Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
— Drucksache 12/6538 —Wir beginnen ganz unmittelbar mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Beantwortung hat der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke übernommen.
Wir kommen zu Frage 1 des Abgeordneten Klaus Harries:
Ist der Bundesregierung der im Jahre 1993 in Paris durchgeführte Test, an dem Richter aus sieben EG-Nationen teilgenommen haben, um den Ablauf von Strafrechtsfällen nach jeweiligem nationalem Recht zu prüfen, bekannt?
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist bekannt, daß im November 1992 — und nicht im Jahr 1993, wie Sie meinen — im Pariser Justizpalast eine dreitägige Informationsveranstaltung zum Thema „Justizsysteme in Europa" stattgefunden hat. Das Bundesministerium der Justiz und das Auswärtige Amt haben dieses Vorhaben unterstützt.
Anliegen der „Europäischen Gerichtstage" war es, rund 4 000 fachkundigen Zuhörern Gemeinsamkeiten und Unterschiede der europäischen Gerichtspraxis zu verdeutlichen. Zu diesem Zweck simulierten Richter aus England, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Spanien, Portugal und Deutschland die Verhandlung ein und desselben Strafrechtsfalles nach dem Recht des jeweiligen Entsendestaates. Dem Urteilsspruch schloß sich eine Fachdiskussion mit dem juristischen Publikum an; es waren vor allem Staatsanwälte, Richter, Rechtsanwälte, Hochschulprofessoren und Studenten.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat am 28. November 1992 unter dem Titel „Rechtsprechung im Plural" ausführlich über diese Veranstaltung berichtet. Einer der beiden deutschen Teilnehmer hat die Ergebnisse der „Europäischen Gerichtstage" aus rechtsvergleichender Sicht im Oktoberheft 1993 der „Deutschen Richterzeitung" eingehend geschildert
und kommentiert. Ich darf Ihnen die Zitatstelle geben: „Deutsche Richterzeitung", 1993, Seite 381 bis 387.
Darf ich Sie, Kollege Harries, fragen, ob Sie einverstanden sind, wenn Herr Staatssekretär Funke gleich die Frage 2 beantwortet? Sie können dann Ihre Zusatzfragen anschließend stellen.
Ja, das kann zusammengefaßt werden.
Dann rufe ich auch die Frage 2 des Abgeordneten Harries auf:Ist die Bundesregierung bereit, aus diesem Test insofern für das deutsche Strafverfahrensrecht Konsequenzen zu ziehen, da dieses sich als das umständlichste, zeitaufwendigste und personalintensivste erwiesen hat?Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit, aus den Ergebnissen der „Europäischen Gerichtstage" Konsequenzen für das deutsche Strafverfahrensrecht zu ziehen.Zutreffend ist, daß einer der beiden deutschen Teilnehmer den Standpunkt vertritt, das deutsche Strafverfahrensrecht habe sich im Vergleich mit sechs ausländischen Verfahrensordnungen als das „umständlichste, zeitaufwendigste und personalintensivste" erwiesen; so Müller in der „Deutschen Richterzeitung", 1993, Seite 387.Zugleich hat er jedoch auch folgendes festgestellt:Der deutsche Strafprozeß kann sich in seiner prononcierten Rechtsstaatlichkeit in Europa sehen lassen.In diesem Zusammenhang verdient auch der Kommentar der französischen Zeitung „Libération" vom 13. November 1992 Beachtung. Dort steht:Weniger theatralisch als das französische — und weniger pompös als das englische Verfahren stieß die deutsche Verhandlung in einer Zeit der Reform des Strafprozesses auf großes Interesse beim französischen Publikum. ... Davon sollte sich der französische Gesetzgeber inspirieren lassen.
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17382 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994
Parl. Staatssekretär Rainer FunkeWenn auch die „Europäischen Gerichtstage" nur erste Eindrücke, nicht aber zuverlässige Informationen über das Strafverfahrensrecht des Auslands vermitteln konnten, so hat die Bundesregierung doch die Ergebnisse dieser Veranstaltung zum Anlaß genommen, im Rahmen eines rechtsvergleichenden Gutachtens ausloten zu lassen, ob in das deutsche Strafverfahrensrecht ohne Einbußen der Rechtsstaatlichkeit vereinfachende und beschleunigende Elemente ausgewählter ausländischer Verfahrensordnungen übernommen werden können.Anfang November 1993 wurde daher das MaxPlanck-Institut in Freiburg beauftragt, ein Gutachten zum Thema „Die Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslands" zu erstellen. Das Gutachten wird dem Bundesministerium der Justiz bereits im Sommer dieses Jahres vorgelegt werden.
Herr Harries.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für diese beiden umfassenden Antworten.
Trotzdem darf ich nachfragen: Würden Sie die Ergebnisse des Pariser Tests grundsätzlich als zutreffend ansehen, oder besteht Anlaß anzunehmen, daß sie zufällig oder vielleicht sogar manipuliert gewesen sind?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Sicherlich ist diese Darstellung mit den unterschiedlichen Prozeßabläufen nicht manipuliert gewesen; davon gehe ich aus. Es handelt sich ja um eine wissenschaftliche Bearbeitung, um die unterschiedlichen Strafprozeßordnungen plastisch darzustellen. Insoweit meine ich, daß es gut ist, daß wir uns im Bundesjustizministerium mit den Europäischen Gerichtstagen auseinandergesetzt haben bzw. auseinandersetzen und auch das Max-Planck-Institut in Freiburg gebeten haben, hier vertiefend tätig zu werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben völlig zutreffend darauf hingewiesen, daß das deutsche Strafprozeßrecht sehr liberal und rechtsstaatlich ist; daran besteht überhaupt kein Zweifel. Könnte bei Ihnen angeklungen sein, daß Sie der Auffassung sind, daß die Strafprozeßordnungen unserer Nachbarländer — ich nenne hier Frankreich und Großbritannien — weniger liberal und rechtsstaatlich sind?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Nein, das habe ich nicht gesagt und auch nicht sagen wollen; denn jede Strafprozeßordnung ist unter den jeweiligen rechtsstaatlichen Gesichtspunkten gewachsen. Man kann nicht sagen, daß Großbritannien und Frankreich weniger rechtsstaatlich sind als die Bundesrepublik Deutschland. Sie haben nur andere Strafprozeßordnungen.
Ich bin voll Ihrer Meinung und darf drittens fragen: Wenn auch die Prozeßordnungen unserer Nachbarländer liberal und rechtsstaatlich sind, die Prozesse gleichzeitig aber zügig durchgeführt werden können und sogar weniger
personalaufwendig sind, wären dies dann nicht Ziele, die für uns auch ohne Einholung eines Gutachtens, was ich vom Prinzip her durchaus begrüße, Vorbild und nachahmungswert sein müßten?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bereits am 1. März 1993 ist das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege in Kraft getreten. Damit wurden eine ganze Reihe von strafprozessualen Fragen neu geregelt. Ich glaube, wir sollten erst einmal Erfahrungen mit den neuen strafprozessualen Regeln machen; dann muß man gegebenenfalls über weitere Verbesserungen nachdenken.
Ich gebe zu, daß sich insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht die Prozesse manchmal über Jahre hinziehen. Ich erwähne in diesem Zuammenhang den Co op-Fall, also Otto und Genossen, wobei ich das nicht parteipolitisch zu verstehen bitte. In diesem Zusammenhang bin ich in der Tat der Auffassung, daß man es auch bei Beibehaltung aller rechtsstaatlichen Mittel nicht hinnehmen muß, daß sich Prozesse über zwei und mehr Jahre hinziehen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Fragen 3 und 4 des Abgeordneten Albrecht Müller werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Die Beantwortung erfolgt durch die Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Dr. Sabine Bergmann-Pohl.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Klaus Lennartz auf:
Wie beurteilt der Bundeskanzler die Bestrebungen der Pflanzenschutzmittelindustrie und der Landwirtschaft, über die EG-
Pflanzenschutzmittelzulassung den Pestizidgrenzwert der EG-Trinkwasserrichtlinie durch höhere Grenzwerte zu ersetzen, um so das bei uns verbotene Atrazin und andere ins Grundwasser und Trinkwasser gelangende Pflanzenschutzmittel verkaufen und anwenden zu können, und wie wird der Bundeskanzler angesichts des andauernden Streits zwischen Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Bundesministerium für Wirtschaft und Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bundesministerium für Gesundheit seine Richtlinienkompetenz ausüben, um auf der Grundlage der Beschlüsse des Bundesrates und des Umwelt- und Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages im EU-Agrar-Ministerrat bei der Entscheidung über die Zulassungskriterien für Pflanzenschutzmittel im Sinne eines vorsorgenden Trinkwasser- und Gewässerschutzes für die Beibehaltung des EG-Trinkwassergrenzwertes von 0,1 Mikrogramm Pestizide pro Liter einzutreten?
Herr Kollege, die Abstimmung über die in der Frage angesprochenen Punkte zwischen den betroffenen Ressorts ist noch nicht abgeschlossen. Auf jeden Fall wird sich die Bundesregierung für die Erhaltung eines hohen Schutzniveaus im Trink- und Grundwasserbereich einsetzen.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wann rechnen Sie damit, daß die Gespräche zum Abschluß
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994 17383
Klaus Lennartzgeführt werden, damit eine einheitliche Meinung der Bundesregierung in Brüssel vertreten werden kann, und reicht es nach der jetzigen Meinung der Bundesregierung aus, wenn sich die Pflanzenschutzmittelindustrie „bemüht", die unvermeidbaren Einträge in die Gewässer so gering wie möglich zu halten, oder bleibt es dabei, daß Pflanzenschutzmittel nicht ins Trinkwasser gehörten? Wie weit sind dort die Abschlußgespräche von seiten der Bundesregierung gediehen?
Herr Kollege Lennartz, die Abstimmungsgespräche laufen zur Zeit. Am 19. Januar 1994 ist erneut eine Staatssekretärsrunde vorgesehen. In diesem Zusammenhang macht es aus unserer Sicht auch Sinn, ein Gespräch mit Ihrem Parteifreund, Herrn Rappe, Vorsitzender der IG-Chemie, Papier, Keramik, am 20. Januar 1994 abzuwarten.
Ich begrüße es außerordentlich, daß Sie auch Sachverstand hinzuziehen, wenn Sie bestimmte Vorgänge in der Bundesregierung beraten. Ich kann Ihnen nur versichern, daß so etwas von mir ausdrücklich begrüßt wird.
Trotzdem hätte ich gern von Ihnen gewußt: Wie ist denn zur Zeit der Stand der Dinge? Mit welcher Zielstellung arbeiten Sie denn in den vorbereitenden Gesprächen: so, wie ich es eben gefragt habe, oder wie ist der Inhalt?
Die Zielvorstellung ist die, wie ich sie in meiner Antwort genannt habe: das hohe Schutzniveau, das wir derzeit haben, zu erhalten.
Also 0,1 Mikrogramm Pestizide pro Liter Wasser?
Frau Präsidentin, ich habe die Frage beantwortet.
Eine Zusatzfrage, Herr Kubatschka.
Frau Kollegin, der Begriff „hohes Schutzniveau" ist sehr nebulös, sehr unwissenschaftlich. Könnten Sie das bitte in Zahlen ausdrücken?
Der Gesundheitsausschuß und der Umweltausschuß haben sich beide für die derzeit bestehenden Grenzwerte ausgesprochen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.
Frau Staatssekretärin, ich wundere mich, warum die Weisheit der Bundesregierung Ihnen die Beantwortung dieser Frage zugeteilt hat, die offensichtlich sonst nicht zu Ihrem Arbeitsgebiet gehört.
Können Sie nach der Frage von Herrn Kubatschka bestätigen, daß es sich bei diesem hohen Schutzniveau um ein Verhältnis von eins zu 10 Milliarden handelt?
Frau Kollegin, zum ersten Teil Ihrer Frage: Ich kann nicht ersehen, daß das BMG hier keine Kompetenz hat. Der Trinkwasserbereich liegt in der Kompetenz des BMG.
Zum anderen zielte die Frage darauf ab, wie der Abstimmungsstand innerhalb der Bundesregierung ist. Ich habe gesagt, daß wir uns derzeit noch in der Abstimmung befinden. Im übrigen ist auch keine Eile geboten, weil die Kommission uns selbst auch noch keinen Terminplan für die Richtlinie vorgelegt hat und der genaue Textvorschlag der Kommission auch noch nicht vorliegt.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit erledigt. Danke.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr auf. Die Beantwortung erfolgt durch Staatssekretär Dr. Wilhelm Knittel.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Horst Kubatschka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung unter dem Eindruck des „Jahrhunderthochwassers" an Rhein, Mosel, Donau und Saar die Kanalisierungspläne der Donau zwischen Straubing und Vilshofen, und wie verträgt sich der geplante gigantische Donauausbau mit dem jetzt auch von der Bundesregierung erkannten Kausalzusammenhang, daß „Abertausende kleine — der neue Bebauungsplan, die kleine Bachbegradigung —, aber auch große Eingriffe in die Natur am Hochwasser mitverantwortlich gewesen" seien ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, im Erläuterungsbericht zum Raumordnungsverfahren für den Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen ist im Abschnitt „Hochwasserschutz" dargelegt, daß durch den geplanten Donauausbau die Hochwasserverhältnisse nicht verschlechtert werden. Ich zitiere aus diesem Bericht:
Die Abflußquerschnitte werden nicht verkleinert, die Fließgeschwindigkeiten im Mittel nicht vergrößert und Wasserspiegelhöhen nicht erhöht. Damit ergeben sich keine nachteiligen Veränderungen.
Der geplante Ausbau der Donau bietet jedoch die Gelegenheit, gleichzeitig die nach dem Landesentwicklungsplan Bayern notwendigen Verbesserungen an den Hochwasserschutzanlagen durchzuführen. Der geplante Ausbau der Donau kommt also insoweit dem Hochwasserschutz zugute.
Herr Kubatschka.
Herr Staatssekretär, beziehen sich Ihre Aussagen auch auf eine Ausbaumöglichkeit nach Professor Ogris?
Dr. Wilhelm Knittel, Staatssekretär: Ich denke, daß diese Ogris-Methode gegenwärtig noch untersucht wird. Nach meinen Unterlagen gehe ich davon aus, daß sich die Aussage, die ich eben getroffen habe, auf den bisherigen Ausbauplan bezieht.
Eine weitere Frage? — Bitte.
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17384 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994
Behindern nach Meinung der Bundesregierung die Ausbaupläne der Donau und auch der oberen Donau — Hochwasser kommen nicht nur im mittleren Teil eines Flusses zustande, sondern teilweise auch in den Nebenflüssen und im oberen Teil; es gibt auch hinsichtlich der oberen Donau und der Nebenflüsse Ausbaupläne — die Gefahr eines höheren Hochwassers?
Dr. Wilhelm Knittel, Staatssekretär: Ich habe mich, Herr Abgeordneter, speziell auf Ihre Frage durch das Haus vorbereiten lassen. Ich bin gerne bereit, Ihnen Ihre ergänzende Frage zum oberen Verlauf der Donau noch schriftlich zu beantworten.
Ich sehe keine Zusatzfragen mehr. Dann danke ich Ihnen, Herr Knittel. Damit ist dieser Geschäftsbereich erledigt.
Der nächste Geschäftsbereich ist der des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Frage 7 des Abgeordneten Hans Wallow wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Die Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Eduard Lintner.
Die Fragen 8 und 9 des Abgeordneten Georg Gallus werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz:
Wie ist der aktuelle Stand der Ermittlungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der PDS?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Augustinowitz, die Antwort lautet wie folgt: Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, insbesondere auch der neuen Länder, prüfen auf Grund linksextremistischer Positionen in der PDS — zu erwähnen wäre hier insbesondere die „Kommunistische Plattform"; vergleichen Sie im Verfassungsschutzbericht 1992 beispielsweise die Seite 50 — ständig die Frage der Verfassungsfeindlichkeit. Von Bedeutung ist hier die Einschätzung der neuen Länder, da der ganz überwiegende Aktionsbereich der PDS dort liegt und fast alle PDS-Mitglieder dort ansässig sind.
Der Landesverfassungschutz Bayern hat die PDS als Beobachtungsobjekt eingestuft, d. h. gemäß Art. 3 Abs. 1 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes werden Informationen gezielt gesammelt und ausgewertet. Im übrigen nehme ich Bezug auf die Antworten der Bundesregierung vom 20. Januar, Protokoll S. 11571, und vom 8. Dezember letzten Jahres, S. 17881.
Herr Augustinowitz.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung der Frage.
Ich habe diese Frage zum dritten Mal gestellt, weil ich langsam einmal eine Antwort der Bundesregierung darauf haben möchte, wann die Ermittlungen, die Überlegungen zwischen der Bundesregierung und den Ländern abgeschlossen sind. Nach zwei Jahren könnte man an und für sich erwarten, daß man zu einem Ergebnis kommt, zumal — wie Sie selber ausgeführt haben — das Land Bayern bereits zu einem Ergebnis gekommen ist, nämlich die PDS beobachten zu lassen. Meine Frage: Wann kommt denn auch die Bundesregierung mit den anderen Bundesländern zu einem Ergebnis? Können Sie da einen konkreten Zeitplan nennen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Augustinowitz, Sie sagen selber, daß die anderen Bundesländer involviert sind. Daher kann ich Ihnen naturgemäß keine Zeit nennen, weil ich nicht darüber bestimmen kann, wann diese Länder abschließend bewerten.
Im übrigen wäre es auch untypisch für die vorhandene Situation, eine abschließende Bewertung vornehmen zu wollen; denn bekanntermaßen ist die PDS natürlich eine in der täglichen Arbeit und im Fluß befindliche Organisation. Das heißt, hier müssen Entwicklungen gesehen, beobachtet und beurteilt werden, so daß von einem abschließenden Ergebnis, das dann für alle Zeit gilt, ohnehin nicht ausgegangen werden kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält es denn die Bundesregierung im Rahmen einer sorgfältigen Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der PDS nicht für erforderlich, auch eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz anzuordnen? Ich finde, selbst wenn Sie nicht zu einem abschließenden Ergebnis kommen, müssen Sie doch zumindest einmal festgestellt haben oder nicht festgestellt haben, ob Anhaltspunkte vorliegen, die es notwendig machen, daß die PDS, deren Beitrag zur Gefährdung der inneren Sicherheit Sie ja eben selber geschildert haben, endlich auch einmal beobachtet wird oder nicht beobachtet wird.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Kollege Augustinowitz, ich kann Ihnen versichern, daß in dem Moment, in dem nach Auffassung und den Erkenntnissen der Bundesregierung die PDS jene Schwelle überschreiten würde, die Bundesregierung nicht zögern würde, eine Beobachtung anzuordnen. Aber es ist naturgemäß schwierig, in diesem Feld die Voraussetzungen für solche Maßnahmen immer zweifelsfrei und beweiskräftig, gerichtsfest eben zu eruieren. In dem Stadium befinden wir uns, und deshalb kann ich Ihnen leider verläßlichere Angaben nicht liefern.
Eine Zusatzfrage, Herr Kubatschka.
Herr Staatssekretär, Sie haben unser beider Heimatland angesprochen. Konzentrieren sich die Bemühungen des bayerischen
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994 17385
Horst KubatschkaVerfassungsschutzes mehr auf die Auffindung oder auf die Beobachtung der Mitglieder?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Danach müßten Sie natürlich den bayerischen Innenminister fragen, nicht mich; denn der bayerische Innenminister handelt auf Grund des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes. Deshalb tut es mir leid; ich kann Ihre Frage wegen Unzuständigkeit nicht beantworten.
Danke.
Ich komme damit zur Frage 11 des Abgeordneten Jürgen Koppelin:
Was wurde durch die Bundesregierung veranlaßt, um den bei der Bundesregierung vorliegenden „mehreren Hinweisen" nachzugehen, wonach sich der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Dr. Uwe Barschel vor seinem Tod in Genf mit mehreren Personen getroffen haben soll?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Koppelin, soweit solche Hinweise der Bundesregierung bekanntgeworden sind, liegen sie ausnahmslos auch den zuständigen Strafverfolgungsbehörden vor. Das Bundeskriminalamt hat in diesem Zusammenhang kein Ermittlungsverfahren geführt. Eine Bewertung dieser Hinweise obliegt deshalb den zuständigen Landesstrafverfolgungsbehörden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, welche Hinweise der Bundesregierung vorliegen? Also konkret gefragt: Liegen der Bundesregierung Hinweise über Personen vor? Sind Personen genannt worden, die angeblich Barschel in Genf getroffen haben wollen, und können Sie uns diese Personen nennen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Koppelin, darf ich vielleicht Ihre Frage 12 einbeziehen? Das ist ein Zusammenhang, der es angeraten erscheinen läßt, beides gemeinsam zu behandeln.
Herr Koppelin ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Jürgen Koppelin auf:
Hat sich die Bundesregierung um Erkenntnisse darüber bemüht, ob Behauptungen zutreffen, wonach der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Dr. Uwe Barschel Beziehungen zu Waffengeschäften und Kontakt zu Waffenhändlern hatte?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Das Bundeskriminalamt hat im Zusammenhang mit dem Vorgang Dr. Barschel, wie oben erwähnt, selbst keine Ermittlungen geführt, sondern ist nur als Zentralstelle und unterstützend für die zuständigen Ermittlungsbehörden tätig gewesen. Aus dem beim Bundeskriminalamt existierenden Aktenmaterial über „Todesermittlungsverfahren Dr. Barschel" ergeben sich keine Verbindungen zwischen Dr. Barschel und Waffengeschäften.
Ich kann vielleicht hinzufügen, daß uns die Staatsanwaltschaft Lübeck telefonisch eben mitgeteilt hat, daß dort auf Grund eines Ersuchens eine Person namens Joseph Messerer zeugenschaftlich vernommen worden ist, der ursprünglich auch in der Presse gehandelt worden war. Er hat aber angegeben, daß er
sich nicht mit einem Dr. Uwe Barschel in Genf getroffen hat und daß er am 9. Oktober 1987 in Genf gewesen sei, während ja Dr. Barschel am 10. Oktober 1987 nachmittags, von Gran Canaria kommend, in Genf eingetroffen ist. Auch hier gibt es also keinen konkreten Hinweis auf eine möglicherweise vorhandene Verbindung.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich beginne mit der Feststellung, daß Sie meiner Frage ausgewichen sind.
Nachdem die Bundesregierung mir in der letzten Woche erklärt hat, es lägen ihr mehrere Hinweise vor, daß sich Dr. Barschel mit mehreren Personen vor seinem Tode getroffen hat, frage ich noch einmal, wer diese Personen sind, die er angeblich dort getroffen haben will.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Diese Hinweise haben sich als nicht ergiebig erwiesen. Sie stehen nicht im Zusammenhang mit Dr. Uwe Barschel — ich habe gerade versucht, Ihnen das darzutun —, so daß die Auskunft, auf die Sie sich beziehen, nicht dem heutigen Erkenntnisstand entspricht.
Bezüglich Frage 12 möchte ich wissen: Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Besuche von Dr. Uwe Barschel in der ehemaligen DDR? Denn da gibt es immer wieder Gerüchte, daß es sich dabei auch um Kontakte zu Waffenhändlern handelte.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Es gab einen entsprechenden Hinweis des Bundesamtes für Verfassungsschutz an den Generalbundesanwalt. Alle diese Hinweise haben sich aber als nicht besonders ergiebig und vor allem nicht zutreffend erwiesen.
Hat es Gespräche der Bundesregierung mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Dr. Uwe Barschel gegeben, bei denen es um Waffengeschäfte ging?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Nein.
Herr Reddemann, bitte.
Herr Staatssekretär, ist es möglich, daß es sich bei dem Herrn Barschel, der am 9. Oktober 1987 bereits in einem Kreis von möglichen Waffenhändlern angetroffen worden sein soll, um einen anderen Mann namens Barschel handelt, der in der Nähe von Genf wohnt?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Unsere Erkenntnisse reichen zur Beantwortung dieser Frage nicht aus.
Herr Gansel.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihren Antworten entnehmen, daß es im Zusammenhang mit dem Tod von Uwe Barschel bei mehreren Strafverfolgungsbehörden noch mehrere Ermittlungsverfahren gibt?
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17386 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Nein.
Sie sagten, Sie haben es d e n Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Moment, Herr Kollege Gansel. Sie haben gefragt, ob es Ermittlungsverfahren gegeben hat. Da muß ich antworten: Nein. Daß es gewisse Hinweise gegeben hat, habe ich in meiner ersten Antwort bereits deutlich gemacht. Allerdings waren sie alle nicht einschlägig, nicht ergiebig, so daß sich daraus keine förmlichen Verfahren ergeben haben.
Meine zweite Frage, die ich eigentlich lieber von Herrn Schmidbauer beantwortet hätte, der neben Ihnen, Herr Staatssekretär, sitzt,
bezieht sich auf die Meldung des „Spiegel" vom Montag. Danach soll der Leitende Oberstaatsanwalt in Lübeck, Herr Joachim Böttcher, „das Bundeskanzleramt über Informationen in Kenntnis gesetzt haben", nach denen auf Grund eines Berichtes eines V-Mannes des BND in Hamburg bekanntgeworden sei — was nicht gerichtsverwertbar sei — , daß es ein Treffen von Barschel mit Waffenhändlern und einem Sohn Khomeinis in Genf am 9. Oktober 1987 gegeben haben könnte. Ich frage dazu: Ist dieser Bericht des Leitenden Oberstaatsanwalts der Bundesregierung auf dem Dienstweg zugegangen, also über die Landesregierung SchleswigHolstein, oder handelt es sich dabei um einen Informanten eines Informanten? Sind solche Informationen üblich?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Meines Wissens ist der Bundesregierung kein offizielles Schriftstück dieses Inhalts zugegangen. Es gab einen Hinweis über den BND, der an die Staatsanwaltschaft weitergegangen ist, der sich aber auch nicht als ergiebig erwiesen hat. Im übrigen darf ich in dem Zusammenhang für alles, was den BND angeht, auf die Zuständigkeit der PKK verweisen.
Ich habe nach dem Dienstweg gefragt.
Die Antwort war: Es gibt keinen offiziellen Vorgang.
Herr Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, alle vorhandenen Erkenntnisse, aber auch Nicht-Erkenntnisse über den ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Dr. Barschel und seinen Aufenthalt in Genf und die zugrunde liegenden Dokumente dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des schleswig-holsteinischen Landtags zuzuleiten — falls, und soweit das noch nicht geschehen ist —, der ja auch mögliche Verwicklungen des ehemaligen Ministerpräsidenten Dr. Barschel in Waffengeschäfte untersucht?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kuhlwein, die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, im Rahmen des Üblichen den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß im schleswig-holsteinischen Landtag zu unterstützen.
Danke. Damit ist dieser Fragenkomplex abgeschlossen.
Die Frage 13 des Abgeordneten Ludwig Stiegler wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herr Kollege Reddemann, sind Sie damit einverstanden, daß die Fragen 14 und 15 im Verbund beantwortet werden?
Keine Probleme! Ich bin einverstanden.
Ich rufe die Fragen 14 und 15 des Kollegen Reddemann auf:
Gibt es unmittelbare oder mittelbare Financiers, von denen die sogenannte Liberaldemokratische Partei Rußlands Wahlhilfe erhalten hat?
Können Gelder aus deutschen Kassen über die in den Niederlanden registrierte Firma eines russischen Staatsbürgers an die sogenannten Liberaldemokraten Rußlands gezahlt worden sein, und ist es denkbar, daß hierbei eine parteinahe Stiftung unter Verwendung von Bundesmitteln behilflich war?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reddemann, beginnen wir mit der Antwort auf Frage 14.
Derzeit liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse darüber vor, ob durch Herrn Girke oder seine Berliner Firma TVO GmbH — ausgesprochen: Treuhandverwaltungs- und Organisationsgesellschaft —, die am 6. Januar dieses Jahres auf Grund eines von der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR beantragten Durchsuchungsbeschlusses Ziel von Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen war, der Wahlkampf von Wladimir Schirinowski bzw. der „Liberal-Demokratischen Partei Rußlands" unterstützt worden ist.
Nach im einzelnen derzeit nicht verifizierbaren, vagen Hinweisen soll Schirinowski im russischen Wahlkampf mit größeren Geldbeträgen aus Kreisen der DVU — „Deutsche Volksunion" — unterstützt worden sein.
Zur Frage 15 kann ich sagen, daß uns dazu keinerlei Erkenntnisse vorliegen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich habe dazu keine weitere Frage.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern abgeschlossen. Vielen Dank, Herr Lintner.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Die Beantwortung der Fragen nimmt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb vor.Wir kommen zur Frage 16 des Kollegen Gernot Erler:
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994 17387
Präsidentin Dr. Rita SüssmuthZugunsten welcher Länder sind in den Jahren 1990, 1991, 1992 und 1993 von der Bundesregierung Hermes-Bürgschaften, die sich auf die Lieferung von militärischen Gütern beziehen, übernommen worden, und welchen Wert hatten diese Bürgschaften im einzelnen?
Kollege Erler, in den Jahren 1990 bis 1993 hat die Bundesregierung Hermes-Bürgschaften für den Export militärischer Güter in Höhe von insgesamt 1,42 Milliarden DM übernommen. Die Länder, in die Hermes-gedeckte Lieferungen militärischer Güter erfolgten, sowie die Höhe der entsprechenden Bürgschaften ergeben sich aus den Meldungen der Bundesregierung an den Haushaltsausschuß.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie fragen, ob sich Ihre Angaben auch auf das zweite Halbjahr 1993 beziehen; denn mir liegen Informationen aus den Medien, u. a. aus einem Artikel der „Badischen Zeitung" und des „Informationsbriefs Weltwirtschaft und Entwicklung", vor, wonach sich alleine die Hermes-Bürgschaften zur Absicherung von Rüstungsgeschäften im Jahre 1993 verdreifacht haben und eine Höhe von 2,26 Milliarden DM erreichen.
Können Sie diese Daten bestätigen?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, die von Ihnen zitierten Informationsquellen liegen mir nicht vor. Ich kann aber darauf hinweisen, daß die von mir genannte Zahl, nämlich 1,4 Milliarden DM in den Jahren 1990 bis 1993, auch das zweite Halbjahr 1993 beinhaltet.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie es, daß in der Vorlage des Bundesministeriums der Finanzen Nr. 151/93 an den Haushaltsausschuß vom 25. Oktober 1993 Einzelprojekte aufgeführt werden — ich will sie hier nicht alle zitieren, auch weil es sich um eine vertraulich gehaltene Information handelt —, bei denen sich eine Summe von 2,26 Milliarden DM für abgesicherte Rüstungsexportgeschäfte ergibt?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, das kann ich mir nicht erklären. Die von mir genannten Zahlen sind diejenigen, die dem Bundesministerium für Wirtschaft, d. h. dem insoweit zuständigen Ministerium, bekannt sind. Es muß sich um eine von mir nicht näher zu erklärende Unstimmigkeit handeln.
Wir kommen zur Frage 17 des Abgeordneten Gernot Erler:
Nach welchen Kriterien wurden und werden Anträge auf Hermes-Bürgschaften für Lieferungen von Waffen und militärischen Gütern geprüft, und welche Rolle spielt bei der Vergabe die Menschenrechtssituation in dem Empfängerland?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, Anträge auf Hermes-Bürgschaften für derartige Lieferungen werden zum einen wie Bürgschaftsanträge für sonstige Exportgeschäfte nach den
üblichen Richtlinien insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Förderungswürdigkeit des Ausfuhrgeschäfts geprüft. Zum anderen werden solche Anträge jedoch zusätzlich nach den ausfuhrkontrollpolitischen Grundsätzen beurteilt, wie sie von der Bundesregierung für den Export von militärischen Gütern entwickelt wurden. Das bedeutet, daß kein entsprechendes Ausfuhrgeschäft in Deckung genommen wird, für das keine Ausfuhrgenehmigung vorliegt.
Darüber hinaus kann im Einzelfall die Förderungswürdigkeit eines solchen Ausfuhrgeschäfts auch dann abgelehnt werden, wenn die Ausfuhrgenehmigung vorliegt. Die Menschenrechtssituation im Empfängerland wird im Rahmen der Prüfung der Förderungswürdigkeit eines solchen Geschäftes berücksichtigt.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie mir zu Ihren vorherigen Ausführungen noch die Anregung, daß Sie mir vielleicht in schriftlicher Form eine Abgleichung dieser sehr ungleichen Tatbestände übermitteln könnten.
Nun aber zu dem Komplex, den Sie eben angesprochen haben: Können Sie dem Hohen Haus erklären — wenn Sie auf die Kriterien für Rüstungsexportgeschäfte aus der Bundesrepublik Bezug nehmen, wie Sie das soeben getan haben —, wieso es im deutschen Interesse liegt, in die Tschechische Republik, nach Argentinien, in die Philippinen, nach Botsuana und Swasiland Hubschrauber Hermes-kreditiert und Hermes-abgesichert zu liefern?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, ich habe bereits darauf hingewiesen, und kann es insofern nur wiederholen, daß die Förderungswürdigkeit geprüft wird, und zwar auch in jedem Einzelfall. Ich vermute, daß sich bei den von Ihnen zugrunde gelegten Entscheidungen jeweils im Einzelfall auch der Bundessicherheitsrat mit solchen Fragen befaßt hat.
Über die Umstände, die zu einer entsprechenden Entscheidung geführt haben, d. h. zur Erteilung der Exportgenehmigung, kann ich hier nichts Näheres sagen. Ich habe jedoch darauf hingewiesen, daß beides zusammen, nämlich die Ausfuhrgenehmigung und die Förderungswürdigkeit nach den allgemeinen Grundsätzen, es ermöglicht, daß entsprechende Geschäfte in Deckung genommen werden. Das scheint dann hier der Fall zu sein.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie dazu zusätzlich fragen, wie es kommen kann, daß Angaben über die Verwendung von Steuergeldern deutscher Bürger in Form von Risikoabsicherungen nach dem Hermes-Prinzip, wenn sie sich auf Rüstungsgüter beziehen, geheimgehalten werden? Dies führte hier ja zu offensichtlichen Unstimmigkeiten zwischen dem Wirtschaftsministerium und dem Finanzministerium. Was ist der Grund dafür, daß die Öffentlichkeit nicht darüber informiert wird, in welchem Umfang — es geht wohl um viele Millionen D-Mark — solche Risikoabsicherungen in bezug auf Rüstungsexportgeschäfte vorgenommen werden?
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17388 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, soweit Sie damit das Verfahren meinen, daß der Haushaltsausschuß als Vertreter quasi der Öffentlichkeit hier über entsprechende Zahlen informiert wird, entspricht das einer Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und dem Parlament. Ich gehe davon aus, daß, nachdem das in der Vergangenheit nicht zu Beanstandungen geführt hat, bisher eine allgemeine Zufriedenheit mit diesem Verfahren gegeben war.
Zusatzfrage, Herr Kollege Hirsch.
Herr Staatssekretär, da ich annehme, daß zu den allgemeinen Kriterien, die Sie erwähnt haben, auch das politische Risiko und die wirtschaftliche Interessenlage gehören, können Sie uns dann in Anbetracht des ja ganz ordentlichen Gesamtvolumens der Bürgschaften sagen, in welchem Umfang diese Bürgschaften notleidend geworden sind, also tatsächlich in Anspruch genommen wurden?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, über die tatsächliche Inanspruchnahme liegen mir keine Informationen vor. Da alle für den genannten Zeitraum in Rede stehenden Bürgschaften bis auf eine Ausnahme in den Kreis der NATO-Länder gegangen sind und hier eine — so will ich es nennen — besondere Bonität zu erwarten ist, gehe ich davon aus, daß bisher keine Inanspruchnahmen aus diesen Geschäften erfolgt sind.
Brauchen wir sie denn dann?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, das ist natürlich eine Frage, die Sie den jeweils die Bürgschaften beantragenden Unternehmen stellen müßten. Es ist den Unternehmen unbenommen, aus Gründen zusätzlicher Sicherheit im Einzelfall entsprechende Bürgschaften zu beantragen.
Herr Gansel.
Herr Staatssekretär, da Rüstungsexporte in Staaten außerhalb der NATO nach den eigenen Richtlinien der Bundesregierung nur stattfinden sollen, wenn im Einzelfall vitale Interessen der Bundesrepublik für eine ausnahmsweise Genehmigung sprechen, und die Bundesregierung dann sagt, vitale Interessen sind außen- und sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen, möchte ich Sie um Erläuterung bitten, welche vitalen außen- und sicherheitspolitischen Interessen und welche Interessen der NATO die Bundesregierung bewogen haben, Hubschrauber ausgerechnet nach Botsuana und nach Swasiland zu liefern. Wissen Sie ungefähr, wo das liegt?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, das dürfen Sie unterstellen. Ich weiß in etwa, wo diese Länder liegen.
Bei den mir vorliegenden Informationen — —
— Das ist richtig. Aber es handelt sich hierbei nicht um das von mir zitierte Land außerhalb der NATO, in das nach meinen Informationen im Zeitraum 1990 bis 1993 entsprechende Güter geliefert bzw. hierfür Genehmigungen erteilt wurden und auch Bürgschaften gewährt worden sind.
Frau Steen.
Herr Staatssekretär, in die Kreditzusage für Rüstungsexportgeschäfte ist ja auch Indonesien einbezogen. Können Sie bestätigen, daß über die Kreditzusage zur Aufrüstung oder — ich sage einmal — zu dem Kauf der ehemaligen NVA-Schiffe hinaus neuerdings auch eine Kreditzusage der Bundesregierung vorliegt, drei neue U-Boote zu bauen und an Indonesien zu liefern?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der hier in Rede stehende Fragenkomplex bezieht sich auf Hermes-Bürgschaften. Bei Hermes-Bürgschaften handelt es sich eben nicht um Kreditzusagen, sondern um die Absicherung von Lieferantenkrediten. Dieser Komplex ist also hier ausdrücklich nicht angesprochen.
Danke.Die Frage 18 des Abgeordneten Norbert Gansel wird auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Wir kommen zur Frage 19 des Abgeordneten Norbert Gansel:Wie ist die Nuklearexportpolitik gegenüber dem Iran, und ist der Bundesregierung der Artikel in der New York Times vom 29. Dezember 1993 über die „Israeli-German-Czech connection" bekannt?Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, zu Ihrer Frage:Erstens. Ausfuhrgenehmigungen für kerntechnische Zulieferungen in den Iran werden nicht erteilt. Die Bundesregierung hat im Juni 1991 endgültig entschieden, alle Anträge auf Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen für das Kernkraftwerk Buschir abzulehnen. Diese Haltung ist unverändert.Die Bundesregierung hat auch durch die Einführung der Vorschriften der §§ 5 d und 45c der Außenwirtschaftsverordnung alle bisher nicht genehmigungspflichtigen Waren und Fertigungsunterlagen einer Ausfuhrgenehmigung unterstellt, wenn sie für die Errichtung, den Betrieb oder zum Einbau in eine Anlage für kerntechnische Zwecke bestimmt sind,
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994 17389
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. KolbKäufer oder Bestimmungsland u. a. der Iran ist und wenn der Ausführer Kenntnis von diesem Zusammenhang hat. Auf Grund dieser Vorschriften wurde die Ausfuhr bisher nicht genehmigungspflichtiger Komponenten für das Kernkraftwerk Buschir versagt.
— Herr Kollege Gansel: bisher nicht genehmigungspflichtiger Komponenten versagt.
Herr Gansel, der Herr Staatssekretär ist noch mit der Beantwortung Ihrer Frage beschäftigt. Sie kommen gleich dran.
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Genau. Ich würde vorschlagen, Herr Kollege Gansel, daß ich vielleicht zunächst den zweiten Punkt zu Ihrer Frage 19 ausführe.
Hierzu ist anzumerken: Die Bundesregierung kennt den zitierten Artikel der „New York Times" vom 27. Dezember 1993. Der für die Koordinierung der Nachrichtendienste zuständige Staatsminister beim Bundeskanzler, Bernd Schmidbauer, hat bereits am 29. Dezember die in der „New York Times" vom 27. Dezember 1993 aufgestellten Behauptungen, nach denen Deutschland dem Iran bei der Beschaffung westlicher Nukleartechnologie behilflich sei, als ungerechtfertigt und völlig aus der Luft gegriffen zurückgewiesen.
Er hat betont, die Bundesregierung betreibe seit Jahren im Bereich der Nukleartechnik eine äußerst restriktive Exportpolitik; sie setze sich national und international für die Nichtverbreitung von Kernwaffen ein; demgemäß genehmige die Bundesregierung seit Jahren keine nuklearrelevanten Exporte in den Iran. Es gebe auch keine Überlegungen innerhalb der Bundesregierung, künftig von dieser sehr restriktiven Linie abzuweichen.
Der Staatsminister betonte weiterhin, daß die Bundesregierung ihr Exportkontrollsystem sowohl in rechtlicher wie in personeller Hinsicht in den vergangenen Jahren systematisch ausgebaut habe, um dadurch dem unzulässigen Export von rüstungsrelevanten Technologien wirksam begegnen zu können.
Es liegen keine Hinweise darauf vor, daß deutsche Firmen versuchten, unser restriktives Exportkontrollsystem, das im übrigen auch in den USA Anerkennung findet, zu umgehen. Das in dem Artikel genannte deutsche Unternehmen hat nach seinen eigenen glaubhaften Bekundungen schon vor Wochen dementiert, mit iranischen Stellen über die Lieferung von Kerntechnik gesprochen zu haben.
Herr Gansel.
Herr Staatssekretär, kann ich mich darauf verlassen, daß die Bundesregierung mit Sorgfalt und mit Verantwortung beobachten wird, ob nicht von einem oder dem in dem Artikel in der „Herald Tribune" genannten deutschen Unternehmen der Versuch der Umgehung gemacht wird, über ein Drittland Nukleartechnologien im immateriellen Sinne, also Know-how, an den Iran zu liefern?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, die Bundesregierung hat die von mir zitierte Entscheidung vom Juni 1991, keine weiteren Lieferungen von Komponenten zuzulassen, auch vor dem Hintergrund getroffen, daß in dieser Region weiterhin eine krisenhafte Lage zu verzeichnen ist und daß überdies die Sensibilität der deutschen Öffentlichkeit in diesen Fragen erheblich gestiegen ist. Sie können versichert sein, daß die Bundesregierung alles unternehmen wird, um Umgehungsexporte in diesem sensiblen Bereich zu verhindern.
Herr Gansel.
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß das Projekt Kernkraftwerk Buschir im Iran damit endgültig erledigt ist, und gibt es bei der Beendigung oder Rückabwicklung dieses Geschäfts die Inanspruchnahme von HermesBürgschaften oder sonstige wirtschaftliche oder politische Kompensationen?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, die Entscheidung der Bundesregierung, keine Zulieferungen zu Buschir zuzulassen, ist endgültig. Über den Umfang oder die mögliche Inanspruchnahme von Hermes-Bürgschaften liegen mir hier jetzt keine Informationen vor. Insofern würde ich gern schriftlich darauf zurückkommen.
Zusatzfrage, Herr Koppelin.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß auch die Geschäfte des ehemaligen Ölministers von Khomeini, Herrn Khashani, beobachtet werden, der zur Zeit in SchleswigHolstein sehr aktiv ist und dort einen Flugplatz gekauft hat? Von diesem Mann ist bekannt, daß er z. B. 1983 in Belgien für den Iran Waffen im Wert von 21 Milliarden US-Dollar gekauft hat. Er wurde in Madrid wegen Waffengeschäften verhaftet. Er hat Waffengeschäfte in Amerika getätigt. Nun läßt er sich hier in Deutschland im Handelsregister z. B. mit An- und Verkauf von Flugzeugen, An- und Verkauf von Ersatzteilen, Ausbildung von Piloten usw. usw. eintragen. Ein früherer Besitzer dieses Flughafens beschuldigt sich selbst öffentlich, Geschäfte mit dem Iran getätigt zu haben, die alle nicht genehmigt sind. Erstaunlicherweise tut keiner etwas. Kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung auch diese Geschäfte des ehemaligen Ölministers von Khomeini beobachtet?Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Koppelin, der von Ihnen hier auch in Details sehr breit geschilderte Fall ist auch schon medienanhängig geworden. Ich gehe davon aus, daß der Bundesregierung insofern alle Ansatzpunkte für mögliches Handeln vorliegen, weise aber darauf hin, daß nicht das Bundesministerium für Wirtschaft dafür zuständig ist, Ihnen in dieser Frage entsprechende Antworten zu geben.
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17390 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994
Damit ist nicht nur dieser Fragenkomplex, sondern auch der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft erledigt. Herzlichen Dank.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Die Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Rudolf Kraus.
Die Fragestellerin der Fragen 20 und 21, die Abgeordnete Dr. Else Ackermann, sehe ich nicht. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Ich rufe Frage 22 des Abgeordneten Claus Jäger auf:
Wann gedenkt die Bundesregierung in Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem versucht wird, die Benachteiligung in der Rentenversicherung bei Familienmüttern, die wegen Erziehung mehrerer Kinder nicht außerhäuslich erwerbstätig sein konnten oder können, gegenüber anderen Frauen endlich zu beseitigen?
Herr Kollege Jäger, für die Bundesregierung hat die Berücksichtigung von Kindererziehung in der Altersversorgung einen sehr hohen Stellenwert. Dies beweist auch das bisher Erreichte.
Der erstmaligen Einführung von Kindererziehungsjahren im Rentenrecht im Jahre 1986, mit der eine grundlegende sozialpolitische Verbesserung vor allem zugunsten der Frauen verbunden war, folgte bereits im Jahre 1989 ein weiterer Ausbau im Rahmen des Rentenreformgesetzes 1992.
Obwohl das Rentenreformgesetz 1992 von der allgemeinen Zielsetzung bestimmt war, den Ausgabenanstieg in der Rentenversicherung zu dämpfen, dehnte es die Kindererziehungszeiten für Geburten ab 1992 auf drei Jahre aus. Zusätzlich führte es Kinderberücksichtigungszeiten bis zum 10. Lebensjahr des Kindes ein.
Zur Zeit werden in den alten Bundesländern etwa 2,8 Millionen Mütter der Jahrgänge ab 1921 und etwa ebenso viele Mütter der Jahrgänge vor 1921 mit einem jährlichen Kostenaufwand von rund 5,4 Milliarden DM durch diese Regelungen begünstigt. Insgesamt wurden für Berücksichtigung der Kindererziehung im Rentenrecht in den alten Bundesländern in den Jahren 1986 bis 1993 rund 25 Milliarden DM ausgegeben. Für die einzelne Mutter machen sich diese Verbesserungen durch eine Steigerung der monatlichen Rente um durchschnittlich rund 67 DM bzw. durch monatliche Kindererziehungsleistungen von durchschnittlich rund 82 DM bemerkbar.
Für die neuen Bundesländer sind zwar keine Aussagen zur Gesamthöhe der Kosten für die Berücksichtigung der Kindererziehung in der Rentenhöhe und zur durchschnittlichen Rentenerhöhung für die einzelne Mutter möglich, da die Zahlen auf Grund der gleichzeitig gewährten Besitzschutzbeträge nicht zuverlässig geschätzt werden können. Es kann aber immerhin gesagt werden, daß hier über 1,6 Millionen Mütter begünstigt werden, und zwar mit einem monatlichen Betrag, der sich pro Kindererziehungsjahr ab 1. Januar 1994 auf rund 25 DM beläuft.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 7. Juli 1992 dem Gesetzgeber aufgegeben, die durch die Kindererziehung bedingten Nachteile in der Alterssicherung in weiterem Umfang als bisher schrittweise abzubauen. Dies kann aber nur vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen geschehen. Das Bundesverfassungsgericht führt aus, daß dem Gesetzgeber bei der Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags eine ausreichende Anpassungszeit zusteht, und räumt ihm einen weitreichenden Entscheidungsspielraum für einen weitergehenden Ausgleich ein.
Dem Urteil ist weiter zu entnehmen, daß der Gesetzgeber Entscheidungen in diesem Bereich wie in der Vergangenheit auch künftig unter maßgeblicher Berücksichtigung der finanziellen Aspekte zu treffen hat. Allein eine volle Anpassung an die für Geburten ab 1992 geltende Regelung, also die Anerkennung von drei Erziehungsjahren für jedes Kind, würde aber sofort zu einem jährlichen Mehraufwand von rund 13 Milliarden DM führen.
Nach Auffassung der Bundesregierung wird mit den im Pflege-Versicherungsgesetz enthaltenen weitreichenden Verbesserungen bei den Pflegezeiten der in dieser Legislaturperiode gegebene Handlungsspielraum für eine Verbesserung der Alterssicherung der Frauen voll ausgeschöpft.
Herr Jäger.
Herr Staatssekretär, angesichts der von Ihnen geschilderten begrüßenswerten Schritte in den letzten Jahren, aber auch angesichts des Umstandes, daß das Bundesverfassungsgericht diese Schritte bisher noch nicht für ausreichend ansieht, um dem Ziel der Gleichstellung von Familienmüttern zu dienen, möchte ich Sie fragen, ob Ihrem Hause bekannt ist, daß der Präsident des Bundesverfassungsgerichts erst vor wenigen Wochen in Gegenwart der Bundesfamilienministerin darauf hingewiesen hat, daß das Bundesverfassungsgericht jetzt dringlich weitere Schritte bei diesem schrittweisen Ausbau seitens der Bundesregierung erwartet und daß die Geduld des Gerichts mit dem nach seiner Meinung säumigen Gesetzgeber nicht unbegrenzt sei. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Bundesregierung?
Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär: Ihre Frage, Herr Kollege Jäger, ist, welche Konsequenzen wir aus der Haltung des Verfassungsgerichts zu ziehen haben, was wir bedenken und was wir tun müssen. In der Antwort auf Ihre Frage sagte ich bereits, daß wir glauben, der Handlungsspielraum — das Bundesverfassungsgericht hat ja immer anerkannt, daß das Gesamte im Rahmen unserer wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten stattzufinden hat — sei mit dem ausgeschöpft, was wir im Augenblick tun: indem wir die Leistungen zugunsten der Frauen in der Pflegeversicherung deutlich ausbauen. Denn es sind in erster Linie Frauen, die pflegen. Es gibt darüber hinaus noch eine ganze Reihe von anderen, weniger großen Initiativen.
Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994 17391
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß sich in einem solchen Fall der Handlungsbedarf auch nach der Schwere der zu beseitigenden Ungerechtigkeit richten muß, die in diesem Falle ganz besonders groß ist, wenn man bedenkt, daß die Familienmütter durch ihre Erziehungsleistungen die Renten all derjenigen mitfinanzieren, die solche Erziehungsleistungen nicht oder nicht in diesem Ausmaß erbringen, sich aber während dieser Zeit schöne und ordentliche Altersrenten aufbauen können, während die Familienmutter mit dem zufrieden sein muß, was ihr im Augenblick gewährt wird?
Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung, Herr Kollege Jäger, teilt Ihre Auffassung, daß die Schwere der Benachteiligung in der Prioritätenliste eine Rolle spielen muß, daß sich also danach bemessen sollte, in welchem Zeitablauf und mit welcher Schnelligkeit hier neue Leistungen erbracht werden müssen.
Ich komme zu den Fragen 23 und 24 der Abgeordneten Antje-Marie Steen:
Kann die Bundesregierung darüber Auskunft geben, wie viele Steuerkarten aufgrund der Hinterlegungspflicht bei den Arbeitsämtern abgegeben wurden, welche Auswirkungen diese Hinterlegungspflicht auf die Verhinderung der sogenannten Schwarzarbeit hat?
Kann die Bundesregierung Auskunft über die Kosten geben, die durch die Hinterlegungspflicht der Lohnsteuerkarten bei den Arbeitsämtern durch erhöhten Verwaltungsaufwand, wie Annahme, Ablage, Zurücksendung der Steuerkarten, sowie für Portokosten bei der Rücksendung entstehen, und welche Erwartung setzt die Bundesregierung in diese Regelung?
Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Steen, die Pflicht, die Lohnsteuerkarte beim Bezug von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit beim Arbeitsamt zu hinterlegen, wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms eingeführt. Die Hinterlegungspflicht besteht daher seit einem halben Jahr. Die Bundesregierung kann keine Auskunft darüber geben, wie viele Steuerkarten seit dieser Zeit bei den Arbeitsämtern abgegeben wurden, weil das statistisch nicht erfaßt wird.
Die Hinterlegung der Lohnsteuerkarte bei den Arbeitsämtern erhöht die Hemmschwelle für den ungerechtfertigten Bezug von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Ordnungsgemäß handelnde Arbeitgeber verlangen bei Beginn der Beschäftigung eines Arbeitnehmers die Lohnsteuerkarte. Der Leistungsempfänger muß die Lohnsteuerkarte also vom Arbeitsamt zurückverlangen, um sie dem Arbeitgeber vorlegen zu können. Das Arbeitsamt erfährt damit vom Ende der Arbeitslosigkeit des Leistungsempfängers.
Außerdem wird dem illegal handelnden Arbeitgeber, der die Lohnsteuerkarte vom Arbeitnehmer nicht verlangt, die Ausrede abgeschnitten, er habe nicht gewußt, daß er einen Leistungsempfänger beschäftigt. Wenn der Arbeitnehmer seine Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber nicht vorlegt, wird er ihm auch seinen Sozialversicherungsausweis bei Beschäftigungsbeginn nicht vorlegen. Dann ist der Arbeitgeber aber zur Abgabe einer Kontrollmeldung an die Einzugsstelle verpflichtet, so daß auch die Nichtvorlage
der Lohnsteuerkarte den Arbeitgeber bösgläubig macht.
Die Hinterlegungspflicht wirkt nicht, wenn der Arbeitslose als Selbständiger arbeitet oder wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer bewußt illegal zusammenwirken, wenn also eine Anmeldung bei der Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge unterlassen wird. Solche illegal handelnden Arbeitgeber und Arbeitnehmer nehmen strafrechtliche oder bußgeldrechtliche Folgen in Kauf.
Die Kontrolle, ob Arbeitgeber die Meldung zur Sozialversicherung ordnungsgemäß abgegeben haben, ist im Rahmen der Maßnahmen zur Mißbrauchsbekämpfung im letzten Jahr erheblich intensiviert worden.
Zu Ihrer zweiten Frage bemerke ich folgendes:
Durch die Hinterlegung der Lohnsteuerkarten entstehen keine zusätzlichen Personalkosten. Die Bundesanstalt für Arbeit schätzt, daß bei der gegenwärtigen Zahl von Leistungsempfängern Portokosten für die Rücksendung von Lohnsteuerkarten in Höhe von mindestens 7 Millionen DM entstehen. Diese Kosten müssen ins Verhältnis dazu gesetzt werden, daß für einen Arbeitslosen 25 000 DM jährlich von der Bundesanstalt aufgewendet werden müssen und demnach bereits bei 1 000 Fällen, in denen die Maßnahme zur Verhinderung von Leistungsansprüchen geführt hat, 25 Millionen DM an Einsparungen zu erzielen sind. Es dürfte eher von einer höheren als einer niedrigeren Zahl auszugehen sein.
Frau Abgeordnete, Sie möchten eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, in Anbetracht der weiter steigenden Arbeitslosenzahl muß die Bundesregierung davon ausgehen, daß es sich inzwischen um fast 4 Millionen Lohnsteuerkarten handelt. Dieser, wie ich es einmal formulieren möchte, Berg von Lohnsteuerkarten verursacht bei den Arbeitsämtern sehr wohl einen zusätzlichen Personalbedarf. Ist der Bundesregierung bekannt, daß in sehr vielen Arbeitsämtern die Personalstellen inzwischen eingefroren bzw. mit dem Vermerk „kw" versehen wurden und somit ein erheblicher Personalmangel besteht?
Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär: Mir ist selbstverständlich bekannt, daß eine ganze Reihe von Stellen eingespart worden sind bzw. nicht mehr besetzt werden dürfen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr, Frau Abgeordnete Steen.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß man mit dieser Hinterlegungspflicht alle Arbeitslosen vorsätzlich des Mißbrauchs bezichtigt?
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17392 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994
Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär: Diese Meinung teilt die Bundesregierung selbstverständlich nicht. Mit dieser Begründung könnten Sie jede Pflicht zum Vorlegen von Ausweisen als eine Diskriminierung ganzer Bevölkerungsschichten bezeichnen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Mir ist geschildert worden, das Zurückgreifen auf die Lohnsteuerkarte passiert während eines Jahres mehrmalig, verursacht also zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Ich bezweifle ganz erheblich, Herr Staatssekretär, daß die von Ihnen genannten 7 Millionen DM Verwaltungskosten ausreichen. Ist Ihnen bekannt, daß bis vor kurzem jede angeforderte Lohnsteuerkarte mit Einschreiben zurückgeschickt werden mußte und somit einen erheblichen Portoaufwand erforderte?
Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär: Ich habe in bezug auf diese 7 Millionen DM auch nicht vom Verwaltungsaufwand, sondern von Portokosten gesprochen. Im übrigen möchte ich nochmals betonen, daß die bisherigen Erfahrungen bei der Bekämpfung von Leistungsmißbrauch auf jeden Fall diese Maßnahmen, die wir getroffen haben, als äußerst sinnvoll erscheinen lassen.
Noch eine Zusatzfrage, bitte sehr, Frau Abgeordnete Steen.
Herr Staatssekretär, das veranlaßt mich, noch einmal ganz deutlich nachzufragen. Sie sprechen davon, daß sich die 7 Millionen DM nur auf Portokosten beziehen. Nach meiner Einschätzung hat die Bundesregierung die Verwaltungskosten bis jetzt überhaupt noch nicht ermittelt.
Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär: Ich sagte Ihnen, daß zusätzliche Personalkosten nicht entstanden sind.
Danke schön. Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde
Politische Konsequenzen aus der jüngsten Entwicklung der Asylbewerberzahlen nach Inkrafttreten der Asylgesetze
Diese Aktuelle Stunde ist von der CDU/CSU-Fraktion beantragt worden.
Zunächst hat der Abgeordnete Marschewski das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute über die Entwicklung der Asylbewerberzahlen nach Inkrafttreten der Asylgesetze sprechen, so müssen wir einen Blick zurückwerfen auf die vergangenen Jahre. Bis Mitte der 70er Jahre bewegte sich die Zahl der zu uns kommenden Asylbewerber im vierstelligen Bereich. Vor 20 Jahren waren es jährlich 9 000. 1980 hatte sich diese Zahl bereits mehr als verzehnfacht. Hätten wir nicht gegengesteuert, wären es im vergangenen Jahr mehr als eine halbe Million gewesen.Nicht, daß die entsprechend große Anzahl von Personen tatsächlich unter politischer Verfolgung gelitten hätte; nein, die Anerkennungsquoten von maximal 2, 3 oder 4 % belegen genau das Gegenteil. Sie belegen nämlich, daß Leute unter Umgehung der Zuwanderungsgesetze und unter Umgehung der Bestimmungen über die Arbeitsaufnahme nach Deutschland gekommen sind. Allein im Jahr vor der Asylrechtsänderung waren es mehr als 400 000. Es wurden auch ungefähr 400 000 in diesem Bereich abgelehnt.Dennoch, meine Damen und Herren, war der Aufschrei auf vielen gesellschaftlichen Ebenen bis in die Kirchen hinein groß, als sich die Erkenntnis von CDU und CSU nun auch bei der SPD durchsetzte, daß wir eine Änderung der Bestimmungen über das Asylrecht brauchten. Wer es noch freundlich formulierte, sprach davon, daß der Asylkompromiß in die Irre führe. Andere redeten fälschlicherweise von der Demontage eines Grundrechts, obwohl es galt, meine Damen und Herren, die Funktion dieses Grundrechts auf Asyl überhaupt zu sichern. Das haben wir getan.
Und was zeigt sich heute? — Der Asylkompromiß führt nicht in die Irre, meine Damen und Herren, er wirkt. Gegenüber dem zweiten Halbjahr 1992 sind die Zahlen um über 60 % zurückgegangen.Und es zeigt sich ein Zweites: Das Asylrecht wurde nicht demontiert, wie Teile der SPD dies gesagt haben, wie BÜNDNIS 90 dies behauptet hat und wie die PDS dies fälschlicherweise ebenfalls so formulierte. Denn in diesem Zeitraum sind über 16 000 Personen in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt worden.Und das weitere Erfreuliche: Die Bearbeitungszahlen in Zirndorf setzten sich entsprechend fort. Wir können davon ausgehen, daß Ende dieses Jahres vielleicht überhaupt kein Rückstau mehr vorhanden ist.
Aber, meine Damen und Herren, es kommen noch viele Menschen nach Deutschland — illegal —, unter Zuhilfenahme von Schleppern, denen die Asylbewerber oftmals ihr gesamtes Hab und Gut überlassen haben. Was wir tun wollen, ist, diesen Verbrechern ihr schmutziges Handwerk zu legen. Deswegen wollen wir ein Verbrechensbekämpfungsgesetz erlassen. Wir wollen diese Leute härter bestrafen. Wir wollen die Überwachung des Fernmeldeverkehrs Tatverdächtiger zulassen.Und, meine Damen und Herren, eines wirkt ebenfalls: Wir haben Rücknahmeabkommen mit Polen und mit der Schweiz geschlossen. Ich hoffe, daß wir bis Mitte dieses Jahres auch ein Abkommen mit der Tschechischen Republik werden schließen können. Dies ist ein Erfolg der Bundesregierung.Aber, meine Damen und Herren, ich hege auch die Erwartung, daß sich Österreich künftig zu konkreten
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994 17393
Erwin MarschewskiVerhandlungen über ein neues Rücknahmeabkommen bereit erklärt.
Denn wer nach Europa will — ich sage dies noch einmal ausdrücklich, meine Damen und Herren —, der muß auch in Sachen Asyl- und Ausländerrecht die europäischen Standards letzten Endes akzeptieren. Deswegen ist die Zurückhaltung Österreichs — mir jedenfalls — keineswegs verständlich.
Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren: Die Änderung des Asylrechts ist ein Erfolg. Wir haben seinen Mißbrauch begrenzt, um den wirklich politisch Verfolgten zu helfen. Dies ist und war ein Ziel, für das sich die Union seit Jahren eingesetzt hat.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Gerd Wartenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das neue Asylrecht ist ein halbes Jahr in Kraft; es liegen erste Erfahrungen vor. Es ist nicht sinnvoll, jetzt lärmend etwas dazu zu sagen.
Wir sind in einer Situation, in der wir noch eine ganze Menge Erfahrungen sammeln müssen. Danach müssen wir uns dann sehr viel Zeit nehmen, um über viele hochkomplizierte Abläufe im Bereich des Asylverfahrens, des Asylrechts und auch des Leistungsrechts zu reden. Deswegen hat die SPD-Fraktion zu den großen Komplexen des Asylrechts an den Bundesinnenminister 87 Fragen gestellt,
die dieser in der nächsten Innenausschußsitzung beantworten soll, weil nur ein Gremium wie der Innenausschuß in der Lage ist, in einem ersten Zwischenbericht seriös zu bewerten, was wirkt, was vernünftig ist und was vielleicht in absehbarer Zeit — ich hoffe, nicht in dieser Legislaturperiode — korrigiert werden muß. Denn es gibt da ja einige Probleme — es sind einige Gerichtsverfahren anhängig; endgültige Entscheidungen stehen noch aus —, insbesondere Probleme, auf die die Sozialdemokraten sehr frühzeitig hingewiesen haben. Ich denke an den mangelnden Rechtsschutz bei der Drittstaatenregelung.Gleichwohl kann man sagen: Hätte es den signifikanten Rückgang der Asylbewerberzahlen nicht gegeben, dann wäre, so glaube ich, die Stimmung in diesem Land heute sehr viel komplizierter und schwieriger. Das sollten bitte auch die bedenken, diedamals vehement gegen diese Regelung gestimmt haben.
Deswegen muß man den Kompromiß, der damals geschlossen wurde, nicht in allen seinen Teilen gut finden. Gleichwohl muß ich daran erinnern, daß nicht nur in der Politik überzogen argumentiert worden ist — von welcher Seite auch immer. Damit meine ich auch diejenigen, die dieses Thema in den zwei bis drei Jahren davor unverantwortlich demagogisch hochgepeitscht haben.
Ich möchte aber auch bitten, daß mancher sogenannte seriöse Journalist seine Artikel, die er vor dem Inkrafttreten des Asylkompromisses geschrieben hat — von der Wochenzeitung „Die Zeit" bis zur „Süddeutschen Zeitung" — noch einmal liest.
Denn eigentlich müßten heute Polen und die Tschechische Republik auf Grund der deutschen Asylgesetzgebung zusammengebrochen sein, und Asylbewerber könnten zur Zeit nur noch mit dem Fallschirm hereinkommen. Das war der Tenor der Artikel vieler bedeutender Journalisten.
Und ich bitte diese Damen und Herren, nicht immer nur die Politiker an ihre Fehlurteile zu erinnern, sondern manchmal, vielleicht ein halbes Jahr später, auch die eigenen Artikel zu lesen — das täte manchem gut — und sie mit der Realität abzugleichen.
Meine Damen und Herren, ich möchte nur einen Punkt — weil meine Kolleginnen und Kollegen zu anderen Bereichen reden werden — ganz besonders hervorheben. Das ist die noch nicht greifende Bürgerkriegsregelung. Hier muß ich den Ministerpräsidenten aller Bundesländer Vorwürfe machen. Sie hatten nach dem Kompromiß den Auftrag von allen Parteien, eine Regelung zu finden, die die Gemeinden entlastet.
Die Ministerpräsidenten haben, weil sie im Rahmen des Föderalen Finanzausgleichs andere Schwerpunkte gesetzt haben und weil sie in der Auseinandersetzung mit dem Finanzminister damals gut weggekommen sind, diesem Punkt plötzlich keine hohe Priorität mehr zugemessen. Die Gemeinden stehen deswegen nach wie vor vor großen Problemen. Ich halte es für nicht verantwortlich, was die Länderchefs da gemacht haben.
Es ist auch die Aufgabe des Bundestages, darauf hinzuweisen, daß im Asylbereich Bund, Länder und Gemeinden zuständig sind und diese Form der insti-
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17394 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994
Gerd Wartenberg
tutionalisierten Verantwortungslosigkeit, die darin besteht, daß ein Verfassungsorgan die Probleme den anderen zuschiebt, nicht mehr akzeptiert werden kann.
In der Frage der Bürgerkriegsflüchtlinge erwarten wir, daß sich die Ministerpräsidenten mit dem Bund zugunsten der Gemeinden, die die Hauptlast zu tragen haben, einigen. Dies ist eines der größten Defizite nach dem Abschluß des Kompromisses.Vielen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Hans-Joachim Otto das Wort.
Was lange währt, wird gut. Meine Damen und Herren, hat dieses Sprichwort auch bei den Asylgesetzen seine Berechtigung erfahren? Der Willensbildungsprozeß, vor allem aber das Gesetzgebungsverfahren waren zäh, streckenweise sogar quälend. Aber das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen.
Einerseits — darauf hat Kollege Marschewski schon hingewiesen — hat sich die Zahl der unberechtigten Asylbewerber mehr als halbiert. Die Zahl der Asylbewerber aus Bulgarien und Rumänien sank auf weniger als 10 %. Andererseits — das halte ich für ein besonders erfreuliches und wichtiges Faktum — steigen die Zahl und die Quote der anerkannten Asylanträge an. Das beweist, daß die tatsächlich Verfolgten entgegen allen Unkenrufen doch immer noch Zugang nach Deutschland finden. Herr Kollege Wartenberg hat zu Recht darauf hingewiesen.
Als Frankfurter Abgeordneter kann ich feststellen, daß sich die sogenannte Flughafenregelung offenbar besonders bewährt, geht dort doch die Zahl der unberechtigten Anträge überdurchschnittlich zurück. Ich sehe mich daher in meinem damaligen intensiven Drängen auf diese Regelung voll bestätigt.
Vereinzelt wird gegen die Asylnovelle noch immer der Vorwurf erhoben, sie sei inhuman. Ich möchte diesen Vorwurf zurückweisen.
Ich frage: War es denn human, wenn Hunderttausende von Menschen, darunter viele Kinder, von kriminellen Schlepperorganisationen unter falschen Voraussetzungen gegen viel Geld nach Deutschland gelockt worden sind, ohne daß diese Menschen hier in Deutschland eine Bleibeperspektive hatten? Nein, meine Damen und Herren, ich halte es für humaner, gerade diese Ärmsten der Armen von einem aussichtslosen Asylverfahren in Deutschland abzuhalten.
Trotz dieser positiven Zwischenbilanz lehnen wir Liberalen uns nicht selbstzufrieden zurück. Dazu besteht überhaupt kein Anlaß. Niemand kann wissen, ob der Rückgang der Flüchtlingszahlen dauerhaft sein wird. Teile des Gesetzespaketes laufen noch immer leer. Vor allem aber wird den Bürgerkriegsflüchtlingen — Herr Wartenberg, Sie haben darauf hingewiesen — noch immer der Sonderstatus verwehrt, und sie werden damit in aussichtslose Asylverfahren gedrängt, was unseren gemeinsamen Intentionen widerspricht. Ich schließe mich dem Appell des Kollegen Wartenberg an die Ministerpräsidenten und die Bundesregierung ausdrücklich an.
Ich halte es aber auch für ein starkes Stück, daß sich einige Kommunen — darunter Frankfurt am Main — weigern, Asylbewerber mit Sach- statt mit Geldleistungen zu unterstützen. Dies ist ein klarer und vorsätzlicher Verstoß gegen das Asylbewerberleistungsgesetz,
der nicht ohne zumindest finanzielle Konsequenzen bleiben darf.
Trotz mancher Probleme, die in Einzelfragen möglicherweise nochmals gesetzgeberischen Handlungsbedarf erzeugen könnten, sind unsere Erwartungen an die Asylreform bisher insgesamt bestätigt, teilweise sogar übertroffen worden. Einen besonders wichtigen politischen Erfolg sehe ich darin, daß wir mit unserer Asylentscheidung den rechtsradikalen Rattenfängern gehörig das Wasser abgegraben haben.
Zumindest ist in der öffentlichen Diskussion der Ausländer- und Asylfrage vieles von ihrer damaligen Brisanz genommen worden.
Meine Damen und Herren, mein abschließender, ich sage ausdrücklich: persönlicher Wunsch ist es, daß uns ähnliches auch im Bereich der inneren Sicherheit gelingen möge. Das Modell „Asyl" steht für politische Handlungsfähigkeit über Parteigrenzen hinweg. Die Bereitschaft zur Übernahme gemeinsamer Verantwortung — nie war sie wertvoller als heute.
Danke schön.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Ulla Jelpke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich sehe keine Veranlassung, hier heute eine Feierstunde zum Rückgang der Zahlen von Asylsuchenden durchzuführen. Es geht hier um menschliche Schicksale, um Menschen, die vertrieben sind, um Menschen, die verfolgt wurden. Ich weiß nicht, ob man dies in einer derartigen Aktuellen Stunde, wie es die CDU heute vorhat, überhaupt diskutieren kann.Wir wissen alle, daß die Bundesregierung äußerst erfolgreich im Verschönen von Statistiken ist. So verfährt die Bundesregierung meines Erachtens auch mit der Statistik der Asylsuchenden.Als großer Erfolg wird vom Bundeskanzler ausgegeben, daß die Zahl der Asylsuchenden um 60 % gedrückt werden konnte. Der Preis dieser Politik ist:
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994 17395
Ulla JelpkeDreimal so viele Flüchtlinge wie im Vorjahr wurden abgeschoben. 47 000 Flüchtlinge wurden direkt an der Grenze aufgegriffen
und an der Einreise gehindert. Ich frage mich, wie Sie dann überhaupt sagen können: Das ist Mißbrauch gewesen. Die Zahl der in die Illegalität getriebenen Flüchtlinge stieg drastisch an; darüber redet keiner mehr.
— Zum Beispiel das BKA hat dies gesagt.Diejenigen, die geglaubt oder gehofft haben, die Bundesregierung sei durch die Zustimmung zur Änderung des Grundgesetzes zu besänftigen oder zufriedenzustellen, möchte ich auf folgendes hinweisen: Von den versprochenen Integrationsmaßnahmen ist bisher keine einzige umgesetzt worden. Die Kollegen Wartenberg und Otto haben bereits den B-Status der Bürgerkriegsflüchtlinge angesprochen, kein einziger nämlich hat hier bisher ein Bleiberecht bekommen.
Diese Menschen werden tatsächlich in das Asylverfahren hineingedrängt und meiner Meinung nach in die Illegalität bzw. ins Ungewisse getrieben.
Meine Damen und Herren, auch die Verhältnisse im Inneren des Landes haben sich nach meiner Ansicht in bedenklicher Weise gestaltet. Art. 3 des Grundgesetzes wird mit Füßen getreten,
indem Flüchtlingen einzig wegen ihrer Herkunft die soziale Absicherung genommen wird.
Wir erleben mehr und mehr, daß die Polizei wie selbstverständlich unter dem Vorwand der sogenannten Bekämpfung der Ausländerkriminalität mit Großrazzien gegen Asylbewerberunterkünfte vorgeht. An den Flughäfen wird quasi das Regime der Apartheid eingeführt, indem BGS-Beamte Fluggäste selektieren, die ausländisch aussehen. Ich selber habe es erlebt: Deutsche rechts, Ausländer links. Das ist meiner Meinung nach dem Apartheidregime nahe.Asylsuchende werden außerdem massenhaft unter unmenschlichen Bedingungen in Abschiebeknästen inhaftiert. Die Menschen werden dort psychisch krank und im äußersten Fall in den Suizid getrieben.In diese Bilanz der Bundesregierung gehört auch, daß Amnesty International beklagen muß, daß das Asylrecht der Tschechischen Republik nicht den internationalen Verpflichtungen entspricht, die die tschechische Regierung eingegangen ist. Das bezieht sich sowohl auf die Verfahren, auf die Anerkennungsgründe und auf die Übernahme des Begriffs der sogenannten sicheren Länder.In diesen Veränderungen im Innern und an den Grenzen liegen die wirklichen Folgen der Grundgesetzänderung. Nur Zyniker können sie als Erfolg werten. Man braucht nur die Zeitung aufzuschlagen, um zu sehen, daß die Bundesregierung diesen Weg weitergehen wird.Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Schäuble, ist nicht erst seit Ende 1993 auf die Idee gekommen, Soldaten an der Grenze einzusetzen. Über ein Jahr vorher hat das BMI bereits ein Gutachten vorgelegt, wie der Artikel 87 a Grundgesetz geändert werden könnte. Schäuble läutet damit meiner Meinung nach nur die nächste Runde für den Verfassungsumbau ein.Meine Damen und Herren, das Asylrecht wird 1994 von der CSU und wahrscheinlich wohl auch von der CDU zum Wahlkampfthema gemacht. Gnadenlos schüren Sie, die CDU, die Angst vor der Überfremdung, wie Sie das selber nennen. Der CSU-Landesgruppenchef Glos drohte in Richtung aller hier in diesem Land lebenden Ausländer und Ausländerinnen, daß sich die CSU nicht von vornherein Tabuthemen diktieren lasse. Leute wie Stoiber, Lummer und Glos wollen erklärtermaßen die besseren und effektiveren Schönhubers sein.Das Schlimme in diesem Land ist aber, daß in solchen Situationen auch Sozialdemokraten sich an wirkungsvoller „Ausländer raus"-Politik profilieren wollen.
Frau Abgeordnete Jelpke, ich muß in der Aktuellen Stunde sehr auf die Einhaltung der Zeit drängen. Ich muß Sie bitten, jetzt zum Schluß zu kommen.
Ja, ich werde meinen letzten Satz beenden.
Der Regierungschef in Hamburg, Henning Voscherau, will Zuzugsgrenzen für Ausländer, wenn es sein muß, auch mit Grundgesetzänderung, einführen. Und das finde ich schon ziemlich skandalös.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Konrad Weiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, der Rückgang der Zahlen von Asylbewerbern ist kein Erfolg, den der Deutsche Bundestag bejubeln sollte oder der uns hier zu Genugtuung Anlaß geben kann. Denn die Fluchtursachen in den Ländern, aus denen die Menschen gekommen sind, die bei uns Hilfe und Zuflucht gesucht haben, haben sich nicht verändert. Der Bürgerkrieg in Jugoslawien herrscht nach wie vor. Es ist für mich kein Erfolg, zu sagen, es sind weniger Flüchtlinge aus Jugoslawien gekommen.
Ich habe im übrigen auch ein tiefes Mißtrauen gegenüber den von Ihnen genannten Zahlen. Könnte es nicht sein, daß die Zahl der Anerkennungen, die Sie jetzt als angestiegen angeben, etwa dadurch zustande gekommen ist, daß der Antragsstau, den es
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17396 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994
Konrad Weiß
zweifellos bis zur Verabschiedung der neuen Gesetzesregelung gegeben hat, ganz einfach durch eine vernünftige Bearbeitung abgebaut worden ist? Es ist doch nicht unbedingt eine Folge der Asylgesetzgebung gewesen, daß diese Anträge, die zum Teil schon seit Jahren gelegen haben, jetzt endlich bearbeitet worden sind.Anders als Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, der F.D.P. und auch zum Teil von der SPD, bin ich der Auffassung, daß durch die Neuregelung das Asylrecht in Deutschland eben nicht gewährleistet ist. Es hat eine Fülle von Einzelfällen gegeben, wo Menschen an den Grenzen, an den Flughäfen zurückgewiesen worden sind, auch Menschen aus solchen Ländern, in denen nachweislich eine Verfolgung nach internationalen Maßstäben, nach den Maßstäben der UNO, nach den Maßstäben von Amnesty International stattfindet.Ich erinnere daran, daß allein in den ersten Wochen nach der Verabschiedung des neuen Gesetzes in Frankfurt in 46 von 72 Fällen, wo eine Rückschiebung auf Anweisung des Bundesgrenzschutzes erfolgen sollte, dann zu Gunsten der Flüchtlinge entschieden wurde, daß das unrechtmäßig sei. Als offensichtlich unbegründet wurden z. B. Asylbegehren von Flüchtlingen aus Togo, aus Indien, aus Ghana, aus Liberia und aus Pakistan angesehen — trotz einer akuten und nicht zu bestreitenden Bedrohung.Auch das Konzept sicherer Drittstaaten, Herr Kollege, gewährleistet nicht den Schutz vor Verfolgung, den das Grundgesetz bis zum Mai gewährleistet hat. Es ist nicht gesichert, daß die Asylverfahren in Polen und in der Tschechischen Republik beim gegenwärtigen Zustand des dortigen Rechtssystems und der dortigen polizeilichen Organe wirklich gewährleistet wäre.
— Ich habe mir, Herr Kollege, in den vergangenen Wochen und Monaten die Arbeit gemacht — —
— Herr Kollege, machen Sie das so, wie ich es gemacht habe: Gehen Sie einmal an die Ostgrenze, sprechen Sie mit den Beamten des Bundesgrenzschutzes, die werden es Ihnen sagen, und sprechen Sie mit den Kollegen von der polnischen oder von der tschechischen Grenze.
— Es sind Hunderte, es sind Tausende von Menschen.
Herr Abgeordneter Marschewski, Herr Weiß hat das Wort. Ich möchte Sie bitten, sich ein bißchen zurückzuhalten. — Bitte sehr.
Ich höre dem Kollegen Marschewski gerne zu. Vielleicht hat er auch eine Frage zu stellen.
Vielleicht überzeugt Sie das: Es hat in Polen weniger als 150 Asylverfahren im vergangenen Jahr gegeben. Wie kann man in einem Land, in das Tausende, Zehntausende von Flüchtlingen kommen, wo aber nur 150 Anträge bearbeitet werden, davon sprechen, daß es als sicherer Drittstaat funktionsfähig sein kann?
Im übrigen ist von Ihnen das Problem der Illegalität überhaupt nicht angesprochen worden. Wir haben seinerzeit davor gewarnt, daß es mit der Novellierung des Asylgesetzes dazu kommen wird, daß die Anzahl der Illegalen, die nach Deutschland kommen, zunehmen wird. Immer mehr Menschen lernen, unter der Bedingung, wie Hanna Ahrendt es genannt hat, der absoluten Gesetzlosigkeit zu leben und in der Illegalität ihren besten und verläßlichsten Schutz zu suchen. Auch das gilt für unser Land.
Nach Aussagen der Bundesregierung selbst hielten sich 1992 neben den 438 000 registrierten Asylbewerbern 310 000 Menschen illegal in Deutschland auf. Die Folgen sind Ihnen, sind uns allen bekannt. Es ist absolute Gesetzlosigkeit. Es ist eine ansteigende Kriminalität. Das ist etwas, was wir nicht gewollt haben und was letzten Endes auch die Flüchtlinge und Asylbewerber —
Herr Abgeordneter Weiß!
— ich komme zum Ende, Herr Präsident — diskreditiert und auch dazu beiträgt, daß Fremdenhaß und Ausländerfeindlichkeit, daß Rechtsradikalismus in Deutschland zunehmen. Ich sehe das auch als eine Folge dieser Ihrer Gesetzgebung an.
Ich erteile nunmehr dem parlamentarischen Staatssekretär Eduard Lintner das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Asylbewerbersituation hat sich seit dem Inkraftreten des neuen Asylrechts am 1. Juli 1993, — wie vorausgesagt, muß ich hinzufügen — entscheidend verändert. Es ist unsere Pflicht, die Bevölkerung auch darüber zu informieren. Dies hat nichts mit Lärmen zu tun, Herr Kollege Wartenberg, sondern es dient als Nachweis für von der Bevölkerung längst und immer ungeduldiger erwartetes Handeln der Regierung und des Staates schlechthin.
Diese gravierende Wende, meine Damen und Herren, zeigte sich bereits im Juli, dem ersten Monat unter Geltung des neuen Asylrechts. Die Zahl der Asylbewerber ging von 31 123 im Monat davor auf 22 658 zurück, und sie pendelte sich in den Folgemonaten auf etwa 16 000 ein und ging im Dezember auf knapp 14 000 zurück. Insgesamt gab es in den sechs Monaten vor dem Inkraftreten des neuen Asylrechts 224 000 Asylbewerber. Im zweiten Halbjahr waren es nur noch
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werber ohne gültigen Paß oder Paßersatz, die über einen Flughafen einreisen wollen, ist das Asylverfahren auf dem Flughafen vor der Einreise durchzuführen. Diese Regelung kommt inzwischen auf den Flughäfen Frankfurt am Main, Düsseldorf, München, Hamburg und Berlin zur Anwendung. Seitdem ist auch die Zahl der Asylsuchenden auf den Flughäfen drastisch gesunken,
nämlich von 949 im Mai 1993 auf 302 im Dezember 1993. Hier ist allerdings der Vorbehalt anzubringen, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch aussteht.
Zu einer Verbesserung hat natürlich auch der konsequente Ausbau des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge beigetragen. So konnte das Amt im Jahr 1993, bezogen auf Personen, weit über 500 000 Entscheidungen treffen und die Zahl der unerledigten Verfahren von 493 000 auf jetzt 296 300 verringern.
Alle Bemühungen, meine Damen und Herren, müssen aber auch dahin gehen, mit flankierenden Maßnahmen die Tätigkeit professioneller Schleusenbanden zu unterbinden, die aus reiner Gewinnsucht über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinweg Menschenhandel betreiben. Maßnahmen hierzu sind ja, wie bekannt, eingeleitet worden.
Insgesamt gesehen hat die Neuregelung des Asylrechts und des Asylverfahrensrechts eine positive Entwicklung eingeleitet. Ihre Auswirkungen verdeutlichen, daß das Grundrecht auf Schutz vor politischer Verfolgung nur denjenigen zukommen soll und kann, die dieses Schutzes tatsächlich auch bedürfen, und nicht denjenigen, die ihre Heimatländer aus anderen, insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen, verlassen.
Die Bemühungen der Bundesregierung müssen aber weitergehen, denn selbst auf ca. 14 000 bis 16 000 zurückgehende Asylbewerberzahlen sind noch zu hoch. Deshalb muß es jetzt in erster Linie darum gehen, den illegalen Zustrom von Ausländern möglichst wirksam zu unterbinden. Durch Verstärkungen beim Personal an unseren EG-Außengrenzen und durch den Einsatz moderner Technik konnten weitere Reduzierungen dieser Zahlen erreicht werden. Die Bundesregierung wird in diesen Bemühungen entschieden und konsequent fortfahren.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Meinrad Belle das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den bisherigen Debattenbeiträgen wurde die Entwicklung der Asylbewerberzahlen im wesentlichen aus bundespolitischer Sicht beurteilt.Ich will nun aus der Sicht des Wahlkreisabgeordneten die Entwicklung in der Praxis beleuchten.Parl. Staatssekretär Eduard Lintner98 500. Dies bedeutet einen Rückgang um 56 %. Meine Damen und Herren, es wird nach Einschätzung der Bundesregierung bei vergleichsweise unveränderter Situation im Osten und in Südosteuropa bei einer signifikant geringeren Zahl als früher bleiben.Nach den Erfahrungen in den letzten sechs Monaten läßt sich daher heute durchaus feststellen, daß die Neuregelung uns dem Ziel, die Zahl der Fälle von Asylrechtsmißbrauch drastisch zu reduzieren, entscheidend nähergebracht hat.
Es war ja auch, meine Damen und Herren, der Bevölkerung nicht mehr zu vermitteln, daß bei einem nur verschwindend kleinen Prozentsatz der Asylbewerber — z. B. im Februar nur 1,6 %, im April 1,7 % und im ganzen Jahr 1993 3,2 % — ein Asylrecht anerkannt werden konnte und damit bei weit mehr als 90 % die Voraussetzungen für eine Anerkennung überhaupt nicht vorlagen.Es war auch nicht verständlich zu machen, meine Damen und Herren, daß die Bundesrepublik Deutschland mit großem Abstand im Vergleich zu den übrigen westeuropäischen Ländern die meisten Asylbewerber zu verzeichnen hatte. 1992 waren es 78,8 % aller Anträge, die in den EG-Ländern, und 64,5 % aller Anträge, die in den westeuropäischen Ländern gestellt wurden. Hinter der Bundesrepublik Deutschland mit rund 438 000 Asylanträgen folgten 1993 innerhalb aller westeuropäischen Staaten Schweden mit großem Abstand mit 83 200 und innerhalb der EG-Staaten Dänemark mit bloß 26 800 Anträgen.Mit der sinkenden Asylbewerberzahl ist jetzt auch die Anerkennungsquote wieder etwas angestiegen: im November 4,3 %, im Dezember 5,4 %. Es gibt wohl keinen besseren Beweis dafür, daß die Neuregelung des Asylrechts in erster Linie also diejenigen davon abhält, in unserem Land um Asyl nachzusuchen, bei denen die Voraussetzungen für die Anerkennung eben nicht gegeben sind.
Der Kern der Neuregelung des Asylrechts war die Ergänzung von Art. 16 GG. Der neue Art. 16a läßt den Schutz vor politischer Verfolgung in Form eines individuellen Grundrechts unangetastet, konkretisiert jedoch den Schutzumfang nach Kriterien der Schutzbedürftigkeit.Auf Grund dieser Verfassungsänderung können außerdem Asylverfahren jetzt beschleunigt durchgeführt und damit effektiver gestaltet werden. Sie können unter bestimmten Voraussetzungen als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden. Dieselbe Möglichkeit besteht z. B. in Fällen groben Mißbrauchs oder bei erheblicher Straffälligkeit. Bei insgesamt fast 350 000 zurückgewiesenen Asylbewerbern hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Anträge von 154 000 Personen — das sind über 44 % — als offensichtlich unbegründet ablehnen müssen.Positiv, meine Damen und Herren, hat sich auch die neue Flughafenregelung ausgewirkt. Für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern sowie Asylbe-
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Meinrad BelleNach der Änderung des Asylrechts und dem erheblichen Rückgang der Asylbewerberzahlen können wir feststellen:Erstens. Seit September 1993 erfolgten in BadenWürttemberg keine neuen Zuweisungen von Asylbewerbern mehr an Städte und Gemeinden. Die oftmals problematische Unterbringungssituation in den Städten und Gemeinden hat sich weitgehend entkrampft.Zweitens. Das Land Baden-Württemberg konnte die Zuweisungsquote ab 1. Januar 1994 von 1,25 % auf immerhin 1,20 % verringern.Drittens. Die Zahl der überwiegend in der Betreuung der Asylbewerber eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnte vermindert werden. Personalkosteneinsparungen sind die Folge.Viertens. Der Neubau vieler — teilweise in den Gemeinderäten bereits beschlossener — Unterkünfte für Asylbewerber konnte unterbleiben. Baukosten in Millionenhöhe konnten eingespart werden.Fünftens. Die für mich persönlich wichtigste positive Folge des neuen Asylrechts: Die öffentliche Diskussion über Asyl- und Asylbewerber hat sich wieder total versachlicht.
Meine Damen und Herren, was waren das für heiße Debatten bei Bürgergesprächen, bei Gesprächen mit den Bürgermeistern, mit den Gemeinderäten! Oft blieb doch fast keine Zeit mehr zur Diskussion über andere wichtige Themen. Die von den Bürgern entfachte Asyldiskussion überlagerte praktisch alles.
— Darum habe ich eben gesagt: die von den Bürgern entfachte Asyldiskussion.Heute wird das Asylthema in vielen Diskussionen vom Bürger gar nicht mehr erwähnt; gelegentlich kommen noch Fragen nach der Entwicklung der Zahlen. Wir können feststellen: Die Luft ist raus aus der Asyldebatte.
Es bleibt die zusammenfassende Feststellung: Das neue Asylrecht hat sich auch in der Praxis bewährt. Auch wenn es mancher in diesem Hohen Haus vielleicht nicht hören will, meine Damen und Herren: Dieses Ergebnis hätte man auch viel früher haben können.
In den Landtagen von Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg bräuchten heute keine Vertreter von rechtsradikalen Gruppierungen zu sitzen.
Natürlich bleiben uns auch für die Zukunft noch wichtige Aufgaben, meine Damen und Herren. Die weitere Entwicklung muß aufmerksam beobachtet werden; und mögliche notwendige Folgerungen sind frühzeitig zu ziehen.Wir müssen hier im Bundestag offenbleiben, möglicherweise auch für Veränderungen bei den Folgegesetzen:Nach wie vor haben wir Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Regelung für Bürgerkriegsflüchtlinge; allzu viele dieser bedauernswerten Menschen werden noch ins Asylverfahren abgedrängt.Auf die Verschleierungsversuche der Schlepperbanden bei den Zugangswegen müssen wir uns noch stärker als bisher im Vollzug einstellen.Unklarheiten bei der Gewährung von Sachleistungen im zweiten Verfahrensjahr müssen ausgeräumt werden. Niemand — auch nicht einsichtige Asylbewerber — könnte nachvollziehen, wenn in einer Unterkunft untergebrachte Asylbewerber unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, ob sie sich im ersten oder im zweiten Verfahrensjahr befinden.Häufig sind Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber in einem Haus untergebracht. Die Frage muß gestellt werden, ob in derartigen Fällen nicht Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber bei den Sachleistungen gleichbehandelt werden sollen, ja müssen.
Sie sehen, meine Damen und Herren, trotz aller Erfolge wird auch hier in Zukunft noch einige Arbeit zu erledigen sein. Sie sind alle herzlich eingeladen, die praktischen Erfahrungen im Gesetzgebungsverfahren umzusetzen.Vielen Dank.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Asylbewerberstatistik im zweiten Halbjahr 1993 hat tatsächlich die Stimmung in diesem Land entkrampft und den Ungeist der Hysterie weitgehend vertrieben. Ich halte es zwar insgesamt für zu früh, diese deutlich abgesunkenen Zahlen verläßlich zu erklären, aber es ist richtig: Man kann mit den Bürgern und Bürgerinnen wieder ruhiger über das Thema sprechen, und man kann sogar bei denjenigen, die zeitweilig in hohem Maße verunsichert waren, wieder um Verständnis für die Motive der Flüchtlinge werben.In dieser gelasseneren und nüchterneren Atmosphäre rate ich dringend dazu, sehr kritisch und genau erste Bilanzen zu ziehen und zu fragen, ob die Praxis der neuen Gesetze den Schutz vor politischer Verfolgung noch gewährleistet. Wir tun das in der nächsten Woche durch Antworten auf den umfassenden Fragenkatalog, den meine Fraktion vorgelegt hat. Das Hauruckverfahren einer Aktuellen Stunde ist dafür sicherlich nicht geeignet.
Herr Marschewski, es besteht auch kein Anlaß für selbstgefälliges Auf-die-Schulter-Klopfen.
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Dr. Cornelie Sonntag-WolgastWir haben die Chance einer intensiven Diskussion, gerade weil die Emotionen abgeebbt sind. Um so unverständlicher und verantwortungsloser ist die jetzt von CSU-Politikern ausgegebene Parole, die sogenannte Überfremdung zum Wahlkampfthema zu machen. Ich muß es so auffassen: Offenbar wollen Sie wieder anheizen. Anders ist der gleich doppelte Vorstoß des Kollegen Theo Waigel und dann von Michael Glos binnen weniger Wochen überhaupt nicht zu erklären. Ich fordere diese Kollegen und andere dringend auf: Nehmen Sie dieses böse und falsche Wort zurück,
und klären Sie die Bürger und Bürgerinnen statt dessen lieber darüber auf, daß Zuwanderer aus unterschiedlichen — auch aus triftigen — Gründen hierherkommen und daß sie weder Arbeitsplätze rauben noch das untergraben, was Sie das „deutsche Kulturgut" nennen. Sie sollten nach den schlimmen Erfahrungen der letzten zwei, drei Jahre wirklich gelernt haben: Wer mit Parolen zündelt, trägt Mitschuld daran, daß vielleicht in diesem Land irgendwann wieder Brandsätze gelegt werden.
Man macht, liebe Kollegen und Kolleginnen, mit Angst und Panik in einer demokratischen Gesellschaft keinen Stimmenfang, und man gräbt den rechten Rattenfängern, von denen Sie, Herr Otto, sprachen, so auch nicht das Wasser ab.Zugleich warne ich davor, daß große Thema Asyl und Migration nach dem Motto „Gott sei Dank, es kommen nicht mehr so viele" zu den Akten zu legen. Erstens, liebe Kollegen und Kolleginnen, werden sich die Wanderungsbewegungen in nächster Zeit eher verstärken, als daß sie abflauen. Dazu haben wir ein viel zu starkes Nord-Süd-Gefälle; es gibt die Gefahr der Vertreibung durch Kriege, durch Krisen und Katastrophen. Es gibt die völlig unwägbare Entwicklung in Osteuropa.Zweitens duldet die Problematik, über die wir reden, keine Verengung auf das Stichwort „Asyl und Art. 16" allein. Von einer umfassenden Migrationspolitik sind wir immer noch weit entfernt, aber sie ist so dringend nötig wie eh und je. Seit den Vereinbarungen zwischen Koalition und SPD vom 6. Dezember 1992 haben wir ein Zuwanderungskonzept der umfassenden Art angemahnt. Ich nenne hier noch einmal als Stichworte die wichtigen Fragen ausländerpolitischer Verbesserungen: verbesserte Integration, erleichterte Einbürgerung, Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft, das kommunale Wahlrecht auch für Ausländer und Ausländerinnen aus Staaten, die nicht der Europäischen Union angehören. Ich denke auch daran, daß wir bessere Hilfen für die Vertragsarbeitnehmer aus der ehemaligen DDR brauchen und daß wir — ich möchte es noch einmal betonen — den Bürgerkriegsflüchtlingen endlich einen Status verschaffen müssen, der ihnen einen gesicherten Aufenthalt ermöglicht, ohne sie ins Asylverfahren zu treiben.Wir betonen dies noch einmal und appellieren an die Ministerpräsidenten der Länder.Liebe Kollegen und Kolleginnen, bequemen Sie sich zu der Einsicht, daß niedrigere Asylbewerberzahlen zwar ein Signal sind, aber sicher kein Ersatz für weiteres politisches Handeln. Wenn Sie das begreifen, wenn Sie den Bürgern und Bürgerinnen ruhig und besonnen erklären, daß auch weiter Menschen anderer Nationalität und Herkunftsländer zu uns kommen werden, wenn Sie aufhören, mit dem Gedanken zu spielen, Ängste zu schüren, um damit hausieren gehen zu können —
— das haben Sie getan; ich erinnere an die Äußerungen der jüngsten Zeit; ich fordere Sie auf: Lassen Sie das bleiben —, dann sind wir einen Schritt weiter.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordente Jörg van Essen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können heute eine weit überwiegend positive erste Bilanz der Asylrechtsänderungen ziehen. Ich möchte dabei nicht die zurückgehende Zahl der Asylbewerber an die Spitze stellen, sondern die Tatsache, daß uns bisher erfreulicherweise kein Fall bekanntgeworden ist, in dem die von uns gemeinsam vorgenommenen Änderungen dazu geführt hätten, daß jemand durch unsere Schuld politisch verfolgt worden ist.Viele Medien, die unser Vorgehen kritisch begleitet haben, warten nur darauf, uns einen solchen Fall zu präsentieren. Bisher besteht kein begründeter Anlaß dazu. Auch der Kollege Weiß hat vorhin trotz der mehrfachen Aufforderung des Kollegen Marschewski keinen solchen Fall benennen können. Das möchte ich ausdrücklich festhalten.Ich hoffe, daß es dabei bleibt, denn es war die Richtschnur aller Überlegungen, den Schutz der politisch Verfolgten zu gewährleisten. Im übrigen bin ich optimistisch, daß wir uns auch im Rahmen der Verfassung bewegt haben und daß uns das Bundesverfassungsgericht ganz oder weitgehend bestätigen wird. Schließlich sind wir von beiden Verfassungsministerien — eines ist von meiner Partei geführt — ausgiebig beraten worden.Erste Tendenzen des Bundesverfassungsgerichts, sich wie ein bundesweites Verwaltungsgericht erster Instanz zu betätigen, sind da und dort mit einiger Verwunderung beobachtet worden. Ich persönlich respektiere alle Eilentscheidungen, die das Bundesverfassungsgericht nach einer sorgfältigen Prüfung jedes Einzelfalls gefällt hat.Zu den erfreulichen Entwicklungen zählt für mich auch die durch eine deutliche personelle Verstärkung
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17400 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994
Jörg van Essendes Bundesamtes mögliche Steigerung der Entscheidungsquote um fast 140 %. Wir waren uns von vornherein klar, daß daneben eine wirkliche Beschleunigung des Asylverfahrens nur zu erreichen sein wird, wenn sich die Verwaltungsgerichte nicht als neuer Flaschenhals erweisen.Wir haben bei den Nikolaus-Verhandlungen zur Einstellung neuer Verwaltungsrichter die gewohnt vollmundigen Erklärungen nicht nur eines Ministerpräsidenten aus Norddeutschland gehört. Eine wirklich fundierte Beurteilung des notwendigen Beitrags der Länder ist hier nach meiner Auffassung noch nicht möglich. Zu Sorgen besteht aber in diesem Bereich bereits jetzt ebenso Veranlassung wie im Bereich der Abschiebung.Ich möchte damit zu dem Bereich überleiten, der nach meinem Ermessen in besonderer Weise unerfreulich ist: die von allen Seiten — es wurde mehrfach angesprochen — dringlich gewünschte besondere Regelung für Bürgerkriegsflüchtlinge in § 32a des Ausländergesetzes.Es ärgert mich, daß kein Einvernehmen darüber erzielt werden konnte, Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina auf die neu geschaffene Rechtsgrundlage umzustellen. Noch empörender ist, daß nicht irgendwelche Differenzen bei der Beurteilung der Bürgerkriegssituation in diesem Land dazu geführt haben, sondern Differenzen zwischen Bund und Ländern hinsichtlich der Kosten.Wie sehr sich das auch in der Asylbewerberstatistik niederschlägt, zeigen die Zahlen der letzten Monate. Nicht mehr die früheren Spitzenländer, Rumänien und Bulgarien, stellen die meisten Asylbewerber; die Zahlen der asylbegehrenden Menschen aus diesen Ländern sind inzwischen verschwindend gering. Den Spitzenplatz bei den Asylbewerberzahlen nimmt Restjugoslawien vor Bosnien-Herzegowina auf dem zweiten Platz ein. Ein großer Teil dieser Fälle gehört eindeutig nicht in das Asylverfahren.
Wie notwendig der Regelungsbedarf gerade in diesem Bereich ist, zeigen die Fälle, die in der letzten Zeit bekanntgeworden sind. Es ist doch nicht nachvollziehbar, daß wir ein militärisches Embargo gegen Restjugoslawien verhängen, es aber wegen nicht bestehender Regelungen für Bürgerkriegsflüchtlinge zulassen, daß zum Wehrdienst anstehende und von den Serben ganz bewußt in besonders gefährlichen Situationen eingesetzte Angehörige von ethnischen Minderheiten in das Kriegsgebiet zurückgesandt werden und dort das militärische Potential der Aggressoren verstärken.
Ich möchte auch sichergestellt sehen, daß durch Vergewaltigungen und andere Übergriffe traumatisierte Frauen trotz bestehender Kontingente nicht in das Asylverfahren gedrängt werden.
Mir wäre sehr viel wohler, wenn wir auch hier einepositive Bilanz vorweisen könnten. Ich fordere Bundund Länder auf, endlich die notwendigen Regelungen zu treffen. Der Schwerpunkt liegt — Herr Kollege Wartenberg hat das zu Recht gesagt — bei den Ländern.Wir können heute in der Presse lesen, daß z. B. in den Niederlanden die Zahl der Asylbewerber drastisch gestiegen ist. Die gerechte europäische Lastenverteilung deutet sich an, und ich finde, das ist gut so.Herzlichen Dank.
Ich erteile nunmehr der Bundesministerin für Familie und Senioren, Frau Hannelore Rönsch, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein wichtiger Baustein bei der Neuregelung der Asylgesetzgebung im Juli vergangenen Jahres war das Asylbewerberleistungsgesetz. Durch dieses Gesetz sind Leistungen an Asylbewerber und geduldete Ausländer aus dem Bundessozialhilfegesetz herausgelöst worden und eigenständig geregelt worden. Dadurch kann dem in aller Regel kurzen Aufenthalt dieser Personengruppen hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, so denke ich, wesentlich besser Rechnung getragen werden, und wir können damit den Mißbrauch wesentlich stärker unterbinden.Ein freiheitlicher, demokratischer und sozialer Rechtsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland übt nun einmal ganz natürliche Anreize auf Menschen aus, in deren Heimat Unfreiheit, soziale und wirtschaftliche Not herrschen. Das ist verständlich. Genauso verständlich muß es aber sein, daß ein Staat Regeln aufstellt und sie auch durchsetzt, nach denen er solche Menschen in Not aufnimmt und versorgt.Die Regelungen der Aufnahme und der Versorgung von Ausländern, die ohne Genehmigung nach Deutschland kommen, gehören eng zusammen. Dies sicherzustellen ist selbstverständlich für einen sozialen Rechtsstaat. Wir wissen aber auch, daß ein Großteil der asylsuchenden Ausländer schon vor der Einreise recht gut darüber informiert ist, wie er bei uns in der Bundesrepublik Deutschland untergebracht ist, wie er eingekleidet wird, wie Essen und Trinken stattfindet und welche finanzielle Unterstützung er erhält.
Diese Unterstützung geschieht in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor besser als in den meisten Herkunftsländern — unzweifelhaft auch nachdem die Höhe der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gegenüber dem Bundessozialhilfegesetz jetzt abgesenkt worden ist.Ich will der Vollständigkeit halber doch noch einmal die Zahlen, die jetzt gelten, in Erinnerung rufen. Nach dem neuen Asylbewerberleistungsgesetz erhält jetzt ein Haushaltsvorstand Leistungen in Höhe von 360 DM, Haushaltsangehörige bis zum siebenten Lebensjahr erhalten 220 DM und Haushaltsangehö-
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Bundesministerin Hannelore Rönschrige ab dem achten Lebensjahr 310 DM. Hierin eingerechnet sind zwar das Kleidergeld, nicht aber die Kosten für Unterkunft, für Heizung sowie die zusätzlichen monatlichen Barbeträge, die ja auch noch gezahlt werden, von 80 bzw. 40 DM — 80 DM für Erwachsene, 40 DM für Kinder.Daß wir uns — es hat lange gedauert — über Parteigrenzen hinweg zu diesem Schritt entschlossen haben, halte ich gerade bei dieser Thematik für ausgesprochen gut und angemessen. Ich bin auch dankbar, daß sich die Sprache wesentlich gewandelt hat.Wenn ich mich an die Diskussion beim Asylbewerberleistungsgesetz im vergangenen Jahr hier im Plenum erinnere und die doch wohltuenderen Worte der Gemeinsamkeit heute höre, so meine ich, hat sich die Diskussion doch gelohnt und haben auch die Oppositionsparteien ein großes Stück Bewußtseinswandlung vorgenommen, und dafür bin ich dankbar.
Die Absenkung der Unterhaltsleistungen dürfte, wenngleich die statistische Beweisführung momentan noch schwerfällt, doch auch mit zum Rückgang der Asylbewerberzahlen in den vergangenen Monaten beigetragen haben.Es ist doch, denke ich, auch nur richtig: Für die Zeit des Asylverfahrens, in dem über einen längerfristigen Aufenthalt hier in der Bundesrepublik erst noch entschieden wird, ist ein Mindeststandard vertretbar und angemessen gegenüber denjenigen, die meist lange Zeit oder sehr oft zeit ihres Lebens hier wohnen und ihren Lebensstandard selbst erarbeiten müssen.Ein anderer Punkt dürfte auf Dauer die Asylbewerberzahlen noch deutlicher absenken. Ich meine den sehr starken Vorrang von Sachleistungen, der die freie Verfügbarkeit über Bargeld einschränkt. Dies trägt nicht nur dazu bei, daß Doppelbeantragungen und Doppelbezug von Leistungen vermieden werden; vielmehr hilft dies auch, einen Anreiz zu verhindern, den wir nun alle gemeinsam ganz und gar nicht wollen können, nämlich den Anreiz für Schlepperorganisationen, die sich zum großen Teil aus Sozialhilfemitteln dann von den Eingeschleusten die Mittel dann wieder zurückzahlen ließen. Ich meine, wir wollen und dürfen internationale Kriminalität über unsere Sozialhilfe und unsere Steuergelder nicht finanzieren. Das sind wir unseren Bürgern schuldig.
Bei nüchterner Betrachtung kommt ein Weiteres hinzu. Mußten Asylbewerber vorher von der bar ausgezahlten Sozialhilfe Mittel an die Schlepperorganisationen abgeben, so litt darunter sehr oft die Versorgung der Familie. Hier wurden sehr oft die schwächsten Glieder in der Familie bestraft, nämlich die Frauen und Kinder,
die teilweise Lebensmittelleistungen nicht erhielten, weil das Bargeld an Organisationen gezahlt werden mußte. Hier haben wir mit Sachleistungen und Wertgutscheinen einen Riegel vorgeschoben. Ich bin sehrdankbar, daß die Sozialdemokraten hier im Parlament diese Regelung nachvollziehen konnten.
Anders sieht es vor Ort aus. Ich würde mir sehr wünschen, Herr Kollege Wartenberg, daß Ihre Fraktion auf die Bürgermeister und Oberbürgermeister und die Landräte einwirkt, damit dieses Gesetz endlich umgesetzt wird.
Dieses Gesetz ist zwar erst zweieinhalb Monate in Kraft, und die eine oder andere Gemeinde begründet die Tatsache, daß sie es noch nicht umgesetzt hat, damit, daß es mit der Umstellung ein wenig schwierig sei. Dem will ich einen Brief aus dem Lande Niedersachsen entgegenhalten, der mich heute morgen erreichte. Ich habe alle Bundesländer abgefragt. Die Antworten kommen zugegebenermaßen ein wenig zögerlich. Kollege Otto hat die Stadt Frankfurt angesprochen. Auch Hessen ist kein rühmliches Beispiel.
—Wir wissen das, Herr Kollege Otto. Wir wohnen in diesem schönen Land; das kann nichts dazu.Ich denke, daß wir alle aufgefordert sind, in unseren Kommunen jetzt auf die Umsetzung zu drängen. Mit der Genehmigung des Präsidenten will ich aus einem Brief der Landesregierung von Niedersachsen zitieren. Die SPD-regierten Städte Hannover und Göttingen sowie Osnabrück schießen dabei den Vogel ab. Es heißt hier:Nach vorläufiger Prüfung sehen sich die Landeshauptstadt Hannover, die Städte Göttingen und Osnabrück nicht in der Lage, Sachleistungen und Wertgutscheine zu gewähren.
Und weiter:
Bei der Landeshauptstadt Hannover und den Städten Göttingen und Osnabrück ist damit zu rechnen, daß es bei der Bargeldzahlung bleibt .. .Man sieht sich nicht in der Lage und legt dann ganz gemütlich die Hände in den Schoß.Daß das Gegenteil möglich ist, zeigt im gleichen Bundesland die Stadt Lüneburg. In Lüneburg wird das Gesetz umgesetzt. Ich kann den Kollegen aus Hannover, Göttingen und Osnabrück nur empfehlen, doch einmal eine ganz kleine Dienstreise nach Lüneburg zu machen, den Kollegen dort über die Schultern zu schauen und zu sehen, wie so etwas in der Praxis läuft.
Ich will sehr deutlich sagen, daß in den Kommunen der neuen Bundesländer beispielgebend umgesetzt wurde. Ich nenne das Land Mecklenburg-Vorpommern und das Land Thüringen. Auch hier können die Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern dem einen oder anderen Säumigen in der alten Bundesrepublik einmal darin Nachhilfe geben, wie
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17402 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994
Bundesministerin Hannelore Rönschman Anordnungen bzw. Gesetze unmittelbar umsetzt. Ich lade auch hier die Kolleginnen und Kollegen aus der alten Bundesrepublik ein, einmal nach Mecklenburg-Vorpommern oder nach Thüringen zu fahren und sich anzuschauen, wie dort Gesetze eingehalten werden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will auch noch darauf aufmerksam machen, daß ich mit Ihnen die Sorge teile, daß bei den Bürgerkriegsflüchtlingen noch keine eigenständige Regelung in Kraft ist und daß wir momentan noch nicht in der Lage sind, sie mit einer eigenen Regelung zu bedenken. Ich glaube, daß wir alle aufgerufen sind, hier umgehend zu handeln. Ich fordere die Ministerpräsidenten der Bundesländer ausdrücklich auf, sich endlich von der Finanzierungsregelung, die sie vorgeschlagen haben, zu lösen. Dann sind wir sehr schnell auf einem eigenständigen Weg.Lassen Sie mich zum Abschluß sagen, daß die Asylgesetzgebung in ihrer Kombination der Gesetze aus dem Juni 1993 und des Asylbewerberleistungsgesetzes mit dazu beigetragen hat, daß wir denen, die aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen verfolgt werden und bei uns in der Bundesrepublik Deutschland Zuflucht suchen, in unserem Land tatsächlich Aufnahme gewähren können und daß wir all denen die Tür gewiesen haben, die aus rein wirtschaftlichen Gründen in die Bundesrepublik Deutschland kommen wollten.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Ortrun Schätzle.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch die Neujahrsempfänge in den Gemeinden meines Wahlkreises zog sich dieses Jahr neben sorgenvollen Tönen zur Wirtschafts- und Finanzentwicklung immerhin eine positive Nachricht: der Rückgang der Asylbewerberzahl.
Teilweise stehen die bereitgestellten Unterkünfte in den Kommunen schon leer. Sie könnten einer Umnutzung zugeführt werden. Ein Teil der Asylbewerber hat freiwillig die Gemeinden verlassen, ein weiterer Teil wurde abgeschoben, ein kleiner Teil ist anerkannt, eine Neuzuweisung ist nicht erfolgt. Kurz: Die Asylgesetze greifen. Dies bestätigten eindrücklich auch meine Vorredner. Die Zahlen sind genannt; ich brauche sie nicht zu wiederholen.
Leider ist dieser Sachverhalt der Veränderungen aber in der Öffentlichkeit zuwenig bekannt. Ich möchte daran erinnern: Das Asylthema nahm zwei Jahre lang einen Spitzenplatz in der Sorgenliste der westdeutschen Bevölkerung ein. Bei der letzten Meinungsumfrage ist zwar das Thema Asyl auf Platz 7 der Dringlichkeitsskala abgerutscht, trotzdem: Irritationen und Fehlinformationen sind immer noch häufig anzutreffen.
Daher begrüße ich die heutige Aktuelle Stunde. Ihr Sinn liegt sicher darin, die Veränderungen der Öffentlichkeit deutlich zu machen, aber auch die politischen Konsequenzen aus der Entwicklung der Asylbewerberzahlen nach Inkrafttreten der Asylgesetze zu ziehen.
Eine Ursache, die dazu beigetragen hat, den Anreiz für den Zuzug von Asylbewerbern nach Deutschland zu verringern, liegt zweifellos — auch das wurde schon genannt — in den Leistungskürzungen und in der Leistungsveränderung. Nicht die Einsparungsmöglichkeiten für die Gemeinden waren primär ausschlaggebend, das Barleistungsprinzip auf das Sachleistungsprinzip umzustellen, sondern es waren hauptsächlich die Überlegungen, die Attraktivität der Barleistungen abzuschaffen.
Erstaunlicherweise ersehe ich immer wieder aus vielen Bürgerbriefen eine sehr große Unkenntnis über die veränderten Leistungen. Insofern muß ständig bewußt gemacht werden, daß seit 1. November 1993 über das Asylbewerberleistungsgesetz Lebensmittel, Kleidung, auch der notwendige Bedarf an Gesundheits- und Körperpflegemitteln sowie die Gebrauchsgüter des Haushalts grundsätzlich nur durch Sachleistungen gedeckt werden sollen.
Außerdem erhalten die Asylbewerber für die Bedürfnisse des täglichen Lebens einen Barbetrag, der nicht den Horrorvorstellungen in der Öffentlichkeit entspricht, sondern der für Asylbewerber über 15 Jahre 80 DM und für Kinder und Jugendliche 40 DM pro Monat beträgt.
Auch über die medizinische Versorgung wird in der Bevölkerung weiterhin viel spekuliert. Die medizinische Versorgung bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt wird in jedem Fall gewährleistet, aber sie sollte auf das Notwendigste und auf den akuten Fall beschränkt bleiben. Nur bei unumgänglicher Selbstversorgung der Asylbewerber erhalten diese Gutscheine. Die Werte sind genannt.
Leider stieß die Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in manchen Bundesländern und Landkreisen auf große Schwierigkeiten und Widerstände. Teilweise wurde es von Asyl-Freundeskreisen unterlaufen, indem man die Gutscheine abkaufen wollte, um den Asylbewerbern wieder Bargeld zukommen zu lassen.
Daß das Gesetz unterlaufen wird, ist zu verurteilen. Wir haben mit dem Gesetz schließlich erreicht, daß der Anreiz fortfällt, der ehemals von der bar ausgezahlten und höheren Sozialhilfe ausging. Wir haben auch erreicht, daß der Aufenthaltsort von Asylbewerbern leichter zu kontrollieren ist und das Abtauchen mißlingt. Wir haben auch erreicht, daß den Schlepperorganisationen der lukrative Boden entzogen wird.
In diesem Sinne möchte ich auch von meiner Seite aus an die Bürgermeister, an die Landräte und an die Länder appellieren, das Asylbewerberleistungsgesetz umzusetzen, damit die erwartete Entlastung in den Gemeinden gelingt.
Nunmehr hat der Abgeordnete Wiefelspütz das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute die erste
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Dieter Wiefelspützkritische, auch selbstkritische Zwischenbilanz zum neuen Asylrecht ziehen, dann verbinde ich damit vor allem die Hoffnung, daß wir dazugelernt haben. Wer sich über einen längeren Zeitraum weigert, unhaltbare Positionen neu zu bestimmen, der verfehlt seine politische Verantwortung.
Politisch verantwortungslos handelt ebenfalls, wer, verbunden mit einer rücksichtslosen, gelegentlich auch menschenverachtenden Sprache, Grundrechte auf eine Weise zur Disposition stellt, als sei das eine der leichtesten Übungen eines Politikers.
In der Asyldiskussion der vergangenen Jahre ist auch Hysterie erzeugt worden. Andere haben Haß gesät. Diese Saat ist auf mörderische Weise aufgegangen. Wir wissen alle, wie schwer es ist, solche Entwicklungen zurückzudrängen. Wichtig ist, daß wir uns immer wieder vergewissern, worin wir uns mit großer Mehrheit in unserem Lande, aber auch in diesem Hause einig sind: Der politisch Verfolgte soll in der Bundesrepublik Deutschland Schutz und Zuflucht finden. Richtig ist aber auch — das ist unsere Überzeugung —: Die Zuwanderung oder Einwanderung nach Deutschland muß nach Maßgabe der Leistungs- und Eingliederungsfähigkeit unseres Landes gesteuert werden.
Das neue Asylrecht hat sich bei all seinen Unzulänglichkeiten insgesamt bewährt. Noch vor einigen Monaten gab es die gegensätzlichsten Prognosen. Einige waren der Auffassung, das neue Recht werde wirkungslos sein. Andere waren der Meinung, kein Flüchtling werde die Bundesrepublik Deutschland erreichen. Kaum war das neue Recht in Kraft getreten, gab es Dritte, die schon Forderungen erhoben, die Entscheidungen des Gesetzgebers nachzubessern.Heute kann nüchtern festgestellt werden: Die Asylbewerberzahlen sind um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Es kommen aber weiterhin viele Flüchtlinge nach Deutschland. Die weitere Entwicklung hängt nicht in erster Linie von unserem nationalen Recht ab, sondern vor allem von der politischen Entwicklung in Ost- und in Südosteuropa. Aus diesen Regionen kommen, wie wir alle wissen, zwei Drittel aller Flüchtlinge.Ich glaube, daß das neue Asylrecht auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichtes im Kern standhalten wird. Allerdings, Herr van Essen, halte ich es für sachlich nicht in Ordnung, dem Bundesverfassungsgericht anzulasten, es würde die Aufgaben eines Verwaltungsgerichts übernehmen, wenn im Grunde Sie und Ihre Kollegen von der CDU/CSU dafür die Verantwortung tragen.
Das meint einen Teilaspekt, den wir hier durch einen Änderungsantrag haben deutlich machen wollen. Ich will das hier nicht weiter vertiefen, sondern nur kurz ansprechen.Was passiert, wenn sich ein Land, das Signatarstaat der Genfer Flüchtlingskonvention ist, oder ein Staat der Europäischen Union nicht an das international geltende Flüchtlingsrecht hält? Dann können Sie die Drittstaatenregelung nicht einfach anwenden. Dann ist das Bundesverfassungsgericht kraft Ihrer unzureichenden Entscheidung, hier im Hause mit Mehrheit getroffen, gezwungen, die Aufgabe eines Verwaltungsgerichts wahrzunehmen. Ich bin kein Rechthaber oder Besserwisser, sondern ich fürchte, daß das Bundesverfassungsgericht den Bundestag korrigieren wird und die SPD mit ihrem Bedenken letztlich recht behalten wird. Wir werden das abzuwarten haben.Es fällt verhältnismäßig leicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Widersprüchlichkeiten, das Unvollständige und die Defizite des neuen Asylrechts aufzuzeigen.Unsinnigerweise werden immer noch in großer Zahl Bürgerkriegsflüchtlinge in das Asylverfahren gedrängt. Darauf ist heute zu Recht mehrfach hingewiesen worden. Es fehlt an einer solidarischen Flüchtlingspolitik der Europäischen Union, insbesondere an einer fairen Verteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten der Union.Vor allem aber ist ein erheblicher Teil unserer Asylprobleme hausgemacht. Wir müssen begreifen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist und bleiben wird. Es macht wenig Sinn, von Asylmißbrauch zu sprechen, wenn Ausländern, die einwandern oder zeitweise in Deutschland arbeiten wollen, ausschließlich der Asylantrag als Eintrittskarte für die Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung steht.Ich bin sicher: Unser Land wird mittelfristig ein Einwanderungsgesetz benötigen. Gegenwärtig ist aber auch zu beachten, daß bei uns 5 Millionen Arbeitsplätze und 2,5 Millionen Wohnungen fehlen. Größere Einwanderungsquoten sind deshalb heute nicht zu verantworten. Das kann sich in einigen Jahren wieder ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen.Vor diesem Hintergrund sollten wir die Zeit nutzen, um die Voraussetzungen und die Inhalte eines Einwanderungsgesetzes zu beraten. Ich rege deshalb hier erneut eine Enquete-Kommission „Zuwanderung" an. Der Bundestag sollte sich über Inhalte und Voraussetzungen eines Einwanderungsgesetzes intensiv unterhalten, damit wir zu gegebener Zeit mit Vorschlägen vorankommen können.
Herr Kollege Wiefelspütz, geschäftsordnungskundig, wie Sie sind, bitte ich Sie, mich nicht in Verlegenheit zu bringen.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Ich will nur noch einen Satz sagen.Ich warne uns alle vor Selbstgerechtigkeit. Ich habe vor einigen Tagen ein Hafthaus in Herne besucht, in dem Abzuschiebende untergebracht sind. Die meisten verlassen unser Land ja freiwillig, einige aber nicht. An diesem Tag hat dort ein Häftling einen Selbstmordversuch unternommen. Er ist einige Tage
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17404 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994
Dieter Wiefelspützspäter an den Verletzungen gestorben. Ich habe keine Veranlassung, irgend jemandem einen Vorwurf zu machen. Ich will nur darauf hinweisen: Es gibt keinen Grund zu Selbstgerechtigkeiten. Wenn wir über Asyl sprechen, reden wir über Menschen und menschliche Schicksale. Das sollten wir nie vergessen.Herzlichen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Dietrich Mahlo das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen am Ende einer kurzen Asyldebatte, die nicht die letzte gewesen sein wird. Die meisten Beiträge haben eine Entwarnung signalisiert. Wenn Kritik aus der Opposition kam — das war teilweise der Fall —, war sie zwar wie immer enorm scharf, aber vielleicht doch etwas urkonkret, um nicht zu sagen substanzlos.
Ich habe nicht die Absicht, Gründe und Argumente zu wiederholen, die andere vor mir schon vorgetragen haben. Dies ist daher nur eine Nachlese. Aber ich möchte der Opposition gern folgenden Gedanken zu Gehör bringen.
Hier ist relativ wenig darüber gesprochen worden, daß das Wichtigste weiterhin wäre, die Ursachen für Flucht dort zu bekämpfen, wo sie bestehen.
— Klatschen Sie nicht zu früh! Eine der Ursachen sind Krieg und Bürgerkrieg. Mir scheint es auch vor dem Hintergrund von Auschwitz und der deutschen Geschichte — daran erinnern Sie ja gern — einigermaßen konsequent zu sein, wenn man sich dazu bereit erklärt oder wenigstens prüft, Deutsche dort hinzuschicken, wo heute wieder Genozid praktiziert wird, auf daß wir uns zusammen mit anderen den Tötern in den Weg stellen können. Ich finde vor diesem Hintergrund den Gedanken friedensschaffender Eingriffe oder humanitärer Interventionen geboten.
Ich kann nicht verstehen, Herr Kollege Zwischenrufer, daß wir im Hinblick auf unsere Geschichte in Form von Kerzen, Menschenketten und dergleichen unsere gute Gesinnung hier in Deutschland ausstellen, daß Sie sich aber konstant weigern, im Rahmen einer europäischen Gesamtverantwortung auch eine deutsche Verantwortung außerhalb Deutschlands anzuerkennen. Das scheint mir ein unauflöslicher Widerspruch zu sein.
Vielen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Detlev von Larcher das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Woche, bevor sich der Innenausschuß mit einem gründlichen Fragenkatalog, sachlich und um Informationen über die Auswirkungen des Asylrechts bemüht, auseinandersetzt, eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema, beantragt von der CDU/CSU-Fraktion — das zeigt mir den desolaten Zustand dieser Partei.
— Auf jeden Fall handelt es sich um eine taktische Maßnahme.Man kann nun überlegen: Besteht die Taktik darin, daß die CDU heute sagt, was für ein doller Erfolg das neue Asylrecht war, um ihrer Schwesterpartei das angekündigte Wahlkampfthema unmöglich zu machen? — Dann könnte ich diesem Gedanken wenigstens noch ein bißchen Positives abgewinnen. Denn ich denke noch mit Schrecken an den niedersächsischen Kommunalwahlkampf und an die Anzeigenkampagne der CDU in diesem Lande zum Asylrecht. Und ich sage Ihnen — Sie kommen daran nicht mehr vorbei, das werden Sie nicht mehr los —: Das Schüren der Ängste und die Entwicklung des Rechtsradikalismus haben Sie mit Ihrer Asylkampagne mit zu verantworten.
Oder besteht die Taktik in dem Versuch der CDU — weil sie zu dem Hauptthema dieses Landes, zur Arbeitslosigkeit und ihrer Bekämpfung, nichts zu sagen hat —, wieder Nebenthemen zu aktualisieren, um auf diese Weise wieder eine positive Stimmung für sich zu gewinnen? Das könnte der zweite Gedanke dabei sein. Wahrscheinlich sind es beide Gedanken zusammen.Ich möchte hier — weil die Kritiker angesprochen wurden — darauf aufmerksam machen, daß ein ganz wichtiges Argument der ernstzunehmenden Gegner dieser Asylrechtsänderungen das der Mitmenschlichkeit und der Nächstenliebe war, meine Damen und Herren von den C-Parteien. Es zielte darauf ab, keinen Schutzwall zu errichten, sondern die Fluchtursachen zu bekämpfen, den Menschen zu helfen, damit sie sich nicht mehr auf die Flucht begeben müssen.
Sich heute hier hinzustellen und nur statistisch nachzuweisen, wie groß der Erfolg war, das scheint mir der Sache doch sehr wenig angemessen zu sein.
Ich mache darauf aufmerksam, daß unter den ernstzunehmenden Gegnern dieser Asylrechtsänderungen in diesem Parlament auch welche waren, die andere Vorschläge gemacht haben. Es gab hier keinen ernstzunehmenden Kritiker, der etwa gesagt hätte: Die Kommunen haben keine Probleme mit der massenhaften Zuwanderung. Das hat hier keiner gesagt, der ernstgenommen werden wollte.
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Detlev von LarcherNun wird mit Statistik gearbeitet, nun wird vor einer solchen Ausschußdebatte der Erfolg hochgespielt. Aber ich höre eigentlich relativ wenig von den betroffenen Menschen. Spreche ich mit Sozialarbeitern in meinem Wahlkreis, dann erzählen die mir von den großen Schwierigkeiten, die die Gesetzgebung ihnen macht. Sie sagen mir — zum, Teil mit Tränen in den Augen —: Wenn ich die Menschen sehe, mit denen ich spreche, wenn ich ihre Schicksale sehe, müßte ich ihnen eigentlich raten, in die Illegalität abzutauchen; denn sie werden abgeschoben werden, und sie werden verfolgt, obwohl sie nicht als Verfolgte anerkannt werden.
— Ich erzähle Ihnen jetzt aus meinen Gesprächen mit Menschen, die mit Asylbewerbern zu tun haben.Mir klingen noch die Worte des CDU-Bürgermeisters einer Stadt in meinem Wahlkreis zum Neujahrsempfang in den Ohren, der über die Schwierigkeiten sprach, die er hat, den Menschen zu helfen, die bei ihm vorsprechen, denen er gerne helfen möchte, denen er aber nicht helfen kann. Vor diesem Mann habe ich Respekt. Aber vor denen, die nur mit statistischen Zahlen arbeiten und die Menschen beiseite lassen, habe ich keinen Respekt.
Im übrigen würde sich das Milchmädchen sicherlich schämen, so zu rechnen wie der Parlamentarische Staatssekretär Lintner, wenn er die Zugangszahlen in Schweden mit denen in der Bundesrepublik Deutschland vergleicht. Denn er läßt ganz außer acht, wieviel Einwohner Schweden und wieviel Einwohner die Bundesrepublik hat.Ich finde es sehr wichtig, daß man sich mit diesem Thema sachlich weiter beschäftigt. Deswegen halte ich es für richtig, daß der Innenausschuß dies gründlich beraten wird. Ich halte diese Debatte hier für unsachgemäß und wirklich nur mit taktischen Argumenten begründbar.Ich danke Ihnen.
Als letztem Redner in der Aktuellen Stunde erteile ich dem Abgeordneten Wolfgang Zeitlmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Meinungsäußerungen zu dieser Diskussion mitbekommen hat, wundert man sich, in welcher Breite hier von der SPD diskutiert wird.
— Ja, das kann man auch anders sehen. Man kann denEindruck haben, daß zu den Themen, die wir voreinem dreiviertel Jahr entschieden haben, ihre Fraktion gespalten ist.Ich sage voller Respekt vor dem Redebeitrag des Kollegen Wartenberg, daß es richtig ist, wenn man die Regelung für die Bürgerkriegsflüchtlinge bei den Ländern anmahnt. Wenn man ihre Zahl gedanklich von den Asylbewerberzahlen abzieht, sieht die Bilanz doch um vieles besser aus, als sie auf den ersten Blick ist.
Herr Kollege von Larcher, dann wird Ihr Argument, diese Diskussion sei unnötig, doch weiß Gott zur Farce.Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, ich nehme Sie auch nicht ernst, wenn Sie im Zusammenhang mit dieser Diskussion die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft anschneiden. Damit erreichen Sie nämlich genau das, was Sie uns vorwerfen, wenn Sie sagen, wir hätten eine Diskussion angeheizt. Draußen hat niemand Verständnis dafür, daß Sie im Zusammenhang mit dem Asylthema heute die Frage der doppelten Staatsangehörigkeit anschneiden.Meine Damen und Herren, ich erinnere mich daran, daß es kein dreiviertel Jahr her ist, als ich mit Polizeiauto — manche mit Hubschrauber — in dieses Parlament gelangt bin; und die Diskussion zu der damaligen Gesetzesänderung wurde doch nicht durch die, die das Problem erwähnt haben, angeheizt, sondern durch diejenigen, die der Meinung waren, wir würden hier gesetzwidrige oder verfassungswidrige Änderungen vornehmen.Ich will etwas Essig in den Wein gießen. Ich gehöre diesem Hause seit 1987 an. Seinerzeit gab es in Deutschland eine Asylbewerberzahl von 57 000 im Zugang. Ich habe immer gesagt: Das ist jährlich die Größenordnung meiner kreisfreien Stadt Rosenheim.Wir haben jetzt, nach der Reform, wenn ich die Halbjahreszahl für 1993 auf eine Jahresmenge hochrechne, immer noch 200 000 Asylbewerber im Zugang. Damit ist festzustellen: Die explodierenden Zahlen, die wir in den letzten Jahren hatten, sind deutlich zurückgegangen. Das begrüßen wir alle. Aber es ist doch genauso richtig, festzustellen, daß wir bei einer Zugangszahl von 200 000 im Jahr und einer Anerkennungszahl von 4,3 %, wie Staatssekretär Lintner sagt, auch unter Hinzuziehung derer, denen man nach der Flüchtlingskonvention — das will ich gar nicht leugnen — ohnehin ein Bleiberecht zugestehen muß, immer noch bei weitem zu hoch liegen, um sagen zu können, wir hätten inhumane Zustände, wir würden niemandem mehr die Möglichkeit geben, als Flüchtling zu uns zu kommen. Die Realität ist eine andere.
Meine Damen und Herren, noch schnell ein Wort zu einigen Äußerungen.Frau Jelpke, wer hier die Meinung äußert, die Polizei gehe gegen Asylbewerberheime vor, es herr-
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17406 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Januar 1994
Wolfgang Zeitlmannsche Apartheid an den Flughäfen, der kann nicht ernstgenommen werden.
Ich habe mir gedacht, ich sollte Ihnen zur Veränderung Ihrer giftigen Sprache ein Bonbon meines Fraktionsgeschäftsführers bringen, damit sie sich etwas bessert.
Herr Kollege Weiß, wer zum Thema Polen nur darauf abstellt, daß dort 150 Verfahren laufen, und deshalb schon die Drittstaatenregelung in Frage stellt, den kann ich auch nicht ernst nehmen. Sie könnten ja auch hinterfragen, ob die 150 Verfahren vielleicht darauf zurückzuführen sind, daß die sozialen Leistungen in Polen bei weitem nicht unser Maß erreichen, also Polen nicht so attraktiv ist, daß man dort als Wirtschaftsflüchtling um Asyl nachsucht.
Meine Damen und Herren, ich sage aber abschließend noch: Es kann auch nicht richtig sein, jetzt einEinwanderungsgesetz zu fordern und Gesetzesvorbereitungen in dieser Richtung zu planen. Herr Kollege Wiefelspütz, Sie haben dies verbal angeschnitten und eine Kommission erbeten. Dies ist nicht unser Thema. Wenn Sie die Zahl des gesamten Zugangs, den wir in Deutschland haben, betrachten — darunter auch den Zugang der illegalen Vertragsarbeitnehmer —, dann kann ein Einwanderungsgesetz — meines Erachtens ist dies die falsche Formulierung — doch nur eine weitere Begrenzung des Zugangs bedeuten. Dann aber bitte nennen Sie es nicht Einwanderungsgesetz.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. Januar, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.