Rede von
Joachim
Poß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Es ist so, Herr Kollege Hauser, daß wir gesagt haben, wir müssen jetzt das regeln, was zum 1. Januar 1996 im Gesetzblatt stehen muß. Das war unser Antrag, den Sie mit einer Stimme Mehrheit, die Sie von seiten der Koalition haben, abgelehnt haben.
- Man sieht auch an dieser Zwischenbemerkung: Es fällt Ihnen schwer, Ihre Niederlage einzugestehen, Herr Hauser.
- Doch, die Gewerbesteuerpläne der Koalition sind im ersten Anlauf gescheitert, und zwar nicht nur, weil Sie die dafür notwendige Mehrheit im Bundestag nicht gefunden haben, sondern auch deshalb, weil die Hauptbetroffenen, nämlich die Gemeinden, diese Vorschläge eindeutig abgelehnt haben.
Die kommunalen Spitzenverbände haben Sie sogar ausdrücklich aufgefordert, Ihre Vorschläge aus dem Jahressteuergesetz herauszunehmen. Obwohl Sie massive Beeinflussungsversuche unternommen
haben, die kommunale Ebene in Ihrem Sinne zu mobilisieren, ist Ihnen das nicht gelungen. Die kommunalen Spitzenverbände sind bei ihrer Position geblieben. Sie haben Ihnen bestätigt, daß Ihre Pläne unausgereift und für die Gemeinden mit großen Risiken behaftet sind.
Deswegen wurde am 12. Mai 1995 hier im Interesse der Gemeinden abgestimmt.
Die Vorschläge sind auch abgelehnt worden, weil die vorgeschlagene Gegenfinanzierung über eine Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen die investierende Wirtschaft zusätzlich belastet hätte.
Nun haben Sie in dieser Woche einen zweiten Anlauf gemacht, der am heutigen Tage abgebrochen wird.
Warum diese Hartnäckigkeit? Wem gegenüber sind Sie zu einer solchen Alibiveranstaltung verpflichtet?
Welche Zusagen und Versprechungen müssen Sie jetzt eigentlich einlösen?
Was hat sich denn in den sechs Wochen seit dem ersten Scheitern inhaltlich getan? Hat die Bundesregierung neue Vorschläge vorgelegt, hat sie ein neues Konzept entwickelt? Gibt es inzwischen einen Konsens mit den Gemeinden oder den Ländern? In der Sache gibt es nichts wesentlich Neues. Der Bundesrat lehnt die von der Bundesregierung vorgelegten Vorschläge zur Gewerbesteuer ab. Hat sich sonst noch etwas getan? Die Antwort lautet schlicht: Nein, nichts.
Das heißt, ich muß das ein ganz klein wenig einschränken: Es hat sich fast nichts getan. Immerhin hat der Bundesfinanzminister mit Datum vom 29. Mai 1995 einen Brief an die kommunalen Spitzenverbände geschrieben und darin seine Bereitschaft für weitere Verbesserungen erklärt. Er hat heute darüber berichtet. Mit diesen Argumenten möchte ich mich jetzt auseinandersetzen.
Wenn man sich diese „Nachbesserungen" näher anschaut, muß man zugeben, daß sich Herr Waigel bewegt hat.
Aber wie? Diese Bewegung gleicht einem Eiertanz.
Das wird insbesondere deutlich, wenn Herr Waigel
die sogenannte Bestandsgarantie für die verblei-
Joachim Poll
bende Gewerbesteuer anspricht. Darauf will ich ausführlicher eingehen; denn dabei wird deutlich, daß Herr Waigel die wahren Absichten dieser Koalition verschleiert, wie alle Koalitionsredner heute morgen.
Herr Waigel schlägt in seinem Brief zum einen vor, zu prüfen, ob die Gewerbesteuer ausdrücklich in Art. 106 des Grundgesetzes aufgeführt werden soll. Dies sei, so Herr Waigel, im Ergebnis eine Bestandsgarantie für die noch verbleibende Gewerbeertragsteuer. Als zweites Angebot wiederholt Herr Waigel die vom Bundeskanzler gegebene Zusage, daß eine Abschaffung der Gewerbeertragsteuer nur dann und insoweit in Frage kommen kann, als diese Steuer durch eine neue, gleichwertige Finanzierung der Kommunen ersetzt wird.
Das heißt also im Klartext: Die Abschaffung der Gewerbeertragsteuer wird danach nicht ausgeschlossen. Aber wollte Herr Waigel nicht eine Bestandsgarantie abgeben? Was gilt denn nun? Ich frage Sie - ich kann Herrn Waigel persönlich nicht mehr fragen, er ist entschwunden -:
Welche Aussage gilt? Welches Angebot an die Kommunen gilt? Gilt das Angebot von Herrn Waigel, oder gilt die Zusage des Bundeskanzlers?
Es gibt aber noch eine viel wichtigere, eine dritte Variante in diesem Spiel: die Koalitionsvereinbarung vom November 1994. In der Koalitionsvereinbarung steht klipp und klar - ich zitiere -: Es wird „eine Gemeindefinanzreform angestrebt, in der die Gewerbesteuer Schritt für Schritt mit dem Ziel der Abschaffung gesenkt werden soll„.
Also frage ich Sie, die CDU/CSU und die F.D.P.: Gilt dies, oder gilt dies nicht?
Treten Sie hier an das Rednerpult, und erklären Sie, ob die Koalitionsvereinbarung in diesem Punkte gilt oder nicht. Sagen Sie den Gemeinden endlich, was Sie wirklich vorhaben.
Also: Gilt die Koalitionsvereinbarung, oder gilt die Aussage des Bundeskanzlers, oder gilt die Aussage von Herrn Waigel, der eine Bestandsgarantie für die
Gewerbeertragsteuer abgeben will? Ich vermute einmal, in der Koalition gelten alle drei Meinungen.
Aber das ist unredlich. Sie müssen - Sie haben ja davon gesprochen, daß es im Herbst zu Gesprächen kommen wird - Ihre wahren Absichten offenlegen. Der Weg, Ihre wahren Absichten zu verheimlichen und die Gemeinden im unklaren zu lassen, führt zu nichts, jedenfalls zu nichts Gutem. Dieses Vorhaben wird scheitern, wenn Sie diesen Weg nicht verlassen.
Nach dem Brief von Herrn Waigel vom 29. Mai stehen zwei Änderungen zu Ihren Vorschlägen im Raum: Erstens soll die Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer in Art. 106 des Grundgesetzes - davon hat Herr Geis gesprochen - nicht in Form einer Kann-Bestimmung festgelegt werden, sondern als zwingende Vorschrift. Das wäre ein Fortschritt im Sinne der Gemeinden. Nur: Die angebliche Sicherheit bringt das den Gemeinden auch nicht; denn über die Höhe der Beteiligung wird in einem einfachen Gesetz zu entscheiden sein. Erst dabei wird festgelegt, was auf die Gemeinden insgesamt zu verteilen ist. Darüber, was die einzelne Gemeinde nach der Übergangslösung erhalten soll, soll erst sehr viel später entschieden werden. Also gibt es für die Gemeinden auch in diesem Punkt in der Zukunft keine Sicherheit.
Zweitens hat Herr Waigel angeboten, die Gewerbesteuer im Grundgesetz ausdrücklich aufzuführen. Aber auch hier bleibt es beim Fragezeichen. Denn wenn Ihre Koalitionsvereinbarung gilt, werden Sie versuchen, das rückgängig zu machen. Oder Sie werden versuchen, die verbleibende Gewerbesteuer so auszuhöhlen, daß davon faktisch nichts mehr übrigbleibt. Also: Auch dies ist für die Gemeinden eine Reise ins Ungewisse. Deshalb kann es für diese Vorschläge keine Zustimmung geben. Sowohl der Städtetag als auch der Städte- und Gemeindebund lehnen Ihre Vorschläge auf Grund des Schreibens von Herrn Waigel vom 29. Mai ab. Das gilt für Ihre Parteifreunde Thallmair und Seiler; das können Sie nachlesen.
Wir werden heute im Finanzausschuß beantragen - ich hoffe, Sie werden dem zustimmen -, die Beratung über die Gesetzesvorlagen zu vertagen.
- Ich halte überhaupt keine überholte Rede, sondern ich decke auf, in welchen Widersprüchen Sie sich befinden. Es ist Ihnen unangenehm, daß ich das aufdecke.
Joachim Poß
Es ist auch für die Öffentlichkeit und für die vielen Kommunalpolitiker in Ihren Reihen interessant, daß es in der Koalition keine Klarheit in der Frage der Zukunft der Gemeinden gibt.
Hören Sie doch auf, Herr Hauser, hier noch weiteren Nebel zu werfen. Wir stellen die substantiellen Fragen, denen Sie bisher ausgewichen sind. Diese Debatte dient insofern der Klarheit - vielleicht muß ich Ihnen dafür sogar dankbar sein -, um die Widersprüche in dieser Koalition aufzudecken.
Dabei geht es auch darum - auch das gehört zur notwendigen Faktenerklärung, Herr Hauser -, bei den statistischen Berechnungsgrundlagen noch mehr Fakten zu sammeln, um die notwendige Klarheit zu schaffen, die gerade von den Gemeinden gefordert wird. Nur auf einer solchen Basis läßt sich über mögliche Neuregelungen reden. Vielleicht braucht man dafür weniger als fünf Jahre. Vielleicht geht das in zwei Jahren. Ich weiß es nicht. Nur: Wir brauchen diese Grundlagen, um tragfähige substantielle Entscheidungen treffen zu können.
Wir werden uns demnächst mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Einheitswerten befassen müssen. Auch daraus werden sich Konsequenzen für die Gemeindefinanzen ergeben, nämlich bei der Grundsteuer. Vielleicht bietet sich dann, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, eine gute Gelegenheit, das Thema Gemeindefinanzreform umfassend zu behandeln.
Wir werden noch über andere Dinge reden müssen, z. B. über die Beteiligung des Bundes an den Sozialhilfekosten der Gemeinden. Das heißt, wir haben einen erheblichen Gesprächs-, Diskussions-
und Klärungsbedarf. Dabei muß das Ziel sein, die kommunale Eigenverantwortung zu erhalten und zu stärken; sie darf keinesfalls geschwächt werden.
Die Gemeinden brauchen eine klare und gesicherte Perspektive. Ein kommunales Hebesatzrecht muß als ein Eckpfeiler der kommunalen Eigenverantwortung gesichert werden. Von daher brauchen wir die notwendigen Berechnungsgrundlagen; denn Sie können doch überhaupt nicht sagen, in welchem Maße die einzelnen Gemeinden von einer Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer betroffen sind.
Sie können doch überhaupt nicht sagen, welche Ausgleichsbeträge die Gemeinden erhalten werden. Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, daß die Gemeinden gerade an dieser Frage ein vitales Interesse haben und Klarheit wünschen. Auch Sie müssen die Bedenken und Sorgen der Gemeinden ernst nehmen.
Ich frage Sie: Welche Gemeinde verliert, welche gewinnt - und in welcher Höhe? Das können Sie heute nicht beantworten. Aber dann erklären Sie doch bitte, wann Sie in der Lage sein werden, hierüber Auskunft zu geben,
und zwar Auskunft über die Auswirkungen auf die einzelne Kommune nach dem Übergangsschlüssel und nach dem endgültigen Schlüssel. Das sind die Fragen, die wir demnächst zu klären haben werden.
Eine Reform des Gemeindefinanzsystems kann nur gelingen, wenn schon im Vorfeld eine Einigung mit den Gemeinden und auch mit den Ländern erreicht wird. Es kann nicht angehen, daß sich die Koalition im Koalitionsabkommen zu Lasten der Gemeinden einigt, anschließend dem Parlament unausgegorene Vorschläge vorlegt, diese hier in aller Länge und Breite diskutieren läßt, obwohl abzusehen ist, daß diese Vorschläge scheitern. Das erleben wir in der heutigen Debatte.
- Das ist keine überholte Rede; diese Rede wird noch sehr große Bedeutung haben, im Herbst, wenn es zu Gesprächen kommen sollte.
Denn ich habe die Fragen aufgeführt, die den Gemeinden beantwortet werden müssen, Herr Hauser. Erklären Sie doch bitte hier und heute - bisher haben Sie das doch nicht gemacht , ob das, was Sie wollen, nur der erste Schritt zur Umsetzung Ihrer Koalitionsvereinbarung ist und wann und wie Sie die nächsten Schritte gemäß der Koalitionsvereinbarung zur Abschaffung der Gewerbesteuer gehen wollen. Oder wollen Sie mit Ihren Bemerkungen zum Ausdruck bringen, daß die Koalitionsvereinbarung überhaupt nicht mehr gilt? Ich meine, Sie regieren ja so, als ob es überhaupt gar keine Vereinbarung gäbe. Das ist kennzeichnend für Ihren Stil. Ich bitte Sie, Herr Hauser, und die übrigen Kolleginnen und Kollegen der Koalition: Wenn schon das zuständige Haus diese Klarheit nicht herstellen konnte und Herr Waigel mit seinem Brief mehr Verwirrung als Klarheit hergestellt hat, vielleicht ist ja von Ihnen noch jemand in der Lage, die Dinge zu ordnen und zumindest etwas über die Zukunft Ihrer Koalitionsvereinbarung zu sagen.