Protokoll:
12127

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 12

  • date_rangeSitzungsnummer: 127

  • date_rangeDatum: 9. Dezember 1992

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:11 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/127 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 127. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 Inhalt: Abweichung von der vorgesehenen Frist für den Beginn der Beratungen 10911 A Tagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen (Drucksachen 12/3892, 12/3938) Wolfgang Vogt (Düren) CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . 10911 C Rudolf Dreßler SPD (Erklärung nach § 31 GO) 10912B Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste (Erklärung nach § 31 GO) 10912 D Dr. Gisela Babel F.D.P. (Erklärung nach § 31 GO) . 10913 B Namentliche Abstimmung . . . . . . 10913 C Ergebnis 10921D Tagesordnungspunkt 6: a) — Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheits-Strukturgesetz) (Drucksache 12/3608) — Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheits-Strukturgesetz 1993) (Drucksachen 12/3209, 12/3365) — Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 12/ 3210, 12/3364, 12/3930, 12/3937, 12/3931, 12/3936) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vorlage eines neuen Gesundheits-Strukturgesetzes zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Reform des Gesundheitswesens zu dem Endbericht der Enquete-Kommission „Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung" gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 4. Juni 1987 und vom 27. Oktober 1988 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit zur Entwicklung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und zur Umsetzung der Empfehlungen und Vorschläge der Konzertierten Aktion zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Bericht nach § 141 Abs. 4 SGB V) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die von der Selbstverwaltung der landwirtschaftlichen Krankenversi- II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 cherung durchgeführten Entlastungscmaßnahmen (Drucksachen 12/3606, 12/3226, 11/6380, 12/1901, 12/2851, 12/3930, 12/3937) Dr. Paul Hoffacker CDU/CSU 10914 C Klaus Kirschner SPD 10917 D Dr. Dieter Thomae F.D.P. 10924 A Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 10927C, 10956A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU 10930C Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste . . . 10933A Rudolf Dreßler SPD 10933 B Martin Grüner F.D.P. 10934C, 10935B, 10937A, 10944 B Karl Hermann Haack (Extertal) SPD . . 10936A Dr. Bruno Menzel F D P 10939 C Rudolf Dreßler SPD . . . . . . . . . 10939 C Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 10943 C Christiane Krajewski, Ministerin des Saarlandes 10952 C Dr. Hans Geisler, Staatsminister des Freistaates Sachsen 10954 D Ortwin Lowack fraktionslos . . . . . 10957 D Regina Schmidt-Zadel SPD . . . . . . 10959 A Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . 10961 A Dr. Martin Pfaff SPD 10962D Dr. Walter Franz Altherr CDU/CSU . . 10964D Dr. Hans-Hinrich Knaape SPD . . . . 10967 B Bernhard Jagoda CDU/CSU . . . . . . 10968 D Horst Peter (Kassel) SPD 10971 A Claus Jäger CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 10972C Namentliche Abstimmung 10973 B Ergebnis 10980 A Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung (Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt; Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines freiwiligen ökologischen Jahres; Entwurf eines Vertragsgesetzes zum Übereinkommen über die Biologische Vielfalt) Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 10974 A Joachim Poß SPD 10975 A Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 10975A Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 10975 B Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . 10975 B Manfred Hampel SPD 10975 C Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 10975 D Gunnar Uldall CDU/CSU 10976A Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 10976A Dr. Franz-Josef Mertens (Bottrop) SPD 10976B Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 10976C Martin Grüner F.D.P. . . . . . . . . . 10976 C Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 10976D Ludwig Eich SPD 10977 A Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 10977 A Hermann Rind F.D.P. . . . . . . . . . 10977 B Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 10977 C Detlev von Larcher SPD . . . . . . . . 10977 C Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 10977D Claudia Nolte CDU/CSU . . . . . . . 10978 A Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10978 B Dr. Marliese Dobberthien SPD . . . . . 10978 B Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 10978B Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . 10978 C Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 10978 C Dr. Marliese Dobberthien SPD 10978D Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 10978D Claudia Nolte CDU/CSU . . . . . . 10978D Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 10979A Dr. Marliese Dobberthien SPD 10979B Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 10979B Ulrike Mehl SPD 10979C Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär BMU 10979C Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde — Drucksache 12/3921 vom 4. Dezember 1992 — Kosten für den EG-Rindfleischmarkt MdlAnfr 1 Günther Bredehorn F.D.P. Antw PStSekr Georg Gallus BML 10982A ZusFr Günther Bredehorn F.D.P. . . . . 10982 B Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 III Stand der Beratungen über einheitliche Grundsätze bei der Zulassung von Pestiziden auf EG-Ebene; Bestrebungen der Agrarchemie zur Aufgabe des EG-Trinkwassergrenzwerts für Pestizide als Qualitätsziel für die Belastung des Grundwassers MdlAnfr 2 Ulrike Mehl SPD Antw PStSekr Georg Gallus BML 10982C ZusFr Ulrike Mehl SPD . 10982 D ZusFr Ulrich Heinrich F.D.P. . 10983A ZusFr Marion Caspers-Merk SPD 10983 B ZusFr Günther Bredehorn F.D.P. . . . . 10983 C Anwachsen der Ansprüche von Sozialhilfeempfängern; Kürzung der Sozialhilfeleistungen MdlAnfr 5, 6 Barbara Weiler SPD Antw PStS'in Roswitha Verhülsdonk BMFuS 10983D, 10985 B ZusFr Barbara Weiler SPD . 10984B, 10985 B ZusFr Ulrike Mascher SPD . . . . . . 10985 D ZusFr Margot von Renesse SPD . . . . . 10986A Hilfen für die Vergewaltigungsopfer im ehemaligen Jugoslawien, z. B. in Form von medizinischer und psychologischer Beratung MdlAnfr 7 Anke Eymer CDU/CSU Antw BMin Dr. Angela Merkel BMFJ . 10986B ZusFr Anke Eymer CDU/CSU 10986D ZusFr Gabriele Wiechatzek CDU/CSU 10987A ZusFr Dr. Sissy Geiger (Darmstadt) CDU/ CSU 10987 B ZusFr Dr. Marliese Dobberthien SPD . 10987 C ZusFr Ortrun Schätzle CDU/CSU . . . 10987D ZusFr Ursula Männle CDU/CSU . . . 10988A ZusFr Margot von Renesse SPD 10988A ZusFr Ulrike Mascher SPD 10988B ZusFr Jan Oostergetelo SPD . . . . . 10988 C Verhinderung der Verwendung von Asbestzementrohren für Trinkwasserleitungen MdlAnfr 8 Ulrike Mehl SPD Antw PStS'in Dr. Sabine Bergmann-Pohl BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10989 A ZusFr Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . 10989 A Zulässigkeit der Werbung politischer Parteien mit Aufdrucken auf Telefonkarten MdlAnfr 10 Claus Jäger CDU/CSU Antw StSekr Frerich Görts BMPT . . . 10989C ZusFr Claus Jäger CDU/CSU 10989 C Berücksichtigung der Verwaltungsschwierigkeiten der Rentenversicherungsträger bei der Einführung der neuen Postleitzahlen MdlAnfr 11 Dr. Gisela Babel F.D.P. Antw StSekr French Görts BMPT . . . . 10990A ZusFr Dr. Gisela Babel F.D.P. 10990A Ausbau der Bundesbahnstrecke Dortmund-Kassel MdlAnfr 47, 48 Hans-Eberhard Urbaniak SPD Antw BM Dr. Günther Krause BMV . . . 10990C, 10991 C ZusFr Hans-Eberhard Urbaniak SPD . 10990D, 10991 C ZusFr Peter Götz CDU/CSU 10991 B Ausbau der Bundesbahnstrecke Dortmund-Kassel MdlAnfr 50, 51 Jürgen Augustinowitz CDU/CSU Antw BM Dr. Günther Krause BMV . . . 10992A ZusFr Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . 10992 B Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung für den Ausbau der A 20 MdlAnfr 52, 53 Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Antw BM Dr. Günther Krause BMV . 10992C, D ZusFr Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10992D, 10993 A Zusatztagesordnungspunkt: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zum fortschreitenden Waldsterben Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . 10993 B Dr. Wolfgang von Geldern CDU/CSU . . 10994 B Marita Sehn F.D.P. 10995 B Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 10996B Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10997 A Siegfried Hornung CDU/CSU 10998 A Marianne Klappert SPD 10999 B Ignaz Kiechle, Bundesminister BML . . 11000A Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . 11001 B Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU 11002B Horst Sielaff SPD . . . . . . . . . . . . 11003 B Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11004 B IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 Dr. Liesel Hartenstein SPD 11005A Dr. Norbert Rieder CDU/CSU 11006C Tagesordnungspunkt 7: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Ganseforth, Robert Antretter, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verminderung der durch den Flugverkehr verursachten ozonzerstörenden und treibhausrelevanten Emissionen (Drucksache 12/2633) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Michael Müller (Düsseldorf), Dr. Liesel Hartenstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schutz der Ozonschicht und der Atmosphäre zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sofortverbot von ozonschädigenden Substanzen (Drucksachen 12/2121, 12/2072, 12/3651) Monika Ganseforth SPD . . . . . . . . 11007 D Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . 11008C Marita Sehn F.D.P. . . . . . . . . . . . 11010 B Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 11011B Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11012C Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär BMU 11014A Horst Kubatschka SPD . . . . . . . . . 11015 D Dr. Jürgen Starnick F D P 11017 B Klaus Harries CDU/CSU 11018B Lothar Ibrügger SPD 11019B Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . 11020 A Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes (Drucksache 12/3330) a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (Drucksache 12/3687) b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 12/3688) 11021B Tagesordnungspunkt 9: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Ermächtigung des Gouverneurs für die Bundesrepublik Deutschland in der Internationalen Finanz-Corporation zur Stimmabgabe für eine Änderung des Abkommens über die Internationale Finanz-Corporation (IFCAbkommensänderungsgesetz) (Drucksachen 12/3321, 12/3552, 12/3772) Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin BMZ 11022A Dr. Ingomar Hauchler SPD 11022 D Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . 11024 A Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 11024 C Tagesordnungspunkt 10: Beratung des Berichts des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Rechtsgleichstellung von Homosexualität und Heterosexualität im Strafrecht (Sexualgleichstellungsgesetz) (Drucksachen 12/850, 12/3865) Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 11025C Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. 11026C Nächste Sitzung 11027 C Berichtigungen 11027 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 11028' A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über das Gesundheits-Strukturgesetz (Tagesordnungspunkt 6) Joachim Clemens CDU/CSU 11028* B Gertrud Dempwolf CDU/CSU 11028* D Walter Link (Diepholz) CDU/CSU . . . 11028* D Helmut Rode (Wietzen) CDU/CSU . . . 11028* D Dr. Olaf Feldmann F.D.P. 11029* A Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . 11029* B Jürgen Koppelin F.D.P. 11029* C Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup CDU/CSU 11030* A Klaus Riegert CDU/CSU 11030* A Helmut Sauer (Salzgitter) CDU/CSU . . . 11030* B Reinhard Freiherr von Schorlemer CDU/ CSU 11030* B Wilfried Seibel CDU/CSU 11030* C Antje-Marie Steen SPD . . . . . . . . . 11030* C Dr. Cornelia von Teichman F.D.P. . . . . 11030* D Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) CDU/ CSU 11031*A Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 11031* B Burkhard Zurheide F.D.P. 11031* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 V Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Joseph-Theodor Blank und Wolfgang Schulhoff (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über das Gesundheits-Strukturgesetz (Tagesordnungspunkt 6) . . . . . . . . 11031* D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Martin Grüner, Ingrid Walz, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Horst Friedrich, Norbert Eimer (Fürth), Dr. Karl-Heinz Guttmacher, Wolfgang Lüder, Dr. Walter Hitschler und Dr. Michaela Blunk (alle F.D.P.) zur Abstimmung über das Gesundheits-Strukturgesetz (Tagesordnungspunkt 6) . . . . . . . . 11032* A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Korrekturen zu der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Gesundheit (Drucksachen 12/3930, 12/3937) zum Gesundheits-Strukturgesetz (Tagesordnungspunkt 6) 11032* C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 8 (Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Wehrsoldgesetzes) Fritz Rudolf Körper SPD 11032* D Claire Marienfeld CDU/CSU . . . . . 11033* B Jürgen Koppelin F.D.P 11034* A Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär BMVg 11034* C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 9 (IFC-Abkommensänderungs-Gesetz) Ingrid Walz F.D.P. . . . . . . . . . . . 11035* B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Sexualgleichstellungsgesetz) Horst Eylmann CDU/CSU 11036*A Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 11036* C Jörg van Essen F. D. P. . . . . . . . . . 11036* D Anlage 9 Forderung des Industrieverbandes Agrar im Zusammenhang mit der europäischen Zulassung von Pestiziden, insbesondere hinsichtlich der Grenzwerte der EG-Trinkwasserrichtlinie MdlAnfr 9 — Drs 12/3921 — Susanne Kastner SPD SchrAntw PStS'in Dr. Sabine BergmannPohl BMG 110375B Anlage 10 Stopp des Ausbaus des Eisenbahnstreckenabschnitts zwischen Soest und Paderborn und erneute Ausschreibung des Projekts MdlAnfr 49 — Drs 12/3921 — Horst Peter (Kassel) SPD SchrAntw BM Dr. Günther Krause BMV . 11037* D Anlage 11 Verkauf der Südbaden-Bus-Gesellschaft (SBG); Übernahmeangebote der südbadischen Landkreise und der Stadt Freiburg MdlAnfr 54, 55 — Drs 12/3921 — Klaus Kirschner SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BMV 11038* B Anlage 12 Benachteiligung der Senioren durch den Wegfall des Senioren-Passes angesichts der Ungültigkeit der Balm-Card für Omnibusse des ÖPNV MdlAnfr 56, 57 — Drs 12/3921 — Uwe Lambinus SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BMV 11038* D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10911 127. Sitzung Bonn, den 9. Dezember 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigungen 126. Sitzung, Seite 10813A, Zeile 25: Statt „unter" ist „guter" zu lesen. Auf den Seiten IV rechte Spalte und 10901 A ist jeweils bei Dr. Cornelia von Teichman statt „SPD" „F.D.P. " zu lesen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bläss, Petra PDS/Linke 09. 12. 92 Liste Brandt-Elsweier, Anni SPD 09. 12. 92 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 09. 12. 92 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 09. 12. 92 Gattermann, Hans H. F.D.P. 09. 12. 92 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 09. 12. 92 Dr. Holtz, Uwe SPD 09. 12. 92 Homburger, Birgit F.D.P. 09. 12. 92 Dr. Leonhard-Schmid, SPD 09. 12. 92 Elke Marx, Dorle SPD 09. 12. 92 Meckel, Markus SPD 09. 12. 92 Michalk, Maria CDU/CSU 09. 12. 92 Dr. Möller, Franz CDU/CSU 09. 12. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 09. 12. 92* Oesinghaus, Günther SPD 09. 12. 92 Rempe, Walter SPD 09. 12. 92 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 09. 12. 92 Ingrid Rother, Heinz CDU/CSU 09. 12. 92 Graf von CDU/CSU 09. 12. 92 Schönburg-Glauchau, Joachim Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 09. 12. 92 Steen, Antje-Marie SPD 09. 12. 92 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 09. 12. 92 Wettig-Danielmeier, Inge SPD 09. 12. 92 Wolf, Hanna SPD 09. 12. 92 Würfel, Uta F.D.P. 09. 12. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung fiber das Gesundheits-Strukturgesetz (Tagesordnungspunkt 6) Joachim Clemens (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung werde ich nicht zustimmen. Ich sehe die Notwendigkeit, daß der Gesetzgeber aufgrund der Kostenexplosion im Gesundheitswesen zum Handeln gezwungen ist. Der vorliegende Gesetzentwurf kuriert jedoch - wie auch die Gesundheitsreform von 1988 - nur an den Symptomen, anstatt wirkliche Strukturveränderungen herbeizuführen. Darüber hinaus erheben sich schwere verfassungspolitische Bedenken. Wieder einmal hat man es nicht gewagt, finanzielle Verantwortung und Kostenverursachung stärker zusammenzuführen. Wieder einmal wird der Nachfrager im Gesundheitsbereich in dem Glauben belassen, Versorgungsleistungen seien weitestgehend kostenlos zu haben, anstatt den Patienten unter anderem durch Kostenerstattungsverfahren die individuelle Kostenverursachung deutlich zu machen und sie in stärkere Mitverantwortung zu nehmen. Das Gesundheitssystem wird auf der Seite der Anbieter immer stärker staatlichem Dirigismus unterworfen. Anstelle eines kostendämpfenden Wettbewerbs auf der Angebotsseite, wie ihn unlängst der Sachverständigenrat gefordert hat, sucht dieser Gesetzentwurf die Lösung in umfassender Regulierung und Vereinheitlichung. Dies geht sogar so weit, daß man jungen Ärzten die Zulassung als Kassenarzt versagen will. Die Beschränkung der Berufszulassung ist nicht nur verfassungsrechtlich höchst fragwürdig. Sie stellt auch einen gravierenden Eingriff in den Wettbewerb dar, indem sie Einkommens- und Beschäftigungsrisiko der bereits niedergelassenen Ärzte wesentlich verringert. Meine Gegenstimme zum vorliegenden Entwurf wird die Verabschiedung des Gesundheits-Strukturgesetzes nicht verhindern können. Seine Befürworter werden jedoch schnell spüren, daß es keine Lösung auf Dauer sein kann. Nur wenn Verantwortung auch auf der Seite der Patienten eingefordert und Wettbewerb statt Dirigismus zum zentralen Prinzip wird, können wir ein zukunftsfähiges Modell im Gesundheitswesen entwickeln. Gertrud Dempwolf, Walter Link (Diepholz), Helmut Rode (Wietzen) (alle CDU/CSU): Dem Entwurf zum Gesundheits-Strukturgesetz, der heute zur Abstimmug steht, stimmen wir im Ganzen zu; gleichwohl erklären wir hiermit, daß wir den Teilregelungen zu Fragen der Kassenzulassung von Ärzten und Zahnärzten sowie der Bedarfsplanung (Art. 1 des Entwurfes, Nm. 52-54) nicht zustimmen. Mit dieser Erklärung möchten wir deutlich machen, daß wir erhebliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser novellierenden Regelungen vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes haben. Die gefundenen Regelungen beschränken unseres Erachtens die freie Wahl des Arztberufes in einer Weise, die den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr gerecht wird. Die Verfassungsrichter haben in ihrem „Kassenarzt-Urteil" aus dem Jahre 1960 zwar festgestellt, daß Zulassungsbeschränkungen nicht generell abzulehnen sind; eine von konkreten Bedürfnissen abhängige Klausel sei durchaus gerechtfertigt. Aber dieser Weg der Beschränkung ist nur dann frei, wenn wir das Ziel der langfristigen Kostensenkung im Gesundheitswesen nicht auf andere Weise sicherstellen können! Wir sind der Auffassung, daß wir den gegebenen Alternativkatalog noch nicht vollständig ausgeschöpft haben. Objektive Regelungen zur Berufswahl - und darum handelt es sich hier - stellen an die Verfas- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11029* sungsmäßigkeit der Schrankenregelung im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG die höchsten Anforderungen. Da wir diese Anforderungen als nicht erfüllt ansehen, stimmen wir diesem Teil der Novelle nicht zu. Wir können auch die Budgetierung der Gesamthonorare der Ärzte für die Jahre 1993 bis 1995 auf der Basis des Jahres 1991 für die niedersächsischen Ärzte so nicht akzeptieren. Sie haben 1991 Geduld gezeigt und die Honorare nicht erhöht, während Bayern z. B. 1991 einen Honorarzuwachs von 30 % aushandelte. Wir empfinden dies als ungerecht und hätten uns hier einen Kompromiß gewünscht. Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): Auch ich will den Beitragssatz und die Lohnnebenkosten stabilisieren, um unser Gesundheitswesen funktionsfähig zu erhalten. Mit diesem Gesundheits-Strukturgesetz wird aber wiederum nur an Symptomen kuriert, ohne die wirklichen Ursachen der Kostenexplosion zu beseitigen. Um das Gesundheitswesen funktionsfähig zu erhalten, muß die „Null-Kosten-Mentalität" abgebaut und die Eigenverantwortung der Menschen gestärkt werden. Dies kann durch höhere finanzielle Selbstbeteiligung — unter Wahrung sozialer Aspekte — oder durch Beitragsrückerstattung im Falle der Nichtinanspruchnahme der Krankenversicherung erfolgen. Wir müssen die marktwirtschaftlichen Ansätze auch im Gesundheitswesen stärken. Die in diesem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus. Sparsamkeit muß sich für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung lohnen. Dieses Gesetz ist keine Strukturreform, sondern wiederum nur ein Kostendämpfungsgesetz, wie wir es bereits hatten. Das Gesundheitswesen ist ein dynamischer und innovativer Bereich, der nicht dauerhaft mit überwiegend administrativen Maßnahmen funktionstüchtig erhalten werden kann. Staatlich verordnete Kostenbegrenzung trägt nur beschränkt zur Gesundung bei. Die vorgesehene Zulassungssperre für Ärzte und Zahnärzte kommt fast einem Berufsverbot gleich. Die den Zahnärzten angedrohten Zwangsmaßnahmen sind nicht hinnehmbar. Die vorgesehene volle Beitragspflicht für freiwillig versicherte Rentner ist willkürlich und diskriminierend. Als Liberaler kann ich solchen Maßnahmen nicht zustimmen. Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): Dem Entwurf zum Gesundheits-Strukturgesetz, der heute zur Abstimmung steht, stimme ich im ganzen zu; gleichwohl erkläre ich hiermit, daß ich den Teilregelungen zu Fragen der Kassenzulassung von Ärzten und Zahnärzten sowie der Bedarfsplanung (Art. 1 des Entwurfs, Nrn. 52-54) nicht zustimme. Mit dieser Erklärung möchte ich deutlich machen, daß ich erhebliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser novellierenden Regelungen vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes habe. Die gefundenen Regelungen beschränken meines Erachtens die freie Wahl des Arztberufes in einer Weise, die den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr gerecht wird. Die Verfassungsrichter haben in ihrem „Kassenarzt-Urteil" aus dem Jahre 1960 zwar festgestellt, daß Zulassungsbeschränkungen nicht generell abzulehnen sind; eine von konkreten Bedürfnissen abhängige Klausel sei durchaus gerechtfertigt. Aber dieser Weg der Beschränkung ist nur dann frei, wenn wir das Ziel der langfristigen Kostensenkung im Gesundheitswesen nicht auf andere Weise sicherstellen können! Ich bin der Auffassung, daß wir den gegebenen Alternativkatalog noch nicht vollständig ausgeschöpft haben. Objektive Regelungen zur Berufswahl — und darum handelt es sich hier — stellen an die Verfassungsmäßigkeit der Schrankenregelung im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG die höchsten Anforderungen. Da ich diese Anforderungen als nicht erfüllt ansehe, stimme ich diesem Teil der Novelle nicht zu. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Ich werde dem Gesundheits-Strukturgesetz nicht zustimmen. Für meine Gründe, das Gesetz abzulehnen, möchte ich nur wenige Punkte nennen: 1) Mit dieser „Reform" wird eindeutig der Weg in ein staatliches Gesundheitssystem beschritten. Das Ergebnis wird ein qualitativ schlechteres und letztlich auch teures, weil ineffizientes und überbürokratisiertes System sein, in dem das Leistungs- und Selbstverantwortungsprinzip aller Beteiligten als Basis einer vernünftigen Reform auf der Strecke bleibt. 2) In Bayern hat es im Jahre 1991 eine 16%ige Steigerung der Gesamtvergütung für ambulante Versorgung gegeben, mit der wesentliche Strukturdefizite ausgeglichen werden konnten. In Schleswig-Holstein und anderen norddeutschen Ländern wurden 1991 sehr sparsame Honorarverträge abgeschlossen, und erst in den Jahren 1992 und zum Teil auch erst für 1993 wurden mit Rücksicht auf die finanzielle Situation der Krankenkassen Verträge abgeschlossen, die im Vergleich zu Bayern in sehr bescheidenem Maße einen Ausgleich bringen für nachgewiesene Mehrbelastung in der ambulanten Versorgung durch entsprechende Einsparungen im Krankenhausbereich seit vielen Jahren. Wenn jetzt in dem Gesetzentwurf das Jahr 1991 als Ausgangsbasis für ein Honorarbudget für die folgenden drei Jahre gewählt wird, bedeutet dies eine unerträgliche Bevorzugung Bayerns und einen schweren Einbruch für Schleswig-Holstein, weil damit das Niveau der ambulanten Versorgung nicht gehalten werden kann, denn die Leistungen werden dann wiederum nur zu 70 bis 80 % bezahlt und können deshalb partiell nicht erbracht werden. 3) Wenn wir jetzt Vorsorgeuntersuchungen und andere Präventionsmaßnahmen im allgemeinen kontingentieren, so ist das nicht zu akzeptieren. Alle Bemühungen, durch präventive Maßnahmen die Gesundheit unserer Bevölkerung zu fördern, werden dadurch auf den Kopf gestellt. 11030* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 4) Dasselbe gilt für die Förderung des ambulanten Operierens. Die dafür zur Verfügung gestellte Marge von 10 % Wachstum wird nicht ausreichen, um auch nur ein einziges Krankenhausbett einzusparen. Das Gesetz ist mit meinen Vorstellungen zu unserem Gesundheitswesen nicht vereinbar. Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup (CDU/CSU): Die Organisationsreform in der gesetzlichen Krankenversicherung lehne ich ab. Sie wird im Ergebnis das gegliederte System in der Krankenversicherung aufheben, weil der Wettbewerb als das Macht verteilende Prinzip mehr und mehr außer Kraft gesetzt wird zugunsten einer regulierten und bürokratisierten Einheitsversicherung. Die beitragsrechtliche Neuregelung für freiwillig Versicherte im Ruhestand findet nicht meine Zustimmung. Dieser Weg führt nicht zu mehr Subsidiarität und belohnt nicht eigenverantwortliches Handeln. Klaus Riegert (CDU/CSU): Ich lehne die im Gesundheits-Strukturgesetz 1993 getroffenen Regelungen zur Organisationsreform der Krankenversicherung ab. Sie gefährden den Bestand der gegliederten Krankenversicherung und zeichnen den Weg in die Einheitsversicherung vor. Für verfassungsrechtlich problematisch halte ich darüber hinaus die beitragsrechtliche Neuregelung für freiwillig Versicherte im Ruhestand. Wenn ich dem Gesetzentwurf dennoch zustimme, dann geschieht dies unter dem Druck der notwendigen Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Helmut Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU): Grundsätzlich stimme ich dem vorgelegten Entwurf zu einem Gesundheits-Strukturgesetz zu, erkläre aber zugleich meine schwersten Bedenken in zwei Teilbereichen: Sie betreffen die neuen Bestimmungen über die Kassenzulassung einschließlich der Festlegung von Höchstaltersgrenzen für Ärzte und Zahnärzte und die Regelungen zur Bedarfsplanung. Meine Bedenken begründe ich mit rechtlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelungen und mit dem Widerspruch zu meinen Grundüberzeugungen hinsichtlich der Freiheit der Berufsausbildung. Insofern stimme ich den beiden genannten Teilen des Gesetzentwurfs nicht zu. Reinhard Freiherr von Schorlemer (CDU/CSU): Dem Entwurf zum Gesundheits-Strukturgesetz, der heute zur Abstimmung steht, stimme ich im ganzen zu. Gleichwohl erkläre ich hiermit, daß ich den Teilregelungen zu Fragen der Kassenzulassung von Ärzten und Zahnärzten sowie der Bedarfsplanung (Art. 1 des Entwurfs, Nrn. 52-54) nicht zustimme. Mit dieser Erklärung möchte ich deutlich machen, daß ich erhebliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser novellierenden Regelungen vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes und der Gewährleistung des Eigentums und des Erbrechts des Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes habe. Die Befundenden Regelungen beschränken meines Erachtens die freie Wahl des Arztberufes und das Eigentums- und Erbrecht in einer Weise, die den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr gerecht wird. Objektive Regelungen zur Berufswahl — und darum handelt es sich hier — stellen an die Verfassungsmäßigkeit der Schrankenregelung im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG die höchsten Anforderungen. Das gleiche gilt auch bei der Beachtung des Art. 14 Abs. 1 des GG, durch den „das Eigentum und das Erbrecht gewährleistet werden". Da ich diese Anforderungen als nicht erfüllt ansehe, stimme ich diesem Teil der Novelle nicht zu. Wilfried Seibel (CDU/CSU): Ich unterstütze das Ziel der Gesetzgebung, eine Kostendämpfung im Gesundheitswesen zu erreichen, uneingeschränkt. Gegen eine Vielzahl von Regelungen habe ich rechtliche und erhebliche ordnungspolitische Bedenken. Ich werde mich deshalb nicht an der Abstimmung beteiligen. Antje-Marie Steen (SPD): Ich stimme dem Gesetz ausdrücklich zu, weil ich hier Ansätze sehe, daß damit eine grundsätzliche Strukturveränderung im Gesundheitswesen erfolgt. Bestehende Ungleichbehandlungen werden mit diesem Gesetz korrigiert, und es beinhaltet wirkungsvolle Maßnahmen zur fortschrittlichen Entwicklung im Gesundheitswesen. Auch erfolgt durch dieses Gesetz eine Neuorganisation der Krankenversicherungen, durch die der Bestand der gesetzlichen Krankenversicherung und die Solidargemeinschaft gesichert werden. Dr. Cornelia von Teichman (F.D.P.): Es muß in allen Lebensbereichen gespart werden, auch im Gesundheitsbereich. Der Weg, der im Gesundheitsbereich hierzu beschritten wird, ist jedoch nicht der richtige und genauso falsch wie der bei der ersten Gesundheits-Strukturreform (1988) und wird genauso wenig zu dauerhaften Einsparungen führen wie die frühere „Reform". Unser Sozialversicherungssystem in der jetzigen Form wird nicht auf Dauer tragfähig sein, darf aber nicht durch einen verstärkten staatlichen Interventionismus ersetzt werden. Dies wäre weder billiger noch besser für den Patienten. Warnende Beispiele wie die frühere DDR oder Schweden gibt es in ausreichender Zahl. Unsere Gesellschaft ist vielmehr angewiesen auf einen neuen Konsens. Wir benötigen verstärkt marktwirtschaftliche Prinzipien im gesamten sozialen Versicherungsbereich, zum Beispiel bei den Krankenkassen und Krankenhäusern; marktwirtschaftliche Reformen sind auch ein Anliegen der Ärzteschaft. Wir brauchen auch mehr Eigenverantwortung und Wahlmöglichkeiten für die Patienten, mehr Kostentransparenz. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11031* Leider sieht sich hier die F.D.P., die wesentliche Verbesserungen bei den Entwürfen erreicht hat, einer großen Koalition gegenüber, wie im übrigen auch bei der Frage der Pflegeversicherung, bei der auch ein grundsätzlich falscher Zukunftsweg beschritten werden soll. Insbesondere die Niederlassungsbeschränkungen für Ärzte, die Budgetierung, die Regelungen über die Krankenkassen mit der Tendenz zur Entwicklung einer Einheitskasse sowie die Regelung für privat versicherte Rentner halte ich zum großen Teil für ungeeignet, Gesundheitskosten dauerhaft zu reduzieren. Darüber hinaus halte ich Teile der hier angesprochenen Punkte für verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Nicht nur als liberale Abgeordnete, auch als Ärztin und Patientin kann ich diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) (CDU/CSU): Dem Entwurf zum Gesundheits-Strukturgesetz, der heute zur Abstimmung steht, stimme ich im ganzen zu; gleichwohl erkläre ich hiermit, daß ich den Teilregelungen zu Fragen der Kassenzulassung von Ärzten und Zahnärzten sowie der Bedarfsplanung (Art. 1 des Entwurfes, Nrn. 52-54) nicht zustimme. Mit dieser Erklärung möchte ich deutlich machen, daß ich erhebliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser novellierenden Regelungen vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes habe. Die gefundenen Regelungen beschränken meines Erachtens die freie Wahl des Arztberufes in einer Weise, die den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr gerecht wird. Die Verfassungsrichter haben in ihrem „Kassenarzt-Urteil" aus dem Jahre 1960 zwar festgestellt, daß Zulassungsbeschränkungen nicht generell abzulehnen sind; eine von konkreten Bedürfnissen abhängige Klausel sei durchaus gerechtfertigt. Aber dieser Weg der Beschränkung ist nur dann frei, wenn wir das Ziel der langfristigen Kostensenkung im Gesundheitswesen nicht auf andere Weise sicherstellen können! Ich bin der Auffassung, daß wir den gegebenen Alternativkatalog noch nicht vollständig ausgeschöpft haben. Objektive Regelungen zur Berufswahl — und darum handelt es sich hier — stellen an die Verfassungsmäßigkeit der Schrankenregelung im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG die höchsten Anforderungen. Da ich diese Anforderungen als nicht erfüllt ansehe, stimme ich diesem Teil der Novelle nicht zu. Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Zu meinem Abstimmungsverhalten beim GesundheitsStrukturgesetz erkläre ich folgendes: Ich stimme zu, da in einer sonst nicht bewältigbaren Situation gehandelt werden mußte. Ausdrücklich zu Protokoll geben möchte ich aber meine feste Überzeugung, daß dem zugrundeliegenden Problem mit Kostendämpfungen allein nicht beigekommen werden kann. Eine echte Strukturreform müßte gründlich vorbereitet werden und die in diesem Gesetz gegebenen Ansätze verstärken, sowohl was das Kostenbewußtsein auf der Nachfrageseite als auch den Wettbewerb auf der Angebotsseite betrifft. Es müßte auch deutlich werden, welche Leistungen von einer gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden können und welche der privaten Vorsorge vorbehalten bleiben. Ein solches Gesetz müßte neue Spielräume dann aber dazu nutzen, Staatseingriffe in den Markt zu reduzieren, was insbesondere auch die Beschränkung des Berufszugangs für Ärzte anbelangt. Burkhard Zurheide (F.D.P.): Bei der Abstimmung über das Gesundheits-Strukturgesetz 1993 werde ich mich der Stimme enthalten. Ich erkenne an, daß einschneidende Maßnahmen notwendig sind, um die Kostenexplosion im Gesundheitswesen zu stoppen. Ich bezweifle aber, daß dieses Ziel durch Anwendung dirigistischer und interventionistischer Mittel erreicht werden kann. Auch im Gesundheitswesen müssen die Prinzipien von Eigenverantwortung, Eigenvorsorge und Wettbewerb gelten, wenn das Gesundheitssystem bezahlbar bleiben soll. Wenn nicht alsbald in diesem Sinne eine Reform erfolgt, ist der Weg in die Staatsmedizin unausweichlich. Ich habe zur Kenntnis zu nehmen, daß die politischen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag gegenwärtig eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens (noch) nicht ermöglichen. Ich werde mich daher der Stimme enthalten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Joseph-Theodor Blank und Wolfgang Schulhoff (beide CDU/CSU) zur Abstimmung fiber das Gesundheits-Strukturgesetz (Tagesordnungspunkt 6) Nach wie vor sind wir der Auffassung, daß die beitragsrechtliche Neuregelung für freiwillig Versicherte dem Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht gerecht wird. Zwar erkennen wir an, daß es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gelungen ist, für diesen Personenkreis Verbesserungen insoweit zu erreichen, als die ehemals freiwillig Versicherten, die schon eine Rente beziehen bzw. bis zum 31. 12. 1992 in Rente gehen, aus der geplanten Regelung herausgenommen worden sind. Für die rentennahen Jahrgänge hätte jedoch nach unserer Auffassung eine längere Übergangsfrist eingeräumt werden müssen, damit sie ihre Lebensplanung — insbesondere die Kalkulation der Altersversorgung - auf diese neue Situation hätten einrichten können. Wenn wir trotzdem diesem Gesetz heute zustimmen, tun wir dies ausschließlich deshalb, weil eine Dämpfung der Kosten im Gesundheitswesen dringend geboten ist und nicht weiter hinausgezögert werden kann. 11032* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO Der Abgeordneten Martin Grüner, Ingrid Walz, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Horst Friedrich, Norbert Eimer (Fürth), Dr. Karl-Heinz Guttmacher, Wolfgang Lüder, Dr. Walter Hitschler und Dr. Michaela Blunk (alle F.D.P.) zur Abstimmung über das Gesundheits-Strukturgesetz (Tagesordnungspunkt 6) Dem Gesundheits-Strukturgesetz können wir aus mehreren Gründen nicht zustimmen: 1. Die dringend notwendige Beitragsstabilisierung in der gesetzlichen Krankenversicherung soll unter anderem durch im Ansatz verfehlte Eingriffe des Gesetzgebers in die Verträge der Ärzte, Zahnärzte, Zahntechniker und Apotheker mit den gesetzlichen Kassen bewirkt werden. Die vom Gesetzgeber erzwungenen und vorgesehenen Reduzierungen der Entgelte für Gesundheitsdienstleistungen trotz steigender Unkosten der Leistungserbringer sind nicht vertretbar. Die betroffenen Berufsgruppen haben Alternativvorschläge vorgelegt, die durchaus zu vergleichbaren, wenn nicht höheren Entlastungen der Lohnnebenkosten führen würden. 2. Unvertretbar ist die vorgesehene Regelung, freiwillig Versicherte im Rentenalter ab 1. Januar 1993 mit ihrem Gesamteinkommen beitragspflichtig zu machen im Gegensatz zu ehemals pflichtversicherten Rentnern. Die Entscheidung ist auch willkürlich, weil es pflichtversicherte Rentner gibt, die wesentlich höhere Einkommen haben als freiwillig versicherte Rentner. Die kurzfristig getroffene Entscheidung, diese Regelung nur für ab 1. Januar 1993 in Rente gehende Versicherte wirksam werden zu lassen, ist politisch zu begrüßen und wird einen Proteststurm vermeiden, ändert aber nichts an der rechtlich bedenklichen unterschiedlichen Behandlung gleicher Tatbestände, der sich die Betroffenen durch eigene Entscheidungen nicht mehr entziehen können. 3. Die vorgesehene Zulassungssperre für junge Ärzte und Zahnärzte kommt in unserem Krankenversicherungspflichtsystem einem faktischen Berufsverbot gleich. Das ist gesellschaftspolitisch und menschlich unerträglich. Auf verfassungsrechtliche Bedenken haben der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages und die Bundesjustizministerin aufmerksam gemacht. Erschwerend kommt hinzu, daß der angestrebte Erfolg nicht eintreten wird, da es eine wachsende und praktisch unbegrenzte Nachfrage nach ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen gibt, solange diese für den einzelnen Patienten kostenlos sind. Das vorliegende Gesundheits-Strukturgesetz will die Illusion aufrecht erhalten, es sei möglich, die ständige und wachsende Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen weiterhin uneingeschränkt über die Lohnnebenkosten zu finanzieren. Die mit der Aufrechterhaltung dieser Illussion gegebene Gefährdung der Arbeitsplätze besteht weiter. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Korrekturen zu der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Gesundheit (Drucksachen 12/3930, 12/3937) zum Gesundheits-Strukturgesetz (Tagesordnungspunkt 6) *) 1. In Art. 1 muß nach Nr. 28 folgende Nr. 28 a eingefügt werden: „28 a. In § 62 Abs. 2 a Satz 2 wird die Angabe „ § 30 Abs. 5 Satz 2" durch die Angabe „ § 30 Abs. 2 Satz 2" ersetzt." 2. In Artikel 1 Nr. 33 Buchstabe b) (§ 73 Abs. 1 b SGB V) müssen in Satz 2 hinter dem Wort „Versicherten" und in Satz 4 nach dem Wort „Unterlagen" jeweils die Worte „mit dessen Einverständnis" eingefügt werden. 3. In Art. 1 Nr. 152 Buchstabe a) werden die Worte „in Art. 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet" jeweils durch das Wort „Beitrittsgebiet" ersetzt. 4. In Art. 1 Nr. 152 Buchstabe b) wird Satz 2 wie folgt gefaßt: „Für versicherte Mitglieder in dem Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz bis zum Inkrafttreten des Einigungsvertrages nicht galt, gilt als beitragspflichtige Einnahmen nach § 266 Abs. 3 das einfache arithmetische Mittel zwischen den durchschnittlichen beitragspflichtigen Einnahmen je Mitglied der in diesem Teil des Landes Berlin versicherten Mitglieder und den durchschnittlichen beitragspflichtigen Einnahmen je Mitglied aller im Land Berlin versicherten Mitglieder der Krankenkasse." 5. Art. 33 Abs. 6 entfällt. Absätze 7 und 8 werden 6 und 7. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 8 (Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Wehrsoldgesetzes) Fritz-Rudolf Körper (SPD): Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf möchte ich folgende Bemerkungen machen. Der Gesetzentwurf ist wohl unstreitig. Ich verhehle nicht, daß ich mir schon früher eine Erhöhung des Wehrsoldes und der finanziellen Zuwendung gewünscht hätte. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte einen entsprechenden Antrag gestellt, der allerdings von Seiten der Koalitionsparteien abgelehnt wurde. Hier stellt sich für mich die Frage, ob unser Antrag von einer anderen Qualität gewesen ist im Vergleich zu dem, was uns heute hier vorliegt. Wünschenswert wäre es gewesen, daß die Regierung mit den sie tragenden Fraktionen einmal über ihren Schatten gesprungen wäre. *) Vgl. Seiten 10917 D, 10973 A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11033' Zur Zeit liegt ein vergleichbarer Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion vor, in dem die Dienstzeit auf 38,5 Stunden im Bereich der Bundeswehr begrenzt werden soll. Vielleicht können wir an diesem Beispiel auch einmal praktizieren, daß von seiten der Koalitionsfraktionen ein Gesetzentwurf der Opposition mitgetragen wird. Ich möchte die Möglichkeit nutzen, darauf hinzuweisen, daß die zukünftigen Anhebungen im Bereich des Wehrsoldes und der finanziellen Zuwendungen direkter vorzunehmen sind. Die letztmalige Erhöhung erfolgte im Jahre 1989. Zwischenzeitlich hätte schon einmal eine Erhöhung erfolgen können, auch unter der Beachtung des besonderen Charakters des Wehrsoldes und der finanziellen Zuwendung. Für die betroffenen jungen Leute ist die Zeit der Wehrpflicht und des Zivildienstes meist ohnehin eine materielle Einschränkung. Zu begrüßen ist auch, daß das Verfahren zukünftig geändert werden soll. Ich halte es für richtig, die Gewährung eines erhöhten Wehrsoldes zukünftig über den Verordnungsweg zu regeln. Der Innenminister soll dies im Einvernehmen mit seinen Kollegen aus dem Verteidigungs- und Finanzministerium erledigen können. Damit verbinde ich auch die Hoffnung, daß eine Erhöhung künfig zeitnäher erfolgen kann. Grundsätzlich müßte auch einmal überlegt werden, ob die finanziellen Zuwendungen für Wehrpflichtige und Zivildienstleistende in der bestehenden Höhe noch zeitgemäß sind. Dies bedarf aber wohl einer gründlichen Beratung in den zuständigen Ausschüssen. Wir von der SPD-Bundestagsfraktion stimmen dem vorliegenden Gesetzentwurf auf der Drucksache 12/3330 zu. Claire Marienfeld (CDU/CSU): Die Fraktion der CDU/CSU stimmt der Erhöhung des Wehrsoldes um 2,— DM und der Erhöhung der besonderen Zuwendungen um 60,— DM auf 450,— DM rückwirkend zum 1. Dezember 1992 zu. Wir freuen uns, daß dies jetzt möglich war, wo wir uns fürwahr in einer finanziellen Zwangslage befinden. Doch ich meine auch, daß gerade bei den Wehrpflichtigen eine Anhebung des Wehrsoldes als Anerkennung ihrer Leistung gerechtfertigt ist. Die Wehrsolderhöhung steht nicht isoliert da. Sie reiht sich in Leistungsverbesserungen auch in anderen Bereichen ein. Ich möchte besonders die Leistung nach dem Unterhaltssicherungsgesetz betonen und damit die Bitte verbinden, daß auch hier der Dreijahresrhythmus wie beim Wehrsold eingehalten wird. Sicherlich können damit nicht alle wirtschaftlichen Einbußen ausgeglichen werden, die mit dem Wehrdienst verbunden sind. Doch die Sicherung des Lebensbedarfes des Wehrpflichtigen und seiner Angehörigen erfüllt dieses Gesetz. Die politisch Verantwortlichen sind sich aber auch ihrer Verpflichtung gegenüber den jungen Dienenden für die Zeit nach dem Wehrdienst bewußt. Umfangreiche Berufsförderungsmaßnahmen kann der Wehrpflichtige nach Abschluß der Grundausbildung in Anspruch nehmen. Nun wird ein junger Mann seine Entscheidung, zu dienen und damit zur Sicherheit unseres Landes beizutragen, nicht alleine vom Wehrsold abhängig machen. Neben vielen Überlegungen ist dies ein Faktor. Sicherlich werden Fragen nach dem Sinn dieser Aufgabe, nach dem persönlichen Wert der Erfüllung, nach der Art der Unterbringung und dabei auch die Frage, ob sich der Stationierungsort in der Nähe des Elternhauses und noch mehr in der Nähe der Freundin befindet, eine Rolle spielen. Neben den materiellen Dingen müssen wir auch die ideellen Fragen der jungen Menschen beantworten. Die Voraussetzungen sind gut. Unsere jungen Bürger haben ein ausgeprägtes Verständnis für Sicherheitspolitik. Eine repräsentative Befragung des EMNID- Institutes bei jungen Männern im alter von 16 bis 18 Jahren brachte ein interessantes Ergebnis: 85 % sagen, die Bundeswehr mache den Frieden sicherer, 85 % sagen, jeder eigenständige Staat benötige Streitkräfte, und 76 % sagen, daß Gesamtdeutschland schon wegen seiner geographischen Lage starke Streitkräfte brauche. Ich finde, dies sind ermutigende Ansichten. Allerdings hat diese Umfrage auch ergeben, daß sich 40 % mit dem Gedanken tragen, den Wehrdienst zu verweigern. Ich bin der festen Überzeugung, es ist nicht die Höhe des Wehrsoldes, die diese Entscheidung beeinflußt. Es mag für jeden Verweigerer eine Reihe persönlicher Gründe geben. Ich glaube aber auch, daß es vor allem Gründe sind, die mit dem Ansehen der Soldaten im weitesten Sinne zu tun haben. Wenn Kirchen den Ersatzdienst höher schätzen als den Dienst der Soldaten und dies auch propagieren, ist es bedenklich. Was nicht heißen soll, daß ich damit die Leistung der Zivildienstleistenden schmälern will. Es gibt weiß Gott eine Reihe junger Männer, deren Ersatzdienst, vor allem mit alten Menschen und Behinderten, nicht hoch genug geschätzt werden kann. Doch ich wehre mich gegen die Herabsetzung des Wehrdienstes. Erlauben Sie mir vor dem Hintergrund dessen, was sich im ehemaligen Jugoslawien abspielt, diese Haltung besonders zu verurteilen. Hier können nur Soldaten, keine Wehrpflichtigen, aber Soldaten, die früher Wehrdienst geleistet haben, dem Morden ein Ende setzen. Männer, die bereit sind, notfalls selbst Schaden davonzutragen oder sogar ihr Leben zu lassen. Wo bleibt angesichts dessen die Anerkennung derer, die sich so gerne zu Moralaposteln erheben? Ich denke an bestimmte Medien, die die Akzeptanz des Dienstes unserer Soldaten ständig in Frage stellen. Aber auch da muß ich auf Berichterstattungen zu den grausamen Kämpfen in Bosnien-Herzegowina verweisen. Unschuldige Zivilpersonen werden regelrecht niedergemetzelt. Die Forderung nach einer Beendigung dieses Dramas wird erhoben. Wer soll es beenden? Die vielgeschmähten Soldaten. Meine Damen und Herren, da stimmt etwas nicht. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß auch diese unerfreulichen Beurteilungen des Wehrdienstes durch wichtige Institutionen unseres öffentlichen Lebens zur Meinungsbildung unserer jungen Menschen beitragen. Ich möchte allerdings nicht nur nach außen sehen. Auch das, was der junge Mann über die Bundeswehr 11034* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 erfährt, das, was ihm Freunde und Verwandte über das Leben in der Truppe berichten, beeinflußt seine Entscheidung. Fragen nach der Dienstgestaltung, dem Führungsverhalten und den Verantwortungs- und Beteiligungsmöglichkeiten der jungen Wehrpflichtigen werden eine Rolle spielen. Auch da mag es hier und da noch Verbesserungsbedarf geben. Doch ich bin überzeugt davon, daran wird gearbeitet. In mir klingen immer noch Erfahrungen nach, die ich in den Sommerferien eine Woche lang in Augustdorf sammeln konnte. Was mich nachhaltig beeindruckt hat, war das Erleben von hoher Sensibilität und Verantwortungsbewußtsein gerade bei jungen Ausbildern. Junge Menschen, denen die Verantwortung für noch jüngere aus allen Schichten der Bevölkerung übertragen war, bewältigten mit starkem menschlichem Engagement und Verständnis ihre Aufgabe. Dies hat mich immer wieder beeindruckt. Wir brauchen Soldaten, wir brauchen junge Männer, die bereit sind, diesen Dienst zu tun. Wir brauchen Freiwillige und Berufssoldaten, die zum großen Teil aus den Wehrpflichtigen hervorgehen. Wir müssen alles tun, die Attraktivität der Bundeswehr zu erhöhen, und dazu gehört auch im bescheidenen Rahmen der Wehrsold, der nie eine angemessene Entlohnung für die Dienstleistung des Soldaten sein kann. Doch die Wehrsolderhöhung ist ein wichtiges Zeichen der Anerkennung für diesen Dienst. Jürgen Koppelin (F. D. P.): In einem Entschließungsantrag haben Anfang Juni im Verteidigungsausschuß die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. die Bundesregierung aufgefordert, die Voraussetzungen für eine Wehrsolderhöhung um 2 DM pro Tag ab 1. Oktober 1992 zu schaffen. Mit dem Gesetzentwurf über das 13. Gesetz zur Änderung des Wehrsoldgesetzes ist die Bundesregierung der Aufforderung des Verteidigungsausschusses nachgekommen. Damit erhält z. B. ein Gefreiter monatlich jetzt ca. 450 DM. Zu begrüßen ist auch die Erhöhung des Weihnachtsgeldes für Grundwehrdienstleistende um 60 DM auf 450 DM. Mit der Änderung des § 7 des Wehrsoldgesetzes erhalten nun zukünftig alle Grundwehrdienstleistenden diese besondere Zuwendung. Bisher waren die im November und Dezember einberufenen Soldaten von der Zahlung ausgeschlossen. Für die F.D.P. möchte ich doch darauf hinweisen, daß diese Wehrsolderhöhung sowie die Erhöhung des Weihnachtsgeldes für Grundwehrdienstleistende ein erheblicher finanzieller Belastungsposten im Haushalt des Verteidigungsministers darstellen. In einer Zeit, in der wir gerade beim Verteidigungshaushalt erhebliche Einsparungen vornehmen müssen, bedeuten die Erhöhung des Wehrsoldes und der besonderen Zuwendung eine finanzielle Mehrbelastung im Jahr 1993 von 221,5 Millionen DM. Mit der Erhöhung des Wehrsoldes stellen wir die Wehrpflichtigen nicht nur finanziell etwas besser, sondern, so meine ich, es ist auch eine Anerkennung für ihren Dienst. Uns allen ist klar, daß der Wehrsold bei weitem kein Ausgleich für entgangenes Einkommen oder geopferte Freizeit sein kann. Ich will bei dieser Gelegenheit noch einmal eine Anregung aus der ersten Lesung wiederholen, in der ich vorgeschlagen habe, daß wir uns darüber Gedanken machen sollten, vom bisherigen Rhythmus der 3jährigen Erhöhung des Wehrsoldes abzukommen und eventuell in kürzeren Zeitabständen zukünftig den Wehrsold zu erhöhen. Ich meine auch, daß wir auf längere Zeit gesehen nicht darum herumkommen, uns insgesamt Überlegungen für Verbesserungen für die Grundwehrdienstleistenden zu machen. Ich will als Stichwort hier nur nennen das Problem der Familienheimfahrten. Für die F.D.P.-Fraktion möchte ich auch bei dieser Gelegenheit allen Wehrpflichtigen der Bundeswehr unseren Dank für ihren Dienst aussprechen. Wir wissen ihren Dienst, den sie für die Gemeinschaft leisten, zu würdigen und anzuerkennen. Die F.D.P. wird dem eingebrachten Entwurf eines 13. Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes die Zustimmung geben. Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Der Bundesminister der Verteidigung hat wiederholt betont, daß gerade auch in der Phase des Umbaus der Bundeswehr die Sorge um den Menschen Vorrang hat. Dies gilt in besonderem Maße für unsere Grundwehrdienstleistenden, die durch ihren Dienst eine bedeutsame staatsbürgerliche Aufgabe erfüllen. Sie bringen dabei nicht unwesentliche Opfer für das Gemeinwohl, indem sie während der Zeit des Wehrdienstes ihre persönlichen und beruflichen Belange zurückzustellen haben. Dafür gebührt unseren Wehrpflichtigen der Dank und der Respekt von uns allen. Der Wehrpflicht unserer jungen Männer steht die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber, d. h. die Grundwehrdienstleistenden haben ein Anrecht auf angemessene finanzielle Zuwendungen. So hat diese Koalition von Anfang an die laufende Verbesserung der den Wehrpflichtigen zustehenden Leistungen — auch unter Berücksichtigung der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung — als ein vordringliches Ziel angesehen. Deshalb wurden die Wehrsoldtagessätze ab 1. Oktober 1984 und ab 1. Januar 1987 jeweils um 1 DM angehoben. Eine strukturelle Erhöhung der Wehrsoldtagessätze zwischen 2 DM und 6 DM erfolgte ab 1. Juni 1989. Darüber hinaus haben wir auch das Weihnachtsgeld für Grundwehrdienstleistende mehrfach angehoben, und zwar 1984 von 270 DM auf 310 DM, 1987 auf 340 DM und 1989 auf 390 DM. Auch das Entlassungsgeld am Ende des Grundwehrdienstes wurde deutlich verbessert: 1984 von 1 050 DM auf 1 110 DM und 1990 auf 2 500 DM; an diesem Betrag haben wir festgehalten, obwohl er ursprünglich für eine Wehrdienstdauer von 18 Monaten gelten sollte und seit 1. Oktober 1990 nur noch 12 Monate zu dienen sind. Nur am Rande sei die seit 1. Juni 1989 wirksame Verdoppelung des Verpflegungsgeldes erwähnt. Weitere Vorteile für die Wehrpflichtigen hat auch der höhere Ausgleich für besondere zeitliche Belastungen gebracht, nämlich 6 DM oder 11 DM täglich ab 1. Juni 1989 sowie 12 DM oder 22 DM täglich ab 1. Juni 1990. Eine weitere spürbare Erhöhung dieser Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11035* Vergütungsbeträge wird derzeit im BMVg ebenso geprüft wie eine Gewährung der Ausgleichszahlung bereits ab dem 4. anstelle des jetzt gültigen 7. Dienstmonats. Der vorliegende Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes bringt eine erneute Anhebung der Wehrsoldtagessätze und des Weihnachtsgeldes entsprechend den seit der letzten Erhöhung im Jahre 1989 eingetretenen Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse. Hierbei erhöhen sich die Wehrsoldtagessätze rückwirkend ab 1. Oktober 1992 um 2 DM und das Weihnachtsgeld um 60 DM auf 450 DM. Außerdem werden entgegen der bisherigen Regelung künftig auch diejenigen Wehrpflichtigen ein Weihnachtsgeld erhalten, die im November oder am 1. Dezember einberufen worden sind. Diese Grundwehrdienstleistenden waren bisher vom Weihnachtsgeld ausgeschlossen. Besonders erfreulich ist, daß die Erhöhung des Wehrsoldes und des Weihnachtsgeldes auch unseren Grundwehrdienstleistenden aus den neuen Bundesländern voll zugute kommt. Seit dem 30. Juni 1991 und damit seit mehr als einem Jahr erhalten bereits alle Grundwehrdienstleistenden die gleichen Bezüge. Gerade damit hat die Bundesregierung einen wichtigen Beitrag zur notwendigen Angleichung der Lebensverhältnisse in den alten und neuen Bundesländern geleistet. Zusammen genommen kann sich die Bilanz der Leistungen dieser Koalition für unsere Wehrpflichtigen wohl sehen lassen: Seit 1984 haben wir den Wehrsoldtagessatz von 7,50 DM auf 13,50 DM (d. h. um 80 %) erhöht. Im gleichen Zeitraum stieg das Weihnachtsgeld von 270 DM auf 450 DM (66,6 %) und das Entlassungsgeld von 1 050 DM auf 2 500 DM (138 %). Mit all diesen Verbesserungen für unsere wehrpflichtigen Soldaten würdigen wir die Leistungs- und Einsatzbereitschaft dieser jungen Menschen für unseren Staat. Gleichzeitig bringen wir den hohen Stellenwert der Wehrpflicht zum Ausdruck, den sie auch künftig als Eckstein unserer Landesverteidigung einnimmt. Ohne Grundwehrdienstleistende könnten Heer, Luftwaffe und Marine ihren Auftrag nicht erfüllen. Deshalb hält die Bundesregierung auch vor dem Hintergrund der Veränderungen der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen aus gesellschaftlichen, politischen und militärischen Gründen am Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht fest. Sie ist und bleibt der Garant dafür, daß unsere Streitkräfte fest in der Gesellschaft verankert sind. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 9 (IFC-Abkommensänderungs-Gesetz) Ingrid Walz (F. D. P.): Der Gegenstand des vorliegenden Gesetzentwurfes sollte eigentlich diesem Hohen Hause keinen Anlaß für eine kontroverse Debatte bieten, zumal der Bundesrat gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung keine Einwände erhoben hat. Nötig ist allerdings — wie die Beratungen im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit gezeigt haben —, die Bedeutung des privaten Sektors für den Entwicklungsprozeß und die Rolle der International Finance Corporation (IFC) zu diskutieren. Die Hinwendung der Staaten Mittel- und Osteuropas sowie einer wachsenden Zahl von Entwicklungsländern zu mehr Demokratie und Marktwirtschaft macht tiefgreifende strukturelle Veränderungen unumgänglich. Es ist nötig, diesen Reformprozeß auch durch eine umfassende entwicklugspolitische Zusammenarbeit zu unterstützen. Die Entfaltung privater unternehmerischer Initiative als zentraler Motor wirtschaftlicher Entwicklung ist unbestritten. Wichtige und unverzichtbare Grundlagen dafür sind der Aufbau privatwirtschaftlicher Strukturen und funktionierende marktwirtschaftliche Ordnungen. Gleichzeitig setzt dies aber auch umfassende und nachhaltige Eigenanstrengungen der Partner voraus. Solche Eigenanstrengungen sind nicht nur von den jeweiligen Regierungen, sondern vor allem auch von den gesellschaftlichen Kräften, der Wirtschaft und den Unternehmen in den Partnerländern zu erbringen. Der nachhaltigen Stärkung des privaten Sektors widmet sich auch die IFC. Gemeinsam mit privaten Investoren leistet sie finanzielle Unterstützung bei der Errichtung, Modernisierung und Erweiterung privater Unternehmen durch Bereitstellung von Eigenkapital und/oder Darlehen sowie technische Hilfe bei der Schaffung eines geeigneten Investitionsklimas in den Partnerländern. Mit ihren Maßnahmen unterstützt die IFC gleichzeitig die Privatisierung von staatlichen Unternehmen, führt potentielle Investoren aus dem In- und Ausland zusammen und vermittelt erfahrenes Management. Durch ihre Tätigkeit mobilisiert die IFC erhebliche Finanzierungsmittel für Investitionen. Die Bedeutung dieser zur Weltbank-Gruppe gehörenden Institution, die in der Vergangenheit bereits erhebliche private Direktinvestitionen in Entwicklungsländern finanziert hat, ist nach dem Scheitern des sozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems weiter gewachsen. Die Aktivitäten in den Entwicklungsländern müssen verstärkt fortgesetzt werden. Darüber hinaus muß aber auch ein substantieller Beitrag zum Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen in den Reformstaaten Osteuropas und der GUS geleistet werden. Bereits heute findet ein wesentlicher Teil der IFC-Aktivitäten in diesen Staaten statt. Von den 1,8 Milliarden US $ wurden im Geschäftsjahr 1992 allein 253 Millionen US $ für Investitionen und Beratungsmaßnahmen der technischen Hilfe in dieser Region eingesetzt. Weltweit wurden durch den Mobilisierungseffekt der IFC- Mittel tatsächlich Investitionsmaßnahmen in Höhe von 12 Milliarden US $ ermöglicht. Der große Bedarf an Beratungshilfen in den Reformstaaten des Ostens erfordert eine konzertierte Aktion der internationalen Gebergemeinschaft. Der Weltwirtschaftsgipfel in München Anfang Juli 1992 hat hierzu richtungsweisende Beschlüsse gefaßt. Es ist daher zu begrüßen, daß sich das Direktorium der IFC darauf verständigt hat, die Nachfolgestaaten der 11036* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 Sowjetunion in diese Institution aufzunehmen und eine spezielle Kapitalerhöhung durchzuführen, damit diese die Anteile, die ihnen aufgrund der üblichen Kriterien zustehen, zeichnen können. Folge dieser Kapitalerhöhung ist eine Reduzierung der Kapitalanteile der bisherigen Mitgliedstaaten. Dies hat Auswirkungen auf künftige Satzungsänderungen und Kapitalerhöhungen im Rahmen des IFC-Abkommens. Die erzielte Einigung über eine entsprechende Heraufsetzung der erforderlichen Abstimmungsmehrheiten erscheint unter Berücksichtigung der Gesamtproblematik zweckmäßig. Hierbei muß auch gewürdigt werden, daß die USA den weitaus größten Finanzierungsbeitrag in der IFC erbringt. Die F.D.P. stimmt daher dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, mit dem der deutsche Gouverneur ermächtigt werden soll, für die vorgeschlagene Änderung des IFC-Abkommens zu stimmen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Sexualgleichstellungsgesetz) Horst Eylmann (CDU/CSU): Der von der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Rechtsgleichstellung von Homosexualität und Heterosexualität ist vom Deutschen Bundestag in seiner 41. Sitzung am 19. September 1991 in erster Lesung beraten und an den Rechtsausschuß zur Federführung überwiesen worden. Der Rechtsausschuß hat den Gesetzesentwurf noch nicht beraten, weil zu dem gesamten Problembereich des Sexualstrafrechts weitere Vorlagen zu erwarten sind. Außerdem hatte der Rechtsausschuß seit September 1991— insbesondere als Folge der Wiedervereinigung — eine außerordentliche Arbeitslast zu tragen. Es waren eine ganze Reihe von Sondersitzungen notwendig, um wenigstens die dringendsten Vorlagen erledigen zu können. Offenbar aus Einsicht in diese Situation hat die Gruppe der PDS/Linke Liste bisher im Rechtsausschuß auch nicht beantragt, den hier in Frage stehenden Gesetzesentwurf auf die Tagesordnung zu setzen. Der Rechtsausschuß wird sich im ersten Halbjahr 1993 dem Sexualstrafrecht zuwenden. Die eingangs erwähnten weiteren Vorlagen sind in Kürze zu erwarten. In Erfüllung der Koalitionsvereinbarung, wonach die §§ 175, 182 StGB durch eine einheitliche Schutzvorschrift für männliche und weibliche Jugendliche unter 16 Jahren ersetzt werden soll, ist im Bundesjustizministerium inzwischen der Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes erarbeitet worden, der demnächst im Kabinett vorgelegt wird. Außerdem hat der Bundesrat in seiner 648. Sitzung am 6. November 1992 beschlossen, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts beim Deutschen Bundestag einzubringen. Schließlich ist auch von der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Gesetzesentwurf zum Schutz der psychosexuellen Entwicklung von Jugend- lichen vorgelegt worden. Mit der Überweisung dieses Gesetzesentwurfs an den Rechtsausschuß ist demnächst zu rechnen. Alle diese Fakten sind der Gruppe der PDS/Linke Liste bekannt. Ihr Antrag gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung, im Plenum über den Stand der Beratungen Bericht zu erstatten, war deshalb völlig überflüssig. Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Es ist für den Berichterstatter zu einem Gesetzentwurf nicht angenehm, wenn er dem Bundestag mehr als ein Jahr nach der ersten Lesung des Entwurfes mitteilen muß, daß es nichts zu berichten gibt, weil der federführende Ausschuß den Entwurf noch nicht beraten hat. Die Gründe sind im schriftlichen Bericht genannt. Hauptgrund ist nach meiner Überzeugung die Säumigkeit der Bundesregierung. Sie hat den klaren Auftrag des Einigungsvertrages, für ein einheitliches Sexualstrafrecht in Ost- und Westdeutschland zu sorgen, bisher noch nicht einmal ansatzweise erfüllt. Den immer wieder angekündigten Regierungsentwurf gibt es bisher nicht. Das läßt darauf schließen, daß die Regierung auch in diesem Bereich nicht mehr handlungsfähig ist. Anscheinend ist die in der Koalitionsvereinbarung vorgesehene neue einheitliche Jugendschutzregelung für männliche und weibliche Jugendliche unter 16 Jahren, auf deren Problematik ich in der ersten Lesung hingewiesen habe, für den größeren Koalitionspartner nicht mehr ohne weiteres annehmbar. Der damalige Bundesminister der Justiz hat am 19. September 1991 erklärt: „Die Vorlage eines Regierungsentwurfes steht bevor. " Und das tut sie auch heute noch. Wir Sozialdemokraten werden weitere Verzögerungen nicht hinnehmen, zumal es sich bei dem Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste lediglich um ein ungeschicktes Plagiat des noch älteren Gesetzentwurfes der Freien und Hansestadt Hamburg handelt, der dem Bundesrat bereits am 7. Mai 1991, fast zwei Monate vor dem PDS-Entwurf und vor mehr als zweieinhalb Jahren, zugegangen ist. Sobald die Vorlagen des Bundesrates beim Rechtsausschuß eingehen, werden wir auf ihre Beratung drängen. Auf die Bundesregierung muß dann nicht länger gewartet werden. In der Sache treten wir Sozialdemokraten weiterhin für die Streichung des § 175 StGB ein, um die Diskriminierung homosexueller Männer zu beseitigen. Der alte § 182 StGB, der „unbescholtene Mädchen" zur Sicherung ihrer Heiratschancen vor Verführung schützen soll, gehört nach unserer Überzeugung nicht in ein modernes Sexualstrafrecht. In der Frage, wo das neue Schutzalter des künftigen strafrechtlichen Jugendschutzes liegen sollte, werden wir uns nach der von uns für erforderlich gehaltenen Sachverständigenanhörung entscheiden. Jörg van Essen (F.D.P.): Wir müssen heute über den Antrag der PDS zu einem Sexualgleichstellungsgesetz reden, weil die von § 62 Abs. 2 GO-BT vorgeschriebenen zehn Sitzungswochen nach Überweisung einer Vorlage verstrichen sind. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11037* Schon am 19. September 1991 und damit vor mehr als einem Jahr ist der Antrag der PDS an den Rechtsausschuß zur Federführung überwiesen worden. Die Gründe, die für die Nichtbehandlung gesprochen haben, sind in dem Bericht der Kollegen Eylmann und Dr. Meyer aufgeführt. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Anläßlich der heutigen Debatte möchte ich jedoch deutlich machen, daß auch mir eine baldige Verabschiedung eines einheitlichen Sexualstrafrechts im geeinten Deutschland außerordentlich dringlich erscheint. Das Bundesverfassungsgericht ist auf Vorlage des Landgerichts Essen mit der Frage befaßt, ob die unterschiedliche strafrechtliche Behandlung homosexueller Handlungen zwischen Erwachsenen und Jüngeren in den neuen Bundesländern durch den fortgeltenden § 149 DDR StGB und den alten Ländern mit § 175 StGB gegen die Verfassung verstößt. Einen ähnlichen Druck zu einer einheitlichen Regelung, insbesondere aus dem Osten — wie bei der unterschiedlichen Behandlung der Abtreibung — ist leider in der Vergangenheit nicht festzustellen gewesen. Aber erfreulicherweise bewegt sich etwas. Die Bundesjustizministerin hat in diesen Tagen die Kabinettsvorlage für ein neues Jugendschutzrecht unterschrieben, so daß die Vorlage noch in diesem Monat im Bundeskabinett beraten werden kann. Da ich selbst mehrfach Druck gemacht habe, weiß ich, daß die Gründe für die Verzögerungen nicht im Bundesjustizministerium und insbesondere nicht bei der Ministerin selbst zu suchen sind, die sich seit langem wie meine Partei für die Abschaffung des § 175 StGB ausgesprochen hat. Wir werden im Rechtsausschuß neben dem PDS- Antrag und der zu erwartenden Regierungsvorlage auch über eine Gesetzesinitiative des Bundesrates zu beraten haben. Aber diese Beratungen sollten nicht erneut verzögert werden. Ich halte insbesondere nichts von einer neuen Anhörung. Die Anhörung durch den Bundesrat Anfang dieses Jahres hat bereits klare Entscheidungsgrundlagen ergeben. Und die abenteuerlichen Vorurteile von Prof. Tröndle, den ich im übrigen da und dort durchaus schätze, brauchen wir uns wirklich nicht noch einmal anzuhören. Die F.D.P. ist an einer zügigen Beratung interessiert. Schon deshalb, weil wir seit langem auf die Aufhebung des § 175 StGB drängen und als liberale Partei auch sonst ein offenes Ohr für Anliegen von Minderheiten haben. Anlage 9 Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl auf die Frage der Abgeordneten Susanne Kastner (SPD) (Drucksache 12/3921 Frage 9): Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung des Industrieverbandes Agrar, im Zusammenhang mit der europäischen Zulassung von Pestiziden den Grenzwert der EG-Trinkwasserrichtlinie durch höhere Grenzwerte für einzelne Wirkstoffe zu ersetzen, und warum wurden die bei uns vorgeschriebenen Lysimeterverfahren zum Nachweis der Grundwasserschädigung durch Pestizide bei der europäischen Zulassung nicht verbindlich vorgeschrieben? Der Bundesregierung liegen derzeit keine Erkenntnisse darüber vor, daß die EG-Kommission geneigt ist, den massiven Bemühungen des Verbandes der Hersteller von Pflanzenschutzmitteln in Europa (SCPA) und von seiten der Landwirtschaft nachzugeben und eine Änderung des Grenzwertwes für Pflanzenschutzmittel der Richtlinie 80/778/EWG „über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch" vorzuschlagen. Die Kommission ist vielmehr der Ansicht, daß Parameter D 55 Pestizide und ähnliche Produkte sowie die sogenannten „ZHK-Werte" nach eingehender Diskussion einstimmig vereinbart und aus Gründen der Vorsorge gewählt worden sind. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß es praktische Schwierigkeiten bezüglich dieses Parameters bei der Durchführung der Richtlinie 80/778/EWG gibt. Sie hat deshalb die EG-Kommission gebeten, einen Bericht über den Stand und die Zuverlässigkeit der in den Mitgliedstaaten angewandten Analyseverfahren und über die Ergebnisse der Überwachung dieses Parameters vorzulegen. Die Wasserversorgungswirtschaft Deutschlands wünscht keine Änderung dieses Grenzwerts. Die Kriterien für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln sind in Artikel 4 der Richtlinie des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (91/414/EWG) festgeschrieben. Diese Kriterien entsprechen dem hohen Schutzniveau des deutschen Pflanzenschutzgesetzes. Bei den noch ausstehenden Ratsverhandlungen über die Einheitlichen Grundsätze für die Bewertung von Pflanzenschutzmitteln (Anhang VI der Richtlinie 91/414/EWG) wird zu diskutieren sein, inwieweit Lysimeteruntersuchungen für die Bewertung von Pflanzenschutzmitteln im Rahmen des Zulassungsverfahrens verbindlich festgeschrieben werden. Anlage 10 Antwort des Bundesministers Dr. Günther Krause auf die Frage des Abgeordneten Horst Peter (Kassel) (SPD) (Drucksache 12/3921 Frage 49): Welche Auswirkungen wird die aus Presse-Meldungen der Westfälischen Rundschau vom 24. November 1992 bekanntgewordenen Absicht der Deutschen Bundesbahn haben, den Ausbau des Streckenabschnitts zwischen Soest und Paderborn der Bundesbahn-Ausbaustrecke Dortmund-Kassel zu stoppen und die Ausführung europaweit neu auszuschreiben? Die Deutsche Bundesbahn plante zum Ausbau der Strecke Dortmund—Kassel für die Dauer von Juni 1993 bis Mai 1994 einen sogenannten „Schnellausbau". Ziel war es, die nachteiligen Wirkungen durch Bauarbeiten für die Kunden auf einen möglichst kurzen Zeitraum zu beschränken. Es war beabsichtigt, zur Vermeidung von gegenseitigen Beeinträchtigungen des Eisenbahnbetriebes und der Bauarbeiten die Strecke voll zu sperren und den Schienenverkehr ersatzweise auf der Straße abzuwickeln. Die Kosten für die Bauarbeiten waren von der Deutschen Bundesbahn auf ca. 100 Millionen DM veranschlagt worden. 11038* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 Ziel des Ausbaus der Strecke ist insbesondere die Erhöhung der Geschwindigkeit von derzeit 160 km/h auf 200 km/h. Dies bedingt neben dem Streckenausbau auch die Beseitigung sämtlicher vorhandener Bahnübergange auf der Strecke. Hierfür sind jeweils Planfeststellungsverfahren erforderlich. Als Realisierungsziel für die völlige Beseitigung der Bahnübergänge strebt die Deutsche Bundesbahn das Jahr 1997 an; dieses Ziel wird aber maßgeblich durch den Ablauf der Planrechtsverfahren bestimmt. Diese Planfeststellungsverfahren — allein 30 Verfahren für 36 Bahnübergänge auf dem Streckenabschnitt Soest-Paderborn bzw. 81 Bahnübergangsbeseitigungen auf dem Streckenabschnitt Dortmund-Paderborn — und die damit zusammenhängenden Baumaßnahmen sind der zeitkritische Weg, das heißt entscheidend für den Fertigstellungstermin. Es sind also nicht die reinen Streckenbaumaßnahmen, für die jetzt die Ausschreibung aufgehoben wurde, die den Zeitpunkt für die Aufnahme des Betriebs mit Tempo 200 km/h bestimmen. Aus diesem Grunde kann auch bei einem späteren Beginn der Streckenausbaumaßnahmen der geplante Inbetriebnahmezeitpunkt für Tempo 200 km/h eingehalten werden. Die Maßnahmen für die Bahnübergangsbeseitigungen laufen unabhängig von der aufgehobenen Ausschreibung für den reinen Streckenausbau planmäßig weiter. Die Deutsche Bundesbahn hat die Ausschreibung aufgehoben, da die geforderten Preise die Veranschlagung um fast 50 Millionen DM übersteigen, das heißt um ca. 50 Prozent. Mehrausgaben in dieser Größe sind angesichts der Finanzlage der Deutschen Bundesbahn und ihrer Verpflichtung zu wirtschaftlichem Handeln nicht vertretbar. Die Deutsche Bundesbahn beabsichtigt nach eigenem Bekunden, die Bauleistungen ein zweites Mal europaweit auszuschreiben, um so unter veränderten Konkurrenzbedingungen günstigere Preise erzielen zu können. Die Fertigstellung der Bauarbeiten in den 90er Jahren ist auch bei einer europaweiten Ausschreibung gewährleistet. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fragen des Abgeordneten Klaus Kirschner (SPD) (Drucksache 12/3921 Fragen 54 und 55): Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zum geplanten Verkauf der Südbaden-Bus-Gesellschaft (SBG) ein? Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Südbadischen Landkreise und die Stadt Freiburg die SBG übernehmen wollen, weil sie nur dann, wenn die öffentliche Hand Eigentümer der SBG ist, die Gewähr darin sehen, daß dann ihr öffentliches Nahverkehrskonzept auch voll umgesetzt werden kann? Zu Frage 54: Die Bundesregierung hat zugestimmt, daß die Deutsche Bundesbahn ihre im Alleineigentum stehenden Regionalbusgesellschaften verkauft. Dies schließt den Verkauf der Südbadenbus GmbH ein. Zu Frage 55: Die Entscheidung, wer im Ergebnis die einzelnen Gesellschaften erhalten wird, obliegt der Deutschen Bundesbahn. Der Bundesminister für Verkehr schaltet sich in die einzelnen Verkehrskonzepte der Bewerberkonsortien nicht ein. Neben dem Kaufpreis und den Rahmenbedingungen ist bei der Entscheidung von Bedeutung, daß ein kontinuierlicher Öffentlicher Personennahverkehr auch nach dem Verkauf gewährleistet wird. Die Frage, welches Konsortium den Rahmenbedingungen, die die Balm-Bus-Holding GmbH in ihrer Presseerklärung vom 21. Juni 1991 bekannt gegeben hat, erfüllt, entscheidet die Deutsche Bundesbahn unter Beteiligung eines neutralen Gutachters selbst. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fragen des Abgeordneten Uwe Lambinus (SPD) (Drucksache 12/3921 Fragen 56 und 57): Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den schwerwiegenden Nachteil zu beseitigen, der den Senioren durch den Wegfall des „Seniorenpasses" und die Einführung der „BahnCard" entstanden ist, da damit die bisherige Fahrpreisermäßigung für Omnibusse des öffentlichen Personennahverkehrs nicht mehr gewährt wird? Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß diese Benachteiligung insbesondere diejenigen Senioren trifft, die im ländlichen Raum ohne Bahnhof leben und deshalb auf Omnibusse angewiesen sind? Zu Frage 56: Auf Intervention von Herrn Kollegen Grotz habe ich den Vorstand der Deutschen Bundesbahn am 6. November 1992 auf die Problematik hingewiesen. Ich erwarte, daß die Deutsche Bundesbahn so schnell wie möglich gemeinsam mit den Regionalbusgesellschaften eine Lösung des Problems findet, die den Kunden entgegenkommt, aber auch für beide Seiten wirtschaftlich vertretbar ist. Deshalb möchte ich auch Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege, für Ihre Unterstützung in dieser Sache danken. Zu Frage 57: Ja.
Gesamtes Protokol
Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212700000
Guten Morgen, liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Die Sitzung ist eröffnet.

(Unruhe)

Ich freue mich, daß Sie so früh schon so zahlreich versammelt sind. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen und, soweit Sie dies nicht wollen, unsere Beratungen nicht
— zumindest nicht durch sehr laute Unterhaltungen — zu stören.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll bei der verbundenen Tagesordnung dieser Woche von der in der Geschäftsordnung vorgesehenen Frist für den Beginn der Beratung, soweit es erforderlich ist, abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden?
— Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

(Anhaltende Unruhe)

— Mein Hinweis auf die Lautstärke war ernst gemeint. Wenn Sie es nicht schaffen, hinten im Saal die Türen zu schließen und — soweit es möglich ist — Platz zu nehmen, verlängert sich die Dauer Ihrer Anwesenheit.
— Wenn Sie es nicht schaffen, sich jetzt endlich hinzusetzen, würde mir, wenn ich keine Dame wäre, etwas herausrutschen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen
— Drucksachen 12/3892, 12/3938 —
Nach Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes ist für die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrats die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages erforderlich; das sind 332 Stimmen.
Wer also den Einspruch zurückweisen will, muß mit Ja stimmen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat dazu eine namentliche Abstimmung verlangt.
Es liegen aber Wortmeldungen dazu vor. Die erste Wortmeldung ist die des Kollegen Wolfgang Vogt.

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1212700100
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesrat hat mit der Mehrheit seiner Stimmen beschlossen, gegen das Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen Einspruch einzulegen. Aber diese 10. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz darf nicht scheitern. Ein Scheitern wäre eine Katastrophe für die Menschen in Ost- und Westdeutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Widerspruch bei der SPD)

Deshalb weisen wir den Einspruch des Bundesrats zurück. Ich nenne drei Gründe, warum wir den Einspruch zurückweisen und warum das Gesetz nicht scheitern darf.
Erstens. Wir bauen Arbeitsförderung nicht ab, wir stocken Arbeitsförderung auf. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache:

(Zuruf von der SPD: Die Balken biegen sich!)

In diesem Jahr, im Jahr 1992, gibt die Bundesanstalt für Arbeit für Arbeitsförderung Ost 30,4 Milliarden DM aus. Für 1993 stehen 34 Milliarden DM zur Verfügung. Das ist ein deutliches Plus, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU — Anhaltende Unruhe)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212700200
Kollege Vogt, einen kleinen Moment! — Es ist so, daß niemand zu verstehen ist.

(Zurufe von der SPD: Das brauchen wir nicht zu verstehen!)

— Ich meinte „akustisch", liebe Kollegen von der SPD-Fraktion. Akustisch ist im Moment niemand zu verstehen. Ich darf Sie bitten, dem Redner die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken und Ihre Gespräche vor der Tür fortzuführen.
Kollege Vogt, Sie haben wieder das Wort.

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID1212700300
Ich nenne den zweiten Grund, meine Damen und Herren. Wir führen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf hohem Niveau fort. Die Bundesanstalt für Arbeit kann 1993 in den
10912 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Borm, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Wolfgang Vogt (Düren)

jungen Bundesländern 350 000 Arbeitsplätze fördern.
Ich nenne einen dritten Grund. Wir erweitern das Instrumentarium der Bundesanstalt für Arbeit um die Arbeitsförderung Umwelt Ost, soziale Dienste und Jugendhilfe. Bei Maßnahmen auf diesen Feldern zahlt die Bundesanstalt für Arbeit einen Zuschuß zu den Lohnkosten in Höhe des ersparten Arbeitslosengeldes oder der ersparten Arbeitslosenhilfe. Dadurch können bei aktivem Engagement aller Beteiligten 1993 wenigstens 50 000 Arbeitsplätze gefördert werden. Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Durch ABM und durch Arbeitsförderung Umwelt Ost, soziale Dienste und Jugendhilfe werden 1993 400 000 Arbeitsplätze gefördert. Das sind 20 000 mehr als 1992; also auch hier ein deutliches Plus.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich mache noch eine Bemerkung: Die Bundesanstalt für Arbeit, meine Damen und Herren, hat den Ländern — vor allem dem Land Nordrhein-Westfalen — bewiesen, daß ein Nachholen des Hauptschulabschlusses möglich ist, sofern geeignete Maßnahmen ergriffen werden. Das war eine soziale Pioniertat. Nachdem aber dieser Beweis geführt worden ist und die verfassungsrechtlichen Kompetenzen klar sind, ist es jetzt an der Zeit, daß die Länder ihre Hausaufgaben selber machen und für ihre bildungspolitischen Versäumnisse selber aufkommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, ich verbinde diese Erklärung mit einer Ankündigung: CDU/CSU, SPD und F.D.P. haben sich in ihren Verhandlungen zu Asyl und Zuwanderung auf eine einvernehmliche Regelung der Eingliederungsleistungen im Zusammenhang mit dem laufenden Gesetzgebungsverfahren zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz verständigt. Mit diesem Gesetz befaßt sich der Vermittlungsausschuß heute ab 12.00 Uhr. Dann wird diese soeben zitierte Verständigung umgesetzt und der Beschluß zur Eingliederungshilfe den wir jetzt fassen, entsprechend dem Einvernehmen korrigiert.
Ich schließe: Mit der 10. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz wird die Arbeitsförderung, deren hohes Niveau unbestritten ist, noch weiter ausgebaut. Wir weisen deshalb den Einspruch des Bundesrates zurück.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212700400
Zu einer weiteren Erklärung zur Abstimmung hat der Kollege Rudolf Dreßler das Wort.

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1212700500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach diesem peinlichen Vorgang

(Zustimmung bei der SPD)

einer Neuauflage der CDU/CSU-Mengenlehre stelle ich für die SPD-Fraktion folgendes fest:
Erstens. Die CDU/CSU und die F.D.P. können am frühen Morgen noch so starke Rechenkunststückchen
vorführen — aus einer Streichung von MilliardenBeträgen können nicht mehr Arbeitsförderungsmaßnahmen werden als vorher.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Die Ablehnung dieses Gesetzentwurfs wäre ein Vorteil für die Menschen in Deutschland, nicht aber die Annahme dieses Gesetzentwurfs.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Die SPD-Fraktion begrüßt, daß der Bundesrat dieses Gesetz mit Mehrheit zurückgewiesen hat. Aber die SPD-Fraktion bedauert, daß die CDUgeführten Länder Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen entgegen Kabinettsbeschlüssen — im Falle von Sachsen-Anhalt entgegen einem Landtagsbeschluß —, dieses Gesetz nicht mitzutragen, die Interessen ihrer eigenen Bürgerinnen und Bürger im Bundesrat mißachtet haben.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer von den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, die aus den neuen Ländern kommen, in diesem konkreten Fall wirklich einmal etwas für die Menschen, die er vertritt, tun will, der hat heute morgen die Pflicht, mit Nein zu stimmen.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212700600
Zu einer weiteren Erklärung zur Abstimmung hat die Kollegin Frau Dr. Höll das Wort.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1212700700
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich stimme ebenfalls gegen den vorgelegten Beschluß zur Vermittlung und unterstütze im Namen meiner Gruppe PDS/Linke Liste den Standpunkt des Bundesrates.
Ich halte die 10. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz für unsozial und frauenfeindlich. Ich stimme deshalb dagegen, weil hier 5 Milliarden DM auf Kosten derjenigen eingespart werden sollen, die ohnehin schon schwer zu tragen haben und überhaupt keine Möglichkeiten haben, wieder in das Erwerbsleben einzusteigen bzw. dort integriert zu werden; das betrifft Langzeitarbeitslose, Jugendliche, Frauen, Behinderte sowie Aussiedler und Aussiedlerinnen.
Ich stimme dagegen, weil die 10. Novelle angesichts der realen beschäftigungspolitischen Situation in Deutschland absolut kontraproduktiv ist. Sie wird dazu beitragen, das Heer der Arbeitslosen um mindestens weitere 150 000 Menschen zu vergrößern. Sie wird ein ganzes Netz von Einrichtungen zur Fortbildung und Umschulung in seiner Existenz gefährden.
Ich stimme dagegen, weil Arbeitsmarktpolitik im Sinne der Brückenfunktion zum ersten Arbeitsmarkt hier nicht mehr stattfinden kann. Der sogenannte zweite Arbeitsmarkt verliert seine Auffangfunktion durch eben diese massiven Streichungen im ABM- Bereich.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10913
Dr. Barbara Höll
Ich stimme des weiteren dagegen, weil der gute Gedanke der Finanzierung von „Arbeit statt Arbeitslosigkeit" auf diese Art und Weise von der Regierung regelrecht verhunzt wird, weil solche Konditionen wie die in § 249h, der eingeführt werden soll, klar in Richtung Arbeitsdienst weisen.
Ich stimme dagegen, weil dies nicht mehr dem entspricht, was notwendig wäre, um in den Bereichen Umwelt, Soziales und Jugendpolitik Arbeitsplätze zu schaffen, und zwar tariflich bezahlt und zu arbeitsrechtlichen Bedingungen. Statt dessen wird hier vom Gesetzgeber ein Eingriff in die Tarifautonomie vorgenommen, und die Zumutbarkeitsregelung wird ebenfalls ausgehebelt.
Ich stimme letztlich gegen diese AFG-Novelle, weil sie die schon bestehenden Regelungen zur Frauendiskriminierung weiter verschärft. So wird eine verbindliche Regelung zur Förderung von Frauen, in § 2, die nicht lediglich eine Kann-Regelung sein darf, nicht aufgenommen.
Weiter ist eine Abschaffung geringfügiger und ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse nicht in Sicht; sie wird durch diese AFG-Novelle auch in Zukunft verhindert.
Die Anerkennung der von Frauen unentgeltlich und ehrenamtlich geleisteten Arbeit wird weiter verhindert und die, die über AB-Maßnahmen noch möglich war, gestrichen.
Wir fordern — im Gegensatz zu der vorgelegten AFG-Novelle — die Abschaffung des besonderen Verfügbarkeitsnachweises für Frauen und der unwürdigen Bedürftigkeitsprüfung.
Diesen vier letztgenannten Punkten als notwendige Maßnahmen, um arbeitsmarktpolitisch wirken zu können, schlägt die AFG-Novelle voll ins Gesicht.
Deshalb stimmt die PDS/Linke Liste gegen den vorgelegten Vorschlag.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212700800
Es gibt noch eine Erklärung zur Abstimmung, und zwar von der Frau Kollegin Gisela Babel.

Dr. Gisela Babel (FDP):
Rede ID: ID1212700900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die F.D.P. begrüßt, daß wir in der Länderkammer immerhin eine so große Zustimmung bekommen haben, daß es uns möglich wird, dieses wichtige Gesetz auch im Bundestag mit unserer Mehrheit zu verabschieden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich glaube, wir müssen zur Kenntnis nehmen und anerkennen, daß auch die Länder sehen, daß es uns mit diesem Gesetz darum geht, den Haushalt zu konsolidieren mit der Folge, daß wir Einschnitte auch in diesem Bereich vornehmen mußten.

(Rudolf Dreßler [SPD]: Aber gleichzeitig die Vermögensteuer senken, hervorragend! — Weitere Zurufe von der SPD und der PDS/ Linke Liste)

Dabei haben wir im AFG-Gesetz, so wie wir es verabschieden, dafür Sorge getragen, daß die wichtigen arbeitsmarktpolitischen Instrumente erhalten bleiben.

(Widerspruch bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dies hat im Rahmen eines Haushaltes zu geschehen, den wir mit einem Zuwachs von 2,5 % verabschieden wollen.
Die Entscheidung, die wir hier getroffen haben, ist eine verantwortliche. Es ist weiterhin dafür gesorgt, daß wir auch in den neuen Bundesländern Arbeitsmarktpolitik in großem Umfang betreiben können.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Daher bitte ich, daß wir im Deutschen Bundestag den Einspruch des Bundesrates zurückweisen und dafür Sorge tragen, daß der Umbruch, die Strukturmaßnahmen in den neuen Ländern, finanziert werden können. Die Finanzierung des Arbeitsförderungsgesetzes ist damit sichergestellt.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212701000
Wie bereits angekündigt, verlangt die Fraktion der CDU/CSU namentliche Abstimmung. Sie müssen, wenn Sie den Einspruch zurückweisen wollen, mit Ja, wenn Sie dem Einspruch stattgeben wollen, mit Nein stimmen.
Ich eröffne die Abstimmung. —
Gibt es noch jemanden, der seine Stimme abzugeben wünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. *)
Wir setzen die Beratung fort.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
a) — Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheits-Strukturgesetz)

— Drucksache 12/3608 — (Erste Beratung 117. Sitzung)

— Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheits-Strukturgesetz 1993)

— Drucksachen 12/3209, 12/3365 — (Erste Beratung 105. Sitzung)

— Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
*) Seite 10921 D
10914 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Vizepräsidentin Renate Schmidt
eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
— Drucksachen 12/3210, 12/3364 — (Erste Beratung 105. Sitzung)

aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (15. Ausschuß)

— Drucksachen 12/3930, 12/3937 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Paul Hoffacker Klaus Kirschner
Dr. Bruno Menzel
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksachen 12/3931, 12/3936 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Arnulf Kriedner Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Uta Titze
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (15. Ausschuß)

zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Vorlage eines neuen Gesundheits-Strukturgesetzes
zu dem Antrag der Fraktion der SPD Reform des Gesundheitswesens
zu dem Endbericht der Enquete-Kommission „Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung" gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 4. Juni 1987 und vom 27. Oktober 1988
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit zur Entwicklung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und zur Umsetzung der Empfehlungen und Vorschläge der Konzertierten Aktion zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Bericht nach § 141 Abs. 4 SGB V)

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die von der Selbstverwaltung der landwirtschaftlichen Krankenversicherung durchgeführten Entlastungsmaßnahmen
— Drucksachen 12/3606, 12/3226, 12/6380,
12/1901, 12/2851, 12/3930, 12/3937 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Paul Hoffacker Klaus Kirschner
Dr. Bruno Menzel
Zum Gesundheits-Strukturgesetz liegen drei Entschließungs- und zwei Änderungsanträge der Gruppe PDS/Linke Liste vor.
Ich weise darauf hin, daß wir nach Ende der Aussprache über das Gesundheits-Strukturgesetz namentlich abstimmen werden.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für diese Debatte fünf Stunden vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Dr. Paul Hoffacker das Wort.

Dr. Paul Hoffacker (CDU):
Rede ID: ID1212701100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesundheits-Strukturgesetz zeigt spiegelbildlich, was einer breiten Koalition in der Sachpolitik möglich ist, aber gleichzeitig auch, was nicht möglich ist. Das Ergebnis ist ein sachlich ausgewogener und tragfähiger Kompromiß.
Dafür, daß dieses Ergebnis trotz aller Schwierigkeiten möglich war, möchte ich allen Beteiligten noch einmal ausdrücklich danken.
Dieser Kompromiß garantiert unser hohes medizinisches Versorgungsniveau. Die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung wird für die nächsten Jahre gewährleistet. Die Belastungen für Versicherte und Leistungserbringer werden zumutbar und gerecht auf alle Schultern verteilt.
Damit ist es gelungen, Glaubwürdigkeit für die Politik zu gewinnen und Handlungsfähigkeit zu beweisen, Handlungsfähigkeit, die sich zugunsten des Wirtschaftsstandorts Deutschland, zugunsten der Beitragszahler und nicht zuletzt zugunsten der Rentner auswirkt.
Alle diejenigen irren, die behaupten, uns sei der Kompromiß wichtiger als dessen Substanz. Gegen viele Angriffe hatten wir uns in diesem Bereich zu verteidigen. Daß uns die Substanz am wichtigsten war, dafür steht dieser Kompromiß.
Die Apologeten der reinen Lehre wollen — das hat sich in der Diskussion gezeigt — Bestandssicherung durch Handlungsunfähigkeit, sie wollen Bestandssicherung auf Kosten Dritter durch Handlungsunfähigkeit.
Das Strukturgesetz ist Ausdruck einer veränderten besonderen politischen Konstellation, in der Handlungsmöglichkeiten eröffnet worden sind, die ansonsten für keine der beteiligten Parteien realisierbar wären. Nicht zu Unrecht wird davon gesprochen, daß dieses Gesetz die gesetzliche Krankenversicherung über Jahre prägen wird.
Ich hoffe, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß diese „Koalition der Vernunft" auch dann tragen wird, wenn es um die Umsetzung des Gesetzes gehen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Denn nur so sind wir in den vor uns liegenden Monaten davor gefeit, auseinanderdividiert und durch gegenseitige Schuldzuweisung handlungsunfähig zu werden.
Dies haben nicht zuletzt die schwierigen Beratungen im Bundestagsausschuß für Gesundheit bewie-
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Dr. Paul Hoffacker
sen. Oft war es nur durch die Rückbesinnung auf den Grundkonsens in der Sache möglich, letztendlich doch noch notwendige Korrekturen zu erreichen. Daß dies im Beratungsprozeß notwendig war, zeigen die über 150 Änderungsanträge aus allen Fraktionen, die in dieses Gesetz übereinstimmend eingebracht werden konnten.
Ich nenne einige wichtige Beispiele: die Ausdeckelung für gesetzliche Präventionsleistungen der Ärzte, die Verbesserung des Patentschutzes für neuartige Medikamente sowie den Ausbau der Berücksichtigung der Sonderfaktoren für die neuen Länder, ganz zu schweigen von dem bereits mehrfach angesprochenen Investitionsprogramm zur Krankenhausfinanzierung in den neuen Ländern.
Es sei mir gestattet, einen Dank an die Bundesregierung, an die Länder und die Kassen auszusprechen. Insbesondere möchte ich hier den Bundesminister für Gesundheit nennen, der unermüdlich daran gearbeitet hat, daß dieser Kompromiß, dieses Investitionsprogramm für die neuen Länder trotz der angespannten Finanzlage zustande gekommen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Lassen Sie mich hier betonen, daß wir dann, wenn das Gesetz, z. B. durch Umgehungsstrategien, in Teilbereichen nicht den gewünschten Erfolg bringen sollte, zum sofortigen Nachsteuern bereit sind. Dies ist die Beschlußlage in unserer Ausschußsitzung am vergangenen Mittwoch gewesen. Wir fühlen uns auch dazu verpflichtet, solchen Umgehungsstrategien sofort zu begegnen.
Die Bilanz der Beratungen zum Gesundheits-Strukturgesetz, angefangen von Nürburg über die Konsensklausur in Lahnstein bis zur zweiten und dritten Lesung heute, beinhaltet auch, daß sich die Bestandssicherer eben nicht durchgesetzt haben. Sozialpolitische Tabus wurden enttabuisiert. Die bekannten Etiketten wie „Einheitsversicherung", „Demontage des gegliederten Systems", „Dirigismus", „Staatsmedizin" und noch vieles andere mehr haben die beabsichtigte Wirkung nicht erreicht, ganz zu schweigen von dem sozialpolitischen Schreckgespenst der Regionalisierung, die zwar dem Landespolitiker das Herz höher schlagen, aber dem Bundespolitiker das Herz stocken läßt. Ich meine, daß Art. 87 Abs. 2 Grundgesetz an dieser Stelle gar nicht erst erwähnt werden muß.

(Beifall bei der CDU)

Denn, meine Damen und Herren, eine Koalition in der Sache bedeutet zwangsläufig das Ende rein interessenpolitisch geprägter Argumente.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken, meine sehr verehrten Damen und Herren, die in der Schlußphase der Ausschußberatungen vom Rechtsausschuß noch einmal thematisiert worden sind, gehören letztendlich ebenso in die Rubrik der Tabus. Dies schon deswegen, weil der Rechtsausschuß es bei Bedenken hat bewenden lassen und schlicht und einfach auf konkrete Änderungswünsche und -vorschläge verzichtet hat. Ich meine, daß es für einen Rechtsausschuß wichtig gewesen wäre, auch Alternativvorschläge mit einzubringen. Damit ich nicht mißverstanden werde: Dies ist nicht als Rüge zu verstehen. Aber es wäre des Nachdenkens der Edelsten wert gewesen, auch hier Vorschläge einzubringen, die uns vielleicht ein Stück weitergeholfen hätten.
Der Gesundheitsausschuß hatte sich bereits zuvor in einer Sachverständigenanhörung, aber auch auf Grund des Votums des Rechtsausschusses mit dieser verfassungsrechtlichen Frage befaßt. Dies gilt sowohl für die Frage der Neuregelung der Kassenarztzulassung als auch für die Neuregelung der Beitragsbemessungen für freiwillig Versicherte im Ruhestand. Das Votum des Rechtsausschusses wurde nach mehrstündigen, eingehenden Beratungen im Ausschuß für Gesundheit einstimmig zurückgewiesen und verworfen. Warum?
Wir müssen drei Problembereiche unterscheiden: die Überversorgung der Patienten durch Allgemein- und Fachärzte, die Nachbesetzung und die Bedarfszulassung.
Ich beginne bei der als härtester Einschnitt empfundenen Bedarfszulassung ab 1999. Die im Gesundheits-Strukturgesetz vorgesehene Einführung der Bedarfszulassung für Kassenärzte ab dem Jahr 1999 ist eine Ankündigung des Gesetzgebers, deren Umsetzung ein weiteres Gesetz in der nächsten Legislaturperiode erfordern wird. Es wird oft übersehen: Es bedarf eines ausführlichen Gesetzes, das wir in der nächsten Legislaturperiode beschließen müssen, um die Einzelheiten dieser Bedarfszulassung, die schon heute als ein Einschnitt empfunden wird, zu regeln.
Durch diese Ankündigung im Gesetz wird heute lediglich zu Beginn eines Medizinstudiums deutlich gemacht, welche Risiken sich aus ihm ergeben. Wir wollen den jungen Menschen klarmachen, daß künftig nicht mehr jedes abgeschlossene Medizinstudium automatisch zu einer Kassenarztzulassung führen kann. Es ist wichtig, daß wir dies bereits jetzt sagen, damit sich die jungen Leute auf ihren Studiengang vorbereiten können und wissen, welche Risiken sie mit dem Studium eingehen.
Dies ist übrigens nichts Neues und keine besondere Bedingung für Studenten der Medizin, sondern wir kennen das bereits jetzt aus den Numerus-claususFächern, die eine besonders strenge Auswertung erfahren. Wir werden das, was sich bereits jetzt ankündigt, in den nächsten Jahren bei allen Berufssparten sehen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Eine vorsorgende Politik!)

Ein derartiger Hinweis ist gerade durch den verfassungsrechtlich garantierten Vertrauensschutz geboten, um langfristige Handlungsoptionen des Gesetzgebers zu erhalten. Es ist notwendig, daß man sich bereits jetzt auf die Situation ab dem Jahre 1999 einstellen kann.
Der zweite Aspekt betrifft die Nachbesetzung von Praxen, die es in einem bereits überversorgten Gebiet gibt. Ich betone: Jede Praxis, auch eine Praxis in einem bereits jetzt gesperrten Gebiet, kann weiter besetzt werden, wenn dies gewünscht wird. Wir haben uns darum bemüht, daß durch diese Regelung die Konkur-
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Dr. Paul Hoffacker
renz zwischen dem Grundrecht nach Art. 12 auf freie Berufsausübung und dem Grundrecht nach Art. 14 auf Eigentum beseitigt wird. Daß das von manchen als eine Härte empfunden wird, muß hier deutlich gemacht werden. Wir haben im Ausschuß natürlich auch über diese Konkurrenzsituation gesprochen und darüber, daß beispielsweise der Sohn oder die Tochter eines Arztes bzw. einer Ärztin nach § 103 Abs. 4 gegenüber demjenigen bevorzugt ist, der kein derartiges Erbe antreten kann. Es ist wichtig, daß wir dies betonen.
Ich meine, wir haben hier eine Lösung gefunden, die der Verfassung entspricht. Die öffentlich-rechtliche Kassenzulassung verleiht einer Arztpraxis einen besonderen Wert, der sich auch im Verkehrswert niederschlägt. Dies haben wir vorgesehen. Ich denke, damit können wir in Zukunft leben.
Ab 1999 gilt natürlich auch für diesen Bereich eine dann neu zu treffende Regelung. Die Redlichkeit gebietet es, daß wir auch dies bereits heute sagen.
Der dritte Aspekt betrifft die Überversorgung im Zusammenhang mit der Kassenarztzulassung. Auch hier ergibt sich die Schwierigkeit, wie das Grundrecht auf Berufsausübung in den gesamten Katalog der verschiedenartigen Gesetze eingebracht werden kann. Wir meinen, daß die Praxis der Kassenarztzulassung für die Zeit zwischen 1993 und 1999 gut geregelt ist. Wir dürfen betonen, daß jeder Student, der sich im Klinischen Abschnitt befindet, bis zu seinem Abschluß eine solche Kassenzulassung erhalten kann; denn 60 % der Regionen sind nicht in dem im Gesetz beschriebenen Sinne überversorgt. Das heißt, daß eine Kassenzulassung erteilt werden kann, wenn die Voraussetzungen seitens des Petenten vorliegen, aber nicht mehr garantiert werden kann, daß die ärztliche Tätigkeit an dem Ort aufgenommen werden kann, den man sich wünscht.
Ich glaube, all dies zu sagen ist notwendig, wenn wir uns in den entsprechenden Streit begeben. Ich bin sicher, daß mit diesen Regelungen noch nicht vollständige Klarheit geschaffen worden ist und daß möglicherweise im Einzelfall Gerichte über eine solche Streitfrage entscheiden werden.
Es lag mir sehr daran, diese verfassungsrechtlichen Bedenken auch hier vorzutragen, weil im Ausschuß darüber lange beraten wurde. Ich meine, es ist notwendig und wichtig, daß wir diese verfassungsrechtliche Abwägung auch hier noch einmal vornehmen. Alle diese Maßnahmen sind sozialpolitisch geboten, da die Sicherung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung diese Entscheidungen zwingend erfordert.
Alternativen waren nicht erkennbar. Ich möchte noch einmal den Rechtsausschuß ansprechen. Wir wären sehr dankbar gewesen, wenn uns Signale gegeben worden wären, wie wir die Probleme alternativ hätten lösen können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die verfassungsrechtliche Abwägung des überragend wichtigen Gemeinschaftsguts gegen das vermeintliche Recht auf uneingeschränkten Zugang zur Kassenarztpraxis kann nur zu Lasten des Berufszugangs ausgehen. Realisierbare gleichwertige Alternativen haben wir nicht erkannt.
Dasselbe gilt für die Neuregelung der Beitragsbemessung für freiwillig Versicherte. Ich darf noch einmal klarstellen, daß wir nur die erfassen, die ab Januar 1993 Rentner werden. Diejenigen, die am 31. Dezember dieses Jahres Rentner sind, werden von dieser gesetzlichen Maßnahme nicht erfaßt. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist nicht auf dem laufenden, sondern noch auf dem Stand der vergangenen Monate.
Ich meine, wir haben diesbezüglich auch verfassungsrechtlich richtig gehandelt; denn es gibt weder eine Garantie für die Beitragsbemessungsgrenze noch eine Garantie für die Beitragshöhe. Auch dies muß einmal deutlich ausgesprochen werden. Es gibt in unserer Sozialpolitik nachweisbar von jeher einen Gestaltungsspielraum innerhalb der Grenzen von Vertrauensschutz und Verfassungsmäßigkeit.
Lassen Sie mich abschließend eine Frage diskutieren, die die Koalition der Sachpolitik — so möchte ich sie nennen — nicht gelöst hat: Was folgt, wenn dieses Gesundheits-Strukturgesetz beschlossen ist? Das Fragen zumindest in Teilbereichen unbeantwortet geblieben sind, liegt sicher nicht daran, daß der Koalition die notwendigen Konzepte gefehlt hätten. Tatsache ist vielmehr, daß der Zwang zum Kompromiß Neuorientierungen in Teilbereichen noch nicht zugelassen hat.
Tatsache ist aber auch, daß die Phase der Sofortbremsung eine vorübergehende sein wird, weil die mit dem Instrumentarium der Budgetierung oder Deckelung in Angriff genommenen Probleme damit nicht auf Dauer gelöst werden können. Wir müssen hier die Strukturelemente weiterentwickeln, um von dieser Sofortbremsung abzukommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf des Abg. Karl Hermann Haack [Extertal] [SPD])

— Hermann Haack, das hörst du jetzt sofort.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hält daher an dem Ziel fest, daß das System der sozialen Krankenversicherung nach den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft zu organisieren ist. Ich lasse mich von dieser Grundüberzeugung nicht abbringen.
Worauf kommt es dabei an? Es kommt auf die Subsidiarität an, d. h. auf eine effektive Selbstverwaltung von Kassen, Ärzten und Zahnärzten. Diejenigen, die an dem Geschehen beteiligt sind, müssen ihren gestaltungsfreien Raum in der Selbstverwaltung wahrnehmen und dürfen nicht auf den Gesetzgeber schielen, daß er ihnen Vorschriften macht, soweit sie den von außen gestaltungsfreien Raum selber ausgestalten. Im Bereich der Beitragsstabilität hat niemand von außen etwas zu sagen. Allerdings ist bisher nicht erkennbar, daß diese Regelungen schon heute durchsetzbar sind.
Ein zweiter Aspekt: Die Freiberuflichkeit, d. h. die Therapiefreiheit, und die freie Arztwahl, müssen erhalten bleiben. Es darf nicht zu Abirrungen kommen, die eine solche Freiberuflichkeit verschütten könnten.
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Dr. Paul Hoffacker
Das dritte Element ist der Wettbewerb als Steuerungsinstrument. Er ist ein durchaus konstitutiver Teil der Marktwirtschaft und wird von vielen Leistungsanbietern unentwegt gefordert. Wenn wir ihn verlangen, darf man nicht erschrecken und glauben, man könne sich in Protektionismus, Monopolismus oder eine Gettosituation hineinmanövrieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wettbewerb gehört mit in unser System. Ich meine, dies kommt noch zu kurz.
Ein weiterer Aspekt: Wir brauchen ein ausgewogenes Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität. Dieser Spannungsbogen ist noch nicht gelöst. Ich verhehle nicht, daß es dabei ganz entscheidend sein wird, daß wir im Regelkreis von Leistungsanbietern, Kassen und Patienten die derzeitige Trennung von Nachfrage und finanzieller Verantwortung zu einem sich selbst steuernden Mechanismus verknüpfen müssen. Insofern hat der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 1993 in der Analyse recht, auch wenn ich ihm in anderen Punkten nicht folgen kann.
Aber dabei dürfte unbestreitbar sein, daß die gesetzliche Budgetierung einer der möglichen Wege ist, um dieses Problem zumindest vorübergehend in den Griff zu bekommen. Niemand kann der Politik das Recht der Budgetierung dann bestreiten, wenn — wie in den vergangenen Jahren ersichtlich — die an der sozialen Krankenversicherung Beteiligten nicht in der Lage waren, die Ausgaben mit den Einnahmen in Einklang zu bringen. Denn Faktum ist, daß die ungebremste Dynamik der Ausgabenentwicklung im Gesundheitssektor sozial- und wirtschaftspolitisch nicht hingenommen werden kann. Wir können uns im Bereich der Lohnnebenkostensteigerungen keine weiteren Kosten leisten, weil dadurch der gesamte Wirtschaftszusammenhang bei uns gefährdet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wir sind schon weit gegangen!)

Bei jeder Neuorientierung ist es auch wichtig, über die Grenzen hinauszuschauen. Wenn ich lese, was Clinton in den USA alles deckeln will, muß ich vermuten, daß er möglicherweise ein Privatissimum von Herrn Ministerialdirektor Schulte bekommen hat.
Aber das wollen wir nicht überziehen. Wir wollen vor allen Dingen nicht überziehen, daß der Staatshaushalt an die Stelle der Krankenkasse tritt. Wir wollen keine direkte und indirekte Finanzierung unseres Gesundheitssystems. Das gilt auch für halbstaatliche Modelle wie beispielsweise die von der SPD favorisierte regionale Gesundheitskonferenz.

(Zurufe von der CDU/CSU — Klaus Kirschner [SPD]: Ihr macht den Lernprozeß alle mit!)

Wenn wir die Krankenversicherung 2000 bauen, ist es wichtig, daß wir intensiv über die Lohnbezogenheit der Beiträge in der Krankenversicherung nachdenken. Worüber wir jetzt einen Streit führen, ist doch, daß bei den Pflichtversicherten das Arbeitsentgelt die Bezugsgröße ist und bei den freiwillig Versicherten
— ich darf das einmal sagen — ihr Haushaltseinkommen, also auch das, was zusätzlich nebenher an Einkünften vorhanden ist. Man muß darüber nachdenken, ob das so bleiben kann.
Die rasante Technisierung unserer Produktionsabläufe und die demographische Entwicklung machen dies unumgänglich. Einnahmeverbesserungen bei den Kassen durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze oder durch die Einbeziehung neuer Personenkreise kann ebenfalls nicht die Lösung sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir brauchen notwendige Mehrheiten, um auf Dauer dieses System so zu sanieren, daß es sich auch im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft steuern läßt. Ich glaube, es ist des Schweißes der Edelsten wert, sich darauf weiterhin zu konzentrieren.
Ich darf Ihnen abschließend die Annahme der Beschlußempfehlung des Gesundheitsausschusses und die Annahme der Entschließung empfehlen. Die Entschließung befaßt sich mit der monistischen Finanzierung und den Beihilferegelungen. Die staatlichen Beihilferegelungen müssen als notwendiges Kapitel einer gerechten Lastenverteilung angepaßt werden. Dies wollen wir bis Mitte 1993 prüfen können. Deshalb steht es im Entschließungsantrag.
Der Vollzug des Gesetzes erfordert alle Kraft und allen guten Willen aller Beteiligten. Daher bitte ich alle, bei der Umsetzung mitzuwirken, sich von der Klagemauer wegzubewegen und den Konsolidierungsprozeß mutig und nicht kleinmütig zu aktivieren.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und gebe eine kurze redaktionelle Änderung zu Protokoll, die unsere Beschlußempfehlung betrifft.*)
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und bei Abgeordneten der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212701200
Als nächster spricht unser Kollege Klaus Kirschner.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1212701300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das heute zur Abstimmung anstehende Gesundheits-Strukturgesetz wird durch die Zustimmung der SPD-Fraktion eine breite parlamentarische Mehrheit erhalten. Diese Tatsache unterscheidet es nachhaltig von dem 1988 von der Regierungskoalition verabschiedeten und so sehr gepriesenen Gesundheits-Reformgesetz — Herr Minister Blüm ist ja da —,

(Bundesminister Dr. Norbert Blüm: Sehr gut!)

das als „Jahrhundertwerk" von Ihnen verkauft wurde.

(Bundesminister Dr. Norbert Blüm: Sehr richtig!)

Herr Kollege Blüm, Ihr Jahrhundert dauert bekanntlich nicht lange.

(Beifall bei der SPD)

*) Anlage 5
10918 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Klaus Kirschner
Wie sich dieses „Jahrhundertwerk" entwickelte, ist bekannt. So viel sei gesagt: Das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz brachte nach kurzer Beitragsstabilität und partieller Beitragssenkung, erreicht durch massive Belastung der Versicherten, — jetzt müssen Sie auch klatschen — in Höhe von jährlich ca. 7 Milliarden DM Beitragssatzerhöhungen auf breiter Front bei allen Kassenarten. Das Defizit für dieses Jahr wird nach bislang vorliegenden Berechnungen ca. 10 Milliarden DM betragen, nachdem es 1991 bereits 5,5 Milliarden DM betrug und 301 Krankenkassen ihren Beitragssatz zum Jahresbeginn anheben mußten.
Der dringend notwendige Umbau der überholten Strukturen im System unserer gesetzlichen Krankenversicherung wurde mit dem GRG nicht angegangen, so daß — wie vorausgesagt — die Ausgaben die Einnahmen aufs neue rasant überholten und sich eine erneute Kostenexplosion im Gesundheitswesen entwickelte.
Das Scheitern des unsozialen Gesundheits-Reformgesetzes ist der beste Beweis, daß Kostendämpfung durch höhere Selbstbeteiligung bei den Versicherten keine Steuerung des Gesundheitswesens bewirkt.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Doch! Doch!)

Auch bewahrheitete sich eine weitere Einschätzung der SPD.

(Bernhard Jagoda [CDU/CSU]: Du solltest eine neue Rede halten! Du hältst die Rede von 1988!)

— Wir wollen auch ein Stück Aufarbeitung machen. Das soll man ja nicht vergessen. Weil da einiges versäumt worden ist, sind wir heute hier. Die im sogenannten Gesundheits-Reformgesetz in gleicher Höhe wie bei den Versicherten vorauskalkulierten Sparbeiträge der Leistungserbringerseite waren zum größten Teil reine Luftbuchungen.
Ein weiteres mit dem sogenannten GesundheitsReformgesetz eingeführtes Instrumentarium, die Kostenerstattung als Ersatz unseres bewährten Sachleistungsprinzips, hat in die Sackgasse geführt. Mit zweistelligen — das sage ich ausdrücklich — prozentualen Zuwachsraten entwickelten sich beim Zahnersatz Ausgabesteigerungen, die zu den höchsten gehören.
Als die Kostenexplosion mit Spitzenbeitragssätzen von annähernd 17 v. H. in diesem Jahr sozialpolitisch unerträglich wurde, suchten CDU/CSU und F.D.P. den Sachverstand der SPD für eine wirkliche Gesundheitsreform.
Das Angebot an die SPD zur Mitarbeit kam allerdings sehr spät und muß im Zusammenhang mit einer weiteren Vorgeschichte gesehen werden. Zunächst versuchte es die Bundesregierung auch beim Gesundheits-Strukturgesetz alleine. Sie legte im Anschluß an die in der Regierungskoalition vereinbarten Eckpunkte einen Regierungsentwurf vor, der für uns genauso unannehmbar war wie das GRG von 1988. Wieder sollten die Versicherten mit 3,2 Milliarden DM pro Jahr zur Kasse gebeten werden. Somit hätten die Versicherten Jahr für Jahr 10 Milliarden DM mit
steigender Tendenz zahlen müssen, und dies zusätzlich zu den schon hohen Krankenversicherungsbeiträgen. Für die Leistungserbringerseite waren zwar Einsparungen von ca. 8,2 Milliarden DM angesetzt, die aber wie beim GRG mit großer Wahrscheinlichkeit nicht realisiert worden wären, zumindest nicht in vollem Umfang.
Die SPD ließ von Anfang an keinen Zweifel daran aufkommen, daß dieser von CDU, CSU und F.D.P. vorgelegte Entwurf eines Gesundheits-Strukturgesetzes keine SPD-Stimmen im Bundestag und auch im Bundesrat bekommen würde.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist die einzige Stärke der SPD!)

Weil das von der Bundesregierung eingebrachte Gesundheits-Strukturgesetz aus sozialdemokratischer Sicht ordnungs-, struktur-, sozial- und finanzpolitisch verfehlt war, wäre es ein weiterer gesundheitspolitischer Sündenfall der Regierung geworden.
In diesem Zusammenhang muß ich Ihnen ein gewisses Maß an Lernfähigkeit zugestehen.

(Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Danke; gleichfalls!)

Große Teile sozialdemokratischer Grundsatzpositionen im Gesundheitswesen

(Dr. Hans-Peter Voigt [Northeim] [CDU/ CSU]: Mußten Sie opfern!)

— Kollege Voigt, hauen Sie nur zu! — wurden von Ihnen noch vor wenigen Wochen kategorisch abgelehnt. Kollege Blüm hat es 1988 als Gesundheitssowjet bezeichnet. Aber er ist lernfähig. Auch das muß man sagen.

(Bundesminister Dr. Norbert Blüm: Ich bin immer noch gegen Gesundheitssowjet!)

Also: Das, was von Ihnen noch vor Wochen kategorisch abgelehnt wurde, fand Eingang in den vorliegenden gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. für ein GesundheitsStrukturgesetz.

(Editha Limbach [CDU/CSU]: Was ist mit der Selbstbeteiligung der Patienten, Herr Kirschner, von der Sie eben so kritisch gesprochen haben?)

— Ich habe doch überhaupt nicht bestritten, Frau Kollegin Limbach, daß wir auch Kompromisse eingehen mußten.

(Zuruf der Abg. Editha Limbach [CDU/ CSU])

Ich sage Ihnen jetzt aber auch, Frau Kollegin Limbach, daß das, was Sie bisher abgelehnt haben — ich sage das mit ganz besonderem Stolz, denn Sie waren ja in der letzten Wahlperiode auch Mitglied der EnqueteKommission „Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung" — und was damals in der Minderheit blieb, heute in wesentlichen Punkten in dem gemeinsamen Gesetzentwurf enthalten ist. Das wird in Kürze im Gesetz stehen.

(Beifall bei der SPD)

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10919
Klaus Kirschner
Diese Arbeit hat sich gelohnt.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das wird sich noch erweisen müssen, Herr Kirschner!)

— Na, Sie werden dem doch hoffentlich zustimmen, Herr Kollege Dr. Altherr.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU])

Wir werden das nachher nachprüfen. Es gibt ja eine namentliche Abstimmung. Wir schauen da genau nach, ob Sie dem zustimmen oder nicht.
Ich will auch daran erinnern, daß Sie ursprünglich beabsichtigten, im Krankenhausbereich die Zuzahlungsdauer von zur Zeit 14 Tagen zeitlich unbeschränkt auszudehnen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das halten wir nach wie vor für richtig!)

Das ist ebenso vom Tisch wie der beim Zahnersatz geplante Einstieg in die Zwei-Klassen-Medizin.
Die Bundesregierung wollte beim Zahnersatz durch eine sogenannte Regelleistung von den Kassen nur noch eine unzureichende Grundversorgung bezahlen lassen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unzureichend, Herr Kirschner?)

Zahnmedizinisch notwendiger, vollwertiger und wirtschaftlich anerkannter Zahnersatz sollte privat bezahlt werden. Dies haben wir nicht mitgemacht.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber das wäre richtig gewesen! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Dafür haben Sie Leistungen ausgegrenzt! Das ist noch unsozialer!)

— Gucken Sie sich doch einmal an, was in dem Gesetzentwurf steht.
Im zahnmedizinischen Bereich geht es darum, daß sich nicht nur Besserverdienende vollwertigen Zahnersatz leisten können. Wir haben statt dessen gemeinsam den Leistungskatalog von medizinisch fragwürdigen Zahnersatzarbeiten entlastet, was zu keiner Einbuße der Versorgungsqualität in der gesetzlichen Krankenversicherung führen wird.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Was ich hiermit bestreite, Herr Kirschner!)

— Sie können das ja bestreiten. Ich möchte aber dann sehen, was Sie eigentlich nachher bei der Abstimmung machen, Herr Kollege Dr. Altherr.

(Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Der muß nachher noch reden!)

— Ach, der muß noch reden. Dann hören wir genau zu, was der alles erzählt.
Ich möchte auch daran erinnern, daß es statt der ursprünglich vorgesehenen Arzneimittelselbstbeteiligung bis 10 DM eine Selbstbeteiligung nach Pakkungsgröße von 3, 5 und 7 DM und damit eine
mengensteuernde Zuzahlung geben wird, die zum Abbau der Arzneimittelberge beiträgt.

(Zuruf von der F.D.P.: Wird teurer!)

Chronisch Kranke mit niedrigem Einkommen werden durch Härtefallregelungen entweder von der Zuzahlung ganz befreit oder stark entlastet. Diese vernünftige Regelung haben wir gemeinsam gefunden.
Ich möchte auch daran erinnern, daß die SPD schon beim Gesundheits-Reformgesetz eine umfassende und durchgreifende Organisationsreform gefordert hat. Die Erfüllung dieser Forderung war überhaupt die Voraussetzung für die Mitwirkung an einer parteiübergreifenden Parlamentsinitiative. Die Organisationsreform wird nun durchgeführt. Ihre maßgeblichen Inhalte tragen die sozialdemokratische Handschrift.
Zu keinem Zeitpunkt hat die Bundesregierung trotz ihrer vollmundigen Ankündigungen die Kraft gehabt, die inhaltlichen Vorstellungen für diese Reform zu entwickeln. Auch der Regierungsentwurf des Gesundheits- Strukturgesetzes zeigt in diesem Bereich keinerlei echte Lösungsansätze auf, wenn man von dem zaghaften Versuch eines Verfahrens zur Datenvervollständigung absieht.
Die SPD hat durchgesetzt, daß die zur Zeit geltende diskriminierende Ungleichbehandlung von Arbeitern gegenüber den Angestellten beim Recht auf Wahl der Krankenkasse aufgehoben wird. Ab 1. Januar 1996 kann jeder Versicherte, ob Arbeiter oder Angestellter, seine Krankenkasse frei wählen. Für die Krankenkasse ist die Wahlentscheidung des Versicherten bindend. Ausnahmen von dieser Grundregel bilden nur noch die Betriebskrankenkassen und die für das Handwerk zuständigen Innungskrankenkassen, wobei die Mitglieder dieser Kassenarten aber auch Mitglied einer anderen Krankenkasse werden können.
Insbesondere aus dem Bereich der Angestelltenersatzkassen sind derzeit Stimmen zu hören, die zum einen Arbeiter zwecks Erhaltung der eigenen Identität ablehnen und zum anderen das Gespenst der drohenden Einheitsversicherung an die Wand zu malen versuchen. In diesem Zusammenhang wird von der Notwendigkeit des bewährten Gliederungs- und Zuweisungsprinzips gesprochen. Ich möchte hier noch einmal klar und deutlich sagen, daß diese unrichtigen und unsolidarischen Äußerungen Ergebnis eines in Jahrzehnten entwickelten Institutionendenkens sind.

(Beifall des Abg. Dieter-Julius Cronenberg [Arnsberg] [F.D.P.])

Künftig wird der Versicherte, unabhängig von seiner gesellschaftlichen Zugehörigkeit, ganz allein entscheiden, welche Kasse für ihn die beste ist, und er wird sie sich aussuchen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der F.D.P.)

10920 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Klaus Kirschner
Ich möchte auch folgendes sagen: Wir Sozialdemokraten wollen die Gliederung der gesetzlichen Krankenversicherung, wozu die Wahlfreiheit gehört.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der F.D.P.)

Eine Einheitsversicherung — lassen Sie mich auch dies deutlich sagen — käme ohne die freie Wahl aus.
Damit alle Krankenkassen mit gleichen Startchancen am Wettbewerb untereinander zugunsten der Versicherten teilnehmen können, hat die SPD durchgesetzt, daß für alle Kassen die gleichen Voraussetzungen gelten. Deswegen wird ein bundesweiter Ausgleich der unterschiedlichen Verteilung der Versichertenrisiken auf die einzelnen Krankenkassen und Kassenarten durchgeführt. Das bedeutet, daß in Zukunft auf der Einnahmenseite jede Krankenkasse so gestellt wird, als habe sie die gleiche Anzahl von Rentnern, mitversicherten Familienangehörigen, das gleiche Einkommensniveau und die gleiche MännerFrauen-Relation. Die Unterschiede der Beitragsätze sind dann ausschließlich auf Ursachen zurückzuführen, die die Krankenkassen selber zu verantworten haben.
Damit entfällt der ruinöse Wettbewerb zwischen den Krankenkassen um möglichst gute Versichertenrisiken.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und der Wettbewerb als solcher auch! Man kann das doch nicht alles in einen Topf werfen!)

— Also, Herr Kollege Hornung, ich denke, dann reden wir einmal über die landwirtschaftliche Krankenkasse.

(Beifall bei der F.D.P.)

Sie sind dort ja Mitglied. Vielleicht können Sie einmal etwas dazu beitragen, daß die Selbstverwaltung der landwirtschaftlichen Krankenkassen die ihr vom Bundestag aufgegebene Verantwortung wahrnimmt

(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

und in ihrem eigenen Laden dafür sorgt, daß die Ungleichheit der Beitragsätze bei den Landwirten abgebaut und alles ein bißchen solidarischer gestaltet wird.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das hätte man gestern den Bauern sagen sollen!)

Das war nur ein Einschub. Herr Kollege Hornung, ich denke, das ist klar.
Dieser bundesweite einnahmenorientierte Risikostrukturausgleich wird für die allgemeine Krankenversicherung bereits am 1. Januar 1994 und für die Krankenversicherung der Rentner am 1. Januar 1995 eingeführt.
Die Organisationsreform muß zwangsläufig zu einer stärkeren wettbewerblichen Ausrichtung unserer Krankenversicherung führen. Das bedeutet bei den Krankenkassen, daß es erforderlich ist, eine schlagkräftige Führungsstruktur zu schaffen. Wir wollen dies durch die Einführung eines am Managementprinzip orientierten, hauptamtlichen und auf Zeit gewählten Vorstands erreichen, der an die Stelle der
bisherigen auf Lebenszeit gewählten beamtenähnlichen Geschäftsführer tritt. An die Stelle der zweistufigen Selbstverwaltung aus Vertreterversammlung und Vorstand alter Art soll ein am Prinzip des Aufsichtsrats in Wirtschaftsunternehmen orientierter Verwaltungsrat treten.
Der in der öffentlichen Diskussion erhobene Vorwurf, dies komme einer Schwächung oder gar Aushöhlung der Selbstverwaltung gleich, ist absurd. Genau das Gegenteil ist richtig. Der Verwaltungsrat, der in Sozialwahlen von den Versicherten und den Arbeitgebern bestimmt wird, ist in seiner Konstruktion als wirksames Kontroll- und Mitbestimmungsgremium angelegt.
Wenn ich mich nun den Leistungserbringern zuwende, darf zu Beginn nicht versäumt werden, die Überschrift eines Artikels aus der Ärztezeitung vom 12. Oktober 1992 zu zitieren. Dort stand: „Das Gesundheits-Strukturgesetz ist ein SPD-Konzept." Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Einlassung des Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Herrn Dr. Oesingmann, haben wir als Kompliment aufgefaßt. Das werden Sie verstehen.

(Beifall bei der SPD — Editha Limbach [CDU/ CSU]: Das kann ich verstehen! — Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Da hätte ich mir einen anderen Zeugen gewünscht! — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Als Kronzeuge taugt der Mann nicht!)

— Na gut. Man holt sich immer die Zeugen, die natürlich auch dazu passen. In dem Fall hat es natürlich schön gepaßt. Das werden Sie doch verstehen.
Als die SPD-Bundestagsfraktion 1985 in ihrem Hausärzte-Weiterbildungsgesetz die Pflichtweiterbildung als Voraussetzung für die kassenärztliche Zulassung forderte und im gleichen Jahr für eine Altersbegrenzung bei der kassenärztlichen Tätigkeit eintrat, ernteten wir Proteste. Heute steht es im Gesetzentwurf. Ich kann nur sagen: So ändern sich die Zeiten.

(Beifall bei der SPD)

Wäre dies schon damals realisiert worden, hätten wir heute einige Probleme weniger.
Eine weitere gesundheitspolitische Grundsatzposition der SPD hat mit der Liste verordnungsfähiger Arzneimittel — wir haben sie immer „Positivliste" genannt — Eingang in das Gesundheits-Strukturgesetz gefunden. Mit der Positivliste wird dem Arzt in Zukunft ein klar abgegrenztes Spektrum von Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung gestellt. Abweichungen von der Liste sind möglich, wenn die medizinische Notwendigkeit ausdrücklich und schriftlich begründet wird, so daß die Therapiefreiheit selbstverständlich in vollem Umfang erhalten bleibt. Die Positivliste wird vom neu zu schaffenden Arzneimittel-Institut — einer weiteren Forderung von uns — erstellt, überwacht und regelmäßig der Marktentwicklung angepaßt.
Der Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung wird in zeitlicher Hinsicht stufenweise unter Beachtung und Wahrung verfassungsrechtlicher Grund-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10921
Klaus Kirschner
Sätze neu geregelt. Damit haben wir uns — auch der Kollege Hoffacker hat das vorhin gesagt; das kann ich von unserer Seite nur unterstreichen — im Ausschuß sehr intensiv auseinandergesetzt. Wir haben auch die Bedenken sehr ausgiebig gewürdigt. Aber ich denke, die Argumente sind ganz eindeutig, daß wir uns hier verfassungskonform verhalten.
Ich verrate hier auch nichts Neues, wenn ich sage, daß die SPD zur Lösung des Problems das sogenannte Einkaufsmodell favorisiert hat. Mit der im Gesetzentwurf nun vorgesehenen Regelung können wir leben; sie können wir auch vertreten.
Wenn die Übergangsregelung, nach der Zulassungsanträge noch nach altem Recht abgewickelt werden, abgelaufen ist, dürfen ab 1. Januar 1993 Zulassungen grundsätzlich nur noch für solche Versorgungsgebiete erteilt werden, die nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften als nicht überversorgt gelten. Dann werden trotz dieser verschärften Bedarfsplanung noch mehr als 60 v. H. aller Bedarfsplanungsbereiche in Deutschland als zulassungsoffen gelten, so daß bis zum Inkrafttreten der Bedarfszulassung ab 1. Januar 1999 noch jeder Arzt, der die Zulassungsvoraussetzungen voll erfüllt, seinen Beruf im System der gesetzlichen Krankenversicherung ausüben kann. Es darf allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß eben nicht mehr jeder Zulassungsbereich für eine Zulassung offenstehen wird.
Im zahnärztlichen Bereich haben wir — lassen Sie mich dies deutlich machen — bei Zahnersatz und Kieferorthopädie die Einführung eines degressiven Punktwertverfahrens durchgesetzt.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Damit wird Leistung bestraft!)

Dies bedeutet, Herr Kollege Dr. Altherr, daß die weiteren zahnärztlichen Leistungen ab einer Umsatzgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung von durchschnittlich 525 000 DM — auch diese Zahl muß man ja einmal nennen — in Stufen nicht mehr mit dem vollen Punktwert vergütet werden. Dieses Prinzip bedeutet auch innerhalb der Zahnärzteschaft ein Stück mehr Verteilungsgerechtigkeit, weil nicht alle Zahnärzte von dieser Maßnahme betroffen sind, sondern nur der Teil der besserverdienenden Praxen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Nur die Leistungsfähigsten, die Fleißigsten sind betroffen!)

Die große Mehrheit der Zahnärzteschaft — nach den bisherigen Berechnungen ca. 75 % — werden von dieser Regelung nicht betroffen sein.
Außerdem haben wir durchgesetzt, daß bei Zahnfüllungen und Zahnersatz mindestens eine zweijährige Gewährleistungsfrist einzuräumen ist. Dies dient alles zusammen einer besseren Qualitätssteuerung.

(Beifall bei der SPD — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Ja, das ist richtig!)

Der von maßgeblichen Zahnärztefunktionären in der Öffentlichkeit erweckte Eindruck, mit dem Einlösen dieses Stabilitätsbeitrags brächen für die Zahnärzte wirtschaftliche Notzeiten an, ist unverantwortlich und auch unwahr.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin froh — lassen Sie mich auch dies sagen —, daß sich nicht alle davon haben beeindrucken lassen.
Was die Krankenhausfinanzierung angeht, wird zum 1. Januar 1993 das Selbstkostendeckungsprinzip aufgehoben. Mit der zeitgleichen Ablösung des bisher geltenden tagesgleichen vollpauschalierten Pflegesatzes durch ein System sehr flexibel handhabbarer und gleichzeitig mit Wirtschaftlichkeitsanreizen versehener Sonderentgelte, Fallpauschalen und Abteilungspflegesätze wird nunmehr ein leistungsgerechtes Entgeltsystem eingeführt. Lassen Sie mich auch dies sagen: Um während der Zeit der Budgetierung einen sachgerechten Krankenhausbetrieb zu gewährleisten, wurden Ausnahmen von der Obergrenze zugelassen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Auch in Zukunft werden strukturelle Folgemaßnahmen insbesondere auf Grund der demographischen Entwicklung und der Möglichkeiten des medizinisch-technischen Fortschritts unerläßlich sein. Wir Sozialdemokraten stellen uns dieser Verantwortung und werden zu gegebener Zeit Lösungsvorschläge in die öffentliche Diskussion einbringen.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212701400
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich möchte Ihnen zwischendurch das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. über die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen auf den Drucksachen 12/3892 und 12/3938 bekanntgeben. Es wurden 598 Stimmen abgegeben. Ungültig war keine Stimme. Mit Ja haben 377 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 220. Es gab eine Enthaltung.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 593; davon:
ja: 373
nein: 219
enthalten: 1
Ja
, CDU/CSU
Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich
Dr. Altherr, Walter Franz Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter
Dr. Bauer, Wolf
Baumeister, Brigitte Bayha, Richard
Belle, Meinrad
Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk
Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate
Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter
Dr. Blüm, Norbert
Böhm (Melsungen), Wilfried Dr. Böhmer, Maria
Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang
Bohl, Friedrich
Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus
Breuer, Paul
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg
10922 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Büttner (Schönebeck), Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens (Emstek), Manfred Carstensen (Nordstrand),
Peter Harry
Clemens, Joachim Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deres, Karl
Deß, Albert
Diemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjörgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Ehrbar, Udo
Eichhorn, Maria
Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eylmann, Horst
Eymer, Anke
Falk, Ilse
Dr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, Jochen
Dr. Fell, Karl H.
Fischer (Hamburg), Dirk Fischer (Unna), Leni Fockenberg, Winfried Francke (Hamburg), Klaus
Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim Ganz (St. Wendel), Johannes Geiger, Michaela
Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Geis, Norbert
Dr. von Geldern, Wolfgang Gerster (Mainz), Johannes Gibtner, Horst
Glos, Michael
Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin Götz, Peter
Dr. Götzer, Wolfgang Gres, Joachim
Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-Peter
Dr. Grünewald, Joachim Günther (Duisburg), Horst Frhr. von Hammerstein,
Carl-Detlev
Harries, Klaus
Haschke (Großhennersdorf), Gottfried
Haschke (Jena-Ost), Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Hauser (Esslingen), Otto Hauser (Rednitzhembach), Hansgeorg
Heise, Manfred
Dr. Hellwig, Renate Hinsken, Ernst
Hintze, Peter
Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim
Dr. Hoffacker, Paul
Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert
Jäger, Claus
Jaffke, Susanne
Jagoda, Bernhard Dr. Jahn (Münster),
Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin
Dr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, Rainer
Dr. Jüttner, Egon
Jung (Limburg), Michael Junghanns, Ulrich
Dr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen
Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker
Keller, Peter
Kiechle, Ignaz Kittelmann, Peter Klein (Bremen), Günter
Klein (München), Hans Klinkert, Ulrich
Köhler (Hainspitz),
Hans-Ulrich
Dr. Köhler (Wolfsburg),
Volkmar
Dr. Kohl, Helmut Kolbe, Manfred Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf
Dr. Krause (Börgerende),
Günther
Dr. Krause (Bonese),
Rudolf Karl
Krause (Dessau), Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Lamers, Karl
Dr. Lammert, Norbert
Lamp, Helmut Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef
Lehne, Klaus-Heiner
Dr. Lehr, Ursula Lenzer, Christian Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha
Link (Diepholz), Walter
Dr. Lippold (Offenbach), Klaus W.
Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun Lohmann (Lüdenscheid),
Wolfgang
Louven, Julius Lummer, Heinrich Dr. Luther, Michael
Maaß (Wilhelmshaven), Erich Männle, Ursula
Magin, Theo
Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Marten, Günter
Dr. Mayer (Siegertsbrunn),
Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Dr. Merkel, Angela Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup,
Reinhard
Michalk, Maria Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Molnar, Thomas Müller (Wadern),
Hans-Werner
Müller (Wesseling), Alfons Nelle, Engelbert
Dr. Neuling, Christian Neumann (Bremen), Bernd Nitsch, Johannes
Nolte, Claudia
Dr. Olderog, Rolf
Ost, Friedhelm
Oswald, Eduard
Otto (Erfurt), Norbert Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich
Pfeffermann, Gerhard O. Pfeifer, Anton
Pfeiffer, Angelika Dr. Pfennig, Gero
Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald
Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter
Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans
Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf
Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm
Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika
Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert
Dr. Riedl (München), Erich Riegert, Klaus
Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode (Wietzen), Helmut Rönsch (Wiesbaden),
Hannelore
Romer, Franz
Dr. Rose, Klaus
Rossmanith, Kurt J. Roth (Gießen), Adolf Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker
Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer (Salzgitter), Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Scharrenbroich, Heribert Schätzle, Ortrun
Dr. Schäuble, Wolfgang Schartz (Trier), Günther Schemken, Heinz Scheu, Gerhard
Schmalz, Ulrich
Schmidbauer, Bernd Schmidt (Fürth), Christian
Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke),
Joachim
Schmidt (Mülheim), Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
von Schmude, Michael Dr. Schneider (Nürnberg), Oscar
Dr. Schockenhoff, Andreas
Dr. Scholz, Rupert Frhr. von Schorlemer, Reinhard

(Schwäbisch Gmünd)

Schulz (Leipzig), Gerhard Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan
Dr. Schwarz-Schilling, _ Christian
Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst
Seesing, Heinrich
Seibel, Wilfried
Seiters, Rudolf
Sikora, Jürgen
Skowron, Werner H.
Dr. Sopart, Hans-Joachim Sothmann, Bärbel
Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf
Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans
Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang
Stockhausen, Karl
Dr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-Gerd
Stübgen, Michael
Susset, Egon
Tillmann, Ferdi
Dr. Töpfer, Klaus
Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Verhülsdonk, Roswitha Vogel (Ennepetal), Friedrich Vogt (Duren), Wolfgang
Dr. Voigt (Northeim),
Hans-Peter
Dr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, Horst
Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen
Dr. Warrikoff, Alexander Werner (Ulm), Herbert Wetzel, Kersten
Wiechatzek, Gabriele
Dr. Wieczorek (Auerbach), Bertram
Dr. Wilms, Dorothee
Wilz, Bernd
Wimmer (Neuss), Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias
Dr. Wittmann, Fritz
Wittmann (Tännesberg), Simon
Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno
Zöller, Wolfgang
F.D.P.
Albowitz, Ina
Dr. Babel, Gisela
Beckmann, Klaus
Dr. Blunk, Michaela Bredehorn, Günther Cronenberg (Arnsberg),
Dieter-Julius
Eimer (Fürth), Norbert Engelhard, Hans A.
van Essen, Jörg
Dr. Feldmann, Olaf
Friedhoff, Paul K.
Friedrich, Horst
Funke, Rainer
Dr. Funke-Schmitt-Rink, Margret
Gallus, Georg
Ganschow, Jörg
Genscher, Hans-Dietrich Gries, Ekkehard
Grünbeck, Josef
Grüner, Martin
Günther (Plauen), Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hackel, Heinz-Dieter Hansen, Dirk
Dr. Haussmann, Helmut
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10923
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Heinrich, Ulrich
Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Hitschler, Walter Dr. Hoth, Sigrid
Dr. Hoyer, Werner
Irmer, Ulrich
Kleinert (Hannover), Detlef Kohn, Roland
Dr. Kolb, Heinrich L. Koppelin, Jürgen
Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine
Lüder, Wolfgang
Lühr, Uwe
Dr. Menzel, Bruno
Mischnick, Wolfgang Möllemann, Jürgen W. Dr. Ortleb, Rainer
Otto (Frankfurt), Hans-Joachim
Paintner, Johann
Peters, Lisa
Dr. Pohl, Eva
Richter (Bremerhaven), Manfred
Rind, Hermann
Dr. Röhl, Klaus
Schäfer (Mainz), Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt (Dresden), Arno Dr. Schmieder, Jürgen
Dr. Schnittler, Christoph Schüßler, Gerhard
Schuster, Hans
Dr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marita
Seiler-Albring, Ursula Dr. Semper, Sigrid
Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Starnick, Jürgen
Dr. von Teichman, Cornelia Thiele, Carl-Ludwig
Dr. Thomae, Dieter
Timm, Jürgen
Türk, Jürgen
Walz, Ingrid
Dr. Weng (Gerlingen), Wolfgang
Wolfgramm (Göttingen), Torsten
Zurheide, Burkhard
Zywietz, Werner
Nein
SPD
Adler, Brigitte
Andres, Gerd
Antretter, Robert
Bachmaier, Hermann Barbe, Angelika
Bartsch, Holger
Becker (Nienberge), Helmuth Becker-Inglau, Ingrid
Berger, Hans
Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Blunck, Lieselott
Bock, Thea
Dr. Böhme (Unna), Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Dr. Brecht, Eberhard Büchler (Hof), Hans Büchner (Speyer), Peter Dr. von Bülow, Andreas Burchardt, Ursula
Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter Daubertshäuser, Klaus
Dr. Diederich (Berlin), Nils Diller, Karl
Dr. Dobberthien, Marliese Dreßler, Rudolf
Ebert, Eike
Dr. Eckardt, Peter
Dr. Ehmke (Bonn), Horst Eich, Ludwig
Dr. Elmer, Konrad Erler, Gernot
Esters, Helmut
Ewen, Carl
Ferner, Elke
Fischer (Gräfenhainichen), Evelin
Fischer (Homburg), Lothar Formanski, Norbert
Fuchs (Verl), Katrin Fuhrmann, Arne
Ganseforth, Monika Gansel, Norbert
Dr. Gautier, Fritz Gilges, Konrad
Dr. Glotz, Peter
Graf, Günter
Großmann, Achim Haack (Extertal), Karl Hermann
Habermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Dr. Hartenstein, Liesel Heistermann, Dieter Heyenn, Günther
Hiller (Lübeck), Reinhold Horn, Erwin
Huonker, Gunter Ibrügger, Lothar
Iwersen, Gabriele Jäger, Renate
Janz, Ilse
Dr. Janzen, Ulrich Dr. Jens, Uwe
Jung (Düsseldorf), Volker Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, Susanne
Kastning, Ernst
Kirschner, Klaus
Klappert, Marianne
Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klemmer, Siegrun
Klose, Hans-Ulrich
Dr. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf Kolbe, Regina
Kolbow, Walter
Koltzsch, Rolf
Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe
Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe
Lange, Brigitte
von Larcher, Detlev Leidinger, Robert Lennartz, Klaus
Lohmann (Witten), Klaus Dr. Lucyga, Christine Maaß (Herne), Dieter Mascher, Ulrike
Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert
Dr. Mertens (Bottrop), Franz-Josef
Mosdorf, Siegmar
Müller (Düsseldorf), Michael Müller (Pleisweiler), Albrecht Müller (Schweinfurt), Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Müller (Zittau), Christian Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niehuis, Edith
Dr. Niese, Rolf
Niggemeier, Horst Odendahl, Doris
Oostergetelo, Jan Opel, Manfred
Ostertag, Adolf
Dr. Otto, Helga
Paterna, Peter
Dr. Penner, Willfried Peter (Kassel), Horst Dr. Pfaff, Martin
Pfuhl, Albert
Dr. Pick, Eckhart
Poß, Joachim
Reimann, Manfred von Renesse, Margot Rennebach, Renate Reschke, Otto
Reuschenbach, Peter W. Reuter, Bernd
Rixe, Günter
Schaich-Walch, Gudrun Schanz, Dieter
Dr. Scheer, Hermann Scheffler, Siegfried Schily, Otto
Schloten, Dieter
Schluckebier, Günter Schmidbauer (Nürnberg), Horst
Schmidt (Aachen), Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina
Dr. Schmude, Jürgen Dr. Schnell, Emil
Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela
Schröter, Karl-Heinz Schütz, Dietmar
Schulte (Hameln), Brigitte
Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf
Seidenthal, Bodo
Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes
Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid
Dr. Soell, Hartmut
Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland
Dr. Sperling, Dietrich Steiner, Heinz-Alfred Stiegler, Ludwig
Dr. Struck, Peter
Tappe, Joachim
Terborg, Margitta Dr. Thalheim, Gerald
Thierse, Wolfgang Toetemeyer, Hans-Günther Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried Verheugen, Günter
Dr. Vogel, Hans-Jochen
Voigt (Frankfurt), Karsten D. Wagner, Hans Georg Wallow, Hans
Waltemathe, Ernst Walter (Cochem), Ralf Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara
Weis (Stendal), Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. Wernitz, Axel
Wester, Hildegard Westrich, Lydia
Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun
Dr. Wieczorek, Norbert Wiefelspütz, Dieter Wimmer (Neuötting),
Hermann
Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Zapf, Uta
Dr. Zöpel, Christoph
PDS/Linke Liste
Dr. Enkelmann, Dagmar
Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth
Dr. Gysi, Gregor
Dr. Heuer, Uwe-Jens Jelpke, Ulla
Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg Dr. Schumann (Kroppenstedt),
Fritz
Dr. Seifert, Ilja
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dr. Feige, Klaus-Dieter Pappe, Gerd
Schenk, Christina
Weiß (Berlin), Konrad Wollenberger, Vera
Fraktionslos
Dr. Briefs, Ulrich
Enthalten
Fraktionslos Lowack, Ortwin
Damit ist der Antrag mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.
Wir fahren in unseren Beratungen fort. Als nächster spricht der Kollege Dr. Dieter Thomae.
10924 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992

Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1212701500
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Klaus Kirschner, Herr Oesingmann ist zwar Präsident; aber er hat nicht immer recht.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Klaus Kirschner [SPD]: Ja, das ist allerdings wahr! Das habe ich auch nicht bestritten!)

— Gut.
Mit der Verabschiedung des Gesundheits-Strukturgesetzes wird die GKV in einem großen Umfange verändert. Wir ändern Strukturen, und wir sparen etwa 11 Milliarden DM, 11 Milliarden DM bei 180 Milliarden DM Gesamtausgaben in Ost und West — eine gewaltige Summe.
Offene Zustimmung von den Betroffenen kann man nicht erwarten, und wir haben sie auch nicht erwartet. Dennoch bedauern wir es sehr, daß es uns trotz vieler Gespräche nicht gelungen ist, die Reform im Konsens mit den Hauptbeteiligten zu Ende zu bringen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das bedaure ich auch!)

Vieles ist bis zum Schluß kontrovers geblieben, z. B. die Begrenzung der Arztzahlen oder das Hausarztkonzept, das Selbstkostendeckungsprinzip und der Risikostrukturausgleich. Das sind alles Punkte, über die bereits seit Jahren kontrovers innerhalb der Organisationen der Betroffenen diskutiert wird. Ja, meine Damen und Herren, es gibt sogar Mehrheitsbeschlüsse bei diesen Betroffenen; wir haben Teile realisiert, und heute werden wir trotzdem kritisiert.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Hier wird die besondere Problematik der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion sehr deutlich. Keiner hat Patentrezepte, um die Probleme, die sich aus den begrenzten finanziellen Spielräumen und den zunehmenden Überkapazitäten ergeben, zu lösen. Handlungsbedarf wird seit Jahren von allen Beteiligten geltend gemacht. Niemand hat aber ein umfassendes Konzept vorgelegt. Es gibt in vielen entscheidenden Strukturfragen keine einheitliche Linie bei den Betroffenen, ja, noch nicht einmal innerhalb der einzelnen Verbände. Wie auch immer die Politik entscheidet: Man kann es keinem recht machen. Mit Popularismus läßt sich Gesundheitspolitik leider nicht betreiben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wer in der Demokratie etwas verändern möchte, der braucht Mehrheiten. Das gilt nicht nur innerverbandlich, sondern auch für den Bundestag und für den Bundesrat. Wenn wir Liberalen alleine die Macht und die Mehrheit hätten,

(Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: O je!)

meine Damen und Herren, sähe manches natürlich anders aus.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Herr Kollege, das wäre aber auch nicht gut!)

Aber keine Sorge:

(Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Nein, diese Sorge haben wir auch nicht!)

Wir haben nicht die Mehrheit und sind zu Kompromissen verpflichtet. Wir haben eine Menge Kröten geschluckt.

(Peter Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Kröten können auch Delikatessen sein!)

Aber wir haben auch einige Punkte erreicht, und die möchte ich kurz anführen.
Wir haben den Bereich Krankenhaus intensiv angepackt und vieles nach den Vorstellungen der F.D.P. realisiert. Wir haben die Zuständigkeit der Solidargemeinschaft verändert. Im alten GRG unter Minister Blüm haben wir bei den Heil- und Hilfsmitteln, bei den Festbeträgen und beim Sterbegeld etwas geändert. Jetzt setzen wir dies mit Zustimmung der SPD beim Zahnersatz fort. 15 % werden beim Zahnersatz ausgegliedert.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Unsozial!)

Wir erweitern die Kostenerstattung. 10 Millionen freiwillig Versicherte kommen in den Genuß der Kosterstattung. Wir erhalten die Kostenerstattung beim Zahnersatz, und wir bauen die Mitverantwortung der Versicherten aus.

(Beifall bei der F.D.P. — Rudolf Dreßler [SPD]: Wo denn?)

— Ja, das sage ich Ihnen, Herr Dreßler. Herr Dreßler, die SPD hat bei der Arzneimittelzuzahlung zugestimmt. Das ist immerhin ein Mehrbetrag von 1,3 Milliarden DM. Ich bin froh, daß wir uns einig sind, daß wir in Zukunft die Definition der Solidargemeischaft und ihrer Aufgabe auch mit Ihrer Zustimmung neu formulieren werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das heißt: Was trägt die Pflichtversicherung, was geht in die Eigenverantwortung über? Auch hier haben Sie zugestimmt. Es gibt also einige Punkte, an denen man erkennen kann, daß es doch nicht ein reines SPD- Gesetz ist.

(Klaus Kirschner [SPD]: Das haben wir auch nie gesagt, sonst müßten wir für alles verantwortlich sein!)

Meine Damen und Herren, in vielen Punkten haben wir uns nicht durchgesetzt. Aber wir haben vernünftige Korrekturen vorgenommen und Schlimmeres verhindert. Vom Nürburgring bis heute ist, so kann man sagen, einiges weggenommen worden, z. B. die herben Einschnitte im zahnärztlichen und zahntechnischen Bereich. Das individuelle Arzneimittelbudget und die weitgehenden Eingriffe in die Autonomie der Selbstverwaltung, die vorgesehen waren, wurden verhindert. Der Risikostrukturausgleich, der regional organisiert werden sollte, wurde ebenfalls vermieden. Ich denke, das sind wichtige Punkte.
In den Ausschußberatungen haben wir auch noch einige Punkte gemeinsam eingesetzt. Die Herausnahme der Prävention aus der Deckelung habe ich in der ersten Lesung schon gefordert. Ich denke, es ist ein wichtiger Schritt, daß wir gemeinsam die Prävention und die Prophylaxe erweitert haben.
Meine Damen und Herren, wir haben die Bedingungen für Arzneimittelinnovationen erheblich verbes-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10925
Dr. Dieter Thomae
sert und auch den Patentschutz klarer und deutlicher formuliert, damit uns nicht das Mißgeschick passiert, daß große Arzneimittelfirmen auswandern,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie bei der Gentechnik!)

weil die Gentechnologie in der Bundesrepublik Deutschland keinen vernünftigen Standort hat.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dies müssen wir verhindern, und ich denke, mit dieser Formulierung des Patentschutzes haben wir das erreicht.
Für viele draußen ist es sehr schwer zu verstehen, warum wir Liberalen bei der gesetzlichen Absenkung der Arzneimittelpreise oder bei der Absenkung der Honorare beispielsweise bei prothetischen Leistungen oder bei der Budgetierung, zugestimmt haben. Ich weiß, auch viele Kollegen in der eigenen Fraktion sehen in diesen Instrumenten Teufelswerk, ich ebenfalls. Aber es sind Notmaßnahmen, auf maximal drei Jahre befristete Notmaßnahmen, zu denen es angesichts der unwahrscheinlichen Kostenexplosion und vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Lage keine gleichermaßen kurzfristig wirksamen und politisch durchsetzbaren Alternativen gab.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Verantwortung für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für die Konjunktur und für das Wachstum, für die Arbeitsplätze verbietet es, daß die Krankenversicherungsbeiträge einfach weiter steigen. Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß höhere Beitragssätze notwendig sein können. Beitragssatzstabilität darf kein Selbstzweck sein. Dennoch müssen wir anerkennen, daß die Gesundheitsausgaben aus dem laufenden Bruttosozialprodukt finanziert werden müssen. Und da dürfen wir gerade jetzt die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft nicht überfordern.
Steigende Beitragssätze sind vor allen Dingen nicht hinzunehmen, weil es für die Ausgabenexplosion in den vergangenen Jahren keine vernünftige medizinische Begründung gibt. Solange wir noch wirtschaftlichkeitsreserven in diesem System haben, solange Leistungen bezahlt werden, die der einzelne selbst tragen könnte, solange es falsche Anreize und Fehlsteuerungen gibt, so lange können steigende Beitragssätze von uns nicht hingenommen werden.
Mit diesem Gesetz werden Wirtschaftlichkeitsreserven in vielen Bereichen erschlossen. Fehlsteuerungen werden beseitigt, und sie werden teilweise jetzt schon durch marktwirtschaftliche Mechanismen ersetzt.
Meine Damen und Herren, die größten Gefahren für das freiheitliche Gesundheitswesen gehen nicht von der befristeten Budgetierung aus; die größten Gefahren gehen vielmehr von dauerhaften Defiziten und permanent steigenden Beitragssätzen aus. Das nämlich sind regelmäßig die Umstände, die zum Ruf nach mehr Staat und letztlich zum staatlichen Gesundheitswesen führen.
Ich will das am Beispiel der kassenärztlichen Zulassungsbegrenzung verdeutlichen. Herr Hoffacker und Herr Kirschner haben schon sehr deutlich den Rahmen abgesteckt, und ich bin froh darüber, daß diese
deutlichen Worte gesagt wurden, wie es ab 1999 und vor allen Dingen in der Phase zwischen 1993 und 1998 weitergeht. Wir sind sicher — dies ist im Ausschußbericht festgehalten —: Jeder Arzt wird in dieser Phase einen Platz bekommen; nur sein Wunschort kann nicht mehr berücksichtigt werden.
Therapiefreiheit, freie Arztwahl, eine leistungsgerechte Honorierung sollen Bestand haben. Aber eine zunehmende Arztzahl führt zu zunehmender Konkurrenz unter den niedergelassenen Ärzten und leider zur Ausweitung von Leistungen, dies wiederum angesichts der begrenzten Mittel zu dem bekannten Verfall der Punktwerte. Wer das verhindern will, der muß im ambulanten Sektor handeln, damit hier der Hauptträger langfristig gesichert wird, damit er nicht durch ruinösen Konkurrenzkampf in Schwierigkeiten kommt. Deshalb müssen wir den Zugang zur kassenärztlichen Versorgung am Bedarf orientieren. Das müssen wir in diesem System, das weitgehend auf dem Sachleistungsprinzip basiert, einfach tun!
Besser wäre es natürlich nach den Vorstellungen der F.D.P., wenn wir direkt an die Ursachen der Probleme gingen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Dazu bräuchten wir ein anderes Krankenversicherungssystem. Von der scheinbar kostenlosen Vollversorgung über den Krankenschein müßten wir Abstand nehmen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Klaus Kirschner [SPD]: Na, na! Die Versicherten zahlen immer noch Beiträge!)

Wir bräuchten ein Krankenversicherungssystem, das die Versicherten durch zumindest in begrenztem Umfange risikoabhängige Beiträge in die Verantwortung für Gesunderhaltung und Krankheitsverminderung nimmt.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Klaus Kirschner [SPD]: Wie die Ausgaben steigen, das zeigt doch die PKV!)

Wir bräuchten ein Versicherungssystem, das durch wirksame Eigenbeteiligung eine kostenbewußtere Inanspruchnahme von Leistungen der Versicherten bewirkt.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer über die Grundversorgung abgesichert werden will, der soll dies tun können, aber nicht auf Kosten der Pflichtsolidargemeinschaft.
In einem solchen System, das wir anstreben, bräuchten wir keine Zulassungsbeschränkung. Zumal wenn wir noch den Mut hätten, die Versicherungspflichtgrenze nach unten abzusenken, würden sich neue Spielräume dafür ergeben, daß jeder sich niederlassen und privat die Patienten behandeln könnte.

(Klaus Kirschner [SPD]: Er will nur neue Millionäre schaffen!)

10926 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Dr. Dieter Thomae
Wir werden diesen Weg gehen! Beispiele im Ausland zeigen uns dies; schauen Sie sich Schweden an, schauen Sie sich Italien an!

(Klaus Kirschner [SPD]: Ich würde empfehlen, sich die USA anzuschauen!)

Wir werden die Definition der Solidargemeinschaft verändern müssen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, im Krankenhausbereich werden wir das Selbstkostendeckungsprinzip beseitigen. An seine Stelle treten nun endlich leistungsgerechte Entgelte — mit dem Glück, Gewinne machen zu können, aber auch der Gefahr, Verluste zu erwirtschaften. Der tagesgleiche Pflegesatz wird dort, wo es möglich ist, durch Fallpauschalen und Sonderentgelte ersetzt. Das Krankenhaus erhält einen festen Preis, unabhängig davon, wie lange der Patient im Krankenhaus liegt.
Aber wir wissen auch, Sonderentgelte und Fallpauschalen können nur in einem Teilbereich — 20 bis 25 % — realisiert werden. In weiten Teilen des Krankenhauses wird es zunächst beim Pflegesatz bleiben, der wie bisher individuell zwischen Krankenhaus und Krankenkasse ausgehandelt wird. Ich gebe offen zu, daß ich diese individuellen Verhandlungen mit großer Skepsis weiter beobachte. Hier besteht das Risiko, daß erneut individuelle Kostensituationen der Krankenhäuser berücksichtigt werden. Mir wäre auch in diesem Bereich der Mut zu mehr pauschalen Sonderentgelten lieber gewesen. Da erinnere ich noch einmal an den dreigeteilten Pflegesatz. Ich denke, dies wäre ein wichtiger Punkt gewesen, meine Damen und Herren, aber ich bin hoffnungsvoll. Wir werden die monistische Finanzierung einzuführen.
Die staatliche Zuständigkeit für die Finanzierung von Krankenhausinvesitionen hat sich gerade in den neuen Bundesländern als das größte Investitionshemmnis erwiesen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Länder können die Mittel, die dringend gebraucht werden, einfach nicht aufbringen. Durch das neue Gemeinschaftsprogramm — wir alle sollten stolz darauf sein, daß wir dies geschafft haben— wird der Bund zwar helfen; das Grundproblem der öffentlichen Mittelaufbringung bleibt aber immer weiter bestehen.
Unabhängig vom Gemeinschaftsprogramm sollten wir die marktwirtschaftlichen Alternative, nämlich die private Investitionsförderung, stärker in den Mittelpunkt stellen. Privates Kapital, das — ähnlich wie im Wohnungsbau — mit steuerlichen Anreizen in den Krankenhaussektor fließen könnte, würde die staatliche Mittelaufbringung überflüssig machen und könnte einen Beitrag zur Inanspruchnahme der ohnehin überbeanspruchten Kapitalmärkte durch die öffentliche Hand leisten. Warum Staatsfinanzierung, meine Damen und Herren, wenn es Privatinvestoren ermöglichen?

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es müßte nun dringend geregelt werden, daß die Kapitalkosten, die Abschreibungen und die Zinsen im
Pflegesatz adäquat berücksichtigt werden. Eine kleine Tür haben wir schon im Gemeinschaftsprogramm. Aber ich denke, es ist auf Dauer zuwenig. Hier müssen wir im Solidarpaket sicherlich noch einiges verbessern.
Die tiefgreifendsten Veränderungen finden wir in der Organisationsform. Auch ich bin der Meinung, daß es gut ist, daß wir demnächst einen Vorstand und einen Verwaltungsrat vorfinden werden, der mit großer Initiative und mit viel „Power" in diesem Bereich nach vorne schreitet.
Was mir aber noch große Sorge macht, ist der kassenartenübergreifende Risikostrukturausgleich. Ich verschweige nicht: Wir hätten es lieber gesehen, zunächst den kasseninternen Finanzausgleich zu schaffen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Erst danach hätten wir über einen Risikostrukturausgleich diskutieren können. Leider kann man sich bei Kompromissen nicht in allen Bereichen durchsetzen. Dies war für mich eine große Kröte, die ich schlucken mußte. Schon heute möchte ich aber ankündigen, daß wir denjenigen auf offener Bühne vorführen, der in Zukunft mehr als vier Ausgleichsfaktoren fordert.

(Zuruf von der CDU: Das ist aber ungesund! — Zuruf von der SPD: Auf welcher Bühne?)

— Auf dieser politischen Bühne! — Denn das, meine Damen und Herren, war auch eine lange Diskusssion. Auf vier Ausgleichsfaktoren haben wir uns geeinigt. Wenn ich heute schon Gerüchte höre, daß man über weitere diskutieren möchte, dann möchte ich dies von vornherein vollständig abblocken.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir tragen den Risikostrukturausgleich mit,

(Klaus Kirschner [SPD]: Er ist auch eine gute Lösung!)

wenn auch mit Bauchschmerzen. Aber wir haben auch die Chance der Wahlfreiheit für die Versicherten.

(Klaus Kirschner [SPD]: Noch besser!)

Dies ist wirklich ein liberales Anliegen. Wir wollen, daß jeder Versicherte zwischen mehreren Krankenkassen wählen kann. Das ist ein gutes Ergebnis. Wir wollen ebenso, daß die Krankenkassen mehr als bisher durch günstige Beiträge um die Versicherten konkurrieren. Dies setzt aber auch voraus, daß wir den Krankenkassen Vertragsfreiheit geben. Wahlfreiheit für die Versicherten ohne Vertragsfreiheit für die Krankenkassen wäre eine reine Scheinlösung gewesen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: So ist es!)

Zum Glück haben wir die Vertragsfreiheit gesichert.
Wir werden in Zukunft mehr Wettbewerb einklagen. Es muß zwischen den Krankenkassen noch mehr Wettbewerb entstehen. Ich denke, daß hier die ersten Ansätze in die richtige Richtung gemacht werden. Wir haben die Einheitsversicherung, haben das Monopol
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10927
Dr. Dieter Thomae
verhindert. Ich bin froh, daß Herr Kirschner heute die Position der SPD zum gegliederten System noch einmal eindeutig klargestellt hat.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Er hat aber auch von Diskriminierung gesprochen! — Gegenruf des Abg. Klaus Kirschner [SPD]: Was bei den Arbeitern bisher ja auch der Fall war, oder?)

Lassen Sie mich noch auf drei Punkte eingehen. Die Selbstbeteiligung bei den Arzneimitteln ist ausgebaut worden. Das muß man, wenn man mit rotem Stift nachrechnet, sehr deutlich feststellen. Ich denke, es ist gut, daß die Eigenverantwortung auch bei den Patienten gestärkt wird. Wir haben Härtefälle und Sozialklauseln für den Fall, daß hier jemand überfordert wird. Die Bildung von Festbeträgen wurde erleichtert. Das darf aber nicht auf Kosten der Arzneimittelforschung gehen. Wir haben dies im Ausschuß entsprechend korrigiert.
Wir haben auch sichergestellt, daß die Naturheilmittel auch in Zukunft vom Kassenarzt verordnet werden können. Ich nenne nur das Stichwort Homöopathie, worüber wir stundenlang diskutiert haben, um diese Therapiemöglichkeit wirklich zu sichern.
Schließlich ist festzustellen, daß es zu Einkommenseinbußen bei den Apotheken kommen wird. Das ist im Hinblick auf den Sicherstellungsauftrag, den die Apotheken für eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln haben nicht unproblematisch und fordert auf, darüber nachzudenken, ob die umsatzbezogenen Vergütungen der Leistungen der Apotheker im bisherigen Umfang aufrechterhalten werden können. Wir werden darüber nachdenken. Wir werden den Markt beobachten.

(Zuruf des Abg. Rudolf Dreßler [SPD])

Dann werden wir entscheiden, sehr geehrter Herr Dreßler.
Meine Damen und Herren, diese Reform haben die Politiker mit dem heutigen Tage nun weitgehend hinter sich gebracht. Aber wir alle wissen: Wir sind ziemlich hilflos, wenn die Selbstverwaltung nicht mit einsteigt und diese Reform nicht mit umsetzt. Darum appelliere ich an alle Verantwortlichen draußen in der Selbstverwaltung, diese Reform wirklich positiv umzusetzen.
Eines sei aber gesagt: Trotz großer Euphorie, trotz großer Freude ist dies kein Jahrhundertwerk. Wir werden in drei Jahren sicherlich einen weiteren Reformschritt machen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Spätestens! — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: So wird es sein!)

Ich hoffe, daß die liberalen Überlegungen dann noch stärker berücksichtigt werden können, nämlich die Kostentransparenz, die mir noch fehlt, die Kostenerstattung, die Beitragsrückerstattung und hier und dort noch etwas mehr Selbstbeteiligung.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das hängt vom Oktober 1994 ab, Herr Kollege!)

Dies hat der Sachverständigenrat gefordert. Ich bin froh, daß wir die ersten Schritte gemacht haben. Aber weitere Schritte müssen folgen.
Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212701600
Nun hat die Kollegin Ursula Fischer das Wort.

Dr. Ursula Fischer (PDS/LL):
Rede ID: ID1212701700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manch einer möchte meinen, daß nach den mehr als zahlreichen Veränderungen am Entwurf der „Großen Koalition" zum Gesundheits-Strukturgesetz nun endlich das Gesetz auf dem Tisch liegt, das alle Seiten befriedigt und vor allem—um die Befriedigung geht es ja nicht so sehr — ein schlüssiges Konzept darstellt.
Eine fleißige Tag-und-Nacht-Arbeit vieler Beamter des Gesundheitsministeriums und auch Abgeordneter wurde geleistet, manchmal bis zur Erschöpfung, wie festzustellen war. Der Minister leistete unermüdlich Überzeugungsarbeit in der Öffentlichkeit nach dem Motto: Nicht die Lautstärke entscheidet, sondern es kommt auf die Tiefe des Arguments an. Dabei lag die Betonung immer auf dem Wort „Handlungszwang", der ganz offensichtlich länger besteht — ich erinnere Sie an die „Unendliche Geschichte" — und auch nach diesem Gesetz, wie bereits bestätigt, bestehenbleiben wird.
Der Kompromißvorschlag, wie er uns vorliegt, wurde heiß erstritten und genauso bestritten. Selbstverständlich wird er auch gehütet wie ein Augapfel; das verstehe ich. Nach wie vor kann ich die Eile nicht begreifen, die an den Tag gelegt wird. Viel Ärger und Streit hätte primär vermieden werden können, wenn es von Anfang an eine Abstimmung in dem nun mal sehr komplexen Gesundheitswesen, z. B. in Form eines Runden Tisches, gegeben hätte, um dort gemeinsam mit allen Repräsentanten und Gruppierungen zu reden, die Verantwortung im Gesundheitswesen wahrnehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann wäre nichts passiert!)

— Sie trauen den Menschen zuwenig zu! — Dadurch rückten Detailbetrachtungen zu sehr in den Vordergrund, und der Blick für die Zusammenhänge des gesamten Systems der gesundheitlichen Versorgung wurde eher noch verstellt. Das ist einer von vielen Gründen, die das vorliegende Gesetz in seinen Auswirkungen und dem Zusammenwirken einzelner Bestimmungen unwägbar machen werden. Das sollten wir alle bedenken, meine Damen und Herren, wenn wir heute dem Gesetzentwurf zustimmen oder — wie die PDS/Linke Liste — ihn ablehnen.
Die PDS/Linke Liste hat dem Haus einen umfassenden Entschließungsantrag vorgelegt, um Vorstellungen — ich betone: Vorstellungen — zu einer wirklichen Reform des Gesundheitswesens zu äußern. Warum? Eine Reform, die alle Säulen des Gesundheitswesen einbezieht, ist das Gesetz nach wie vor nicht. Wir sind auch nach wie vor der Auffassung, daß die Bezeichnung „Gesundheits-Strukturgesetz" irreführend ist. Die Dinge sollten beim Namen genannt
10928 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Dr. Ursula Fischer
werden. Statt Gesundheits-Strukturgesetz müßte es Gesundheits- oder, noch besser, Krankheitsfinanzierungsgesetz genannt werden; denn ganz überwiegend wird ja — dies ist unbestritten — mit der Krankheit verdient. Partiell konstruktive Ansatzpunkte des Gesetzes münden nicht in ein Gesamtkonzept ein. Übergewicht hat nach wie vor die kurzfristige Sicherung der Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Warten Sie es ab! — Diesem Ziel sollen zeitlich begrenzte Kostendämpfungsmaßnahmen auf seiten der Leistungserbringer und eine erneut erhöhte Zuzahlung der Versicherten dienen.
Die Selbstbeteiligung der Versicherten ist kein wirksames Instrument zur Kostendämpfung, und sie wird auch nicht zu einem besseren Gesundheitszustand der Bevölkerung führen. Die finanzielle Mehrbelastung trifft zudem Behinderte, chronisch Kranke und ältere Menschen besonders hart.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Frau Kollegin, Sie sollten inzwischen gelernt haben, daß das nicht stimmt!)

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Behinderte hat das schlüssig dargelegt.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Sie wissen es doch besser!)

Wir lehnen Zuzahlungen nach wie vor ab — eben weil ich es besser weiß. Ein entsprechender Änderungsantrag der PDS/Linke Liste liegt Ihnen vor, und ich bitte Sie, meine Damen und Herren, um Zustimmung.
Finanzierbarkeit ist nur eine, wenn auch die grundlegende Vorbedingung für die Gesundheitspolitik — damit Sie auch merken, daß ich das anerkenne. Aber erst die Bestimmung klarer Versorgungsstrategien bei der Bewältigung der heutigen gesundheitlichen und sozialen Probleme macht eine effektive Verteilung begrenzter Ressourcen möglich.
Es wird nicht verkannt, daß der jetzige Entwurf Elemente enthält, die das Bestreben erkennen lassen, Bewegung in die Gesundheitspolitik zu bringen. Dazu zählen u. a. erste Schritte in Richtung einer Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung,

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

die Maßnahmen zur Unterstützung einer rationellen Arzneimitteltherapie, die vorgesehene Veränderung des Vergütungssystems für die Kassenärzte, der angestrebte Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen und anderes mehr.
Auch zum Risikostrukturausgleich liegt Ihnen ein Änderungsantrag der PDS/Linke Liste vor. Der mit den §§ 266 und 267 anvisierte Risikostrukturausgleich muß, soll er erfolgreich sein, kassenartenübergreifend und bundesweit, d. h. auch deutschlandweit, eingeführt werden.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Bei der vorgesehenen Trennung des Ausgleichs für die neuen und alten Bundesländer ist mit großer
Wahrscheinlichkeit ein später schwer überbrückbarer Regionalisierungseffekt zu erwarten.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das führt zu keinen Verwerfungen!)

Um diese Entwicklung zu verhindern, sollten die voraussichtlichen Finanzströme von West nach Ost als der Beitrag der gesetzlichen Krankenversicherung zur sozialen Einheit gewertet werden. Ob die vorgesehene Reform des Krankenversicherungssystems in Schwung kommt, scheint mir bei den ausgeprägten Gruppeninteressen der Betroffenen zweifelhaft. Natürlich existieren irrationale, aber auch rationale Ängste um Marktanteile.
Nicht zu übersehen ist, daß die vorgesehenen Veränderungen weit hinter dem jeweils Erforderlichen zurückbleiben — was beim Kompromiß nicht anders denkbar war — und zudem großer Spielraum — das ist schlimmer — für Ausdeutungen gegeben ist. Strukturelle Schlußfolgerungen zur Lösung grundlegender Entwicklungsprobleme des Gesundheitswesens, wie zunehmende Spezialisierung und daraus erwachsende Notwendigkeiten zu innerberuflicher wie berufsübergreifender Kooperation oder hinsichtlich des wachsenden Stellenwertes von Prävention und Rehabilitation, werden fast völlig vermißt.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Nein, bei der nächsten Stufe vorgesehen!)

So muß festgestellt werden, daß der Gesetzentwurf nach wie vor keinen grundlegenden Ansatz zu einer wirklichen Strukturreform im Gesundheitswesen darstellt.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das kann man doch so nicht sagen!)

Während die tatsächlichen Ursachen ungerechtfertigter Kostensteigerungen im Gesundheitswesen, die in den seit langem bestehenden Strukturmängeln und daraus resultierenden Fehlsteuerungen liegen — die uns in den östlichen Ländern übergestülpt wurden —, nicht oder nur halbherzig angepackt werden,

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Sie schauen doch heute gesunder aus als früher, Frau Kollegin!)

soll die Beherrschung der finanziellen Folgen in erster Linie über eine Fülle administrativer Maßnahmen, wie Budgetierungen, Richtgrößen, Prüfverfahren, und anderer Reglementierungen ärztlicher und pflegerischer Arbeit erreicht werden. Das muß zu einem neuerlichen Anwachsen der jetzt schon unerträglichen Bürokratie im Gesundheitswesen, zur weiteren Zunahme des ohnehin überhöhten Verwaltungsaufwandes,

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

vor allem aber zu schwerwiegenden Belastungen des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient führen.
Andererseits jedoch zieht sich der Staat, wie er es früher schon bei präventiven Maßnahmen getan hat,
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10929
Dr. Ursula Fischer
weiter aus seiner finanziellen Verantwortung zurück.

(Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das stimmt doch nicht; das ist doch aufgebessert worden! Das Gegenteil ist der Fall!)

Hier sei nur noch einmal an die Diskussion in der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 15 erinnert. Der Einzelplan 15 umfaßt bekanntlich ganze 1,07 Milliarden DM als Bundesbeteiligung an der Gesunderhaltung der Bevölkerung.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Länderaufgaben, Frau Kollegin!)

— Ich spreche zum Bund. —

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Föderales System!)

— Das habe ich schon begriffen. — Der Staat schleicht sich aus der sozialen Infrastruktur ersatzlos heraus. Die gesetzlichen Krankenkassen dagegen geben über 150 Milliarden DM aus. Das sind wohlgemerkt die Beiträge der Versicherten. Wir haben also ein selbstfinanziertes Gesundheitswesen vor uns, mit der Tendenz zur vollständigen Selbstfinanzierung. Das muß den Versicherten auch bewußt gemacht werden.

(Klaus Kirschner [SPD]: Nein, Krankenversicherungssystem, Frau Kollegin!)

Die 150 Milliarden DM sind wohlgemerkt, wie gesagt, Beiträge der Versicherten.
Bei den Selbstbeteiligungen und Zuzahlungen durch die Versicherten in Höhe von mittlerweile rund 12 Milliarden DM jährlich kann man wohl eindeutig konstatieren: Der Staat verabschiedet sich völlig aus seiner Fürsorgepflicht;

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Aber, Frau Kollegin!)

die hat er nämlich für die Gesundheit und den Gesundheitsschutz seiner Bürgerinnen und Bürger.
Trotz vorgenommener Abmilderung der ursprünglich vorgesehenen Selbstbeteiligung führt das Gesetz zu weiteren Erhöhungen der Zuzahlungen für die Versicherten — nicht unbedingt direkt, sondern die indirekten Zuzahlungen, die Tariferhöhungen im öffentlichen Verkehr usw., sind weitaus schlimmer. Ich denke da an Mecklenburg-Vorpommern, an die Weite des Landes.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Frau Kollegin, Verursacherprinzip!)

Damit wird aus meiner Sicht das Solidarprinzip entgegen vielfach anderslautender Beteuerung weiter ausgehöhlt. Die daraus resultierenden sozialen Probleme werden, wie vorher schon betont, für viele chronisch kranke, ältere und behinderte Menschen auch durch eine Härtefallregelung nicht ausreichend gelöst.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Wer sagt denn das?)

Die soziale Gleichheit bei der Inanspruchnahme
medizinischer Versorgung, deren Gewährleistung
eine reale politische Zielstellung der Gesundheitspolitik wäre, rückt damit wieder in weitere Ferne.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Dann müssen Sie die Brille wechseln, Frau Kollegin! Sie müssen einmal Plus-Gläser aufsetzen; dann kommt sie näher heran!)

Einige Bemerkungen zu der Härtefallklausel: Die PDS/Linke Liste stellte dem Gesundheitsausschuß den Änderungsantrag zu § 61 Art. 1 mit folgendem Inhalt vor: In Abs. 2 Nr. 1 wird eingefügt: „bis zum Zeitpunkt gleicher Bezugsgrößen in Ost und West ist für diesen Anwendungsfall generell die monatliche Bezugsgröße West anzuwenden".
Begründung: Die unmodifizierte Anwendung der Härtefallklausel auf Basis der monatlichen Bezugsgröße Ost führt zu einer paradoxen Situation: Die mit fast den gleichen Lebenshaltungskosten belasteten Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer fallen viel eher aus der Härtefallklausel heraus, weil diese getrennt nach den jeweiligen Einkommensgegebenheiten ermittelt wird. Damit erfahren große Teile der Niedrigeinkommensbezieherinnen und -bezieher keine Entlastung. Das ist für diesen Anwendungsfall der unterschiedlichen monatlichen Bezugsgrößen eine untragbare Ungleichstellung der Menschen in den alten und neuen Bundesländern.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das ist doch nur ein temporäres Problem!)

Dieser Änderungsantrag wurde im Ausschuß abgelehnt. Nur Professor Pfaff von der SPD enthielt sich der Stimme.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Oh, Herr Professor! Ist der ausgeschert, der Professor?)

Zu meiner großen Enttäuschung stimmen auch die Ost-Abgeordneten dagegen.
Aber ich denke, nun hat der Minister mein Weltbild wieder zurückgerückt. Denn in einer Pressemitteilung las ich ganz erstaunt, daß der Minister genau diesen abgelehnten Antrag annähernd als Wohltat in der Presse verkündet.
Neben anderen Problemen, die ich mit Parteienentscheidungen wider Sachentscheidungen habe, noch eine Bemerkung: Ich finde nicht einen entsprechenden Antrag der CDU/CSU, F.D.P. und SPD im vorliegenden Gesetz. Sollte hier eine Einführung durch die Verwaltung unter Umgehung von Beschlüssen des Gesundheitsausschusses stattgefunden haben? Ein für mich etwas merkwürdiger Vorgang, wenn auch verständlich, meine Damen und Herren. Trotzdem mein Dank an dieser Stelle.
Einen anderen Änderungsantrag zum Krankenhausfinanzierungsgesetz konnten wir ad acta legen, da der Minister eine entsprechende Lösung für die Investitionen im Krankenhausbereich der neuen Bundesländer vorgelegt hat, die wir natürlich begrüßen. Aber, Herr Minister, warum ich mich dafür auch noch bedanken soll, kann ich natürlich nicht so recht begreifen, da ich diese Lösung für normal halte und die gleiche Lösung auch für die Investitionen in den
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Dr. Ursula Fischer
Krankenhäusern in den westlichen Ländern von 1972 bis 1984 angewandt worden ist.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Gerade Ihre Partei sollte sich da bedanken! — Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das meine ich aber auch!)

— Ich habe ja gesagt, daß ich mich bedanke.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: 21 Milliarden, gnädige Frau!)

— Ich könnte an dieser Stelle noch sehr viel mehr polemisieren. Ich unterlasse es aber, weil mir polemisieren an dieser Stelle nicht so sehr liegt.
Meine Damen und Herren, nach dem hier Gesagten fordern wir die Bundesregierung an dieser Stelle auf, ein neues Gesundheitsstrukturgesetz vorzulegen und in ausreichender Zeit zu diskutieren. Ich hatte im Ausschuß unserem Ausschußvorsitzenden gesagt, man sollte dieses Gesetz in zweiter und dritter Lesung ein Jahr aussetzen, einfach deshalb, weil im Prinzip die ganzen Vorgänge dort, wo sie in der Praxis dann passieren, nicht durchschaubar und auch nicht ausreichend diskutiert sind. Das belegen im übrigen die 150 Änderungsanträge, die selbst von den Kollegen gekommen sind, die in Lahnstein waren. Diejenigen, die nicht in Lahnstein waren, hatten oft Mühe — die anderen aber auch —, die Ausschußarbeit überhaupt zu verfolgen;

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

denn ähnlich wie beim Einigungsvertrag kam zum großen Teil die heiße Ware auf den Tisch, und dann wurde darüber abgestimmt, bevor man überhaupt begreifen konnte, worum es eigentlich geht. Auch das ist für mich keine Arbeitsweise, meine Damen und Herren.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das ist richtig! Da kann ich Ihnen beipflichten!)

Ich will an dieser Stelle, im ersten Abschnitt meiner Rede, noch kurz begründen, warum ich meine, daß ein neues Gesundheitsstrukturgesetz vorgelegt werden müßte und auch könnte. Die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur und im Krankheitsgeschehen, vor allem geprägt durch den wachsenden Anteil älterer Menschen, sowie das Überwiegen chronischer Krankheiten führen zu neuen medizinischen Erfordernissen und verlangen veränderte Arbeitsweisen und Strukturen im Gesundheitswesen. Zugleich gibt die moderne Medizin dem Arzt bisher ungeahnte Möglichkeiten in die Hand, die einen auch künftig wachsenden Aufwand für die gesundheitliche Versorgung erfordern werden. Rationale Gesundheitspolitik muß dieser Entwicklung bewußt Rechnung tragen.
Die in der Bundesrepublik historisch gewachsenen Strukturen im Gesundheitswesen mit einem Überwiegen der Einzelpraxis und mit ihren auch nach diesem Gestz noch starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, medizinischer und psychologischer bzw. sozialer Betreuung behindern zunehmend das erforderliche arbeitsteilige Zusammenwirken, führen zu vielfachen Doppeluntersuchungen und belasten die Patienten unnötig. Die vielfach jeweils unterschiedlichen Zuständigkeiten
und Finanzierungsmodalitäten sind anachronistisch. Sie führen zu schwerwiegenden Mängeln insbesondere bei der Versorgung älterer Menschen, chronisch kranker Menschen sowie psychisch und psychosomatisch Kranker und wirken über Leistungsausweitungen zusätzlich kostentreibend.
An dieser Stelle — das ist mir sehr wichtig — ein Wort zur psychotherapeutischen Tätigkeit der freien Psychologen. Die Politik sollte dafür Sorge tragen, daß es in diesem Bereich, wie zugesichert, keinerlei Veränderungen bis zur Vorlage eines Psychotherapeutengesetzes gibt. Das ist ihnen zugesichert worden, und ich halte es für ganz wichtig, diese Zusage aufrechtzuerhalten. Der Einfluß der Politik muß bei den Kassenärztlichen Vereinigungen geltend gemacht werden, um Schaden von den Patienten abzuwenden. Mir sind Erkenntnisse zugänglich gemacht worden, angesichts der ich eigentlich nur noch mit den Schultern zucken kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle meine Ausführungen unterbrechen, da es mir ja nicht gestattet ist, durchgehend zu reden. Ich werde Sie im zweiten Teil meiner Rede noch einmal mit einigen anderen Dingen beglücken.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212701800
Als nächster hat der Kollege Wolfgang Lohmann das Wort.

Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1212701900
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute steht in zweiter und dritter Lesung ein Gesetzentwurf zur Abstimmung, der sich auf eine breite parlamentarische Basis stützen kann. Eine solche Tatsache hat normalerweise zur Folge, daß einige Reibungspunkte — Herr Dreßler, ich sehe Sie gerade an — fehlen, mit deren Hilfe man in der politischen Auseinandersetzung auch die Energien gewinnt, um eine Vorlage mit besonderem Engagement politisch zu vertreten. Insofern fehlen sie mir als Gegenpol, weil Sie ja — wie hoffentlich alle, die daran mitgewirkt haben — voll hinter diesem Kompromißwerk stehen.
Deshalb finde ich es auch nicht sehr gut, wenn die eine oder andere Seite, Herr Kirschner, nun versucht, in letzter Minute und vielleicht ab morgen besonders intensiv ihrer eigenen Klientel darzustellen, was nun die Handschrift der SPD oder die Handschrift der CDU trägt oder was verhindert bzw. was geschafft worden ist. Ich meine vielmehr, wir sollten gemeinsam feststellen, daß solch ein Kompromiß im Interesse einer wirklich großen Sache von allen mitgetragen werden kann. Alle finden sich darin wieder, und auch ich gehöre dazu. Deswegen bin ich ohne Wenn und Aber bereit, dieses Gesetzeswerk in allen Einzelheiten mitzutragen und mich argumentativ damit auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Daher findet und fand die Auseinandersetzung in den letzten Wochen und Monaten nicht sosehr im Parlament — wohl im Ausschuß und in den Arbeitsgruppen —, aber in der Hauptsache mit den Beteilig-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10931
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

ten, mit den Leistungserbringern, statt. Dabei hatten wir uns gemeinsam mit unterschiedlicher Intensität den unterschiedlichsten Anwürfen in bezug auf die Folgen dieses Gesetzes auszusetzen.
In den bisherigen Beiträgen ist schon eine ganze Reihe gesagt worden. Es folgen ja auch noch sehr wichtige Beiträge, u. a. der Beitrag des Herrn Ministers, der das Ganze in seinen einzelnen Facetten sicherlich noch einmal darstellen wird. Deswegen möchte ich mich — das wird Sie nicht überraschen — auf den Krankenhausbereich beschränken.
In diesem Gesetz wird — das müssen alle Seiten bekennen — zum erstenmal der Versuch gemacht, die Krankenhäuser in eine Reformüberlegung struktureller Art mit einzubeziehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ein tauglicher Versuch!)

Das war und ist dringend notwendig, weil im Krankenhausbereich ja immerhin über ein Drittel der gesamten Kosten anfällt. In der Vergangenheit ist es regelmäßig gelungen, schon im Vorfeld der politischen Auseinandersetzung zu verhindern, daß das Krankenhaus in seiner Struktur ernsthaft in Frage gestellt wird, was die Finanzierung anbelangt, und daß Möglichkeiten gefunden und eingeführt wurden, die zu mehr Wirtschaftlichkeit und auch zu einer rationellen Leistungserbringung geführt hätten. Woran das lag, wissen die einzelnen Beteiligten, die schon länger dabei sind, sehr wohl. In der Hauptsache lag es natürlich auch daran, daß nach wie vor die Planungskompetenz der Länder auf diesem Sektor existiert.
Auf Grund der Planungskompetenz der Länder in bezug auf die Aufstellung von Krankenhausplänen hat sich im Laufe der Jahre beispielsweise eine Argumentationskette entwickelt — auch gesetzgeberisch —, die zu unguten Ergebnissen geführt hat: Es gibt zunächst den Krankenhausplan, dessen Aufstellung in die Kompetenz des jeweiligen Landes fällt; aus dem Plan erwächst der Versorgungsauftrag; aus dem Versorgungauftrag erwächst der Anspruch auf Selbstkostendeckung, und zwar unabhängig von der Frage, ob die Kosten zu Recht oder zu Unrecht entstanden sind, und aus dem Anspruch auf Deckung der Selbstkosten entsteht für die beteiligten Krankenkassen in Pflegesatzverhandlungen die Notwendigkeit, diese Kosten zu decken, es sei denn, es gelänge ihnen, den Nachweis zu erbringen, daß in einigen Bereichen Unwirtschaftlichkeit zu bestimmten Kosten geführt hat, was bei Pflegesatzverhandlungen außerordentlich schwer ist.
Deswegen durchbrechen wir jetzt diese Begründungskette und sagen: Unser Fernziel ist, von den mehrseitigen Finanzierungsformen bei der dualen Finanzierung über die Länderverantwortung bei Investitionen und über die laufenden Betriebskosten bei den Beitragszahlern wegzukommen und zu einer Finanzierung in einer Hand zu gelangen. Das heißt: Derjenige, der das Unternehmen führt, finanziert es insgesamt auf lange Sicht aus Beiträgen, wobei die ersparten Finanzen der Länder künftig natürlich auch noch bedacht werden müssen. Er darf — das ist schon genannt worden — aber auch Fremdmittel einbeziehen, so daß die Investitionen nicht allein darauf zugeschnitten werden, ob das Land zufällig aus planerischen oder aus rein fiskalischen Gründen in der Lage ist, eine Investition zu finanzieren. Die Entscheidung soll vielmehr aus wirtschaftlichen Gründen vor Ort fallen. Das ist, wie gesagt, das Fernziel.
Da man ein gewachsenes System nicht in einem Gewaltakt umstülpen kann — das gilt gerade für das Finanzierungssystem im Krankenhausbereich —, haben wir gesagt: Wir wollen mit dieser Reform alles vermeiden, was die Erreichung unseres Fernziels stören könnte, und wir wollen in Einzelschritten dort ansetzen, wo es der Erreichung dieses Ziels förderlich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen können wir nur dann zu wirksamen Einzelschritten kommen — ich denke an Fallpauschalen, Sonderentgelte usw., aber ich komme noch darauf zu sprechen; das sind ja Strukturmaßnahmen —, wenn wir zunächst, so leid es vielen tut, auch in diesem Bereich eine Budgetierung und eine Anbindung an die Grundlohnsumme durchsetzen. Wie viele wissen, liegt ein solcher Schritt — das kann man jedenfalls für die CDU/CSU und sicher auch für die F.D.P. sagen —, wie alle Maßnahmen, die Preismanipulationen und eine Budgetierung beinhalten — vorsichtig ausgedrückt —, am Rande der reinen Lehre der Sozialen Marktwirtschaft. Deswegen kann das auch nur befristet geschehen. Wir müssen es aber machen, um wieder den Bewegungsspielraum zu erreichen, den wir benötigen, um die strukturellen Maßnahmen in Kraft zu setzen.
Neben der Budgetierung sollen nun bei Ablösung des tagesgleichen Pflegesatzes leistungsgerechte Entgelte wie Sonderentgelte und Fallpauschalen eingeführt werden.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das ist der richtige Schritt!)

Was ist das? Um es dem Laien verständlich zu machen: Das ist nichts anderes als ein fester Preis für eine Leistung, der auf Grund von bundeseinheitlichen Bewertungs- bzw. Punktwertrelationen vorgegeben ist. Die Preisbildung auf Landesebene geschieht durch die Ansetzung von Punktwerten, die unterschiedlich sein können.
Wir versprechen uns — viele Modellvorhaben haben das bewiesen —, daß bei Einführung von Fallpauschalen eine deutliche Tendenz zur Senkung der Verweildauer in den Krankenhäusern eintritt, denn vom ersten Tag nach der Operation an hat das Krankenhaus bereits seinen Preis kassiert oder wird ihn kassieren, weil er für die Leistung zugesagt worden ist, und zwar unabhängig davon, wie lange der Patient im Bett liegt oder im Bett liegen muß. Es wird zunehmend dazu kommen, daß die Patienten interessanterweise freitags und nicht erst montags entlassen werden. Viele andere Beispiele ließen sich nennen.
Ein Preissystem — wenn ich das überhaupt als solches bezeichnen kann — wie das, was wir bisher hatten, das das Liegenbleiben in den Betten belohnt,
10932 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

weil jeder Tag mehr zu zusätzlichen Erträgen von 300, 350 oder sogar 450 DM für das Haus führt, verleitet dazu, die Verweildauer nicht weiter zu senken, sondern sie vielleicht sogar zu erhöhen oder sie als Instrument einer Auslastung des Hauses — ich sage einmal — zu mißbrauchen. Jeder Chefarzt, jeder Oberarzt wird bestätigen können, daß er von seiner Krankenhausleitung in der Vergangenheit gelegentlich Hinweise bekommen hat, daß die Auslastung zur Zeit nicht so günstig sei und deswegen kein besonderes Interesse daran bestehe, die Patienten so schnell zu entlassen, wie es vielleicht medizinisch verantwortbar wäre.
Deswegen gibt es diese leistungsgerechten Entgelte. Natürlich sind wir uns darüber klar — wir haben uns mit vielen Gegenstimmen der Beteiligten auseinandersetzen müssen —, daß mit der Fallpauschale die Gefahr verbunden ist, daß die entsprechenden Leistungs- und Qualitätsstandards nicht eingehalten werden oder, wie es manchmal genannt wird, Rosinenpickerei betrieben wird. Meine Damen und Herren, der Versorgungsauftrag der Häuser bleibt unverändert. Das heißt, es kann und darf hierbei keine Rosinenpickerei geben, indem ich eine Leistung anbiete und den eingewiesenen Patienten zur Operation annehme und den anderen abweise, weil er auf Grund der Diagnose in einer Fallpauschale möglicherweise nicht die entsprechenden Kosten bringt.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Ich operiere alles, Herr Kollege!)

Manche befürchten auch, daß die Anzahl der Fälle stark ansteigen wird, wenn pro Fall ein bestimmter Betrag gezahlt wird.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Ich habe das Skalpell schon mit!)

Meine Damen und Herren, man muß denjenigen, die das immer wieder betonen, doch sagen: Es wird nicht möglich sein, die Patienten mit dem Lasso auf der Straße einzufangen und sie unters Messer zu nehmen. Vielmehr wird es dabei bleiben, daß die niedergelassenen Ärzte die Patienten zur Operation oder zur stationären Behandlung einweisen.
Darüber hinaus machen wir flankierend dazu noch etwas anderes, nämlich die vor- und nachstationäre Versorgung. Sie gab es in der Vergangenheit in dieser Form nicht, weil dreiseitige Verträge durch unterschiedliche Interessen — vorsichtig ausgedrückt — verhindert wurden. Jetzt, wo die vor- und nachstationäre Versorgung kommt, wird es möglich sein, den eingewiesenen Patienten nach kurzer Untersuchung nach Hause zu schicken und ihm zu sagen: Du kannst in zwei oder in drei Tagen wiederkommen; dann ist alles für eine Operation vorbereitet, die jetzt in diesem Augenblick nicht akut stattzufinden braucht. Das ist ein Vorteil zum bisherigen Zustand. Bisher war es so: Er wurde eingewiesen und mußte sich erst einmal hinlegen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht, wenn er erst mal eingewiesen ist!)

Klar: Jeder Tag brachte 350 DM.
Jetzt kann er nach Hause geschickt werden. Was noch wichtiger ist: Ein Anreiz zur frühzeitigen Entlassung ist die nachstationäre Versorgung. Innerhalb von sieben Tagen kann der entlassene Patient wieder ambulant einbestellt werden, und zwar ohne eine besondere Zulassung bzw. besondere Ermächtigung. Das wird, was die Verantwortung der entlassenden Ärzte anbelangt, eine wesentliche Stütze sein. Denn sie haben jetzt die Möglichkeit, den Patienten frühzeitig zu entlassen und zu sagen: Ich möchte Sie übermorgen noch einmal sehen, den Wundverlauf prüfen, Fäden ziehen oder was auch immer anliegt. Der Arzt kann das sogar mehrfach machen. Von daher gibt es also einen Anreiz, das Bett früher freizumachen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Es wird auch die Transparenz verbessern, Wolfgang!)

Was ist die Folge? Hier gibt es Befürchtungen von vielen Krankenhausträgern. Die Folge ist, daß im Gegensatz zu bisher, wo Überkapazitäten oder mangelnde Auslastung beispielsweise durch längeres Liegenlassen kaschiert wurden, nun Überkapazitäten deutlich werden, daß die behaupteten und auch ermittelten freien Betten sichtbar werden, daß die Träger und auch die Landeskrankenhausplaner in die Verantwortung genommen werden, eine Entscheidung zu fällen. Wir können endlich dazu kommen, daß wir beispielsweise bestimmte Abteilungen oder bestimmte Bettentrakte in reine Pflegeabteilungen umwidmen können.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und der PDS/Linke Liste)

Wir wissen alle — ob und wann eine Pflegeversicherung auch kommen mag —,

(Bundesminister Horst Seehofer: Die kommt! — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Nicht mehr zuständig!)

daß es eine dramatische Unterversorgung bei den notwendigen stationären Einrichtungen für die Altenpflege gibt. Auch insofern wird das einen heilsamen Einfluß ausüben. Jeder, der im Krankenhaus etwas Bescheid weiß, weiß, daß zumindest in inneren Abteilungen sehr viele vor allem ältere Patienten liegen, die nicht in ein Akutkrankenhaus gehören und die aus den unterschiedlichsten Gründen dort gehalten werden, auch auf Grund von Hinweisen von Familien, die sagen: Laßt den Opa oder die Oma noch etwas hier liegen.

(Klaus Kirschner [SPD]: Fehlbelegung!)

Wir können ihn zu Hause jetzt wirklich nicht unterbringen. Oder: Wir wollen in Urlaub fahren. Oder: Es ist einfach kein Altenpflegeplatz frei; wir stehen auf einer Liste und können es nicht anders machen. Was tut der Internist? Er findet eine Lösung, den akutkranken Zustand zumindest in den Unterlagen weiter fortzusetzen und den Patienten dort zu lassen. Hat aber das gleiche Haus oder ein benachbartes Haus, das umgewidmet worden ist, die Möglichkeit der Unterbringung für diese Pflegefälle, wird sich auch das wesentlich verbessern, und wir haben die Möglichkeit, die Akutkosten zu senken.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10933

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212702000
Herr Kollege Lohmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?

Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1212702100
Ja, natürlich.

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1212702200
Sehr verehrter Kollege, darf ich Sie so verstehen, daß Sie mit der Umwidmung von Betten in Pflegebetten die von allen Seiten des Hauses immer wieder hervorgehobene Priorität von häuslicher Pflege unterlaufen wollen, indem Sie weitere stationäre Pflege anbieten?

Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1212702300
Das können Sie selbstverständlich nicht unterstellen. Die häusliche Pflege soll heute und auch in Zukunft ihren Vorrang behalten, auch aus gesellschaftspolitischen Gründen, die ich jetzt im einzelnen nicht aufführen kann. Es ist heute eine Tatsache, daß sehr viele Patienten nicht häuslich gepflegt werden, die reine Pflegefälle sind — ich habe das gerade darzustellen versucht —, sondern im Krankenhaus liegen. Diese sollen die Chance haben, in eine stationäre Einrichtung verlegt zu werden, die sich dieser Bevölkerungsgruppe besonders widmen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Was wir mit einem leistungsbezogenen Entgelt wollen, ist mehr Wettbewerb, auch mehr Konzentration und mehr Spezialisierung. Es muß möglich werden, daß bestimmte Krankenhäuser, die einzelne Leistungen nur ein-, zwei- oder dreimal im Jahr durchführen, etwa Gelenkendoprothesenoperationen oder das Einsetzen eines Herzschrittmachers, die dabei keine Routine entwickeln und auch niemals kostengünstig arbeiten können, das lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist der Sinn der Sache. In anderen Krankenhäusern werden diese Leistungen zur Routine, und sie können sie auf rationelle Art und Weise erbringen. Das wollen wir. Wir haben mit der gleichzeitigen Inkraftsetzung der Pflegeverordnung die Qualitätsstandards, die sehr wichtig sind, gesichert.
Was wir wollen, ist, daß der stationäre Aufenthalt auf Sicht immer so kurz wie medizinisch eben verantwortbar gehalten wird und daß die Menschen früher als bisher in ihre Familien zurückkommen und früher als bisher in ihre Familien und ihre Arbeit eingegliedert werden können. Das ist ein Hauptgesichtspunkt unseres Vorhabens. Ich bin froh darüber, daß das Ihre Zustimmung finden wird.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212702400
Nun spricht der Kollege Rudolf Dreßler.

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1212702500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das heute zur Verabschiedung anstehende Gesundheits- Strukturgesetz markiert einen Einschnitt in der deutschen Gesundheitspolitik. Zum erstenmal seit 1949 findet eine wirkliche Reform unseres Gesundheitswesens statt, ein strukturverändernder Umbau, dessen Konsequenzen spürbar über eine Wahlperiode hinausreichen werden.
Unsere Krankenversicherung wird umgestaltet und an wettbewerblichen Kriterien orientiert. Allen Versicherten wird die freie Wahl der Krankenkasse eingeräumt. Die Selbstverwaltung wird zu einem wirkungsvollen Mitbestimmungselement umgestaltet. Der Arzneimittelmarkt wird neu geordnet. Ein Institut „Arzneimittel in der Krankenversicherung" wird eine Positivliste erstellen. Die Pflichtweiterbildung wird Voraussetzung für die Zulassung zum Kassenarzt. Eine Altersgrenze für die kassenärztliche Tätigkeit wird eingeführt. Die kassenärztliche Zulassung wird wirksamer gesteuert. Die kassenärztliche Vergütung wird durch Einführung von diagnoseabhängigen Fallpauschalen und Leistungskomplexen neu geordnet. Die Kostenerstattung bei Zahnersatz wird durch die Wiedereinführung des Sachleistungsprinzips — diesmal duales System genannt — abgelöst. Das sollte sich auch bei der F.D.P. langsam herumgesprochen haben. Ambulantes Operieren in Praxis und Krankenhaus sowie vor- und nachstationäre Behandlung verringern den Graben zwischen ambulantem und stationärem Sektor. Der Selbstkostendeckungsgrundsatz in der Krankenversicherung wird aufgehoben. Leistungsgerechte Pflegesatzformen wie etwa Fallpauschalen und Sonderentgelte lösen den unwirtschaftlichen tagesgleichen Pflegesatz ab. Die duale Finanzierung des Krankenhauses wird schrittweise durch ein monistisches System ersetzt.
Wer wollte angesichts dieser Aufzählung der Gesetzesinhalte bezweifeln, daß hier gesundheitspolitisch Nägel mit Köpfen gemacht wurden? Zum erstenmal seit langen Jahren steht aber auch ein Gesundheitsgesetz zur Abstimmung, das die Lasten notwendiger Konsolidierungsmaßnahmen nicht einseitig auf den Schultern der Patienten ablädt. Zwischen der sogenannten Gesundheitsreform von 1989 und dem heutigen Gesetz liegen Welten, meine Damen und Herren.

(Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)

Das Gesundheits-Strukturgesetz ist sozial gerechter und schützt Patienten wie Versicherte vor finanzieller Überforderung. Daß Regierungskoalition und Opposition zu einer fraktionsübergreifenden gemeinsamen Vorlage zusammengefunden haben, ist in der Gesundheitspolitik ungewöhnlich, gleichsam eine Premiere. Die Schwierigkeit der zu lösenden Fragen machte sie notwendig. Ich mache mir allerdings keine Illusionen: Die Mehrheit der SPD im Bundesrat förderte die Bereitschaft der Koalition zur Zusammenarbeit manchmal nachhaltiger als staatspolitische Überlegungen.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr wohl!)

Aber sei's drum. Es hat sich gelohnt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, und es wird Bestand haben. Die Menschen, für die wir Verantwortung tragen, haben davon den Vorteil. Die Zusammenarbeit mit der Koalition in diesem Gesetzgebungsverfahren kann und wird die SPD allerdings nicht daran hindern, auf die Ursache und die Verantwortung für die dritte schwere Kostenkrise in unserem Gesundheitswesen binnen 15 Jahren hinzuweisen. Man ist versucht, den
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Rudolf Dreßler
ersten Satz der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Kiesinger aus dem Jahr 1966 in abgewandelter Form zu zitieren:
Dieser Zusammenarbeit ist eine lange schwelende Krise vorangegangen, deren Ursache sich auf Jahre hinaus zurückverfolgen läßt.
Das war auch in diesem Fall so. Herr Kiesinger ist dieser Satz damals nicht leichtgefallen, wie wir wissen, denn er markierte damit die Verantwortlichkeit seiner Partei für die Fehlentwicklungen in der vorangegangenen Zeit. Gleichwohl war dieser Satz notwendig.
Auch heute wäre ein solch ehrlicher Satz aus den Reihen der Koalition notwendig, der ihre politische Verantwortlichkeit für die Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen nicht länger in Zweifel stellt und das offenbare Scheitern der sogenannten Gesundheitsreform von 1989 nicht länger vernebelt, Herr Lohmann.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [SPD]: Wir mußten aber 1982 etwas übernehmen!)

— Wenn Tatsachen für sich sprechen, Herr Lohmann, sollte nicht viel Mut dazu gehören, sie auch anzuerkennen.

(Beifall bei der SPD)

Mit der Feststellung, die Zusammenarbeit von SPD und Koalition in Sachen Gesundheitsreform habe sich gelohnt, meine ich nicht nur deren inhaltliches Ergebnis, sondern auch ihre Wirkungen auf die Gruppen und Verbände des Gesundheitswesens, auf das, was man auch mit gesundheitspolitischer Interessenlandschaft bezeichnet. Das Angebot daran ist jedenfalls reichhaltig. Daß es sich gelohnt hat, bedeutet hier, daß das Parlament Handlungsfähigkeit bewiesen hat. Es ist vor den Interessengruppen nicht in die Knie gegangen, hat weder Pressionsversuchen nachgegeben, noch ist es Lockungen erlegen, denn auch hier war das Angebot reichhaltig.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Und auch keinen Frohlockungen!)

Wer die Einwirkungsversuche von Interessengruppen auf das Parlament oder Teile von ihm so organisiert, wie es während dieses Gesetzgebungsverfahrens geschehen ist, der muß wissen, daß er den Widerstand des Bundestages dagegen zur Pflicht, zu einer Sache der parlamentarischen Selbstachtung macht. Wir alle sollten befriedigt zur Kenntnis nehmen, daß der Lobbyismus des Gesundheitswesens die Zurückweisung erfahren hat, die er verdient hat. Ich bin mir sicher, daß dies für die Zukunft stilbildend wirkt.

(Beifall bei der SPD)

Was den am Konsens Beteiligten in den vergangenen Monaten an zweifelhafter Interessenvertretung zuteil wurde, war mehr als eine Zumutung. Es überschritt mehr als einmal die Schwelle zum moralisch Anfechtbaren, und dabei war der Schaum vor dem Mund von einigen Amok laufenden Zahnärztefunktionären noch nicht einmal die schlimmste Form der Interessenpolitik. Viel schlimmer ist die moralische Grundhaltung, die sich vielfach hinter den Interessen
verbarg, die fehlende Bereitschaft zur gesellschaftlichen Solidarität. Es ist ein böses Vorzeichen für die vor uns liegenden schwierigen Jahre, wenn gesellschaftliche Gruppen wie Ärzte, Zahnärzte und Pharmaindustrie, die nun wirklich nicht zu den Notleidenden gehören, selbst bescheidene Opfer als Zumutung empfinden. Mehr als bescheidene Opfer sind es ja nicht. Oder soll allen Ernstes die vorübergehende Begrenzung der Einkommenszuwächse bei Ärzten und Zahnärzten als einkommenspolitischer Kahlschlag dargestellt werden? Ist es nicht vielmehr ein dringendes Gebot der sozialen Gerechtigkeit, daß das Gesundheits-Strukturgesetz vorschreibt, daß die Einkommen von Ärzten und Zahnärzten nicht stärker steigen als die Einkommen der Beitragszahler, die dies finanzieren müssen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das muß nächstens auch für Gewerkschaftsfunktionäre gelten!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212702600
Herr Kollege Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grüner?

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1212702700
Aber selbstverständlich.

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID1212702800
Herr Kollege, halten Sie es eigentlich für angemessen, eine berechtigte Interessenvertretung in dieser Art und Weise zu qualifizieren — Sie sagten: „mit Schaum vor dem Mund" —, wenn Sie möglicherweise Einzelfälle herausgegriffen haben? Finden Sie es nicht erstaunlich, daß ein Sozialdemokrat den Eingriff des Gesetzgebers in bestehende Verträge zur Reduzierung der Leistung für Gegenleistung bei steigenden Kosten als selbstverständlich empfindet?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1212702900
Herr Kollege Grüner, ich werde Ihnen gleich im Verlauf meiner Rede einige Beispiele von Originalzitaten dieser Interessengruppen bringen. Wenn Sie sich als Parlamentarier, als frei gewählter Abgeordneter der F.D.P., damit identifizieren, ist das Ihre Sache. Was von einigen Ärztefunktionären verbal zum Ausdruck gebracht wurde, ist inakzeptabel und mit der Würde eines freien Parlaments unvereinbar. Das muß zwischen uns klar sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Geht es den Ärzte- und Zahnärztefunktionären mit ihrem Protest wirklich um die Freiheitlichkeit des Systems, wie sie vorgeben, oder geht es nicht doch um etwas ganz anderes, nämlich um das Geld? Auf der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung am vergangenen Wochenende in Köln wurde die Pflicht der Ärztespitze mit dem folgenden Satz beschrieben:
Es ist unsere Aufgabe, jede Mark zu retten, die gerettet werden kann.
Da weiß doch jeder, daß es um das Geld geht und nicht um das System.
Ein Kassenarzt schreibt im Zusammenhang mit dem Gesundheits-Strukturgesetz an ein Mitglied dieses
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Rudolf Dreßler
Hauses: „Ich produziere Ihnen täglich fünf DVU-
Wähler oder welche radikale Richtung ich auch gerade will."
Wenn die Spitze der KBV und auch Sie, Herr Grüner, als F.D.P.-Abgeordneter nicht die Kraft finden zu diesen politischen Ungeheuerlichkeiten, deren Verkünder mit Nachdruck von uns in die Schranken zu weisen wären, auf Distanz zu gehen, dann muß jeder und jede in diesem Haus wissen, was in diesem Zusammenhang oberste Pflicht der Mehrheit dieses Parlaments ist, nämlich mit eisernem Besen dazwischenzufahren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und des Abg. Dr. Ulrich Briefs [fraktionslos] — Abg. Martin Grüner [F.D.P.] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

— Sie kommen gleich dran, Herr Grüner. Bitte nehmen Sie als F.D.P.-Abgeordneter folgendes noch zur Kenntnis: Wenn sich ein Zahnarzt in einer Standeszeitschrift mit dem Satz vernehmen läßt, daß im Vergleich zum Klerikalsozialisten Seehofer und zum Abklatschmarxisten Dreßler Erich Honecker als Erfinder der Demokratie und Gregor Gysi als Wortführer der Sozialen Marktwirtschaft zu gelten haben, dann müssen sich die Mehrheit der Ärzte und Zahnärzte und auch Sie, Herr Grüner, fragen lassen, was sie eigentlich mit dieser Art von Verbalradikalismus zu tun haben. Man muß sich mit der Frage konfrontieren, wie lange wir uns ein solches demokratieschädigendes Verhalten noch stillschweigend bieten lassen wollen, Herr Grüner.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Nun zu Ihrer Zwischenfrage.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212703000
Sie gestatten eine Zwischenfrage.

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID1212703100
Herr Kollege Dreßler, ist es Ihnen entgangen, daß meine in Frageform gekleidete Kritik darin gipfelte, daß ich die Vertretung der Standesinteressen angesprochen habe, nicht einzelne Entgleisungen? Ist Ihnen als Parlamentarier nicht bekannt, daß es in jeder Auseinandersetzung um Interessen schwerste Entgleisungen einzelner Interessengruppen gibt? Ich bin seit 1969 im Bundestag und kann ein Lied davon singen. Solche Entgleisungen weise ich ebenfalls zurück, aber eine Diffamierung der ganzen Standesvertretung halte ich für unerträglich.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1212703200
Verehrter Kollege Grüner, es ist nicht meine Schuld, daß Sie bei der ersten Lesung dieses Reformgesetzes augenscheinlich nicht dabei waren; sonst hätten Sie zur Kenntnis genommen, daß ich sehr wohl und mit Bedacht — übrigens nicht nur intern, sondern auch außerhalb — die Vertretung von Standesinteressen nicht nur begrüßt, sondern auch ausdrücklich gewünscht habe.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel, Herr Grüner: Teilweise die gleichen Menschen, die uns dieses hier kübelweise übers Haupt schütten, haben vor wenigen Monaten, als deutsche Müllmänner ein verfassungsmäßiges Recht reklamierten, nämlich das Recht auf Arbeitskampf, um von 2 700 auf 2 800 DM im Monat zu kommen, diese mit „Sippenhaft" tituliert und als „Geiselnehmer" diffamiert. Hier geht es darum, daß ein demokratisch gewähltes Parlament — übrigens auch Ihre Fraktion, Herr Grüner, wenn ich das bis hierher richtig verstanden habe — zu einem Gesetz einen Reformvorschlag macht, mit dem die Einkommenszuwächse von Ärzten auf das Maß begrenzt werden sollen, das für die gesamte Mitte der deutschen Bevölkerung gilt. Und dann müssen wir uns so etwas bieten lassen?
Herr Grüner, Sie sollten wirklich die innere Kraft finden, sich von solchen Ungeheuerlichkeiten zu distanzieren, und hier nicht noch eine Art Liebkosung mit einer bestimmten Art der Standesvertretung in diesem Parlament wagen. Dazu gehört nämlich auch ein wenig Mut.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der PDS/Linke Liste und des Abg. Dr. Ulrich Briefs [fraktionslos])

Ich sage Ihnen noch einmal: Man muß sich vorstellen, daß Vertreter einer Berufsgruppe, die vom Eintritt in das Bildungssystem über ihre Approbation und Kassenzulassung bis zum Beginn des Ruhestandes, also ein Leben lang, wie wir es wollten — dazu stehen wir auch —, über Steuern und dann über Beitragszahlungen von unserem Gemeinwesen und seinen Bürgerinnen und Bürgern alimentiert wird, dann so über den Staat reden, über Abgeordnete, über Minister, über verfassungsmäßig legitimierte Vertreter. Herr Grüner, Sie können reden und fragen, soviel Sie wollen, das ist nicht in Ordnung. Das dürfte auch für eine liberale Partei nicht in Ordnung sein, wenn ich „liberal" bisher richtig verstanden habe.
Die zurückliegenden Wochen und Monate haben dem ganzen Haus jene Verpflichtungen aufgezeigt, die es zu erfüllen gilt, nämlich auch weiterhin politisches Rückgrat zu zeigen und diese Absender in ihre Schranken zu verweisen. Wer sich nicht an die Regeln des demokratischen Anstands hält, muß die Antwort erfahren, die ihm gebührt. In diesem Land darf politische Sittenlosigkeit keine Chance erhalten.
Da läßt sich doch allen Ernstes der Vorsitzende des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie — ich nehme an, jetzt kommt wieder eine Zwischenfrage von der F.D.P. — mit der Bemerkung vernehmen, das Gesundheits-Strukturgesetz sei „die größte Bedrohung der Pharmaindustrie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges".
Eines ist sicher, meine Damen und Herren: Derartige Äußerungen provozieren allenfalls Fragen nach der politischen Zurechnungsfähigkeit desjenigen, der sie von sich gibt, aber nicht eine Prüfung ihres Wahrheitsgehaltes.

(Beifall bei der SPD)

Ich finde die im Gesundheits-Strukturgesetz vorgesehene fünfprozentige Absenkung der Arzneimittelpreise nicht schön, dies aber aus ordnungspolitischen
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Rudolf Dreßler
Gründen und nicht etwa deshalb, weil die Pharmaindustrie sie nicht tragen könnte. Gleichwohl ist sie als Notmaßnahme unausweichlich. Im übrigen, wer als Branche Milliardenbeträge für sogenannte Absatzförderung zur Verfügung hat, von der Finanzierung der Kongreßreisen für Ärzte nach Teneriffa bis zur Überschwemmung des Landes mit sogenannten Pharmaberatern, und wer das alles am Markt refinanzieren kann, der hat Luft in den Preisen, und zwar mehr als 5%.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212703300
Herr Kollege Dreßler, — —

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1212703400
Eine Sekunde, Herr Präsident.
Die Behauptung jedenfalls, dieses Gesetz gefährde die Leistungsfähigkeit der pharmazeutischen Industrie, ist doch wohl blanker Hohn, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212703500
Ein weiterer Zwischenfragewunsch von seiten des Kollege Haack. Sind Sie bereit zu antworten?

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1212703600
Bitte schön.

Karl Hermann Haack (SPD):
Rede ID: ID1212703700
Herr Dreßler, ist Ihnen bekannt, daß die pharmazeutische Industrie erklärt hat, daß die hohen Preise in der Bundesrepublik dadurch zustande kommen, daß eine Mischkalkulation auf dem europäischen Markt vorliegt, d. h. daß die Preise, die beispielsweise in Portugal und Griechenland nicht genommen werden können, hier in der Bundesrepublik Deutschland zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung mit finanziert werden?

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1212703800
Herr Kollege Haack, mir ist diese Definition für deutsche Preisgestaltung sehr wohl bekannt. Mir ist aber auch bekannt, was ich gerade gesagt habe: Reisen nach Teneriffa, ein weitverzweigtes Netz von sogenannten Pharmaberatern, und mir ist bekannt, Herr Kollege Haack, daß gerade in diesen Tagen augenscheinlich die Branche, die Geld zur Verfügung hat, nämlich die Pharmaindustrie, hier konkret der Bundesverband der deutschen Pharmaindustrie, in großflächigen Anzeigen in der überregionalen Tagespresse gegen das GesundheitsStrukturgesetz zu Felde zieht. Wer soviel Geld hat, der hat auch Geld, um einen fünfprozentigen Preisabschlag zu verkraften.
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß vor vier Jahren die gleiche Pharmaindustrie der Bundesregierung angeboten hat, freiwillig 10 % zu geben. Dieses Gesetz beinhaltet 5 %. Das ist nach Adam Riese oder der Mengenlehre von Herrn Blüm die Hälfte.
Wer allerdings — das will ich hinzufügen —, um bei den Anzeigen der Pharmaindustrie zu bleiben, die Bürgerinnen und Bürger in solchen großflächigen Anzeigen mit politischen Fälschungen, etwa mit der Behauptung, das Gesetz würde den Naturheilmitteln den Garaus machen, in Unruhe versetzt, der stellt
unter Beweis, daß ihm die Auseinandersetzung um dieses Gesetz mit der Wahrheit entsprechenden Argumenten erfolgreich nicht mehr möglich ist. Das spricht übrigens nicht gegen, sondern für die Überzeugungskraft des Gesetzes. Selbstverständlich bleiben die Arzneimittel der natürlichen Heilweisen erhalten. Diese Arzneimittel kommen in die Positivliste, mindestens im bisherigen, wenn nicht gar in erweitertem Umfang.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Ich kenne keine Positivliste!)

— Sie sind der letzte, der das noch nicht kennt. Das mag an Ihrem CDU-Parteibuch liegen. Aber Sie werden es auch noch begreifen.
Wenn nach Abschluß der Konsensgespräche eine Reihe von publizistischen Wegbegleitern der Gesundheitspolitik feststellten, dieses Gesetz trage eine sozialdemokratische Handschrift, so sage ich, daß ich mit dieser Feststellung leben kann. Wenn eine kleinere politische Gruppierung dieses Hauses damit ihre Probleme hat und ihre Teilnahme an den Konsensgesprächen mit der Erläuterung dessen unter Beweis stellen will, was sie alles an Schlimmem für die wohlorganisierten Interessen verhindert habe, braucht das nicht weiter kommentiert zu werden. Die Sozialdemokratische Partei jedenfalls steht nicht in Beweisnot, daß sie in Lahnstein dabeigewesen ist, meine Damen und Herren.
Ansonsten habe ich mich über unfaire Behandlung bisher nicht zu beklagen, sondern für politische Fairneß zu bedanken. Das gilt für den Bundesgesundheitsminister, das gilt für die Vertreter der CSU, aber auch für die Handelnden der CDU und teilweise für die F.D.P. Wir haben eine schwierige politische Operation hinter uns gebracht. Jede beteiligte Seite hat dabei nicht nur Erfolge vorzuweisen, sondern mußte auch Zugeständnisse machen, für sie weniger Schönes vertreten.
Das ist nicht immer einfach. Es kann allerdings nicht dadurch gelingen, daß man das Ergebnis dann nach parteipolitischer Zurechenbarkeit auseinanderdividiert. Der Kollege Thomae von der F.D.P.-Fraktion möge mir glauben, daß das auch nur dann gelingt, wenn man den Kompromiß insgesamt vertritt; denn, Herr Kollege Thomae, nur in seiner Gesamtheit ist er überzeugend.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Gleichfalls!)

Die im Gesetzentwurf vorgesehene Neuregelung der Beitragszahlung für freiwillig Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1992 Rentner werden, hat zu heftigen öffentlichen Diskussionen geführt. Auch wenn dieser Neuregelungsvorschlag nicht von uns erfunden wurde, sondern aus den Reihen der Koalition stammt — die SPD hätte bekanntlich eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze bevorzugt —, haben wir keine Veranlassung, zu dieser Regelung auf Distanz zu gehen. Sie ist sozialpolitisch durchaus vertretbar. Den zukünftigen Normalrentner trifft es nicht. Es trifft jene Rentner, die neben ihrer Rente aus der gesetzlichen Versicherung hohe zusätzliche Einkünfte, etwa aus Kapitalvermögen und Vermietung, haben. Sie werden höhere Beiträge zu zahlen haben, weil jetzt auch die zusätzlichen Einkünfte bis zur
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10937
Rudolf Dreßler
Bemessungsgrenze beitragspflichtig werden. Bei einem Teil der freiwillig versicherten Ruheständler war das allerdings schon immer so. Mit der Neuregelung wird also kein Nachteil beschert.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212703900
Herr Kollege Dreßler, das Fragebedürfnis des Kollegen Grüner ist noch nicht befriedigt.

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1212704000
Sofort. Eine Sekunde noch, Herr Grüner. — Es wird ein bestehender Vorteil beseitigt, dessen Berechtigung zu hinterfragen war. Ich will in diesem Zusammenhang fragen: Wie wollen wir es etwa einer Alleinstehenden, die mit 2 000 DM brutto im Monat ein Kind zu versorgen hat, erklären, daß sie für ihr gesamtes Einkommen Krankenversicherungsbeiträge zu zahlen hat, wenn wir gleichzeitig bei einem Rentner hohe Einkünfte von mehreren tausend Mark neben der Rente nicht zur Beitragszahlung heranziehen? Ich kann das jedenfalls nicht erklären. Im übrigen tritt nur dann, wenn neben eine im Verhältnis geringe Rente aus der Rentenversicherung hohe Zusatzeinkünfte treten, eine spürbare Beitragserhöhung überhaupt ein.
Bitte!

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID1212704100
Herr Kollege, können Sie nachvollziehen, daß ich nicht verstehen kann, warum ein pflichtversicherter Rentner nicht auch hohe Nebeneinkünfte haben kann und warum eine unterschiedliche Behandlung pflichtversicherter und freiwillig versicherter Rentner vor diesem Hintergrund für Sie sozial zu rechtfertigen ist, obwohl die Tatbestände durchaus gleich liegen können?

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1212704200
Herr Kollege Grüner, ich kann das sehr gut nachvollziehen, daß Sie das nicht nachvollziehen können. Damit sind wir bei einer — wenn Sie so wollen — verhandlungspolitischen Konsequenz. Ich hatte gerade ausgeführt, daß die SPD-Fraktion eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze um 300 DM bevorzugt hätte.
Das hätte pro verdienten Hundertmarkschein über 5 100 DM 6,22 DM Beitrag bedeutet. Das war übrigens für Ihre Fraktion urverhandelbar. Verhandelbar war aber genau der Vorschlag — er ist nämlich von Ihnen gekommen —, den Sie gerade zu Recht, wie ich finde, hinterfragen. Also hätte es an der F.D.P. gelegen, das, was Sie nicht akzeptieren, in die Verhandlungen einzubringen. Das hat die F.D.P. aber nicht gemacht; wir hatten dazu keine Veranlassung, augenscheinlich die CDU/CSU auch nicht.
So löst sich ein innerparteiliches Problem der F.D.P. am Tage der zweiten und dritten Lesung im Bundestag auf, meine Damen und Herren.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Ich will noch einmal an das erinnern, was ich eingangs gesagt habe, nämlich an das besondere inhaltliche Gewicht des Gesundheits-Strukturgesetzes. Ich beziehe mich dabei hauptsächlich auf dessen strategische Wirkungen. Das gilt zuallererst für die Neuordnung der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir stehen jetzt vor einem grundlegenden Wandel. Abseits von allen Sonntagsreden über das derzeitige
bewährte gegliederte System muß jeder wissen: Nach Inkrafttreten des Gesetzes herrscht Wettbewerb in unserer Krankenversicherung, und zwar tatsächlicher Wettbewerb zu gleichen Konditionen für alle, Wettbewerb, der dem Versicherten eine echte Auswahl ermöglicht, der also der Gliederung des Systems erst einen Sinn gibt.
Risikostrukturausgleich hin, mehr Recht für die Selbstverwaltung her — entscheidender strategischer Faktor für die Umgestaltung unserer Krankenversicherung ist die Einführung der Wahlfreiheit für alle Versicherten bei gleichzeitiger Aufnahmepflicht für die Kassen. Es mag ja sein, daß sich vieles wissenschaftlich korrekt und einleuchtend berechnen läßt, auch beim Risikostrukturausgleich. Eines aber läßt sich nicht berechnen: die Verhaltensweise von Menschen, ihre aus einer Mischung von Psychologischem, Soziologischem und Ökonomischem entstandene Motivation, sich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten. Das Unkalkulierbare im menschlichen Verhalten wird aber durch die Wahlfreiheit in den Mittelpunkt gestellt. Lehren, wie dem Rechnung zu tragen ist — das kann kein wie immer gearteter Risikostrukturausgleich tun.
Es kommt in Zukunft darauf an, verstehen zu lernen, daß ein um 2 % höherer Krankenversicherungsbeitrag ein weitaus geringeres Handicap für eine Krankenkasse sein kann als eine psychologisch mißratene Strategie bei der Vermittlung des Bildes von der eigenen Kasseneinrichtung. Sind sich die Kassen, frage ich, wirklich dessen bewußt? Erkennen sie, daß sie eine Wettbewerbsstrategie benötigen, um in der Wahlfreiheit Bestand zu haben? Ich bezweifle das angesichts der manischen Fixiertheit manchen Kassenvertreters auf die Höhe des Beitragssatzes. Das nämlich wird nur ein Wettbewerbskriterium unter anderen sein.
So ehrenwert die alte Krankenkassenphilosophie ist, sie hält dem Bewußtsein der Menschen von heute nicht mehr stand. Ich sehe nicht, wie wir dem geänderten Bewußtsein ohne Einführung des Wahlrechts Rechnung tragen könnten. Es ist richtig: Die Einführrung des Wahlrechts bricht mit überkommenen Strukturen, in denen sich viele behaglich und nach dem Motto eingerichtet hatten: Das haben wir schon immer so gemacht.
In diesem Zusammenhang hat mir ein scharfsinniger Zeitgenosse vor kurzem die überraschende Frage gestellt, ob ich denn wisse, was unser Krankenversicherungssystem mit dem Hinduismus verbinde. Seine flapsige Antwort war: das Prinzip der heiligen Kühe. Wir alle wissen, da ist etwas dran. Wir alle wissen auch: Diese Tiere erreichen in Einzelfällen ein geradezu biblisches Alter. Wir alle sind uns hoffentlich bewußt: Mit der Einführung der Wahlfreiheit werden wir etliche dieser heiligen Kühe schlachten.
Die immer wieder, übrigens auch von Politikern, wiederholte Beschwörungsformel vom bewährten gegliederten System signalisiert ja gerade nicht Reformbereitschaft, sondern das Gegenteil: Reformunwilligkeit. Diese Formel gehört in die Abteilung politischer Selbstbetrug; sie hat mit der sozialen Wirklichkeit nichts zu tun, sie ist vielmehr ihre Karikatur.
10938 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Rudolf Dreßler
Nein, meine Damen und Herren, angesichts der langen Mängelliste konnte die Behauptung, das System habe sich bewährt, ehrlicherweise nicht aufrechterhalten werden. Gleichwohl war es notwendig, die Realitäten zu beachten. Wir leben nicht auf einer grünen Wiese, auf der wir ein neues Gebäude namens Krankenversicherung hätten errichten können. Wir hatten uns an das zu halten, was wir vorfanden, mußten es umbauen, Verkrustungen aufbrechen und Institutionsegoismen überwinden. Wir wollten endlich wieder den Versicherten in den Mittelpunkt stellen, nicht nur verbal, sondern tatsächlich, und zwar den Versicherten als potentiellen Patienten und als Beitragszahler. Das war für uns der Kernpunkt jeder Organisationsreform. Ich bin sicher, dies ist uns mit dem Lahnstein-Kompromiß gelungen.
Meine Sorge ist, daß wir die Fähigkeit verlieren, solidarisch zu sein und Solidarität zu organisieren. Solidarität organisieren heißt, unseren Beitrag zu leisten, daß Hilfsbereitschaft und Hilfsbedürfigkeit dort zusammenkommen, wo es nötig ist. Allerdings heißt es nicht, Menschen zu bevormunden. Auch das verdient nachhaltig in Erinnerung gerufen zu werden.
Es ging bei einer Reform zunächst nicht um die Fragestellung, ob AOK, IKK, BKK und VdAK als Kassenart überleben. Im Kern ging es darum, ob dieses System überlebt. Es ging darum, ob wir die Kraft aufbringen, weitreichende Privatisierungstendenzen, etwa unter dem Stichwort Wahl- und Regelleistungen, die ja wohl Entsolidarisierungstendenzen großen Ausmaßes sind, abzuwehren. Ich meine, auch das ist uns gelungen. Wahlfreiheit ist ja innerhalb einer demokratischen Gesellschaft nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil, sie gehört zu ihren konstituierenden Prinzipien.
Die Wettbewerbsorientierung unseres Krankenversicherungssystems verlangt von allen Krankenkassen zukünftig grundlegendes Umdenken. Genau das haben wir auch gewollt. Die Basiskassenphilosophie, so ehrenwert sie sein mag, muß dabei ebenso überdacht werden wie einseitige berufsständische Orientierungen.
Die Öffnung der Angestellten-Ersatzkassen für alle Versicherten, der Wegfall des Unterschieds zwischen Angestellten und Arbeitern hat gesellschaftspolitisch einen hohen Stellenwert. Nachdem dies erreicht wurde, sind wir nun mit dem Vorwurf bedacht worden, wir nähmen den Menschen die Möglichkeit, sich zu differenzieren. Ich wiederhole: Das ist absurd, und ich sage noch einmal: Der Wunsch nach Differenzierung kann auch zukünftig erfüllt werden. Mit der Öffnung der Ersatzkassen für alle wird dieser Wunsch nicht beschnitten. Im Gegenteil, in Zukunft können sich alle differenzieren, nicht nur die Angehörigen einiger bisher bevorzugter Gruppen.
Es gibt sicherlich auch lichtvollere Beiträge als jenen der Ersatzkassen, mit dem sie behaupten, der Zustrom neuer Mitglieder würde sie in ihrer Existenz gefährden. Die Ersatzkassen werden eine andere Rolle finden müssen; aber das gilt für die anderen Kassenarten auch. Einfach zu verkünden, man sei anders als die anderen, und zugleich damit den Eindruck zu verbinden, man sei ein bißchen besser,
das reicht jetzt nicht mehr. Jetzt muß das „besser" im Wettbewerb mit den anderen erstritten und erkämpft werden. Das ist unangenehmer als die bisherige Situation, aber gleichwohl keine unlösbare Aufgabe.
Die Öffnung der Angestellten-Ersatzkassen für alle, also die Beseitigung des Unterschieds zwischen Arbeitern und Angestellten, ist von Vertretern der Ersatzkassenverbände ebenfalls mit heftigster Kritik bedacht worden. Diese Kritik ist inhaltlich ohne Substanz. Sie gründet sich in blanker Ideologie. Wer den Ersatzkassenversicherten einreden will, es schade dem Image der Ersatzkassen, wenn zukünftig neben den angestelltenversicherungspflichtigen Büroboten auch arbeiterrentenversicherungspflichtige Facharbeiter, etwa Lichtsetzter an Digisetmaschinen — das ist eine der modernsten Technologien —, mit einem übrigens mehrfach höheren Einkommen, am Schalter stehen —, macht sich schlicht lächerlich.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Er bietet ein Bild gesellschaftspolitischer Trostlosigkeit. Die krampfhaften Versuche der Ersatzkassenverbände, die Versicherten unter Zuhilfenahme der Verbandspresse gegen diese Gesetzesbestimmung aufzubringen, ist ja, wie wir sehen, kläglich gescheitert. Die dagegen vorgetragenen Argumente wurden in ihrer Bösartigkeit nur noch von ihrer intellektuellen Anspruchslosigkeit übertroffen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Menschen haben gemerkt, daß es nicht um ihre Interessen ging, sondern um die Egoismen einiger Verbandsfunktionäre. Das konnte nicht gutgehen, und das ist gut so.
Nun mehren sich in den letzten Tagen in der Presseberichterstattung Stimmen, die behaupten, daß der Ausgleich der unterschiedlichen Risikostrukturen zwischen allen Krankenkassen für die eigene Kasse nicht zum gewünschten finanziell positiven Ergebnis führe. Ich sage noch einmal: Dem liegt eine absonderliche Vorstellung zugrunde. Ich wiederhole: Bei all den heftigen Diskussionen um die verschiedenen Ausgleichsvarianten wäre nur eine ohne Widerspruch gewesen, nämlich jene, bei der keiner zahlen müßte, aber alle Krankenkassen etwas bekommen hätten. Genau dieser Ausgleich geht nicht.
Der Risikostrukturausgleich ist nicht dazu da, überall gleich hohe Beitragssätze herbeizuführen, sondern bei einzelnen Kassen jene Nachteile auszugleichen, für die sie nichts können, die sie nicht zu vertreten haben. Den einzelnen Krankenkassen aber bleibt die volle Verantwortung für die eigene Wirtschaftlichkeit. Ich sage noch einmal: Mit dem Risikostrukturausgleich in seiner jetzigen Form ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Zu weiteren Ausgleichsverfahren besteht kein Anlaß.
Ich möchte zum Abschluß noch kurz auf eine Frage eingehen, die mir von prinzipieller Bedeutung zu sein scheint und zu der die Gespräche von Lahnstein beredten Anschauungsunterricht lieferten. Mit diesem Gesetz wurde zum vierten Mal der Versuch unternommen, eine zahlenmäßige Vorgabe für ein
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Rudolf Dreßler
zu verwirklichendes Einsparvolumen umzusetzen. Diesmal waren es rund 11 Milliarden DM. Die SPD hat diese Zahl nicht erfunden; sie hat vor solchen Vorgaben sogar gewarnt. Meine Damen und Herren, jeder von uns weiß, diese Zahl ist sachlich nicht zu belegen. Sie ist, wie jede andere Zahl übrigens auch, willkürlich. Genausogut oder -schlecht hätten es 13 Milliarden, 9 Milliarden oder 17 Milliarden DM sein können.
Wiederum hat sich gezeigt: Einmal in der Welt, verselbständigen sich solche Zahlen, und ihre Realisierung wird gleichsam automatisch mit dem politischen Prestige desjenigen verbunden, der sie geboren hat. Scharen von Ministerialbeamten schwärmen dann erfahrungsgemäß aus, machen sich ans Einsammeln und kommen, oh Wunder, zum gewünschten Ergebnis. Mit rationaler Gesundheitspolitik hat das nichts zu tun und mit dem Auftrag des Gesundheitswesens auch nichts. Mit solchen Vorgaben ist nichts gewonnen; sie stärken nicht die Politik, sondern sie schwächen sie, weil sie ihr die notwendige Flexibilität nehmen und sie durch das Prinzip der politischen Gesichtswahrung ersetzen.
So wird denn auch mancher Einsparvorschlag geboren, nur um die Zahlenvorgabe zu erreichen. Es gibt einige derartige Vorschläge auch in diesem Gesetz. Um des Gesamtkompromisses willen trägt die SPD sie mit. Aber an uns alle geht die Aufforderung, auf ein derartiges Verfahren zukünftig, sozusagen parteiübergreifend, egal wer regiert, um der Sache willen, zu verzichten.
Ich möchte keinen Rat geben, aber daran, ob es einen Sinn macht, vor der Verabschiedung eines so weit reichenden Gesetzes bereits über die Notwendigkeit eines nächsten Gesetzes zu philosophieren, habe ich erhebliche Zweifel. Ich glaube auch nicht, daß das hilfreich ist. Unsere ganze Energie, erst recht die des Gesundheitsministeriums, gehört jetzt der Umsetzung und Ausfüllung des heute zu beschließenden Gesetzes, nicht aber Spekulationen über gesetzgeberische Neuauflagen.
Zum Schluß: Wir haben ein hartes Stück Arbeit hinter uns gebracht, das nicht ohne die fleißige Hilfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ministerien und Fraktionen erfolgreich zu beenden gewesen wäre. Ihnen gilt der Dank der SPD-Fraktion. Ich nenne besonders meinen Büroleiter Detlef Dietz und den Referenten der SPD-Arbeitsgruppe Gesundheit, Ralf Hermes. Wir Abgeordneten haben ihnen und ihren Familien einiges zugemutet. Ich weiß, unser Versprechen, es werde nicht wieder vorkommen, werden sie uns nicht glauben, aber unser Bemühen, es so schnell nicht wieder versuchen zu müssen, sollten sie uns glauben, denn daß dies so sein kann, daran haben sie in diesem erfolgversprechenden Gesetzesverfahren eifrigst, manchmal weit über das, was zumutbar ist, hinaus, mitgeholfen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, das Gesundheits-Strukturgesetz halten wir für richtungsweisend. Die sozialdemokratische Fraktion will, daß es zum Erfolg wird. Daran werden wir weiter mitarbeiten.
Die SPD-Fraktion wird dem Gesetzentwurf in namentlicher Abstimmung aus Überzeugung zustimmen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212704300
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Bruno Menzel.

Dr. Bruno Menzel (FDP):
Rede ID: ID1212704400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Dreßler, ich habe immer Ihr gutes Gedächtnis bewundert und bin überzeugt, daß Sie sich noch recht gut erinnern können, daß der Vorschlag mit den Rentnern nicht von der F.D.P. kam, sondern von der CDU/CSU; das nur zur Richtigstellung.

(Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Insofern besteht kein Nachholbedarf bei der Aufklärungsarbeit in der F.D.P.-Fraktion.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212704500
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßler zu beantworten?

Dr. Bruno Menzel (FDP):
Rede ID: ID1212704600
Aber natürlich.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212704700
Bitte, Herr Kollege Dreßler.

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1212704800
Herr Kollege Menzel, damit meinem Gedächtnis und seinem guten Ruf kein Schaden zugefügt wird, frage ich Sie: Trifft es zu — unterstellt und konkret bejaht, daß der ursprüngliche Vorschlag zu dieser Rentnergeschichte von der CDU/ CSU kam —, daß in der letzten Verhandlungsrunde der Bundesgesundheitsminister und ich gemeinsam an Sie und Ihren Kollegen Thomae die Frage gestellt haben, ob Sie es sich mit der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze nicht doch noch einmal überlegen wollten, und daß Sie — „Sie" im Plural — dann erklärt haben: Das ist für die F.D.P. nicht verhandelbar?

Dr. Bruno Menzel (FDP):
Rede ID: ID1212704900
Das ist eine sehr gute Frage, die Sie stellen, und es ist auch die, die Sie uns in den Verhandlungen gestellt haben, weil Sie genau wußten, daß dieser Punkt für uns tatsächlich nicht verhandelbar ist, Herr Kollege Dreßler.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Dreßler, Sie haben Ihre Ausführungen mit der Bemerkung geschlossen, daß Sie alles tun wollen und wir gemeinsam alles tun müssen, um diesem Gesetz tatsächlich zu einem Erfolg zu verhelfen. Ich stimmte Ihnen da inhaltlich voll zu. Ich frage Sie aber: Sind Sie wirklich der Meinung, daß nur wir Politiker und unser guter Wille in der Lage sein werden, diesem Gesetz zum Erfolg zu verhelfen? Sind Sie nicht auch der Überzeugung, daß alle diejenigen, die in diesem Gesundheitswesen tätig sind, dazu unbedingt mit uns gemeinsam den von uns artikulierten politischen Willen in die Tat umsetzen müssen?
Dann, Herr Kollege Dreßler, lassen Sie mich bitte sagen: Wir haben uns während der ganzen Verhandlungszeit intensiv darum bemüht und uns wo immer möglich, im Konsens zusammengefunden und diesen
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Dr. Bruno Menzel
dann auch gemeinsam getragen. Wir haben uns erfreulicherweise alle gemeinsam mit Veröffentlichungen und Betonungen sehr zurückgehalten.

(Rudolf Dreßler [SPD]: Na, na!)

— Herr Kollege Dreßler, Entgleisungen hat es auf allen Seiten gegeben. Ich habe gesagt: uns sehr bemüht zurückzuhalten. — Aber wenn Sie das heute hier anfordern, dann muß ich Ihnen sagen, da ich bei der ersten Rede des Kollegen Kirschner fast den Eindruck hatte, daß hier ein Gesetz vertreten wird, an dem wir eigentlich gar nicht so unbedingt beteiligt gewesen sind. Ganz so ist es nicht. Ich würde mir, gerade im Interesse, daß dieses Gesetz zum Erfolg wird, trotzdem wünschen, daß wir von den Grundsätzen, die wir uns während der langwierigen schwierigen Verhandlungen selbst gegeben haben, auch in der Zukunft nach Möglichkeit nicht abweichen.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)

Dessen unbeschadet, Herr Kollege Dreßler, ist ein solches Gesetz, das von einer so breiten Mehrheit dieses Parlaments getragen wird, immer durch Kompromisse geprägt, und jeder muß Abstriche machen. Aber es bleibt jedem doch unbenommen — das kann auch gar nicht anders sein —, daß er trotzdem den Wunsch hat, in der Perspektive weiter seine Gedanken in dieses Gesetz hineinzubringen. Das auch zu formulieren muß wohl erlaubt sein.

(Rudolf Dreßler [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Dessen unbeschadet, meine Damen und Herren, glaube ich, daß der 9. Dezember 1992 einen besonderen Platz in der Geschichte der deutschen Sozialpolitik erhalten wird. In einer Zeit gewaltiger politischer Veränderungen in Europa und auch ganz speziell in unserem Lande, in einer Zeit, in der sich jahrzehntelang feststehende politische Orientierungspunkte so dramatisch verändern, in der die von allen erhoffte und trotzdem in diesem Jahrhundert wohl nicht mehr für möglich gehaltene deutsche Wiedervereinigung Wirklichkeit wurde, in der die europäische Union, ein uralter Traum überzeugter Europäer, Realität zu werden scheint, müssen wir in Deutschland ganz besonderen Herausforderungen gerecht werden. Denn in unserem Land ist nichts mehr so, wie es sich vor der Vereinigung darstellte. Der Aufbau in den neuen Bundesländern erfordert all unsere Kräfte, unsere wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen, und er verlangt Opfer von allen Menschen in diesem Lande. Je schneller wir das alle und jeder einzelne für sich begreift, desto besser können wir die große, einmalige Chance wahrnehmen, die der Lohn für die jetzt anstehenden Lasten ist.
Wann immer ein Volk sich besonderen Herausforderungen stellen muß — in unserem Fall dem Aufbau Ost, dem inneren Vereinigungsprozeß, dem verzögerten wirtschaftlichen Aufschwung im Osten bei gleichzeitig sinkendem wirtschaftlichen Wachstum im Westen, steigender Arbeitslosigkeit, wachsender Staatsverschuldung, zunehmender Gewalt von links und rechts —, sind die Politiker besonders gefordert, die sozialen Sicherungssysteme zu bewahren und zu stabilisieren.
Vor diesem Hintergrund muß man auch die besonderen Bemühungen sehen, unser seit mehr als 100 Jahren bewährtes Gesundheitssystem leistungsfähig und bezahlbar zu erhalten.

(Abg. Rudolf Dreßler [SPD] spricht mit Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212705000
Herr Kollege Menzel, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. — Herr Kollege Dreßler, die Kollegen haben Ihnen alle zugehört und Ihnen das Gesicht zugewandt.

(Heiterkeit)


Dr. Bruno Menzel (FDP):
Rede ID: ID1212705100
Deshalb war es unverzichtbar, daß sich die großen Fraktionen dieses Hauses, Koalition und Opposition, gemeinsam mit den Bundesländern auf ein Gesetzespaket zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit und Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswesens geeinigt haben. Dies, glaube ich, ist ein Beweis für die Stabilität und Handlungsfähigkeit unserer Demokratie; auch ein Beweis dafür, daß wir fähig und in der Lage sind, parteipolitische Interessen zurückzustellen, wenn es darum geht, ein vitales soziales Sicherungssystem im Interesse aller Bürger zu stabilisieren. Dieses Ziel mit dem Einsparvolumen von 10,7 Milliarden DM bei einem Gesamtausgabenvolumen von 190 Milliarden DM, denke ich, ist erreicht worden.
Jeder Politiker, der heute eingebunden ist in die Bemühungen, Ausgabeneinsparungen durchzusetzen, wird ermessen können, wie groß diese Leistung ist. Damit wird aber auch verständlich, daß nicht Lob, sondern Kritik von vielen Seiten den steinigen Weg der Gesundheitspolitiker begleitet hat. Keiner der verantwortlich Beteiligten war davon ausgenommen; denn bei einem fairen Kompromiß kann keine der Parteien alle ihre parteipolitischen Vorstellungen verwirklichen.
Dies ist auch der Grund, warum wir in den letzten Wochen und Monaten eine beispiellose Diskussion in der Gesundheitspolitik erlebt haben. Dabei ging es durchaus nicht nur um eine Verteilungsauseinandersetzung. Es ging auch um ordnungspolitische Grundsätze. Die Preisgabe unseres freiheitlichen Gesundheitswesen, Dirigismus, Schritte in ein staatliches Gesundheitswesen und andere ordnungspolitische Todsünden wurden und werden uns vorgeworfen. All jenen Kritikern sei gesagt, daß jeder verantwortlich politisch Handelnde gut beraten ist, wenn er sachlich begründete und fachlich fundierte Kritik stets zum Anlaß nimmt, seine Handlungen und Entscheidungen zu überprüfen, daß er dann aber auch erwarten darf, daß die Diskussion frei von Polemik bleibt und sich an den Fakten orientiert. Deshalb einige Sachverhalte zur Klarstellung an die Adresse jener, die offensichtlich immer noch nicht verstanden haben, das zur Verabschiedung anstehende Gesetz richtig zu lesen:
Der Sicherstellungsauftrag bei der ärztlichen Versorgung bleibt bei den Ärzten.
Nach Beendigung der Budgetierung 1995 gilt uneingeschränkt die Vertragsautonomie zwischen Krankenkassen und Ärzten. Einen wie auch immer gearteten staatlichen Genehmigungsvorbehalt ge-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10941
Dr. Bruno Menzel
genüber Verträgen der Selbstverwaltung wird es dann nicht geben.
Die ambulante Versorgung obliegt den niedergelassenen Ärzten in freier Praxis. In den neuen Bundesländern bleiben lediglich die heute bestehenden Polikliniken und ein äußerst eng begrenzter Kreis von Fachambulanzen mit genau definiertem Dispensärauftrag weiter zugelassen.
Es wird keine Eingrenzung der Therapiefreiheit geben. Auch die neue Arzneimittelliste — wie immer sie genannt wird — ändert daran nichts.
Es wird auch keine Begrenzung der ärztlichen Niederlassungsfreiheit geben. Die allerdings vorgesehene Begrenzung der Kassenzulassung ist unvermeidbar, um eine finanzielle Überforderung der GKV abzuwehren. Andererseits wird es nicht so sein, daß sich bereits ab 1993 in weiten Teilen der Bundesrepublik kein Arzt mehr niederlassen kann. Andere Kollegen haben bereits ausführlich darauf hingewiesen und dies im Detail dargestellt.
Es wird auch keine Einheitsversicherung geben; im Gegenteil: Die Wahlfreiheit der Versicherten wird verbessert. Es ist nur zu begrüßen, wenn künftig niemand mehr gezwungen ist, einer bestimmten Kasse anzugehören. Die Krankenkassen werden auch in Zukunft nicht zu einheitlichen und gemeinsamen Vertragsabschlüssen verpflichtet. Der Wettbewerb will — und wir Liberalen bejahen dies nachhaltig —, der muß auch für Vertragsfreiheit eintreten.
Meine Damen und Herren, ohne die gemeinsame Bereitschaft aller Beteiligten im Grundsätzlichen ist ein solches Maßnahmenpaket nicht realisierbar. Daß es dabei in vielen Detailpunkten zum Teil auch sehr berechtigte Kritik gibt, ist unbestritten. Auch für die F.D.P. muß ich eine Reihe von Punkten äußern, die natürlich nicht in unserem unmittelbaren Interesse lagen. Interventionistische Maßnahmen, mit denen eine gesetzliche Begrenzung des Ausgabenanstiegs vorgenommen wird, mit denen Preise eingefroren oder sogar abgesenkt werden, sind sicher ordnungspolitisch nur für den Ausnahmefall einer finanziellen Notlage hinnehmbar. Sie sind auch nur vor dem Hintergrund ihrer zeitlichen Befristung akzeptabel. Ab 1995 muß erneut und uneingeschränkt die Vertragsfreiheit gelten. Zur Vertragsfreiheit, zur Selbstverwaltung, auch zur Selbststeuerung gibt es nach unserem Verständnis langfristig keine Alternative.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Um unser Gesundheitswesen aber finanzierbar zu erhalten, dürfen die Kapazitäten nicht größer sein als wirklich nötig. Dort, wo mehr Leistungen vorhanden sind als erforderlich, entstehen auch höhere Kosten und damit höhere Krankenversicherungsbeiträge. Die Grundsätze der Marktwirtschaft, wonach ein steigendes Angebot zu sinkenden Preisen führt, gilt eben in weiten Bereichen unseres Gesundheitswesens nicht. Die Zahl der Kassenärzte hat seit 1980 um mehr als 26 % bzw. 17 000 zugenommen. Wer die Finanzierungsgrundlage unserer gesetzlichen Krankenversicherung nicht überfordern will, der kann einen weiteren ungebremsten Zugang von Vertragsärzten keineswegs dauerhaft hinnehmen.
Dabei ist unbestritten: Die Niederlassungsfreiheit muß erhalten bleiben. Dies erfordern die Grundsätze einer freien Berufsausübung, und dies ist deshalb auch verfassungsrechtlich geboten. Aber nicht jede Niederlassung kann automatisch mit einer Kassenzulassung verknüpft sein. Deshalb gestalten wir die Bedarfsplanung bereits mit Beginn des nächsten Jahres wirksamer aus. Dabei müssen wir uns aber auch im klaren darüber sein, daß eine Niederlassung ohne Kassenzulassung nur dann dauerhaft eine finanzielle Basis finden kann, wenn es eine ausreichend große Nachfrage außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung gibt. Auch deshalb lehnen wir Liberalen jedes Ansinnen ab, Herr Dreßler, die Versicherungspflichtgrenze bzw. die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben. Dies lehnen wir mit aller Entschiedenheit ab.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die historischen Wurzeln unserer gesetzlichen Krankenversicherung beruhen auf dem Gedanken der sozialen Schutzbedürftigkeit, meine Damen und Herren.

(Zuruf von der F.D.P.: So ist es!)

Wenn heute 90 % der Bevölkerung als sozial schutzbedürftig im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung gelten, dann wird man mit Recht fragen müssen, ob dies in vollem Umfang noch begründet ist. Man wird dann auch fragen müssen, welcher Aufgabenkatalog eigentlich einer gesetzlichen Krankenversicherung dauerhaft angemessen ist. Dabei steht das medizinisch Notwendige unbestreitbar außer Frage. Was jedoch darüber hinaus geht, überschreitet nach liberalem Verständnis den Aufgabenkatalog einer mit Zwangsbeiträgen finanzierten Sozialversicherung.

(Horst PEter [Kassel] [SPD]: „Solidarbeiträge" sagen wir immer dazu!)

— Ja, das ist selbstverständlich. Das kann ich auch dazu sagen. Aber es ist eine Pflichtversicherung. Das läßt sich ja wohl nicht bestreiten. Jemand, der unter der Beitragsbemessungsgrenze liegt, kann sich dieser Versicherung nicht entziehen. Das werden Sie mir doch auch zugeben.

(Zustimmung des Abg. Horst Peter [Kassel] [SPD])

— Dann sind wir uns ja wieder einig.
In diesem Zusammenhang müssen wir auch erkennen, daß wir uns auf Dauer einen fünfstelligen Bettenüberhang im Krankenhausbereich nicht mehr leisten können.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Die Folge davon ist nämlich eine Vielzahl fehlgenutzter Betten — worauf hier schon hingewiesen wurde — und eine Verweildauer, die im internationalen Vergleich viel zu hoch ist, weil vorhandene Betten eben ausgelastet werden müssen, damit sie sich rechnen. Durch die Reform der Krankenhausfinanzierung, durch die bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung und durch das ambulante Operieren schaffen wir Voraussetzungen dafür, daß die Krankenhäuser von dem finanziellen Druck befreit werden, leere Betten auch auszulasten.
10942 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Dr. Bruno Menzel
Meine Damen und Herren, wir sind beim Zahnersatz einen ersten wichtigen Schritt zur Begrenzung des Aufgabenkatalogs, den ich soeben erwähnte, gegangen. Wir nehmen dort, wo es zu verantworten ist, Leistungen zurück. Große Brücken zum Ersatz von mehr als vier Zähnen muß der Patient künftig selber bezahlen. Auch den Preis der günstigeren Alternativversorgung wird die Kasse künftig nicht mehr erstatten. Mir persönlich wäre die Erstattung der Teilprothese zweifelsfrei lieber gewesen. Aber dieses Wahlleistungskonzept, meine Damen und Herren von der SPD,

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Richtig!)

wurde ja von Ihnen nicht akzeptiert.

(Zuruf von der SPD: Zu Recht!)

Ich halte es für eine Verkennung der Tatsachen, wenn man die Wahlfreiheit für den Patienten mit einer Zweiklassenmedizin verwechselt.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Wir Liberalen sehen in dem Prinzip der Wahlfreiheit im Interesse des Patienten den eindeutig besseren Weg; denn es ist schwer einzusehen, warum bei einer Wahlleistung der Regelleistungsanspruch nicht gewährt wird.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Sätze zum degressiven Punktwert in der zahnmedizinischen Versorgung anmerken. Wir stehen der Degression durchaus mit Skepsis gegenüber.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ich auch, Herr Kollege!)

Wir bevorzugen Leistungsanreize. Die gesetzlich vorgeschriebene Degression dagegen kann bestenfalls als Anreiz zur Leistungsbegrenzung verstanden werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und zur Umverteilung!)

Dies trifft auch ganz besonders für die neuen Bundesländer zu, wo die Zahnärzte derzeit einen großen Nachholbedarf befriedigen müssen. Dabei geht es nicht allein um Zahnersatz,

(Maus Kirschner [SPD]: Was kommt danach, wenn der Nachholbedarf nicht mehr da ist?)

— hören Sie mir doch bitte weiter zu! —, sondern auch um den Ersatz alter Füllungen. Die Zahlen der Inanspruchnahme der Zahnärzte in den neuen Bundesländern weisen eindeutig den vorhandenen zahnmedizinischen Nachholbedarf aus. Darüber gibt es wohl keinen Zweifel.

(Zuruf von der CDU/CSU: SED-Vermächtnis!)

In diesem Zusammenhang lassen Sie mich erwähnen, daß wir uns bei der Gesetzesberatung ausführlich mit der Situation in den neuen Bundesländern auseinandergesetzt haben.

(Klaus Kirschner [SPD]: Da widerspreche ich Ihnen überhaupt nicht!)

Auch wenn die Krankenkassenbeiträge im Durchschnitt noch unter denjenigen der alten Länder liegen, deutet sich hier eine vergleichbare Scherenentwicklung zwischen Einnahmen und Ausgaben wie in den alten Bundesländern an. Das Finanzierungsdefizit ist bereits deutlich erkennbar. Gleichwohl müssen wir der besonderen Situation der Ärzte, Zahnärzte, Zahntechniker und anderer Leistungserbringer in diesem Teil unseres Vaterlandes Rechnung tragen, und dies wurde, glaube ich, auch in vielfacher Hinsicht erreicht:

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Dafür haben Sie auch gekämpft wie ein Löwe!)

Beispielhaft sei dafür erwähnt: Das Arzneimittelbudget gilt für 1993 nicht. Die Arzt- und Zahnarzthonorare werden nicht auf der Basis 1991, sondern auf der Basis des 1. Halbjahres 1992 budgetiert. Zusätzlich zum Grundlohnzuwachs stehen z. B. für die Ärzte 1993 noch 7 % zusätzlich zur Verfügung bzw. jeweils 3 % in den Folgejahren. Für die Zahnärzte wird in Anbetracht der besonderen Situation für 1993 die erste Degressionsstufe ausgesetzt. Für das Krankenhausbudget werden besondere Korrekturfaktoren vorgesehen. Die Erleichterungen für den Einsatz von privatem Kapital im Krankenhaus und die Rationalisierungsinvestitionen sind besonders im Hinblick auf die neuen Bundesländer beschlossen worden. Die Anpassung der Honorarhöhen bei den zahlreichen Leistungen an die Westwerte wird nicht aufgehalten. Die Härtefallregelung bei der Zuzahlung für Medikamente wird bereits auf den 1. Januar 1993 vorgezogen.
Meine Damen und Herren, dies sind aus einem Gesetzespaket Beispiele, die sich fortsetzen lassen.
Worauf es ankommt, ist, daß nicht nur die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens in den neuen Bundesländern sichergestellt ist, sondern daß auch diejenigen, die sich im Vertrauen auf eine verläßliche Zukunft in eigener Praxis niedergelassen haben, weiterhin auf eine solide Entwicklung vertrauen können.
Hierzu gehören auch alle jetzt eingeleiteten Bestrebungen, den investiven Nachholbedarf an den Krankenhäusern in den neuen Bundesländern sukzessiv abzubauen. Dies wird sicherlich nicht in einem Schritt geschehen können, sondern dies ist eine Aufgabe über viele Jahre und muß langfristig angelegt werden. Ich bin sicher, daß von anderen Rednern noch ausführlich darauf eingegangen wird.
Meine Damen und Herren, mit dem heute zur Abstimmung vorliegenden Gesetz erreichen wir nicht nur die zur Beitragsstabilität notwendige Kosteneinsparung, sondern — und dies ist besonders bedeutungsvoll — wir leiten auch wichtige Reformen ein. Ich sage ganz bewußt: Wir leiten Reformen ein, deren Ziel kein geringeres sein kann als die Neustrukturierung der GKV. Und daß dies nicht in einem Reformschritt erreichbar ist, wird jedem verständlich sein.
Mit diesem Gesetz stellen wir erneut die besondere Bedeutung der Prävention und Prophylaxe heraus unter dem Gesichtspunkt, daß Vermeidung von
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10943
Dr. Bruno Menzel
Krankheiten eindeutig Vorrang gegenüber der Behandlung von Krankheiten haben muß.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

In der zahnmedizinischen Versorgung als auch in der Humanmedizin werden Extramittel für die Prävention zur Verfügung gestellt.
Wir weiten die Kostenerstattung als Möglichkeit für alle freiwillig Versicherten aus. Dort, wo die Kostenerstattung heute schon gilt oder praktiziert wird, bleibt sie bestehen. Dies gilt auch, Frau Fischer, für die Psychotherapie, wo bereits heute in vielen Fällen Kostenerstattung durchgeführt wird. All dies soll voll und ganz erhalten bleiben; denn nach unserem Verständnis gibt nur die Kostenerstattung dem Versicherten eine wirkliche Transparenz über Kosten und Leistungen. Dies gilt auch für den Zahnersatz.

(Beifall bei der F.D.P., vereinzelt bei der CDU/CSU)

Hier wird in Zukunft lediglich der Krankenkassenanteil unmittelbar zwischen dem Zahnarzt und der jeweiligen Kassenzahnärztlichen Vereinigung abgerechnet. Das meinten Sie sicherlich, Herr Kollege Dreßler, mit dem „dualen Abrechnungssystem". Das bedeutet aber keineswegs, daß damit das Kostenerstattungsprinzip nicht mehr in Anwendung kommt.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das nur zur Richtigstellung für all jene, die nicht so genau in der Materie drinstehen.
Wir fördern und bauen die hausärztliche Versorgung durch Weiterbildungsmaßnahmen und entsprechende Gliederungsmaßnahmen des Versorgungssytems aus; denn je differenzierter die medizinische Versorgung und je arbeitsteiliger das Gesundheitswesen wird, desto wichtiger ist für den Patienten auch wieder die hausärztliche Versorgung.
Meine Damen und Herren, wir werden den Reformweg fortsetzen müssen. Ich will deshalb auch nicht behaupten, daß uns dieses Gesetz für alle Zeiten von der Notwendigkeit der Kostendämpfung befreit. Dies verhindern nicht nur zahlreiche dem Gesundheitswesen immanente Gründe, sondern zu groß ist auch die Phantasie vieler Menschen und vieler Politiker, die gesetzliche Krankenversicherung mit permanenten Leistungen und Aufgaben zu betrauen. Hier wird in Zukunft wesentlich mehr Selbstbeschränkung erforderlich sein.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212705200
Herr Dr. Menzel, Sie sind weit über Ihre Redezeit.

Dr. Bruno Menzel (FDP):
Rede ID: ID1212705300
Abschließend lassen Sie mich sagen — ich komme zum Schluß —, daß mit diesem Gesetzespaket eine zwingend erforderliche soziale Reformarbeit geleistet worden ist. Manche Wünsche sind offengeblieben. Die gegebenen Realitäten haben uns zu Entscheidungen gezwungen, die mancher glaubt nur schwer mittragen zu können. Wir mußten Einschnitte vornehmen, die für viele Betroffene schmerzlich, aber in ihrer zeitlichen Begrenzung sicherlich tragbar sind.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal die Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß sich alle in diesem
System Beteiligten letztendlich mit diesem Gesetz identifizieren; denn nur so wird es möglich sein, es zu einem wirklichen Erfolg zu führen, der zwingend erforderlich ist für die Stabilisierung unseres bewährten Gesundheitssystems.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212705400
Bevor ich Ihnen, Herr Bundesminister, das Wort gebe, will ich Sie nur darauf hinweisen, daß Sie im Augenblick eine beschränkte Zuhörerschaft haben, weil auf der Bundesratsbank eine eigene Konferenz stattfindet.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Beschränkt sind wir nicht; das weise ich zurück! — Heiterkeit)

Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Gesundheit, Horst Seehofer.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind ja schon froh, daß die Bundesratsbank überhaupt besetzt ist!)


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1212705500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Presseagentur meldete am 7. Dezember unter der Überschrift „Drastische Beitragserhöhungen bei privaten Krankenversicherungen" folgenden Text:
Die privaten Krankenversicherungen erhöhen ihre Prämien zum Teil drastisch. Wie Gabriele Hoffmann, Pressesprecherin beim Verband der Privaten Krankenversicherungen, am Montag in Köln bestätigte, rollt derzeit eine neue Anpassungswelle. Zahlreiche private Versicherer hätten bereits ihre Prämien angehoben. Die übrigen würden, abgesehen von wenigen Ausnahmen, mit Sicherheit nachziehen. Besonders betroffen seien ältere Versicherte. Sie müßten in der Spitze bis zu 40 % mehr zahlen. Als Gründe für die neue Erhöhungswelle nannte Hoffmann die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, die auch die private Krankenversicherung nicht verschont habe.
Wohlgemerkt, eine Meldung über die private Krankenversicherung! Ich führe Sie hier zu Beginn meiner Bemerkungen an, um deutlich zu machen, daß wir es mit einer Kostenexplosion im Gesundheitswesen insgesamt zu tun haben, unabhängig davon, ob es sich um private Krankenversicherung oder gesetzliche Krankenversicherung handelt, und weil ich mich doch etwas dagegen wehre, die Kostenexplosion in der gesetzlichen Krankenversicherung pauschal auf dieses System zurückzuführen, weil ich mich dagegen wehre, eine 110jährige soziale Krankenversicherung, die sehr wesentlich zum medizinischen Fortschritt, auch zum sozialen Fortschritt in der Bundesrepublik Deutschland, beigetragen hat, so in Bausch und Bogen zu verurteilen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

10944 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Bundesminister Horst Seehofer
Ich bleibe bei meinem Urteil: Wir haben es mit grundlegenden Strukturmängeln des deutschen Gesundheitswesens zu tun, die nicht typisch, systemimmanent für die gesetzliche Krankenversicherung sind, die genauso in der privaten Krankenversicherung vorkommen

(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

— dort mindestens genauso drastisch, wie diese Beitragserhöhungen aktuell beweisen.
Meine Damen und Herren, deshalb kann man es sich nicht so einfach machen wie beispielsweise die Sachverständigen zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Lage, die uns empfohlen haben, einfach mit Elementen oder insgesamt auf die private Krankenversicherung umzusteigen. Das wäre nicht die Lösung des Problems.
Ich bleibe bei meiner These: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland qualitativ ein hochwertiges Gesundheitswesen, ich denke sogar, das beste auf der Welt.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Viele bemühen sich gerade aktuell, unserem Modell nachzueifern; da möchte ich ausdrücklich auch die USA erwähnen. Siebzig Millionen Menschen sind dort unterversichert, vierzig Millionen Menschen haben überhaupt keine Versicherung im Falle von Krankheit. Ein solches Modell sollte für uns in der Bundesrepublik Deutschland nicht beispielhaft sein; das ist nicht nachahmenswert!

(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Ich betrachte auch andere Systeme in Europa nicht für nachahmenswert, z. B. das englische, wo mit einem bestimmten Alter eine natürliche Auslese dadurch stattfindet, daß man bestimmte Operationen nicht mehr durchführt. Auch das möchte ich in der Bundesrepublik Deutschland nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Ich möchte auch nicht schwedische Verhältnisse, wo man den Bürger nicht versichert, sondern bevormundet. Meine Damen und Herren, ich möchte, daß die Qualität unserer gesetzlichen Krankenversicherung und des deutschen Gesundheitswesens erhalten bleibt, und zwar für jedermann. Dazu dient in erster Linie diese Reform, indem sie die Funktionsfähigkeit, die Qualität und die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung sicherstellt.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212705600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grüner

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1212705700
Herr Grüner, natürlich. Sie sind ja heute außerordentlich aktiv. Aber auf Ihre Probleme komme ich noch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nur ist der Herr Grüner bei diesen Diskussionen nie dabei!)


Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID1212705800
Herr Bundesminister, würden Sie Ihren Bemerkungen hinzufügen, daß der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung diese Empfehlung aus
einem zentralen Grund gegeben hat, nämlich weil unsere Sozialversicherung über Lohnkosten gedeckt wird und darin eine Gefährdung der Arbeitsplätze bei der richtig gesehenen Kostenexplosion im Gesundheitswesen liegt, und daß das der Grund war, warum der Sachverständigenrat diese Art der Finanzierung der Solidargemeinschaft als für die Arbeitsplätze gefährlich bezeichnet hat?

(Klaus Kirschner [SPD]: So ein Quatsch! — Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1212705900
Herr Grüner, ich habe Sie schon immer bewundert, daß Ihre geistigen Fähigkeiten meiner Wortmächtigkeit vorauseilen. Ich komme noch auf diesen Punkt. Und wenn ich nicht daran denken sollte, erinnern Sie mich bitte. Ich möchte es im Zusammenhang darstellen.
Zweite Bemerkung, meine Damen und Herren. Die gesetzliche Krankenversicherung wird in diesen Tagen 110 Jahre alt. Sie hat schwierigste Zeiten der Deutschen überstanden, zwei Weltkriege, zwei Inflationen, das größte Trümmerfeld aller Zeiten, viele tiefe wirtschaftliche Rezessionen. Da wäre es geradezu gelacht, meine Damen und Herren, wenn wir in dieser Zeit eines relativ hohen Wohlstands in der Bundesrepublik Deutschland die Probleme, mit denen wir jetzt — bei relativ guter Lage — in der gesetzlichen Krankenversicherung konfrontiert sind, nicht bewältigen würden, wenn in weitaus schwierigerer Zeit die Krankenversicherung auch stabil geblieben ist.
Ich habe etwas die Vermutung, je besser es den Menschen geht, desto stärker tritt die Eigenverantwortung in den Hintergrund, und desto stärker wird die Solidarität ausgedehnt. Eigenverantwortung feiert in Zeiten des Wohlstands nicht gerade Konjunktur.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Leider!)

Da bitte ich auch um ein differenziertes Urteil. Eigenverantwortung können wir nicht immer nur beim Versicherten und Patienten abladen — auch dort muß sie stattfinden —, sondern sehr wohl auch bei Ärzten oder Zahnärzten.
Ich wiederhole eine These, die hier im Parlament schon oft aufgestellt worden ist: Wenn jemand krankfeiert, ohne daß er krank ist, beutet er das Sozialsystem aus. Aber es beutet das Sozialsystem nicht nur derjenige aus, der krankfeiert, ohne daß er krank ist, sondern auch derjenige, der krankschreibt, ohne daß jemand krank ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Man muß die Pression betrachten, unter der er steht!)

Deshalb muß man die Eigenverantwortung an beide Seiten in der gesetzlichen Krankenversicherung richten, Herr Grüner, an die Patienten, an die Versicherten, aber auch an diejenigen, die verordnen. Ich finde, diese Differenzierung steht uns als Deutscher Bundestag sehr wohl an. Wir dürfen die Verantwortung nicht nur auf eine Seite schieben.
Ich füge drittens hinzu: Auch die Politik hat in den letzten zehn oder zwanzig Jahren, unabhängig von der Farbe der Regierung und deren Zusammenset-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10945
Bundesminister Horst Seehofer
zung, einiges dazu getan, daß dieser gesetzlichen Krankenversicherung immer mehr sachfremde Aufgaben übertragen wurden. Auch das gehört zur vollständigen Wahrheit.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Abtreibungspille, so ist es!)

Meine Damen und Herren, gegenüber dem Beginn dieser Diskussion im Mai diesen Jahres haben sich die Rahmenbedingungen für diese Reform eher noch verdüstert. Nicht nur innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind erheblich schlechter geworden. Ich brauche die Haushaltsdebatte hier nicht zu wiederholen. Wir befinden uns auf wirtschaftlicher Talfahrt.
Meine Damen und Herren, in einer solchen Situation können wir uns die bequeme Antwort der letzten zwei, drei Jahre, daß wir steigende Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung mit steigenden Beiträgen beantworten, im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr leisten. Das wäre Gift für die Konjunktur. Man muß allen Menschen, die auf diese gesetzliche Krankenversicherung vertrauen, die im Falle der Krankheit davon sozialen Schutz und Heilung erwarten, sagen, daß nur eine gesunde Wirtschaft auf Dauer auch eine gesunde gesetzliche Krankenversicherung garantiert. Beides gehört zusammen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der CDU/CSU: Untrennbar!)

Deshalb scheidet diese so naheliegende, einfache Antwort, die uns gelegentlich auch von Ärzten oder Zahnärzten gegeben wird, man möge doch einfach die Beiträge um einen oder zwei Prozentpunkte erhöhen, für uns aus, weil wir dann die Grundlage für die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme gefährden. Diese Grundlage ist noch immer eine funktionierende Wirtschaft.
Ein Viertes. Wir müssen heute handeln, und zwar auch mit Geschwindigkeit, weil dieses freiheitliche Gesundheitswesen, das ja von Krankenkassen und Ärzten selbstverwaltet ist, in den letzten Jahren etwas mißverstanden wurde.
Meine Damen und Herren, zur Freiheit gehört auch die Verantwortung. Freiheit und Verantwortung sind ein Geschwisterpaar. Man kann die Selbstverwaltung nicht nur dann ernst nehmen, wenn es um die Verteilung von angenehmen Dingen geht, sondern man muß Selbstverwaltung auch dann ernst nehmen, wenn es unangenehm wird.
Meine Damen und Herren, die Selbstverwaltung hat seit vielen Jahren, seit 1989 im besonderen, eine ganze Menge von Aufträgen, die Krankenkassen wie die Ärzte, beide gemeinsam. Nur sind diese Aufträge zum ganz großen Teil nicht erfüllt worden. Und das gehört auch zur Wahrheit dieser Diskussion: Wären sie erfüllt worden, wäre die Politik heute nicht gezwungen zu handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Mir wäre es viel, viel lieber, wenn die Politik nicht handeln müßte, wenn die Selbstverwaltung diese Aufträge und ihre Verantwortung ernst genommen hätte. Alles, was wir auf der Seite der Ärzte und Zahnärzte tun, könnte auch ohne neue Paragraphen
auf dem Wege der Selbstverwaltung getan werden. Man könnte sich heute innerhalb der Selbstverwaltung unter Wahrung der Vertragsfreiheit darauf verständigen, daß sich in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit und finanziell angespannten Situation der gesetzlichen Krankenversicherung die Honorare der Ärzte nicht stärker nach oben entwickeln als die allgemeinen Einkommen. Das würde einem Gebot der Vernunft entsprechen. Es geschieht aber in der Praxis nicht. Jetzt müssen wir handeln, weil die Selbstverwaltung ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden ist.
Ein Argument, das ich in dem Zusammenhang überhaupt nicht akzeptiere, ist: Weil wir jetzt an Stelle der Selbstverwaltung handeln, werden wir als Planwirtschaftler, als Sozialisten, als Politiker beschimpft, die angeblich die Staatsmedizin wollen. Nein, meine Damen und Herren, die Selbstverwaltung bekommt jetzt noch einmal in wesentlichen Bereichen drei Jahre Zeit — Vorfahrt für die Selbstverwaltung! —, und erst dann, wenn sie nicht handelt, tritt möglicherweise ein Gesundheitsminister oder ein Landesaufsichtsminister an die Stelle der Selbstverwaltung. Dann hat man von der ersten Auftragserteilung Anfang 1989 sechs Jahre Zeit — Vorfahrt für die Selbstverwaltung! —, und erst dann ist eine Ersatzvornahme theoretisch überhaupt möglich. Ich verstehe nicht, wie man da von Staatsmedizin sprechen kann. Das ist Vorfahrt für die Selbstverwaltung.
Meine Damen und Herren, die größte Gefahr für die Freiheitlichkeit des Gesundheitswesens besteht nicht nur durch die eine oder andere Ersatzvornahme, sondern entsteht dadurch, daß das Gesundheitswesen nicht mehr finanzierbar wird.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Daß wir mit der Einschätzung nicht ganz falsch liegen, daß dieses freiheitliche Gesundheitswesen nach wie vor eine große Anziehungskraft hat und nach Inkrafttreten dieser Reform weiter behalten wird, zeigen doch die täglichen Eingänge von Anträgen auf Kassenarztzulassung. Tausende beantragen jetzt Kassenarztzulassung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Obwohl angeblich der Ruin bevorsteht!)

Meine Damen und Herren, es vergeht nicht ein Tag, wo ich in Diskussionen nicht mit Fragen angesprochen werde wie: Wie kann ich an meinen Sohn oder an meine Tochter in fünf oder zehn Jahren eine Kassenarztpraxis übergeben? Ja, wenn alle, die sich so kritisch äußern, wirklich damit rechnen müßten, daß dieses System niedergeht, daß in dem System freiheitliche Gesundheitspolitik nicht mehr möglich ist, daß die Honorare auf dem Sozialhilfeniveau, wie mir heute geschrieben wurde, landen werden, daß wir in einem sozialistischen System enden werden, dann verstehe ich nicht, daß sich Tag für Tag Hunderte neu bereit erklären, ja, sogar beantragen, in dieses System zu kommen. Das zeigt doch die Anziehungskraft auch in der Zukunft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Herr Minister, das ist doch die einzige Alternative!)

10946 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Bundesminister Horst Seehofer
Herr Kollege Grüner, zu dem Wortwechsel zwischen Ihnen und dem Kollegen Dreßler wegen der Art und Weise des Umgangs und des Stils — ich denke, er hat sich auch so ausgedrückt, und ich möchte es wiederholen, weil es meine tiefe Überzeugung ist —: Ich bin der Auffassung, daß die ganz, ganz große Zahl der Ärzte, der Zahnärzte, der Apotheker, der Zahntechniker und der verschiedenen Beteiligten in den Krankenhäusern Tag für Tag hochwertige Arbeit leistet, viele davon rund um die Uhr. Ich bin der Auffassung, daß die große Mehrheit von ihnen einen gesunden ethischen Bezug zum Beruf, zur Tätigkeit hat. Ich bin ferner der Meinung, daß entgegen vielen Mutmaßungen die ganz, ganz große Mehrheit bei den Abrechnungen und der Behandlung der Patienten absolut korrekt verfährt. Ich finde, das muß man schon feststellen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Es gibt persönliche Angriffe, die ich nicht so ernst nehme, gemäß der alten Weisheit aus Bayern: Es gibt gewisse Dinge, die sind so überzogen, die sollte man nicht einmal ignorieren. Mich beschäftigt mehr die Tatsache, daß sich gewisse Tollheiten eingeschlichen haben, daß beispielsweise manche gegen ihre eigenen Vorschläge protestieren und demonstrieren und manche ihre Vorschläge, die sie selbst gemacht haben, gegenüber dem Patienten jetzt so verkaufen — auch in der Apotheke —, als sei das gegen ihren Willen durchgesetzt worden.
Ich will hier kein Pauschalurteil fällen, sondern ich reagiere darauf sehr differenziert. Ich nenne ein Beispiel aus dem Bereich der Apotheker. Ich verstehe im Prinzip deren Sorgen. Wer hat keine Sorgen, wenn über 10 Milliarden DM eingespart werden? 10 Milliarden DM einzusparen, ohne daß es jemand merkt, ist nicht möglich. Daß dies in der Praxis für alle Beteiligten wirkt, ist klar. Wir haben immer Wert darauf gelegt, daß wir die Wirkungen sozial gerecht verteilen, und zwar, Herr Grüner, auch aus folgender Überlegung heraus, die auf dem basiert, was ich in meinem eigenen Wahlkreis erlebe.
Wie soll ich in dieser aufgewühlten Gefühlslage der deutschen Bevölkerung, bei der es sehr entscheidend auf die Gerechtigkeit ankommt, auch was den Hang und die Neigung zur Radikalität und zum Extremismus betrifft •— ich möchte das bewußt in diesen gesamtpolitischen Zusammenhang stellen —, einem Audi-Arbeiter aus meinem Wahlkreis, der am letzten Samstag in der Zeitung lesen durfte, daß dort im nächsten Jahr 4 000 Arbeitsplätze abgebaut werden, der hört, daß wir diesem Wirtschaftsbereich wegen der Rücksichtnahme auf die Lage der Metallbranche empfehlen, sehr bescheidene Lohnabschlüsse zu vereinbaren, erklären, daß er dieses 10-Milliarden-Sparpaket möglicherweise allein zu tragen hat? Das war doch schon 1989 so. Ich denke, wir haben bei der aktuellen politischen Lage die gemeinsame politische Verpflichtung, die weit über die gesetzliche Krankenversicherung hinausgeht, daß wir uns bei einem unvermeidlichen Sparprogramm nach besten Kräften bemühen, die Lasten gerecht zu verteilen. Ich denke, das ist hier gelungen, wenn die Leistungserbringer
drei Viertel der Lasten und die Versicherten und die Patienten ein Viertel zu tragen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin gegen die Verdrehung von Tatsachen; damit meine ich nicht Sie, Herr Grüner. Die Apotheker haben hier in Bonn auf dem Münsterplatz demonstriert. Bei dieser Gelegenheit wurde ein neues „patentgeschütztes Arzneimittel" mit dem Namen „Seehofomat" verteilt; darüber hinaus in weiß-blau; man hat an alles gedacht: an meinen Namen und an meine Herkunft. Auf der Packung dieses „Arzneimittels" steht u. a.: zum besseren Schröpfen der Patienten. Damit will man den Eindruck vermitteln: Der Seehofer und alle Abgeordneten, die dieses Reformpaket tragen, haben nur ein Ziel, nämlich den Patienten zu schröpfen.
Jetzt bekomme ich von einer „Aktionsgemeinschaft bayerischer Apothekerinnen und Apotheker" , MariaTheresia-Straße 28, 8000 München 80, ein Flugblatt mit der Überschrift „Ihr Apotheker informiert": Ab 1. Januar 1993 hohe Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln; bisher kostete sie nur 3 DM, und die festbetragsfähigen Medikamente waren zuzahlungsfrei; ab 1. Januar 1993 müssen Sie nach dem Willen der Politiker erheblich tiefer in die Tasche greifen. — Darm werden Ausführungen zur Zuzahlungsregelung gemacht.
Mit dem Paket, das man verteilt hat, und mit den Flugblättern, die man jetzt in den Apotheken offensichtlich auflegt, um den Patienten für die eigenen politischen Ziele zu gewinnen, will man den Eindruck erwecken: Es geht nur um das Abkassieren beim Versicherten.
Nun muß man aber wissen, daß die ABDA, die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apothekerverbände — es geht jetzt nur um die Funktionäre, nicht um die Apotheker insgesamt; ich differenziere —, mir am 23. Juli 1992, also zu einem Zeitpunkt, als noch eine zehnprozentige Zuzahlung im Gesetz stand, zur Zuzahlung, also der Änderung des § 31 des Sozialgesetzbuches, folgendes geschrieben hat: „Der Wegfall der Marktspaltung zwischen Festbetrags- und Nichtfestbetragsbereich wird begrüßt. Aus Gründen der Praktikabilität fordern wir, die Zuzahlung auf volle DM-Beträge und nicht auf 10-Pfennig-Beträge zu runden."
Das ist die offizielle Mitteilung der Apotheker zur Zuzahlung. Jetzt allerdings erweckt man durch solche Aushänge in den Apotheken und durch die von mir erwähnten Packungen den Eindruck, als wären die Apotheker gegen die Zuzahlung. In Wirklichkeit haben sie die Zuzahlung gefordert und begrüßt.
Herr Grüner, zur Art und Weise der Auseinandersetzung sage ich: Wer so mit den eigenen Vorschlägen umgeht, muß sich zumindest vorhalten lassen, daß er doppelzüngig argumentiert, um eigene Ziele zu verwirklichen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Ich bin sehr dafür, daß man Interessen vertritt. Ich bin auch der Meinung, daß Standesvertreter gewählt
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Bundesminister Horst Seehofer
sind, um die Interessen ihrer Delegierten zu vertreten. Nur glaube ich, wie wir Politiker uns darum bemühen sollten und müssen, einen ordentlichen Stil des Umgangs miteinander zu pflegen, so muß sich die Standesvertretung auf die Wahrheit konzentrieren, was hier nicht erfolgt ist, und sie darf handelnde Personen bei einem demokratischen Meinungsbildungsprozeß nicht diffamieren.

(Beifall des Abg. Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU])

In der Sache kann man mit mir trefflich streiten; da bin ich zu allem bereit. Nur ging das, was durch einzelne gelegentlich stattgefunden hat, weit unter die Gürtellinie und hat die Schallmauer der Geschmacklosigkeit durchbrochen. In dieser Hinsicht sollte es schon eine demokratische Solidarität geben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Ähnliches zeichnet sich jetzt in den Arztpraxen ab, zwar nicht überall, aber doch in nicht wenigen Praxen. Ich bekomme täglich viele Briefe und Anrufe. Ich möchte Ihnen auszugsweise den Brief eines Diabetikers vorlesen, der mitteilt, sein Hausarzt habe ihm gesagt, ab 1993 müsse er entgegen aller medizinischen Notwendigkeit entweder die Zahl seiner Verschreibungen drastisch reduzieren oder seinen Beruf aufgeben. Der Patient, der ausdrücklich seinen Namen und seine Adresse nennt, fügte hinzu:
Ich bekomme seit Jahren die gleiche Menge Insulin wegen meiner langjährigen Zuckerkrankheit und ein Schmerzmittel, das mir nach vielen Operationen ein einigermaßen schmerzfreies Leben und Arbeiten erlaubt.
Er schließt den Brief folgendermaßen:
Weil ich arm bin, muß ich nun früher sterben?
Meine Damen und Herren, solche Vorgänge sollten wir nicht unterschätzen, weil sie mit dem Inhalt des Gesetzes nichts zu tun haben, weil sie durch den Inhalt des Gesetzes nicht gedeckt sind und schon den Verdacht auslösen, daß man andere Interessen als die des Versicherten und des Patienten verfolgt.
Bei aller Notwendigkeit der Auseinandersetzung bitte ich die Ärztinnen und Ärzte, bei allem Streit, der auch noch in den nächsten Wochen stattfinden wird: Hüten wir uns davor, die Auseinandersetzung auf dem Rücken der Patienten auszutragen!

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Auch das gehört zur Verantwortung. Wenn man mit uns streiten will, soll man sich die Politiker heraussuchen, aber nicht die Versicherten und die Patienten. Ich möchte an die Verantwortung solcher Ärzte appellieren: Denken Sie auch einmal an die menschliche Dimension, daran, welche Sorgen, welche Ängste, welche schlaflosen Nächte Sie den Menschen bereiten, wenn Sie entgegen Ihren Kenntnissen oder vielleicht aus Unkenntnis solche Informationen weitertransportieren. Es wäre natürlich noch schlimmer, wenn das wissentlich geschähe.
Was passiert denn im Arzneimittelbereich? An diesem Komplex wird ja die Behauptung, man könne nicht mehr so viel verschreiben, festgemacht. An einem möglichen Defizit im Arzneimittelbereich beteiligt sich der Pharmabereich, die Pharmahersteller, mit einem Volumen bis Ende 1994 von 3 Milliarden DM. Das ist beachtlich. Ich denke, das ist das erste Mal seit Bestehen der gesetzlichen Krankenversicherung, daß ein spürbarer Solidarbeitrag der Pharmahersteller nicht nur gefordert, sondern auch eingebracht wird. Mich stört hier überhaupt nicht die Äußerung des Herrn von Loeper, sondern ich möchte sogar sagen, daß die Pharmahersteller in dieser Reformdiskussion ausgesprochen klug reagiert haben. Ausgesprochen klug! Das waren vielleicht noch diejenigen, die mit am meisten sachliche Argumente eingebracht haben. Ich sage das ausdrücklich; denn 3 Milliarden sind kein Pappenstiel. Ich bin froh, daß wir das in der Koalition und mit der Opposition durchgehalten haben. Das ist eine Schiene zur Finanzierung des Defizits.
Das Zweite ist die Zuzahlung des Versicherten. Darauf komme ich noch, auch auf die soziale Wirkung. Das Dritte ist das sogenannte Arzneimittelbudget, auf das sich jetzt offensichtlich viele Ärzte beziehen, wenn sie den Patienten sagen: Wir können nicht mehr verschreiben, was eigentlich notwendig ist.
Meine Damen und Herren, ich versichere auch hier der gesamten deutschen Öffentlichkeit: Auch ab Januar 1993 wird jeder Patient sein medizinisch notwendiges Medikament bekommen. Es steht an keiner Stelle im Gesetz, daß ein notwendiges Medikament ab Januar 1993 nicht mehr verordnet werden dürfe. Es bleibt — gerade für chronisch Kranke — bei Langzeitkranken dabei, daß sie so wie bisher das, was sie zur Heilung, zur Linderung ihrer Krankheit brauchen, uneingeschränkt auch in der Zukunft bekommen. Daran ändert das Arzneimittelbudget überhaupt nichts. Das Arzneimittelbudget hat nur eine Funktion: auch den Arzt in die Überlegung einzubeziehen, wie Überflüssiges vermieden werden kann. Es geht nicht darum, das Notwendige vorzuenthalten, meine Damen und Herren, sondern das Überflüssige. Wenn Jahr für Jahr in Milliardenhöhe Arzneimittel auf dem Sondermüll landen, wenn mir Ärzte in jedem Gespräch sagen, es werde in Deutschland zuviel verordnet und zuwenig mit den Patienten gesprochen, dann erlaube ich mir das Urteil: Es gibt Überflüssiges bei der Arzneimittelversorgung.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Deshalb sind Qualitätssicherung und Sparen kein Widerspruch. Man kann in diesem Gesundheitswesen unter Ausnutzung von Wirtschaftlichkeitsreserven sparen, ohne die Qualität der medizinischen Versorgung zu beeinträchtigen. Es bleibt dabei, daß der Patient das Notwendige bekommt. Das haben wir nicht im Gesetz verändert. Es muß mir einmal jemand den einen Satz zeigen, in dem steht, daß das Notwendige ab Janaur 1993 nicht mehr verordnet werden darf. Folgendes steht jetzt drin: So wie die Pharmahersteller und die Apotheker mit ihrem Solidarbeitrag ein Defizit zu tragen oder zu verhindern helfen, so wie die Versicherten mit ihren Zuzahlungen ebenfalls die
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Bundesminister Horst Seehofer
Aufwendungen bei Arzneimitteln zeitlich unbefristet mitzufinanzieren haben, so haben wir bei den Ärzten — jetzt lege ich wirklich Betonung auf folgende Feststellung — für ein Jahr begrenzt, also nur für 1993, ein Arzneimittelbudget vorgesehen. Dieses kürzt nicht die Aufwendungen für Arzneimittel, sondern stellt die Rekordmarke zur Verfügung, die jemals in Deutschland für Arzneimittel ausgegeben wurde, nämlich 24 Milliarden DM. Wir sind Weltmeister im Schlucken von Medikamenten und Tröpfchen. Das wird nicht gekürzt, sondern zur Verfügung gestellt. Das kann verordnet werden.
Ich höre da und dort, die größere Befürchtung sei, daß das unterschritten wird. Bei den Apothekern besteht z. B. diese große Befürchtung, weil sie Umsatzeinbußen befürchten und damit auch kalkulieren.
Nur, meine Damen und Herren, selbst wenn jetzt mehr verordnet wird — was, wie gesagt, im Gesetz nicht verboten ist —, dann ist genauso wie bei der Einbeziehung des Versicherten und des Pharmaherstellers auch zu überlegen: In welcher Form trägt der Arzt, der ja verordnet, zur Finanzierung des Defizits bei? Es geht nur um 1993. Da steht jetzt im Gesetz, daß maximal 280 Millionen DM an Defizit von sämtlichen Ärzten in der Bundesrepublik Deutschland zu tragen sind, und zwar ist das Bundesrepublik (West); für den Osten gilt das überhaupt nicht.
Meine Damen und Herren, 280 Millionen sind 1 % des gesamten ärztlichen Honorarvolumens. Es geht um 1 %, falls diese 24 Milliarden überschritten werden.
Das heißt im Klartext: Selbst wenn ich den Fall unterstelle, daß plötzlich die gesamte Bundesrepublik Deutschland an einer fiebrigen Erkältung leidet und 4 Monate lang arbeitsunfähig ist und für 50 Milliarden DM Arznei verschrieben werden, d. h. das Doppelte von heute, dann ist die einzige Wirkung aus dem Gesetz, daß die Ärzte davon 280 Millionen mitzutragen haben. Das ist nämlich nach oben beschränkt. 280 Millionen DM sind 1 % ihres gesamten Honorarvolumens.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann man mit Würde tragen!)

Die Versicherten tragen weitaus mehr. Die Pharmahersteller tragen weit aus mehr. Diese Haftung der Ärzte ist auf dieses eine Prozent ihres gesamten Honorarvolumens begrenzt. Es gibt kein individuelles Budget. Es gibt keine Quartalshaftung. Alles, was da behauptet wird, ist falsch. Es wird dann die Gesamtvergütung maximal um dieses eine Prozent gesenkt.
Wir erwarten aber gar nicht, daß es überschritten wird. Ich stelle nur einmal für die Öffentlichkeit dar, was passiert, wenn es überschritten wird, wenn zweimal oder dreimal oder viermal so viel ausgegeben wird. Es bleibt immer bei diesem einen Prozent. Es muß nicht überschritten werden — ich bleibe bei meiner These —, weil es Überflüssiges in diesem Bereich gibt.
Wenn ich mir die Ärzte, die ich persönlich kenne, näher ansehe, kann ich einfach nicht glauben, daß
jemand wegen 1 % seines Honorars einen solchen Zirkus in der Praxis veranstaltet oder gar nicht bereit wäre, ein notwendiges Medikament einem Patienten, der das braucht, zu verordnen. Ich glaube, daß ganz überwiegend der ethische Bezug zum Arztberuf noch so ausgeprägt ist — Gott sei Dank —, daß man nicht wegen dieses einen Prozents für den Fall der Fälle sagt: Jetzt verordne ich nicht mehr als diese 24 Milliarden DM.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist das Arzneimittelbudget. Deshalb ist die Feststellung uneingeschränkt richtig: Es bleibt auch nach dieser Gesundheitsreform in der Bundesrepublik Deutschland in allen Bereichen bei einer Versorgung auf hohem Niveau.
Ein Wort zum Versicherten. Im Kern ist er durch die Zuzahlung bei Arzneimitteln betroffen, und zwar mit 3 DM, 5 DM oder 7 DM. Das geht zunächst im Jahre 1993 nach dem Arzneimittelpreis und ab 1994 nach der Packungsgröße. Hier haben wir uns sehr intensiv mehrmals — in den Klausurtagungen und dazwischen — mit dem Gedanken beschäftigt: Wie kann man soziale Abfederungen durchführen bei Menschen, die nur über geringes Einkommen verfügen, und bei Menschen, die regelmäßig auf Arzneimittel angewiesen sind?
Deshalb ist es schon wichtig für die Öffentlichkeit: Es bleibt bei der Härtefallregelung, die sich bewährt hat. Das ist eine Härtefallregelung mit zwei Elementen. Menschen, die ein bestimmtes Einkommen nicht überschreiten, sind völlig befreit von der Zuzahlung. Das ist z. B. bei einem Rentnerehepaar eine Rente von unter 2 040 DM. Diese Einkommensgrenze ist familienfreundlich gestaltet, weil sie sich mit Ehegatten und Kindern erhöht. Diese Härtefallregelung ist auch deshalb familienfreundlich, weil Kinder von Zuzahlung bei Arzneimitteln völlig ausgenommen sind. Bei den Menschen, die diese Härtefallgrenze, die zur völligen Befreiung der Zuzahlung führt, überschreiten, gibt es die Überforderungsklausel, wonach nicht mehr als 2 % des Einkommens für die Zuzahlung aufzuwenden sind; das ist der sogenannte Überforderungsschutz.
Deshalb denken wir — nach Abwägung aller Alternativen, die es auf dem Gebiet auch geben könnte —, daß dies eine gerechte Abfederung der Zuzahlung bei den Arzneimitteln ist und daß man sie auch unter den Aspekten der sozialen Gerechtigkeit vertreten und zumuten kann.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU])

— Daß der Herr Dr. Altherr bei diesem Punkt Beifall klatscht, überrascht mich nicht!

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Variatio delectat)

Meine Damen und Herren, Graf Lambsdorff ist leider nicht da. Sonst hätte ich ihm gerne wieder gesagt: Es ist weit mehr als ein Reparaturgesetz. Ich teile die Meinung, die hier verschiedentlich geäußert worden ist, daß wir auch große Strukturveränderungen einleiten.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10949
Bundesminister Horst Seehofer
Nach alldem, was schon gesagt wurde, will ich als tiefgreifendste Strukturveränderung die Reform im Krankenhaus ansprechen. Es ist ja erstaunlich: Wir sind jetzt jahrelang dafür kritisiert worden — schon bei der ersten Reform besonders hart —, daß das Krankenhaus nicht in die Reform einbezogen worden war, was ein Fehler war.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Zu Recht!)

Es war nicht ein Fehler von Norbert Blüm, sondern ein Fehler insbesondere der Länder, deren Interessen ich damals auch sehr stark vertreten habe. Ich sage dies nur, damit kein Mißverständnis auftritt.
Jetzt, wo es geschieht, wird das als Selbstverständlichkeit abgelegt. Jetzt spricht keiner darüber. Das wird als selbstverständlich konsumiert. Dabei ist das, was da stattfindet — der Kollege Wolfgang Lohmann sagte das —, geradezu revolutionär: daß wir das Selbstkostendeckungsprinzip ablösen; daß wir an Stelle des Pflegesatzes, mit dem gewissermaßen ein belegtes Bett erstattet wird, einen Preis für eine Behandlung setzen und damit mehr Wirtschaftlichkeit ins Krankenhaus bringen; daß wir den Krankenhäusern künftig ermöglichen, ambulant zu diagnostizieren, zu therapieren und zu operieren. 20 Jahre lang haben wir mit den Ärzten und den Ländern über eine bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Behandlung gestritten. Das kommt jetzt mit dem Gesetz.
Am Beginn der Diskussion hätte ich es nicht für möglich gehalten, daß wir die Krankenhauslandschaft so tiefgreifend reformieren. Das geschieht auch nicht, wie oft behauptet wird, um die Krankenhauslandschaft zu zerschlagen, sondern das geschieht, um sie auf diesem hohen Niveau auf Dauer funktionsfähig und finanzierbar zu halten. Das ist das Ziel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Denn eines muß man wissen: Wenn man Tagespflegesätze von 600, 700 oder 800 DM hat, dann bleibt uns doch nichts anderes übrig, als die Qualität zu reduzieren. Das wäre das weitaus größere Übel, wenn wir den medizinischen Fortschritt aus Finanzgründen nicht mehr zulassen würden. Ich will auch in der Zukunft den medizinischen Fortschritt, und zwar auch in den Krankenhäusern.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Wir alle wollen das!)

Wenn wir ihn wollen, dann müssen wir rechtzeitig Unwirtschaftlichkeiten und Ineffizienzen beseitigen. Dann können wir die Qualität auf hohem Niveau sichern. Das ist das Ziel. Deshalb bleiben die Krankenhäuser auch künftig Stätten der Hochleistungsmedizin.
Wir behalten auch eine pluralistische Krankenhauslandschaft: öffentlich-rechtlich, privatgesellschaftlich, frei-gemeinnützig, kirchlich und rein privatrechtlich. Das wollen wir doch. Deshalb machen wir auch die Reform, damit man etwas mehr nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und weniger nach öffentlich-rechtlicher Kameralistik vorgehen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich fordere die Manager, die Krankenhausdirektoren und die Chefärzte auf, ab Januar diese Instrumente offensiv zu nutzen. Andere Länder, deren Vertreter uns wöchentlich besuchen, sehen sich das an und fragen, wie wir das machen. Unser Gesundheitssystem ist auch ein Modell für den Aufbau der Gesundheitssysteme beispielsweise in den osteuropäischen Ländern.
Ich finde im Zusammenhang mit dem Thema Krankenhaus auch bemerkenswert, daß wir damit ein Beispiel dafür liefern, wie man trotz schwieriger finanzieller Lage den Sozialstaat nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten umbauen kann. Wir sparen ja ein gehöriges Stück mehr, als eigentlich notwendig ist, um neue Herausforderungen in der gesetzlichen Krankenversicherung zu bewältigen. Dabei geht völlig unter, daß wir trotz der engen Kassenlage eine neue Personalverordnung in den Krankenhäusern in Kraft setzen, die es erlaubt, bis Ende 1996 insgesamt 26 000 zusätzliche Stellen in den Krankenhäusern zu finanzieren.
Meine Damen und Herren, ist das nicht ein gewaltiger gesundheitspolitischer und sozialpolitischer Fortschritt, wenn wir bei dieser Kassenlage der Krankenversicherung als Politiker den Mut aufbringen, an anderen Stellen, wo es unwirtschaftlich ist, das Geld wegzunehmen und dorthin zu lenken, wo es notwendig ist, damit wir wieder Menschen gewinnen, die bereit sind zum Dienst am Mitmenschen? Jeder von uns braucht den Dienst am Mitmenschen. Das ist ein wirksamer Umbau.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich erwähne auch noch — für meine Begriffe ist dies das Juwel der ganzen Reform — das Gemeinschaftsprogramm zur Finanzierung der Investitionen in den Krankenhäusern in den neuen Ländern.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Es ist die Krönung der Reform, daß wir dies noch geschafft haben. Das weiß derjenige, der sich jemals auch nur einige dieser Krankenhäuser einmal angesehen hat. Die Menschen liegen dort in Sälen mit acht oder zehn Betten. Trotzdem bringt man dort noch relativ viel Humor ein, wie das letztens in Halberstadt der Fall war, wo mir ein Patient sagte: „Das Gute an diesen Zimmern ist, man kann nicht aus dem Bett fallen, weil die Betten so eng aneinander stehen."
Wer das sieht, der muß zu diesem Gemeinschaftsprogramm ja sagen. Der Bund bringt dafür 7 Milliarden DM in zehn Jahren auf, die Länder bringen mindestens 7 Milliarden DM auf, und die gesetzlichen Krankenversicherungen bringen in 20 Jahren ebenfalls 7 Milliarden DM auf. Wenn es in diesen Tagen ein leuchtendes Beispiel für Solidarität nicht nur in Worten, sondern auch für praktizierte Solidarität gibt, dann ist es dieses Beispiel, wie jetzt gemeinschaftlich von Bund, Ländern und Krankenkassen diesem großen Problem des investiven Nachholbedarfs in den neuen Ländern Rechnung getragen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das sind echte Strukturveränderungen: die bessere Verzahnung von stationärer und ambulanter Be-
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Bundesminister Horst Seehofer
handlung. Warum soll denn ein Patient, der in einem Krankenhaus operiert worden ist, dort nicht ambulant nachbehandelt werden können? Warum soll ein Patient, der ins Krankenhaus eingewiesen worden ist, nicht in geeigneten Fällen ambulant diagnostiziert werden können? Ich verstehe überhaupt nicht, warum es da und dort im Bereich der niedergelassenen Ärzte Vorbehalte gibt. Es handelt sich doch um Patienten, die aus dem Bereich der niedergelassenen Ärzte eingewiesen worden sind. Da wird doch nichts weggenommen.
Die Waffengleichheit wird dadurch hergestellt, daß wir das ambulante Operieren auch im niedergelassenen Bereich sehr stark fördern, nämlich mit einem 10%igen Lüften des Deckels.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Jedes Jahr!)

— Für ambulantes Operieren sind außerhalb des Deckels jedes Jahr — 1993, 1994 und 1995 — 10 % vorgesehen. Wir machen damit ernst, daß in der Bundesrepublik Deutschland mehr ambulante und weniger stationäre Behandlungen erfolgen.
Es gibt viele Krankheiten, die stationär behandelt werden müssen. In Erlangen hat man in einem Versuch geprüft, wie viele der eingewiesenen Patienten wirklich einer stationären Behandlung bedürfen. Es hat sich herausgestellt, daß 30 % eigentlich nicht hätten ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen. Das sind Effizienzverluste.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wie viele?)

— 30 %. Ich bleibe auf der sicheren Seite — mir ist unter vier Augen auch eine höhere Zahl genannt worden —, weil man ja bei jeder Zahl, die man nennt, Hunderte von Briefen bekommt, um das zu belegen. Da können wir etwas ausnutzen.
Ich denke, wir müssen in Deutschland schon darauf schauen, daß wir nicht für jedes Lebensproblem ein Heim aufstellen; sonst kommen wir in den Hospitalismus. Das löst nicht nur finanzielle, sondern auch menschliche Probleme aus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zur Gesetzesberatung: Es wird immer gesagt, in der Politik höre man nicht auf Argumente, sei man nicht bereit zu Änderungen, sei man zu engstirnig. Ich möchte dazu nur sagen, daß es zu dem eingebrachten Gesetzentwurf auf Grund der öffentlichen Diskussion und der Sachverständigenanhörungen 150 Änderungsanträge gegeben hat. Die führe ich jetzt nicht alle auf, aber einer scheint mir besonders bemerkenswert zu sein.

(Heiterkeit im ganzen Hause)

— Das wäre eine Buße für die Kollegen, die da mitgemacht haben.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Wir zeigen schon Reue!)

Meine Damen und Herren, neben dem Sparen und dem Umsteuern, was ich schon angesprochen habe, war es auch möglich, da und dort gesundheitspolitische Weichenstellungen vorzunehmen. Das gilt z. B. für die dreijährige Weiterbildung zum Kassenarzt
oder für den besseren Patentschutz bei den Arzneimitteln. Das gilt auch — das möchte ich besonders hervorheben — für die Prophylaxe bei der Zahnbehandlung oder Prävention beim niedergelassenen Arzt. Beides ist außerhalb des Deckels mit großen Steigerungsraten 1993, 1994 und 1995 möglich. Wir verwirklichen damit den gesundheitspolitischen Grundsatz: Die beste Medizin ist noch immer die Vorbeugung. Da muß auch nichts zugezahlt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich finde, daß dies im Gesetzgebungsverfahren gut gelungen ist.
Ich weiche aber auch zwei besonders umstrittenen Punkten nicht aus, nämlich der Bedarfsplanung bei den Kassenärzten und den freiwillig Versicherten. Daß ein Zusammenhang zwischen der steigenden Arztzahl und den steigenden Ausgaben besteht, kann man doch ernstlich nicht bestreiten. Ich sagte schon einmal in der ersten Lesung, daß wir in zehn Jahren zusätzlich 17 000 Ärzte bekommen haben. Das ist eine Steigerung um 25 %. Die Behandlungsbedürftigkeit der Menschen ist in dem selben Zeitraum um exakt 24 % gestiegen. Ich befinde mich da in guter Zeugenschaft: Der Vorsitzende der niedersächsischen Kassenärztlichen Vereinigung hat in der „Ärztezeitung" vor wenigen Tagen erklärt — und bisher nicht dementiert —, je mehr Wettbewerb entstehe, um so größer werde das Risiko, daß dies die Praxiskosten erhöhe, etwa wenn Ärzte um die Wette in Geräte investierten und Personal anstellten, um einen höheren Anteil am Gesamthonorar zu erwerben.
Wir haben Untersuchungen angestellt. Dort, wo die Arztdichte sehr hoch ist, steigen die Ausgaben je Mitglied drastisch. Viele Ärzte sagen mir: „Was soll ich denn tun? Wenn ich nicht verordne, tut es mein Kollege. " Um auch hier Mißverständnissen vorzubeugen: Das ist kein subjektiver Vorwurf an diejenigen, die handeln, sondern das ist bei den Strukturen, die vorhanden sind, systemimmanent. Deshalb müssen wir die Strukturen verändern.
Mir geht es nicht um einen Systemwechsel, sondern mir geht es um Strukturreformen innerhalb des Systems; denn wir verdanken diesem System sehr viel. Die ganze Qualität hat sich ja innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung entwickelt. Das dürfen wir nicht ganz vergessen, wenn wir uns so kritisch über die Lage heute unterhalten. Deshalb müssen wir zur kassenärztlichen Bedarfsplanung kommen.
Ich sage allen Kollegen, die damit ihre Schwierigkeiten haben: Auch wir im Gesundheitsministerium wissen, daß dies eine Frage von hohem verfassungsrechtlichen Rang ist und daß man sie sehr sorgfältig abwägen mußte. Dies haben wir auch getan. Das Ganze ist kein Schnellschuß. Wir haben bereits nach Nürburg, nachdem der Regierungsentwurf von damals formuliert worden war, renommierte Professoren damit beauftragt, uns ein Gutachten dazu zu machen. Wir denken, wir haben sogar die Nummer eins des deutschen Sozialrechts damit beauftragt. Die Ergebnisse waren uns natürlich bekannt und liegen jetzt schriftlich vor.
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Bundesminister Horst Seehofer
Ich zitiere aus einem Gutachten. Das Zitat, das ich vorlese, ist etwas länger. Nur, es ist von einer hohen Bedeutung. Ich will damit deutlich machen, daß wir es uns nicht leichtgemacht haben. Ein solches Gutachten — das weiß auch ich — sagt noch nicht, daß es verfassungsfest ist, daß es vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird. Dort wird es landen. Aber ich möchte deutlich machen, daß wir es uns als Parlamentarier und als Ministerium nicht leichtgemacht haben. Wir werden hinsichtlich der in dem Gesetzentwurf enthaltenen Bedarfsplanung bestätigt. Dieses Gutachten ist auf der Grundlage des Regierungsentwurfs, also in Kenntnis der vorgesehenen Bedarfsplanung, erstattet worden. Ich darf die wichtigste Passage vorlesen:
Orientiert man sich an den vorsichtigen und unter ausdrücklichem Vorbehalt einer abweichenden Entwicklung gestellten Ausführungen im Kassenarzt- und Kassenzahnarzturteil des Bundesverfassungsgerichts, dürften die Änderungen des Sachverhalts recht deutlich zugunsten der gesetzlichen Maßnahme sprechen. Aber auch wenn man nicht die damalige Entscheidung zum Maßstab nimmt, sondern auf dem heutigen Stand der Dogmatik der Berufsfreiheit eine genauere Erfassung der Grundrechtslage vornimmt, kann man dem Gesetzgeber angesichts der gravierenden finanziellen Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung mit ihren Auswirkungen auf die weiteren Gemeinwohlziele und bei Würdigung der Besonderheiten des Kassenarztberufes im System der gesetzlichen Krankenversicherung und ungeachtet der Belastungen der niederlassungswilligen Ärzte und der mit einer Zulassungsbeschränkung verbundenen Auswahlprobleme keinesfalls eine deutliche Fehlgewichtung vorwerfen. Die Regelung ist als erforderlich und verhältnismäßig im engeren verfassungsrechtlichen Sinne anzusehen.
Zwei Professoren haben dieses Gutachten erstattet. Wir waren im Gesundheitsministerium bei der Güterabwägung ohnehin immer dieser Meinung. Ich sage ausdrücklich noch einmal: Das ist kein Vorgriff auf das zu erwartende Verfassungsgerichtsverfahren. Nur, wir haben das sehr, sehr sorgfältig beurteilt und das nicht einfach emotional zurückgewiesen, nachdem auch der Rechtsausschuß dies zu einem Punkt gemacht hatte.
Mich hat in diesem Gutachten besonders überrascht, daß der Numerus clausus, also der Eingriff bei dem Studienzugang, um die Arztzahl zu reduzieren, als der tiefere Eingriff in die Berufswahlfreiheit bezeichnet wurde, vor allen Dingen wegen der Umgehungsmöglichkeiten, die es gibt: Jemand, der im Ausland studiert, oder ein EG-Mitbürger müßte nämlich in der Bundesrepublik Deutschland als Kassenarzt zugelassen werden.
Auch das müßten wir der jungen Generation sagen: Wir beschränken euren Zugang zum Medizinstudium in Deutschland, können aber nicht verhindern, daß es mehr, und zwar drastisch mehr, Kassenärzte in Deutschland gibt, weil jeder, der um Deutschland herum studiert, in Deutschland als Kassenarzt zugelassen werden muß. Unterschätzen Sie die Probleme
nicht. Es gibt bereits eine erhebliche Zahl, die sicher noch zunehmen wird.
Deshalb, glauben wir, sind wir hier sorgfältig vorgegangen. Darauf lege ich höchsten Wert. Die Inhalte sind von Kollegen schon ausreichend dargestellt worden.
Ähnlich ist es beim freiwillig Versicherten. Wir haben einmal die Historie zurückverfolgt. Es ist schon interessant, daß die Regelungen, die wir ab 1993 einführen, in der Bundesrepublik Deutschland teilweise schon Gültigkeit hatten. So sind erst 1983 z. B. alle Einkunftsarten bei freiwillig Versicherten unterschiedlich behandelt worden. Vor 1983 gab es eine volle Heranziehung aller Einkunftsarten der freiwillig Versicherten. 1989 wurde die Neunzehntel-Regelung, die Vorversicherungszeit, eingeführt. Man höre und staune: Erst 1989 wurde die Halbierung des Beitragssatzes für freiwillig versicherte Ruheständler mit Pension und betrieblicher Altersversorgung, die keine gesetzliche Rente haben, eingeführt. 1989!
Jetzt war für uns die Frage: Wollen wir für alle, z. B. für alle freiwillig Versicherten, die Beiträge erhöhen? Oder sollen wir nicht zunächst einmal, wenn schon große Gruppen von freiwillig Versicherten den vollen Beitrag zu zahlen und das ganze Einkommen heranzuziehen haben, wie es in der gesetzlichen Krankenversicherung seit eh und je der Fall ist, wenn freiwillig Versicherte und Pflichtversicherte bei der Bemessungsgrundlage unterschiedlich behandelt werden, Ungerechtigkeiten beseitigen? Da sage ich Ihnen mit voller Überzeugung: Bevor ich für alle die Beiträge erhöhe, bevor ich für alle freiwillig versicherten Rentner oder vielleicht sogar für alle versicherten Rentner die Belastungen erhöhe, beseitige ich die Ungerechtigkeiten im System.
Es ist ungerecht, wenn von vier Gruppen freiwillig Versicherter zwei Gruppen ihre gesamten Bezüge heranzuziehen haben und den vollen Beitrag leisten und zwei Gruppen mit zwei unterschiedlichen Fallgestaltungen nicht ihre ganzen Einkommen heranzuziehen haben. Wie wollen wir es denn den Menschen draußen erklären, wenn wir diese Ungerechtigkeit lassen, aber dafür für alle die Beiträge erhöhen? Das wäre die Alternative gewesen. Ich bin der Koalition dankbar, daß sie diesen Weg mitgegangen ist, weil er sozialpolitisch nicht nur geboten, sondern auch gerechter ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben noch die Änderung vorgenommen, daß diese Regelung nur für Neufälle ab 1993 gilt, nicht für den Rentenbestand. Das erfolgte nicht aus dem Grund — der jetzt leichtfertig schon wieder niedergeschrieben wird —, weil wir ein schlechtes Gewissen hätten oder verfassungsrechtliche Probleme sähen, sondern einfach aus Praktikabilitätsgründen. Denn wir wollen einem 70- oder 75jährigen freiwillig versicherten Rentner — das trifft auf die anderen 80 % Rentner gar nicht zu — nicht zumuten, daß er zehn oder 15 Jahre rückwirkend seinen Versicherungsfall der Krankenkasse vorlegen muß. Ich denke, das ist nicht nur ein humaner Akt, sondern auch ein wesentlicher Beitrag zur Entbürokratisierung in der gesetzli-
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Bundesminister Horst Seehofer
chen Krankenversicherung. Es ist viel leichter, dies für einen Rentenneuzugang vorzusehen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212706000
Herr Bundesminister, . . .

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1212706100
Ich bin schon beim Ausblick!

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212706200
... nach Art. 43 des Grundgesetzes können Sie natürlich Ihr Rederecht in Anspruch nehmen. Nach der Abmachung zwischen den Fraktionen ist Ihre Redezeit abgelaufen.

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1212706300
Ich dachte, meine Zeit wäre abgelaufen, Herr Präsident.

(Heiterkeit im ganzen Hause — Zuruf von der CDU/CSU: Nur die Redezeit!)

Jetzt meine letzte Bemerkung, mein Ausblick. Ich teile die Einschätzung des Kollegen Dreßler: Es ist das tiefgreifendste Reformpaket, das jemals in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur auf den Weg gebracht, sondern auch durchgesetzt wurde. Ich bedanke mich deshalb ausdrücklich bei allen Fraktionen — CDU/CSU, F.D.P. und SPD — für die Art und Weise, wie das Ganze miteinander ausgetragen und verhandelt wurde. Ich denke, das war für den Stil einer demokratischen Auseinandersetzung vorbildlich.
Ich danke heute ausnahmsweise einmal besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen der Länderparlamente und auch des Bundesgesundheitsministeriums. Sie haben weit, weit mehr getan als ihre Pflicht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Ich möchte zum Schluß wirklich meiner Überzeugung Ausdruck verleihen — was viele heute möglicherweise noch nicht so sehen wollen —: Durch dieses Reformwerk bleibt die Krankenversicherung nicht nur finanzierbar und funktionsfähig. Mir ist am wichtigsten, daß wir für die Betroffenen, für die Patienten vielmehr eine medizinisch hochwertige Versorgung ohne Rücksicht auf Alter und ohne Rücksicht auf Einkommen oder Stand in der Zukunft anbieten können. Diese Reform ist die sicherste Vorsorge gegen eine Zweiklassenmedizin in der Bundesrepublik Deutschland.
Ich bitte alle Ärzte, alle Zahnärzte und Apotheker, jetzt bei der Umsetzung des Reformwerks mitzuhelfen. Das können wir nur gemeinsam bewerkstelligen, um zu einem Stil der Sachlichkeit und der Partnerschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung zurückzufinden. Ich bin dazu bereit. Ich bin nicht nachtragend. Es war eine Bereicherung für mein politisches Leben bis zu diesem Punkt. Die größte Befürchtung, die ich habe, ist die, daß ich nach Verabschiedung des Gesetzeswerkes nächsten Freitag im Bundesrat Entzugserscheinungen haben werde, weil ich vielleicht nicht mehr ganz ausgelastet bin.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212706400
Ich erteile das Wort der Ministerin für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlands, Frau Christiane Krajewski.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1212706500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 25. September 1992, also erst vor zehn bis elf Wochen, hat der Bundesrat die Gesetzentwürfe der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition abgelehnt, weil sie, wenn sie in Kraft getreten wären, erstens das Instrument der sozialpolitisch fragwürdigen und gesundheitspolitisch falschen Selbstbeteiligung ohne mengensteuernde Wirkung ausgeweitet hätten, zweitens durch die Einführung von Regel- und Wahlleistungen sowie Kostenerstattungsregelungen in eine Zweiklassenmedizin geführt und drittens die kostentreibenden Strukturverwerfungen bis auf zaghafte Reformansätze im Krankenhausbereich nicht beseitigt hätten.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Der Begriff „Zweiklassenmedizin" wurde eben von Bundesminister Seehofer gebraucht;

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: In einem anderen Zusammenhang!)

ich habe ihn hiermit aufgenommen.
Die Länder wollten aber nicht nur nein sagen, sondern wir wollten uns konstruktiv an der Zukunft des Gesundheitswesens beteiligen. Deshalb forderte der Bundesrat die Regierung auf, endlich Vorschläge für eine Strukturreform im Gesundheitswesen vorzulegen, insbesondere für eine stärkere Regionalisierung in der Gesundheitsversorgung, für eine Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung, eine Neuordnung der Arzneimittelversorgung, eine grundlegende Reform des Krankenhausbereichs und eine marktwirtschaftlich organisierte ambulante Versorgung.
Der weitere Ablauf des Verfahrens ist bekannt. Koalition, Opposition und Länder fanden sich im Konsens von Lahnstein zusammen, der zu Recht als tiefgreifendste Strukturreform des Gesundheitswesens nach dem Krieg angesehen werden darf.
Ich will dabei nicht verschweigen, daß ich mir an mancher Stelle etwas mehr Marktwirtschaft an Stelle von Dirigismus gewünscht hätte. Ich nenne beispielhaft unsere Forderung — Herr Thomae ist leider im Moment nicht anwesend — nach Preisverhandlungen für Arzneimittel.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Aber nachdem ich heute von Herrn Abgeordneten Thomae gehört habe, daß die F.D.P. mehr Wettbewerb wolle, läßt mich das für zukünftige mögliche Verhandlungen durchaus hoffen.
Wir haben nicht alles durchsetzen können; das ist ganz klar. Jeder hat Kompromisse machen müssen. Die Länder haben aber nicht nur den Konsens von Lahnstein aktiv mitgestaltet, sondern auch an der nachfolgenden Umsetzung so intensiv mitgewirkt,
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10953
Ministerin Christiane Krajewski (Saarland)

daß ich von einer breiten Zustimmung im Bundesrat am 18. Dezember 1992 ausgehe. Man müßte, Herr Bundesminister Seehofer, damit Sie nicht so eine innere Leere verspüren, fast auf die Idee kommen, noch den Vermittlungsausschuß anzurufen. Aber wir wollen darauf gerne verzichten, damit Sie in Zukunft etwas mehr Freizeit haben.
Nach Lahnstein ist mir ebenso wie Ihnen allen von den verschiedensten Interessengruppen vorgehalten worden, wir würden ohne Not unser freiheitliches Gesundheitswesen aufgeben, wir würden die bewährte Selbstverwaltung entmündigen und im Bürokratismus ertrinken lassen, wir würden die Einheitsversicherung einführen, wir würden die Krankenhäuser ihrer wirtschaftlichen Grundlage berauben und schließlich ganze Berufsstände vernichten. Nichts davon wird eintreffen. Die Sachkoalition hat sich und damit auch unser Gesundheitswesen von der Hydra mächtiger Interessenverbände befreit

(Beifall bei der SPD)

und in sorgfältiger, auch viele Nachtstunden erfordernder Beratung das Gesetz erarbeitet.
Deshalb habe ich mich heute, als ich der Debatte zugehört habe, auch gewundert, daß sich immer noch einige von uns bzw. von Ihnen gegenüber den Interessenverbänden rechtfertigen. Ich glaube, wir haben überhaupt keine Veranlassung, uns heute zu rechtfertigen. Vielmehr hat das, was wir gemeinsam geschaffen haben, auch Bestand.
In den nach Lahnstein folgenden Wochen bis heute haben die Lobbyisten ihre ganze Kunst aufgeboten — Herr Minister Seehofer und Herr Abgeordneter Dreßler haben dies eindrucksvoll durch Beispiele beschrieben —, diesen Konsens zu kippen. Es war schon irritierend, daß während der Ausschußberatungen mancher unserer Vorschläge — ich nenne zwei Beispiele: die Einbeziehung von Impfungen in die Vorsorgeuntersuchungen und die Umgestaltung der Laborleistungen — am Widerstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung scheiterte, die in diesen Tagen über eine Standleitung zur Bundesregierung zu verfügen schien. Es ist schon sehr erstaunlich, daß das, was gesundheitspolitisch förderlich und gut ist, dann von den entsprechenden Standesorganisationen trotzdem nicht gewollt wird.
Ich will einige Punkte aus der Gesundheitsstrukturreform aufgreifen, die aus der Sicht der Länder besonders bedeutsam erscheinen. Erstens. Mit der Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung wird eine förderliche Wettbewerbsordnung geschaffen. Vor dem Ersatzkassentag habe ich vor einigen Wochen den Ersatzkassen vorgeworfen, daß es ihnen urn die Wahlfreiheit der Organisationen an Stelle der Wahlfreiheit für die Menschen gehe. Mit dem Gesundheits-Strukturgesetz stehen die Versicherten jetzt im Mittelpunkt. Gleichzeitig wird eine schleichende Entsolidarisierung der gesetzlichen Krankenversicherung gestoppt und über den Risikostrukturausgleich ein wichtiger Beitrag zur Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in den Bundesländern geleistet.
Auch hier will ich noch einmal an die Alternativen erinnern. Herr Abgeordneter Thomae hat noch einmal
die Alternative des kassenartinternen Finanzausgleichs zitiert. Wir sind sicher, daß der Risikostrukturausgleich in weit besserer Art geeignet ist, eine fördernde Wettbewerbsordnung zwischen den Krankenkassen herzustellen.
Zweitens. Die Krankenhausreform war überfällig. Herr Minister Seehofer hat immer wieder darauf hingewiesen, daß es ein großer Fehler des Gesundheits-Reformgesetzes von 1988 war, die Krankenhäuser unangetastet zu lassen. Ebenso falsch ist es allerdings, die Krankenhäuser unreflektiert als den teuersten Teil unseres Gesundheitswesens zu bezeichnen, ohne die dort erbrachten Leistungen zu würdigen.
Mit dem Gesetz — das ist sicherlich in diesem Bereich revolutionär — wird das wirtschaftlichkeitsfeindliche Selbstkostendeckungsprinzip zugunsten leistungsgerechter Entgelte wie Fallpauschalen, Sonderentgelte, Abteilungs- und Basispflegesätze abgelöst. Die dreijährige Budgetierung, für die maßvolle Öffnungen gefunden werden konnten, ermöglicht den leistungsfähigen Krankenhäusern den schrittweisen Übergang zu den neuen Vergütungsformen.
Die sofortige gesetzliche Zulassung der Krankenhäuser für ambulante Operationen, für die ich mich in den Verhandlungen beharrlich eingesetzt habe, und die gesetzlichen Regelungen über vor- und nachstationäre Behandlungen sind geeignet, die eigentlich nur den Leistungserbringern dienenden starren Grenzen zwischen ambulantem und stationärem Bereich zu öffnen. Den Patientinnen und Patienten wird diese Öffnung, die Überwindung der Trennung zwischen ambulantem und stationärem Bereich, nutzen.
Übrigens ist die Unfähigkeit der Selbstverwaltung, die vor- und nachstationäre Behandlung im Krankenhaus im Wege dreiseitiger Verträge zu regeln, der Grund dafür, daß der Gesetzgeber diese Regelung nun selbst trifft. Es ist doch ein törichter Vorwurf, zu behaupten, mit dem Gesundheits-Strukturgesetz solle die Selbstverwaltung entmündigt werden. Richtig ist, daß sie sich in der Vergangenheit selbst entmündigt hat, indem sie die Vorschriften über Richtgrößen oder eine Neuordnung der haus- und fachärztlichen Versorgung nicht umsetzte.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: In der Tat!)

Bei dem im Gesetz jetzt vorgesehenen dreiseitigen Vertrag über das ambulante Operieren hat die Selbstverwaltung erneut die Chance, in befristeter Zeit ihre Mündigkeit zu beweisen.
Einen Wermutstropfen muß ich aus der Sicht der Länder in den Wein der Krankenhausreform gießen. Die Länder sind über die ihnen vorliegende Entschließung zur Einführung der monistischen Kankenhausfinanzierung nicht glücklich. Hier wäre eine klarere zeitliche Perspektive erforderlich.
Das Gesetz hat noch einen weiteren Fehler des Gesundheitsreformgesetzes beseitigt, indem es die Großgeräteplanung endlich regelt.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Renate Schmidt)

Der Bundesrat hatte dazu 1988 drei Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht. Nun ist es uns endlich gelungen, die Schlupflöcher für die Honorierungen nicht bedarfsgerechter Großgeräte zu stopfen, mit
10954 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Ministerin Christiane Krajewski (Saarland)

denen einige wenige weit überproportionale Gewinne machen.

(Beifall bei der SPD)

Die durch den degressiven Punktewert erzielten Einsparungen kommen zwar der Prävention zugute. Die Verhandlungen über die Förderung der Prävention sind allerdings ein bitteres Beispiel skrupelloser Interessenpolitik. Anstatt dem Grundsatz „Vorbeugen ist besser als Heilen" zur Geltung zu verhelfen, wollte sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung damit nur neue Honorarquellen erschließen.

(Rudolf Dreßler [SPD]: Leider wahr!)

Wir sind froh, daß mit dem Gesetz zwei dringende Probleme in den neuen Ländern gelöst werden, nämlich die Finanzierung des investiven Nachholbedarfs der Krankenhäuser in den neuen Ländern und der Fortbestand noch bestehender Polikliniken und Fachambulanzen. Auf letztere möchte ich noch einmal eingehen. Es gehört nach meiner Überzeugung zu den Fehlern des Einigungsstaatsvertrages, daß Polikliniken und Fachambulanzen im Beitrittsgebiet mit aller Macht dem westdeutschen Kassenarztmonopol weichen mußten,

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

bedeutet doch Marktwirtschaft auch die Konkurrenz verschiedener Systeme. Ich wünsche mir, daß wir aus diesem Wettbewerb auch Erkenntnisse für die bestmögliche Versorgung von Patientinnen und Patienten gewinnen können.
Schließlich hat das Gesundheits-Strukturgesetz auch eine Reihe von Vorschriften zur Transparenz geschaffen. Es enthält Vorschriften, die mehr Licht in das Leistungsgeschehen bringen. Diese Transparenz ist erforderlich, um die begrenzten Ressourcen zweckmäßig einsetzen zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die am 1. Januar beginnende Umsetzung des Gesetzes wird von allen Beteiligten viel Einsatz und Energie erfordern. Wir fordern — sicherlich gemeinsam — alle, insbesondere diejenigen, die das Gesetz kritisch begleitet haben oder von seiner Fassung sogar enttäuscht sind, im Sinne guter demokratischer Tradition auf, an der Umsetzung konstruktiv mitzuwirken.
Für Koalition, Opposition und Länder darf die Sachkoalition von Lahnstein mit dem heutigen Tage nicht zu Ende gehen. Immer dort, wo uns Fehler unterlaufen sind — sicherlich wird es auch im „Kleingedruckten" den einen oder anderen Fehler geben — oder Leistungsanbieter uns mit neuen Umgehungsstrategien überraschen, müssen wir zügig und im Geiste von Lahnstein handeln. Ohne dem sehr geschätzten Abgeordneten Dreßler widersprechen zu wollen, wage ich die Behauptung: Die Beschlüsse von Lahnstein gelten nicht bis an das Ende aller Tage.

(Rudolf Dreßler [SPD]: Das ist wahr!)

Vielmehr müssen wir die Entwicklung in den kommenden Jahren sorgfältig beobachten und gegebenenfalls notwendige Reformschritte einleiten.

(Rudolf Dreßler [SPD]: Jawohl!)

Ein besonderes Problem könnte in der Zeit der Budgetierung das Phänomen der Patientenverschiebung sozusagen „zwischen den Töpfen" sein. Hier sehe ich durchaus eine Chance für die von uns in Lahnstein nicht durchgesetzten regionalen Gesundheitskonferenzen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Ach, das schon wieder!)

— Meine Damen und Herren, Sie brauchen sich als Bundespolitiker dann damit nicht persönlich zu beschäftigen. — Ich appelliere an meine Kolleginnen und Kollegen in den Ländern, regionale konzertierte Aktionen zwischen Krankenkassen, kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhausgesellschaften zu fördern, solange wir keine entsprechende gesetzliche Regelung haben. Es gilt, das Kästchendenken einzelner Leistungsanbieter zu überwinden und das Zusammenwirken zwischen den Beteiligten zu verbessern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Gesundheits-Strukturreform wird auch für die alten Menschen so lange Stückwerk bleiben, wie es nicht gelingt, das drängende Problem der Pflegeversicherung zu lösen. In einer Zeit, in der die moderne Medizin immer mehr Menschen ein höheres Lebensalter bei oft chronischer Krankheit und damit einhergehender Pflegebedürftigkeit beschert, brauchen wir eine differenzierte Angebotsstruktur. Wir dürfen nicht zulassen, daß alte Menschen über die Sozialhilfe zu Taschengeldempfängern werden. Deshalb gehört auch die Pflegeversicherung mit dem GesundheitsStrukturgesetz zusammen und müßte, da der Bundesregierung offenbar die politische Kraft fehlt, in einer neuen Sachkoalition geregelt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schließlich wird mit dem Gesundheits-Strukturgesetz das Spannungsverhältnis zwischen Bund und Ländern im Bereich der Krankenversicherung neu austariert, auch wenn sich viele Länder ein weitaus stärkeres Regionalprinzip gewünscht hätten. Im Bereich der Rentenversicherung ist ein solcher Kompromiß noch zu finden.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das ist der Hintersinn!)

Du siehst, lieber Rudolf Dreßler — und Sie merken es auch, meine sehr verehrten Damen und Herren —: Der Föderalismus bleibt eine spannende Veranstaltung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Warten wir es ab!)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212706600
Nun spricht der Herr Staatsminister für Soziales, Gesundheit und Familie des Freistaates Sachsen, Herr Dr. Hans Geisler.

Dr. Hans Geisler (CDU):
Rede ID: ID1212706700
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit habe ich die
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10955
Staatsminister Dr. Hans Geisler (Sachsen)

Ehre, vor diesem Hohen Haus zum GesundheitsStrukturgesetz zu sprechen. Vor gut einem Monat stand ich hier als Vertreter der neue Bundesländer und warb um Ihr Verständnis. Ich erhoffte mir Ihr Verständnis für die Notlage, in der sich die neuen Länder in bezug auf die überfällige Sanierung der ostdeutschen Krankenhäuser befinden.
Heute kann ich sagen, daß ich nicht nur Ihr Interesse, sondern auch Ihre Unterstützung gefunden habe. Der Bund wird sich im Rahmen des Gesundheits-Strukturgesetzes mit einer jährlichen Zuwendung von 700 Millionen DM über zehn Jahre, also mit 7 Milliarden DM, an der Finanzierung des investiven Nachholbedarfs in den neuen Ländern beteiligen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Mit einem Bleichhohen Anteil der Länder und einer finanziellen Einbeziehung der Krankenkassen wird es auf absehbare Zeit möglich sein, das Niveau der stationären Versorgung in den Krankenhäusern Brandenburgs, Mecklenburg-Vorpommerns, dem Ostteil Berlins, Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens an das westliche Niveau anzugleichen.
Ich möchte daher hier, an dieser Stelle, der Bundesregierung und vor allem Herrn Bundesminister Seehofer meinen herzlichen Dank aussprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Minister Seehofer hat sich dem sächsischen Anliegen im Zusammenhang mit den Investitionen im Krankenhausbereich von Anfang an nicht verschlossen.
Während der Lahnsteiner Parteiengespräche haben alle Verhandlungspartner die Forderung nach einer Unterstützung des Bundes im Bereich der Krankenhausfinanzierung zum Schwerpunkt der Gesundheits-Strukturreform erklärt. Sachsen hat mit seiner Initiative im Bundesrat zum Krankenhausfinanzierungsgesetz eine Vorreiterrolle eingenommen. Die übrigen neuen Länder haben sich dieser Forderung nach dem Start mehrheitlich angeschlossen. Daß auf der Zielgeraden das Anliegen nun auch von der Bundesregierung getragen wird, läßt die Hoffnung zur Wirklichkeit werden.
Gewinner sind nicht die neuen Länder. Gewinner sind in erster Linie die Bürger in Schwerin, Erfurt, Dresden und Magdeburg, um nur einige Orte zu nennen. Sie können mit berechtigter Hoffnung davon ausgehen, daß Zehn-Bett-Zimmer, die Waschschüssel auf dem Stuhl neben dem Bett, die defekten Heizungen oder gar die alten Lokomotiven auf dem Krankenhausgelände in Zukunft der Vergangenheit angehören. Mit veralteten Geräten und Kohlenstaub verschwindet ein Stück Vergangenheit, dem keiner nachtrauert.
Sehr verehrte Damen und Herren, meine Amtskollegen und ich wissen die Bereitschaft, trotz der insgesamt angespannten Haushaltslage zu helfen, hoch zu schätzen. Aus dem Programm „Aufschwung Ost 1991" sind die Krankenhäuser in Sachsen bereits 160 Millionen DM und Landesmittel von mindestens 600 Millionen DM, also eine dreiviertel Milliarde DM in einem Jahr, zur Verfügung gestellt worden. Mit
diesen Mitteln konnten schon wesentliche Verbesserungen im Krankenhausbereich erreicht werden. Wer sich jedoch einmal in einem Krankenhaus in einem der neuen Länder umgesehen hat, weiß, welch enormer Nachholbedarf hier noch besteht. Daß wir dieses Problem nun gemeinsam angehen wollen, erfüllt mich mit Freude und Zuversicht.
Ich verspreche Ihnen, daß der Freistaat Sachsen — sicher auch alle anderen Länder — seine Verpflichtung, einen mindestens ebenso hohen Anteil wie der Bund zusätzlich bereitzustellen, einhalten wird. Die Möglichkeit des Einsatzes privaten Kapitals soll genutzt werden. Dank der im Gesetz vorgesehenen dreifachen Gestaltungsmöglichkeit im Hinblick auf den Anteil, welchen die Krankenkassen einbringen, ist es jedem Land überlassen, die jeweils günstigste Finanzierungsform zu wählen. Ob die Krankenkassenbeteiligung zur Zahlung der Zinsen aufgenommener Darlehen, zur Beteiligung an privatwirtschaftlichen Modellen oder als Investitionszuschuß verwendet wird, mag jede Regierung selbst entscheiden, wichtig ist das Ergebnis. Daran, daß das Niveau in einem Bereich angeglichen wird, der die Menschen in den neuen Ländern unmittelbar und lebensnotwendig berührt, habe ich nunmehr keine Zweifel.
Als wichtig habe ich auch eine Angleichung der bisher unterschiedlichen Einkommensgrenzen in bezug auf die Härtefallregelung für Zuzahlungen bei Arzneimitteln empfunden.

(Dr. Walter Franz Altherr denn die Frau Kollegin Fischer? — Haben Sie das gehört?)

Viele Bürger in den neuen Ländern haben vor wenigen Tagen einen Bescheid bekommen, mit dem ihnen zum 1. Januar 1993 eine Mieterhöhung angekündigt wird. Die Lebenshaltungskosten sind nahezu gleich. Es war den Bürgern im Osten Deutschlands eben nicht verständlich, warum ein Alleinstehender im Westen, der brutto 1 400 DM verdient, seine Medikamente ohne Zuzahlung erhält, während ein Bewohner der neuen Länder bereits bei einem Bruttoeinkommen ab 841 DM zuzahlungspflichtig sein sollte.
Nun, da die Unterschiede in der Einkommensregelung mit dem Gesundheits-Strukturgesetz zum 1. Januar 1993 wegfallen werden, sind wir nicht nur der materiellen Gleichheit, sondern auch der inneren Einheit ein Stückchen nähergekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Angleichen wird sich auf Dauer auch die Situation der Leistungserbringer in Ost und West. Noch gibt es unterschiedliche Punktwerte, die den Freiberuflern in den neuen Ländern, die sich noch kein finanzielles Polster schaffen konnten, zur Zeit zu schaffen machen. Auch hier hat die Bundesregierung Verständnis bewiesen, indem sie z. B. zum degressiven Punktwert bei der Zahnarztleistung eine Ausnahmeregelung geschaffen hat, um der besonderen Aufbausituation gerecht zu werden.
Verständnis und Geduld erwarte ich nun meinerseits von unseren sächsischen Ärzten, Zahnärzten, Apothekern und sonstigen freiberuflichen Leistungs-
10956 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Staatsminister Dr. Hans Geisler (Sachsen)

erbringern. Sie sichern unsere medizinische Versorgung. Wir brauchen sie und sind stolz auf ihre bisherigen Leistungen, ihren Mut zur eigenen Niederlassung nach Jahrzehnten des Arbeitens als Angestellte ohne wirtschaftliches Risiko.
Aber auch Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden. Dafür, daß wir erst seit zwei Jahren wieder ein gemeinsames Deutschland haben, sind die baulichen Fortschritte schon recht beachtlich.
Meine Damen und Herren, besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Die zurückliegende Arbeit an diesem Gesundheits-Strukturgesetz hat mir bewiesen, daß wir auf dem Weg in die Normalität ohne Ost-West-Klassifizierung sind.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212706800
Nun hat die Kollegin Dr. Ursula Fischer das Wort.

Dr. Ursula Fischer (PDS/LL):
Rede ID: ID1212706900
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Über das Krankenhausinvestitionsgesetz für die neuen Bundesländer — so wie es vorliegt — bin ich natürlich genauso froh wie sehr viele andere, auch wenn ich mir vielleicht doch ein bißchen mehr erwartet hätte. Aber man muß natürlich dazusagen — ich will ja nicht unverschämt sein —: Es kam nicht von alleine. Es ist für mich ein Beispiel dafür, daß sich ausnahmsweise alle Abgeordneten aus dem Osten, auch alle Minister usw. dafür eingesetzt haben, daß ein § 13a eingeführt wird. Wir haben im Ausschuß lange genug darüber diskutiert. Der Weg dahin war nicht ganz kurz. Aber ich sah auch die Bereitwilligkeit, so etwas zu machen. Ich bin sehr froh, daß das gelungen ist.
Meine Damen und Herren, einige Worte zur Beantwortung der Frage: Warum ist unser Gesundheitswesen so teuer? — Ich sehe einen der Gründe darin, daß die gegenwärtigen Ausbildungsformen im universitären Bereich und die Arbeit in der medizinischen Praxis einseitig durch die kurative Medizin geprägt sind. Psychosoziale, rehabilitative und präventive Orientierungen sind noch immer unterentwickelt. Die Ausbildung der Studenten bewirkt eine Überbewertung von apparativer Diagnostik und Pharmakotherapie.
Im Ergebnis ist das Wissen über Methoden der Nachsorge und Langzeitbetreuung chronisch Kranker lückenhaft, und die Behandlungsstrategien werden weitgehend durch Arzneimitteleinsatz und Technisierung bestimmt. So werden Menschen auch krankgemacht.
Die von der Pharma- und medizintechnischen Industrie geforderte Fortbildung dient in hohem Maße der Produktwerbung

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das ist doch nichts Unsittliches!)

und verstärkt eher noch die genannten Kenntnis- und Handlungsdefizite.
Die Forderung der Berliner Ärztekammer nach mehr Ärztinnen und Ärzten für eine bessere Medizin — und nicht mehr Medizin — für die Bevölkerung teilen wir voll. Die heutigen Bedarfszahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung resultieren aus einem falschen Menschenbild der Medizin und einem technischen Selbstverständnis der ärztlichen Tätigkeit. Ein faktischer Niederlassungsstopp verschärft die Probleme in dieser Richtung und ist unzulässig. Unsere größte Aufmerksamkeit gilt gerade dem, was die Kassen und die Kassenärztliche Vereinigung machen und wie sie sich in diesem Bereich verhalten.
Meine Damen und Herren, bisher gibt es — jedenfalls, soweit ich es weiß — keine verläßlichen und fachlich begründeten Orientierungswerte für eine Verhältnisdefinition von Arzt und Einwohnerzahl. Die von den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gebrauchten Meßziffern sind willkürliche Fortschreibungen und der jeweiligen Interessenlage der Verbände unterworfen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Nein, Bedarfsrechnungen!)

Die Verhältniszahlen, mit denen das GesundheitsStrukturgesetz 1993 eine Überversorgung definieren möchte, schreiben eine qualitativ unzureichende kassenärztliche Versorgung fest. Ich betone „qualitativ" und meine nicht etwa „quantitativ"; darüber ist mit Sicherheit zu reden.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Woher wissen Sie das alles so genau? Das ist doch Froschperspektive!)

Es ist hier gesagt worden: Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Deswegen möchte ich an dieser Stelle noch ein paar Worte zur Budgetierung verlieren. Ich habe sehr lange über die Budgetierung nachgedacht

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wirklich?)

und meine: Sie ist gar nicht so schlecht, gerade im Hinblick darauf, daß sie eben eine besondere Maßnahme ist; ich bin dafür.
Allerdings muß ich an dieser Stelle auch Konsequenz in der Politik fordern. Denn: Besondere Maßnahmen sind nicht nur im Gesundheitswesen notwendig. Warum ändert man Rechtsvorschriften nicht auch auf anderen Gebieten?
Es wurde hier sehr viel über die Ärzte gesprochen, die jetzt als Unternehmer selbständig und frei tätig sind und nun mit der Budgetierung zurechtkommen müssen. Warum kann man diesen Weg nicht auch in der Industrie gehen und z. B. die Investitionsförderung im Osten für drei Jahre an die Finanzierungsquellen im Westen koppeln und insbesondere diejenigen, die aus der Einheit unwahrscheinlich hohe Gewinne erzielt haben, sozusagen für drei Jahre budgetieren, um dann diese Profite im sozialen Bereich einzusetzen?

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)

Das halte ich für eine Maßnahme, die man überdenken sollte. Wenn man hier an die Vernunft appelliert, gilt das natürlich auch für diesen Bereich; denn sonst besteht hier Ungleichbehandlung, und Chancen-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10957
Dr. Ursula Fischer
Bleichheit ist nicht gegeben. Deswegen spreche ich dafür.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Für Sie als Sozialistin ist das so!)

Noch ein Wort an meinen Kollegen Hoffacker, Er sprach über Bedarfszahlen und sagte u. a., daß die Erben von Praxen durch die Zulassungsausschüsse besondere Berücksichtigung fänden. Ich kann das natürlich verstehen, frage mich aber, was die Schlußfolgerung daraus sein wird, und stelle einmal ganz provokativ die Frage: Wieso eigentlich, wenn in dieser Gesellschaft nur die Leistung zählt? Dieser Grundsatz ist dann jedenfalls aufgehoben. Das wird dazu führen, daß Kinder von Ärzten — ich habe selber drei Kinder — bevorzugt studieren, die dann auch noch eine Garantie haben, anschließend eine Praxis zu eröffnen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht, Frau Kollegin!)

— Sie haben es jedenfalls wesentlich leichter, z. B. dadurch, daß sie ihre Praxis an ihrem bisherigen Wohnort führen können. Das wird in dieser Gesellschaft mit Sicherheit ein sehr wichtiger Punkt sein.
Um nicht nur zu kritisieren, meine Damen und Herren, möchte ich noch ein paar Vorschläge machen. Die Kritik soll ja nicht dazu dienen, im Prinzip nur zu meckern. Das haben Sie hoffentlich richtig verstanden. Da es darum geht, auch andere Denkansätze einzuführen, möchte ich folgendes vorschlagen:
Im ambulanten Bereich wäre aus meiner Sicht die Anwendung sinnvoller Honorierungsformen notwendig, die der spezifischen Art ärztlicher Tätigkeit und der ihr zugrunde liegenden Ethik eher entsprechen. Dadurch lassen sich natürlich auch nicht begründete Mengenausweitungen und qualitative Fehlsteuerungen vermeiden; das hängt nämlich zusammen. Es sollte mehr menschliche Zuwendung ermöglicht und so das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gefördert werden. Das ist einer der Punkte — die anderen sind im Entschließungsantrag nachzulesen —, die ich unbedingt herausheben möchte, weil ich denke, daß das Gesundheitswesen gerade wegen der gegenwärtigen Honorierungspraxis so teuer ist. Das haben alle meine Vorredner im Prinzip auch bestätigt.
Es liegt mir daran, noch einen anderen Vorschlag zu machen, nämlich die Arzneimittelwerbung in den Massenmedien und in der Öffentlichkeit einzustellen. Auch darauf sollten wir Einfluß nehmen, d. h. eben: keine Reisen nach Teneriffa usw.
Am Schluß meiner Rede möchte ich Sie noch auf einen Entschließungsantrag der PDS/Linke Liste hinweisen, der sich zwar nicht auf das Gesetz bezieht, aber der einen Vorschlag beinhaltet, über den wir auch nachdenken sollten, nämlich dafür Sorge zu tragen, daß die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel mindestens halbiert wird oder aber ganz entfällt, wie es in anderen europäischen Staaten auch der Fall ist. Wir sollten die Bundesregierung beauftragen, bis
Ende Januar nächsten Jahres entsprechend tätig zu werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das Geld fehlt dann für die neuen Länder!)

— Das kann ich mir nicht vorstellen. Es fehlt dort eben nicht, weil man das ja anders regeln kann. Das wissen Sie ganz genau. Das ist im Gesundheits-Strukturgesetz auch gemacht worden. Stichwort: besondere Maßnahmen.
Ich möchte Sie ferner bitten, einem weiteren Entschließungsantrag der Gruppe der PDS/Linke Liste zum Gesetzentwurf zuzustimmen. Es heißt dort:
Der Deutsche Bundestag anerkennt Unwägbarkeiten
— das ist ja zweifellos so —
bei der Umsetzung des Gesundheits-Strukturgesetzes. Zur präventiven Begleitung wird die Bundesregierung beauftragt, unter Leitung des Ministers für Gesundheit, Horst Seehofer, umgehend einen Runden Tisch zu bilden. Er sollte Vertreterinnen und Vertretern aller renommierten und — gerade im Zusammenhang mit der Einheit Deutschlands — neu entstandenen Verbände und Vereine ausreichend Platz bieten und verschiedene Betroffenengruppen nach Plan, aber bei Bedarf auch spontan anhören und befragen.
So könnte man sofort politisch reagieren.
Meine Damen und Herren, bei all dem Gehörten kann ich Ihnen nur empfehlen, sich sehr gründlich zu überlegen, ob Sie diesem Gesetz in der vorliegenden Form zustimmen; denn es ist nur ein weiteres Kapitel der Geschichte von einem oder von mehreren, die auszogen, um die begrenzten Mittel im Gesundheitswesen gerecht zu verteilen.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212707000
Als nächster hat der Kollege Ortwin Lowack das Wort.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1212707100
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag! Meine Damen und Herren! „Sind wir noch zu retten? — Deutschland auf dem Weg in die Staatsmedizin" lautet die Überschrift der letzten Ausgabe des Frankfurter Instituts. Es fährt fort: „Ist die Politik nur ein anderes Wort für die Unfähigkeit, zu lernen? Was dem Deutschen Bundestag jetzt in Form des Entwurfs eines Gesundheits-Strukturgesetzes zur Rettung unseres Gesundheitswesen vorgelegt wurde, drängt einmal mehr diesen Schluß auf. Dieses Gesetz ist — genauso wie seine fruchtlosen Vorläufer — ein Teil der Krankheit selbst, die es zu heilen vorgibt. " Ich darf auf diese Vorlage Bezug nehmen, weil ich nur sehr kurze Zeit zu reden habe.
Was für mich die Situation besonders schlimm macht, ist, daß es ausgerechnet ein Gesundheitsminister der CSU ist, der von selbständiger, von freiberuflicher Arbeit keine Ahnung hat, der das Risiko, oft mit Tag- und Nachtarbeit auch dafür aufzukommen, daß regelmäßig Gehälter bezahlt werden und Arbeitskräfte eingestellt werden, nicht beurteilen kann, der
10958 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Ortwin Lowack
das Doppelte von dem verdient, was er diesen Berufsgruppen vorwirft,

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Billige Polemik! Ganz billig!)

und sich zum Richter über deren Einkommen erhebt, leider mit einer gewissen Polemik und auch einer gewissen Demagogie. — Lieber Kollege, das Problem draußen besteht ja nun gerade darin, daß die Leute sagen: Wir wissen, warum wir das verdienen, aber über uns sitzen Leute zu Gericht, die das nicht wissen.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie machen sich das zu eigen und polemisieren hier herum!)

Ich stelle fest: Es ist leider ein Angriff auf einen Berufsstand, auf einen der letzten freien Berufe, der hier als Sündenbock für eine Entwicklung hingestellt wird, für die er im Grunde genommen am wenigsten kann. Ich bedaure, daß das auf einen Zustand in der Union hinweist, der weit von ihrem früheren Ausgangspunkt als einer Partei des Mittelstandes, der Marktwirtschaft, des Unternehmertums und dabei auch der freien Berufe entfernt ist.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ich behaupte, Sie wissen nicht, was im Gesetz steht! Sie haben es überhaupt nicht gelesen!)

Daß der sozialistische Mief die CSU, meine alte Partei, erfaßt hat, kann ich nur bedauern. Aber wo ist die CDU, wo ist vor allen Dingen die F.D.P.? Dr. Thomae hat ja vorhin sehr klare und kritische Worte gesagt. Aber dann müßte seine Partei auch den Mut haben, zu sagen, daß sie eine andere Konsequenz zieht als die, die sie bisher angedeutet hat.
Da ist mir die SPD viel lieber. Die SPD ist glaubwürdiger; sie hat sich ja weitgehend durchgesetzt. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, Sie werden sich noch wundern; denn der Bürger wird das natürlich auch merken. Er wird sagen: Die sagen wenigstens, was sie später tun. In bezug auf die Union hat der Bürger den Eindruck, sie sei für etwas ganz anderes gewählt als für das, was sie tut.
Merken Sie nicht, daß Sie nicht nur dabei sind, die Freiberufler als Teil der Selbständigen und als Teil des Mittelstandes, der das Rückgrat unserer Wirtschaft ist, aus den Parlamenten zu vertreiben, sondern daß Sie auch beginnen, sich heute in einer Art und Weise auf das Selbstverständnis der Freiberufler einzulassen, die nichts Gutes für die Zukunft verheißt? Merken Sie nicht, daß Sie, statt die Vernunft und den Willen zu selbständigem Denken und Handeln der Bürger anzusprechen und zu fördern, die Menschen immer mehr zur Unmündigkeit erziehen wollen?

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nennen Sie mal ein Beispiel!)

Bleibt nicht die Gerechtigkeit auf der Strecke, wenn man sich vor allen Dingen eine Berufsgruppe heraussucht und sie besonders belastet angesichts von Entwicklungen, für die sie eben nicht das Hauptverschulden — wenn sie überhaupt ein Verschulden hat — trifft?
Die Politik hat sich immer mehr zum „Staat im Staate" entwickelt. Wer das nicht spürt, der hat offenbar den Kontakt zu den Menschen draußen verloren. Die Bundesregierung selbst ist zwischenzeitlich zum größten Problem draußen geworden. Übrigens zeichnet sich nach Auffassung vieler mit dieser Entwicklung vielleicht sogar ein Ende der Parteiendemokratie oder der Demokratie in Deutschland ab. Aber typisch für diese Situation ist: Man läßt sich leider zur Lösung eines Problems für den Augenblick nach dem Motto hinreißen: Prügel für wenige — hier vor allem für die Ärzte und Apotheker — und angeblicher Schutz einer Mehrheit von Wählern, die darauf hereinfallen sollen oder damit gehalten werden sollen, gleichgültig wie ungerecht, unfair, existenzvernichtend und unwirksam das auch sein mag.
Ich denke vor allen Dingen an viele junge Ärzte, die ihre Praxen unter ganz großen Risiken aufgebaut haben und die trotz aller Sonderregelungen, die in das Gesetz aufgenommen werden sollen, auf einmal feststellen müssen, daß sie offenbar in eine völlig falsche Zukunft — von einer teuren Ausbildung bis hin zu einem teuren Praxisaufbau — investiert haben.
Ich frage Sie: Ist die Kostenexplosion im Gesundheitswesen nicht vor allem auch ein Spiegel der Suggestionen, die oft genug sogar im politischen Raum ausgelöst wurden und die sich oft genug aus märchenhaften Angeboten der Versicherer ergeben haben? Wie und wann wurden sie eigentlich von der Politik bekämpft? Wer hat den gesetzlichen Versicherern Aufgaben übertragen, wer hat sie mit Aufgaben überfrachtet, die sie gar nicht erfüllen können? Wer hat sie konkurrenzunfähig gemacht, und wer hat sie in eine Situation geführt, die zu völlig falschen gesetzgeberischen Schlüssen führte?

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nennen Sie einmal Beispiele!)

Ist die Kostenexplosion im Gesundheitswesen nicht eher das Spiegelbild einer mehr und mehr krankhaften Gesellschaft, deren Grundlage längst eine kranke Politik ist? Diese Gesellschaft braucht mehr Freiheit und Selbstverantwortung. Sie braucht nicht noch mehr Dirigismus, Bürokratie und Abhängigkeit. Sie braucht mehr Selbständige, mehr sozial verantwortliches Denken und Unternehmertum, nicht noch mehr Gängelung, Strangulierung und Leistungshemmnisse.

(Hermann Rind [F.D.P.]: Und mehr Krankenkassenbeiträge!)

Wir wollen eine soziale, wertschöpfungsfreundliche und damit erfolgreiche Gesellschaft in Deutschland, aber keine sozialistische und leistungsfeindliche, die vieles verspricht, aber nichts hält und langfristig allen, besonders dem kleinen Mann, unendlich schadet.
Ich lehne deshalb diesen Gesetzentwurf ab.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Kein einziger Sachbeitrag! Alles wohlfeile Phrasen! — Wolfang Zöller [CDU/CSU]: Fraktionslos — konzeptionslos!)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212707200
Als nächstes spricht die Kollegin Regina Schmidt-Zadel.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10959

Regina Schmidt-Zadel (SPD):
Rede ID: ID1212707300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lowack, der SPD tut Ihr Lob gut. Wir sind sehr erfreut darüber.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da wäre ich vorsichtig!)

Aber den Gesetzentwurf scheinen Sie nicht gelesen zu haben. Sonst hätten Sie die Gesundbeterei gelassen. Sie nützt ja nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Meine Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute in abschließender Lesung das Gesundheits-Strukturgesetz 1993 beraten, so geschieht das nur vier Jahre nach der Verabschiedung der Gesundheitsreform von 1988. Viele der Vorrednerinnen und Vorredner haben darauf hingewiesen. Die Reform, auf die der damalige Gesundheitsminister Blüm so stolz war, wurde als Jahrhundertreform des Gesundheitswesens gefeiert. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie geben mir doch zu:

(Bernhard Jagoda [CDU/CSU]: Sie leben nicht so lange, um das beweisen zu können! Das ist der Punkt!)

Das war ein recht kümmerliches Jahrhundert.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Tausend Jahre waren schon einmal zwölf Jahre!)

Ihre olympische Reformleistung von damals hatte nur vier Jahre Bestand. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben Ihnen schon damals für diese Reform das Recht auf eine Medaille abgesprochen. Wir haben darauf hingewiesen, daß es nicht Gold war, was da scheinbar glänzte.
Die Notwendigkeit, nach nur vier Jahren eine Reform nachzuschieben, bringt uns jetzt den Beweis: Ihre Leistung von 1988 hatte nicht einmal Bronze verdient. Indes: Sie haben sich als faire Verlierer gezeigt. Ihre Bereitschaft, bei dieser Reform den Sachverstand der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einzuholen und zu suchen, verdient Anerkennung.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Wir wollten Ihnen etwas Gutes tun!)

— Sie wollten uns etwas Gutes tun, und ich bescheinige Ihnen ausdrücklich Lernfähigkeit, meine Damen und Herren.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Was man wiederum von euch nicht immer behaupten kann!)

Auch wenn die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ihren Teil dazu beigetragen haben, so denke ich, daß der vorliegende Gesetzentwurf, eine Mannschaftsleistung —um bei dieser Metapher zu bleiben —, endlich das Ziel erreicht, das schon 1988 Ziel sein sollte und uns in vier Jahren gemeinsam eine Medaille beschert, ich hoffe: eine goldene.
Bei der gerechten Verteilung der Lasten hat es in der Vergangenheit oft gehapert. Alle bisherigen Versuche, die Gesundheitskosten in den Griff zu bekommen, sind einseitig zu Lasten der Versicherten, vor allem der chronisch Kranken, der Alten und der
Behinderten, erfolgt. Während die Interessenverbände von Ärzten, Apothekern und Pharmaindustrie ihren Einfluß geschickt nutzten, um den notwendigen Sparbeitrag ihrer Klientel entweder auf ein Minimum zu reduzieren oder ganz abzuwenden, wurde bei den Versicherten ungeniert abkassiert.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Na, na, na!)

— So ist es nun einmal gewesen.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Jetzt sind Sie in Ihre 88er Rede zurückgefallen!)

Mein Kollege Rudolf Dreßler hat heute morgen einen früheren Bundeskanzler zitiert. Ich möchte ein Wort des früheren Bundeskanzlers Erhard aufgreifen.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihr habt heute gute Vorbilder! — Bernhard Jagoda [CDU/ CSU]: Ihr müßte dem nacheifern, was die gesagt haben!)

— Hören Sie gut, Herr Jagoda! Vielleicht ist das sogar nachgeeifert. Erhard hat gesagt: Eine Reform ist mit der Kunst zu vergleichen, einen Kuchen so zu teilen, daß jeder glaubt, er hat das größere Stück bekommen. — Vielen ist es heute so gegangen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: „Es gab weder Sieger noch Besiegte", hat Herr Dreßler gesagt!)

Unser Stück Kuchen, auf das wir stolz sind, will ich einmal vorstellen. — Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind.

(Bernhard Jagoda [CDU/CSU]: Überhaupt nicht!)

Denn das muß auch einmal gesagt werden.
Ich will zunächst auf die vorgesehene Krankenhauszuzahlung verweisen. Minister Seehofer hatte im ursprünglichen Entwurf ein Tagegeld für jeden Krankenhaustag und ohne Härtefallregelung vorgesehen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das wäre logisch konsequent gewesen!)

— Das wäre logisch konsequent, aber mit uns nicht machbar gewesen, Herr Kollege.

(Beifall des Abg. Rudolf Dreßler [SPD] — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Eine Härtefallregelung hätten wir gemacht!)

Der neue Gesetzentwurf sieht vor, daß die ersten 14 Tage zuzahlungspflichtig sind und nicht, wie es ursprünglich geplant war, 365 Tage im Jahr.
Der nun vorgesehene Gesetzeskompromiß ist von dem Bemühen getragen, die ungerechte, unsoziale und unsolidarische Verteilung der Sparbeträge zu vermeiden.

(Beifall bei der SPD)

Die Bedeutung dieses Gesetzeskompromisses liegt nicht nur darin, daß längst überfällige Strukturveränderungen in die Wege geleitet werden. Herr Dreßler hat darauf hingewiesen. Es ist auch gelungen —
10960 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Regina Schmidt-Zadel
ich möchte das an dieser Stelle besonders hervorheben —, wirklich alle am Gesundheitswesen Beteiligten in die Pflicht zu nehmen. Die harten Auseinandersetzungen mit den Interessenverbänden — hierüber haben Herr Dreßler und auch der Minister heute Zitate gebracht, die wirklich zu denken geben —, die ihr Wehgeschrei oft bis zur Unerträglichkeit anstimmten, sind ein Beleg dafür, daß diesmal auch von den Leistungsanbietern echte Einschnitte verlangt werden.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Leistungserbringer! Nicht -anbieter!)

In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Flugblatt einer Apotheke hinweisen, das mir in den letzten Tagen auf den Tisch geflattert ist. Ich finde das schlimm. Es heißt dort:
Was wird billiger — nichts! Was wird teurer —alles. ... Besonders teuer wird das für Sie, wenn Sie regelmäßig notwendige und hochpreisige Medikamente brauchen, wie z. B. gegen Zukkerkrankheit, Herz-Kreislauf-Beschwerden ... usw.
Was der Höhepunkt ist:
Viele Patienten werden sich deswegen sicherlich noch vor Jahresende mit ihren Medikamenten versorgen.
Es kann daher spätestens Ende Dezember zu Lieferengpässen kommen, weiterhin haben einige Arztpraxen zwischen den Feiertagen geschlossen.
Wenn das keine schlimme Sache ist, dann weiß ich nicht mehr, was wir hier dazu sagen sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der F.D.P.)

Gleichwohl haben auch die Versicherten diesmal manch bittere Pille zu schlucken. Es liegt in der Natur der Kompromisse — ich habe darauf hingewiesen —, daß nicht alle eigenen Vorstellungen umgesetzt werden können. Es gibt einige Aspekte, vor allem bei der Ausweitung der Zuzahlung bei Medikamenten, die mir noch immer Bauchschmerzen bereiten. Die künftige Einbeziehung aller Arzneimittel in die Zusatzregelung bringt für die Versicherten — das darf man nicht verschweigen — zusätzliche finanzielle Belastungen.
Den ausgehandelten Gesetzeskompromiß halte ich in diesen Punkten dennoch für tragbar, weil die von der Bundesregierung vorgesehene Beteiligung von 10 % des Medikamentenpreises vom Tisch ist und die ab 1994 eingeführte mengenorientierte Zuzahlung gleichzeitig ein wichtiges Steuerungselement ist,

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Was in dieser Staffelung unwirksam bleiben muß!)

um die ungeheuren und teuren Berge an Arzneimittelmüll endlich wirksam abzubauen. Gerade an diesem Punkt lassen sich die Probleme im Gesundheitswesen exemplarisch darlegen. Hier wird besonders deutlich, welchen Anteil die einzelnen Beteiligten am Zustandekommen der Kostenexplosion haben.
Der Bundesverband der Ortskrankenkassen hat in seinem Arzneimittelreport 1992 eindrucksvolle Zahlen genannt. Im vergangenen Jahr haben die Krankenkassen für Medikamente 24,4 Milliarden DM ausgegeben. Davon gingen 6,1 Milliarden DM für solche Medikamente weg, deren Wirkung als gering oder umstritten gilt oder galt. 6,1 Milliarden DM, das ist genau ein Viertel der Medikamentendkosten für Mittel mit mehr als zweifelhaftem Nutzen. Ich denke, das darf man so sagen.
Gleichzeitig wanderten 4 000 Tonnen Arzneimittel auf den Sondermüll. Die AOK Essen hat in einer repräsentativen Untersuchung festgestellt, daß allein in dieser Stadt 60 t Medikamente weggeworfen werden. Das sind 15 Millionen ungeöffnete und 25 Millionen halbvolle Packungen in einer einzigen Großstadt. In diesen Müllbergen waren nach Auskunft der Fachleute die umstrittenen Arzneimittel überproportional vertreten.
Die Pharmaindustrie, Ärzte und Apotheker versuchen nun angesichts dieser Zahlen, durch entsprechende Kampagnen der Öffentlichkeit die Ursache für diese gigantische Verschwendung zu verkaufen. Beipackzettel heißt das Zauberwort, das mir in den letzten Wochen immer entgegenschlägt.
Die Patienten, so ihre gewagte These, verstünden das Fachchinesisch nicht, erschreckten vor den aufgeführten Nebenwirkungen und Gegenanzeigen und schmissen die Medikamente deshalb verunsichert auf den Müll.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Daran sind die Juristen schuld!)

Von Selbstkritik keine Spur; kein Wort über das Verschreibungsverhalten vieler Ärzte, die Medikamente oft wie Freibier verteilen,

(Klaus Kirschner [SPD]: Freibier gibt's weniger!)

kein Wort über die Packungsgrößen, die oft so dimensioniert sind, als sei jede Krankheit chronisch und als hätte die Hausapotheke die Ausmaße eines mittleren Warenlagers. Daß die Apotheken an größeren Pakkungseinheiten mehr verdienen als an kleinen, findet natürlich ebenfalls keine Erwähnung. Nein, schuld an den Müllbergen sind die Politik, die Beipackzettel mit angeblichen Horrortexten und die Patienten, die sich verunsichern lassen, aber nicht die, die eigentlich dafür verantwortlich sind.
Der vorliegende Gesetzentwurf setzt hier wirksam den Hebel an. Ein einzusetzendes unabhängiges Arzneimittelinstitut wird eine Positivliste erarbeiten, die den Dschungel von über 70 000 Medikamenten auf die wirkungsgleichen und umstrittenen Mittel hin durchforstet.
Die Zuzahlung der Versicherten wird ab 1994 an die Packungsgröße gekoppelt. Härtefall- und Überforderungsklauseln schützen diese Patienten vor übermäßiger Belastung durch die höhere Zuzahlung bei den Großpackungen.
Ich will auf die anderen Punkte des Gesetzes nicht mehr weiter eingehen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10961

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212707400
Das ist auch nicht möglich, Frau Kollegin, weil Sie nämlich am Ende Ihrer Redezeit angelangt sind.

Regina Schmidt-Zadel (SPD):
Rede ID: ID1212707500
Ich weiß. — Es ist gut, daß jetzt endlich Maßnahmen ergriffen werden sollen. Wir sind dabei.
Wir sollten diesem Gesetzentwurf heute alle zustimmen.
Danke.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Bruno Menzel [F.D.P.])


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212707600
Nun spricht der Kollege Wolfgang Zöller.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Weißblau!)


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1212707700
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, unser Gesundheitswesen nimmt im weltweiten Vergleich eine Spitzenstellung ein. Im Inland wie im Ausland wird das hohe Niveau unseres Gesundheitswesens uneingeschränkt anerkannt. Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung deckt nicht nur den medizinischen Bedarf oder Einkommensausfälle bei Krankheit ab. Prävention, Rehabilitation und Leistungen bei Pflege erkrankter Kinder gehören heute zum selbstverständlichen Bestandteil des Krankenversicherungsschutzes. Dieses imponierende Sicherungssystem hat eine entscheidende Bewährungsprobe zu bestehen. Ein Anstieg der Leistungsausgaben, der doppelt so hoch ausfällt wie die Steigerungen der beitragspflichtigen Einnahmen, zwingt uns alle zum Handeln.
Wenn die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen ein Einsparvolumen von über 10 Milliarden DM erzielen, von dem mit über 8 Milliarden DM die Leistungserbringer den Löwenanteil tragen, so entlasten wir damit nicht nur Versicherte und Arbeitgeber, sondern auch und gerade die Kranken, die als Beitragszahler unter Einbeziehung der sie im übrigen treffenden Lasten wie Zuzahlung mehrfach betroffen sind.
Die Versicherten haben im Zuge des Gesundheitsreformgesetzes bereits 1989 mit den sich für sie aus diesem Gesetz ergebenden Zuzahlungen bereits eine beträchtliche Vorleistung erbracht. Es liegt deshalb durchaus im Rahmen eines ausgewogenen Konsolidierungskonzepts, daß die Belastungen der Versicherten mit dem Lahnsteiner Konsens gemildert wurden. Niemand konnte jedoch aus der Verantwortung entlassen werden.
Das Ergebnis der Reformbemühungen kommt letztlich allen Beteiligten zugute, allerdings besonders unseren Versicherten. Sie erhalten nämlich auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung zu bezahlbaren Beiträgen, unabhängig von ihrer finanziellen Situation.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Walter Altherr [CDU/CSU])

Denn in den nächsten Jahren sollen die Versicherten
nicht mehr von Jahr zu Jahr infolge steigender Beitragssätze belastet werden. Ein Beitragssatzprozentpunkt trifft die Versicherten bundesweit mit 7 Milliarden DM. Demgegenüber hält sich unser Reformbeitrag von 2,5 Milliarden DM in einen sozialverträglichen, maßvollen Rahmen.
Die bewährten Härtefallregelungen bleiben bestehen. Sie stellen sicher, daß niemand finanziell überfordert wird und daß auch chronisch kranke Menschen und Bezieher niedriger Einkommen nicht unzumutbar belastet werden. Nach der sogenannten Härtefallklausel bleiben Alleinstehende bis zu einer monatlichen Einkommensgrenze von 1 484 DM mit Ausnahme der Zuzahlung im Krankenhaus von allen zusätzlichen Zuzahlungen befreit. Für den Ehepartner erhöht sich diese Einkommensgrenze zusätzlich um 556,50 DM und für jedes Kind um 371 DM.
Nach der sogenannten Überforderungsklausel sind Fahrkosten und Zuzahlungen zu Arznei-, Verbandsund Heilmitteln bis zu einem Bruttoeinkommen von 64 800 DM auf maximal 2 % dieser Einnahmen begrenzt. Erst bei höheren Einkünften liegt diese Grenze bei 4 %. Für jeden Familienangehörigen wird ein zusätzlicher Freibetrag berücksichtigt. Er beträgt im kommenden Jahr für den ersten Angehörigen 6 678 DM und für jeden weiteren Angehörigen 4 452 DM jährlich.
Wir haben auch erneut geprüft, ob eine Sonderregelung für chronisch Kranke möglich ist. Dabei hat sich jedoch bestätigt, daß die Konkretisierung von Krankheiten, die als chronisch anzusehen sind, auf kaum überwindbare Schwierigkeiten stoßen würde.
Deshalb wird die Sozialverträglichkeit der Zuzahlung weiterhin durch die Härtefallregelungen gewährleistet werden, wobei die Zuzahlungsobergrenze der Überforderungsklausel vor allem chronisch Kranke schützt. Dadurch, daß die Zuzahlung z. B. für Arzneimittel und Fahrkosten insgesamt auf maximal 2 % oder 4 % begrenzt ist, wird die Belastung von Kranken, die regelmäßig Medikamente brauchen oder denen regelmäßig Fahrkosten entstehen, nicht höher sein als in der Vergangenheit. Die höhere Arzneimittelzuzahlung bewirkt lediglich, daß die Zuzahlungsobergrenze früher erreicht sein wird. Um zu verhindern, daß der Kranke bis zum Jahresende zuzahlt, obwohl die Obergrenze schon überschritten ist, können die Krankenkassen wie bisher Zuzahlungsbefreiungsbescheinigungen ausstellen.
Eine besondere Zuzahlungsobergrenze gibt es für den Zahnersatz. Hier wird die maximale Zuzahlung auf das Dreifache des Betrags begrenzt, um den das Bruttoeinkommen die Härtefallgrenze überschreitet. Ein konkretes Beispiel: Verdient jemand 100 DM mehr als den Grenzbetrag, muß er maximal 300 DM zahlen; verdient er 1 000 DM mehr, kann er mit bis zu 3 000 DM herangezogen werden.
Die Härtefallregelungen sind insgesamt familienfreundlich, wenn man noch berücksichtigt, daß Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr von der Zuzahlung für Arznei-, Heil-, Verbandsmittel sowie der Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalten und stationären Kuren ganz befreit sind.
Lassen Sie mich also für diesen Bereich zusammenfassend feststellen: Mit dem Gesundheits-Strukturge-
10962 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Wolfgang Zöller
setz 1993 wird eine Konsolidierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherungen erreicht werden, ohne die sozialen Schutzmechanismen unseres Krankenversicherungsrechts anzutasten.

(Beifall des Abg. Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU])

Nicht übersehen werden sollte dabei auch, daß wir mit dem Gesundheits-Strukturgesetz eine Reihe von Leistungsverbesserungen einführen. Ich möchte hierfür stichwortartig einige Beispiele nennen: eine wesentlich stärkere Gewichtung der Prävention; Übernahme der Fahrkosten oberhalb von 20 DM bei Fahrten zu ambulanten Behandlungen, wenn dadurch stationäre Krankenhausaufenthalte vermieden werden können; Förderung von Selbsthilfegruppen und Kontaktstellen durch die Krankenkassen über Zuschüsse; Kostenübernahme bei Auslandsreisen, wenn der Abschluß einer Auslandsreisekrankenversicherung nicht möglich ist — dies hilft z. B. ganz besonders den Dialysepatienten, die bisher keine Möglichkeit hatten —; weiterhin Verbesserung der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe und Ausweitung der Individualprophylaxe; Gewährleistungsfrist von zwei Jahren für Füllungen und für Zahnersatzleistungen. Chronisch Erkrankten kommt besonders entgegen, daß Harn- und Blutteststreifen zuzahlungsfrei sind.
Die Krankenversichertenkarte ersetzt ab 1995 den Krankenschein. Das bedeutet natürlich, daß die Versicherten dann auch um so schneller Informationen über die von ihnen verursachten Kosten anfordern können. Auf die ursprünglich vorgesehene obligatorische Information aller Versicherten durch die Krankenkassen und kassenärztlichen und kassenzahnärztlichen Vereinigungen wird aus Kostengründen, insbesondere der hohen Portokosten wegen, verzichtet.
Trotz des Zwangs zum Sparen haben wir uns der Notwendigkeit struktureller und qualitativer Verbesserungen nicht verschlossen. Es ist uns auch gelungen, berechtigten Interessen des Handwerks und des Mittelstands Rechnung zu tragen.
Gestatten Sie mir einige Ausführungen zu den Zahntechnikern: Hier wurden die Vergütungsabsenkungen für zahntechnische Leistungen nicht, wie ursprünglich vorgesehen, um 10 % auf der Basis von 1991 für die Jahre 1993 bis 1995 festgelegt, sondern als einmalige Absenkung für das Jahr 1993 um 5 % auf der Basis von 1992, und ab dem Jahr 1994 kommt bereits wieder die Vergütungsanpassung zum Tragen.
Zum Schutz der gewerblichen Laboratorien müssen Praxislaboratorien mindestens um 5 % unter den Preisen der Handwerkslaboratorien bleiben. Der Zahnarzt muß künftig dem Zahntechniker bei Auftragsvergabe den Status des Versicherten mitteilen. Die Vergütungsvereinbarungen sind nicht auf Bundesebene, sondern wie bisher weiterhin auf Landesebene zu schließen. Die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen wird u. a. um einen Vertreter der Gesundheitshandwerker erweitert. Bei der Festlegung von Qualitätskriterien für Zahnersatz wird der Bundesinnungsverband der Zahntechniker direkter als bisher beteiligt.
Mit diesen Maßnahmen konnten zum Teil die berechtigten Forderungen des Handwerks berücksichtigt werden, und nach meiner Überzeugung wird hiermit das Zahntechnikerhandwerk in die Lage versetzt, auch in Zukunft qualitativ gute Arbeit zu angemessenen Preisen zu leisten.
Gestatten Sie mir, daß ich auch aus bayerischer Sicht auf zwei Punkte im Krankenhaus kurz eingehe, die uns besonders am Herzen lagen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Viel Glück! Es gibt ein Problem dabei!)

— Es gibt etliche, die dabei ihre Probleme haben; ich weiß.
Zunächst können wir mit Freude feststellen, daß, wenn auch erst gegen Abschluß der Beratungen im Gesundheitsausschuß, erreicht wurde, daß die nicht beeinflußbaren Personalmehrkosten, die im Gesamtzeitraum von 1993 bis 1995 den Anstieg der Grundlohnsumme übersteigen, nicht nur in Höhe der linearen BAT-Steigerungen, sondern auch infolge struktureller Tarifänderungen anzuerkennen sind.
Durch eine Ergänzung des Gesetzentwurfs wurde auf unsere Initiative festgelegt, daß auch beim Abschluß von Versorgungsverträgen der Krankenkassen mit Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen eine Bedarfsprüfung erforderlich und daß Einvernehmen mit der Krankenhausplanungsbehörde anzustreben ist, da sich gerade in diesem Bereich gezeigt hat, daß die monistische Finanzierung nicht automatisch das bessere Konzept ist. Hier haben die Krankenkassen von ihrer Möglichkeit, Überkapazitäten in eigener Verantwortung zu verhindern, kaum Gebrauch gemacht. Unsere Aufgabe wird es daher sein, darauf zu achten, daß die Steuerungsmöglichkeiten durch die Selbstverwaltung voll im Sinne des Gesetzes genutzt und umgesetzt werden.
Lassen Sie mich zum Schluß an alle am Gesundheitswesen Beteiligten appellieren, angefangen von den Versicherten und den Krankenkassen über die Ärzte bis hin zur Pharmaindustrie: Verwenden wir unser Gehirnschmalz nicht für Überlegungen, wie man Regelungen umgehen kann, sondern für Gedanken darüber, wie jeder seinen Beitrag dazu leistet, daß auch in Zukunft eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau zu vertretbaren Kosten gewährleistet werden kann.
Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212707800
Nun spricht der Kollege Martin Pfaff.

Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1212707900
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lahnstein und dieses Gesetz; sie werden sicher als Wasserscheide in die Geschichte der Gesundheitspolitik Deutschlands zumindest nach dem Zweiten Weltkrieg eingehen. Lahnstein und dieses Gesetz — so meine ich — sind mehr ein Sieg der gesundheitspolitischen Vernunft denn ein Sieg einzelner Parteien; sie sind die Konsequenz von Notwendigkeiten, aber auch die Konse-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10963
Dr. Martin Pfaff
quenz von Einsichten, die — ich meine, zu Recht — über Parteigrenzen hinweg gewonnen worden sind.
Deshalb möchte ich die mir verbleibende Zeit nach einer kurzen Würdigung der Verbesserungen mehr auf die Zukunft, auf die Umsetzung verwenden und fragen: Was müssen wir Parlamentarier ganz besonders beachten, wenn es jetzt darum geht, den Geist von Lahnstein und den Inhalt dieses Gesetzes praktisch zur Geltung zu bringen?
Ich würde aber meiner Auffassung über die Aufgabe des Parlamentariers, vor allem in der Opposition, auch als Mahner aufzutreten, nicht ganz gerecht werden, wenn ich nicht eine ganz kurze Würdigung — dies vor allem an Sie, Herr Bundesminister — vornähme.
Ich hatte hier ja beim letztenmal über die natürlich nicht wörtlich gemeinten Todsünden des Sozialpolitikers Seehofer, die Unterlassungssünden, die klassischen Marterwerkzeuge und die diskussionswürdigen Strukturmaßnahmen gesprochen. Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit sagen, daß sich die Todsünden in der Tat sehr reduziert haben. Daß die Unterscheidung zwischen Regelleistungen und Wahlleistungen passé ist, begrüße ich außerordentlich. Wenn selbst ein Journalist wie Herr Kannengießer in einem anderweit nicht besonders lesenswerten Beitrag sagt, die Unterscheidung zwischen Wahlleistungen und Regelleistungen sei politisch mausetot, dann möchte ich dem natürlich zustimmen.
Aber wenn dann Sie, Herr Bundesminister, dies als die große Hoffnung für die weiteren Reformen in diesem Jahrzehnt bezeichnen, dann kommt doch ein klein wenig Enttäuschung auf; denn wenn die soziale Qualität unseres Systems so ist, wie Sie sie ja zu Recht hier geschildert haben, warum müssen wir dann bei wachsenden Volkseinkommen — bei allen Problemen, die wir in den 90er Jahren haben werden — in einem solchen Weg die Zukunft suchen? Da möchte ich Sie doch herzlich bitten, woanders Reformbedarf anzumelden.
Lieber Dieter Thomae, die Kostenerstattung würde ich nicht so sehr feiern. Ich möchte mit dir die Vereinbarung treffen, die realen Konsequenzen der Kostenerstattung zu beobachten, die jetzt bei freiwillig Versicherten eingetreten ist. Wenn kein Unterlaufen der Kontrollfunktion, wenn keine Tendenz hin zur Ausweitung der variablen Zuzahlung erfolgt, dann bin ich in Zukunft eher bereit, über dieses Thema zu sprechen.
Der dritte Punkt: Sorgen wir doch dafür, daß die Festbetragsregelung wirklich zügig umgesetzt wird; denn sie soll ja eine preissteuernde Wirkung haben.
Auch die Unterlassungssünden des Herrn Ministers haben sich drastisch reduziert. Wir haben jetzt eine Reform im ambulanten Bereich, eine Reform des Vergütungssystems. Die Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung ist Teil dieses Pakets, und das mit Recht. Wir haben eine bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Betreuung. Die Liste könnte fortgesetzt werden. Die klassischen Marterwerkzeuge wurden reduziert, leider
nicht so weit, wie ich es mir wünschen würde. Ich kündige heute — wiederum für die Zukunft — an:

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber jetzt nicht drohen!)

Sobald es in meiner Macht sein wird, zu raten, zu mahnen, müssen auch die letzten Zuzahlungen aus dem Krankenhausbereich herauskommen.
Jetzt komme ich zur Umsetzung. Es wäre ein Fehler anzunehmen, daß mit dem heutigen Gesetz die Probleme für uns gelöst sind. Nein, ich sehe vor allem zwei große Herausforderungen. Die erste ist: Wir brauchen sehr viel mehr Information als zur Zeit vorhanden ist, um dieses Gesetz überhaupt zur Wirkung zu bringen. Dabei denke ich zunächst nicht an den Organisationsreformbereich, sondern an andere Bereiche. Die zweite Herausforderung, Herr Bundesminister: Ich sehe in diesem Gesetz eigentlich eine Aufforderung zum Handeln. Mit diesem Thema will ich mich auseinandersetzen.
Wir brauchen Information über die Gestaltung der Leistungskomplexhonorare im ambulanten Bereich; sonst läuft es nicht. Wir brauchen Information über die Fallpauschalen u. ä. im stationären Bereich. Wir brauchen Information über Richtgrößen und vieles andere mehr.
Wo sind die großen Probleme der Umsetzung? Zunächst einmal bei der Organisationsreform. Dankenswerterweise werden Arbeiter dieselben Wahlrechte haben wie Angestellte. Aber dies liegt in der Zukunft. Der Risikostrukturausgleich muß schon bei der ersten Abschlagszahlung so korrekt berechnet werden, daß diejenigen, die aus eigennützigen Gründen immer gemahnt haben, nicht recht behalten dürfen. Hier gibt es Möglichkeiten, dies im vorhinein zu gestalten.
Der nächste Punkt: Reform im ambulanten Bereich, Aufwertung des Hausarztes. Mit dieser Formel allein ist es nicht getan. Wir müssen sicherstellen, daß die Ausbildung, die Fortbildung, die Weiterbildung und die Qualifizierung des Hausarztes für diese Aufgabenstellung auch tatsächlich erfolgt. Weiter müssen wir sicherstellen, daß die Aufwertung der Information der Versicherten, der Beratung, der Betreuung, der Hinwendung, all der Dinge, die wir fördern und befördern wollen, tatsächlich erfolgt.
Wenn wir die internationalen Studien und Befunde zugrunde legen, ist es eine Tatsache, daß die technischen Leistungen mit einem Faktor von 2 oder gar 21/2 überbewertet werden und daß die ureigensten menschlichen Leistungen, die Dienstleistungen des Arztes, entsprechend unterbewertet werden. Wir haben gesehen, daß die Reform des einheitlichen Bewertungsmaßstabs zwar in die richtige Richtung ging, aber viel zu kurz gegriffen hat. Das ist eine notwendige Konsequenz, und wenn diese Konsequenz nicht erkannt und umgesetzt wird, bleibt es bei schönen Ankündigungen. Wie die Angelsachsen sagen: Der Test des Puddings liegt im Essen. Deshalb hängt es von der Umsetzung ab, ob diese Idee, die vom Ansatz her gut ist, auch das bringt, was wir uns von ihr erhoffen.
10964 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Dr. Martin Pfaff
Nun zum Krankenhausbereich. Wenn dort nichts geschieht, werden die Probleme, die viele angekündigt haben, tatsächlich auftreten: Dann werden sich die Defizite erhöhen. Denn wenn die Ursachen nicht beseitigt werden, wird die Dynamik bei den Ausgaben nicht gebrochen. Das gilt für die kommunalen Krankenhäuser und in ganz besonderer Weise für die freigemeinnützigen Krankenhäuser.
Deswegen müssen wir auch ein bißchen Hilfestellung leisten — nicht unbedingt das Parlament, sondern die Wissenschaft, aber auch die Fachverbände, alle, die hier hilfreich sein können. Wir müssen Hilfestellung leisten, um zu zeigen, wie die Mechanik dieser Umsetzung aussehen soll. Ich will das in zwei Phasen aufschlüsseln.
Die erste Phase ist die Budgetierung. Was nicht passieren darf, sind folgende Effekte: Schließung von Krankenhäusern, wo gar keine Überkapazitäten vorhanden sind. Auch dafür wird dieses Gesetz teilweise verantwortlich gemacht werden. Wo Überkapazitäten vorhanden sind, ist es eine andere Situation. Das zweite ist die Schließung von ganzen Abteilungen in Gebieten, wo mehrere Krankenhäuser vorhanden sind, also eine neue Arbeitsteilung zwischen den Krankenhäusern. Das ist sinnvoll. Der dritte Punkt ist das Verschieben von besonders aufwendigen und teuren Operationen. Das kann ja wohl der Weisheit letzter Schluß in der Anpassung auch nicht sein. Den vierten Punkt möchte ich ganz besonders hervorheben: Die einfachste Art der Anpassung eines Krankenhauses an die Budgetierung besteht nicht nur in der Verkürzung der Verweildauer — das sowieso; da verdichtet sich die Leistung —, sondern die einfachste Art der Fehlanpassung besteht darin, daß man die Pflegefälle, die bisher — je nach Statistik — 25 % bis 33 % ausmachen, nicht mehr im Krankenhaus aufnimmt, und zwar mit der Begründung, daß eben das Krankenhaus für Behandlung und nicht für Pflegefälle zuständig ist.
Herr Bundesminister, die Achillesferse dieses Gesundheits-Strukturgesetzes ist für mich die nicht geregelte Absicherung bei Pflegebedürftigkeit.

(Bundesminister Horst Seehofer: Dafür bin ich nicht zuständig!)

— Ich weiß. Aber in dem Umfang, im dem die Krankenhäuser sich dadurch anpassen, daß sie die Pflegefälle abschieben, wird ein enormes Problem entstehen. Es reicht mir eben nicht, daß wir gesagt haben: 1996 wird sie schon kommen. Ich sage: Wir brauchen eine gesetzliche Pflegeversicherung nicht im Jahre 1996, wir brauchen sie auch nicht im Wahljahr 1994; wir brauchen sie jetzt!

(Beifall bei der SPD — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Machen Sie Deckungsvorschläge!)

Ich gebe jetzt schon die Prognose: Wenn wir das nicht tun, wird die Anpassung bei vielen Krankenhäusern in einer Form erfolgen, die nicht wünschenswert ist. Das Krankenhaus ist eben ein Auffangbecken für viele ungelöste Probleme unserer Gesellschaft.
Es sind noch andere Anpassungen denkbar, wenn einmal die Fallpauschalen kommen: zu drastische Verkürzung der Verweildauer— „quicker sicker", Sie
kennen das aus den USA —, Selektion günstiger Risiken, also Rosinen picken, Abschieben von kostenmäßig ungünstigen Fällen an die öffentlichen Krankenhäuser — das alles sind mögliche fehlsteuernde Effekte falsch berechneter Pauschalen.
Deshalb, lieber Dieter Thomae, sage ich als jemand, der die nötigen Krankenhausreformen als Voraussetzung für mehr Transparenz, für mehr Rationalität und mehr Wirtschaftlichkeit mit Überzeugung vertritt: Die Tatsache allein, daß wir im Gesetz stehen haben, es solle pauschalierte Vergütungssysteme im Krankenhaus geben, reicht nicht aus. Preise steuern Verhalten, falsche Preise steuern falsch. Deshalb müssen wir dieser Umsetzung ganz besonderes Augenmerk widmen. Dasselbe gilt für Packungsgrößen bei Arzneimitteln und für viele andere Bereiche.
Ja, Lahnstein und dieses Gesetz, das hat eine ureigene politische Qualität. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich ist der parlamentarische Prozeß kein Kampf, schon gar kein Krieg, sondern ein Prozeß des Wettbewerbs um die besseren Ideen, auch um die besseren Personen, auch ein Wettbewerb der Parteien. Aber Wettbewerb ist eben nur ein Prinzip der Organisation: Keine Gesellschaft kann nur mit Wettbewerb allein organisiert werden. Auch Kooperation und Konsens, wo nötig, sind erforderlich. Auch deshalb begrüße ich in diesen politisch so schwierigen Zeiten das Zeichen, das wir Gesundheitspolitiker gesetzt haben, als Antwort auf Herausforderungen, die die gesamte Gesellschaft angehen. Egoismus allein reicht nicht, Altruismus muß auch sein. Egoismus mag zum Überleben des einzelnen dienen, aber Altruismus und Solidarität sind nötig für das Überleben der Art.
Ich hoffe, daß dieses Zeichen von Lahnstein und danach auch ein Stück überparteilicher, demokratischer, parlamentarischer Kultur ist. In dem Sinne: Die Arbeit am Gesetz ist beendet, die Arbeit geht weiter.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212708000
Nun spricht der Kollege Dr. Walter Franz Altherr.

Dr. Walter Altherr (CDU):
Rede ID: ID1212708100
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war wohltuend, den Kollegen Professor Pfaff zu hören. Er ist ja ein nicht nur sehr sachkundiger, sondern auch in seiner Primärpersönlichkeit sehr schätzenswerter Kollege.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Ja, das wollen wir einmal festhalten!)

— Das muß auch einmal sein. Ich glaube, es gehört zum Stil des Hohen Hauses, daß wir in der Lage sind, dies anzuerkennen.
Nun zu Herrn Minister Seehofer — oder soll ich lieber „Seelöwe" sagen; denn er hat um diese Gesetzgebung wie ein Löwe gekämpft —: Er ist standhaft geblieben, und das verdient natürlich alle Anerkennung. Ich habe als Außenstehender und als indirekt Betroffener, als Arzt, mitverfolgt, wie die Bemühungen von verschiedenen Interessenvertretern in eini-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10965
Dr. Walter Franz Altherr
gen Bereichen zum Teil doch sehr unsittlich waren. Das ist richtig. Ich darf aber daran erinnern, daß für den Großteil der Ärzte gilt: Salus aegroti suprema lex. Das Heil des Patienten ist das höchste Gesetz für den Arzt. Das sollte man immer beherzigen.
In der ganzen Diskussion, meine Damen und Herren, konnte ich mich oft des Eindrucks nicht erwehren, als seien die sogenannten Leistungserbringer allein die Kostentreiber. Jetzt wollen wir die Dinge aber doch einmal nehmen, wie sie wirklich sind. Letztendlich ist immer noch der Patient der Auslöser eines gewissen pathophysiologischen Prozesses; das ist richtig. Es ist auch richtig, daß die zunehmende Zahl von Arztpraxen ihren Teil zur Kostensteigerung beiträgt. Aber wir machen es uns zu einfach, wenn wir immer nur die Leistungserbringer anschuldigen, diese Kostenexplosion in Gang gesetzt zu haben.

(Klaus Kirschner [SPD]: Das macht doch niemand!)

— Doch, Herr Kirschner, gerade auf Ihrer Seite ist das häufig gesagt worden. Ich komme nachher noch auf andere Passagen, die das belegen. — Wir müssen in die Zukunft schauen. Ich möchte gleich darauf hinweisen — der Herr Minister hat es gesagt —: Wir werden eine nächste Stufe brauchen. Wir müssen auch über die Verantwortlichkeit, d. h. Solidarität und Subsidiarität, neu diskutieren. Machen wir uns aber nichts vor: Wir können bei der nächsten notwendigen Kostensenkungsmaßnahme an die Leistungserbringer nicht mehr herangehen, denn die sind mittlerweile ausgereizt; das muß auch einmal ganz klar gesagt werden.

(Lachen bei der SPD — Klaus Kirschner [SPD]: Die sind ausgelutscht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Gründe, daß der Sachverständigenrat für dieses Jahr 14 Milliarden DM Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung erwartet, sind vielschichtiger Natur. Neben nicht zu leugnenden strukturellen Mängeln und Fehlsteuerungen, Überkapazitäten und teilweisen Unwirtschaftlichkeiten, fehlenden marktwirtschaftlichen Anreizen und mangelhafter Transparenz ist die fortschreitende Medizintechnik mit ihren innovativen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten nicht unerheblich kostensteigernd, aber auch die demographische Entwicklung und auch das Anspruchsverhalten der Patienten stellen letztendlich Kostenfaktoren dar; das sei hier auch erwähnt.
Es ergab sich aus den genannten Gründen des Defizits die Notwendigkeit des Handelns des Gesetzgebers. Ich will mir die Ätiologie ersparen, ich will nur das Synonym Lahnstein nennen. Lahnstein steht stellvertretend für einen Allparteienkompromiß. Meine Damen und Herren, Sie wissen, Politik ist, so hat es bereits Bismarck immer wieder gesagt, immer nur die Kunst des Möglichen. Das gilt selbstredend auch für dieses Gesetzeswerk. Gerade bei einem Kompromiß zwischen einer Regierungskoalition und der Opposition über ein schwieriges Gesetzeswerk muß es von beiden Seiten her betrachtet zwangsläufig Licht und Schatten geben; das ist auch verständlich. Zwar ist Konsens in einer Demokratie ein Wert an sich, und die Durchsetzung und Umsetzung eines solchen Gesetzeswerks wird dadurch erheblich erleichtert; aber erlauben Sie mir als Gesundheitspolitiker und nicht zuletzt als Arzt, auf Licht, aber auch auf Schatten in einzelnen Bereichen dennoch etwas näher einzugehen.
Im Krankenhausbereich ist ein entscheidender Durchbruch gelungen. Gegen erklärten Widerstand sind heilige Kühe geschlachtet worden. Ich meine hiermit die Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip, d. h. die Abkehr vom tagesgleichen pauschalierten Pflegesatz. Wir haben bislang das belegte Bett und nicht die notwendige medizinische Leistung finanziert. Dies ist eine entscheidende strukturelle Wende im Krankenhausbereich.
Es kommen andere Punkte hinzu: Wir geben dem Krankenhaus erstmals die Möglichkeit, wirtschaftlich zu handeln und auch Gewinne zu verbuchen und für sich zu vereinnahmen; das war bisher nicht möglich. Wir haben eine bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung. Aus meiner langjährigen klinischen Tätigkeit sehe ich gerade hier die drängende Notwendigkeit, die Transparenz zwischen stationärer und ambulanter Behandlung nachhaltig zu verbessern. Es werden nicht nur teure Doppeluntersuchungen durchgeführt; dies sind auch Mehrbelastungen für den Patienten, und die diagnostischen Maßnahmen sind für den Patienten ja nicht immer mit einem Erlebnis der Freude verbunden. Auch das muß in der Zukunft geändert werden. Hier sind die ersten Ansätze getan. Prä- und poststationäre Behandlung, teilstationäre Behandlung sind Instrumente, die für die Zukunft große Chancen auftun. Aber es muß im Gegenzug den niedergelassenen operativen Ärzten z. B. ermöglicht werden, die bestehenden Strukturen in den Krankenhäusern mitzubenutzen. Das will heißen: Es macht wenig Sinn, wenn wir in der Zukunft immer Doppelstrukturen finanzieren. Vielmehr müssen wir hier zu einer Übereinkunft kommen, wie das bei den Großgeräten bereits vorgesehen ist.
Zum Pflegebereich und zur verbesserten Personalausstattung in diesem Bereich: Dies ist meines Erachtens nur ein erster Schritt. Wir setzen beim apostrophierten Pflegenotstand im Bereich der Schwestern und Pfleger an; das ist auch richtig. Dieser Personenbereich genießt Priorität. Aber ich will nicht verschweigen: Wir müssen auch im ärztlichen Bereich gerade im Hinblick auf die durch die Fallpauschalen bewirkte verkürzte Liegezeit, d. h. auf den höheren Durchsatz, in Zukunft personalintensiver rechnen.
Ich darf noch eines nicht verschweigen. Es ist mir nicht erklärbar — auch Minister Blüm konnte mir das nicht erklären, denn ihn hatte ich in dieser Frage angeschrieben —, wieso ausgerechnet die Ärzte als einziger Berufsstand nicht der Arbeitszeitordnung unterliegen. Ich habe es am eigenen Körper über Jahre verspürt. Ich habe mitunter Bereitschaftsdienst von Freitag 16 Uhr bis Montag 8 Uhr nonstop gemacht, zum Teil zu Hause in Rufbereitschaft, zum Teil in der Klinik. Ich muß Ihnen sagen, das sind Verhältnisse, die man weder dem einzelnen Arzt noch dem Patienten fürderhin zumuten sollte. Auch hier, Herr Minister, meine Aufforderung an Sie für die nächste Strukturreform, daß wir für das Ärztepersonal im klinischen
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Dr. Walter Franz Altherr
Bereich nachhaltige Verbesserungen anstreben müssen.

(Gudrun Weyel [SPD]: Dann sollten Sie aber auch die Schwestern einbeziehen!)

— Das habe ich schon gesagt, Frau Kollegin. Sie haben es vielleicht überhört. Es kommt ja vor; ich rede mitunter etwas schnell, Entschuldigung.
Nächster Punkt: ambulante ärztliche und zahnärztliche Versorgung. Sie wissen, daß auch ich, obwohl es mir schwerfiel, die Meinung vertreten habe, daß wir kurz- und mittelfristig zur Steuerung der Arztzahlen eine Zulassungsbegrenzung erlassen müssen. Aber ich darf folgende Punkte anmerken. Ich habe es schon im Ausschuß gesagt: Langfristig muß die Zahl der Studenten, der Output an Studenten Steuerungsgröße werden. Wir dürfen nicht weiter zuerst mit vielen Steuergeldern Medizinstudenten produzieren und die Leute dann am Schluß in die Arbeitslosigkeit entlassen. Wir müssen hier das französische Modell bemühen. Die Franzosen praktizieren seit Jahren mit Erfolg folgendes Modell: Der Zugang zum Medizinstudium ist frei; sie kennen keinen Numerus clausus. Nach dem zweiten Semester erfolgt eine sehr stringente Prüfung, der sogenannte Concours.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid) [CDU/

CSU]: In welchen Fächern?)
— Medizin. — Bei diesem Concours wird der Prüfungsscore so hoch angesetzt, daß nur so viele Studenten passieren, wie rechnerisch prospektiv benötigt werden, natürlich mit einem gewissen Sicherheitszuschlag. Ich glaube, diese Möglichkeit der Steuerung ist humaner und letztendlich auch kostengünstiger.
Ein weiterer positiver Effekt darf nicht verschwiegen werden: Wir kennen die Problematik in der klinischen Ausbildung unserer Universitätskliniken. Die Patienten werden dadurch sehr belästigt, daß pro Patient mitunter sechs bis acht Studenten im wahrsten Sinne des Wortes auf das Bett losgelassen werden. Ich habe das lange Jahre erlebt, ich war lange Jahre Ausbilder. Es müßte hier so sein, daß wir durch die Begrenzung der Studentenzahlen auch eine verbesserte praxisnähere klinische Ausbildung erzielen und auch den Patienten im Krankenhaus nicht zu großer Unbill in Form der Lehre und Ausbildung aussetzen.
Einen weiteren Punkt bei der Zulassungsbeschränkung will ich anmerken; ich habe das auch bereits im Ausschuß angeregt. Ich sehe Gefahren für unsere Sanitätsoffiziere auf Zeit, und zwar dergestalt, daß diese Ärzte bei der stringenten Zulassungsverordnung ab 1999 benachteiligt werden. Wir haben dort nämlich verschiedene äquivalente Kriterien aufgeführt, Approbation, Dauer der medizinischen Tätigkeit, Verwandtschaftsgrad und die Frage, ob er in der Praxis schon als angestellter Arzt tätig war. Meines Erachtens müßte zusätzlich die Regelung aufgenommen werden, Sanitätsoffiziere auf Zeit gleichermaßen mit einem Äquivalenzpunkt zu bedenken. Wir brauchen notwendigerweise Zeitoffiziere im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Diese Offiziere können ihre Niederlassung nicht steuern; sie sind an vorgegebene Dienstzeiten gebunden. Aus diesem Grunde wäre es wichtig, wenn wir eine Lösung finden könnten.
Ein Weiteres: der degressive Punktwert. Er wurde schon mehrfach angesprochen. Ich bin der Meinung, der degressive Punktwert ist kein geeignetes Instrument, um Kosteneinsparungen vorzunehmen. Wer geht denn schon aus Jux und Tollerei zum Zahnarzt? Der Besuch beim Zahnarzt ist erfahrungsgemäß mit Schmerzen verbunden. Ich gehe also nur zum Zahnarzt, wenn es notwendig ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Prophylaxe sollten wir nicht vergessen!)

— Prophylaxe ist etwas anderes. Prophylaxe ist nicht unendlich ausdehnbar. Sie ist in der Menge begrenzt.
— Wozu führt nun der degressive Punktwert? Er führt zu einer Umverteilung. Meine Partei und bedauerlicherweise auch die F.D.P. bestraft nun eben Leistungsträger. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir bestrafen die Praxen, die modernst ausgestattet sind, die durchrationalisiert und leistungsfähig sind.
Ich darf einem Punkt hier gleich noch entgegentreten. Es wurde von einer gewissen Seite oft gesagt oder die Assoziation herbeigeführt: Hoher Punktwert ist gleich viel Pfusch. Meine Damen und Herren, genau das Umgekehrte ist der Fall. Ich kann Ihnen das aus eigener Erfahrung bestätigen, denn diese Praxen sind eben, sowohl was das Personal als auch was die Ausstattung angeht, auf dem modernsten Stand. Meine Damen und Herren, Qualität kann ich nicht kontrollieren, indem ich den degressiven Punktwert einführe. Qualität muß ich mit Qualitätskriterien kontrollieren, mit nichts sonst.
Die CDU/CSU-Fraktion und ich sind aber froh, daß es uns zumindest gelungen ist, für den Bereich der neuen Lander hier eine moderatere Regelung dergestalt zu finden, daß die erste Stufe der Degression für ein Jahr bis zu einer Deckelung von 25 Millionen DM ausgesetzt wird. Ich bedanke mich auch bei der SPD, daß sie dem zugestimmt hat. Ich finde, das war eine sinnvolle und notwendige Maßnahme.
Herr Kirschner, Sie sprachen von der Zweiklassenmedizin. Die SPD hat sich meines Erachtens inkonsequent verhalten, als sie die Regel- und Wahlleistungen vom Tisch genommen hat und dafür gewisse, in Einzelfällen medizinisch-zahnprothetisch notwendige Leistungen völlig ausgegrenzt hat. Ich kann das mental nicht nachvollziehen. Das tut mir leid.

(Zuruf des Abg. Rudolf Dreßler [SPD])

— Ja, Herr Dreßler, das ist eben so. Sie haben hier in Ihrer solidarischen Logik einen Bruch begangen.

(Gudrun Weyel [SPD]: Was ist denn solidarische Logik?)

Nächster Punkt: Arzneimittel. Meine Damen und Herren, auch bei Arzneimitteln sind wir natürlich dankbar, daß die SPD, die noch vor sechs Wochen von einem „Abkassiermodell" gesprochen hat, nun einer Zuzahlung zustimmt.

(Zuruf der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])

— Verehrte Frau Kollegin Schmidt-Zadel, auch das zeugt von Lernfähigkeit. Das freut mich. Ich darf das Kompliment zurückgeben. Aber ich muß Sie gleichzeitig warnen: Wenn Sie glauben, daß Sie mit der gestaffelten Zusatzzahlung nächstes Jahr oder über-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10967
Dr. Walter Franz Altherr
nächstes Jahr Mengensteuerung bewerkstelligen können, dann sind Sie hier falsch informiert. Sie haben doch immer gesagt — gerade bei dem Argument der Zuzahlung —, dies sei nicht mengensteuernd. Ich kann mir das nicht erklären. Diesen Widerspruch müssen Sie selber ausräumen.
Ich darf noch eines bemerken: Die Apotheker sind meines Erachtens in der sozialen Symmetrie zu schlecht weggekommen. Woran das liegt, sei dahingestellt. Man hat z. B. die „aut simile aut idem"-Regelung für Generika nicht genehmigt. Man hat § 300 — die Pharmazentralnummer — nicht verschoben. Man war hier nicht bereit, irgendeine Konzession zu machen, anders als bei anderen Berufsgruppen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Es gäbe noch viele Dinge zu sagen. Ich muß sie mir leider, weil meine Redezeit jetzt abläuft, ersparen. Der Lahnsteiner Kompromiß ist nach Ansicht des Gesundheitsministers kein Kompromiß auf kleinstem Nenner; vielmehr ist ein Optimum unter derzeitigen Bedingungen erreicht worden. Der Kollege Dreßler sprach sinngemäß davon, daß es weder Sieger noch Besiegte gegeben hat. Ich hoffe auch, daß wir im nachhinein hier jetzt keine Sieger und keine Besiegten küren wollen.
Ich teile auch die Meinung des Ministers, daß schon bald weitere strukturelle Veränderungen in der GKV notwendig werden, so z. B. eine Neudefinition des Leistungskatalogs und auch eine Neubestimmung von Solidarität und Subsidarität, um auf Dauer die Leistungsfähigkeit unseres Systems für jedermann gewährleisten zu können.
Ich bin auch nach wie vor der Überzeugung — hier liege ich näher bei der F.D.P. denn bei meiner Fraktion —, daß wir künftig einer Aufteilung in Regel- und Wahlleistungen nicht entgehen können, um das hohe Niveau an medizinischer Versorgung für jeden Patienten aufrechtzuerhalten. Herr Kirschner, das ist keine Zweiklassenmedizin, sondern das wird notwendig werden.

(Klaus Kirschner [SPD]: Da widerspreche ich ausdrücklich!)

Dankeschön, meine Damen und Herren, für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1212708200
Nun hat der Kollege Hans-Hinrich Knaape das Wort.

Dr. Hans-Hinrich Knaape (SPD):
Rede ID: ID1212708300
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Nüchtern muß man feststellen, daß dieses heute zum Abschluß zu bringende Gesetzgebungsverfahren das Vertrauensverhältnis zwischen den Leistungsträgern des deutschen Gesundheitswesens und den Gesundheitspolitikern aus dem Bundestag und aus den Ländern erheblich belastet hat und daß dieses Verhältnis noch weiter nachhaltig gestört sein wird.
Insbesondere die Ärzte verbalisieren Emotionen. Sie sind „empört" über die und „enttäuscht" von den gesetzlichen Regelungen, empfinden sie als „unerträglich" , fühlen sich durch die Politiker „in eine Zwangsjacke" gesteckt und sehen sich durch sie
einem „Mißtrauen" ausgesetzt, „als ob sie nur durch Bestimmungen, die an das Strafrecht erinnern, zu sozialem Konsens gebracht werden können".

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das sagt ein Psychiater, Herr Kollege!)

Nach solchen Formulierungen in Entschließungen muß man sich als Abgeordneter im Bundestag, wenn man von Beruf Arzt ist, fragen, ob man als „Nestbeschmutzer" Solidarität mit den Politikern zeigt oder sich mit einer Mandatsniederlegung dort einreiht, wo man, wie es ein Arzt sinngemäß formuliert hat, „als Mann der ersten Stunde keine politischen Perspektiven mehr für sich im Bundestag sehe".
Muß man die Frage überhaupt so alternativ stellen? Ist es denn nicht möglich, auch bei der Lösung schwieriger Problemstellungen Haltung und Anstand zu bewahren?

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

Dies ist insbesondere von einem Berufsstand zu erwarten, der ständig die Unabhängigkeit und Freiheit bei jeder Entscheidung innerhalb seiner Berufsausübung zum Nutzen der Patienten für sich in Anspruch nimmt, aber auch — und dies im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen — eine elitäre Stellung ständig für sich reklamiert.
Muß denn Dienstleistung am Patienten nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ebenso wie bei der Diagnostik und der Therapie auch besonders bei der Erhebung des Honorars beachten?
Nachdem die Politik nun gesprochen hat, das Gesetz von den Fraktionen breit getragen wird, ist jetzt schon angekündigt, daß die Juristen bemüht werden, wo und wie es möglich sein wird, über Klagen Passagen des Gesetzes zu Fall zu bringen. Die Rechtfertigung ergibt sich daraus — so die Vertreter dieser Meinung —, daß im Gesundheits-Strukturgesetz 1993 die hohe ärztliche Verantwortung dahin gehend „mißbraucht" werde, „daß der Arzt in der Verpflichtung für seine Patienten unangemessene Einschränkungen und Einbußen widerstandslos hinnehmen soll — oder anders ausgedrückt: Auch das Gesundheitsstrukturgesetz '93 mißbraucht politisch ärztliche Ethik".
Weniger starke Formulierungen wären meines Erachtens angebrachter, aber ein Ärzteverband beschloß sie so.
Warten wir nicht gelassen ab, wer am Ende im Regen steht, die Gesundheitspolitiker oder einzelne Sprecher aus der Ärzteschaft; denn eine pauschale Verallgemeinerung auf alle Ärzte wäre hier falsch. Suchen wir eine weitere Harmonisierung im Umgang und im Miteinander bei Beachtung der Verhältnismäßigkeit bei den Problemlösungen im deutschen Gesundheitswesen!

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Optimismus ist angezeigt, nicht Kritik; denn so negativ in Haltung und Einstellung ist die Ärzteschaft insgesamt nicht, auch wenn in der letzten Zeit immer wieder von einzelnen Mandatsträgern, besonders auch aus der Fraktion der SPD, solche Meinungen
10968 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Dr. Hans-Hinrich Knaape
vertreten wurden. Suchen und bewerten wir das Positive!
Das Gesundheits-Strukturgesetz 1993 zeigt neue Wege in der ärztlichen ambulanten Versorgung auf — gerade an jener Schnittstelle, die der härtesten Kritik ausgesetzt ist.

(Vorsitz: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

Die enge Verzahnung der stationären und der ambulanten Versorgung der Patienten bedeutet die Erschließung von medizinisch effektiveren Betreuungsformen, aber wohl auch langfristig eine Änderung des Sicherstellungsauftrags durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung in der jetzigen Form. Muß denn der Ansatz der Bestandssicherung der Polikliniken und darauf aufbauender Kooperationsformen ärztlicher Tätigkeit, wie er im Land Brandenburg gegeben ist, ein zu verdammender Irrweg sein? Sollte die gegenwärtige Sicherstellung im ambulanten Bereich nicht doch stärker hinterfragt werden, auch wenn die denkbaren Perspektiven für viele Ärzte schmerzhaft wären, wenn sich das Problem der Existenz für alle niederlassungswilligen Ärzte in so eingespielter, aber auch insgesamt nicht mehr zu finanzierender Form langfristig besonders für die nachrükkenden ärztlichen Kollegen so nicht lösen läßt? Schon aus Kollegialität untereinander im Arztberuf ist hier ein Umdenken notwendig; es sei denn, die, die am Trog sitzen, möchten die Nachdrängenden nicht heranlassen.
Themenwechsel: Ein als wesentlich hervorzuhebender Punkt des Gesundheits-Strukturgesetzes ist, daß für die Krankenhäuser in den neuen Bundesländern über einen Zeitraum von 10 Jahren ein anteilmäßig mit dem Bund finanziertes Investitionsprogramm abläuft. Sicher ist es ein Schönheitsfehler, daß dieses Programm erst 1995 finanziell durch den Bund begleitet wird; aber hier ist die Findigkeit der Finanz- und Gesundheitsminister der neuen Länder angesprochen, Wege zu beschreiten, um die Planung und Ausführung schon 1994 anlaufen zu lassen.
Diesen Art. 13a in den Gesetzestext aufzunehmen, war mit die hartnäckigste Forderung der SPD aus den neuen Bundesländern, und sie war verbunden mit ihrer Zustimmung zum Gesetz insgesamt. Er ist daher nicht als ein Gnadenbezeugnis oder als ein Entgegenkommen unseres Kanzlers — dieses Monuments der deutschen Einheit — zu sehen, sondern als Zeugnis politischer Durchsetzung und Gestaltung, wo die Kräfteverteilung bei der Gesetzgebung es zuließ.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Zuruf des Abg. Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU])

Durch die Dreiteilung der Finanzierung der Krankenhausinvestitionen in den neuen Bundesländern werden in einem vertretbaren Zeitraum Bedingungen zum Wohle der Patienten geschaffen werden, die das Zusammenwachsen unter Angleichung von Ost an West sichern. Gleichzeitig werden im Krankenhaus moderne Ausbildungs- und Arbeitsplätze im ärztlichen und mittleren medizinischen Bereich entstehen. Es ist ebenfalls abzusehen, daß dies mit einer Aufstokkung von qualifizierten Arbeitsplätzen in den Krankenhäusern einhergehen wird.
Insgesamt gesehen bringt das Gesetz durch Sonderregelungen Vorteile, auch für die Ärzte in den neuen Bundesländern. Erwähnt seien die Berechnung der Ausgangsbasis für die Ärztehonorare oder die Verschiebung des degressiven Honorarabschlags für die Zahnärzte — dieser zum Nutzen für die Patienten.
Natürlich muß man auch ansprechen, daß das Gesetz Härten in sich einschließt, Härten gegen Versicherte und Patienten wie auch Härten gegen Leistungserbringer. Aber jedes fraktionsübergreifende Gesetz kann nur ein Kompromiß unterschiedlicher Ansichten sein und nie die reine Lehre einer Parteiphilosophie.
Insofern mag die Zustimmung für den einen oder anderen Abgeordneten, besonders, wenn er sich als Fürsprecher besonderer Interessenverbände oder Berufsgruppen sieht, ablehnend sein. Als Arzt kann man dem Gesetz durchaus zustimmen, aber es bleibt noch viel zu tun, um die offen ausgebrochene Mißstimmung zwischen Politikern und Ärzteschaft — oder umgekehrt — zu bereinigen, zu bereinigen im Interesse der Versorgung der Patienten, für die auch die soziale Harmonie zwischen den Beteiligten notwendig ist.
Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212708400
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Bernhard Jagoda.

Bernhard Jagoda (CDU):
Rede ID: ID1212708500
„Tadeln ist leicht; deshalb versuchen sich so viele darin. Mit Verstand zu loben ist schwer; darum tun es nur wenige. " — Dieser Satz von Anselm Feuerbach, Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren ist mir in den letzten Wochen und Monaten in den Sinn gekommen bei den zahlreichen Gesprächen über das Thema, das wir heute zum Abschluß bringen wollen.
Nun ist es ja so, meine Damen und Herren, daß wir Politiker auch einiges gewöhnt sind, und Kritik gehört zu unserem Geschäft. Ich bin auch der Auffassung, daß wir hier gar nicht zimperlich sein sollten. Mein früherer Chef, Minister Norbert Blüm, hat mir früher einmal gesagt: „Merk dir mal eins: ein Teil deines Gehaltes ist Schmerzensgeld!"

(Heiterkeit)

Das kann man vielleicht auch zu Diäten sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Aber ich möchte doch vor der deutschen Öffentlichkeit feststellen, daß die Diäten nicht nur aus Schmerzensgeld bestehen.

(Heiterkeit und Beifall — Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Etwas Lustgewinn ist auch dabei!)

Von daher also soll auch diese Sache Grenzen haben.
Ich bin der Auffassung, daß wir schon — Gott sei Dank! — in einem Staat leben können, wo Interessen vertreten werden.

Bernhard Jagoda
Das war ja einmal anders. Vor 2 500 Jahren, meine Damen und Herren, im alten Griechenland, waren die Ärzte im griechischen Götterhimmel mit einem Halbgott vertreten; der hieß Asklepios und war der Sohn des Apoll und der schönen Königstochter Koronis. Die Ausübung der Heilkunde wurde damals nicht von den KVs oder vom Bundesgesundheitsminister durchgeführt, sondern vom Göttervater Zeus persönlich.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Und als damals Asklepios einen Patienten, den der Zeus zum Tode bestimmt hatte, heilte und rettete, war es um ihn geschehen. Ihm wurde vorgeworfen, er habe die Heilkunde betrügerisch und aus Gier nach Geld ausgeübt.

(Zuruf von der SPD: Kein Wunder!)

Zeus griff zum Blitz, erschlug beide, Asklepios und seinen Patienten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin für Oesingmann; der ist mir lieber als Asklepios, und ich bin auch dafür, daß Sie kritisieren dürfen. Die Frage ist nur das Wie, und da bin ich schon der Auffassung, das war nicht vorbildlich, was wir hier erlebt haben. Das sollte man nicht in Schulbücher übernehmen, und den jungen Leuten sollte das nicht als Erziehungs- oder Anschauungsunterricht dienen.
Ich werbe heute bei diesem Gesetzgebungsverfahren für den Abschluß der Auseinandersetzungen. Herr Minister, Sie müssen in dem Bereich, der heute zur Debatte steht, dann an die Umsetzung gehen. Von daher ist es müßig, jetzt den Streit zu führen, welcher Halbsatz denn von der SPD, welcher von der F.D.P. und welcher von der CDU/CSU stamme. Es ist eine Gemeinschaftsleistung, meine sehr verehrten Damen und Herren,

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

und die Gemeinschaftsleistung der Demokraten sollte ausreichende Grundlage für alle Beteiligten in diesem Land sein, nach dem jetzigen Verfahren, nach der Zustimmung im Bundesrat diesen Kampf aufzugeben und zurückzukehren zu der Allgemeinheit.
Ich sehe es nicht so wie der hochgeschätzte Herr Kollege Dreßler, als er Kiesinger zitierte. Eine schwere Krise ist diesem Gesetz nicht vorausgegangen. Wir sollten uns hier kein X für ein U vormachen.
Wir haben — der Minister hat es heute morgen hier gesagt — das beste Gesundheitssystem dieser Welt. Jeder, unabhängig vom Geldbeutel, unabhängig vom Alter, kann sich darauf verlassen, wenn er von Krankheit bedroht ist, daß ihm dann im Rahmen der Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen, auch geholfen wird. Und das soll so bleiben!
Wenn das so bleiben soll, meine Damen und Herren, dann müssen wir etwas tun. Durch Nicht-Handeln werden wir mit Sicherheit das heraufbeschwören, was uns heute vorgeworfen wird: Staatsmedizin oder ähnliches mehr, lieber Hermann Haack. Gerade da wir die nicht wollen, handeln wir. Da ist es auch müßig, über das GRG zu reden, ob das nun ein Erfolg war oder kein Erfolg war.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist mir leider nicht vergönnt, den Beweis zu führen, daß es ein Jahrhundertgesetz ist; denn ich werde nach hundert Jahren nicht mehr im Deutschen Bundestag sein oder den Beweis führen können. Wissen Sie, das Bürgerliche Gesetzbuch — diesen Beweis können wir bald führen; es ist am 1. 1. 1900 in Kraft getreten, ist also bald ein Jahrhundertgesetz — ist auch sehr zahlreich geändert worden, und trotzdem besteht das Gesetz noch fort. Deswegen ist es nur natürlich, daß wir den Fortschritt mit einbauen. Ich möchte alle, die nach uns die Aufgaben zu erfüllen haben, sehr dringend bitten, nicht wieder Jahrzehnte zu warten, um dann eine große Reform zu machen, sondern die Gesetze immer der Entwicklung anzupassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

So werden sie den Leuten helfen und keine verstaubten Gesetze werden.
Von daher glaube ich, daß wir alle miteinander den Kompromiß tragen können und daß wir das auch bei der Umsetzung draußen im Lande mutig als Gesamtkonzept vertreten; da teile ich die Auffassung von Herrn Kollegen Dreßler. Es hat keinen Zweck, das eine oder andere, was man gern gehabt hätte oder nicht gehabt hätte, noch zu diskutieren. Dies ist das Gesetz, so muß es auch vertreten werden. Wir müssen uns dagegen verwahren, daß heute Argumente gebracht werden, die schon längst überholt sind, die vielleicht in einem Vor-Vor-Vorentwurf gestanden haben oder in irgendwelchen Presseerklärungen. Geltendes Recht ist dieses Gesetz, was jetzt in zweiter und dritter Lesung beraten und — hoffentlich — vom Deutschen Bundesrat in der nächsten Woche auch verabschiedet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Politiker sind ja keine Masochisten.

(Horst Peter [Kassel] [SPD]: Da bin ich nicht so sicher!)

—Ja gut, es mag ja auch Einzelexemplare geben, Herr Kollege Peter; sollten Sie zu einer anderen Gattung oder zu anderer Spezies gehören, dann weiß ich das nicht. Aber ich sage, im Grunde genommen ist das nicht so. Deswegen sind wir nicht wild darauf, Gesetze zu machen, bei denen wir draußen nur beschimpft werden.
Vieles von dem aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, was heute gemacht werden muß, stand schon im Gesetz drin. Wenn sich heute Ärzte darüber beschweren, daß sie ein Arzneimittelbudget für 1993 bekommen: ab 1. Januar 1989 hätte man Richtgrößen einführen können. Hätte man das gemacht, hätten wir kein Budget nötig gehabt!

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: So ist es!)

Und die Aufforderung, ab 1. Januar 1994 wieder zu Richtgrößen zu kommen, ist eine zusätzliche Einladung an die Selbstverwaltung, die Aufgaben zu erfüllen. Es ist heute auch nicht mehr so einfach, die Zustimmung bei Ärzten und Zahnärzten für eine Lösung zu bekommen. Es ist schwer, und wir haben
10970 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Bernhard Jagoda
z. B. bei der Pflegesatzverordnung, die der Minister jetzt auf den Weg gebracht hat, aber auch der, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, gesehen, daß wir auch nur eine Konfliktauflösung durch den Verordnungsgeber erreichen. Damit war die Selbstverwaltung jahrelang beschäftigt und hat nichts zustande gebracht.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen weiteren Punkt aus diesem Gesetz ansprechen. Da bin ich ja nun schon öfter in den Zeitungen zitiert worden, daß ich zu den bösen Menschen gehöre, die den freiwillig versicherten Rentner unheimlich schröpfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bekenne mich nicht schuldig, aber ich bekenne mich verantwortlich dafür: Ja, ich war für diese Lösung, und ich sage, daß wir das, was der Gesetzgeber mit dem Rentenanpassungsgesetz 1982 fälschlicherweise eingeführt hat, nämlich eine Begünstigung für die Finanzstärkeren, für die Zukunft wieder in Ordnung bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben ein Solidarsystem, und mir soll einmal einer erklären, warum ich vor dem 65. Lebensjahr bei gleichem Einkommen als freiwillig Versicherter den doppelten Beitrag zahlen muß wie nach dem 65. Lebensjahr.

(Unruhe bei der SPD)

Die Grundlage eines Solidarprinzips ist die Leistungsstärke desjenigen, der in dieser Versicherung ist. Wenn heute morgen die Frage gestellt worden ist, warum bei dem Rentner nur die Rente angerechnet wird und nichts anderes, dann will ich nur zur Antwort geben: Sollte ein Rentner noch zusätzlich beschäftigt sein, zahlt er von seiner zusätzlichen Beschäftigung zusätzlich Krankenversicherungsbeitrag. Das ist doch gar keine Frage! In diesem Bereich handelt es sich für den Versicherten um eine Pflichtversicherung, in der ich ihn festhalte. Von daher also, meine sehr verehrten Damen und Herren, bekenne ich mich dazu; ich halte es für sozial ausgewogen.
Wir haben die totale Wahlfreiheit. Die ist hier gefeiert worden. Ich will dazu auch eine Anmerkung machen. Es ist schon sehr eigentümlich, daß man hier die volle Wahlfreiheit will, aber die Wahlfreiheit zwischen Wahl- und Regelleistung nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wo da der logische Zusammenhang ist, verstehe ich nicht ganz. Ich bin der Auffassung, daß in der Zukunft diejenigen, die über diese Fragen zu entscheiden haben — und vielleicht auch Sie —, sehr wohl darüber nachdenken müssen. So eine reine Lehre werden Sie, egal in welcher Koalition, wie Sie sich das ausmalen, auch nicht durchhalten können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich halte es schon für schärfer, was wir hier gegenüber den Versicherten machen, als das, was bei Wahl- und Regelleistung gewesen ist. Ich habe deswegen gegen die totale Wahlfreiheit gekämpft. Nicht, weil ich isoliert den Stand der Angestellten retten wollte.

(Zuruf des Abg. Rudolf Dreßler [SPD])

Ich habe die große Sorge, lieber Herr Kollege Dreßler, daß für den Fall, daß die AOK nicht in Windeseile zu ganz großen Einheiten kommt, wir ein Kassensterben auf der AOK-Seite haben werden. Ich bin gegen eine Einheitskasse, auch wenn sie unter dem Dach des VdAK stattfindet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin vielmehr für ein gegliedertes System. Wer das will, muß in dem Bereich aufpassen, daß es nicht zu einer derartigen Entwicklung kommen kann.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Ich will weiter noch etwas zum degressiven Punktwert sagen. Da geht es nicht darum, Leistung zu bestrafen. Hier geht es auch nicht darum, daß man sagt, die Qualität sei nicht in Ordnung, wenn ein Zahnarzt große Umsätze macht. Nein, da steht viel Arbeit dahinter. Darum geht es gar nicht.
Aber hier gibt es ein Gebührenrecht, und dieses Gebührenrecht hat fixe und variable Kosten zu berücksichtigen. Es ist nicht einzusehen, daß derjenige, der einen höheren Umsatz hat, die gleichen Fixkosten hat. Hier kann es vielmehr einen Abschlag gegenüber der Versichertengemeinschaft geben. Das war der Beweggrund für die Union, diesen degressiven Punktwert auf Zeit einzuführen.
Die Bedarfszulassung wird einige ärgern, das ist wohl richtig. Ich sehe das auch gelassen. Wir sind in einem Rechtsstaat, dann wird das Gericht entscheiden. Ich glaube, wird sind auf der richtigen Seite. Es kann nicht so sein, daß ein solidarisch finanziertes System ausbluten kann, nur weil mehr angeboten wird oder weil sich mehr zur Verfügung stellen, als es in diesem Bereich nötig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Von daher ist das, was wir gemacht haben, verfassungsrechtlich verantwortbar, sowohl die Altersgrenze als auch die Bedarfszulassung, und zwar ab 1. Januar 1999 — nicht jetzt, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch das hört man falsch in dieser Republik.
Ich will die letzten Minuten meiner Rede nutzen, um von diesem Platz einen Appell an alle Betroffenen zu richten. Wer in der Zukunft das freie System behalten will, der wird mehr für dieses freie System tun müssen. Das gilt für den Versicherten wie für den Leistungserbringer. Ich werbe dafür, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir mit dem Tag der Veröffentlichung des Gesetzes den Streit über dieses Gesetz beenden und daß der Wille bei allen Handelnden einkehren möge, daß wir die Chance auf der Basis dieses Gesetzes wahrnehmen, das hohe Niveau zu stabilisieren, und es denen, die es brauchen, nämlich den Kranken, auch in Zukunft zu gewähren.
Ich zweifle nicht daran, und ich sage das auch deutlich in die Öffentlichkeit hinein: Es braucht kein Kranker in der Bundesrepublik Deutschland ab 1. Januar 1993 Angst zu haben, daß ihm im Falle der Krankheit nicht geholfen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für alles ist vorgesorgt, und zwar dauerhaft, nicht nur
für ein paar Monate. Für die nächsten Jahrzehnte ist
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10971
Bernhard Jagoda
dieses System konsolidiert und auf eine Basis gestellt, daß jeder Kranke ruhig und gelassen in die Zukunft sehen kann. Die Hilfe wird ihm gewährt.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212708600
Meine Damen und Herren, ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Horst Peter das Wort.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1212708700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Jagoda, ich greife Ihre Feuerbach-These auf.

(Zuruf von der SPD: Feuerstein!)

— Feuerbach, nicht Feuerstein, es war eindeutig zitiert. Ich greife Ihre Anregung auf, daß wir uns jetzt nicht jeweils nach dem Prinzip des Krötenschluckens oder des Rosinenpickens Verdienst und Nichtverdienst bei der abschließenden Debatte um eine sehr mühselige Sache anrechnen. Es kommt da nur auf die Gleichheit des Geschmacks an, sowohl bei den Rosinen als auch bei den Kröten. Ich glaube, wenn man das Gesetzesvorhaben bewertet, dann ist dieses Gesetzesvorhaben dadurch ausgezeichnet, daß der Geschmack beim Krötenschlucken und dem Rosinenverzehren ausgewogen gleich ist.
Von daher möchte ich versuchen, zumindest eine Aussage für die Bewertung des Gesetzes zu machen, die wir der Gesellschaft gegenüber vertreten können als das Verbindende und Positive. Ich glaube, wir haben es als Gesetzgeber gemeinsam mit der Bundesregierung geschafft, daß sich die Gesundheitspolitik im parlamentarischen Raum befreit hat von sehr kurzsichtigen, egoistischen Argumentationslinien, die es bei vergangenen Kostendämpfungsgesetzen so schwer gemacht haben, daß möglicherweise beabsichtigte Intentionen sich durchgesetzt haben. Das ist gesellschaftspolitisch für die Entwicklung des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik und vor allen Dingen für die Patienten eine gute Sache.
Dabei müssen wir allerdings mit diesem Werk fortfahren. Ich habe mit Zufriedenheit gehört, daß der Bundesgesundheitsminister gesagt hat: Wenn diese Gemeinsamkeit gegenüber Interessenvertretern im Gesundheitswesen verlassen wird, kann es sehr schnell passieren, daß, wie bei anderen Gesetzen, ebenfalls wieder Einzelinteressenten dabei sein werden, jetzt ihrerseits die Rosinen aus dem Gesetz zu picken. Es ist für uns alle als Gesetzgeber, glaube ich, eine ganz wichtige Aufgabenstellung, glaubhaft nach draußen deutlich zu machen: Wenn sich hier Nutznießer des Gesetzes herausbilden sollten und das auch betreiben, dann werden wir gemeinsam sehr schnell und sehr flexibel mit einzelnen Gesetzesänderungen, die notwendig sind, darauf reagieren, um diese Gemeinsamkeit zu erhalten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212708800
Meine Damen und Herren! Wir haben bei der Debatte bisher aufmerksame Zuhörer gehabt. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn das für den Rest der Debatte auch der Fall sein würde.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1212708900
Das ist das Schicksal des letzten Redners vor einer namentlichen Abstimmung, daß er wenig Zuhörer, aber viele Anwesende im Raum hat. Damit muß man leben, da muß man durch.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir uns mit der Zukunft beschäftigen, da geht es um Vollzug, das ist unstrittig. Aber ich glaube, es geht auch darum, daß wir das Gespräch mit den Interessenten im Gesundheitswesen suchen, und zwar sehr gezielt mit denjenigen Interessenten, die in der Gesetzesberatung deutlich gemacht haben, daß sie den Wunsch haben, gemeinsam zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und der Krankenversorgung in der Bundesrepublik beizutragen. Das heißt, ich halte ein Plädoyer für die Auseinandersetzung mit Reformlobbyismus in diesem Lande und bin für eine harte Absage an die Lobby der Begünstigten, die in diesem System Begünstigte bleiben wollen. Ich glaube, das sind die Perspektiven für die Zukunft.
In dem Zusammenhang möchte ich einen positiven Beitrag der, ich sage mal, Reformlobby hier im Bundestag zur Diskussion stellen. Ich meine die Vorschläge der Ärztekammer Berlin zur Verbesserung des Gesundheits-Strukturgesetzes 1993, weil sie nämlich bei aller Kritik davon ausgehen, die im Gesetz angelegten Chancen für die künftige Diskussion zu nutzen. Die Ärztekammer Berlin sagt, das Gesetz zwinge alle Beteilig ten, Patienten, Krankenkassen, Ärzteschaft, Gesundheitsarbeiter, Krankenhäuser und andere Träger von gesundheitlichen Diensten zum grundlegenden Umdenken und zu besseren Formen der aufgabenorientierten Zusammenarbeit bei der Umsetzung des Gesetzes in die tägliche Praxis. Ich glaube, das ist ein Erfordernis, wenn unser gemeinsames Werk zu einem gemeinsamen Erfolg werden soll.
Sie fordert zweitens, der Patient und der Versicherte — kurz gesagt: der Mensch — gehörten in den Mittelpunkt des Gesundheitswesens; das sei das verbindende Glied, um zu Kooperationen zu kommen.
Dabei nennt sie Beispiele. Sie sagt: Die Strukturreform der Krankenkassen bietet die Möglichkeit für mehr Chancengleichheit für die Versicherten im Wettbewerb um gute Leistungen. Sie sagt: Die gleichartige Budgetierung aller Versorgungssektoren — sie sagt damit ja zur Budgetierung — bietet eine neue Möglichkeit zum intersektorellen Zusammenwirken bei der Hilfe für kranke Menschen. Das scheint tatsächlich eine Möglichkeit zu sein, einen Schritt vom Kästchendenken, vom Verlagerungsdenken in diesem Gesetzeswerk wegzukommen.
Sie sagt drittens: Die Aufwertung und Verbesserung der hausärztlichen Versorgung führt zur Stärkung der Fähigkeiten zur wirksamen ambulanten Hilfe für die Patienten. Sie meint, daß die Öffnung der Krankenhäuser zur vor- und nachstationären Behandlung die Kooperation zwischen ambulanter und stationärer Versorgung anreize. Sie sieht im Institut „Arzneimittel in der Krankenversicherung" und in der Festlegung einer Liste verordnungsfähiger Arzneimittel — ob sie nun Positivliste genannt wird oder nicht — die Chance für mehr Rationalität beim Arzneimittelkonsum.
10972 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Horst Peter (Kassel)

Sie begrüßt, daß wir im Gesetz die Möglichkeit für die Krankenkassen aufgenommen haben, auch Zuschüsse für Selbsthilfegruppen zu leisten und damit die Möglichkeit zur patientenbeteiligten Prävention im Gesundheitswesen zu schaffen.
Sie übt Kritik an Regelungen, die durch restriktivbürokratische Reglementierungen Reformpotentiale im Gesundheitswesen unterdrücken, und sie benennt richtig die Konsequenz dieser reglementierenden restriktiv-bürokratischen Elemente, die das Gesetz natürlich noch enthält, nämlich daß dadurch eine falsche Diskussionslinie um die Gesundheitspolitik in der Bundesrepublik aufgebaut wird, die weiter im Kosten- und Kästchendenken verharrt und nicht zum Reformdenken durchstößt.
Dieser Beitrag der Ärztekammer Berlin zwingt zur Auseinandersetzung über die Fortsetzung der Gesundheitsreform. Dabei wird die Diskussion um die richtigen Fragestellungen geführt werden müssen.
Ich glaube, es ist eine zentrale Aufgabe, sich über Kooperation als Zielsetzung einer künftigen Reform und der Überwindung von Gruppensicht zu unterhalten, über die Orientierung auf den Menschen hin unter dem Gesichtspunkt des regionalen Bedarfs statt einer Einkommensmaximierung, über die Prävention statt des Festhaltens am Wort „bewährt", das die zentrale Innovations- und Reformbremse im Gesundheitwesen darstellt.
Es ist schon erstaunlich, wie mit der Verwendung des Wortes „bewährt" Innovationen und Reformen im Gesundheitswesen verhindert werden können. Ich bin nicht sicher, glaube aber, daß ich auch schon die Formulierung vom „bewährten Fortschritt im Gesundheitswesen" gehört habe, der sicherstellt, daß sich nichts ändert.
Minister Seehofer möchte andere Fragen in das Zentrum der Auseinandersetzung stellen, beispielsweise die Frage nach der Neubestimmung des Verhältnisses von Selbstverantwortung und Solidarität unter der Vorgabe der Lohnnebenkostenstabilität — das ist nämlich immer gemeint, wenn man von Beitragsstabilität spricht —, mit der Konsequenz, daß über Leistungsbegrenzungen und Leistungsausgrenzungen statt über Leistungsverbesserungen geredet wird.
Herr Thomae sieht die zentrale Frage in der Absenkung der Versicherungspflichtgrenze als Basis eines anderen Krankenversicherungssystems, während für die SPD eine angemessene, auf dem Wege der Kooperation gewonnene Bedarfsplanung diejenige Frage ist, die bei der nächsten Reform des Gesundheitswesens im Mittelpunkt steht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße deshalb den Vorschlag der Ministerin des Saarlandes, Frau Krajewski, die eine regionale Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen schaffen will, weil sie die Chance bietet, die Akteure im Gesundheitswesen an die Kooperation heranzuführen. Angst ist ein Hemmnis für Reformen im Gesundheitswesen, während Kooperation eine Ressource des Gesundheitswesens ist. In diesem Sinne sollten wir mit der Beendigung der Diskussion um unsere gemeinsame Anstrengung eine zielgerichtete Reformperspektive für weitere Gesundheitsreformen für die Zukunft gewinnen.
Ich bedanke mich bei allen, die zugehört haben, für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212709000
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Claus Jäger das Wort zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung und möchte das Haus bitten, diese Erklärung mit der nötigen Ruhe entgegenzunehmen.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1212709100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diesem Gesetz kann ich auch unter Berücksichtigung seiner positiven Seiten nicht zustimmen. Zwar übersehe ich nicht den mindestens vorübergehenden kostendämpfenden Effekt; auf der anderen Seite sind die schweren Bedenken gegen die tragenden Grundbestimmungen des Gesetzes für mich unüberwindlich.
In einer nur selten übertroffenen Regelungswut — ich denke z. B. an das Vorschriftenungetüm des § 85, den auch nur vorzulesen die Redezeit eines jeden Redners in dieser Debatte überschritten hätte — wird das Gesundheitswesen einem bürokratischen Netzwerk unterworfen, das in dieser Form bisher nur sozialistische Regierungen entwickelt haben. Ich verstehe daher gut, daß es der SPD-Opposition leichtfällt, dem Gesetz zuzustimmen.

(Lachen bei der SPD)

Mit dem Gesundheits-Strukturgesetz sehe ich einen Weg beschritten, der zur Beseitiguung der Freiberuflichkeit des Ärztestandes führen muß.
Ganz besonders stört mich an diesem Gesetz die krasse Ungerechtigtkeit, die darin liegt, daß auf der einen Seite Leistungen eingeschränkt und sogar gänzlich gestrichen werden, die der Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit dienen, während auf der andern Seite Leistungen, die damit nichts zu tun haben — wie die Tötung ungeborener Kinder oder die Pille auf Krankenschein —, uneingeschränkt erhalten bleiben.

(Zurufe von der SPD)

Vor allem dieser Mißbrauch mit dem Geld der Beitragszahler, von denen sich viele wegen dieser Verwendung ihrer Beiträge in ihrem Gewissen verletzt fühlen, macht es mir unmöglich, diesem Gesetz meine Zustimmung zu geben. Ich werde daher das Gesundheits-Strukturgesetz ablehnen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212709200
Zunächst möchte ich dem Hause bekannt geben, daß wir aus den drei Fraktionen 32 Erklärungen zur Abstimmung vorliegen haben.*)
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesundheits-Strukturgesetzes, der Ihnen auf den Drucksachen 12/3608 und 12/3930 vorliegt.
Ich möchte darauf hinweisen, daß der Berichterstatter, Herr Dr. Paul Hoffacker, heute morgen einige
*) Anlagen 2, 3 und 4
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10973
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Berichtigungen zu den Beschlußempfehlungen zu Protokoll gegeben hat. *) Ich gehe davon aus, daß Sie es mir und Ihnen ersparen, diese Berichtigungen jetzt vorzulesen. — Da dies von Ihnen offensichtlich akzeptiert wird, kann ich zu den Änderungsanträgen der Gruppe PDS/Linke Liste kommen. Darüber lasse ich zunächst abstimmen. Die Gruppe hat darum gebeten, über die Nummern 1 bis 3 ihres Änderungsantrags auf Drucksache 12/3941 getrennt abstimmen zu lassen. Ich werde so verfahren.
Ich frage also nunmehr zunächst einmal: Wer stimmt der Nr. 1 des Änderungsantrags der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/3941 zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist Nr. 1 mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der GRÜNEN abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über die Nr. 2 dieses Änderungsantrags der Gruppe PDS/Linke Liste abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei in etwa gleichen Mehrheitsverhältnissen abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu Nr. 3 dieses Antrags. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Wiederum bei den gleichen Mehrheitsverhältnissen abgelehnt.
Damit ist der Änderungsantrag auch insgesamt abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/3942 ab. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei in etwa gleichen Mehrheitsverhältnissen ist der Antrag abgelehnt.
Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit den von dem Berichterstatter zu Protokoll gegebenen Berichtigungen zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist das Gesetz in der zweiten Lesung gegen vereinzelte Stimmen und bei vereinzelten Stimmenthaltungen aus Gruppen und Fraktionen angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung nach dem bekannten Verfahren.
Ich mache die Damen und Herren Abgeordneten darauf aufmerksam, daß wir danach noch über etliche Entschließungsanträge abzustimmen haben. Weitere Abstimmungen werden also durchgeführt werden, bevor wir zur Regierungsbefragung kommen. —
Darf ich einmal denjenigen, der die Geschäfte bei der F.D.P. führt, fragen, ob wir die Abstimmung schließen können? — Sind alle Stimmen abgegeben? — Okay. Ich möchte den Geschäftsführer der Unionsfraktion fragen, ob wir die Abstimmung aus der Sicht
*) Anlage 5
der Unionsfraktion schließen können. — PDS/Linke Liste? — Gruppe der GRÜNEN? —
Meine Damen und Herren, ich frage noch einmal, ob sich jemand im Saal befindet, der seine Stimme nicht abgegeben hat. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung werde ich später bekanntgeben. * )
Meine Damen und Herren, ich möchte nunmehr mit der Abstimmung fortfahren und bitte Sie eindringlich, Platz zu nehmen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/3939. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Entschließungsantrag gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/3940. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Entschließungsantrag ebenfalls abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zum Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/3943. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Entschließungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt Ihnen auf Drucksache 12/3930, die Regierungsentwürfe eines Gesundheits-Strukturgesetzes 1993 und eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt Ihnen außerdem, den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/3606 abzulehnen. Es geht dabei um die Vorlage eines neuen Gesundheits-Strukturgesetzes. Wer der Empfehlung des Ausschusses, das abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung bei einer Enthaltung und gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste angenommen.
Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt des weiteren, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3226 zur Reform des Gesundheitswesens für erledigt zu erklären.
Wer dieser Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
*) Seite 10980 A
10974 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Zu den Berichten der Bundesregierung zur Entwicklung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und zur Umsetzung der Empfehlungen und Vorschläge der Konzertierten Aktion sowie über die von der Selbstverwaltung der landwirtschaftlichen Krankenversicherung durchgeführten Entlastungsmaßnahmen empfiehlt der Ausschuß Kenntnisnahme. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist das einstimmig angenommen.
Außerdem empfiehlt der Ausschuß für Gesundheit die Annahme eines Entschließungsantrages. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag bei Enthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen worden.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: erstens: Standortsicherungsgesetz; zweitens: Gesetz zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres; drittens: Gesetzentwurf zum Übereinkommen über die Biologische Vielfalt; viertens: Bericht zur Rauschgiftsituation.
Das Wort zu dem einleitenden Bericht hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Dr. Joachim Grünewald.

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1212709300
Das Bundeskabinett hat heute morgen als zweite Stufe der Unternehmensteuerreform das Standortsicherungsgesetz beschlossen. Ziele des Gesetzes sind — im Telegrammstil — die Stärkung der Investitionstätigkeit, die Förderung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums, insbesondere aber auch die Sicherung des Standortes Bundesrepublik Deutschland vor allem für ausländische Unternehmen sowie die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen speziell für den Mittelstand durch besondere mittelständische Akzente und die Belebung der Investitionstätigkeit in den jungen Ländern.
Kernelement dieses Gesetzentwurfs ist die Senkung der Körperschaftsteuer von derzeit 50 % auf 44 %. Nachdem wir uns im Rahmen des Finanzpakets 1992 in der ersten Stufe mehr den ertragsunabhängigen Besteuerungskomponenten zugewandt haben, liegt jetzt der Schwerpunkt bei der ertragsabhängigen Besteuerung.
Darüber hinaus ist vorgesehen, daß für die ausgeschütteten Gewinne der ermäßigte Körperschaftsteuersatz von 36 % auf 30 % heruntergesetzt wird.
Das Besondere ist nun, daß wir damit die mittelständischen Unternehmen in ihren gewerblichen Betätigungen und ihren gewerblichen Einkünften nicht erreichen können. Für diese ist, wie Sie wissen, die Einkommensteuer die Betriebssteuer überhaupt.
Deshalb ist vorgesehen, daß wir — wohlgemerkt, nur für die gewerblichen Einkünfte — hier gleichziehen und den Einkommensteuersatz für diese Einkünfte bei 44 % „abdeckeln". Damit sollen die Wirkungen der Kumulation von Einkommensteuer und Gewerbesteuer bei diesen Unternehmensgruppen gemildert werden.
Die Gewerbesteuer, an die wir in dieser Phase nicht herankonnten, und zwar auch mit Sicht auf die Folgewirkungen für eine notwendige Gemeindefinanzreform, bleibt um so mehr auf dem Prüfstand, als sich die kommunalen Spitzenverbände ja gerade in den jüngsten Wochen für eine Beteiligung an der Umsatzsteuer geöffnet haben.
Nun speziell zu den Mittelstandskomponenten: Zum einen ist eine eigenkapitalschonende Ansparabschreibung in Form einer Rücklage vorgesehen. Hier kann also schon steuerfreies Kapital für eine zukünftige Investition angesammelt werden.
Des weiteren ist die Einführung eines Freibetrages bei der Erbschaftsteuer in einer Größenordnung von 500 000 DM vorgesehen und im Gefolge damit mit Sicht auf den überschießenden Betrag ein Bewertungsabschlag von 25 %. Hiermit wollen wir insbesondere die großen Probleme abmildern, die sich im Erbfall für die mittelständischen Unternehmen und damit auch für die Arbeitsplätze ergeben.
Nun zu den Maßnahmen für die jungen Länder: Zunächst sind die Verlängerung der Aussetzung der Gewerbekapital- und der Vermögensteuer bis ultimo 1995 und die Ausdehnung der betrieblichen Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz um weitere zwei Jahre, also bis Ende 1996, zu nennen.
Zwischen allen Beteiligten besteht mit Sicht auf die derzeitige fiskalische Situation völlige Übereinstimmung, daß sich das alles nur aufkommensneutral vollziehen kann, daß diese Maßnahmen also nicht zu einer Nettoentlastung der Unternehmen führen können. Deswegen ist zur Refinanzierung insbesondere eine maßvolle Verminderung der degressiven Abschreibungsmöglichkeiten a) für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens von 30 auf 25 % — im internationalen Vergleich lägen wir dann immer noch in der Mitte — und b) für Betriebsgebäude in den Anfangsjahren von 10 % auf 7 %, womit wir international immer noch an der Spitze lägen, vorgesehen.
Diese Verminderungen haben wohlgemerkt keinerlei Auswirkungen auf die Investitionen in den neuen Ländern; denn dort gilt ja, wie eben gesagt, die dann noch verlängerte Sonderabschreibung.
Noch eine Kleinigkeit: Die steuerliche Abschreibungsdauer für betrieblich genutzte Pkw wird infolge einer Entscheidung des Bundesfinanzhofes von vier auf fünf Jahre erhöht.
Auch bei der Gesellschafterfremdfinanzierung wollen wir bei übertriebenen Fremdfinanzierungen die steuerfreien Zinsen in dann steuerpflichtige Gewinnausschüttungen umwandeln.
Es sind dann noch weitere kleinere Maßnahmen vorgesehen, die insbesondere ausländische Investoren begünstigen sollen. Da das über alle Ebenen natürlich wie immer im Nutzen und in den Lasten austariert sein soll, sollen die Steuermehreinnahmen, die die Kommunen auf Grund dieses Maßnahmenkataloges erwarten können, durch eine Erhöhung der Gewerbesteuerumlage, die derzeit 28 Prozentpunkte
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Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald
beträgt, um 14 Prozentpunkte ausgeglichen werden.
Das Kabinett ist der Meinung, daß von diesem Gesetz gerade in der der jetzigen Situation eine gewichtige Signalwirkung für Investitionen und damit für belebende wirtschaftliche Momente ausgehen kann.
Ich danke Ihnen sehr.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212709400
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für den Bericht. Ich lasse zunächst einmal Fragen zu diesem Bereich zu, und zwar hat sich der Abgeordnete Poß gemeldet.

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1212709500
Herr Staatssekretär, halten Sie es eigentlich nicht für eine Zumutung gegenüber dem Parlament, hier einen Gesetzentwurf vorzulegen, dessen wesentlicher Finanzierungsteil zwischen Finanzminister und Wirtschaftsminister, dem neuen Horror-Duo der deutschen Wirtschaftsgeschichte, umstritten ist?

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1212709600
Nein, überhaupt nicht, lieber Herr Kollege Poß. Das Kabinett hat heute morgen auf der Grundlage der Vorlage von Bundesfinanzminister Waigel so beschlossen. Das als erste Bemerkung.
Zweitens. Es besteht im Kabinett seit langer Zeit volle Übereinkunft darüber, daß sich in dieser fiskalischen Situation alle Maßnahmen nur aufkommensneutral vollziehen können und sie deswegen eine Refinanzierung unabdingbar notwendig machen. Natürlich kann man mit Sicht auf die veränderte konjunkturelle Situation im weiteren Gesetzgebungsverfahren — auch unter Beobachtung der zukünftigen konjunkturellen Entwicklung — über andere Refinanzierungsmöglichkeiten, wenn man sie denn findet, nachdenken. Das will ich nicht ausschließen. Im Augenblick sind sie aber nicht zu sehen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212709700
Herr Abgeordneter Faltlhauser.

Dr. Kurt Faltlhauser (CSU):
Rede ID: ID1212709800
Herr Staatssekretär, könnten Sie uns erstens etwas zu den Überlegungen sagen, dieses Gesetz gerade in der jetzigen konjunkturellen Situation zu verabschieden, um auf diese Weise möglicherweise im europäischen Konzert der Konjunktur einen Beitrag zu leisten?
Zweitens: Wie beurteilen Sie denn den Alternativvorschlag, der von der SPD gemacht wurde, im Hinblick auf die Senkung des Steuersatzes unter der Überschrift „Optionsmodell"? Wenn Sie das, vergleichend mit dem Regierungsmodell, einmal beurteilen wollten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1212709900
Das Kabinett war heute morgen völlig einvernehmlich der Meinung, daß gerade in dieser Situation dem Gesetz aus konjunkturellen Gründen eine große Bedeutung zukommt, auch im europäischen Konzert, auch und nicht zuletzt mit Sicht auf den Binnenmarkt ab 1. Januar, wenn sich der internationale Wettbewerb für unsere Unternehmen ganz zweifellos noch verschärfen wird, und auch mit Sicht auf Überlegungen, die gerade EG-weit zur Konjunkturankurbelung angestellt werden.
Zur zweiten Frage: Optionsmodell der Opposition. In den finanziellen Auswirkungen wäre dieses Optionsmodell noch sehr viel weitergehend.

(Joachim Poß [SPD]: Es kommt darauf an, wie man rechnet!)

Es würde niemals so zielgenau greifen wie unser Modell. Das findet seinen Niederschlag in der Reaktion nahezu aller Wirtschaftsverbände, die diese Lösung und auch die neue Lösung mit der Begrenzung des Einkommensteuersatzes bei 44 % als eine außerordentlich intelligente Lösung angesehen haben. Wir dürfen uns auch darauf berufen, daß wir den Sachverständigenrat im Rücken haben, der dieses Gesetz zu diesem Zeitpunkt ausdrücklich begrüßt.
Noch einmal zur Refinanzierung: Wir haben doch gar nichts anderes getan als das, was uns die Goerdeler-Kommission in ihrem Gutachten zur Unternehmensteuerreform als Refinanzierungsmaßnahme vorgeschlagen hat.
Schönen Dank.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212710000
Als nächster Fragesteller der Abgeordnete Manfred Hampel.

Manfred Hampel (SPD):
Rede ID: ID1212710100
Herr Staatssekretär, ich möchte auf die Mittelstandskomponente eingehen, die Sie hervorgehoben haben. Trifft es zu, daß zwar die Spitzensteuersatzsenkung eine Reihe von kleineren und mittleren Unternehmen nicht betrifft, da sie gar nicht soweit in die Progression hineinkommen, diese aber bei der Refinanzierung über die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen durchaus dabei sind? Könnten Sie mir diese Mittelstandskomponente noch etwas genauer erläutern?

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1212710200
Gerne. Ihre Frage, ob es zutreffen würde, daß einige durch die Ermäßigung des Einkommensteuersatzes begünstigt werden und zugleich über die Refinanzierung im Ergebnis sogar noch höher belastet werden sollen, muß ich verneinen.
Vorgesehen — um es noch einmal zu erläutern — ist eine eigenkapitalschonende Ansparleistung, die im Grunde genommen den Charakter einer vorgezogenen Rücklage mit steuerstundender Wirkung hat. Wenn sich also der Unternehmer — um es ganz einfach und verkürzt zu sagen — überlegt: „Ich habe in zwei Jahren die und die konkrete Investition mit dem und dem finanziellen Umfang vor" — ganz anders als bei dem Modell der SPD; da braucht er das ja alles gar nicht zu wissen —, dann kann er darauf eine Abschreibung vornehmen, bevor er mit der Investition überhaupt beginnt.
Im Kern richtig ist an Ihrer Frage — ich bin nicht ganz sicher, ob Sie das gemeint haben —, daß wir mit dieser Maßnahme natürlich nur bilanzierende Unternehmen treffen können und auch treffen wollen, während wir die kleinen, die gar nicht bilanzieren, die, so gesehen, in die Systematik der Abschreibung
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Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald
auch gar nicht hineinpassen, ausschließen, auch
— das sei zugestanden — um Mitnahmeeffekte zu vermeiden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212710300
Als nächster Fragesteller der Abgeordnete Gunnar Uldall.

Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1212710400
Was kann man zur Besteuerung der Gewinne in den übrigen Industrienationen, z. B. in den USA und in Japan, sagen? Wie hoch sind dort die Prozentsätze, mit denen die Gewinne — sowohl ausgeschüttete wie einbehaltene Gewinne — besteuert werden? Was würde es bedeuten, Herr Staatssekretär, wenn wir dem Trend zur allgemeinen Absenkung der Gewinnbesteuerung in den Wettbewerbsländern Deutschlands nicht folgen würden, sondern weiterhin ein Hochsteuerland bleiben würden?

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1212710500
Ich glaube, Herr Kollege Uldall, es ist in diesem Hause — dafür darf ich mich bedanken — ganz unstreitig, daß wir trotz aller Schwierigkeiten bei Steuerbelastungsvergleichen internationaler Natur — es haben ja alle andere Bemessungsgrundlagen — feststellen können, daß wir an der Spitze der Besteuerung liegen.
Das wird besonders deutlich bei der Körperschaftsteuer. Unsere europäischen Nachbarn — ob die Engländer, die Franzosen, die Luxemburger, die Niederländer oder die Belgier — bewegen sich alle bei Körperschaftsteuersätzen in der Größenordnung von 33 %, 34 %, 35 %. Übrigens: Das sozialistisch regierte Österreich ist mit nur 30 % ganz unten auf der Liste. Japan liegt bei 37,5 %, die Vereinigten Staaten, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, bei 34 %, demgegenüber beträgt der bei uns geltende Körperschaftsteuersatz 50 %. Deswegen besteht zwischen uns Einvernehmen, daß wir an dem Körperschaftsteuersatz auf jeden Fall etwas ändern müssen.
Aber wir müssen natürlich auch die besondere Unternehmensstruktur bei uns in der Bundesrepublik berücksichtigen, wo für neun von zehn Unternehmen
— Einzelunternehmen oder Personalgesellschaften —, wie eben schon einmal formuliert, die Einkommensteuer die Betriebssteuer ist. Deswegen ist vorgesehen, den Einkommensteuersatz für gewerbliche
— wohlgemerkt, nur für gewerbliche — Einkünfte bei 44 % zu deckeln; denn auch diese Unternehmen stehen natürlich im internationalen Wettbewerb der Standorte.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212710600
Der nächste Fragesteller ist der Abgeordnete Dr. Franz-Josef Mertens.

Dr. Franz-Josef Mertens (SPD):
Rede ID: ID1212710700
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung die Auffassung teilt, daß mit der zunächst auf Einkünfte aus Gewerbebetrieben begrenzten Senkung des Einkommensteuersatzes, die natürlich auch für zu Konsumzwecken entnommene Gewinne gilt, die von den finanzwirtschaftlichen Forschungsinstituten und von führenden CDU-Politikern apostrophierte Gerechtigkeitslücke noch größer wird?

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1212710800
Herr Kollege Mertens, es wäre ein abendfüllendes Thema, sich über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der Gerechtigkeitslücke streiten zu wollen. Wir sind hier in einer steuerpolitischen Debatte.
Lassen Sie mich dazu nur dies sagen. Fakt ist, daß im Augenblick 28,1 % der Steuerzahler 71,8 % des Lohn- und Einkommensteueraufkommens aufbringen. Das ist Fakt.
Jetzt konkret zu Ihrer weiteren Frage, ob sich diese angebliche Gerechtigkeitslücke, der ich ausdrücklich, wie Sie merken, entgegentrete — es gäbe noch vieles zu sagen, auch zum Sozialbereich —, noch vergrößern würde. Nein, genau nicht; denn für die nichtgewerblichen Einkünfte, also für die Selbständigen — das sage ich auch als Titularanwalt —, für die steuerberatenden Berufe, für die Ärzte, verbleibt es bei dem geltenden Steuersatz von 53 %. Wir muten also diesem Personenkreis zusätzlich ein wenig an weiterer Solidarität in dieser Situation für den Aufbau der neuen Bundesländer zu.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212710900
Der nächste Fragesteller ist der Abgeordnete Martin Grüner.

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID1212711000
Herr Staatssekretär, sind Sie im Blick auf die Ansparförderung nicht der Meinung, daß es sich lohnen würde, angesichts der sehr großen Zahl von Betrieben und Unternehmen mit einer geringen Beschäftigtenzahl, die nicht bilanzieren, die also nicht einbezogen werden, wegen ihrer Beschäftigungswirkung diese Lösung noch einmal zu überdenken und auch daran zu denken, daß von außerordentlicher Beschäftigungswirkung alle diejenigen sind, die als Nichtgewerbesteuerzahler eine hohe Beschäftigtenzahl haben und die mit einem Sonderopfer bedacht werden, weil sie nicht Gewerbesteuerzahler sind? Sie sind Arbeitgeber und für die Beschäftigung außerordentlich wichtig. Wäre es nicht richtig, dieses Konzept noch einmal zu überdenken und den Erfindungsreichtum des Bundesfinanzministeriums, den wir bewundern, im Blick auf die Beschäftigungssituation noch einmal zu bemühen?

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1212711100
Schönen Dank, Herr Kollege Grüner. Zur Ansparabschreibung zugunsten auch solcher Unternehmen, die als Kleinunternehmer nicht bilanzierungspflichtig sind, können wir uns in der weiteren Beratung des Gesetzes, auch in der zweifellos vorzunehmenden Anhörung zum Gesetz sicherlich noch einmal unterhalten. Denn das, was ich eben mit „Mitnahmeeffekt" erwähnte, engen wir für alle ein, auch wieder anders als das Optionsmodell der SPD, indem wir einen Gewinnzuschlag von 6 % in dem Augenblick einfordern, in dem gewinnerhöhend die Rücklage aufgelöst wird, aber nicht zur Investition führt. Das zu dem Problemkreis.
Der zweite Problemkreis ist noch einmal die Frage nach den nichtgewerblichen Einkünften. Hier sei angeführt, daß wir uns natürlich auch um eine verfassungsfeste Lösung bemühen müssen. In der Beschränkung auf den Personenkreis, der in der Kumulation von Einkommensteuer- und Gewerbesteuerlast steht,
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Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald
der also im Extremfall über 60 % an Steuern zu zahlen hat, gegenüber dem anderen Personenkreis, der wie die Freiberufler und die übrigen nicht der Gewerbesteuer unterliegt, liegt auch der verfassungsrechtlich zu rechtfertigende Grund für diese — ich betone — auf Zeit vorgesehene ungleiche Behandlung unterschiedlicher Einkunftsarten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212711200
Meine Damen und Herren, ich möchte das Haus kurz über den Verfahrensstand informieren. Zu diesem Punkt haben sich noch als Fragesteller die Abgeordneten Eich, von Larcher und Rind gemeldet. Ich würde diesen Bereich dann gern abschließen, weil wir die Hälfte der Befragungszeit verbraucht haben und ich ganz gerne auch zu den übrigen Bereichen kommen würde. Zunächst einmal der Abgeordnete Eich.

Ludwig Eich (SPD):
Rede ID: ID1212711300
Herr Staatssekretär, ich muß jetzt, nachdem Sie die letzten Bemerkungen gemacht haben, noch einmal nachfassen: Ist es die Absicht der Bundesregierung, nachdem sie nun die Einkommensteuer bei Gewerbebetrieben senkt bzw. deckelt, dies in Zukunft auch bei anderen Einkunftsarten zu tun?

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1212711400
Ich kann diese Frage — auch im Nachgang zu der Frage vom Kollegen Uldall — mit einem klaren Ja beantworten. Wenn wir nicht in dieser fiskalisch schwierigen Situation wären, würden wir mit Sicht auf die vergleichsweise doch exorbitant hohe Steuerbelastung bei uns in Deutschland einen einheitlichen Steuersatz für alle anstreben. Nur, das können wir uns a) in dieser Situation nicht leisten, und b) wäre es auch bei realistischer Betrachtung des Folgeweges dieses Gesetzes über den Vermittlungsausschuß bis hin ins Gesetzblatt nach den Erfahrungen, die wir beim Finanzpaket 1991 und 1992 gemacht haben, kaum wahrscheinlich, daß das Gesetz je ins Gesetzesblatt käme.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212711500
Der Abgeordnete Hermann Rind, bitte.

Hermann Rind (FDP):
Rede ID: ID1212711600
Herr Staatssekretär, weil gerade von Herrn Kollegen Poß das Stichwort „Gerechtigkeitslücke" wieder in den Raum gerufen wird, eine Frage an Sie: Wenn die Philosophie, wie Sie dies angedeutet haben, darin besteht, daß die zusätzliche Belastung mit Gewerbesteuer bei den gewerblichen Einkünften zu einer ungleich höheren Besteuerung dieser Einkunftsart gegenüber allen anderen führt und daraus die Rechtfertigung abzuleiten ist, hier den Tarif zu deckeln, dann frage ich Sie, ob es nach Berechnungen, die Sie sicherlich angestellt haben, Fälle gibt, in denen unter Berücksichtigung der Dekkelung und eines durchschnittlichen Gewerbesteuerhebesatzes, wie er hier in der Bundesrepublik üblich ist, die Steuerbelastung gewerblicher Einkünfte am Ende niedriger ist als die anderer Einkunftsarten oder wie sich die Besteuerung nach Inkrafttreten des Standortsicherungsgesetzes unter Einbeziehung der Gewerbesteuer verhält zur Besteuerung anderer Einkunftsarten.

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1212711700
Herr Kollege Rind, zu dieser letzten Frage: Wenn es so kommt, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, ist kein Fall denkbar, daß im Vergleich zu der Gewerbesteuerpflicht die Entlastungen in diesem Modell höher sein würden und man sich damit im übrigen der Gewerbesteuer entziehen würde — das ist der Kern und der Hintergrund Ihrer Frage —, daß man also ausweichen könnte. Es bleiben die Entlastungen wie es sich zur Stunde darstellt, immer unterhalb der Gewerbesteuerbelastung.
Im übrigen, zum ersten Teil Ihrer Frage: Wir haben natürlich auch wegen der Disparitäten in der Struktur der bundesdeutschen Unternehmen — hier kapitalverfaßt, da Personengesellschaften, 1: 9 — sehr darauf zu achten, daß wir auch aus wirtschaftspolitischen Gründen den überkommenen Grundsatz der Rechtsformneutralität in diesen steuerlichen Maßnahmen Rechnung tragen. Gerade das tun wir, indem wir bei 44 % für alle gewerblich tätigen Unternehmungen, gleich welcher rechtlichen Verfassung, diesen einheitlichen gedeckelten Steuersatz einführen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212711800
Der Herr Abgeordnete von Larcher, bitte.

Detlev von Larcher (SPD):
Rede ID: ID1212711900
Herr Staatssekretär, Kollege Poß hatte Sie nach Einwänden des Bundeswirtschaftsministeriums gefragt. Sie haben gesagt, es gebe keine Einwände, obwohl wir es heute in der Zeitung anders lesen konnten. Ich frage Sie nun nach Vorbehalten aus dem Bundesjustizministerium. Trifft es zu, daß es da Vorbehalte gibt, weil die Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes für gewerbliche Einkünfte zu einer Ungleichbehandlung der verschiedenen Einkunftsarten führt und deswegen verfassungsrechtlich bedenklich ist? Und wie ist es mit der Erbschaftsteuer im Vergleich etwa zur Kapitalvermögensteuer? Bestehen da nicht auch verfassungsrechtliche Bedenken?

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1212712000
Herr Kollege von Larcher, Sie nehmen mich falsch in Anspruch. Ich habe nicht gesagt, es gebe keinerlei Überlegungen, sich möglicherweise einer anderen Refinanzierung zu öffnen, wenn es sie denn da geben würde.

(Joachim Poß [SPD]: Was hat das Kabinett denn beschlossen?)

— Das habe ich klar beantwortet, lieber Herr Kollege Poß: den Entwurf in unveränderter Form, wie ihn mein Minister Theo Waigel eingebracht hat. Es ist doch ganz natürlich, daß wir unterwegs bei einer jedweden Gesetzgebungsberatung, gerade in den steuerrechtlichen Gesetzen, auch noch weitere Erkenntnisse finden können, und daß wir uns auch möglichen konjunkturellen Veränderungen unterwegs der Beratungen nicht verschließen können.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Der Bundesjustizminister hat die Rechtsförmlichkeit geprüft. Er hat keine Bedenken, er hat auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken zu irgendeinem Zeitpunkt geäußert. Ich habe eben die verfassungsrechtliche Situation darzu-
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Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald
legen versucht. Verfassungsrechtliche Bedenken im Zusammenhang der Annäherung der Freibeträge bei der Erbschaftsteuer — was wir im Finanzpaket 1992 gemacht haben — zu den Vermögensteuerfreibeträgen mit jeweils 25 % Bewertungszuschlag sind bisher von keiner Seite vorgetragen worden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212712100
Damit möchte ich den ersten Bereich abschließen.
Wir kommen nunmehr zu dem zweiten Bereich. Das ist der Gesetzentwurf zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres. Hier steht Frau Dr. Merkel für die Beantwortung zur Verfügung. Ich rufe zunächst einmal als Fragestellerin die Abgeordnete Frau Claudia Nolte auf.

Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1212712200
Ich möchte meiner Frage erst einmal vorausschicken, daß ich diesen Entwurf ausdrücklich begrüße, weil ich davon überzeugt bin, daß viele Jugendliche von einem solchen freiwilligen ökologischen Jahr profitieren werden.

(Zuruf von der SPD: Ist das die Beifallstunde der Bundesregierung?)

Im Rahmen von Modellprojekten zum freiwilligen ökologischen Jahr hat es öfter einmal Klagen von Teilnehmern gegeben, daß die Helferinnen und Helfer des freiwilligen sozialen Jahres benachteiligt sind. Das trifft insbesondere bei der Zahlung von Kindergeld zu. Meine Frage: Werden solche in der Tat unbefriedigenden Benachteiligungen durch diesen Entwurf beseitigt?

Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1212712300
Es ist richtig, daß im Zusammenhang mit dem Modellvorhaben als Vorstufe der gesetzlichen Regelung zum freiwilligen ökologischen Jahr Kindergeldzahlungen nicht geleistet werden konnten. Deshalb haben wir jetzt dafür gesorgt, daß eine Gleichstellung mit dem freiwilligen sozialen Jahr, d. h. eine ungefähre Gleichstellung der Teilnehmer am freiwilligen ökologischen Jahr mit Auszubildenden erfolgt. Das betrifft auch die Kindergeldzahlungen und gilt ebenso für die Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212712400
Frau Dr. Dobberthien ist die nächste Fragestellerin.

Dr. Marliese Dobberthien (SPD):
Rede ID: ID1212712500
Bei der Gestaltung des freiwilligen ökologischen Jahres muß eigentlich von einem ganzheitlichen Verständnis von Umweltschutz ausgegangen werden, so daß der praktische Einsatz im Gelände allein nicht ausreichend ist, sondern auch andere Arbeitsfelder, wie z. B. Umweltbildung, Umweltberatung, Umwelterziehung mit den umweltrelevanten politischen Prozessen, wissenschaftliche und theoretische Arbeiten, eigentlich gleichberechtigt erfaßt werden sollten. Ist die Bundesregierung bereit, eine solche gleichrangige Klassifizierung der Tätigkeit im freiwilligen ökologischen Jahr vorzunehmen?

Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1212712600
Frau Dobberthien, in unserem Gesetzentwurf ist klargestellt, daß es sich um überwiegend praktische Tätigkeiten handeln muß. Das heißt, daß
durchaus auch eine theoretische Befassung mit dem Umweltschutz möglich ist und Hilfsarbeiten auch im theoretischen, also nichtpraktischen Bereich geleistet werden können.
Wir haben uns mit dieser Frage sehr ausführlich befaßt. Wir sind der Meinung, daß sowohl pädagogische Fortbildung in einem solchen freiwilligen ökologischen Jahr stattfinden muß als auch theoretische Dinge dort machbar sein müssen. Aber eine überwiegend praktische Orientierung halten wir für vertretbar und richtig und auch dem Anliegen entsprechend. Ich glaube, wir sind hier auf einen guten Mittelweg gekommen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212712700
Nächste Fragestellerin ist Frau Dr. Maria Böhmer.

Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1212712800
Frau Ministerin, Umweltfragen sind ja grenzüberschreitend. Da es in einem zusammenwachsenden Europa wichtig ist, daß Jugendliche zusammenkommen, möchte ich wissen, ob in dem Gesetzentwurf auch Vorkehrung getroffen ist, daß das freiwillige ökologische Jahr ebenso wie das freiwillige soziale Jahr im europäischen Ausland abgeleistet werden kann. Vor allem würde mich interessieren, ob dabei auch Vorkehrungen für Osteuropa getroffen worden sind.

Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1212712900
Es ist richtig, daß zur Zeit das freiwillige soziale Jahr auch im europäischen Ausland wahrgenommen werden kann. Voraussetzung dafür ist aber bis jetzt, daß man vorher sechs Monate im Inland tätig gewesen ist. Das hat dazu geführt, daß die Wahrnehmung des halben Jahres im Ausland nur sehr mangelhaft stattgefunden hat. Wir haben deshalb parallel zu der Regelung im freiwilligen ökologischen Jahr auch die gesetzliche Grundlage im freiwilligen sozialen Jahr geändert und dafür gesorgt, daß das ganze Jahr im europäischen Ausland abgeleistet werden kann, so daß sich die praktischen Möglichkeiten damit erweitert haben dürften.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212713000
Frau Dr. Dobberthien noch einmal.

Dr. Marliese Dobberthien (SPD):
Rede ID: ID1212713100
Frau Ministerin, plant die Bundesregierung oder enthält der Gesetzentwurf eine Veränderung der rechtlichen Voraussetzungen in der Arbeitserlaubnisverordnung und im Aufenthaltsrecht dafür, daß auch junge Ausländerinnen und Ausländer am freiwilligen ökologischen und freiwilligen sozialen Jahr teilnehmen können?

Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1212713200
Diese Änderungen sind bis jetzt noch nicht vorgesehen. Wir wollen über diese Möglichkeiten dann sprechen, wenn wir ein weiteres gesetzliches Vorhaben, nämlich das Freiwilligengesetz, zu bearbeiten beginnen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212713300
Auch die Abgeordnete Frau Claudia Nolte möchte noch einmal fragen. Bitte sehr!

Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1212713400
Sie sprachen selber schon die pädagogische Begleitung an. Nun ist ja öfter
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10979
Claudia Nolte
einmal darüber geklagt worden, daß die pädagogische Begleitung beim freiwilligen sozialen Jahr manchmal nicht zufriedenstellend ist. Was haben Sie im Gesetzentwurf vorgesehen, um die gewünschte pädagogische Begleitung sowohl zur Einweisung in die Arbeitsgebiete als auch für die Persönlichkeitsentwicklung sicherzustellen?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212713500
Frau Nolte, seien Sie bitte so nett und bleiben Sie stehen! Ich kann Sie nicht besser behandeln als den Bundeskanzler.

Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1212713600
Liebe Frau Nolte, wir sehen die pädagogische Betreuung während der Ableistung des freiwilligen ökologischen und freiwilligen sozialen Jahres als einen wichtigen Bestandteil an, weil es nicht nur der Ableistung von Arbeit dienen soll, sondern auch der Persönlichkeitsentwicklung. Es ist deshalb festgelegt, daß die Gesamtdauer der Seminare während dieses Jahres mindestens 25 Tage betragen muß und daß ein Einführungs-, ein Zwischen- und ein Abschlußseminar durchgeführt werden müssen, so daß eine angemessene pädagogische Begleitung durch die gesetzliche Fassung dieses Vorhabens garantiert ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212713700
Ich gebe jetzt Frau Dr. Dobberthien noch einmal die Möglichkeit zu fragen, möchte den Bereich dann aber abschließen.

Dr. Marliese Dobberthien (SPD):
Rede ID: ID1212713800
Frau Ministerin, die FÖJ-Finanzierung darf aus unserer Sicht nicht allein den Trägern und Einsatzstellen sowie ergänzend den Ländern obliegen. Eine solche Regelung könnte dazu führen, daß Jugendliche aus reicheren Bundesländern eher die Gelegenheit haben, dieses freiwillige Jahr abzuleisten, als Jugendliche aus ärmeren-und hier insbesondere aus den neuen Bundesländern. Darum die Frage: Ist vorgesehen, um eine bundeseinheitliche Durchführung des freiwilligen ökologischen Jahres zu ermöglichen, daß der Bund die Träger und die Einsatzstellen aus zu erhöhenden Mitteln des Bundesjugendplans fördert?

Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1212713900
Wir fördern die pädagogischen Maßnahmen im Rahmen des freiwilligen sozialen Jahres, werden das nach Möglichkeit auch im Rahmen des freiwilligen ökologischen Jahres tun. Aber wir gehen nicht davon aus, daß sich der Bund an der Ausrichtung dieses freiwilligen ökologischen Jahres beteiligt, genausowenig wie er das bei der Ausrichtung des freiwilligen sozialen Jahres tut. Es ist so, daß der Bund sich sehr wohl daran beteiligt, dieses freiwillige ökologische Jahr zu finanzieren, und zwar dadurch, daß Kindergeldzahlungen weiter erfolgen und die durch Kinderfreibeträge anfallenden Steuermindereinnahmen ausgeglichen werden müssen. Das Ganze führt zu einer Mehrbelastung des Bundeshaushalts in Höhe von ungefähr 3 Millionen DM. Ich denke, der Bund zeigt hiermit, daß er sich den Dingen durchaus stellt. Es ist erfreulicherweise so, Frau Dobberthien, daß wir unter den neuen Bundesländern bereits zwei Bundesländer haben, die sich entschlossen haben, als Länder auch weiterhin auf der gesetzlichen Grundlage fördernd für das freiwillige ökologische Jahr einzutreten. Daß sie der Sache diese Priorität einräumen, finde ich, ist ein guter Anfang, wenn man sieht, daß die neuen Bundesländer hier doch noch Schwierigkeiten haben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212714000
Zu dem Gesetzentwurf zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt gebe ich der Frau Abgeordneten Ulrike Mehl die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.

Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1212714100
Wie und mit welchen Mitteln will die Bundesregierung die Artenschutzkonvention in Deutschland umsetzen? Was will die Bundesregierung auf EG-Ebene einbringen, um sie EG-weit umzusetzen? Da gibt es ja Kollisionspunkte mit der EG-
Artenschutzverordnung, die in Arbeit ist, die unseren Regelungen erheblich widerspricht. Was wird die Bundesregierung tun, um den hauptsächlich betroffenen Drittweltländern zu helfen, Artenschutz zu betreiben, der dann auch wirklich funktioniert?

Dr. Bertram Wieczorek (CDU):
Rede ID: ID1212714200
Herr Präsident! Frau Kollegin Mehl, ich möchte zunächst einmal die Frage in bezug auf die Abstimmung mit der EG beantworten. Es ist so, daß die EG bereits das Ratifizierungsverfahren zu dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt eingeleitet hat.
Die Finanzierung in der Folge und auch die Auslegung der entsprechenden Paragraphen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt bereiten Schwierigkeiten. Sie wissen, daß bis zur ersten Vertragsstaatenkonferenz besonders im Bereich des Technologietransfers und auch des Zugangs zu Technologien als Finanzierungsquelle die globale Umweltfaszilität, also das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen ebenso wie das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, vorgesehen ist. Die Bundesrepublik Deutschland hat für diesen Fonds bereits einen erheblichen Beitrag in Höhe von 250 Millionen DM geleistet. Wir können heute noch nicht abschätzen, ob nach der ersten Vertragsstaatenkonferenz die weitere Finanzierung in einem eigenständigen Fonds erfolgen wird.
Wenn Sie das Abkommen näher betrachten, erkennen Sie die zwei wichtigen Kategorien, nämlich das Unterschutzstellen in situ, also die Ausweisung von Schutzgebieten bzw. von natürlichen Lebensräumen, und die Ex-situ-Unterschutzstellung in botanischen Gärten, aber auch die Bereitstellung von Genbanken. Ich denke, wichtig ist auch der von mir genannte zweite Bereich, wo die Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Drittländern auch tätig werden kann.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212714300
Meine Damen und Herren, damit ist die Zeit, die für die Befragung der Bundesregierung vorgesehen ist, abgelaufen.
Bevor ich zur Fragestunde komme, gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die
10980 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Schlußabstimmung des Gesetzentwurfs zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung, Gesundheits-Strukturgesetz, bekannt. Es lag auf der Drucksache 12/3608 vor. Abgegebene Stimmen: 532; ungültig: keine. Mit Ja haben gestimmt: 457, mit Nein haben gestimmt: 54 Abgeordnete, und enthalten haben sich 21 Abgeordnete.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 530; davon:
ja: 455
nein: 54
enthalten: 21
Ja
CDU/CSU
Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich
Dr. Altherr, Walter Franz Augustinowitz, Jürgen Bargfrede, Heinz-Günter Baumeister, Brigitte Bayha, Richard
Belle, Meinrad
Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk
Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate
Bleser, Peter
Dr. Blüm, Norbert
Böhm (Melsungen), Wilfried Dr. Böhmer, Maria
Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang
Bohl, Friedrich
Brähmig, Klaus
Breuer, Paul
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Büttner (Schönebeck),
Hartmut
Buwitt, Dankward Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deß, Albert
Diemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjörgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Eichhorn, Maria
Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eymer, Anke
Falk, Ilse
Dr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, Jochen
Fischer (Hamburg), Dirk Fockenberg, Winfried Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim
Ganz (St. Wendel), Johannes Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Geis, Norbert
Dr. von Geldern, Wolfgang Gibtner, Horst
Glos, Michael
Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin Götz, Peter
Dr. Götzer, Wolfgang Gres, Joachim
Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-Peter
Dr. Grünewald, Joachim Frhr. von Hammerstein,
Carl-Detlev
Harries, Klaus
Haschke (Großhennersdorf), Gottfried
Haschke (Jena-Ost), Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Heise, Manfred
Dr. Hellwig, Renate
Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hinsken, Ernst
Hintze, Peter
Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim
Dr. Hoffacker, Paul Hollerith, Josef
Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert
Jagoda, Bernhard Dr. Jahn (Münster),
Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin
Dr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, Rainer Jung (Limburg), Michael Junghanns, Ulrich
Dr. Kahl, Harald Kampeter, Steffen Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker
Keller, Peter
Kittelmann, Peter
Klein (Bremen), Günter Klein (München), Hans Klinkert, Ulrich
Köhler (Hainspitz),
Hans-Ulrich
Dr. Köhler (Wolfsburg), Volkmar
Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kraus, Rudolf
Dr. Krause (Börgerende), Günther
Dr. Krause (Bonese), Rudolf Karl
Krause (Dessau), Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Lamers, Karl
Dr. Lammert, Norbert Lamp, Helmut
Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul
Laumann, Karl-Josef
Lehne, Klaus-Heiner
Dr. Lehr, Ursula
Lenzer, Christian Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha
Link (Diepholz), Walter Lintner, Eduard
Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun
Lohmann (Lüdenscheid), Wolfgang
Louven, Julius
Lummer, Heinrich Dr. Luther, Michael
Maaß (Wilhelmshaven), Erich Männle, Ursula
Magin, Theo
Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marten, Günter
Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Dr. Merkel, Angela Dr. Meseke, Hedda Michalk, Maria
Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Molnar, Thomas
Müller (Wesseling), Alfons Nelle, Engelbert Neumann (Bremen), Bernd Nolte, Claudia
Dr. Olderog, Rolf Oswald, Eduard
Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich
Pfeffermann, Gerhard O. Pfeiffer, Angelika
Dr. Pflüger, Friedbert Pofalla, Ronald
Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd
Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans
Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf
Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm
Reichenbach, Klaus Reinhardt, Erika
Repnik, Hans-Peter Riegert, Klaus
Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode (Wietzen), Helmut Rönsch (Wiesbaden),
Hannelore
Romer, Franz
Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker
Sauer (Salzgitter), Helmut Schätzle, Ortrun
Dr. Schäuble, Wolfgang Schartz (Trier), Günther Schemken, Heinz Scheu, Gerhard
Schmalz, Ulrich
Schmidt (Fürth), Christian Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke), Joachim
Schmidt (Mülheim), Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
Dr. Schockenhoff, Andreas
Dr. Scholz, Rupert Frhr. von Schorlemer, Reinhard

(Schwäbisch Gmünd)

Schulz (Leipzig), Gerhard Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan
Dr. Schwarz-Schilling, Christian
Seehofer, Horst
Seesing, Heinrich Sikora, Jürgen
Skowron, Werner H.
Dr. Sopart, Hans-Joachim Sothmann, Bärbel Spranger, Carl-Dieter
Dr. Sprung, Rudolf Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans
Dr. Frhr. von Stetten,
Wolfgang
Stockhausen, Karl
Dr. Stoltenberg, Gerhard Stübgen, Michael
Susset, Egon
Tillmann, Ferdi
Dr. Töpfer, Klaus
Uldall, Gunnar
Verhülsdonk, Roswitha Vogt (Duren), Wolfgang Dr. Voigt (Northeim),
Hans-Peter
Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warrikoff, Alexander Werner (Ulm), Herbert Wiechatzek, Gabriele
Dr. Wieczorek (Auerbach),
Bertram
Dr. Wilms, Dorothee Wilz, Bernd
Wimmer (Neuss), Willy Wissmann, Matthias Dr. Wittmann, Fritz
Wittmann (Tännesberg),
Simon
Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Yzer, Cornelia
Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno
Zöller, Wolfgang
SPD
Adler, Brigitte Andres, Gerd Antretter, Robert Barbe, Angelika Bartsch, Holger
Becker (Nienberge), Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Blunck, Lieselott
Dr. Böhme (Unna), Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Dr. Brecht, Eberhard
Büchler (Hof), Hans
Büchner (Speyer), Peter
Dr. von Bülow, Andreas Burchardt, Ursula
Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter Daubertshäuser, Klaus
Dr. Dobberthien, Marliese Dreßler, Rudolf
Duve, Freimut Dr. Eckardt, Peter
Dr. Ehmke (Bonn), Horst
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10981
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Eich, Ludwig
Erler, Gernot
Ewen, Carl
Ferner, Elke
Fischer (Gräfenhainichen), Evelin
Fischer (Homburg), Lothar Formanski, Norbert
Fuchs (Köln), Anke Fuchs (Verl), Katrin Fuhrmann, Arne Ganseforth, Monika Gansel, Norbert
Dr. Gautier, Fritz Gilges, Konrad
Gleicke, Iris
Dr. Glotz, Peter Graf, Günter
Großmann, Achim Haack (Extertal),
Karl Hermann Habermann, Michael Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Heistermann, Dieter Heyenn, Günther
Hiller (Lübeck), Reinhold Hilsberg, Stephan
Horn, Erwin
Ibrügger, Lothar Iwersen, Gabriele Jäger, Renate
Janz, Ilse
Dr. Janzen, Ulrich Dr. Jens, Uwe
Jung (Düsseldorf), Volker Kastner, Susanne Kirschner, Klaus Klappert, Marianne
Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klemmer, Siegrun
Dr. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf Kolbe, Regina
Kolbow, Walter Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lange, Brigitte
von Larcher, Detlev Leidinger, Robert Lohmann (Witten), Klaus Maaß (Herne), Dieter Mascher, Ulrike Matschie, Christoph
Dr. Matterne, Dietmar Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert
Dr. Mertens (Bottrop), Franz-Josef
Mosdorf, Siegmar
Müller (Düsseldorf), Michael Müller (Völklingen), Jutta Müller (Zittau), Christian Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niehuis, Edith
Dr. Niese, Rolf
Niggemeier, Horst Odendahl, Doris Oostergetelo, Jan Opel, Manfred
Ostertag, Adolf Dr. Otto, Helga Paterna, Peter
Dr. Penner, Wilfried Peter (Kassel), Horst Dr. Pfaff, Martin Pfuhl, Albert
Poß, Joachim
Rennebach, Renate Reschke, Otto
Reuschenbach, Peter W. Reuter, Bernd
Rixe, Günter
Schaich-Walch, Gudrun Schanz, Dieter
Dr. Scheer, Hermann Scheffler, Siegfried Schloten, Dieter
Schluckebier, Günter Schmidbauer (Nürnberg), Horst
Schmidt (Aachen), Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina
Dr. Schmude, Jürgen Dr. Schöfberger, Rudolf Schöler, Walter
Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela
Schröter, Karl-Heinz Schütz, Dietmar
Schulte (Hameln), Brigitte Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf
Seidenthal, Bodo
Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes
Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Soell, Hartmut
Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland
Dr. Sperling, Dietrich Steiner, Heinz-Alfred Tappe, Joachim
Dr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Toetemeyer, Hans-Günther Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried
Verheugen, Günter
Dr. Vogel, Hans-Jochen Voigt (Frankfurt), Karsten D. Wallow, Hans
Walter (Cochem), Ralf Wartenberg (Berlin), Gerd Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara
Weis (Stendal), Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. Wernitz, Axel
Wester, Hildegard Westrich, Lydia
Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun
Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter
Wimmer (Neuötting),
Hermann
Wittich, Berthold
Wohlleben, Verena Zapf, Uta
Dr. Zöpel, Christoph
F.D.P.
Albowitz, Ina
Baum, Gerhart Rudolf Bredehorn, Günther Cronenberg (Arnsberg),
Dieter-Julius
Engelhard, Hans A.
van Essen, Jörg
Friedhoff, Paul K.
Funke, Rainer
Gallus, Georg
Genscher, Hans-Dietrich Gries, Ekkehard Grünbeck, Josef
Günther (Plauen), Joachim Hackel, Heinz-Dieter Hansen, Dirk
Heinrich, Ulrich
Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich
Dr. Kolb, Heinrich L.
Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Dr. Menzel, Bruno
Dr. Ortleb, Rainer Paintner, Johann Peters, Lisa
Dr. Pohl, Eva
Richter (Bremerhaven), Manfred
Rind, Hermann
Schäfer (Mainz), Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Dr. Schmieder, Jürgen
Dr. Schnittler, Christoph Schüßler, Gerhard Schuster, Hans
Sehn, Marita
Seiler-Albring, Ursula Dr. Solms, Hermann Otto
Dr. Thomae, Dieter Timm, Jürgen
Türk, Jürgen
Wolfgramm (Göttingen), Torsten
Nein
CDU/CSU
Augustin, Anneliese Dr. Bauer, Wolf
Carstensen (Nordstrand), Peter Harry
Clemens, Joachim Ehrbar, Udo
Dr. Fell, Karl H.
Fischer (Unna), Leni Hauser (Esslingen), Otto Jäger, Claus
Dr. Jüttner, Egon Dr. Rieder, Norbert
Würzbach, Peter Kurt
SPD
Dr. Elmer, Konrad Kubatschka, Horst
Müller (Schweinfurt), Rudolf Reimann, Manfred
von Renesse, Margot
F.D.P.
Dr. Blunk, Michaela Eimer (Fürth), Norbert
Dr. Feldmann, Olaf Friedrich, Horst Ganschow, Jörg Grüner, Martin
Dr. Guttmacher, Karlheinz Dr. Hitschler, Walter Kohn, Roland
Koppelin, Jürgen Lüder, Wolfgang Otto (Frankfurt),
Hans-Joachim Dr. Röhl, Klaus
Dr. von Teichman, Cornelia Walz, Ingrid
PDS/Linke Liste
Dr. Enkelmann, Dagmar
Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Gysi, Gregor
Dr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Höll, Barbara Jelpke, Ulla
Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg
Dr. Schumann (Kroppenstedt), Fritz
Dr. Seifert, Ilja
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dr. Feige, Klaus-Dieter Köppe, Ingrid
Schenk, Christina
Schulz (Berlin), Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Weiß (Berlin), Konrad Wollenberger, Vera
Fraktionslos
Henn, Bernd Lowack, Ortwin
Enthalten
CDU/CSU
Eylmann, Horst
Kossendey, Thomas
Dr. Lippold (Offenbach), Klaus W.
Dr. Meyer zu Bentrup, Reinhard
Ost, Friedhelm
Dr. Pinger, Winfried Reddemann, Gerhard Dr. Schwörer, Hermann Dr. Vondran, Ruprecht
SPD
Lambinus, Uwe
Dr. Lucyga, Christine Dr. Pick, Eckhart
Schily, Otto
F.D.P.
Dr. Funke-Schmitt-Rink, Margret
Lühr, Uwe
Nolting, Günther Friedrich Schmidt (Dresden), Arno Dr. Semper, Sigrid
Dr. Starnick, Jürgen Zurheide, Burkhard
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Poppe, Gerd
Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
10982 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
— Drucksache 12/3921 —
Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Georg Gallus zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 1 des Abgeordneten Günther Bredehorn auf:
Wie hoch sind die Kosten für den EG-Rindfleischmarkt (Produktionsprämie, Aufkauf, Einlagerung, Lagerhaltung und Exportsubventionen), und wie hoch ist der Betrag pro Mastrind?
Herr Staatssekretär.

Georg Gallus (FDP):
Rede ID: ID1212714400
Herr Kollege Bredehorn, die Kosten des EAGFL, Abteilung Garantie, für den Rindfleischsektor betrugen 1991 nach Angaben der EG-Kommission für die gesamte EG rund 8,8 Milliarden DM.
Darin sind folgende Einzelposten enthalten: die Interventionskosten mit 4,7 Milliarden DM, Ausfuhrerstattungen mit 2,6 Milliarden DM und die Prämien für männliche Jungrinder und Mutterkuhprämien mit zusammen 1,45 Milliarden DM.
Nach jüngsten Veröffentlichungen des Statistischen Amtes der EG betrug die Bruttoeigenerzeugung an Rindern im Jahre 1991 insgesamt 31,94 Millionen Stück. Demnach betrugen die Marktordnungskosten im Jahre 1991 pro Rind etwa 276 DM.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212714500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bredehorn.

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1212714600
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, wieviel Rindfleisch zur Zeit in den Kühlhäusern der EG lagert und wie hoch sozusagen die prozentuale Überversorgung mit Rindfleisch in der EG ist?
Georg Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es lagen über eine Million t Rindfleisch in den Lägern. Ich bin im Augenblick überfragt, wie hoch die prozentuale Überversorgung genau ist. Sie liegt bei ungefähr 114 %, wenn ich es richtig im Kopf habe.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212714700
Weitere Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Bredehorn.

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1212714800
Herr Staatssekretär, weiß die Bundesregierung — die Zahlen, die Sie genannt haben, bestätigen das ja —, daß ein ganzer Teil der Kälber, die geboren und dann von den Bauern gemästet werden, niemals auf dem Markt verkauft werden können, und hält es die Bundesregierung für sinnvoll, daß man jetzt diesen Landwirten eine Bullenprämie von 422 DM pro Tier gibt, damit sie diese Tiere mästen, obwohl sie nachher nicht verkauft werden können und die Bundesregierung bzw. die EG das Fleisch einlagern oder auf dem Weltmarkt für
1 DM verschleudern muß? Wäre es nicht sinnvoller, Herr Staatssekretär, diesen Landwirten die 422 DM zu geben, damit sie dieses Kalb nicht mit hohen Kosten für den Steuerzahler 22 Monate mästen, sondern es nach zehn Tagen schlachten?
Georg Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen genauso wie ich, daß das bei der EG-Agrarreform einer der Vorschläge gewesen ist und daß das von deutscher Seite abgelehnt worden ist, wie es überhaupt keine Mehrheit gefunden hat. Ihr Vorschlag hat einen schönen Namen gefunden, nämlich „Herodes-Prämie" für Kälber, daß man einen bestimmten Betrag zahlt und dann die Tiere innerhalb von 14 Tagen abgeschlachtet werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212714900
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 2 der Abgeordneten Frau Ulrike Mehl auf:
Welchen Stand haben die Beratungen über die einheitlichen Grundsätze bei der Zulassung von Pestiziden auf EG-Ebene, und welche Haltung nimmt die Bundesregierung gegenüber den Bestrebungen der Agrarchemie ein, die mögliche Wassergefährdung als Zulassungskriterium aufzugeben und den EG-Trinkwassergrenzwert für Pestizide nicht als Qualitätsziel für die Belastung des Grundwassers festzuschreiben?
Georg Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der EG-Kommission ist es nicht gelungen, fristgerecht einen Vorschlag für die „Einheitlichen Grundsätze zur Bewertung von Pflanzenschutzmitteln", Anhang VI der Richtlinie 91/414/EWG über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln vorzulegen. Bisher existiert lediglich ein Arbeitsdokument, das noch weiterer Abstimmung in der Kommission bedarf.
Der Schutz des Wassers ist in Art. 4 der Richtlinie festgeschrieben. Die Bundesregierung hat sich von Anfang an nachdrücklich dafür eingesetzt, daß mit dieser Richtlinie ein hohes Schutzniveau für Mensch, Tier und Umwelt verwirklicht wird. Sie wird bei den kommenden Beratungen und bei der Beschlußfassung der Einheitlichen Grundsätze durch die Agrarminister weiterhin fordern, daß das im Art. 4 der Richtlinie verankerte hohe Schutzniveau auch in den Einheitlichen Grundsätzen seinen Niederschlag findet.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212715000
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? — Bitte schön.

Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1212715100
Ich darf noch einmal ganz konkret nachfragen: Das bezieht sich auch direkt auf das Trinkwasser, nicht nur allgemein auf Menschen, Pflanzen und Tiere?
Georg Gallus, Parl. Staatssekretär: Zu einer einheitlichen Bewertung der Pflanzenschutzmittel gehört mehr, z. B. auch, wie die Pflanzenschutzmittel in bezug auf ihre Umwelt wirken, im ökologischen Bereich, nicht nur in bezug auf Menschen und Tiere, sondern auch im ökologischen Bereich draußen in der freien Natur. Das gehört alles dazu.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212715200
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10983

Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1212715300
Was wird die Bundesregierung tun, wenn ein in der EG übliches Mittel, das bei uns verboten ist, nach Deutschland eingeführt werden soll? Die Bundesregierung hat ja die Möglichkeit, dem zu widersprechen. Wird die Bundesregierung das bei den kritischen Mitteln auch tatsächlich tun?
Georg Gallus, Parl. Staatssekretär: Natürlich, wir werden letzten Endes nur die Mittel anerkennen, die bei uns zugelassen sind und zugelassen werden müssen. Das ist der bisherige Stand.
Darüber hinaus muß man aber der Ehrlichkeit halber sagen, daß die Harmonisierung natürlich voranschreitet. Vor allen Dingen geht es um den Anhang VI zu den „Einheitlichen Grundsätzen zur Bewertung von Pflanzenschutzmitteln" in der EG. Dieser Anhang ist zur Zeit noch nicht ausgefüllt; es fehlen noch europaweit geltende gemeinsame Grundsätze. Darauf bezieht sich sicher Ihre Frage. Hier gibt es jetzt natürlich Diskussionen, bis hinein in den Bereich der Betroffenen in der chemischen Industrie. Im Augenblick bringt natürlich jeder seine Vorschläge ein.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212715400
Danke schön. — Dann Zusatzfrage des Abgeordneten Ulrich Heinrich.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1212715500
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß die Harmonisierung des europäischen Pflanzenschutzrechtes auf unserem deutschen hohen Niveau stattfinden soll?
Georg Gallus, Parl. Staatssekretär: Das ist unser Wunsch. Wir müssen aber eines sehen: Wir können jederzeit erreichen, daß Von-bis-Regelungen getroffen werden — fakultativ; der eine kann etwas lassen, wir können dann etwas ein bißchen anders machen.
Wir müssen in diesem Bereich nur aufpassen, daß wir nicht Wettbewerbsverzerrungen größten Ausmaßes installieren, so daß, nachdem die Harmonisierung stattgefunden hat, in Frankreich ganz andere Pflanzenschutzmittel zugelassen werden können, die in Deutschland verboten sind und höchstwahrscheinlich auch wesentlich billiger sind.
Deshalb müssen die Grundsätze gemeinsam festgelegt werden, damit man womöglich zu einer einheitlichen Linie kommt. Wir versuchen, möglichst auf deutschem Niveau die Harmonisierung zu erreichen, damit man dann, wenn die Einheit nicht ganz genau zu erreichen ist, mit wenig Abweichungen unsere Auffassungen aufrechterhalten kann.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212715600
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Caspers-Merk.

Marion Caspers-Merk (SPD):
Rede ID: ID1212715700
Herr Staatssekretär, wie sieht es konkret mit dem Atrazinverbot aus? Es wird doch befürchtet, daß es über den Umweg dieses europäischen Entwurfs zu einer Wiederzulassung von Atrazin auch in der Bundesrepublik kommen kann. Wie handhaben Sie die Grenzkontrollen? Sie wissen ebenso wie ich, daß die Atrazinbelastung im südbadischen Bereich mittlerweile ansteigt, weil man sich das Mittel sehr preiswert auf der französischen Seite besorgen kann.
Georg Gallus, Parl. Staatssekretär: Zum letzten kann ich nur sagen: Wenn das jemand macht, muß man die Leute anzeigen; denn das ist verboten. Wir haben schon seit zwei Jahren das Atrazin verboten, allerdings als einziges Land in der EG; das muß man sehen. Wir wollen das Atrazin-Verbot auch aufrechterhalten.
Wir können die Augen aber nicht vor der Tatsache verschließen, daß es in der Zwischenzeit neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, nach denen Atrazin angeblich — auch ich bin kein Fachmann — halb so giftig ist, wie es einmal dargestellt wurde. Es gibt Wissenschaftler, die heute mehr in die Richtung tendieren, es sei quasi eine Verunreinigung. Es tut mir leid, aber auch die Amerikaner vertreten immer mehr diesen Standpunkt. Wir wollen das Verbot aufrechterhalten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212715800
Abgeordneter Günther Bredehorn zu einer Zusatzfrage. Danach möchte ich diesen Bereich gerne abschließen.

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1212715900
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung wissenschaftliche Erkenntnisse vor, daß der hier angeführte Trinkwassergrenzwert der EG aus gesundheitlichen und toxikologischen Gründen erforderlich ist?
Georg Gallus, Parl. Staatssekretär: Bis jetzt ist es so, daß für Trinkwasser ein Grenzwert von 0,1 Mikrogramm gilt. Dieser Grenzwert wird von der EG auch aufrechterhalten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212716000
Danke schön, Herr Staatssekretär. Bevor ich Sie entlasse, will ich nicht vergessen, mich herzlich bei Ihnen zu bedanken.
Ich rufe den Geschäftsbereich der Bundesministerin für Familie und Senioren auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Roswitha Verhülsdonk zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 5 der Abgeordneten Frau Barbara Weiler auf:
Wie kann die Bundesregierung den Widerspruch erklären, daß es in der Sozialpolitischen Umschau Nr. 325/1992 heißt: das „Anspruchsbewußtsein" der Sozialhilfeempfänger sei gewachsen und Ansprüche würden „selbstbewußt eingefordert", und andererseits dem 4. Band des Forschungsberichts zur Alterssicherung in Deutschland 1986 des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zu entnehmen ist, daß die Zahl der latenten, nicht wahrgenommenen Ansprüche (347 000) die Zahl der tatsächlich durch Sozialhilfe unterstützten Haushalte (195 000) um beinahe das Doppelte übersteigt?
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.

Roswitha Verhülsdonk (CDU):
Rede ID: ID1212716100
Frau Kollegin Weiler, auf Ihre Frage möchte ich Ihnen wie folgt antworten:
Auf die Leistungen des Bundessozialhilfegesetzes besteht in der Regel ein Rechtsanspruch. In den Fällen, in denen eine entsprechende Bedürftigkeit vorliegt, muß die Leistung also gewährt werden. Die Tatsache, daß es sich bei der Sozialhilfe, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind — ich habe sie gerade genannt —, um einen individuellen
10984 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Parl. Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk
Anspruch des einzelnen handelt, wird offensichtlich immer breiteren Bevölkerungskreisen bewußt.
Hierzu hat auch die intensive Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung beigetragen, deren Informationsbroschüre zur Sozialhilfe den programmatischen Titel „Sozialhilfe — Ihr gutes Recht" trägt. Diese Informationsbroschüre ist im Bundesgebiet verbreitet worden und hat eine große Nachfrage.
Gleichwohl, Frau Kollegin, gibt es immer noch Personen, die sich aus unterschiedlichen Gründen scheuen, die ihnen zustehenden Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Welche Gründe hierfür im Einzelfall maßgeblich sind und darüber, wie hoch die Zahl der latent Sozialhilfeberechtigten anzusetzen ist, Frau Kollegin, gibt es in der Praxis und in der Wissenschaft sehr unterschiedliche Meinungen.
Das von Ihnen zitierte Untersuchungsergebnis des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung betrifft nur einen Ausschnitt aus dem Kreis der Sozialhilfebezieher, nämlich Haushalte und Ehepaare mit älteren Bezugspersonen. Es ist nicht einmal die größte Gruppe innerhalb des Kreises der Sozialhilfeempfänger.
Das frühere Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat im Jahre 1981 z. B. die Ergebnisse eines von ihm geförderten Forschungsprojekts zur Lage potentieller Sozialhilfeberechtigter unter dem Titel „Sozialhilfebedürftigkeit und Dunkelziffer der Armut" veröffentlicht, das die gesamte Problematik mit den Zahlen und Daten, die damals verfügbar waren, ausführlich aufarbeitet.
Auch der 1983 veröffentliche Untersuchungsbericht mit dem Titel „Randgruppenbildung im ländlichen Raum — Armut und Obdachlosigkeit" — also wieder ein anderer Ausschnitt aus dem Kreis der Berechtigten — enthält Zahlen zum Ausmaß der Nichtinanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen.
Die Untersuchungsberichte kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Sozialhilfebedürftigkeit läßt sich praktisch ja nur im Einzelfall nach einer Prüfung aller sozialhilferechtlich relevanten Faktoren feststellen. Gerade dies aber ist bei den einzelnen Fällen der sogenannten verschämten Armut, die ja besonders bei älteren Menschen vermutet wird, nicht möglich, so daß nur mehr oder weniger plausible Schätzungen möglich sind.
Die Bundesregierung sieht sich zur Zeit nicht in der Lage, zu diesem Komplex eine fundierte Zahlengröße zu nennen. Durch zielgruppenorientierte Unterrichtung und Aufklärung, insbesondere der Senioren, leistet sie jedoch einen wichtigen Beitrag zur Verminderung der Zahl der Menschen, die — aus welchen Gründen auch immer — berechtigte Ansprüche bisher nicht wahrgenommen haben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212716200
Frau Abgeordnete Weiler zu einer Zusatzfrage, bitte.

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1212716300
Meine erste Zusatzfrage, Frau Staatssekretärin, bezieht sich auf den Umstand, daß ich eine Einschätzung und eine politische Stellungnahme auf Grund meiner Frage vermisse, ob Sie es für richtig halten, was in der Presseerklärung der
Bundesregierung formuliert worden ist, nämlich daß Sozialhilfeempfänger Ansprüche selbstbewußt einfordern und daß die Eigeninitiative der Betroffenen zu ihrem Nachteil und zum Nachteil der Solidargemeinschaft gehemmt wird.

Roswitha Verhülsdonk (CDU):
Rede ID: ID1212716400
Frau Kollegin, ich darf Sie darauf hinweisen — es ist Ihnen aber sicher nicht entgangen —, daß die „Sozialpolitische Umschau", auf die Sie sich beziehen, ja immer eine Fußnote hat, mit der sie erscheint. Dort steht zunächst einmal: Sie enthält vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zusammengestelltes Informationsmaterial, bei dem es sich nicht um amtliche Stellungnahmen handelt. — Insoweit bitte ich, die Bewertung des Schaubildes unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen.
Ich habe meine Antwort in zwei Teile gegliedert: Ich habe zum einen gesagt, daß wir uns bemühen, die Menschen auf ihren Rechtsanspruch hinzuweisen, und daß es sich um einen individuellen Anspruch handelt, und ich habe zum anderen gesagt, daß wir eine Informationsbroschüre veröffentlicht haben. Damit zeigt die Bundesregierung, daß sie nicht verhindern will, daß die Ansprüche geltend gemacht werden. In dem Untertitel zu dem Schaubild, auf das Sie sich beziehen, wird ja auch eine ganze Reihe von Faktoren für den Anstieg der Zahl der Sozialhilfeberechtigten — Mietenexplosion, Arbeitslosigkeit usw. — genannt. Wir schrecken die Sozialhilfeberechtigten — im politischen Sprachgebrauch ist ja nicht mehr von Sozialhilfeempfängern die Rede — also nicht ab, sondern wir bemühen uns, sie zu ermutigen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212716500
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1212716600
Frau Staatssekretärin, ich wundere mich, daß Sie nur diesen Nachsatz, nicht aber die Überschrift zitiert haben. Ich möchte jedoch auf die Analyse im Forschungsbericht des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, aus der Sie soeben zitiert haben, zurückkommen. In der dort gegebenen Zusammenfassung wird von 50 % latenten Sozialhilfeberechtigten gesprochen, die — die Ursachen werden ganz konkret benannt — aus Angst vor Regreßpflicht, auf Grund der Befürchtung, Ersparnisse auflösen zu müssen, u. ä. ihre Ansprüche nicht geltend machen.
Sind Sie nicht auch der Meinung, daß zum einen die Sozialämter in stärkerem Maße ihrer Informationspflicht genügen müßten und daß zum anderen auf Grund der von Ihnen zu verantwortenden Defizite bei der Ermittlung der Ursachen von Armut dringend eine umfassende Berichterstattung über das Thema Armut erfolgen müßte?

Roswitha Verhülsdonk (CDU):
Rede ID: ID1212716700
Lassen Sie mich zunächst zu dem ersten Punkt kommen: bessere Information durch die Sozialämter. Wir sind für das Rahmengesetz zuständig. Das Bundessozialhilfegesetz wird jedoch von kommunalen Trägern ausgeführt. Wir haben keinen Einfluß darauf, wie die einzelnen Gemeinden ihre Informationspflicht wahrnehmen. Wir selbst nehmen sie wahr. Ich habe ja
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10985
Parl. Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk
soeben auf die Broschüre, die ich Ihnen gerne einmal zuleiten will, hingewiesen.
Nun zu der dem Bericht des Arbeitsminister zugrunde liegenden Vermutung, daß 50 % der Berechtigten die Leistung nicht in Anspruch nehmen. Ich habe soeben andere Berichte genannt, die von anderen Zahlen ausgehen. Auch die Fachwelt geht von sehr unterschiedlichen Zahlen aus. Die Armutsberichte, die in den letzten Jahren von den Wohlfahrtsverbänden erstellt worden sind, gehen jeweils von sehr unterschiedlichen Zahlen aus. Das liegt in der Natur der Sache. Wenn jemand einen Anspruch nicht geltend macht, dann kann auch niemand beurteilen, warum er das nicht tut.
Es liegt die Vermutung nahe, wie Sie es gerade gesagt haben, daß es ältere Menschen gibt, die wegen des Regreßanspruchs, der sich unter Umständen gegen ihre Kinder richtet, den Anspruch nicht geltend machen. Wir können niemanden zwingen, einen Anspruch geltend zu machen. Wir können ihm nur sagen, daß er sein Recht wahrnehmen kann. Wenn er das aus Gründen des familiären Friedens oder aus anderen Gründen nicht tut, dann können wir das nicht verhindern.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212716800
Wir kommen nunmehr zu Frage 6 der Abgeordneten Frau Weiler:
Beabsichtigt die Bundesregierung, unter dem Deckmantel einer vorgeblich „schleichenden Gefahr, daß sich die Bezieher an die staatliche Hilfe als Selbstverständlichkeit gewöhnen" (Sozialpolitische Umschau Nr. 325/1992), Kürzungen der Sozialhilfe vorzunehmen?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.

Roswitha Verhülsdonk (CDU):
Rede ID: ID1212716900
Nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes soll die Sozialhilfe den Hilfeempfänger so weit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben. Das ist eine klare Zielsetzung des Gesetzes. Hierbei muß der Hilfeempfänger nach seinen Kräften mitwirken; auch dies steht im Gesetz. Jeder Hilfesuchende muß seine Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen einsetzen. Der zuständige Träger der Sozialhilfe hat darauf hinzuwirken, daß sich der Hilfesuchende um Arbeit bemüht und Gelegenheit zur Arbeit erhält.
Ich habe damit eine Reihe von Bedingungen des Gesetzes genannt. Sie sehen daraus, Frau Kollegin, daß bereits das geltende Recht genügend Möglichkeiten gibt, der in der Frage skizzierten Gefahr zu begegnen. Im übrigen wird in der in der Frage zitierten Quelle — ich habe es eben schon angeführt — ein ganzes Bündel von Ursachen für den Anstieg der Zahl der Sozialhilfeempfänger genannt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212717000
Zusatzfrage.

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1212717100
Entschuldigen Sie, die Frage ist nicht beantwortet. Ich weiß, daß sie sehr kompliziert formuliert ist. Aber Haupttendenz war, ob Ihr Ministerium plant, Kürzungen oder das Einfrieren der Sozialhilfe vorzunehmen.

Roswitha Verhülsdonk (CDU):
Rede ID: ID1212717200
Sie stellen jetzt eine andere Frage, als Sie schriftlich gestellt haben. Sie fragen jetzt, ob die Regierung plant, das Sozialhilferecht zu ändern. Ich habe auf Ihre Frage und auf die Unterstellungen, die Sie ihr zugrunde gelegt haben, es sei notwendig, das Gesetz zu ändern, um andere Wirkungen zu erzielen, geantwortet, daß das nicht gerechtfertigt ist. Das Bundessozialhilfegesetz enthält alle notwendigen Bedingungen, das die sogenannte „schleichende Gefahr", wie Sie aus der Quelle zitieren, nicht eintritt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212717300
Frau Abgeordnete Weiler, die Zusatzfrage, die Sie gestellt haben, hat mit der schriftlich vorliegenden Frage in der Tat nichts zu tun. Das müssen wir festhalten. Aber Sie haben die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zu stellen.

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1212717400
Meine erste Zusatzfrage bezieht sich auf, was nicht beantwortet ist. Sind Sie der Meinung, Frau Staatssekretärin, daß auf Grund der Defizite in den Erkenntnissen und der Ursachen, die Sie selbst zugegeben haben, sowie der unterschiedlichen Beurteilung von einzelnen Wohlfahrtsverbänden eine konkrete umfassende Armutsberichterstattung dringend notwendig ist, um diesem Defizit abzuhelfen?

Roswitha Verhülsdonk (CDU):
Rede ID: ID1212717500
Ich habe Ihnen eben schon geantwortet, daß die in der Quelle genannten Gründe für uns nicht stichhaltig sind, um über eine Novelle des Sozialhilfegesetzes nachzudenken. Wir denken sehr wohl über eine Novelle nach, aber aus anderen Gründen. Darüber ist hier im Bundestag schon mehrfach berichtet worden: von Frau Bundesministerin Rönsch im Zusammenhang mit der Haushaltsrede und von mir im Zusammenhang mit einer Aktuellen Stunde.
Wir möchten verschiedene Elemente des Bundessozialhilfegesetzes dahin gehend novellieren, daß wir eine intensivere Beratung zur Pflicht machen, die darauf zielen soll, daß der Sozialhilfeempfänger Hilfen bekommt, sich aus dem Zustand einer dauernden Sozialhilfebedürftigkeit herauszubewegen, etwa Hilfen, mit deren Hilfe er wieder eine Arbeit aufnimmt. Die kann man natürlich nur individuell ansetzen. Wir denken auch an andere prophylaktische Maßnahmen. Außerdem gibt es einen Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz, den Altersfreibetrag zu ändern. Auch das steht zur Debatte.
Es gibt in der Bundesregierung also durchaus Überlegungen, das Sozialhilferecht zu ändern, aber nicht aus den Gründen, die Sie Ihrer Frage zugrunde gelegt haben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212717600
Frau Mascher.

Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1212717700
Frau Staatssekretärin, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie die steigende Zahl der Sozialhilfeempfänger nicht auf ein gewachsenes Anspruchsbewußtsein zurückführen, sondern auf konkrete Ursachen wie steigende Mieten, Arbeitslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit?
10986 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992

Roswitha Verhülsdonk (CDU):
Rede ID: ID1212717800
Es ist die Frage, wie Sie „gewachsenes Anspruchsbewußtsein" interpretieren. Wenn Sie es negativ interpretieren, kommen Sie zu einer anderen Antwort, als wenn Sie es, wie wir es tun, positiv interpretieren: daß die Information über die Rechtsansprüche im Bereich der Bundessozialhilfegesetzgebung offensichtlich immer mehr Menschen erreicht und daß diejenigen, die tatsächlich bedürftig sind — das ist die Voraussetzung für eine Leistung, die man erhält —, das besser erfahren haben. Insoweit ist ein Anspruchsbewußtsein bei Menschen da, die vorher — vielleicht wegen Mangels an Information — keines hatten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212717900
Frau von Renesse.

Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1212718000
Frau Staatssekretärin, welche Bedeutung haben für Sie die Berichte verschiedener karitativer Verbände über Armut in Deutschland, außer daß wir bei Leuten, die an Ansprüche gewöhnt sind, inzwischen ein Verhalten haben, das zumindest das Wort „Armut" nicht verdient?

Roswitha Verhülsdonk (CDU):
Rede ID: ID1212718100
Frau Kollegin Renesse, wir haben vor einiger Zeit im Ausschuß darüber gesprochen, daß die Armutsberichte, die von Wohlfahrtsverbänden vorgelegt worden sind, unterschiedlich intensive Grundlagen haben, daß der zuletzt vorgelegte Armutsbericht des Deutschen Caritasverbandes eine sorgfältige Arbeit ist, sich aber auf den Ausschnitt der Sozialhilfeempfänger bezieht, die Nachfrager beim Deutschen Caritasverband sind, und daß die Zahl der dauernd Sozialhilfe Beziehenden, die in der Untersuchung aufgenommen worden sind, zehnmal so hoch ist wie der Gesamtdurchschnitt in der Bevölkerung. Das zeigt also, daß sich dieser Bericht offensichtlich auf Klienten stützt, bei denen mehrere Ursachen dafür vorliegen, daß ein großer Armutsdruck empfunden wird. Da spielt Obdachlosigkeit eine Rolle. Es spielen Alkoholismus und familiäre Gründe zusätzlich eine Rolle, nicht nur die Frage der Einkommensarmut.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212718200
Frau von Renesse, Sie haben nur eine Zusatzfrage. Schon bei Ihrer letzten Frage konnte man lange darüber nachdenken, ob der direkte Zusammenhang zur Hauptfrage vorhanden war. Ich habe sie zugelassen, weil es insgesamt eine Diskussion war.
Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen auf. Ministerin Frau Angela Merkel steht uns zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Abgeordnete Frau Anke Eymer hat die Frage 7 gestellt:
Welche Hilfen — z. B. medizinische und psychologische Beratung — wird die Bundesregierung den Flüchtlingsfrauen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die vergewaltigt wurden und sich jetzt in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, zukommen lassen?

Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1212718300
Frau Eymer, die Bundesregierung hat sich mit der Frage der Vergewaltigung an Frauen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina ausführlich befaßt. Die Bundesregierung ist über das Ausmaß an Vergewaltigungen äußerst betroffen, das uns zur Kenntnis gekommen ist. Wie verurteilen diese Vergewaltigungen aufs allerschärfste.
Die Betreuung ausländischer Frauen aus dem Kriegsgebiet, soweit sie Hilfe hier in der Bundesrepublik Deutschland suchen, ist Aufgabe der Lander. Sie wird im wesentlichen aber von Mitarbeitern der Verbände der freien Wohlfahrtspflege wahrgenommen. Auf der Basis des Flüchtlingsprogramms von 1979 unterhalten die sechs Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege bundeszentrale Einrichtungen für die soziale Beratung und Betreuung von Flüchtlingen — das heißt in diesem Fall auch: von betroffenen Frauen.
Für 1992 stellt die Bundesregierung für diese Arbeit etwa 8 Millionen DM zur Verfügung. In Flüchtlingswohnheimen, die davon unterhalten werden, werden Frauen bei der Aufarbeitung der Probleme unterstützt, die für sie durch Krieg, Vertreibung und auch Vergewaltigung entstanden sind, und zwar sowohl auf sozialpsychologische als auch auf sozialpädagogische Art und Weise von geschultem Personal. Das Bundessozialhilfegesetz ermöglicht zudem Krankenhilfe im notwendigen Umfang.
Staatssekretär Tegtmeier aus dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat am 17. August 1992 ausführlich zur Frage des Krankenversicherungsschutzes Stellung genommen, und zwar in der Antwort auf eine Frage der Abgeordneten Regina Schmidt-Zadel.
Ich möchte hier wiederholen, daß die deutschen gesetzlichen Krankenkassen dann Leistungen erbringen können, wenn die Flüchtlinge im Herkunftsland krankenversichert waren. Für die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten der Republiken Bosnien-Herzegowina und Kroatien, die im Rahmen von extra gewährten Kontingenten hier in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme finden, tragen der Bund und die Länder jeweils zur Hälfte die Kosten für den Lebensunterhalt und für den Wohnraum, wobei der Lebensunterhalt die Versorgung im Krankheitsfall mit umfaßt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212718400
Zusatzfrage, bitte schön, Frau Eymer.

Anke Eymer (CDU):
Rede ID: ID1212718500
Frau Ministerin, sind Sie der Meinung, daß aus frauenpolitischer Sicht gegen Vergewaltigung als Kriegsmittel mit aller Entschiedenheit vorgegangen werden muß?
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin: Frau Eymer, ich bin der Meinung, daß aus frauenpolitischer Sicht auf jeden Fall gegen Vergewaltigung vorgegangen werden muß, und zwar entschieden. Wir haben im Falle der Vergewaltigung in Kroatien und Bosnien-Herzegowina in der Anhörung des Bundestagsausschusses für Frauen und Jugend erkennen müssen, daß es sich um systematischen Terror an Frauen und an den Völkern dort handelt, insbesondere an den islamischen Frauen. Deshalb bin ich der Meinung, daß hier eine Qualität erreicht wurde, die es aufs äußerste notwendig erscheinen läßt, aus frauenpolitischen
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10987
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Gründen das als Kriegsverbrechen verfolgbar zu machen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212718600
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Anke Eymer (CDU):
Rede ID: ID1212718700
Frau Ministerin, wie stehen Sie aus frauenpolitischer Sicht dazu, daß sich die Bundesregierung an Hilfsprojekten beteiligt, wie sie der Vertreter von Cap Anamur in der öffentlichen Anhörung am vergangenen Montag vorgestellt hat, z. B. der Einrichtung von Frauenzentren?
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin: Frau Eymer, wir haben im Kabinett ausführlich über die möglichen Hilfsmaßnahmen diskutiert. Die Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage umfaßte die Hilfen, die hier in der Bundesrepublik Deutschland gewährt werden müssen. Wir waren uns innerhalb der Bundesregierung aber darüber einig, daß vor allen Dingen Hilfe vor Ort erfolgen muß. Deshalb bin ich der Meinung, daß alle Möglichkeiten geprüft werden müssen, so auch die von Cap Anamur vorgeschlagenen Frauenzentren. Wir werden das in jeder erdenklichen Form unterstützen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212718800
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wiechatzek.

Gabriele Wiechatzek (CDU):
Rede ID: ID1212718900
Frau Ministerin, gibt es Gespräche zwischen Ihnen und dem Außenminister mit dem Ziel, daß die Vereinten Nationen bzw. internationale Organisationen den vergewaltigten Frauen und Kindern stärker helfen als bisher?
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin: Es hat über diese Fragen Gespräche gegeben. Der Außenminister hat im Kabinett auch über die Aktionen der Vereinten Nationen Bericht erstattet. Er hat deutlich gemacht, daß dieses Thema bei den Genfer Beratungen der UN-Menschenrechtskommission am 30. November und 1. Dezember zur Debatte gestanden hat. Es wurden auch Kontakte zu dem Sonderberichterstatter, Tadeusz Mazowiecki, aufgenommen. In den Berichten der Menschenrechtskommission wurde darauf eingegangen, daß hier offensichtlich die Vergewaltigung von Frauen systematisch als Mittel der Kriegsführung eingesetzt wird. Diese Kontakte werden fortgesetzt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212719000
Zusatzfrage, Frau Dr. Geiger (Darmstadt).

Dr. Sissy Geiger (CDU):
Rede ID: ID1212719100
Frau Ministerin, sind Sie bereit, die vom Ärztekomitee von Cap Anamur eingerichteten Reha-Zentren für diese geschändeten und völlig verstörten Frauen und Kinder dergestalt zu unterstützen, daß auch finanzielle Mittel und personelle Hilfen gestellt werden, z. B. Ärzte und Ärztinnen, Krankenschwestern und Psychotherapeuten, die kroatisch oder bosnisch sprechen können?
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin: Auch in der Anhörung des Ausschusses für Frauen und Jugend ist deutlich geworden, daß gerade bei den Frauen, die durch die Vergewaltigungen tiefe, psychische Verwundungen psychische Verwundungen erlitten haben, die Hilfe in der Landessprache erfolgen muß. Es ist vom Bundesaußenministerium deutlich gemacht worden, daß hier alle erdenklichen Möglichkeiten genutzt werden. Das Auswärtige Amt wird auch bald darüber berichten, welche Aktivitäten hier stattfinden. Dies ist Teil der humanitären Hilfe, die das Auswärtige Amt in diesen Ländern leistet. Es ist kein direkter Teil der Hilfe, die das Bundesfrauenministerium leisten kann, aber wir haben dies in Absprachen im Kabinett festgelegt. Der Außenminister wird uns Bericht erstatten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212719200
Frau Dr. Dobberthien.

Dr. Marliese Dobberthien (SPD):
Rede ID: ID1212719300
Frau Merkel, aus Ihrem Hause sind eine Reihe von Aktivitäten angekündigt worden. Eben haben Sie gesagt, Sie setzten sich dafür ein, daß Vergewaltigung als Kriegsverbrechen geahndet werden soll. Wann wird die Bundesregierung bei internationalen Organisationen tätig, damit dies in die Praxis umgesetzt wird?
Bei der erwähnten Anhörung ist auch geltend gemacht worden, daß es sinnvoll wäre, einen internationalen Strafgerichtshof einzurichten, wo Verbrechen, die an Frauen begangen werden, abgeurteilt werden können. Wird sich die Bundesregierung auch hierfür international einsetzen? Wenn ja, wann?
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin: Frau Dobberthien, ich habe bereits gesagt, daß aus frauenpolitischer Sicht dieser Schritt wünschenswert ist. Soweit ich dem Bundesaußenminister unsere Vorstellungen diesbezüglich noch nicht mitgeteilt habe, werde ich es noch ergänzen. Wir sollten dies gemeinsam so akzeptieren und nicht pauschalierend über die Arbeit des Ministeriums insgesamt sprechen.
Zur zweiten Frage möchte ich sagen, daß ich in einem Brief an den Außenminister deutlich gemacht habe, daß wir ihn in seinem Bemühen unterstützen, einen Strafgerichtshof bei der UNO einzurichten. Ich habe ihn gebeten, angesichts der uns bekanntgewordenen Verfolgungen und Vergewaltigungen von Frauen diese Bemühungen noch einmal zu forcieren.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212719400
Frau Ortrun Schätzle.

Ortrun Schätzle (CDU):
Rede ID: ID1212719500
Frau Ministerin, beabsichtigen Sie, sich dafür einzusetzen, daß die Europäische Gemeinschaft über Aktionen der UNO hinaus eine konzertierte Hilfsaktion zugunsten der vergewaltigten Frauen und der Kinder startet?
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin: Die Bundesregierung hat in den Kabinettsberatungen auch über dieses Thema gesprochen. Es wird alles in der Kraft des Bundesaußenministers und auch des Bundeskanzlers Stehende unternommen werden, um eine konzertierte europäische Aktion zu ermöglichen.
10988 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212719600
Frau Professor Männle.

Prof. Ursula Männle (CSU):
Rede ID: ID1212719700
Frau Ministerin, sind Sie mit mir der Meinung, daß auch etwas für die Kinder getan werden muß, die aus diesen Vergewaltigungen entstanden sind? Wären Sie bereit, z. B. eine Erleichterung von Adoptionen in die Wege zu leiten?
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin: Frau Männle, uns sind auch gerade durch die Anhörung im Bundestagsausschuß die Folgen bekannt. Es geht ja auch bei den Vergewaltigungen u. a. um Kinder. Dann geht es um Kinder, die nach den Vergewaltigungen geboren werden. Wir sollten versuchen, weitestgehende Hilfe in den betroffenen Ländern zu leisten. Aber wir werden auch darüber nachdenken müssen, inwieweit wir Hilfen für die Kinder in der Bundesrepublik Deutschland anbieten können, falls das gewünscht wird. Hier ist eine Möglichkeit, die sich auch aus dem Kinder- und Jugendhilferecht ergibt, die Adoption. Dies muß aber im Sinne der Kinder und der Mütter sorgfältig geprüft werden. Das hat auch der CaritasVerband bei der Anhörung zum Ausdruck gebracht. Wir werden für die Fälle in der Bundesrepublik alle Möglichkeiten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes nutzen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212719800
Frau von Renesse.

Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1212719900
Frau Ministerin, es beeindruckt der große Umfang der Hilfe, die diese Frauen benötigen, insbesondere der medizinischen Hilfe. Welche Auswirkungen hätte wohl der Koalitionsentwurf zur Reduzierung von Sozialhilfe, der insbesondere auch im medizinischen Bereich für die Flüchtlinge Konsequenzen nach sich zieht, die auch nur mit dem bedingten Vorsatz, daß sie hier Behandlung brauchen, ankommen, für diese Frauen?
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin: In Ihrer Frage sind verschiedene Dinge ein bißchen vermischt. Es handelt sich um einen Koalitionsentwurf, der sich mit der Kürzung der Sozialhilfe für Asylbewerber befaßt. Bei den jetzt besprochenen Fällen handelt es sich allerdings um Bürgerkriegsflüchtlinge. Ich habe darüber Auskunft gegeben, in welcher Weise die notwendige Krankenhilfe, aber auch die Hilfe bei Wohnraumbeschaffung und Lebensunterhalt für diese Frauen erfolgt. Hier handelt es sich, wie ich auch in Anlehnung an die Beantwortung der Frage durch Herrn Staatssekretär Tegtmeier schon sagte, um hälftiges Tragen der Kosten durch Bund und Länder, so daß ich der Auffassung bin, daß diesen Bürgerkriegsflüchtlingen und insbesondere diesen Frauen in dem notwendigen Umfang geholfen werden kann.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212720000
Frau Mascher, bitte.

Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1212720100
Frau Ministerin, Sie haben gesagt, daß Sie diesen Frauen alle Hilfe angedeihen lassen wollten. Heißt das auch, daß Sie Frauen, die es wünschen, Beratung und medizinische Hilfe bei der
Unterbrechung dieser aufgezwungenen Schwangerschaften ermöglichen?
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin: Zunächst einmal muß ich sagen, daß sich die Bundesregierung mit der von Ihnen gestellten Frage nicht befaßt hat. Ich persönlich bin aber der Meinung, daß wir erst einmal überlegen müssen, wie wir den betroffenen Frauen alle mögliche Hilfe, im allerbesten Fall vor Ort in ihren Heimatländern, aber wenn es sich als notwendig erweist, auch in der Bundesrepublik Deutschland, gewähren können. Daß dort bestimmte Fragen diskutiert werden, wobei ich nicht ausschließen kann, daß hier im individuellen Fall auch die Frage eines Schwangerschaftsabbruchs eine Rolle spielen muß, halte ich für selbstverständlich. Ich halte es aber für völlig unangemessen, dies in generalisierender Weise zu beantworten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212720200
Herr Abgeordneter Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1212720300
Frau Ministerin, Sie haben in einer Nebenbemerkung gesagt, daß Sie sich im Kabinett darüber unterhalten hätten. Wir haben in diesem Raum im Auswärtigen Ausschuß gemeinsam mit den Polen und den Franzosen beantragt, die etwa 6 000 Flüchtlinge, deren Leben bedroht ist, aus Jugoslawien herauszuholen. Nach dem Vortrag des ehemaligen Ministerpräsidenten von Polen waren alle Regierungen vom Gemeinsamen Ausschuß angesprochen. Wissen Sie zufällig, ob das nun realisiert wird oder ob die immer noch warten müssen?

(Irmgard Karwatzki [CDU/CSU]: Das hat doch nichts mit der Frage zu tun, Herr Präsident!)

Dr. Angela Merkel, Bundesministerin: Da muß ich Sie an den für auswärtige Angelegenheiten zuständigen Bundesminister verweisen. Mir ist nicht bekannt, in welcher Weise diese Abkommen inzwischen umgesetzt wurden. Morgen werden ja Fragen beantwortet, die den Geschäftsbereich des Bundesaußenministers betreffen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212720400
Danke schön, Frau Ministerin. Damit ist der Geschäftsbereich erledigt. Ich bedanke mich.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit. Hier steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. BergmannPohl zur Beantwortung zur Verfügung.
Zunächst rufe ich die Frage 8 der Abgeordneten Frau Ulrike Mehl auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung im Hinblick auf ihre bisherigen Stellungnahmen und die Regelungen der Gefahrstoffverordnung die Tatsache, daß gegen die Stimmen des deutschen Vertreters die europäische Normenorganisation CEN die weitere Verwendung von Asbestzementrohren für Trinkwasserleitungen zugelassen hat, und wie kann sichergestellt werden, daß in der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung von Gesundheitsschäden keine neuen Asbestrohre für Trinkwasserleitungen verwendet werden?
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10989

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU):
Rede ID: ID1212720500
Frau Kollegin Mehl, das Europäische Komitee für Normung erarbeitet zur Zeit eine europäische Norm für Faserzementprodukte, für Druckrohre und Verbindungen. Diese Norm sieht als Fasermaterial u. a. auch Asbest vor. Die Bundesregierung bedauert, daß entgegen den Stimmen Deutschlands und weiterer vier Länder diese Norm von CEN weiter betrieben worden ist.
Die formelle endgültige Abstimmung über diese Norm steht jedoch nach Angaben des Deutschen Instituts für Normung noch aus. Sollte auch bei dieser Abstimmung gegen die Stimme Deutschlands die Norm in der vorgesehenen Form verabschiedet werden, so werden gleichwohl für das Herstellen und In-Verkehr-Bringen von Trinkwasserrohren aus Asbestzement die in Deutschland geltenden Verbote zum Schutz der Gesundheit Vorrang haben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212720600
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Mehl.

Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1212720700
Wie würde das konkret laufen, wenn z. B. bei einer größeren öffentlichen Ausschreibung, die EG-weit laufen muß — die öffentliche Hand nimmt immer den günstigsten Anbieter —, der günstigste Anbieter Asbestrohre verwendet?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU):
Rede ID: ID1212720800
Frau Kollegin Mehl, es gibt nationale Verbote. Die Gefahrstoffverordnung enthält bereits jetzt in § 9 ein Verbot des In-Verkehr-Bringens von Krokydolith und krokydolithhaltigen Erzeugnissen mit dem besonders gefährlichen Blauasbest. Für andere Asbestarten ist im Entwurf einer Verordnung zur Novellierung der Gefahrstoffverordnung ein Herstellungs- und Verwendungsverbot vorgesehen, das auch für Trinkwasserrohre Anwendung finden soll. Der Entwurf einer Chemikalienverbotsverordnung enthält darüber hinaus ein Verbot des In-Verkehr-Bringens von Trinkwasserrohren aus Asbestzement.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212720900
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Mehl, bitte.

Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1212721000
Das hieße als konkret: Wenn ein europäischer Anbieter, der der günstigste Anbieter ist, Asbestrohre verwendet, darf er den Zuschlag nicht bekommen?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU):
Rede ID: ID1212721100
Das heißt, daß in Deutschland diese Asbestrohre nicht verarbeitet werden dürfen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212721200
Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich.
Weitere Fragen zu diesem Bereich liegen nicht vor, da die Abgeordnete Frau Susanne Kastner um schriftliche Beantwortung der Frage 9 gebeten hat. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation auf. Hier steht uns zur Beantwortung der Staatssekretär Görts zur Verfügung

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1212721300

Ist es nach Auffassung der Bundesregierung zulässig, daß politische Parteien Telefonkarten der TELEKOM-Tochter Deutsche Postreklame GmbH durch entsprechende Aufdrucke zur Parteipropaganda verwenden, und erstreckt sich der Kontrahierungszwang dieser Firma auch auf derartige Aufträge?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1212721400
Herr Präsident! Telefonkarten, und zwar Schalter- und Kundenkarten, sind Wertkarten der Deutschen Bundespost Telekom. Schalterkarten sind solche Karten, die nur an den Schaltern der Deutschen Bundespost Postdienst oder über den Sammlerservice der Deutschen Bundespost Telekom angeboten werden.
Kundenkarten können von jedermann — Privat- und Geschäftskunden, Vereinen, Organisationen, Parteien usw. — in Auftrag gegeben werden. Ausgeschlossen sind dabei Motive, die gegen die guten Sitten oder die Moral verstoßen.
Mit der Vermittlung von Werbung auf Telefonkarten ist ausschließlich die Deutsche Postreklame beauftragt. Ein dem § 8 des Fernmeldeanlagengesetzes vergleichbarer Kontrahierungszwang besteht für die Werbung der Post jedenfalls nicht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212721500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger, bitte schön.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1212721600
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß es bereits eine politische Partei gibt, die durch Inanspruchnahme solcher Kundenkarten politische Werbung betreiben will, und hält es die Bundesregierung für richtig, daß eine politische Partei, die das tut, dann einen Seriositätsanschein für sich in Anspruch nehmen kann, der aus der Benutzung solcher Karten hervorgeht?
Frerich Görts, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, in der Vergangenheit sind bereits durch die SPD und die CDU solche Karten in Auftrag gegeben worden. Dazu hat es keine Beanstandungen gegeben. Der Bundesregierung ist bekannt, daß auch andere Parteigruppierungen solche Anträge stellen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212721700
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1212721800
Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, die Firma Deutsche Postreklame zu veranlassen — man kann ja voraussehen, was sich etwa im Wahljahr 1994 ereignen würde —, in Zukunft solche parteipolitische Inanspruchnahme derartiger Karten zu unterbinden?
Frerich Görts, Staatssekretär: Die Deutsche Postreklame GmbH ist eine Tochter der Deutschen Bundespost Telekom und arbeitet nach erwerbswirtschaftlichen Grundsätzen. Es ist ihr unbenommen, sich aus dem Werbemarkt für politische und weltanschauliche Themen zurückzuziehen. Die Bundesregierung wird dieses sehr sorgfältig beobachten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212721900
Weitere Fragen liegen zu Frage 10 nicht vor.
Ich rufe Frage 11 der Abgeordneten Frau Dr. Babel auf:
10990 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Ist bei der Einführung der neuen Postleitzahlen daran gedacht worden, daß die deutschen Rentenversicherungsträger in große Verwaltungsschwierigkeiten (Computerprogramme) geraten könnten?
Frerich Görts, Staatssekretär: Selbstverständlich ist daran gedacht worden, daß die deutschen Rentenversicherer als große Postkunden frühzeitig über die Einführung der neuen Postleitzahlen zu informieren sind. Die Deutsche Bundespost Postdienst hat deshalb u. a. bereits am 29. September dieses Jahres einen ihrer DV-Spezialisten beauftragt, den Verband Deutscher Rentenversicherungsträger über den normierten Datenaustausch der neuen Postleitzahlen zu beraten. An diesen Gesprächen haben z. B. auch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die Bundesknappschaft, die Bundesbahnversicherungsanstalt, das Seefahrtsamt und der AOK-Verband teilgenommen, die insgesamt rund 85 Millionen Versicherte betreuen. Diese Zusammenarbeit ist in der Zwischenzeit fortgesetzt worden und soll bis zur Einführung der neuen Postleitzahlen noch intensiviert werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212722000
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Babel.

Dr. Gisela Babel (FDP):
Rede ID: ID1212722100
Ist Ihnen dennoch bekannt, daß von seiten der Rentenversicherung diese Frist, die aus Ihrer Sicht vielleicht ausreichend ist, dennoch für die Riesenzahl von Bescheiden, die dann zu ändern sind, als außerordentlich kurz angesehen wurde und insofern schon zu Problemen geführt hat?
Frerich Görts, Staatssekretär: Der Bundesregierung ist bekannt, daß es ein sehr großes und ehrgeiziges Projekt ist, die Postleitzahlen umzustellen. Ihr ist ebenfalls bekannt, daß es notwendig ist, diese neue logistische Maßnahme der Deutschen Bundespost rasch umzusetzen, um die erhofften Effekte zu bringen. Weiterhin kann aber zugesichert werden, daß es Übergangszeiten geben wird, die auch den Rentenversicherern eine gewisse Elastizität ermöglichen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212722200
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht. Dann darf ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation schließen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie brauche ich nicht aufzurufen, weil der Abgeordnete Dr. Karl-Heinz Klejdzinski um schriftliche Beantwortung der Fragen 12 und 13 gebeten hat. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Hier steht uns zur Beantwortung der Bundesminister Dr. Günther Krause zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 47 des Abgeordneten Hans-Eberhard Urbaniak auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Deutsche Bundesbahn darüber entschieden hat, daß der Ausbau der Strecke Dortmund/Paderborn gestoppt werden soll, weil durch die höheren finanziellen Forderungen der Spezialbaufirmen, die mit der Sanierung der Deutschen Reichsbahn betraut und ausgelastet sind, Mehrausgaben von 25 Mio. DM zustande gekommen sind?

Dr. Günther Krause (CDU):
Rede ID: ID1212722300
Sehr geehrter Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn plant zum Ausbau der Strecke Dortmund-Kassel für die Dauer von Juni 1993 bis Mai 1994 einen sogenannten Schnellausbau. Ziel war es, die nachteiligen Wirkungen durch Bauarbeiten für die Kunden auf einen möglichst kurzen Zeitraum zu beschränken. Zur Vermeidung von gegenseitigen Beeinträchtigungen des Eisenbahnbetriebes und der Bauarbeiten der Strecke war beabsichtigt, die Strecke voll zu sperren und den Schienenverkehr ersatzweise auf die Straße zu legen. Die Kosten für die Bauarbeiten waren von der Deutschen Bundesbahn auf Grund von Vergleichszahlen auf ca. 100 Millionen DM veranschlagt worden.
Ziel des Ausbaus der Strecke ist insbesondere die Erhöhung der Geschwindigkeit von derzeit 160 km/h auf 200 km/h. Dies bedingt neben dem Streckenausbau auch die Beseitigung sämtlicher Bahnübergänge auf der betroffenen Strecke. Hierfür sind jeweils Planfeststellungsverfahren erforderlich. Als Realisierungsziel für die völlige Beseitigung der Bahnübergänge strebt die Deutsche Bundesbahn das Jahr 1997 an. Dieses Ziel wird aber maßgeblich durch den Ablauf der Planfeststellungsverfahren bestimmt. Diese Planfeststellungsverfahren — allein 30 Verfahren für 36 Bahnübergänge auf dem Streckenabschnitt Soest-Paderborn bzw. 81 Bahnübergangsbeseitigungen auf dem Streckenabschnitt Dortmund-Paderborn — und die damit zusammenhängenden Baumaßnahmen sind der zeitkritische Weg, d. h. entscheidend für den Fertigstellungstermin.
Es sind also nicht die reinen Streckenbaumaßnahmen, für die jetzt die Ausschreibung aufgehoben wurde und die den Zeitpunkt für die Aufnahme des Betriebs mit Tempo 200 km/h bestimmen werden. Aus diesem Grunde kann auch bei einem späteren Beginn der Streckenausbaumaßnahmen der geplante Inbetriebnahmezeitpunkt für Tempo 200 km/h eingehalten werden.
Die Maßnahmen für die Bahnübergangsbeseitigungen laufen unabhängig von der aufgehobenen Ausschreibung für den reinen Streckenausbau aus unserer Sicht gegenwärtig planmäßig weiter.
Die Deutsche Bundesbahn hat die Ausschreibung aufgehoben, da die geforderten Preise die Veranschlagung um fast 50 Millionen DM überboten haben, d. h. um ca. 50 %. Mehrausgaben in einer solchen Größe sind angesichts nicht nur der Finanzlage der Deutschen Bundesbahn, sondern auch unserer Verpflichtung zum wirtschaftlichen Handeln unangemessen. Die Deutsche Bundesbahn beabsichtigt nach eigenem Bekunden, die Bauleistung ein zweites Mal europaweit auszuschreiben, um so unter veränderten Wettbewerbsbedingungen günstigere Preise erzielen zu können.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212722400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1212722500
Herr Minister, es ist erfreulich, daß man den Termin 1997 mit den von Ihnen genannten Geschwindigkeiten einhalten will. Wann ist denn damit zu rechnen, daß diese Ausschreibungen europaweit erfolgen? Welcher Zeithorizont ist
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10991
Hans-Eberhard Urbaniak
gegeben? Wann kann in diesem speziellen Streckenabschnitt dann mit den notwendigen Bauarbeiten begonnen werden? Denn für diesen Bereich haben Sie ja eine Planfeststellung, und das ist sehr wichtig.
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Herr Abgeordneter, die Bauarbeiten können in ca. zwei Jahren beginnen. Wir sollten die Zeit für die Ausschreibung gewissenhaft nutzen, um auch die anstehende Reform der Bundesbahn hin zum Wirtschaftsunternehmen in das gesamte Ausschreibungsverfahren von vornherein einzubeziehen.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß eine Maßnahme, die in unserer Entscheidung im Bundestag liegt, die Einhaltung dieses Termins maßgeblich unterstützen wird. Es ist das neue Planungsvereinfachungsgesetz, welches im Bundeskabinett demnächst als Gesetzentwurf verabschiedet wird. Nach diesem Gesetz wird es in Zukunft möglich sein, wesentlich einfacher als bisher auch über das Mittel von Plangenehmigungen komplizierte Bahnübergangsplanungsverfahren wesentlich zu vereinfachen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212722600
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1212722700
Herr Minister, kann man davon ausgehen, daß man nach den Erfahrungen bei europaweiten Ausschreibungen auch tatsächlich zu besseren Konditionen kommt? Es ist ja verständlich, daß die Bundesbahn so gehandelt hat, wie sie es getan hat. Glauben Sie aber, daß man wirklich zu besseren Konditionen kommen kann?
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Zum einen liegen auf Grund der alten Verfahrensweise bei der Deutschen Bundesbahn solche Erfahrungen natürlich nicht vor. Es ist ja bekannt, daß bisher in diesem Bereich nicht europaweit ausgeschrieben worden ist. Wir sind aber guter Hoffnung, daß der europaweite Wettbewerb — dies ist ja eine Zielsetzung unseres Europäischen Wirtschaftsraumes — dazu führen kann, unter günstigeren Bedingungen ein für die Deutsche Bundesbahn auch günstigeres Wettbewerbsergebnis zu erreichen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212722800
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1212722900
Herr Minister, Sie sprachen von einem Mehrbedarf von 50 Millionen DM. Trifft es zu, daß davon nur etwa die Hälfte, also 25 Millionen DM, aus dem nicht befriedigenden Ausschreibungsergebnis resultiert, die andere Hälfte aber durch Veränderungen im Laufe des Planverfahrens zustande kommt? Ist diese Differenz, wenn das zutrifft, im Haushalt abgesichert?
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Ich muß darauf hinweisen, daß nach den Unterlagen der Bahn selbst ca. 100 Millionen DM kalkuliert waren. Es ist natürlich richtig, daß sich im Laufe von Planungsverfahren das eine oder andere kostenwirksame Detail noch verändern kann. Ich muß aber doch darauf verweisen, daß wir im Rahmen von etwa 100 Millionen DM bei einer europaweiten Ausschreibung ein entsprechendes Ergebnis erwarten. Das ist unsere Hoffnung. Da der zeitkritische Weg, d. h. die Aufnahme des Verkehrs unter 200 km/h nicht vom jetzigen Baubeginn abhängt, ist dies nach meiner Meinung eine verantwortungsbewußte Entscheidung, die die Bundesbahn getroffen hat.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212723000
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Urbaniak auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung auf die Deutsche Bundesbahn einzuwirken, daß die Strecke Dortmund-Paderborn-Kassel doch noch in den 90er Jahren mit Tempo 160 km/h befahren werden kann?
Wenngleich der Minister einen Teil schon beantwortet hat, wollen wir dennoch hören, was er sagt. Bitte schön.
Dr. Günther Krause, Bundesminister: In meiner Antwort war der entscheidende Satz schon enthalten: Der zeitkritische Weg — wie wir es formulieren—wird letztendlich nicht nur auf Grund der Ausschreibung zum Schnellausbau beschritten, sondern ist maßgeblich durch die notwendige Beseitigung der Bahnübergänge — es sind über 100 — gegeben. Insofern sind wir der Überzeugung, daß die Fertigstellung der Bauarbeiten, wie geplant, in den 90er Jahren möglich ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212723100
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1212723200
Herr Minister, nach der verkehrspolitischen Debatte über diesen Punkt möchte ich mir gern noch einmal bestätigen lassen, daß wir nach den organisatorischen Maßnahmen, die eingeleitet worden sind, 1997 diese Strecke tatsächlich mit 200 km/h befahren können.
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Sehr geehrter Herr Kollege, es ist mein festes Ziel, in Deutschland die Qualität der Eisenbahnverbindungen zu verbessern. Dazu gehört, — wenn ich das sagen darf, — zum einen die Bahnreform. Zum anderen gehört unbedingt dazu, das an Eisenbahnausbau in Westdeutschland nachzuholen, was viele Jahre nicht in ausreichender Qualität gemacht worden ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212723300
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1212723400
Würden Sie mir bestätigen, daß dabei das Jahr 1997 die entscheidende Rolle spielt? Sie sprechen von den 90er Jahren und haben in der ersten Antwort das Jahr 1997 genannt. Kann ich davon ausgehen, daß in diesem Zeithorizont das Befahren dieser Strecke mit 200 km/h möglich sein wird?
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Ich gehe davon aus, daß es 1997 sein wird. Schöner wäre, wenn es noch eher wäre.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212723500
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Peter (Kassel) auf:
Welche Auswirkungen wird die aus Presse-Meldungen der Westfälischen Rundschau vom 24. November 1992 bekanntgewordenen Absicht der Deutschen Bundesbahn haben, den Ausbau des Streckenabschnitts zwischen Soest und Paderborn der Bundesbahn-Ausbaustrecke Dortmund-Kassel zu stoppen und die Ausführung europaweit neu auszuschreiben?
10992 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Herr Abgeordneter Peter, legen Sie, nachdem die Fragen so ausführlich beantwortet sind, Wert darauf eine weitere Antwort zu bekommen? Oder möchten Sie gleich Zusatzfragen stellen?

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1212723600
Ich bin mit der schon erfolgten Beantwortung einverstanden, weil wir ja am Ende der Fragestunde sind.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212723700
Im Namen der übrigen Fragesteller bedanke ich mich für diese vernünftige Verhaltensweise.
Dann rufe ich die Fragen 50 und 51 des Abgeordneten Augustinowitz auf:
Warum soll sich der Beginn des Ausbaus der DB-Ausbaustrecke Dortmund-Kassel im Bereich Soest-Paderborn um zwei Jahre verzögern, obwohl lediglich eine erneute Ausschreibung vorgesehen ist?
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, der Deutschen Bundesbahn aufzugeben, den Ausbau der Strecke auch unabhängig vom Fahrplanwechsel im Mai 1993 in Angriff zu nehmen?
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Auch die Fragen des Kollegen Augustinowitz habe ich schon beantwortet.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212723800
Ich sehe, daß es das gleiche ist. Herr Abgeordneter Augustinowitz, wollen Sie eine Zusatzfrage stellen, oder wollen Sie sich so vorbildlich verhalten wie der Abgeordnete Peter (Kassel)?

Jürgen Augustinowitz (CDU):
Rede ID: ID1212723900
Ich darf zunächst dem Bundesminister danken, daß er selber in die Fragestunde gekommen ist und damit die Bedeutung dieser Bahnstrecke für die Zukunft unterstreicht. Allerdings habe ich einige Zusatzfragen, die ich gern beantwortet haben möchte.
Meine erste Zusatzfrage ist, ob die Finanzierung der gesamten Baumaßnahme gesichert ist.
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Ja.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212724000
Eine weitere Zusatzfrage.

Jürgen Augustinowitz (CDU):
Rede ID: ID1212724100
Können Sie ausschließen, daß es hier irgendeinen Zusammenhang mit der geplanten Bahnstrukturreform gibt?
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Es gibt einen Zusammenhang mit der geplanten Strukturreform insofern als die Bundesbahn jetzt schon zum kostenwirksamen Handeln gezwungen ist. In der Art und Weise, wie ein Schnellausbau den kritischen Zeitweg der Inbetriebnahme eines gesamten verkehrlichen Projektes verbessert oder verschlechtert, konnten wir bei dieser Maßnahme gemeinsam mit der Bundesbahn nicht einsehen, daß letztendlich ein Drittel der Gesamtkosten des günstigsten Angebotes umsonst zu finanzieren ist. Insofern ist ein Stück mehr unternehmerisches Denken der Deutschen Bundesbahn bei dieser Entscheidung schon im Vorfeld der Bahnreform zu verzeichnen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212724200
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Jürgen Augustinowitz (CDU):
Rede ID: ID1212724300
Im Rahmen der Beseitigung von Bahnübergängen findet auch eine Mitfinanzierung aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz statt. Ist sichergestellt, daß die Mittel ausreichen, damit diese Maßnahmen auch aus diesem Gesetz gefördert werden können?
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Sehr geehrter Herr Kollege, Sie wissen, daß die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode entscheidend dafür gesorgt hat, daß die Mittel für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz aufgestockt werden. Ich bin sicher, daß wir, wenn diese Bundesregierung die Verantwortung nach 1994 wieder erhält, diese Mittel noch weiter steigern werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212724400
Ich rufe nun die Frage 52 des Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige auf:
Auf Grund welcher Genehmigungen soll der von Bundesminister Dr. Günther Krause angekündigte erste Spatenstich für die Autobahn A 20 am 21. Dezember 1992 erfolgen?
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Sehr geehrter Herr Kollege Feige, der angekündigte erste Spatenstich für das Kreuzungsbauwerk der Autobahn A 20/ Bundesstraße 208 erfolgt auf Grund einer Plangenehmigung gemäß Art. 4 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes für die Verlegung der B 208 im Kreuzungsbereich mit der Autobahn A 20 in Mecklenburg-Vorpommern.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212724500
Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212724600
Wenn ich das richtig verstanden habe, heißt dies, daß damit ein Punkt in der Trassierung der Küstenautobahn A 20 bereits eindeutig festliegt. Bedeutet das, daß Sie kein weiteres Maßnahmegesetz für den Bau der Küstenautobahn vorhaben?
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Herr Feige, an dieser Stelle irren Sie. Es ist mit Hilfe des beschleunigten Planungsrechtes möglich, Kreuzungsbauwerke mit Hilfe der Methode der Plangenehmigung zu schaffen. Und da wir beide uns so weit kennen, daß Sie wissen, daß ich möglichst den kürzesten Weg wähle, ist in diesem konkreten Anwendungsfall die Erstellung des Kreuzungsbauwerkes und damit der Baubeginn der Autobahn über die Plangenehmigung einfacher machbar als über das Investitionsmaßnahmegesetz, dessen Anwendung zur Realisierung der Autobahntrasse selbst in diesem genannten Gebiet natürlich erforderlich sein wird.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212724700
Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Dr. Feige auf:
Wurde im Zuge des Genehmigungsverfahrens für diesen ersten Abschnitt der A 20 eine Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß Richtlinie 85/337/EWG durchgeführt, und zu welchem Ergebnis kommt diese Umweltverträglichkeitsprüfung?
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Die Verlegung der Bundesstraße 208 ist im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung für die Autobahn A 20 in Mecklenburg-Vorpommern mit erfaßt worden.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10993
Bundesminister Dr. Günther Krause
Dabei sind die materiellen Forderungen der EG- Richtlinien berücksichtigt worden. Im Ergebnis werden sowohl der geplante Umbau der B 208 als auch die vorgesehene Trassenführung der A 20 im Kreuzungsbereich mit der B 208 befürwortet.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212724800
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Dr. Feige. Dann ist allerdings die Zeit für die Fragestunde abgelaufen.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212724900
Herr Bundesminister, wäre es denn nicht günstiger, erst einmal eine Gesamtbilanz für eine solche Trasse zu machen, um so den optimalen Trassenverlauf zu finden, und könnte nicht eine solche Gesamtbilanz den ersten Spatenstich an der Stelle, wo Sie ihn vorbereitet haben, später bei der Bestätigung im Bundestag ad absurdum führen?
Dr. Günther Krause, Bundesminister: Herr Kollege Feige, diese Autobahn hat neben ihrer Aufgabe, die Verkehre von Ost- nach Westeuropa im Ostseeraum zu führen, eine zweite wichtige Aufgabe: Sie muß entscheidend zur Entlastung der innerstädtischen Verkehre der Stadt Wismar führen. Deshalb ist es erforderlich, schnellstmöglich die Voraussetzungen zu schaffen, die den Baubeginn dieses Bauwerks unterstützen.
Aus diesem Grund möchte ich Sie recht herzlich am 19. Dezember 1992 zum ersten Spatenstich einladen. Wir können sogar zwei Tage eher mit diesem Bauwerk beginnen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212725000
Nach dieser Privilegierung des Abgeordneten Dr. Feige — das übrige Haus ist ja wohl nicht eingeladen, Herr Minister — möchte ich diesen Geschäftsbereich abschließen, allerdings noch darauf hinweisen, daß die Fragen der Abgeordneten Klaus Kirschner und Uwe Lambinus — das sind die Fragen 54, 55, 56 und 57 — auf deren Wunsch schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragestunde ist damit beendet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zum fortschreitenden Waldsterben
Die Fraktion der SPD hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt.
Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Michael Müller (Düsseldorf).

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1212725100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben die Aktuelle Stunde zum Waldsterben beantragt, weil wir der Auffassung sind, daß dieses wichtige Thema nicht verdrängt werden darf. In den 80er Jahren war es d a s umweltpolitische Thema. Deshalb darf es nicht sein, daß der Bundestag heute, wo das Waldsterben unvermindert anhält, dazu keine Debatte mehr führt. Über dieses Thema darf nicht nur in den Ausschüssen, sondern muß auch im Plenum diskutiert werden.
Auf internationalen Konferenzen steht der sterbende Tropenwald zumindest auf der Tagesordnung.
Doch darüber dürfen wir nicht vergessen, daß auch im Herzen Europas eine Katastrophe ungeheuren Ausmaßes stattfindet. Das Waldsterben darf nicht hingenommen werden. Es gibt nicht nur den Ökozid des Regenwaldes, es gibt auch den dramatischen Waldtod in unseren Breiten.
Wir werden national und international nur glaubwürdig sein, wir werden nur dann mit Recht Maßnahmen zum Schutz der Tropenwälder fordern können, wenn wir endlich auch in der Bundesrepublik sehr viel mehr gegen den langsamen, schleichenden Tod der Wälder tun. Sonst sind wir nicht glaubwürdig.

(Beifall bei der SPD, bei der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist dies eine Frage von großer nationaler und internationaler Bedeutung. Wir haben kein moralisches Recht, wenn wir nicht endlich das Gebotene tun, was wir tun müssen und was wir tun können.
Die Sterbestatistik der Wälder in der Bundesrepublik ist erschreckend. 27 % der Wälder haben einen Nadel- und Blattverlust von über 25 %. 41 % sind zu 11 bis 25 % geschädigt. Nur noch einer von drei Bäumen ist gesund. Wir wissen, daß diese Statistik nur ein unzureichendes Bild liefert; denn vor allem in den neuen Bundesländern sind große Flächen, die gerodet wurden, nicht mehr in der Waldschadensstatistik erfaßt. Wenn man sie einbeziehen würde, wäre das Bild in der Tat noch dramatischer. Das wahre Ausmaß der Schäden wird durch diese Form der Statistik leider verschleiert. Wir haben das oft genug kritisiert.
Der Bundesgerichtshof hat 1987 die Bundesregierung aufgefordert, endlich alle notwendigen Gesetze zum Schutz der Wälder zu erlassen. Dieses Jahr haben wir den bisher höchsten Stand der Schädigungen der Wälder. Wir müssen feststellen, daß das Entscheidende zum Schutz der Wälder, nämlich eine drastische Zurückdrängung des überbordenden Individualverkehrs und des Güterverkehrs, nicht geschehen ist.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier hat die Bundesregierung ganz eindeutig nicht das getan, was sie — auch auf der Basis des Bundesgerichtshofsurteils — hätte tun müssen.
Wir müssen leider all denen recht geben, die sagen: Auf der einen Seite wird der schleichende Tod der Wälder beklagt, und auf der anderen Seite wird nichts getan. Dieses ist ein folgenloses Politikritual. Wir wollen dieses Politikritual nicht hinnehmen, und deshalb kündige ich im Namen der SPD an: Wir werden in den nächsten Wochen erneut mit einem Programm zum Schutz der Wälder kommen. Der Schwerpunkt dieses Programms wird die Reduktion der Schadstoffemissionen im Bereich Energiewirtschaft und des Verkehrs sein.
Wir müssen an die heilige Kuh Auto herangehen, wenn wir ehrlich sind. Wir wissen, daß dies der Hauptverursacher ist. Wir wissen, daß heute die Emissionen aus dem Verkehrssektor höher sind als zu Beginn des Waldsterbens. Diese Tatsache können wir
10994 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Michael Müller (Düsseldorf)

nicht einfach verschweigen. Wir haben die politische Verantwortung, hierauf zu reagieren.

(Ulrich Klinkert [CDU/CSU]: SPD gegen Autos!)

— Wenn Sie, Herr Kollege Klinkert, sagen „SPD gegen Autos", so verkennen Sie wirklich die Realität. Sie verkennen, daß es hier nicht um solche plumpen Formeln geht, sondern daß es darum geht, wirklich menschenwürdige Lebensbedingungen für alle zu erhalten. Ihre Formeln nützen sonst überhaupt nichts, weil dann nämlich bald niemand mehr Auto fahren kann. Das können wir nicht wollen.

(Beifall bei der SPD)

Insofern müssen wir endlich begreifen: Wir können vor allem im Verkehrssektor nicht mehr so weitermachen wie bisher. Wir fordern vom Bundesverkehrsminister eine völlige Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans. Es kann nicht sein, daß der Bundesverkehrsminister derzeit einen Aus- und Neubau von rund 11 000 km vorsieht und gleichzeitig der Wald mit dieser Geschwindigkeit stirbt. Das paßt nicht zusammen. Wenn Politik glaubwürdig sein soll, muß sich hier etwas ändern.
Wir fordern die schnelle Begrenzung des Kraftstoffverbrauchs. Wir fordern ein Tempolimit. Wir fordern das auf der Basis klarer gesetzlicher Grundlagen und nicht fragwürdiger Selbstverpflichtungen, von denen wir wissen, daß sie dann am Ende doch nicht eingehalten werden.
Meine Damen und Herren, das Immunsystem des Waldes — das ist das eigentlich Dramatische — ist bereits erheblich geschädigt. Wenn nur halbwegs das eintritt, was wir heute aus den Klimaprognosen kennen, die aus der Veränderung der Wasserabflüsse, aus der Veränderung der Grundwasserströme und aus der Veränderung der jahreszeitlichen Temperaturen abgeleitet sind, müssen wir befürchten, daß ganz schnell ein Umkippen der Wälder eintritt. Ich möchte nur auf die Warnung hinweisen, die uns alle Klima- und Forstwissenschaftler in der Klima-Enquete-Kommission gegeben haben: daß relativ geringe Veränderungen im Klimasystem zu einer dramatischen Großkatastrophe für unsere Wälder führen. Wir wissen das. Wenn wir immer noch zuwenig tun, sind wir deshalb diejenigen, die sich an allen zukünftigen Generationen schuldig machen.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212725200
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. von Geldern.

Dr. Wolfgang von Geldern (CDU):
Rede ID: ID1212725300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, daß vieles von dem, was der Kollege Michael Müller gerade gesagt hat, über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinaus allgemeine Meinung ist und daß es notwendig war, das zu sagen. Ich möchte in diese ganz große Gemeinsamkeit die Medien einbeziehen, die in den letzten Jahren ebenfalls zunehmend den Fehler gemacht haben, einmal im Jahr, wenn der Waldschadensbericht veröffentlicht wurde, das zur Kenntnis zu
nehmen und dann wieder zwölf Monate lang darüber zu schweigen.
Es ist gut, daß wir dieses Thema jetzt etwas gründlicher angehen;

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)

denn wir haben wirklich alarmierende Zahlen. Der diesjährige Waldzustandsbericht der Bundesregierung läßt es nicht mehr zu, daß wir das weiterhin nur registrieren und die Zahlen zur Kenntnis nehmen, obwohl wir jetzt feststellen, daß mit einer weiteren Zunahme der deutlichen Schäden auf nunmehr 27 % der höchste Grad seit 1984 erreicht ist, seit wir diese Untersuchungen anstellen. Obgleich die erzeugten Luftschadstoffe durch entsprechende Bundesgesetze und Kontrollen und dementsprechende Durchführung noch drastisch zurückgegangen sind.
Immerhin sind jetzt im Bundesdurchschnitt zwei Drittel der Bäume erkrankt. Die Laubbäume weisen in diesem Jahr mit 32 % in den Schadstufen zwei bis vier erstmals höhere Schäden auf als die Nadelbäume mit 24 %. Man könnte viele andere traurige Zahlen über die einzelnen Baumarten hinzufügen.
Bei allen Erfolgen im Bereich der Reduzierung industrieller Emissionen — auch da stimme ich dem Kollegen Müller zu — gibt es bisher keine entscheidenden Erfolge beim Kfz-Verkehr. Im Gegenteil, die Anzahl der zugelassenen Kraftfahrzeuge von zur Zeit 38 Millionen wird sich in den nächsten Jahren weiter erhöhen, und zwar, wie man sagt, bis zum Jahr 2005 um weitere 23 %.
Daher sind auch die Schritte, die schon vor Jahren zur Minimierung der Kfz-Emissionen eingeleitet worden sind — Katalysator usw. —, durch diese Entwicklung einfach überrollt worden.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!)

Der Verkehr produziert neben dem den Treibhauseffekt verstärkenden Kohlendioxid 69 % der Stickoxide und 52 % der Kohlenwasserstoffe. Eine Folge der genannten Emissionen sind die hohen Ozonwerte in den Sommermonaten, die zu einer zusätzlichen Belastung führen.
Ich fordere deshalb ein Umdenken in der seit Jahrzehnten zu sehr auf das Auto ausgerichteten Verkehrspolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der SPD, der PDS/Linke Liste und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Um dies zu erreichen, müssen wir uns alle bewußt werden, daß die Benutzung eines Kraftfahrzeugs die Natur, vor allem den Wald, belastet. Es ist die gemeinsame Aufgabe, dieser Bewußtseinsänderung auch mit bisher nicht eingesetzten Mitteln, zum Durchbruch zu verhelfen. Ich denke z. B. an die Erhöhung der Mineralölsteuer speziell zu diesem Zweck und an die Umstrukturierung der Kraftfahrzeugsteuer nach dem tatsächlichen Schadstoffausstoß, um dem umweltbewußten Bürger hier auch Einsparpotentiale aufzuzeigen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10995
Dr. Wolfgang von Geldern
Die Alternative „Auto oder Wald" — die man ja ernsthaft nicht aufstellen kann; — ist unrealistisch und volkswirtschaftlich nicht vertretbar. Das ist eine Scheinalternative, die das Handeln geradezu lähmen könnte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Um den endgültigen Zusammenbruch der Wälder zu verhindern, sind aus meiner Sicht folgende Maßnahmen erforderlich:
Erstens. Die Ungleichbehandlung von Schiene und Straße sollte beendet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der SPD, der PDS/Linke Liste und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN — Horst Sielaff [SPD]: Warum klatscht die Union nicht?)

Während der Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen vom Parlament als Gesetz beschlossen und damit auch die Finanzierung sichergestellt wird, sind die Schienenplanungen bisher lediglich politische Absichtserklärungen, deren Finanzierung im wesentlichen der Bahn selber überlassen bleibt.
Zweitens. Nach vorliegenden Schätzungen ist eine Verfünffachung des Güterverkehrs in Deutschland nach Öffnung des EG-Markts und des europäischen Ostens zu erwarten. Deshalb muß an die Stelle bisheriger Parallelplanungen für die einzelnen Verkehrs- träger künftig ein Gesamtkonzept treten, das einen Schwerpunkt auf den Ausbau der Schnittstellen im Güterverkehr legt.
Das neue Opel-Werk in Thüringen beweist, daß bei entsprechender Planung der gesamte An- und Abtransport von Gütern auf der Schiene möglich ist.
In diesem Zusammenhang fordere ich auch den Vorstand der Volkswagen-Werk AG auf, die bekannt gewordenen Pläne hinsichtlich einer Verlagerung der Zulieferung für die inländischen Werke von der Bahn auf die Straße aufzugeben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen das Waldschadensproblem an der Quelle bekämpfen und dürfen nicht an den Symptomen herumoperieren. Deswegen glaube ich, daß wir hier ein Brainstorming, eine Ideenbörse brauchen. Wir brauchen Ideen und vernünftige Vorschläge. Jeder Vorschlag ist willkommen, damit wir diesen Teufelskreis endlich durchbrechen können. Ich selber habe dazu eine Initiative ergriffen. Wir wollen die Umweltorganisationen, die auf diesem Gebiet tätig sind, alle zu einem sogenannten „Grünen runden Tisch" im Januar zusammenführen. Jede Idee, die uns hilft, hier herauszukommen, ist willkommen.
Herzlichen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212725400
Frau Kollegin Marita Sehn, Sie haben das Wort.

Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1212725500
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim Lesen des im November von der Bundesregierung vorgelegten Waldzustandsberichts 1992 stößt man immer wieder auf den Begriff „neuartige Waldschäden". So neuartig ist das Phänomen gar nicht mehr. Oder
verwenden wir lieber diese Wortschöpfung, statt klar zum Ausdruck zu bringen, daß diese Schäden eindeutig zu Lasten der Industriegesellschaft gehen?
Bereits seit Anfang der 80er Jahre wird eine rasche großflächige Ausbreitung der Waldschäden beobachtet. Alle Hauptbaumarten des mitteleuropäischen Waldes sind betroffen. Im Gegensatz zu früheren Zeiten heilen die Baumschäden nicht mehr aus. Laut Waldzustandsbericht 1992 weisen mehr als ein Viertel der Waldbäume in der Bundesrepublik Deutschland deutliche Schäden auf. Das höchste Schadensniveau ist 1992 mit 34 % im Durchschnitt in den ostdeutschen Ländern zu verzeichnen.
Aber auch in den nordwestdeutschen Ländern liegt der Anteil der deutlichen Schäden 1992 mit 14 % um vier Prozentpunkte höher als 1984. In den süddeutschen Ländern ist der Waldzustand mit 27 % deutlichen Schäden nach wie vor sehr ernst. Im europäischen Vergleich ist der Anteil der Bäume mit deutlichen Schäden besonders hoch in Großbritannien mit 57 %, gefolgt von Polen mit 45 % und der CSFR mit 41 %.
Daran zeigt sich, daß die bisherigen Erfolge bei der Luftreinhaltung noch nicht durchschlagend greifen. Auf Grund der bereits gesetzten rechtlichen Rahmenbedingungen durch Betriebsstillegungen und durch die Umstellung weg von der Braunkohle hin zu umweltfreundlicheren Energieträgern konnten die Schwefeldioxidemissionen in den neuen Bundesländern in nur drei Jahren um 0,85 Millionen Tonnen gesenkt werden. Das heißt, die Anstrengungen der Luftreinhaltepolitik müssen national, aber auch EG- weit konsequent fortgesetzt und intensiviert werden; denn Luftschadstofffracht macht an keinen Grenzen halt.
Maßnahmen zur Luftreinhaltung führen zu einer Entlastung der Waldökosysteme. Flankierende forstliche Maßnahmen verbessern die Stabilität der Waldökosysteme und tragen dazu bei, der Klimaänderung entgegenzuwirken.
Die im Rahmen der UNCED-Konferenz in Rio unter deutscher Verhandlungsführung abgefaßte Waldgrundsatzerklärung enthält erstmals weltweit festgelegte Grundsätze zur Waldbewirtschaftung und Walderhaltung. An der dort vertretenen Position müssen die nationalen Maßnahmen zum Schutz des deutschen Waldes künftig gemessen werden.
Gerade in den neuen Bundesländern könnten durch die Umrüstung auf moderne Entstickungstechnologie und Rauchgasentschwefelung bei Kraftwerken und Industrieanlagen Schadstoffemissionen in großem Umfang reduziert werden. Aber der Schutz der Wälder ist nicht nur Sache des Bundes und der Länder, sondern eine Aufgabe, bei der jeder einzelne mithelfen kann und muß.

(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Allein 18 % der deutschen Kohlendioxidemissionen stammen aus dem Straßenverkehr. Die Stickoxidemissionen stiegen im Zeitraum von 1980 bis 1990 von 1,6 Millionen t auf 1,9 Millionen t. Eine Verringerung der Emissionen wird nur durch drastische Minderung des spezifischen Kraftstoffverbrauchs und durch eine
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Marita Sehn
Begrenzung des Verkehrswachstums, durch Verhaltensänderungen und durch Vermeidung unnötigen Verkehrs möglich sein.
Das Reduzierungspotential der 17,8 Millionen schadstoffarmen Pkw — das entspricht rund 50 % der zugelassenen Fahrzeuge — wird ansonsten durch den Anstieg der Zulassungszahlen und der Gesamtfahrleistung aufgezehrt. Die Umwandlung der Kfz-Steuer in eine Abgassteuer, wie es die Koalitionsvereinbarung vorsieht, schafft den notwendigen Anreiz für die Entwicklung schadstoffarmer Fahrzeuge.

(Zuruf von der SPD: Wann denn?)

Um das Umsteigen auf umweltfreundliche Verkehrsträger zu fördern, muß jedoch begleitend die Anhebung der Mineralölsteuer hinzukommen. Die so erzielten Steuereinnahmen sollten vorrangig dem Ausbau des umweltfreundlicheren Schienenverkehrs und des öffentlichen Personennahverkehrs eingesetzt werden.
Über all diese dirigistischen Maßnahmen hinaus möchte ich zum Schluß an die Vernunft jedes einzelnen appellieren; denn jeder einzelne — vielleicht auch Sie und ich — sollte über seinen Beitrag zum Klima- und damit Waldschutz nachdenken.
Fahrgemeinschaften z. B. reduzieren Verkehrsaufkommen und Fahrtkosten. Fahrten außerhalb der Stoßzeiten vermeiden zusätzliche Emissionen im Stau, und auch Telefon und Brief können helfen, unnötigen Verkehr zu vermeiden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212725600
Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1212725700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ging im Land so für mich hin, und Wald zu suchen, das war mein Sinn. So würde wohl heute ein großer Deutscher dichten — Kohl war jetzt nicht gemeint —, hätte er den Waldschadensbericht der Bundesregierung gelesen. Auch sollte das alte deutsche Volkslied „Wer hat dich, du schöner Wald" auf die Indexliste gesetzt werden.
Meine Damen und Herren, vor kurzem stand in der Zeitung, unser Kollege Herr von Geldern, CDU, fordere: Die Verminderung des Schadstoffausstoßes im Straßenverkehr müsse mit noch größerer Energie vorangetrieben werden. Er hat dies heute in seinem Beitrag bestätigt.
Immerhin, 69 % der Stickoxide und 52 % der Kohlenwasserstoffe, die beide zu den Hauptfeinden des Waldes gehören, entfallen bundesweit auf den Kraftfahrzeugverkehr. Deshalb sei — so Herr von Geldern auch heute wieder — eine Umorientierung in der Verkehrspolitik notwendig. Ihm kann ich nur beipflichten.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber Sie haben doch widersprochen! Brandenburg hat jetzt die einzige Verkehrsschiene zugemacht!)

— Ich komme gleich darauf; warten Sie's ab! — Übrigens, der betreffende Kollege ist Vorsitzender des Umweltausschusses und seit kurzem, wie ich gelesen habe, auch Präsident der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald; ich wünsche ihm für diese Arbeit von ganz ehrlichem Herzen viel Erfolg. Ich fürchte nur, Sie werden an dieser Bundesregierung scheitern.
Wir hoffen also guten Mutes, daß der Herr Kollege von Geldern mithilft, seinem Parteifreund Minister Krause die Luft aus den Reifen seiner Autovorrangpolitik zu lassen. Das Verkehrskonzept der Bundesregierung nämlich hat auf den Wald die Wirkung einer riesigen Motorsäge — mit Katalysator, versteht sich.
Was wir aber dringend brauchen, sind eine Politik der Verkehrsvermeidung, eine sinnvolle Verkehrsverlagerung sowie eine Vorrangpolitik für emissionsarme Verkehrsmittel, die Wald und Menschen aufatmen läßt.
Die Verminderung der Emissionen aus dem Verkehrsbereich ist in erster Linie eine Frage der strukturellen und weniger der technischen Effizienz. Dies ist auch der Grund, warum der Katalysator letztlich an der Situation des Waldes nichts geändert hat.
Ständig steigender motorisierter Individualverkehr führt eben nicht nur ins Treibhaus, sondern macht den Wald gnadenlos nieder, da die ohnehin geringen Umwelteffekte technischer Minderungspotentiale wieder zunichte gemacht werden.
Dies sei auch den Kollegen und Kolleginnen der F.D.P. nahegelegt. Die von Ihnen, unter anderem von Herrn Baum, favorisierte Abgassteuer wird wohl nicht viel weiterhelfen. Bäume brauchen zum Leben eben vor allen Dingen Nährstoffe, gesunde Luft und gesundes Wasser und weniger eine Steuer.
Konsens aber besteht bei dem Vorschlag — und der ist nicht neu —, die Mineralölsteuer zu erhöhen, den Schienenverkehr und den ÖPNV auszubauen sowie Jobtickets steuerlich zu begünstigen. Frau Sehn, Ihre Partei ist doch in der Regierungsverantwortung und die Ihre, Herr von Geldern, auch.

(Dr. Wolfgang von Geldern [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

Wenn also allen so klar ist, daß etwas getan werden muß, warum passiert dann nichts?

(Dr. Wolfgang von Geldern [CDU/CSU]: Es passiert doch etwas!)

Für eine vernünftige Verkehrspolitik würden Sie sogar die Stimmen der PDS/Linke Liste bekommen.

(Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Die größten Umweltverschmutzer!)

— Das sollte Sie ehren, Herr Schwalbe. — Wir jedenfalls haben unser Angebot in Form eines Antrags für ein ökologisch integriertes Verkehrskonzept eingebracht und werden darüber im Ausschuß noch zu beraten haben.
Wir brauchen vor allem eine strukturell andere Verkehrspolitik. Wir brauchen Vorrang insbesondere für den schienengebundenen Nahverkehr in der Fläche. Güter gehören auf die Bahn. Dies muß gesamtgesellschaftlich, damit politisch, gewollt werden. Dies muß als Teil der gemeinschaftlichen
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Dr. Dagmar Enkelmann
Daseinsvorsorge unverzüglich von der Bundesregierung angepackt werden, oder sie sollte nach Hause gehen. Das Hoffen auf marktwirtschaftliche Kräfte und der Wunderglaube an privatwirtschaftliche Initiativen sind hier völlig fehl am Platz. Dem Wald hilft das am allerwenigsten.
Der Bundesregierung sei aus gegebenem Anlaß unter den Weihnachtsbaum die ernste Mahnung gelegt: Das Waldsterben läßt sich nicht wie so mancher Koalitionskrach einfach aussitzen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1212725800
Der Herr Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Feige hat das Wort.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212725900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Veröffentlichung des diesjährigen Waldzustandsberichtes durch den Bundesforstminister Ignaz Kiechle am 12. November förderte auch in diesem Jahr keine wesentlich neuen Erkenntnisse zutage.
Dem deutschen Wald geht es schlechter denn je. In diesem Sinne ist eine Aktuelle Stunde zum Thema Waldsterben immer aktuell. Wir sollten froh sein, daß wir hier überhaupt noch gemeinsam über dieses Thema debattieren können. Noch gibt es ja ein bißchen Wald.
Zumal da Herr Bundesminister Krause vorhin gesagt hat, er möchte noch in der kommenden Wahlperiode Bundesminister für Verkehr sein, ergibt sich deutlich meine Befürchtung, daß wir vielleicht am Ende der nächsten Wahlperiode nicht mehr über gesunden Wald hier debattieren können.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Nehmen Sie Einfluß auf den brandenburgischen Ministerpräsidenten!)

Insgesamt 41 % des gesamten Baumbestandes sind leicht, 27 % sogar schwer geschädigt. Ich erspare mir die nochmalige Aufzählung der wirklich schlimmen Daten, obwohl man sie eigentlich immer wieder — Herr von Geldern hat es ja noch einmal betont —, nicht nur zu diesen Berichten, veröffentlichen und darstellen sollte.
Zyniker sagen, daß sich diese Berichte von alleine verbessern werden. Die Weißtanne ist schon heraus; es lohnt sich nicht mehr, deren Daten zu erfassen. Es werden weitere Arten dann später aus dem Bericht herausfallen können.
Es ist bemerkenswert, daß ich auch diese Daten vor allem aus Sekundärberichten und aus einer Pressekonferenz bekommen habe. Wie mir die Kollegen heute früh in der Obleuteberatung im Umweltausschuß gesagt haben, ist eigentlich vorgesehen, daß dieser Waldschadensbericht möglichst zu einer offiziellen Drucksache des Bundestages werden sollte. Ich bedauere, daß das unterbleibt; denn das ist auch ein Votum dieses Hauses. Das zumindest erscheint mir für solch ein Thema doch sehr bedenklich.

(Beifall bei der SPD)

Bei einem Vergleich der westdeutschen und der ostdeutschen Waldgebiete schneiden die ostdeutschen weit schlechter ab. Das resultiert zum Teil aus der geographischen Lage, aber auch aus einer in Sachen Schadstoffemission unverantwortlichen Energieproduktion in der damaligen DDR und in der CSSR.
Die Ursachen für das fortschreitende Waldsterben sieht der Bericht des Ministers neben dem Schadstoffausstoß des zunehmenden Autoverkehrs auch in der Trockenheit der vergangenen Jahre, in dem damit verbundenen vermehrten Schädlingsbefall sowie in den Spätfolgen von Sturmschäden aus dem Jahre 1990. In der Prognose für kommende, auch feuchte Jahre wird weiterhin mit Schäden um 4 % gerechnet. Der Wald kann sich nach trockenen Jahren nicht mehr erholen.
Demnach wäre aber bereits im Jahre 2010 der gesamte Waldbestand total geschädigt, Lebensraum für Tiere in unwiederbringlicher Weise zerstört und der Wald als Erholungsraum für den Menschen nicht mehr nutzbar, ganz zu schweigen von den Veränderungen für das Klima und das ökologische Gleichgewicht schlechthin.
Der Wald ist eben mehr als nur einfach Holz, und es erscheint schon irgendwie ziemlich durchgeballert, wenn einzelne Kollegen in unserem Hause heute noch Geld für den Eintritt in diesen geschädigten Wald von denen nehmen wollen, die vielleicht den Wald noch am liebsten mögen. Es ist absurd, das Verhältnis von Ursache und Wirkung einfach so umzudrehen.
In diesem Zusammenhang ist der Waldschadensbericht also nicht nur ein Statusbericht über irgendein biologisches Phänomen, sondern in erster Linie die verheerende Ökobilanz der Wirtschafts- und Verkehrspolitik mehrerer vorhergehender Bundesregierungen.
Die Frage nach den Konsequenzen aus diesen alarmierenden Ergebnissen drängt sich auf. Da scheint Herr Kiechles verzweifelte Forderung nach technischer Verbesserung des Autos zum Strohhalm zu werden, um den effektiven, in unserem täglichen Bewußtsein vielleicht schmerzlichen Veränderungen aus dem Weg zu gehen.
Die Tatsache, daß aus dem ehemaligen Waldschadensbericht eine Waldschadensbilanz und nun gar der Waldzustandsbericht geworden ist, demonstriert überdeutlich die beabsichtigte Bagatellisierung der Probleme. Daß der Bericht ab 1994 nur noch alle drei Jahre herausgegeben werden soll mit der Begründung, saisonale Schwankungen beim Waldsterben seien dann statistisch besser kontrollierbar, zeugt von einem nicht mehr zu überbietenden Maß an Ignoranz. Ich glaube, das widerspricht genau der Forderung von Herrn von Geldern.
Seit zehn Jahren wird nun jedes Jahr der Zustand des Waldes untersucht. Seit zehn Jahren beobachtet man eine permanente Verschlechterung dieses Zustands. Und was ist die Konsequenz? Weiteres Hinauszögern.
Was die Forderung zur Wende in der Verkehrspolitik betrifft, schließe ich mich da den Worten Herrn von Gelderns an; ich will sie nicht wiederholen. Aber ich
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Dr. Klaus-Dieter Feige
denke, es darf in dieser Hinsicht nicht immer bloß beim Reden bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dem „Spiegel" dieser Woche entnehme ich, daß der Absturz des Kollegen Geißler samt Fallschirm von der Krone zweier Kiefern von ihm selber auf den schlechten Zustand der Wälder zurückgeführt wird.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS/Linke Liste)

Ich wünsche Herrn Geißler und dem Wald beste Genesung, und ich danke ihm für diese beißende Kritik an der Tatenlosigkeit der eigenen Regierung. Besser hätten auch wir das nicht vermocht. Aber ich nehme dieses vielleicht relativierend zurück.
Ich werde bei der Versendung des Waldschadensberichts die Rede von Herrn von Geldern all meinen Freunden beilegen.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS/Linke Liste)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212726000
Herr Kollege Siegfried Hornung, Sie haben das Wort.

Siegfried Hornung (CDU):
Rede ID: ID1212726100
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einem festgelegten Raster, das es ansonsten in keinem weiteren Land gibt, wurde der neue Waldzustandsbericht der Bundesregierung erstellt.

(Zurufe von der SPD: Ha, ha! — Horst Sielaff [SPD]: Schadensbericht!)

Wie in all den Jahren wurde er vorgelegt. Er weist ungeschminkt aus, daß 27 % der Bäume deutlich geschädigt sind. Diese Zahl zeigt uns, um welche langfristige Daueraufgabe es sich bei der Eindämmung und Behandlung dieser neuartigen Waldschäden handelt.

(Horst Sielaff [SPD]: Sie hätten schon etwas tun müssen! Sie hatten zehn Jahre!)

Faktoren wie Trockenheit und jährlich schwankende Klimabedingungen ergeben Unterschiede in der einen oder anderen Richtung. Auch haben die extremen Sturmschäden des vergangenen Jahres bzw. des Jahres 1990 den Zustand des Waldes verschlechtert und auch emissionsbedingte Schäden stärker zutage treten lassen.
Konsequenzen aus dieser Tatsache sind ein ganzes Bündel von kurz- und langfristigen Maßnahmen, die sowohl im Bereich der Ursachenbekämpfung

(Horst Sielaff [SPD]: Jetzt nennen Sie die einmal!)

wie auch der Beseitigung der Folgen von Schäden angesetzt sind.
Die CDU-geführte Bundesregierung — jetzt kommt es — hat hier seit 1983/1984 eine folgerichtige Politik betrieben und ausgebaut.

(Horst Sielaff [SPD]: Das glauben Sie doch wohl selber nicht!)

An erster Stelle steht die Ursachenbekämpfung, also die Reduzierung der Luftschadstoffe. Im Schwefeldioxidbereich sind erhebliche Erfolge durch den Einbau der Entschwefelungsanlagen bewirkt worden.

(Horst Sielaff [SPD]: So blauäugig, das zu glauben, kann doch nicht einmal der Hornung sein!)

Die bis dahin übliche Politik der hohen Schornsteine wurde erstmals unterbrochen. Bleifreies Benzin, Verminderung des Kraftstoffbedarfs, vor allem die Einführung des geregelten Katalysators waren konsequente Folgen unserer Politik,

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

die nach dem Ende des sozialistischen Regimes nun auch im Osten der Bundesrepublik umgesetzt werden können.

(Gudrun Weyel [SPD]: Sie haben es unterlassen, uns etwas über die Bäume zu erzählen, Herr Hornung!)

Hier sei angemerkt, daß wir immer noch vor erheblichen materiellen Verlusten der Waldbesitzer stehen, die von ihnen getragen werden müssen. Dabei möchte ich lobend unterstreichen, daß von 1984 bis heute über 500 Millionen DM an staatlichen Hilfen gewährt worden sind: Jungwaldpflege, Aufforstung, Melioration, Düngung, Aufkalkung, um nur einiges zu nennen. Dieser Ansatz muß verbessert werden.
Angesichts der weltweit — und dies ist eine besondere Zahl — elf Millionen Hektar, die als Wald abgeholzt und nicht mehr angepflanzt werden, darf es nicht nur bei der Sensibilisierung der Bevölkerung hinsichtlich des Regenwaldes bleiben, sondern es gilt jetzt auch, die Initiative und Offensive in unserem Land, besonders in den neuen Bundesländern, zu ergreifen.

(Horst Sielaff [SPD]: Was heißt „auch"?)

Hier widme ich mich ganz besonders dem Privatwald. Es ist ein Ansatz zur Erstförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben gewesen, daß 50 % der Nadel- und 85 % der Laubholzbestände gefördert werden. Das ist der richtige Ansatz. Wir werden damit bis zu 12 000 ha pro Jahr aufforsten können. Ebenso wird seit 1991 eine Aufforstprämie bis zu 500 DM pro ha mit der Laufzeit von 20 Jahren angeboten. Einkommensverluste aus der Aufforstung in der ersten Phase können damit wenigstens zum Teil ausgeglichen werden.
Zu dieser eindeutigen Antwort auf die Probleme des Waldes, nämlich Ursachenbekämpfung und Stabilisierung der Ökosysteme, brauchen wir natürlich auch auf der anderen Seite die Politik zur Förderung der Verwendung des Holzes als Roh- und Werkstoff sowie als Energieträger. Der Wald muß bewirtschaftet werden, er muß gepflegt werden, und es muß wirtschaftlich dabei auch etwas herauskommen. Ohne nachhaltige Bewirtschaftung ist nämlich diese Aufgabe für die Allgemeinheit nicht zu erfüllen.
Holz ist ein nachwachsender Rohstoff. Er bindet CO2 langfristig, ist ideal als Baustoff. Für den erhöhten Anfall von Schwachholz muß ein verbesserter Markt geschaffen werden. Die Papierindustrie sollte auch
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 10999
Siegfried Hornung
preislich diesen hochwertigen Rohstoff honorieren. Ich bin froh, daß die Elektrizitätswirtschaft und der Wirtschaftsminister nun das Stromeinspeisegesetz auf die Verbrennung jedweder Art des Holzes ausweiten wollen, damit wir einer Lösung der Verwertung dieser Holzabfälle ein Stück näherkommen. Nachwachsende Rohstoffe wie Holz, aber auch andere, die im Naturkreislauf wiederverwendet werden können, können dann einen wirksamen Beitrag zum Umweltschutz leisten und nicht zuletzt der Ausweitung der Waldschäden entgegenwirken.
Neben der Luftreinhaltung und der Verbesserung der Waldökosysteme trägt ein gut funktionierender Holzabsatzmarkt dazu bei, den Stellenwert unseres Waldes zu sichern.
Abschließend darf ich sagen und noch einmal betonen: Die neuartigen Waldschäden sind für uns eine Daueraufgabe.

(Horst Sielaff [SPD]: Eine Aufgabe für das nächste Jahrhundert!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212726200
Meine Damen und Herren, in den Aktuellen Stunden muß man die FünfMinuten-Beiträge ja auszirkeln. Meistens ist das Manuskript auf 20 oder 30 Sekunden genau ausgearbeitet. Ich bitte also, die Qualität der Zwischenrufe ein bißchen danach einzurichten, daß der Redner mit seiner Rede über die Runden kommt. Das gilt für alle Seiten des Hauses.

(Gudrun Weyel [SPD]: Der Hornung ist auch nicht ohne bei den Zwischenrufen!)

Ich erteile der Kollegin Marianne Klappert das Wort.

Marianne Klappert (SPD):
Rede ID: ID1212726300
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Hornung, es ist sicher richtig, daß dies für uns eine Daueraufgabe sein wird.
Ich will zu Anfang sagen: Der Wald steht schwarz und schweiget. Denn das ist eine kürzere, ehrlichere und problembewußtere Beschreibung unseres Waldes als das, was wir hier als Waldschadensbericht vorgelegt bekommen haben, der ganz vornehm als Waldzustandsbericht umschrieben ist.
Wir haben soeben schon gehört, daß da, wo kein Wald mehr steht, auch kein Waldsterben mehr stattfinden kann. Da diese Merkwürdigkeiten, die in diesem Waldschadensbericht stehen, alarmierend genug sind, muß etwas mehr geschehen.
Mehr als ein Viertel der Waldbäume zeigen deutliche Schäden. Wir haben soeben die Zahlen gehört. Ich glaube, ich kann mir ersparen, sie zu wiederholen. Alle Behauptungen der Regierung über eine erfolgreiche Politik zum Schutz der Wälder erweisen sich als schlichtes Wunschdenken.

(Beifall bei der SPD)

Der Waldschadensbericht beweist: Diese Bundesregierung hat viel zu wenig getan, und sie geht halbherzig zu Werke. Statt weiterhin nur Symptomtherapie zu betreiben, muß nun endlich mit einer Therapie
ernstgemacht werden, die den Ursachen der Waldschäden konsequent zu Leibe rückt. Wer das Übel an der Wurzel packen will, muß konsequent für die Reduzierung des Schadstoffausstoßes eintreten, und zwar nicht nur für die Reduzierung der Schwefeldioxide, sondern auch und vor allein für die praktische Verringerung der verkehrsbedingten Stickoxide.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wer hat da mehr getan als diese Regierung?)

Die größten Feinde des Waldes sind eben nicht Witterungseinflüsse und Schädlingsbefall, sondern die Autos. Die Reduzierung des Autoverkehrs ist deshalb die bedeutendste Schutzmaßnahme für den Wald. Wer aber ungeniert weiterhin Schneisen für Asphaltschlangen und Betonpisten durch den deutschen Wald schlagen will, wer weiterhin beinahe tatenlos der Zunahme der verkehrsbedingten Stickoxide zusieht, der entlarvt alle Behauptungen über einen ausreichenden Waldschutz als bloße Makulatur.

(Beifall bei der SPD)

Man kann es nicht oft genug betonen: Eine weitere Schädigung des Ökosystems Wald führt in eine ökologische Katastrophe. Damit es dazu nicht kommt, muß endlich ein umfassendes Konzept — nicht nur national, sondern europäisch — für eine Umwelt- und Wirtschaftspolitik zur Sicherung der Leistungsfähigkeit unserer Wälder und ihrer überlebenswichtigen Funktionen entwickelt werden. Dazu muß zuallererst gehören: eine drastische Verringerung der Luftschadstoffe durch technische Maßnahmen, vor allem aber durch eine erhebliche Drosselung des Energieverbrauchs. Warum ist es eigentlich so schwer, das wirklich Vernünftige sofort zu tun, z. B. das Tempolimit einzuführen oder Maßnahmen für die Verbesserung des ÖPNV zu ergreifen?

(Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das wird immer als Buhmann hingestellt!)

Warum sollte es nicht wirtschaftlich vertretbar sein, eine CO2-Abgabe einzuführen? Wir haben es heute morgen im Unterausschuß gehört.
Es muß dazu kommen, daß wir eine Vermehrung der Waldflächen erreichen, um die Kohlenstoffspeicherfunktion des Waldes zu verbessern. Warum eigentlich wird der Wald immer wieder als Flächenreserve für die Ausdehnung von Industrie- und Siedlungsflächen, für den Straßenbau und für die Freizeitnutzung betrachtet?

(Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja: Warum?)

Zu diesem erforderlichen Gesamtkonzept gehört auch eine naturgemäße Waldwirtschaft, die einen artenreicheren, natürlicheren und damit auch stabileren Wald erhoffen läßt, einen Wald, der auch dem Treibhauseffekt gewachsen ist. Was spricht eigentlich dagegen, auf Kahlschläge und den Einsatz schweren Holzerntegerätes ebenso zu verzichten wie auf umweltbelastende Pestizide?

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da lade ich Sie aber gerne ein, darüber mit den Waldarbeitern zu sprechen! Hier reden Leute, die das noch nie getan haben!)

11000 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Marianne Klappert
Was macht es so schwierig, überall standortgerechte Bäume anzupflanzen sowie die Naturverjüngung unter dem Schutz von Althölzern zu betreiben?
Dazu sollte nicht zuletzt die Verbesserung der ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Waldwirtschaft gehören. Warum setzt die Bundesrepublik eine auf das heimische Holz ausgerichtete Energie- und Rohstoffpolitik nicht ernsthaft um? Herr Hornung Sie haben das soeben angesprochen. Warum bringen Sie es denn nicht?

(Siegfrid Hornung [CDU/CSU]: Weil Sie immer dagegen sind!)

Fragen über Fragen. Aber der deutsche Wald braucht endlich Antworten. Diese Antworten fordern wir von Ihnen ein, nicht nur Worte, sondern endlich Taten.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212726400
Ich habe jetzt hier auf der Liste den Kollegen Heinrich, aber es würde viel mehr Sinn machen, auch von der Mischung her, wenn jetzt der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten spräche. — Ich erteile dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Ignaz Kiechle, das Wort.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1212726500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ursachen für die Waldschäden sind äußerst komplex. Starke Worte wie Katastrophe und alles mögliche an Prophezeiungen, was in zehn oder zwanzig Jahren sein wird, sind zu einfach. Im übrigen wird die Natur alle diejenigen Lügen strafen, die solche Prophezeiungen aussprechen; denn wenn es nach denen ginge, gäbe es heute schon keinen deutschen Wald mehr. In Wirklichkeit gibt es mehr deutschen Wald als vor zehn Jahren. Das möchte ich auch einmal erwähnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Hauptverursacher der Schäden, die ja niemand bestreitet und die wir veröffentlichen, sind die Luftschadstoffe. Die Bundesregierung hat deswegen mit dem Aktionsprogramm „Rettet den Wald" die bereits 1983 eingeleiteten Maßnahmen zur Verringerung dieser neuartigen Waldschäden intensiviert und damit durchaus zur Erhaltung der Wälder beigetragen. Wichtigste Maßnahme bleibt weiterhin die Luftreinhaltung.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Richtig!)

Sie hat bereits deutliche Erfolge erbracht. So gingen die Schwefeldioxidemissionen in den alten Ländern vor allem durch die Rauchgasentschwefelung der Kraftwerke seit 1982 um rund 68 % auf rund 0,94 Millionen t zurück.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Leider nur in der alten Bundesrepublik!)

— Aber immerhin um 68 %, weil wir gehandelt haben.
Bei den Stickstoffoxidemissionen ist ebenfalls eine Trendwende festzustellen, trotz der ständig steigenden Zahl von Autos. Die Stickstoffoxidemissionen der Kraftwerke und Industrieanlagen haben sich um rund 60 % auf nunmehr 340 000 t vermindert. Daß das auch noch zuviel ist, bestreitet ja niemand, aber die Emissionen haben innerhalb von zehn Jahren immerhin um 60 % abgenommen.
Auch die Politik des schadstoffarmen Autos greift, und das, obwohl der Pkw-Verkehr insgesamt zugenommen hat.
Über die Luftreinhaltepolitik hinaus haben Bund und Länder im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe erhebliche Mittel bereitgestellt, um die Waldökosysteme auch durch flankierende forstliche Maßnahmen zu stabilisieren. Dafür wurden zwischen 1984 und 1991 rund 420 Millionen DM ausgegeben. 1992 werden es noch einmal 82 Millionen DM sein. Zugleich haben der Bund und die Länder sowie andere Forschungsträger die Waldschadensforschung seit 1982 mit rund 360 Millionen DM gefördert.
Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe setze ich mich dafür ein, daß die Förderbeträge für die Waldflächenkalkung zur Abpufferung des Säureeintrags weiter erhöht werden. In der nächsten Woche wird der Planungsausschuß des Bundes und der Länder hierüber entscheiden. Ich hoffe, daß man meinem Vorschlag zustimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn wir heute feststellen müssen, daß unsere intensiven Bemühungen zur Verminderung der Waldschäden bisher nicht zu dem gewünschten Erfolg — keineswegs zu keinem Erfolg, aber nicht zu dem gewünschten — geführt haben, so liegt das an folgenden Ursachen: Die Schadstoffe haben sich seit Jahrzehnten im Boden angereichert. Daran gemessen wirken die Maßnahmen zur Luftreinhaltung erst seit vergleichsweise kurzer Zeit.
Es kommt hinzu, daß die Waldökosysteme außerordentlich langsam auf Veränderungen reagieren. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, daß vor allem der trocken-warme Sommer 1991

(Zurufe von der SPD)

— die Natur läßt sich nicht durch Geschrei korrigieren; das dürfen Sie mir glauben —

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und die Spätfolgen der schweren Sturmschäden des Jahres 1990, die sicher nicht von der Regierung verursacht wurden, den Schadensverlauf maßgeblich beeinflußt haben. Ich sage ausdrücklich: beeinflußt, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Aus all dem kann man nicht auf eine unzureichende Wirkung der bisher ergriffenen Maßnahmen schließen. Allenfalls kann man sagen, daß mit diesen oder ähnlichen Maßnahmen schon früher hätte begonnen werden müssen, also vor Beginn unseres Aktionsprogramms im Jahre 1983.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber das liegt nicht in der Verantwortung dieser Bundesregierung. Wir waren ja damals nicht an der Regierung.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11001
Bundesminister Ignaz Kiechle
Wir ziehen daraus die Konsequenzen und werden deshalb unsere Bemühungen fortsetzen und intensivieren, und zwar auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene.
Walderhaltung und Waldvermehrung — auch darauf setzen wir — sind globale Aufgaben, die übrigens die ganze Völkergemeinschaft betreffen. Die Bundesregierung wird deshalb auch weiterhin auf eine konsequente Umsetzung der Beschlüsse von Rio de Janeiro zum Schutz des Klimas und der Wälder vom Juni dieses Jahres hinwirken.
Der Waldzustandsbericht 1992 ist — stärker noch als frühere Waldzustandsberichte — auch ein Appell an jeden einzelnen Bürger, noch mehr zum Schutz der Umwelt zu tun. Wer weniger Auto fährt, wer sparsam mit Energie umgeht — sei es beim Heizen oder beim Einsatz von Elektrogeräten, und zwar besonders durch Verwendung moderner Technik — und wer sein altes Auto, sozusagen seinen alten Stinkkarren aus dem Verkehr zieht oder wenigstens mit einem Katalysator nachrüstet, verringert die Luftbelastung und nützt dem Wald, denn Luftschadstoffe sind der Feind Nummer eins unserer Wälder. Hier kann jeder etwas tun, statt nur zu reden.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In eigener Verantwortung!)

Die Gesellschaft ist übrigens auch aufgerufen, durch Verwendung alternativer, umweltfreundlicherer Kraftstoffe die Verschmutzung der Luft noch zusätzlich zu reduzieren. Heute wird das zu meinem großen Bedauern ja alles nur unter dem Gesichtspunkt von Mark und Pfennig diskutiert.
Herr Dr. Feige, Sie haben gesagt, der Waldzustandsbericht werde nur mehr alle drei Jahre erstellt. Das stimmt nicht. Dieser Bericht wird jedes Jahr erstellt, er wird auch jedes Jahr veröffentlicht, allerdings alle drei Jahre mit einer Vollstichprobe von 4 x 4 Kilometer im Quadrat, in den anderen beiden Jahren mit einer Euronorm-Probe von 16 x 16 Kilometer. Man sollte sich wenigstens an die Fakten halten.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Schritt zurück!)

Außerdem ist es auch nicht wahr, daß der Waldzustandsbericht dem Deutschen Bundestag nicht zugeleitet wurde. Er wurde ihm offiziell zugeleitet und wird als Bundestagsdrucksache wohl in nächster Zeit veröffentlicht werden.
Wir tun unser möglichstes. Wir hoffen, daß wir von allen unterstützt werden. Ich habe auch nichts gegen Aktuelle Stunden. Aber man sollte sie so führen, daß sie der Sache dienen. Man sollte nicht nur Sprüche von einer Katastrophe und ähnliches in die Welt setzen. Das trifft nämlich nicht zu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212726600
Herr Kollege Ulrich Heinrich, jetzt haben Sie das Wort.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1212726700
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, wir haben zweifellos Erfolge zu verzeichnen, insbesondere was Ihr Haus anlangt. Aber wir wissen ganz
genau, daß wir aufgefordert sind, darüber hinausgehende wichtige Maßnahmen zu ergreifen, denn der Waldzustandsbericht ist natürlich auch ein Waldschadensbericht. Das muß man hier mit berücksichtigen. Man muß auch wissen, daß der Wald unter dem Dreck stöhnt, den hauptsächlich die Menschen dem Wald zumuten. Deshalb sind wir aufgefordert, entsprechende Regelungen zur Reduktion der Luftbelastung durchzusetzen.
Ich möchte drei Dinge ansprechen.
Erstens. Wir haben große Erfolge im industriellen Bereich, hier müssen wir auch weiterhin Erfolge in den neuen Bundesländern durchsetzen; das wird nicht einfach. Wir müssen vor allen Dingen auf europäischer Ebene mit dafür sorgen, daß die Schadstoffreduzierung europaweit erfolgt.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens. Der Schutz der Wälder ist nicht nur eine nationalstaatliche Aufgabe, sondern es muß ein Anliegen aller Menschen sein, hier eine entsprechende Verbesserung zu erreichen. Ich möchte die Bundesregierung in diesem Zusammenhang ermutigen, ihre Bemühungen zur Fortentwicklung der Waldgrundsatzerklärung von Rio in Richtung einer völkerrechtlich verbindlichen Waldkonvention mit Nachdruck fortzusetzen. Diese Waldgrundsatzerklärung enthält erstmals weltweit festgelegte Grundsätze zur Bewirtschaftung, Erhaltung und nachhaltigen Entwicklung von Wäldern und ist eine tragfähige Grundlage für weitere konkrete Maßnahmen.
Ich möchte aber nicht verhehlen, daß wir natürlich auch eigene Anstrengungen unternehmen müssen. Hier fordere ich nachdrücklich, daß weitere Maßnahmen zur Luftreinhaltung erfolgen müssen. Eine Fortführung der drastischen Subventionierung des Kraftfahrzeugbereichs halte ich deshalb in der Zukunft für unzumutbar.
Ich fordere die Bundesregierung zur Erstellung einer Umweltbilanz des Kraftfahrzeugverkehrs auf. Die vom Kraftfahrzeugverkehr verursachten und bisher nicht mitfinanzierten volkswirtschaftlichen Kosten, vor allem im Umweltbereich, müssen auf den Benzinpreis umgelegt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein fairer Benzinpreis wird nicht nur zu einer stärkeren Gewichtung der Bahn führen, sondern auch die Industrie zur schnelleren Markteinführung kraftstoffsparender Fahrzeuge veranlassen. Ich möchte hier mit Nachdruck darauf hinweisen, daß der Flottenverbrauch der Automobilindustrie in der Zukunft um 50 % gesenkt werden muß, wenn wir auf diesem Gebiet Erfolg haben wollen.
Drittens möchte ich die europäische Forstpolitik ansprechen; wir haben nämlich leider Gottes keine. Jegliche Konzeption fehlt bisher in diesem Bereich, um die Leistungsfähigkeit der Wirtschaftswälder zu sichern und die Funktion für Luft, Wasser und Klima entsprechend zu stärken und zu verbessern.
11002 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Ulrich Heinrich
Europa braucht eine gemeinsame Forstpolitik. In der EG haben wir 48 Millionen ha Wald. Dies erfordert natürlich, daß der Bereich nachwachsender Rohstoff entsprechende Bedeutung gewinnt und gemäß seiner Bedeutung eine Würdigung in den verschiedensten Bereichen erfährt, in denen wir noch ganz entschieden Nachholbedarf haben.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir in der Zukunft eine drastische Ausweitung der Waldbestände brauchen, daß wir Aufforstungsprogramme durchführen und in unserem Naturschutzgesetz entsprechende Regelungen verankern müssen, damit Aufforstung überhaupt vollzogen werden kann; denn hier haben wir noch nationale und regionale Hemmnisse. Hier müssen wir darangehen, der Aufforstung das Gewicht einzuräumen, das ihr entsprechend ihrer Bedeutung gebührt.
Herr Kollege Hornung hat vorhin darauf hingewiesen, daß wir jährlich 11 Millionen ha Wald auf der Welt verlieren. Das ist eine bedeutende Zahl. Das sollten wir auch in Europa — insbesondere in Mitteleuropa, wo die klimatischen Voraussetzungen gut sind — zum Anlaß nehmen, einer Aufforstung verstärkt das Wort zu reden.
Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212726800
Herr Kollege Simon Wittmann, Sie haben das Wort.

Simon Wittmann (CSU):
Rede ID: ID1212726900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es so einfach wäre!
Zu dem, was hier heute erzählt wurde: Die einen haben das Rezept, das Auto abzuschaffen, die anderen andere Rezepte. Wenn wir den Wald damit wirklich retten könnten, könnten wir sicher über einiges reden. Aber mit ideologisch verbrämtem Aktionismus können wir das leider nicht.

(Horst Sielaff [SPD]: Den Aktionismus haben Sie doch!)

Die Komplexität des Themas — wenn Sie sich ein bißchen damit beschäftigt haben, wissen Sie das — ist eben so groß, daß man die Probleme nicht mit einseitigen Forderungen lösen kann. Die Forschung hat die Komplexität der Problematik in ihrer ganzen Dimension letztlich noch nicht erklären können.
Sie haben selber in verschiedenen Beiträgen gesagt, daß die Schädigung langfristig erfolg ist, daß die Veränderungen im Boden sehr langfristig vor sich gehen, so daß wir natürlich auch nicht mit kurzfristigen Erfolgen rechnen können. Eins muß man als Faktum schon festhalten: Alle wirksamen Maßnahmen sind nach 1982 ergriffen worden.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es!)

Dort, wo der Wald heute am meisten geschädigt ist,
hat bis vor kurzem die PDS bzw. die SED regiert und
den Wald kaputtgemacht. Auch das muß man einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Politik der hohen Schornsteine!)

Sie sollten sich also, wenn Sie Aktuelle Stunden beantragen, erst einmal hinstellen und „mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa" sagen. Dann können wir weiterreden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Die wissen nicht, was das heißt!)

— Man kann das übersetzen, natürlich. Ich kann mir vorstellen, daß man das auf der äußersten linken Seite nicht weiß. Aber man kann das ja im Lexikon nachschauen.

(Horst Sielaff [SPD]: Das ist elitäre Angeberei; und das ist ein Volksvertreter! Elitärer geht es wahrlich nicht!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212727000
Herr Kollege Sielaff, Sie bekommen gleich offiziell das Wort.

Simon Wittmann (CSU):
Rede ID: ID1212727100
Was elitär ist, beweisen Sie jetzt mit Ihrem Zwischenruf. Ich habe hier ein bißchen weiter nach links geschaut und bewußt nicht zu Ihnen gesehen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Er hat sich auch getroffen gefühlt!)

Ihnen hätte ich natürlich zugestanden, daß Sie das wissen.
Meine Damen und Herren, wir dürfen — das möchte ich auf jeden Fall zum Ausdruck bringen — die Probleme der Schädigung des Waldes nicht verharmlosen. Wir haben gerade in Bayern einige sehr ernste Problemgebiete, und zwar das Fichtelgebirge, den Oberpfälzer Wald und den Bayerischen Wald. Man könnte natürlich auch Regionen in den neuen Ländern, aber auch in Frankreich oder in Baden-Württemberg nennen.
Natürlich — Herr Kollege, Sie haben es vorhin gesagt — reicht es nicht aus, bloß national den Vorreiter zu spielen. Vielmehr müssen gerade hier internationale und natürlich auch bilaterale Verhandlungen erfolgen — in meinem konkreten Fall mit der Tschechoslowakei und wahrscheinlich bald mit der Tschechischen Republik —, um zu Schadstoffbegrenzungen zu kommen. Wer Ostbayern kennt, der weiß, der berühmteste Wind ist dort der böhmische, der die ganze Zeit von Osten nach Westen zieht. Wenn man sich die Lage anschaut und sieht, daß gerade Osthänge ab einer bestimmten Höhe betroffen sind, dann ist sehr deutlich, was in diesem Bereich gemacht werden muß. Bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit muß in Europa verstärkt werden, um unserem Wald eine Chance zu geben.
Ähnlich ist es mit dem sehr sensiblen Alpenraum, der unser besonderes Sorgenkind ist. Hier gibt es Gott sei Dank ein Schutzwaldsanierungsprogramm der bayerischen Staatsforstverwaltung. Auch wir haben es bereits beraten und der Alpenschutzkonvention zugestimmt.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11003
Simon Wittmann (Tännesberg)

Wir müssen natürlich — da stimme ich Ihnen zu —im Verkehrsbereich einiges machen, weil Bayern als Durchgangsland in ganz besonderer Weise belastet ist. Gerade im Bereich des Alpentransits muß einiges geschehen, z. B. müssen Güter von der Straße auf die Schiene verlagert werden. Auch im Bereich des ÖPNV sind Verbesserungen möglich.
Aber ich warne davor, die Probleme über die Mineralölsteuer lösen zu wollen. Hier geht es nicht bloß um eine Entfernungspauschale für die Fahrt zum Dienstort oder Betrieb. Wer die Mineralölsteuer erhöht, trifft die Entwicklung des gesamten ländlichen Raumes. Hier müssen wir nach anderen Möglichkeiten suchen.
Die Probleme lassen sich auch nicht über den ÖPNV in den Griff bekommen. „Geisterbusse" helfen uns auf dem flachen Land nicht und sind auch ökologisch nicht unbedingt sinnvoll. Das heißt, ich bin für Reduzierung des Treibstoffes und natürlich für neue umweltfreundliche Treibstoffe; hier ist ja einiges in der Entwicklung. Diesen Weg müssen wir gehen und dürfen nicht in erster Linie auf die Erhöhung der Mineralölsteuer setzen. Ich kann das als Vertreter des ländlichen Raumes nicht mittragen.
Ein letzter Punkt zum Abschluß. Es ist einiges zum Absatz von Schadholz gesagt worden. Wenn wir eine vernünftige Pflege des Waldes wollen, dann müssen wir auch für den Absatz sorgen. Ich gehöre zu denen, die sagen: Es ist unerträglich, daß die nach meiner Meinung hervorragende Verpackungsverordnung Holz als Verpackungsstoff benachteiligt.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212727200
Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Simon Wittmann (CSU):
Rede ID: ID1212727300
Hier müssen wir notfalls nachbessern, weil dieser Rohstoff insgesamt sinnvoll ist.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212727400
Entschuldigung, aber wenn man bei den Fünf-Minuten-Reden noch bei Aufleuchten des roten Lichtes damit beginnt, einige Punkte vorzutragen, dann sprengt das den Rahmen.
Herr Kollege Horst Sielaff, Sie haben das Wort.

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1212727500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Waldsterben ist zu einer chronischen Krankheit mit tödlichem Ausgang für viele Waldbestände und mit weitreichenden negativen Auswirkungen auf unseren gesamten Lebensraum geworden.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für den Menschen ist es auch tödlich!)

Ich meinte, darin wären wir uns einig gewesen. Nun haben Äußerungen wie die soeben von Herrn Wittmann und vom Herrn Minister gemachten Zweifel daran aufkommen lassen. Beruhigende und beschwichtigende Phrasen, lieber Herr Hornung, reichen nicht mehr aus.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kiechle, ich gebe ja zu, daß Sie ein schweres Amt haben. Für den miserablen Zustand unserer Wälder sind Sie sicherlich nicht allein verantwortlich. Verkehrs-, Wirtschafts- und Haushaltsemissionen haben den Zustand so unerträglich gemacht, wie er heute ist. Aber Sie, Herr Minister, haben es versäumt, für eine Verbesserung zu sorgen. Ihnen fehlen Konzepte. Sie haben kein Zeichen gesetzt, das nach außen hin Ihren Willen zur Veränderung wirklich dokumentieren würde.
Sehr geehrter Herr Minister Kiechle, Sie sind Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das wird er wissen!)

— Ich bezweifle, daß er es weiß. Sie werden es gleich hören. — Wie man Ihrer Amtsbezeichnung entnehmen kann, fällt der Wald in Ihre politische Verantwortung. Dafür haben Sie in der Tat zuwenig getan.

(Beifall bei der SPD)

Wie wenig Sie sich mit den Inhalten und Problemen des Waldsterbens wirklich befassen, zeigt ein Blick in das Bundestagsregister von 1987 bis 1990, das alle Aktivitäten im Bereich Wald und Waldschäden auflistet. Kein einziges Mal, lieber Kollege, stößt man dabei auf den Namen Kiechle, wenn man einmal von der Vorstellung der im zweijährigen Rhythmus erscheinenden Waldschadensberichte absieht.

(Bundesminister Ignaz Kiechle: Ich bin eben bescheiden! — Heiterkeit)

Zum Waldsterben erklärten Sie, Herr Kiechle, hier am 10. November 1989:
Was heißt hier Waldsterben? Das Wort hat jemand erfunden. Er stirbt ja gar nicht.
so Herr Kiechle noch 1989.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist kein aktuelles Zitat!)

Bei der Regierungsbefragung zum letzten Waldschadensbericht am 12. November haben Sie, Herr Kiechle, nur verharmlosende und unbefriedigende Antworten gegeben. Sie reden von Warnstufen und davon, daß 41 % der Bäume schwache Schäden zeigen; ihr Zustand könne sich wieder verbessern. Sie führen aus, daß die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen den Ausstoß an Luftschadstoffen in den alten Ländern entscheidend reduziert hätten. Damit wollen Sie der Bevölkerung entweder Sand in die Augen streuen, oder Ihnen ist tatsächlich nicht gegenwärtig, was „entscheidend reduziert" eigentlich besagt; denn die Entscheidung für die Erhaltung des Waldes und zur Beendigung des fortschreitenden Waldsterbens ist damit leider nicht gefallen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber jetzt hören wir, was notwendig ist!)

Es ist bekannt und offenkundig, daß die Kommunikation zwischen dem Bundesumweltminister und Ihnen, Herr Kiechle, nicht besonders gut ist. Aber hier geht es um höhere Interessen. Sie sollten für den Schutz unserer Wälder endlich gemeinsam an einem Strang ziehen, um ein wirkliches Gegengewicht zum Straßenbauminister und zu den peinlichen Wankel-
11004 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Horst Sielaff
mütigkeiten des Bundeskanzlers und seiner Taktiererei bei der Reduktion der CO2-Emissionen zu bilden.

(Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wer muß jetzt noch alles herhalten?)

Herr Kiechle, die Einstellung „Nach mir die Sintflut" oder halbherzige Entscheidungen werden sich für unsere Kinder und Enkel bitter rächen. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß die Waldschäden, wie Sie wissen, gerade in Ihrer Heimat besonders hoch sind.
Leider haben die Regierungsbefragung und die heutige Aktuelle Stunde gezeigt,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie schon vorher gewußt!)

daß — ich bedaure das sehr — die Chancen für ein aktives Vorgehen gegen das Waldsterben von Herrn Kiechle und der Bundesregierung nicht genutzt wurden.
Herr von Geldern, Sie haben in der Tat wiederholt zu diesen Bereichen positiv gesprochen. Ich unterstütze, was Sie gesagt haben: Wir brauchen eine Ideenbörse. — Dieser Minister braucht in der Tat Ideen, eine Börse und Leute, die ihn beraten, damit wir endlich eine Änderung dieses schlimmen Zustandes erreichen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Aber Sie haben selbst keine Ideen beigesteuert! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Mit Theologie allein geht es auch nicht!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212727600
Herr Abgeordneter CarlDetlev Freiherr von Hammerstein, Sie haben das Wort.

Freiherr Carl-Detlev von Hammerstein (CDU):
Rede ID: ID1212727700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich schließe mich den Worten meiner Vorredner an

(Beifall bei der SPD)

— vorsichtig —, daß der Schadstoffausstoß aus unseren Fahrzeugen und aus den Schornsteinen reduziert werden muß. Aber, lieber Horst Sielaff, nur von dramatischen Worten wird unser Wald nicht gesund.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn wir von den katastrophalen Schäden im deutschen Wald wegkommen wollen — deswegen werde ich andere Thematiken ansprechen —, ist es meines Erachtens sehr wichtig, eine Forstpolitik zu betreiben, die zum Eigentum hinführt, und nicht etwa eine Forstpolitik, die vom Eigentum wegführt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es wäre deshalb auch ein nicht wiedergutzumachender Fehler, wenn Schutzmaßnahmen ohne die Waldeigentümer oder gegen die Waldeigentümer betrieben würden.
Der mittlerweile heftig entbrannte Streit zwischen Naturschutzbehörden und Forstbehörden wird meines Erachtens auf dem Rücken der Waldbauern ausgetragen.

(Zuruf von der SPD: Das ist ein völlig anderes Thema!)

— Nein, hören Sie zu! — Unter dem Vorwand der Sozialbindung des Eigentums werden die administrativen Daumenschrauben ständig angezogen und wird über die Forstwirtschaft „eine Glocke angeblichen Naturschutzes" gestülpt.

(Horst Sielaff [SPD]: Wer zieht denn die Schrauben an?)

— Ich habe ja gerade gesagt, lieber Horst, die Naturschutzverbände und auch andere.
Dies ist dem Anliegen des Waldschutzes selbst abträglich und tötet den forstwirtschaftlichen Nerv. Forstwirtschaft als solche und die Walderhaltung durch Pflege sind bei vielen Naturschützern heute nicht mehr zeitgemäß. Dies bedaure ich sehr. Man glaubt, Holzernte sei naturschädlich, und vergißt, daß ein sich selbst überlassener Wirtschaftswald noch kein Urwald ist. Wenn sich ein derartig verstandener Waldschutz mit wirtschaftsfeindlicher Ideologie verbindet, wird der Wald zum Objekt gesellschaftspolitischer Systemdiffamierung.
Die Forstwirtschaft selbst, und zwar die Forstwirtschaft aller Besitzarten, muß daher der Diskriminierung ihres Wirtschaftens entschieden entgegentreten. Es ist an der Zeit, daß die Forstwirtschaft geschlossen Position bezieht und aus ihrer Defensive heraustritt.
Die Wirtschaftswälder bringen ökonomische und ökologische Erfordernisse in Einklang. Die Holzproduktion und die Pflege der Baumbestände — Gott sei Dank sind einige darauf eingegangen — sichern die Walderhaltung.
Holz ist der wichtigste nachwachsende Rohstoff und eine erneuerbare Energiequelle. — Auch darüber haben wir heute morgen im Ausschuß einiges gehört. — Holz ist vielseitig verwendbar, Holz ersetzt fossile Rohstoffe in energiesparender, ökologischer Produktion. Holz trägt zum Ausgleich der CO2-Bilanz bei: durch Bindung von Kohlenstoff im wachsenden Wald und durch dauerhaften Gebrauch.
Als langjähriger Vorsitzender eines Forstverbandes hatte ich und habe ich manchmal den Eindruck, daß eine Forst- und Waldschutzpolitik betrieben wird, die dieser Grundwahrheit zuwiderläuft. Ich darf mich deswegen ganz herzlich bei der Bundesregierung für ihre positive Einstellung bedanken, die darin zum Ausdruck kommt, daß sie gerade in den letzten Jahren umfängliche Mittel zur Verfügung gestellt hat, um Aufforstungen und auch Umwandlungen von landwirtschaftlichen Produktionsflächen in Wald mitzufinanzieren. Auch die Förderung, lieber Minister Kiechle, mit jeweils 500 DM pro Hektar jährlich, die seit 20 Jahren aus Bonn und Brüssel kommt, macht den Wald langsam wieder interessanter. Ich glaube, daß das sehr wichtig ist.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es ist ein richtiger Ansatz, ja!)

Als Land- und Forstwirt kann ich nur immer wieder sagen, daß wir unsere landwirtschaftlichen Nutzflä-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11005
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
chen nach Entzug gedüngt und gekalkt haben. Die Aufkalkung unserer Wälder ist eine der Grundvoraussetzungen, um den Wald auch wieder ein bißchen positiver sehen zu können und ihn in einen besseren Gesundheitszustand zu bringen. Deswegen fordere ich die Bundesregierung auf, sich dringend für die Zurverfügungstellung weiterer Mittel einzusetzen, damit wir unsere Wälder aufkalken können. Ich glaube, auch dadurch helfen wir unserem deutschen Wald, damit er in der Gesellschaft wieder etwas positiver gesehen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU — Horst Sielaff [SPD]: Das allein reicht nicht!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212727800
Frau Kollegin Dr. Liesel Hartenstein, Sie haben das Wort.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1212727900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte zeigt, daß ein lange totgeschwiegenes Thema wieder Konjunktur hat. Allerdings gibt es dazu einen traurigen Anlaß. Wenn heute jede vierte Fichte, jede dritte Eiche und in Ostdeutschland, lieber Kollege Feige, sogar jede zweite Buche stark geschädigt ist, dann ist die oberste Alarmstufe angesagt. Bei einem solch erschreckenden Befund gibt es nur zwei Alternativen: entweder zu lamentieren und im übrigen die Hände in den Schoß zu legen oder augenblicklich ein Aktionsprogramm zu entwickeln und dieses auch durchzuführen,

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So wie die Bundesregierung es schon immer tut!)

um dem weiteren rapiden Niedergang unserer Wälder Einhalt zu gebieten. Wir sind für die zweite Alternative, lieber Herr Kollege Hornung.
Die Bundesregierung hat sich aber offenbar eine dritte Alternative ausgedacht, nämlich die Alternative der Nichtkenntnisnahme. Wir haben miterlebt, daß das Kabinett Kohl ziemlich ungerührt einen sogenannten Waldzustandsbericht — schon der beschönigende Titel wird durch die Wirklichkeit Lügen gestraft —

(Beifall bei der SPD)

verabschiedet hat, ohne gleichzeitig einen Maßnahmenkatalog, geschweige denn ein Sofortprogramm auf die Beine zu stellen. Das ist ein Armutszeugnis. Das muß ich doch einmal deutlich sagen!
Meine Damen und Herren, der Wald ist heute in erster Linie ein Opfer der Verkehrsüberflutung. Darüber besteht offensichtlich auch hier im Hause eine einhellige Meinung. Der Hauptschädling des Waldes ist heute nicht mehr der Borkenkäfer, sondern das Auto. Lassen Sie mich das einmal klar und deutlich aussprechen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dieses Jahr war der Borkenkäfer schlimm! — Horst Sielaff [SPD]: Der VW-Käfer!)

70 % der Stickoxide, des Ausgangsstoffs für das Waldgift Ozon, kommen aus den Auspufftöpfen unserer Kraftfahrzeuge. Die Prognosen, die vorliegen, sind abenteuerlich. Wir haben eine Zunahme von 40 bis 50 % zu erwarten, wenn nichts geschieht, um hier
gegenzusteuern. Bis jetzt sieht es nicht danach aus, als ob etwas geschehen würde.
Ich frage Sie erstens: Wo bleibt denn der Protest des Forstministers gegen die Pläne des Herrn Krause, 12 000 km neue Straßen bauen zu wollen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Schienen will er bauen!)

Zweite Frage: Wo bleibt der Aufstand des Umweltministers? Öffentlich hat Herr Töpfer tapfer ein Tempolimit gefordert; das muß man ihm attestieren. Öffentlich!

(Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat es aber genauso öffentlich zurückgenommen!)

Ich weiß nicht, ob dies auch im Kabinett geschehen ist.
Dazu gleich die nächste Frage: Wo bleibt sein Maßnahmenkatalog zur Rettung des Ökosystems Wald?
Dritte Frage: Wo bleibt die Erfüllung des Versprechens des Herrn Bundeskanzlers zum Klimaschutz — auch das hat mit dem Wald zu tun —,

(Horst Sielaff [SPD]: Richtig!)

den CO2-Ausstoß um 25 % zu reduzieren? Wir können heute nicht darüber reden; wir werden aber darüber reden müssen.

(Zuruf des Abg. Siegfried Hornung [CDU/ CSU])

Es ist ein offenes Geheimnis, Herr Hornung — das hat sich auch schon bis zu Ihnen herumgesprochen —, daß unsere Wälder die zu erwartende Klimaerwärmung um 0,3 °Celsius pro Jahrzehnt nicht aushalten, gerade deswegen, weil sie vorgeschädigt sind.
Meine Damen und Herren, lange Zeit ist es der Bundesregierung gelungen, durch die Bekenntnisse zur Tropenwalderhaltung vom Verfall der heimischen Wälder in der öffentlichen Diskussion abzulenken.

(Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das haben wir nie gemacht! Wir haben immer den Bericht vorgelegt!)

Dies darf künftig nicht mehr geschehen. Ich frage Sie: Wo nehmen wir eigentlich das Recht her, die Tropenwaldländer und die Entwicklungsländer überhaupt zur Erhaltung ihrer natürlichen Ressourcen, auch der Wälder, aufzufordern, wenn wir nicht bereit sind, selbst die ersten Schritte zu tun und mit gutem Beispiel voranzugehen?
Glauben Sie mir, man registriert an der Elfenbeinküste und in Malaysia sehr wohl die Berichte über das Waldsterben in Mitteleuropa und insbesondere in Deutschland, und man kennt dort auch die Ursachen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Außer in Deutschland wird über dieses Thema überhaupt nicht berichtet!)

Die Bekämpfung der Luftschadstoffe muß deshalb
dringend auf die Tagesordnung. Sie ist nicht nur eine
11006 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Dr. Liesel Hartenstein
Überlebensfrage für unsere Wälder, sondern auch eine Frage unserer politischen Glaubwürdigkeit, und zwar weltweit.

(Horst Sielaff [SPD]: Richtig!)

Wir haben die Chance zum Aufbau eines umweltverträglichen Verkehrssystems. Es gibt nur eine Antwort auf die Frage, warum dies nicht geschieht: Weil der politische Wille dazu fehlt. So ist es doch!

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Wie sagte doch der neugewählte Präsident der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald vor kurzem? Nur eine neue Verkehrspolitik kann den Wald noch retten. Danke schön, Herr von Geldern — wo ist er denn? —,

(Zuruf von der CDU/CSU: Hier!)

daß Sie das heute an dieser Stelle in diesem Hause wiederholt haben. Da muß es nämlich langgehen.
Es kann keine Rede davon sein, daß jemand das Auto abschaffen will.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sagen Sie das ganz deutlich!)

Ich möchte mir diese Unterstellung ein für allemal verbitten.

(Horst Sielaff [SPD]: Richtig!)

Aber die Experten haben uns in den Anhörungen der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" oft genug gesagt, daß wir eingreifende strukturelle Veränderungen brauchen, wenn wir der Verkehrsüberflutung überhaupt Herr werden wollen. Darum dürfen wir uns nicht herumdrücken.
Zu wenig ist noch von den Langzeitfolgen die Rede. Ich kann nur noch eine erwähnen —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212728000
Frau Kollegin, Sie sind weit über die Zeit.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1212728100
— ich weiß —, nämlich die Hochwassergefahr. Die Hochwassergefahr ist in aller Regel selbstgemacht. Sobald die Hänge im Erzgebirge und auch im Nordschwarzwald kahl werden, schießt die sechsfache Wassermenge zu Tal, und dann haben wir alle Hände voll zu tun, um die Folgen zu bekämpfen.
Es bleibt dabei: Unterlassener Umweltschutz ist allemal teurer als Umweltvorsorge. Mit der Zerstörung steigen auch die Kosten, und die bürden wir den kommenden Generationen auf. Das ist nicht in Ordnung, und deshalb müssen wir heute handeln.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212728200
Wenn der letzte Redner oder die letzte Rednerin einer Fraktion dran ist, kann er bzw. sie natürlich ziemlich bedenkenlos die Redezeit um 30 % überziehen, weil das der Fraktion nicht
mehr abgezogen werden kann. Aber fair ist das nicht.
Ich rufe als nächsten Redner den Kollegen Professor Dr. Norbert Rieder auf.

Prof. Dr. Norbert Rieder (CDU):
Rede ID: ID1212728300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wir stehen, glaube ich, am Ende einer äußerst wichtigen Debatte, von der ich mir — wie auch manche Vorredner — wünschen würde, daß wir sie zumindest inhaltlich häufiger führen, nicht nur alle Jahre wieder. Die Ähnlichkeit mit dem Christkind in der vorweihnachtlichen Zeit ist mir in diesem Punkt etwas zu groß.
Aber ich glaube, daß wir gemeinsam debattieren müssen und daß wir über dieses Thema viel komplexer debattieren müssen, als es heute von vielen gemacht worden ist. Wenn wir uns nämlich die Ursachen für das Waldsterben anschauen — dieser Waldschadensbericht zeigt die Ursachen ja in aller Deutlichkeit —, dann müssen wir feststellen, daß wir ein ganz komplexes Ursachenbündel haben. Dieses Ursachenbündel an sich ist heute relativ klar und deutlich.
Es hat sich gezeigt, daß es nicht ausreicht, wie wir es in der Vergangenheit gemacht haben, uns nur Einzelfaktoren vorzunehmen und zu glauben, daß wir, wenn wir auf diesen Einzelfaktoren genügend herumschlagen, das Problem dann in den Griff bekommen.
Der erste dieser Fehler war, daß viele von uns vor etwa zehn Jahren wohl geglaubt haben, das S02 sei es allein. Das SO2 haben wir weitgehend im Griff, wir haben es weitgehend weg, und trotzdem hat sich nichts geändert.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es war aber nicht falsch!)

— Es war nicht falsch, aber nicht ausreichend.
Heute in dieser Debatte haben sehr viele den Verkehr angesprochen, ebenfalls ein sehr wichtiger Faktor, aber nicht der einzige. Es wird nicht reichen, nur in diesem Bereich etwas zu machen, sondern wir müssen an das gesamte Ursachenbündel herangehen. Da gibt es nun weitere Faktoren.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Irgendwo muß man anfangen!)

— Man muß nicht nur an einer Stelle anfangen, sondern man muß vieles gleichzeitig machen.

(Monika Ganseforth [SPD]: Dann mal los!)

Wenn wir nun an das NOX, an die Stickoxide, herangehen, dann sind die Verkehrsemissionen zugegebenermaßen ein wichtiger Faktor. Jetzt zitiere ich aber aus dem Waldschadensbericht, der ja aus dem Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten kommt. Deswegen glaube ich, daß diese Zahlen stimmen.

(Lachen bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da steht nämlich sehr schön, daß der Gesamteintrag von Stickstoff bei uns derzeit bei etwa 50 kg pro Hektar pro Jahr liegt. Von diesen 50 kg sind — so steht es in dem Waldschadensbericht — 30 bis 35 kg aus der
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11007
Dr. Norbert Rieder
Landwirtschaft. Das heißt, wir müssen uns auch in diesem Bereich ganz ernsthaft überlegen, ob — —

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber nicht im Wald!)

— Jawohl, so steht es drin, Siegfried. Deswegen habe ich das zitiert.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das kommt aus der Luft, nicht aus der Landwirtschaft!)

Dies bedeutet, daß wir auch in diesem Bereich kräftig eindämmen müssen. Siegfried, ich weiß, daß zumindest die südwestdeutschen Landwirte seit langem auch aus anderen Gründen eine Stickstoffbegrenzung fordern. Das heißt, das, was in anderen Bereichen günstig wäre, würde uns auch hier nützen — übrigens auch im Grundwasserschutz.
Ein weiterer Faktor, der noch nicht angesprochen worden ist, aber eine ganz wichtige Rolle spielt, sind die Kohlenwasserstoffe. Auch die Kohlenwasserstoffe, die aus den verschiedensten Quellen kommen, sind ausgesprochen interessant und wichtig. Wir müssen da direkt zugreifen. Es sind nun viele Dinge im Gespräch: einmal das Gaspendelverfahren, das wieder im Verkehrsbereich greift, und dann — auch darüber werden wir sehr ernsthaft diskutieren müssen—Methan, das bei der Smogbildung letzten Endes kräftig beteiligt ist. Das müssen wir an der Wurzel angehen. Ein großer Methanemittent sind nun einmal Mülldeponien. Wir müssen ganz ideologiefrei einmal ernsthaft nachdenken, ob das, was manche gegen die Müllverbrennung sagen, unter diesem Gesichtspunkt nicht falsch ist.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was kommt denn bei der Müllverbrennung heraus?)

— Wir müssen uns das ganz vorurteilsfrei anschauen, Herr Feige, und das Ganze nicht ideologisch angehen.
Gehen wir weiter. Wir wissen — auch das ist heute angesprochen worden —, daß ein ganz wichtiger Faktor die Klimaveränderung ist. Das heißt, wir müssen an alle klimarelevanten Gase herangehen, auch im Interesse unseres Waldes. FCKW ist ein ganz wichtiger Faktor. Wir müssen aus diesen Gründen darauf achten, daß die bisherigen FCKWs durch R 134a, den derzeit einzig brauchbaren Ersatzstoff, ersetzt werden, und zwar so schnell wie möglich.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da ist niemand so weit wie die deutsche Regierung!)

Darüber hinaus eine letzte Bemerkung: Das CO2 spielt eine ganz wichtige Rolle, und in diesem Zusammenhang müssen wir ideologiefrei auch über die Kernkraft diskutieren, alle gemeinsam. Ich glaube, das ist das Entscheidende. Wir müssen in Zukunft dieses Thema gemeinsam offensiv angehen, in aller Komplexität, und jeder ist aufgerufen, dazu beizutragen. Wenn wir es gemeinsam anpacken, haben wir eine Chance. Wenn wir es einzeln machen, haben wir keine.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212728400
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Ganseforth, Robert Antretter, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verminderung der durch den Flugverkehr verursachten ozonzerstörenden und treibhausrelevanten Emissionen
— Drucksache 12/2633 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Verkehr
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (17. Ausschuß)

zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Michael Müller (Düsseldorf), Dr. Liesel Hartenstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Schutz der Ozonschicht und der Atmosphäre
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. KlausDieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sofortverbot von ozonschädigenden Substanzen
— Drucksachen 12/2121, 12/2072, 12/3651 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Gerhard Friedrich
Monika Ganseforth
Dr. Jürgen Starnick
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für eine gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Monika Ganseforth das Wort.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1212728500
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Tag für Tag reichern wir die Atmosphäre mit langlebigen ozonzerstörenden und treibhauswirksamen Spurengasen an. Wir haben eben über eine Auswirkung, das Waldsterben, gesprochen.
Nicht immer sind die Auswirkungen und Zusammenhänge, die in der Atmosphäre ablaufen, genau bekannt. Was wir aber wissen, ist, daß wir in die chemischen und dynamischen Abläufe massiv eingreifen, mit steigender Tendenz. Wir haben das komplizierte System aus dem Gleichgewicht gebracht.
In den Anträgen, über die wir hier debattieren, geht es um zwei besonders problematische Emissionsquellen. Zum einen sollen ozonstörende Substanzen verboten werden, und zum anderen sollen die Emissio-
11008 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Monika Ganseforth
nen des Flugverkehrs verringert werden. Insbesondere der Flugverkehr macht uns große Sorgen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Am besten abschaffen!)

Die Bundesrepublik ist das Land mit dem dichtesten Flugverkehr auf der Erde. Dazu weist das Luftverkehrsaufkommen stürmische Wachstumsraten auf. Auch in den neuen Ländern hat der private und geschäftliche Flugverkehr gewaltige Zuwächse. Die Wachstumsrate der Zahl der Passagiere und der geflogenen Strecken lag in den letzten 15 Jahren jährlich bei über 6 %. Experten rechnen gegenüber dem jetzigen Stand mit einer Verdoppelung des Flugverkehrs bis zur Jahrhundertwende und einer Verdreifachung bis zum Jahr 2010. Dies kann nicht hingenommen werden,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

zumal die Emissionen in besonders sensiblen Höhen und Bereichen erfolgen. Hier gilt wie auch in anderen Bereichen des Verkehrssektors die Prioritätenliste: erstens Verkehrsvermeidung, zweitens Verlagerung des Verkehrs auf weniger umweltschädliche Systeme und drittens Abwicklung des verbleibenden Flugverkehrs so klimaverträglich wie möglich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unstreitig!)

— Genau, dies ist unstreitig. Aber vom Wissen und Reden zum Handeln ist ein weiter Weg. Ganz besonders weit ist er bei dieser Bundesregierung. Denn es widerspricht doch jeder Vernunft, alle Verkehrsoptionen auszubauen, Engpässe zu beseitigen und gleichzeitig eine Verringerung des Flugverkehrs zu erwarten.
Ganz besonders beim Luftverkehr sind nachhaltige Kapazitätsreduktionen nötig, z. B. statt Flugplatzbau und -ausbau, statt Regionalflughäfen Reduktionen der Kapazität, wenn man die notwendige Wirkung wirklich erzielen will.
Im letzten Monat haben wir in der EnqueteKommission „Schutz der Erdatmosphäre" zur Verkehrsvermeidung eine Anhörung gehabt. Ich will nur eine Expertenstellungnahme zitieren. Da heißt es — und das haben wir schon öfter gehört —:
So wurde schon früher die Anregung gegeben, die Anzahl der Flughäfen auf das notwendige Maß, etwa fünf bis sieben, zu beschränken sowie die Flüge unter 500 Kilometern Großkreisentfernung zu streichen, ohne
— das ist ganz wichtig —
die freiwerdenden Slots neu zu vergeben.
So weit geht unser Antrag gar nicht. Aber er ist ein Signal, ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Solche Maßnahmen zur Verringerung des Flugverkehrs sind übrigens nicht nur ein wichtiger Schritt zur Entlastung der Atmosphäre. Sie würden auch von vielen Bürgerinnen und Bürgern sehr begrüßt, die unter dem Lärm durch den militärischen und zivilen Luftverkehr leiden. Die Lärmbelastung, oft Tag und Nacht, und die gesundheitlichen Auswirkungen im Nahbereich von Flughäfen überschreiten für viele
Menschen das Erträgliche und Zumutbare. Dann kommen solche Begriffe wie „Flüsterjets", die ja nur verschleiern und eigentlich Hohn sind auf die Leiden der betroffenen Menschen.
Wir würden mit Maßnahmen zur Einschränkung des Flugverkehrs eine große gesellschaftliche Zustimmung finden, mit Ausnahme der Minderheit der bisher besonders begünstigten Nutzer. Sie scheint hier im Hause allerdings die Mehrheit zu haben.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212728600
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter.

Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1212728700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:
In der Geschichte der Fliegerei hat es noch nie einen Flug gegeben, der der Umwelt genutzt hat. Jeder Flug belastet die Umwelt.
Dies ist eine Aussage des technischen Vorstandes der Deutschen Lufthansa, Klaus Nittinger, die er vor wenigen Monaten bei der Eröffnung einer neuen Halle dieser Fluggesellschaft gemacht hat. Das zeigt, daß selbst bei den Luftfahrt-Carriern in der Bundesrepublik ein Höchstmaß an Sensibilität für die Erfordernisse von Umweltschutzmaßnahmen auch in der Abwicklung des Flugverkehrs vorhanden ist.
Die Nachfrage nach Mobilität steht stets in einem Spannungsverhältnis zu den Erfordernissen des Umweltschutzes. Die Belastungen, die aus den Emissionen des Luftverkehrs entstehen, haben weniger eine quantitative als vielmehr eine qualitative Dimension. Emissionen des Luftverkehrs erfolgen in einer Atmosphärenhöhe, die Wissenschaftler als besonders gefährlich beschreiben.
Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages — ihr Vorsitzender Klaus Lippold sitzt hier ja im Plenum — wird ihren vorbereiteten Bericht zu den Klimawirkungen des Verkehrs auch den Emissionen klimarelevanter Spurengase durch den Flugverkehr in der Bundesrepublik Deutschland widmen.
Festzustellen bleibt, daß es nach dem bisherigen Diskussionsstand über das Wirkungspotential der Emissionen des Luftverkehrs stark voneinander abweichende Aussagen gibt. Für mich als Umweltpolitiker ist das allerdings kein hinreichender Grund, nicht mit unserer konsequenten Politik für Ökologie und Mobilität, auch für den Luftverkehr, fortzufahren.
In der politischen Auseinandersetzung befinden sich dabei zwei einander ergänzende Strategien, zum einen die Vermeidung von Flugbewegungen durch Senkung der Verkehrsnachfrage oder Umlenkung des Flugverkehrspotentials auf umweltverträglichere Verkehrsmittel und zum anderen die technische Verbesserung des Verkehrsmittels Flugzeug, insbesondere hinsichtlich seines Kraftstoffverbrauchs und damit auch der dadurch induzierten Emissionen. Das Vermeidungspotential beim Flugverkehr liegt insbe-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11009
Steffen Kampeter
sondere bei den Flügen auf kürzerer Distanz. Dort sind auch der Energieeinsatz für Flugbewegungen und damit auch die Emissionen überdurchschnittlich hoch.
Die Deutsche Lufthansa hat bereits selbst einen Teil ihrer nationalen Kurzstreckenflüge durch ein Bahnangebot substituiert und somit einen Beitrag zur Verringerung von Flugemissionen geleistet. Durch dieses Angebot sind pro Jahr allein 3 000 Flüge innerhalb der Bundesrepublik gegenüber dem Zustand eingespart worden, der eingetreten wäre, wenn alle, die von diesem Bahnangebot Gebrauch gemacht haben, ein Flugzeug benutzt hätten.
Es ist das politische Ziel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, den Flugverkehr auf kurzen Strecken auf das ökonomisch Notwendige und gleichzeitig ökologisch Erforderliche zu reduzieren.

(Monika Ganseforth [SPD]: Dann müssen Sie dafür auch etwas tun!)

In diesem Zusammenhang bekommt auch die Reformdiskussion über die Deutsche Bundesbahn eine ganz andere Bedeutung. Die Qualität des Schienenverkehrangebots wird ganz wesentlich beeinflussen, ob wir tatsächlich zur Luftverkehrssubstitution und damit zu einer Emissionsverringerung kommen. Nur ein qualitativ hochwertiges Angebot der Schiene kann das Umsteigen ermöglichen. Für Dirigismus, für Planungsvorschriften ist hier allerdings kein geeigneter Ort. Ich möchte daher die Opposition auffordern, alle Maßnahmen, die die Sanierung der Deutschen Bundesbahn vorantreiben, auch unter diesem Qualitätsaspekt zu unterstützen und zur qualitativen Sanierung der Deutschen Bundesbahn und damit auch zur Luftverkehrssubstitution beizutragen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Monika Ganseforth [SPD]: Sie rennen offene Türen ein!)

Ganz interessant fand ich, was an dieser Stelle die Kollegin Ganseforth sagte. Sie hat gesagt: Es gibt Vorschläge, Flughäfen zu schließen, Flüge unter 500 Kilometern gänzlich zu verbieten und die Slots zu verhindern. Sie hat ferner gesagt, daß ihr Antrag zwar nicht ganz so radikal sei, aber in diese Richtung gehe und ein Signal setze. Ich kann, ehrlich gesagt, eine solche Teilsicht nicht ganz nachvollziehen, bei der lediglich ein Verkehrsträger betrachtet wird. Es muß doch berücksichtigt werden, daß die zusätzliche Verkehrsnachfrage beispielsweise auf der Straße, die dann entsteht, wenn die Bundesbahninfrastruktur nicht entsprechend ausgebaut ist, zusätzliche Belastungen auch durch klimarelevante Emissionen hervorruft.

(Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Dann muß man auch gleich die Industrie abschaffen!)

Diese Sicht greift einfach zu kurz.
Das zweite Element unserer ökologischen Luftverkehrsstrategie zielt auf die technische Verbesserung des Fluggeräts. Hier muß sich die Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen Nationen überhaupt nicht verstecken. Die konsequente Flottenerneuerungspolitik der deutschen Carrier führt dazu, daß das
jeweils modernste Fluggerät zu einem niedrigeren Emissionsniveau beiträgt.

(Monika Ganseforth [SPD]: Ja, „Flüsterjets"!)

— Es geht hier nicht nur um Lärmemissionen, sondern auch um die Frage des spezifischen Kraftstoffverbrauchs. Eines sollten Sie vielleicht einmal zur Kenntnis nehmen: In der deutschen Luftverkehrsflotte ist der spezifische Treibstoffverbrauch von 1970 bis heute um 50 % gesunken. Dies ist ein Erfolg, der eigentlich einmal Anerkennung verdient. Aber ich füge auch hinzu: Dies verdient nicht nur unsere Anerkennung, sondern dies sollten wir auch mit der Aufforderung verknüpfen, daß die Reduktion um die nächsten 50 % nicht 22 Jahre dauert, wie das bei der letzten 50%igen Reduktion der Fall war. Experten schätzen, daß hier ein enormes Einsparpotential vorhanden ist, beispielsweise durch die Fortentwicklung der Triebwerkstechnologie oder die Verbesserung der Aerodynamik der Flugzeuge.
Lassen Sie mich hinzufügen, daß ich als Umweltpolitiker es für einen außerordentlich interessanten Gedanken halte, bei den Start- und Landerechten auf den deutschen Flughäfen hinsichtlich der Umweltfreundlichkeit des verwendeten Fluggeräts zu differenzieren. Das entspricht ja auch unserem Vorschlag, durch die differenzierte Kfz-Steuer mit ökologischer Spreizwirkung einen entsprechenden — —

(Monika Ganseforth [SPD]: Flugbenzin!)

— Sie wissen doch, daß es einen EG-Vorschlag gibt, der europaweit zu einer Mehrwertsteuerbelastung der entsprechenden Treibstoffe führt. Durch das Hineinrufen von Schlagwörtern sind Sie nicht in der Lage, die Diskussion hinreichend wiederzugeben. Es gibt einen entsprechenden Vorschlag, der auch die tarifäre Belastung des Flugbenzins zukünftig europaweit regeln wird. Das Verkehrsministerium ist bereits auf diesem Weg.
Aber ich war bei den Landerechten, die nach der ökologischen Qualität des Fluggeräts differenziert werden können. Das wollen wir auch mit unserer Kfz-Steuer, wo wir sagen: Das saubere Auto soll günstiger sein als das lautere oder mehr Kraftstoff verbrauchende Auto. Dies kann, denke ich, von der Systematik her als Zukunftsvision — dies sage ich einmal in Richtung Verkehrspolitik — auch für die Luftverkehrsgeräte gelten. Das wäre beispielsweise auch dadurch erreichbar, daß man die Vergabe von Slots an die Erfüllung bestimmter ökologischer Mindestqualitäten des Flugverkehrs bindet. Zuständig sind hier teilweise die Länder. Es wäre auch an der Sozialdemokratischen Partei, dort für entsprechende Maßnahmen zu sorgen.
Der Bund ist tätig, indem er mit umfassenden Forschungsprogrammen— die SPD hat das ja auch in Antworten der Bundesregierung auf Anfragen mitgeteilt bekommen — die Flugzeug- und Triebwerksfortentwicklung unterstützt. Hier sind wesentliche technologische Verbesserungen beim Treibstoffverbrauch und bei den Emissionen zu erwarten. Dies ist auch Gegenstand mehrerer Anfragen der Sozialdemokraten. Frau Ganseforth, Sie waren hier ja feder-
11010 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Steffen Kampeter
führend tätig. Sie sollten eigentlich wissen, welche Erfolge die Bundesregierung hier vorzuweisen hat.
Der Antrag der SPD-Fraktion ist eine mehr enumerative Aufzählung möglicher Maßnahmen im Bereich des Luftverkehrs. Ich möchte nicht von vornherein alle Vorschläge vom Tisch wischen. Nur, auf Grund des Zusammenhangs zwischen der Wahl einzelner Verkehrsträger und der Interdependenz der verschiedenen Verkehrsträger greift eine auf einen einzelnen Verkehrsträger eingeengte Sichtweise zu kurz. Was erforderlich ist, ist die Einbindung auch des Luftverkehrs in ein integriertes Gesamtverkehrskonzept, in dem der Rolle der umweltgerechten und dauerhaft verantwortbaren Mobilität eine außerordentlich hohe Bedeutung eingeräumt werden muß.
Es ist erst wenige Monate her, daß wir hier an dieser Stelle als Umwelt- und Verkehrspolitiker über ein integriertes Gesamtverkehrskonzept diskutiert haben, in das selbstverständlich alle Verkehrsträger, und zwar auch in bezug auf die Möglichkeiten der Substitution untereinander, einbezogen werden müssen. Dieses Konzept ist aus der Sicht der Umweltpolitiker der CDU/CSU-Fraktion erfolgversprechend, aber auch entwicklungsfähig. Wir werden hier noch einige weiterführende Vorschläge machen.
In den Ausschußberatungen werden wir dabei selbstverständlich auch den Antrag der SPD kritisch daraufhin prüfen, ob einzelne Maßnahmen geeignet sind, in diesem integrierten Gesamtverkehrskonzept aufgegriffen zu werden. Dabei sind vor allem verkehrspolitische und ökologische Ordnungsentscheidungen insbesondere zur Anlastung der externen Kosten der einzelnen Verkehrsträger notwendig. Dies scheint mir eigentlich die zentrale Frage zu sein, über die wir diskutieren sollten. Ohne die Anrechnung der externen Effekte, der sozialen Kosten des Verkehrs, droht alles Weitere — das betrifft auch die hier vorgeschlagenen Maßnahmen — zum Stückwerk zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der Abg. Monika Ganseforth [SPD])

Am Ende muß dann eine ökologisch wie ökonomisch rationale Wahl der Verkehrsmittel stehen, deren Umweltbelastung verantwortbar ist und die den Mobilitätserfordernissen einer modernen arbeitsteiligen Industriegesellschaft Rechnung tragen. In diesem Sinne werden wir diesen Antrag der SPD prüfen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212728800
Frau Kollegin Marita Sehn, Sie haben das Wort.

Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1212728900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schutz der Ozonschicht ist eine der vordringlichsten umweltpolitischen Aufgaben unserer Zeit.

(Zustimmung des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich denke, darin herrscht über alle Parteigrenzen
hinweg Einigkeit. Wir alle stehen in der Verantwortung für die Folgen, die unser Tun und Handeln und
die damit verbundenen Bequemlichkeiten des Lebens in einer hochentwickelten Industriegesellschaft für die nachkommenden Generationen haben werden. Die Zerstörung der Ozonschicht geht eindeutig zu Lasten der Industrieländer.
In jüngster Zeit wird zunehmend diskutiert, ob der stark angestiegene Umfang des Luftverkehrs mit seinen Emissionen von CO2, Stickoxiden, Rußpartikeln und Wasserdampf in hohen Luftschichten auch zum Abbau der Ozonschicht beitragen könnte. Angesichts der zu erwartenden Verdoppelung des Luftverkehrs bis zum Jahre 2000 verlangt das Vorsorgeprinzip, diesen Verkehrsträger frühzeitig in Maßnahmen zur Minderung klima- und ozonschichtschädigender Emissionen einzubinden.
Der heutige wissenschaftliche Kenntnisstand über den Beitrag des Flugverkehrs zum Treibhauseffekt und zum Abbau der Ozonschicht läßt eine quantitative Beurteilung der Auswirkungen noch nicht zu. Fest steht, daß der Luftverkehr nur einen Anteil von etwa 1,5 % an dem vom Menschen produzierten CO2 hat. Allein aus wirtschaftlichen Überlegungen wurden und werden Flugtriebwerke für eine optimale Verbrennung ausgelegt.
Eine differenziertere Betrachtung ist bei den Stickoxidemissionen notwendig. Bezogen auf den gesamten Verkehrssektor in der Bundesrepublik Deutschland, betragen sie lediglich 1,3 %. Flugzeuge sind jedoch die einzige anthropogene Stickoxidquelle in diesem sensiblen Atmosphärenbereich, wobei 30 % der Stickoxidemissionen oberhalb von 10 Kilometer Höhe emittiert werden. In dieser Höhe beträgt die mittlere Lebensdauer für Stickoxide ca. ein Jahr gegenüber einem Tag in der Troposphäre. Bedingt durch diese lange Verweilzeit und die geringe Hintergrundkonzentration, sind die Klimabeeinflussungen signifikant. Während Stickoxide oberhalb der Tropopause eine Ozonabnahme bewirken, tragen sie unterhalb der Tropopause zu einer Ozonzunahme bei. Global Bemittelt, bewirkt das heutige Luftverkehrsaufkommen also eine Ozonzunahme, keine Ozonabnahme, da derzeit in Höhe zwischen 10 und 12 Kilometern geflogen wird. Dagegen kann eine Verlagerung der Flugrouten in die Höhe von 20 Kilometern bei der heutigen Triebwerkstechnologie nicht befürwortet werden.
Gravierender sind nach heutigem Kenntnisstand — ich betone dies, meine Damen und Herren — die Auswirkungen auf den Treibhauseffekt. Die Wasseremissionen führen zur Bildung von Kondensstreifen und Zirruswolken und können bei entsprechender Flächendeckung klimawirksam werden.
In ihrem Antrag fordert die Opposition die verbindliche Festlegung von Höchstwerten für Flugzeugemissionen, insbesondere Stickoxide. Solange die Verweilzeiten, die chemischen Umwandlungsprozesse und die Transportmechanismen in der oberen Troposphäre und unteren Stratosphäre noch ungeklärt sind, halte ich es für unverantwortlich, konkrete Auflagen an die Triebwerksentwicklung zu richten. Nur auf einer gesicherten Datenbasis können den Entwicklern die notwendigen exakten Spezifikationen und Terminvorgabebn an die Hand gegeben werden, die langfristig dem Klimaschutz dienen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11011
Marita Sehn
Die Bundesregierung fördert u. a. mit ihrem Verbundprojekt „Schadstoffe in der Luftfahrt" die Erarbeitung dieser Grundlagen. Auch wer Einschränkungen von Kurz- und Mittelstreckenflügen fordert, übersieht daß der nationale Handlungsspielraum längst enger geworden ist. Ein nationales Verbot des Personenlinienverkehrs macht eine Änderung des Luftverkehrsgesetzes notwendig. Innerhalb der EG steht ein solches Verbot im Widerspruch zu einer Politik der Liberalisierung der Verkehrsmärkte und ist aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht realisierbar.
Nationale Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht und des Klimas sind auf Grund ihrer Signalwirkung natürlich bedeutsam. Letztendlich verfehlen sie jedoch ihr Ziel, wenn wir nicht lernen, globaler zu denken und zu handeln.

(Monika Ganseforth [SPD]: Handeln vor allem!)

Die Stärkung der internationalen Kooperation und die Förderung der Bereitschaft, technisches Knowhow zur Verfügung zu stellen, das sind die entscheidenden Punkte, die über die zukünftige Entwicklung des Klimas bestimmen werden.
Seit einem halben Jahrzehnt bezieht die Bundesregierung beim Schutz der Ozonschicht eine klare Position. Ihre vorwärtsdrängende Rolle beim Montrealer Protokoll und seinen Verschärfungen sowie die deutsche FCKW-Halon-Verbotsverordnung, deren Regelungen einen Ausstieg aus der Verwendung von vollhalogenierten FCKW bis Ende 1994 sicherstellen, belegen die nationale Haltung.
Darüber hinaus haben die Verbände der deutschen Wirtschaft ihre Bereitschaft erklärt, bereits im Laufe des kommenden Jahres ganz auf FCKW zu verzichten. Durch diese freiwillige Selbstverpflichtung kann der Ausstieg aus der Produktion und dem Verbrauch von FCKW über die geltende gesetzliche Regelung hinaus zu erheblichen Teilen um ein Jahr vorgezogen werden. Diese Kooperation bringt den Ausstieg schneller, als dies über eine Änderung der FCKW-HalonVerbotsverordnung unter Berücksichtigung des dazu notwendigen Verfahrens und der Notifizierung bei der EG je hätte erreicht werden können.
Die Forderung nach einem nationalen Sofortverbot der FCKW-Produktion ist also mittlerweile längst überholt. Was nützt, global betrachtet, ein deutscher Ausstieg aus der FCKW-Produktion und -Anwendung, wenn bevölkerungsreiche Länder wie China und Indien gerade erst beginnen, ihre FCKW-Kapazitäten auf- und auszubauen?
Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, ihre bisherige Politik zum Schutz der Ozonschicht auf internationaler und EG-Ebene konsequent weiterzuverfolgen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212729000
Frau Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann, Sie haben das Wort.

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1212729100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich noch gut daran erinnern, als der Bundestag hier
hochemotionalisiert den schnellen Ausstieg aus der FCKW-Produktion debattiert hat. Anlaß waren Meldungen im „Spiegel" vom Februar dieses Jahres über ein Ozonloch über der Nordhalbkugel und damit die Angst der plötzlich selber Betroffenen.
Die dramatische Entwicklung im Norden hat sich zunächst nicht bestätigt. Man hat sich also beruhigt zurückgelegt: Uns trifft es ja nicht mehr. Was geht uns das Ozonloch über der Südhalbkugel an? Was kümmern uns die Kinder in Australien, von denen erschreckend viele an Hautkrebs erkranken? Australien ist eben weit weg.
Kein Gedanke daran, daß zu den Hauptschuldigen für das Ozonloch und den für Menschen und Natur sich ergebenden Folgen die Industrieländer des Nordens mit ihrer unverantwortlichen, allein an Wachstum orientierten Politik gehören. Wir müssen also hier anfangen, und dem trägt der vorliegende Antrag Rechnung.
Meine Damen und Herren, nach Prognosen der Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt soll der Treibstoffverbrauch der zivilen Luftfahrt von 160 Millionen t im Jahre 1990 auf 290 Millionen t im Jahre 2000 weltweit steigen. Dies bedeutet, die CO2-Emissionen aus der Luftfahrt steigen in derselben Zeit von 500 auf 906 Millionen t jährlich, der treibhausrelevante atmosphärische Wasserdampf von 205 auf 370 Millionen t. Auch die Emissionen von Stickoxiden steigen von 1,62 Millionen t auf 2,9 Millionen t jährlich und weltweit, und dies alles trotz einer mit jeder neuen Triebwerksgeneration einhergehenden spezifischen Kraftstoff- und Schadstoffminderung, von den Stickoxiden einmal abgesehen.
Global gesehen machen die Emissionen aus der Luftfahrt gerade 5 % aller Emissionen des Verkehrssektors aus. Das erscheint angesichts der Emissionen in anderen Verkehrsbereichen als nicht der Rede wert. Der Eintrag der Schadstoffe in einer Höhe von 12 000 bis 7 000 m — das ist hier schon angesprochen worden z. B. von Ihnen, Herr Kollege Kampeter—, der üblichen Reiseflughöhe von Verkehrsflugzeugen, hat einen anderen Effekt, als wenn diese in niedrigen Höhen oder am Boden freigesetzt würden. Dies betrifft insbesondere Stickoxide und Wasserdampf.
Das Dilemma ist, daß bei den heute angewandten Triebwerkstechnologien zur Reduzierung des Treibstoffverbrauchs die Stickoxidemissionen durch die höheren Verbrennungstemperaturen immer weiter ansteigen. Da wir Flugzeugtriebwerken wohl keinen Katalysator verpassen können, müssen primärseitige Maßnahmen angewendet werden, die sich momentan erst in der Entwicklung befinden.
Die Wirkung der Stickoxide hängt bekanntermaßen stark von den atmosphärischen Bedingungen ab. Während sie in niedrigen Höhen ozonbildend wirken, ist ihre Wirkung genau umgekehrt, wenn sie in die Stratosphäre eingebracht werden oder aufsteigen.
Überlegungen, den Flugverkehr auf die obere Troposphäre zu begrenzen, um die Ozonzerstörung zu reduzieren, haben leider zur Folge, daß der Treibstoffverbrauch ansteigt, wodurch also mehr CO2 produziert wird, was den Treibhauseffekt anheizt. Wir
11012 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Dr. Dagmar Enkelmann
haben hier also einen Zielkonflikt, der kaum lösbar erscheint.
Gerade im Winter können für die Ozonschicht kritische atmosphärische Bedingungen über den Polen auftreten. Durch von Flugzeugtriebwerken ausgestoßene Festpartikel und Wasserdampf können Reaktionen mit in diesen Höhen vorhandenen chlorierten und bromierten Molekülen ausgelöst werden, die ozonzerstörend wirken.
Ein weiteres Problem sind zukünftige Überschallverkehrsflugzeuge; Pläne hierfür liegen überall in den Schubläden. Die französische Aerospatiale hat ausgerechnet, daß 1 000 dieser Flugzeuge, die in 18 000 m mit dreifacher Schallgeschwindigkeit herumdüsen, ausreichen würden, um durch ihre Stickoxidemissionen die Ozonproduktion um über 1,4 % zu reduzieren.
Wir sehen also: Die Emissionen aus dem Luftverkehr sind durch technische Maßnahmen allein bei gleichzeitig starkem Wachstum des Passagieraufkommens nicht in den Griff zu bekommen. Horrorszenarien eines ausufernden Luftverkehrs, wie er durch die Deregulierung infolge des EG-Binnenmarktes zu erwarten ist, erfordern hier ein politisches Umsteuern im Interesse der Umwelt und der Menschen.
Nebenbei bemerkt zeigt das Beispiel Deregulierung des Luftverkehrs in den USA, daß die Ideologie des Wettbewerbs um jeden Preis auch Nachteile für den Komfort und die Sicherheit des Fliegens hat. Ein Lufthansa-Manager hat im Frühjahr auf der Internationalen Luftfahrtausstellung in Berlin zugegeben, daß Flüge unter zwei Stunden Flugzeit eigentlich unrentabel sind. — Ich nenne natürlich keinen Namen.
Was also hindert uns, angesichts dieser genannten Tatsachen hier ein politisches Signal zu setzen, den Flugverkehr auf Mittel- und Langstrecken zu begrenzen und den Kurzstreckenverkehr deutlich zu reduzieren? Natürlich müssen Alternativen zur Verfügung stehen.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Transrapid!)

— Ich spreche nicht vom Transrapid. — Dies kann nur der Ausbau des Fernverkehrs auf der Schiene als Ergänzung eines effektiven schienengebundenen Nahverkehrs in der Fläche sein. Ich möchte hier absichtlich beide nicht voneinander trennen. Strekkenstillegungen und Privatisierung der Bahnen sind allerdings ungeeignete Mittel, um dies zu erreichen.
So ist das eben mit der Ökologie: Alles hängt mit allem zusammen. Staatssekretär Laufs hat heute im Umweltausschuß gesagt: Das ist ein Querschnittsthema.
Wer die Ozonschicht und das Klima schützen, uns vor bodennahem Ozon und Autoabgasen bewahren will, darf nicht einerseits Arbeitsplätze bei der Reichsbahn abbauen und angeblich gesicherte Arbeitsplätze bei Opel oder VW in den neuen Bundesländern als Erfolg verkaufen. — Wobei wir mit dem bodennahen Ozon wieder auf dem Boden der Tatsachen angelangt sind.
Es ist eine Tatsache, daß es eben nicht reicht, bestimmte vollhalogenierte FCKW durch teilhalogenierte zu ersetzen, weil dadurch das Problem zwar verlangsamt, aber eben nicht gelöst wird. Daß es auch anders geht, beweist der Öko-Kühlschrank der dkk Scharfenstein. Der kommt ohne FCKW aus und braucht auch nicht die teuren und obendrein klimawirksamen H-FKW, an denen sich Hoechst eine goldene Nase zu verdienen gedenkt.
Ich denke, die wichtigste und eine politische Konsequenz, die aus der aktuellen umweltpolitischen Situation gezogen werden sollte, ist die, daß die Gewinne der Chemieindustrie kein Tabu mehr sein dürfen. Wir müssen heraus aus der Chlorchemie, und zwar so schnell wie möglich, und das kostet natürlich. Wir brauchen endlich eine sanfte Chemie. Wenn es heißt, zwischen hohen UV-Konzentrationen am Boden und hohen Chemiegewinnen zu wählen, sollte uns die Wahl nicht schwerfallen.
Wir werden also dem Antrag der SPD zustimmen und der Ausschußbeschlußempfehlung unsere Ablehnung erteilen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212729200
Das Wort hat der Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1212729300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Umweltminister, der alles, auch das Prinzip der Einsicht und der Freiwilligkeit, regeln will, der hat es schon sehr schwer. Ganz besonders problematisch wird es, wenn sich Herr Töpfer dann auf internationalem Parkett mit der Ankündigung einer eventuell möglichen Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft an den Rand der Lächerlichkeit bringt. Das hat in diesem Land noch nicht geklappt.
Aber der Reihe nach: Zunächst müssen wir feststellen, daß sich die einstmals so hochgelobten Fluorchlorkohlenwasserstoffe als die gefährlichsten Verbindungen für den atmosphärischen Schutz des Lebens auf der Erde schlechthin herausgestellt haben. Mit ihrem massenhaften Einsatz und der Freisetzung in die Atmosphäre kam es zu einer sprunghaften Ausdünnung der Ozonschicht, und das, wie wir inzwischen wissen, nicht nur über der Antarktis.
Die Auswirkungen der Zerstörung des Ozonschildes sind längst bekannt. Wir müssen die Zunahme von Hautkrebs bei Menschen und Tieren verzeichnen. Die Lebensgemeinschaften der Meere beginnen sich in kritischen Bereichen zu verändern, und auch für die Landwirtschaft müssen globale Veränderungen erwartet werden, und zwar zusätzlich zum Baumsterben.
Im Deutschen Bundestag wird heute nicht das erste Mal über dieses Thema gesprochen. Verschiedene Anträge und Anfragen nahezu aller Parteien einschließlich des Berichts der Bundesregierung über Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht zeigen, daß die Tragweite des Themas Ozon niemandem neu ist.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11013
Dr. Klaus-Dieter Feige
Was aber lehrt uns die eigene Geschichte der parlamentarischen Behandlung der FCKW-Problematik?
Die Bundesregierung leugnet ein um das andere Mal die Notwendigkeit, ihre Bemühungen als noch nicht hinreichend anzuerkennen. Sie müssen zum Ausgleich dafür dennoch um das eine oder andere Mal eingestehen, daß sich die Situation von Jahr zu Jahr verschärft. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die FCKW ihren himmlischen Aufstieg nur ganz langsam vollziehen und die heutige Zerstörung des Ozonschutzschildes aus den Spraydosen und Verschäumungsorgien noch auf die Schmidt-Ära zurückzuführen sind. Die FCKW-Ausdünstungen der letzten zehn Jahre der Kanzlerschaft von Helmut Kohl aber werden uns in ein paar Jahren als globales Umweltlast-Erbe ereilen. Glauben Sie bitte nicht, daß diese Bilanz dann wesentlich besser aussieht. Ich glaube, das Ozongrab der letzten zehn Regierungsjahre wird grauenvoll.
Die vorliegenden Anträge, die auf die Beschleunigung des Ausstiegs aus der Zerstörung der Ozonschicht abzielen, sind nun erneut mit den Stimmen der Koalitionsparteien in den Ausschüssen abgelehnt worden. Zumindest in Sachen Abwiegeln kann man den Unionsparteien unter Beihilfe der F.D.P. so etwas wie eine gewisse Konstanz wirklich nicht absprechen.
Der Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN z. B. stammt bereits aus dem Februar dieses Jahres. Damals haben Sie uns vorgeworfen, wir hätten diesen Antrag aus populistischen Gründen eingebracht, weil neue Satellitendaten den Abbau der Ozonschicht über der Nordhalbkugel belegt hätten. Unser dringender Appell aber stammt, wie gesagt, aus dem Februar dieses Jahres. Allein die unendlich langsame Bearbeitung zeigt mir, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die Situation auch nach der Ozonkonferenz in Kopenhagen immer noch unterschätzen. Dort ist ja nun wirklich eine deutliche Sprache gesprochen worden.
Wie ernst es um die Erde steht, müßte allen spätestens nach der schnellen Einigung der 81 wichtigsten FCKW-produzierenden Länder klar sein, das Verbot von FCKW und ähnlichen Substanzen vom Jahr 2000 auf den 1. Januar 1996 vorzuverlegen. Natürlich ist der Kompromiß immer noch unzureichend. Daran ändert auch das Verbot der Nutzung von Halonen zum Jahresbeginn 1994 nichts mehr.
Insbesondere die Inkonsequenz bei der Weiterverwendung von FCKW-Ersatzstoffen, die uns zum Teil vom Ozonloch in die Treibhauseffekttraufe trudeln lassen, stimmen bedenklich. Ich kann zwischen den mangelhaften Ergebnissen, die auch Herr Töpfer als mangelhaft einschätzt, und der aktuellen Politik der Bundesregierung einen so großen Unterschied nicht sehen, als daß er das als besonders negativ herausstellen müßte.
Wenn in der Begründung zur Ablehnung der beiden vorliegenden Anträge gesagt wird, daß ein zusätzlicher Handlungsbedarf im Hinblick auf die FCKW-
Halon-Verbotsverordnung vom 6. Mai 1991 nicht besteht, dann bin ich über die jetzigen Worte von Herrn Töpfer doch überrascht. Im Ausschuß konnte
die Koalition noch keinen Grund sehen, das Herstellungs- und Verwendungsverbot, das bis zum Jahre 1995 wirksam werden sollte, zu verschärfen. Warum aber reden Sie dann in Kopenhagen mit einer anderen Stimme und stellen es so dar, als ob Sie das schon immer gemacht hätten? — Du wolltest doch gelobt werden; ich bitte um Entschuldigung, daß ich das nach deiner heutigen Rede wirklich nicht machen konnte.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich glaube, Sie wissen doch auch ohne unsere Hilfe, daß der angekündigte Selbstverzicht wieder zum Selbstbetrug wird, wie schon so oft. Es gibt keine ernstzunehmenden Fälle, in denen derartige vollmundige Vorankündigungen später wirklich Realität wurden. Die Wirtschaft wird auch diesmal kurz vor Toresschluß 1993 wieder all ihre Bedenken aufwerfen, sie wird dann bis 1995 Aufschub bekommen und später noch über das Verbot lamentieren und schimpfen. Ich sehe schon die vielen Ausnahmegenehmigungen vor mir.
Wann endlich ist diese Bundesregierung bereit, diesen elementaren Kapitalmaximierungsgrundsatz der Marktwirtschaft zu begreifen, den es doch nun einmal gibt? Oder hat sie ihn begriffen und will sie im Gegenteil durch diese permanente Hinhaltetaktik ihre Lobby aus allem Ärger heraushalten und sie protegieren?
Die Koalitionsparteien kritisieren an unserem Antrag zudem, daß wir eine Ausweitung der Produktionsverbote auch auf Stoffe fordern, die im ernsten Verdacht stehen, in die Rubrik Ozonkiller zu kommen. Ich mußte mir deshalb sogar ein paar derbe Scherze zu dem Thema anhören, was meine eigene biologische Abgasproduktion betrifft. Aber es bringt nichts, dieses Thema lächerlich zu machen.
Ich erinnere Sie noch einmal daran, daß sogar die FCKW einmal als die umweltfreundlichen Verbindungen schlechthin galten. Wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der die Natur die kleinen Umweltprobleme auf Grund menschlicher Produktion von sich aus kompensiert. Die gnadenlosen Technologien unserer Gegenwart machen kleine Fehler später zu riesigen Problemen, die bereits heute an der Lebensfähigkeit der Erde nagen.
Genauso gründlich, wie wir bei der Durchführung von gentechnischen Experimenten, bei der Neuzulassung von Medikamenten sein müßten, müssen wir jetzt alle die Lebensbedingungen der Welt auch nur potentiell zerstörenden Verbindungen und Produktionstechnologien prüfen. Die Ablehnung der Anträge ist unverständlich, wenn wir die Bundesregierung an ihren eigenen Vorgaben messen.
Ich bin immer für einen konstruktiven Streit zu haben — das wissen meine Kolleginnen und Kollegen —, aber ich glaube, hier ist die ideologische Positionsbehauptung fehl am Platze. Der Konsens aber, den wir für das Leben auf der Erde brauchen, und den ich über alle Parteigrenzen hinweg möchte, kann um der Vernunft an sich willen oder auch — ich sage es wirklich einmal so dramatisch — der Zukunft unserer Kinder wegen durchaus auch in einem schnellen Verbot der Ozonkiller bestehen.
11014 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Dr. Klaus-Dieter Feige
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212729400
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herrn Dr. Bertram Wieczorek, das Wort.

Dr. Bertram Wieczorek (CDU):
Rede ID: ID1212729500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den ausgesprochen emotionalen Schwingungen unseres hochverehrten Kollegen Dr. Feige erlaube ich mir, etwas ausführlichere Äußerungen über die globalen Dimensionen der FCKW-Problematik zu machen. Anschließend möchte ich mich entsprechend zum Flugverkehr äußern.
Wie die jüngsten Berichte über die diesjährige Größe des antarktischen, aber auch des arktischen Ozonlochs belegen, gibt es keinen Anlaß, unsere Anstrengungen zum Schutz der Ozonschicht zu vermindern. Auch in den kommenden Jahren besteht noch dringender Handlungsbedarf, damit die weitere Schädigung der Ozonschicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt wieder gestoppt und irgendwann auch einmal rückgängig gemacht wird.
Dabei, denke ich, können wir zuversichtlich sein, denn das Jahr 1992 hat uns beim Schutz der Ozonschicht sowohl national als auch international ein gutes Stück vorangebracht.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welche Richtung?)

— Ich werde gleich dazu kommen, Herr Kollege. Ich habe etwas mehr Redezeit als Sie, und das machen wir alles ganz ruhig.
Unser Erfolg spiegelt sich auch im Umfang des „Zweiten Berichts der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht" wider, den das Bundeskabinett am 19. November 1992 beschlossen hat und der inzwischen der Präsidentin des Deutschen Bundestages übersandt wurde.
In unserem Land haben wir den so oft geforderten Sofortausstieg aus den FCKW demnächst de facto erreicht. Die Fristen der FCKW-Halon-Verbotsverordnung werden nach derzeitigem Kenntnisstand allenfalls in einigen wenigen, mengenmäßig nicht relevanten Nischen-Anwendungen in Anspruch genommen werden. Der Löwenanteil bisheriger Produktion und Verwendung wird Ende 1993 nicht mehr existieren. Lieber Kollege Feige, das ist natürlich auch das Ergebnis der Verhandlungen — nicht der Ankündigungen — von Bundesumweltminister Töpfer mit den industriellen und gewerblichen FCKW-Verwendern sowie mit den Produzenten. Die Gespräche sind abgeschlossen. Ich denke, wir Parlamentarier werden das Ergebnis am Ende des Jahres 1993 überprüfen können.

(Beifall des Abg. Steffen Kampeter [CDU/ CSU])

In diesem Sinne ist Herr Professor Töpfer kein Ankündigungsminister, sondern ein Handlungsminister.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser erklärtes Ziel war es in diesem Jahr, meine Damen und Herren, den Ausstieg aus Produktion und Verwendung ozonschichtschädigender Stoffe insbesondere auf internationaler Ebene voranzubringen. Ich denke, das ist vor zwei Wochen in Kopenhagen während der 4. Vertragsstaatenkonferenz zum Montrealer Protokoll gelungen. Ein solcher Erfolg wäre aber nicht möglich gewesen, wenn nicht gleichzeitig der zunächst befristet geschaffene Multilaterale Hilfsfonds für die Entwicklungsländer auf Dauer eingerichtet worden wäre. Die Entwicklungsländer haben die dauerhafte Einrichtung dieses Fonds zu Recht als Prüfstein der globalen Umweltpartnerschaft betrachtet. Ich begrüße und unterstütze daher nachdrücklich die endgültige Einrichtung dieses Fonds.
Über die finanzielle Ausstattung für den Zeitraum von 1994 bis 1996 wird es erst im nächsten Jahr Entscheidungen geben. Zugesagt wurde, daß 1994 mindestens die gleichen Mittel wie 1993 zur Verfügung stehen sollen. Das wären ca. 113 Millionen US-Dollar. Für die Jahre 1991 bis 1993 ist der Fonds mit einem Volumen von 240 Millionen Dollar ausgestattet, von denen die Bundesrepublik Deutschland rund 11 % finanziert. Als Richtgröße für den Dreijahreszeitraum von 1994 bis 1996 hat UNEP einen Rahmenbetrag von 350 bis 500 Millionen US-Dollar veranschlagt.
Meine Damen und Herren, mit der Einigung über den Multilateralen Fonds ist in Kopenhagen der Weg für weitere materielle Verschärfungen des Montrealer Protokolls freigeworden. Die Ausstiegsfrist bei den bisher geregelten Stoffen mit Ausnahme der Halone wurde auf den 1. Januar 1996, d. h. um vier bis neun Jahre vorgezogen. Bei Halonen wurde das Ausstiegsdatum sogar auf den 1. Januar 1994 vorgezogen. Diese Forderung hat die Bundesrepublik Deutschland seit langem vertreten. Wir konnten sie in Kopenhagen gegen den Widerstand einiger anderer EG-Staaten durchsetzen.
Ein besonderes Signal ist die Regelung weiterer ozonschichtschädigender Stoffe. Produktion und Verbrauch teilhalogenierter Fluorbromkohlenwasserstoffe müssen wie bei vollhalogenierten FCKW ab dem 1. Januar 1996 eingestellt werden. Produktion und Verbrauch des in der Schädlingsbekämpfung eingesetzten Stoffes Methylbromid sind ab 1995 auf dem Niveau von 1991 einzufrieren, wobei eine UNEP- Expertengruppe die Möglichkeit weitergehender Beschränkungen zu prüfen hat.
Die wichtigste neugeregelte Stoffgruppe sind ohne Frage die teilhalogenierten FCKW, die in den nächsten Jahren eine wesentliche Rolle beim Ersatz vollhalogenierter FCKW spielen werden und die auf jeden Fall kein Alibi für die Fortführung einer ungehemmten Produktion dieser Stoffe auf hohem Niveau sein dürfen. Der jährliche Verbrauch an diesen Stoffen wird in der Zeit von 1996 bis 2003 auf eine Höchstmenge begrenzt, die für die Bundesrepublik Deutschland — ich nenne das als Beispiel — umgerechnet einem Äquivalent von etwa 1 600 Tonnen vollhalogenierter FCKW entspricht. Es zeichnet sich aber bereits
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11015
Parl. Staatssekretär Dr. Bertram Wieczorek
jetzt ab, daß diese Obergrenze in Deutschland nicht ausgeschöpft werden wird.
Ausgehend von der in Kopenhagen festgelegten Obergrenze muß der Verbrauch teilhalogenierter FCKW stufenweise wie folgt reduziert werden — ich denke, das sind einige sehr wichtige Daten —: im Jahre 2004 um 35 %, bis 2020 schrittweise um 99,5 % und im Jahre 2030 um 100 %.
Das Enddatum 2030 täuscht optisch darüber hinweg, daß der Verbrauch teilhalogenierter FCKW nach der in Kopenhagen beschlossenen Regelung praktisch schon ab dem Jahr 2015 vernachlässigbar wird, weil dann die 90-Prozent-Marge erreicht ist. Der zulässige jährliche Höchstverbrauch entspricht in der Bundesrepublik Deutschland ab dem Jahr 2015 einem Äquivalent von etwa 160 Tonnen vollhalogenierter FCKW. Ab dem Jahre 2020 darf bei uns jährlich sogar nur noch ein Äquivalent von 8 Tonnen vollhalogenierter FCKW verbraucht werden.
Meine Damen und Herren, wie meine Beispiele zeigen, ist die lange Laufzeit der Regelung für die teilhalogenierten FCKW nicht das eigentliche Problem. Als unbefriedigend empfinde ich aber das späte Einsetzen der Reduktionsschritte im Jahre 2004. Hier ist ein Vorziehen der Frist unbedingt erforderlich. Wir werden uns innerhalb der EG nachdrücklich dafür einsetzen, wenn im nächsten Jahr die entsprechenden Beschlüsse aus Kopenhagen auf Gemeinschaftsebene umgesetzt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, anläßlich der kommenden Ratstagung der EG-Umweltminister am 15./16. Dezember diesen Jahres soll die geltende EG-Verordnung über ozonschichtschädigende Stoffe zunächst hinsichtlich der bereits geregelten Stoffe verschärft werden. Wir werden dafür eintreten, daß die Gemeinschaft dabei nicht einfach die in Kopenhagen beschlossenen Ausstiegsfristen übernimmt, sondern diese nochmals verkürzt. Eine Schädigung der Ozonschicht kann sich aber nicht nur als Folge der Produktion und Verwendung von FCKW und vergleichbaren Stoffen ergeben.
Seit einiger Zeit wird zunehmend diskutiert, ob der Flugverkehr in großen Höhen zum Abbau von Ozon beiträgt. Aus Umweltsicht sehe ich diese Möglichkeit mit großer Sorge. Wir müssen daher alles tun, um den Grad der Gefährdung durch Flugzeugemissionen zu klären und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen einzuleiten.
Zwei Dinge müssen wir bei diesem Themenkomplex allerdings klar unterscheiden. Das ist auf der einen Seite die Gefahr, daß die Stickoxide, die Flugzeuge in großen Höhen emittieren, unmittelbar in die Ozonabbauprozesse eingreifen und damit zu einer weiteren Verringerung des Ozons in der Stratosphäre führen. Zum anderen führen die Schadstoffemissionen ein Atmosphärenstockwerk tiefer, in der Troposphäre, zur Produktion von Ozon. Dort trägt es als Treibhausgas zum Klimaeffekt bei. Frau Kollegin
Enkelmann hat das ganz ausführlich dargestellt, so daß ich mir eine weitere Vertiefung ersparen kann.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war seltsam gut!)

— Das war ein sehr exakter, guter Beitrag in diesem Bereich.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber nur in diesem Teil!)

Um die komplexen Vorgänge im einzelnen zu klären, ist es notwendig, Flugzeugemissionen, ihre Verteilung und Wirkung detailliert zu studieren. Die Bundesregierung fördert deshalb zur Zeit eine Reihe von Forschungsvorhaben, die sich mit diesem Thema intensiv befassen. Dazu gehören auch Vorhaben, die eine ökologische Optimierung der Flugstrecken und Flughöhen untersuchen.
Die zu erwartenden Erhöhungen bei den Schadstoffemissionen können z. B. durch eine stärkere Kooperation zwischen den Verkehrsträgern Luft und Schiene begrenzt werden. Hier wird es darauf ankommen, einen Teil der nationalen Kurzstreckenflüge auf die Bahn zu verlagern. Gedacht ist in erster Linie an Flüge in einen Entfernungsbereich bis ca. 500 Kilometer, da die Bahn gerade hier konkurrenzfähig ist. Allerdings müssen wir uns bei der Konzeption des Schienenverkehrs langsam von den Trassen des 19. Jahrhunderts verabschieden. Wir dürfen eine moderne Trassierung nicht zum Tabuthema erklären.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei größeren Entfernungen wird die Verlagerung davon abhängig sein, inwieweit das Angebot an Schnellbahnsystemen attraktiv genug gemacht werden kann.
In diesem Jahr hat die internationale ZivilluftfahrtOrganisation beschlossen, den Stickstoffoxidgrenzwert für Flugturbinen um 20 % zu senken. Die Bundesregierung setzt sich darüber hinaus für eine weitere deutliche Verschärfung der Schadstoffgrenzwerte bei Flugzeugen ein. Bis 1994 sollen deshalb im Rahmen der ICAO Vorschläge zur weiteren Herabsetzung dieser Emissionen erarbeitet werden.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1212729600
Herr Kollege Horst Kubatschka, Sie haben das Wort.

Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1212729700
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, in einem Jahr können wir uns darüber unterhalten, ob sich der Ankündigungsminister Herr Töpfer wenigstens zu einem Teilhandlungsminister gemausert hat. Lassen wir uns überraschen. Es würde mich freuen, wenn er sich auf diesem Weg befände.

(Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Ihr wäret froh, ihr hättet so einen guten Mann!)


Dr. Norbert Herr (CDU):
Rede ID: ID1212729800
Wenn es darum geht, eine leistungsfähige und
11016 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Horst Kubatschka
kundenfreundliche Bundesbahn aufzubauen, werden Sie unsere Unterstützung haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn es aber darum geht, Bürgerrechte zu beschneiden und über die Natur hinwegzugehen, werden Sie unsere Unterstützung nicht haben.

(Beifall bei der SPD — Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber eine leistungsfähige Bundesbahn braucht Infrastruktur!)

Sie haben von den Trassen des 19. Jahrhunderts gesprochen, Herr Staatssekretär. Ich wäre in meinem niederbayerischen Gäu schon froh, wenn ich nicht die Bahnhöfe des 19. Jahrhunderts und die Waggons des beginnenden 20. Jahrhunderts hätte. Sie bauen nämlich die Fernstrecken fein aus. Das ist eine gute Sache in bezug auf den Flugverkehr. Aber Sie lassen die Fläche verlottern. Ich würde Sie gern einladen, sich anzusehen, wie die Wirklichkeit draußen ausschaut.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider sieht man das Ozonloch nicht, und flicken können wir es leider auch nicht. Wir müssen aber heute dafür sorgen, daß es im Jahr „zweitausend-und-x" hoffentlich zu schrumpfen beginnt. Heute müssen wir damit beginnen, dafür zu sorgen, daß es sich vielleicht in hundert Jahren wieder geschlossen hat. Hoffentlich hat es sich dann selbst geheilt. Unser Tun ist also wahrlich langfristig.
Das Schadpotential wächst immer noch und baut sich nur allmählich ab. Meine Enkel, die noch nicht geboren sind, unsere Urenkel und Ururenkel werden noch unter unserem heutigen Tun leiden. Herr Staatssekretär, Ihnen wird dann die Zuversicht, die Sie aus Kopenhagen mitbringen, leider nur sehr wenig helfen. Je länger wir warten, um so mehr werden unsere Nachkommen darunter leiden. Deswegen müssen wir jetzt handeln. Wir brauchen deswegen das sofortige Verbot der Produktion von FCKW.
Frau Kollegin Sehn, Sie haben angeführt, wir könnten national nicht handeln. Wir können uns doch nicht permanent die Ausreden selber liefern. Jeder schaut auf die anderen und sagt, er könne nicht national handeln, und deswegen handelt keiner. Das ist nicht verantwortungsvoll gehandelt.

(Marita Sehn [F.D.P.]: Sie müssen meine Rede lesen!)

Laut Töpfer kommt es zu einem dramatischen Abbau der Ozonschicht. Das Problem ist erkannt, gehandelt wird zögerlich, aber immerhin wortreich.
Bisher haben wir uns sicher gefühlt. Wir waren sozusagen Zuschauer. Das Ozonloch riß über der südlichen Halbkugel auf. Australien und Neuseeland sind ja bekanntlich weit. Heuer riß uns aber die NASA aus unserer Zuschauerrolle heraus. Der Ozonschwund kam auch in der nördlichen Halbkugel zum Tragen, und damit waren wir nicht mehr Zuschauer, sondern Betroffene oder, besser gesagt, Beschienene. Auch auf uns wirkte die UV-B-Strahlung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eigentlich schon viel zu lange gewartet. Die SPD-Fraktion
hat 1987 in bezug auf Treibgase ein FCKW-Verbot gefordert. Zwei Jahre später wurde von uns ein Sofortverbot von FCKW gefordert. Wir konnten es damals fordern, weil wir wußten, daß Ersatzstoffe und Ersatzverfahren zur Verfügung stehen. Die Voraussetzungen waren also damals schon gegeben.
Jetzt werden vor allem die Herrschaften von der Koalition auf Kopenhagen hinweisen. Herr Staatssekretär, Sie haben die eine Seite der Medaille ja recht stark poliert. Was war denn das für eine Medaille? Besteht sie aus Silber? Nein. Aus Kupfer besteht sie auch nicht. Ich nehme an, daß chemische Analysen ergäben, daß sie aus Eisen war. Eisen rostet bekanntlich. Lassen Sie uns darum einmal die Seite der Medaille anschauen, die Sie nicht poliert haben. Da hätten wir erstens die Sonderfristen, zweitens die Ersatzstoffe, drittens das Problem des Methylenbromid und viertens das des Hilfsfonds.
Schauen wir uns diese Pferdefüße einmal an: Die Sonderfristen für Entwicklungsländer bleiben zehn Jahre weiter bestehen. Hier hat man meiner Meinung nach das globale Denken nicht umgesetzt. Wir müssen den Entwicklungsländern natürlich durch Technologietransfer helfen. Aber ihnen dafür R 124 a anzupreisen wäre die falsche Lösung. Im Grunde werden damit Abhängigkeiten von den Lieferländern geschaffen.
Pferdefuß Nr. 2, die Ersatzstoffe: teilhalogenierte FCKW, sozusagen „FCKW light". Bis zum Jahr 2004 können sie weiter für Treibhausklima sorgen und es anheizen. Bis zum Jahr 2030 erreichen wir ein vollständiges Verbot. R 124a ist kein Ersatz.

(Dr. Norbert Rieder [CDU/CSU]: 134!)

— Danke. Später möchte ich Ihnen rechnerisch noch auf die Sprünge helfen. Ich danke Ihnen dafür, daß sie mir jetzt bei der Bezeichnung geholfen haben.
Pferdefuß Nr. 3: Methylenbromid. Ab 1995 wird der Stand von 1991 erreicht. Es wird auf diesem Level eingefroren. Das ist ein Pflanzenschutzmittel, das hochgiftig ist und z. B. in den Niederlanden verboten wird. Immerhin gibt es neueste Erkenntnisse, daß 10 % des Ozonabbaus auf diese Verbindung zurückgehen sollen, also ein ganz erklecklicher Teil.

(Vorsitz: Vizepräsident Helmuth Becker)

Pferdefuß Nr. 4: die unbefriedigende Ausstattung des Hilfsfonds für die Dritte Welt.
Meine Damen und Herren, mit diesen vier Pferdefüßen habe ich ein Pferd auf die Bühne gestellt, das in eine wärmere, UV-B-bestrahlte Zukunft trägt.
Jetzt ein Wort zum Ersatz durch R 134a. Herr Kollege Rieder, Sie sehen, daß ich sofort von Ihnen gelernt habe.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist gut so!)

Wir haben jetzt die freie Wahl zwischen Treibhauseffekt und Ozonzerstörung. Wir können erwarten, daß wir eine Jahresproduktion von 150 000 bis 250 000 t bekommen. Die technischen Eigenschaften sind ähnlich denen der FCKW. Deswegen ist es für die Industrie eigentlich ein „eleganter" Ersatzstoff. Für die Umwelt hingegen ist dieser Ersatzstoff nicht so elegant.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11017
Horst Kubatschka
Schauen wir uns die physikalischen Werte an: Der Treibhauseffekt ist, bezogen auf CO2, 3 200mal größer. Wenn wir jetzt eine einfache Rechnung nach Adam Riese und Eva Zwerg durchführen und 0,25 Millionen t pro Jahr mit einem Treibhauseffekt von 3 200 multiplizieren, kommen wir auf ein Gegengewicht von 0,8 Milliarden t CO2 im Jahr. Das ist ganz einfach nachzuvollziehen. Ich habe die Rechnung hier. Sie können sie überprüfen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Wir erreichen mit dem von Ihnen so gepriesenen Ersatzstoff die Höhe des CO2-Ausstoßes der Bundesrepublik. Das ist kein Ersatz. Wir treiben den Teufel mit dem Beelzebub aus.

(Dr. Norbert Rieder [CDU/CSU]: Alternativen dazu?)

— Alternativen dazu gibt es, und die bieten sich auch all

(Zurufe von der CDU/CSU: Welche denn? — Gegenruf der Abg. Monika Ganseforth [SPD]: Propan, Butan, Wasser, Luft, Ammoniak!)

— Ich kann Ihnen die Ersatzstoffe sehr wohl sagen: Ideen sind gefragt. Autoklimaanlagen lassen sich mit anderen Verfahren betreiben. Haushaltskühlschränke lassen sich auch anders betreiben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie denn?)

— Haben Sie schon einmal etwas von dem PropanButangemisch gehört? Das läßt sich sehr wohl einsetzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ich wollte nur wissen, ob Sie es wissen!)

Auch Kunststoffe lassen sich anders schäumen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt sehr wohl Ersatzstoffe; man muß lediglich Phantasie und das technische Wollen zu deren Umsetzung entwickeln. Es wird Zeit, daß wir in diese Ersatztechnik einsteigen.
Ich danke für das Zuhören.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212729900
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Jürgen Starnick das Wort.

Prof. Dr. Jürgen Starnick (FDP):
Rede ID: ID1212730000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Feige sagte es schon, daß es noch fast 20 Jahre dauern wird, bis das heute produzierte und in die Atmosphäre entlassene FCKW die Ozonschicht der Stratosphäre erreicht hat und seine schädigende Wirkung entfalten kann. Bis dahin wird das Chlorpotential in der Stratosphäre, der eigentliche Verursacher des Ozonabbaus, fortwährend erhöht werden.
Deshalb sind wir uns hier in diesem Raum auch einig, daß der Ausstieg aus der Produktion und aus der Verwendung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen weltweit jetzt erreicht werden muß. Diese Notwendigkeit ist Gott sei Dank nicht nur von uns, sondern auch von den anderen Industrienationen erkannt worden. Die Tatsache, daß, beginnend bei der Konferenz von Montreal, über London bis hin zu Kopenhagen, die Frist für einen endgültigen Ausstieg
jeweils verkürzt wurde, weckt die Hoffnung, daß die Ozonschicht in der Stratosphäre noch zu retten ist.
Voraussetzung dafür ist aber, daß kein einziges Land auf dieser Erde weiter Fluorchlorkohlenwasserstoffe produziert, vertreibt und verwendet. Genau hier liegt die Problematik. Drei in der jüngsten Zeit zu den größten Produzenten zählende Länder — Indien, Südkorea, China — vermochten sich bisher der Einigung der anderen Industrienationen nicht anzuschließen, sondern fordern für sich Übergangsregelungen bis 2006. Man mag das beklagen; folgerichtiger wäre allerdings, nach den Gründen zu forschen.
Flurchlorkohlenwasserstoffe finden vor allem Verwendung als Treib- und Kältemittel. Während es für den Einsatzzweck als Treibmittel ein Spektrum von Alternativen gibt und die Substitution voranschreitet — sei es in Spraydosen oder in Schäumen —, ist der völlig unbedenkliche Ersatzstoff für Fluorchlorkohlenwasserstoffe als Kältemittel noch nicht gefunden. Dies liegt nicht an den Stoffen selbst, sondern daran, daß Kältemittel und Kühlaggregate aufeinander abgestimmt sein müssen.
Bei der Diskussion um den sogenannten Ökokühlschrank, der mit einem Gemisch aus Propan und Isobutan als Kältemittel betrieben werden soll, wurde sichtbar, daß jene Firma, die ihn herstellen will, zwei Jahre benötigen wird, um ihn wirklich zur Serienproduktionsreife zu entwickeln. Dabei ist ein Haushaltskühlschrank ein verhältnismäßig einfaches Aggregat. Größere Anlagen sind weit komplizierter.
Wenn wir also nicht zuwarten wollen, sondern wenn wir FCKW auch im Kältemittelbereich entfernen wollen, so brauchen wir dringend einen Ersatzstoff mit ähnlichen physikalischen Eigenschaften, so daß dieser in den vorhandenen und bisher entwickelten Kühltechnologien eingesetzt werden kann. Wir können nicht warten, bis hier neue Kühltechnologien, abgestimmt auf neue Stoffe, vorhanden sind. Wir brauchen einen Ersatzstoff, von dem keine ozonschädigende Wirkung ausgeht — das ist erst einmal die primäre Forderung.
Die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" hat sich in der letzten Woche in einer Anhörung mit einem solchen Stoff befaßt, dem Tetrafluorethan, bekannt unter der Abkürzung R 134 a, hier schon genannt. R 134a wurde von der ganz überwiegenden Mehrheit der Anzuhörenden als jener Stoff angesehen, der die von mir zuvor genannten Voraussetzungen am ehesten erfüllt. R 134 a wäre wegen seiner physikalischen und sonstigen Eigenschaften ein geradezu idealer Ersatzstoff. Er schädigt Ozon nicht, ist nicht gesundheitsgefährdend, hat nach bisheriger Erkenntnis auch keine ökotoxische Wirkung und ist nicht entzündbar. Es wäre ein idealer Ersatzstoff, hätte er nicht noch immer die Hälfte jenes Treibhauseffektpotentials, das den gegenwärtig noch verwendeten Fluorchlorkohlenwasserstoffen zugeschrieben wird. Das bedeutet, daß R 134 a nicht für die sogenannte offene Anwendung, bei der dieser Stoff unmittelbar in die Atmosphäre gelangen kann, sei es als Treibgas in Spraydosen oder in Reinigungsmitteln, verwendet werden kann. Der Einsatz von R 134 a muß auf geschlossene Anwendung, z. B. in Kühlaggregaten, beschränkt bleiben.
11018 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Dr. Jürgen Starnick
Die Anhörung in der Enquete-Kommission hat aber vor allem deutlich gemacht, daß man leicht versucht ist, Ersatzstoffe für FCKW nur aus dem engeren nationalen Blickwinkel zu beurteilen und entsprechende Schlußfolgerungen zu ziehen. Eine solche Betrachtungsweise ist höchst gefährlich; denn der Verzicht auf die Verwendung von FCKW fällt uns weit leichter als Entwicklungsländern oder anderen Ländern der Dritten Welt. Bedenkt man einmal, daß die Nahrungsmittelversorgung der Dritten Welt aus eigener Kraft gesichert werden könnte, wenn es nur gelänge, Nahrungsmittel ohne Verderb vom Produzenten zum Verbraucher zu bringen oder zu bevorraten, so wird deutlich, daß in den Ländern der Dritten Welt die Kühltechnologie für die Nahrungsmittel eine immense Bedeutung hat, woraus zu verstehen ist, daß Länder wie Indien und China auf die FCKW nur verzichten wollen, wenn ihnen in wirtschaftlich vertretbarem Maße Ersatzstoffe zur Verfügung stehen. Deshalb sollten wir nicht den umweltpolitischen Fehler begehen, R 134 a zu verteufeln, sondern vielmehr fordern, R 134a so schnell wie möglich als Ersatzstoff für FCKW für den von mir beschriebenen Anwendungszweck in geschlossenen Systemen einzusetzen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Unsere Aufgabe in der Politik ist es, diese Notwendigkeit deutlich zu machen und darüber hinaus auf Firmen wie Hoechst, aber auch auf ausländische Chemieunternehmen, die das Know-how für die Produktion von R 134a besitzen, einzuwirken, dieses Know-how Ländern wie Indien und China zur Verfügung zu stellen oder dort einzusetzen. Nur dann läßt sich in diesen Ländern erreichen, daß sie noch in diesem Jahrtausend auf FCKW verzichten.
Es geht also, meine Damen und Herren, nicht darum, ein Jahr bei uns zu gewinnen, sondern es geht darum, zehn Jahre insgesamt zu gewinnen. Just diesen Aspekt beachten Ihre Anträge, die wir in den Ausschüssen beraten haben, nicht. Sie gehen deshalb in diesem Punkt ins Leere, und das ist ein hinreichender Grund für die Ablehnung.
Besten Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212730100
Ich erteile jetzt unserem Kollegen Klaus Harries das Wort

Klaus Harries (CDU):
Rede ID: ID1212730200
Die Debatte über ozonzerstörende und treibhausfördernde Stoffe ist, Herr Präsident, meine Damen und Herren, bekanntermaßen seit Jahren in diesem Haus ein Dauerthema. Das wird auch so bleiben, und das ist gut und notwendig, denn wir werden dieses Problem — das ist heute in dieser Debatte deutlich geworden — nicht kurzfristig lösen. Dafür, daß es ein Dauerthema bleibt, gibt es Gründe. Ich will sie nennen.
Erstens ist es kein deutsches Problem, hier eine schnelle oder zeitgerechte Lösung zu finden. Es ist eine europäische Aufgabe, es ist eine Aufgabe aller Industriestaaten, es ist auch die Aufgabe von Schwellenländern. An dieser Stelle möchte ich mit einem Argument, das für meine Begriffe völlig verkehrt ist
und heute wieder vorgetragen wurde, aufräumen, nämlich dem Argument, daß auch hier wieder die Industrieländer schuldhaft zu Lasten und auf Kosten der Länder der Dritten Welt produzieren, verwenden und handeln.
Herr Starnick hat es gerade gesagt: Das, was an Kühlprodukten hergestellt wird, ist für uns wichtig. In der Dritten Welt ist es überlebensnotwendig. In den tropischen und subtropischen Gegenden kann darauf nicht verzichtet werden. Ich sage das an dieser Stelle nur, um die Bedeutung und die Komplexität dieser Aufgabe, der wir uns zu stellen haben, deutlich zu machen.
Zweiter Punkt: Die Dauerdebatte heute, in der Vergangenheit und zukünftig ist nötig, weil Wiederholung bekanntlich die beste Pädagogik ist. Wir müssen auch in unserem Volk, im Lande, in den Schulen, überall deutlich machen, wie lebensnotwendig der Erhalt der Ozonschicht ist. Das kann nicht oft genug gesagt werden. Trotz der Debatten landauf, landab gibt es auch bei uns eine Leichtfertigkeit sondergleichen, die auch das eigene Handeln bisher sehr stark beeinflußt hat. Daher rufe ich in der Tat auch dazu auf, daß wir die Debatte fortsetzen.
In diesem Zusammenhang weise ich drittens auf die Untersuchungen, Ergebnisse, Vorergebnisse, Teilergebnisse der Enquete-Kommissionen hin. Die erste hat hier wichtige Grundlagenforschung einvernehmlich zwischen uns allen durchgeführt. Das scheint mir ganz wichtig und notwendig zu sein. Ich habe in diesem Punkt trotz aller Probleme, die die Debatten in der zweiten Enquete-Kommission bisher aufwerfen und die ja wachsen, die Hoffnung, daß es uns gelingt, zu vernünftigen Lösungen und Vorschlägen zu kommen. Wir sind allerdings auch gefordert, uns darum kurzfristig zu bemühen.
Der vierte Punkt, der für meine Begriffe bestätigt, daß die Dauerdebatte anhält, ist die Meldung der NASA zu Beginn dieses Jahres, die zwar nicht ganz korrekt war, die uns aber aufgeschreckt und deutlich gemacht hat, daß die Ozonschicht auf der nördlichen Halbkugel auch im Abbau begriffen ist, noch nicht mit der Wirkung wie auf der südlichen Halbkugel, in der Antarktis, aber immerhin so, daß wir Handlungspflicht haben.
Dabei ist es interessant — ich darf das erwähnen —, daß über diesen Punkt — und das bedeutet kein Zögern und Zaudern und Versagen — seit Beginn der 80er Jahre in Europa diskutiert wird. Das ging mit der Wiener Konferenz los. Ein Ratifizierungsverfahren begann, und noch 1987 konnte in das Ratifizierungsverfahren das Ergebnis von Montreal einfließen. Die weiteren Meilensteine — London, Kopenhagen — sind genannt worden.
Im Bereich des reinen FCKW — das zeigt ja, meine Damen und Herren, daß wir nicht säumig, sondern ständig am Ball sind — haben wir ja vorzeigbare Ergebnisse, und hier sollte man nicht die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie in bezug auf FCKW geringschätzen, belächeln, sondern ernst nehmen. Wir haben überhaupt keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß die Industrie den Termin 1993 einhält. Sie kennen das Datum der USA für FCKW, 1995, Sie
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11019
Klaus Harries
keimen das schlechtere Datum für die EG, 1996. Wir haben die Hoffnung, Herr Staatssekretär, daß es auf der Ratstagung Mitte Dezember, also in wenigen Tagen, gelingen wird, die Fristen zu verkürzen.
Auch ich sehe, daß wir bei den teilhalogenierten Stoffen im Grunde noch vor einer Wand von riesigen Problemen stehen, die noch nicht gelöst sind, aber durch Ersatzstoffe gelöst werden können. Ich bin kein Chemiker, kein Fachmann auf diesem Gebiet. Ich kann mich daher nur auf die wissenschaftlich fundierten Vorredner aus allen Fraktionen beziehen.
Meine letzte Bemerkung zu diesem Thema. Zu der Dauerdebatte in Vergangenheit, heute und auch in Zukunft gehört aber auch Ehrlichkeit, Ehrlichkeit vor uns, aber auch vor der Bevölkerung. Es ist nicht zu verantworten, daß der Eindruck erweckt wird, als könnten die hier anstehenden Probleme kurzfristig gelöst werden, als gebe es Patentwege, Patentmittel, die es gestatten, eine wachsende Industrie und eine gut funktionierende Wirtschaft zu haben und die Lösung der Umweltprobleme ebenfalls mit einzubinden, in einer Form, die man Vernetzung nennt.
Wir müssen diese Ehrlichkeit gemeinsam entwikkeln und zeigen.
Sie muß uns dazu bringen, verstärkt zu handeln, kurzfristiger zu handeln, und zwar so, daß in allen Bereichen dieser Welt, im Norden und im Süden, in den reichen und in den armen Regionen das Überleben der Menschheit ermöglicht wird.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Hans-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212730300
Das Wort hat jetzt der Kollege Lothar Ibrügger.

Lothar Ibrügger (SPD):
Rede ID: ID1212730400
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist guter parlamentarischer Brauch, einander zuzuhören, Einsichten wachsen zu lassen und je gewichtiger die Aufgabe ist, die wir zu bewältigen haben, um so geschlossener auch Entscheidungen voranzubringen.
In diesem Sinne, lieber Kollege, wollen wir nicht nur auf Hoffnung setzen. Wir brauchen alle Gewißheit, das Entscheidungen richtig, vorbeugend und rechtzeitig getroffen werden. In diesem Sinne möchte ich an ein Zitat unseres Altbundespräsidenten Gustav Heinemann erinnern, der in seiner aufsehenerregenden Rede bei der Einführung als Bundespräsident gesagt hat, Geheimnis jedes Erfolges sei es, den kleinen Schritt herauszufinden, der zugleich ein strategischer Schritt ist, indem er weitere Schritte in Richtung einer besseren Wirklichkeit nach sich zieht.
Dies gilt im besonderen auch für unser heutiges Thema. Ich will zum Luftverkehr sprechen, denn ich meine, der Luftverkehr darf angesichts der Diskussion um das Verursacherprinzip im Umweltschutz nicht in dieser Art und Weise außen vor bleiben, wie es gegenwärtig, durch internationale Verträge vereinbart und gebunden, doch auch bei uns der Fall ist.
Das Problem ist in unserer Runde der Kolleginnen und Kollegen schon angesprochen worden. Ich will die Fragen der Größenordnung und der Wirkung der Schadstoffemissionen durch den Luftverkehr und den Verkehr nicht weiter behandeln. Darüber wissen wir alle gemeinsam Bescheid. Wir wissen um Luftverschmutzung, Boden- und Wasserbelastungen, Lärm- und Unfallschäden im Straßenverkehr, im bodengebundenen Verkehr. Wir schätzen die externen Kosten, die wir bisher nicht in die entsprechenden Kostenrechnungen einbeziehen, allein in der Bundesrepublik Deutschland auf rund 45 Milliarden DM. Dabei ist der Kohlendioxideintrag noch nicht einmal berücksichtigt. Im Luftverkehr können wir die Auswirkungen noch gar nicht richtig einschätzen. Der Flugbenzinskandal ist in Debattenbeiträgen kurz polemisch angeklungen. Dies ist ja nicht nur ein Verzicht des Finanzministers auf dringend notwendige Mittel für den Bundeshaushalt und zur Verwirklichung der deutschen Einheit. Die Mineralölsteuerbefreiung für die gewerbliche Luftfahrt, international vereinbart, ist weltweit zugleich auch ein Verzicht auf Steuergelder zur Verbesserung der Umwelt.
In diesem Sinne verstehen Sie bitte auch unsere dringende Forderung, nicht nur innerhalb der Europäischen Gemeinschaften mit Initiativen zu beginnen und bei der Besteuerung der gewerblichen Luftfahrt voranzukommen — das ist angeklungen —, sondern auch für einen globalen Verkehrsmarkt das Verursacherprinzip durchzusetzen. Das ist zugleich eine Triebkraft für notwendige Verbesserungen im Umweltschutz. Dies gilt für die Vermeidung oder die Verminderung von Emissionen an der Quelle und vieles andere mehr.
Wir halten es nicht für richtig, uns ständig mit Verweisen auf internationale Verträge zu beruhigen. Wir müssen selbst anfangen, Initiativen zu ergreifen, die ersten Schritte auf diesem Wege zu tun — wie der Kollege es eben genannt hat —, solche Verträge, falls notwendig, auch zu ändern. Wenn es globale Auswirkungen sind, müssen wir sie auch global angehen. Hier setzten wir auch auf die Durchsetzungsfähigkeit und Überzeugungkraft der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland. Wenn es z. B. im Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt — dies ist eine einheitliche und weltumspannende Regelung für die Zivilluftfahrt, die am 7. Dezember 1944 getroffen wurde — in der Präambel heißt, es seien Freundschaft und Verständnis zwischen den Staaten und Völkern der Welt zu fördern, die Zusammenarbeit zu fördern, von der der Friede der Welt abhängt, dann können wir heute mit gutem Gewissen und nachdrücklich sagen: Davon hängt auch der Friede mit der Natur ab, nämlich in dem Maße, wie es uns gelingt, Abkommen international zu vereinbaren und damit dem marktwirtschaftlichen Prinzip im Umweltschutz, auch im Luftverkehr global zum Durchbruch zu verhelfen.
Es nützt uns ja nichts, wenn wir uns gegenseitig vortragen, wie die Prognosen für den Zuwachs des Luftverkehrs weltweit aussehen, und wenn wir sie als gegeben hinnehmen. Wir müssen gleichzeitig bedenken, daß die überproportionale Steigerung des Luftverkehrs, beispielsweise in den Räumen der Entwicklungsländer oder im asiatischen Raum, auch uns nicht
11020 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Lothar Ibrügger
unbeeinträchtigt läßt, denn wir haben nur die eine Atmosphäre.
Dazu einige Zahlen. Im oberen Luftraum der Bundesrepublik Deutschland sind allein 389 591 Überflüge von anderen Gesellschaften zu registrieren, die die Bundesrepublik als Transitland benutzen. Die Emissionen wirken sich bei uns so aus wie die unserer Großraumflugzeuge in anderen Regionen der Erde.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212730500
Herr Kollege Ibrügger, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Lothar Ibrügger (SPD):
Rede ID: ID1212730600
Ja, bitte, Herr Kollege Kampeter, ich freue mich.

Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1212730700
Herr Kollege Ibrügger, Ihre Ausführungen zur marktwirtschaftlichen Ordnung des Luftverkehrs teile ich sehr. Ich möchte daran erinnern, daß die Kollegin Ganseforth den hier zur Diskussion stehenden Antrag als eine Markierung in Richtung auf die Schließung von Flughäfen und auf die zwangsweise Streichung von bestimmten Flügen verstanden hat.
Darf ich Sie fragen, ob die Verkehrspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion diese Interpretation Ihres Antrages teilen? Welche Flughäfen haben Sie denn zur Schließung vorgesehen?

Lothar Ibrügger (SPD):
Rede ID: ID1212730800
Herr Kollege Kampeter, Sie haben in dem Antrag, der uns allen zur Überweisung vorliegt, eine Fülle von Maßnahmen gefunden, die vorgeschlagen worden sind. Dazu gehören dann sicherlich auch Maßnahmen zur Unterbrechung oder Unterbindung des Kurzstreckenflugverkehrs aus umweltpolitischen, aber auch aus fiskalischen Gründen, um das einmal sehr deutlich zu sagen. Denn mit jedem innerstaatlichen Flug der Lufthansa wächst der wirtschaftliche Verlust der Deutschen Lufthansa und damit die Gefährdung des Eigenkapitals der Lufthansa, an dem jeder Bürger — Sie, ich und jeder andere auch — mit 10 DM beteiligt ist.
Wir wollen aus wirtschaftlichen und umweltpolitischen Gründen eine Änderung in der Verkehrspolitik. Wenn dazu verkehrspolitische Entscheidungen notwendig sind, sollte sie der Bundesverkehrsminister gemeinsam mit dem Bundesumweltminister treffen, denn sie sind auch verantwortlich für das wirtschaftliche Überleben unseres nationalen Carriers, der Deutschen Lufthansa. Insofern sehen wir nicht den Widerspruch, den Sie gerade hier erzeugt haben.
Wir wollen nicht mit absoluten dirigistischen Maßnahmen anfangen, unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern vorzuschreiben, welchen Flugweg sie nehmen. Wir wollen vielmehr einen umweltgerechten und wirtschaftlichen Flugverkehr in der Zukunft sicherstellen. Dazu gehören auch Maßnahmen, über die wir selbst zu entscheiden haben. Wir werden das vertieft erörtern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Erfolg oder Mißerfolg in der Klimaschutzpolitik — so möchte ich meinen Kollegen Albrecht Müller aus der SPD- Bundestagsfraktion zitieren — hängen entscheidend von der Planung und Ausgestaltung unserer eigenen Verkehrspolitik ab. In dem Maße, wie wir auch auf
unsere Nachbarn überzeugend wirken, gelingt es uns, in Zukunft auch europäische Erfolge zu erzielen.
Es genügt sicherlich nicht, nur ein Hochgeschwindigkeitsnetz innerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufzubauen, wenn es nicht gleichzeitig europäisch ausgebaut wird, um damit auch Kurzstreckenflugverkehre abbauen zu helfen. Jede Mark, die wir in die Bundesbahn, in den Ausbau der Schienenwege, stecken, ist zugleich auch eine Investition in eine verbesserte Umwelt. Und hier genügen uns nicht Ankündigungen des Bundesverkehrswegeplans. Hier die Ausgaben des Straßenbauplans, dort die Ausgaben, die für die Schiene vorgesehen sind — alles steht unter dem Vorbehalt des Bundesfinanzministers, und hier haben wir mehrfach erlebt, wie bestimmte notwendige Investitionen in Schienenwege gestreckt werden müssen, weil der Bundesfinanzminister aus, wie er meint, guten, aber aus unserer Sicht — der Sicht der Opposition — für die Umwelt sehr nachteiligen Gründen notwendige zeitgerechte Investitionen nicht durchführen läßt. Hier haben wir Hausaufgaben der Bundesregierung zu erfüllen. Dazu gehören der Bundesverkehrswegeplan, das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn und die Reduzierung der Schadstoffemissionen an der Quelle.
Es gibt ein Verbundprogramm „Schadstoffe in der Luftfahrt". Wir haben hier Mitglieder der EnqueteKommission unter uns, und soweit ich weiß, ist von den Vertretern der Lufthansa wie auch von anderen Experten vorgetragen worden, es gebe ein ZehnJahres-Programm, um Schadstoffe in der Luftfahrt zu erkunden und entsprechende technologische Untersuchungen anzustellen. Der Bund hat sich aber wegen der finanziellen Restriktionen hieran nicht in dem Maße beteiligen können, wie wir alle es wohl für richtig und notwendig halten. Denn hier sind sicherlich genügend Mittel, Fähigkeiten, Wissen und Erfahrungen vorhanden, um in der Technologie der Verringerung der Schadstoffemissionen an der Quelle weltweit voranzukommen. Das gilt für die Triebwerke, das gilt für alle Technologien des gesamten Luftfahrtbetriebes, das gilt auch für die Verkehrspolitik allgemein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die emissionsabhängigen Start- und Landegebühren sind ein ähnliches marktwirtschaftliches Element, und hier meine ich, ist die Bundesregierung durchaus gefordert, in ihren Initiativen nicht nachzulassen. Und abschließend will ich sagen: Hier ist die Bundesregierung als Ganzes — also beide Ressorts, egal ob Umweltministerium oder Verkehrsministerium — unmittelbar gefordert. Dies liegt nicht in einer alleinigen Ressortzuständigkeit, sondern wir brauchen in der Klimaschutzpolitik eine schlüssige Strategie. Sie muß von Umwelt- und Verkehrspolitik gemeinsam gefunden werden.
Wir erwarten daher von der Bundesregierung einen internationalen Vorstoß, gemeinsam mit den Partnern in der Europäischen Gemeinschaft, zur Änderung internationaler Vereinbarungen über die zivile Luftfahrt, d. h. Einbringung umweltpolitischer Gesichtspunkte in den Luftverkehrsmarkt. Nationale und europäische Maßnahmen bei der Gebührenpolitik, die die Verringerung von Schadstoffemissionen zum
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11021
Lothar Ibrügger
Ziel haben, kommen hinzu. In diesem Sinne meinen wir, nicht die Worte, sondern die Taten entscheiden. Deswegen wollen wir mit der Überweisung des Antrages die Erörterung im Parlament beginnen, aber wir erwarten gleichzeitig auch die Taten der Bundesregierung.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212730900
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 12/2633 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch; dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 12/3651. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2121 zum Schutz der Ozonschicht und der Atmosphäre abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen kamen nicht vor. — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt weiterhin, den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Sofortverbot von ozonschädigenden Substanzen ebenfalls abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Die Frage nach Stimmenthaltungen erübrigt sich. Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
— Drucksache 12/3330 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 12/3687 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Regenspurger Fritz Rudolf Körper
Dr. Burkhard Hirsch
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/3688 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Deres
Ina Albowitz
Rudolf Purps

(Erste Beratung 110. Sitzung)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung hat der Ältestenrat für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. —

(Zuruf von der F.D.P.: Wo sind denn die Verteidiger bei der SPD?)

Ich höre keinen Widerspruch gegen diese Regelung.
Mir liegt nun folgende Empfehlung vor, die ich hiermit verkünde: Alle vorgesehenen Redner einschließlich des Herrn Staatssekretärs Bernd Wilz sollen ihre Reden zu Protokoll geben. Wir müssen dies beschließen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Damit sind alle Reden zu Protokoll genommen. *)
Ich bedanke mich, schließe die Aussprache und komme zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Wehrsoldgesetzes auf Drucksache 12/3330. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/3687, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung einstimmig angenommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Ermächtigung des Gouverneurs für die Bundesrepublik Deutschland in der Internationalen FinanzCorporation zur Stimmabgabe für eine Änderung des Abkommens über die Internationale Finanz-Corporation (IFC-Abkommensänderungsgesetz)

— Drucksachen 12/3321, 12/3552 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit (22. Ausschuß)

— Drucksache 12/3772 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen Feilcke Dr. Ingomar Hauchler
Ingrid Walz

(Erste Beratung 110. Sitzung)

Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre und sehe keinen Widerspruch; dann ist auch das so beschlossen.
*) Anlage 6
11022 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Vizepräsident Helmuth Becker
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst unserer Kollegin, der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Michaela Geiger, das Wort.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1212731000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie alle kennen den Spruch „Kleine Ursachen haben oft große Wirkungen". In dieser Debatte beschäftigen wir uns mit einer relativ unbedeutenden technischen Anpassung des Abkommens über die Internationale Finanz-Corporation, kurz IFC genannt. Diese Anpassung ist erforderlich, damit die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion mit den ihnen auf Grund ihrer Wirtschaftskraft zustehenden Anteilen in die IFC aufgenommen werden können. Als Mitglied der Weltbankgruppe gehört die IFC zu den Organisationen des Bretton-Woods-Systems, das 1944 mit dem Ziel einer weltweiten Mitgliedschaft ins Leben gerufen wurde. Der beginnende Kalte Krieg hat dann zunächst verhindert, daß die Sowjetunion und fast alle ihre Verbündeten Mitglieder von Währungsfonds und Weltbank wurden. Bei Gründung der Schwesterorganisation IFC im Jahre 1956 befand man sich auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, und an eine Mitgliedschaft der Sowjetunion war überhaupt nicht zu denken. Wie hätte die IFC in einer Zentralverwaltungswirtschaft auch privatwirtschaftliche Unternehmen fördern können?
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Beginn wirtschaftlicher und politischer Reformen — zuerst in Mittel- und Osteuropa, inzwischen auch in den meisten Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion — sind fast alle Reformländer inzwischen Mitglieder des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank geworden. Auch für die Internationale Finanz-Corporation gibt es dort jetzt zu tun. Private Wirtschaftstätigkeit ist zugelassen, und auch die Privatisierung der Staatsbetriebe kommt voran, wenn auch — aufgrund von Unkenntnis und Sorgen über die Risiken sowie des Widerstands der alten Kader in den neuen Unabhängigen Staaten — nur ganz langsam.
Das Engagement der Internationalen Finanz-Corporation in Osteuropa — beratend und investierend — ist aus deutscher Sicht außerordentlich erwünscht; hat Deutschland doch bisher die bei weitem größten finanziellen Beiträge zum Reformprozeß in Osteuropa geleistet und muß besonders daran interessiert sein, die Verantwortung und die finanziellen Lasten auf möglichst viele Schultern zu verteilen.
Für die Aufnahme der neuen Unabhängigen Staaten in die IFC ist eine selektive Kapitalerhöhung erforderlich, die den Anteil der bisherigen Mitglieder der IFC absenkt.
Die Vereinigten Staaten von Amerika — als bei weitem größter Anteilseigner der IFC — möchten aber verhindern, daß sich die strategische Position, die ihnen die Satzung bisher einräumt, verschlechtert. Eine Änderung der Satzung und insbesondere eine Kapitalerhöhung konnte bisher nicht ohne die Mitwirkung der USA beschlossen werden. Daß die Vereinigten Staaten diese Position beibehalten möchten, ist verständlich; denn sie müssen bei einer allgemeinen Kapitalerhöhung die bei weitem größten Beiträge einbezahlen.
Die Bundesregierung hat sich deswegen im Exekutivdirektorium der IFC mit den anderen Mitgliedern der Organisation darauf verständigt, die für Beschlüsse über Kapitalerhöhungen und Satzungsänderungen erforderlichen qualifizierten Mehrheiten so anzuheben, daß die USA bei Satzungsänderungen und Kapitalerhöhungen auch weiterhin nicht überstimmt werden können. Diese Entwicklung schützt im übrigen auch die Interessen der nächstgrößeren Mitglieder der IFC, wie z. B. Deutschland. Sie benötigen dadurch weniger Verbündete als bisher, um so zu verhindern, daß sie selbst in diesen entscheidenden geschäftspolitischen Fragen überstimmt werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur wenn das Gesetz noch in diesem Jahr in Kraft tritt, ist der deutsche Gouverneur der IFC, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, ermächtigt, der Abkommensänderung zuzustimmen. Angesichts unseres freundschaftlichen Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten wären diese sicher mehr als irritiert, wenn ein rechtzeitiges deutsches Votum ausbliebe. Das würde auch unseren Bemühungen, eine bessere Lastenverteilung bei der Bewältigung des Reformprozesses im östlichen Europa zu erzielen, zuwiderlaufen. Deshalb bitte ich Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, um Ihre Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212731100
Ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Ingomar Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1212731200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetz über eine Abänderung des Abkommens über die International Finance Corporation sollen die notwendigen Stimmenzahlen für Kapitalerhöhungen und für Satzungsänderungen dieser Organisation erhöht werden. Die IFC ist eine Tochter der Weltbank. Sie verfügt über ein Kapital von 2,3 Milliarden Dollar. Ihre Aufgabe ist es, Privatinvestitionen in Entwicklungsländern zu fördern. Die Erhöhung der Stimmgrenzen zugunsten der USA soll erfolgen von 75 % auf 80 % bei Kapitalerhöhungen und von 80 % auf 85 % bei Satzungsänderungen.
Konkreter Anlaß ist die Aufnahme der GUS in diese Organisation, nachdem diese Staaten auch in den Internationalen Währungsfonds aufgenommen worden sind. Wir begrüßen, daß die GUS-Staaten jetzt auch Mitglied dieser internationalen Organisation sind. Wir können aber nicht diesem Gesetz zustimmen, das vorsieht, daß das Vetorecht der USA mit einer solchen Anhebung der Vetogrenzen nicht nur zementiert, sondern noch verstärkt wird. Wir lehnen dieses Gesetz also ab. Es behindert die Internationale Finanz-Corporation in ihrem Bewegungsspielraum, verhindert also praktisch Kapitalerhöhungen.
Der zweite Gesichtspunkt ist, daß es notwendige Reformen in dieser Organisation verhindert, weil Satzungsänderungen gar nicht mehr möglich sind, ohne daß die USA als einziger Staat — unter 140 Mitgliedern — zustimmt.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11023
Dr. Ingomar Hauchler
Drittens. Dieses Vorhaben widerspricht der restriktiven Rolle der USA, die sie seit den achtziger Jahren im internationalen Finanzsystem und in der internationalen Gemeinschaft spielt.
Viertens. Es widerspricht generell den Reformvorstellungen zur Weiterentwicklung der internationalen Institutionen. Wir wollen die Inflexibilität des internationalen Systems nicht durch die Zementierung eines Vetos erhöhen, sondern die internationalen Organisationen handlungsfähiger und flexibler machen.
Zum ersten Punkt: Eine Absenkung der Vetogrenzen behindert in unvertretbarer Weise Kapitalerhöhungen in dieser Organisation. — Wir sind der Meinung, daß in Zukunft zusätzliche Mittel der IFC notwendig sind, um auch mehr privates Kapital für die Entwicklungsländer zu aktivieren. Wenn wir daran denken, wie restriktiv sich die Vereinigten Staaten bei Bestrebungen zur Erhöhung des Weltbankkapitals in den vergangenen Jahren verhalten haben, so schwant uns nichts Gutes, wenn es darum geht, daß die internationale Gemeinschaft will, daß die IFC in Zukunft ihr Kapital erhöht.
Der zweite Punkt: Eine Absenkung der Vetogrenzen verhindert Satzungsänderungen, um die Politik der International Finance Corporation so zu reformieren, daß sie in Zukunft den Herausforderungen gewachsen ist. — Zum einen geht es darum, daß diese Organisation einen stärkeren Akzent auf Investitionen in armen und ärmsten Entwicklungsländern legt. Dort ist die Not am größten. Dort müssen Fluchtursachen bekämpft werden. Dort hat sich das private Kapital in den vergangenen Jahren zurückgezogen.
Wir möchten, daß sich diese Organisation stärker als bisher in diesen Regionen engagiert. Wir möchten auch, daß der Akzent hinsichtlich der Aufgaben dieser Organisation verändert wird. Sie hat sich bisher in erster Linie im Finanzwesen, im Bauwesen und im Bereich der Chemie engagiert, also auf Gebieten, in denen die Großkonzerne stark sind und allein international das Sagen haben.
Wir möchten, daß die Ernährungssicherung, die landwirtschaftliche Entwicklung stärker in Gang kommt. Dazu brauchen wir auch die Aktivierung von privatem Kapital. Und die IFC ist dazu da, privates Kapital stärker zu aktivieren.
Wir können es nicht verstehen, daß durch die Absenkung der Veto-Grenze die Stellung der USA zementiert wird und alle Satzungsänderungen, die zwar nicht im Belieben der USA stehen, aber im Interesse der sonstigen Weltgemeinschaft, verhindert werden können.
Wir wollen, daß sich die Politik dieser Organisation auch insofern ändert, als in Zukunft — genauso wie das bei der Weltbank heute beginnt — auch der Gesichtspunkt der Umweltverträglichkeit eine größere Rolle bei den Investitionen spielen soll.
All diese Gründe — Akzent auf ärmere Regionen; Akzent auf Ernährung und Landwirtschaft, also auf anderen Sektoren; und Akzent auf Umweltverträglichkeit —, all das rechtfertigt, daß wir dieses Gesetz ablehnen, weil nämlich durch das zementierte Veto der USA die Gefahr besteht, daß genau diese Politik in Zukunft nicht durchgesetzt werden kann.
Zum dritten Gesichtspunkt: Eine Absenkung der Vetogrenzen ist nicht vereinbar mit der Rolle, welche die USA in den letzten zehn Jahren in der Entwicklungspolitik generell und in der internationalen Zusammenarbeit gespielt haben. — Wem ist nicht bekannt, daß die USA seit Jahren der größte Schuldner im UN-System sind!? Die USA haben bis heute noch rund 750 Millionen Dollar Schulden bei der Weltgemeinschaft. Rechtfertigt diese restriktive Rolle, die die USA in den ganzen achtziger Jahren in der UNO gespielt haben, Frau Staatssekretärin, daß Sie sagen: Wir haben Verständnis für die USA, daß sie ihre Position nicht aufgeben wollen? Also ich weiß nicht, wie Sie zu solchen Aussagen kommen. Sie als Staatssekretärin der deutschen Bundesregierung müßten doch daran interessiert sein, daß die europäische und die deutsche Stimme in diesen internationalen Organisationen gestärkt wird.

(Beifall bei der SPD)

Das ist ja fast eine Pflichtverletzung, der Sie sich hier schuldig machen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gehen Sie nicht zu weit!)

Nicht nur im Hinblick auf restriktive Finanzierung bei UNO, Weltbank und IWF haben die USA in den vergangenen Jahren eine unrühmliche Rolle gespielt; bei der UNO Schulden, bei Weltbank und IWF lange Jahre Blockaden gegen eine Kapitalerhöhung. Die USA haben auch eine unrühmliche Rolle in inhaltlichen, politischen Fragen gespielt. Man denke an die Rio-Konferenz. Es war doch so, daß lange Zeit ein Scheitern der Klimakonvention deshalb drohte und dann nur ein verwässertes Ergebnis herauskam, weil wiederum die USA auch in Umweltfragen die restriktivste Politik vertreten haben.
Ich kann nicht verstehen, daß die deutsche Bundesregierung das weiter mitmacht und einem solchen Vertrag zustimmen will.
Viertens. Die Senkung der Veto-Grenzen bei der IFC und damit auch die Festigung des Veto-Prinzips in multilateralen Institutionen widerspricht diametral unserem — ich denke — gemeinsamen Ziel, diese internationalen Institutionen flexibler, demokratischer und handlungsfähiger zu machen.
Es läuft die Diskussion um die Reform der UNO. Ziel ist, daß die UNO, aber auch die Bretton-WoodsInstitutionen, die im weitesten Sinne zu der UNO gehören, daß also die UNO und diese anderen Institutionen wie die IFC, überhaupt vom Prinzip des Vetos herunterkommen. Es geht nicht an, 45 Jahre nach Gründung dieser Institutionen immer noch Positionen zu festigen und zu unterstützen, die eigentlich nur in einer Zeit der Nachkriegssituation gerechtfertigt waren. Die Siegermächte haben damals bestimmt, wer ein Veto in der UNO hat. Und die USA haben sich damals ein Veto-Recht exzessivster Art in den internationalen Finanzinstitutionen gesichert.
Wollen wir das weiter mitmachen? Ist es nicht Zeit, zu sagen: Wir können es nicht zulassen, daß einzelne Großmächte ein Veto im internationalen System haben, die in der Vergangenheit immer wieder Entwicklungen der UNO blockiert und verhindert haben, daß die UNO handlungsfähiger wird.
11024 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Dr. Ingomar Hauchler
Ich denke, gerade auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik und auf dem Gebiet der Umweltpolitik müssen wir endlich zu einem handlungsfähigeren System im internationalen Bereich kommen, und das setzt zwingend voraus, daß Vetos abgeschafft werden.
Deshalb stimmen wir gegen dieses Gesetz. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212731300
Meine Damen und Herren, unsere Frau Kollegin Ingrid Walz hat den Wunsch, ihre Rede zu Protokoll zu geben.*) Ich hoffe, daß wir diesem Wunsch entsprechen können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen KlausJürgen Hedrich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Drei Sätze, wie versprochen!)


Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1212731400
— Wie versprochen!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst darf ich die anwesenden Mitglieder der Koalition bitten hierzubleiben, denn wir brauchen eine Mehrheit.

(Heiterkeit — Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das hätte uns auch leise gesagt werden können!)

Zweitens möchte ich mich bei der Frau Staatssekretärin bedanken, daß sie schon ohne mich angefangen hat; denn mir hatte man gesagt, ich solle um viertel nach acht hier sein. Nun gut. Nun komme ich nicht darum herum, doch noch ein paar Worte zu sagen.
Eine ernsthafte Bemerkung: Lieber Kollege Ingomar Hauchler, ich finde es schon etwas ungewöhnlich, eine doch sehr massive Kritik der Vereinigten Staaten gerade an einem Tag vorzunehmen, an dem diese Nation — stellvertretend für die freie Welt — in einem Land interveniert, wo Hunderttausende vom Hungertod bedroht sind. Ich glaube, das ist kein angemessener Vorgang.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In der Gesamtbewertung der hier anstehenden Frage, nämlich der Hineinnahme der Staaten der ehemaligen Sowjetunion, möchte ich nur folendes feststellen: Es gibt häufig den versteckten, zum Teil aber auch offen erhobenen Vorwurf oder Verdacht, die Bundesrepublik Deutschland wolle sich durch ihre überaus große Intervention und ihren Beitrag zur Finanzierung des Wiederaufbaus in den Ostblockstaaten nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Machtblocks eine gewisse Dominanz in Osteuropa sichern. Diesem entgegenzuwirken ist am besten dadurch Sorge getragen, daß sich die Vereinigten Staaten, die Westeuropäer und die Japaner stärker als bisher finanziell, personell und wirtschaftlich engagieren.
*) Anlage 7
Darüber hinaus begrüßen wir ausdrücklich das Engagement der hier zur Diskussion stehenden Tochter der Weltbank durch den Aufbau mittelständischer und privatwirtschaftlicher Institutionen in Osteuropa.
Deshalb begrüßen wir ausdrücklich dieses Gesetzesvorhaben, und Sie, werte Kollegen der Opposition, werden sich nicht wundern, daß die Koalition dem Gesetzesvorhaben zustimmen wird, denn wir sind mit dem 31. Dezember an eine Terminvorgabe gebunden.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212731500
Die letzte Wortmeldung zu diesem Tagesordnungspunkt: unsere Kollegin Dr. Barbara Höll.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1212731600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung, der im Eilverfahren durch die parlamentarischen Gremien gejagt wird, ist aus Sicht der PDS/Linke Liste sowohl einer formalen als auch einer inhaltlichen Kritik zu unterziehen.
Die Beschlußempfehlung und der Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit sind eine Zumutung, und das ist wirklich untertrieben. Auf der Seite 4 der Beschlußempfehlung findet sich im ersten Abschnitt die Behauptung, der Bundestag habe diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, und zwar — man höre! — in der 150. Sitzung am 29. Oktober 1992, überwiesen. In einem Satz drei faustdicke — sagen wir es parlamentarisch — Unwahrheiten.
Eine 150. Sitzung des Bundestages hat es noch nicht gegeben. Heute tagt dieses Plenum erst zum 127. Male. Am 29. Oktober fand zwar die in dem Bericht erwähnte Sitzung des Bundestages statt, überwiesen wurde dieser Gesetzentwurf jedoch bereits in der Sitzung am 9. Oktober. Besonders pikant ist, daß der Bundestag diesen Gesetzentwurf jedoch nicht dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur federführenden Beratung überwiesen hat, sondern dem Ausschuß für Wirtschaft. Der Stenographische Bericht der 110. Sitzung enthält auf Seite 9312B den vom Bundestag übernommenen Überweisungsvorschlag.
Ich weiß, daß auch der Hinweis auf eklatante Formfehler die Abgeordneten von CDU/CSU und F.D.P. nicht davon abbringen wird, hier Gefolgstreue zu beweisen und dem Gesetzentwurf zuzustimmen, dessen Beratung noch nicht einmal den parlamentarischen Mindeststandards genügt hat.

(Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Können Sie nicht mal etwas zur Sache sagen?)

Die Koalitionsfraktionen sollten wenigstens so ehrlich sein und — analog zur EG und zu dem Vertrag von Maastricht — der Regierung die Gesetzgebung überlassen und sich aufs Mahnen und Warnen beschränken.
Die PDS/Linke Liste lehnt diesen Gesetzentwurf ab, weil wir nicht billigen, daß den Vereinigten Staaten
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11025
Dr. Barbara Höll
auch weiterhin ein Veto-Recht für Satzungsänderungen und Kapitalerhöhungen zugestanden wird.
Die im Frühjahr beschlossene Aufnahme der Nachfolgestaaten der Sowjetunion in die IFC entpuppt sich als Propagandamanöver. Eine Finanzkooperation findet nicht statt. Die Weltbank, deren Kreditvergabekriterien jedes nach Unabhängigkeit strebende Land in die Knie zwingen und dem Diktat des Dollars und den Interessen der mit einem Veto-Recht ausgestatteten amerikanischen Regierung aussetzen, gestattet ihrem Filialunternehmen IFC, die GUS dem gnadenlosen Kommando kapitalistischer Rationalität zu unterwerfen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Das den USA erneut zugestandene Veto-Recht soll gewährleisten, daß die Interessen der westlichen Welt weltweit durchgesetzt werden. Begrenzte Kriege und Invasionen wie in Grenada sind nicht ausdrücklich ausgeschlossen, und das ist die Konsequenz dieses Handelns.
Die Interessen der Weltbank und der IFC sind nicht die Interessen der Menschen in den Ländern der sogenannten Dritten Welt.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Schwachsinn!)

Deshalb wird die PDS/Linke Liste diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber schlimm!)

Ich danke Ihnen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212731700
Meine Damen und Herren, Frau Dr. Höll hat natürlich recht: Dies kann nicht in der 150. Sitzung gewesen sein, und deswegen wollen wir das Protokoll berichtigen. Es muß sich um eine andere Sitzung gehandelt haben.
Meine Damen und Herren! Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Abkommens über die Internationale Finanz-Corporation auf Drucksachen 12/3321 und 12/3552.
Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit empfiehlt auf Drucksache 12/3772, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. —Die Gegenprobe! —Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Rechtsgleichstellung von Homosexualität und
Heterosexualität im Strafrecht (Sexualgleichstellungsgesetz)

— Drucksachen 12/850, 12/3865 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Eylmann Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Interfraktionell ist für die Aussprache eine FünfMinuten-Runde vereinbart worden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
In der Aussprache erteile ich zunächst unserer Frau Kollegin Dr. Barbara Höll das Wort.

(Zuruf von der SPD: Zu Protokoll! — Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Nein!)


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1212731800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damen sind ja nicht mehr sehr viele anwesend, aber sie sind ja sowieso nicht so stark im Parlament vertreten.

(Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Es sind zwar wenige, aber die sind stark!)

Die PDS/Linke Liste möchte mit der heutigen Debatte darauf hinwirken, daß die Streichung der §§ 175 und 182 Strafgesetzbuch sowie des § 149 Strafgesetzbuch der DDR stärker im öffentlichen Bewußtsein bleibt und der parlamentarische Gang der Dinge endlich beschleunigt wird. Dies erscheint uns insbesondere im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Verfassungsdiskussion notwendig.
Der Art. 3 des Grundgesetzes konnte bisher nicht die tatsächliche Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz gewährleisten. Bereits das Vorhandensein des § 175 Strafgesetzbuch in seiner leidvollen deutschen Geschichte diskriminiert potentiell alle Menschen mit homosexueller Identität, insbesondere schwule Männer, zu dessen Begründung zudem immer noch die mittelalterliche Sittenwidrigkeit herangezogen wird. Dies zieht eine Ungleichbehandlung im Einkommens- und Steuerrecht, im Erbrecht, im Adoptions- und Ausländerrecht und in dem Recht auf Zeugnisverweigerung nach sich.
Letztendlich geht es hier um die Verdrängung und Diskriminierung von Menschen, die ebenfalls in Partnerschaft leben wollen. Ihnen wird das Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre, wie sie die bürgerliche Ehe trotz aller Kritikwürdigkeit momentan bietet, verwehrt. Ohne die Streichung des § 175 Strafgesetzbuch, welche als Signal innerhalb der Gesellschaft verstanden werden wird, wird sich kaum eine Änderung dieser diskriminierenden Lebenssituation schwuler und lesbischer Menschen ergeben.
Art. 12 Abs. 2 der brandenburgischen Verfassung sollte deshalb auch für unsere Verfassungsdiskussion maßgeblich sein. Ich zitiere:
Niemand darf wegen seiner Rasse, Abstammung, Nationalität, Sprache, seines Geschlechts, seiner sexuellen Identität, seiner Herkunft oder Stellung, seiner Behinderung, seiner religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung bevorzugt oder benachteiligt werden.
11026 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992
Dr. Barbara Höll
Der erreichte Diskussionsstand, insbesondere die Beschlußfassung des Bundesrates, lassen uns hoffen, daß die §§ 175 und 182 Strafgesetzbuch möglichst bald gestrichen werden. Die Notwendigkeit dafür ergibt sich nicht nur aus der Verfassungsdiskussion und aus der bestehenden Rechtsungleichheit in Ost- und Westdeutschland, sondern auch aus der Rechtspraxis. Immerhin wurden im Jahre 1989 in Westdeutschland 151 Menschen und 1990 125 Menschen nach § 175 Strafgesetzbuch verurteilt. Im März 1990 befanden sich zehn Strafgefangene wegen des Vollzugs homosexueller Handlungen gemäß § 175 Strafgesetzbuch in Justizvollzugsanstalten.
Vergleicht man damit die Zahl der Verurteilungen nach § 182 Strafgesetzbuch, so zeigt sich, daß er in der Realität schon obsolet ist. 1989 gab es in den alten Bundesländern 15 Verurteilungen nach diesem Paragraphen, 1990 waren es 22.
Das jahrelange Verzögern der Anträge der GRÜNEN im 10. und 11. Bundestag, unseres Antrages im 12. Bundestag und der Initiative der Freien und Hansestadt Hamburg machen deutlich, daß es immer noch sehr schwerfällt, über Fragen der menschlichen Sexualität diskutieren zu können.
Unserer Meinung nach ist die Komplexität menschlicher Sexualität mit vor allem moralischer strafrechtlicher Reglementierung unvereinbar. Die Sexualität des Menschen kann nicht in enge Schemen gepreßt, sie darf nicht kriminalisiert werden. Sexualität ist eine wichtige, in ihrer freien Entfaltung unverzichtbare Fähigkeit des Menschen zu kommunizieren, zu existieren. Deshalb halten wir es für notwendig zu überlegen, inwieweit das Kriterium Sexualität im Strafrecht Sinn macht. Man sollte überlegen, inwieweit darüber anders zu diskutieren ist; denn es ist unbestritten, daß z. B. eine Vergewaltigung nichts mit Sexualität zu tun hat, sondern die Anwendung von Gewalt durch Männer gegenüber Frauen ist.
Die Frage der Streichung der §§ 175 und 182 Strafgesetzbuch sowie des § 149 Strafgesetzbuch der DDR wirft des weiteren natürlich auch die Frage auf, wie z. B. kindliche Sexualität zu verstehen ist. Es existiert ein Referentenentwurf, den wir hoffentlich bald zu Beginn des nächsten Jahres diskutieren werden.
Aber ich denke, die entstandene Situation in Deutschland sollte doch so weit sein, daß man sich hier auch in bezug auf die Jugendschutzvorschriften den Realitäten annähert.
Insbesondere die Einbindung der Streichung dieser Paragraphen in die Diskussion über die Grundrechte des Menschen und das Recht auf sexuelle Identitätsfindung in dem dafür notwendigen gesellschaftlichen Rahmen halten wir für entscheidend.
Ich möchte abschließend auf eine Frau bzw. einen Mann verweisen, die bzw. der mit ihrer bzw. seiner Biographie für ein Stück deutscher Sexualgeschichte steht. Lothar Berfelde, eigentlich Charlotte von Mahlsdorf, der mit viel Glück durch die Zeit des Hitlerfaschismus gekommen ist, der trotz etlicher Diskriminierungen auch die Zeit der DDR gut überstanden hat, hat im vergangenen Jahr nach einem Überfall rechter Skinheads auf einer Feier von Lesben
und Schwulen in seinem Garten erwogen, Deutschland nun doch endgültig verlassen zu müssen. Andererseits gibt mir die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes durch Herrn von Weizsäcker an Charlotte von Mahlsdorf Hoffnung, daß wir uns in dieser Frage doch ein Stück weit bewegen können.
Ich danke Ihnen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212731900
Frau Kollegin Dr. Höll, erstens haben Sie die Redezeit um eine Minute überschritten, zweitens haben Sie kritisiert, wie viele Leute hier anwesend sind. Ich bitte, dieses alles zu bedenken. Wenn wir hier anfangen zu kritisieren, wer wann da ist, dann müßte ich häufig einige Bemerkungen zur Anwesenheit der Gruppen sagen. Ich will das unterlassen; aber dann bitte auch nicht umgekehrt.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Christina Schenk das Wort.

Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1212732000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in diesem Hause sicher schon des öfteren deutlich geworden, daß ich zumindest punktuell durchaus Sympathien für die Anträge und Gesetzentwürfe habe, die von der PDS/Linke Liste hier eingebracht werden. Ich verstehe durchaus auch die Ungeduld gegenüber der zuweilen recht strapaziösen Länge des Gesetzgebungsverfahrens, insbesondere natürlich im Hinblick auf die strafrechtliche Altlast § 175 Strafgesetzbuch, die von der Alt-BRD in den deutschdeutschen Zusammenschluß eingebracht worden ist.
Ich kann dennoch nicht erkennen, daß es in dieser Legislaturperiode absichtliche Verzögerungen oder Verschleppungen bei der Behandlung dieses Themas einer Beseitigung der in Westdeutschland bislang fortbestehenden strafrechtlichen Diskriminierung schwuler Männer gegeben hat, wie es die PDS offenbar argwöhnt.
Nachdem der Entwurf der Bundesregierung, der ohne jede nachvollziehbare Begründung die Schutzaltersgrenze bei sexuellen Kontakten von 14 auf 16 Jahre heraufsetzen und dabei auch weibliche Jugendliche in den potentiellen Täterkreis einbeziehen wollte und zudem den völlig unakzeptablen Versuch machte, auf den sexuellen Mißbrauch abzuzielen, indem dieser als Ausnutzung von Unreife bzw. Unerfahrenheit des Opfers definiert worden war, bei der Anhörung des Ausschusses für Frauen und Jugend des Bundesrates im März dieses Jahres eine vernichtende Kritik erfahren hat, scheint es nunmehr tatsächlich positive Ansätze zu geben.
Es sieht gegenwärtig so aus — ich sage das nicht ohne Genugtuung —, daß die Bundesregierung, zumindest laut Pressemitteilung des Bundesrates, einen Entwurf einbringen wird, der der Forderung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN folgt, die §§ 175 und 182 des westdeutschen Strafgesetzbuches sowie § 149 des Strafgesetzbuches der DDR zu streichen.
Allerdings hat es die Bundesregierung offenbar nicht vermocht, es dabei bewenden zu lassen. Nach bisher vorliegenden Informationen richtet sich der zu erwartende Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen kommerzielle sexuelle Kontakte zwischen Men-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1992 11027
Christina Schenk
schen über 21 und unter 16 Jahren. Ich meine jedoch, heute ist nicht der Zeitpunkt, dies zu diskutieren, denn der Gesetzentwurf liegt nicht vor.
So verstehe ich offen gestanden auch das Bedürfnis der PDS nicht, zum jetzigen Zeitpunkt eine Debatte vom Zaun zu brechen oder hier haben zu wollen über etwas, was noch gar nicht existiert.
Vielen Dank.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1212732100
Meine Damen und Herren, die Kollegen Horst Eylmann, Jürgen Meyer und Jörg van Essen möchten Ihre Reden zu Protokoll geben.*) Ich hoffe, daß Einverständnis besteht. — Ich
*) Anlage 8
höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wir sind damit am Ende der Beratungen zu Tagesordnungspunkt 10.
Ich möchte Frau Kollegin Dr. Höll noch darauf aufmerksam machen, daß es sich um einen Irrtum handelte: Es war, wie wir inzwischen ermittelt haben, nicht die 150., sondern die 115. Sitzung. Das wird im Protokoll berichtigt.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 10. Dezember 1992, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.