Gesamtes Protokol
Ich eröffne die Sitzung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Meine Damen und Herren, die Themen der Kabinettssitzung, die der Chef des Bundeskanzleramtes mitgeteilt hat, sind den Fraktionen bekannt. Ich kann also davon ausgehen, daß Sie sich entsprechend einstellen.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat heute ein umfassendes Verwendungsverbot von Fluorchlorkohlenwasserstoffen und Halonen beschlossen. Damit ist in der Bundesrepublik Deutschland der entscheidende Schritt zu einem stufenweisen Ausstieg aus Verbrauch und Produktion der für den Abbau der Ozonschicht und für die Verursachung des Treibhauseffektes bedeutsamen Stoffe getan worden.Mit dieser auf der Grundlage des Chemikaliengesetzes erlassenen Verordnung werden das Inverkehrbringen, die Verwendung und teilweise auch die Herstellung des geregelten Stoffbereiches des sogenannten Montreal-Protokolls in den entscheidenden Einsatzbereichen geregelt und bis zum Jahr 1995 verboten. Dabei handelt es sich — ich darf es noch einmal sagen — um die sogenannten geregelten Stoffe des Montreal-Protokolls, darüber hinaus aber auch um die sogenannten teilhalogenierten Stoffe R 22 sowie um die zusätzlichen Stoffe Tetrachlorkohlenstoff und Methylchloroform.Diese Stoffe sind von hoher Bedeutung. Sie werden gegenwärtig als Treibmittel im Schaumstoffbereich, bei Lösungsmitteln, bei Kältemitteln und Löschmitteln eingesetzt.Das in der Verordnung geregelte Verbot von FCKW und Halonen erfolgt zeitlich abgestuft nach den Einsatzmöglichkeiten von Ersatzstoffen. Die ersten Verwendungsverbote treten drei Monate nach der Verkündung der Verordnung in Kraft. Als letztes erfolgt der Ausstieg aus der Verwendung der teilhalogenierten Stoffe.Für bestimmte Anwendungsbereiche sind generelle oder Einzelausnahmen vorgesehen. Es ist eine sehr differenzierte Zeitskala ebenso vorgesehen wie eine Kennzeichnungsverpflichtung, die diesmal eine Positivkennzeichnung ist, also: „enthält ozonabbauendes FCKW" oder: „enthält ozonabbauendes Halon" ; „ist drei Monate nach Inkrafttreten dieser Verordnung zu kennzeichnen" .Es ist darüber hinaus klargestellt worden, daß auch in der Produktion entsprechende Verminderungen vorgenommen werden müssen. Bis 1995 werden wir in der Bundesrepublik Deutschland auch aus der Produktion dieser Stoffe aussteigen; Ersatz in Anlagen dieser Firmen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland wird nicht geschaffen.Mit der nun beschlossenen Verordnung hat die Bundesregierung den einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. März 1989 vollständig umgesetzt. Bis zum Jahr 1995 wird die Bundesrepublik Deutschland damit als erstes Land der Welt aus Produktion und Verbrauch von FCKW aussteigen. Mit der Aufnahme der teilhalogenierten FCKW R22 setzen wir darüber hinaus weltweit ein neues Signal. Für die Bundesregierung ist die Verwendung teilhalogenierter FCKW auf Dauer keine Lösung der Ozonproblematik. Wir erwarten daher, daß sich die deutschen Hersteller und Anwender Ihrer Verantwortung bewußt sind und diese teilhalogenierten Stoffe aus der Produktion und dem Verbrauch herausnehmen.Herr Präsident, meine Damen und Herren, mit dieser Verordnung haben wir weltweit ein Signal gesetzt. Ich hoffe, daß es möglich sein wird, bei der MontrealFolgekonferenz in London im nächsten Monat auch international zu einer wesentlichen Verschärfung auf diesem Gebiet zu kommen. Ich darf daran erinnern, daß der gegenwärtige Zeitplan lediglich eine Halbierung dieser Stoffe bis zum Ende dieses Jahrzehnts vorsieht. Wir halbieren nicht in den nächsten zehn Jahren. Wir beenden vielmehr die Verwendung dieser Stoffe bis 1995. Das ist ein Vorgehen, das weltweit einmalig ist und das zeigt, daß wir die Herausforderungen zum Schutz der Ozonschicht ebenso ernst nehmen wie die Maßnahmen, dem Treibhauseffekt entgegenzusteuern.
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16718 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990
Bundesminister Dr. TöpferVielen Dank.
Dann erteile ich zunächst einmal der Abgeordneten Frau Ganseforth das Wort zu einer Frage.
Herr Minister, das Montrealer Protokoll ist nicht ausreichend gewesen. Darüber waren wir uns ja einig. Auch der Beschluß des Bundestages, der als ersten Schritt freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie vorgesehen hat, hat nicht zum Erfolg geführt. Insofern sind wir froh, daß endlich das kommt, was schon lange nötig war, nämlich die Verbote.
Ich habe eine Frage. Sie haben gesagt, die teilhalogenierten Ersatzstoffe werden teilweise oder ganz in Fristen zurückgenommen. Bis wann sind die Schritte vorgesehen? Die Industrie ist ja sehr interessiert, in die Produktion von F 22 und von teilhalogenierten Stoffen einzutreten. Auch weil die Abschreibung der Anlagen dann natürlich eine Rolle spielt, wollen sie Zeitvorgaben haben. Wir werden, wenn sie groß einsteigen, enorme Schwierigkeiten haben, wieder herauszukommen. Welches sind die Schritte und die Zeiten, die Sie für die Teilhalogenierten in Ihrer Verordnung vorsehen?
Herr Bundesminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich darf zunächst Ihre Wertung, daß dies weltweit ein zentraler Schritt nach vorne zur Beendigung der Produktion und des Verbrauchs dieser Stoffe ist, sehr nachhaltig unterstreichen.
Bei den Teilhalogenierten ist weltweit gegenwärtig überhaupt kein Minderungszeitplan vorgesehen. Ganz im Gegenteil: Es wird ganz eindeutig darauf hingearbeitet, den Ersatz der Vollhalogenierten durch die Teilhalogenierten auf Dauer zu nutzen.
Wir haben in der Verordnung klargestellt, daß auch die Nutzung von R 22 bis spätestens 1999 zu Ende sein muß. Auch damit haben wir einen Zeitplan, der weltweit überhaupt nicht bedacht oder aufgenommen wird. Wir sind damit einen wesentlichen Schritt vorangegangen.
Möchten Sie nachfassen?
Ich habe noch eine zweite Frage.
Bitte schön.
Meine zweite Frage befaßt sich mit den Halonen. Die Halone haben ja ein Ozonzerstörungspotential, das erheblich größer ist als das von FCKW, nämlich um den Faktor 3 bis 10.
Wir haben bei den letzten Anhörungen gehört, daß man auf die Halone, die ja in Feuerlöschern in großem und kleinem Maßstab eingesetzt werden, völlig verzichten könnte, da Ersatzstoffe — Wasser und CO2 — da sind, die die gleichen Eigenschaften haben, nur für die Industrie wahrscheinlich nicht so lukrativ sind. Welche Zeiten für den Ausstieg aus den extrem ozonzerstörenden oder ozonschädigenden Halonen haben Sie vorgesehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben für die Halone zwei unterschiedliche Teilbereiche, einmal den Bereich der Handfeuerlöscher. Dort ist das Verbot der Verwendung bereits 1992 einzuhalten. Wir haben darüber hinaus die stationären Anlagen zur Brandbekämpfung. Sie wissen, daß diese nur in ganz besonders sensiblen Bereichen der Brandbekämpfung eingesetzt werden. Dort ist der Ausstieg im Jahre 1995/96 beginnend vorzunehmen.
Hier haben wir aber darüber hinaus die Regelung, daß in solchen stationären Anlagen ein entsprechendes Recycling, also eine Aufnahme der Stoffe nach Gebrauch, zu sichern ist. Wir haben vor allen Dingen ebenfalls sichergestellt, daß entsprechende Übungen mit solchen Feuerlöschanlagen nicht mehr durchgeführt werden.
Dies sind die Voraussetzungen dafür, daß wir auch von diesem Stoff in sehr kurzer Zeit wegkommen.
Ich habe nicht richtig verstanden, bis wann Sie total ausgestiegen sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei Handfeuerlöschern bis 1992 und bei stationären Brandbekämpfungsanlagen Ende 1995, also mit dem Jahre 1996 Ausstieg.
Weitere Fragen werden an den Bundesminister nicht gestellt.
Jetzt ist als nächstes an sich der Bericht des Bundesministers über die Ausgestaltung der Umweltunion durch ein Umweltrahmengesetz der DDR vorgesehen. Dieser Bereich — darauf mache ich aufmerksam —wird gleich in der Aktuellen Stunde behandelt, so daß es vielleicht sinnvoller ist, daß wir jetzt zum Schengener Abkommen übergehen. — Einverstanden.
Dann bitte ich, die Fragen zum Bericht über den Stand der Verhandlungen zum Schengener Zusatzabkommen zu stellen.
— Normalerweise ist der Bericht nur einmal zu geben. Ich meine, es ist vom Sachverhalt her nicht nötig, daß das noch einmal geschieht.
Als erster hatte sich, glaube ich, der Abgeordnete Brück gemeldet. Bitte sehr.
Herr Präsident! Ich würde gerne von der Bundesregierung wissen, ob der Bericht, der dem Kabinett vorgelegen hat, ergeben hat, daß das Schengener Abkommen jetzt unterzeichnet werden wird.
Wer antwortet? — Staatsminister Stavenhagen.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Beim Schengener Zusatzabkommen war der zentrale Punkt, der die Zeichnung am 15. Dezember nicht möglich machte, die unterschiedliche Behandlung der Freizügigkeit für die Deutschen in der DDR und die
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30, Mai 1990 16719
Staatsminister Dr. Stavenhagen
Deutschen in der Bundesrepublik. Dieser Punkt ist ausgeräumt, weil die Schengen-Partner zum 1. Juni, also übermorgen, die Visapflicht für Deutsche in der DDR aufheben werden und die DDR ihrerseits ein Gleiches macht. Nun ist das zentrale Problem ausgeräumt.
Ein weiterer Punkt, der eine Rolle spielte, war die Doppelrolle der innerdeutschen Grenze, zugleich Schengen-Außengrenze. Dieses Problem hat sich dadurch wesentlich erleichtert, daß ich den Schengen-Partnern klarmachen konnte, daß nach menschlichem Ermessen die deutsche Einheit hergestellt sein wird, bevor das Schengener Abkommen ratifiziert ist und in Kraft tritt, so daß dieser Punkt dann gegenstandslos wird. Wir werden in das Schengener Abkommen den Zusatz aufnehmen, daß wir es in der Perspektive der deutschen Einheit abschließen und dann das Gebiet der heutigen DDR Schengen-Gebiet wird. Ich habe in meiner Delegation einen Vertreter der Regierung der DDR. Das ist also auch mit der DDR eng abgestimmt.
Zusatzfrage, bitte schön.
Habe ich richtig verstanden, Herr Staatsminister, daß das Schengener Abkommen erst dann in Kraft tritt, wenn die deutsche Einheit vollendet ist?
Herr Kollege, es gibt einen normalen Zeitablauf. Das Abkommen ist ratifizierungspflichtig. Nach Einschätzung des niederländischen Vorsitzes bedarf die Ratifizierung in fünf Ländern etwa ein bis anderthalb Jahre. Das heißt, die niederländische Regierung geht davon aus, daß es Ende 1991 ratifiziert ist. Wir gehen davon aus, daß nach menschlichem Ermessen die staatliche Einheit Deutschlands vorher hergestellt ist.
— Ein Jahr vorher.
Herr Abgeordneter Nöbel.
Herr Staatsminister, wir kennen alle die Sorgen und Nöte bei Bundesgrenzschutz und Zoll. Inwieweit reicht die Ersatzbeschaffung für den Bundesgrenzschutz beim Einsatz zur Sicherung in Flughäfen? Wie viele bleiben da noch betroffen? Beim Zoll stellt sich diese Frage natürlich noch globaler.
Herr Kollege, wir haben vor längerer Zeit — im einzelnen müßten hier der Innenminister und auch der Finanzminister berichten — sehr sorgfältige Erhebungen angestellt, was bei Inkrafttreten — nicht bei Zeichnung — des Schengener Abkommens an Personalumsetzungen erforderlich wird. Das ist mit den Personalräten und den Betroffenen besprochen worden. Es bleibt jeweils im Bereich weniger hundert, die anderweitig verwendet werden müssen. Dem wird in der Personalplanung schon heute Rechnung getragen. Ich bitte um Nachsicht, daß ich hier nicht abschließend und umfassend vortragen kann, weil das in die beiden Ressorts BMI und BMF fällt. Aber das Thema ist in diesen Häusern seit weit über einem Jahr, seit zwei Jahren sehr intensiv in Arbeit.
Zusatzfrage, bitte schön.
Ist damit zu rechnen, Herr Staatsminister, daß durch das Schengener Abkommen unser Asylrecht überholt ist?
Nein, damit ist nicht zu rechnen, weil wir im Schengener Abkommen nur Asylverfahrensfragen regeln und nicht materielle Fragen, und zwar in der Weise, daß sichergestellt werden soll, daß jeder Asylbewerber, der in den Schengener Raum einreist, a) ein Verfahren bekommt, b) aber auch nur ein einziges Verfahren bekommt und nicht reihum fahren kann. Es gibt dort noch einen Vorbehalt, der dem Art. 16 unseres Grundgesetzes Rechnung trägt.
Als nächster ist Herr Abgeordneter Gerster gemeldet worden.
Herr Staatsminister, das Schengener Abkommen ist auf einem guten Weg, wie nach Ihrer Unterrichtung im Innenausschuß von den Kollegen unserer Fraktion festgestellt worden ist. Ich habe folgende Frage: Wie wird sichergestellt, daß Konkordanz zwischen Schengener Abkommen und den nachfolgenden wichtigen Abkommen in der Gemeinschaft der zwölf europäischen Staaten besteht, also Asylverfahren, innere Sicherheit, Fragen des Datenschutzes? Ist sichergestellt, daß das Schengener Abkommen gewissermaßen eine Art Pilotfunktion hat, dessen Inhalt aber dem, was wir in Gesamteuropa schaffen werden, nicht zuwiderläuft?
Herr Kollege, es ist Zweck der Übung, daß wir im Kreis der Fünf das im Vorlauf machen wollen, was im Kreis der Zwölf nach der Einheitlichen Akte erforderlich ist. Ein konkreter Fall: Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat darauf hingewiesen, daß das, was wir an Datenschutz für das Schengener Informationssystem vorsehen, Vorbildfunktion für eine EG-weite Regelung haben kann. Beim Asylverfahrensrecht, bei dem man auf EG-Ebene sehr weit ist, besteht Identität bei minimalen praktischen Abweichungen, die sich an bestimmten Fristen orientieren. Aber im wesentlichen besteht Identität zwischen dem, was im Schengener Abkommen vorgesehen ist, und dem, was auf der Ebene der Zwölf vorgesehen ist. Also diese Pilotfunktion und damit auch das Vorgeben eines hohen Standards für die Zwölf etwa beim Datenschutz sind da gegeben.
Bitte schön!
Herr Staatsminister, ist denn heute schon absehbar, daß es wegen des Schengener Abkommens und des nachfolgenden Abkommens der Zwölf auch einen unmittelbaren Handlungszwang geben wird, was etwa die Rechtsangleichung in der DDR angeht?
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16720 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990
Wegen des Schengener Abkommens unmittelbar nicht; aber die Innenminister — Innenminister Schäuble und Innenminister Diestel — sind in Verhandlungen darüber, wie die Kontrollen an den gesamtdeutschen Außengrenzen nach gleichen Kriterien auszusehen haben. Auch die Verhandlungen über eine weitestgehende Beseitigung der innerdeutschen Grenze sind auf dem Wege. Wir haben den Schengen-Partnern klargemacht, daß diese Verhandlungen erfolgen und daß dann der Schengen-Raum auch das Gebiet der DDR nach noch festzulegenden Kriterien umfassen wird.
Herr Abgeordneter Lüder.
Herr Staatssekretär, Sie sagten vorhin, das Schengener Abkommen werde ratifiziert und dann 1991 vielleicht in Kraft treten. Sie meinten damit das Übereinkommen zum Schengener Abkommen, weil ja das Schengener Abkommen schon seit 1985 die Freizügigkeit fordert und es jetzt nur um das Übereinkommen geht.
Deshalb habe ich die Frage: Welche Möglichkeiten sehen Sie auf der Basis des Schengener Abkommens von 1985, vor der Ratifizierung des Schengener Übereinkommens von 1990, das vielleicht erst ab 1992 gelten wird, schon praktische Schritte im Sinne des Schengener Abkommens im Hinblick auf Freizügigkeit und schnellen grenzüberschreitenden Verkehr im Interesse unserer Bürger zu verwirklichen, bevor alle Kontroll- und Ausgleichsmaßnahmen ratifiziert sind?
Herr Kollege, da ist seit 1985 schon einiges geschehen. So haben wir das Grenzabfertigungsverfahren ohne Wartezeiten, das sich auf wenige Stichproben beschränkt, schon seit 1985 praktiziert. Es ist übereinstimmende Auffassung der Schengen-Partner, daß sukzessive ein weiterer Abbau von Grenzkontrollen möglich ist und daß wir damit nicht warten müssen, bis das Übereinkommen abschließend ratifiziert ist. Ein Kernstück der Ausgleichsmaßnahmen ist das Schengener Informationssystem. Dieses Schengener Informationssystem kann aber erst aufgebaut werden, wenn das Übereinkommen zumindest unterschrieben ist. Vorher kann man da überhaupt keine haushaltsrechtlichen Verpflichtungen eingehen. Damit fangen wir nach der Unterschrift zügig an, also ab Juni dieses Jahres, wie ich hoffe.
Ja, bitte schön, Herr Abgeordneter Lüder.
Wir stellen Fragen an die Bundesregierung, und ich weiß jetzt nicht, welcher der Anwesenden dazu antworten wird. Im Schengener Abkommen ist auch eine Konsultationsverpflichtung für Visaerleichterungen auch gegenüber anderen europäischen Staaten enthalten. Gibt es da, insbesondere nachdem Ungarn jetzt den visafreien Reiseverkehr hat, hinsichtlich der CSFR Neues zu berichten?
Ja, Herr Kollege, ich kann darüber Neues berichten. Wir haben im Vorgriff auf das in Kraft tretende Abkommen die Schengen-Partner konsultiert und bei ihnen Zustimmung dafür gefunden, daß wir unverzüglich Verhandlungen mit der CSFR über Visabefreiungen aufnehmen werden. Das haben wir heute im Kabinett beschlossen. Die Schengen-Partner ihrerseits sehen das positiv, können sich heute aber noch nicht festlegen, wann sie diesem Schritt folgen werden. Es ist aber damit zu rechnen, daß sie dies auch tun. Hinsichtlich Ungarn sind wir ähnlich verfahren und haben zum 1. Mai die Visapflicht aufgehoben.
Herr Abgeordneter Clemens.
Herr Staatsminister, Sie haben eben das Schengener Informationssystem angesprochen und vorhin auf eine Frage geantwortet, daß die Ratifizierung in einem bis anderthalb Jahren, also bis Ende 1991, durchgeführt sein wird. Bedeutet das, daß auch das Schengener Informationssystem bis dahin installiert sein wird? Denn die Ratifizierung nützt uns wenig, wenn nicht gewährleistet ist, daß dieses Informationssystem wirklich klappt. Anderenfalls wäre eine Kontrolle an den Außengrenzen nicht möglich, was gewisse Gefahren für unsere innere Sicherheit zur Folge hätte.
Wir gehen davon aus, daß wir nach der Unterzeichnung die Zeit nutzen können. Der Aufbau dieses Informationssystems wird etwa ein gutes Jahr beanspruchen, so daß wir es nach der Ratifizierung in Betrieb nehmen können. Wir werden die Zwischenzeit dafür nutzen.
— Ja.
Herr Abgeordneter Nöbel, bitte.
Herr Staatsminister, im Zuge der Verwirklichung des Schengener Abkommens gibt es natürlich eine ganze Reihe von neuen Aufgaben, insbesondere im Bereich des Bundesgrenzschutzes. Ich denke an die Frage der Doppelsprachigkeit. Welche konkreten Maßnahmen gibt es denn hinsichtlich der Weiterbildung und Fortbildung.
Herr Kollege, ich bin, wie Sie wissen, in diesem Bereich nicht umfassend informiert. Ich habe aber heute morgen vom Innenminister im Innenausschuß gehört, daß hier bereits Lehrgänge und ähnliche Fortbildungsveranstaltungen nicht nur geplant, sondern bereits begonnen haben, die auf das Problem der Doppelsprachigkeit vorbereiten sollen. Es wird ein generelles Problem der Europäischen Gemeinschaft sein, die Sprachkenntnisse in allen Bereichen stärker zu pflegen. Der Innenminister macht dies bereits.
Abgeordneter Dr. Hirsch, bitte schön.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990 16721
Herr Staatsminister, Sie haben eben auf die Frage nach der Verwirklichung des Schengener Informationssystems gesagt, daß Sie mit dem Aufbau anfangen, sobald das Abkommen unterzeichnet ist, und daß Sie denken, daß es bis 1991 praktiziert werden könne. Das setzt aber doch nach dem Vertragsinhalt voraus, daß die anderen Staaten, mit denen ein Datenaustausch stattfinden soll, vergleichbare Datenschutzregeln getroffen haben. Wir wissen, daß z. B. Belgien — von der DDR ganz zu schweigen — noch überhaupt keine diesbezüglichen Regeln hat. Wie können Sie denn auf diese Staaten einwirken, daß sie mit Datenschutzregeln beginnen, damit die Bedenken, die hier von dem Kollegen Clemens zur Wirksamkeit geäußert wurden, tatsächlich ausgeräumt werden können?
Wir haben zwei Vorkehrungen im Schengener Zusatzabkommen. Das wird sich in den Schlußtexten auch niederschlagen. Eine Vorkehrung ist, daß Datenaustausch erst dann erfolgen kann, wenn der Partner über entsprechende rechtliche Regelungen verfügt. Die Belgier haben bei dem Ministertreffen am 17. Mai allen Partnern einen Brief übergeben, in dem sie darauf hinweisen, daß sie dieses Datenschutzrecht noch zu machen hätten und daß sie davon ausgehen, daß sie es alsbald haben werden. Das zweite ist, daß festgelegt wird, daß das Schengener Abkommen erst in Kraft trifft, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind; das heißt konkret im Bereich der DDR, das dort zum einen die Voraussetzungen für die Außenkontrollen gegeben sind und zum anderen die Voraussetzungen für einen angemessenen Datenschutz.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Hirsch.
Schengen bedeutet gleichzeitig eine viel stärkere Kontrolle zu den Drittländern als bisher. Sie haben in diesem Zusammenhang eben die Tschechoslowakei als Beispiel genannt. Nun muß sich die Frage natürlich auch auf die Grenze zu Polen und die Grenze zu anderen europäischen Staaten außerhalb des Schengener Abkommens wie Österreich und der Schweiz richten. Wie, denken Sie, sollte der Personenverkehr bei diesen Grenzen kontrolliert werden, härter als bisher, lückenlos?
Wirksam, Herr Kollege.
Die Philosophie des Schengener Abkommens ist ja, daß wir die Kontrollen an den Binnengrenzen beseitigen und dafür im wesentlichen zwei Dinge tun. Zum einen brauchen wir Kontrollen nach gleichen Kriterien an den Außengrenzen. Das heißt nicht generell schärfer, sondern nach gleichen Kriterien. Das zweite ist die polizeiliche Zusammenarbeit im Schengener Informationssystem. Es ist nicht beabsichtigt, nun den Schengener Raum gewissermaßen zu einer Minifestung innerhalb der EG auszubauen, sondern es gilt, gemeinsame Kriterien zu entwickeln, weil man mit der Kontrolle an der Außengrenze nicht nur eine gewisse Verantwortung für den eigenen Raum, sondern für den gesamten Schengener Raum übernimmt. Es
soll aber nicht zu einer generellen Verschärfung kommen.
Herr Abgeordneter Such, bitte.
: Herr Stavenhagen, ich bitte um Entschuldigung, wenn sich vielleicht die eine oder andere Frage wiederholen sollte, aber ich konnte leider nicht früher kommen.
Zunächst einmal möchte ich wissen, wann nun genau unterzeichnet werden soll. Es hat bisher geheißen Ende Juni. Ich habe aus der „Frankfurter Rundschau" vom 20. April erfahren, die Zusammenarbeit sei nun noch umfassender geregelt. In welchen Punkten genau, können Sie da Beispiele geben?
Angeblich wird der Datenschutz in den Bereichen der konventionellen Datenübermittlung verbessert. Wie soll das genau funktionieren?
Darüber hinaus — Herr Präsident, wenn Sie diese Frage noch gestatten — : Die holländische Regierung sagte dem niederländischen Parlament, es sei angeblich auf einer Ministersitzung ein Vorbehalt zugunsten nationalsouveräner Asylpraxis aufgenommen worden. Stimmt so etwas, und wie ist das geregelt?
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie damit keine weitere Frage haben; denn das war schon eine Ausweitung. Im übrigen tun Sie dem Haus und sich selbst einen Gefallen, wenn Sie pünktlich sind. Dann braucht der Staatsminister bestimmte Dinge nicht zu wiederholen.
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Präsident, es waren vier Fragen, die ich sehr kurz zu beantworten versuche:Erstens: Wann? Der niederländische Vorsitz behält sich den Termin im Lichte der Ergebnisse der Ministersitzung vom 14. Juni vor.Zweitens: Neue umfassende Regelungen? Nein, es gibt keine Veränderungen in der Zusammenarbeit gegenüber dem Stand vom 14. Dezember; dieser ist den Ausschüssen bekannt.Drittens: Konventionelle Datenverarbeitung. Der Datenschutzbeauftragte hat uns einige Anregungen gegeben; wir setzen sie um. Grundprinzip: Bleichhoher Datenschutz, konventionelle und automatische Übertragung. Es gibt hierbei noch ein paar Schwierigkeiten in der Praxis, wo die Experten noch zusammensitzen. Deswegen gibt es auch noch keine abschließenden Texte.Letzter Punkt: Neuer Asylvorbehalt. Ich kann nur vermuten, daß sich das auf etwas bezieht, was schon im Entwurf vom 14. Dezember enthalten ist, nämlich das, was wir den Artikel-16-Vorbehalt nennen, daß, auch wenn ein Asylverfahren in einem anderen Land negativ beschieden ist, daraus nicht automatisch abgeleitet werden kann, daß das bei uns nicht neu auf-
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Staatsminister Dr. Stavenhagengerollt werden kann. Aber auch das ist nichts Neues gegenüber dem Stand vom 14. Dezember.
Meine Damen und Herren, ich möchte ganz kurz auf den Gesamtsachverhalt aufmerksam machen: Wir haben noch einen Punkt aus der Kabinettsberichterstattung, Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung. Ich möchte mich, damit wir das sinnvoll strukturieren, erkundigen, ob von den im Hause anwesenden Abgeordneten noch andere aktuelle Themen angesprochen werden möchten. — Das ist nicht der Fall.
Dann erteile ich dem Abgeordneten Gerster das Wort zu dem Bereich, den wir jetzt abwikkeln, zum Schengener Abkommen.
Herr Staatsminister, auf der Basis des Schengener Abkommens wird es weitere Vereinbarungen zwischen den Regierungen der Schengener Vertragsstaaten geben. Können Sie einmal darstellen, wie die parlamentarische Kontrolle hinsichtlich dieser zu erwartenden weiteren Abkommen in Zukunft garantiert wird?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, nicht weitere Abkommen sind vorgesehen, sondern es ist im Schengener Zusatzabkommen ein sogenannter Exekutivausschuß mit Beschlußbefugnis vorgesehen, der die praktische Durchführung regeln soll.
Die parlamentarische Kontrolle ist auf dreierlei Weise sichergestellt:
Erstens. Dieser Ausschuß ist auf Ministerebene zusammengesetzt und unterliegt damit automatisch der politischen Kontrolle.
Zweitens. Er kann nur einstimmige Beschlüsse fassen, so daß niemand mit dem Argument, er sei überstimmt worden, nach Hause kommen kann.
Drittens. Wir haben entschieden, daß die Beschlüsse als Entwürfe mit einer Zweimonatsfrist gefaßt werden, innerhalb derer dem Parlament durch seinen federführenden oder zuständigen Ausschuß Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben ist.
Ein Viertes kann ich hinzufügen: Wir beabsichtigen, entweder ins Abkommen oder — das würden wir vorschlagen — ins Ratifizierungsgesetz den Zusatz hineinzunehmen, daß die Parlamente — in diesem Fall der Bundestag — über die Arbeit des Exekutivausschusses fortlaufend unterrichtet werden, so daß das Parlament von dieser Zweimonatsfrist Gebrauch machen kann.
Dann kann ich diesen Bereich abschließen.
Wir kommen zum Achten Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, der Gegenstand der Kabinettserörterung war.
Hierzu hat sich der Abgeordnete Dr. Hauchler gemeldet. Herr Abgeordneter, Sie haben die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.
Vielen Dank, Herr Präsident. — Das Kabinett hat sich heute mit dem Achten Bericht zur Entwicklungspolitik befaßt. Meine Frage an die
Bundesregierung lautet: Was war Gegenstand der Beratungen im Kabinett? Ich habe insbesondere die Frage: Haben sich neue Akzente in folgenden zwei Richtungen ergeben, einmal im Hinblick auf den Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt — dieser Anteil ist in den letzten Jahren gegenüber früher gefallen und hat noch lange nicht das 0,7-Prozent-Ziel der OECD-Länder erreicht —, und zum zweiten: Ergeben sich neue Akzente im Hinblick auf neue Instrumente zur Lösung der Verschuldungskrise der Dritten Welt?
Wer antwortet für die Bundesregierung? Ich nehme an, Herr Minister Warnke. — Herr Minister, Sie haben das Wort.
Die Bundesregierung hat den achten entwicklungspolitischen Bericht beraten, mit dem Ausblick, daß es vor allem die weltweiten Umweltprobleme sind, die die internationale Zusammenarbeit in den kommenden Jahren prägen werden. In den Entwicklungsländern führen besonders Armut und Bevölkerungswachstum zu massiven Umweltzerstörungen mit katastrophalen Auswirkungen, die auch uns betreffen. Den Herausforderungen, die bei der Erhaltung des Tropenwaldes, beim Klimaschutz, bei der Wüstenbekämpfung und bei der Einführung schadstoffarmer und rohstoffschonender Produktionstechniken in den Entwicklungsländern an die deutsche Entwicklungshilfe gestellt werden, werden wir durch den Einsatz zusätzlicher Mittel begegnen.
Mit der Initiative des Bundeskanzlers auf den Weltwirtschaftsgipfeln in Toronto und Paris hat die Bundesregierung bereits eine Führungsrolle im weltweiten Umweltschutz übernommen.
Für 1990 sind 800 Millionen DM für Umweltprojekte eingeplant, fast 300 Millionen DM alleine für die Erhaltung und die schonende Nutzung der Tropenwälder. Damit stellt sich die Bundesrepublik an die Spitze aller Geberländer im Bereich des Tropenwald-schutzes.
Wir haben heute im Bereich der Schuldenpolitik im achten Bericht unterstrichen, daß wir den erfolgversprechenden Ansatz der Brady-Initiative weiterführen und auf weitere Länder ausdehnen werden.
Der Bundeskanzler hat bereits vor wenigen Tagen hier in diesem Raume vor der internationalen Abrüstungskonferenz der Internationalen Parlamentarischen Union klargestellt, daß er zur Finanzierung zusätzlicher Entwicklungshilfe mit dem Ziel globalen Umweltschutzes Einsparungen im Rüstungsbereich einsetzen will. Er hat diese Absicht heute im Kabinett bekräftigt.
Sie haben noch eine weitere Frage? — Bitte sehr, Herr Dr. Hauchler.
Eine Frage war nicht beantwortet, und zwar die Frage nach dem Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen am Bruttosozialprodukt. Ich schließe daran die erweiterte Frage im Hinblick auf die Umweltinstrumente, die der Herr Minister angesprochen hat, an. Werden die zusätzlichen Mittel, von denen Sie sprechen, für den Bereich
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990 16723
Dr. Hauchlerder Umwelt in der Dritten Welt dazu führen, daß der Einzelplan 23 um diese Mittel erhöht wird, oder werden diese zusätzlichen Mittel für den Umweltschutz aus anderen Programmen des Einzelplans 23 abgezweigt?
Herr Abgeordneter Hauchler, der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt lag 1989 höher als 1988. Nach den gegenwärtigen Entwicklungen gehe ich davon aus, daß er 1990 erneut höher liegen wird als 1989, so daß wir zwei Jahre mit steigender und nicht mit fallender Tendenz verzeichnen können.
Die Mittel für den Umweltschutz sind zusätzlich im Gesamthaushalt vorgesehen, und sie sind im Haushalt des Entwicklungshilfeministeriums eingestellt.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf verweisen, daß wir heute auch den Tropenwaldbericht des Bundeslandwirtschaftsministers beraten haben und daß die Folgerungen aus diesem Bericht ebenso wie die Folgerungen aus der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" in den deutschen Initiativen bereits berücksichtigt sind, ferner daß die Weltbankfazilität im Dreijahreszeitraum 2 Milliarden DM z. B. zum Schutz des Tropenwaldes, aber auch zur Artenerhaltung, zur Generhaltung und zum internationalen Gewässerschutz bereitstellen soll.
Herr Abgeordneter Brück, bitte sehr.
Herr Bundesminister, geben Sie in diesem Bericht zu, daß es ein Fehler war, die Verpflichtungsermächtigungen im Einzelplan 23 nach dem Regierungswechsel 1982 drastisch zu senken, und daß das die Ursache dafür war, daß der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt drastisch zurückgegangen ist?
Wir halten es für dringend notwendig, daß solide Finanzen eine nachhaltige Entwicklungspolitik tragen. Deshalb war angesichts des Zustands des Bundeshaushalts 1982 eine Senkung der Verpflichtungsermächtigungen angebracht. Diese Senkung hat übrigens nicht dazu geführt, daß der Umfang der Entwicklungshilfeausgaben abgesunken ist. Er hat im vergangenen Jahr — unabhängig von dem Anteil dieser Mittel am Bruttosozialprodukt — eine Rekordhöhe erreicht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, nehmen Sie in dem Bericht auch dazu Stellung, daß in den Ländern der Dritten Welt Besorgnisse entstanden sind, die Deutschen oder die anderen Europäer könnten sich jetzt verstärkt Mitteleuropa und Osteuropa zuwenden, und daß dieser Eindruck auch deshalb entstanden ist, weil in den Einzelplan 23 für das Jahr 1990 die Mittel für die Hilfe an Ungarn und Polen eingesetzt worden sind, d. h. daß Polen und Ungarn mit Entwicklungshilfemitteln geholfen wird? Halten Sie das nach wie vor für eine gute Entscheidung?
Herr Abgeordneter Brück, die Darstellung ist korrekturbedürftig und korrekturfähig. Der Deutsche Bundestag hat bei der Beratung des Haushalts 1990 erstens den Haushalt des Entwicklungshilfeministeriums gegenüber dem Gesamthaushalt überdurchschnittlich aufgestockt. Er hat zweitens zusätzlich zu dieser überdurchschnittlichen Steigerung den relativ geringen Betrag von 10 Millionen DM für Ungarn und Polen eingesetzt. Es kann keine Rede davon sein, daß auch nur eine Mark Entwicklungshilfe für Hilfe in Osteuropa eingesetzt wird.
Die für die Regierungsbefragung an sich vorgesehene Zeit ist abgelaufen. Ich schlage Ihnen vor: Wir verlängern die Zeit für die Regierungsbefragung um fünf Minuten, damit diejenigen, die sich zu Wort gemeldet haben, ihre Fragen stellen können.
Ich rufe zunächst einmal den Abgeordneten KrollSchlüter auf. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, können wir auf Grund dieses Berichts sagen, daß jede ökonomische und sonstige Entwicklungshilfe auch ökologisch vertretbar und förderlich ist?
Die Bundesregierung hat eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung für sämtliche Projekte mit dem Ziel eingeführt, deren durchgängige Umweltverträglichkeit zu gewährleisten.
Zusatzfrage, bitte schön.
Angesichts der trotz aller Anstrengungen negativen Entwicklung — Bevölkerungsentwicklung, Zerstörungen, Tropenwald — frage ich Sie: Reichen die Grundsätze und das Ausmaß der Hilfe aus, um dieser negativen Entwicklung wirksam zu begegnen, um den Globus wirklich zu retten?
Die heute für den Schutz des Tropenwaldes eingesetzten Mittel gehen an die Grenze der Aufnahmekapazität der derzeit verfügbaren internationalen Projekte heran. Wir haben Mühe, den Abfluß dieser Mittel sicherzustellen. Im Hinblick auf die künftige Entwicklung wird es zu massiven zusätzlichen Mitteleinsätzen kommen müssen.
Die Bundesregierung wird darauf hinwirken, daß auf der Weltkonferenz Umwelt und Entwicklung 1992 in Brasilia eine Weltklimakonvention abgeschlossen wird. Sie geht davon aus, daß zu diesem Zeitpunkt die Finanzierungsmittel bereitgestellt werden können und daß sowohl die Techniken zur Umsetzung als auch die Projekte so weit vorbereitet sind, daß die Aufnahmefähigkeit gesichert ist.
Herr Abgeordneter Kohn, bitte sehr.
16724 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990
Herr Bundesminister, in den letzten Tagen sind neue Prognosen über die künftige Entwicklung der Weltbevölkerung bekanntgeworden. Wenn man sich diese dramatischen Steigerungsraten vor Augen führt und sie den engagierten Bemühungen der Bundesrepublik und anderer Länder gegenüberstellt, wird erkennbar, daß wir die Probleme, die sich aus dem prognostizierten Bevölkerungswachstum ergeben, mit den großen Anstrengungen, die wir schon unternehmen, nicht werden bewältigen können. Daraus resultiert für mich die Frage: Welche neuen konzeptionellen Überlegungen hat denn die Bundesregierung, um dieses dramatische Wachstum der Weltbevölkerung in den Griff zu bekommen? Wir wissen, daß wir, wenn wir es nicht schaffen, ökologisch, sozial, ökonomisch und unter allen anderen denkbaren Gesichtspunkten die Welt nicht mehr lebensfähig halten können.
Herr Abgeordneter, die Formulierung „in den Griff bekommen" würde eine Selbstsicherheit ausdrücken, deren sich niemand gegenüber dem Problem der Bevölkerungsexplosion berühmen sollte. Es gibt natürlich keine Patentrezepte auf diesem Gebiet. Die Bundesregierung wird gezielt sowohl verstärkt bei den bevölkerungspolitischen Instrumentarien ansetzen als auch den Schwerpunkt Armutsbekämpfung fortführen; denn es ist eine Erfahrung, das Armut die Kinderzahl erhöht und daß durch erhöhte Kinderzahl eine erhöhte Armut eintreten kann. Diesen Kreislauf zu unterbrechen ist eines der Ziele des Schwerpunktes „Hilfe zur Selbsthilfe", den wir in Übereinstimmung mit dem Deutschen Bundestag in den letzten Wochen diskutiert und bekräftigt haben.
Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 11/7228 —
Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Hier steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gröbl zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Dringliche Frage des Abgeordneten Dr. Daniels auf:
Sind Presseberichte zutreffend , die einen Bericht des RSK-Vorsitzenden zitieren, daß sich Bundesminister Dr. Töpfer „von der Reaktorsicherheitskommission noch vor Jahresmitte eine positive" (sic!) „Stellungnahme zur Errichtung und zum Betrieb eines Atommüllendlagers in der Schachtanlage ,Konrad' bei Salzgitter (wünscht), um der Genehmigungsbehörde Schützenhilfe in der zu erwartenden emotionsgeladenen Diskussion im Zusammenhang mit der Auslegung des Plans und der darauf folgenden öffentlichen Anhörung in der zweiten Jahreshälfte 1990 zu geben", und daß die Reaktorsicherheitskommission nun voraussichtlich am 1. Juni 1990 ihr Votum abgeben wird, und wenn ja, ist die Bundesregierung bereit, diesen Wunsch sofort zurückzuziehen, damit die schwierige Problematik ohne Zeitdruck erörtert werden kann?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Herr Kollege, diese Presseberichte sind unzutreffend. Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat mit Schreiben vom 20. April 1989 die Reaktorsicherheitskommission gebeten, eine Empfehlung zur Errichtung und zum Betrieb des geplanten Endlagers „Konrad" zu erarbeiten, die Grundlage einer bundesaufsichtlichen Stellungnahme werden soll, wie sie üblicherweise vor Entscheidungen in atomrechtlichen Genehmigungsverfahren abgegeben wird. Diese Beauftragung enthielt, wie in allen vergleichbaren Fällen auch, keinerlei Vorgaben hinsichtlich des zu erzielenden Ergebnisses. Die Beratungen der RSK werden nicht zum 1. Juni 1990 abgeschlossen sein.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Dr. Daniels.
Herr Staatssekretär, es ist ja nicht so einfach, an solche Schreiben heranzukommen, und nun ist zufällig so ein Schreiben an die Öffentlichkeit gelangt. Aus diesem Schreiben geht aus meiner Sicht hervor, daß es nicht um eine Stellungnahme allein geht, sondern daß es um eine möglichst positive Stellungnahme zu dem Fragenkomplex Sicherheit der Schachtanlage „Konrad" geht. Insoweit möchte ich doch die Frage in den Raum stellen, wie lange die Bundesregierung die Praxis solcher Gefälligkeitsgutachten durch hochbezahlte Staatswissenschaftler fortsetzen will.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ihre Annahme ist falsch. Ich habe sie bereits in der ersten Antwort zurückgewiesen.
Ich bin gerne bereit, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten das Schreiben des Bundesministers an die RSK zu verlesen.
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das Schreiben ist vom 20. April 1989. Es betrifft: Empfehlung der RSK und SSK zum geplanten Endlager „Konrad". Gerichtet ist es an die Geschäftsstelle, Herrn Jahns.Sehr geehrter Herr Jahns,da nunmehr der Plan der PTB zum Endlager Konrad vorliegt und in Kürze ausgelegt wird, bitte ich Sie um Erarbeitung einer Empfehlung zur Errichtung und zum Betrieb des Endlagers „Konrad".Hinsichtlich der für die Beratung erforderlichen Unterlagen bitte ich Sie, sich mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (Antragstellerin) und dem Niedersächsischen Umweltministerium (Planfeststellungsbehörde) in Verbindung zu setzen.Die Beratungen bitte ich so zu planen, daß die Empfehlung von seiten der RSK unter Einschluß der Empfehlung der SSK Ende des Jahres abgegeben werden kann.Gemeint ist das Jahr 1989.Kopien dieses Schreibens habe ich an die PTB und den NMU gesandt.Mit freundlichen Grüßen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990 16725
Parl. Staatssekretär GröblDer zuständige Referatsleiter hat dies unterzeichnet.Dies ist das Auftragsschreiben des Bundesministeriums an die RSK.
Ich habe nur noch die Frage, ob dieses Schreiben in einer Kopie zugänglich gemacht werden kann.
Das steht ja nun im Protokoll!
Herr Abg. Schmidt hatte sich gemeldet. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie gesagt haben, daß der Zeitrahmen 1. Juni 1990 offensichtlich nicht eingehalten werden kann, können Sie uns dann sagen, ob Sie der RSK andere Zeitvorgaben gemacht haben und wie diese aussehen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Zeitvorgaben, die wir der RSK gemacht haben, sind längst überschritten. Die RSK ist bemüht, die vollständigen Gutachten zu bekommen, bevor sie ihrerseits eine Empfehlung für die Bundesregierung erstellt. Das wird mit Sicherheit nicht am 1. Juni und auch nicht in den Tagen danach der Fall sein.
Frau Abgeordnete Bulmahn!
Sie haben uns jetzt den Brief zur Kenntnis gegeben und auch gesagt, daß von Ihrer Seite keine Vorgaben gemacht worden seien. Ich habe die Frage an Sie, ob die Reaktorsicherheitskommission unabhängig von der Frage der Vorgaben trotzdem am 1. Juni ein Votum zum Schacht „Konrad" abgeben wird.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Nach meiner Kenntnis nicht. Nach meiner Kenntnis wird sich am 1. Juni nicht die gesamte Reaktorsicherheitskommission, sondern der Ausschuß „Endlagerung" zusammensetzen und einen Zwischenbericht zu den Gutachten entgegennehmen.
Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär, und rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatssekretär Görts zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Opel auf:
Ist die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß die Postbediensteten einerseits bis zum Ende dieses Jahres auf eigene Kosten vollständig die neu verordnete Dienstkleidung anschaffen müssen, andererseits der seit Jahren unverändert gebliebene Bekleidungszuschuß noch nicht einmal Abnutzung und Reinigung abdeckt sowie weiter Bedienstete anderer öffentlicher Dienste unter gleichen Umständen eine einmalige Beihilfe erhielten, aus sachlichen Erwägungen und Gründen der Gleichbehandlung heraus bereit, den Postbediensteten im Jahre 1990 einen einmaligen Bekleidungszuschuß, der die gesamten Neubeschaffungskosten oder wenigstens einen wesentlichen Teil davon auffängt, zu gewähren?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Kostenregelung für die Dienstkleidung der Deutschen Bundespost richtet sich nach den für alle Bundesverwaltungen geltenden Grundsätzen, für die im übrigen keine besoldungsrechtliche Regelung besteht. Der Bundesminister des Innern hat für die Bundesverwaltung den wirtschaftlichen Nutzen, der Beschäftigten durch das Tragen von Dienstkleidung entsteht, einheitlich mit einem Drittel der Kosten für die notwendige Dienstkleidung bewertet. Das bedeutet, daß die Deutsche Bundespost zwei Drittel der Kosten für die notwendige Dienstkleidung trägt.
Daraus ergibt sich folgende Kostenrechnung: Eine benötigte Erstausstattung kostet im Jahr 1990 1 086 DM. Der Beschäftigte muß davon einen Eigenanteil in Höhe von 362 DM entrichten, den er in zwölf Monatsraten tilgen kann. Die durchschnittliche monatliche Belastung liegt damit bei rund 30 DM. Die Deutsche Bundespost trägt den Kostenanteil in Höhe von zwei Dritteln, mithin 724 DM. Der Kostenanteil übersteigt somit die von Ihnen angeregte Summe von 600 DM.
Eine Zusatzfrage, bitte schön!
Herr Staatssekretär, wenn die Bundespost, was zu begrüßen ist, moderne Dienstkleidung einführt, geht dies ja über die normale Abnutzung hinaus. Es gibt auch strukturelle Unterschiede in der Abnutzung von Dienstkleidung. Ich erinnere daran, daß die Dienstkleidung eines Beschäftigten, der im Außendienst tätig ist, beispielsweise eines Briefträgers, der ein relativ geringes Einkommen hat, der stärkeren Abnutzung unterworfen ist. Sind Sie aus dieser Sicht bereit, differenzierte Erstattungen für die Zukunft bzw. rückwirkend für das, was an neuer Dienstkleidung eingeführt wurde, zu erwägen?
Görts, Staatssekretär: Für die Zukunft hat die Bundesregierung ebenfalls Überlegungen angestellt, was getan werden kann. Bereits im Jahr 1991 wird die Erstausstattung bis zu einem Betrag von 543 DM ergänzt werden. 181 DM davon hat der Beschäftigte zu tragen und 362 DM die Deutsche Bundespost. Für die Folgejahre werden entsprechende Beträge für die Ersatzbeschaffung bereitgestellt werden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Ich werde sie auch stellen, Herr Präsident.
Das ist Ihr gutes Recht.
Ich wollte meiner Freude darüber Ausdruck geben, die neue Information bekommen zu haben. Diese Überlegungen waren ja draußen noch nicht bekannt.Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, im Falle zusätzlicher Abnutzung, die in Teilbereichen — ich wiederhole einen Teil meiner vorherigen Frage — tatsächlich höher ist als anderswo, beim Innenminister vorstellig zu werden in der Richtung, für den Perso-
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Opelnenkreis, der mit höherer Abnutzung zu rechnen hat, höhere Abnutzungsbeträge durchzusetzen?Görts, Staatssekretär: Wir werden dies im Zusammenwirken mit den Unternehmen der Deutschen Bundespost prüfen.
Auch der Abgeordnete Funke hat zu diesem Thema eine Frage.
Ich habe nur eine ganz einfache Frage: Warum benötigen wir überhaupt Uniformen für die Post?
Görts, Staatssekretär: Die Deutsche Bundespost verwahrt sich gegen den Begriff „Uniform" an dieser Stelle.
Ich bin ja gern bereit, Dialoge zu fördern, aber wenn schon, dann freundlicherweise über das Mikrophon!
Herr Staatssekretär, bitte beantworten Sie die Zusatzfrage.
Görts, Staatssekretär: Die Dienstkleidung dient dazu, die corporate identity der Deutschen Bundespost den Kunden nach außen sehr deutlich darzustellen.
Auch der Abgeordnete Fellner möchte eine Frage stellen.
Herr Staatssekretär, treffen Informationen zu, die ich soeben von der Regierungsbank bekommen habe, nämlich daß Sie ein Staatssekretär aus unserem Ministerium in der DDR drüben seien und nur zum Üben hier seien?
Die Frage hat ihren Zweck erfüllt, nehme ich an. Ich lasse sie nicht zur Beantwortung zu.
Hat sich sonst noch jemand zu diesem Thema gemeldet? — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, würde es zur Aufklärung beitragen, wenn ich sage, daß Sie der neue Staatssekretär Görts aus dem Postministerium sind?
Görts, Staatssekretär: Das ist korrekt. Der Herr Präsident hat mich eben so begrüßt.
So ist es in Ordnung. Aber auch diese Art von Dreiecksfrage, Frau Abgeordnete, hätte ich nicht zulassen dürfen.
Nun rufe ich die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Diederich auf:
Welcher Tarif für Standardbriefe und Postkarten wird nach der Übernahme der bundesdeutschen Posttarife durch die DDR ab 2. Juli 1990 in Ost-Berlin gelten, d. h. werden Einwohner von Ost-Berlin ein höheres Porto für Standardbriefe und Postkarten als die West-Berliner bezahlen, oder wird der West-Berliner Sondertarif übernommen?
Bitte, Herr Staatssekretär Görts.
Görts, Staatssekretär: Über eine durch die Währungsunion bedingte Änderung der Postgebühren im Bereich der Deutschen Post der DDR wird derzeit noch im Ministerium für Post- und Fernmeldewesen der Deutschen Demokratischen Republik beraten. Von dort ist zunächst nur bekanntgegeben worden, daß die Eckgebühr für Briefe, das ist die Gebühr für einen Brief bis 20 g, allgemein auf 70 Pfennige angehoben werden soll. Weitere Einzelheiten der Gebührenmaßnahmen der Deutschen Post der Deutschen Demokratischen Republik sind dem Bundesministerium für Post und Telekommunikation noch nicht mitgeteilt worden. Die Bundesregierung kann daher zu Ihren weitergehenden Fragen noch nicht Stellung nehmen. Ein Standardbrief innerhalb von Berlin kostet zur Zeit 60 Pfennige.
Zusatzfrage, Herr Dr. Diederich, bitte schön.
Würden Sie mit mir übereinstimmen, daß es sehr ungünstig wäre, wenn in einer integrierten Stadt zwei unterschiedliche Brieftarife gälten; und ist die Bundespost bereit, sich dieses Themas anzunehmen?
Görts, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wir sehen das in genau der gleichen Weise. Unsere Unternehmen sind bemüht, mit den zuständigen Stellen der Deutschen Post eine Gebührenharmonisierung herbeizuführen, um die gesamten Probleme im Zusammenhang mit Remailing usw. abzustellen.
Weitere Zusatzfrage? — Das ist nicht der Fall.
Herr Staatssekretär Görts, ich bedanke mich bei Ihnen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Lammert.
Ich rufe die Frage 3 der Abgeordneten Frau Hillerich auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die kurzfristigen Auswirkungen der wirtschaftlichen Umstrukturierung in der DDR im Hinblick auf ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot der Betriebe für den Herbst 1990?
Frau Kollegin Hillerich, Ausbildungsverträge wurden bislang in der DDR ein Jahr im voraus abgeschlossen. Die Jugendlichen verfügen daher gegenwärtig über Ausbildungsverträge, die im Herbst 1990 wirksam werden.Welche Auswirkungen die wirtschaftliche Umstrukturierung in der DDR nach Inkrafttreten der Währungsunion auf die Durchführung abgeschlossener Ausbildungsverträge haben wird, läßt sich naturgemäß heute nicht sicher einschätzen. Das Ministe-
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Parl. Staatssekretär Dr. Lammertrium für Bildung und Wissenschaft der DDR drängt nach eigenen Auskünften auf die Einhaltung dieser Ausbildungsverträge und darüber hinaus auf die weitgehende Aufrechterhaltung vorhandener Ausbildungskapazitäten. Dies ist im übrigen sowohl in der konstituierenden Sitzung der deutsch-deutschen Bildungskommission als übrigens auch gestern im Gespräch der beiden Wirtschaftsminister der Bundesrepublik und der DDR ausdrücklich als gemeinsames Interesse festgehalten worden.Im übrigen steht das Ministerium für Bildung und Wissenschaft in regelmäßigem Informationsaustausch mit dem korrespondierenden Ministerium in der DDR, damit wir, sobald es neue und verläßliche Einschätzungen über die tatsächliche Entwicklung gibt, darauf angemessen reagieren können.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Frau Abgeordnete Hillerich.
Herr Staatssekretär, darf ich das so verstehen, daß Sie die Befürchtung, daß die Ausbildungsplätze nicht ausreichen und daß die auch ein Jahr im voraus geschlossenen Ausbildungsverträge möglicherweise nicht eingehalten werden, wie sie der Hauptausschuß des Bundesinstituts für Berufsbildung geäußert hat und wie sie auch in der Presse verschiedentlich veröffentlicht wurden, nicht teilen und es deswegen nicht für nötig halten, gewissermaßen Vorkehrungen für zusätzliche Ausbildungsplätze zu treffen?
Dr. Lammert, Parl. Staatssekretär: Sie dürfen daraus in der Tat schließen, daß ich es nicht für hilfreich halte, im Augenblick öffentlich Spekulationen darüber anzustellen, wer geschlossene Verträge erstens überhaupt nicht und zweitens in welchem Umfang nicht einhalten will.
Eine zweite Zusatzfrage.
Das heißt also, Sie halten die öffentliche Mitteilung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung, welcher die Bundesregierung immerhin berät und worin die Sozialparteien vertreten sind, daß Gefahr für ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot besteht — die Bundesregierung und die Regierung der DDR werden aufgefordert, ein solches sicherzustellen, falls die Betriebe dies nicht schaffen — , für übertrieben, nicht notwendig, unplaziert oder dergleichen mehr?
Dr. Lammert, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Einschätzung der Bundesregierung und darüber hinaus die getroffenen Maßnahmen vorgetragen, die sicherstellen sollen, daß wir so schnell wie eben möglich zwischen den beiden Regierungen auf dem Weg der inzwischen eingerichteten gemeinsamen Kommissionen und Unterkommissionen neue Informationen austauschen, sobald sie vorliegen, daß wir aber nicht im Vorfeld Spekulationen über mögliche Entwicklungen austauschen, die weder eingetreten sind noch notwendigerweise eintreten werden.
Herr Abgeordneter Kuhlwein!
Herr Staatssekretär, sind Sie denn sicher, daß dann wenigstens zum Beginn des Ausbildungsjahres 1991 das Verhalten der Unternehmen in der DDR dem entspricht, was in der Bundesrepublik üblich ist, daß die Zurverfügungstellung von Ausbildungsplätzen als unternehmerische Pflicht angesehen wird?
Dr. Lammert, Parl. Staatssekretär: Nach den bisherigen Gesprächen zwischen den Regierungen können Sie davon ausgehen, daß sich im Zusammenhang mit der Veränderung der Wirtschaftsstrukturen in der DDR auch das Berufsbildungssystem verändern wird, und zwar in Richtung auf die Strukturen und auch die damit verbundenen Verhaltensmuster, die wir in der Bundesrepublik haben und die Sie, Herr Kollege Kuhlwein, in Ihrer Frage gerade angesprochen haben. In der Tat beabsichtigen weder die Bundesregierung noch die Regierung der DDR die Aufrechterhaltung oder Einführung eines staatlichen Monopols im Bereich der Berufsausbildung, was umgekehrt dann in der Tat bedeuten muß, daß im Zusammenhang mit der Veränderung der Unternehmens- und Betriebsstrukturen in der DDR die Betriebe dort Berufsausbildung als eine ihrer wichtigsten Aufgaben begreifen und wahrnehmen müssen.
Ich rufe die Frage 4 der Abgeordneten Frau Hillerich auf:
Zu welchen Unterstützungsmaßnahmen ist die Bundesregierung bereit, um in der DDR ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot für den Herbst 1990 sicherzustellen?
Dr. Lammert, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Hillerich, soweit die staatliche Seite bei der von Ihnen angesprochenen Problemlage betroffen ist, ist es Aufgabe der zuständigen Behörden der DDR, notwendige Maßnahmen zu veranlassen, um ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot für den Herbst 1990 in der DDR sicherzustellen. Dies wird im übrigen auch von der Regierung der DDR selber so gesehen. Soweit es sich nicht um staatliche Aufgaben handelt, gilt das, was ich gerade in Beantwortung der Zusatzfrage des Kollegen Kuhlwein gesagt habe.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Es gibt berechtigte Gründe, zu bezweifeln, daß die Regierung der DDR dazu in der Lage ist, beispielsweise die betrieblichen Ausbildungskapazitäten, z. B. die betrieblichen Berufsschulen, tatsächlich als funktionierende Ausbildungskapazitäten zu übernehmen. Selbst wenn entschieden worden ist, daß die Kommunen das in Zukunft tun sollen, haben die Kommunen nicht das Geld dafür, Ausbildungspersonal zu bezahlen und dergleichen mehr.Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, ob im Rahmen der Zusammenarbeit auch im Rahmen der gemeinsamen Bildungskommission daran gedacht ist, auch die Regierung der DDR bei ihrem Bemühen zu unterstützen, in der DDR Ausbildungsplätze für die nächste Zeit, gewissermaßen für das nächste halbe Jahr, bereitzustellen.Dr. Lammert, Parl. Staatssekretär: Es ist in der Tat daran gedacht, die DDR in ihren Bemühungen im Bil-
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Parl. Staatssekretär Dr. Lammertdungsbereich im allgemeinen und im Berufsbildungsbereich im besonderen zu unterstützen. Dies ist im Rahmen der Mittel, die uns über den Nachtragshaushalt zur Verfügung gestellt worden sind, bereits für dieses Jahr beabsichtigt und mit einer Reihe von Maßnahmen eingeleitet worden. Nach meinen Informationen ist aber bislang nicht entschieden, die Trägerschaft der beruflichen Bildung den Kommunen zu übertragen. Ein solches Vorhaben ist Bestandteil der Diskussion in der DDR. Eine Entscheidung darüber ist aber noch nicht getroffen worden.Wir haben aber nach der Konstituierung der deutsch-deutschen Bildungskommission aus gutem Grund eigens eine Unterkommission gebildet, die sich mit den unterschiedlichsten Herausforderungen im Bereich der beruflichen Bildung beschäftigen soll. Wir hoffen, auf diese Weise sicherstellen zu können, daß Veränderungen — unter Einbeziehung übrigens nicht nur der Beamten auf beiden Seiten, sondern auch der Vertreter der Wirtschaft und der Verbände — so schnell und so wirkungsvoll wie möglich aufgegriffen und umgesetzt werden können.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hillerich.
Meinen Sie, daß eine kurzfristige Initiative, beispielsweise mit dem Ziel, Kapazitäten der schulischen beruflichen Grundbildung schnell auszufüllen — von den Gebäuden der Berufsschulen her existieren diese ja —, um für die nächste Zeit die Ausbildung der Jugendlichen zu gewährleisten, schon ein von Ihnen abzulehnendes Präjudiz für die Struktur der Berufsbildung wäre, oder würden Sie eine solche Initiative für sinnvoll halten, auch im Sinne von möglichen Strukturen — aber eben nicht präjudizierenden Strukturen — künftiger Berufsbildung in der DDR?
Dr. Lammert, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung lehnt grundsätzlich keine Initiative ab, bevor sie überhaupt ergriffen worden ist. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Regierung der DDR entsprechende Initiativen ergreifen müßte, die dann, wenn sie uns als Bestandteil einer möglichen Kooperation vorgetragen würden, selbstverständlich von uns geprüft und soweit wie möglich auch wahrgenommen würden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung auch Überlegungen im Hinblick darauf angestellt, Maßnahmen der Wirtschaftsförderung für Betriebe in der DDR oder für bundesdeutsche Unternehmen, die in die DDR gehen, in der Weise mit Auflagen zu verknüpfen, daß die entsprechende Zahl von Ausbildungsplätzen geschaffen werden muß, damit sich das von Ihnen angesprochene Verhaltensmuster in der Bundesrepublik mit Sicherheit auf die DDR-Unternehmen überträgt?
Dr. Lammert, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kuhlwein, erstens hat die Bundesregierung in der Tat eine Reihe von Hilfsmaßnahmen für Betriebe in der
DDR und für Aktivitäten bundesdeutscher Betriebe in der DDR auf den Weg gebracht.
Zweitens. Sie hat die Hilfsmaßnahmen nicht mit Verpflichtungen verbunden, wie Sie sie gerade angesprochen haben.
Drittens. Sie folgt damit der guten Gewohnheit, die bisher im Hinblick auf bundesdeutsche Betriebe geübt worden ist. Danach gibt es solche Verpflichtungen nicht, schon gar nicht im Sinne zwingender Voraussetzungen für die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel.
Viertens. Ein solches Ansinnen ist auch von seiten der DDR bezüglich der Ausgestaltung von Fördermaßnahmen für Betriebe in der DDR nicht an uns herangetragen worden.
Herr Staatssekretär, weitere Fragen werden nicht an Sie gestellt. Ich bedanke mich herzlich bei Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Die Frage 5 des Abgeordneten Jäger und die Frage 6 der Abgeordneten Frau Bulmahn werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Riedl zur Verfügung.
Ich rufe Frage 7 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen ihrer besonderen Verantwortung für die Beschäftigten bei MIP aktiv bei der Herstellung von Kontakten mit kooperationsfähigen bzw. -willigen Unternehmen mitzuwirken und die Auftragslage durch eigene Vergabe zu stabilisieren?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Abgeordneter, die Vergabe öffentlicher Aufträge dient der wirtschaftlichen Bedarfsdeckung der öffentlichen Hand. Daraus folgt, daß die Auftragslage eines Unternehmens bei der Entscheidung darüber, ob ein Auftrag vergeben werden soll, keine Rolle spielen kann. Zur Sicherung dieses Ziels hat die Auftragsvergabe gemäß den Regeln des öffentlichen Auftragswesens, grundsätzlich also in einem wettbewerblichen Verfahren, zu erfolgen. Die Kapazitätsauslastung eines Unternehmens kann also bei der Frage, an wen der Auftrag erteilt werden soll, nicht berücksichtigt werden.Auch unter dem Gesichtspunkt möglicherweise gefährdeter Arbeitsplätze ergibt sich — Herr Abgeordneter, es tut mir leid — nichts anderes. Arbeitsmarktpolitische Überlegungen sind mit dem Ziel wirtschaftlicher Bedarfsdeckung nicht in Einklang zu bringen.Eine Mitwirkung der Bundesregierung bei der Suche nach kooperationswilligen Partnern, die sich eventuell als Arbeitsgemeinschaft um öffentliche Aufträge bewerben, kann nicht in Betracht kommen. Dies ist, wie Sie ja wissen, Herr Abgeordneter, ausschließlich Unternehmeraufgabe.
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Bitte sehr, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Pick.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß dieses Unternehmen mit Wissen und Wollen der Bundesregierung insofern in einer ganz besonderen Situation ist, als es zu 100 % von der Auftragsvergabe durch die US-Amerikaner in der Bundesrepublik abhängig ist, und ist Ihnen bekannt, daß dieses Werk das größte Instandsetzungswerk außerhalb der USA ist und in die bisherige Strategie der NATO mit eingebunden ist?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das ist mir im Prinzip bekannt. Ich kann es mit folgendem Hinweis sogar noch etwas präzisieren. Diese Mainzer Instandsetzungsbetriebe GmbH — abgekürzt MIP — ist das größte Heeresinstandsetzungswerk außerhalb der USA und arbeitet ausschließlich für die amerikanische Armee. Das Unternehmenskapital gehört zu 50 % der Geschäftsführung und zu 50 % der Belegschaft. Das Unternehmen hat derzeit 4 800 Beschäftigte, davon 85 % Facharbeiter.
Vielleicht noch eines: Das Unternehmen besitzt einen Rahmenvertrag mit der amerikanischen Armee mit fünfjähriger Laufzeit, der jährlich durch konkrete Serviceaufträge ausgefüllt wird. Der jetzige Rahmenvertrag läuft bis Herbst 1990. Ein neuer Rahmenvertrag ist noch nicht abgeschlossen.
Herr Abgeordneter, dies alles ändert aber nichts an der wettbewerbsrechtlichen Grundposition, die ich dargestellt habe.
Ich will allerdings in Ergänzung zu dem, was ich vorhin ausgeführt habe, noch sagen: Natürlich ist es die Pflicht eines Abgeordneten, auch eines Staatssekretärs und eines Ministers, beim Zustandekommen von Ersatzarbeitsplätzen zu helfen. Wenn Ihnen, Herr Abgeordneter, im Einzelfall eine Unterstützung von mir nützlich erscheint, dann bin ich gerne bereit, mit entsprechenden Interessenten vermittelnd zu sprechen.
Wir haben heute ähnliche Probleme in ganz Deutschland, z. B. durch den Rückzug der amerikanischen Truppen aus den Erholungsgebieten in Oberbayern. Ich höre es auch aus der Stadt München usw. Das bringt im Prinzip für alle dieselbe Problematik.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dr. Pick.
Herr Staatssekretär, ergibt sich aus Ihren Ausführungen, die Sie eben gemacht haben, nicht eine besondere Fürsorgepflicht des Bundes, weil ja dieses Werk eine ganz einzigartige Situation hat, auf die ich vorhin hingewiesen habe, nämlich daß es total von der Auftragsvergabe sozusagen eines Arbeitgebers abhängig ist?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Fürsorgepflicht, die wir generell gegenüber Menschen haben, die aus dem Arbeitsprozeß aus irgendwelchen Gründen ausscheiden, wird von uns allen bejaht und gesehen.
Ich lese gerade in meinen Unterlagen, daß sich das Wirtschaftsministerium des Landes Rheinland-Pfalz bemüht, dem Werk Aufträge von Dritten zu verschaffen, und daß z. B. zur Vermittlung von Produktideen das Technologiezentrum Mainz eingeschaltet wurde.
Dies alles wird sicherlich helfen, für eine Reihe von Menschen wieder Arbeitsplätze zu schaffen. Ich sage es aber noch einmal: Wenn ich Ihnen helfen kann, die wirtschaftliche Basis für die betroffenen Menschen zu verbessern, dann stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Ich kann nur nicht ex officio als Wirtschaftsministerium Aufträge zuweisen. Das ist nach unserer gesetzlichen Lage leider Gottes oder Gott sei Dank nicht möglich.
Abgeordneter Gerster .
Herr Staatssekretär, Sie haben sehr generell auf einen speziellen Fall geantwortet und haben das im wesentlichen ordnungspolitisch, z. B. wettbewerbsrechtlich, begründet. Darf ich Sie noch einmal fragen, ob Sie dabei berücksichtigt haben, daß zwar nach der formellen Rechtskonstruktion einer GmbH die MIP formal vergleichbar sein mag mit einem anderen Unternehmen, daß aber die ganze Einbindung — z. B. bestimmte Auflagen und die Nutzung des Geländes — dieses Unternehmen völlig aus dem Wettbewerb herausnimmt? Deswegen die Frage: Wird Ihre Antwort ordnungspolitisch diesem, wie ich glaube, in der Bundesrepublik fast einmaligen Sonderfall, von dem fast 5 000 Arbeitnehmer betroffen sind, gerecht?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich glaube schon, daß ich ordnungspolitisch richtig geantwortet habe. Wir können ja ordnungspolitisch keinen Unterschied zwischen einem Unternehmen machen, das sich voll am Markt orientiert, und einem Unternehmen, das, wie ich gesagt habe, mit einem Rahmenvertrag mit fünfjähriger Laufzeit — was schon darauf hinweist, daß man von Fünfjahresabschnitt zu Fünfjahresabschnitt entscheidet — arbeitet. Ich glaube, ordnungspolitisch kommen wir nicht weiter.
Der entscheidende Punkt ist, ob wir Wirtschaftspartner, andere Firmen, Auftraggeber finden, die wenigstens zum Teil imstande sind, die fehlenden Beschäftigungen aus der amerikanischen Armee zu ersetzen. Da bin ich gern bereit, Ihnen so gut ich das kann zu helfen.
Ich rufe Frage 8 des Abgeordneten Dr. Pick auf:Welche Förderungswege stehen in dem speziellen Fall MIP zur Verfügung, bzw. welche sind beim Fehlen entsprechender Voraussetzungen zu entwickeln unter Einschluß der Überlegung, am Beispiel MIP ein Modell der Rüstungskonversion zu schaffen?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, in Gesprächen mit Vertretern der Geschäftsleitung des MIP-Betriebsrates und der Gewerkschaft IG Metall haben Vertreter der zuständigen Bundesressorts zugesagt, mögliche Fördermaßnahmen sowie die Frage der Liegenschaften zu prüfen. Das Ergebnis dieser Prüfung wurde der Geschäftsleitung mitgeteilt.
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16730 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990
Parl. Staatssekretär Dr. RiedlIch darf stichwortartig sagen, wie dieses Ergebnis lautet: Die Bundesregierung sieht gegenwärtig keine Fördermöglichkeiten für das Unternehmen, mit denen eine Umstrukturierung unterstützt werden könnte. Der Standort des Unternehmens liegt nämlich in einer strukturstarken Region, und das Unternehmen beschäftigt hochqualifzierte Mitarbeiter. Dies beides sind gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umstrukturierung, die sozial verträglich vonstatten gehen kann.MIP ist ein privates Unternehmen, zu dessen Aufgaben es gehört, bei einem Rückgang seiner Aufträge selbst nach Wegen zur Anpassung zu suchen. Das wußten die Geschäftsleitung und die Belegschaft von Anfang an. Dies gilt unabhängig davon, daß das Unternehmen — ich sagte es schon — bisher ausschließlich für die US-Armee tätig war.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Pick.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Möglichkeit, nach anderen Partnern zu suchen, natürlich deswegen erschwert wird, weil dieses Gelände in der Verfügung der öffentlichen Hand ist, hier also auch Fragen der Geheimhaltung usw. eine ganz große Rolle spielen, und daß es erst seit dem letzten Jahr möglich ist, sich überhaupt nach anderen Partnern umzutun? Die Frage, ob dieses Gelände dafür zur Verfügung steht, bedarf natürlich einer recht langen Abklärung zwischen den unterschiedlichen Behörden.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, dies ist richtig. Die Fragen der Geheimhaltung von Vorgängen auf einem amerikanischen Militärgelände verlieren natürlich um so mehr an Bedeutung, je schneller sich der amerikanische Truppenteil von dort wegbewegt. Ich glaube, daß wir hier keine Probleme mehr bekommen.
Die Verhandlungen über die Liegenschaften können mit jedem Interessenten geführt werden. Auch der zuständige Bundesminister der Finanzen wird mit Sicherheit alles tun, daß es von daher keine Schwierigkeiten gibt.
Mir scheint die Crux nur darin zu liegen: Wenn es einen gäbe, der sich dort ansiedelt, könnten wir mit ihm morgen vormittag ins Finanzministerium gehen und mit dem Liegenschaftsreferenten alles besprechen. Aber einen solchen Interessenten sehe ich im Moment leider Gottes auch nicht.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Darf ich Ihre Antwort, Herr Staatssekretär, so verstehen, daß Sie bereit sind, alles Ihnen Mögliche zu tun, um hier behilflich zu sein, falls eben solche Interessenten am Horizont erscheinen? Eine Belegschaftsstärke — Sie haben sie genannt — von über 4 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist natürlich selbst in einem so — wenn ich das unterstreichen darf — strukturstarken Raum wie Mainz nicht von heute auf morgen unterzubringen.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, davon können Sie ausgehen. Ich werde das gerne auch mit dem zuständigen Landesminister für Wirtschaft in Rheinland-Pfalz besprechen.
Ich will nur noch einen Satz anfügen. Wir werden diese Probleme auch in Bundeswehrstandorten der Bundesrepublik Deutschland bekommen, wenn die Truppenreduzierungen im Zuge der Ost-West-Entspannung auf uns massiv zukommt.
Das dürfte wohl zutreffend sein.
Ich rufe Frage 9 des Abgeordneten Gerster auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die Existenz des Unternehmens MIP-Instandsetzungsbetriebe GmbH, Mainz, angesichts der bisherigen ausschließlichen Abhängigkeit von Aufträgen der US-Army mit der Zustimmung der Bundesregierung unter den veränderten Rahmenbedingungen zu garantieren?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat in Gesprächen mit Vertretern des Unternehmens — es geht jetzt wieder um das Unternehmen MIP — deutlich gemacht, daß ein Flankierungsbedarf für das Unternehmen nicht gesehen wird. Für eine erfolgreiche Anpassung sind — das ist mehrmals erklärt worden — von den Rahmenbedingungen her gute Voraussetzungen gegeben. Ich wiederhole, was ich auf die vorhergehende Frage gesagt habe: Der Standort des Unternehmens liegt in einer strukturstarken Region, und — das möchte ich unterstreichen — die Qualifikation der Mitarbeiter bei MIP ist sehr hoch.
Es ist in erster Linie natürlich Aufgabe der Firma selbst, sich den veränderten Rahmenbedingungen durch eine Umstrukturierung anzupassen. Die Bundesregierung kann — Herr Abgeordneter, das werden Sie verstehen; das konnten wir in anderen Bereichen, z. B. bei der Schuhindustrie, bei den Werften, beim Stahl, bei der Kohle, auch nicht machen — Auslastungsgarantien für einzelne Unternehmungen beim besten Willen nicht abgeben.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, auf die amerikanische Seite, die zur Zeit der Monopolauftraggeber ist, dahin einzuwirken, daß zumindest eine mittelfristige Auftragsgarantie gegeben wird? Denn Sie wissen möglicherweise, daß trotz des fünfjährigen Rahmenplans jährlich gekündigt werden kann und jährlich neu verhandelt werden muß. Sie wissen vielleicht auch, daß von amerikanischer Seite angedeutet worden ist, daß die Auftragslage mit dem politischen Erwünschtsein der amerikanischen Streitkräfte im Raum Mainz in Verbindung gebracht wird. Sind Sie also bereit, auf die amerikanische Seite dahin einzuwirken, daß es hier eine etwas längerfristige Auftragsgarantie gibt, damit sich das Unternehmen darauf einstellen kann?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das, was ich machen kann, ist — zusammen mit Ihnen und Ihren Kollegen — , mit dem Oberbürgermeister, mit den Amerikanern zu sprechen. Ich weiß natürlich
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Parl. Staatssekretär Dr. Riedlnicht, welches Budget die Amerikaner von Washington zugeteilt bekommen haben, in dessen Rahmen sie Aufträge vergeben können. Aber mich interessiert der Fall sehr, weil er für viele Fälle, die auf uns noch zukommen, symptomatisch ist.Ich bin gern bereit, mit den Amerikanern darüber zu sprechen. Nur, die Amerikaner sind halt vom Pentagon aus an bestimmte Finanzvorgaben gebunden. Aber wir sollten in dieser Sache Gespräche führen. Ich komme gern nach Mainz, nicht nur zum Karneval, sondern natürlich auch wegen einer solchen sehr ernsten Sache.
Verständlicherweise hat mein linker Nachbar, der Kollege Amling, gebeten, seine Frage 10 schriftlich zu beantworten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 11 der Abgeordneten Frau Bulmahn auf:
Mit welchen Auflagen über die Verwendung der Mittel stellt die Bundesregierung dem „Forum für Zukunftsenergien e. V." jährlich bis zu 1 Million DM an Haushaltsmitteln zur Verfügung, und inwieweit ist es nach Auffassung der Bundesregierung mit der im Haushaltsplan genannten Zweckbestimmung der Mittel vereinbar, wenn sich die Referenten auf der ersten öffentlichen Veranstaltung des Forums vor zwei Monaten in Leipzig vor allem für den Ausbau der Kernenergie in der DDR aussprachen?
Herr Staatssekretär, bitte, Ihre Antwort.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat die Gründung des „Forums für Zukunftsenergien e. V." initiiert. Die Gründungsmitglieder des Forums haben vereinbart, für die ersten fünf Jahre der Tätigkeit des Forums die erneuerbaren Energien als Arbeitsschwerpunkt zu wählen, um diesen einen zusätzlichen Impuls zu geben.
Die Bundesregierung gewährt dem Forum zur finanziellen Absicherung der Anlaufphase als Fehlbedarfsfinanzierung 1 Million DM jährlich für fünf Jahre, also in toto 5 Millionen DM. Danach soll sich das Forum finanziell selbst tragen.
Die Mittel sind für die Durchführung der Anlaufphase des „Forums für Zukunftsenergien e. V. zweckgebunden. Der Zusammenhang zwischen der Festlegung eines fünfjährigen Arbeitsschwerpunktes und der Mittelzuweisung durch mein Ministerium im selben Zeitraum wurde in einer Vereinbarung der Gründungsmitglieder zur Satzung des „Forums für Zukunftsenergien e. V. " dargelegt. Darüber hinausgehende inhaltliche Vorgaben wurden dem Forum nicht gemacht und wären nach unserer Auffassung auch nicht zweckmäßig.
Das Forum finanziert seine Aufgaben als eingetragener Verein ferner durch Mitgliedsbeiträge und Spenden.
Die Gründer des Forums haben die erneuerbaren Energien in eine sichere, preisgünstige, ressourcenschonende und umweltfreundliche zukünftige Energieversorgung eingebettet gesehen. Daher umfaßt die satzungsmäßige Forumsaufgabe neben den erneuerbaren Energien im Prinzip auch die rationelle Energieverwendung sowie nicht erneuerbare Energien, darunter auch die Kernenergie. Dabei soll eine gemeinsame Ausrichtung auf die Energieversorgung der Zukunft erleichtert und gefördert werden.
Die Gründung des Forums im angestrebten gesellschaftspolitischen Konsens war nur bei dieser breiten Aufgabenstellung zu erreichen. Insofern widerspricht es nicht der Satzung des Forums, wenn sich dieses neben den erneuerbaren Energien auch zur rationellen Energieverwendung und zu nichterneuerbaren Energien wie der Kernenergie äußert, wie das bei der von Ihnen angesprochenen Veranstaltung in Leipzig der Fall war.
Entschuldigen Sie, es ist ein bißchen länger geworden.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Bulmahn.
Eine lange und informative Antwort ist mir immer lieber als eine kurze, mit der ich nichts anfangen kann.
Herr Staatssekretär, können Sie mir die Frage beantworten, die ich trotzdem noch habe, warum nämlich die Bundesregierung ausschließlich dem „Forum für Zukunftsenergien e. V. einen finanziellen Zuschuß zur Förderung erneuerbarer Energien gewährt? Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, mir den Förderbescheid und einen Nachweis über die Verwendung der bisher gezahlten Mittel zur Verfügung zu stellen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, wir haben uns jetzt einmal auf dieses Forum konzentriert. Es gab auch andere Vorschläge, wie Sie wissen. Ich habe im Haushaltsausschuß einmal angedeutet, daß wir gerne noch ein bißchen mehr machen würden. Nur, wenn die Mittel nicht ausreichen — wir sind ja froh, daß wir die 5 Millionen DM vom Haushaltsausschuß bewilligt bekommen haben —, ist mehr leider nicht möglich.
Ihre Frage zu dem Verwendungsnachweis würde ich gerne prüfen, wenn Sie mir das gestatten. Das muß ich nachsehen, und darüber muß ich auch mit meinen Mitarbeitern sprechen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Warum hat die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, an der Förderung des „Forums für Zukunftsenergien e. V" festgehalten, obwohl doch die Mehrheit der Bundesländer eine Mitwirkung abgelehnt hat, da die Satzung des Forums neben der Förderung der erneuerbaren Energien auch die Förderung der Atomenergie vorsieht? Können Sie mir auch sagen, von welchen Unternehmen dieses Forum gegründet worden ist?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Zur letzten Frage: Da müßte ich nachschauen. Ich teile Ihnen das schriftlich mit. Ich will Ihnen den genauen Titel geben.Zur ersten Frage, Frau Abgeordnete: Ich hätte gedacht, daß Sie uns jetzt einmal loben. Wir sind richtig stolz auf dieses Forum. Wir entsprechen damit ja auch einem massiven Wunsch der Opposition. Jetzt haben wir es gemacht. Ich verstehe natürlich, daß Sie immer
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16732 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990
Parl. Staatssekretär Dr. Riedlnoch nicht zufrieden sind. Aber wenn Sie uns die Möglichkeit verschaffen, im Haushaltsausschuß noch einmal 5 Millionen DM zu bekommen, gnädige Frau, machen wir sofort weiter.
Ich habe leider keine Frage mehr. Wenn dieses Forum als erstes eine Informationsveranstaltung über regenerative Energien durchgeführt hätte, wäre ich sicherlich zufrieden gewesen. Nur, als erstes eine Veranstaltung zur Kernenergie durchzuführen stimmt mich hinsichtlich der zukünftigen Arbeit dieses Forums natürlich etwas skeptisch.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich bin sicher, daß der weitere Verlauf der Tätigkeit des Forums Ihren Empfindungen durchaus gerecht wird. Sie werden sehen, Sie werden noch Ihre reine Freude an diesem Forum haben. Hoffentlich sitzen Sie dann noch im Deutschen Bundestag.
Frau Abgeordnete, Herr Staatssekretär, dieses Gespräch bitte ich an anderer Stelle fortzusetzen. Ich habe mich jetzt schon nicht mehr nach der Geschäftsordnung gerichtet.
Ich bedanke mich bei Ihnen sehr herzlich. Ihr Geschäftsbereich ist damit beendet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Hier steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Vogt zur Verfügung.
Zunächst rufe die Frage 12 der Abgeordneten Frau Walz auf:
Welche Erfahrungen wurden bisher mit der Meldepflicht auch für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse an die Einzugsstellen der Sozialversicherungsbeiträge gemacht?
Herr Präsident, wenn Frau Kollegin Walz einverstanden ist, möchte ich die Fragen 12 und 13 gern gemeinsam beanworten.
Die Fragestellerin ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 13 der Abgeordneten Frau Walz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung Klagen von Einrichtungen der Wohlfahrtspflege sowie des Handels und Gewerbes, motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die Meldepflicht per 1. Januar 1990 verloren zu haben, die nicht durch Teilzeitoder Vollzeitkräfte ersetzt werden konnten?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Erfahrungen der Krankenkassen als zuständige Meldestellen lassen eine zuverlässige Beurteilung des neuen Meldeverfahrens insbesondere für geringfügig Beschäftigte noch nicht zu. Sie wissen, daß das neue Meldeverfahren ab 1. Januar 1990 gilt. Ein gesicherter Erfahrungsbericht kann nach Aussagen der Krankenkassen erst erstellt werden, wenn die Neuregelungen über eine längere Zeit praktiziert worden sind.
Mit der Pflicht zur Meldung von geringfügig Beschäftigten soll die mißbräuchliche Ausnutzung der Geringfügigkeitsgrenzen wirksamer als bisher bekämpft werden. Wenn auf Grund dieser Meldepflicht
Personen aus ihren Beschäftigungsverhältnissen ausscheiden und damit ein bisher möglicherweise gesetzwidriges Verhalten beenden, so würde dies genau dem Ziel des Gesetzes entsprechen. Illegale Praktiken können für keinen Bereich von vornherein ausgeschlossen werden.
Wenn sich die Zahl versicherungsfreier geringfügig Beschäftigter verringert, so verstärkt dies tendenziell die Chancen auf einen sozialversicherungspflichtigen Teilzeitarbeitsplatz. Ob es im Bereich der Wohlfahrtspflege oder in Handel und Gewerbe tatsächlich einen Rückgang von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen gibt und ob das gegebenenfalls auf die neue Meldepflicht zurückzuführen ist, kann die Bundesregierung nach den bisher vorliegenden Erfahrungsberichten nicht bestätigen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, können Sie mir in etwa die Anzahl der geringfügig Beschäftigten im Reinigungsgewerbe und im Hotel- und Gaststättengewerbe nennen? Ich frage das deshalb, weil mir immer noch nicht klar ist, warum vom Gesetz her vorgesehen ist, daß es eine Pflicht zur Meldung der geringfügig Beschäftigten im Reinigungsgewerbe gibt, aber nicht eine Pflicht zur Meldung der geringfügig Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann Ihnen diese Frage aus der Hand nicht beantworten. Wenn ich mich recht erinnere, müssen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sowohl
im Bereich des Reinigungsgewerbes wie im Bereich der Gastronomie gemeldet werden. Sollte es hier eine Meinungsverschiedenheit geben, können wir uns sicherlich schriftlich gegenseitig unseren Standpunkt bestätigen.
Es ist mir leider untersagt, mich in diese Diskussion einzumischen. Aber es ist anders.Herr Staatssekretär Vogt, ich bedanke mich bei Ihnen sehr herzlich.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Hier steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Wimmer zur Verfügung.Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski hat um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 16 und 17 gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Opel auf:Treffen Informationen zu, wonach die Entwicklung des Jäger 90 bei unveränderten Leistungsanforderungen sowie vor allem bei Aufrechterhaltung des quantitativen und qualitativen Umfangs dieser Spezifikationen teurer wird als geplant und (bzw. oder) sich zeitlich verzögert, und ist es weiter zutreffend, daß vertragliche Lücken bei der Abfassung dieser Spezifikationen bestehen, die nunmehr ausgefüllt werden müssen und deshalb weitere zeitliche und kostenmäßige Zusatzrisiken nach sich ziehen?
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Opel, die deutsche Teilnahme an der Entwicklungsphase des Jagdflugzeuges 90 ist von den Ausschüssen des Deutschen Bundestages unter der Auflage genehmigt worden, daß die Kostenobergrenze von 5,85 Milliarden DM auf der Preisbasis 12/87 eingehalten wird und daß eventuelle Mehrkosten aus den Mitteln des Gesamtprojekts gedeckt werden. Diese Vorgabe wird eingehalten.
Die im Entwicklungsvertrag ursprünglich enthaltene Integration der Luft-Bodenwaffen HARM und MAVERICK für eine deutlich abgestufte Nebenrolle des Jagdflugzeuges 90 gegen ein begrenztes Zielspektrum der gegnerischen Luftverteidigung ist von deutscher Seite nach Ablauf der vertraglich vorgesehenen Konsultationsfrist gekündigt worden. Von dieser Maßnahme abgesehen ist die Vertragsspezifikation qualitativ und quantitativ nicht geändert worden.
Die Vertragsspezifikation bedarf nach heutiger Wertung auch keiner Änderungen, die zeitliche und kostenmäßige Zusatzrisiken nach sich ziehen würden. Die für die deutsche Luftwaffe wesentlichen Eckwerte des Zeitplans sind unverändert. Die Verschiebung von Einzelterminen auf Grund der Abhängigkeit von Gerätezulieferungen wird innerhalb des Gesamtrahmens der Entwicklung aufgefangen.
Herr Abgeordneter, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob die Prototypen des Jägers 90 wie vorgesehen integrierte Prototypen sind oder ob derzeit geplant ist, diese Prototypen nur auf Teilsysteme auszulegen, also nicht integriert?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Ich gehe bisher davon aus, daß die Dinge, die vereinbart worden sind, genauso eingehalten werden, wie es die Vereinbarungstatbestände wiedergeben. Ich gehe aber gerne der von Ihnen angeschnittenen Frage noch einmal nach. Wenn sich danach Änderungen ergeben sollten, kriegen Sie die Antwort.
Dafür wäre ich sehr dankbar, denn vereinbart worden ist: integriert.
Ich habe eine weitere Zusatzfrage! Herr Staatssekretär, wenn Sie die zeitlichen Risiken nur als Einzelrisiken bezeichnet haben, die insgesamt aufgefangen werden — ich gehe davon aus, daß Sie z. B. die Radarentwicklung als integrierten Teil angesprochen haben — , können Sie mir den Zeithorizont sagen, unter dem derzeit die Entwicklung des Jägers 90 nach der Beurteilung der Hardthöhe im Kostenrahmen abgeschlossen werden kann?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß wir hier die ursprünglich vorgesehene Gesamtplanung einhalten können. Sie wissen, daß die Komponenten, die wir zum Jäger 90 zählen, wie Fly-by-Wire-Technologie oder Triebwerksentwicklung ebenso wie die Radarentwicklung, im wesentlichen sehr erfolgreich laufen. Wenn es Indikationen gibt, daß sich der Zeitrahmen ändert, werden Sie im Verteidigungsausschuß unverzüglich unterrichtet. Wir gehen ja derzeit davon aus — das ist auch eine unveränderte Annahme — , daß die Bundesregierung im Jahre 1992/93 vor dem Hintergrund nicht nur des Abschlusses der Entwicklungen, sondern auch des gesamten politischen Spektrums entsprechende Entscheidungen treffen kann.
Danke schön. — Dann rufe ich die Frage 19 des Abgeordneten Reuter auf:
Welchen militärischen Zwecken dient der Einbau von Sprengschächten in Straßen und Brücken?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn der Herr Kollege einverstanden ist, kann ich beide Fragen im Kontext beantworten. Das würde sich aus der Verbindung von Zustandsbeschreibung und Perspektive heraus vielleicht sogar anbieten.
Er ist einverstanden; das habe ich auch erwartet. Dann rufe ich auch die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Reuter auf:
Hält die Bundesregierung den Einbau von Sprengschächten in Straßen und Brücken noch für militärisch notwendig und angemessen?
Bitte schön!
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Im Frieden vorbereitete Sperren wie z. B. Sprengschächte sind ein geeignetes Mittel, um im Falle eines Angriffs ein Vordringen in unser Land zu verwehren und die zahlenmäßige Unterlegenheit des Verteidigers, also von uns, zumindest teilweise auszugleichen. Ihre genaue Planung und bauliche Vorbereitung im Frieden trägt dazu bei, auf Grund der genau berechneten und begrenzten Wirkung Zerstörungen auf ein kalkuliertes Minimum zu beschränken. Sie liegen überwiegend in den bisherigen Bereichen der grenznahen bündnisgemeinsamen Vorneverteidigung.
Grundsätzlich behalten vorbereitete Sperren ihre Bedeutung als Bestandteil defensiver Verteidigungsplanung. Die sich abzeichnenden tiefgreifenden Veränderungen durch die Wiener VKSE-Verhandlungen und die augenblicklichen raschen Entwicklungen im innerdeutschen und Ost-West-Verhältnis werden dazu führen, daß in naher Zukunft die einzelnen Faktoren der militärischen Operationsplanung, so u. a. auch Sperren, neu bewertet werden müssen.
Im Vorgriff auf diese Gesamtentwicklung hat der Bundesminister der Verteidigung am 27. März 1990 entschieden — bei gleichzeitiger Unterrichtung auch der NATO-Kommandobehörden — , daß Neubauten für Sperren und vergleichbare Vorhaben zunächst auszusetzen sind und daß begonnene Bauvorhaben unter Beachtung wirtschaftlicher Randbedingungen einzustellen sind. Diese Entscheidung wurde den verantwortlichen Kommandobehörden und Dienststellen der deutschen Streitkräfte bekanntgegeben.
Eine Zusatzfrage, bitte schön!
Herr Staatssekretär, ich möchte von Ihnen einmal wissen, ob das Auffassung der Bundesregierung ist, was Ihre Kollegin Frau Hürland-Büning
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16734 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990
Reuterdem Landrat des Main-Kinzig-Kreises mitgeteilt hat, daß nämlich diese Sprengeinrichtungen, diese Sprengkammern und -schächte, in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen würden.Wimmer, Parl. Staatssekretär: Die Erklärungen, die Frau Kollegin Hürland-Büning als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung abgegeben hat, werden von mir in jedem Fall geteilt.
— Ja, weil ich davon ausgehe, daß Frau Kollegin Hürland-Büning im Rahmen ihrer Zuständigkeit die richtige Antwort gegeben hat, und zwar unbeschadet des Einzelfalles, über den Sie dann mit der Frau Kollegin Hürland-Büning sprechen müßten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wie ist es dann aber denkbar, daß Sie mir hier eine ganz andere Antwort erteilen? Ich frage Sie deshalb auf dem Hintergrund Ihrer Antwort, in der es hieß, daß der Verteidigungsminister angeordnet hat, daß in der Planung befindliche Sperranlagen nicht mehr gebaut werden sollen: Sind Sie bereit, verbindlich zu erklären, daß in dem Gemarkungsbereich der Stadt Langenselbold im Main-Kinzig-Kreis auf den Einbau weiterer Sprengschächte verzichtet wird?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Sie werden eben auch vernommen haben, daß der Bundesminister der Verteidigung zwei Überlegungen an die nachfolgenden Kommandobehörden weitergegeben hat, nämlich daß Neubauten für Sperren und vergleichbare Vorhaben zunächst auszusetzen sind und daß begonnene Vorhaben unter Beachtung wirtschaftlicher Randbedingungen einzustellen sind. Im Rahmen dieser beiden Überlegungen bin ich gern bereit, auch im Zusammenhang mit dem Main-Kinzig-Kreis überprüfen zu lassen, ob dem Rechnung getragen wird.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen. Wenn Sie sie nutzen wollen, bitte sehr!
Ja. — Da der Herr Staatssekretär hier ja verbindlich erklärt hat, daß alles stimme, was seine Kollegin dem Main-Kinzig-Kreis schriftlich mitgeteilt hat, interessiert mich noch sehr, ob es denn auch richtig ist, daß wir jetzt von einer Bedrohung aus dem Osten Abstand nehmen müßten, es aber auch denkbar sein könnte, daß eine Bedrohung aus anderer Richtung käme und Truppen von Österreich über Bayern in Hessen einfielen. Wird diese Auffassung auch von Ihnen geteilt?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie müssen davon ausgehen, daß diese Stellungnahmen im Bundesministerium der Verteidigung so erstellt werden, wie es in einer ordnungsgemäß arbeitenden Verwaltung immer der Fall ist. Das heißt, die zuständigen Fachabteilungen des Bundesministeriums der Verteidigung arbeiten diese Antwortentwürfe zu.
Ich kann hier nur davon ausgehen — ich sage dies zum wiederholten Male — , daß wir in Anbetracht der erfolgreichen Politik, die diese Bundesregierung betrieben hat, nicht nur in die Gesamtüberprüfung dieser Maßnahmen einsteigen werden, sondern bereits eingestiegen sind.
Letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Reuter.
Ich hätte dazu noch eine Frage. Herr Staatssekretär, wenn das alles stimmt, was Frau Hürland-Büning uns mitgeteilt hat, und Sie das auch noch bestätigen, indem Sie sagen, daß dies im Verteidigungsministerium abgestimmt wurde, könnte es nicht sein, wenn die Bedrohung dann plötzlich von Frankreich oder von Holland käme, daß die Sprengschächte und die Sprengkammern plötzlich alle auf der falschen Seite wären.
Was gedenkt die Bundesregierung in einem solchen Falle der Bedrohung zu tun?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es steht Ihnen natürlich frei, Fragen in Übereinstimmung mit den allgemeinen Erkenntnissen, die Sie in den zurückliegenden Jahrzehnten in diesem Lande gewonnen haben, zu stellen. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß wir unsere Friedenssicherung gegenüber unseren westeuropäischen Nachbarn seit Jahrzehnten in anderer Weise betrieben haben. Das dürfte Ihnen bekannt sein.
Dies veranlaßt nun den Abgeordneten Gansel, noch eine Zusatzfrage zu stellen.
Herr Staatssekretär, können Sie meinem zu Recht besorgten Kollegen bestätigen, daß die Sprengschächte im Main-Kinzig-Kreis auch nicht gebaut werden, um den Einmarsch der bayerischen CSU im Rahmen ihrer gesamtdeutschen Ambitionen in Hessen zu verhindern?
Herr Staatssekretär, ich gebe Ihnen nicht die Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, weil es eine Dreiecksfrage ist. Ich gehe auch davon aus, daß der Abgeordnete keine Antwort erwartet.Ich stelle nun fest, daß die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Heistermann auf Grund der Anlage 4 der Geschäftsordnung, Abschnitt I Nr. 2 Abs. 2, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Gansel auf:
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990 16735
Vizepräsident CronenbergIst die Bundesregierung in Anbetracht der bevorstehenden Reduzierung der Bundeswehr und der Umstrukturierungen bei der Bundesmarine bereit, den Bau des für die Bundeswehr in Kiel geplanten Behördenzentrums noch einmal zu überprüfen und zusammen mit der Stadt Kiel Lösungen zu entwickeln, die sowohl den mittelfristigen Bedarf der Bundeswehr für Büroräume in Kiel wie auch die langfristigen städteplanerischen Belange der Stadt Kiel berücksichtigen?Herr Staatssekretär, bitte.Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, der Bundesminister der Verteidigung hält an der Absicht fest, den Neubau des Behördenzentrums der territorialen Wehrverwaltung in Kiel wie geplant im Spätsommer 1990 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen zu beginnen. Nach den derzeitigen Planungen werden die im Neubau des Behördenzentrums unterzubringenden Dienststellen, die zur Zeit auf mehrere, teilweise angemietete und darüber hinaus räumlich unzureichende Objekte verteilt sind, von der Reduzierung der Bundeswehr nicht in nennenswertem Umfang betroffen. Insbesondere ist die Struktursicherheit dieser Dienststellen nicht in Frage gestellt, da Kiel Hauptstützpunkt der Marine in der Ostsee bleiben wird. Bei dem Bau des Behördenzentrums geht es vorrangig darum, unzureichende Arbeitsräume und teure Mietunterkünfte aufzugeben sowie den zivilen Mitarbeitern angemessene Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, da diese Planungen für eine 500 000 Mann starke Bundeswehr im Jahre 1985 angestellt worden sind, da das zentrale Verwaltungszentrum nun frühestens im Jahre 1993 bezugsfertig sein wird und da die Stadt Kiel die Grundstücke für den privaten Wohnungsbau — der bei der Situation in Kiel übrigens auch der Bundeswehr zugute käme — nutzen kann, frage ich, ob es in dieser Situation nicht sinnvoll ist, einvernehmlich mit der Stadt die Planung noch einmal zu überprüfen?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, Sie wissen, daß wir gerade vor dem Hintergrund der von uns gewollten und initiierten Entwicklung natürlich auch die Streitkräfte insoweit einer Überprüfung unterziehen, als wir das, was wir planen, in Übereinstimmung mit der politischen und der von uns angestrebten Wirklichkeit bringen. So haben wir im Zusammenhang mit dem Kabinettsbeschluß vom 6. Dezember 1989 erklärt, daß wir die gesamte Bundeswehr einer intensiven Planung unterziehen und daß wir letzte Konsequenzen, was auch Standorte betrifft, im nächsten Jahr vor dem Hintergrund dieser Gesamtüberprüfung auch dem Deutschen Bundestag mitteilen werden. Von daher ist es ein laufender Prozeß, dem wir uns unterziehen. Dennoch kann ich Ihnen heute die Antwort geben, daß auch vor dem Hintergrund zukünftiger Strukturen und ihrer Entwicklung dieses Behördenzentrum einen so aktuellen Sinn hat, daß an der Planung von 1990 festgehalten wird.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Gansel.
Es gibt sicherlich Probleme bei der räumlichen Unterbringung. Ich denke an den Berufsförderungsdienst, der in den Zellen des ehemaligen Marinegefängnisses seine Beratungstätigkeit ausübt. Aber hier kann man ja auch durch Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen für die Beschäftigten etwas tun.
Ist es wirklich sinnvoll, an Planungen festzuhalten, von denen Sie selbst gesagt haben, daß Sie sie im Laufe des kommenden Jahres noch einmal überprüfen werden?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Das ist, wie ich eben gesagt habe, Herr Kollege Gansel, ein laufender Prozeß, dem wir uns zumindest offiziell seit dem 6. Dezember 1989 unterziehen. Wenn ich als Ergebnis einer solchen Überprüfung diese Antwort gebe, dann können Sie davon ausgehen, daß wir uns in der Tat sehr intensiv darüber Gedanken gemacht haben, ob wir diese Antwort so geben können. Wir können sie geben.
Danke schön. — Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe nunmehr den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf :
Aktuelle Stunde
Die Beschlüsse der Bundesregierung zur Rolle des Umweltschutzes im Staatsvertrag
Die Fraktion der GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat die Abgeordnete Frau Kottwitz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem sich jetzt in unverantwortlicher Weise vollziehenden Prozeß der Wirtschafts- und Währungsunion haben DIE GRÜNEN von Anfang an gefordert, daß die Ökologie nicht hinter den Investitionsinteressen der bundesdeutschen Wirtschaft stehen darf. Doch die jetzt hochgelobte Umweltunion des Herrn Töpfer entpuppt sich bei genauer Studie sehr schnell als Makulatur. Es geht hier lediglich um die Übernahme des unzureichenden bundesdeutschen Umweltrechts. Großzügige Übergangsregelungen stellen sicher, daß der Umweltschutz nicht zum Investitionshemmnis wird. Insbesondere in den kritischen Bereichen der Luftschadstoffe und der Altlasten werden keine verbindlichen Regelungen geschaffen, weder in zeitlicher noch in finanzieller Hinsicht.Ein deutliches Beispiel für die Unzulänglichkeit finden wir in der Atomgesetzgebung. Auf Grund des Alters und der Mangelwirtschaft sind die Atomkraftwerke in der DDR störanfällig und lebensbedrohlich. Ein Super-GAU führt unweigerlich, wie Tschernobyl gezeigt hat, zu einer Bedrohung des Lebens in Gesamteuropa.Dieser Gefahr bewußt, wird unser Atomgesetz für die Übernahme in der DDR mit Ausnahmeregelungen
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16736 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990
Frau Kottwitzversehen, die den Betrieb dieser Anlagen weiter ermöglichen.
Nehmen wir dazu die erschreckenden Berichte über den Uranabbau. Erhöhte Radioaktivität führt dabei zu drastisch steigenden Krebsraten. So bleibt nur die Forderung: Sofortiger Ausstieg aus der Atomindustrie in Ost und West.Völlig unzureichend ist auch die Abfallgesetzgebung geregelt. Der drohenden Müllawine stehen keine Vermeidungskonzepte entgegen. Mit der Übernahme des Bundes-Immissionsschutzgesetzes kann in Zukunft auch in der DDR flächendeckend Müll in Anlagen verbrannt werden, die nicht ausdrücklich dafür vorgesehen und die ungenügend ausgestattet sind. Viele der im Umweltrahmengesetz aufgeführten Gesetzesvorhaben — wie die Umweltverträglichkeitsprüfung, die sogar in der Präambel erwähnt wird — sind keine Errungenschaft der von der Bundesregierung erarbeiteten Umweltunion.In dem Bericht der Europäischen Kommission über die Gemeinschaft und die deutsche Vereinigung wird deutlich gefordert, daß nach der formalen Vereinigung der beiden deutschen Staaten, also nach den Wahlen, das Gemeinschaftsrecht der EG im Gebiet der heutigen DDR generell anwendbar ist. Hier zeigt sich deutlich, daß die Umweltunion eine reine Pflichterfüllung ist, vorgegeben vom Gemeinschaftsrecht.Das Ziel des Staatsvertrages lautet: Bahn frei für das Kapital. Dabei wird ökologisches Denken und Handeln zu einer Randgröße. Weder die strukturellen Ursachen unserer Umweltzerstörung und das grenzenlose Wachstum noch die Erkenntnisse über die drohende Klimakatastrophe haben Eingang in diesen Gesetzentwurf gefunden.Angesichts der ökologischen und sozialen Problemlagen muß die Wirtschafts- und Umweltpolitik mit folgenden Zielen verzahnt werden: Förderung der Umwelt und der sozialverträglichen Entwicklung der Wirtschaft, Erwerbsarbeit für alle. Die Umweltverträglichkeit des Wirtschaftens muß eine zentrale Orientierung der Wirtschaftspolitik werden. Ökologische Rahmenpläne zur Reduktion von Schadstoffemissionen und -immissionen, die Vermeidung umweltbelastender Abfälle und eine rationelle Verwendung natürlicher Ressourcen müssen in einer gemeinsamen Umweltunion mittelfristig zur Grundlage unseres Wirtschaftens werden. „Grundlage" bedeutet, daß das nicht nur als zeitgemäße Floskel auf dem Papier steht — wie im Bundesnaturschutzgesetz, in dem seit über zehn Jahren die nachhaltige Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen verankert ist, die konkreten Auswirkungen aber gleich Null sind.Nehmen wir den fortschreitenden Landschaftsverbrauch und das Verschwinden von Tier- und Pflanzenarten als Indikatoren für die Umweltveränderungen, so wird klar, daß unsere Naturschutzgesetze noch nicht einmal eine Verlangsamung dieser verhängnisvollen Entwicklung bewirkt haben. Zur Zeit sind die ökologischen Verhältnisse in der DDR noch katastrophaler als in der BRD. Der Aufbau neuer Produktionsanlagen mit westlichen Standards ist mit einer Verbesserung der Umweltsituation verbunden, aber nur kurzfristig. Langfristig müssen umweltzerstörende Produktionsbereiche abgestellt und umweltverträgliche Produktionen gefördert werden.Die Chance für ein ökologisches Wirtschaften auf höchstem technischen Niveau in der DDR besteht. Damit könnte die DDR zum Ausgangspunkt für eine neue Zeitrechnung werden. Die Wirtschaft in der DDR hat die Chance, mit dem Aufbau alternativer Industrien eine Lücke des Weltmarktes zu schließen und somit schnell konkurrenzfähig zu werden.In diesem Sinne komme ich zum Schluß.
Ich muß bei der Aktuellen Stunde sehr darauf achten; sonst bin ich ja großzügig.
Denn damit könnte für uns alle der Grundstein für ein modernes, an ökologischen Prinzipien ausgerichtetes Europa gelegt werden.
Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Kottwitz, ich will nicht näher darauf eingehen; aber Sie sollten einmal den Staatsvertrag und das Umweltrahmengesetz lesen — nur lesen;
mehr will ich gar nicht — und sich den Art. 16 des Staatsvertrages zu Gemüte führen. Ich glaube nicht, daß es gut ist, den Umweltschutz dazu zu mißbrauchen, Stimmung gegen den Staatsvertrag zu machen.
Sie sollten der Bevölkerung der DDR und der Bundesrepublik Deutschland nicht die Konsequenzen verschweigen: Wenn die Umweltstandards der Bundesrepublik Deutschland zugrunde gelegt werden, können Sie davon ausgehen daß 70 % der DDR-Betriebe stillgelegt werden müssen. Was dies in sozialer Hinsicht bedeutet, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen.Ich will feststellen, daß jede unterbliebene Neuinvestition in der DDR verlorener Umweltschutz ist. Denn die Qualität der Umwelt wird eher durch neue Anlagen und Produkte, die dem neuesten Stand der Technik entsprechen, verbessert als durch den Weiterbetrieb veralteter Anlagen. Jeder sollte sich bei seinen Forderungen dann auch über die Konsequenzen im klaren sein.Wir sind der Auffassung, daß mit dem Staatsvertrag die Umweltunion mit der DDR geschaffen wird. Es ist kein Problem des Zeitpunkts, sondern es ist ein Prozeß, wenn wir über die Umweltunion reden. Zusammen mit dem für den Gesamtbereich des Umwelt-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990 16737
Schmidbauerschutzes gemeinsam von der DDR und der Bundesrepublik Deutschland vorbereiteten Umweltrahmengesetz wird dieser Prozeß dafür sorgen, daß mittelfristig das bestehende Gefälle zwischen beiden Teilen Deutschlands auf einem hohen umweltpolitischen Niveau ausgeglichen wird.Ich finde, daß hier auch einmal gesagt werden muß, daß das, was Umweltminister Töpfer mit seinem Kollegen Professor Steinberg verhandelt, nicht nur in Ordnung geht, sondern das Optimum dessen darstellt, was wir heute überhaupt realisieren können. Wir sollten uns auch nicht übernehmen, und wir sollten die vorhandenen Verwaltungsstrukturen in der DDR einmal mit in Betracht ziehen.Professor Steinberg hat gestern bei dem Gespräch, das wir hatten, darauf hingewiesen, daß die DDR in einer anderen Situation steht als die Bundesrepublik Deutschland, da die ökologische Ausgangssituation miserabel ist.Meine Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns einmal die Entwicklung in der DDR ansehen; wir sollten einmal eine Bestandsaufnahme machen und dann sehen, auf welchem Niveau die DDR heute steht und was wir hier eigentlich in wenigen Tagen vorhaben. Ich glaube, daß sowohl der Staatsvertrag wie auch das Umweltrahmengesetz sehr wohl dazu führen, daß wir die Dinge auf einem hohen Niveau realisieren können.Ich meine, daß folgende Elemente realisiert werden müssen:Erstens. Neuinvestitionen in der DDR müssen sich an den Anforderungen, insbesondere an den Sicherheitsanforderungen und den Grenzwerten des bundesdeutschen Umweltrechts orientieren. Das ist unstrittig; das ist die Chance, wenn Sie so wollen, für mehr Umweltschutz in der DDR. Dabei ist aber auch DDR-spezifischen Umständen, z. B. auf Grund der Vorbelastungssituation, des Zustandes der Altanlagen und einer weitgehend fehlenden Verwaltungsstruktur, Rechnung zu tragen. Das ist ein ganz wichtiges Moment.Wenn sich manche vorstellen, daß in der DDR in wenigen Monaten Umweltrecht aus der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt werden kann, ohne daß es Mittelinstanzen gibt und ohne daß es Länder gibt, dann darf ich nur darauf hinweisen, wie schwierig es selbst bei uns ist, wenn es an die Umsetzung und an den Vollzug in den Ländern geht.Meine lieben Freunde, ich sage noch einmal: Übernehmen wir uns nicht!
— Einer der Freunde ist Minister Töpfer, wenn du das wieder hören willst.
Zweitens. Im Hinblick auf die noch andersartigen Verwaltungsstrukturen ist eine Übernahme des bundesdeutschen Genehmigungsverfahrens nicht möglich. Auch das will ich hier einmal sehr deutlich sagen. Es ist notwendig, daß wir es vereinfachen. Es darf allerdings keine Abstriche an den materiellen Umweltschutzanforderungen und an den Mitbeteiligungsrechten der Öffentlichkeit geben; das ist ebenso selbstverständlich.Drittens. Bei Investitionen auf vorhandenen Standorten muß die Frage der Haftung für Altlasten in dem Sinne geregelt werden, daß Investitionen nicht behindert werden. Auch dies ist ein ganz wichtiges Moment. Eine derartige Regelung präjudiziert nicht die Frage der Sanierung von Altlasten.Viertens. Hinsichtlich vorhandener Anlagen ist entsprechend der jeweiligen Toxizität und des Gefährdungspotentials zu entscheiden, welche Übergangsfristen notwendig werden. Auch hier schlage ich vor, entsprechend der TA Luft — allerdings mit verlängerten Fristen — zu operieren.Ich komme zum Schluß. Wir sind überzeugt, daß die rechtzeitige Verabschiedung eines Umweltrahmengesetzes durch die Volkskammer zusammen mit dem Inkrafttreten des Staatsvertrages die Umweltunion mit der DDR bereits zum 1. Juli 1990 gewährleistet. Eine unabhängige liberale Tageszeitung schrieb gestern, daß man die Generalüberholung bzw. die Totalsanierung der DDR-Wirtschaft unter Wahrung wenigstens des Umweltstandards der Bundesrepublik durchaus als Verdienst der Umweltpolitiker der Regierungen in Bonn und Ost-Berlin anerkennen darf. Dem möchte ich nichts hinzufügen.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Schäfer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir Sozialdemokraten haben in den verschiedenen Parlamentsgremien in diesem Hause und auch in der Öffentlichkeit darauf hingewiesen, daß für uns nur eine Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit von Währungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Umweltunion in Frage kommen kann. Alle umweltpolitischen Reden in diesem Hause wären Wortgeklingel geblieben, wenn wir weiter den Weg beschritten hätten, den diese Regierung bei dem Staatsvertrag und bei den Verhandlungen zunächst eingeschlagen hatte. Die erste Fassung des Staatsvertrages zeigte: Umweltschutz kam — wenn überhaupt — nur unter „ferner liefen", nur am Rande vor. Das war Art. 14 Abs. 2, ein Jammerbild für alle diejenigen, die diesen Vertrag zunächst schon quergeschrieben hatten.
— Entschuldigen Sie bitte, lieber Kollege Lippold; ich bitte Sie ganz inständig, sich die entsprechenden Protokolle anzuschauen und die flammenden Reden nachzulesen, die von Ihrer Seite zur ersten Fassung des Staatsvertrages — Abteilung Umwelt — gehalten worden sind. Es war ein Skandal, daß der Umweltschutz in einer derart nachgeordneten Weise überhaupt Eingang in einen Vertragstext — auch wenn es nur ein Entwurf war — finden konnte. Schminken Sie von der Union sich bitte Ihre Reden vom Vorrang des
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Schäfer
Umweltschutzes ab, Herr Kollege Lippold, wenn Sie die Absicht hatten, so etwas querzuschreiben.
Wir sind jetzt einen Schritt weiter. Wir erkennen, daß der Staatsvertrag auf unseren Druck hin eine neue Fassung erhalten hat. Art. 16 Abs. 2 in der neuen Fassung stellt eine Verbesserung dar.
Zielvorstellung des neuen Art. 16 ist immerhin die Umweltunion. Von einer gleichwertigen und gleichrangigen Realisierung kann freilich immer noch nicht die Rede sein.
Wir haben im Umweltausschuß und auch in der Öffentlichkeit — letztmals am vergangenen Donnerstag in unseren zehn Punkten — einige Forderungen mit dem Ziel der Änderung des Textes des Vertragswerks erhoben und hier zur Diskussion gestellt. Diese Forderungen sind zwischenzeitlich erfüllt worden. Das Umweltrechtsrahmengesetz, das wir heute morgen im Ausschuß diskutiert haben, ist nicht zuletzt auf Druck der Länder verbessert worden.
Ich bin sehr froh, daß man unseren Forderungen nachgekommen ist und daß beispielsweise die allgemeine Härteklausel weggefallen ist.
Ich sage daher: Der Vertragstext und das, was zum Vertragswerk gehört, ist in umweltpolitischer Hinsicht besser geworden, aber es ist noch nicht gut, vor allem nicht gut genug. Daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, das genauso sehen, kann man an der Tatsache erkennen, daß sie unserer Forderung, in diesem Bereich noch zu verhandeln, nachgekommen sind. Ich verstehe es als eine gemeinsame Aufgabe, im Rahmen der anstehenden Verhandlungen dafür Sorge zu tragen, daß — entweder im Vertrag selbst oder im Zusammenhang mit dem Vertragswerk — unter dem Strich tatsächlich sichergestellt wird, daß wirklich von einer Gleichwertigkeit und Gleichrangigkeit von Ökologie und Ökonomie gesprochen werden kann.
Ich sage noch einmal — wir haben es in der Debatte zum Staatsvertrag schon zum Ausdruck gebracht — : Die Realisierung der Umweltunion muß in ihren zentralen Bestandteilen völkerrechtlich ebenso verbindlich vereinbart werden wie Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, und zwar nicht nur was Neuanlagen angeht, Kollege Schmidbauer, sondern auch was die Vorlage eines Plans für die ökologische Sanierung und Entwicklung angeht,
weil wir nur so gewährleisten können, daß die DDR
nicht auf Dauer zu einem Industriestandort zweiter
Klasse und zum schmutzigen Hinterhof Deutschlands wird.
Die Umweltkrise in der DDR, die ökologische Belastung in der DDR, ist gleichzeitig eines der größten Investitionshemmnisse. Wer den ökonomischen Neuanfang, wer den ökonomischen Aufbau der DDR will, der muß schon aus ökonomischen Gründen gleichzeitig den ökologischen Aufbau der DDR zum festen und zeitgleich zu realisierenden Bestandteil machen.
Das ist unsere Zielvorgabe. Daran werden wir dann natürlich auch unsere Entscheidung auszurichten haben.
Wir werden keiner Regelung zustimmen können, die die Umwelt unter die Räder geraten läßt, und zwar sowohl in der DDR als auch bei uns.
Wir werden uns bei den Verhandlungen in den nächsten Tagen bemühen — das Angebot geht an Sie, Herr Töpfer, geht auch an Ihre Adresse, Herr Kollege Baum — , einen Weg aufzuzeigen, der dann sicherstellt — und wir hoffen, er wird möglich sein — , daß tatsächlich von Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit von Wirtschaftspolitik, Währungsunion, Sozialpolitik und Umweltpolitik gesprochen werden kann. Bis zur Stunde ist dies nicht der Fall.
Die Tatsache, daß die Gespräche gestern stattgefunden haben, zeigt auch, wie richtig es gewesen ist, daß wir Sozialdemokraten darauf hingewiesen haben, daß das Vertragswerk in der Form, wie es gegenwärtig vorliegt, nicht zustimmungsfähig ist.
Nun hat der Abgeordnete Gerhart Rudolf Baum das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schäfer, Sie warnen vor Gefahren, die es gar nicht gibt. Der Umweltschutz ist ein integraler Bestandteil des Staatsvertrages. Wir treten — ich nehme an, gemeinsam — für eine ökologisch verpflichtete Marktwirtschaft auch in der DDR ein. Der Staatsvertrag bringt das zum Ausdruck.
Art. 16 ist in Ordnung. Wir stimmen ihm ohne Wenn und Aber zu. Und ich habe von Ihnen heute früh nicht einen einzigen Antrag oder Vorschlag zur Änderung des Staatsvertrages gehört.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990 16739
BaumAuch die sieben Punkte, die Sie im Kanzleramt vorgelegt haben, beinhalten keinen Vorschlag, den Art. 16 zu ändern. Sie haben nichts formuliert.
Das Umweltrahmengesetz können wir in allen wesentlichen Punkten der Volkskammer zur Annahme empfehlen. Bestehende Industrieanlagen werden nach Übergangsfristen dem strengeren Umweltniveau der Bundesrepublik Deutschland angepaßt. Alle Fachbereiche sind dort integriert. Dies alles muß zeitgleich mit dem Staatsvertrag am 2. Juli in Kraft treten. Darüber sind wir einig.Die Bundesregierung gewährleistet im Zusammenwirken mit der Regierung der DDR, daß die DDR nicht zum Umweltdumpingland wird, auf das man bequem ausweichen könnte. Die Bundesregierung gewährleistet gleichzeitig — das ist auch unser umweltpolitisches Ziel —, daß hier keinerlei Abstriche an der Umweltpolitik gemacht werden. Es gibt keine umweltpolitische Atempause mit Rücksicht auf die Einheit Deutschlands. Wir halten an unseren umweltpolitischen Zielen fest.Die Kritik der SPD-Opposition, Herr Schäfer, ist unberechtigt. Wir haben heute mit Ihnen über alle sieben Punkte gesprochen. Die haben Sie uns gestern im Bundeskanzleramt übergeben. Daraus ergibt sich — ich wiederhole das — , daß die SPD eine Änderung des Staatsvertrages nicht vorschlägt. Sie hat keinerlei Vorschlag gemacht.
Sie hat eine Reihe von Punkten aufgezeigt. Als Fazit der eingehenden Diskussion darüber kann ich feststellen, daß sich kein wesentlicher Handlungsbedarf daraus ergibt. Nahezu alles ist bereits Gegenstand der Verträge oder anderer Absprachen und Zusagen. Die Ziele, die sich Bundesregierung und DDR-Regierung setzen, sind teilweise sehr ehrgeizig. Es wird außerordentlich großer Kraftanstrengungen bedürfen, um diese Ziele auch angesichts fehlender Verwaltungsstrukturen in der DDR durchzusetzen.Ich meine, Herr Schäfer, daß wir nicht so weit gehen sollten, von der DDR Dinge zu verlangen, die wir selber nicht fertiggebracht haben.
Die Bundesländer, die dafür zuständig sind, haben keine durchgreifende Lösung zur Altlastensanierung vorgelegt. Auch Sie sollten das jetzt nicht tun. Soviel Selbstgerechtigkeit sollten wir nicht haben. Wir sollten auch unsere Vollzugsdefizite sehen und von der DDR jetzt nicht mehr verlangen, als wir bei größter Anstrengung hier leisten.Es ist also festzustellen: Die DDR wird bis zum 15. November 1990 Eckpunkte eines ökologischen Sanierungsentwicklungsplans vorlegen. Die DDR gewährleistet, daß die wesentlichen anlagen- und nicht anlagenbezogenen und die stoffbezogenen Umweltbestimmungen der Bundesrepublik Deutschland gleichzeitig mit dem Staatsvertrag in Kraft treten. Wirhaben heute auch wichtige Hinweise auf die Sicherheitsstandards in Sachen Atom bekommen. Den Besorgnissen, die Sie geäußert haben, ist jedenfalls von Herrn Töpfer in der Sitzung widersprochen worden.
Dies alles zeigt mir, daß Sie mit Ihren Forderungen, veralteten Forderungen, die Sie heute früh auf den Tisch gelegt haben, offene Türen einrennen.Ich möchte hier feststellen, daß die Mitarbeiter der Ministerien in kurzer Zeit außerordentlich gute Arbeit geleistet haben. Ich möchte ihnen danken. Eine so wichtige Anpassung zu erarbeiten, sozusagen Neuland zu betreten, war eine großartige Leistung.
Wir stehen, Herr Schäfer, zu jeder weiteren Klärung und Beratung, wie sie gestern zwischen den Parteien vereinbart worden ist, natürlich zur Verfügung. Aber ich sage noch einmal: Der Staatsvertrag wird von uns nicht geändert, und Sie wollen ihn in diesem Punkt auch nicht ändern. Er wird und muß wie geplant am 2. Juli 1990 in Kraft treten. Gleiches gilt für das Umweltrahmengesetz, in dem für uns jedenfalls keine wesentlichen offenen Punkte mehr enthalten sind.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.
Herr Präsident! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Das Umweltrahmengesetz kann nicht dem Anspruch genügen, daß die Umweltunion gleichrangig und gleichwertig mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion im Staatsvertrag verankert wird. Denn das, was auf Drängen der Oppositionskräfte nunmehr zustande gekommen ist, kann bestenfalls als rudimentäres Vorhaben bezeichnet werden. Das sage ich auch nach der fast dreistündigen intensiven Diskussion im Umweltausschuß. Wir hatten heute erstmalig die Möglichkeit, über das Rahmengesetz zu debattieren, Herr Kollege Baum.Was ist also mit der Umweltunion gewonnen? Es ist völlig klar: Die DDR braucht Kläranlagen, die DDR braucht auch erst einmal End-of -pipe-Technologien, um die größten Belastungen reduzieren zu können. Aber welche Regularien, verehrte Kollegen und Kolleginnen, sind vorgesehen oder werden eingesetzt, um der DDR den Übergang zu umweltfreundlichen Produktionsweisen und zu naturfreundlichen Produkten zu ermöglichen?Wenn die DDR in Kürze die Umweltstandards der bundesdeutschen Umweltgesetze übernimmt, so müssen wir uns völlig im klaren sein — dies hat die gestrige „Kontraste"-Sendung in aller Deutlichkeit vermittelt —,
daß eine nachhaltige Sicherung des Naturhaushalts und der menschlichen Gesundheit hiermit nicht gewährleistet ist. Stichwort: Dioxine. Die Verseuchung ist ubiquitär und im Steigen begriffen. Von daher ergibt sich die gemeinsame Verantwortung in der DDR
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16 740 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990
Frau Garbeund in der Bundesrepublik, in der Vorsorgepolitik wesentlich radikaler anzusetzen.
Was in der Präambel steht, hört sich gut an, täuscht aber über die bittere Wirklichkeit der übernommenen bzw. zu übernehmenden bundesdeutschen Umweltgesetze hinweg. Das dürfen wir nie vergessen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutsche Umweltunion beginnt am 1. Juli dieses Jahres.
An ihrer Errichtung hat der Bundesumweltminister, Professor Töpfer, großen Anteil. Herzlichen Dank! Für die Sanierung von Natur und Umwelt — 40 Jahre lang vom real existierenden Sozialismus geschunden und vernichtet — gibt es kein Vorbild.
Was im Staatsvertrag und mit dem gleichzeitig in Kraft tretenden Umweltrahmengesetz angelegt wird, ist der Modellfall einer beispielslosen Totalsanierung in kürzester Zeit. Der Entwurf dieser Umweltunion ist äußerst ehrgeizig, sehr mutig und ein großes Wagnis, aber ein notwendiges Wagnis.Für Neuanlagen gilt das bundesdeutsche Umweltschutzrecht mit Inkrafttreten des Staatsvertrages und des Umweltrahmengesetzes sofort.
Für bestehende Industrieanlagen sind die vorgesehenen Übergangsfristen zur Anpassung an unsere Standards und Normen sehr kurz, angesichts der katastrophalen Zustände extrem kurz.Das ist nun wirklich seltsam: Da hagelten die SPD-Vorwürfe von morgens bis abends auf uns nieder: wegen des angeblich unverantwortlich schnellen Tempos der deutschen Einigung. Aber mit der Umweltunion zum 1. Juli geht es der Opposition viel zu langsam, ist alles unzureichend und heiße Luft. Das ist nicht gut genug, sagt der Kollege Schäfer. Und er baut einen üblen Pappkameraden auf,
wenn er hier von einem Industriestandort zweiter Klasse spricht. So kann man Zukunftschancen zerreden, Herr Kollege Schäfer.
Die DDR-Produktion soll dann vor Wettbewerb geschützt und nur ganz allmählich den Marktkräftenausgesetzt werden. Das fordert die SPD. Einführungdes Marktes auf Zeit, aber schärfsten Umweltschutzsofort — das ist typisch für die SPD-Doppelstrategie.
Wer die Verantwortung nicht trägt,
tut sich leicht mit solchen Widersprüchen, Herr Kollege Schäfer.Wir wollen unmißverständlich feststellen: Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist die Umweltunion von gleich hoher Bedeutung wie die gemeinsame deutsche Währung, die Marktwirtschaft und die soziale Sicherheit.
Für diese Erkenntnis brauchen wir keinen Nachhilfeunterricht.
Was die Opposition an Nachforderungen erhebt, ist längst bedacht, vorbereitet und in Arbeit. Für Anregungen im einzelnen ist jedermann jederzeit offen. Aber das sind Fragen, die zuerst die Regierung de Maizière und die Volkskammer betreffen.Wo ist hier die vielbeschworene Behutsamkeit im Umgang mit der anderen Seite? Die SPD muß aufpassen, daß sich nicht der Eindruck verfestigt, sie wolle über alle Köpfe in der DDR hinweg ihre eigenen parteipolitischen Interessen verfolgen.Auch beim Umweltschutz gibt es die enorme Dramatik der Umstellung von der alten auf die neue Ordnung. Die Übergänge müssen mit Augenmaß gestaltet werden; sonst kommt es zu totalen Zusammenbrüchen in der Industrie. Soziale Härten müssen soweit wie möglich vermieden werden.Die Umweltsanierung gelingt um so besser, je mehr privates Kapital für Neuinvestitionen, die unseren hohen Umweltanforderungen genügen, mobilisiert werden kann, damit hoffnungslos veraltete, unrentierliche , umweltzerstörende und nachrüstungsunwürdige Anlagen bald stillgelegt werden können. An den bestehenden Vorbelastungen darf der Neuaufbau nicht scheitern.
„Alles und sofort" gibt es nur im Märchen und bei der rot-grünen Opposition.Die Regierungen Helmut Kohl und Lothar de Maizière schreiten mit Mut, Entschlossenheit und Augenmaß auf der Straße zur deutschen Einheit voran, auch zur Umweltunion. Am Wegrand steht eine kleinmütige und zerstrittene Opposition
voller Widersprüche, Verzagtheit und Unwillen. Auch wenn es Ihnen nicht gefällt: Es gibt viel kleines Karo in einer geschichtlich bedeutsamen Zeit.
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Dr. LaufsDanke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Damit von Anfang an keine Mißverständnisse hier entstehen: Es gibt eine tiefe Kluft zwischen der Koalition und den Sozialdemokraten in der Grundeinschätzung des Umweltschutzes in der Bundesrepublik Deutschland.
So wie die Dinge liegen und in den letzten Jahren gelaufen sind, hat die Bundesregierung auf keinem einzigen Hauptaktionsfeld der Umweltpolitik das getan, was nach unserer Ansicht unverzichtbar ist,
um die natürlichen Lebensgrundlagen in einer modernen Industriegesellschaft zu erhalten.
Die Umweltpolitik dieser Bundesregierung ist unverändert durch mangelnde Vorsorge für die folgenden Generationen gekennzeichnet.
Sie zehrt unsere natürlichen Lebensgrundlagen auf, als stünden Boden, Luft und Wasser unendlich und unverwüstbar zur Verfügung.
Mit Ihrer Umweltpolitik leben Sie auf Pump, auf Kosten der Natur und der Gesundheit der Menschen in unserem Land.
Sie leben von der Substanz und tun so, als sei es eine üppige Rücklage.
Reagieren und reparieren statt schützen und erhalten. Ihre Politik konzentriert sich nur auf Schadstoffe — leider auf zu wenige —, statt auf ein vernetztes ökologisches Konzept. Sie reagieren den Dingen hinterher, statt vorausschauend unsere Natur zu schützen.
Meine Damen und Herren, warum sage ich dies in der Aktuellen Stunde, die sich mit dem Umweltschutz in der DDR beschäftigen soll? Weil niemand ernsthaft daran glauben kann, daß Sie das, was Sie an konzeptioneller Umweltvorsorge hier in der Bundesrepublik vermissen lassen, beim Aufbau einer ökologischen Marktwirtschaft in der DDR leisten können oder wollen.
Wenn sich Kanzleramtsminister Seiters heute in der Presse vernehmen läßt, die geplante Umweltunion sei zusammen mit Art. 16 des Staatsvertrages und demRahmengesetz bereits ein in sich geschlossenes Konzept
— „so ist das" von dem Kollegen noch dazu — , das keinen wesentlichen Anlaß zu weiterem Handeln gebe,
dann kann man doch wirklich nur zu der Überzeugung kommen:
Die Umweltunion ist im Munde der Christlich-Demokratischen Union heute nichts weiter als eine hochglanzpolierte Worthülse für die medienpolitische Landschaft, und es deutet nichts darauf hin, daß diese Hülse mit einer Füllung versorgt wird.
Ihre Umweltunion ist nichts weiter als eine Übernahme der bundesdeutschen Umweltpolitik durch die DDR. Ihre Umweltpolitik reicht vorn und hinten nicht, wenn industriell und ökologisch verträglich, auf Dauer ökologisch verträglich, gewirtschaftet werden soll.
— Sehen Sie sich bitte die sieben Punkte an, Herr Kollege!Selbstverständlich wären wir alle heilfroh, wenn der Umweltschutzstandard in der DDR wenigstens unser Niveau hätte. Aber die Bundesregierung mißbraucht diesen Vorsprung rein als ein Trägheitselement.
Wir Sozialdemokraten fragen jedoch: Wie wollen Sie — —
— Wenn Sie sich so viele Gedanken um die Arbeitsplätze in der DDR machen würden wie Oskar Lafontaine, wären wir einen Schritt weiter. Für Sie gilt nur eines, Wählen und Währung, sonst nichts.
Wie wollen Sie eigentlich eine ökologische und damit verträgliche Landwirtschaft in der DDR mit Ihrer Landwirtschaftspolitik garantieren, wenn die Landwirtschaftspolitik in der Bundesrepublik nicht nur dem kleinen Bauern langsam den Hals zuschnürt, sondern auch zunehmend und ungehindert den Boden und unser Trinkwasser nachhaltig schädigt und uns Fleisch, Gemüse und Obst in einer Qualität beschert, die unserer Gesundheit nicht zuträglich ist?Wie wollen Sie Trinkwasser in der DDR schützen, wenn Sie hier mit Brunnenversiegelung oder Ausnah-
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Lennartzmegenehmigungen den Bankrott Ihrer Trinkwasserpolitik erklären müssen? Wie wollen Sie gegen die Atomenergie in der DDR vorgehen, wenn Ihnen hier fehlende Entsorgung und Furcht vor unbeherrschbarer Technik schnurzegal sind?Es tut mir leid, ich kann nirgends erkennen, daß es Ihnen mit dieser Umweltunion wirklich ernst ist. Für uns Sozialdemokraten steht allerdings fest: Eine moderne Industriegesellschaft — und eine veraltete erst recht — kann auf Dauer nur überleben, wenn sie ökologisch umgebaut wird. Das gilt für die Bundesrepublik wie für die DDR gleichermaßen. Eine Umweltschmutzzulage für die Aufbauphase der Wirtschaft in der DDR, etwa nach dem Motto: „Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne" — kann es aus ökologischen Gründen nicht geben. Das ist das, was Sie wollten, Herr Laufs. Mit uns nicht!
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Gröbl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um unser Umweltrecht, um unseren Umweltschutz und unsere Umwelttechnik werden wir europa- und weltweit beneidet, Herr Lennartz. Das ist Tatsache.
Es ist allerdings richtig, daß wir dieses fortschrittliche, moderne Umweltrecht, das wir erreicht haben, gegen Ihren hinhaltenden Widerstand durchsetzen mußten.
— Jetzt seien Sie mal ruhig, und hören Sie mal zu!Die Bundesregierung hat der DDR schon zu einem Zeitpunkt geholfen, die Umweltsituation zu verbessern und den Landsleuten in der DDR zu helfen, als Sie sich noch um ideologische Gemeinsamkeiten mit den Machthabern in der DDR bemüht haben.
— Ich verstehe ja, daß Ihnen das heute peinlich ist.Die GRÜNEN wollten ein Regime erhalten, einen Staat erhalten, der diesen Zustand der Umwelt auf dem Gewissen hat. Und jetzt gehen Sie an dieses Pult und vergießen Krokodilstränen, weil Ihnen die Umwelt in der DDR angeblich so sehr am Herzen liegt, meine Damen und Herren!
Sie müßten wissen, daß wir bereits im Jahre 1987 ein Umweltabkommen geschlossen haben.
Auf Grund dieses Umweltabkommens sind Informationen geflossen. Technologietransfers und Beratung sind zustande gekommen. Wir haben diese Zusammenarbeit mit Leben erfüllt. Wir haben ein Konzept der Pilotprojekte entwickelt und durch zusätzliche, schnell greifende Maßnahmen ergänzt. Wir haben Sofortmaßnahmen geplant und in unserem Haushalt mit insgesamt ca. 900 Millionen DM abgesichert.
— Selbstverständlich sind dies zunächst Reparaturmaßnahmen, die notwendig sind.
Merken Sie sich das: Nach 40 Jahren Sozialismus sind halt solche Reparaturmaßnahmen erforderlich.
Wir wollen mit dafür sorgen, daß etwas ähnliches unserem Land und anderen Ländern erspart bleibt.Meine Damen und Herren, seit Februar 1989 haben wir eine gemeinsame Umweltkommission. In dieser Umweltkommission widmen wir uns zusammen mit den Behörden der DDR dem Bereich „Energie und Umwelt" , dem Bereich „Umweltrecht und Verwaltungsorganisation" und dem „Bereich ökologischer Sanierungs- und Entwicklungsplan" . Aus dieser Zusammenarbeit ist auch unsere gemeinsame Initiative hervorgegangen, ein Umweltrahmengesetz vorzulegen. Staatsvertrag und Umweltrahmengesetz stellen für uns eine Einheit dar. Der Auftrag, eine Formulierungshilfe für dieses Umweltrahmengesetz zu geben, wurde von Professor Töpfer bereits lange vor Ostern im Hause erteilt.
Wir haben nicht Ihre verspätete Reaktion abgewartet, sondern auch in diesem Bereich vorausschauend gehandelt.Die Umweltunion ist in Art. 16 des Staatsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR festgeschrieben. Art. 16 des Vertrags stellt sicher, daß die DDR zeitgleich mit dem Inkrafttreten der Wirtschafts- und Währungsunion zum 1. Juli 1990 die wesentlichen Umweltschutzvorschriften der Bundesrepublik Deutschland als geltendes Recht übernimmt. Damit sind zugleich die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß bei Neuinvestitionen in der DDR die hohen Umweltschutzanforderungen der Bundesrepublik Deutschland gelten. Bestehende Industrieanlagen werden nach kurzen, zugegebenermaßen sehr ehrgeizigen Übergangsfristen diesem strengen Umweltschutzniveau angepaßt. Die DDR wird einen entsprechenden Zeitplan zur Nachrüstung bestehender Anlagen vorlegen.Die Umweltunion im Staatsvertrag wird durch ein von der Bundesrepublik und der DDR gemeinsam erarbeitetes Umweltrahmengesetz konkret ausgestaltet. Mit diesem Gesetz gewährleistet die DDR, daß im anlagenbezogenen und produktbezogenen Umweltschutz die strengen Sicherheits- und Umweltschutzbestimmungen der Bundesrepublik Deutschland gelten. Damit ist sichergestellt, Herr Schäfer, daß die
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Parl. Staatssekretär GröblDDR nicht länger ein Umweltbilligland für in- und ausländische Investoren ist. Das ist sie nämlich zur Zeit.
— Sie haben offensichtlich auch da zuwenig aufgepaßt.
Es war von Anfang an das Ziel der Bundesregierung, bei wirtschaftlichen Investitionen in der DDR keinen Rabatt hinsichtlich der Umweltschutzauflagen zuzulassen. Dies liegt im Interesse der dort lebenden Menschen. Nur wenn es uns gelingt, die katastrophalen Umweltbelastungen in der DDR abzubauen, werden wir den Menschen in ihrer Heimat wieder eine Perspektive geben können. Mehr Schutz von Luft, Wasser und Boden bedeutet gleichzeitig auch mehr Gesundheitsschutz für die Menschen in der DDR.Zur Zusammenarbeit in der Frage der Reaktorsicherheit will ich nur eines bemerken: Wären wir, Ihrer Empfehlung folgend, aus der Kernenergie ausgestiegen, würde kein Mensch nach Experten aus der Bundesrepublik rufen, um die eigenen Anlagen sicherer zu machen.
— Versuchen Sie doch nicht, mit so billigen Volksfest- und Würstlbudentricks hier die Debatte zu stören!
Mit dem Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR beginnt gemeinsam mit der Wirtschafts- und Währungsunion auch die Umweltunion mit der DDR. Bis zum Jahre 2000 wird das bestehende Umweltgefälle zwischen beiden Teilen Deutschlands auf hohem umweltpolitischen Niveau ausgeglichen sein.
Dieses Ziel ist aber nur unter höchster Kraftanstrengung aller zu erreichen. Der Schlüssel zum Erfolg ist die Generalüberholung der gesamten Wirtschaft der DDR auf der Grundlage einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft. Unsere Aufgabe ist es, diesen Prozeß zu flankieren und nachhaltig zu unterstützen.In diesem Zusammenhang möchte ich auch meinen herzlichen Dank an die Länder richten für ihre Bereitschaft, Amtshilfe zu leisten, um den DDR-Behörden bei der Genehmigung und bei der Durchsetzung unseres Umweltrechts auch in der DDR behilflich zu sein.Unser Weg hilft der DDR, nicht mehr länger der industrielle Hinterhof zu sein, der die DDR jetzt ist. Ich bin zuversichtlich, daß die Volkskammer diesen Gesetzentwurf beschließt und daß damit die Umweltunion in ganz Deutschland verwirklicht wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Kübler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Gröbl, es war vielleicht doch eine Idee zu polemisch,
als daß man davon ausgehen könnte, das, was Sie gesagt haben, sei nur von gutem Gewissen getragen gewesen. Lassen Sie mich gleichwohl sagen, daß die SPD-Fraktion mit Genugtuung — ich betone dies — zur Kenntnis nimmt, daß die Bundesregierung und wohl auch die CDU-Fraktion eine Reihe wichtiger Einzelpositionen übernimmt, welche die SPD-Fraktion — dies ist ja wohl ganz unbestritten — bereits vor Wochen als unverzichtbare Punkte im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag angemahnt hat.
Spät kommt die CDU, aber sie kommt allmählich.Fest steht doch, daß die Umweltfragen — das ist ganz unbestritten — in den ersten Entwürfen des Staatsvertrags und in den Vertragsverhandlungen der beiden Regierungen einen zweitrangigen Stellenwert eingenommen hatten. Ich gebe ganz offen zu: Dies mag möglicherweise weniger an dem Herrn Umweltminister liegen als an der fehlenden Sensibilität des Bundeskanzlers und der CDU für Umweltprobleme.Ich sage auch nach außen hin: Die CDU hat wesentliche Positionen der SPD übernommen, bislang aber noch nicht ausreichend.
— Denken Sie mal darüber nach, Herr Göhner!So wie sich die CDU bis heute weigert — dies ist ja nicht ganz zufällig — , den Umweltschutz im Grundgesetz zu verankern, so sehr hat sie sich bis jetzt gescheut, die Umweltunion genauso gleichwertig und gleichrangig — dies ist nicht nur ein redaktionelles Problem — im Staatsvertrag zu verankern. Im Verhältnis zu den zahlreichen Artikeln im Staatsvertrag und den unheimlich vielen Anlagen zu Wirtschafts- und Sozialfragen sind die Regelungen zu Umweltschutzfragen — dies ist eben nicht nur ein redaktionelles Problem — im Staatsvertrag selbst sehr dürftig ausgefallen. Sie sind in anderen Gesetzen geregelt.
— Herr Göhner, es geht auch um den politischen Stellenwert, um die Anerkennung des Zieles Umweltunion wortwörtlich auch im Staatsvertrag.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch sagen, daß der Bundeskanzler die gesamten Beratungen einfach zu spät mit der SPD abzustimmen versucht hat. Ich sage dies auch aus einem sachlichen Grund heraus, weil die Verzahnung, die wohl notwendig wäre,
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Dr. Küblervon Fragen der Wirtschaftsunion und der Sozialunion mit den Fragen der Umweltunion nicht mehr in ausreichendem Maße stattfinden kann.Lassen Sie mich ein Beispiel geben. Nach der jetzt vorgesehenen Regelung läuft die Betriebsgenehmigung für Kernkraftwerke in der DDR nach Inkrafttreten des Staatsvertrages noch fünf Jahre lang weiter.
— Lassen Sie mich erst ausreden. — Ich argumentiere jetzt nicht juristisch. Diese Kernkraftwerke müßten sich also in jedem Fall — dies ist etwas Positives — spätestens nach fünf Jahren eine neue Genehmigung holen. Sie wären im Hinblick auf den Sicherheitsstandard mit Sicherheit nicht mehr mit Erfolg zu betreiben. Dies ist immerhin ein Fortschritt, das gebe ich zu, und für die Kernenergiekritiker ist dies ein wichtiger Fortschritt.
Ich sage aber gleichzeitig, daß auch vor dem Ablauf der fünf Jahre — da sind wir uns nach der heutigen Diskussion und auf nachdrückliches Betreiben der SPD wohl einig — auf der Basis des dann geltenden bundesdeutschen Atomrechts, wenn entsprechende Sicherheitsbedenken bestehen, Abschaltungen möglich sein müssen. Hier setzt jetzt mein politischer Vorwurf an. Wir haben ja schon ein sehr eindeutiges Gutachten von einer unabhängigen Expertenkommission zu Greifswald, das besagt, dieses Kernkraftwerk ist eher heute als morgen abzuschalten. Ich vermisse hier in der Tat, Herr Gröbl, eine eindeutige Haltung der Bundesregierung, nicht in dem Sinne, daß sie von sich aus exekutieren kann, aber in dem Sinne, daß sie deutlich ihre Meinung in dieser Frage — die bundesdeutsche Bevölkerung ist mindestens ebenso betroffen — in Richtung der DDR-Regierung sagt.Lassen Sie mich einen weiteren wichtigen Punkt ansprechen: Vollzugsprobleme. Es wäre falsch, so zu tun, als ob die Umsetzung des bundesdeutschen Umweltrechts in der DDR ohne Probleme wäre. Ich will es mit einem Schlagwort sagen: Wir haben dort dann Gesetze, aber wir haben noch nicht die entsprechend ausgebildeten Menschen, die Instrumente und auch nicht die Finanzen. In dem ganzen Umweltvertragswerk steht praktisch nichts Echtes über die Finanzen. Es gibt Ansätze — auch dies will ich hier sehr eindeutig sagen — , indem im Bereich der Organisation Hilfen vorgesehen sind.Insgesamt will ich sagen, daß die CDU auf gutem Wege ist, soweit sie SPD-Positionen übernimmt, daß wir aber weitere wesentliche Punkte noch eingehend diskutieren müssen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bedanke mich bei den GRÜNEN für diese Aktuelle Stunde. Das kommt nicht oft vor. Diese AktuelleStunde gibt uns die Gelegenheit, mit der Mär aufzuräumen, als ob die SPD im Umweltschutz etwas Neues zu sagen hätte, als ob der Staatsvertrag in wesentlichen Punkten ergänzt werden müßte und als ob das Umweltrahmengesetz, das wir mit der DDR anstreben, die Position, die die SPD bringt, nicht längst abdecken würde.Ich habe während der ganzen Diskussion, von Herrn Schäfer über Herrn Lennartz und Herrn Kübler, darauf gewartet, daß auch nur einmal ein einziger deutlich macht, an welchem Punkt jetzt konkret etwas zu verändern und zu verbessern wäre.
Sie haben sich allenfalls zu der Formulierung verstiegen, wir seien jetzt auf dem richtigen Weg. Ich will Ihnen einmal etwas sagen. Wir haben doch nicht ahnen können, als wir dies über die gesamte Zeit hinweg verhandelt haben, wohin Sie denken. Deshalb haben wir das bereits verhandelt, bevor das, was Sie denken, an die Öffentlichkeit getragen wurde. Das Resultat sehen Sie im Staatsvertrag, das Resultat sehen Sie im Rahmenvertrag. Das sind die entscheidenden Ansatzpunkte.Jetzt sehen wir doch an Ihren fortlaufenden Entwürfen, daß Sie mit kritzeliger Handschrift immer wieder neue Positionen dazuschreiben, weil ganz offensichtlich ist, daß die alten Positionen abgedeckt sind, daß Ihnen nichts mehr einfällt. Das muß man doch ganz deutlich sagen. Ich kann es Ihnen zeigen — wir kennen doch Ihre Entwürfe —, wo Sie mühselig nachbessern, um den Eindruck aufrechtzuerhalten, es sei wirklich nocht etwas übriggelieben. So war auch die Rede des Kollegen Lennartz die Standardrede zum Umweltschutz, nachzulesen in 15 Diskussionen, die nichts anderes als die Sprachlosigkeit der SPD zu diesem entscheidenden Punkt deutlich macht.Ich sage jetzt noch einmal eines: Mit beiden Gesetzeswerken, mit dem Staatsvertrag, den wir beschließen wollen und werden — übrigens mit Ihnen gemeinsam; das wage ich vorherzusagen —,
und gleichzeitig auch mit dem von der Volkskammer angestrebten Umweltrahmengesetz, das zum 1. August Wirklichkeit werden soll — und weiteren Maßnahmen die zum 1. Januar 1991 Wirklichkeit werden — , wird die Umweltunion als Beginn für einen Prozeß realisiert, in dem der Vollzug sicherzustellen ist.Jetzt muß ich natürlich noch folgendes sagen, Herr Kübler: Hier geben Sie zu, daß der Vollzug sichergestellt werden muß, in Ihren eigenen Antragspositionen verlangen Sie von der DDR alles auf einmal. Ich denke, Sie reisen wie wir nach drüben und stellen doch wie wir fest, daß wir noch nicht einmal Anhaltspunkte, Meßdaten und Fakten haben, um überhaupt eine fundierte Lösung zu erarbeiten. Dennoch wollen Sie schon die fertigen Entwicklungs- und Sanierungspläne haben — noch bevor die Fakten auf dem Tisch liegen — und wissen, wo prioritär entwickelt und saniert werden muß. Das zeigt doch die ganze Hilflosigkeit Ihrer Position.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990 16745
Dr. Lippold
Wenn ich jetzt noch einmal an die Sitzung des Umweltausschusses heute morgen denke, in der wir — dankenswerterweise gemeinsam, Herr Kollege Baum — die sieben Punkte durchgegangen sind, die Sie von der SPD vorgelegt haben,
dann bleibt festzuhalten, daß von Ihnen Äußerungen kamen wie: Das Papier ist natürlich schon früher entstanden. — Mit diesen Äußerungen wird doch deutlich, daß Sie eigentlich genau das aussagen wollen, was wir a) im Staatsvertrag bezüglich der Vorsorge, in anderen Bereichen und b) im Rahmengesetz in den Verhandlungen mit der DDR bereits Punkt für Punkt abgesichert haben: von Punkt 1, Vorsorge — steht in Art. 16 —, bis zu den folgenden Positionen.Da spielen natürlich die Eckpunkte, der ökologische Sanierungs- und Entwicklungsplan eine wichtige Rolle. Ihre eigenen Leute haben in der Ausschußdiskussion heute morgen doch unsere Kritik aufgegriffen, daß Sie auf der einen Seite sagen, es gehe alles zu schnell, und auf der anderen Seite davon sprechen, hier gehe Ihnen auf einmal alles zu langsam. Die Vollzugsdefizite, die wir programmieren, lassen sich nur vermeiden, wenn wir sachgerecht arbeiten, nicht aber, wenn wir — wie Sie — auf der einen Seite sagen, es gehe alles zu langsam, und auf der anderen Seite davon reden, es gehe alles zu schnell.Ich sage noch einmal deutlich: Die flächendekkende Umweltsanierung eines Staatswesens wie der DDR ist eine Weltinnovation, die es noch nicht gegeben hat. Es erfordert eine Anstrengung sondergleichen, um dies durchzuführen. Vor diesem Hintergrund würde ich Sie bitten, auf kleinliche Argumentation zu verzichten, die große Linie zu sehen, auch auf Ihre Länder zu wirken, damit wir die nötigen Fachleute, die wir für den Vollzug aus allen Ländern brauchen, auch wirklich bereitstellen, um Umweltschutz in der DDR realisieren zu können, was ja, wie ich hoffe, ein gemeinsames Anliegen ist.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kübler, Sie haben die sachlichste Rede der Opposition gehalten. Dennoch möchte ich auch Ihnen erwidern. Sie haben gesagt, der Vertrag habe sich verändert. Das stimmt. Ihre Stellungnahme, die jetzt mit einem gewissen Paukenschlag aus Saarbrükken begründet wird, bezieht sich aber auf den schon veränderten Teil, also auf Art. 16.
Mit Art. 14 war auch ich nicht zufrieden. Und es hat natürlich Diskussionsprozesse gegeben, auch in der Koalition, auch zwischen den Fraktionen und der Regierung; das will ich gern zugeben.
Es ist auch richtig, daß sich das Umweltrahmengesetz verändert hat; es hat sich wesentlich verändert. Aber, bitte, das ist ja gar nicht unser Gesetz. Das ist ein Entwurf, den wir zusammen mit der DDR erarbeitet haben und den die DDR-Volkskammer verabschieden muß. Das heißt: Die DDR muß hier in eigener Verantwortung eine Entscheidung treffen. Es kann doch nicht so sein, daß wir ihr alles bis zum letzten Punkt vorschreiben. Wir müssen auch auf Sorgen Rücksicht nehmen, die die Menschen drüben haben.
Also, ich gestehe Ihnen gerne zu, daß auch Sie — wie wir alle — an diesem Diskussionsprozeß teilgenommen haben. Aber es ist nicht richtig, daß Sie sich jetzt das, was hier vorliegt, auf Ihre Fahnen schreiben und den Eindruck erwecken, als wäre der Vertrag zu ändern. Sie haben — ich wiederhole das; die Kollegen werden das bestätigen — keinen Antrag zur Änderung des Art. 16 gestellt. Wir haben uns über Ihre sieben Punkte — hier sind sie — intensiv unterhalten. Es ist zwar nicht alles bis ins letzte ausdiskutiert worden, aber die Bilanz des Vormittags ist nach meinem Eindruck: Es gibt keine wesentlichen offenen Punkte mehr.
— Die Diskussion ist ja nützlich. Im Grunde haben wir Ihre sieben Punkte heute früh in die Diskussion gebracht, weil wir das klären wollten. Insofern müssen Sie bitte auch sehen, daß wir es uns nicht gefallen lassen, daß Sie so tun, als würden wir erst auf Ihre Aufforderung hin tätig werden.
Es ist doch gar kein Geheimnis — lesen Sie bitte die Zeitungen — : Sie leisten Ihren Teil der Rückzugsgefechte vom Jein zum gequälten Ja.
Wir respektieren das; aber machen Sie das bitte ehrlich und offen und nicht in der Weise, daß Sie etwas aufbauen und dann so tun, als wären Sie die Retter der Nation.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir von der DDR natürlich Erhebliches verlangen. Ich habe ein wenig den Eindruck, daß das sehr ehrgeizige Ziele sind. Jeder, der diese in politischer Verantwortung umsetzen wird, wird das merken. Deshalb sind ja auch Übergangsregelungen für die Genehmigungsfähigkeit nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, für die Sanierungskonzeption und für die Erwerbung von Altanlagen, was die Altlasten angeht, enthalten.
Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel: Das Abwasserabgabengesetz soll ab 1. Januar 1991 gelten. Jeder, der die Materie kennt, weiß, wie schwierig das ist. Es müssen Bescheide ausgestellt werden. Es müssen Behörden da sein, die die Messungen vornehmen. Ich glaube, das ist sehr ehrgeizig. Da noch draufzusatteln, das halte ich nicht für richtig.
Wir haben auch über das Auto diskutiert. Wir haben heute früh festgestellt, daß die DDR neue Autotypen nur mit Katalysatoren produzieren wird und daß sich die Neuzulassung alter Typen so bald wie möglich an unseren Kraftfahrzeugabgaswerten orientieren muß. Hier sind noch schwierige Fragen offen, die die DDR beantworten muß. Nur, man kann nicht einerseits, wie Sie es ja tun, nachdrücklich dafür eintreten, daß DDR-Produkte geschützt bleiben, und andererseits verlangen, daß von vornherein unsere Werte gelten.
Baum
Ich möchte auch noch ein Wort zur Kernenergie sagen. Es ist richtig; ich habe das heute, Herr Kübler, so aufgenommen: Es gibt keine Bestandsgarantie. Es gelten vielmehr die Regelungen des Atomgesetzes.
Zur Finanzfrage, die Sie aufgeworfen haben, möchte ich in Erinnerung rufen, daß wir aus Steuermitteln, also aus Mitteln unserer Bürger, bereits 900 Millionen DM für Umweltinvestitionen in der DDR zur Verfügung gestellt haben. Wir stellen dies aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung. Das ist ein erheblicher Beitrag, der nicht vergessen werden darf.
Eine letzte Bemerkung. Die Grundlage für eine wirkungsvolle, wirklich effiziente Umweltpolitik, für die Reparatur und auch für die Vorsorgepolitik ist eben eine Wirtschaft, die auf die Beine kommt, die sich erholt, die der Verantwortungsbereitschaft der Menschen Rechnung trägt, eine freie, sozial verpflichtete Marktwirtschaft. Deshalb ist sie der Mittelpunkt dieses Vertrages. Vieles wird erst dann möglich sein und auch möglich werden.
Wir liefern mit dem Vertrag und dem Umweltrahmengesetz jetzt einen Beitrag, damit es wirklich zu einer ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft in der DDR kommt.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man mag die Dinge drehen und wenden wie man will: Wirtschaftsunion und Umweltunion sind zwei Seiten einer Medaille. Sie gehören zusammen wie Zwillingsbrüder oder, vielleicht besser gesagt: wie Zwillingsschwestern. Ich habe noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, Herr Kollege Lippold, daß auch Sie das einmal begreifen werden.Folgerichtig würden Wirtschafts- und Umweltunion gleichrangig nebeneinander in die Präambel des Staatsvertrags hineingehören. Das war und ist unser Petitum; das wäre der richtige Weg. Selbst wenn dies nicht so ist, würde Sie doch nichts daran hindern, dies wenigstens zuzugeben. Das gilt auch für den Herrn Staatssekretär.
— Warten Sie nur ab.Lieber Kollege Lippold, man darf und muß betonen: Wäre es nach dem Regierungsentwurf vom April gegangen, dann hätte der Umweltschutz bestenfalls ein Mauerblümchendasein gefristet. Schauen Sie sich doch den alten Art. 14 an! Herr Baum hat gerade zugegeben, daß man damit nun wirklich nicht zufrieden sein konnte.Art. 14 enthielt drei magere Sätze. Der erste lapidare Satz als Kostprobe:Der Schutz der Umwelt ist ein besonderes Anliegen beider Vertragsparteien.Dann kam etwas über Neuanlagen, dann etwas über Altanlagen, nichts über Produkte, nichts über Schadstoffe und nichts über Umweltverträglichkeitsprüfung.
Dies alles hat gefehlt.
Die Ökologie rangierte unter „ferner liefen". Das konnte nun wirklich nicht so bleiben. Wer die Umweltbelange so behandelt, hat im Grunde nichts begriffen. Das muß man schon betonen.
Er hat vor allem den Kernpunkt nicht begriffen, daß nämlich Umweltschutz kein Dekorationsstück sein kann, das man nach Belieben ansteckt und wieder ablegt,
sondern er muß zentraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik sein. Deshalb war es richtig und notwendig, daß die SPD gerade in diesem Punkt energisch und hartnäckig Nachbesserungen gefordert hat und fordert.
Das muß sein.Im übrigen habe ich gedacht, daß der Bundesumweltminister der Opposition für diese kräftige Schützenhilfe dankbar sein müßte. Ich habe vermißt, daß hier ein Dankeschön ausgesprochen worden wäre.Täuschen wir uns doch nicht, meine Damen und Herren: Gewiß erwarten die Menschen in der DDR mit Sehnsucht die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse, ein besseres Warenangebot, eine solide Währung. Aber sie warten ebenso auf den Abbau der schlimmen Luftverschmutzung, die ihre Gesundheit schädigt. Sie warten auf eine Verbesserung der Trinkwasserqualität. Sie warten auch auf einen wirksameren Schutz von Natur und Landschaft. Es wäre ein Irrtum zu glauben, daß dies alles so zweitrangig wäre, wie es manchmal in Ihren Darstellungen klingt. Was jetzt mit dem neuen Art. 16 und dem Entwurf für ein Umweltrahmengesetz erreicht worden ist, meine Damen und Herren, ist eine bedeutende Verbesserung. Nur: Von alleine wäre das nicht gekommen, das muß ich doch betonen.
Trotzdem bleiben noch viele Wünsche offen. Die Stichworte sind schon gefallen: Pflanzenschutzgesetz, Regelungen zur Kfz-Abgas-Reinigung. Das ist unverzichtbar, insbesondere angesichts der zu erwartenden Motorisierungswelle in der DDR.Lassen Sie mich zum Schluß auf folgendes hinweisen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990 16747
Frau Dr. HartensteinErstens. Hüten wir uns, zu glauben, daß selbst mit der kompletten Übernahme des Umweltrechts der Bundesrepublik die Umwelt in der DDR schon gerettet wäre.Zweitens. Hüten wir uns ebenso, zu glauben, daß es allein auf den Umfang des Vorschriftenbündels ankommt, das in das Vertragswerk hingeschrieben wird. Nein, es kommt vielmehr darauf an, daß die Weichen in der Praxis richtig gestellt werden, z. B. beim Aufbau einer umweltverträglichen Verkehrsstruktur, die nicht bedenkenlos und kopflos den Schwergüterverkehr von der Schiene auf die Straße verlagert und die nicht hemmungslos Natur und Landschaft dem Straßenbau opfert, z. B. beim Aufbau einer neuen Energieversorgung, die rationelle Energieverwendung und Energieeinsparung mit absoluter Priorität behandelt, z. B. bei der Vermeidung einer zügellosen Wegwerfproduktion, z. B. auch beim Rückbau einer hochindustrialisierten und deshalb auch hoch umweltschädlichen Landwirtschaft. Das alles steht nicht im Staatsvertrag. Ich sage das nicht als Vorwurf. Es steht auch nicht im Umweltrahmengesetzt. Warum? Weil wir das auch bei uns nicht geschafft haben — seien wir doch ehrlich — trotz unseres komplizierten und so hochgelobten Umweltrechts.Daraus folgt: Wir sollten erstens versuchen, alte Fehler nicht zu wiederholen und nicht fortzuschreiben. Wir sollten zweitens gemeinsam mit der DDR endlich einen ernsthaften Anlauf zum Aufbau einer wirklich ökologisch orientierten sozialen Marktwirtschaft machen; denn dann bekäme die Vokabel Umweltunion ihren eigenen, zukunftsträchtigen Inhalt. Das ist nicht mit Sonntagsreden und auch nicht mit Goodwillerklärungen zu schaffen.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir liegt daran, hier noch einmal festzuhalten, daß weder in den Debattenbeiträgen der sozialdemokratischen Kollegen hier in der Aktuellen Stunde noch heute morgen in der dreistündigen Diskussion im Umweltausschuß auch nur ein einziger materieller Vorschlag unterbreitet worden wäre zur Ergänzung oder Änderung des Staatsvertrages in Sachen Umweltschutz.
Sie, Frau Kollegin, haben eben erwähnt, daß man die Umweltunion in die Präambel aufnehmen sollte. Das ist sicher kein materieller Vorschlag. Deshalb hat Ihre Fraktion diesen Vorschlag in dem SiebenPunkte-Papier auch nicht übernommen. Heute morgen haben wir, kontrovers diskutiert, festgestellt, daß diese Punkte unseres Erachtens durch das Umweltrahmengesetz erledigt seien. Selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, Frau Kollegin Hartenstein, dann beziehen sich die von Ihnen hier eben reklamierten Punkte Kfz und Pflanzenschutz auf das Umweltrahmengesetz. Ich glaube, Sie konnten heute morgen nicht im Ausschuß sein, als wir über die Frage Kfz diskutierten.
Kollege Baum hat eben schon dargelegt, daß wir hier eine Rechtslage haben, die im Hinblick auf die Straßenverkehrszulassungsordnung von der DDR übernommen werden kann, damit wir hier für Neufahrzeuge eine der europarechtlichen Grundlage entsprechende Regelung haben.Was wir im Hinblick auf die katastrophale Umweltsituation in der DDR brauchen, ist zunächst einmal eine Entlastung bei den industriellen Belastungen der Umwelt. Das geht nur durch Neuanlagen. Ich habe keinerlei Kritik von der Opposition daran gehört, daß das geändert werden sollte, was an umweltrechtlichen Voraussetzungen jetzt aufgestellt wird. Sollte sie doch Kritik anzubringen haben, bitte ich um ihren konkreten Vorschlag.Das Immissionsschutzrecht und viele andere Bereiche sind im Umweltrahmengesetz enthalten, und damit gilt für Neuanlagen im wesentlichen bundesdeutsches Umweltrecht.Da, wo es etwa im Hinblick auf Immissionsvorbelastungen Ausnahmen gibt, sind diese notwendig, um zur Umweltentlastung beizutragen, weil wir sonst gar keine Neuanlagen zur Umweltentlastung errichten könnten. Da sind wir doch in Übereinstimmung.Es bleiben also ganz wenige Punkte, die das Umweltrahmengesetz betreffen. Insbesondere ist — auch heute morgen im Ausschuß — die Frage des Atomrechts diskutiert worden. Dazu möchte ich aufgreifen, was Herr Kollege Kübler angesprochen hat.Die Kollegin der GRÜNEN, die hier eingangs die Aktuelle Stunde begründet hat, hat noch einmal beklagt, daß das Atomgesetz nicht gelte und viele Ausnahmen gegenüber unserem Atomgesetz vorhanden seien. Es gibt eine einzige Ausnahme; die betrifft § 18, die Entschädigung. Wir wollen nämlich nicht, daß wir dann, wenn wir in der DDR Kraftwerke stillegen müssen, zu Entschädigungen herangezogen werden. Im übrigen gilt das Atomgesetz. Das heißt insbesondere und ganz konkret, daß dann, wenn Sicherheitsgefahren bestehen, eine Stillegung eines Atomkraftwerks in der DDR ab dem 1. Juli nach § 17 unseres Atomgesetzes erfolgen könnte und — das füge ich hinzu — erfolgen wird.
Wenn sich abzeichnet, daß die Expertenuntersuchungen in der Tat die Sicherheitsgefahren ergeben, über die bisher auch öffentlich debattiert wird, dann wird Greifswald stillgelegt werden;
davon bin ich überzeugt, und ich fürchte: schneller, als manchem von uns lieb sein kann, weil wir nämlich auch über die Konsequenzen in diesen Bereichen nachdenken müssen.
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16748 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990
Dr. GöhnerWas nun die Fünf-Jahres-Frist angeht, Herr Kübler, auf die Sie noch einmal zu sprechen gekommen sind, bitte ich Sie um eine konkrete Aussage. Ist die SPD-Fraktion der Meinung, daß diese Fünf-Jahres-Frist gestrichen werden sollte? Wenn das der Fall wäre, wenn man diese Frist streichen würde, dann machte man die jetzt für DDR-Kraftwerke durch dieses Umweltrahmengesetz geschaffene Verschärfung des Atomrechts rückgängig. Wollen Sie das? Dann müssen Sie dazu klar Farbe bekennen. Diese Frist ist aufgenommen, um das Atomrecht, das für bundesdeutsche Kernkraftwerke gilt, in diesem Punkt dadurch zu verschärfen, daß es keinen Bestandsschutz für die Genehmigungen gibt.Ab 1. Juli gilt also das Atomgesetz mit Ausnahme der Regelung über die Entschädigungspflicht in allen seinen Bestandteilen mit der Folge, daß insbesondere der Widerruf der Genehmigungen bei Sicherheitsgefahren sich für Kernkraftwerke in der DDR genauso wie für bundesdeutsche Kraftwerke entscheidet.Eine letzte Bemerkung! Das, was wir jetzt mit dem Umweltrahmengesetz bekommen haben und was mit der DDR-Regierung vereinbart worden ist, ist — das möchte ich hier auch ausdrücklich sagen, und das gestehen doch auch die Kollegen der SPD zu — eine großartige Leistung. Hier möchte ich ausnahmsweise einmal einen Ministerialbeamten nennen, der einen Großteil dieser Arbeit geleistet hat, nämlich Herrn Gallas, der hier ist und dem besonderer Dank für diese Arbeit gebührt.
Das ist zweifellos ein großes, ein notwendiges Wagnis. Aber wenn ich allein daran denke, daß die Anlagen, die unter die TA Luft fallen, in der DDR innerhalb von sechs Jahren auf bundesdeutschen Stand gebracht werden sollen, dann frage ich mich ernsthaft, wie das geschafft werden soll, und zwar nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Vollzugs und der administrativen Handhabung, sondern auch unter dem Gesichtspunkt, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland mit unseren Fünf-Jahres-Fristen, wie wir wissen, in vielen Fällen nicht zu Rande kommen und Ausnahmegenehmigungen erlauben müssen.Das heißt, dieses Umweltrahmengesetz ist nicht nur äußerst ambitiös, sondern es ist vor allem ein entscheidender Beitrag — ich finde: ein Durchbruch — zum Umweltschutz. Was wir in der Vergangenheit in der DDR hatten, war der Beweis für die These: je staatlicher eine Wirtschaft, desto größer die Umweltzerstörung. Wir haben jetzt die Chance mit der Umweltunion, dies umzukehren.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedrich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Schäfer hat sich hier bei seinem ersten Diskussionsbeitrag für die SPD als Sieger feiern lassen. Über den Ton kann man sich bei ihm ohnehin ärgern; auch über den Anspruch kann man sich ärgern. Ich habe mich aber auch ein bißchen gefreut, weil ich mir gedacht habe: Der Kollege Schäfer entzieht sich anscheinend doch den Weisungenseines Kanzlerkandidaten und bereitet hier langsam die Zustimmung zum Staatsvertrag vor. Er bringt damit ein bißchen zum Ausdruck, daß er sich unter diesem politischen Kommando unwohl fühlt. Das war das Positive.Wenn der Kollege Schäfer so eine Rede hält, dann hätte man dem Kollegen Lennartz sagen müssen, daß er die Vertragstexte anschließend nicht total verreißen darf. Entweder hat die SPD gesiegt, oder es ist so schlimm, wie der Kollege Lennartz erzählt hat.
Der Kollege Lennartz gab hier eine Situationsbeschreibung des Umweltrechts der Bundesrepublik Deutschland. Er hat gesagt, das sei eine ganz schlimme Sache. Im nächsten Satz hat er gefordert, das alles möglichst schnell zur DDR herüberzubringen. Also, meine Damen und Herren, ich verstehe das beim besten Willen nicht.Frau Kollegin Hartenstein, es gibt auch nach wie vor einen Grundwiderspruch bei der SPD, den Sie den Menschen nicht klarmachen können. Sie haben es ausdrücklich gesagt: Wirtschaftsunion ohne Umweltunion geht nicht. Ich sage noch etwas im Detail dazu. Genaugenommen — auch dazu komme ich noch — kann man sagen: Eine Umweltunion geht eigentlich nicht ohne eine Verwaltungsunion, ohne eine viel stärkere Zusammenarbeit der Verwaltungen. Die sind da total überfordert. Man kann auch sagen: Ohne eine Verkehrsunion wird die Umweltunion immer unvollständig sein. Das könnte ich jetzt Punkt für Punkt weiter ausdehnen. Dann müßte man eigentlich zu dem Ergebnis kommen, daß wir uns doch gemeinsam bemühen sollten, daß die DDR der Bundesrepublik schleunigst nach Art. 23 GG beitritt. Dann haben wir nämlich das Maximum an Union, das überhaupt denkbar ist.Sie sagen, das ganze Tempo passe Ihnen nicht. Sie treten dauernd auf die Bremse, und gleichzeitig geben Sie Gas. Das ist ein Widerspruch, den Sie den Menschen hier nicht erklären können.Meine Damen und Herren, selbstverständlich — auch der Kollege Baum hat es erläutert und offen zugegeben — sind die Texte im Laufe der letzten Wochen aus umweltpolitischer Sicht besser geworden. Es ist doch ganz natürlich, daß, wenn man weiß, wer so etwas zunächst einmal federführend vorbereitet hat, die Umweltpolitiker nicht an vorderster Front das Sagen hatten. Es ist ganz natürlich, daß auch wir Umweltpolitiker der Koalition und vor allem das zuständige Ressort der Bundesregierung im Laufe der Diskussion und Verhandlung dann das eine oder andere Umweltpolitische zusätzlich einbringt. Wir sollten hier nicht versuchen, einen Alleinanspruch zu erheben, das durch Gesetz zu regeln. Das war ein gemeinsames Anliegen der Umweltpolitiker.Ich möchte aber die Kollegen der SPD davor warnen, jetzt zu überziehen. Ich habe mir Ihre Texte noch einmal angeschaut. Ich möchte ein paar Beispiele nennen. Sie fordern in den heute vormittag verteilten Texten, daß die Umweltunion noch am 1. Juli gemeinsam mit der Währungsunion vollzogen werden muß. Das ist doch etwas Unmögliches. Eine Währungsum-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1990 16749
Dr. Friedrichstellung muß ich zu einem bestimmten Stichtag vornehmen. Das kann sich nicht über Monate oder Jahre hinziehen. Aber die Sanierung von Altlasten, die Sanierung von Altanlagen ist doch etwas, was sich über Jahre hinweg langsam vollziehen muß. Wir sind uns einig, es soll möglichst beschleunigt werden. Da gibt es also Unterschiede. Die Währungsunion kann man an einem Stichtag regeln. Die Umweltunion ist an und für sich ein Ziel. Es geht momentan nur darum, den Weg aufzuzeigen, wie dieses Ziel möglichst schnell verwirklicht werden kann.Ich lese weiter in den Texten der SPD aus der Ausschußsitzung von heute vormittag und stelle fest, daß Sie sagen, es solle unverzüglich — das steht, glaube ich, auf Seite 3 — ein Sanierungsplan und ein Finanzierungsplan für die Altlasten vorgelegt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, daß wir bei der Altlastenfinanzierung zur Zeit noch technische Verfahren erproben, daß wir über Finanzierungsmodelle diskutieren, daß wir also momentan mit unseren eigenen Altlasten nicht fertig werden. Es ist schlicht unmöglich und muß zum Scheitern dieser Politik führen, wenn man jetzt in diesem Zusammenhang fordert: Das, was wir in der Bundesrepublik nicht schaffen, soll die DDR zum 1. Juni auf den Tisch legen. Das ist etwas Unmögliches!
Mein letzter Satz ist — meine Damen und Herren, ich sage das ganz offen — : Ich bin nicht bereit, in den nächsten Wochen weitere Milliardenprogramme zu beschließen, um dann im Wahlkampf im Herbst die Wähler wieder beruhigen zu müssen, die von Ihrem Kanzlerkandidaten aufgehetzt werden, weil er ihnen dauernd die Kosten der Einheit vormalt.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist zu Ende. Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 31. Mai 1990, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.