministers wird das Landesarbeitsamt Berlin/Brandenburg mit 150 besonders geschulten Kräften in den Kampf gegen die illegale Ausländerbeschäftigung in Berlin und in Brandenburg eingreifen. Dieses Spezialteam in Berlin ist in der vergangenen Woche der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Es wird zum 1. August die Arbeit aufnehmen. Dabei sollen modellhaft Erfahrungen gesammelt werden, die dann auch in den anderen Landesarbeitsamtsbezirken nutzbar gemacht werden können.
Die Bundesanstalt für Arbeit hat die Zahl der Bußgeldverfahren wegen des Verdachts illegaler Ausländerbeschäftigung von 28 000 im Jahre 1990 auf mehr als 77 000 im Jahre 1994 gesteigert. Über 23 Millionen DM Bußgelder und Verwarnungsgelder wurden verhängt. Nicht zuletzt wegen dieser verstärkten Bekämpfungsmaßnahmen scheinen immer mehr Arbeitgeber auf Arbeitnehmer aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zurückzugreifen, die keine Arbeitserlaubnis benötigen, die aber ebenso wie die illegalen Ausländer bereit sind, hier unter dem Lohnniveau deutscher Arbeitnehmer zu arbeiten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Hagemann.
Herr Staatssekretär, vielen Dank zunächst. Meine Frage: Bis wann ist mit einem Beschluß über die Entsenderichtlinie auf europäischer Ebene zu rechnen? Für den Fall, daß sie nicht zustande kommt: Wie gedenkt die Bundesregierung hier nationales Recht zu schaffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis; Sie haben in Ihrer Frage ausdrücklich nach der „illegalen Beschäftigung" gefragt. Das Thema Entsenderichtlinie befaßt sich ja mit der legalen Beschäftigung bei uns. Deshalb gebe ich zu den beiden Teilen Ihrer Frage folgende Antwort.
Die Bundesregierung hat es während ihrer Präsidentschaft leider nicht erreicht, daß die von der Kommission vorgelegte Entsenderichtlinie verabschiedet worden ist. Es gab Widerstände bei interessierten Mitgliedsländern, die nicht bereit waren, diese Richtlinie zu verabschieden. Die französische Präsidentschaft hat schon einmal, am 27. März, einen Versuch gemacht, sie hat aber ebenfalls keinen Erfolg gehabt. Das Thema steht jetzt am 29. dieses Monats erneut auf der Tagesordnung. Allerdings sind die Aussichten nicht besonders gut.
Deshalb gehen das Bundesarbeitsministerium und die Bundesregierung davon aus, daß eine nationale Lösung notwendig ist. Dazu sind die Vorbereitungen zur Gesetzgebung aufgenommen worden. Es liegt ein Referentenentwurf des Ministeriums vor, der derzeit mit den Ressorts politisch abgestimmt wird und, wie ich hoffe, noch in diesem Monat zur Anhörung versandt werden kann.
Sofort, Herr Kollege. - Ich muß jetzt schnell eine Bemerkung machen. Ihre Frage, Herr Kollege, hat sich nicht auf die ursprüngliche Frage bezogen; sie war keine Zusatzfrage. Wir wollen die Dinge ein bißchen auseinanderhalten.
Der Herr Staatssekretär - deshalb habe ich auch nicht vorher eingegriffen - hat sie aber beantwortet.Das zweite - da Sie es bis jetzt so glänzend über die Bühne gebracht haben, Herr Staatssekretär, wird Sie es nicht irritieren, wenn ich das sage - ist, daß ich meine Bitte an die Bundesregierung wiederhole, nicht halbe Telefonbücher als Antwort mitzubringen.
Das Frage- und Antwortspiel leidet darunter, wenneinerseits die Fragen zu umfassend gestellt werden -das ist hier schon ein wenig der Fall gewesen - und
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3458 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995
Vizepräsident Hans Kleinwenn sie andererseits derart umfangreich beantwortet werden. Das geht nicht an Ihre persönliche Adresse, Herr Jung. Das ist ein allgemeines Gravamen, über das wir immer wieder einmal gemeinsam sprechen sollten.Jetzt bitte Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, inwieweit ist Ihnen bekannt, daß die Bundesregierung bei Arbeitsvergaben nur die Firmen berücksichtigt, die sich an diese Bestimmungen halten, so daß keine Firmen Aufträge erhalten, die ihre Arbeit mit Hilfe illegal hier arbeitender Arbeitnehmer ausführen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann über die Anwendung der Vergaberichtlinien in dieser Beziehung nichts sagen. Aber es ist auch Thema des in Vorbereitung befindlichen Gesetzentwurfs, daß bei der Vergabe öffentlicher Aufträge stärker auf die Einhaltung dieser Abwehrvorschriften gegen illegale Beschäftigung, gegen Lohndumping geachtet werden soll.
Herr Kollege Büttner.
Herr Staatssekretär, kann mir die Bundesregierung die Frage beantworten, wie sie denn die illegale Beschäftigung, vor allem in den Bereichen, die Sie angesprochen haben: dem Baubereich, der Saisonarbeit, der Hauswirtschaft, der Landwirtschaft, überhaupt kontrollieren will, wenn sie gleichzeitig, wie das heute im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in letzter Beratung verabschiedet wurde, in einem eigenen Gesetzentwurf schriftliche Arbeitsverträge, in denen die Bestimmungen über Lohnhöhe, Arbeit usw. enthalten sein sollen, für all diejenigen ausschließt, die weniger als 400 Stunden im Jahr beschäftigt sein sollen, was ja genau die Saisonarbeitnehmer und die Entsendearbeitnehmer betrifft? Wie will die Bundesregierung überhaupt eine Kontrolle möglich machen, wenn sie für diese Personen nicht einmal schriftliche Verträge vorsieht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Büttner, ich bin der Auffassung, daß der Personenkreis, den Sie erwähnt haben, der von der Verpflichtung zum Abschluß von schriftlichen Arbeitsverträgen ausgenommen werden soll, insgesamt nur eine Minderheit des illegalen Potentials darstellt.
Herr Kollege Gilges, möchten Sie immer noch eine Zwischenfrage stellen? - Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben in diesem Bereich im vergangenen Jahr eine Kontrolle vorgenommen und festgestellt, daß zwei
Drittel des Mißbrauchs, insbesondere beim AFG, durch die Arbeitgeberseite - da vor allem beim Baugewerbe - und ein Drittel durch die Arbeitnehmerseite verursacht wurden. In diesem Bereich geht es um illegale Beschäftigung.
Inwieweit haben Sie nach der Erkenntnis des letzten Jahres Gespräche mit den Tarifvertragsparteien, unter anderem mit den Arbeitgebern der Bauindustrie und des Bauhandwerks geführt, um die schwarzen Schafe auszusondern? Bei der illegalen Beschäftigung sind nämlich immer wieder Baubetriebe mitbeteiligt; das geht sogar bis in die seriösen Betriebseinheiten - so will ich sie einmal nennen - hinein.
Haben Sie Gespräche geführt und deutlich gemacht, daß es nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt, daß große Unternehmen in der Bundesrepublik illegale Beschäftigung direkt oder indirekt vornehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Gilges, ich kann Ihnen von einem Gespräch berichten, das in der letzten Woche mit Vertretern des Bauhandwerks und der Bauindustrie stattgefunden hat, und zwar in Vorbereitung des zitierten Gesetzes, das die Entsenderrichtlinie bei uns national ersetzen soll.
Bei diesem Gespräch herrschte seitens des Handwerks und der Industrie große Aufgeschlossenheit für die Notwendigkeit, gegen die schwarzen Schafe in den eigenen Reihen vorzugehen. Ob zu diesem Thema mit den Gewerkschaften entsprechende Gespräche geführt worden sind, kann ich aus dem Handgelenk leider nicht sagen.
Gibt es weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall. Herr Staatssekretär, es sei Ihnen herzlich für die Beantwortung der Fragen gedankt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Es handelt sich um die Frage 2 des Abgeordneten Reschke:
Kann nach Ansicht der Bundesregierung, die bisher wiederholt erklärt hat, daß der Sender „Deutsche Welle" sein stark asbestbelastetes Funkhaus in Köln bis spätestens 30. Juni 1997 geräumt haben muß und bis zu diesem Termin in ein Gebäude auf dem Gelände der bundeseigenen Liegenschaft an der KurtSchumacher-Straße in Bonn verlegt werden soll, dieser Terminplan eingehalten werden, nachdem bislang von der Bundesregierung weder eine Entscheidung für den Weiterbau und die Vollendung des „Schürmann-Baus" gefällt noch ein Antrag gemäß § 64 BHO für die Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft an der Kurt-Schumacher-Straße in die parlamentarischen Gremien eingebracht worden ist?
Ich sehe keinen Vertreter des angesprochenen Ministeriums. Bis vor kurzem war der Minister noch hier. - Bitte, Herr Reschke.
Ich darf das erklären. Mir ist signalisiert worden, daß der Minister - er war zu Gesprächen beim Kanzler - nicht rechtzeitig hier sein kann. Der Staatssekretär ist noch im Ausschuß. Ich bin mit einer schriftlichen Beantwortung der Frage
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Otto Reschkezu diesem Punkt einverstanden, vorausgesetzt, die Regierung taucht im Schürmann-Bau nicht ab.
Danke sehr, Herr Kollege. Dann wird die Antwort als Anlage abgedruckt.
Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Hier wird uns der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner die Fragen beantworten.
Die Frage 5 der Kollegin Ulla Schmidt soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Thomas Krüger auf:
Liegen der Bundesregierung Informationen vor, aus welchem Grund sich das Grenzschutzpräsidium Ost nach der erneuten Aufforderung durch das Bundesministerium des Innern vom 24. März 1995 weigert, den Erlaß des Bundesministeriums des Innern vom 28. Juli 1994 betreffs der Ausschreibung von Dienstposten umzusetzen?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Krüger, die Antwort lautet: Die angesprochenen BMI-Erlasse vom 28. Juli 1994 und vom 24. März 1995 betreffen die Übernahme von Polizeivollzugsbeamten des mittleren Polizeivollzugsdienstes in den gehobenen Polizeivollzugsdienst im BGS, die in der ehemaligen DDR eine technische, einer Fachhochschulausbildung gleichwertige Ausbildung abgeschlossen haben.
Es liegen der Bundesregierung keine Informationen vor, daß sich das Grenzschutzpräsidium Ost weigert, die genannten BMI-Erlasse umzusetzen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es gibt einen entsprechenden Briefwechsel und einen schriftlichen Vermerk, in dem das Grenzschutzpräsidium Ost versucht, genau dieses zu begründen. Ich frage mich, ob es Absprachen zwischen dem Grenzschutzpräsidium Ost und dem BMI gibt, hier die Hebungen einzugrenzen, und ob dieses mit einem Mißtrauen gegenüber den technischen Angestellten in der ehemaligen DDR zu tun hat.
Herr Kollege Krüger, die Erlasse selber zeigen ja, daß es sich hier nicht um ein Mißtrauen handelt, sondern wir wollten im Gegenteil der persönlichen Situation und den ausbildungsmäßigen Voraussetzungen dieser Leute gerecht werden. Deshalb haben wir sie in den Kreis derer einbezogen, die vom mittleren Dienst in den gehobenen Dienst übernommen werden können.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie den Sachverhalt noch einmal prüfen, daß das Grenzschutzpräsidium Ost von seiner ursprünglichen Position im November 1994 hier Hebungen und Begrenzungen grundsätzlich zu ermöglichen, entgegen dem gegenwärtigen Briefverkehr nicht abweicht? Ich glaube, daß hier offenbar eine Nichtweitergabe von Informationen vorliegt, wenn Sie auf die entsprechenden Rückmeldungen und schriftlichen Außerungen des Grenzschutzpräsidiums Ost noch nicht reagieren konnten.
Herr Kollege Krüger, wir haben das selbstverständlich im Vorfeld der Beantwortung Ihrer Fragen überprüft und sind zu der Erkenntnis gekommen, die ich Ihnen gerade vorgetragen habe. Ich sage Ihnen aber gerne zu, daß ich im Lichte Ihres Insistierens der Frage noch einmal nachgehen werde.
Werden aus dem Haus weitere Zusatzfragen dazu gestellt? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Frage Y des Abgeordneten Krüger:
Trifft es zu, daß auf Weisung des Bundesministers des Innern eine Einsatzabteilung des BGS zum Klimagipfel nach Berlin abkommandiert wurde, gleichwohl die Berliner Landespolizei keinen ausdrücklichen Bedarf angemeldet hatte, und wenn ja, welche dadurch bedingten zusätzlichen Kosten hat die am Standort Rehan/Blumberg untergebrachte Einsatzabteilung verursacht?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte urn Beantwortung.
Wegen vorliegender Sicherheits-
und Störungserkenntnisse im Zusammenhang mit dem Klimagipfel in Berlin ist das dort örtlich und sachlich zuständige Grenzschutzpräsidium Ost für Zwecke originärer Maßnahmen im bahnpolizeilichen Aufgabenbereich mit Schwerpunkt im S-Bahn-Verkehr durch eine Einsatzabteilung des BGS vorübergehend verstärkt worden. Es hat weder Anträge des Landes Berlin gegeben, noch haben Unterstützungen des BGS zugunsten der Landespolizei Berlin stattgefunden. Kosten sind daher insoweit nicht entstanden.
Herr Staatssekretär, welche Bedeutung messen Sie dem Einvernehmen mit den entsprechenden Landespolizeien bei, solche Einsatzabteilungen einzusetzen? Meines Wissens hat ausdrücklich kein Bedarf im Land Berlin bestanden.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß der BGS dort in seinem originären Zuständigkeitsbereich tätig geworden ist; Bahnpolizei heißt das Stichwort. Insofern bedarf es dieses Einvernehmens nicht. Daß man sich generell bemüht, mit der zuständigen Landespolizei zu einer vernünftigen Ko-
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerordination zu kommen, steht außer Frage. Aber ein rechtliches Einvernehmen war nicht erforderlich.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nun haben wir erfahren, daß ein Einvernehmen offenbar nicht in Ihrem Interesse liegt. Vor diesem Hintergrund fragen wir uns, ob ein mehrwöchiger Auf enthalt einer Einsatzabteilung, die von weither an diesen Standort Ahrensfelde abgezogen worden ist und drei Wochen damit beschäftigt wird, S-Bahn zu fahren, sinnvoll ist, obwohl ein solcher Bedarf vor dem Hintergrund der allgemeinen Lage überhaupt nicht bestanden hat.
Das verursacht meines Erachtens doch erhebliche zusätzliche Kosten, die man sich hier hätte sparen können.
Herr Kollege Krüger, ich muß Ihnen energisch widersprechen. Selbstverständlich hat angesichts der Sicherheitslage vor, während und nach dem Klimagipfel ein entsprechender Bedarf bestanden. Wenn nichts passiert ist, ist das womöglich auch darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung rechtzeitig Vorsorge getroffen hat. Sie können jetzt nicht nachträglich den Schluß ziehen: Da nichts passiert ist, war es überflüssig, die BGS-Beamten dorthin zu schicken. Ich würde darauf bestehen, daß der Zusammenhang genau umgekehrt ist.
Bitte sehr, Herr Kubatschka.
Herr Staatssekretär, heißt das nach Ihren Ausführungen, daß die Bahnpolizei im Raum Berlin personell zu schwach ausgestattet ist, und gibt es ähnliche Einsätze in anderen Bereichen der Bahnpolizei?
Herr Kollege, Sie legen jetzt einen Sinn in meine Antwort, der, wenn Sie so wollen, in der Antwort nicht enthalten war; denn für den normalen dienstlichen Ablauf und für die normale Sicherheitslage ist die Bahnpolizei natürlich auch in Berlin ausreichend besetzt.
Nur: Bei Situationen wie dem Klimagipfel oder ähnlichen Großereignissen, die zudem ein gewisses Interesse in allen Bereichen des politischen Spektrums auf sich ziehen, muß natürlich die Möglichkeit bestehen, Zusatzkräfte dorthin zu verbringen. Diese Möglichkeit haben wir genutzt.
Keine weiteren Zusatzfragen dazu.
Die Frage 8, die der Kollege Dr. Egon Jüttner gestellt hat, soll wie die Fragen 9 und 10 der Kollegin Monika Ganseforth schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 11 auf, die die Kollegin Amke Dietert-Scheuer gestellt hat:
Trifft es zu, daß ein Rückübernahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Algerien kurz vor dem Abschluß steht, und wenn ja, welche Verpflichtungen wollen die beiden Vertragsparteien darin eingehen?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Frau Kollegin, die Antwort lautet ganz kurz: Die Verhandlungen über ein deutsch-algerisches Rückübernahmeabkommen sind noch nicht abgeschlossen.
Zusatzfrage, Frau KolleAmke Dietert-Scheuer : Meine Frage zielte auch nicht darauf, ob sie abgeschlossen seien. Ich fragte vielmehr in erster Linie nach dem Verlauf dieser Verhandlungen und danach, welche Verpflichtungen die Vertragsparteien in einem solchen Abkommen eingehen wollen.
Frau Kollegin, da die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind, kann ich Ihnen auch keine Auskunft über Verpflichtungen, die im fertigen Vertragstext möglicherweise enthalten sind, geben.
Können Sie mir denn Auskunft darüber geben, in welche Richtung die Verhandlungen gehen?
Wir bemühen uns, die algerische Seite dafür zu gewinnen, Staatsangehörige, die zurückgebracht werden sollen, reibungslos zu übernehmen.
Wird von anderer Seite dazu eine Zusatzfrage gestellt? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 12, die ebenfalls die Kollegin Amke Dietert-Scheuer gestellt hat, auf:
In welchen Fällen übermittelt der Bundesgrenzschutz Flugdaten algerischer Staatsangehöriger an die algerischen Sicherheitsbehörden, und wie kann vor diesem Hintergrund sichergestellt werden, daß nach Algerien abgeschobene Personen nicht Opfer von Folter, „ Verschwindenlassen", extralegalen Tötungen und anderen Menschenrechtsverletzungen werden?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Die Flugdaten werden im Rahmen der Beschaffung der notwendigen Heimreisedokumente für algerische Staatsangehörige dem alge-
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerrischen Generalkonsulat in Frankfurt mitgeteilt, um die Rücknahme im Zielstaat zu gewährleisten. Die Beachtung von Abschiebungshindernissen bzw. Abschiebungsverboten wird durch die der Abschiebung vorangehende Einzelfallprüfung gewährleistet.Im übrigen besteht mit der algerischen Seite Einvernehmen, im Rückübernahmeabkommen durch eine spezielle Vertragsbestimmung klarzustellen, daß „die sich aus den jeweiligen völkerrechtlichen Übereinkünften ergebenden internationalen Verpflichtungen" unberührt bleiben. Dazu zählen der UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 sowie das UN-Übereinkommen vom 10. Dezember 1964 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, die sogenannte UN-Folterkonvention.
Zusatzfrage.
Die von Ihnen zitierte UN-Antifolterkonvention ist selbstverständlich auch mir bekannt. Das Problem, auf das sich meine Frage gründet, liegt darin, daß es in Algerien durchaus nicht gewährleistet ist, daß diese eingehalten wird. Es hat in bezug auf Abgeschobene - sei es aus Deutschland, sei es aus anderen Ländern - mehrfach Berichte gegeben, daß sie anschließend verschwunden sind oder mißhandelt wurden. Darauf zielte meine Frage ab. Wie ist die Einhaltung der Regelungen vor diesem Hintergrund sicherzustellen?
Dadurch ändert sich an der Einschätzung seitens der Bundesregierung nichts. Sie wissen, daß solche Aspekte im Rahmen der soeben herausgestellten Einzelfallprüfung berücksichtigt werden.
Zweite Zusatzfrage.
Wurden bisher Berichte überprüft, die auf offenkundige Verstöße gegen diese Abkommen hindeuten, d. h. Berichte über das Verschwinden und die Mißhandlung von Abgeschobenen?
Frau Kollegin, es ist bei der Bundesregierung eigentlich Übung, daß insbesondere das Auswärtige Amt solche Berichte ständig überprüft und gravierende Änderungen den übrigen Ressorts mitteilt.
Weitere Zusatzfragen werden dazu nicht gestellt. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich darf mich für die Beantwortung der Fragen herzlich bedanken.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Professor Dr. Kurt Faltlhauser zur Verfügung.
Die Frage 13, die die Kollegin Elke Leonhard gestellt hat, soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich glaube, wir müssen auch dem Kollegen Reschke die schriftliche Beantwortung seiner Frage 14 zugestehen, der jetzt mit dem Bundesbauminister unterwegs ist, der vorhin nicht da war, als die Fragen an ihn zu beantworten gewesen wären. Der Kollege Reschke wird nicht so rechtzeitig zurück sein, daß wir seine Frage anschließend aufrufen könnten. Deshalb wäre mein Vorschlag - den seine Fraktion sicher mitträgt -, daß Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, auch die Frage 14 schriftlich beantworten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich die Frage 15 auf, die der Kollege Hans Büttner gestellt hat:
Können Spenden an politische Parteien im Rahmen der bestehenden Gesetze auch dann steuerlich geltend gemacht werden, wenn die Spenden über Drückerkolonnen eingesammelt werden und ein Teil des Spendenbetrages, den der Spender eigentlich in der Kasse der Partei wähnt, für die die Spende gedacht ist, in den Taschen der Drückerfirmen und deren Mitarbeiter landen?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Büttner, die Einwerbung von Spendenmitteln ist im Parteiengesetz als Voraussetzung für entsprechende staatliche Zuschüsse ausdrücklich vorgesehen. Ich würde sogar verstärkend sagen: Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Tatsache, daß Parteien um Spenden werben, auf eine neue, auf eine verfassungsgemäß gebotene Ebene gehoben worden.
Entstehen den Parteien bei der Einwerbung von Spendenmitteln Kosten, z. B. durch Werbeaktionen, Beratung durch PR-Firmen oder auch durch die Einschaltung gewerblich tätiger Spendenakquisiteure, so ist der steuerliche Abzug als Sonderausgaben beim Spender nicht berührt. Dabei gehe ich davon aus, daß die Spende in voller Höhe der Partei zufließt und der Spendensammler seine Provision von der Partei erhält. Das heißt, unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten ist eine entsprechende Vorgehensweise durchaus möglich.
Lassen Sie mich wertend hinzufügen: Die Höhe dieser Provisionen ist sowohl gegenüber dem Spender als auch gegenüber der Partei eine, lassen Sie mich sagen: Stilfrage.
Herr Kollege Büttner, Zusatzfrage.
Meine erste Zusatzfrage: Hat die Bundesregierung geprüft, oder liegen ihr Unterlagen vor, aus denen ersichtlich ist, wie hoch diese Provisionen sind, die für solche Spendeneintreibungen gezahlt worden sind, ob diese Provi-
Hans Büttner
sionen direkt nach Eingang der Gesamtspende in die Kasse der Partei wieder ausgezahlt worden sind oder ob sie von den Spendensammlern schon vom Spendenbetrag abgezogen wurden und nur der verbleibende Betrag der Partei zur Verfügung gestellt wurde?
Ihre Frage beinhaltet zwei Fragen: die erste, ob wir Kenntnisse über die Höhe dieser Provisionen haben. Der Bundesregierung ist durch Presseveröffentlichungen die angegebene Provisionierung von Spendeneintreibern sowohl von Parteien als auch von anderen Organisationen bekannt.
Ich darf darauf hinweisen, daß freigemeinnützige sozial tätige Organisationen, die bundesweit tätig sind und die Sie alle kennen, selbstverständlich auch ihrerseits Spenden durch professionelle Akquisiteure einsammeln lassen und nach meinem Urteil sehr, sehr hohe Provisionen bezahlen.
Die Bundesregierung sah sich in keiner Weise und an keiner Stelle veranlaßt, über Provisionshöhen irgendwelche Urteile abzugeben. Die Provisionen werden rechtlich zu beurteilen sein. Dazu habe ich Ihnen gesagt, daß das Vorgehen immer dann richtig ist, wenn die Spende an eine Partei fließt und die Partei ihrerseits diese Gelder dann entsprechend verwendet, in diesem Fall für Provisionen; es gibt durchaus auch die Verwendung der Parteispenden beim Akquirieren etwa in Form von postalischen Kosten.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Büttner.
Provisionszahlungen von Firmen wirken ja nur dann für die Firma selber steuermindernd, wenn diese Provisionszahlungen einen direkten, ganz konkreten Nutzen für die Firma haben. Können Sie mir die Frage beantworten, inwieweit die Abzugsfähigkeit einer Spende zum Zwecke der Förderung einer politischen Partei mit dem Einkommensteuergesetz in Einklang steht, wenn diese Provisionszahlungen sozusagen vom Spendenaufkommen abgezogen werden und dem Drücker, dem Eintreiber, direkt zufließen, aber nicht über den Weg des Rückflusses, von dem Sie gesagt haben, nur er allem sei zulässig?
Herr Kollege, erlauben Sie mir auch hier, daß ich auf die verschiedenen Aspekte Ihrer umfänglichen Frage eingehe. Zivilrechtlich fließen Spendenteile der Partei auch dann zu, wenn der Spendenakquisiteur entsprechend einer Vereinbarung mit der Partei eine Provision einbehält. Das heißt, wenn die Vereinbarung so ist, daß er zur administrativen Verkürzung seinen vereinbarten Provisionsanteil einbehält, dann ist dies steuerrechtlich ebenfalls unbedenklich.
Ich weise zweitens darauf hin, daß seit dem 1. Januar 1994 Firmen bei Spenden an Parteien keine Spendenquittungen mehr bekommen können.
Diese Spenden sind nicht mehr abzugsfähig. Ich erlaube mir die persönliche Bemerkung, daß ich das für einen verfassungspolitischen Skandal halte, im Vergleich zur Spendenabzugsmöglichkeit von einer Vielzahl von Vereinen, wie wir sie im Vereinsfördergesetz niedergelegt haben.
Den ersten Teil Ihrer Frage kann ich dem Grund nach nicht ganz überblicken. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir hier beurteilen können, was eine Firma an Provisionen bezahlen kann. Das steht jeweils im Ermessen eines Unternehmens.
Herr Kollege Gilges, Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, kann die Provision, die der Werber erhält, steuerlich geltend gemacht werden. Aber das ist keine Spende mehr, sondern ein Einkommen. Das heißt, Sie teilen die Spende auf in einen Einkommensteil und einen Spendenteil, der dem Spendenzweck zugeführt wird. Trotzdem ist es nach Ihrer Aussage möglich, daß die Gesamtsumme steuerlich geltend gemacht werden kann. Wie verträgt sich das mit dem Einkommensteuergesetz?
Herr Kollege, ich muß verdeutlichend wiederholen. Der Vorgang ist ein klar zu strukturierender. Auf der einen Seite wird eine Spende ausgereicht und bei der Partei verbucht. Die Partei hat ihrerseits die Freiheit, mit diesen Geldern das für sie Richtige zu tun: Ausgabenfreiheit. Hier wird niemand einer Partei, weder der SPD noch sonst irgendeiner Partei, etwas vorschreiben können.
Zu den Ausgaben kann auch gehören, etwas für die Einwerbung dieser Spenden zu bezahlen. Auch das ist üblich und im übrigen gar kein Sonderfall der Parteien. Zweitens kann es durchaus sein, daß der Zufluß dieser Gelder bei der Verwendung zu Einkommen bei Personen führt. Dies kann bei Werbern ebenso sein wie bei Personal, das in der Zentrale sitzt. Auch dann ist es Einkommen. Dies ist die Verwendungsseite. Sie haben wir nicht zu beurteilen.
Herr Kollege, Sie hatten eine Zusatzfrage. Bitte keinen Dialog! Ich sage das aber erst, nachdem Sie Ihre Äußerung gemacht haben.
Das war ein Zwischenruf, Herr Präsident. Ich darf wortwörtlich das wiederholen, was ich gerade Ihrem Kollegen gesagt habe: Zivilrechtlich fließen Spendenteile der Partei auch dann zu, wenn der Spendenakquisiteur entsprechend einer Vereinbarung mit der Partei eine Provi-
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3463
Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhausersion einbehält, wenn dieser Vorgang also kurzgeschaltet ist.Lassen Sie mich aber noch eine Bemerkung hinzufügen. Es ist zwar richtig, daß Sie diese Sache nachfragen: Kann dies so sein? Es ist rechtlich geprüft. Ich würde Ihnen dringend empfehlen, sich die Höhe der Provision und die Vorgehensweise aller nur denkbaren gemeinnützigen Organisationen in diesem Land genauer anzusehen, Dann werden Sie Ihre kritischen Stellungnahmen gegenüber Parteispendeneintreibung sicherlich etwas reduzieren. Ich glaube, es sollte unser Anliegen sein, gerade auf der Basis des Verfassungsgerichtsurteils die entsprechenden kritischen Stellungen zum Spendeneintreiben als solches im gemeinsamen Interesse etwas zurückzustellen.
Keine weiteren Zusatzfragen dazu? - Damit, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist auch das Fragebedürfnis in Ihrem Geschäftsbereich erschöpft. Ich bedanke mich für die umfassende Beantwortung.
- Auch Parlamentarische Staatssekretäre sollten eigentlich die Äußerungen des Präsidenten nicht kommentieren.
Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft sind die Fragen 16 und 17 des Kollegen Reinhard Schultz, die Frage 18 der Kollegin Dr. Elke Leonhard und die Frage 24 des Kollegen Norbert Gansel gestellt, die allesamt, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Lammert, schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Michaela Geiger zur Verfügung.
Die Frage 19, gestellt vom Kollegen Dr. Wolfgang Weng, möge bitte schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Kurt Palis auf:
Welche Ursachen liegen nach Erkenntnis der Bundesregierung den Fehlschüssen vom 12. September 1994 auf dem Truppenübungsplatz Munster-Süd zugrunde?
Ich bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin, um Beantwortung.
Herr Präsident! Herr Kollege, in die Untersuchungen zu den Ursachen der Fehlschüsse vom 12. September 1994 auf dem Truppenübungsplatz Munster-Süd wurde die zuständige Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die Untersuchungen dauern noch an.
Bereits jetzt können wir jedoch feststellen, daß die Ursache menschliches Versagen ist. Die Schüsse wurden von einer Feldhaubitze 105 mm abgefeuert. Das Geschützrohr zeigte in Richtung Munster. Zwei-
mal wurde bedauerlicherweise eine überhöhte Treibladung verwendet. Statt der befohlenen vierten Ladung ist jeweils die siebte Ladung zum Einsatz gekommen,
Zusatzfrage, Herr Kollege? - Nein.
Wird aus dem Haus eine Zusatzfrage gewünscht? - Nein.
Dann rufe ich die Frage 21 auf, die ebenfalls Kollege Palis gestellt hat:
Welche technischen und personellen Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Fehlschüssen vom September 1994 auf dem Truppenübungsplatz Munster-Süd, um die Sicherheit der Bevölkerung in den Platzanliegergemeinden zu gewährleisten?
Herr Kollege Palis, dieser bedauerliche Vorfall wurde zum Anlaß genommen, bestehende Sicherheitsbestimmungen erneut sorgfältig zu prüfen und zu verbessern.
Grundsätzlich werden Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen beim Schießen geahndet. Die Bundeswehr hat sofort Konsequenzen aus den Fehlschüssen vom 14. September 1994 gezogen und organisatorische wie auch personelle Maßnahmen getroffen.
Im einzelnen beinhalten diese Maßnahmen: Das Schießen mit der Feldhaubitze 105 mm ist bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts und der abschließenden Prüfung, mit welchen Maßnahmen ähnliche Vorfälle für die Zukunft ausgeschlossen werden können, ausgesetzt.
Beim Schießen mit Artillerie und Mörsern aus den Außenfeuerstellungen 18 bis 20 und 24 bis 26 sowie dem Nordteil der Außenfeuerstellung 21 werden die Geschützrohre so verschwenkt, daß das Stadtgebiet von Munster außerhalb der Schußsektoren liegt. Das gleiche gilt für das Schießen aus den Platzrandfeuerstellungen P, Q, R, S, T und U und für Forsthausen.
Ein zusätzliches Kontrollorgan, der sogenannte „Sicherheitsgehilfe Ladung" wurde eingerichtet. Ihm obliegt die Kontrolle der genehmigten Ladung vor der Einführung in den Ladungsraum des Geschützes.
Die Überwachung der schießenden Einheiten wird im Rahmen der personellen Möglichkeiten der Truppenübungsplatzkommandantur in den südlichen Feuerstellungen verstärkt.
Darüber hinaus wird untersucht, wie mit technischen Mitteln vor der Schußabgabe die Ladung überprüft werden kann. Erste Vorschläge liegen dem Bundesverteidigungsministerium. vor. Wir sind derzeit dabei, diese Vorschläge zu bewerten.
Keine Zusatzfrage, auch von anderen Kolleginnen und Kollegen nicht.
Vizepräsident Hans Klein
Dann rufe ich die Frage 22 des Kollegen Hans Büttner auf:
Worauf stützt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesministeriums der Verteidigung, daß die gesetzliche Wehrpflicht sich nicht nur auf das konsensuale Prinzip der Verteidigung der Freiheit und des Rechts des deutschen Volkes bezieht, sondern auch Einsätze außerhalb des NATO-Gebietes einbezieht?
Ich bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin, um Beantwortung.
Herr Kollege Büttner, § 7 des Soldatengesetzes bestimmt als Grundpflicht des Soldaten die Pflicht zum treuen Dienen. Danach sind alle Soldaten verpflichtet, sich den Aufgaben der Streitkräfte zu stellen, die mit der Verfassung in Einklang stehen.
Der Auftrag der Streitkräfte ist in den Art. 87 a, 24 Abs. 2 und 35 des Grundgesetzes geregelt. Wie das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, gehören hierzu neben der Landes- und der Bündnisverteidigung auch Auslandseinsätze im Rahmen gegenseitiger kollektiver Sicherheitssysteme. Damit folgt aus § 7 des Soldatengesetzes die Pflicht des Soldaten, an verfassungskonformen Auslandseinsätzen teilzunehmen.
Die allgemeine Treuepflicht gilt für alle Soldaten gleichermaßen. Grundsätzlich macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen Berufssoldaten, einen Soldaten auf Zeit oder um einen Soldaten handelt, der auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leistet.
Eine Unterscheidung des Pflichtenumfangs nach Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Statusgruppe läßt sich regelmäßig nicht begründen. Dies entspricht im übrigen den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Nach Art. 12a Abs. 1 des Grundgesetzes können Männer zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden. Der Inhalt der Dienstpflicht ergibt sich demnach aus dem Auftrag der Streitkräfte.
Die Bundesregierung hat jedoch entschieden, daß Grundwehrdienstleistende unabhängig von dem gesetzlichen Rahmen nur auf Grund freiwilliger Meldung an Auslandseinsätzen außerhalb des NATOGebiets teilnehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Büttner.
Als erste Zusatzfrage habe ich auf Grund der bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich mit der Frage der zulässigen Wehrpflicht im Hinblick auf die Auslandseinsätze nicht befaßt haben: Wie erklärt sich die Bundesregierung den Eid, den Soldaten zu leisten haben, die Freiheit und das Recht des deutschen Volkes zu verteidigen? Werden Freiheit und Recht des deutschen Volkes auch bei Auslandseinsätzen verteidigt?
Ja, so sieht es die Bundesregierung. Sie als Opposition haben ja mehrere Klagen in diesem Sinne beim Bundesverfassungsgericht angestrebt - nicht im Sinne der Wehrpflicht, aber im Sinne der Auslandseinsätze. Wie ich soeben schon bestätigt habe, gibt es keine unterschiedliche Einteilung der Pflichten der Soldaten; die Treuepflicht gilt auch für die Wehrpflichtigen.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Nachdem die Bundesregierung hier rein organisatorisch antwortet, habe auch ich eine zweite, eine organisatorische Frage.
Wäre es organisatorisch möglich, besondere Einheiten zu bilden, die sich nur aus Berufssoldaten zusammensetzen und für solche besonderen Einsätze im Rahmen eines Auftrags der Vereinten Nationen vorgesehen werden?
Organisatorisch wäre dies natürlich möglich. Es ist aber politisch nicht gewollt.
Bitte, Herr Kollege Gilges.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, zum Freiwilligkeitsprinzip, das Sie für die Wehrpflichtigen hervorgehoben haben, gehört natürlich auch die Fürsorgepflicht der Bundesregierung. Sehen Sie es so, daß die Fürsorgepflicht mit dem Freiwilligkeitsprinzip abgedeckt ist? Meinen Sie nicht, es wäre notwendig, daß die Bundesregierung über das Freiwilligkeitsprinzip hinaus die Fragen der sozialen Absicherung der Folgen im Falle eines Schadens usw. deutlich macht? Gehört nicht zur Fürsorgepflicht auch, daß dem Wehrpflichtigen im Gegensatz zu anderen Teilen der Bundeswehr deutlich gemacht wird, welche Konsequenzen ein Auslandseinsatz gegebenenfalls hat?
Die Fürsorgepflicht nimmt das Bundesverteidigungsministerium mit Sicherheit wahr; denn es gibt ja ein eigenes Auslandsverwendungsgesetz, das für alle Soldaten gilt. Wenn Sie sich in diese Gesetzgebung hineinlesen, werden Sie sehen, daß sie ausreichend ist und für alle Fälle Regelungen vorgesehen hat.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, sehen Sie im Zusammenhang mit Ihren Ausführungen und damit, wie die Regierung handelt, keinen Zwang, den Soldateneid zu verändern? Somalia oder die Bundesrepublik tapfer zu verteidigen - da sehe
Horst Kubatschka
ich bei dem Soldateneid, den ich geleistet habe, keine Zusammenhänge.
Herr Abgeordneter, diesen Zwang sehe ich nicht. Diese Frage ist mehrfach geprüft worden. Wir bleiben bei dem Eid, wie er bisher geleistet wird.
Weitere Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, weshalb hält es die Bundesregierung für verfassungsrechtlich zulässig, daß Wehrpflichtige zu sogenannten Polizeieinsätzen im Rahmen der UNO verpflichtet werden können, während innerstaatlich, in der Bundesrepublik, nur Freiwillige eingesetzt werden können?
Der Begriff Polizeieinsätze ist mir nicht bekannt. Mir ist auch nicht bekannt, daß die Bundeswehr an Polizeieinsätzen teilnimmt, und ich möchte dies zurückweisen. Ich darf Ihnen aber noch einmal sagen: Wir werden Wehrpflichtige nur auf Grund freiwilliger Meldung bei den Auslandseinsätzen einsetzen. Das werden dann nur wenige sein. Der Großteil der Soldaten, die an solchen Einsätzen teilnehmen, werden Zeit- und Berufssoldaten sein.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wie will die Bundesregierung, die laut Information der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung, Michaela Geiger, in der Fragestunde am 31. Mai 1995 keine Kenntnisse über Handhabung und Folgen von US-amerikanischer Munition mit abgereichertem Uran hat, verhindern, daß deutsche Soldaten, die im Rahmen internationaler Kampfeinsätze Unterstützung leisten, ähnlich radioaktiv verstrahlt werden, wie amerikanische Soldaten im Golfkrieg durch eigene Munition?
Ich bitte um Beantwortung.
Frau Kollegin, die Bundesregierung weist die Behauptung, amerikanische Soldaten seien durch Munition mit abgereichertem Uran radioaktiv verstrahlt worden, zurück. Nach Erkenntnissen der amerikanischen Regierung entbehren Behauptungen, Erkrankungen amerikanischer Soldaten könnten in irgendeiner Weise mit abgereichertem Uran in Verbindung gebracht werden, der wissenschaftlichen Grundlage. Aus Sicht der Bundesregierung besteht deshalb keine Notwendigkeit, tätig zu werden.
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die USamerikanischen Streitkräfte Munition mit abgereichertem Uran verwenden und auch im Golfkrieg verwendet haben, und könnte es Ihrer Meinung nach deswegen nicht durchaus passieren - ich denke, es gibt auch anderslautende Tatsachen als die Meinung der Bundesregierung, was die Frage der Verstrahlung der Soldaten im Golfkrieg betrifft -, daß Soldaten, z. B. Bundeswehrsoldaten, die an internationalen Einsätzen teilnehmen, mit dieser Munition in Berührung kommen?
Das sind gleich mehrere Fragen, die ich verneinen muß. Zum einen hat die Bundesregierung keinerlei Anlaß, an den Angaben unseres Bündnispartners USA zu zweifeln. Die USA haben bestätigt, daß es zu keinen solchen Verletzungen gekommen ist. Außerdem ist ein Einsatz, wie Sie ihn beschrieben haben, fiktiv. Auf die Frage nach einem Einsatz, der nicht geplant ist, kann ich hier keine Antwort geben.
Zweite Zusatzfrage.
Sie sagen in Ihrer Antwort, daß Ihr Bündnispartner gesagt hätte, daß es beim Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran im Golfkrieg zu keinen Verstrahlungen US-amerikanischer Soldaten gekommen ist. Gestehen Sie denn wenigstens die Tatsache zu, daß Munition mit abgereichertem Uran im Golfkrieg verwendet worden ist, oder ist auch das im nachhinein nicht mehr der Fall?
Das wäre eigentlich eine Frage, die Sie an die amerikanische Regierung richten müßten und nicht an die Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Wir können uns nur auf Informationen aus zweiter Hand stützen. Wir haben keine eigenen Erkenntnisse in dieser Frage. Das habe ich Ihnen aber schon in der letzten Fragestunde so dargestellt.
Weitere Zusatzfragen werden dazu nicht gestellt.Damit sind wir mit diesem Geschäftsbereich fertig. Vielen Dank, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Die Fragen wird uns die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl beantworten.
Metadaten/Kopzeile:
3466 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995
Vizepräsident Hans KleinFrau Parlamentarische Staatssekretärin, die beiden ersten Fragen, die Fragen 25 und 26 der Kollegin Antje-Marie Steen, sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 27 auf, die von der Kollegin Dr. Angelica Schwall-Düren gestellt wurde:Wie beurteilt die Bundesregierung die Resultate in Tierversuchen, daß durch die Verfütterung bestrahlter Nahrungsmittel Veränderungen des Erbgutes, schwere Beeinträchtigung des Stoffwechsels und sogar Wachstumshemmung auch nachfolgender Generationen erfolgten?Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Frau Kollegin, aus Ihrer Anfrage ist nicht ersichtlich, auf welche Tierversuche Bezug genommen wird. Zur toxikologischen Bewertung bestrahlter Lebensmittel gibt es weltweit mehr als 400 verfügbare Arbeiten.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, hält es die Bundesregierung nicht für nötig, im Sinne eines vorsorgenden Gesundheitsschutzes den in diesen zahlreichen Tierversuchen gewonnenen Erkenntnissen mit Hilfe weiterer Forschungen nachzugehen, um zu prüfen, ob dies entsprechende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat?
Frau Kollegin, es gibt einen Bericht der Bundesregierung über die Behandlung von Lebensmitteln mit ionisierenden Strahlen, verfügbar in der Bundestagsdrucksache 11/ 7574 vom 18. Juli 1990, in dem dazu umfangreich Stellung genommen wurde.
Wir sehen derzeit nur einen Forschungsbedarf für alternative Methoden, wie es auch in einem Beschluß des Deutschen Bundestages formuliert worden ist.
Zweite Zusatzfrage? - Sie haben keine Frage mehr.
Dann hat der Kollege Büttner das Wort zu einer Zusatzfrage.
Dann möchte ich die Frage noch einmal etwas anders stellen: Liegen der Bundesregierung Resultate von Tierversuchen vor, die ergeben, daß durch die Verfütterung bestrahlter Nahrungsmittel Veränderungen des Erbgutes, schwere Beeinträchtigung des Stoffwechsels oder sogar Wachstumshemmung auch nachfolgender Generationen erfolgt sind?
Herr Kollege Büttner, der Regierung liegen solche Erkenntnisse vor. Ich habe aber schon gesagt, daß es zu diesem Thema mehr als 400 Arbeiten gibt. Wenn Sie präzisieren könnten, in welchen Arbeiten diese Tierversuche durchgeführt worden sind, wären wir in der Lage, gezielter zu suchen.
Gibt es weitere Zusatzfragen dazu? - Das ist nicht der Fall.
- Ich bitte darum, hier keine Dialoge zu führen.
Herr Präsident, darf ich noch etwas dazu sagen?
Bitte sehr.
Frau Kollegin, wenn ich nicht weiß, auf welche Arbeit Sie Bezug nehmen, wäre jede Antwort spekulativer Natur. Ich kann Ihnen unsere Erkenntnisse gerne schriftlich mitteilen. Ich kann hier aber nicht konkret antworten, da ich nicht weiß, ob Sie genau den Tierversuch angesprochen haben, den wir praktisch spekulativ für unsere Antwort unterstellen würden.
Danke sehr.
Ich rufe die Frage 28 auf, die ebenfalls von der Kollegin Dr. Angelica Schwall-Düren gestellt wurde:
Welche konkreten Schritte will die Bundesregierung unternehmen, um gesundheitliche Risiken, die von Lebensmittelchemikern auch bei geringen Strahlendosen festgestellt wurden , nachhaltig einzudämmen?
Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Frau Kollegin, in dem Dosisbereich von bis zu 10 Kilogray begegnet der Verzehr bestrahlter Lebensmittel nach Einschätzung aller namhaften Expertengremien keinen gesundheitlichen Bedenken. Diese Feststellung wurde vor dem Hintergrund getroffen, daß die Bestrahlung von Lebensmitteln auf Grund der vorliegenden zahlreichen Studien so eingehend wie wohl kein anderes Behandlungsverfahren hinsichtlich einer möglichen Gesundheitsgefährdung des Verbrauchers geprüft wurde.Unabhängig davon ist in der Bundesrepublik Deutschland u. a. das Inverkehrbringen bestrahlter Lebensmittel nach § 13 Abs. 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes verboten.Die Bundesregierung setzt sich bei den Beratungen über die Angleichung der einschlägigen Rechtsvorschriften innerhalb der Europäischen Union für
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3467
Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohlein möglichst weitreichendes Bestrahlungsverbot ein. Sie orientiert sich dabei an dem am 7. September 1994 angenommenen Beschluß des Deutschen Bundestages.
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin, da wir davon ausgehen müssen, daß bestrahlte Lebensmittel auf den deutschen Markt kommen und es tatsächlich ernstzunehmende Hinweise auf dadurch verursachte gesundheitliche Risiken gibt - ich kann Ihnen gerne die Quelle geben -, frage ich Sie erneut: Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um wenigstens dafür zu sorgen, daß die Verbraucher über die Bestrahlung von Lebensmitteln informiert und über die gesundheitlichen Risiken durch die Bestrahlung aufgeklärt werden?
Frau Kollegin, zunächst einmal möchte ich Ihnen sagen, daß das Bestrahlungsverbot nach dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, das ich eben erwähnt habe, grundsätzlich auch für importierte Lebensmittel gilt. Ich habe aber darüber hinaus auf den Beschluß des Deutschen Bundestages verwiesen, in dem u. a. steht, daß wir auf eine umfassende und deutliche Kennzeichnung sowohl von bestrahlten Lebensmitteln als auch von Lebensmitteln, die irgendwelche bestrahlten Bestandteile enthalten, hinwirken wollen.
Eine zweite Zusatzfrage wird nicht gestellt? - Wird von anderen Kolleginnen und Kollegen eine Zusatzfrage gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 29, die die Kollegin Petra Ernstberger gestellt hat, auf:
Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung/das Bundesministerium für Gesundheit die formelle Aufsichtsanordnung erlassen, durch welche die Fahrkosten von Nierenkranken zur Dialysebehandlung von den Betriebskrankenkassen ab sofort nicht mehr übernommen werden dürfen?
Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Frau Kollegin, die Krankenkassen dürfen Leistungen nur im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben erbringen. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Übernahme von Fahrkosten von Nierenkranken zur Dialysebehandlung sind nicht gegeben. Die Dialysebehandlung erfolgt in der Regel im Rahmen der ambulanten medizinischen Versorgung, nicht im Rahmen einer teilstationären Krankenhausbehandlung. Die Fahrkostenregelungen bei ambulanter Krankenbehandlung sehen eine generelle Kostenübernahme nicht vor. Die Übernahme der Fahrkosten ist deshalb derzeit allein im Rahmen von Härtefallregelungen nach den §§ 61 und 62 SGB V möglich.
Sie wollen keine Zusatzfrage stellen? - Dann der Kollege Büttner.
Frau Staatssekretärin, da der Bundesgesundheitsminister in seinen öffentlichen Erklärungen wiederholt darauf hingewiesen hat, daß besonders chronisch Kranke der Solidarität der gesetzlichen Krankenversicherung bedürfen, möchte ich fragen: Ist damit zu rechnen, daß der Bundesgesundheitsminister demnächst eine Änderung des Gesundheitsgesetzes in der Form auf den Weg bringt, daß gerade solche chronisch Kranken nicht - wie durch diese Verordnung erneut geschehen - verstärkt mit Kosten belastet werden?
Herr Kollege Büttner, für eine Entlastung chronisch Kranker sorgen gerade die Härtefallregelungen, d. h. die Sozialklausel und die Überforderungsklausel, die sich nach dem Einkommen des Versicherten bzw. der Familie richtet. Inwieweit diese Frage zum Diskussionsgegenstand der dritten Stufe der Gesundheitsreform wird, kann ich derzeit nicht sagen.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Dann rufe ich die Frage 30, die ebenfalls von der Kollegin Ernstberger gestellt worden ist, auf:
Welche Überlegungen bestehen auf seiten der Bundesregierung/des Bundesministeriums für Gesundheit, Dialysepatienten, die nicht unter die Härtefallregelungen nach den §§ 61, 62 SGB V fallen, von den aufgrund der erlassenen formellen Aufsichtsanordnung des Bundesministeriums für Gesundheit in voller Höhe zu tragenden Fahrkosten in Zukunft wieder zu entlasten?
Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Frau Kollegin, Überlegungen, die Regelungen zur Übernahme der Fahrkosten für Dialysepatienten zu andern, bestehen im Bundesministerium für Gesundheit derzeit nicht. Im übrigen sind Fahrkosten zu Dialysebehandlungen nur von Betriebskrankenkassen, nicht aber von anderen Kassenarten übernommen worden.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir einer Meinung, daß die Bundesregierung gerade bei chronisch Kranken, die zu einer Dialysebehandlung fahren müssen - ich komme aus einem ländlichen Bereich, wo die Fahrstrecken realtiv lang sind und sehr hohe Fahrtkosten auf die Kranken zukommen, die oft für mehrere Behandlungen pro Wochen anfallen -, eigentlich verpflichtet wäre, eine Entlastung vorzunehmen?
Frau Kollegin, man kann natürlich darüber diskutieren, aber ich erinnere an die Diskussion zum Gesundheitsstruktur-
Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
gesetz, in dem es auch um Zuzahlungsregelungen für Arzneimittel bei chronisch Kranken ging. Gerade Ihre Fraktion hat darauf bestanden, die Regelungen der Härtefall- und Überforderungsklausel hier zur Anwendung zu bringen.
Keine zweite Zusatzfrage? - Dann hat der Kollege Büttner das Wort.
Frau Staatssekretärin, darf ich den Hinweis in Ihrer Antwort auf die erste Frage, daß die Bezahlung nur von den Betriebskrankenkassen, nicht aber von den anderen Kassen übernommen worden ist, so interpretieren, daß der Bundesgesundheitsminister den Betriebskrankenkassen diese Bezahlung nicht untersagt hätte, wenn auch alle anderen Krankenkassen diese Fahrtkosten übernommen hätten?
Herr Kollege Büttner, diesen Schluß dürfen Sie daraus natürlich nicht ziehen. Das wäre nicht geltendes Recht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich bedanke mich sehr für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zur Versenkung der Ölplattform „Brent Spar" im Zusammenhang mit glaubwürdigem europäischen Umweltschutz
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kurt-Dieter Grill.
- Moment!
Dann erteile ich dem Abgeordneten Michael Müller das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der ursprüngliche Grund dafür, daß wir die Aktuelle Stunde beantragt haben, war, um hier im Bundestag unsere Solidarität mit
dem Protest gegen das unmögliche Verhalten der Firma Shell zum Ausdruck zu bringen.
Der Weltkonzern Shell hat sich in dieser Frage verhalten wie eine Provinzbude.
Dies kann man nicht hinnehmen, schon gar nicht im politischen Bereich. Denn hier steht viel auf dem Spiel, vor allem die Glaubwürdigkeit unserer Umweltpolitik.
Wir sind nicht bereit, zu akzeptieren, daß derartige Praktiken aus ökonomischen Gründen auf dem Rükken der Natur, aber auch auf dem Rücken der vielen Pächter von Shell-Tankstellen ausgetragen werden. Wir sind nicht bereit, ein Verhalten hinzunehmen, das jeder notwendigen Umweltpolitik, der deutschen und der globalen, widerspricht. Das ist nicht das Verhalten einer Weltfirma, das ist das Verhalten von unverantwortlichen Umweltsündern.
Wir wollten die Aktuelle Stunde auch nutzen, um unseren Protest gegenüber der britischen Regierung zum Ausdruck zu bringen. Es kann nicht sein, daß eine Regierung auf der Ebene der Europäischen Union immer wieder Gemeinsamkeiten verlangt, aber sich überall da, wo es Pflichten gibt, entzieht. Es ist in der Tat ein ganz schlimmes Zeichen, daß die britische Regierung auch jetzt noch meint, Shell habe mit der Entschärfung des Konflikts falsch gehandelt.
Das können wir nicht akzeptieren.
Was ist das für ein Umweltminister, der - wie im Februar geschehen - öffentlich äußert, die Tiefseeversenkung sei die beste Lösung, auch für das Schatzamt von England! Das heißt nämlich: Entscheidend für die Genehmigung waren ökonomische Gründe, das Sparen von Steuermitteln. So geht das nicht! Was die britische Regierung hier an den Tag gelegt hat, ist ein verantwortungsloses Verhalten.
Wir müssen klar sagen: Die Europäische Union wird nur dann zusammenkommen, wenn die europäischen Völker auf dem Gebiet Soziales und Umwelt mehr Gemeinsamkeiten zeigen und vor allem gemeinsam vorangehen. Sonst hat die europäische Idee letztlich keine Substanz. Deshalb müssen wir das Verhalten der englischen Regierung ganz klar verurteilen. Wir sagen von hier aus auch: Wenn an Plänen festgehalten wird, weitere Versenkungen durchzuführen oder zu genehmigen, wird der Protest in der Zukunft genauso ausfallen.
Michael Müller
Ich sage das übrigens vor einem konkreten Hintergrund: Großbritannien betreibt ca. 200 Plattformen, 50 bis 60 davon sind möglicherweise für eine Seeversenkung vorgesehen, 7 davon möglicherweise in der nächsten Zeit. Deshalb sagen wir hier klar: „Brent Spar" war für uns kein Einzelfall, wir werden vielmehr aufpassen, daß sich die Praxis grundlegend ändert.
Auch aus einem weiteren Grund wollten wir die Aktuelle Stunde durchführen. Wir sind schon der Auffassung, daß auch die Bundesregierung im Vorfeld der Versenkung nicht konsequent gegen die britische Regierung eingeschritten ist.
- Danach, ja; es wäre uns lieber gewesen, wenn es vorher etwas deutlichere Töne gegeben hätte.
Meine Damen und Herren, der ursprüngliche Anlaß ist weggefallen. Das Problem aber ist geblieben; es ist auch mit der Entschärfung gestern abend noch nicht beseitigt. Die Entschärfung ist aber ein guter Grund, insbesondere Greenpeace für die konsequenten Aktionen zu danken.
Das Parlament weiß: Ohne die Aktivität von Greenpeace, ohne den Mut seiner Mitarbeiter wäre diese Aktion nicht zustande gekommen.
Greenpeace hat mehr erreicht als Frau Merkel auf der Nordseeschutzkonferenz. Das müssen wir feststellen; das ist kein Ruhmesblatt für die Politik.
Wir müssen zweitens den Bürgerinnen und Bürgern danken, die über Erwarten konsequent gegenüber Shell gehandelt haben. Ich will nicht sagen, daß sie immer konsequent gehandelt haben, gegenüber Shell aber haben sie es getan. Es ist gut, zu zeigen, daß wir auch Verbrauchermacht haben und daß wir uns nicht alles gefallen lassen.
Wir danken drittens den gesellschaftlichen Gruppen vom Kirchentag bis hin zu den vielen Organisationen, die gesagt haben: So nicht, jetzt ist Schluß! - Das war ein gutes Zeichen für das Umweltbewußtsein in der Bundesrepublik.
Trotzdem bleibt eine Vielzahl von Fragen. Wir erwarten eine solch konsequente Kritik beispielsweise auch an der Leerfischung der Meere. Es kann nicht sein, daß - wie derzeit - in wenigen Jahrzehnten viele Fischbestände weggefischt werden, ohne daß die Öffentlichkeit das zur Kenntnis nimmt und wir ausreichend darauf reagieren. Es kann auch nicht sein, daß wir Großbritannien gegenüber sagen, sein Verhalten im Falle „Brent Spar" sei nicht hinzunehmen, aber gegenüber der französischen Regierung bezüglich der Wiederaufnahme der Atomtestverfahren weitgehend schweigen. Das ist ein unehrliches Verhalten; das geht nicht.
Herr Kollege Müller, Sie müssen zum Abschluß kommen.
Letzte Bemerkung. - Wir erwarten, daß man nach dem Vorgang um „Brent Spar" jetzt nicht nur sagt: Das ist ein Erfolg. Wir müssen vielmehr Verpflichtungen daraus erkennen; Verpflichtungen für einen anderen Umgang mit der Nordsee und der Natur.
Ich erteile dem Abgeordneten Simon Wittmann das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Müller, es ist sicher richtig, daß Sie Greenpeace und die Aktionen, die von der Bevölkerung mitgetragen wurden, loben. Aber ich glaube, wir sollten gerechterweise auch darauf hinweisen, daß sich gerade Bundeskanzler Helmut Kohl und Umweltministerin Merkel in aller Deutlichkeit
- Edmund Stoiber, Theo Waigel, es ist sehr gut, Herr Fischer, daß Sie das alles registriert haben - im Rahmen ihrer Möglichkeiten, also auch in der entsprechenden Wortwahl, gegen das Vorhaben der Firma Shell ausgesprochen haben.
Aber das Problem ist doch folgendes: wenn das im Rahmen des Völkerrechts, des internationalen Rechts möglich ist,
hat wie die Bundesregierung - außer dem verbalen Protest und der Einleitung entsprechender Verfahren - natürlich nicht die Möglichkeit wie Greenpeace, sich an dem Bohrturm Festketten zu lassen.
Simon Wittmann
Trotzdem - wir haben es ja gestern im Umweltausschuß noch gemeinsam miterlebt - ging ein Aufatmen durch Deutschland, als bekannt wurde, daß die Shell AG auf die Versenkung dieser Bohrinsel verzichtet hat. Es zeigt sich aber, daß dadurch natürlich neue Probleme entstehen werden bzw. entstanden sind, da eine kurzfristige Entsorgung an Land erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen wird.
Ich möchte deshalb aus unserer Sicht noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen.
Erstens. Die geplante Aktion der Shell AG war nicht akzeptabel. Sie steht im Widerspruch zu einer vorsorgenden Umweltpolitik. Es ist für uns unerträglich, daß einem so großen internationalen Konzern, der das Umweltbewußtsein sogar zu seiner Werbelinie gemacht hat, jede Sensibilität für die konkrete Umsetzung von Umweltschutz fehlt. Dies ist um so schlimmer, als es für die beteiligten Konzerne überhaupt kein finanzielles Problem bedeutet hätte, die Plattform an Land zu entsorgen und dafür auch die langfristigen Vorbereitungen zu treffen. Wir haben daher auf allen Ebenen als erste gegen dieses verantwortungslose Handeln protestiert. Es war der bayerische JU-Landesvorsitzende Markus Sackmann, der als erster den Boykottaufruf herausgegeben hat. Letztlich haben der sich anschließende Bürgerprotest und auch der Protest des Bundeskanzlers und der Ministerin den Erfolg bewirkt. Ich habe mich gefreut, Herr Müller, daß Sie auch die Tankstellenpächter angesprochen haben, die sicher nicht das geeignete Zielobjekt sind; sie waren Opfer in diesem Kampf.
Zweitens. Man hätte aber zumindest auch die Miteigentümerin der Bohrinsel, nämlich die Esso, einbeziehen müssen, wenn man es wirklich einigermaßen gerecht hätte machen wollen.
Drittens. Unser Grundverständnis von Umweltpolitik zielt darauf ab, daß die leistungsfähige Wirtschaft in der umweltgerechten Entsorgung von Abfällen vorangehen muß. Es wäre sonst dem Bürger nicht zu vermitteln, daß sie selbst zum sorgfältigsten Trennen, Entsorgen und Recyclen von Abfall verpflichtet sind und daß bei Verstößen - teilweise sogar deftige - Bußgelder verhängt werden, wenn die Industrie ihre Abfallentsorgung durch eine Versenkung in die Weltmeere betreibt.
Viertens. Unsere Industrie hat vielfältig bewiesen, daß sie in der Lage ist, in relativ kurzer Zeit neue Methoden auch im Recyclingbereich zu entwickeln. Wir brauchen nur an den Kunststoff zu denken, bei dem keiner erwartet hätte, daß so schnell neue Methoden auf den Markt kommen. Ein Konzern, der das nicht begreift, ist nicht zukunftsfähig und versteht nicht, daß das dabei entwickelte Know-how letztlich sogar Gewinn einbringt.
Was in den letzten Tagen abgelaufen ist, ist sicher zum Teil eine symbolische Politik gewesen und birgt wegen der Emotionalität - sehen wir uns nur den Anschlag auf den Tankstellenpächter an - auch gewisse Gefahren in sich. Die Diskussion muß daher jetzt in ein politisches Handeln münden. Wir unterstützen
daher die Bundesregierung bei ihrem Bemühen um effizientere internationale Vorschriften. Die erste Gelegenheit dazu ist die derzeit anstehende Überarbeitung der weltweit geltenden Londoner Konvention von 1972 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen.
Die Union erwartet, daß die Ölkonzerne bereits jetzt begreifen, daß sie schleunigst darangehen müssen, für die Entsorgung ihrer Anlagen andere Wege zu finden, als das in den letzten Tagen der Fall war.
Danke schön.
Das Wort hat nun die Abgeordnete Michaele Hustedt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verhinderung der Versenkung der „Brent Spar" war eine große Stunde der Demokratie. Die Aktionen von Greenpeace und die vielfältigen Boykottaufrufe haben zu diesem Erfolg geführt. Bürger und Bürgerinnen setzten sich mit der Macht der Verbraucher gegen mächtige internationale Wirtschaftskonzerne durch. Grün ist im Kommen.
Das unberechenbare Potential in der Gesellschaft macht den Umweltsündern angst, und das ist auch gut so.
Auch für die Energiekonsensgespräche heute abend ist daraus eine Lehre zu ziehen: Wer als Unternehmen in Deutschland ohne Rücksicht auf die Umwelt und mit Ignoranz gegenüber der öffentlichen Meinung agiert, kann nicht erfolgreich sein, ja darf auch nicht erfolgreich sein.
Das gilt für Ölplattformen genauso wie für Atomkraftwerke.
Die einmütige Verurteilung der versuchten Versenkung darf aber nicht davon ablenken, daß die Bundesregierung einen Teil der Verantwortung für den Konflikt mitträgt. Laut „Frontal" unterrichtete die britische Regierung bereits am 16. Februar dieses Jahres das deutsche Umweltministerium. Erst Ende April erfuhr die Umweltministerin dank der Greenpeace-Besetzung aus den Medien von der geplanten Versenkung. Am 9. Mai sandte das BMU einen Brief an das britische Landwirtschaftsministerium, welches gar nicht zuständig war, in dem Bedenken gegen die Versenkung ausgesprochen wurden. Dieser Brief war noch nicht einmal von der Ministerin unterschrieben, sondern von einer Sachbearbeiterin.
Sagen Sie einmal, Frau Merkel, was ist eigentlich in Ihrem Ministerium los? Da werden Sie von einer brisanten Aktion wie der Plattformversenkung nicht informiert, es wird ein Brief geschrieben, den Sie
Michaele Hustedt
nicht abgezeichnet haben, und dann geht dieser Brief auch noch zu spät an die falsche Adresse. So miserabel darf man ein Ministerium nicht führen. Das muß Konsequenzen haben!
Wir sollten uns jetzt nicht befriedigt im Sessel zurücklehnen, sondern weiterdenken. Der Boykott gegen Shell, der den Erfolg ermöglichte, ging von Deutschland aus. Wir haben die Klappe aufgerissen, jetzt müssen wir dafür auch geradestehen. Es wäre eine versöhnliche Geste gegenüber der britischen Regierung, ihr jetzt ein Angebot zu machen. Ich fordere die Bundesregierung auf, nicht nur die Entscheidung von Shell zu begrüßen, sondern sich jetzt für die Entsorgung der „Brent Spar" anzubieten.
Sehr geehrte Damen und Herren, machen wir uns keine Illusionen: Die Mehrheiten gegen die Versenkung waren auch deshalb so breit, weil der Bösewicht leicht auszumachen und nicht Deutschland war. Wie sähe die Diskussion aus, wenn hier ein Antrag zur Abstimmung stünde, die Einleitung von Quecksilber in die Meere zu reduzieren? Hier ist nämlich Deutschland Spitzenreiter der Umweltsünder. Bei Arsen und Blei liegt Deutschland auf Platz zwei. Auch für den Bürger ist es leicht, mit laufendem Motor vor der Shell-Tankstelle zu stehen und zu sagen, da ist der Umweltsünder, und dann - brumm, brumm, brumm - zur nächsten Aral-Tankstelle zu brausen.
Der Boykott von Shell war auch ein Ventil für das schlechte Gewissen dieser Gesellschaft, das nach der Klimakonferenz noch einmal gewachsen ist.
Moralischer Rigorismus ist einfach, wenn die Fronten klar sind. Glaubwürdig ist man aber nur, wenn man sich auch an die eigene Nase faßt.
„Brent Spar" wäre nur ein Tropfen im Chemiecocktail des Atlantiks und der Nordsee gewesen. Das Tausendfache an 01 darf jedes Jahr legal in die Nordsee eingeleitet werden. Dazu kommen die Verschmutzungen durch Tankerunglücke. Über die Luft werden PCB, Dioxine und Stickstoff eingetragen. Dazu kommen Chlor aus der Papierbleiche, Düngerüberschuß und Pestizide aus der industriellen Landwirtschaft, als Dessert 26 t Trichlorethan. Fast alle Einleitungen sind genehmigt. Im Seehundspeck wird Industriegeschichte geschrieben.
Das, meine Damen und Herren, ist die Situation. Die Nordsee ist eine Sondermüllkippe. Wenn dieser Protest nur die Befreiung von der eigenen Verantwortung für die Verschmutzung der Meere bedeutet, dann war das Ganze lediglich ein großes Medienspektakel.
Jetzt brauchen wir ein ambitioniertes Programm für die Entgiftung der Nordsee. Unsere Kinder sollen auch morgen noch im Meer baden können. Das Meer
gehört allen, und keiner hat das Recht, diesen Lebensraum zu zerstören.
Wir brauchen endlich eine bestandschonende Fischereipolitik und eine flächendeckende ökologische Landwirtschaft genauso wie die Reduktion des Stickstoffeintrags durch eine Verkehrswende. Schließlich benötigen wir unverzüglich ein rechtsverbindliches Gebot der Entsorgung der weiteren 400 Ölplattformen und -bohrinseln an Land.
In wenigen Tagen findet die nächste Jahressitzung der Oslo-und-Paris-Kommissionen in Brüssel statt. Sorgen Sie, Frau Merkel, dafür, daß die Emissionen von Schadstoffen künftig drastisch reduziert werden! Nicht nur England wird bei dieser Konferenz die Augen auf die Bundesregierung richten. Jetzt gilt es zu beweisen, daß man nicht nur konseqent ist, wenn die anderen die Betroffenen sind.
Ich erteile dem Abgeordneten Rolf Köhne das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verzicht des Ölmultis Shell, die ausgediente Plattform „Brent Spar" im Atlantik zu versenken, ist ein umweltpolitischer Erfolg. Erreicht wurde dieser Erfolg durch die mutigen Aktionen von Greenpeace, die Auslöser waren für den millionenfachen Protest und den breiten Boykott gegen Shell. Hier hat sich wieder einmal gezeigt, daß Millionen von Menschen, wenn sie ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, doch stärker sind als milliardenschwere Konzerne.
Der gemeinsame, erfolgreiche Protest gegen Shell und für den Umweltschutz hat aber auch noch etwas anderes offenbart: Zum zweitenmal gab es auch in diesem Hause eine gemeinsame Front für den Umweltschutz und gegen Konzerninteressen. Ich erinnere an die Debatte um den Versuch einiger Stromkonzerne, das Stromeinspeisungsgesetz zu unterlaufen. Auch damals - das ist noch gar nicht so lange her - waren wir uns hier sehr einig.
Es zeigt sich: Wer wirksam für den Erhalt unserer Umwelt eintreten will, der wird sich in vielen Fällen mit entgegengerichteten Interessen der großen Konzerne auseinandersetzen müssen. Doch nicht nur Shell ist der Buhmann. Auch die anderen Ölkonzerne betreiben Bohrinseln in der Nordsee. Bereits. während ihres Betriebs sind sie in Umweltfragen nicht besonders zimperlich.
- Ja.
Aber nicht nur die Ölkonzerne, auch andere Konzerne nutzen ihre Marktmacht, um Umweltschutz zu unterlaufen, oder - durch Drohung mit dem Arbeits-
Rolf Köhne
platzargument - Maßnahmen des Staats von vornherein zu verhindern, obwohl gerade hier genügend Geld vorhanden ist, um einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten.
Wir halten es deshalb für erforderlich, auch darüber nachzudenken, wie die ökonomische Macht großer Konzerne eingeschränkt werden kann. Dies ist meiner Meinung nach im Sinne des Umweltschutzes erforderlich.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort der Bundesministerin Dr. Angela Merkel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich sehr darüber, daß Shell die Entscheidung getroffen hat, die Bohrinsel „Brent Spar" nicht zu versenken. Es war zwar eine späte Entscheidung, aber eine richtige Entscheidung. Und es ist unzweifelhaft, daß die gemeinsame Aktion von vielen diesen Erfolg gebracht hat, insbesondere auch der breite Protest in der Bevölkerung. Bei aller Freude über diese Aktion dürfen wir aber nicht vergessen, daß es fast zu spät war und die Geschichte natürlich weitergeht.
Wie wir der Presse entnehmen können - ich werde morgen auf dem Umwelt-Ministerrat meinen britischen Kollegen fragen -, weigert sich die britische Regierung bis jetzt, Shell eine Genehmigung für die landseitige Entsorgung der Plattform zu erteilen. Wir, die Nordseeanrainerstaaten - und auch ich selber -, werden versuchen müssen, die britische Regierung von der Richtigkeit der Shell-Entscheidung zu überzeugen, damit das Ganze auch einen Effekt hat. Deutschland ist selbstverständlich bereit, seinen Beitrag zur Entsorgung zu leisten. Ich habe bereits die Prüfung der technischen Durchführbarkeit in deutschen Einrichtungen veranlaßt.
Meine Damen und Herren, Frau Hustedt, ich möchte noch einmal etwas dazu sagen, was die deutsche Regierung gemacht hat und wann sie es gemacht hat.
Die deutsche Regierung hat am 23. Februar zum erstenmal einen Brief bekommen, und zwar vom britischen Landwirtschafts- und Fischereiministerium über das Sekretariat der Kommission von Oslo und Paris. Genau deshalb haben wir diesem Ministerium später geantwortet und selbstverständlich eine Kopie an das britische Umweltministerium geschickt. Wir haben genau auf der Ebene geantwortet, auf der sich die britische Regierung an uns gewandt hat. Das ist so üblich.
Daraufhin haben wir die Prüfung der britischen Stellungnahme veranlaßt, und zwar beim Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie und beim Um-
weltbundesamt. Beide Ämter haben uns in ihren Stellungnahmen, die wir im April erhalten haben, in unserer Auffassung unterstützt, daß die Versenkung nicht dem Geist und dem Wort des OSPAR-Abkommens entspricht.
Wir haben uns daraufhin die Dinge noch einmal zusammengestellt. - Hier sind - ich sage das ganz ehrlich - vielleicht zwei Wochen zuviel verstrichen. - Dann haben wir uns an die britische Regierung gewandt und waren die ersten in ganz Europa, die überhaupt reagiert haben. Außer uns hat bis jetzt noch ein Staat reagiert, und das war Island, aber später.
Das ist der Sachverhalt, so haben wir gearbeitet.
Ich muß noch einmal sagen: Ich finde es schon abenteuerlich, wie z. B. Frau Fuchs oder Frau Griefahn in dieser Sache immer wieder Falschinformationen streuen. Für eine Regierung, die dem OSPAR-Abkommen beigetreten ist, gibt es folgende Schritte: Erste Notifizierung ist die Information der Regierung. Die Information hat im Februar stattgefunden, und die Information erfordert keine Stellungnahme.
Dann gibt es einen zweiten Schritt, die sogenannte zweite Notifizierung. Diese zweite Notifizierung ist von der britischen Regierung nie in Gang gesetzt worden. Deshalb haben wir Zweifel, ob die erteilte Genehmigung überhaupt dem Sinn und dem Wortlaut des OSPAR-Abkommens entspricht. Diese zweite Notifizierungsphase läßt uns eine Stellungnahmefrist von 60 Tagen. Da die Notifizierung aber nicht eingeleitet wurde, konnten wir die Möglichkeit zur Stellungnahme nicht wahrnehmen. Deshalb bitte ich Sie - auch im Hinblick auf spätere Fälle -, der Wahrheit zuliebe die Regierung wenigstens nicht zu kritisieren, wenn sie nichts falsch gemacht hat, und die Fakten zu berücksichtigen. Das wäre mir wirklich sehr recht.
Da das OSPAR-Abkommen - um die Angelegenheit zum Schluß zu bringen und damit wir das für das nächste Mal wissen - noch gar nicht in Kraft ist, sondern sich die Nordseeanrainerstaaten verpflichtet haben, es politisch durchzusetzen, können wir auch kein Schlichtungsverfahren in Gang setzen.
- Herr Fischer, Sie können stöhnen, Sie können maulen, aber es ist so.
Da nicht ich die Vorwürfe in die Welt gesetzt habe, gestatten Sie mir wenigstens, die Fakten darzulegen, damit wir bei hoffentlich nicht vorkommenden nächsten Fällen redlich miteinander argumentieren.
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung war die erste von zwei europäischen Regierungen, die sich überhaupt bei der britischen Regierung gemeldet haben. Alle anderen Staaten haben dies nicht getan.
Nun geht die Sache aber weiter. Wir haben auf der Nordseeschutzkonferenz festgestellt: Alle Nordseeanrainerstaaten außer Großbritannien und Norwegen sind der Meinung, daß das OSPAR-Abkommen offensichtlich so viel Interpretationsspielraum läßt, daß nach diesem Abkommen Ausnahmeregelungen für die Bohrinselentsorgung in der Nordsee möglich sind. Deshalb sind wir der Meinung, daß dieses OSPAR-Abkommen wieder geändert werden muß.
Da nächste Woche die Kommission des OSPAR-Übereinkommens auf einer Tagung der Teilnehmerstaaten zusammenkommt, werden wir das Thema mit einem Dringlichkeitsantrag auf die Tagesordnung bringen und versuchen, eine solche Änderung herbeizuführen.
Wir werden auch international auf eine Änderung des Londoner Abkommens drängen, damit nicht nur das, was die Nordseeanrainerstaaten anbelangt, sondern auch die weltweite Entsorgung von solchen Bohrinseln seeseitig nicht mehr möglich ist.
Da wir heute über den Schutz der Nordsee und anderer Meere sprechen, möchte ich an dieser Stelle noch einmal sagen: Natürlich ist die Bohrinsel „Brent Spar" ein Symbol gewesen, das viele Menschen - richtigerweise - beunruhigt hat. Aber der Meeresschutz ist eine viel breitere Aufgabe. Deshalb möchte ich noch einmal sagen, daß es uns nach zwölfjährigen Verhandlungen - es hat lange gedauert, aber es war trotzdem ein Fortschritt und eine Entwicklung der letzten Nordseeanrainerstaaten-Konferenz - endlich gelungen ist, daß die Nordsee zum Sondergebiet erklärt wurde und Öleinleitungen dort nicht mehr erfolgen dürfen. Dem haben alle Mitgliedstaaten zugestimmt.
- Ich habe gesagt, daß es einen Beschluß der Nordseeanrainerstaaten-Konferenz von Esbjerg gibt, nach dem alle Nordseeanrainerstaaten einen Antrag stellen werden, daß die Nordsee, wie die Ostsee es schon heute ist, zum Sondergebiet erklärt wird und die Einleitung von Öl ins Meer aus Schiffen nicht mehr zulässig ist. Dies muß natürlich überprüft werden. Auch darüber haben wir gesprochen. Es müssen vor allen Dingen in den Häfen die notwendigen Entsorgungseinrichtungen geschaffen werden.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß die norddeutschen Länder bis jetzt leider nicht in der Lage waren, eine gemeinsame Vorgehensweise bei der finanziellen Abwicklung der Schiffsentsorgung in den deutschen Seehäfen zu erreichen.
Was die Haltung von Greenpeace und die der Bundesregierung anbelangt - nun hören Sie mir wenigstens zu, wenn ich dazu etwas sage -, so wurde dem Parlamentarischen Staatssekretär Klinkert auf der Nordseekonferenz in Esbjerg von Greenpeace für die konsequente Haltung der Bundesregierung in dieser Frage gedankt. Das war unser Verhältnis zu Greenpeace in dieser Angelegenheit.
Ich habe lange vorher, nämlich schon im Mai,
Herr Fischer, bei einem Zusammentreffen mit Greenpeace vor einer Veranstaltung in Hamburg gesagt, daß dies zu den seltenen Ereignissen gehört, wo Bundesregierung und Greenpeace einer Meinung waren. Wir haben, Herr Fischer, die Kraft, dies zuzugeben. Sie haben nicht die Kraft, die Bundesregierung wenigstens auch nur einmal zu loben oder leben zu lassen.
Vielmehr müssen Sie Kritik anbringen, die sachlich nicht gerechtfertigt ist. Das ist Ihr Stil. Ich kann sagen: In dieser Frage war ich mit Greenpeace einer Meinung und Greenpeace mit uns.
Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Klaus Lennartz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Merkel, erlauben Sie mir zwei Anmerkungen zu Ihrer Rede. Wenn Sie hier für sich positiv feststellen, daß dies eine der wenigen Übereinstimmungen mit Greenpeace ist, dann frage ich mich: Für wen ist das beschämend, für Sie oder für Greenpeace? Ich würde sagen, für Ihre Regierung ist es beschämend, daß Sie mit Greenpeace so wenig übereinstimmen.
Klaus Lennartz
Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung machen: Was Sie hier vorgetragen haben, war eine rein formalistische Rede; darin waren keine politischen Inhalte. Wo ist Ihre Aussage dazu gewesen, ob Sie bereit sind, in Brüssel, wo in der Zeit vom 26. Juni bis 30. Juni 1995 die Kommission tagt, das Schiedsverfahren zu beantragen, um dort die Bestimmungen, um die es im Rahmen der Vereinbarungen geht, einzubringen? Das ist die Frage, die Sie politisch stellen müssen. Alles andere ist rein formal.
Sie stellen sich in der Öffentlichkeit dar; das ist alles. Sie sind aber nicht bereit, die politischen Möglichkeiten, die Sie in der Zeit vom 26. bis 30. Juni hätten, zu nutzen. Das machen Sie nicht.
Meine Damen und Herren, heute morgen machte mein Nachbar ein sehr zufriedenes Gesicht. In den letzten Wochen war das anders; denn er hatte vor ein paar Monaten seinen Wagen mit einem teuren, biologisch abbaubaren Shampoo gewaschen und war darauf hingewiesen worden, daß das verboten sei. Seitdem fuhr er zur Shell-Tankstelle, um sein Auto umweltgerecht in einer Waschstraße reinigen zu lassen. Dafür zahlte er gerne 10 DM und mehr; denn er war sich schließlich sicher, daß so aus seinem Auto kein Öl ins Abwasser, in die Flüsse, ins Meer fließen würde. Mein Nachbar wäre im vergangenen Jahr auch nie auf die Idee gekommen, den schrottreifen Altwagen seiner Tochter in den nächsten Baggersee zu schieben.
Und so war mein Nachbar in den letzten Wochen ganz schön sauer,
wenn er abends den Fernseher einschaltete und mit den Bildern aus der Nordsee gezeigt bekam, daß für die Großen offenbar ganz andere Regeln gelten als für die Kleinen.
So wurde der verrottete schwimmende Öltank für meinen Nachbarn und für viele Millionen Menschen zu einem Symbol: zu einem Symbol dafür, wie milliardenschwere Konzerne Raubbau mit unserer Natur betreiben - politisch abgesichert, versteht sich -, zu einem Symbol für eine Verseuchung der Meere, die auch bei industriellem Wirtschaften nicht zwangsläufig sein muß, und zu einem Symbol dafür, welche Macht Verbraucherinnen und Verbraucher ausüben können, wenn sie an der Zapfsäule und am Ladentisch abstimmen.
Meine Damen und Herren, es gibt viele Siegerinnen und Sieger, insbesondere Greenpeace, gegen die geplante Versenkung der „Brent Spar". Die Politik, die Regierungen gehören leider nicht zu diesen Siegerinnen und Siegern.
Zehn Jahre Nordseeschutzkonferenz, zehn Jahre kleinliches Nationalgezänk um Minimalstandards im Meeresschutz haben - die Zukunft wird das zeigen - wahrscheinlich nicht soviel bewegt wie der millionenfache Protest der letzten Wochen. Wann endlich werden Regierungen und Konzerne begreifen, daß die Menschen bereit sind, in Industriegesellschaften mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit zu wirtschaften: nicht mehr Holz zu schlagen, als nachgepflanzt wird, dem Meer nur so viel zuzumuten, wie es auf Dauer verträgt?
Die Bundesregierung muß sich klipp und klar dafür einsetzen, daß eine Ökobilanz für die Meeresnutzung international vereinbart wird und auch mit Sanktionen verbunden wird, damit das auch wirkt. Das ist das Gesetz der Stunde, um das es geht.
Die Menschen in unserem Land wollen das, und die Übereinkommen von Oslo und Paris zur Verhütung der Meeresverschmutzung zeigen dafür auch die Möglichkeiten auf.
Eine internationale Vereinbarung muß her, die festlegt, wie alle 420 Plattformen umweltgerecht entsorgt werden können. Die Ölgewinnung in der Nordsee, Frau Ministerin, muß so geregelt werden, daß nicht jedes Jahr - Herr Kollege Fischer, Sie erwähnten es eben - 30 000 t Öl ins Wasser fließen. Das ist die Wahrheit, wie zur Zeit mit den Ölplattformen umgegangen wird. Das ist wirtschaftlich tragbar und technologisch möglich.
Wenn über 300 Milliarden DM aus Gewinnen und aus Renditen in die britische Schatztruhe geflossen sind, dann muß es doch möglich sein, Mittel abzuzweigen, um eine industrielle Innovation in die Wege zu leiten, damit dieser Raubbau an der Natur nicht durchgeführt wird.
Meine Damen und Herren, wir haben die Proteste wohl gehört: vom Kanzler, von Herrn Waigel und von Frau Merkel. Sie paßten sehr schön in die Landschaft. Ob daraus echte internationale Initiativen werden? Das steht auf einem anderen Blatt.
Eine ernsthaft betriebene, nachhaltige Meeresschutzpolitik müßte jedenfalls erst noch gestartet werden, wenn mein Nachbar nicht nur auf seine Macht als Verbraucher, sondern auch auf die Macht in der Politik vertrauen könnte.
Ich bedanke mich bei Ihnen.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Wilhelm Dietzel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Sieg der Vernunft" überschrieb eine große deutsche Zeitung die jetzige Lösung, als es darum ging, den wohl bekanntesten und bestbewachten Öltank der Welt zu entsorgen. Auch andere Gazetten sprachen darüber: „Seeschlacht" oder „Mörderischer Kampf" . Ich denke, es ist wichtig, darauf hinzuweisen - das hat diese Auseinandersetzung gezeigt -, daß ein großer
Wilhelm Dietzel
Konzern für einen kleinen Vorteil einen großen Schaden erlitten hat.
Man muß auch darauf hinweisen - Frau Merkel, Sie haben das zu Recht getan -, daß die Bundesregierung schon frühzeitig im Vorfeld der Auseinandersetzungen agiert hat. Sie hat die Genehmigung kritisiert, weil sie mit dem Vorsorgeprinzip nicht vereinbar war. Denn in dem Osloer Abkommen ist eindeutig festgelegt, daß die Vorsorge ein wichtiges Grundprinzip ist. Die britische Regierung hat dieses offensichtlich nicht oder zumindest nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt.
Bundeskanzler Kohl hat auf dem Weltwirtschaftsgipfel die Möglichkeit genutzt, hier Einfluß zu nehmen. Das Umweltministerium hat sich mit Schreiben vom 9. Mai 1995 dagegen ausgesprochen. Auf der Nordseeschutzkonferenz am 8. und 9. Juni dieses Jahres war die deutsche Delegation für eine Entsorgung an Land. Herr Müller, das ist sicherlich ein konsequenter Beitrag der Bundesregierung zur neuen Lösung.
Und doch, meine Damen und Herren, bleibt bei der ganzen Sache ein schaler Beigeschmack. Denn die Firma Shell - so kritisch man das auch sehen mag - wollte keine Nacht-und-Nebel-Aktion. Sie hat sich vielmehr eine ordnungsgemäße Genehmigung besorgt. Die Proteste der letzten Wochen waren Proteste mit bedenklichen Begleiterscheinungen. Hier ist Gewalt gegen Recht eingesetzt worden. Brennende Tankstellen sind meiner Meinung nach kein politisches Argument. Ich denke, daß wir hier an die Grenze der politischen und rechtlichen Nötigung gekommen sind.
Es reicht nicht aus, das mit Moral zu entschuldigen.
Trotzdem brauchen wir über dieses Thema eine neue Diskussion mit der Fragestellung: Wie gehen wir mit der Ressource Umwelt um, insbesondere mit der Ressource Weltmeere? Wenn das Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie zwar Kritik geäußert hat, aber keine Gefahr für Mensch und Umwelt gesehen hat, so kann ich das kaum verstehen. Denn bei der „Brent-Spar"-Anlage war es ein erster Versuch, die Entsorgung im Meer vorzunehmen. Es war eine relativ kleine Anlage. Wenn wir darüber diskutieren, daß noch etwa 400 Anlagen auf eine Entsorgung warten, muß man logischerweise die Frage stellen: Was passiert mit den anderen 399 oder auch mit den Schiffen, die noch versenkt werden sollen? Ich denke, daß wir hier handeln müssen.
Die Richtlinie über die Beseitigung muß dringend überarbeitet werden. Wir brauchen neue Techniken zur Entsorgung und zur Wiederverwendung dieser Anlagen. Auch das ist wichtig. Wir brauchen eine
neue Konvention zum Schutz der Weltmeere vor Müll, Schadstoffen und Abwässern. Auf Deutschland und auf Europa kommt die große Aufgabe zu, in diesem Bereich Vorreiter in der Welt zu sein.
Wir müssen internationale Abkommen erzwingen und dürfen nicht die Praxis der letzten Jahre fortführen, die so aussieht, daß wir einem schlechten Gesetz nur deswegen zustimmen, um ein noch schlechteres zu verhindern. Hier muß entsprechend gehandelt werden.
Ich denke, in die gesamte Diskussion muß auch eingebracht werden, daß frühzeitig eine Kaution zur Entsorgung dieser Inseln hinterlegt wird. Ich glaube, daß das in vielen Bereichen diese Probleme mit lösen hilft.
Zum Abschluß, meine Damen und Herren, noch eins zum Thema Boykott. Ich habe am vergangenen Wochenende mit meinem Auto an einer Shell-Tankstelle getankt, weil ich weiß, daß dort ein junger Unternehmer Pächter ist, der dringend auf den Umsatz angewiesen ist, der das Risiko eingegangen ist, sich selbständig zu machen. Ich weiß von ihm, daß er todunglücklich über das Verhalten dieses großen Konzerns war.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Dietzel, wir gratulieren Ihnen zu Ihrer ersten Rede in diesem Haus.
Das Wort hat nun die Abgeordnete Birgit Homburger.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verzicht des Shell-Konzerns - das möchte ich zu Anfang ganz klar sagen - auf die Versenkung der Ölplattform „Brent Spar" ist aus meiner Sicht ein Erfolg für Greenpeace. Es ist auch ein Erfolg für die umweltbewußte Öffentlichkeit. Vor allem aber - das sage ich ganz deutlich - ist es ein Erfolg für die Nordsee.
Einige haben gesagt, „Brent Spar" sei ein Symbol; dem kann man sich sicher anschließen. Es war aber auch ein Signal. Diese Entscheidung war das Signal, daß die Nordsee nicht als Schrottplatz oder Sondermülldeponie mißbraucht werden darf.
Erfreulich sind die breite Übereinstimmung und die überparteiliche Zusammenarbeit in diesen Bereich. Die Bundesregierung hat sich mit allen möglichen Ressorts daran beteiligt, Großbritannien darauf
Birgit Homburger
aufmerksam zu machen, daß wir die Einstellung Großbritanniens, nämlich eine Entsorgung durch Versenkung zu genehmigen, nicht teilen. Daß das so breit deutlich gemacht wurde - vom BMU, vom BML, vom Auswärtigen Amt, vom BMWi im Gespräch mit dem Industrieminister Nelson und nicht zuletzt von Bundeskanzler Kohl -, spricht für diese Bundesregierung.
Die F.D.P. hatte ja als erste die Befassung mit diesem Thema im Umweltausschuß beantragt. Ich freue mich, daß wir im Umweltausschuß parteiübergreifend einen gemeinsamen Antrag beschlossen und damit zum Ausdruck gebracht haben, daß auch das deutsche Parlament diese Entscheidung von Shell in keiner Weise billigt und dagegen vorgehen will.
Aber ich sage auch ganz deutlich: Es gibt keine Entwarnung. Die britische Regierung hat ja noch keine Genehmigung für die Entsorgung an Land erteilt. Sie hat offensichtlich Sorgen um höhere Steuerausfälle durch die Abschreibung von höheren Entsorgungskosten. Aber ich finde, das darf eigentlich nicht ausschlaggebend sein, zumal Angebote für eine Entsorgung an Land vorliegen, die nicht teurer als die Versenkung im Atlantik ist.
Es stehen ja noch über 400 Ölplattformen in der Nordsee zur Entsorgung an, allein 50 davon auf dem britischen Festlandsockel. Deswegen ist diese Debatte auch die Aufforderung an die britische Regierung, ihre Haltung zu überdenken, und eine Aufforderung an die Bundesregierung, bei der britischen Regierung weiterhin Druck zu machen.
Ich finde, wir sollten gemeinsam sagen: Was am Golf von Mexiko Standard ist, nämlich das Abwrakken der Ölplattformen an Land - auch für Shell im übrigen -, das muß auch für die Nordsee gelten.
Herr Kollege Müller, Sie haben vorhin gesagt, Greenpeace habe mehr erreicht als Frau Merkel. Während der Diskussion um die geplante Versenkung der Ölplattform hatten wir ja die Nordseeschutzkonferenz im dänischen Esbjerg. Diese Konferenz ist nicht so negativ verlaufen, wie überall dargestellt wird.
Immerhin wurde auf Betreiben der Bundesrepublik Deutschland die Nordsee endlich als Schutzgebiet im Sinn von Anhang I des MARPOL-Übereinkommens eingestuft. Das heißt, daß in Zukunft - deswegen ist das so wichtig, was vorher gerade mehrfach angesprochen worden ist - keine Einleitungen von Öl aus Schiffen mehr in die Nordsee gestattet sind.
Das ist ein weit größerer Anteil als einmal „Brent Spar" zu versenken. Das ist ein Erfolg der Nordseeschutzkonferenz; in diesem Sinne muß weitergemacht werden. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich ja hierfür schon seit 1984 eingesetzt. Das zeigt deutlich, wie lange solche Prozesse auf internationaler Ebene dauern und wie wichtig es ist, daß man hart bleibt und dranbleibt.
Bedauerlich finde ich, daß die Forderung Deutschlands auf der Nordseeschutzkonferenz nicht durchgesetzt werden konnte, die Nordsee als Schutzgebiet nach Anhang II einzustufen. Danach wäre auch die Einleitung von Chemikalien nicht mehr gestattet. Die Bundesregierung hat unsere Unterstützung, wenn sie das weiter betreibt, und wir sollten sie gemeinsam dazu auffordern. Sie muß sich weiter dafür stark machen, daß die Nordsee als Schutzgebiet nach Anhang II eingestuft wird.
Ebenso wichtig ist es, daß das OSPAR-Übereinkommen möglichst bald in Kraft treten kann. Es ist 1992 von allen Anrainerstaaten gezeichnet worden, aber bisher erst von fünf ratifiziert worden. Besonders mißlich finde ich, daß die EU-Kommission es noch nicht ratifiziert hat. Deswegen die dringende Bitte an die Bundesregierung: Machen Sie weiter Druck, daß die EU-Kornmission dieses OSPAR-Übereinkommen, das die Bundesrepublik mit vier anderen Staaten bereits ratifiziert hat, auch ratifiziert und andere Länder nachziehen, damit es endlich in Kraft treten kann! Erst dann, Herr Kollege Lennartz, ist es überhaupt möglich, ein Schlichtungsverfahren einzuleiten; denn das geht erst, wenn das OSPAR-Übereinkommen gilt.
OSPAR bedeutet ja nur - das möchte ich zum Schluß noch sagen -, daß Maßnahmen notifizierungsbedürftig sind, daß also das Mitspracherecht der Nordseeanrainerstaaten gestärkt wird. Ziel muß es meines Erachtens sein, die Entsorgung der Ölplattformen an Land rechtsverbindlich festzuschreiben und nicht nur ein Notifizierungsverfahren zu machen, also einen Schritt weiter zu gehen.
Ich möchte für meine Fraktion sagen: Wir werden uns an allen Maßnahmen beteiligen und alles unterstützen, was dauerhaft zum Schutz der Meere führt.
Vielen Dank.
Ich erteile nun das Wort der Abgeordneten Ulrike Mehl.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Beispiel der Beinaheversenkung der „Brent Spar" ist ein Beleg dafür, daß die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes Umweltschutz durchaus im Kopf haben, auch wenn das immer wieder bestritten wird. Sie sind auch bereit, ihr Verhalten sehr schnell zu ändern.
Noch nie hat ein umweltschädigendes Ereignis so schnell zu Reaktionen geführt. Ich bin sicher, daß mit zunehmenden Umweltproblemen die Bereitschaft steigen wird, für Umweltschutz auch dann das Verhalten schnell zu verändern, wenn persönliche Nachteile in Kauf genommen werden müssen. Auch dies wird ja immer wieder bestritten.
Ulrike Mehl
Ich glaube, die Menschen haben durchaus verstanden, daß die „Brent-Spar" -Versenkung nicht das Ende des Nordatlantik gewesen wäre, sondern die Wirkung durchaus symbolisch war. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben einmal sehr deutlich gemacht, daß sie nicht mehr bereit sind, umweltfeindliches Verhalten einfach in Kauf zu nehmen, auch wenn es sich um einen internationalen Konzern handelt, der viel Macht hat.
Frau Merkel, ich höre mit Freude, daß Sie etwas an dem sogenannten OSPAR-Abkommen ändern wollen. Aber vielleicht müßten Sie einmal mit Ihrem englischen Kollegen reden. Gestern noch hat der englische Botschafter geschrieben, daß auf der Nordseeschutzkonferenz mit Nachdruck insbesondere von Norwegen und Frankreich gefordert worden sei, dieses Abkommen zu lassen, wie es ist, weil sie die Option selber offenlassen wollen. Insofern wird es spannend sein, ob Einmütigkeit über die Änderung tatsächlich besteht.
Der Dank von Greenpeace wird Ihnen für Ihr Verhalten im eigenen Lande sicherlich nicht ausgesprochen. Ich will die Gelegenheit nutzen, ein paar Beispiele zu nennen, die belegen, was Sie selbst zur Meeresbelastung beitragen.
Auf der Nordseeschutzkonferenz mußte eindeutig festgestellt werden, daß die besondere Bedrohung der Nordsee durch Stickstoffeintrag nicht gestoppt ist und daß die angepeilten 50 % Reduzierung überhaupt nicht in Sicht sind, daß die Einträge sogar ansteigen werden. Hauptursache sind die Landwirtschaft, die Kommunen und der Straßenverkehr. Man kann doch einmal nachfragen, mit welchen Maßnahmen die Bundesregierung in welchem Zeitraum welche Stickstoffreduzierung erreichen zu können glaubt.
Der Bundesverkehrswegeplan wird es doch wohl sicher nicht sein.
Das Thema Landwirtschaft ist ja auch ein Trauerspiel, was Trinkwasserschutz, Bodenschutz und Erhaltung der Lebensräume für heimische Tiere und Pflanzen betrifft. Ich will nur das Beispiel der Düngeverordnung nennen. Jede Woche wird eine neue Variante vorgelegt, die immer stärker abgeschwächt ist. Wahrscheinlich wird sie am Ende so lasch sein, daß die Landwirtschaft gar nichts mehr ändern muß. Dann stehen wir in ein paar Jahren wieder vor der Frage, was wir eigentlich tun, damit die Stickstoffeinträge in der Landwirtschaft reduziert werden. Es ist jedenfalls nicht zu hoffen, daß Sie etwas ändern.
Ein weiteres, sehr prägnantes ' Beispiel ist die Waffenerprobung im Wattenmeer. Trotz massiver Proteste vor Ort, die Sie nicht hören, führt der Bundesverteidigungsminister entgegen eigenen Zusagen während der Brutzeit der Watvögel im Wattenmeer waffentechnische Übungen durch.
Während es laut Staatssekretär Wilz überhaupt nichts ausmacht, wenn in dem hochsensiblen Ökosystem Wattenmeer in der Zug- und Brutzeit ständig Hubschrauber auf Sandbänken starten und landen, Mörsergranaten ins Watt geschossen werden und Kettenfahrzeuge Salzwiesen durchfurchen, hat die Bundesregierung im Nordatlantik ihr Umweltherz entdeckt.
Ein weiteres Beispiel wäre das Thema Meere als Wasserautobahnen. Wenn Sie weiterhin Meere als Wasserautobahnen und nicht als Ökosysteme betrachten, muß man sich nicht wundern, daß wichtige Vorschriften der EU nicht umgesetzt werden. Ich rede hier von der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, die einen Ökosystemschutz darstellen soll. Das betrifft natürlich auch die Meere. Sie haben diese Richtlinie nicht umgesetzt. Die Dreijahresfrist zur Umsetzung ist am 4. Juni 1995 abgelaufen. Jetzt wird die spannende Frage aufgeworfen, ob die EG-Mittel für den Ökosystemschutz, die erhöht werden, an Deutschland vorbeifließen werden, weil die Bundesregierung drei Jahre geschlafen hat.
Bei aller Freude darüber, daß die Bundesregierung bei der „Brent Spar" Umweltinteressen vor Wirtschaftsinteressen gesetzt hat - das ist ja auch ein bißchen weiter weg von uns -, ist sie doch gut beraten, wenn sie sich selbst einmal einem Öko-Audit unterzieht, bevor sie mit dem Finger auf andere zeigt.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte an die letzte Bemerkung von Kollegin Mehl anschließen. Sie hat gesagt, die Bundesregierung soll sich öko-auditieren lassen. Ich finde das gut. Wir fangen mit dem Statusbericht der Vorgängerregierung an. Auf der Basis des Statusberichts der Vorgängerregierung können wir dann dokumentieren, welche eklatanten Fortschritte wir gegenüber SPD und anderen seinerzeit erzielt haben.
Ich greife den Gedanken gerne auf. Es ist schon gut, wenn man so eine Vorlage bekommt, Frau Kollegin Mehl.
Dr. Klaus W. Lippold
Ich habe mir gedacht, daß diese Debatte für viele in diesem Hause nicht dazu dient, sich mit dem Ereignis und mit Umweltschutz auseinanderzusetzen. Statt dessen versuchen Sie über alle Lücken wieder zur Schuld der Bundesregierung zu kommen. Das ist das alte Spiel der Opposition. Bleiben wir doch bei der Sache, um die es geht.
Der Kollege Dietzel hat einen Punkt angesprochen - ich finde das ganz hervorragend -, den ich bei Ihnen überhaupt nicht gehört habe. Warum haben Sie nicht davon gesprochen, daß wir, ähnlich wie wir eine Klimakonvention brauchen, eine Konvention zum Schutz der Meere brauchen,
zu der sich alle bekennen, Herr Kollege Schütz? Damit könnten wir systematisch wirklich etwas tun.
Eines habe ich aus dieser Debatte gelernt - das will ich einmal ganz deutlich sagen -: Wie viele Freunde der Umweltschutz auf einmal hatte!
- Der ist einer der wenigen, die permanent etwas getan haben. Darauf komme ich gleich, Herr Fischer.
Aber wie viele hier draufgesprungen sind! Mein Notizblock ist mittlerweile voll von Namen derer, die ich ansprechen werde, wenn es in diesem Hause wieder darum geht, systematisch Umweltschutz zu machen. Dann will ich einmal sehen, ob die, die Sprüche klopfen,
auch bereit sind, hier anzutreten und Butter bei die Fische zu tun, um wirklich etwas für die Umwelt zu leisten. Jetzt mit der Notiz „Ich bin auch dagegen" nach draußen zu gehen, das ist natürlich eine preiswerte Lösung.
Ich könnte Ihnen jetzt aus einem Kommentar meiner Heimatzeitung zitieren,
in dem es schlicht und ergreifend heißt: Wer jetzt alles aufspringt, wer jetzt alles euphorisch dabei ist! Wenn es um Inhalte geht, Herr Kollege Müller, dann sind Sie doch die letzten, die dazu etwas beitragen.
- Aus Ihnen spricht doch Ihr schlechtes Gewissen. Das ist doch der Punkt.
Deshalb ist es gut, daß wir öffentliche Aktion haben, daß wir öffentliches Bewußtsein haben, daß wir etwas tun und daß wir es systematisch tun. Umweltschutz ist keine konjunkturelle Geschichte - einmal hoch, einmal runter -, sondern Umweltschutz hat systematisch betrieben zu werden. Ich verspreche: Ich werde das bei all denen einfordern, die jetzt bei „Brent Spar" mal eben als Trittbrettfahrer mit aufgesprungen sind, um Popularität zu erzielen, statt systematischen Umweltschutz zu betreiben. Darauf werden wir noch zu sprechen kommen.
Im übrigen - das sage ich ganz offen - soll man bei den Mitteln durchaus darüber nachdenken, wen man trifft und wie man ihn trifft. Hier ist darüber gesprochen worden, daß der Tankstellenpächter getroffen wurde. Ich will das noch einmal ansprechen. Es trifft die Kleinen in diesem Zusammenhang und ist nicht verursacherbezogen. Deshalb ist eine systematische Politik besser als eine unsystematische Politik, die nicht den trifft, der das Problem im Grunde verursacht. Der einzig richtige Weg ist der, den die Bundesregierung eingeschlagen hat,
nämlich den Umweltschutz in Europa systematisch global voranzutreiben. Ich bin einmal gespannt, Herr Kollege Fischer, ob Sie diese Dinge dann permanent und konsequent aufgreifen.
Wenn jetzt ein Greenpeace-Sprecher sagt, diese Ölplattformen könnten doch in Zukunft bei uns entsorgt werden, weil dies sicher ist und Aufträge für unsere Wirtschaft bedeutet, dann, Herr Fischer, können wir doch auch das Waffenplutonium in Hanau entsorgen.
Das vernichtet die Arbeitsplätze dort nicht,
und wir tun etwas für den Umweltschutz und auch für die Beschäftigung.
Hier sieht man doch: Ihnen geht es eklektizistisch darum, aufzuspringen, wenn es Ihnen gerade nützt. Wenn es aber um sachliche Arbeit geht, dann sind Sie längst wieder bei einer anderen Problematik. Sprüche klopfen, aber keinen systematischen Umweltschutz betreiben - das ist doch die Crux mit der Opposition in diesem Hause; das müssen Sie sich vorhalten lassen.
Deshalb ist es schade, daß Sie diesen heutigen Punkt nicht um der Sache willen behandeln, sondern nur aus dem Grund, einmal wieder einiges gegen die
Dr. Klaus W. Lippold
Regierung loslassen zu können. Schade, daß Sie diesen guten Anlaß so mißbrauchen wollen.
Nun erteile ich der Abgeordneten Verena Wohlleben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank für das Engagement von Greenpeace. Danken möchte ich aber auch den Bürgerinnen und Bürgern, die sich engagiert und ihre Macht als Verbraucher und Verbraucherinnen genutzt haben. Es hat sich gelohnt.
Die Einsichtsfähigkeit des Shell-Managements muß dort und bei allen anderen Unternehmen, die die Nordsee bisher legal und illegal als Müllkippe benutzt haben, umgesetzt werden. Dafür ist in der Bundesrepublik und europaweit mehr politischer Druck erforderlich.
Ich wünsche mir sehr, daß die Bundesregierung und insbesondere die Bundesumweltministerin in Zukunft mit dem im Zusammenhang mit der „Brent Spar" gezeigten umweltpolitischen Rückhalt durch die Bürgerinnen und Bürger ihre Einspruchsmöglichkeiten in solchen Fällen stärker nutzen und rechtzeitig entsprechende Vorhaben bremsen.
Eine glaubwürdige Politik zum Schutz der Nordsee darf sich nicht auf Deklarationen beschränken. Sie darf sich auch nicht darauf beschränken, Briefe zu schreiben. Sie muß vielmehr Gesetze schaffen und für ihre Umsetzung Sorge tragen.
- Man kann auch vor Ort beginnen.
- Frau Kollegin, ich habe Ihnen zugehört. Ich bitte Sie, auch mir zuzuhören. Wir sind eben unterschiedlicher Meinung.
Ich darf genauso kritisieren wie Sie. Wir sind dazu da, die Bundesregierung zu kontrollieren und gegebenenfalls, wenn es angebracht ist, auch zu kritisieren. Das erlauben Sie mir jetzt bitte in aller Ruhe.
Daß viele der auf den vergangenen Nordseeschutzkonferenzen beschlossenen Maßnahmen bis heute nicht umgesetzt sind, ist ein Skandal: Zum einen, weil die Nordsee als natürlicher Lebensraum vieler Tiere und Pflanzen schützenswert ist, zum anderen, weil sie als Nahrungsquelle und Arbeitsort vieler Menschen einer schonenden Nutzung bedarf. Es geht einmal mehr um den Grundsatz, daß kurzfristige ökonomische Erfolge nicht mit langfristigen ökologischen Schäden erzielt werden dürfen.
Die Umsetzung von Schutzmaßnahmen für die Nordsee korrespondiert aber auch mit Maßnahmen zur Abwasserbehandlung und damit der Verminderung des Eintrags von Schadstoffen. Dies wird in unseren Gemeinden in Umsetzung der entsprechenden EG-Richtlinie seit einigen Jahren mit Volldampf durchgeführt: Kanäle werden saniert und erneuert, Kläranlagen nachgerüstet und modernisiert.
In meiner Heimatgemeinde Lauf bedeutet dies z. B. Kosten in Höhe von 54 Millionen DM, die den städtischen Haushalt ganz enorm belasten. Diese Kosten werden auf die Bürgerinnen und Bürger umgelegt; die Umlage erfolgt über den Wasser- und Abwasserpreis und über Anliegerbeiträge. Das ist auch in Ordnung. Aber im Umkehrschluß muß das dann auch heißen: So wie jeder Bürger und jede Bürgerin vom Gesetzgeber verpflichtet wird, sein Abwasser an die Kanalisation anzuschließen und sich an die Auflagen des Umweltschutzes zu halten, genauso muß auch dafür Sorge getragen werden, daß Ölförderfirmen und -verkäufer gesetzlich verpflichtet werden, die dafür benötigten Materialien und Anlagen so zu entsorgen, daß dies für die Umwelt zumutbar und verträglich ist.
Dazu muß die Entsorgung durch entsprechende Pflichtrücklagen finanziell abgesichert werden. Dies kann und darf nicht von Fall zu Fall entschieden werden.
Noch weniger hilfreich ist es, wenn aus populistischen Gründen und viel zu spät freundliche Briefe geschrieben werden, weil sich eine hochsensibilisierte Öffentlichkeit auflehnt. Das ist einfach zuwenig.
Das von Shell vorgebrachte Argument der wirtschaftlicheren Entsorgung durch Versenkung in der Nordsee kann von den Bürgerinnen und Bürgern nur als Hohn empfunden werden. Wenn wir uns den Umweltschutz etwas kosten lassen, dann gilt dies für alle Beteiligten und für alle Verursacher. Für Shell kön-
Verena Wohlleben
nen im europäischen Verbund keine anderen ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien gelten als für die Bürgerinnen und Bürger in meiner Heimatgemeinde Lauf und anderswo.
Ich fordere deshalb die Bundesregierung noch einmal mit allem Nachdruck auf, das mit den Aktionen zu ,,Brent Spar" von den Bürgerinnen und Bürgern dokumentierte Umweltbewußtsein endlich auch in praktische Politik umzusetzen.
Wer den Kommunen immer mehr Aufgaben anlastet, wer den Bürgerinnen und Bürgern ständig mehr Geld aus der Tasche zieht, wer angeblich aus hehren und Hilfe gebenden Gründen die Gewerbekapitalsteuer abschaffen will und damit den Gemeinden eine tragende Säule ihrer Existenz nimmt, muß auch dafür sorgen, daß Unternehmen, die mit der Ölförderung in der Nordsee viel Geld verdienen, die Folgelasten tragen, daß sie von Anfang an die spätere Entsorgung an Land für ihre Ölplattformen mit einkalkulieren. Dies muß gesetzlich geregelt werden. Es stehen noch etliche davon in der Nordsee - und nicht nur von der Firma Shell.
Die Bundesregierung hat noch viel zu tun. Ich fordere Sie dazu auf. Wir sind gerne behilflich.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Peter Ramsauer das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nun ist also in allerletzter Minute bei Shell doch noch die Vernunft eingekehrt, aber ich frage mich wirklich: Muß im Jahr 1995 wirklich erst internationaler Protest größten Ausmaßes losbrechen, damit etwas wie im Falle von „Brent Spar" verhindert wird? Muß wirklich erst ein Geist aus der Flasche entfesselt werden, der sich bis hin zu verbrecherischen Anschlägen entwickelt? Müssen wirklich erst Tausende mittelständischer Tankstellenbesitzer massive wirtschaftliche Einbußen erleiden? Muß wirklich erst das Gerücht weiter genährt werden, daß Ökologie und Ökonomie im Energiebereich nicht miteinander vereinbar sind? Und muß ein Konzern wie Shell wirklich erst seinen eigenen Ruf ruinieren?
Gerade beim Shell-Konzern stellt sich diese Frage, nachdem Shell über Jahre versucht hat, ein positives gesellschaftliches und ökologisches Image aufzubauen. Man denke beispielsweise an die Shell-Studien der 70er und 80er Jahre über die Situation der Jugend in Deutschland, die ein hervorragendes positives Echo gefunden haben. Die Strategen beim Shell-Konzern müssen wohl verrückt geworden sein, mit einer Aktion wie der bei „Brent Spar" dieses wertvolle Kapital mit einem Mal verspielt zu haben.
Offensichtlich haben manche Konzernherren die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt. Ein Vorredner hat darauf hingewiesen, daß wir erst vor drei Wochen in einem anderen Fall, nämlich beim Boykott des Stromeinspeisungsgesetzes, eine gewisse Parallele zu dem diskutiert haben, was wir heute wieder diskutieren.
Da wird von Shell argumentiert, die Demontage der Bohrinsel an Land koste 65 bis 80 Millionen Dollar, die Versenkung jedoch nur 16 Millionen Dollar. Spätestens jetzt dürfte man erkannt haben, daß der immaterielle plus der materielle Schaden für den Shell-Konzern ein Vielfaches von dem ist, was an vermeintlichen Einsparungen bei einer Versenkung erzielbar gewesen wäre.
Die höheren Kosten für die jetzt vorgesehene Demontage an Land haben aber im Hinblick auf die Kostenechtheit im Energiebereich schlechthin eine ganz besonders positive Bedeutung. Sie sind nämlich ein konkretes Beispiel dafür, daß alle externen Kosten jeglicher Energieerzeugung von Anfang bis Ende ihren Niederschlag in kaufmännischen Rechnungen und damit in Energiepreisen finden müßten,
- Herr Fischer, meine Meinung ist auch dann noch richtig, wenn sie Ihre Meinung geworden ist -,
anstatt der Allgemeinheit diese externen Kosten auf dem Wege ökologiefeindlicher Verfahrensweisen zu überantworten. Davon könnten sich im übrigen beispielsweise auch Teile der europäischen Nuklear- und Kohlewirtschaft eine dicke Scheibe abschneiden.
Welche Schlußfolgerungen ziehen wir nun daraus? Wichtiges ist schon gesagt worden. Es gibt natürlich einige Defizite, die wir zumindest mit zu verantworten haben. Diese hat natürlich nicht die deutsche Bundesregierung allein zu verantworten; denn es reicht noch lange nicht aus, daß die deutsche Bundesregierung hervorragende Vorarbeit leistet, wenn die internationale Gemeinschaft nicht bereit ist nachzuziehen.
Ich unterstütze deshalb die Initiative der Bayerischen Staatsregierung im Bundesrat, noch striktere internationale Abkommen gegen die Versenkung von Bohrinseln abzuschließen. Die Regierungen einzelner Länder dürfen nicht länger zu Lasten aller Anliegernationen bestimmen, wieweit der Schutz der Weltmeere geht.
Dr. Peter Ramsauer
Meine Damen und Herren, als Wirtschaftspolitiker fordere ich den Shell-Konzern auch dazu auf, seine Pächter für die Verluste zu entschädigen, die ihnen durch die starrköpfige Haltung der Konzernleitung zugefügt worden sind.
Allerdings verurteile ich genauso ausdrücklich die Drohungen und Anschläge, die gegen den ShellKonzern und Tankstellenpächter gerichtet waren.
Ich glaube, in dieser Aktuellen Stunde muß auch einmal deutlich gesagt werden: Briefbomben sind keine Argumente in einer solchen Auseinandersetzung. Sie schaffen nur falsche Märtyrer.
Ich möchte schließlich betonen, daß Greenpeace zwar eine aktive operative Rolle vor Ort gespielt hat, aber daß der Shell-Konzern und die britische Regierung ihre Haltung nicht geändert hätten, wenn nicht Theo Waigel und Bundeskanzler Helmut Kohl
- und nicht zuletzt auch der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber - sich auf internationaler Bühne nachhaltigst dafür eingesetzt und diese wirklich beispielhafte internationale Vorreiterrolle übernommen hätten.
Ihnen gilt in dieser Debatte abschließend ein herzlicher Dank.
Das letzte Wort hat diesmal der Abgeordnete Dietmar Schütz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen, die Sie, Frau Merkel und Herr Ramsauer, gestellt haben - „Hast du heute schon deine Regierung gelobt?" -, will ich gerne beantworten: Ja, wir haben sie gelobt. Wir loben sie dafür, daß sie erkannt hat es sei richtig, noch rechtzeitig auf einen fahrenden Zug aufzuspringen und sich gegen die Versenkung der „Brent Spar" zu wenden.
Im Ernst: Sie haben sicherlich immer gegen eine Entsorgung auf dem Meer Position bezogen. Aber Sie hätten das ja auch rechtzeitig tun können. Richtig loben müssen wir Greenpeace für diese beispiellose Aktion, mit der sie es geschafft hat, den drittgrößten Konzern der Welt in die Knie zu zwingen. Das, glaube ich, ist entscheidend.
Wir müssen auch die Verbraucher loben. Herr Ramsauer, ich will Ihnen zustimmen: Es ist eine neue Qualität in der politischen Auseinandersetzung, daß es die Verbraucher schaffen, durch Kaufboykotte die Politik mitzubestimmen. Beim Stromeinspeisungsgesetz haben wir das gesehen; jetzt sehen wir es wieder. Ich glaube, es ist wichtig, diese Macht zu erkennen und auch einzusetzen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten mit der Metapher „Brent Spar" nicht den Blick dafür verlieren, was in der Nordsee bisher geschehen ist. Herr Lippold hat vorhin gesagt, seit Sie an der Regierung sind, sei sehr viel geschehen. Wenn Sie sich einmal angucken, was für Erfolge wir wirklich haben, dann stellen Sie fest, daß es nicht besonders viele sind.
Seit 1987 bin ich, liebe Frau Merkel, Berichterstatter für den Bereich Nordseeschutz. Ich weiß, was für Berichte uns vorlagen. Wir haben immer wieder nachgefragt, ob etwas erreicht wurde oder nicht. Auf der jetzigen Nordseeschutzkonferenz - Sie haben darauf hingewiesen - ist der einzige materielle Fortschritt vielleicht darin zu sehen, daß wir das Sondergebiet MARPOL für Öl ausgewiesen haben.
Wir haben noch immer nicht MARPOL-Chemie. Sie haben darauf hingewiesen. Das ist kein Fortschritt.
Der weitere Fortschritt in der Nordseeschutzvereinbarung betrifft die Phosphateinleitung in die Nordsee. Aber wir haben noch immer massive Defizite hinsichtlich der Nitrateinleitung in die Nordsee. In dieser Situation stellt sich Ihr Kollege Heereman hin und sagt: Unsere Landwirte tragen dazu gar nichts bei. - Was er da erzählt, ist alles Unsinn.
Es ist noch eine massive Anstrengung zu unternehmen, den Landwirten zu verdeutlichen, Herr Wittmann, daß wir versuchen müssen, die Nitrateinspeisung in die Nordsee über die Luft- und Wasserwege und ihre Nitratbelastung zu vermindern. Das ist in der Tat eine Sache, die wir noch nicht in den Griff gekriegt haben.
Ich brauche nur meine Kollegin Ulrike Mehl - Susanne Kastner ist jetzt nicht hier - in der Frage Pestizidrichtlinien und der Belastung der Nordsee mit Pestiziden anzusehen: Da haben wir noch immer keine Erfolge.
Der Komplex „Nährstoffzufuhr und Nordsee" ist, Herr Lippold, mit sehr, sehr vielen Fragezeichen und Negativzeichen zu versehen.
Das zweite Problem ist die Ölverschmutzung. Wir haben gerade gesagt, daß wir die Ausweisung als Sondergebiet erreicht haben. Aber all die Kontrollmechanismen, die Umsetzungsmöglichkeiten, die wir schon lange hätten schaffen können, haben wir
Dietmar Schütz
nicht. Es besteht noch immer das Interesse von Nordsee-Anrainerstaaten - Norwegen und Großbritannien, vielleicht auch Frankreich -, sich, weil sie die größten Ölproduzenten in der Nordsee sind, dagegen zu wehren.
Eine weitere Anstrengung, die die Bundesregierung im Rahmen der Schutzkonferenz unternommen hat, ist die, daß Sie, Frau Merkel, eine Schutzzone für Fische ausweisen wollten. Auch das ist uns nicht gelungen. Wenn ich „uns" sage, beziehe ich mich in diese Anstrengungen mit ein.
Wenn wir beim Nordseeschutz die Metapher „Brent Spar" diskutieren, sollten wir uns aber vor Augen halten: Von den 2,5 Millionen Tonnen Fisch, die aus der Nordsee gefischt werden, werden allein von Dänemark 600 000 Tonnen als Beifang gefangen, der zu Fischmehl und Fischöl verarbeitet wird.
Unser Schutzbedarf im Nordseebereich ist massiv. Die Adressaten habe ich hier jedesmal genannt. Wir haben den Adressaten Deutschland vor allen Dingen in der Landwirtschaft und beim Verkehr, wir haben die Adressaten Norwegen und Großbritannien hinsichtlich der Ölausbeutung, und wir haben die Adressaten Norwegen und Dänemark bei der Fischausbeutung der Nordsee. Auch da ist es uns nicht gelungen, Managementsysteme für Fischfang aufzubauen, Mindestgrößen für Netzmaschen etc. durchzusetzen.
Die Esbjerg-Ergebnisse sind alles nur Absichtserklärungen. Wir haben noch immer keine verbindlichen Vorschriften. Leider haben wir die Industriefischerei nicht in den Griff gekriegt. Es ist doch ein Wahnsinn, daß wir riesige Mengen Fisch fangen, um sie dann zu Öl für unsere Öfen zu verarbeiten. Was ist das für ein Nordseeschutz?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch viel zu tun. Ich will meine Rede damit schließen, daß ich den Bogen spanne: Hinter der Metapher „Brent Spar" muß - Greenpeace sieht das genauso - der Kampf um die Nordsee weitergehen. Vielleicht finden wir wieder ein Symbol. Wir hatten schon das Symbol der Robben; jetzt haben wir das Symbol „Brent Spar", das uns vielleicht wieder die Unterstützung unserer Bürger für den Nordseeschutz sichert.
Wir Abgeordneten müssen aber auch selber dafür kämpfen, daß wir eines Tages nachhaltige Erfolge in all den kleinen Segmenten des Nordseeschutzes erreichen können. Vielleicht kann ich eines Tages sagen, daß wir weitergekommen sind und daß wir Erfolge hatten. Das sollte uns dann verbinden.
Ich danke Ihnen.
Wir sind damit am Schluß unserer Aktuellen Stunde und der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. Juni 1995, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.