Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um eine zweistündige Aussprache über die „Erkenntnisse zur Frage einer eventuellen Beteiligung Deutscher am Bau einer Chemiewaffenfabrik in Libyen" erweitert werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.
Des weiteren ist nach der Befragung der Bundesregierung gegen 15.35 Uhr eine Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD zum Thema „Haltung der Bundesregierung zur aktuellen Situation an den Hochschulen" vorgesehen.
Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
Erkenntnisse zur Frage einer eventuellen Beteiligung Deutscher am Bau einer Chemiewaffenfabrik in Libyen
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/3849 und 11/3850 vor.
Ich wiederhole: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes. Bitte sehr!
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! In der heutigen Debatte geht es um die Frage, ob und inwieweit deutsche Firmen beim Aufbau einer Kampfgasproduktion in Rabta in Libyen beteiligt waren, welche Hinweise die Bundesregierung hierzu erhalten hat und wie sie bzw. die zuständigen Behörden diesen Hinweisen nachgegangen sind.Meine Damen und Herren, das Problem ist leider nicht neu. Seit Jahren sind Bestrebungen von Ländern der Dritten Welt, insbesondere von Ländern im Nahen und Mittleren Osten erkennbar, sich die Möglichkeiten zur Produktion und damit zum Einsatz chemischer Waffen zu verschaffen.
Diese Länder sind auf Ausrüstungen und Technologien aus den Industrieländern angewiesen. Deren Regierungen sehen sich daher immer wieder der Frage ausgesetzt, ob die eine oder andere ihrer Firmen an derartigen Produktionen beteiligt ist.
— Meine Damen und Herren von der Opposition, es geht Ihnen um eine präzise Aufklärung. Ich möchte sie Ihnen geben, soweit es mir zusteht und mir möglich ist. Ich würde vorschlagen, daß Sie sich die Informationen anhören.Die Bundesrepublik Deutschland ist das einzige Land der Welt, das auf Produktion, Weitergabe und Einsatz von chemischen Waffen verzichtet hat. Diese Bundesregierung hat wie ihre Vorgängerinnen nie einen Zweifel daran aufkommen lassen, daß chemische Waffen unmenschliche Kampfmittel sind, die internationaler Ächtung bedürfen. In der Erkenntnis, daß nationale Anstrengungen allein nicht ausreichen, um die Entwicklung derartiger Waffen zu verhindern, ist die Bundesregierung stets, zuletzt auf der internationalen C-Waffen-Konferenz in Paris, für ein weltweites Verbot dieser Waffen eingetreten.Um so mehr ist die Bundesregierung daran interessiert, eine Beteiligung deutscher Firmen oder Fachleute an der Herstellung chemischer Waffen zu verhindern oder diese für bereits begangene Verstöße zur Rechenschaft zu ziehen. Das Außenwirtschaftsgesetz bietet hierzu die — allerdings rechtlich eng begrenzten — Möglichkeiten. Verboten und damit strafbar ist nach geltendem Recht lediglich die Ausfuhr bestimmter, in Listen im einzelnen aufgezählter Produkte; die Ausfuhr von Produkten, die nicht in diesen Listen aufgeführt sind, ist nicht verboten und damit auch nicht strafbar.Meine Damen und Herren, Sie werden sich daran erinnern, daß in den 70er Jahren die damalige Bundesregierung deswegen bei dem Versuch gescheitert ist, die Ausfuhr sensibler Güter durch eine deutsche Firma in den Irak zu verhindern, weil diese Produkte seinerzeit nicht in den Verbotslisten erfaßt waren. Auf8620 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113 Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989Bundesminister Dr. SchäubleGrund der damaligen Erfahrungen hat die jetzige Bundesregierung im August 1984 die Verbotslisten entsprechend erweitert.Die Anwendung der Strafbestimmungen erfordert im übrigen auch, daß dem Verdächtigen ein illegales Verhalten in rechtlich einwandfreier Weise nachgewiesen wird.Die für die Verfolgung von Verstößen gegen das Außenwirtschaftsrecht zuständige Ermittlungsbehörde ist nach § 42 des Außenwirtschaftsgesetzes das dem Bundesminister der Finanzen unterstellte Zollkriminalinstitut, abgekürzt: ZKI. Es hat die Stellung eines Hilfsorgans der Staatsanwaltschaft. Diese Behörde, meine Damen und Herren, war seit dem Eingang der ersten Hinweise umfassend informiert und führte die nach dem Außenwirtschaftsrecht erforderlichen Ermittlungen in eigener Verantwortung durch. Aus fachlichen wie rechtlichen Gründen müssen im Rechtsstaat die Ermittlungsbehörden ihre Tätigkeit in eigener Verantwortung durchführen.Ich möchte nun gern, Frau Präsidentin, den zeitlichen Ablauf der Erkenntnisse und der daraufhin veranlaßten Maßnahmen nach den mir vorliegenden Angaben des Bundesministers für Wirtschaft, des Bundesministers der Finanzen, des Auswärtigen Amtes, des Koordinators für die Nachrichtendienste und des Bundesnachrichtendienstes hier schildern. Ich bitte um Vergebung, daß das relativ ausführlich geschieht. Aber ich will dem Wunsch der Opposition nach präziser Information, soweit mir das überhaupt möglich ist, nachkommen.
— Das ist auch der Wunsch des ganzen Parlaments.Im August 1987 weist der Bundesnachrichtendienst auf der Grundlage von Spot-Satelliten-Luftaufnahmen und anderer nachrichtendienstlicher Hinweise darauf hin, daß im Raum Gharyan bei Rabta in Libyen eine neue Industrieanlage festzustellen sei, die „mit hoher Wahrscheinlichkeit die neue Kampfstoffanlage ist". Hinweise auf deutsche Mitwirkung liegen nicht vor.Am 18. Mai 1988 erhält das Auswärtige Amt auf Arbeitsebene ein Papier aus der amerikanischen Botschaft. Darin drückt die Botschaft ihre Besorgnis darüber aus, daß möglicherweise drei deutsche Firmen— genannt wird u. a. „Imhausen Chemie GmbH" — am Bau eines chemischen Werkes in Libyen beteiligt sind, in dem u. U. chemische Waffen hergestellt werden können. Das Papier enthält auch einen Hinweis auf eine Firma INTEC, der die Umrüstung libyscher Flugzeuge mit Vorrichtungen für die Luftbetankung vorgeworfen wird.Das Auswärtige Amt leitet dieses Papier am 25. Mai 1988 an die zuständigen Ministerien, nämlich das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesfinanzministerium, mit der Empfehlung weiter, gegebenenfalls eine Außenwirtschaftsprüfung durchzuführen. Der Bundesminister für Wirtschaft unterrichtet das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft, und das Bundesministerium der Finanzen veranlaßt im Falle derFirma INTEC im Juni 1988 eine Außenwirtschaftsprüfung und teilt die US-Hinweise außerdem dem Zollkriminalinstitut mit.Mitte Juli 1988 erhält auch der Bundesnachrichtendienst von befreundeten Diensten erste Hinweise auf eine mögliche Mitwirkung deutscher Firmen an einer Giftgasproduktionsanlage in Rabta. Konkrete Hinweise auf die Art der Mitwirkung fehlen.Am 2. August wird das Zollkriminalinstitut vom BND hierüber unterrichtet. Es werden folgende Firmen genannt: IBI, Pen-Tsao und Imhausen.Zwischen beiden Behörden besteht Einigkeit, keine Betriebsprüfung bei den Unternehmen durchzuführen, um diese nicht gegebenenfalls zu warnen und damit die weitere Beobachtung zu erschweren. Das Zollkriminalinstitut übernimmt die Aufgabe einer Hintergrundabklärung über die Firma Imhausen. Kontakte am 25. August und am 26. September zwischen BND und ZKI bringen keine neuen Erkenntnisse.Neue BND-Meldungen vom 30. September, vom 18. Oktober und vom 27. Oktober enthalten deutlichere Hinweise über eine Beteiligung deutscher Firmen. Am 20. Oktober wird erstmals der Bundeskanzler durch eine Vorlage des Leiters der Abteilung 6 des Bundeskanzleramtes zusammenfassend über die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse in bezug auf die libyschen Bemühungen zur Errichtung einer Kampfstoffabrik unterrichtet.
— Jeder Ihrer Zwischenrufe zeigt und unterstreicht nachhaltig Ihr Aufklärungsbedürfnis.In dieser Information wird auch eine mögliche Verwicklung der deutschen Firma Imhausen erwähnt, und der Bundeskanzler wird auch darüber unterrichtet, daß die zuständigen deutschen Behörden, insbesondere das Zollkriminalinstitut, eingeschaltet sind.
— Das ist die erste Information — das habe ich gesagt— an den Bundeskanzler.
Da in einer gestrigen Sitzung einige Fragen durch die dort vertretenen Beamten nicht abschließend beantwortet werden konnten, will ich auch an dieser Stelle gleich hinzufügen: Diese Meldung des Bundesnachrichtendienstes vom 18. Oktober 1988 ist auch an das Auswärtige Amt und an das Bundeswirtschaftsministerium geleitet worden. Das Bundeswirtschaftsministerium hat schon gestern darüber informiert, daß Bundeswirtschaftsminister Bangemann damals nicht über diese Meldung unterrichtet worden ist, sondern erst durch eine Vorlage seines Hauses vom 25. November 1988.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8621
Bundesminister Dr. SchäubleDer Bundesminister des Auswärtigen hat mir mitteilen lassen, daß er auf der Grundlage einer am 11. November 1988 in seinem Haus gefertigten Vorlage für die Gespräche in Washington unmittelbar vor der Reise, die am 14. November 1988 angetreten wurde, erstmals informiert worden ist.
Der Bundesfinanzminister, der Kollege Stoltenberg, dem diese Meldung des Bundesnachrichtendienstes nicht zugeleitet worden war, erinnert sich daran, daß er zum erstenmal in der Sitzung des Bundessicherheitsrats am 18. November 1988 über eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen unterrichtet worden ist.Am 15. November 1988 — am 15. November 1988, meine Damen und Herren! — erhält der Bundeskanzler bei seinem Gespräch mit dem Außenminister der Vereinigten Staaten Shultz in Washington von CIA-Direktor Webster Hinweise auf eine Beteiligung deutscher Firmen, darunter der Firmen Imhausen und IBI an der möglichen Chemiewaffenanlage in Rabta. Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten hat der Bundeskanzler am 17. November 1988 das Kabinett und am 18. November 1988 den Bundessicherheitsrat über die von der US-Regierung erhaltenen Hinweise unterrichtet.Der Bundeskanzler hat mich ermächtigt, aus dem Protokoll der Sitzung des Bundessicherheitsrats vom 18. November 1988 insoweit zu zitieren. Ich möchte das gerne wörtlich verlesen:Der Bundeskanzler eröffnet die Sitzung mit einem Thema außerhalb der Tagesordnung. Von der US-Regierung wären Bilder und Unterlagen über die Produktion chemischer Waffen in Libyen vorgelegt worden. Diese Informationen hätten ihn sehr betroffen gemacht. In den Produktionsstätten in der Wüste würde ein gewaltiges Potential chemischer Waffen hergestellt. Ein beachtlicher Teil der Geräte solle deutscher Herkunft sein, und deutsche Fachleute sollten beteiligt sein. Ein Problem bei der Beteiligung wäre, daß zivile Produkte der chemischen Industrie teilweise kaum zu unterscheiden wären von Substanzen für chemische Waffen. Zunächst einmal müßten wir uns ein klares Bild darüber verschaffen, welche Informationen in den USA vorlägen. Darüber hinaus wäre zu überlegen, was wir tun könnten. Wenn unsere Gesetze nicht ausreichten, müßten wir neue schaffen.Da ich eine Pressemeldung von Ihnen, Herr Kollege Vogel, vom 17. Januar 1989 gelesen habe, will ich doch sagen: Der Vorwurf oder die Behauptung, der Bundeskanzler habe zu irgendeinem Zeitpunkt in Abrede gestellt, daß deutsche Firmen oder deutsche Personen an der Herstellung solcher Waffen in Libyen beteiligt seien, ist unrichtig. Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage.
Der Bundeskanzler hat im Gegenteil mit allem Nachdruck erklärt, daß für ihn die Vorstellung, Deutschebeteiligten sich an Derartigem, völlig unerträglich seiund daß deswegen alles nur Denkbare unternommen werden müsse, um das zu unterbinden und abzustellen.
— Die Präzision von Unterrichtung scheint nichts zu wünschen übrigzulassen. Das Maß Ihrer Unzufriedenheit zeigt auch, daß Sie merken, wie unbegründet Ihre Vorwürfe gewesen sind.
Am 23. November 1988 unterrichtete das ZKI das Bundesministerium der Finanzen im Hinblick auf diese Informationen aus Washington, daß Erkenntnisse nicht vorliegen, die einen Anfangsverdacht nach § 34 des Außenwirtschaftsgesetzes begründen.Am 24. November nimmt der Bundesnachrichtendienst zu den Hinweisen der US-Regierung gegenüber dem Bundeskanzler Stellung: Nach seinen Erkenntnissen seien von den genannten deutschen Unternehmen am Aufbau der Anlagen in Libyen nur die Firma Imhausen und eventuell die Firma Pen-Tsao beteiligt. Für eine Beteiligung weiterer von US-Seite genannter Firmen gebe es keine Anhaltspunkte. Der BND berichtet ferner ohne nähere Einzelheiten über Hinweise auf den Abtransport wichtiger Unterlagen durch Angehörige der Firma Imhausen in das benachbarte Ausland.Daraufhin weist der Bundesminister der Finanzen das ZKI fernmündlich an, beim BND die näheren Umstände des behaupteten Abtransports von Akten zu klären. Insbesondere sei festzustellen, ob hinreichende Anhaltspunkte vorhanden seien, um den Tatverdacht einer Straftat nach § 34 AWG zu begründen. In diesem Falle solle das ZKI sofort bei der zuständigen Staatsanwaltschaft anregen, die betreffende Firma durch das örtliche Zollfahndungsamt durchsuchen und zentrale Ermittlungen durch das ZKI vornehmen zu lassen.Am 29. November unterrichtet der BND das ZKI über weiteres ihm in Aussicht gestelltes Material.Eine Besprechung zwischen BMF und ZKI über die vorhandenen Erkenntnisse am 30. November kommt erneut zu dem Ergebnis, daß ein Anfangsverdacht nicht zu begründen ist. Das ZKI wird vom BMF beauftragt, die zuständige Staatsanwaltschaft einzuschalten, sobald Erkenntnisse vorliegen, die für strafprozessuale Maßnahmen gegen Personen und Firmen ausreichen.Anfang Dezember wird mit der Regierung der Vereinigten Staaten der Besuch einer amerikanischen Expertendelegation vereinbart. Dieser zunächst für den 15. Dezember vorgesehene Besuch wird auf den 22. Dezember verschoben.Am 8. Dezember versucht das ZKI zunächst vergeblich, von einem Informanten Auskünfte zu erhalten. Am 14. Dezember treffen sich dann Ermittlungsbe-
Metadaten/Kopzeile:
8622 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Bundesminister Dr. Schäubleamte des ZKI mit diesem Informanten und erhalten einen Aktenordner mit Unterlagen, die Hinweise auf eine Beteiligung der Firma Imhausen am Projekt in Libyen ergeben können. Aber Erkenntnisse über eine illegale Warenausfuhr — das allein ist der möglicherweise strafbare Vorwurf — ergeben sich auch aus diesen Unterlagen nicht.Am 20. Dezember stellt das ZKI bei demselben Informanten vier Kartons mit Unterlagen sicher. Auch die Auswertung dieser Unterlagen ergibt keine Anhaltspunkte für ungenehmigte Ausfuhren, also für den einzigen nach geltendem Recht strafbaren Tatbestand. Der Informant teilt mit, daß weitere Unterlagen bei der Firma IBI beschafft werden können.
— Herr Kollege Ehmke, Ihr Zwischenruf offenbart eine bemerkenswerte Einstellung zu den Grundzügen einer rechtsstaatlichen Ordnung.
Die Bundesregierung und alle Dienststellen des Bundes und der Länder haben sich an geltendes Recht und Gesetz zu halten, an sonst gar nichts.
Daß Sie, Herr Ehmke, in dieser Hinsicht ein großzügiges Verständnis haben, wissen wir aus der leidvollen Geschichte der 70er Jahre.
— Herr Kollege Ehmke, Sie persönlich sollten mich nicht dazu provozieren, Weiteres zu Ihrer Person und zu Ihrem Tätigwerden zu sagen; die Erfahrungen sind bändelang. Ausgerechnet Sie sollten wirklich schweigen.
— Meine Damen und Herren, da es ja um eine Unterrichtung des ganzen Parlaments geht, warte ich, bis die Opposition Gelegenheit gibt, diese Unterrichtung fortzusetzen.
— Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß all diese beleidigenden Zwischenrufe im Protokoll festgehalten sind und auch zugänglich gemacht werden können.
Der Bundesfinanzminister hat am 20. Dezember die beteiligten Ressorts über den Stand der Vorermittlungen durch das ZKI und darüber, daß diese bisher nicht zur Begründung eines Anfangsverdachts gegen deutsche Unternehmen geführt hätten, unterrichtet. Unter den Ressorts besteht Einigkeit, vor Einleitung weitergehender Maßnahmen die von amerikanischer Seitezugesagte ausführlichere Unterrichtung abzuwarten.Am 22. Dezember werden die beteiligten Ressorts von der Delegation aus den Vereinigten Staaten im Auswärtigen Amt unterrichtet. Die US-Experten berichten über ihre Erkenntnisse zum Charakter der Giftgasanlage. Aber zur Beteiligung deutscher Unternehmen am Aufbau dieser Anlage kann die US-Seite weiterhin keine konkreten Hinweise geben.Das BMF bittet die US-Delegation zur Übergabe sonstigen Materials. Die US-Delegation sagt zu, die Möglichkeit der Überlassung von Unterlagen prüfen zu lassen.Am 29. Dezember weist das Bundesministerium der Finanzen die OFD Freiburg an, unverzüglich bei der Firma Imhausen in Lahr eine Außenwirtschaftsprüfung durchzuführen, um festzustellen, ob die Firma in der Zeit von 1984 bis heute Waren nach Libyen ausgeführt und dabei außenwirtschaftsrechtliche Vorschriften verletzt hat.Am 2. Januar 1989 ergeht eine entsprechende Weisung des BMF auch an die OFD Hamburg, bei der Firma Pen-Tsao, einer Beteiligungsgesellschaft von Imhausen, eine Außenwirtschaftsprüfung durchzuführen.Am 4. Januar stellt das ZKI Unterlagen der Firma IBI in Frankfurt sicher.Am 5. Januar ergibt die Prüfung der OFD bei der Firma Imhausen in Lahr keine Anhaltspunkte für eine Beteiligung am Aufbau chemischer Anlagen in Libyen.In der ersten Januarwoche ersucht das ZKI eine Reihe örtlich zuständiger Staatsanwaltschaften um Prüfung, ob förmliche Ermittlungsverfahren gegen deutsche Firmen einzuleiten seien.Am 12. Januar leitet die Staatsanwaltschaft Offenburg ein Ermittlungsverfahren gegen Imhausen wegen des Verdachts der Verletzung von § 34 AWG ein.
Am gleichen Tage stellt das ZKI weitere Unterlagen bei dem ehemaligen Geschäftsführer der Firma IBI in Frankfurt sicher.Am 16. Januar, also vorgestern, zieht die Staatsanwaltschaft Offenburg sämtliche strafrechtlichen Ermittlungen gegen deutsche Firmen in dieser Sache an sich. Die Ermittlungen führt als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft das ZKI. — Soweit, Frau Präsidentin, der Ablauf, der Eingang der Erkenntnisse und die veranlaßten Maßnahmen.Aus diesem Ablauf ergibt sich, daß die zuständigen Behörden vom Eingang der ersten Hinweise an unverzüglich informiert wurden und daß diese alle gebotenen und möglichen Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt haben.Die Bundesrepublik ist und bleibt ein Rechtsstaat. Das Handeln ihrer Organe kann sich nicht nur nach staatlichen Interessen richten; es hat gleichermaßen die Freiheitssphäre des Bürgers zu wahren. Deshalb
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8623
Bundesminister Dr. Schäublekönnen die Behörden gegenüber dem Bürger nur in den Bereichen und nur mit den Mitteln und nur unter den Voraussetzungen tätig werden, die durch Gesetz festgelegt sind.
Meine Damen und Herren, es mutet schon seltsam an, daß gerade diejenigen, die in der Diskussion über den Datenschutz
und die Befugnisse der Sicherheitsbehörden der Bundesregierung gerne mangelnde Sensibilität für die Privatsphäre des einzelnen vorhalten,
nun den Vorwurf erheben, die Bundesregierung sei nicht entschieden genug gegen einzelne Bürger — und auch Unternehmer sind Bürger — vorgegangen.
Herr Kollege Vogel, ich nehme an, daß Sie Mitglied jener Bundesregierung gewesen sind — ich weiß es nicht ganz sicher, aber ich vermute es — , die damals den Export sensibler Güter in den Irak mangels gesetzlicher Voraussetzungen nicht verhindern konnte. Sie sollten es doch wirklich gelernt haben, daß man nur dann, wenn die gesetzlichen tatbestandsmäßigen Voraussetzungen vorliegen, durch die staatlichen Organe entsprechend handeln kann.Für die Ermittlungen des ZKI gilt die Strafprozeßordnung. Ermittlungen nach der Strafprozeßordnung sind nicht beliebig einzuleiten. Wegen der Belastungen, die sie mit sich bringen können, ist Voraussetzung für die Einleitung eines Verfahrens ein auf konkrete, tatsächliche Anhaltspunkte zu begründender Anfangsverdacht — so § 152 der Strafprozeßordnung. Bloße Vermutungen begründen diesen noch nicht. Die Strafprozeßordnung läßt es nicht zu, gestützt auf bloße Vermutungen ein Verfahren einzuleiten und das Leben der betroffenen Bürger zu durchleuchten, und dies nur, weil die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß eine Straftat ans Licht gefördert werden könnte.
— Frau Präsidentin, ich würde gerne im Zusammenhang vortragen.
Der Herr Bundesminister erlaubt keine Zwischenfrage.
Aus all diesen Gründen handelte das ZKI also pflichtgemäß, als es sich zunächst darauf beschränkte, den Hintergrund abzuklären und von offenen Ermittlungsmaßnahmen zunächst abzusehen, um die Firmen nicht zu warnen und dadurch die weitere Aufklärung zu vereiteln. Solche Zweckmäßigkeitsüberlegungen der Ermittlungsbehörden sind für alle strafprozessualen Ermittlungen typisch. Die Staatsanwaltschaft, die Polizei und auch die Zollfahndung müssen sich bei komplizierten Sachverhalten, die sie aufzuklären haben, fragen, ob und gegebenenfalls wie lange sie im Interesse eines möglichen Ermittlungserfolgs mit offenen Ermittlungsmaßnahmen warten müssen.Erst die am 4. Januar 1989 bei der Firma IBI sichergestellten Unterlagen gaben dem Zollkriminalinstitut Anlaß, eine Reihe von Staatsanwaltschaften einzuschalten.Ihre Zwischenrufe, Herr Kollege, können nicht an dem Problem vorüberführen, daß strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen nicht von der Bundesregierung, nicht von einer Landesregierung, nicht vom Bürgermeister und anderen staatlichen Organen, sondern von den im Gesetz festgelegten zuständigen Behörden in eigener Verantwortung durchzuführen sind.
Meine Damen und Herren, ich fasse den gegenwärtigen Erkenntnisstand wie folgt zusammen. Auf Grund der nachrichtendienstlichen Erkenntnisse müssen wir heute davon ausgehen, daß die Anlage in Rabta zur Produktion chemischer Kampfstoffe geeignet ist. Es gibt nachrichtendienstliche Hinweise auf die Mitwirkung deutscher Firmen bei der Errichtung dieser Anlage.
Ob hierbei gegen geltendes Recht verstoßen wurde, ist Gegegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Über den Ausgang dieser Verfahren vermag die Bundesregierung keine Prognose abzugeben.Meine Damen und Herren, die Öffentlichkeit wurde
in dem rechtlich zulässigen Umfang informiert. Für die Unterrichtung der Öffentlichkeit über mögliche strafrechtliche Verfehlungen von Bürgern sind enge rechtliche Grenzen gesetzt. Der Bürger darf nicht der Gefahr einer öffentlichen Vorverurteilung mit allen möglichen persönlichen und wirtschaftlichen Folgen ausgesetzt werden.
Auch darf die Unterrichtung der Öffentlichkeit nicht die Arbeit der Ermittlungsbehörden vereiteln oder behindern.Aus meiner Schilderung des Ablaufs der Ermittlungen ergibt sich, daß zu keinem Zeitpunkt weitergehende Informationen über eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen an die Öffentlichkeit gegeben werden konnten. Der Bundesnachrichtendienst hat erstmals am 5. Januar 1989 Hinweise auf eine mögliche Gerichtsverwertbarkeit von Erkenntnissen gegeben.
Bis dahin bestand wegen Quellenschutzes nach denAngaben des Bundesnachrichtendienstes eine solche
Metadaten/Kopzeile:
8624 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Bundesminister Dr. SchäubleGerichtsverwertbarkeit nicht. Natürlich kann nur das zuständige Gericht selbst über die Beweiskraft aller Erkenntnisse entscheiden. Aber solange der Nachrichtendienst selbst seine Hinweise als nicht gerichtsverwertbar bezeichnet, ist jedenfalls bei der Information der Öffentlichkeit größte Zurückhaltung zu wahren.
Meine Damen und Herren, die Verbreitung chemischer Waffen in den Händen unverantwortlicher Regierungen wird mehr und mehr zu einem Alptraum.
Die Industrieländer haben die Pflicht, alles zu tun, um diese Bedrohung der Völker einzudämmen. Die Erfahrungen der letzten Wochen haben gezeigt, wie begrenzt die rechtlichen Möglichkeiten sind, die Mitwirkung deutscher Firmen bei der Herstellung von C-Waffen im Ausland zu verhindern. Deshalb hat die Bundesregierung am 10. Januar 1989 beschlossen, das Instrumentarium zu verbessern.Diese Kabinettsbeschlüsse haben vier Ansatzpunkte.Erstens. Die Verschärfung von Straf- und Bußgeldvorschriften. Die Bundesregierung will neue Vorschriften gegen biologische und chemische Waffen ausformulieren, die weit über die bisherigen Tatbestände des Kriegswaffenkontrollgesetzes hinausgehen. Schärfer als nach geltendem Recht sollen das Herstellen von B- und C-Waffen ebenso wie verwandte Tathandlungen im Inland uneingeschränkt unter Strafe gestellt werden; das Gesetz wird also auch formal keine Genehmigungsmöglichkeiten mehr enthalten. Die Strafe für diese zu ächtenden Handlungen soll erheblich angehoben werden.Darüber hinaus soll erstmals die Geltung dieser Strafnormen auch auf Taten von Deutschen im Ausland erstreckt werden. Der deutsche Staatsangehörige, der z. B. in einem Land des Nahen Ostens bei der Herstellung von C-Waffen mitwirkt, wird sich dann ebenso strafbar machen wie die deutsche Firma, die durch die Lieferung ambivalenter Anlagen diese Herstellung vorsätzlich unterstützt. Auch fahrlässige Handlungen werden unter Strafe gestellt werden. Mit diesem Vorhaben, an dessen Verwirklichung die zuständigen Ministerien zur Zeit mit Nachdruck arbeiten, unterstreicht die Bundesregierung ihre politische Absicht, einen effektiven Beitrag zur weltweiten Achtung der B- und C-Waffen zu leisten.Meine Damen und Herren, wir gehen damit wesentlich weiter als die Fraktion der SPD, in deren Gesetzentwurf zur Sicherung der Kriegswaffenkontrolle vom 16. September 1988 eine Erstreckung des deutschen Strafrechts — —
— Wenn Sie selber sagen, daß Ihre Initiativen von vor vier Monaten alte Hüte sind, dann qualifiziert das Ihre Initiativen.
Jedenfalls sieht Ihr Entwurf eben gerade nicht die Erstreckung deutschen Strafrechts auf Auslandstaten vor.Aber, meine Damen und Herren, ich will auch klar sagen, daß wir mit diesem Vorhaben juristisches Neuland betreten. Die Erstreckung des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten wirft in diesem Bereich schwierige Rechtsfragen auf, die sorgfältig zu prüfen sein werden, und ich bitte deshalb um Ihr Verständnis dafür, daß die Bundesregierung heute noch keinen Gesetzentwurf vorlegen kann.Zweitens. Wir wollen die Kontrollmechanismen verbessern. Das Netz der Außenwirtschaftskontrollen soll dichter geknüpft werden. Unter anderem ist eine Meldepflicht für die Hersteller sensitiver Güter vorgesehen, damit illegale Exporte möglichst schon im Vorfeld verhindert werden können.Drittens wollen wir das Genehmigungserfordernis für den Technologietransfer auf weitere Bestimmungsländer ausdehnen. Sie wissen, daß zur Zeit der Export sensitiver Technologien nur in Ostländer genehmigungspflichtig ist. Dieses Genehmigungserfordernis soll künftig auf weitere Länder ausgedehnt werden, die im einzelnen noch festgelegt werden sollen.Schließlich wollen wir viertens die Kontrollbehörden besser ausstatten. Ein dichteres Kontrollnetz erfordert mehr Personal und mehr Sachmittel. Die Bundesregierung wird sich hierum bemühen, und sie wird dazu die Unterstützung des Hohen Hauses erbitten.Aber, meine Damen und Herren, auch nach Einführung und Wirksamwerden dieses Maßnahmenbündels wird keine Gewähr dafür bestehen, daß alle illegalen Ausfuhren sensitiver Güter und Technologien zu unterbinden sind. Noch so gute Gesetze können letztlich nicht verhindern, daß dagegen verstoßen wird, und eine totale Überwachung aller deutschen Ausfuhren ist nicht möglich. Die Bundesrepublik Deutschland hat im vergangenen Jahr, 1988, für rund 550 Milliarden DM Lieferungen ins Ausland vorgenommen, hat also für 550 Milliarden DM exportiert. An das Land Libyen haben wir aus dem Bereich der Bundesrepublik Deutschland etwa für 1 Milliarde DM exportiert. Ich habe nur die Zahlen bis einschließlich Oktober; in den ersten zehn Monaten waren es 901,4 Millionen DM. Ich will Ihnen auch gern zum Vergleich sagen, daß wir 1981 für über 3,7 Milliarden DM Lieferungen an Libyen getätigt haben, nur damit Sie sich bei Ihrer Kritik gegebenenfalls darauf einstellen können. Für die weitere Debatte will ich auch gleich darauf hinweisen, daß das Obligo unserer Ausfuhrgewährleistungen für Libyen am 31. Dezember 1982 13,1 Milliarden DM betrug und bis 3. Januar 1989 auf 4,8 Milliarden DM zurückgeführt worden ist.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118 Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8625Bundesminister Dr. SchäubleAber auch bei diesen von uns im Vergleich zu Ihrer Regierungszeit reduzierten Größenordnungen wird eine totale Überwachung aller Ausfuhren nicht lükkenlos möglich sein.
— Dies heißt, daß Rechtsstaat und Freiheit ihren Preis haben. Wer die totale Überwachung aller Bürger und aller Ausfuhren will, der sollte das Wort vom Rechtsstaat und von der Freiheit nicht zu laut im Munde führen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließlich darauf hinweisen, daß im Gegensatz zu manchen anderslautenden Behauptungen die Bemühungen der Bundesregierung um vollständige Klärung aller Hinweise auf illegale Exporte deutscher Firmen nach Libyen auch die Anerkennung unserer amerikanischen Verbündeten gefunden haben. Außenminister Shultz hat dies gegenüber Bundesminister Genscher am Rande der Pariser C-Waffen-Konferenz ausdrücklich versichert. Präsident Reagan hat dem Bundeskanzler eine mündliche Botschaft im gleichen Sinne übermitteln lassen, und der gewählte Präsident Bush hat vor der Öffentlichkeit eine entsprechende Erklärung abgegeben.Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich würde zum Schluß gerne noch einmal festhalten: Alle Informationen wurden unverzüglich an die zuständigen Ermittlungsbehörden weitergeleitet; diese Behörden haben nach Recht und Gesetz ermittelt. Die Öffentlichkeit ist im rechtlich zulässigen Maße unterrichtet worden. Die Bundesregierung wird geeignete Maßnahmen ergreifen, um das Netz der außenwirtschaftlichen Kontrollen enger zu knüpfen. An der Entschiedenheit der Bundesregierung, die Verbreitung chemischer Waffen im Rahmen des ihr Möglichen zu verhindern, sind Zweifel nicht erlaubt.
Herr Abgeordneter Leonhart, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf für die beleidigende Äußerung gegenüber Herrn Bundesminister Dr. Schäuble.
Es war nicht der Abgeordnete Leonhart? — Ich bitte um Entschuldigung. Es war der Herr Abgeordnete Lambinus, meine Damen und Herren. Dann erteile ich ihm diesen Ordnungsruf. Entschuldigung, ich konnte das von hier aus nicht ganz genau sehen.
— Protokollverwertbar, beide Bemerkungen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Gansel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die rechtsstaatliche Aufarbeitung der Affäreist eine Seite, die politische Aufarbeitung ist die andere.
Die Ausführungen von Minister Schäuble haben gezeigt, daß die Bundesregierung noch immer nicht die politische Dimension der Affäre begriffen hat.
Ich beginne deshalb mit einem längeren, sehr schmerzhaften, aber notwendigen Zitat:Was haben sie gewußt, und wann haben sie es gewußt?
Diese Frage zu einer offiziellen Spurenverwischung eines illegalen Akts, die der amerikanischen Watergate-Gemeinde vertraut ist, stellt sich auch in der Bundesrepublik Deutschland. Sicher ist: Seit Monaten und möglicherweise seit Jahren besaß die Kohl-Genscher-Stoltenberg-Regierung Zeugnis dafür, daß deutsche Todeskrämer— „merchants of death", wie die Amerikaner sagen —illegal das technologische Know-how und Material für die Produktion von Giftgas im Irak, in Syrien und in Libyen geliefert haben und daß ebenso Raketentechnologie geliefert worden ist ... Aber die Männer an der Spitze der größten Exportnation der Welt waren besessen von einem Wunschdenken, dem sturen Wunschdenken, das einer vorangegangenen Generation ermöglicht hat, die Augen vor dem Gastod so vieler Unschuldiger zu schließen. Deutschlands heutige Führer wollten nicht wissen, wer die Giftgasfabrik im irakischen Samarra gebaut hat.Mit diesen Sätzen beginnt der bekannte amerikanische Kolumnist William Safire seinen gestrigen Kommentor in der „International Herald Tribune". William Safire ist in diesem Parlament oft von Sprechern der CDU/CSU zitiert worden, wenn es vor Jahren darum ging, amerikanische Stimmen und Stimmung gegen die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition ins Feld zu führen.
Ich mache mir die Bewertung Safires auch heute nicht zu eigen; aber es ist bitter, daß ich sie begreifen muß.Wir alle müssen begreifen, daß das deutschamerikanische Verhältnis zwischen Regierungen und zwischen öffentlichen Meinungen noch nie so belastet und beschädigt war wie heute.
Für den Handlungsraum deutscher Außenpolitik istaber nichts wichtiger, als daß die deutsch-amerikanischen Beziehungen in kritischer Solidarität funktio-
Metadaten/Kopzeile:
8626 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Ganselnieren. Das gilt für die Gegenwart, und das muß auch für die Zukunft gelten.
Nun hat uns unsere Geschichte wieder einmal eingeholt. Ich bin dagegen, daß wir dieser Geschichte davonlaufen. Aber müssen wir uns eigentlich immer wieder von ihr einholen lassen? Der böse, verblendete Deutsche ist wieder da: in der Karikatur wie in den Leitartikeln, und die Bundesregierung hat dazu einen bösen Beitrag geleistet.
Die Bundesregierung ist durch ihr unverständliches Verhalten in den Verdacht geraten, die Beteiligung Deutscher an einer Giftgasproduktion in Libyen nicht ernst genommen zu haben und nicht ernst nehmen zu wollen.
Sie hat auf amerikanische Hinweise mit dem Gegenvorwurf geantwortet, es handle sich dabei „um eine amerikanische Kampagne". Sie hat dazu Erklärungen abgegeben, in denen Empörung über verletzte nationale Interessen anklang. Es schadet aber den wirklichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, wenn mit Verweis auf „deutsche Exportinteressen", dem angeblichen „Fehlen rechtsstaatlicher Mittel" und dem Verlangen nach „gerichtsfesten Beweisen" die USA brüskiert und Vorurteile gegen die Deutschen bestärkt werden.Die Vorurteile haben ja eine Geschichte. Wie oft ist in den deutschen Kommentaren, wenn es um die Schilderung des Schreckens eines chemischen Krieges geht, der gedankenlos gutgemeinte Satz zu hören: Chemische Waffen sind so schrecklich, daß selbst Hitler nicht bereit war, sie im Zweiten Weltkrieg einzusetzen? Es gehört zu unserer Kollektivverdrängung, daß damit ignoriert wird, daß unzählige wehrlose Juden mit Zyklon B aus der Entwicklung einer deutschen Chemiefirma mit Weltruf von Deutschen umgebracht worden sind. Die Juden werden es nie vergessen. Die Amerikaner haben es nie vergessen. Die Deutschen dürfen es nie vergessen.
Wer sich dessen nicht bewußt ist, ist unfähig, unsere Interessen, ist unfähig, nationale Interessen für die Deutschen zu vertreten.Diese Beschädigung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses ist von anderer Natur als der Streit über Agrarimporte. Er wird die Bundesrepublik Deutschland gleichwohl teuer zu stehen kommen. So wie diese Bundesregierung einzuschätzen ist, wird sie ihre arrogante Extratour bei wirklichen Interessenunterschieden zwischen den USA und der Bundesrepublik mit besonderer Botmäßigkeit wieder auszugleichen versuchen. Ich hoffe, wir werden diesen Preis nicht zahlen müssen, wenn es um die Entscheidung über die Modernisierung amerikanischer Nuklearraketen mit dem Standort in der Bundesrepublik Deutschland geht.
Die SPD hat das Vorgehen der Vereinigten Staaten gegenüber Libyen bei dem Bombenangriff auf Tripolis vor längerer Zeit und auch jetzt bei dem Flugzeugzwischenfall im Mittelmeer abgelehnt und verurteilt. Wir sind gegen völkerrechtswidrige Präventivschläge, wir sind gegen Verdachtsangriffe, aber für Verdachtskontrollen, vor allem wenn es um Giftgas geht, und zuerst im eigenen Lande. Wir sind aus eigener Überzeugung und Überlegung und nicht unter dem Druck von außen dafür.Der Bundeskanzler besitzt nicht diese innere Souveränität. Er und seine Minister haben die politische Dimension der Libyen-Affäre noch immer nicht begriffen. Wo Sensibilität zu erwarten war, hat er Dickfelligkeit gezeigt. Wo Betroffenheit am Platz war, hat er den Beleidigten gespielt. Wo sein Wissen gefordert war, hat er sich ahnungslos gestellt. Wo rasches Handeln not tat, ist er untätig geblieben. Wo Aufklärung gefordert war, hat er Nebel geworfen.
Selbst wenn alle Vorwürfe der Amerikaner der sachlichen Substanz entbehrten, wäre die Informations- und Verlautbarungspolitik der Bundesregierung Grund für personelle Konsequenzen. Sie hat ihre Kenntnisse immer nur in dem Maße zugegeben, wie sie unter dem Druck amerikanischer Indiskretionen und Recherchen deutscher Journalisten — denen ich meinen Respekt sagen möchte — dazu gezwungen war.
So darf sich eine Regierung in einem demokratischen Staat nicht verhalten.Nachdem endlich eine Kommission der Bundesregierung in die USA gereist war, um dort in die Unterlagen des amerikanischen Geheimdienstes Einsicht zu nehmen, erklärte Regierungsspecher Ost vor dem deutschen Fernsehen, die Kommission habe keine neuen Erkenntnisse in die Bundesrepublik zurückgebracht. Wenig später erfuhren wir, warum es keine neuen Erkenntnisse gab: Die Bundesregierung hatte nämlich selbst schon alte Erkenntnisse, die ihr vom Bundesnachrichtendienst in sehr konkreter Form bereits im Oktober oder gar im August 1988 übermittelt worden waren. Weniger konkrete, aber brisante Informationen hatte sie vom Bundesnachrichtendienst schon lange vorher erhalten. Sie haben es heute bestätigt, Herr Schäuble.Wer wußte was und wann, und wer hat was veranlaßt oder unterlassen, und wer trägt dafür die Verantwortung?Der Bundestag wird von der Bundesregierung darüber in den nächsten Wochen konkrete und vollständige Auskunft verlangen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8627
GanselVon diesen Auskünften werden wir unser weiteres parlamentarisches Vorgehen abhängig machen.
Heute erwarten wir Antworten auf folgende Fragen: Was haben Sie, Herr Bundeskanzler, getan, als Sie Mitte November vergangenen Jahres zu Ihrem Gespräch mit Präsident Reagan reisten?
Zu diesem Zeitpunkt wußten Sie schon von den Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes über eine mögliche Beteiligung Deutscher an der Giftgasproduktion in Libyen?Warum, so fragt nicht nur die „Frankfurter Allgemeine", die Ihnen ja sehr freundlich gesonnen ist, konnten Sie, wie es heißt, „betroffen und bestürzt" auf die vertraulichen Hinweise Ihrer amerikanischen Gesprächspartner reagieren?
Warum erklärten Sie, Herr Bundeskanzler, später — ich zitiere — : Es ist für mich überhaupt nicht denkbar, daß sich einzelne innerhalb der Bundesrepublik aus Gewinnsucht an Vorhaben beteiligen, die zumindest in Teilen der Welt friedensgefährdend sind?
— Dies ist ein Zitat aus Ihren Ausführungen.Sie haben dies öffentlich gesagt, nachdem Sie selbst in der geheimen Sitzung des Bundessicherheitsrates von Erkenntnissen über eine Chemiewaffenfabrik gesprochen haben. Das hat Herr Schäuble soeben offenbart.Es war Ihnen doch bekannt, daß sich die Erkenntnisse und Vermutungen des deutschen und amerikanischen Geheimdienstes in der Substanz deckten. Für was und für wen diese Unredlichkeit, oder muß man sagen: Heuchelei?
Sie, Herr Bundeskanzler, sind nicht nur politisch, sondern auch persönlich dafür verantwortlich, daß die deutsche und die internationale Öffentlichkeit über längere Zeit getäuscht worden sind, daß die deutschamerikanischen Beziehungen schweren Schaden genommen haben und daß die Bundesrepublik weltweit in den Verdacht geraten ist, sie fordere öffentlich die Ächtung chemischer Waffen, während sie insgeheim die Produktion solcher Waffen sogar in Entspannungsgebieten dulde.Dabei ist doch kein Land so sehr wie die Bundesrepublik Deutschland daran interessiert, daß die Atomwaffen geächtet und vernichtet werden.
In keinem Land der Welt liegen so viele chemischeWaffen, die schon im Frieden eine Gefahr für die Bevölkerung sind und im Kriegsfall die Existenz unseres Volkes gefährden würden.Seit dem Regierungswechsel im Herbst 1982 sehen sich die Exporteure von Waffen und sensiblen Anlagen und Stoffen ermutigt, ihre Aktivitäten zu verstärken und dabei auch Gesetzesbrüche in Kauf zu nehmen. Die Untersuchungen um die Ausfuhr von Konstruktionsplänen für U-Boote nach Südafrika haben gezeigt, daß sich an solchen Geschäften auch bundeseigene Unternehmen mit Wissen der Bundesregierung beteiligt haben, daß dies von maßgebenden Repräsentanten der Union befürwortet und unterstützt worden ist und daß danach alles geschah, um eine Aufklärung zu verhindern.
So entstand ein Klima augenzwinkernden und stillschweigenden Einverständnisses zwischen der Bundesregierung und der Rüstungsexportlobby.
Auch dafür sind Sie verantwortlich.
Die Kette der Rüstungsexportskandale ist lang. Ein Skandal verdrängt den anderen. Vorgestern ging es noch um die Subvention des Verkaufs von TornadoBombern nach Jordanien, gestern um den Export sensibler Nukleartechnologie an Pakistan, Indien und Südafrika. Heute verdichten sich die tatsächlichen Anhaltspunkte für die Giftgasproduktion in Libyen. Die deutsche Rüstungsexportindustrie hat Geschäfte gemacht, die amerikanischen Unternehmen verboten waren. Sie haben den Amerikanern vorgeworfen, man habe die Deutschen auf die Anklagebank gesetzt. Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben sich dort hingesetzt, und glauben Sie ja nicht, Sie könnten es aussitzen.
Bundesaußenminister Genscher hat in Richtung USA erklärt, die Bundesregierung werde nicht schweigend hinnehmen, zum Prügelknaben gemacht zu werden. Zu diesem Zeitpunkt wußte er längst, daß es im Gegenteil notwendig war, den Waffenschiebern auf die Finger zu klopfen. Woher kam der Mut zu solch starken Worten? Hat er seine Zuhörer auf der Pariser Konferenz für das Verbot chemischer Waffen hinter das Licht geführt, als er weltweite obligatorische Verdachtskontrollen bei der Gefahr von Giftgasproduktion forderte und gleichzeitig für Maßnahmen bei verdächtigen Unternehmen in der Bundesrepublik gerichtsverwertbare Beweise der amerikanischen Administration verlangte? Wann hat er die ersten Informationen erhalten, und was hat das Auswärtige Amt veranlaßt?Wann haben Sie, Herr Bundesminister Stoltenberg, eigentlich erfahren, daß erneut ein Bundesunternehmen, das Ihrer Aufsicht untersteht, in der Grauzone des Rüstungsexports tätig ist? War das vor oder nach
Metadaten/Kopzeile:
8628 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
GanselIhrem Gespräch am Wochenende in den USA — oder etwa während des Gesprächs?
Ich weiß nicht, ob man verzweifelt oder getröstet sein soll, daß der amerikanische Verbündete über die deutschen Rüstungsexportgeschäfte besser informiert ist als die Bundesregierung und daß er sich mehr Sorgen darüber zu machen scheint als die Bundesregierung selbst.Es ist schon ein ungewöhnlicher Vorgang, daß der Sprecher einer Regierung, die mit der Bundesregierung befreundet ist, öffentlich darauf hinweist, daß Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland einem als aggressiv eingeschätzten Staat in einem explosiven Spannungsgebiet der Dritten Welt bei der Produktion von Giftgas Hilfe leisten könnten. Der Hinweis, aber auch die Form seiner Übermittlung ist ungewöhnlich. Solche sensiblen Informationen werden gewöhnlich auf geheimdienstlichem oder diplomatischem Wege übermittelt. Wenn der Weg über die Öffentlichkeit gewählt wird, ist daraus zu schließen, daß sich der angesprochene Staat als außerordentlich träge und tatenlos erwiesen hat, so daß zu ungewöhnlichen Mitteln gegriffen werden muß.Ein solcher Vorgang ist ungewöhnlich, aber er ist leider nicht einmalig. Ich spreche jetzt nämlich nicht über die öffentlichen Hinweise der Amerikaner aus den Jahren 1988 und 1989 auf Libyen, sondern ich spreche von öffentlichen Hinweisen aus dem Jahre 1984 auf den Irak. In der Libyen-Affäre haben wir es nämlich in Bonn — mit Verlaub gesagt — mit Wiederholungstätern zu tun, und das macht die Sache viel schlimmer.Es trug sich im März 1984 zu, daß der Sprecher des State Department öffentlich den Vorwurf erhob, Firmen aus der Bundesrepublik hätten zu den völkerrechtswidrigen Giftgaseinsätzen im Irak 1984 Beihilfe geleistet. Auch damals nahm sich die „New York Times" des Themas an. Auch damals waren interne Hinweise der Amerikaner in Bonn ignoriert worden. Auch damals hat die Bundesregierung alles öffentlich abgestritten und nach einer Überprüfung durch eine Oberfinanzdirektion einen Freibrief erteilt.Mit einer Zusatzfrage zu meiner parlamentarischen Anfrage vom 12. April 1984 hat ein Unionsabgeordneter sogar die amerikanischen Hinweise mit einer „sowjetischen Desinformationskampagne" verbunden. Immerhin hat die Bundesregierung später das Außenwirtschaftsgesetz geändert. Wiederholte Hinweise aus der SPD-Fraktion und aus der Fraktion DIE GRÜNEN über weitere Verdachtsmomente wurden verharmlost. Das alles kann aus den Protokollen des Bundestages und des Auswärtigen Ausschusses gerichtsverwertbar dokumentiert werden.
Auch als schon Giftgasopfer dieses schrecklichen Krieges in deutschen Krankenhäusern behandelt wurden, blieb die Bundesregierung stumm. Zu einer öffentlichen Verurteilung des Irak war sie nicht bereit. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion schrieb zweimal persönliche Briefe an den Bundeskanzler. Auch Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU- und aus der FDP-Fraktion wurden zunehmend erbittert über die Taktiererei des Auswärtigen Amtes. So faßte schließlich der Bundestag im Oktober 1988 — das muß zu seiner Ehre gesagt werden — einen einstimmigen Beschluß, durch den die Bundesregierung aufgefordert wurde, zur möglichen Beteiligung Deutscher an der Giftgasproduktion im Irak Stellung zu nehmen. Inzwischen war nämlich bekanntgeworden, daß eine hessische Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen hatte.Übrigens, es spricht für die deutsche Justiz, daß auch in der Libyen-Affäre eine Staatsanwaltschaft auf Grund von Presserecherchen Ermittlungen aufgenommen hat, obwohl die Bundesregierung nicht aufgehört hat zu beteuern, es gebe keine gerichtsverwertbaren Beweise. Die Staatsanwaltschaft hat sich dadurch nicht entmutigen lassen. Sie darf es auch nicht, denn es ist ihre Aufgabe, für eine Verurteilung oder für einen Freispruch gerichtsverwertbare Beweise zu liefern. Sie muß tatsächlichen Anhaltspunkten nachgehen. Sie werden doch nicht bestreiten können, daß es sie seit vielen Wochen gibt und daß Ihnen das auch bekannt ist. Das ist das Problem, um das es geht.
Meine Damen und Herren, wir haben am 3. Januar dieses Jahres einen Zwischenbericht der Bundesregierung über die Beteiligung deutscher Firmen an den Giftgaseinsätzen im Irak erhalten. Danach wird nun gegen 38 Personen und Verantwortliche ermittelt. Der Nachweis der Eignung der fraglichen Anlagenteile zur Produktion der einschlägigen chemischen Kampfstoffe ist höchstwahrscheinlich zu führen; so ein Zitat aus dem Bericht der Bundesregierung.Meinem Fraktionsvorsitzenden Vogel war vorher mitgeteilt worden, daß die Bundesregierung „Ende 1986 allerdings Hinweise auf ungenehmigte Lieferungen deutscher Firmen in den Irak" besaß.Sie persönlich, Herr Bundeskanzler, haben das meinem Fraktionsvorsitzenden geschrieben. Es hat also ein Jahr lang gedauert, bis die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen begonnen haben. In Ihrem Zwischenbericht steht, daß sich die Ermittlungen schwierig gestalteten, „da unter den bei den inländischen Firmen sichergestellten Unterlagen aus naheliegenden Gründen darüber vollständige Beweise nicht aufzufinden sind". Was bildet sich diese Bundesregierung eigentlich ein? Hat sie etwa erwartet, daß die Firmen in Anbetracht der langen Vorwarnzeit die Beweise gegen sich selbst sozusagen in gerichtsverwertbarer Anordnung für den Staatsanwalt bereitlegen sollten?
In bezug auf die Libyen-Geschäfte wissen wir, daß sie zu einem großen Teil in der Zeit nach 1984 getätigt worden sind. Haben sich etwa auch andere zwielichtige Gestalten und Firmen durch die mangelhaften Kontrollen der Bundesregierung, die auch die „Frankfurter Allgemeine" gestern als „lasch" qualifizierte, ermutigt gefühlt? Oder anders gefragt: Hätten die Iraker ihren Giftgaskrieg so führen können, hätten die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8629
GanselLibyer mit der Hilfe deutscher Firmen so kalkulieren können, wenn die Bundesregierung schon nach 1984 scharf und unmißverständlich Warnungen an die Rüstungsexportindustrie gerichtet hätte?
Herr Bundeskanzler, wir haben um eine solche Reaktion der Bundesregierung immer wieder gebeten, ja gebettelt. Es ging schließlich nicht nur um den guten Ruf, den die Bundesrepublik zu verlieren hat, sondern es ging auch um die Menschen, deren Leben und Gesundheit bei den Giftgaseinsätzen im entsetzlichen irakisch-iranischen Krieg auf dem Spiel standen.Jetzt endlich kommt eine Reaktion. Sie kommt zu spät und leider erst unter dem Druck des mächtigen Verbündeten und der belastenden Tatsachen.Wir müssen uns fragen: Wäre den Verstrickungen deutscher Firmen in das Libyen-Geschäft überhaupt mit dem Willen zur Aufklärung nachgegangen worden, wenn es nicht die sogenannte amerikanische Medienkampagne gegeben hätte?
Ist es wirklich möglich, daß ein Giftgasprojekt in der Dritten Welt mit deutscher Hilfe verwirklicht werden kann, weil die Bundesregierung auf gerichtsverwertbare Beweise eines ausländischen Geheimdienstes wartet,
wenn nicht die Rechercheure der deutschen Medien — und hier muß der „Stern" besonders erwähnt werden — die Initiative übernehmen?
Meine Damen und Herren, der Bundestag muß mit dieser Debatte auch das Bild korrigieren, das die Bundesregierung der Weltöffentlichkeit in den vergangenen Wochen von der Bundesrepublik geboten hat.
Ich möchte deshalb deutlich machen, daß das öffentliche Gewissen in der Bundesrepublik bei der Kontrolle von Rüstungs- und Kriegswaffenexporten besser funktioniert hat als die Bundesregierung selbst.
Ohne die kritischen Journalisten, die abenteuerliche Exportprojekte immer wieder aufgegriffen und verhindert haben, würde es für uns und für unsere Interessen schlechter aussehen. Aber auch Abgeordnete des Deutschen Bundestages haben immer wieder mit Anfragen und Initiativen zu ihren Kontrollpflichten gestanden.Wenn jetzt auf der Regierungsseite unter öffentlichem und äußerem Druck die Einsicht wächst, daß gesetzgeberische Maßnahmen notwendig sind, so fordere ich Sie zur konstruktiven Mitarbeit an dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Sicherung derKriegswaffenkontrolle auf, der dem Bundestag bereits seit September vergangenen Jahres vorliegt. Aber an Ihre Adresse sage ich auch: Mit dem Ruf nach neuen Gesetzen darf nicht davon abgelenkt werden, daß bisher der politische Wille gefehlt hat, den Rüstungsexport schon nach der gegebenen Rechtslage schärfer zu kontrollieren und einzuschränken.
Wenn dieser Wille nicht ehrlich vorhanden ist und deutlich erkennbar wird, dann werden auch die schärfsten Gesetze stumpf bleiben.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat u. a. vorgeschlagen, die Beteiligung deutscher Staatsbürger bei Herstellung biologischer und chemischer Waffen im Ausland unter Strafe zu stellen. Die Richtung dieses Vorschlages ist vernünftig. Aber aus ihm ergeben sich einige peinliche und möglicherweise entlarvende Fragen. Warum soll das nur für die Herstellung und nicht auch für die Entwicklung gelten, warum nicht auch für die Konstruktion der Raketen und Flugzeuge, die diese Waffen tragen sollen, warum eigentlich nicht für die Entwicklung und Herstellung von Nuklearwaffen
und warum nicht im Ausland und im Inland? Schließlich hat die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verbindlich auf die Verfügungsgewalt über ABC-Waffen verzichtet.Ich fordere die Bundesregierung auf, eine besondere Aufmerksamkeit dem Transfer von Raketentechnologie in Länder zu widmen, die schon jetzt über chemische Waffen verfügen. Für Israel kann es z. B. eine tödliche Gefahr sein, wenn ihm feindlich gesonnene Nachbarstaaten über Trägersysteme verfügen, die im Mittelstreckenbereich chemische Waffen transportieren können. Wir haben hier im Bundestag mehrfach nach der Arbeit deutscher Raketentechniker im Irak gefragt, und es ist eine Schande, wie der Parlamentarische Staatssekretär Riedl ausweichend und verharmlosend darauf geantwortet hat. Wir haben auch nach dem Transfer von Flugzeug- und Raketentechnologie nach Libyen gefragt. Wir haben übrigens auch gefragt, wieso es noch immer möglich ist, daß an der Bundeswehrhochschule in München irakische Offiziersanwärter Raketen- und Weltraumtechnik studieren können.
Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland ein starkes Exportland bleiben muß. Das ist notwendig, wenn wir auch in Zukunft Arbeit und Einkommen sichern wollen.
Aber es ist möglich, die Grenze zwischen liberalem Außenhandel und dem Geschäft mit dem Tode schärfer zu ziehen; zumindest der Wille dazu muß sichtbar werden.Was die vielzitierten Arbeitsplätze betrifft: Ja, jeder Arbeitsplatz zählt für den Betreffenden. Aber das Argument wäre glaubwürdiger, wenn es für die 2 Millionen Arbeitslosen in unserem Lande so häufig und
Metadaten/Kopzeile:
8630 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Ganselnachdrücklich gebraucht werden würde wie für die 10 000 Menschen, die in den problematischen Bereichen der Rüstungsindustrie arbeiten.
Gewiß, auch sie dürfen nicht Opfer einer falschen Politik und der Gewissenlosigkeit ihrer Arbeitgeber werden. Es wird übrigens noch manches deutsche Unternehmen in der nächsten Zeit spüren, was das Einlassen auf abenteuerliche Rüstungsgeschäfte in Libyen für die Zukunft des Unternehmens und der Arbeitsplätze bedeuten wird.
Meine Damen und Herren, es gehörte zu den Grundlagen unserer Republik, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg und Diktatur ausgehen sollten. Das ist ein gemeinsamer Wert. Wieviel uns dieser Wert wirklich wert ist, ist daran zu messen, ob wir bereit sind, auf den Kriegswaffen- und Rüstungsexport in Spannungsgebiete, Militärdiktaturen und Entwicklungsländer zu verzichten.
Ich meine, daß dieses für die reiche Bundesrepublik Deutschland möglich sein muß. Das könnte ein Beitrag zur deutschen Identität sein, etwas, in dem alle übereinstimmen könnten, der Arbeiter in der Fabrik, die Wissenschaftlerin im Labor, der Offizier in der Bundeswehr, die Frau in der Friedensbewegung. Das wäre etwas, worauf wir stolz sein könnten, während wir uns heute schämen müssen und deprimiert sind. Aber wir können es ändern.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Laufs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist wahr, die Vorstellung ist entsetzlich, deutsche Firmen könnten sich absichtsvoll und mit krimineller Energie am Aufbau einer Giftgasproduktion in Libyen beteiligt haben.
Die öffentliche Erregung ist überaus verständlich. Es ist aber unsere Pflicht, zuerst ganz nüchtern den Sachverhalt klarzulegen, den wir zu bewerten haben. Hüten wir uns vor pauschalen und vorschnellen Urteilen! Das einzige, was wir als einigermaßen gesichert festhalten können, ist, daß südlich von Tripolis eine Chemieanlage nahezu fertiggestellt worden ist, in der vermutlich die Möglichkeit der Herstellung chemischer Kampfstoffe besteht.Es ist allerdings nicht dieser Sachverhalt in Libyen, der die besondere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in Deutschland gefunden hat. Ich möchte deshalb nachdrücklich darauf hinweisen: Dieser Deutsche Bundestag hat wiederholt einstimmig und leidenschaftlich das uneingeschränkte weltweite Verbot aller chemischer Waffen gefordert. Die weltweite Ächtung der Herstellung, Lagerung und Entwicklung von C-Waffen ist ein überragendes Ziel unserer gemeinsamen Politik. Die Errichtung jeder neuen Fabrik für diese gräßlichen Vernichtungsmittel ist ein uns alle zutiefst bedrückender Tatbestand.
Diese Gemeinsamkeit, Herr Kollege Gansel, sollten wir nicht einer billigen innenpolitischen Agitation opfern.
Sie haben hier eine ganz schlimme Rede gehalten.
Unsere besondere Betroffenheit bezieht sich vielmehr auf eine vermutete deutsche Beteiligung an der Errichtung der libyischen Firma.
Sie wird nicht gemindert durch den Umstand, daß eine Vielzahl weiterer Unternehmen anderer Nationalitäten möglicherweise darin verwickelt sind. Für illegale Exporte durch Firmen aus unserem Land nach Libyen gibt es eine Reihe von Verdachtshinweisen. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich so verhält, aber es fehlt bis heute an konkreten Beweisen. Die Exporte der beteiligten Unternehmen wurden meist im Rahmen des normalen nicht genehmigungspflichtigen Geschäftsverlaufs getätigt, in der Regel vermutlich auch ohne Wissen der letztlichen Zweckbestimmung.Die Behauptung des SPD-Vorsitzenden, des Kollegen Dr. Vogel, im Süddeutschen Rundfunk, es kämen immer neue schlimme Beweisanzeigen auf den Tisch, ist irreführend.
Wenn er auch noch den Vorwurf der Vertuschung erhebt,
dann ist es höchste Zeit, ihn zu fragen, ob er denn von Beweisen Kenntnis hat, die mit Aussicht auf Erfolg von der Strafverfolgung aufgegriffen werden könnten.
Als exzellenter Jurist werden Sie sich ja wohl nicht nur an Schlagzeilen einschlägiger Magazine orientieren, Herr Kollege Vogel.
Sollten Sie mehr wissen, halten Sie Ihr Wissen bitte nicht zurück,
oder lassen Sie Ihre öffentlichen Unterstellungen in dieser Weise, Herr Kollege Vogel.Tatsächlich ist die Beweislage nach wie vor höchst mangelhaft. Es stellt sich die zentrale Frage, ob von der Bundesregierung und den ihr nachgeordneten Behörden unverzüglich alles getan worden ist, um den
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8631
Dr. LaufsSachverhalt aufzuklären und die mögliche Strafverfolgung einzuleiten.Bundesminister Dr. Schäuble hat überzeugend und schlüssig dargelegt, daß die zuständigen Behörden, insbesondere das Zollkriminalinstitut und das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft, sofort nach Vorliegen erster Hinweise eingeschaltet worden sind und tätig wurden. Die verfügbaren Mittel der Nachrichtenbeschaffung wurden genutzt. Mehrere Staatsanwaltschaften wurden so bald wie möglich von den sich verdichtenden Verdachtsmomenten in Kenntnis gesetzt. Es gibt überhaupt keinen Anlaß, der Bundesregierung Versäumnisse vorzuwerfen,
Warum kommt man trotz aller Bemühungen nicht über vage Hinweise und Vermutungen hinaus? Erinnern wir uns an frühere Erfahrungen. Wir haben über Jahre hinweg hier in diesem Hause über den Einsatz chemischer Waffen im Golfkrieg und die Lieferung deutscher Chemieanlagen in den Irak diskutiert. Die Außenwirtschaftsprüfung hatte seinerzeit ergeben, daß die aus Deutschland stammenden Laboranlagen im Technikumsmaßstab nicht unmittelbar zur Nervengasproduktion verwendet werden konnten. Dazu wären weitere Einrichtungen erforderlich gewesen. In der Regel konnten diese Ausfuhrgeschäfte mit dem Irak rechtlich nicht beanstandet werden. Kollege Schäuble hat dies im einzelnen dargestellt.Sicherheitshalber wurden von der Bundesregierung 1984 eine Reihe weiterer chemischer Produkte einem Genehmigungsvorbehalt unterstellt. Genehmigungen nach der Außenwirtschaftsverordnung werden seitdem abgelehnt, wenn der Verdacht besteht, daß die Produkte zu nichtzivilen Zwecken verwandt werden.Dieser Sachverhalt, daß zur Kampfstoffproduktion auch katalogmäßig angebotene Labor- bzw. Produktionsanlagen verwendet werden können, ist spätestens seit diesen Ereignissen bekannt. Jeder Student der Chemie weiß, wie prinzipiell einfach in einer Standardapparatur die Produktion von Nervengas in kleinen Mengen möglich ist. Das ist zuerst eine moralische Frage und nicht eine Frage des technischen und wissenschaftlichen Aufwands. Die Chemikalien, die man als Ausgangsstoffe braucht, kann man überall in der Welt kaufen. In bestimmten Standardanlagen können sowohl Pflanzenschutzmittel als auch Giftgase hergestellt werden.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat Vorschläge gemacht, wie wir dieser schwierigen Situation besser als bisher gerecht werden, Mißbrauch vorbeugen und Rechtsverstöße ahnden können. Die Beratung dieser für die Exportnation Nummer 1 äußerst komplizierten Fragen wird uns noch sehr beschäftigen. Ich vermisse dazu die Vorstellungen der Opposition, was die Erstreckung deutschen Strafrechts auf Auslandstaten betrifft.
Statt dessen hören wir eine wilde Polemik über Vertuschungsversuche der Bundesregierung. Soll dennjeder erste vage Hinweis auf dem Marktplatz verkündet werden, damit jede weitere Ermittlung aussichtslos wird? Wollen Sie aus jedem Verdacht gleich einen öffentlichen Schuldspruch machen? Was wollen Sie denn? Sagen Sie hier, was von wem vertuscht worden ist, welchen Hinweisen nicht nachgegangen worden ist, welche Maßnahmen unterlassen wurden.Ich kenne solche Unterlassungen bei der Sachaufklärung nicht. Darum geht es Ihnen offensichtlich auch überhaupt nicht. Sonst hätten Sie nicht schon vor der heutigen Unterrichtung in Ihrem Antrag wörtlich ausgedruckt:Der Bundestag bedauert die widersprüchliche und unvollständige Information der Bundesregierung zur möglichen Beteiligung Deutscher an der Giftgasproduktion in Libyen.Sagen Sie es endlich!Der SPD-Vorsitzende Dr. Vogel warf dem Bundeskanzler vor, er habe ein Klima entstehen lassen, in dem sich die Leute, die mit Waffenexporten, Waffengeschäften und derartigen Dingen zu tun haben, sehr ermutigt fühlen;
Man fordere öffentlich das Verbot chemischer Waffen, leiste aber insgeheim der Produktion solcher Waffen Vorschub. Dieser Vorwurf ist ungeheuerlich.
Herr Dr. Vogel, nicht der Bundeskanzler schädigt die deutschen Interessen, wie sie behaupten, sondern Sie mit Ihrem unverantwortlichen Reden.
Ich weise Ihre bösartigen Unterstellungen mit allem Nachdruck zurück. Wenn Sie sich schon solche Entgleisungen leisten, dann wundern wir uns über die Ganselschen Maßlosigkeiten und Verdrehungen überhaupt nicht mehr.
Meine Damen und Herren, wir erwarten von der Bundesregierung und den Strafverfolgungsbehörden alle Anstrengungen, um Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz zu verhindern und zu ahnden,
wir erwarten unablässige Bemühungen um das weltweite Verbot chemischer Waffen, und wir erwarten intensive Beratungen darüber, wie wir die Kontrollmechanismen verstärken können, ohne unserer Exportwirtschaft unzumutbare Fesseln anzulegen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.
Metadaten/Kopzeile:
8632 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das war ja, Herr Kollege Laufs, eine herrliche Geste der Entrüstung. Die nimmt Ihnen und Ihren Kollegen aber niemand mehr ab.
Diese Gesten der Entrüstung haben wir heute vor 14 Tagen schon einmal aus Lahr überspielt bekommen. Ich möchte kurz zurückblenden: Am 4. Januar 1989 gibt die Imhausen Chemie GmbH eine Presseerklärung heraus, in der es heißt — ich zitiere — :Die Geschäftsleitung des Unternehmens weist die Verdächtigungen mit allem Nachdruck zurück. Diese Verdächtigungen sind unbegründet. Die verbreiteten Behauptungen sind unwahr.Und weiter — Zitat — :Die Imhausen Chemie hat weder mit dem Staat Libyen noch mit libyschen Behörden, noch mit irgendwelchen sonstigen Geschäftspartnern irgendwelche Verträge im Zusammenhang mit dem Chemiewerk in Rabata, Libyen, geschlossen. Weder die Imhausen Chemie noch ein anderes Unternehmen unserer Firmengruppe ist unmittelbar oder mittelbar in irgendeiner Weise an dem Projekt dieser Fabrik in Libyen beteiligt.So weit Herr Hippenstiel-Imhausen heute vor 14 Tagen, am 4. Januar 1989. Der Brandstifter gibt sich als Biedermann.
— Herr Kollege Laufs, hören Sie doch bitte zu.Sie haben eben einen schönen Begriff in die Debatte eingebracht. Den möchte ich aufgreifen. Sie haben von krimineller Energie gesprochen. Was in den letzten beiden Wochen nach dieser heuchlerischen Erklärung der Imhausen Chemie herausgekommen ist und vorliegt — vorliegt, sage ich — an Dokumenten, an Briefen, an Beweismitteln dafür, mit welcher kriminellen Energie diese Firma ihre Geschäftsbeziehungen mit Libyen vertuscht hat, ist ungeheuerlich. Das kann man nicht anders bezeichnen als Wirtschaftskriminalität, als Verbrechen.
— Auf die Regierung komme ich noch. Ich gehe schön der Reihe nach vor. Erst einmal gehe ich auf die Firma ein. Herr Kohl kriegt auch noch etwas ab.Die haben gewußt, warum sie via Hongkong liefern, warum sie keine Anträge stellen, nach Libyen zu exportieren. Man stellt keine Anträge, wenn man sich nicht sicher ist, daß man damit Erfolg haben wird.Zwei Tage vor dieser Presseerklärung, als die Vorwürfe der „New York Times" durch die bundesdeutsche Presse gingen, hat Herr Hippenstiel-Imhausen auch gleich noch das Motiv für seine sichere Überzeugung von der Haltlosigkeit der Vorwürfe mitgeliefert. Er ließ verlautbaren — Zitat — : „Wir würden so etwas auch nicht machen, weil wir ein seriöses Unternehmen sind. " Aber welcher der Herren von der ehrenwerten Gesellschaft der deutschen Chemieindustrie, der Atomanlagen-, der Rüstungsfabrikanten würde denn bestreiten, daß sie alle seriöse Unternehmen sind?Auch wenn ihre jährlich wachsenden Renditen möglicherweise oder tatsächlich genährt werden von Verwundung, Krankheit und Tod von Menschen in aller Welt — alle sind sie ehrenwert; denn schließlich ist es der Stolz auf die deutsche Größe in der Welt, der sich im Jubel über die Exportbilanzen niederschlägt. Schließlich wird bei einer jährlichen Ausfuhrbilanz — Herr Schäuble hat ja auch nochmals stolz darauf verwiesen — von über 500 Milliarden DM doch niemand so empfindlich sein, darauf hinzuweisen, daß ein Teil des damit erwirtschafteten Profits Profit aus dem Tod von Menschen ist. Nein, das hört man nicht gern in diesem Lande und in diesem Hohen Hause. Aber wo immer in der Welt Mordgeräte produziert oder eingesetzt werden, kann man leider sicher sein: Auch deutsche Unternehmen sind auf den Lieferantenlisten zu finden.Doch ist in der Bundesrepublik noch nie ein Rüstungsexporteur wegen Beihilfe zum Mord angeklagt worden.
Schließlich sind Rüstungsexporte zunächst einmal überhaupt nichts Ungesetzliches. Sie werden von der Bundesregierung genehmigt, kontrolliert — nach Möglichkeit dann aber doch vorsichtshalber geheimgehalten.Handelt es sich gar „nur" um Kenntnisse, um Waren oder Anlagen, denen sich nicht von vornherein ganz eindeutig die Tauglichkeit für die Giftgas- oder Atombombenproduktion bescheinigen läßt, dann ist der Verkäufer erst recht fein heraus. Wir werden ja demnächst wohl leider erleben müssen, wie es den Herren Imhausen und Kompanie in dieser Beziehung ergehen wird. Sollte Imhausen überhaupt ein Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz nachgewiesen werden können, dann kommt er wahrscheinlich als Ersttäter mit einer Bewährungsstrafe davon. Auf keinen Fall muß er befürchten, ein Opfer der jetzt mit großem Getöse beschlossenen und vorgetragenen Strafverschärfung zu werden. Denn diese neuen sogenannten Höchststrafen von fünf Jahren gelten nur für Täter, die derlei Straftaten, wie es im Entwurf der Regierung heißt, „gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande" begehen. Dafür sind solche potentiellen oder tatsächlichen Kriegsgewinnler ja dann doch wohl zu seriös.Ja, übrigens, die Bundesregierung: Man fragt sich wirklich, welche Rolle sie überhaupt in diesem Schauerstück spielt, ja, ob sie überhaupt noch eine Rolle spielt, ob die Geschäftemacher dieser Republik nicht allmählich ganz ohne diese Regierung auskommen können.
Welche Rolle ist noch für sie vorgesehen, in diesem Stück, das da heißt: Die Kreise der Exportwirtschaft dürfen auf keinen Fall gestört werden? Hat die Regierung ihre Schuldigkeit nicht längst getan, als sie als Leitmotiv in das Außenwirtschaftsgesetz hineinformulierte — § 2 AWG — :
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8633
Frau TeubnerBeschränkungen ... sind so zu gestalten, daß in die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung so wenig wie möglich eingegriffen wird.Nach außen wird mit dem Kriegswaffenkontrollgesetz und mit dem AWG schön demonstriert — und jetzt werden noch ein paar Verschönerungen angebracht — : Alles unter Kontrolle. In der Praxis: Freie Bahn den Geschäftemachern. Dazu noch eine gute Portion Moral, für die sich im vorliegenden Fall auch einmal der Außenminister eignet, der leider heute hier nicht anwesend ist, aus welchen Gründen auch immer.
— Ja, ich kann ihn hier ja selber zitieren. Genscher: „Ich will nicht, daß Deutsche an der Produktion von Vernichtungswaffen beteiligt sind. " Ja, was heißt das denn, wenn man es wirklich wörtlich nimmt? Wollen Sie etwa gar die ganze Rüstungsproduktion verbieten? Nein, so war es wahrscheinlich denn doch nicht gemeint. Aber es macht sich immer gut in der Öffentlichkeit. Derweil darf der andere ehrenwerte Herr von der kleineren Regierungspartei weiter die Ideologie vom Exportweltmeister BRD hinausposaunen.Denjenigen aber, der angeblich die Richtlinien der Politik bestimmt, dürfen wir wieder einmal als Star in der Rolle des aktiven Wegschauers bewundern,
obwohl es nichts zu bewundern gibt. Es ist vor wenigen Monaten, Anfang November, in diesem Land und auch in diesem Haus viel von der Schuld des Wegschauens und von der Schuld des Weggeschauthabens gesprochen worden. Es wird in wenigen Wochen ein Jahr des Feierns anfangen, des Feierns eines Neubeginns, eines sogenannten Neubeginns, nach jener sogenannten unseligen Zeit, als das Wegschauen so viele Verbrechen duldete und ermöglichte, auch Verbrechen wie die massenhafte Tötung mit Gas.Es steht leider zu befürchten, daß mit dem Feiern des Jahres 1949 erneut Versuche der Verdrängung dieser Geschichte einhergehen werden. Es sind aber diese Geschichte, auch die Geschichte des Weggeschauthabens, und die Erfahrungen, die uns 1949 die Verpflichtung in das Grundgesetz diktierten: Nie wieder Krieg, nie wieder Rüstungsproduktion, nie wieder Waffenexporte, nie wieder wegschauen.Gemessen an diesen Notwendigkeiten kann man die Rolle, die die Bundesregierung und der Kanzler vorweg gespielt haben, seitdem sie die ersten Hinweise auf deutsche Beteiligung an der Chemiewaffenproduktion in Libyen bekamen, nur als schmachvoll und schändlich bezeichnen.
Was jetzt hier getan wird, was Herr Schäuble mühsam, aber ohne Erfolg versucht hat und was weiter versucht werden wird, wenn jetzt an Verschönerungen der Gesetze herumgebastelt wird, ist nicht mehr, als die Notbremse zu ziehen; es ist nicht mehr als der mühselige Versuch, das ramponierte Image der Bundesrepublik in der Welt wieder ein bißchen aufzufrischen.Das ist nämlich der Kern der Entrüstung und der Empörung hier: Man regt sich auf dieser Seite nicht so sehr darüber auf, was hier produziert wird, was hier exportiert wird, daß hier Beihilfe zum Massenmord geleistet wird; man regt sich darüber auf, daß die Presse das hochgebracht hat; man regt sich darüber auf, daß das deutsche Ansehen in der Welt geschädigt ist.
Für uns kann die Konsequenz nicht sein, jetzt an einzelnen Gesetzen Verschönerungen vorzunehmen. Für uns kann die Konsequenz nur sein, nochmals grundsätzlich festzustellen: Sämtliche Exporte, die im sensitiven Bereich liegen, sämtliche Exporte von Rüstungsmaterialien, von Anlagen, die für Kriegswaffenproduktionen möglich sind, müssen gestoppt werden. Das ist die Grundlage. Erst wenn das festliegt, kann man sich darüber unterhalten, welche Möglichkeiten es gibt, diesen Stopp, mit dem sofort begonnen werden muß, zu kontrollieren.
Dazu gehört z. B. eine Pflicht zur umgehenden Offenlegung von Exporten und von Ausfuhrgenehmigungen, die in den Jahren seit 1980 vorgenommen wurden. Dazu gehört selbstverständlich ein Konversionsprogramm für die Industrien. Es wird immer wieder darauf hingewiesen, es beträfe nur einen kleinen Teil der deutschen Industrien, eine Marginalie sozusagen. Dennoch: Man muß die Initiativen, die es bereits seit Jahren gibt, unterstützen, um sozial und ökologisch sinnvolle Produkte herzustellen.Wir fordern weiter, daß die Straffolgen für den illegalen Export von Waffen oder von Waffentechnologien auch für Ersttäter mit totaler Gewinnabschöpfung gekoppelt werden. Solange sich die Strafen in minimalen Bereichen, bei ein paar tausend Mark, bewegen, ist es überhaupt keine Abschreckung dagegen, solche Geschäfte zu tätigen.Unser Antrag enthält weiterhin die Forderung, daß es möglich sein muß, mit nicht angekündigten Maßnahmen vor Ort, in Firmen, in Betrieben, die möglicherweise mit sensitiven Wirtschaftsgütern handeln, Kontrollen durchzuführen, nicht erst dann, wenn solche Exporte getätigt wurden, nicht erst Monate oder sogar Jahre später anzufangen, Ermittlungen durchzuführen. Zu welchen Ergebnissen das führt, haben wir schon gesehen; das wird man auch im Fall Imhausen wieder sehen. Exporte von Waffen oder von waffentauglicher Technologie sind durch nichts, durch absolut nichts zu rechtfertigen.Ebenso ist durch nichts, schon gar nicht durch den sogenannten Schutz sogenannter Geschäftsinteressen, der Verzicht auf rechtzeitige und umfassende Prüfungen zu rechtfertigen, wenn irgendein Verdacht vorliegt, daß — wie heute oder in den letzten Wochen deutlich geworden ist — solche Exporte hinter dem Rücken oder womöglich gar unter den Augen der Kontrolleure durchgeführt werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff.
Metadaten/Kopzeile:
8634 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Deutsche bauen Giftgasfabriken für Gaddafi? — Es gibt eine klare Position der FDP: Das darf nicht sein, weder in Libyen noch anderswo.
Schnelle Aufklärung ist nötig, und Gesetzesverletzungen müssen geahndet werden.
Die Mitwirkung an solchen Vorhaben hat dem Ansehen der Bundesrepublik geschadet. Sie hat ihrer Politik geschadet, nämlich der Politik einer Regierung, die selbst und nicht zuletzt durch ihren Außenminister zu denjenigen gehört, die sich am eifrigsten und entschiedensten für das Verbot der Herstellung, der Anwendung und der Lagerung von C-Waffen auf der Welt einsetzen.
Frau Abgeordnete Teubner hat kritisiert, daß der Bundesaußenminister heute nicht hier ist. Diese Kritik ist unfair und auch ungerecht, denn wenn einer das Recht hat, bei der Unterzeichnung des KSZE-Erfolges heute in Wien dabei zu sein, dann ist es Hans-Dietrich Genscher.
Bei aller Betroffenheit über das, was wir erfahren haben und weiter erfahren werden, behalten wir aber auch bitte klaren Kopf: Es gibt in den Vereinigten Staaten nicht nur William Safire, es gibt auch Richard Cohen. Es gibt überall faire und unfaire Kommentatoren.
Herr Gansel — ich komme auf Ihre Ausführungen im Laufe meiner Darlegungen zurück — , Sie haben ein Beispiel dafür geliefert, wie man unfair kommentieren kann. Sie haben den Bundeskanzler zitiert — ob das Zitat richtig oder falsch ist, weiß ich nicht,
ich habe ähnliches gelesen — , er halte solche Vorgänge für undenkbar. Undenkbar, unglaublich, unvorstellbar: Das ist etwas, was man sich wirklich nicht denken kann,
obwohl sehr häufig das Undenkbare denkbar wird.
Ich halte es heute noch für unglaublich und undenkbar, daß in Libyen mit deutscher Beteiligung Giftgasfabriken gebaut werden.
Wer die deutsche Sprache in ihrer Vielfalt beherrscht, der wird zu dem Ergebnis kommen, daß derartige Auslegungen nicht in Ordnung sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Wenn mir das nicht auf die Zeit angerechnet wird, Frau Präsident.
Nein, es wird nicht angerechnet.
Kollege Graf Lambsdorff, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich den Bundeskanzler wörtlich zitiert habe, und trauen Sie dem Bundeskanzler zu, daß er zwischen „undenkbar" und „unglaublich" unterscheiden kann?
Herr Gansel, ich traue ihm noch viel mehr zu,
aber nach den Ausführungen, die Sie hier heute gemacht haben, traue ich Ihnen leider auch mehr zu, als ich erwartet hatte, bisher annehmen zu müssen.
Meine Damen und Herren, die FDP hat sich gewundert — ich sage das auch mit einem kritischen Unterton — , daß der Bundeskanzler bei der Regierung der Vereinigten Staaten Klage über amerikanische Medien geführt hat. Die Bundesregierung läßt sich doch selber auch nicht — und zwar mit Recht — für deutsche Medien in Anspruch nehmen. Aber ebensowenig, Herr Gansel, zitieren wir William Safire gegen die Deutschen. Die Beliebigkeit, mit der Sie hier vorgegangen sind, erregt mein und unser höchstes Mißfallen,
die Beliebigkeit nämlich, Herr Gansel, daß wir gegen William Safire aufgetreten sind, als er seinerzeit die sozialliberale Regierung wegen des Pipeline-Embargos kritisiert hat, Präsident Reagan verteidigt hat und uns genau in derselben Art und Weise in die Pfanne gehauen hat, wie das jetzt geschehen ist.
Das mißfällt mir. 1980 tritt er als Kronzeuge gegen uns auf, und das ist Ihnen gar nicht recht, und heute tritt er gegen uns auf, und da ist es Ihnen recht. William Safire ist nicht „die" Amerikaner, Richard Cohen ist auch nicht „die" Amerikaner, und wir sollten nicht eine Stimme mit „den" Amerikanern gleichsetzen, wie Sie das getan haben, Herr Gansel.
Das Bild über den Stand der Ermittlungen ist immer noch unklar. Das ist keine kritische Bemerkung an die Adresse des Bundesministers Schäuble. Manchmal hatte ich übrigens den Eindruck, Herr Gansel, bei Ihren Fragen, Sie seien gar nicht im Saal gewesen, als Herr Schäuble vorgetragen hat. Das ist keine kritische Bemerkung an Herrn Schäuble, sondern es ist die Feststellung, daß er über den Ermittlungsgang berichtet hat, aber das Ergebnis solcher Ermittlungen in derart schwierigen Fällen natürlich hier nicht vortragen kann, vielleicht — ich komme darauf noch zurück — auch hier gar nicht vortragen soll.Bei dem, was wir bisher gehört haben, wird deutlich, was ich von Anfang an erwartet habe, als ich von diesem Komplex erfuhr, daß nämlich Hunderte von deutschen und ausländischen Firmen an ihm beteiligt waren und sind. Aber kaum wird der Name eines bun-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8635
Dr. Graf Lambsdorffdeseigenen Unternehmens genannt — das wird natürlich sofort mit dem Bundesfinanzminister in Verbindung gebracht — , spricht Herr Gansel von der Grauzone.
Wieso werfen Sie der Geschäftsführung eines Salzgitter-Unternehmens mit dieser Unterstellung vor — das wird ja damit insinuiert — , daß sie gewußt habe, wofür letztlich diese Anlagen geliefert worden sind? Keiner kann das beweisen, und die bisherigen Auskünfte geben dafür nichts her.
Die FDP bittet die Bundesregierung, alles zu tun, um den Ermittlungsbehörden schnelle Aufklärung zu ermöglichen. Die zuständigen Ressortchefs — der Außen- und der Wirtschaftsminister kommen in erster Linie in Betracht — sind ersten Hinweisen — übrigens früheren, als Sie sie genannt haben — ordnungsgemäß nachgegangen. Angesichts der bekannten Haltung des Außenministers zum C-Waffen-Problem konnte auch überhaupt nichts anderes erwartet werden.Die FDP erwartet von der Bundesregierung — das bezieht sich auf meine eben gemachte Bemerkung über das Ergebnis von Ermittlungen — , daß sie sich nicht an die Stelle der Ermittlungsbehörden setzt. Die Bundesregierung ist weder Staatsanwalt noch Richter,
und manchmal sollten wir Montesquieu im Kopf behalten.
Meine Damen und Herren, die Opposition erwägt einen Untersuchungsausschuß. Hilft der unserem internationalen Ansehen? Das ist eine Frage, die man unterschiedlich beantworten kann. Man kann auch sagen: Es ist ohne Bedeutung. Vor allem aber: Wird nicht ein Untersuchungsausschuß die Tätigkeit der Ermittlungsbehörden eher behindern?
— Ich weiß das, verehrter Herr Kollege Vogel.
Aber Sie haben angekündigt, als Fraktion einen solchen Ausschuß zu beantragen.
— Sie haben angekündigt, daß Sie einen beantragen könnten
oder werden. Aber offensichtlich ist es Ihnen nicht recht, wenn diese Absicht ein wenig problematisiert wird. Aber das darf man doch, oder? — Na also.Haben sich vergangene und bestehende Untersuchungsausschüsse als zielführend erwiesen? Nach unserer Meinung hat jetzt die juristische, die rechtliche Aufklärung eindeutigen Vorrang, und wenn danach politischer Aufklärungsbedarf verbleibt,
dann mag und muß über einen Untersuchungsausschuß entschieden werden.
Jetzt müssen wir eines tun: Wir müssen umgehend Gesetze auf ihre Effektivität hin überprüfen. Das Ziel dieser Überprüfung ist: Keine deutsche Firmenbeteiligung an solchen Vorhaben, keine deutsche Personenbeteiligung, weder im Inland, Herr Gansel, noch im Ausland.
Die Freie Demokratische Partei ist für eine Verschärfung der Strafbestimmungen bei Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz. Die FDP schlägt vor, die Mitwirkung Deutscher an der Produktion von Chemiewaffen überall auf der Welt als kriminelles Unrecht unter Strafe zu stellen. Wie schwierig eine solche Rechtsvorschrift auszugestalten ist, zeigt sich, wenn möglicherweise deutsche Entwicklungsingenieure bei der Produktion binärer chemischer Waffen in den USA beteiligt werden.
— Nun lassen Sie mich doch einmal ausreden: Die FDP schlägt vor, auch dies unter Strafe zu stellen. Wir wollen keine Beteiligung Deutscher an der Herstellung von C-Waffen. Aber wir müssen uns natürlich fragen, wie unser Verbündeter USA auf eine solche Strafvorschrift reagieren würde. Kann das deutsche Strafgesetz überhaupt weltweit so weitreichende Tatbestände erfassen?
Herr Gansel fordert das auch für die Mitwirkung bei der Raketenentwicklung. Das ist ein wunderbares— oder schlimmes — Beispiel für „dual use" , für doppelte Verwendungszwecke. Raketen kann man bekanntlich für sehr friedliche Dinge einsetzen; man kann mit ihnen z. B. Satelliten nach oben bringen. Man kann auch üble Dinge transportieren, wie Sie sie genannt haben.Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung: Wenn Ihre Rechtsauffassung zum Zuge käme, wäre wahrscheinlich mein verstorbener Schwager, der den Amerikanern auf den Mond verholfen hat, bestraft und eingesperrt worden.
Die Amerikaner sind dem allerdings zuvorgekommen, indem sie ihn zum amerikanischen Staatsbürger gemacht haben. Dann sind Sie ohnehin nicht mehr in der Lage, etwas zu unternehmen.
Noch eine Nebenbemerkung zu diesem Thema: Die FDP weist die pauschale Verunglimpfung Deutscher
Metadaten/Kopzeile:
8636 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Dr. Graf Lambsdorffauf ausländischen Arbeitsstellen, die man jetzt manchmal als „Technologiesöldner" bezeichnet sieht, zurück.
Der deutsche Export lebt von der Bereitschaft solcher Mitarbeiter, unter oft schwierigen Bedingungen im Ausland zu arbeiten. Diese Menschen sichern Arbeitsplätze bei uns, und sie verdienen unsere Anerkennung, nicht unsere Kritik.
Wir wollen die Kontrollmaßnahmen für die hier in Rede stehenden Exporte verschärfen. Wir sind der Auffassung, daß das Bundeskriminalamt zukünftig unmittelbar für Ermittlungen gegen Helfer und Helfershelfer bei der Produktion chemischer Waffen zuständig sein muß. Wir machen aber auf die damit verbundenen Probleme aufmerksam. Herr Gansel hat gefragt: Hätten „Irak" und „Libyen" verhindert werden können? Vorsichtshalber hat er sich um eine Antwort gedrückt. Die ist nämlich außerordentlich schwer zu geben. Unsere Exportstatistik weist monatlich 2,5 Millionen Einzelexporte aus. Kein Mensch, keine Behörde, kein Staat kann das lückenlos kontrollieren.
Noch schwerer ist die Kontrolle nicht genehmigter, an den Kontrollstellen vorbeigeleiteter verbotener Exporte. Strafandrohungen sind deshalb zur Abschrekkung notwendig.
— Ja, aber es geht noch ein paar Schritte weiter. Herr Gansel, Sie haben sich mit einer polemischen 25-Minuten-Rede um all diese Lösungsvorschläge herumgedrückt.
Wenn jemand bestraft werden soll, muß ihm neben der objektiven Handlung — also Zulieferung zu einer C-Waffenfabrik — subjektiv Verschulden nachgewiesen werden. Eine Fabrikanlage setzt sich aus Millionen von Einzelteilen zusammen, oft von Hunderten von Lieferanten geliefert. Generalunternehmer gibt es in den hier diskutierten Fällen bekanntlich nicht. Dem Lieferanten von friedlichen, nicht genehmigungsbedürftigen Komponenten muß eine dolose Absicht nachgewiesen werden. Das ist im Sektor Chemieanlagen besonders schwer, weil gelieferte Einzelteile sehr häufig vielfältig benutzbar sind.
„Multi-purpose"-Objekte heißt das Stichwort. Meine Damen und Herren, eine hydraulische Pumpe kann in einer friedlichen Fabrik ebenso wie in einer C-Waffenfabrik eingesetzt werden.
Offenbar ist im Falle Rabta so verfahren worden.Aus den täglich neu eingehenden Meldungen ergibt sich ein Mosaik, das sich zum überwiegenden Teil aus nach dem AWG nicht genehmigungsbedürftigen Ausfuhren zusammensetzt. Welcher Lieferant hat was über den endgültigen Zweck der Anlage gewußt? Solche Fragen sind vor allem dort kritisch zu stellen, wo Firmen aus der Bundesrepublik, wie man Pressemeldungen entnehmen kann, Chemikalien geliefert haben, die schon auf einer Indexliste des Verbandes der Chemischen Industrie standen und stehen.
Spätestens hier wäre es wohl nötig gewesen, einmal eine Rückfrage über den genauen Bestimmungsort und den Bestimmungszweck an den Verband oder an die Regierung zu richten.Die Bundesrepublik Deutschland ist und bleibt einer liberalen Außenhandelspolitik verpflichtet. Bundeswirtschaftsminister Haussmann hat dies zu Recht bekräftigt. Die Philosophie der USA unterscheidet sich hier von der deutschen.
Aus den USA darf exportiert werden, was ausdrücklich erlaubt ist; aus der Bundesrepublik darf exportiert werden, was nicht ausdrücklich verboten ist. Darin spiegelt sich die unterschiedliche Bedeutung des Exports für die beiden Volkswirtschaften wider.Schon unsere Erfahrungen bei der „non-proliferation" nach dem Atomwaffensperrvertrag hat gezeigt, daß lückenlose Kontrollen weltweit leider nicht zu erreichen sind.
Bei C- und bei B-Waffen ist das noch viel schwieriger.
— Ich rede jetzt über die Zukunft und über die Verhinderungsmöglichkeiten. Ich rede über das, was wir tun wollen, um solche Dinge zu verhindern.Es gibt nur einen einzigen wirklich erfolgversprechenden Weg: Das ist die weltweite Ächtung der Bund der C-Waffen und die Verhaltens- und Verdachtskontrolle vor Ort, keinen anderen. Rasche und überfallartige Inspektionen sind erforderlich und können durch nichts ersetzt werden. Außenminister Genscher hat dies der Pariser Konferenz vorgeschlagen.
Die USA sind dazu — leider, sage ich — nicht bereit. In aller Freundschaft sei ihnen gesagt: Wer wirklich keine B- und C-Waffen in der Welt will, der darf keine binären Waffen herstellen und der muß Verhaltenskontrollen akzeptieren.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Seit Neujahr hält die Bundesre-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8637
Müller
gierung die Weltöffentlichkeit mit Dementis und Eingeständnissen, mit Unschuldsbeteuerungen und Ersatzangriffen, mit Halbwahrheiten und Unwahrheiten hin. Wir wissen heute nicht — kein Wort ist dazu gefallen —, ob nun Herr Ost oder Herr Stoltenberg recht hat in der Einschätzung, ob es um eine Chemiewaffenfabrik oder um ein Chemiewerk geht. Dazu ist nichts gesagt worden, außer einer lauen Erklärung des Sprechers von Herrn Stoltenberg, mit der man nichts anfangen kann.Dieses Spiel reizt zur Satire. Es reizt dazu, Hohn und Spott über eine Regierung auszukippen, die sich noch zu Silvester auf beide Schultern geklopft hat. Satire würde aber einen Vorgang heiter erscheinen lassen, der bitterernst ist.
Es geht schließlich um den Verdacht der deutschen Beihilfe zur Vorbereitung des Massenmordes mittels chemischer Waffen. Was Bundeskanzler Adenauer, was Willy Brandt und Helmut Schmidt und z. B. die Bundespräsidenten Heinemann und Weizsäcker mit Herz und Verstand an Vertrauen unter anderen Völkern in langen Jahren aufgebaut haben, das reißt diese Regierung mit dem Hintern zwischen Silvester und Neujahr ein.
Als der erste Verdacht auf Beteiligung eines deutschen Unternehmens am Bau eines Werkes für chemische Kampfstoffe in Libyen um die Jahreswende veröffentlicht wurde, da hätten Sie, Herr Bundeskanzler, vor die Öffentlichkeit treten und sagen können: Ich weiß davon, ich bin dem nachgegangen. Es kann an der Sache etwas dran sein, es ist sehr wahrscheinlich etwas dran. Wir werden vieles tun müssen, um Vertrauen wieder zurückzugewinnen. — So haben Sie, Herr Bundeskanzler, nicht gesprochen, Sie haben den Schaden nicht begrenzt. Statt dessen haben Sie abgewiegelt und die Öffentlichkeit irregeführt.
Immer wieder — das ist schon langsam eine Zumutung — belästigen Sie die Öffentlichkeit mit der Behauptung, es gebe nur Hinweise und keine gerichtsverwertbaren Tatsachen. Dies ist offenbar die Formel, die Sie und Ihre Öffentlichkeitsarbeiter sich zur Abwiegelei und zur innenpolitischen Überwinterung dieses Skandals zurechtgelegt haben. Herr Schäuble, Herr Laufs und auch Herr Graf Lambsdorff haben im Grunde nichts anderes gemacht.
Sie haben mit diesem Spiel der Abwiegelei, gewollt oder ungewollt, den Verdacht der Komplizenschaft genährt. Es ist an der Zeit, damit aufzuhören, denn der Schaden ist schon riesengroß: Wenn ein Volk, in dessen Namen Millionen mit Giftgas umgebracht wurden, an den erklärten Feind der Opfer Apparate und Material zur Herstellung von Giftgas liefert, dann muß das bei den Anständigen in der Welt unseren Ruf beschädigen.Sie haben die Glaubwürdigkeit Ihrer, ja unserer Regierung dem Gespött der Welt ausgesetzt. Sie lassen den Außenminister unseres Landes am 9. Januar in Paris eine Rede gegen die Produktion, die Verbreitung und den Einsatz von chemischen Waffen halten, wohlwissend, daß der Verdacht der Beihilfe auf unserem Volk lastet.Europa sei die Hauptquelle für Rohstoffe und Anlagen zur Herstellung chemischer Waffen für den Irak und den Iran gewesen, erklärte der irakische Außenminister in einem Interview am 14. November. Er sagt dann wörtlich: Wenn sich Europa entrüstet und Krokodilstränen vergießt, ist das die reinste Heuchelei. Die Europäer verkaufen alle möglichen Waffen, und wenn die Käufer diese Waffen einsetzen, geben sich die Verkäufer entrüstet. —
Der deutsche Außenminister kannte dieses Interview; er kannte zugleich den Verdacht gegen Libyen. Es ist in einer solchen Situation unklug und schlimm, den Eindruck der Heuchelei noch zu verstärken.
Glauben Sie, Herr Bundeskanzler, eigentlich, daß die amerikanische Öffentlichkeit nach Ihrem Taktieren alleine seit dem 1. Januar oder seit dem Gespräch in Washington noch zuhört, wenn Sie den Abzug der Giftgaslager z. B. in der Pfalz fordern? Wer zuläßt, daß im Falle Libyen geschehen ist, was geschehen ist, wer zuläßt, daß so abgewiegelt wird,
dessen Handlungsfähigkeit ist fortan eingeschränkt, zum Schaden unseres Volkes.
Die Bundesregierung ist für das stümperhafte Management der Krise nach dem 1. Januar verantwortlich. Sie ist aber — das ist noch wichtiger — auch für den Vorgang selbst verantwortlich. Jedes Unternehmen, das z. B. das Taktieren und Vernebeln der Bundesregierung beim Skandal um den Verkauf der U-Boot-Pläne an Südafrika genau beobachtet und analysiert hat, konnte sicher sein, daß Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Regierung in ähnlich gelagerten Fällen beide Augen zuzudrücken geneigt sind.
Auch die Firma Imhausen konnte sich sicher fühlen, im Ernstfall gedeckt zu werden. Daß sie sich vielleicht täuschen, ist ihr Pech, aber sie konnten sich sicher fühlen.Herr Bundeskanzler, Sie und Ihre Bundesregierung haben über Jahre hinweg den Eindruck aufkommen lassen, daß Ihnen an der Kontrolle der Einhaltung des Außenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes nicht sonderlich viel liegt. Das ist der eigentliche Skandal.
Sie haben diesen Eindruck zugelassen.
Metadaten/Kopzeile:
8638 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Müller
— Herr Kittelmann, warten Sie doch einmal einen Moment! —
Sie haben diesen Eindruck zugelassen, obwohl Ihnen das Gericht im Rheinmetall-Prozeß schon 1986 ins Stammbuch geschrieben hatte, die Angeklagten hätten den Eindruck gewinnen müssen — jetzt wörtlich —, daß die Kontrolle, wenn überhaupt, nur halbherzig und eben f ü r die Wirtschaft erfolgte.
Keiner von uns behauptet, es sei leicht, die über 14 Millionen Ausfuhrsendungen pro Jahr zu kontrollieren, Herr Lambsdorff; da gehen Ihre Anmerkungen an unseren Erwägungen vorbei. Wir sehen genauso, daß das schwierig ist. Aber inwieweit die Kontrolle überhaupt gelingt, hängt vom Geist ab, den die Regierung verbreitet. Sie, Herr Bundeskanzler, verbreiten in dieser Sache keinen guten Geist, und Ihre Regierung auch nicht.
Die deutschen Zollbeamten und die Fahnder können nicht sicher sein, daß es den Regierenden angenehm ist, wenn die mit der Kontrolle Beauftragten einen Bruch des Außenwirtschaftsgesetzes oder des Kriegswaffenkontrollgesetzes entdecken. Sie können nicht sicher sein, daß ein Erfolg der Kontrolle ohne Rücksicht auf Personen und Unternehmen willkommen ist. Graf Lambsdorff, gucken Sie sich doch einmal die U-Boot-Geschichte an. Da wird es doch sichtbar.Geld stinkt nicht, ganz gleich wie es verdient wird. Diesen sich verbreitenden Geist haben Sie geduldet. Sie haben ihn mit Ihrer Haltung zu den verschiedenen Rüstungsexport-Skandalen, die mein Kollege Gansel schon aufgezählt hat, sogar gefördert. Dieser Ungeist ist der eigentliche Nährboden für den Skandal, mit dem wir uns heute herumzuschlagen haben.
Halbheiten und große Sprüche reichen jetzt nicht. Wenn die Bundesregierung in Zukunft ähnliche Fälle wirklich verhindern will, dann bedarf es einiger sehr konsequenter Veränderungen. Von einem Teil war schon die Rede.Das Wichtigste und Entscheidenste, wichtiger als alle Gesetzesänderungen, scheint mir die Erklärung des klaren politischen Willens der Verantwortlichen zu sein, daß mit harten Konsequenzen zu rechnen hat, wer sich an der Entwicklung, der Produktion und Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln beteiligt. Es muß klar sein: In unserem Volk hat keiner einen Platz, der an der Vernichtung anderer Völker mitarbeitet. Es muß wieder klar werden: Jeder Deutsche, der sich an der Herstellung von chemischen Kampfstoffen beteiligt, schließt sich aus der Gemeinschaft unseres Volkes aus. Wenn die Bundesregierung schon früher klargemacht hätte, daß unser Volk den Export von Möglichkeiten zur Produktion von chemischen Kampfstoffen nicht will, wenn sie klargemacht hätte, daß mit Sanktionen, z. B. mit dem Entzug von Subventionen, die auch Imhausen in großer Höhe erhaltenhat, zu rechnen ist, dann wären wir wahrscheinlich vor Schaden bewahrt geblieben. Jedenfalls wäre die Chance dazu sehr viel höher gewesen.Der Bundestag hat am 23. September letzten Jahres einstimmig einem Antrag gegen den Einsatz von Giftgas im irakisch-iranischen Krieg zugestimmt. Wir Sozialdemokraten hoffen, diese Einstimmigkeit kann und wird auch jetzt wieder möglich sein. Wir haben unseren Antrag so formuliert, daß er unserem Volk und auch der Bundesregierung hilft, Vertrauen wiederzugewinnen. Nutzen Sie diese Chance! Es muß den interessierten Unternehmen und Personen, es muß dem ganzen deutschen Volk klar werden: Alle politisch Verantwortlichen wollen nicht, daß Deutsche am Tod anderer Menschen Geld verdienen.Herr Bundeskanzler, gerade viele junge Menschen, Menschen, die sich für andere, ärmere Völker engagieren, Menschen, die sensibel sind, wenden sich heute unter dem Eindruck der heute debattierten und einer ganzen Reihe von anderen Ereignissen, die Sie mitzuverantworten haben, betroffen von der Politik ab. Wenn wir Machenschaften wie die jetzt offenbar gewordenen dulden, dann scheidet das anständige Deutschland mehr und mehr aus der Politik aus. Wir wollen das nicht, wir bitten und beschwören Sie, hier den Weg der Umkehr zu beschreiten. Unser Land und unsere Volkswirtschaft können von friedlicher Produktion leben. Wir sind nicht auf diese Art von Rüstungsexport angewiesen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Außenpolitik der großen alten Demokratien zeichnet sich dadurch aus, daß Regierung und Opposition in schwierigen Situationen eines Landes immer das Interesse ihres Landes im Auge haben, daß sie sich bemühen, vom Land Schaden zu wenden.Wenn wir heute diese Diskussion verfolgen, dann stellen wir fest, daß dies offensichtlich nicht für unser Land gilt. Wir erlebten gerade, daß, obwohl es eine viereinhalbstündige Information im Wirtschaftsausschuß gab, ein Redner der Opposition die dort gegebenen Informationen einfach vergessen oder verdrängt hat. Wir haben erlebt, daß der erste Sprecher der Opposition, der Kollege Gansel, an ein Manuskript gebunden war und nicht auf das eingehen konnte, was an Information vom Herrn Minister im Bundeskanzleramt hier gegeben wurde.In diesen Tagen wird viel polemisiert: Medien polemisieren in der Bundesrepublik, in den Vereinigten Staaten; Graf Lambsdorff hat darauf hingewiesen. Man darf das alles nicht auf die Goldwaage legen. Aber wenn polemisiert wird, wenn in einer amerikanischen Zeitung eine Karikatur zu finden ist, unter der in deutsch „Schweinehund" in bezug auf einen Artikel steht, der sich mit diesem Problemkreis beschäftigt, dann müßten wir alle daran interessiert sein — ich sage es noch einmal — , unser Land vor Schaden zu bewahren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8639
Dr. MüllerWenn hier davon geredet wurde, es handele sich um einen Skandal, dann besteht der eigentliche Skandal doch darin, daß diese Affäre benutzt wird, um innenpolitisches Kapital aus diesen Vorgängen zu schlagen, daß der Versuch gemacht wird, einen Wahlkampf zu führen, daß es aber nicht um die Probleme des Landes geht.
Wo sind wir denn? Ich erlebe, daß von den GRÜNEN die Sicherheitsdienste und die Geheimdienste gelobt werden. Ich erlebe, daß die SPD auf der Seite der USA steht.
Das alles ist doch eine verkehrte Welt. In München sind wir im Fasching. Man könnte es einen „Ball verkehrt" nennen, wenn man sich diese Argumente vor Augen führt.
Meine Damen und Herren, die gleichen Leute, die sich heute darüber beklagen, was diese Regierung angeblich versäumt habe, sollten nicht vergessen, daß es zwei Kanzler gab — u. a. auch einen Kanzleramtsminister Ehmke, Herr Kollege — , die auf diesem Gebiet weniger sensibel waren, als es die gegenwärtige Regierung ist. Herr Müller, der vor mir gesprochen hat, war Planungschef bei Helmut Schmidt, zu einer Zeit, in der man sehr intensiv in diesen Bereichen gearbeitet hat. Das reicht zurück bis zu Willy Brandt. Herr Ehmke, Sie waren im Kanzleramt, als die Leibgarde des Präsidenten von Chile, Salvador Allende, mit deutschen Waffen ausgerüstet wurde, ebenfalls die kubanische Leibgarde. Das war auch Rüstungsexportpolitik, wenn man das einmal so bezeichnen darf.
Wenn diese Argumente heute in Amerika so ernst genommen werden, dann deswegen, weil man sich in Amerika Sorgen über den Zustand der Bundesrepublik macht, über die Parolen vom Neutralismus, die aus Ihrem Lager kommen, und über die Parolen von der Modernisierung, die aus Ihrem Lager kommen. Der neue Präsident Bush hat noch seine Erinnerungen an seinen Besuch in Krefeld. Er sah dort manche Demonstranten, die vielleicht hier heute zu finden sind.Meine Damen und Herren, Sie beklagen, daß die Dienste nicht genügend herbeibringen. Das müssen Sie in einer innenpolitischen Debatte sagen, wenn es um die entsprechenden Gesetze geht. Da können Sie mitwirken, aber Sie können hier nicht einfach polemisieren.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Tatsache, daß Sie so aufgeregt sind, zeigt, daß Sie im Nerv getroffen sind.
Daß Sie Ihre Meinungen so schnell ändern, wundert mich gar nicht. Aber mich frappiert die ungeheure Schnelligkeit, in der Sie das tun.Ich darf Ihnen zuletzt ein Zitat vortragen. Ich werde Ihnen nachher sagen, wo es zu finden ist. Seien Sie vorher also vorsichtig mit Zwischenrufen. Das ist eine Warnung. Ich zitiere:Bonn gegen Tripolis aufzubringen und in der Bundesrepublik Akzeptanz für eine erneute Strafaktion gegen das nordafrikanische Land zu schaffen, könnte hinter der Kampagne in den USA stehen.Dann heißt es weiter:Solange die USA nicht plausibel belegen können, daß in dem arabischen Staat tatsächlich Vorbereitungen für die Giftgasproduktion aufgenommen werden, ist also die Befürchtung verständlich, Washington wolle hier einen Normalisierungsprozeß stören.Wissen Sie, wo das zu finden ist? Das war nicht vor zwei Monaten, nicht vor einem Monat, sondern vor wenigen Tagen, nämlich am 3. Januar, im PPP, im Pressedienst der SPD, zu lesen. Daran können Sie sehen, wie schnell Sie Ihr Fähnlein nach dem Wind hängen, einmal so und einmal so, Hauptsache polemisieren, aber nicht mitarbeiten an der Aufklärung im Interesse des Landes.
Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Allein der Verdacht, daß deutsche Firmen wissentlich an einem eventuellen Aufbau einer Giftgasanlage beteiligt seien, macht uns alle betroffen.
Herr Gansel, ich kenne Sie seit Bestehen des U-BootAusschusses und weiß, wie Sie mit unbeweisbaren Aussagen versuchen, demagogisch in die Öffentlichkeit zu gehen.
Heute haben Sie ein schlechtes Beispiel für parlamentarische Demokratie gegeben.
Es wird sich bald die Frage stellen, inwieweit dies — bei allem Verständnis für Oppositionsarbeit — verantwortbar bleibt.
Und Herr Müller: Wir haben im Wirtschaftsausschuß vier Stunden zusammen diskutiert. Im Rahmen dieser Diskussion haben die Sozialdemokraten die Aufklärungsarbeit des Wirtschaftsministeriums ausdrücklich gelobt.
Metadaten/Kopzeile:
8640 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
KittelmannUnd dann treten Sie hier auf, als wenn Sie da gar nicht zugehört hätten, und machen diese Vorwürfe. Was müssen die Menschen draußen da eigentlich denken? Da sitzen Parlamentarier stundenlang zusammen, tauschen Gedanken miteinander aus, holen Informationen ein, und Sie, Herr Müller, sagen hier das Gegenteil, und Herr Gansel hat schon eine vorbereitete Presseerklärung, ohne daß er überhaupt Kenntnis davon nimmt, was Herr Dr. Schäuble gesagt hat.
Herr Dr. Schäuble, wir möchten uns bei der Bundesregierung für ihre Ausführungen und für ihre Aufklärung ausdrücklich bedanken.
Herr Bundeskanzler, die CDU/CSU begrüßt die Beschlüsse der Bundesregierung vom 10. Januar 1989 nochmals ausdrücklich, die eine Verschärfung der Kontrollen des Wirtschaftsverkehrs mit dem Ausland beinhalten. Die Diskussionen in den letzten Wochen haben uns täglich vor Augen geführt, welche Gefahren die illegale Ausfuhr von Nukleartechnik und von Komponenten zur Herstellung chemischer Kampfstoffe bedeutet. Wir halten es daher für den richtigen Weg, daß das Außenwirtschaftsgesetz durch die Verbesserung der Kontrollmechanismen, durch die Ausdehnung der Genehmigungserfordernisse für den Technologietransfer auf weitere Länder, durch die Erweiterung der Straf- und Bußgeldvorschriften und durch die Verbesserung der Ausstattung der Kontrollbehörden für wirksame Kontrollen gestaltet wird.
Man kann viel dazu sagen, was dafür alles nötig ist. Aber, Herr Dr. Stoltenberg, als Bundesminister der Finanzen sind besonders Sie aufgefordert, zügig festzustellen, welcher Aufwand nötig ist. Und schon heute werden Sie gebeten, die haushaltsmäßigen Mittel einzuplanen, damit es nicht nur bei der Forderung bleibt, sondern auch stärkere Kontrollmöglichkeiten finanziert werden können.Ich darf auch noch folgendes sagen: Für die CDU/ CSU ist es wesentlich, daran zu erinnern, daß — entgegen vielen Kritikern in der letzten Zeit — die COCOM-Regelung für den sensitiven Technologietransfer für sie als beispielhaft gilt. Ich erinnere an viele Forderungen vor allem von Seiten der Opposition, die die COCOM-Regelung sogar total abschaffen wollte,
während sie diese jetzt plötzlich überall lobt. Ich hoffe, daß die Diskussion der letzten Woche hier einen Nachdenkungsprozeß herbeigeführt hat.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dann noch kurz auf einen Punkt kommen, den ich für wesentlich halte: Es ist eine Realität — Herr Bundesminister Schäuble hat es genannt, Graf Lambsdorff hat es berührt — , daß jährlich Waren im Werte von rund 550 Milliarden DM aus der Bundesrepublik Deutschland ausgeführt werden. Das bedeutet: Monat für Monat verlassen 1,2 Millionen Lieferungen unser Land. Wir wissen, daß 99,9 % oder 99,8 % unserer Firmen imRahmen des Außenwirtschaftsgesetzes gesetzestreu sind. Wir wollen weiterhin ein Land sein, in dem grundsätzlich Exportfreiheit herrscht.
Herr Gansel, ich habe meine Bedenken, ob dies nach Ihrer Rede für die SPD auch weiterhin gilt.
Die CDU/CSU wird weiterhin alles unternehmen, um sich am Rufmord an unseren erfolgreichen Exporteuren in keiner Weise zu beteiligen.
Die CDU/CSU ist auch nicht bereit, sich an der Nennung von Namen angeblicher Lieferanten zu beteiligen. Dies ist und bleibt Sache der Ermittlungsbehörden, genau wie die Frage, ob ein Verfahren eingeleitet wird oder nicht. Darüber hinaus sind wir alle verpflichtet — dies ist auch Aufgabe der Opposition —, Schnellschüsse und unbeweisbare Verdächtigungen zu unterlassen. Wie schnell ist ein Verdacht ausgesprochen! Die Folgen für Firmen und Tausende von Arbeitsplätzen können katastrophal sein. Ihre Reden waren heute ein Beispiel dafür, daß Sie dies scheinbar billigend in Kauf nehmen.Wir sind uns allerdings auch einig: Sollte sich herausstellen, daß Firmen an der Herstellung chemischer Kampfstoffe wissentlich beteiligt waren, müssen sie schnell und zügig zur Rechenschaft gezogen werden. Es gilt aber auch für jeden Unternehmer der Grundsatz: Bis zum Beweis seiner Schuld gilt er als unschuldig. Die Bundesrepublik Deutschland — dies wiederhole ich ausdrücklich — ist ein Rechtsstaat und kein rechtsfreier Raum, in dem ohne nachweisbare Vorwürfe angeklagt und verurteilt werden kann. Jeder unberechtigte, unnachweisbare Vorwurf kann Schadenersatzansprüche in Millionenhöhe mit sich bringen. Auch dies ist ein Rechtsstaatsprinzip, das zu größter Zurückhaltung bei nicht nachweisbaren Vorwürfen auffordert.Meine Damen und Herren, ich darf abschließend für die CDU/CSU zusammenfassen: Die CDU/CSU erkennt keine Versäumnisse der Bundesregierung in ihren bisherigen Verhaltensweisen und dankt für die Möglichkeit der heutigen Information.Schönen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wüppesahl.
Meine Damen und Herrn, ich beginne mit einem Zitat von Paul Celan: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland" , u. a. von Ida Ehre von Ihnen allen sehr wohlgefällig vor der Gedenkrede von Herrn Jenninger am 9. November hier im Hause gehört.Wir stehen in der Tat in einer grauenhaften Tradition, auch bei der Diskussion um diesen Vorfall. Er belegt, daß in der Bundesrepublik tatsächlich noch nicht die Tatsachen aus der jüngsten Vergangenheit aufgearbeitet, geschweige denn bewältigt worden sind.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8641
WüppesahlViele reden im Zusammenhang mit der Chemiefabrik in Libyen von Amoralität. Ich glaube, es ist längst notwendig, die Frage zu stellen, ob nicht das Fehlen jeglicher Moral zu konstatieren notwendig ist.Für das Stellen dieser Frage, auf die zumindest ich eine eindeutige Antwort habe, gibt es zwei Begründungszusammenhänge.Der erste. Auch hier sehen wir erneut: Nur Cash zählt. Der Rubel muß rollen. Kohl, der Bundeskanzler der Bundesrepublik, seit vielen Jahren im Amt, hat im Grunde völlig angemessen reagiert. Dieser Vorfall in Libyen, das Engagement der deutschen Wirtschaft dort, unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Vorfällen, die wir auch in der jüngsten Vergangenheit, in den letzten Monaten dieser Wahlperiode diskutieren mußten. Viele Projekte dieser Art mußten wir feststellen. Deswegen ist auch zu fragen: Weshalb eigentlich diese Aufregung?Die ausländische Presse spricht eine viel deutlichere Sprache, als wir sie in der Bundesrepublik zur Zeit zu hören gewohnt sind. Ein Zitat aus der „New York Times" :„Die Deutschen sind schon seit langem ein großes Problem" , sagte der frühere Direktor der Rüstungskontroll- und Abrüstungsabteilung im Weißen Haus, Kenneth Adelman.
„Vor fünf oder sechs Jahren schon habe ich persönlich mit ihnen darüber gesprochen, daß ihre Industrie Chemikalien an die miesen Typen dieser Welt liefert. Die haben das nie ernst genommen. "Ferner sagte Stephen Brian:Bezüglich der Weitergabe von Technologie sind die Deutschen das größte Problem. Die Mehrheit— nun hören Sie bitte genau hin —der Technobanditen kommt aus Deutschland.Ich verweise noch einmal auf meine Eingangsausführungen: Wir haben diese grauenhafte jüngste Vergangenheit nicht aufgearbeitet, geschweige denn bewältigt.Der Kolumnist Safire, der hier bereits zitiert wurde, schreibt — und von solchen Feststellungen ist die bundesdeutsche Presse, die vorhin von Herrn Gansel gelobt wurde, noch weit entfernt — :Falls die Bundesrepublik keine Gesetze hat,— und das geht uns hier im Deutschen Bundestag an —um die Gasprofiteure daran zu hindern, die Städte der Welt zu gefährden, dann können zivilisierte Nationen verständlicherweise erwarten, daß der Bundestag solche Gesetze verabschiedet. Leben sind in Gefahr, wenn gierige und unmoralische westdeutsche Manager und Techniker dabei helfen, terroristische Staaten in raketenbewaffnete Supermächte zu verwandeln.Die Regierung hat kein Interesse an der Aufklärung. Das hat sie uns ausgiebig bewiesen. Das wurde auch in den Chronologien meiner Vorredner sehr gut dargestellt. Business as usual. Deswegen betone ich nochmals: Was der Bundeskanzler gemacht hat, war völlig normal und üblich. Auch was er zur Zeit in dieser Debatte macht, ist völlig normal und üblich. Gukken Sie sich das an: Er sitzt das Problem aus.
Er sitzt es aus. Und zeigen Sie es auch ruhig der deutschen Nation, soweit sie an den Fernsehschirmen versammelt ist, wie dieser Deutsche Meister im Aussitzen auch dieses Problem heute auszusitzen gewillt scheint.
Die Bundesrepublik verkauft Technologie. Wofür, wissen wir nicht. Etwas Schlechtes schließen wir weitestgehend aus. Wir bauen sie einfach einmal. Das ist das Motto, nach dem das in der deutschen Wirtschaft gehandhabt wird, von den weitesten Kreisen dort, und das von dieser Regierung gedeckt wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bötsch?
Ja, selbstverständlich, wenn Sie die Zeit stoppen.
Herr Kollege Wüppesahl, würden Sie mir zustimmen, daß es üblich ist, im Deutschen Bundestag zu sitzen, und daß Stehplätze für Abgeordnete und Regierungsmitglieder nicht vorgesehen sind?
Ja, da stimme ich Ihnen zu.Libyen liefert uns Erdöl. Auch von daher ist es selbstverständlich, daß die Bundesrepublik solche Technologie nach Libyen liefert. Die Deutschen sind seit dem Ersten Weltkrieg führend auf dem Gebiet dieser Technologien. Warum soll Libyen „Made in West-Germany" verweigert werden, wenn wir schon so gute Wirtschaftsbeziehungen, u. a. im Rohölbereich, mit dieser Nation aufrechterhalten? Was regen Sie sich also so auf? Vieles klingt scheinmoralisch, auch das, was aus Paris zu hören war, wenngleich das die FDP sicher heute nicht gerne hört. Seien Sie doch ehrlich, die meisten hier finden das einfach toll, daß die deutsche Industrie auch solche Exporte machen kann, denn: Warum regen Sie sich nicht über andere Vorgänge dieser Art so auf, wie jetzt Aufregung um das Geschäft mit der Chemiefabrik in Libyen herrscht?Die Rücksichtnahme der deutschen Regierung wurde heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit dem anonymen Zitat aus Regierungskreisen noch einmal dargestellt: Man hat Angst vor Schadenersatzforderungen. Der Rubel muß rollen. Cash, das ist das Hauptprinzip der Politik, und die Politik selbst, auch also wir hier, ist längst in der zweiten Front. Die erste Front ist die Wirtschaft. Das sind vier bis sechs
Metadaten/Kopzeile:
8642 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Wüppesahlgroße Konzerne, von denen zwei bis drei, die Deutsche Bank unter anderem, dem Bundeskanzler wöchentlich ins Ohr flüstern, was er als Richtlinien der Politik zu erlassen hat.Dennoch, Kohl hat die schlechteste Presse seiner Amtszeit. Das ist immerhin etwas, auch wenn sich noch nicht viel zu bewegen scheint.Der zweite Grund, weshalb die Frage gestellt werden muß, ob es überhaupt darum geht, Amoralität festzustellen, und nicht vielmehr darum, daß es in diesem Bereich des Handelns gar keine Moral mehr gibt, ist die scheinmoralische Ebene der USA. Lange war den USA bekannt, was sich tat. Ich habe die Zitate gebracht. Vor Jahren hat bereits die eine Person, die ich zitierte, solche Äußerungen gemacht. Die USA haben es gewußt und haben es geduldet. Deswegen stellt sich eine weitere berühmte Warum-Frage: Warum ist es so, daß die USA gerade jetzt diesen Druck auf die Bundesregierung ausüben? Auch dazu gibt es ein Erklärungsmuster, das in der Diskussion noch gar nicht gefallen ist. Kurz bevor die „New York Times" diese Veröffentlichung gemacht hatte, schossen die USA völkerrechtwidrig zwei Militärmaschinen der Libyer ab. Es gab eine Isolierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Auch seitens der Bundesregierung wurden kritische Töne laut. Sogar von seiten Großbritanniens wurden kritische Töne gegenüber den USA geäußert. Die Isolierung war relativ ausgeprägt. Gleichzeitig war der Unmut in den USA über die Bundesrepublik sehr groß: die Tiefflugdebatte, endlich das Einklagen der Souveränität für die Bundesrepublik Deutschland auf verschiedensten Gebieten, der EG-Wirtschaftskrieg mit Hormonen und noch ein paar andere Felder, die großen Unmut auslösten. Wir erlebten, daß exakt in dem Moment diese Informationen in die Öffentlichkeit lanciert wurden, um Druck auf die Bundesrepublik auszuüben. Tatsächlich hat diese Vorgehensweise erreicht, daß danach die Kritik der BRD an dem Vorgehen der Amerikaner im Mittelmeer kaltgestellt war. Es kam einfach nichts mehr. Die Bundesrepublik ist an den Pranger gestellt.Diese ganze fürchterliche Aktion in Libyen ist auch ein Beispiel dafür, wie Nachrichtendienste Politik machen, nicht nur Gerichtsverfahren beeinflussen, teilweise sogar entscheiden — siehe Schmücker-Verfahren in Berlin, auch noch viel gewichtigere Verfahren — , sondern Politik machen.
Ich bitte Sie, Ihre Rede zu beenden, Herr Kollege.
Ich komme zum Ende. Vizepräsidentin Renger: Aber wirklich.
Nicht verständlich ist, warum Libyen gerade an den Pranger gestellt wird, weil viele andere Länder genausoviel oder genausowenig den sogenannten Terrorismus in der Region unterstützen, wie Syrien, wie der Libanon. Sicherlich, Gaddafi hat sich zum Erzfeind Ronny Reagans machen lassen, er hat sich dabei sicher selbst stark übernommen und kann diese Rolle nicht spielen. Dies ist einfach als Fakt zu konstatieren.
Herr Kollege!
Ich mache den Schlußsatz, Frau Präsidentin: All diese Begründungen für die nicht vorhandene Moral aus meiner Sicht befreit nicht die Bundesrepublik und den Deutschen Bundestag von den notwendigen Handlungen. Auf Grund der Anträge seitens der SPD und der GRÜNEN ist die richtige Richtung aufgezeigt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen über die einzelnen Anträge. Ich rufe zuerst die Anträge der GRÜNEN auf den Drucksachen 11/3849 und 11/3850 auf. Dazu hat der Herr Abgeordnete Jahn um das Wort nach § 31 der Geschäftsordnung — Erklärung zur Abstimmung — gebeten. Sie erhalten es, Herr Kollege.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der SPD hätte es gern gesehen, wenn diese beiden Entschließungsanträge der GRÜNEN an die Ausschüsse überwiesen worden wären. Wir finden, da ist eine Reihe von Punkten drin, die der ernsthaften Prüfung wert sind, neben einer Reihe von Punkten, denen wir überhaupt nicht zustimmen könnten. Da hier aber offenbar schon abgestimmt werden soll, werden wir uns bei dieser Sachlage der Stimme enthalten.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will zur Sachlage folgendes klarstellen.
Die ursprüngliche Absicht war, diese beiden Anträge überweisen zu lassen, nachdem bei der ursprünglichen Verabredung für die heutige Debatte von den Vertretern der Mehrheit des Hauses vorgetragen worden ist, daß heute gar keine Abstimmungen stattfinden sollten. Wenn nun diese beiden Anträge unmittelbar zur Abstimmung stehen, dann geschieht das in erster Linie deshalb, weil von seiten der Mehrheit des Hauses die Auffassung vertreten worden ist, daß über alle vorliegenden Anträge sofort abgestimmt werden sollte, und es auch gar keine Möglichkeit gibt, wenn die Mehrheit das will, daß über diese Anträge nicht abgestimmt werden kann. Wenn die Mehrheit es will, kann sie es jederzeit durchsetzen. Daß wir als Antragsteller kein Problem haben, über unsere eigenen Anträge sofort abzustimmen, liegt in der Natur der Sache. Sonst hätten wir sie zu dieser Debatte nicht einbringen können.Wir waren aber durchaus bereit — auch als Kompromiß in dieser Frage —, zu sagen: Wir stellen den einen Antrag unmittelbar zur Abstimmung und lassen den anderen, sehr viel detaillierteren Antrag, der sehr viel mehr Einzelpunkte aufweist, zur Überweisung in die Ausschüsse vorsehen. Dann hätte die SPD-Fraktion auch ausreichend Gelegenheit, sich mit diesen einzelnen Fragen im Detail zu befassen. Auch dieser Vorschlag von uns ist in den Vorgesprächen von der Mehrheit des Hauses nicht akzeptiert worden. Wir
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8643
Kleinert
würden, wenn es die Mehrheit akzeptiert, gern so verfahren wollen, daß wir über den einen Antrag gleich abstimmen und den zweiten, den detaillierteren, in die Ausschüsse überweisen. Aber wenn die Mehrheit das nicht wünscht, können wir es einfach nicht verhindern.Das nur zur Klarstellung.
Das heißt, Sie stellen jetzt gar nicht mehr den Antrag auf Überweisung?
Dann stelle ich hier den Antrag, den Antrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 11/3850 an den Ausschuß für Wirtschaft — federführend — und zur Mitberatung in die üblichen Ausschüsse, insbesondere den Auswärtigen Ausschuß, zu überweisen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Bötsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Damit hier kein Irrtum entsteht: In der Vorbesprechung, Herr Kollege Kleinert, haben wir zunächst erwogen, zu überweisen, allerdings mit dem Vorbehalt, daß wir zuerst die Inhalte der einzelnen Anträge kennen müßten. Unsere Überzeugung ist, daß nach der heutigen über zweistündigen Debatte die Dinge so ausdiskutiert sind,
daß wir über sämtliche Entschließungsanträge, und zwar über den der SPD und über die der GRÜNEN, hier in der Sache abstimmen können, insbesondere deshalb — das sage ich jetzt den Zwischenlachern —, weil wir dem Abschnitt des SPD-Antrags, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, noch einmal einen schriftlichen Bericht vorzulegen, ausdrücklich zustimmen. Ich bin der Meinung, jeder, der nach der Vorlage dieses schriftlichen Berichts noch das Bedürfnis hat, irgendwelche parlamentarischen Konsequenzen zu ziehen, hat zu diesem Zeitpunkt — das wäre der richtige Zeitpunkt — dazu Gelegenheit.
Deshalb stimmen wir über die Anträge in der Sache ab. Gleichzeitig bitten wir, über den Antrag der SPD abschnittsweise abzustimmen, d. h. über die einzelnen Absätze.
Danke schön.
Wird dazu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich lasse zuerst über den Antrag der GRÜNEN abstimmen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3850 zu überweisen. Wer der Überweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Überweisung ist abgelehnt.
Dann stimmen wir jetzt direkt über den Antrag ab. Wer dem Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/3850 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Bei Enthaltung der SPD mit der Mehrheit der CDU/ CSU und der FDP abgelehnt.
Ich rufe den Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/3849 auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD ist der Antrag mit der Mehrheit der CDU/CSU und der FDP ebenfalls abgelehnt.
Wir kommen jetzt zu dem Antrag der SPD auf Drucksache 11/3854. Hierzu wird abschnittsweise Abstimmung gewünscht. Ich rufe Abschnitt eins auf. Wer Abschnitt eins zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist Abschnitt eins abgelehnt.
Wir stimmen über den Abschnitt zwei dieses Antrages ab. Wer diesem Abschnitt zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Abschnitt zwei ist abgelehnt.
Wir kommen zum Abschnitt drei des Antrages der SPD auf Drucksache 11/3854. Wer diesem Abschnitt zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Abschnitt vier dieses Antrags. Wer diesem Abschnitt zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Abschnitt vier ist angenommen.
Damit sind die Abschnitte drei und vier des Antrages der SPD auf Drucksache 11/3854 angenommen. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.
— Meine Damen und Herren, vielleicht setzen Sie sich doch wieder hin; denn wir wollen jetzt die Bundesregierung befragen. Das ist ein Stück der Parlamentsreform und wird wohl sehr interessant sein. Nehmen Sie bitte Platz.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Befragung der Bundesregierung
Die zentralen Punkte, die in der gestrigen Kabinettsitzung behandelt worden sind, hat die Bundesregierung mitgeteilt. Die Zusammenstellung ist verteilt worden. Es handelt sich um folgende Themen: Stand der Umsetzung der Gesundheitsreform und Stand der Arbeiten zur Umsetzung der Beschlüsse der Nordseeschutz-Konferenz.
Die Bundesregierung hat mitgeteilt, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Dr. Blüm, einleitend bis zu fünf Minuten berichten möchte. Herr Bundesminister, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe dem Kabinett einen Sachstandsbericht vorgelegt. Im Zusammenhang mit dem Gesundheits-Reformgesetz besteht ein großer Informationsbedarf, es besteht Auslegungsbedarf, und es besteht Umsetzungsnotwendigkeit.Angesichts eines so großen Gesetzes, der ersten Reform, die die Krankenversicherung überhaupt erlebt hat — bisher gab es 225 Novellen — , angesichts
Metadaten/Kopzeile:
8644 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Bundesminister Dr. Blümder ersten großen Reform mit 307 Paragraphen liegt es auf der Hand, daß der Informationsbedarf groß ist, zumal wir es ja auch mit einer gezielten Kampagne der Desinformation zu tun haben.
Der Auslegungsbedarf liegt auch auf der Hand: Es gibt über 1 000 Krankenkassen sowie unterschiedliche Kassenarten. Es kommt darauf an, ein einheitliches Interpretationsniveau zu schaffen.Umsetzung ist deshalb notwendig, weil nur die Hälfte des angestrebten Sparzieles unmittelbar vom Gesetzgeber bewirkt wird, die andere Hälfte von der Selbstverwaltung.Nun zu den ersten Ergebnissen: Die ersten Erfolge dieser Reform, meine Damen und Herren, haben sich schneller eingestellt, als wir es selber erhofft haben. Wir hatten geschätzt, daß die Beiträge noch einmal auf 13,4 % steigen. Die durchschnittlichen Beiträge bleiben jedoch zum erstenmal seit vier Jahren stabil. Das halte ich für einen großen Erfolg dieser Reform.
— Seien Sie doch nicht neidisch, wenn ich Erfolge mitteile! Jahr für Jahr haben sich die Beiträge in den zurückliegenden Jahren erhöht. Jahr für Jahr wurden den Versicherten 3 bis 4 Milliarden DM mehr aus der Tasche geholt. Zum erstenmal haben wir jetzt Beitragsstabilität. 60 Kassen — ich bin gerne bereit, wenn es gewünscht wird, die Namen vorzulegen — haben sogar wegen der Gesundheitsreform die Beiträge gesenkt. Das halte ich für einen großen Erfolg unserer Reform.
Ich sehe auch: Überraschend schnell hat sich der Festbetrag bewährt. Bevor das Gesetz überhaupt in Kraft war, haben Brillenhersteller Brillen angeboten, die vom Festbetrag abgedeckt werden. Alle Unheilankündigungen, der Festbetrag gehe auf Kosten der Versicherten, erweisen sich an dieser Stelle schon als unrichtig.Es bleibt dabei, daß die Selbstverwaltung bei der weiteren Durchsetzung des Gesetzes noch große Aufgaben hat. Ich appelliere an das Parlament, sich an der Information der Versicherten und Leistungsanbieter zu beteiligen, zumal ganz neue Instrumente angeboten werden, beispielsweise ein bisher nicht gekanntes Instrument der Härteklausel und der sozialen Rücksichtnahme, die es bisher überhaupt nicht gab, einschließlich einer Überforderungsklausel, die gerade die chronisch Kranken in einer bisher nicht bekannten Weise schützt.
Meine Damen und Herren, ich habe jetzt hier schon beinahe ein Dutzend Wortmeldungen zu diesem einen Thema. Es war ja wohl nicht die Absicht, nur dazu zu sprechen. Ich bitte dringend, sich dann so kurz zu fassen, daß wir auch noch zu den anderen Themen befragen können.
Ich fange mit der ersten Wortmeldung des Abgeordneten Dreßler an.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem wir gerade einen Einblick in den Ablauf von Kabinettsitzungen bekommen haben — ich hatte mir bis zu dieser Minute nicht vorstellen können, wie es da zugeht; aber ich habe das jetzt zur Kenntnis genommen — , möchte ich den Begriff „Auslegungsbedarf " , den der Bundesarbeitsminister selbst gewählt hat und der ja wohl richtiger ,,Klärungsbedarf" gelautet hätte, in Form folgender Frage formulieren dürfen. Nach den Ungereimtheiten der letzten vierzehn Tage, die in vielen Medien Echo gefunden haben, frage ich Sie, Herr Minister: Wenn Sie jetzt mit Ihren — mit Verlaub — Interpretationsklimmzügen die tatsächlichen Wirkungen Ihres Gesetzes wie etwa in Dortmund im Fall der Dialysepatienten als Mißverständnis hinzustellen versuchen und interpretieren, mit welchen weiteren Mißverständnissen neben der Härtefallregelung, neben der Honorierung der Heil-und Kostenpläne bei Zahnersatz, neben dem Zusatzkrankengeld, neben der Korrektur im Zusammenhang mit dem Bundesversorgungsgesetz, neben der Fahrtkostenerstattung vor allem bei Dialysepatienten oder anderen Schwerkranken, neben der Verdoppelung des Beitragssatzes für freiwillig versicherte Kinder, Schüler und Studenten über 30 Jahren haben die Versicherten und Krankenkassen noch zu rechnen? Bleibt es, Herr Blüm, beim jetzigen Durchschnitt von sechs Mißverständnissen pro vierzehn Tage, oder sind Sie bereit, mit dem Gesetz so zu verfahren, wie es eigentlich geboten wäre, nämlich es zu revidieren und abzuschaffen?
Herr Blüm, sehen Sie sich ab jetzt, nach Ihrem Kabinettsbericht, in der Lage, in Gesetzesform nicht nur das zu formulieren, was Sie eigentlich nicht gemeint haben, sondern auch das, was Sie meinen?
Herr Abgeordneter, ich bin Ihnen für Ihre Frage sehr dankbar, weil nun in der Antwort klar wird, daß kein einziges Mißverständnis in den Bereichen, die Sie angesprochen haben, vorliegt:Daß der Heil- und Kostenplan nicht mehr von den Versicherten bezahlt wird — was Sie begrüßen sollten — , steht im Gesetzestext. Den haben Sie ja mit beschlossen.
Deshalb nehme ich an, daß Sie ihn auch kennen. Wenn das anders interpretiert wird, ist das gegen den Gesetzestext, und der muß eben durchgesetzt werden.
Es handelt sich nicht um ein Mißverständnis, sondern um die Notwendigkeit der Durchsetzung.Das Zusatzkrankengeld für die Höherversicherten fällt weg. Das steht im Gesetz ausdrücklich; das ist kein Mißverständnis.Im übrigen will ich darauf hinweisen, daß in vielen Fällen dieses Zusatzkrankengeld mit einem Beitrag versichert war, der nicht beitragsgerecht war, der von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8645
Bundesminister Dr. Blümden Pflichtversicherten bezahlt wurde. Das kann ja wohl nicht im Sinne der Solidarität sein.Zum Bundesversorgungsgesetz: Ich kenne niemanden, der es auch nur verlangt hätte, daß die Kriegsopfer aus der Krankenversicherung ausscheiden können. Das ist so klar; das ergibt sich im übrigen aus der Begründung des § 56. Es ist allerdings auch eine Selbstverständlichkeit: Kriegsopferversorgung ist nachrangig. Wenn es gewünscht wird, können wir es im Kriegsopferrecht ebenfalls klarstellen, was an sich eine Selbstverständlichkeit ist.Was die Fahrtkosten anlangt: Ich bin gerne bereit, noch einmal die Härteklausel und auch die Überforderungsklausel vorzuführen, wenn Sie es gestatten; es ist ja auch eine Aufklärung für die Versicherten: Nehmen wir einmal den Nieren-Dialyse-Patienten. Er mußte nach der bisherigen Rechtslage pro Fahrt 5 DM zuzahlen. Wenn er dreimal in der Woche dialysebedürftig war, mußte er bisher — 5 DM hin, 5 DM her — in der Woche 30 DM bezahlen. Das sind nach meiner Rechnung im Monat 120 DM.Die Überforderungsklausel — 2 % — stellt fest, daß der Durchschnittsverdiener mit 3 200 DM — betrachten wir diesen; ich könnte auch andere vorführen — als Alleinstehender bestenfalls im Monat 64 DM zuzahlen muß, mit einem Angehörigen, also der Ehefrau, bestenfalls 54 DM, mit einem Kind bestenfalls 48 DM, mit zwei Kindern bestenfalls 41 DM und mit drei Kindern bestenfalls 35 DM.Ich danke Ihnen für die Frage. Ich stelle fest, daß er als Alleinstehender ungefähr die Hälfte dessen zuzahlen muß, was er bisher zuzahlen mußte, mit zwei Kindern etwa ein Drittel und daß diese Überforderungsklausel den chronisch Kranken viel besser schützt.Jetzt zur Anwendung: Ich finde es ganz selbstverständlich, daß die Kassen den chronisch Kranken nicht erst ein ganzes Jahr zahlen lassen und dann zurückerstatten, sondern daß sie in kleineren Abschnitten — wofür haben wir denn Selbstverwaltung? — das Gesetz praxisnah anwenden. Das Gesetz gibt im Text ausdrücklich den Auftrag dazu, in kürzeren Zeitabständen rückzugewähren.Jetzt zu den freiwillig Versicherten — ich will es noch einmal sagen: insofern bin ich Ihnen sehr dankbar — : Ich möchte noch einmal festhalten, daß wir in Gefahr waren, einen Solidaritätsslalom zuzulassen. Ich will einmal schildern, wie das für manche, die freiwillig versichert waren, aussieht: Solange sie jung sind und Kinder haben, ist die gesetzliche Krankenversicherung für sie günstiger. Wenn sie älter werden, mehr verdienen, die Kinder aus dem Haus sind, ist die PKV für sie günstiger. Wenn sie dann ins Rentenalter kommen, kehren sie wieder zur gesetzlichen Krankenversicherung zurück. Das ist ein Slalom um alle Solidaritätspflichten, bezahlt von den treuen Pflichtversicherten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie — —
Ich will das nur erläutern.
Entschuldigen Sie, ich kann das nicht ganz nachvollziehen: Hier soll ja eine Rede und eine Gegenrede und nicht ein Referat und ein Gegenreferat gehalten werden. Wenn diese Befragung einen Sinn haben soll — 15 Leute möchten hier etwas fragen —
— entschuldigen Sie, ich mache doch keinen Vorwurf — , wenn diese Fragestunde an die Regierung nicht in vier Wochen zu Ende sein soll — denn dies hier ist ja eine Darstellung der Regierung vom ganzen Gesundheitsgesetz, wozu ja gefragt worden ist —, muß ich dringend darum bitten, kurz zu antworten, nicht Ausflüge in Nebensächlichkeiten zu machen
— ich bitte Sie — und kurz zu fragen. Ich bemühe mich gerade das Haus dazu zu gewinnen, damit dieses aktuell bleibt. Deshalb möchte ich Sie bitten, jetzt möglichst zu beenden.
Frau Präsidentin, ich bevorzuge Ihren Wunsch sehr. Nur hat mich der Kollege Dreßler nach sechs Punkten befragt.
Ich gebe es Ihnen ja zu; trotzdem kann man es kürzer machen.
Darf ich den letzten Punkt mit Ihrem Einverständnis noch beantworten?
Ich bitte darum, aber kurz.
Es war möglich, daß man in die Privatversicherung ging und die Kinder in der gesetzlichen Krankenversicherung zu einem Mindestsatz von 60 DM beließ. Dem Freiberufler, dem Arzt, allen sei das gegönnt. Nur war das kein beitragsgerechter Satz, und deshalb erhöhen wir die Mindestsätze, allerdings mit der ausdrücklichen Zusage, daß auch die Kassen auf die Gesamtleistungsfähigkeit des Versicherten Rücksicht nehmen und die Anhebung des Mindestbeitrags auch dementsprechend variieren können.
Herr Dr. Becker.
Frau Präsidentin, ich will mich an Ihre Anregung anlehnen und nicht eine solch lange Vorrede halten, wie es mein Vorredner getan hat.
Herr Minister, ich frage Sie: Trifft es zu, daß die chronisch Kranken, die Behinderten, vorwiegend Dialyse-Patienten, die unter die Überforderungsklausel fallen, die gesamten Fahrtkosten bis zum Ende des Jahres vorlegen müssen, oder gibt es da eine andere Regelung?
Ich will ausdrücklich noch einmal darauf hinweisen, daß das Gesetz die Selbstverwaltung ausdrücklich anweist, daß die Zuzahlung nicht erst nach zwölf Monaten, sondern in kleineren Abständen zu-
Metadaten/Kopzeile:
8646 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Bundesminister Dr. Blümrückerstattet wird, um gerade diesen Dialyse-Patienten gerecht zu werden.
Vizepräsidentin Renger: Herr Dr. Thomae.
Herr Minister, das Bundeskartellamt hat sich im Dezember in die Gespräche zwischen Pharmaindustrie und Kassen eingeschaltet. Ist damit die Gefährdung des Konzepts der Festbeträge in Kauf genommen worden?
Herr Thomae, meine Überraschung war genauso groß wir Ihre, als ich in Zeitungen las, das Kartellamt würde dem Herzstück unserer Reform in die Arme fallen. Es ist genau umgekehrt: Ich betrachte das Kartellamt — das will ich vor dem Parlament feststellen — als den stärksten Verbündeten in der Durchsetzung der originellen Idee des Festbetrags.
Worum geht es? Es gab offenbar Versuche, an Stelle des Festbetrags einen allgemeinen Preisnachlaß für Originalpräparate zu schaffen. Das ist nicht im Sinne des Festbetrages, denn der Festbetrag soll einen Wettbewerb auslösen, er soll bei den vergleichbaren Arzneimitteln die untere Preisklasse mit Alternativen abdecken, aber keineswegs Spitzenpreise absichern. Mit anderen Worten: Ich sehe die Bemühungen des Kartellamts als hilfreich an. Ich betrachte das Kartellamt als den stärksten Verbündeten zur Durchsetzung unseres Festbetrags.
Frau Dr. Götte, bitte.
Herr Minister, weshalb hat denn die Bundesregierung auf ihrer farbenfrohen Vier-Seiten-Broschüre, in der die Bürger über die Gesundheitsreform informiert werden, gar nichts darüber ausgesagt, wie sich das mit der Pflege im einzelnen abspielt? Wo kann man beantragen, wann kann man beantragen, wer muß bestätigen, daß man bereits ein Jahr gepflegt hat? Über all diese Fragen steht kein Wort in dieser Broschüre, so wenig wie darüber, wie es mit den Sozialhilfeempfängern ist. Wer bestätigt denn den Sozialhilfeempfängern, daß sie Sozialhilfeempfänger sind, wohin müssen sie dafür gehen? Alle diese Dinge wissen die Bürger nicht von sich aus automatisch. Weshalb haben Sie das nicht hineingeschrieben?
Frau Kollegin, das steht alles ausführlich im Gesetz.
Ich gebe zu, daß unsere Broschüre nicht alle Paragraphen noch einmal erläutert. Im übrigen setze ich darauf — darauf sind wir angewiesen — , daß die Selbstverwaltung, die Krankenkasse als ein modernes Dienstleistungsunternehmen alle diese Fragen befriedigend beantwortet, wie es im Gesetz steht. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie sich an der Aufklärung beteiligen würden. Natürlich ist die Krankenkasse für die Pflege zuständig und damit auch der Ansprechpartner für die, die anspruchsberechtigt sind.
Frau Abgeordnete Limbach.
Herr Minister, teilen Sie die Auffassung, daß das GRG die Schulmedizin und die Heilmittel der Schulmedizin gegenüber den Naturheilmitteln bevorzugt, oder trifft es zu, daß die Naturheilmittel einen ausreichenden Stellenwert im GRG haben?
Ich will bekennen, daß ich selber ein großer Anhänger der Naturheilmedizin und insofern befangen bin. Ich will deshalb ohne weitere persönliche Bewertung auf das Gesetz verweisen. Zum erstenmal sind die Naturheilmittel ausdrücklich in einem Krankenversicherungsgesetz genannt, und zwar gleichberechtigt. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Heilmittel der besonderen Therapierichtungen mit der Schulmedizin gleichgestellt werden, daß sie auch bei den entsprechenden Regelungen berücksichtigt werden müssen, daß Sachverständige aller Therapierichtungen zu Wort kommen, so daß kein Monopol der Schulmedizin durch dieses Gesundheitsreformgesetz errichtet wird.
Wir verlassen jetzt erst einmal das Thema „Gesundheit", damit noch andere Fragen gestellt werden können, und kommen darauf noch einmal zurück.
Frau Abgeordnete Traupe, wem möchten Sie eine Frage stellen?
— Wenn sie so freundlich wären!
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. — Ich habe eine Frage an den Bundespostminister. Ich möchte von ihm erklärt haben, wie es möglich ist, daß die DVU-Liste eine Wurfsendung mit der Aufschrift „Erst Deutschland, dann Europa" durch die Deutsche Bundespost befördert bekommt, während es der SPD-Bundestagsfraktion vor einem Jahr abgelehnt wurde, den Slogan des Grundgesetzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" als Zusatz zum Freistempler aufzunehmen.
Ich darf nur darauf hinweisen, daß diese Frage in der Fragestunde gestellt werden wird. Sofern sie in der Fragestunde beantwortet wird, braucht das hier nicht zu geschehen, oder umgekehrt; dann können wir sie nachher weglassen.
Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, bitte.
Frau Kollegin, die bundesweite Verteilung —
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8647
Ist das angekommen, Herr Minister?
Ja.
— Nein, das sind keine Kommunikationsstörungen.
Die entsprechende Ablehnung bezieht sich auf die Aufschriftseite beanschrifteter Briefsendungen. Für Wurfsendungen gelten nach der Postordnung diese Einschränkungen nicht. Wurfsendungen sind nur dann nicht auf entsprechende Weise zu befördern, wenn sie offensichtlich gegen Strafgesetze oder durch in ihnen enthaltene sonstige Mitteilungen gegen die guten Sitten verstoßen. Hingegen gibt es bei beanschrifteten Briefsendungen zusätzliche Einschränkungen der Art, daß politische Vermerke auf der Aufschriftseite nicht angebracht werden dürfen. So ist es nach der heutigen Postordnung.
Bitte, Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher.
Frau Präsidentin, ich möchte an den Herrn Postminister die Frage richten, was eigentlich so eine bundesweite Postwurfsendung der DVU kostet.
Mindestens ca. 3 Millionen DM.
Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Bundesminister, Sie haben hier auf eine juristisch, wie ich zugeben muß, eindrucksvoll spitzfindige Art erklärt, daß Sie das eine politisch und das andere nicht politisch bewerten wollen. Sind Sie nicht der Meinung, daß die Postordnung dringend der Überarbeitung bedarf, und sind Sie bereit, dem Bundestag dazu entsprechende Vorschläge zu machen?
Ich möchte zunächst einmal feststellen, daß sich die Anfrage, die gerade zuvor gestellt worden ist, vorwiegend auf den Freistempler bezogen hat. Das ist eine andere rechtliche Eingruppierung als die, die hier bei der Wurfsendung vorliegt.
Wir müssen hier eine schwierige Gratwanderung unternehmen. Zum einen ist — auch nach den entsprechenden gerichtlichen Urteilen — das Recht auf Meinungsäußerung und Meinungsfreiheit eines der höchsten Rechte in der Bundesrepublik Deutschland. Es darf auch nicht der Verdacht entstehen, daß die Deutsche Bundespost in die Position einer Zensurbehörde kommt. Ich glaube, darin sind wir uns auch alle hier im Deutschen Bundestag einig.
Die Frage, ob bei einer Wurfsendung mißbräuchlich der Eindruck eines Briefes entstehen darf und ob eine solche Wurfsendung dann Angaben tragen sollte, die bei einer „normalen" Briefsendung beanstandet würden, sollte in der Tat in entsprechender Weise untersucht werden. Ich habe diesen Auftrag bereits an das Haus gegeben.
Allerdings muß ich sagen, auch das ist nur eine formale Frage, ob nämlich eine Wurfsendung als Wurfsendung an alle Haushalte der Post zur Beförderung übergeben wird, aber der Eindruck vermittelt werden darf, es handle sich um einen persönlichen Brief. Bei einem persönlichen beanschrifteten Brief sind Vermerke politischer Art nicht möglich und sind untersagt. Hier wird nur der Eindruck vermittelt, als handle es sich um einen persönlichen Brief. Insofern sage ich hier noch einmal: Es geht um die Frage, ob die Bestimmungen formal eng genug sind, um diese mißbräuchliche Nutzung zu verhindern. Die Wertung des Inhaltes obliegt unter gar keinen Umständen der Deutschen Bundespost, sofern er nicht strafrechtliche Tatbestände erfüllt.
Sie können eine Nachfrage stellen.
Ich muß eine Nachfrage stellen, zumal ich den Eindruck habe, daß der Herr Bundespostminister noch nicht ganz eingesehen hat, worum es eigentlich geht.
Frau Präsidentin, wir haben die Tatsache, daß eine politisch verwerfliche Massensendung in Millionenauflage durch die Bundespost unbeanstandet verteilt wird — darüber wird der Postminister in der Fragestunde eine Erläuterung geben — , gleichzeitig vertritt er aber die Auffassung, er sei rechtens, der Fraktion der SPD zu untersagen, auf ihren Postsendungen einen Stempel anzubringen, bei dem nichts anderes geschieht, als daß ein Artikel des Grundgesetzes — nämlich: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" — zitiert wird. Er beruft sich dabei auf formale Rechtsvorschriften.
Ich frage ihn — darauf möchte ich eine einfache, klare Antwort haben — : Ist er bereit, diesen Unfug nicht miteinander zu vereinbarenden Rechtsvorschriften durch eine entsprechende Änderung der Postordnung aus der Welt zu schaffen? Die Frage ist einfach mit Ja oder Nein zu beantworten.
Ich stelle fest, daß Sie eine Wertung vornehmen und einen Tatbestand, den Sie nicht genau definiert haben, als Unfug bezeichnen. Wenn es ein Unfug ist, bin ich jederzeit bereit, etwas zu ändern. Nur, das ist eine Frage der Wertung.
Sind zu diesem Komplex noch Fragen zu stellen; denn wir haben noch den Schutz der Nordsee zu behandeln? — Herr Westphal.
Herr Minister, trifft es zu, wie eine Sprecherin Ihres Ministeriums einem Journalisten geantwortet hat, daß bei einer Postwurfsendung die Seite die Vorderseite ist, auf der steht: Postwurfsendung? Wenn es so ist, müßten dann nicht alle 24 Millionen Exemplare bei Herrn Dr. Frey abgeliefert wer-
Metadaten/Kopzeile:
8648 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Westphalden, der dort über „Postwurfsendung" namentlich mit seiner Adresse genannt ist?
Der Ausdruck „Wurfsendung" steht auf dem Stück, das befördert wird, drauf.
— Ja. Bei einer Postwurfsendung gibt es kein Vorne und Hinten. Das ist nun einmal so.
Herr Sperling noch dazu.
Herr Bundespostminister, wer in Ihrem Ministerium oder bei der Deutschen Bundespost ist denn Zensor genug, um einen einfachen verfassungsrechtlichen Grundsatz als politischen Sprengstoff zu werten?
Den gibt es nicht.
Den hat es aber gegeben, sonst wäre es nicht verweigert worden. Warum ist ein verfassungsrechtlicher Grundsatz, dem wir alle zustimmen, so politisch, daß er nicht im Freistempler verwendet werden darf?
— Ach so.
Herr Kollege, es sind auch extreme Aufforderungen von radikalen Organisationen bei der Post als Eindruck im Freistempler beantragt worden.
Um zu vermeiden, daß auf der Vorderseite eines Briefes Propaganda dieser Art gemacht werden kann —
Sie können sich vorstellen, was das für Aufforderungen sind — , ist es nach der Postordnung bei Freistemplern generell verboten, politische Inhalte mit einzubeziehen.
Wir kommen jetzt zum Schutz der Nordsee. Herr Kollege Carstensen, Sie haben eine Frage zu stellen bzw. eine Einlassung zu machen.
Ich habe auch schon eine Frage zu stellen, Frau Präsidentin.
Die kann hinten dran.
Das ist wieder die Frage — —
Sie haben auf alle Fälle das Wort.
Frau Präsidentin! Herr Bundesumweltminister! Nach der 2. Nordseeschutz-Konferenz und nach Ihrem 10-
Punkte-Programm sind, wie ich meine, sehr weitgehende Forderungen gestellt worden. Ihr 10-PunkteProgramm ist ein sehr ehrgeiziges Programm. Ich glaube, wir haben als Fraktion und als Ausschuß mit dem Beschluß des Ausschusses dort noch einmal draufgesattelt. Können Sie mir sagen, inwieweit Sie einschätzen, wie auch die ehrgeizigen Zeitpläne für das 10-Punkte-Programm einzuhalten sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Carstensen, in der Tat sind die Zeitpläne sowohl für die Verwaltungsvorschrift nach § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes, soweit es die industriellen Einleitungen betrifft, als auch bezüglich der kommunalen Kläranlagen außerordentlich ehrgeizig. Ich kann Ihnen zwei Beispiele dafür sagen, wie sich der zeitliche Ablauf gegenwärtig darstellt. Wir haben auf der Grundlage der 1. Abwasser-Verwaltungsvorschrift im vergangenen November die Erörterung mit den Bundesländern über die verbesserte Klärung, d. h. die dritte Reinigungsstufe kommunaler Kläranlagen, begonnen. Wir hoffen, daß wir sie auch zügig zu Ende bringen. Und wir haben, wie im 10-Punkte-Programm festgelegt, die Verwaltungsvorschrift für die Zellstoffindustrie dem Kabinett jetzt zugeleitet. Ich gehe davon aus, daß sie noch im Januar verabschiedet und dann dem Bundesrat zugeleitet werden kann. Insgesamt verweisen aber die Länder darauf, daß sie schon die Umsetzung der ersten Verwaltungsvorschrift im Jahre 1989 wegen der damit verbundenen erheblichen administrativen Probleme wahrscheinlich kaum schaffen können.
Frau Abgeordnete Blunck.
Wie beurteilt die Bundesregierung, Herr Minister, die Beschlüsse der 2. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz unter dem Gesichtspunkt, daß es im vergangenen Jahr wesentliche Katastrophen gegeben hat? Hält sie es für erforderlich, daß es dort weitergehende Beschlüsse gibt? Warum, um alles in der Welt, hat die Bundesregierung nicht einem Aktionsplan zugestimmt, und warum hat sie zur Rettung der Nordsee nicht ein Bund-Länder-Programm gefordert und auch mitbezahlt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete Blunck, zu dem ersten Teil der Frage: Wir waren bei der 2. Nordseeschutz-Konferenz in London bereits der Meinung, daß wir weiterreichende Lösungen bekommen. Ich erinnere z. B. an die vollständige Umsetzung des MARPOL-Abkommens als Sondergebiet für die Nordsee. Wir haben dort nur den Teilbereich Hausmüll durchsetzen können. Ich erinnere daran, daß wir es für notwendig erachtet haben, die Verklappung von Klärschlämmen in der Nordsee insgesamt zu ver-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8649
Bundesminister Dr. Töpfermeiden. Hier ist die Bundesrepublik Deutschland schon seit längerer Zeit nicht mehr betroffen. Wir haben dies dort nicht durchsetzen können und gehen in die nächste Nordseeschutz-Konferenz in Den Haag wieder genau mit der Zielsetzung, es weiter voranzutreiben.Ich muß Ihnen aber auch sagen, daß die Vorbesprechungen, die im letzten Oktober in Den Haag schon begonnen haben, gegenwärtig nicht die ganz große Hoffnung begründen, daß sich die sehr harten Positionen anderer Nordseeanrainerstaaten auf diesem Gebiet verbessern.Zum zweiten. Natürlich ist das 10-Punkte-Programm ein Bund-Länder-Programm. Ich habe in Antwort auf die Frage des Abgeordneten Carstensen gerade darauf aufmerksam gemacht, daß wir im Wasserbereich Verwaltungsvorschriften zu erlassen haben; das ist unsere grundgesetzliche Aufgabe. Der Vollzug aber liegt bei den Ländern.
— Ich komme sofort auf die Finanzen zurück. — Ich wollte Ihnen nur die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten nennen. Es ist bei all diesen Arbeiten ein sehr intensives Zusammenarbeiten mit den Bundesländern erforderlich, und das wird vollzogen.Insgesamt haben wir auch darauf aufmerksam gemacht, daß wir drei Aussagen zur Finanzierung haben: Erstens. Wir sind, wie Sie wissen, dabei, das Abwasserabgabengesetz zu novellieren, es zu verschärfen. Wir hoffen, daß es auch wirklich überall durchgesetzt wird. Zweitens. Wir haben mit dem Strukturhilfeprogramm eine jährliche Zahlung an die finanzschwachen Länder von 2,45 Milliarden DM mit der ausdrücklichen Fixierung, diese Mittel, wo notwendig, prioritär auch für die Entwicklung von Kläranlagen einzusetzen. Drittens haben wir immer darauf aufmerksam gemacht, daß auch auf diesem Gebiet das Verursacherprinzip durchzusetzen ist. Das heißt, die Kosten, die für die industriellen Einleitungen zu zahlen sind, haben sich in den Bilanzen der Unternehmen und nicht in dem Budget eines Ressorthaushalts niederzuschlagen, und die Kosten für die Nachrüstung der kommunalen Kläranlagen haben sich auch in den Haushalten unserer Bürger niederzuschlagen. Eine Erhöhung um 50 oder 80 Pfennig pro Kubikmeter Abwasser ist nach unserer Überzeugung in einer besseren Klärung des Abwassers gut angelegt, besser als in manch anderem, was unsere Bürger mit 50 oder 80 Pfennig tun. Das sind unsere Finanzierungsangebote.
Ich rufe Frau Abgeordnete Garbe auf.
Herr Minister, die Ursache des Robbensterbens ist in der Tat in der Gänze noch nicht geklärt, aber namhafte Wissenschaftler haben eine Gesamttoxizität bestätigt, die das Immunsystem der Tiere geschwächt bzw. zerstört hat. An diesem Tatbestand sind vor allem die chlorierten Kohlenwasserstoffe beteiligt. Meine Frage ist: Hat Ihr Haus schon einmal über eine Substitution von chlorierten Kohlenwasserstoffen nachgedacht, die technisch möglich
und vor allem auch auf die Umweltverträglichkeit abgeklopft worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete Garbe, selbstverständlich ist darüber nachgedacht worden, und das wird es weiterhin, nicht nur in unserem Ministerium, sondern auch bei der Industrie. Nehmen Sie eines der wichtigen Themen, die wir dabei haben. Das sind die chlorierten Kohlenwasserstoffe, die als Lösemittel eingesetzt werden und die uns in der Abfallbeseitigung ganz erhebliche Probleme machen. Sie wissen, daß wir bei der Verbrennung dieser Abfallstoffe auf hoher See gegenwärtig noch mit etwas über 50 000 Tonnen aus der Bundesrepublik betroffen sind und daß wir diese innerhalb des nächsten Jahres halbiert haben müssen. Das geht nur, indem wir auch in wesentlichen Teilen die chlorierten Kohlenwasserstoffe z. B. durch wasserlösliche Lösemittel substituieren, was jetzt auch in einem hohen Maße in Gang kommt. Wir gehen auch davon aus, daß dies nicht nur für den Teilbereich der Lösemittel, sondern auch für andere Stoffe gilt.
Herr Austermann noch. Ansonsten sind wir schon längst über die Zeit.
Herzlichen Dank. Herr Minister, Sie haben davon berichtet, daß wir die Dritte Nordseeschutzkonferenz vor uns haben. Dies ist erfreulich. Ist auch daran gedacht worden, diesmal DDR und Tschechoslowakei miteinzuladen, sie miteinzubeziehen, dafür zu sorgen, daß zwei der Hauptverursacher für die Belastung der Elbe mit an den Tisch kommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Austermann, wir haben unsere bilateralen Gespräche mit der DDR und der Tschechoslowakei genutzt, um sehr nachhaltig die Teilnahme dieser Staaten an der 3. Nordseeschutzkonferenz im März 1990 in den Niederlanden zu erreichen.
Es ist bisher erreicht worden, daß bei der ersten Vorbereitungssitzung im Oktober letzten Jahres die DDR und die Tschechoslowakei als Beobachter mit dabei waren. Die Tschechoslowakei hat auch bereits mitgeteilt, daß sie an dieser Konferenz im Beobachterstatus teilnehmen wird. Diese Zusage liegt nach Aussagen unserer niederländischen Kollegen bisher von der DDR nicht vor.
Ich kann aber auch darauf hinweisen, daß es gelungen ist, auch die Schweiz als Teilnehmer zur 3. Nordseeschutzkonferenz hinzuzuziehen, denn auch sie ist als Oberlieger des Rheins sicherlich mit heranzuziehen, um die damit verbundenen Probleme insgesamt international zu bewältigen.
Meine Damen und Herren, es tut mir furchtbar leid, aber wir haben die Zeit ausgenutzt. Wir müßten die vorgesehene Zeit verlängern. Das können wir aber nicht, weil heute noch eine Aktuelle Stunde und die Fragestunde anstehen. Ich bitte also um Verständnis, daß eine ganze Reihe der Kollegen nicht die Gelegenheit hatten, zu fragen. Wir müssen noch einmal darüber sprechen, wie wir das in
Metadaten/Kopzeile:
8650 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Vizepräsidentin RengerZukunft besser machen können. Ich glaube, daß es unbefriedigend ist, wenn es so abläuft, daß so viele nicht zu Wort kommen.Ich beende diesen Teil unserer Tagesordnung.
Meine Damen und Herren, wir beginnen nun mit dem Zusatztagesordnungspunkt 2:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur aktuellen Situation an den Hochschulen
Die Fraktion der SPD hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema Haltung der Bundesregierung zur aktuellen Situation an den Hochschulen verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Odendahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An den Hochschulen erhält die Bundesregierung gegenwärtig die Quittung einer konservativen Bildungspolitik seit 1982. Über 1 Milliarde DM hat der Bund seither dem Bildungsbereich entzogen. Er hat den Bildungshaushalt um rund 20 % abgesenkt. Bildungsplanung fand nicht statt; Einsparplanung hieß die Devise.
Das Ergebnis sind heute überfüllte Hochschulen, miserable Studienbedingungen und die unzumutbare materielle Situation vieler Studierender. Seit diesem Wintersemester besuchen 1,5 Millionen junger Menschen eine Hochschule.
Kapazitätsmäßig sind unsere Hochschulen zur Zeit für rund 820 000 Studenten ausgestattet. Einer Zunahme der Zahl der Studierenden von 1980 bis 1987 um mehr als ein Drittel steht eine Steigerung der Zahl der Stellen für das wissenschaftliche Personal von rund 3,5 % gegenüber. Mußte — statistisch gesehen — ein wissenschaftlicher Mitarbeiter 1975 11 Studenten betreuen, so waren es 1987 schon 18 Studenten.
An den Fachhochschulen sieht es noch schlechter aus. Hier stieg die Zahl der Studierenden von 1980 bis 1987 um knapp 63 %. Die Zahl der Stellen für wissenschaftliches Personal stieg dagegen nur um 2,3 %. Die größten Defizite sind also im Bereich der Lehre entstanden.
Die Politik der Bundesregierung angesichts dieser Entwicklung bestand zum einen im Vertrösten auf den zu erwartenden Pillenknick, der dann auch die Hochschulen entlasten werde, und zum anderen in dem Hinweis, schließlich seien ja in erster Linie die Länder für die Stellenpläne der Hochschulen verantwortlich. Unreflektiert blieb dabei, daß sich der Bund in vielen Bereichen gegenüber den Ländern der finanziellen Verantwortung entzogen hat und ihnen allein im Bereich der Sozialhilfe, durch eine unsoziale Steuergesetzgebung, durch eine verfehlte Arbeitsmarktpolitik, durch Unterlassung des sozialen Wohnungsbaus und durch unzählige Eingriffe in Sozialleistungen Kosten in Milliardenhöhe aufgebrummt hat,
die ihnen die Bereitstellung der für die Hochschulen notwendigen Mittel erschwerte.
Das von der SPD bei der Verabschiedung des Haushalts beantragte Sofortprogramm von Bund und Ländern in einem Umfang von 2 Milliarden DM zur Entlastung der Hochschulen
wurde von der Regierungskoalition in namentlicher Abstimmung abgelehnt — Herr Daweke, Sie waren doch dabei — , obwohl der Bildungsminister überall treuherzig versichert hatte, am Bund liege es doch gar nicht. In einem blamablen Rückzugsgefecht stellt er einen Nachtragshaushalt für Januar 1989 in Aussicht. Wo ist er denn, Herr Minister Möllemann? Wir haben schon den 18. Januar. Das Semester, in dem Hochschulkapazitäten zusammengebrochen sind, begann im letzten Herbst. Wenn ein Sonderprogramm für dieses Semester überhaupt noch Wirkung zeitigen soll, dann muß es schnellstens aufgelegt werden.
Einig sind sich alle Experten darüber, daß das Sonderprogramm aus zusätzlichen Mitteln finanziert werden muß und daß es nicht darum gehen kann, schon eingeplante Vorhaben für die Hochschulen im nachhinein als Sondermittel zu deklarieren.
— Darauf wird gleich eine Antwort gegeben.
Lassen Sie mich noch etwas anmerken. Ein kurzfristig aufgelegtes, finanziell knapp ausgestattetes zeitlich befristetes Sonderprogramm von Bund und Ländern kann zwar notdürftig die schlimmsten Ausstattungs- und Personalmängel beheben, aber es reicht nicht aus, um die Lage der Studierenden und Lehrenden an den Hochschulen nachhaltig zu verbessern.
Die Erwartung, die Zahl der Studenten werde zurückgehen, hat sich als trügerisch erwiesen. Die Fehleinschätzungen der 80er Jahre dürfen nicht zu den Fehlern der 90er Jahre werden.
Mit Überlastprogrammen allein ist den Hochschulen auf Dauer nicht geholfen. Sie können ihre Leistungsfähigkeit nur erhalten, wenn der Anteil der Hochschulen an den Wissenschaftsausgaben wieder nachhaltig und dauerhaft erhöht wird und wenn vor allem die soziale und materielle Situation der Studenten — angefangen von der Wohnraumsituation bis hin zum BAföG — wieder in den Zustand versetzt wird, in dem sie einmal war. Nur dann kann das Wort „Studienreform" von den Hochschulen mit Leben erfüllt werden. Wir sind aufgefordert, sofort das Unsere dazu zu tun.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Daweke.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8651
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im August des letzten Jahres erreichten uns die ersten Meldungen, daß alle Prognosen über die Zahl der Studienanfänger über den Haufen zu werfen seien und daß wir für das Wintersemester 1988/89 mit 250 000 Studienanfängern zu rechnen hätten. Wir haben diese Zahlen ausgewertet. Am 15. Dezember des letzten Jahres hat der Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten ein Überlastprogramm beschlossen. Frau Odendahl, ich finde, es wäre gut gewesen, wenn Sie auch für die Länder, für die Sie hier stehen, zugegeben hätten, daß das ein gutes Beispiel dafür ist, wie die Politik innerhalb kürzester Zeit — nach den schwierigen Abstimmungsprozeduren, die dafür nötig waren — gehandelt hat und nun auch Mittel bereitstellen wird, die nötig sind, um wenigstens in Randbereichen helfen zu können.
Die zweite Bemerkung, die ich machen will, ist an Frau Kollegin Brunn gerichtet, die hier hinterher auch noch sprechen wird. Ich habe in der letzten Woche in der „Zeit" einen, wie ich finde, lesenswerten Aufsatz von Ihrem Pressereferenten entdeckt, in dem man nachlesen konnte — ich nehme Sie dafür jetzt nicht in Anspruch
— na, ich denke schon, daß die nicht völlig unterschiedlicher Meinung sind;
Sie haben ihn hoffentlich gelesen — , daß das ganze Überlastprogramm eigentlich ein Medienereignis sei. Von „Affentheater" war da die Rede — das waren Zitate aus irgendwelchen unfreundlichen Bemerkungen zwischen Bund und Ländern — und davon, daß die Professoren die Situation nutzen wollten, um ihre Anliegen hier zur Geltung zu bringen.Ich finde, damit tut man dem Problem großes Unrecht. Ich finde, wir müssen konzedieren: Wir haben uns, was unsere Planungen angeht, alle geirrt; ich nehme mich da selber gar nicht aus. Ich lerne daraus — übrigens auch an die Kollegen von der SPD gesagt — , daß wir im Rahmen unserer Bemühungen in der Enquete-Kommission „Bildung 2000" mit Voraussagen vielleicht etwas vorsichtiger sein sollten, als Sie das offensichtlich gern sein wollen.
Und man muß sagen: Es hat auch keinen Sinn, auf das Verhalten der Studenten mit dem Zeigefinger zu weisen. Denn eigentlich tun diese jungen Leute etwas ganz Vernünftiges.
Sie haben erst eine Lehre gemacht. Da waren wir der Meinung: Da bleiben sie: in der Wirtschaft. Dann haben sie nach der Lehre — im Gegensatz zu unseren Planungen — jetzt den Wunsch, ein Studium zu machen. Ich finde, Studenten, die eine Lehre gemacht haben, sind in der Regel bessere Studenten. Das sagen auch viele Leute aus den Hochschulen. Und dann tun sie etwas Weiteres: Diese jungen Leute studieren heute nämlich Fächer, in denen sie aus ihrer Sicht möglichst breite Berufschancen haben. Also bitte, haben wir darauf zu reagieren und nicht Leute zu beschimpfen, weil sie sich so verhalten.Was muß jetzt passieren? Wir sind der Auffassung —das hat sich auch in den ersten Stellungnahmen des Hearings gezeigt — , daß vor allem im Bereich des Personals etwas getan werden muß. Hier gibt es erhebliche Schwierigkeiten, wie man das verfassungskonform organisieren kann. Ich denke, wir sollten auch den Mittelbau mehr nutzen. Das sind teilweise hervorragende Wissenschaftler, die jetzt auch zeitweise in der Lehre einzusetzen wären.Wir müssen sehen — auch darauf ist soeben hingewiesen worden — , daß das Umfeld des Studiums bedacht wird, auch bei diesen Überlastmaßnahmen. Ich denke insbesondere an die Infrastruktur der Hochschulen. Dazu ist nötig, daß der Bund auch weiterhin auf hohem Niveau Hochschulbauförderungsmittel zur Verfügung stellt. Und ich denke — das auch wieder an Sie gerichtet, Frau Brunn; ich nehme Sie nun immer als Beispiel, weil Sie aus meinem Bundesland kommen — , wir dürfen auch keine Mogelpackungen machen. Ich finde es unerträglich, wenn ich im dpa-Kulturdienst vom Montag lese, daß Sie 91 Stellen einkassieren, davon nur einen Bruchteil an die Hochschulen zurückgeben und dann darauf hoffen, daß der Bund Ihnen sozusagen den Rest finanziert. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Sie haben, bitte schön, mehr Stellen zur Verfügung zu stellen!Und streichen Sie doch bitte nicht da, wo scheinbar keine Widerstände sind, insbesondere also bei den Geisteswissenschaften. Das, finde ich, wird Ihnen einmal sehr böse aufstoßen. Daran werden Sie leiden, wenn Sie das jetzt so machen.
Letzte Bemerkung: Auch die Hochschulen selbst können etwas leisten. Ich fände, es wäre gut, zu hören, was sie tun, um beispielsweise die überlangen Studienzeiten zu verkürzen. Das muß ja auch an der inneren Struktur der Hochschulen liegen.Ich möchte uns alle — und da zitiere ich noch einmal aus dem Artikel Ihres Pressesprechers in der „Zeit" — daran erinnern, daß Quantität und Qualität nicht unbedingt immer das gleiche sind. Zu Recht wird hier ja darauf hingewiesen, daß wir noch nie so viele Beschäftigte an Hochschulen hatten. Aber dann heißt es wörtlich:Dennoch kommt kaum einer der Gedanken, die sporadisch die Welt bewegen, wenigstens die bundesdeutsche, aus den Studierstuben der Universitäten. Woran mag es liegen, daß ein einziger Aufsatz von — sagen wir: Hans Magnus Enzesberger -- darüber würden wir vielleicht streiten —mehr anregende Ideen erhält als zehn geisteswissenschaftliche Dissertationen heute üblicher Art?Ich finde, das ist ein wichtiger Hinweis darauf, daß dieQualität nicht unbedingt steigt, wenn wir jetzt nur auf
Metadaten/Kopzeile:
8652 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Dawekedie Quantität setzen. Auch das ein wichtiges Thema, über das wir uns im nachfolgenden Hearing mit Ihnen auf der Zuschauertribüne gern weiter unterhalten werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Wetzel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von der wirklichen Krise unseres Hochschulsystems war jedenfalls in den bisherigen Beiträgen kaum die Rede.
Die Wissenschafts- und Hochschulpolitik in der Bundesrepublik steht vor dem Bankrott. Das zeigt sich daran: Hunderttausende von Studentinnen und Studenten haben sich in demokratischen Abstimmungen dazu entschlossen, in aktiven Streik zu treten. Aktiver Streik — das zu begreifen ist wichtig — heißt für diese Bewegung nicht nur bessere Studienbedingungen fordern, neue Dozentenstellen verlangen und ähnliches mehr. Darüber ist diese Streikbewegung längst hinausgegangen.
Aktiver Streik heißt für diese Bewegung vor allem, die unfruchtbaren Routinen des Hochschulbetriebs außer Kraft setzen, um Reflexionszeit zu gewinnen, Zeit zum Nachdenken darüber, was da eigentlich in Lehre und Forschung an den Hochschulen gemacht wird, ob das überhaupt noch gesellschaftlich zu verantworten ist.
Hunderte von autonomen Seminaren haben dazu stattgefunden. Im Kern ging es darum, daß dieses Wissenschaftssystem eine große Mitverantwortung trägt für die Zerstörung der ökologischen und sozialen Lebensbedingungen, für die Vergiftung von Boden, Wasser und Luft, für die Zerstörung der Erdatmosphäre, für die Ausbeutung der Dritten Welt, für die gigantische Aufrüstung mit Risiko- und Militärtechnologien.
Mit anderen Worten: In diesen autonomen Seminaren ging es darum, den Prozeß der Selbstaufklärung des Wissenschaftssystems über seine gesellschaftlichen Folgen endlich in Gang zu setzen.
Dazu sind die Universitäten derzeit aus sich heraus nicht fähig. Die Einsichten und Forderungen — wie interdisziplinäres Studium, Verankerung von Technikfolgenabschätzung und vieles andere mehr — zu denen sich die streikenden Studentinnen und Studenten durchgerungen haben, stellen eine ungeheure Chance dar, die Hochschulen wirklich auf die Höhe der Probleme unserer Zeit zu bringen.
Die Tatsache, daß für die Durchsetzung solcher Kreativität nur das Mittel des Streiks übrigblieb, das ist der Bankrott der Hochschulpolitik.
Für diesen Bankrott sind die Bundesregierung und die Landesregierungen gleichermaßen verantwortlich. Zerschlagung von studentischen Mitbestimmungsrechten durch das Hochschulrahmengesetz wie die Länderhochschulgesetze, finanzielle Austrocknung autonomer Hochschulforschung und Stellenstreichungen, bürokratisches Hineinregieren in Studien- und Prüfungsordnungen — ein Scherbenhaufen neben dem anderen. Statt hochschulpolitischer Innovation und Zukunftsorientierung — Polizeieinsätze statt Dialog — Verleumdungen.
Es war geradezu lächerlich letzte Woche in Berlin, als mir Wissenschaftssenator Turner und FU-Präsident Heckelmann ernsthaft weismachen wollten, die Streikbewegung sei „von außen", sprich: von „kommunistischen Gruppen", gesteuert. Das ist ein systematisches, absichtsvolles Mißverständnis, das nur die Weigerung zur Auseinandersetzung mit den wirklichen Problemen unserer Universitäten ausdrückt.
— Im privaten Bereich hätte ich Sie herausgebeten. Hier im Plenum kann ich Sie ja schlecht vor die Tür bitten.
— Es ist, glaube ich, ungehörig, einen Abgeordneten, der aus einem Gespräch berichtet, der Lüge zu bezichtigen.
Wir diskutieren hier im Bundestag, nicht in den Länderparlamenten. Da gilt es festzuhalten: Einer, der für den Bankrott der Hochschulpolitik verantwortlich ist, sitzt in Bonn, Herr Möllemann. Ihre Schonfrist als Bildungs- und Wissenschaftsminister ist angesichts dieser Konsequenzen Ihrer Hochschulpolitik abgelaufen. Sie können sich auch nicht länger hinter dem Rücken Ihrer gescheiterten Kollegen in den Landesregierungen verstecken. Herr Möllemann — ich werde dazu nachher weitere Ausführungen machen —, Sie haben als Bildungsminister versagt. Ihr Rücktritt ist fällig.
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Thema dieser Aktuellen Stunde wird nach der Haltung der Bundesregierung zur aktuellen Situation an den Hochschulen gefragt. Ich möchte nun, in Kontrast zu dem, was Herr Wetzel gesagt hat,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8653
Neuhausengerade der Bundesregierung und ganz besonders Herrn Möllemann danken
für seine konsequenten Bemühungen um die Erleichterung der unbestreitbar schwierigen Lage an Hochschulen und Fachhochschulen. Weil Sie es gebracht haben, Herr Wetzel, füge ich hinzu: Auch darüber hinaus spreche ich ihm meine Anerkennung aus. Immerhin hat der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz gerade dieser Tage in einem Interview des NDR die Amtsübernahme von Herrn Möllemann als den Beginn einer neuen Dimension in der Bildungspolitik bezeichnet.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich bei Herrn Möllemann auch für seine Bemühungen um die Offenhaltung eines vernünftigen Dialoges mit den Betroffenen, weil auf der einen Seite das verständliche und berechtigte Bestreben der Studenten, auf ihre Situation aufmerksam zu machen, über die quantitativen und finanziellen Fragen — da haben Sie recht — weit hinausgeht, andererseits aber da und dort leider von Aktionen gestört wird, die Dialogverweigerung provozieren wollen und — ich drücke mich zurückhaltend aus — schon bedenkliche Formen annehmen. Sich davon nicht beirren zu lassen, ist mein Aufruf an Herrn Möllemann in dieser Stunde.Herr Daweke hat darauf aufmerksam gemacht: Als das aktuelle Ansteigen der Zahl der Studienanfänger insbesondere im Studiengang Betriebswirtschaftslehre und damit die weitere Verschärfung der Überlastsituation der Hochschulen deutlich wurde, sind durch den Bildungsminister die jetzt zu dem Sonderprogramm von Bund und Ländern führenden Initiativen ergriffen worden. Der Bundesparteitag der FDP hat im Oktober in Wiesbaden einen entsprechenden Beschluß gefaßt. Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft hat sich Anfang November in einem Gespräch mit Vertretern der Länder über die durchaus differenziert zu betrachtenden grundsätzlichen und aktuellen Situationen an verschiedenen Hochschulen und für verschiedene Studienfächer unterrichtet. Wir haben hier wiederholt darüber debattiert. Jeder war sich klar darüber, daß notwendige erste Maßnahmen zügig zu verwirklichen seien und daß gerade auch deshalb ein Sonderprogramm nicht alle Hochschulprobleme — niemand hat das beansprucht — auf einen Schlag und ein für allemal lösen könne, sondern als ein — allerdings sehr wichtiges — Signal zum Anstoß weiterer Bemühungen aller Beteiligten, darunter insbesondere der Länder als den für die Hochschulpolitik unmittelbar Verantwortlichen, zu betrachten ist.Meine Damen und Herren, manche Reaktion darauf war allerdings verblüffend. Das ist hier angesprochen worden. Während sich z. B. im Ausschuß sehr sachlich mit dem Vertreter des zuständigen Ministeriums in Nordrhein-Westfalen über die erwähnten unterschiedlichen Verhältnisse an den Hochschulen und über die Gründe, die zu der aktuellen Verschärfung geführt haben, diskutieren ließ, hindert das die SPD in diesem Hause nicht, hier oder in Pressemitteilungen ein sehr pauschales und globales Bild zu malen. Es wurde aber schon erwähnt, in der Wochenzeitung„Die Zeit" der vergangenen Woche wird nun wiederum vom Pressesprecher des Wissenschaftsministeriums NRW in einem Artikel über den sich durchaus zu diskutieren lohnt, die Zahl von 250 000 Studienanfängern als frei erfunden bezeichnet. Er glossiert die frühen Bemühungen des Bundesbildungsministers in der Bund-Länder-Kommission und kommt u. a. zu einer Feststellung, die ich wörtlich zitieren möchte: „Daß es Geld ist, was bundesdeutschen Hochschulen am wenigsten fehlt, wird jeder Gastdozent aus dem Ausland, jeder Humboldt-Stipendiat bestätigen." Vor diesem Hintergrund muß man z. B. die eindrucksvolle Überschrift über einer Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion mit der markigen Aussage „Beim Überlastprogramm ist endlich Zahltag" vor allem als an die von der SPD gestellte Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gerichtet ansehen.Meine Damen und Herren, fünf Minuten in einer Aktuellen Stunde erlauben keine Analyse, erlauben nicht mehr als einige Anmerkungen. Wir werden uns mit der Situation der Hochschulen ohnehin weiter beschäftigen. Wir nehmen die Probleme und Sorgen ernst. Konkret und aktuell kommt es aber darauf an, das jetzt Mögliche schnell zu tun. Für diese Haltung hat die Bundesregierung unsere volle Unterstützung.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Weisskirchen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Daweke, mit einem kommen Sie nicht durch, und das gilt auch für Sie, Herr Möllemann: Als zu Beginn der 80er Jahre über die Fortschreibung des Bildungsgesamtplans diskutiert wurde, gab es die Prognosen der Bildungsplaner, die fast exakt die Zahlen beschrieben haben, wie sie jetzt am Beginn des Wintersemesters 1988/89 tatsächlich an den Hochschulen eingetreten sind. Aus diesem Dilemma kommen Sie nicht heraus. Sie haben mit dazu beigetragen, daß es keine Fortschreibung des Bildungsgesamtplans gegeben hat. Die Zahlen hätten damals Anlaß geben können und müssen, auf die wirkliche Situation der Hochschulen einzugehen. Was jetzt eingetreten ist, ist eine prognostische Zahl, die zu Beginn der 80er Jahre fast in der gleichen Höhe vorhergesagt worden ist.Es gibt wieder Bewegung an den Hochschulen. Ich finde, das ist gut so. Ihr Protest ist nämlich begründet. Er wendet sich gegen die unerträglich gewordene materielle Situation an den Hochschulen.Aber vor einem will ich warnen — das gilt auch für uns in dieser Debatte — : Ich hielte es für fatal, wenn wir, wer auch immer, versuchen wollten, diesen Protest zu vereinnahmen. Es wäre gefährlich, finde ich. Das, was an den Hochschulen aufgebrochen ist, darf nicht zu einer billigen parteipolitischen Münze werden.
Es kommt darauf an, daß wir die Fragen, die dort gestellt werden, ernst nehmen. Es gibt eine neue Qualität von Bündnissen an den Hochschulen: Studierende und Hochschullehrer gemeinsam stellen die
Metadaten/Kopzeile:
8654 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Weisskirchen
richtigen Fragen an uns, die Politik, und werben dafür, daß wir andere politische Folgerungen ziehen als diejenigen, die wir bisher gezogen haben.Es vollzieht sich ein Zweites; das halte ich für genauso wichtig. In diesen Wochen wird ein zentrales Defizit an den Hochschulen neu entdeckt. Der wachsende gesellschaftliche Druck hat in den Hochschulen zu wachsenden Binnenorientierungen und zur internen Differenzierung geführt. Das hat in vielen Teilbereichen zur Beziehungslosigkeit zwischen den Fächern und in den einzelnen Fächern geführt. Paralell dazu trocknen sozial- und geisteswissenschaftliche Fächer aus — was zugleich bedeutet, daß die Dialogfähigkeit an den Hochschulen selbst gelähmt ist — und das in einer Zeit sich beschleunigender Schübe angewandter Wissenschaft, insbesondere der Technik.Wenn die Stundenten dazu übergehen, an diese den Hochschulen entgleitende Reflexionsfähigkeit anzuknüpfen und sie in die Institutionen der Wissenschaft selber zurückzufordern, ist das, finde ich, ein wesentlicher Beitrag zur Erneuerung des Innovationspotentials der Hochschulen — und das von dieser neuen Studentengeneration, die einmal als unpolitische verlacht worden sind, als Yuppies und als Chippies. Ich halte es für gut, daß diese Entwicklung dazu geführt hat, die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion von Wissenschaft an den Hochschulen zu stärken und sie in die Hochschulen zurückzuholen. Wie notwendig es ist, daß im gesellschaftlichen Dialog — beispielsweise bei den Kirchen — über Gentechnik kritisch diskutiert wird, steht außer Frage. Aber diese Diskussion hat zuallererst dort stattzufinden, wo Gentechnik entwickelt wird: in den Forschungsinstitutionen, an den Hochschulen selbst.
Insofern hat sich in den letzten Wochen ein qualitativer Sprung vollzogen. Ich finde das gut so. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, daß diese qualitativ neuen Fragen von uns auch qualitativ neu beantwortet werden. Ich hoffe, unsere Diskussion führt dazu, daß wir in der Lage sind, diese überzeugenden Antworten auch zu formulieren.Herzlichen Dank.
Bitte schön, Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Lage an den bundesdeutschen Hochschulen ist angespannt. Ich habe mich seit meinem Amtsantritt vor eindreiviertel Jahren an 40 Hochschulorten vor Ort und in Diskussionen mit Lehrenden und Studierenden zu informieren versucht, um mir ein Bild zu machen und mit ihnen zu sprechen. Die Diskussionen sind im allgemeinen sicher kontrovers, aber meist fair gelaufen. Lediglich in der letzten Woche in München gab es ein erschreckendes und bedrückendes Maß an Intoleranz. Ausgerechnet in der Hochschule der Geschwister Scholl war nicht die Bereitschaft da, den Politiker überhaupt reden zu lassen.Ich bitte die Studierenden, die im Moment für bessere Bedingungen kämpfen, den Dialog nicht zu verweigern. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen in den Landesregierungen, in der Bundesregierung und im Parlament, den Dialog in den Hochschulen auch zu führen. Es gibt eine Menge berechtigter Anliegen, die dort im Mittelpunkt stehen,
die wir mit ihnen erörtern müssen.
— Herr Kollege Weisskirchen hat gerade darauf hingewiesen und gebeten, wir sollten das nicht in einer kleinkarierten Polemik niederreden. Ich möchte mich jetzt in der Sache äußern und werde auf diese merkwürdigen Zwischenrufe nicht mehr eingehen.Zu den Hauptsorgen, die im Moment von den Studierenden vorgetragen werden:Erstens. Heute sind auf 850 000 Studienplätze 1,5 Millionen Studierende. Diese Zahl und die Tatsache, daß wir wahrscheinlich bis zum Jahr 2000 weiterhin über 1,2 Millionen Studierende haben werden, haben wir offenkundig nicht vorhergesehen; denn hätte sie jemand von verantwortlicher Stelle vorhergesehen, wäre das Bild ja nach Ländern unterschiedlich. Dann gäbe es ja in den einen Ländern eine hinreichende Kapazität, in den anderen nicht. In Wahrheit sind alle von der Dimension des Problems überrascht. Es ist keine Schwäche, zuzugeben, daß man sich verschätzt hat. Ich jedenfalls räume ein, daß das gegeben ist.Zweitens. Wir haben deshalb, mit einem Beschluß unseres Parteitags beginnend, gesagt: Wir wollen einen Anstoß zu einer Kurskorrektur mit einem ZweiMilliarden-Programm geben.
— Des Parteitags der FDP; ich bin Freidemokrat. — Das haben wir in das Bundeskabinett eingebracht, und die Bundesregierung hat das Zwei-MilliardenProgramm zu ihrer Sache gemacht und dann im Gespräch mit den Ländern darüber verhandelt. Bund und Länder haben sich auf ein Sonderprogramm von 2 Milliarden DM verständigt.Dieses Zwei-Milliarden-Programm wird morgen erneut Gegenstand von Gesprächen zwischen Bund und Ländern im Zusammenhang mit dem Abschluß des vereinbarten Regierungsabkommens sein. Wenn es nach mir geht — hoffentlich auch nach allen Kolleginnen und Kollegen in den Landesregierungen —, werden damit diese Beträge den Hochschulen zusätzlich vor allem für die Ausweitung der Lehrkapazität — für nichts sonst — zur Verfügung stehen.Ich will deutlich sagen, auch an die Adresse des Bundesrates: Entgegen verschiedener Überlegungen, die ich eine Zeitlang angestellt habe, will ich mich um der schnellen Einigung willen darauf beschränken, zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8655
Bundesminister Möllemannsagen: ausschließlich zur Verstärkung der Lehre, weil das in der Tat das Hauptproblem ist.
Ich möchte drittens sagen: Die Länder — ich bitte sie darum — sind ebenfalls gehalten, ihre Personalplanungen grundlegend zu korrigieren. Die Personalstellen in den Bundesländern sind auf eine kleinere Zahl von Studierenden ausgerichtet. Die Zahl bleibt bis zum Ende dieses Jahrtausends hoch. Es reicht nicht aus, was da ist. Das muß deutlich gesteigert werden, damit sich die Relation der Studierenden zu den Lehrenden bessert. Das ist in unserer Verfassungsordnung die Aufgabe der Länder. Da kann man nicht ablenken, wiewohl man immer über den Verteilungsschlüssel streiten kann. Aber es ist Aufgabe der Länder; die müssen dieses Problem lösen.Ich bitte darüber hinaus die Länder, in diesem Zusammenhang die Geisteswissenschaften nicht zu vernachlässigen. Wir brauchen eine Entwicklung beider Bereiche, des naturwissenschaftlich-technischen wie des geisteswissenschaftlichen. Das wird auch in der Stellenausweisung deutlich.
Bund und Länder müssen nach meiner Überzeugung — ich werde mich dafür bei den Verhandlungen einsetzen — ihre Anstrengungen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau" verstärken. Die Forderung, die Mittel pro Jahr auf 2,4 Milliarden DM zu steigern, scheint mir plausibel zu sein. 2 Milliarden DM sind vorgesehen, je 1 Milliarde DM Bund und Länder. Ich will versuchen, das in den Haushaltsgesprächen, die jetzt beginnen, durchzusetzen.
— Die 1 Milliarde DM, Herr Kollege — das habe ich gesagt — , steht fest, ist zugesagt — da gibt es keinen Streit — für die Jahre 1989 bis 1995.
— Darüber entscheidet nicht ein einzelner Bundesminister. Darüber hat die Bundesregierung entschieden. Die 1 Milliarde DM steht zur Verfügung.
Zum Thema Forschungsförderung und vor allen Dingen Grundlagenforschung im Bereich der Geisteswissenschaften: Ich glaube, wir müssen erneut eine Verstärkung unserer Anstrengungen im Bereich der Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft vornehmen. Sie fördert ja gerade die Geisteswissenschaften.Nächster Punkt: BAföG. Ich kann Ihnen heute nicht sagen,
welche Schlußfolgerungen die Bundesregierung aus dem BAföG-Vorschlag des Beirats ziehen wird. Jeder von Ihnen wäre in der gleichen Lage. Wir haben vereinbart, daß wir am Anfang dieses Jahres eine Bestandsaufnahme über den finanzpolitischen Spielraum für familienpolitische Leistungen vornehmen wollen. Danach wird entschieden.Wenn wir etwas verändern können, kommt es mir zuallererst darauf an, die Elternfreibeträge zu ändern, damit Bezieher mittlerer Einkommen wieder stärker in die Förderung kommen und nicht gleichzeitig aus allen staatlichen Transferleistungen herausfallen.Im Zusammenhang mit den Studierenden gibt es in der Tat — darauf haben mehrere Kollegen hingewiesen — zwei weitere Themen, die mit Geld nichts zu tun haben. Da ist einmal der dringende Wunsch nach einer inhaltlichen Studienreform, die es neben den materiellen Verbesserungen möglich macht, ein Studium in einer vernünftigen Zeit, in zehn Semestern, zu bewältigen. Hier sind die Hochschulen natürlich genauso gefordert, nicht nur der Bund und die Länder. Hier sind in besonderer Weise die Hochschullehrer gefordert. Der Studienstoff muß so gestaltet werden — da muß mancher Egoismus überwunden werden —, daß eine Studentin oder ein Student, der das will, wirklich in zehn Semestern fertig werden kann. Das ist heute oft nicht möglich.
— Ja, vielleicht nicht von den GRÜNEN, Frau Kollegin; aber die Masse der Studierenden hat bei uns so wie auch in allen anderen europäischen Ländern den dringenden Wunsch, ein gutes Studium zu absolvieren, es aber doch in zehn Semestern abschließen zu können. Die meisten von ihnen möchten gerne auf eigene Beine kommen.
Der nächste Punkt ist ebenfalls ein inhaltlicher. Hier will ich sagen und ankündigen, daß ich mich gerne mit den Kolleginnen und Kollegen im zuständigen Ausschuß und auch mit den Ländern, Frau Kollegin Brunn, darüber unterhalten möchte. Ich finde, es ist an der Zeit, daß wir eine ganz ruhige und leidenschaftslose Bestandsaufnahme machen, wie sich die Bestimmungen des Hochschulrahmengesetzes, die wir in Verfolg des Verfassungsgerichtsurteils zum Thema Mitwirkung neu gestaltet haben, denn konkret ausgewirkt haben. Ich habe mit Interesse gehört, daß in verschiedenen Landesregierungen — gestern zuletzt in der Landesregierung von Berlin durch Herrn Diepgen — angekündigt worden ist
— ich habe gehört, daß der Regierende Bürgermeister das angesprochen hat — , daß offenkundig bestimmte Regelungen, die einen fast völligen Ausschluß der Mitwirkung von Studierenden in wichtigen Fragen beinhalten, auch ein Anlaß dafür sind, daß der Dialog zusammengebrochen ist. Wenn das so ist, müssen wir leidenschaftslos darüber sprechen können.
Ich fasse zusammen, meine Kolleginnen und Kollegen. Die Hochschulen brauchen Hilfe. Lehrende und Studierende haben mit manchen ihrer Forderungen durchaus recht. Deswegen müssen der Bund, die Länder und die Hochschulen ihre Anstrengungen verstärken, damit Studien, Forschung und Lehre auf hohem Niveau möglich sind. Das kostet sicher auch Geld.
Metadaten/Kopzeile:
8656 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Bundesminister MöllemannAber es lohnt sich, dieses Geld in unsere Hochschulen zu investieren.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Brunn, Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So unerfreulich viele Zustände in den Hochschulen heute sind, so wichtig ist das Interesse, das Bildungspolitik inzwischen wieder findet. Bildung hat Konjunktur. Da ist es müßig und kann dahingestellt bleiben, ob das Interesse durch geschickte PR-Aktionen inszeniert wurde oder ob es tatsächlich der Ausfluß der von unten kommenden Bewegung ist. Die Probleme sind da, und um diese geht es. Das Interesse ist inzwischen da. Das erhöht die Chancen für eine Lösung. Aus diesem Grunde spreche ich auch als Wissenschaftsministerin des größten Bundeslandes heute hier zu Ihnen, weil auch wir mit in der Verantwortung für diese Themen und für diese Fragen stehen.In den letzten zehn Wochen ist in der Politik mehr über Hochschulen gesprochen worden als in den letzten zehn Jahren. Es ist mehr über die Situation von Forschung und Lehre gesprochen worden als in zehn Jahren vorher, und das finde ich gut so. Denn ich denke, daß die Hochschulen genügend Themen haben, die nach Veränderung rufen und bei denen es sich lohnt, auf der politischen Ebene darüber zu sprechen und die Dinge nicht einfach auf sich beruhen zu lassen.Wir haben in den letzten Jahren allerdings nicht nur auf Bundesebene nicht viel über Hochschulen reden können; wir haben auch allerlei Rückschritte zu verzeichnen. Ich denke an das Hochschulrahmengesetz, ich denke an die massive Kappung der Ausbildungsförderung, und ich denke an den Rückgang im Hochschulbau. Dies sind Dinge, die uns heute außerordentlich drücken. Wenn ich Ihre Worte richtig verstanden habe, Herr Kollege Möllemann, dann sind Sie dabei, auch hier die Wende rückwärts inszenieren zu wollen, und das halte ich für unbedingt notwendig; denn wer hier a sagt, muß auch b sagen, und jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt dafür.
Ich habe eben mit Interesse gehört, daß Sie im Hinblick auf die morgen stattfindenden Verhandlungen zu dem Bund-Länder-Programm hier Ihre Bereitschaft signalisieren — das war nämlich in den letzten Tagen von administrativer Seite nicht ganz so deutlich zu hören — , sich sehr schnell auf die überlasteten Bereiche und auf den Ausbau der Lehre in diesen Bereichen zu konzentrieren. Das ist genau der Punkt, an dem die Kultusminister der Länder interessiert sind.Sie wissen, daß die Kultusminister der Länder einen Vorschlag gemacht haben, insbesondere in den überlasteten Bereichen der Lehre zum Ausbau der Hochschulen zu kommen, weil wir dort wirklich einen ganz großen Druck haben, wo der Numerus clausus — wie etwa im Bereich der Wirtschaftswissenschaften — eingeführt werden mußte und wo sich Weiterungen abzeichnen, wenn durch ein geändertes Verhalten bei der Wahl des Studienfachs nicht schnell etwas passiert. Da muß man ansetzen. Ich habe die Äußerungen, die Sie jetzt gemacht haben, als eine Zusage verstanden, auch in diesem Bereich die Vereinbarung anzusetzen. Das ist für uns der ganz entscheidende Punkt; denn wir müssen der Not dort, wo sie tatsächlich besteht, abhelfen.Weiterhin müssen die Maßnahmen schnell eingeleitet werden; denn bereits im März beschäftigt sich die ZVS mit der Frage, wie es zum Wintersemester mit dem Numerus clausus aussieht. Deshalb muß der Rahmen der Vereinbarung nach Möglichkeit morgen stehen, und die Umsetzung der Vereinbarung muß in den nächsten Wochen beginnen, damit man das Konzept zum Wintersemester stehen hat. Ich fände es gut, wenn das morgen zustande kommen könnte.
Ich hielte das für einen Erfolg dieser Aktuellen Stunde; für mich hätte sich die Anreise heute dann gelohnt.
Ich will noch etwas zu dem Entwurf einer Vereinbarung sagen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen im Kabinett im Dezember die notwendigen Beschlüsse für ein solches Programm gefaßt. Wir haben auch den Entwurf einer Vereinbarung vorgelegt. Insofern, denke ich, können wir in Kooperation zu einem Ergebnis kommen.Herr Daweke, Nordrhein-Westfalen wird das Notwendige mit den notwendigen Mitteln tun. Sie brauchen keine Sorge haben, daß wir nicht bereit sind, ein solches Programm zu bedienen, wenn es die richtigen Schwerpunkte hat. Wenn es jetzt auf der Linie der Kultusminister liegt, scheint das ja geregelt zu sein.
— Sie sprechen gewisse Veränderungen an, die wir im Hochschulbereich vornehmen: Wir bauen nicht nur aus, sondern wir erneuern auch ein wenig durch Umverteilung; ein halbes Prozent der Stellen im Hochschulbereich in Nordrhein-Westfalen wird umverteilt.
In Bonn sind es, glaube ich, von 2 500 Stellen in drei Jahren 28 Stellen, die aber voll — nicht netto minus —dem Hochschulbereich wieder zugeführt werden.Ich denke, daß auch der Staat gut daran tut, nicht nur zuwachsen zu lassen, sondern auch ein wenig umzuverteilen. Das muß auch für große Institutionen wie Hochschulen eigentlich ganz selbstverständlich gelten. Ich denke, daß es im Grunde genommen eine Selbstverständlichkeit ist, daß man nicht nur ausbaut, sondern auch erneuert, daß man nicht nur quantitatives Wachstum anstrebt, sondern auch Veränderungen vornimmt. Das ist eine Frage der Strukturreform, die auch für Hochschulen gelten muß.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8657
Minister Frau Brunn
Wir brauchen also die Mittel nicht nur für den Ausbau, sondern auch für den Umbau, weil sich die Studienwünsche des Studenten in den letzten Jahren sehr verändert haben. Hier muß auch die Bildungspolitik Konsequenzen ziehen.Ich möchte noch eine Anmerkung grundsätzlicher Art machen, die nicht nur in Richtung Bund, sondern auch in Richtung Länder und in Richtung auf die Hochschulen geht: Es wäre schade, wenn die entfachte Diskussion um die Hochschulen einfach mit einem solchen kurzfristig ansetzenden Notprogramm zu Ende käme. Denn hier sind Fragen gestellt und Fragen aufgeworfen, die weitergehen. Ich denke, daß wir allesamt gefordert sind, uns intensiver mit den Hochschulen zu beschäftigen. Sie brauchen mehr als nur Geld. Daß sie natürlich jede Menge Geld brauchen können,
kann ich Ihnen aus Nordrhein-Westfalen ohne Schwierigkeit berichten. In dem aktuellen Protest der Studenten offenbart sich eine tiefgreifende Unzufriedenheit, eine Unzufriedenheit, die sehr reale Wurzeln hat. Denn diese jungen Menschen, die jetzt in den Hochschulen ein besseres Studium, bessere Lehrbedingungen einfordern, sind auf allen Ebenen der Bildung immer die vielen gewesen, sei es im Kindergarten, sei es in der Schule, jetzt als Studienanfänger in den Hochschulen, und sie haben später größere Schwierigkeiten mit dem Berufsanfang auf dem Arbeitsmarkt, als sie die vorherigen Generationen hatten.Sie stellen jetzt Fragen, die sich auch an das System der akademischen Ausbildung richten, an ein System der akademischen Ausbildung, das in vielen Punkten überholt ist. Wir müssen uns überlegen, ob wir einfach nur ausweiten oder ob wir nicht auch die Frage stellen wollen, wie dieses System der akademischen Ausbildung den gewandelten Bedingungen — sowohl geänderten Berufen als auch geänderten Studiennachfragen als auch geänderten Studienbedingungen als auch geänderten gesellschaftlichen Anforderungen — tatsächlich gerecht wird.Diese Fragen müssen auch in den Hochschulen gestellt und beantwortet werden, aber auch in der Politik bearbeitet werden. Sonst wäre das einfach nur das Zuschütten einer Bewegung, die nicht nur Geld fordert, sondern auch Fragen stellt, auf die geantwortet werden muß.
Hier, so meine ich, geht es nicht nur darum, die klassischen Studienbedingungen beizubehalten. Es geht nicht nur darum, sozusagen immer mehr kleine Wissenschaftler zu produzieren, quasi in Fortsetzung der bisherigen Wissenschaftlerberufe mit anderen Mitteln, sondern es geht um die Frage, ob wir nicht mehr als die Reproduktion des Wissenschaftssystems in sich selbst brauchen. Es ist doch unbestreitbar, daß das Hochschulstudium inzwischen eine Qualifikationsgrundlage für eine ganz große Vielzahl von Berufen ist, und diese Tatsache muß dazu führen, daß sich Bildung ändert. Sie muß dazu führen, daß wir die kritischen Fragen der Studienanfänger nach breiteren Qualifikationsgrundlagen beantworten, indem wirnämlich auch darüber sprechen, ob die Frage nach Interdisziplinarität der Fächer und dem Stellenwert der Geisteswissenschaften bisher richtig beantwortet worden ist.Ich glaube, Herr Kollege Möllemann, wenn Sie hier sagen, die Geisteswissenschaften seien wichtig, sind wir alle einer Meinung. Die Frage, ob man nicht auch einem Ingenieur eine gute Allgemeinbildung mit der Chance, geisteswissenschaftliche Grundkenntnisse zu erwerben, unbedingt in der Hochschule anbieten sollte, werden Sie sehr schnell mit Ja beantworten. Aber wenn Sie sich die Realität der Studienbedingungen anschauen, stellen Sie fest, daß von Interdisziplinarität meistens nur als Forderung die Rede ist.
Die Studien- und Prüfungsordnungen sind so, daß die Spielräume für ein Studium fundamentale, wie ich es mir beispielsweise wünsche — —
— Nein, ich gehe nicht in Sack und Asche. Ich denke, mit solchen Selbstverwaltungen muß man diskutieren. Man braucht eine öffentliche Diskussion. Wenn ich Frau Hamm-Brücher sehe, dann weiß ich auch, daß diese Fragen nicht neu sind, die ich hier stelle.
Es ist aber notwendig, sie erneut zu stellen. Das hat auch nichts mit Stellenstreichungen zu tun. Wenn Sie weniger Lehrer ausbilden, dann brauchen Sie auch nicht unbedingt wie bisher Stellen in der Lehrerausbildung. Sie brauchen Stellen anderswo, z. B. um solche neuen interdisziplinären Studiengänge überhaupt erst zu schaffen. Das ist doch die Notwendigkeit.
— Nein, nein, das machen wir nicht. Gehen Sie mal nach Münster, dann wissen Sie, was da los ist.
Ich denke, daß es auch darauf ankommt, z. B. die Frage zu beantworten, warum wir in den Hochschulen Frauen zwar inzwischen als Studierende, aber in sehr viel geringerem Maße in der Forschung und in der Lehre haben. Wir versuchen, diese Frage mit einem Netzwerk Frauenforschung zu beantworten. Dies allein reicht aber noch nicht. Es muß in den Hochschulen eine breite Diskussion über die Feminisierung der Wissenschaft und über die Chancen geben, hier Frauen Spielräume einzuräumen. Dasselbe gilt für die Rolle des Mittelbaus, und dasselbe gilt für viele Fragen in der Wissenschaftspolitik, die man im Rahmen einer Aktuellen Stunde gar nicht unbedingt einführen und abhandeln kann.
Mir geht es also darum, daß wir diese Fragen im Zusammenhang von Wissenschaft und Forschung
Metadaten/Kopzeile:
8658 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Minister Frau Brunn
stellen und daß wir nicht einfach nur sagen: Das Studium muß kürzer werden, und damit hat es sich dann, und außerdem muß Geld in die Hochschulen.Studienzeitverkürzung ist kein Selbstzweck; wir müssen vielmehr etwas tun, damit das Studium insgesamt besser werden kann. Dazu kann das öffentliche Interesse, das dieses Thema inzwischen gefunden hat, sehr wohl beitragen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Oswald.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Daweke hat in seiner Bemerkung gerade der Frau Ministerin etwas mit auf den Weg gegeben, und wir wollen dann sehen, inwieweit sich dann die Ankündigungen hier in die praktische Politik umsetzen lassen.
Trotz deutlich schwächerer Geburtenjahrgänge hält der Zustrom von Studenten an unsere Hochschulen unvermindert an. Der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz, Professor Seidel, hat gerade wieder mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß der sogenannte Studentenberg kein einsamer Gipfel mit steil abfallenden Flanken ist, sondern bis zum Jahr 2000 eher einem Hochplateau gleicht. Diesem Problem will die Bundesregierung mit ihrem Sofortprogramm mit zusätzlich mehr als 2 Milliarden DM gerecht werden, einem Sofortprogramm, das von der Westdeutschen Rektorenkonferenz ausdrücklich als respektabel bezeichnet worden ist. Die Ermahnung ihres Präsidenten, dieses Sonderprogramm dürfe nicht zur Mittelumschichtung genutzt werden, hat sich wohl am allerwenigsten an die unionsgeführten Bundesländer gerichtet. Das kann man wohl deutlich sagen.Als bayerischer Abgeordneter — Herr Kuhlwein, ich nehme Ihre Anregung gern auf — möchte ich besonders darauf hinweisen, daß wir in Bayern bereits zu Beginn der 80er Jahre ein spezielles Überlastprogramm eingeführt haben, das in der Zwischenzeit von 17 Millionen auf 42 Millionen DM aufgestockt worden ist. Dadurch wurde sichergestellt, daß Bayern im Bundesvergleich den höchsten Beitrag zur Überlastbewältigung an den Hochschulen geleistet hat. Auch der neue Doppelhaushalt 1989/90 eröffnet mit einer Steigerungsrate von 7,14% und 1 173 zusätzlichen Stellen, einer deutlichen Erhöhung der Mittel für den Hochschulbau und zahlreichen Verbesserungen der Haushaltsansätze, insbesondere im Bereich von Forschung und Lehre, wie kaum in einem anderen Bundesland Möglichkeiten zum Abbau der Überlast und der Akzentsetzung.
— Wenn Sie hier unruhig sind, bedeutet das für mich nur, daß Sie Nachholbedarf haben.
Die Kontinuität und die Berechenbarkeit der bayerischen Hochschulpolitik werden auch von Kennern der Szene immer wieder sehr deutlich hervorgehoben.Die gegenwärtige Überlast an unseren Hochschulen verlangt auf seiten sowohl der Professoren wie der Studenten, von den Betroffenen große Opfer. Wir werden diese Überlast jedoch nur durch geduldige Anstrengungen, mit deutlich aufgestockten Finanzmitteln, aber auch mit erheblich mehr Phantasie bewältigen. Mit einseitigen Schuldzuweisungen und künstlich geschürten politischen Aufgeregtheiten ist niemandem gedient, und davon wollen die allermeisten Studenten auch gar nichts wissen; denn die meisten der protestierenden Studenten sind daran interessiert, verwertbares Wissen zu erwerben und, wie Paul F. Reitze in der „Welt" zutreffend bemerkt, auch etwas zu können, und zwar nicht nur zur Selbstfindung, sondern auch zum Geldverdienen.Für mich ist es deshalb auch ausgesprochen beruhigend, daß sich der größte Teil der Überlast an den Universitäten und Fachhochschulen heute auf Studiengänge wie Betriebswirtschaftslehre, Informatik und Ingenieurwissenschaften konzentriert, deren Absolventen von der Wirtschaft dringend gesucht werden. Ich möchte die Wirtschaft auch ausdrücklich ermutigen, sich durch Maßnahmen und Programme konstruktiv an der Beseitigung der Überlast an unseren Hochschulen zu beteiligen.
Auch der Staat in Legislative und Exekutive und nicht zuletzt die Hochschulen selbst sind aufgerufen, dieser Herausforderung durch ein ganzes Bündel neuer Ideen und unkonventioneller Maßnahmen zu begegnen. Gerade angesichts der Überlast muß die Studierbarkeit des Lehrangebots und des Studienstoffes als Korrektiv im Auge behalten werden. Man kann nicht darauf verzichten, zwar Wünschenswertes, aber nicht unbedingt Erforderliches aus den Stoffinhalten zu streichen. Vor allem im Hinblick auf den gemeinsamen europäischen Markt dürfen die Fragen unserer überlangen Ausbildungszeiten nicht länger zum Tabu erklärt werden.Aber auch die Studenten selbst können durch ihr Verhalten dazu mit konstruktiv beitragen. Sie sollten vor allem auch flexibel und so mobil sein, zu erkennen, daß es sich an einer übervollen Fakultät in München oder in Berlin oft weniger gut studieren läßt als an kleineren und entsprechend überschaubaren Universitäten.Meine Damen und Herren, es geht deshalb in der gegenwärtigen Situation nur vordergründig um die Hochschulen. Es geht, wie der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz, Seidel, zu Recht anmerkt, in Wirklichkeit um die junge Generation, von der inzwischen bald jeder Vierte an einer Hochschule studiert, und es geht um die längerfristigen Perspektiven dieser Gesellschaft, die auf die Leistungsbereitschaft und — da sind wir uns sicher einig — die Lei-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8659
Oswaldstungskraft dieser jungen Menschen künftig mehr denn je angewiesen sein wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist ziemlich unsinnig, hier in dieser Debatte, die meine Fraktion beantragt hat, jetzt A gegen B oder C oder D auszuspielen und zu sagen: Wir haben die Probleme nicht, nur Sie haben sie, und Sie haben sie ein bißchen. Proteste, Herr Kollege Oswald, gibt es überall, auch in München, und in München war das passiert, was Herr Möllemann hier eben dargestellt hat und wozu auch Herr Neuhausen etwas gesagt hat. Vermutlich war die Berechtigung der Münchener Studenten, zu protestieren, nicht geringer als die von Berliner Studenten oder von Studenten, die in SPD-regierten Ländern protestiert haben.Wir sollten diese Debatte als Anstoß zum Handeln nehmen. Da hat mich das sehr gefreut, was Sie, Herr Kollege Daweke, gesagt haben; bei Herrn Oswald klang das eben auch ein bißchen durch. Mir scheint sich da ein neuer bildungspolitischer Konsens abzuzeichnen, nämlich der, daß wir uns gemeinsam darüber freuen, daß jetzt so viele junge Leute so viel mehr lernen wollen. Vor Tische hört man das ja anders. Ich erinnere mich noch an Debatten in diesem Hause, in denen vor einem Studium gewarnt wurde und den jungen Leuten gesagt wurde, wegen der schlechteren Arbeitsmarktchancen sollten sie doch lieber ein ordentliches Handwerk lernen. Wenn das vorbei wäre und wenn wir uns darüber einig wären, daß Handwerk plus Studium oder auch nur Studium, Abitur machen
oder ein anderer Hochschulzugang auch arbeitsmarktpolitisch vernünftig und gesellschaftlich gewollt sind, dann wären wir schon einen Schritt weiter,
zumal ja alle Arbeitsmarktprognosen, die wir kennen, voraussagen, daß wir im Jahr 2000 in unserer Gesellschaft eher mehr akademisch ausgebildete Mitarbeiter brauchen werden.Ich gestehe freimütig zu: Der Bundesbildungsminister hat im letzten Herbst einen Anstoß gegeben. Er hat Vorschläge gemacht, die dann aufgegriffen worden sind. Wir wissen heute noch nicht, wann die Umsetzung beginnen kann, ob es so kommt, wie es erforderlich wäre. Sie haben heute auch noch nichts über die Finanzierung des Bundesanteils gesagt. Ich bin sehr gespannt. Wir werden es nicht mitmachen, daß Sie die Mittel aus anderen Töpfen für 1989 nehmen, etwa aus dem BAföG-Haushalt; denn da ist ja gar nicht genug drin.
Der Bund hat auch eine Verantwortung für die Chancengleichheit und für die Herstellung gleicher Lebensbedingungen in der Bundesrepublik. Es gibt ja gerade für die Hochschulpolitik eine Reihe von denkbaren Instrumenten, dies auszufüllen: Hochschulbauförderungsgesetz, Hochschulrahmengesetz, BAföG, Forschungsförderung,
nicht zu vergessen die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung und Forschungsförderung, wobei ich insbesondere die Bildungsplanung nach Art. 91 b Grundgesetz hervorhebe.Meine Damen und Herren, ich glaube, hier rächt sich, daß wir zu Beginn der 80er Jahre auf gemeinsame Bildungsplanung verzichtet haben. Ich glaube, wir stünden heute besser da, wenn wir fortgeschrieben hätten, was wir, Bund und Länder gemeinsam ohne die Finanzminister, 1980 über mutmaßliche Entwicklungen der Studentenzahlen und auch über Finanzierungen, die notwendig werden, aufgeschrieben haben. Wenn wir das fortgeschrieben und weiterentwickelt hätten, wären wir heute nicht in der Situation, daß wir alle die Überlast zur Dauerlast gemacht haben und letztlich alle mitverantwortlich sind.Im übrigen darf ich darauf verweisen, Herr Kollege Daweke: Wir haben hier schon 1985 den Bundeskanzler aufgefordert, sich doch einmal mit den Ministerpräsidenten zusammenzusetzen, wie das Helmut Schmidt 1977 getan hat, um gemeinsam zu beraten, was zur Verbesserung der Situation an den Hochschulen zu tun sei.Unsere Konsequenzen sind diese.Erstens. Das Sofortprogramm zur Verbesserung des Lehrangebots und der Ausstattung der Hochschulen muß flexibel und transparent gehandhabt werden. 150 Millionen DM scheinen zu wenig zu sein — ich glaube, wir werden in den nächsten Jahren mehr dafür brauchen —; das kann nur der erste Schritt sein. Die Fachhochschulen sollten besonders berücksichtigt werden. Dabei dürfen auch die Geisteswissenschaften nicht vernachlässigt werden.Zweitens. Dieses Sofortprogramm muß mit einer neuen Bildungsgesamtplanung zunächst für den Hochschulbereich verzahnt werden. Wir müssen mit der Fiktion, 850 000 Studienplätze in der Endausbau-stufe seien genug, Schluß machen. Wir haben ein neues Studierverhalten festzustellen. Wir haben neue Aufgaben, vor allem im Bereich der Weiterbildung, die auf die Hochschulen zukommen werden. Wir wissen überhaupt noch nicht, ob unser Hochschulsystem nach der Vollendung des gemeinsamen Binnenmarkts nicht auch für mehr Ausländer aus dem EG-Bereich attraktiv werden kann als heute.Wir brauchen gleichzeitig eine neue Personalentwicklungsplanung, auch unter Berücksichtigung der Altersstruktur. In den 90er Jahren werden sehr viele Hochschullehrer ausscheiden. Wir müssen die Kontinuität der Fächer und des wissenschaftlichen Nachwuchses sichern.Wir brauchen eine Aufstockung der Mittel im Rahmen des Hochschulbauförderungsgesetzes; aber auch
Metadaten/Kopzeile:
8660 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Kuhlweinhier sollten die Fachhochschulen nicht vergessen werden.Wir brauchen eine neue Initiative zur Studienreform, und wir brauchen sicherlich bald wieder eine Novellierung des Hochschulrahmengesetzes. Wenn der Bundesbildungsminister soeben angekündigt hat, seine Berliner Erfahrungen gingen in die Richtung, darüber nachzudenken, ob es vielleicht sinnvoll sei, den Studenten wieder mehr Mitwirkungsrechte — ich würde sagen: mehr Mitbestimmungsrechte — einzuräumen, dann nehmen wir das als Ankündigung, daß Sie möglichst bald ein neues Hochschulrahmengesetz im Bundestag einbringen.Wir brauchen Verbesserungen in der Bibliotheksausstattung. Wir brauchen Konzepte für Studentenwohnraumbau. Wir brauchen eine BAföG-Reform nach dem Beiratsbericht und nicht erst nach 1990 und nicht mit dem Vermerk „künftig wegfallend".Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten freuen uns, daß diese junge Generation so engagiert für ihr Recht auf Bildung eintritt. Wir müssen der Jugend allerdings auch überzeugende Antworten geben, wenn die Politik bei den jungen Menschen wieder Vertrauen gewinnen will.Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Pack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß führt heute eine Anhörung durch. Die vorab eingereichten Stellungnahmen der Verbände dokumentieren das Ausmaß der Schwierigkeiten. Ich will sie in drei Punkten noch einmal nennen; ich glaube, wir sollten das gegenwärtig haben:Erstens. Für den Studiengang Betriebswirtschaft haben sich im Wintersemester 1988/89 24 378 Studenten auf 6 848 Studienplätze beworben. Die Auslastung beträgt 224 %. Bei Informatik beträgt die Auslastung 150 %. Generell hat die ZVS festgestellt, daß besonders die Studiengänge Betriebswirtschaftslehre, Informatik und Rechtswissenschaft nachgefragt werden.Zweitens. Spiegelbildlich verhält es sich hinsichtlich der Auslastung bei den Fachhochschulstudiengängen. Im Bundesland Hessen z. B. beträgt die Auslastung im Studiengang Elektrotechnik in diesem Wintersemester 180 %, im Studiengang Informatik 190 % und im Studiengang Maschinenbau 172 %.Drittens. Außer in diesen besonders stark nachgefragten Studiengängen bestehen Schwierigkeiten auch in denjenigen Fächern, die z. B. Laborabschnitte oder Praktika erfordern oder bei denen im Hauptstudium nur im Rahmen der Vergabe von Seminarplätzen gearbeitet werden kann.Nun gibt es Stimmen, die auch nicht verstummen wollen, die angesichts dieser Zahlen weiteren Zulassungsbeschränkungen das Wort reden. Ihnen möchte ich entschieden widersprechen.
Die seit fast 15 Jahren konstant hohe Studierneigung von ca. 20 % der etwa gleichaltrigen Bevölkerungsgruppen ist auch nicht negativ zu bewerten, im Gegenteil. Darin kommt u. a. der Wille zum Ausdruck, durch verbesserte Bildung und Ausbildung an der Zuteilung von höherqualifizierten Arbeitsplätzen teilzunehmen. Ich füge hinzu: Das Offenhalten ist besonders für Frauen unabdingbar, damit sie mit Männern bis in Spitzenpositionen hinauf wirksam konkurrieren können.
Aber ich möchte hier auch eines sagen. Mit großer Sorge beobachte ich, daß durch die Einführung des Numerus clausus in BWL Frauen einen Studienplatz kaum oder gar nicht mehr zugewiesen bekommen. Sie werden damit ausgequotet. Die bevorzugte Vergabe von Studienplätzen an Männer, die vorherig ihren Wehr- oder Zivildienst geleistet haben, muß durch eine Änderung der Vergabeordnung korrigiert werden.
Andernfalls ist es nicht unwahrscheinlich, daß im Sommersemester 1989 keine einzige Frau einen Studienplatz in Betriebswirtschaftslehre bekommen wird.Zudem, meine sehr verehrten Damen und Herren — vor allen Dingen Herren —, ist es nicht einzusehen, warum nur der Pflichtdienst der Männer berücksichtigt werden soll, aber derjenige der Frauen, indem sie Kinder in die Welt setzen und damit einen großen Dienst für die Allgemeinheit leisten, unberücksichtigt bleiben soll.
Wenn das Offenhalten der Hochschulen richtig ist, dann müssen die Hochschulen finanziell besser ausgestattet werden; das haben wir in allen vorherigen Reden gehört. Ich freue mich, daß die Bundesregierung mit der Ende letzten Jahres zugesicherten zusätzlichen 1 Milliarde DM den Anfang gemacht hat. Selbstverständlich ist, daß auch die Länder in ihren finanziellen Anstrengungen nicht nachlassen dürfen und ihren Teil in Form einer weiteren Milliarde zur Verbesserung der Situation an den Hochschulen leisten müssen.Im übrigen, die Länder pochen immer auf ihren Kompetenzen im Bildungsbereich.
Dann geht damit aber auch die Verantwortung für die Auszubildenden einher, die man durch finanzielle Mehraufwendungen unterstreichen muß.Der Schwerpunkt der Mittelzuwendungen muß meines Erachtens auf Maßnahmen im Personalbereich gelenkt werden. Die Westdeutsche Rektorenkonferenz hat z. B. festgestellt — Frau Odendahl hat es schon gesagt —, daß das Verhältnis der Stellen für wissenschaftliches Personal zur Zahl der Studenten 1977 1 : 11 betrug; heute haben wir ein Verhältnis von 1 : 18. Eine kontinuierliche, nicht abrupte Personalauf-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8661
Frau Packstockung insbesondere im Bereich des akademischen Mittelbaus ist daher unabdingbar.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Wetzel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Herr Möllemann, ich habe Sie vorhin in Ihrer Verantwortung für die gegenwärtige Situation an den Hochschulen angesprochen. Zweifellos sind Sie mitverantwortlich — das wird niemand bestreiten — , daß heute eine ganze Generation um die wissenschaftliche Ausbildung und Betreuung betrogen wird.
— Moment mal! Wir haben Personalstellen für 850 000 Studierende, und empirisch studieren 1,5 Millionen. Man kann also davon sprechen, daß eine ganze Generation, nämlich diejenigen 250 000, die in diesem Semester hinzugekommen sind, in vielen Fächern um ihre wissenschaftliche Ausbildung und Betreuung betrogen werden. Das ist doch die Wahrheit. — Die Wahrheit ist auch, daß das Überlastprogramm mit einem Volumen von 2 Milliarden DM, die von Bund und Ländern gemeinsam zu tragen sind, ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Nicht die Freischaufelung eines derartigen Betrages ist als Erfolg anzusehen. Die Frage ist vielmehr, ob er ausreicht, wirklich den Notwendigkeiten der Hochschulen zu entsprechen. Diese 2 Milliarden DM, verteilt auf sieben Jahre, bedeuten doch nichts anderes, als daß die Zahl der betreubar Studierenden von 850 000 auf 860 000 ansteigt, während wir bis zum Jahr 2000 im Durchschnitt mit mindestens 1,3 Millionen Studenten zu rechnen haben. Das hat enorme Konsequenzen nicht nur für diejenigen, die in dieser Phase studieren, sondern es bedeutet auch eine Umschaufelung von Mitteln in die Überlastbereiche. Das bedeutet eine Versteppung der im Augenblick noch differenzierten Hochschullandschaft und des Fächerangebots. Wir haben am Schluß eine Konzentration auf die gerade marktgängigen Fächer. Das bedeutet einen Verlust an Kultur, an Wissenschaftskultur an unseren Hochschulen. Das ist die sich abzeichnende Tendenz, und davor kann niemand die Augen zumachen.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen wollte: Ich finde es ja schön, Herr Minister, wenn Sie eine inhaltliche Studienreform begrüßen, aber Sie dürfen dann nicht zugleich sagen — wie Sie es vor wenigen Tagen getan haben —, daß eine Novellierung des Hochschulrahmengesetzes in dieser Legislaturperiode für Sie nicht in Frage komme.
— Ich habe eine Pressemitteilung. Ich kann mich nur darauf beziehen. Ich habe nicht persönlich mit Ihnen gesprochen.
Wir brauchen eine Novellierung des Hochschulrahmengesetzes noch in dieser Legislaturperiode; denn der entscheidende Grund für die zum Teil schweren Konflikte an den Universitäten besteht darin, daß
durch das Hochschulrahmengesetz sozusagen die Dialogunfähigkeit institutionalisiert wurde, daß die Studenten durch entsprechende institutionelle Vorkehrungen keine Möglichkeit haben, mit ihren Vorstellungen überhaupt Gehör zu finden, geschweige denn Chancen haben, sich mit ihren Vorstellungen von Studienreform, von Interdisziplinarität, von eigenen Ideen bezüglich einer alternativ anzulegenden Forschung durchzusetzen. Das sind die entscheidenden Punkte.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen muß — ich komme zum Schluß — : Wir brauchen eine Novellierung des Hochschulrahmengesetztes auch deshalb, weil dieser Skandal, daß nur 2,4 % der C4-Stellen, der Professorenstellen, von Frauen besetzt sind, offenbar nur auf gesetzgeberischem Wege beseitigt werden kann.
Hier müssen Regelungen auf gesetzgeberischem Wege geschaffen werden, daß wir einer Quotierung näherkommen; denn die Universität, dieses System von Männerherrschaft, scheint nicht imstande zu sein, auch dort, wo es zahlreiche Bewerbungen gibt, diesem Zustand Abhilfe zu schaffen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Feilcke.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Ich schließe mich in der Wortwahl dem Herrn Wetzel nicht an. Dennoch folge ich einem Gedanken sehr wohl, auch wenn er vielen nicht sehr angenehm ist. Es herrscht schon so etwas wie ein neuer Bildungsnotstand an Universitäten. Sie sind sozusagen Ausbildungsfabriken geworden. Deshalb mußte es irgendwann einmal zum Ausbruch dieses schwelenden Unmuts — an der Uni sehr häufig Unimut genannt — kommen.Andererseits möchte ich Ihnen sehr heftig widersprechen. In Ihrem ersten Beitrag sprachen Sie davon, daß sich die Studenten im Grunde genommen gar nicht um ihre Lehrbedingungen kümmern, sondern um gesellschaftspolitische Themen. Herr Wetzel, das ist ein völliger Irrtum. Die Studenten bewegen sich geistig nicht wie Sie in den 60er Jahren. Die Studenten und die Lehrenden ziehen heute an einem Strang, um die konkreten Unibedingungen zu verändern. Deshalb finden sie übrigens auch viel Verständnis, auch hier im Hause, wie festzustellen ist.Da ich gerade bei Ihnen bin, Herr Wetzel. Sie haben in Ihrem ersten Redebeitrag gesagt, der Wissenschaftssenator in Berlin, Turner, und der Präsident der Uni, Herr Präsident Heckelmann, hätten Ihnen gegenüber sinngemäß gesagt, diese Proteste seien von außen durch kommunistische Gruppen gesteuert.
— Na gut, noch schöner für mich. — Der Senator Turner hat mich telefonisch ermächtigt, zu sagen: Die
Metadaten/Kopzeile:
8662 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
FeilckeAussage von Herrn Wetzel ist glatt gelogen. Er hat zu Ihnen wörtlich gesagt: Schade
— hören Sie bitte zu —, wenn ein begründeter Protest der Studenten von draußen gelegentlich benutzt wird in dem Versuch, Unianliegen für Ziele zu mißbrauchen, die mit Universität nichts zu tun haben. — Was hat das mit Ihrer Aussage hier zu tun?
Weil ich Herrn Turner und Herrn Heckelmann kenne, habe ich zu Ihnen gesagt: Das glaube ich Ihnen nicht. Ihre Denkstruktur ist: Feilcke wirft mir vor, ich habe gelogen. Das ist im Grunde genommen schon wieder die Unwahrheit. Ich sage: Ich glaube nicht. Sie sagen: Lüge. Turner sagt: Begründeter Protest. Sie sagen: Kommunistische Drahtzieher. Wem wollen Sie damit eigentlich helfen? Ihre Argumentation ist billig und schädlich, und zwar deshalb, weil sie unehrlich ist.Ich stimme dem Kollegen Weisskirchen von der SPD ausdrücklich zu: Wir sollten uns des Themas Universität ohne Parteipolemik annehmen. Herr Wetzel bedauert es im Grunde genommen, daß sich die Studenten mit Uni-Themen und nicht mit gesellschaftskritischen Themen befassen.
— Jawohl, die Uni ist ein Teil dieser Gesellschaft. Deswegen nehmen wir alle das ja auch sehr ernst.Deswegen erlaube ich mir auch die folgenden Bemerkungen: Die Hochschulplaner haben sich vollkommen geirrt. Sie müßten ihre Fehler eigentlich auch eingestehen.
— Genau, aber die Politiker sind ja nicht die Planer, die Abgeordneten eh nicht. — Bei den Studentenzahlen und bei der Zuweisung der notwendigen finanziellen Mittel hat man sich gründlich geirrt.Studierende haben an der Universität heute sehr häufig das Gefühl — ich glaube, das ist einer der wesentlichen Gründe für die Unruhe und für den Unmut —, „den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen" . Die zunehmende Spezialisierung der Fachgebiete, die Überfrachtung des Studiums mit prüfungsrelevantem Spezialwissen und die Anonymität des Lehrbetriebes sind die Gründe, die bei vielen Studenten zu einer gewissen Orientierungslosigkeit führen, übrigens gerade in einer Zeit, in der viele mit dem Ziel aus der Schule kommen, sich gerade an der Universität zu orientieren. Ich glaube, daß sie dort klare Zielvorgaben brauchen. Die Anonymität der Massenuniversität kann ihnen hier wenig helfen.Ich sage ausdrücklich, daß die Klagen über Mißstände in weiten Teilen berechtigt sind, mir jedenfalls berechtigt zu sein scheinen. Wichtig ist, daß die Hochschulen überschaubarer gemacht werden und daß die Relation Studenten — Dozenten bzw. Studenten — Professoren verbessert wird. Bei steigenden Studentenzahlen wird das wohl auch heißen, mehr Lehrpersonal einzustellen, d. h. entsprechend mehr Geld zur Verfügung zu stellen.Der häufig angemahnte konstruktive Dialog findet auch statt. Ich finde es sehr gut, daß insbesondere in Berlin, wo umfangreiche Protestaktionen — typischerweise wegen der Größe der Universitäten, natürlich auch wegen der Wachheit der Berliner Studenten; aber natürlich nicht nur wegen der Wachheit der Studenten, sondern auch wegen der Wachheit der Politiker — stattfinden, Gesprächsbereitschaft vorhanden ist. Es ist meiner Ansicht nach sehr ermutigend, daß sich sehr viele der Studierenden tatsächlich auf konkrete Ziele festlegen und mit Politikern über konkrete Forderungen reden, etwa in der Frage des studentischen Wohnraums. Der Senat von Berlin hat hier auch entsprechend schnell handeln können. Übrigens hat Berlin als erstes Bundesland im Rahmen des ZweiMilliarden-Programms im Vorgriff finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, damit kurzfristig Planstellen geschaffen werden können.
Herr Präsident, ich komme zum Ende. — Ich möchte die Studierenden sehr dringend bitten, diesen Dialog tatsächlich zu führen, Angebote zum Dialog auch wahrzunehmen und sich nicht so zu verhalten, wie am Montag geschehen. Auf Einladung des Regierenden Bürgermeisters kamen etwa 100 Studenten, bedrängten ihn und sagten — —
Herr Kollege, die Länge eines Schlußsatzes — —
Entschuldigen Sie, ich möchte den Satz noch zu Ende führen. — Sie sagten: Wir alle wollen jetzt mit Ihnen diskutieren. Darauf hat er geantwortet: Ich bin gern bereit, mit einer Delegation zu diskutieren. Daraufhin sind sie abgezogen, und an der Uni haben sie behauptet, der Senat sei nicht dialogbereit. So kann es nicht gehen. Meine Damen und Herrn, ich bin der Meinung — —
Herr Kollege, es tut mir furchtbar leid. Sie müssen jetzt abschließen.
Der Dialog muß geführt werden, er kann geführt werden, und wir sollten allen die Hand reichen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Als von der Anciennität her wohl Uralt-Bildungs- und Hochschulpolitikerin
habe ich diese Debatte mit großem Interesse angehört, und ich freue mich eigentlich darüber, daß die Übereinstimmung — abgesehen von einigen kleinen Nuancen und auch polemischen Debattenbeiträgen; das macht ja nichts, das würzt ein bißchen die Debatte — im Prinzip doch weit überwiegt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8663
Frau Dr. Hamm-BrücherIch habe mich eigentlich nur deshalb gemeldet, weil ich aus meiner Erfahrung seit 1948 in diesem Bereich heraus und auf Grund der Erfahrungen mit den Bemühungen, die die unterschiedlichsten Regierungen und die Parteien und die Gesellschaft insgesamt in diesem Bereich doch unternommen haben, drei Anmerkungen machen möchte.Ich möchte zuerst die Frage der Zuständigkeit ansprechen. Die Zuständigkeit ist doch sehr vertrackt, meine Damen und Herren, denn der Bund — das ist hier in der Debatte auch wieder nicht ganz klar geworden — hat für den Hochschulbau und für die Forschungsförderung eine Teilzuständigkeit. Wenn es schlecht wird, wird die Verantwortung in der Art eines Schwarzer-Peter-Spiels dem Bundesministerium vor die Tür gekehrt, und wenn es gut ist, sind es natürlich die Länder gewesen. Das hat über Jahrzehnte hinweg so viel Sand in das ganze Getriebe des Hochschulbaus und der Hochschulentwicklung gebracht, daß ich dringend darum bitte, das nicht zu wiederholen. Denn wenn wir das einmal eine Zeit lang gemacht haben — wie Ende der 60er Jahre, als Steine und Tomaten flogen; da gab es nämlich die Große Koalition — , dann sollten wir diese Gemeinsamkeit in dieser Situation, in der es ja eigentlich — gottlob — nur einen sozialen Protest der Studenten und keine Ideologisierung wie Ende der 60er Jahre gibt, bitte nicht wieder aufs Spiel setzen. Die Zuständigkeiten würde ich ändern, wenn ich noch mal ans Grundgesetz herankommen könnte, weil sie einfach zu unklar und im tertiären Bildungsbereich auch nicht sehr wirkungsvoll sind.Zweite Bemerkung: Statistiken. Meine Damen und Herren, als ich 1970 als Staatssekretärin mit der Bildungsplanung dort anfing, haben wir ebenfalls schon falsche Statistiken gehabt, d. h., sie lagen viel zu niedrig. Sie haben auch hinsichtlich der Verweildauer der Studenten Angaben im unteren Bereich gemacht. Ein Semester länger bedeutet eben gleich 100 000 Studienplätze mehr — oder ähnliches. Wir haben das Interesse der Frauen am Hochschulstudium weit unterschätzt. Von daher waren wir schon schlecht in der Planung, bevor die Finanzminister ihr zusätzliches Veto eingelegt haben.
Wir werden — genau wie bei der Zahl der Wehrpflichtigen — von den Statistiken, von der Planung her immer so unzulänglich bedient werden, daß wir auf die Zahlen durchaus immer 10 bis 20 % draufschlagen müssen,
um überhaupt zu einer realistischen Planung zu kommen.Und die dritte Bemerkung ist mir sehr wichtig. Wir haben in den 70er Jahren einen Wettlauf versucht: Bildungsexpansion und Reform. Wir haben diesen Wettlauf verloren, Frau Kollegin. Wir haben unseren Hochschulbereich expandiert — anders als in anderen Ländern — , ohne die nötigen Strukturreformen im tertiären Bildungsbereich gleichzeitig voranzutreiben. Darum möchte ich, Frau Ministerin Brunn, Ihnen völlig recht geben: Wenn wir jetzt kopflos nur mit Überlastquoten hier mal reinstopfen, da mal reinstopfen, dann bringt das nichts. Wir brauchen auch im tertiären Bildungsbereich eine gewisse Gliederung. Wir müssen Studienpläne haben, die nach vier Studienjahren unbedingt einen berufsqualifizierenden Abschluß anbieten.
Dann muß die große Mehrzahl der Studenten auch in einen Beruf gehen können mit der Möglichkeit, sich weiterzuqualifzieren.
Unser ganzes akademisches Berufsleben wird in Zukunft auch ein duales System sein. Das heißt, jeder Akademiker sollte am Anfang möglichst kurz studieren, in den Beruf gehen und wieder zurückkehren können.
— Ach, was heißt denn „Verschulung"?! Ich habe in Amerika in einem verschulten System studiert und habe durch die genauen Angaben sehr viel mehr Raum für Freizeit gehabt als in dem System, in dem Sie immer hoffnungslos hinter Ihren Vorlesungen herlaufen.
Also, das mit der „Verschulung" nehme ich überhaupt niemandem mehr ab.So, jetzt muß ich zum Schluß kommen; eine Minute habe ich noch. Ich meine schon, daß wir in den letzten Jahren Terrain verloren haben; ich gebe Ihnen da recht. Darum seien wir doch froh, wenn das jetzt wieder — wie auch immer — aktiviert wird. Wir schulden das unserer nachwachsenden Generation. Ermuntern wir sie, ihr Studium konzentriert durchzuführen, und helfen wir ihr, daß die Studienbedingungen so sind, daß sie das dann auch schafft!Vielen Dank.
Meine Sorge hier oben ist ja immer, daß die Länge der Schlußsätze umgekehrt proportional zur Ankündigung ist.
— Nur da unten, hier oben nicht mehr.
Frau Professor Wisniewski ist die nächste Rednerin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Schluß nur einige wenige Sätze. Lieber Herr Wetzel, geistige Unruhe ist gut. Selbstverständlich gehört sie zu den Hochschu-
Metadaten/Kopzeile:
8664 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Frau Dr. Wisniewskilen, solange diese existieren. Nur, solche Vorgänge, wie sie jüngst in Göttingen geschehen sind und Herrn Bundesminister Töpfer getroffen haben, sind für das akademische Leben beschämend. Da sind wir, hoffe ich, doch einig.Ich finde, Studenten sollten einfallsreich und fair genug sein, um zu verhindern, daß ihre geistige Unruhe dazu führt, daß ein Chaos in der Lehre entsteht. Dies ist in manchen Universitäten leider zur Zeit der Fall. Wir sollten uns davor hüten, zu glauben, daß geistiger Dialog nur durch strukturelle Umorientierungen innerhalb der Hochschulen möglich ist. Ich glaube, daß sich dieser Weg als falsch erwiesen hat. Wir sollten ihn nicht wieder einschlagen. Wir sollten andere Wege suchen, die diesen Dialog wo nötig, besser ermöglichen.Wir sollten aber auch — und dies ist, glaube ich, der zweite wichtige Gedanke, den wir nicht aus den Augen lassen dürfen — überprüfen, ob denn tatsächlich die Studierfähigkeit gegeben ist.Ich bin Herrn Bundesminister Möllemann sehr dankbar dafür, daß er die Initiative vom Bund her ergriffen hat, durch ein Überlastprogramm erst einmal die nötigsten Schritte zu veranlassen. Dies war und ist etwas, was in der hochschulpolitischen Landschaft überhaupt wichtig ist. Wir müssen die Geltung des Bundes tatsächlich wieder mehr zur Geltung bringen.
Ich bin auch Frau Hamm-Brücher dankbar dafür, daß sie sehr mutig zur strukturellen Neubesinnung — jetzt aber innerhalb der Lehre — aufgerufen hat. Dies ist vor allem im Bereich der Geisteswissenschaften nötig und möglich, die zu meiner Freude hier immer wieder angesprochen worden sind und immer in dem Sinn, daß wir Geisteswissenschaften brauchen. Ich warne nur davor, das Wort der „Entrümpelung" noch einmal in den Mund zu nehmen.
Entrümpeln nützt überhaupt nichts. Wenn Sie es etwa mit dem angelsächsischen Raum vergleichen, sind wir im Bereich der Geisteswissenschaften in den letzten Jahren und Jahrzehnten keinen guten Weg gegangen. Wir müssen, wie gesagt, neu denken. Wir sollten heute die Gelegenheit ergreifen, um vor allem den Politikern in den Ländern zu sagen: Hören Sie auf damit, Stellenstreichungen und Umwidmungen von Stellen zugunsten solcher Fächer vorzunehmen, die wir alle infolge der guten Berufsaussichten für notwendig halten, damit aber Fächer zu benachteiligen, die als Geisteswissenschaften bezeichnet werden und eben wegen der schlechten Berufsaussichten im Mittelpunkt von Einsparüberlegungen stehen.
Dieser Weg führt nicht zum Ziel.
Wir müssen darauf sehen, daß diese Fächer ihres allgemeinbildenden Charakters wegen eine sehr guteGrundlage für vielfältige Berufsmöglichkeiten bieten.
Wir dürfen auch nicht übersehen, daß diese Fächer sozusagen einen Sonderzweck dadurch erfüllen, daß sie zum Parkstudium für so manches Numerus-clausus-Fach dienen. Das ist nicht gewollt, aber das ist de facto ein Zustand, den wir beachten müssen.Meine Damen und Herren, es gibt viele Möglichkeiten zur Beseitigung der bestehenden Mißstände an den Universitäten, an den Hochschulen. Lassen Sie mich einen Satz zum wissenschaftlichen Nachwuchs sagen: Wir dürfen nicht damit fortfahren, den wissenschaftlichen Nachwuchs durch Überlast in der Lehre zu verheizen, wie es teilweise geschieht.
Lassen Sie mich einen allerletzten Satz sagen: Herr Minister Möllemann, wir als Bundespolitiker sollten den Mut haben, in der speziellen Förderung von Frauen voranzuschreiten, die eben als Wissenschaftlerinnen eine wesentlich schlechtere Ausgangsposition haben als ihre männlichen Kollegen. Ich glaube, hier ist tatsächlich die Initiative des Bundes erneut gefragt.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Punkt II der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 11/3833 —
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und Bundeskanzleramtes. Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Gansel auf:
Welche Informationen besitzt die Bundesregierung über die Beteiligung deutscher Staatsangehöriger und Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland an der Entwicklung, Herstellung und Wartung von Raketen und weitreichenden Flugzeugen in Staaten, die über Giftgas verfügen bzw. verfügen wollen, insbesondere im Irak und in Libyen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, zunächst muß ich darauf hinweisen, daß die in Ihrer Frage angesprochenen Tätigkeiten deutscher Staatsbürger im Ausland weder einer Meldepflicht noch einer Genehmigungspflicht unterliegen. Es gibt derzeit nach unserem Außenwirtschaftsrecht keine Möglichkeit, die Tätigkeit deutscher Staatsbürger im Ausland zu beschränken. Sie wissen, daß die Bundesregierung beschlossen hat, hier zu Regelungen zu kommen, die den Interessen der Bundesrepublik Deutschland besser Rechnung tragen.Soweit die Bundesregierung über vertrauliche Hinweise zu einschlägigen Aktivitäten von Einzelperso-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8665
Staatsminister Dr. Stavenhagennen oder Unternehmen verfügt, z. B. Informationen nachrichtendienstlicher Art, können diese naturgemäß in der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt werden. Die Bundesregierung ist jedoch bereit, die zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages zu unterrichten. Wenn der Bundesregierung zu den von Ihnen angesprochenen Sachverhalten Informationen zugänglich werden, die den Verdacht rechtswidrigen Verhaltens von Einzelpersonen nahelegen, können Sie selbstverständlich davon ausgehen, daß diese Informationen im Rahmen der geltenden Gesetze den für die Überprüfung zuständigen Behörden zugeleitet werden.Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Staatsanwaltschaft München I ein Ermittlungsverfahren gegen eine Firma wegen des Verdachts illegaler Lieferungen nach Libyen, die mit Luftbetankung von Kampfflugzeugen zu tun haben können, eingeleitet hat.
Herr Gansel, Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Minister, was haben die Gespräche der Bundesregierung mit der Unternehmensleitung von MBB über diese Problematik ergeben, Gespräche, die von der Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der GRÜNEN im letzten Jahr angekündigt worden sind?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, über die Ergebnisse dieses Gespräches liegen mir keine Erkenntnisse vor. Ich bin aber bereit, Sie nachträglich darüber zu unterrichten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Gansel.
Herr Minister, da ich mit Befriedigung feststelle, daß sich aus Ihrer Antwort ergibt, daß die Bundesregierung die Bedeutung dieser Problematik erkannt hat, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, mit der Geschäftsleitung von MBB, von einem Unternehmen, das im wesentlichen von öffentlichen Aufträgen abhängig ist, zu klären, in welchem Maße frühere oder beurlaubte oder vielleicht auch noch bei MBB oder einem Tochterunternehmen tätige Raketentechniker im Irak im vergangenen Jahr möglicherweise bei der Modernisierung der sowjetischen Scud-Raketen tätig gewesen sind.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann über das, was Bundesminister Schäuble auch heute mittag in der Debatte angekündigt hat, was wir an gesetzlichen Änderungen und Verschärfungen beabsichtigen, hier nicht hinausgehen. Ich kann deswegen auch nicht über beabsichtigte oder nicht beabsichtigte Gespräche mit einzelnen Unternehmen berichten. Ich kann Ihnen nur sagen — das ist heute mittag deutlich geworden — , daß die Bundesregierung hier festgestellt hat, daß der rechtliche Rahmen, den wir heute haben, nicht ausreichend ist und wir deswegen entschlossen sind, diesen rechtlichen Rahmen in dem Sinne zu verbessern, der Ihnen und uns, glaube ich, gemeinsam wichtig ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt und trifft es zu, daß Offiziere der Bundeswehr oder Soldaten der Bundeswehr ohne Geld- und Sachbezüge beurlaubt worden sind, um bei Vorführungen von Waffentechnologien Unternehmen im Ausland zu unterstützen?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, dies ist mir nicht bekannt. Es ist eine Frage, die ich an das Bundesverteidigungsministerium weiterleite.
Zusatzfragen gibt es nicht.
Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum nächsten Geschäftsbereich. Dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Echternach steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Wie vereinbart sich die Aussage von Bundesminister Dr. Schneider vor dem Deutschen Bundestag am 8. Dezember 1988 mit seiner Aussage in der „ZEIT" vom 31. Juli 1987, daß ein jährlicher Bau von 200 000 bis 220 000 Wohnungen zur Bedarfsdeckung ausreicht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Die Antwort lautet: Wie bereits bei der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD „Für eine soziale Wohnungs- und Städtebaupolitik" vom 30. Juni 1988 erläutert, erstellt die Bundesregierung keine amtlichen Prognosen des Neubaubedarfs. Die zitierten Aussagen von Bundesbauminister Schneider beziehen sich auf die mittelfristige Entwicklung der Wohnungsnachfrage. Selbstverständlich hat der unerwartet starke Zustrom von Aussiedlern im vergangenen Jahr zu einer Korrektur der Wohnungsnachfrageprognosen nach oben geführt.
Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, drücken Sie sich in Ihrer Antwort nicht vor dem Widerspruch zwischen den Aussagen von Minister Schneider hier vor dem Bundestag, er habe Jahr und Tag behauptet, man brauche zwischen 250 000 und 300 000 Wohnungen im Jahr, und denen in Zeitungsinterviews im Juli und August 1987, wo er 200 000 Wohnungen für ausreichend gehalten hat?Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, gerade auf diese Frage habe ich eben die Antwort der Bundesregierung gegeben. Ich habe darauf verwiesen, daß im vergangenen Jahr die Zahl der Aussiedler massiv nach oben gegangen ist und wir damit rechnen müssen, daß diese Entwicklung einige Jahre lang anhält. Insofern ist es selbstverständlich, daß die Bundesregierung diese neue Entwicklung in
Metadaten/Kopzeile:
8666 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Parl. Staatssekretär Echternachihre Prognosen aufnimmt. Ich weiß nicht, ob Ihnen diese Entwicklung der Aussiedlerzahlen bereits im Jahre 1987 bekannt gewesen ist.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, verstehe ich richtig, daß es einzig und allein die Aussiedlerzahlen sind, die die Bundesregierung mit dem Bundesminister Schneider dazu gebracht haben, die früher von ihm prognostizierten nur 200 000 notwendigen Wohnungen auf nun 250 000 bis 300 000 hochzukorrigieren?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, das ist ein wesentliches Moment. Aber es ist sicher richtig, daß auch relativ geringe Wohnungsbaufertigstellungszahlen in den letzten Jahren dazu führen, daß wir an die Investoren appellieren, sich verstärkt im Wohnungsbau zu engagieren. Dazu hat sicher auch beigetragen, daß die Bundesländer insgesamt ihr Engagement im öffentlich geförderten Wohnungsbau erheblich zurückgefahren haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Müntefering.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß die wiederholte Feststellung des Ministers im Dezember letzten Jahres, unsere Wohnungsversorgung sei ausgezeichnet, ein Motiv für potentielle Bauherren war, sich nicht zu engagieren, weil der Eindruck entsteht, als ob seitens der Bundesregierung eine größere Sorge über die Situation am Wohnungsmarkt nicht bestehe?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, die Aussage des Ministers, die Sie zitieren, ist unverändert richtig. Genauso richtig ist es, daß wir zur Zeit einen Engpaß am Wohnungsmarkt haben. Aber gerade die Wohnungszählung hat deutlich gemacht, daß in den letzten zwanzig Jahren bei in etwa konstanter Bevölkerungszahl die Zahl der Wohnungen um ein Drittel zugenommen hat. Noch stärker zugenommen hat die Wohnfläche pro Einwohner in der Bundesrepublik. Gleichwohl bleibt es richtig, daß als Kehrseite des massiv angestiegenen Wohlstands und des massiv angestiegenen Realeinkommens unserer Mitbürger — in den letzten drei Jahren um 12 — wir eine verstärkte Nachfrage haben und daß die Nachfrage am Wohnungsmarkt immer erst mit einer gewissen Verzögerung durch eine entsprechende Reaktion auf der Angebotsseite befriedigt werden kann.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die irreführenden und widersprüchlichen Aussagen des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Wohnungsbedarf zu Irritation und damit indirekt zur Entwicklung der gegenwärtigen Mangelsituation beigetragen haben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Echternach, Parl. Staatssekretär: Die Antwort lautet: Nein.
Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wenn die widersprüchlichen Aussagen aus Ihrem Ministerium zum Verhalten der potentiellen Bauherren nicht beigetragen haben: Wodurch werden die denn dann wohl motiviert, wenn Ihre Sprüche und die Ihres Ministers alle ins Blaue gehen?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe eben schon deutlich gemacht, daß der Minister die privaten Investoren zu zusätzlichem Engagement aufgefordert hat. Aber dazu braucht nicht allein der Minister aufzufordern. Die Signale des Marktes gehen in die gleiche Richtung. Die Wohnungskaufkraft hat in den letzten Jahren ebenfalls deutlich zugenommen. Insofern ist es nicht überraschend, daß inzwischen die Zahl der Wohnungsbaugenehmigungen deutlich zugenommen hat. Im letzten Jahr ist sie um eine zweistellige Prozentzahl gestiegen. Insofern können wir davon ausgehen, daß sich die privaten Investoren am Wohnungsmarkt wieder verstärkt engagieren werden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Sperling, bitte schön.
Herr Staatssekretär, muß ich aus der Gewundenheit Ihrer Argumentation entnehmen, daß Ihnen das Ergebnis der Volkszählung nicht bekannt ist, das da lautet: Wir haben 1 Million Wohnungen weniger, als bisher alle Experten einschließlich derer des Bauministeriums angenommen haben, und ebenso, daß die Bevölkerungsentwicklung und die Einkommensentwicklung darauf hindeuten, daß die Wohnungen für Einkommensschwache fehlen und nicht für die Einkommensstarken und darum ein Wohnungsbau für die Einkommensschwachen durch Ihr Ministerium besonders stark betrieben werden müßte?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, Sie werten die Zahlen der Volkszählung anders, als die Bundesregierung sie wertet. Wir sind der Auffassung, daß sie deutlich machen, daß die Wohnungsversorgung insgesamt in der Bundesrepublik heute so gut ist wie niemals zuvor. Ich habe das vorhin schon an Hand von Zahlen untermauert.
Die 1 Million Wohnungen weniger, die wir gegenüber der statistischen Fortschreibung haben, haben Experten niemals als tatsächlich auch vorhanden angesehen. Vielmehr ist den Experten — nicht nur im Bundesbauministerium, sondern auch in den Ländern und in der Wohnungswirtschaft — immer klar gewesen, daß diese Fortschreibung weit überhöht ist gegenüber der Zahl der tatsächlich vorhandenen Wohnungen. Deswegen haben die Verantwortlichen in der Wohnungswirtschaft und Wohnungspolitik nicht ernsthaft mit den Zahlen der fortgeschriebenen Statistik gerechnet.
Eine Zusatzfrage, Herr Müntefering.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich — und fänden Sie das nicht auch hilf-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8667
Münteferingreich —, daß der Bundesbauminister all die vorsichtigen Umschreibungen und falschen Prognosen der vergangenen Jahre einfach beiseite ließe und in diesen Tagen einmal klipp und klar erklärte, daß auch die Wohnungen, die in diesem Jahr gebaut werden, immer noch zu wenige sind im Vergleich zum Bedarf, und stimmen Sie mir zu, daß es sich deshalb lohnt zu bauen?Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, genau das ist Inhalt der Äußerung des Bundesbauministers in der Plenardebatte im Dezember 1988 gewesen, die Ihr Kollege Sperling eben attackiert hat.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Herr Staatssekretär Gallus steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Abgeordneten Eigen auf:
Wie wird sich die Bundesregierung in Brüssel zu der Forderung verschiedener Mitgliedsländer verhalten, die Bezuschussung von Rindern ohne Bestandsobergrenze durchführen zu können, und wie verträgt sich das mit dem neuen Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Eigen, bei den Verhandlungen im EG-Agrarrat über eine Änderung der Rindfleischmarktordnung haben mehrere Mitgliedstaaten gefordert, die Sonderprämie für alle männlichen Schlachtrinder eines Bestandes gewähren zu können. Die EG-Kommission hat deshalb im Dezember 1988 einen Kompromißvorschlag vorgelegt. Danach soll den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden, einheitlich für alle Erzeuger entweder für die ersten 75 Tiere eines Bestandes 40 ECU gleich 94 DM pro Tier zu gewähren oder für alle Tiere eines Bestandes einen entsprechend niedrigeren Betrag.
Für Mitgliedstaaten, welche die Prämie für alle männlichen Schlachtrinder eines Bestandes gewähren wollen, soll der Prämienbetrag pro Tier so gesenkt werden, daß sich die Gesamtausgaben der Gemeinschaft für die Sonderprämie dadurch nicht erhöhen.
Sofern die Vorschläge in dieser Form vom Agrarrat verabschiedet werden, wird die Bundesregierung zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft die Zahl der prämienbegünstigten Tiere auf 75 Tiere pro Bestand beschränken und den vorgesehenen Höchstbetrag gewähren. Sie sieht aber auf Grund der unterschiedlichen Haltung der Mitgliedstaaten keine Möglichkeit, eine solche Regelung einheitlich für die ganze Gemeinschaft durchzusetzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, zeigt nicht dieser Wille einiger Länder wie beispielsweise Großbritannien — wo die Rindermast eine besonders große
Rolle spielt —, daß die Intentionen des deutschen Strukturgesetzes, d. h. des Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft, von den anderen Ländern nicht akzeptiert werden, so daß sich im Bereich der größeren Bestände, die ja gerade für den EG-Wettbewerb von großer Bedeutung sind, eine zusätzliche Wettbewerbsverzerrung ergeben wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe absolut keinen Zusammenhang zwischen dem Strukturgesetz sowie dem, was dort vorgesehen ist, und der Frage, die Sie gestellt haben. Ich meine, es ist eine Binsenweisheit, daß in den übrigen EG-Staaten bis heute keine Obergrenzen in irgendeiner Weise bei der Veredelungsproduktion gelten. Im Strukturgesetz ist auch nicht vorgesehen, eine derartige Obergrenze als Ausschlußgrenze zu handhaben — also so, daß Betriebe nicht mehr Tiere halten können, als dort vorgesehen ist oder vom Parlament noch festgelegt wird —, sondern es dreht sich hier um die Zuwendung dieser 2 % Vorsteuerpauschale, die der Landwirtschaft auf einem anderen Weg als bisher zugeführt werden soll. Da ist die Frage, ob gewisse Grenzen eingeführt werden oder nicht. Das sieht das Gesetz vor, das bereits vom Kabinett verabschiedet ist, aber noch nicht vom Deutschen Bundestag.
Herr Eigen, Sie haben noch eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, dann muß ich Ihnen das noch einmal erklären, weil es Ihnen so schwerfällt, meinen Intentionen zu folgen: Wenn ein Landwirt in der Bundesrepublik Deutschland 200 Rinder mästet und nur für die ersten 75 einen Zuschuß bekommt, während der Kollege in England für alle 200 Rinder, die er mästet, einen Zuschuß bekommt, der in der Summe sehr viel höher ist als der für den Landwirt in Deutschland, ist ja wohl nicht schwer festzustellen, daß das eine Wettbewerbsverzerrung nicht nur sein kann, sondern sein muß.
Diese Intentionen Großbritanniens zeigen, daß man diesen Bereich des Strukturgesetzes nicht mit vollziehen will, und damit wird sozusagen von selbst eine weitere Wettbewerbsverzerrung für die Zukunft präjudiziert. — Ich hatte am Anfang die Frage gestellt, ob der Staatssekretär damit einverstanden ist.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Es wäre mir zum erstenmal in zwölf Jahren passiert, daß ich das nicht verstanden hätte. Ich habe sehr wohl auf Ihre Frage geantwortet. Aber jetzt haben Sie noch zusätzliche Erläuterungen gegeben. Ich kann nur eines sagen: Die Konsequenz, die Sie ziehen, daß am Ende die englischen Rinderzüchter insgesamt mehr bekommen werden als die deutschen, denen wir nur für 75 Rinder zahlen, ist keinesfalls gerechtfertigt.
— Nein, auch das nicht. Denn wenn vom Ministerrat festgestellt wird — —
Mir liegt nur daran, Ihnen ein bißchen mehr Redefreiheit zu gönnen und den Herrn Kollegen Olderog zu bitten, sein Gespräch wo-
Metadaten/Kopzeile:
8668 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Vizepräsident Westphalanders zu führen. Das ist, glaube ich, jetzt nicht der richtige Ort.Bitte schön, Herr Gallus.Gallus, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal stellt die Kommission eindeutig fest, daß für diese Maßnahme auf Grund des Haushaltsstabilisierungskonzepts wie für alle Maßnahmen in der Landwirtschaft nur eine bestimmte Menge Geldes zur Verfügung steht.Jetzt kann man für diese Tiere insgesamt alles freigeben. Dann kann man durch die Zahl der vorhandenen Tiere, die gemeldet werden, dividieren, und dann kommen eben pro Tier am Ende vielleicht anstatt 94 DM wie bei den ersten 75 vorgesehen, nur 45 DM oder 30 DM oder 50 DM — ich weiß nicht wieviel — heraus, so daß es durchaus sein kann, daß letztendlich der Landwirt keinen Pfennig mehr haben wird, im Gegenteil vielleicht sogar weniger haben wird. Wir haben vorgesehen, für 75 Tiere den Höchstbetrag zu zahlen. Dies setzt aber wiederum, wenn es eine differenzierte Maßnahme in der EG werden soll, voraus, daß bestimmte Beträge für die einzelnen Länder vorgesehen sind. Nur dann stimmt natürlich das, was ich Ihnen hier vortrage. Wir hoffen, daß die Verhandlungen vollends in diese Richtung gehen, so daß am Ende der deutsche Landwirt nicht benachteiligt ist, und daß, wenn in England dann alle Tiere berücksichtigt werden, pro Tier dementsprechend weniger gezahlt wird. So laufen im Augenblick die Verhandlungen.
Jetzt rufe ich die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Wird die Bundesregierung in Brüssel rechtzeitig darauf achten, daß die Rindfleischpolitik der Agrarkommission — die Intervention auf 200 000 Tonnen zu beschränken mit einem Ausschreibungsverfahren, aber gleichzeitig die Importe von Jungrindern und Gefrierfleisch erhöhen will — vernünftig geändert wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung wird sich bei den bevorstehenden Verhandlungen in Brüssel über die sogenannte Bilanzregelung 1989 auch im Hinblick auf die zu erwartende Einschränkung der Intervention dafür einsetzen, daß die Einfuhrmengen für Jungrinder und Rindfleisch zur Verarbeitung gegenüber dem Vorjahr nicht erhöht werden.
Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, es ist sehr löblich, daß sich die Bundesregierung dafür einsetzen will. Darf ich Sie fragen, ob sie auch sicherstellen kann, daß auch die bisherige Form der Intervention, und zwar der Hälftenintervention, wenn es irgend geht, für bestimmte Zeiten des Jahres, etwa beim Weideauftrieb und beim Weideabtrieb, erhalten bleibt, auch dann, wenn möglicherweise für das gesamte Jahr eine Hälftenintervention nicht mehr nötig wäre?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir kennen die Problematik des Weideabtriebs in Norddeutschland sehr wohl und haben uns bisher immer für Hälftenintervention eingesetzt. Wir sollten aber
hier auch noch genügend Spielraum im Blick auf die 200 000 Tonnen haben, d. h. wenn diese voll sind, und sollten im Herbst dann dort intervenieren, weil die Tiere von der Weide heruntermüssen. Da all das noch nicht endgültig geklärt ist, sind auch die Verhandlungen über diesen Punkt noch nicht beendet. Aber wir haben ihr Ansinnen durchaus in unsere Überlegungen einbezogen und versuchen, das Höchstmögliche zu erreichen.
Noch eine Zusatzfrage; bitte schön, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, wenn wir alle gemeinsam im EG-Bereich für Kostensenkungen sind, was die Lagerhaltung von Nahrungsmitteln angeht, dann möchte ich jetzt gerne einmal von Ihnen hören, welche Überlegungen möglicherweise von der Kommission bekanntgegeben worden sind, da sie zwar einerseits sagt, sie müsse sparen, andererseits aber zusätzliche Ware importieren will, was bedeutet, daß mehr interveniert werden muß und damit mehr Kosten auf die EG-Bürger zukommen. Welche Überlegungen mögen dahinterstecken?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Nun, Herr Kollege Eigen, Tatsache ist, daß wir im GATT gewisse Verpflichtungen haben, wo durch gewisse Kontingente abgesichert ist, wieviel kommen darf. Auf der anderen Seite haben wir eine Marktordnung, die nicht vorschreibt, daß kein Fleisch von Drittländern kommen darf. Vielmehr haben wir mit den Marktordnungen gewisse Richtpreise. Wenn diese an der Grenze überschritten werden, dann wird abgeschöpft. Aber sonst können sie hereinkommen; da kann jeder kommen.
Ich glaube nicht, daß das System noch härter gemacht werden kann, weil wir in der EG — das muß zugegeben werden — gerade im Rindfleischsektor in den letzten Jahren Probleme gehabt haben. Man darf aber auch nicht übersehen, daß wir in Europa eine Periode der Rindfleischerzeugung hinter uns haben, wo wir zeitweilig der größte Rindfleischexporteur der Welt gewesen sind. Ich darf nur daran erinnern, daß wir 1970 ungefähr 900 000 t Rindfleisch importiert haben, kein Gramm exportiert haben und zum Beispiel 1986 — als Vergleichsjahr — über eine Million Tonnen exportiert und nur noch 400 000 t importiert haben. Das muß man sehen. Wir haben — da müssen wir uns selber an die Brust schlagen — den Weltmarktpreis für Rindfleisch durch unsere großen Ausgleichszahlungen für andere Staaten, die dringend darauf angewiesen sind, zum Teil sehr in Frage gestellt. Deshalb kommt es darauf an, daß wir jetzt vernünftige Lösungen finden. Das zeichnet sich ja auch ab, weil nach den letzten Viehzählungen die Bestände zurückgehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Stahl. Ich bitte aber, keine lange Antwort auszulösen.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß das, was Sie eben gesagt haben, dem Kollegen Eigen, der im Deutschen Bauernverband kein Unbekannter ist, eigentlich hätte bekannt sein müssen?
Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8669
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich kann nicht feststellen, was den Regionalpräsidenten des Deutschen Bauernverbandes alles bekannt ist oder nicht.
Dann ist dieser Geschäftsbereich beendet. Danke schön, Herr Gallus, daß Sie geantwortet haben.
Ich rufe als nächstes den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Kohn an den Bundesminister für Verkehr sind zurückgezogen worden.
Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Stiegler sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner steht uns zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Haack auf:
Wie bewertet die Bundesregierung Meldungen des Kölner Polizeipräsidenten vom 25. August und 29. September 1988, nach denen sich die Fälle einer unsachgemäßen Entsorgung von Altmedikamenten in letzter Zeit häufen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, bei den genannten Meldungen handelt es sich um Presseverlautbarungen des Kölner Polizeipräsidenten, die nicht an die Bundesregierung gerichtet waren und auch nicht in Form von Pressemeldungen dem Bundesumweltministerium zugegangen sind. Es ist Aufgabe der örtlich zuständigen Behörden, gegen gesetzeswidrige Entsorgung von Altmedikamenten aus der Auflösung einer Arztpraxis vorzugehen. Im vorliegenden Fall hat daher auch das 9. Kommissariat der Kölner Kriminalpolizei Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Abfallgesetz eingeleitet.
Zusatzfrage, Herr Haack.
Die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Apotheker sagt, daß das Wegwerfen von Arzneimitteln in den Hausmüll mit den daraus resultierenden Problemen seinen Grund in nicht therapiegerechten Verpackungen, also in Großpackungen, hat, die nach Versterben oder Nichtgebrauch weggeworfen werden müssen. Die Berufsvertretung der deutschen Apotheker ist der Auffassung, daß das als Sondermüll behandelt werden muß. Teilt die Regierung diese Auffassung?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte gerne in meiner Antwort auf Ihre zweite Frage auf diesen Komplex zurückkommen. Generell sehe ich insbesondere ein Defizit an Information, das das Verhalten der Verbraucher in diesem Bereich maßgeblich beeinflussen kann.
Dann rufe ich Ihre zweite Frage, die Frage 10, auf:
Worin sieht die Bundesregierung den Mißbrauch von Altmedikamenten begründet, und welche gesetzlichen Regelungen erachtet sie als notwendig, um dieser Entwicklung vorzubeugen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wegen der Gefahren, die von Altmedikamenten ausgehen können, die in Hausmüllsammelgefäfe geworfen werden und damit dem Zugriff von Kindern oder Drogenabhängigen zugänglich sein können, wird in der Regel wie folgt verfahren:
Die Apotheken nehmen Altmedikamente kostenlos zurück und führen sie in einer Weise der Entsorgung zu, die einen Zugriff für Dritte ausschließt. Die Einzelheiten über die Entsorgung regelt die jeweils einschlägige Satzung der entsorgungspflichtigen Körperschaften. Außerdem nehmen die Körperschaften im Rahmen ihrer besonderen Sammlungen von gefährlichen Stoffen aus Haushaltungen Altmedikamente kostenlos an.
Für die Entsorgung oder Auflösung von Arztpraxen sind nach dem Satzungsrecht der entsorgungspflichtigen Körperschaften die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, daß die Übergabe an den Entsorgungspflichtigen ohne Zugriffsmöglichkeit für Dritte erfolgen kann. Den Arzt oder sein Hilfspersonal treffen hierbei besondere Sorgfaltspflichten für einen sicheren Übergang der Abfälle. Die Regelungen schließen nicht aus, daß im Einzelfall Altmedikamente in Hausmüllgefäße gelangen oder — wie hier im vorliegenden Fall — auf der Straße abgestellt werden. Auch durch eine gesetzliche Annahmeverpflichtung der Apotheken und des Pharmaziehandels oder eine entsprechende Rückgabepflicht für den einzelnen Bürger dürfte die geordnete Entsorgung von Altmedikamenten nicht wesentlich verbessert werden. Soweit der einzelne Bürger angesprochen ist, wird die Aufklärung über die von Altmedikamenten ausgehenden Gefahren am wirksamsten durch die örtlichen zuständigen Stellen erfolgen können. Im übrigen sollten die Ärzte an ihre Sorgfaltspflicht erinnert werden.
Die Bundesregierung wird mit den an der Entsorgung von Altmedikamenten beteiligten Kreisen, also Ärzten und Apothekenkammern, pharmazeutischer Industrie sowie den entsorgungspflichtigen Körperschaften, Kontakt aufnehmen und Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation, insbesondere auf freiwilliger Basis, erörtern. Ihre Anfrage und die Vorkommnisse in Köln sind ein zusätzlicher Ansporn, dieser Frage nachzugehen und insbesondere auch die in Ihrer Zusatzfrage gestellte Thematik zu erörtern, inwieweit durch das Verbringen von Medikamenten etwa in den Hausmüll besondere Probleme entstehen können.
Eine Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, die Konsequenzen in der Form zu ziehen, wie es die Landesarbeitsgemeinschaft Abfall der Bundesländer fordert, nämlich Arzneimittel als Sondermüll zu behandeln, der in Sonderentsorgungsanlagen, z. B. Müllverbrennungsanlagen, zu entsorgen ist?
Metadaten/Kopzeile:
8670 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auch das muß sehr gründlich überprüft werden, weil Arzneimittel bestimmungsgemäß in den menschlichen Körper gelangen und auf diese Art und Weise irgendwie wieder im Abfall landen können. Ich meine, daß wir mit allen Beteiligten erneut Gespräche aufnehmen sollten, um uns gegenseitig über die tatsächlichen Gegebenheiten zu informieren. Wir möchten in erster Linie freiwillige Vereinbarungen schließen, ehe etwa von den Möglichkeiten des Abfallgesetzes Gebrauch gemacht wird, die ich nicht ausschließen will, auch wenn im Augenblick Anhaltspunkte für eine solche Notwendigkeit nicht vorliegen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es sich bei der Entsorgung von Arzneimitteln, die weggeworfen werden, die auf dem Müll oder irgendwo landen, um eine Größenordnung zwischen 1, 2 und 3 Milliarden DM handelt? Sind der Bundesregierung diese Zahlen bekannt, und sieht sie sich imstande, diese Zahlen zu verifizieren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich bin gern bereit, zu dieser Zahl Stellung zu nehmen. Sie ist mir persönlich nicht bekannt, aber ich bin sicher, daß es Schätzungen über solche Arzneimittel tatsächlich gibt. Ich werde dazu gern schriftlich Stellung nehmen.
Die Fragen 11 und 12 der Abgeordneten Frau Adler sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches. Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Herr Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Ganz auf:
Teilt die Bundesregierung die Befürchtung vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Postgiroamtes Saarbrücken, daß in absehbarer Zeit wegen Änderungen im Buchungsverfahren ca. 300 bis 500 Dienstposten in Wegfall kommen?
Bitte schön, Herr Minister.
Herr Präsident, gestatten Sie bitte, daß ich die beiden Fragen des Herrn Kollegen wegen des Sachinhalts zusammenfassend beantworte.
Dann muß ich den Kollegen fragen, ob er damit einverstanden ist.
Ganz (CDU/CSU): Ich bin einverstanden.
Dann rufe ich auch die Frage 14 des Abgeordneten Ganz auf:
Wenn ja, in welchem Umfang und wo sollen diese Arbeitsplätze kompensiert werden?
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Durch die Nutzung von Btx an den Postschaltern für die Postbarscheck-Deckungsanfrage werden beim Postgiroamt Saarbrücken bisherige zentrale Aufgaben im Zusammenhang mit Postbarschecks voraussichtlich 1991 entfallen. Die Maßnahme mußte eingeleitet werden, um die Verluste durch Betrug zu minimieren und künftig eine freizügige Auszahlung der Postbarschecks an Postschaltern zu ermöglichen. Bisherige Untersuchungen lassen erkennen, daß damit beim Postgiroamt Saarbrücken ca. 160 Arbeitsplätze entfallen. Ferner vermindert sich durch die Umstellung auf die im Kreditgewerbe allgemein eingeführten einteiligen Zahlungsverkehrsvordrucke bei allen Postgiroämtern Zug um Zug das Volumen an manuellen Tätigkeiten. Realistisch erscheint deshalb insgesamt ein Wegfall von ca. 200 Arbeitsplätzen, davon ca. 160 voraussichtlich im Jahre 1991.
Die Deutsche Bundespost ist grundsätzlich bestrebt, die beim Postgiroamt Saarbrücken durch betrieblich zwingend notwendige Umstellungsmaßnahmen entfallenden Arbeitsplätze durch neue Arbeitsplätze auszugleichen. Diese Bemühungen führten z. B. zur Neueinrichtung des Zentralamtes für Zulassungen in Saarbrücken, das heute 142 Kräfte beschäftigt und in der Zukunft auf Grund des immer stärkeren Zuflusses neuer Geräte sicherlich an Umfang zunehmen wird.
Auch in Zukunft wird versucht werden, wegfallende Arbeitsplätze so weit wie möglich durch neue Arbeitsplätze in dieser Region zu ersetzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Ganz.
Ganz (CDU/CSU): Herr Minister, sind in der von Ihnen genannten Zahl 200 auch die natürlichen Abgänge, die dort von Jahr zu Jahr zu verzeichnen sind, mit berücksichtigt?
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Nein, das sind die Abgänge, die konkret durch diese Maßnahme bedingt sind.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
— Dann rufe ich Frage 15 des Abgeordneten Catenhusen auf:
Hatte die Bundesregierung vor der Beförderung der Briefwurfsendungen der DVU-Liste D, die in dieser Woche in einer Millionenauflage Sendungen mit dem Vermerk „Erst Deutschland ... dann Europa" und der Abbildung des Brandenburger Tores auf der Aufschriftenseite von der Deutschen Bundespost befördert wurden, Kenntnis, und warum sieht die Bundesregierung hierin keinen Verstoß gegen den § 13 Abs. 1 Nr. 3 der Postordnung?
Bitte schön, Herr Minister.
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Wenn Sie einverstanden sind, darf ich auch hier beide Fragen gemeinsam beantworten.
Der Abgeordnete ist einverstanden. Dann rufe ich zusätzlich die Frage 16 des Abgeordneten Catenhusen auf:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8671
Vizepräsident WestphalWar der Bundesregierung der Inhalt dieser Postwurfsendung bekannt, in der u. a. Asylbewerber pauschal als Scheinasylanten denunziert werden und mit der offensichtlich ausländerfeindliche Ressentiments befördert werden, und ist die Bundesregierung in solchen oder ähnlichen Fällen bereit, diese Sendungen von der Beförderung durch die Post auszuschließen?Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Der Bundesregierung ist die angesprochene Wurfsendung bekannt. Allerdings ist § 13 Abs. 1 Nr. 3 der Postordnung, d. h. der Ausschluß politischer Vermerke auf der Aufschriftseite, auf Wurfsendungen, da sie unbeanschriftet sind, nicht anwendbar. § 13 Abs. 1 der Postordnung vom 16. Mai 1963, BGBl. I S. 341, sieht einen Ausschluß von aufschriftlosen Postsendungen nur vor, wenn deren Inhalt oder Beförderung gegen strafgesetzliche Bestimmungen verstößt oder wenn die Außenseite oder der einsehbare Inhalt erkennbar gegen das öffentliche Wohl oder die Sittlichkeit verstößt, insbesondere wenn sie wegen des offenen Versandes anstößig sind. Im übrigen unterliegt die Verteilung von Wurfsendungen durch die Deutsche Bundespost dem Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung. Im vorliegenden Falle konnten keine Tatbestände festgestellt werden, die einen Ausschlußgrund nach der Gesetzeslage dargestellt hätten.
Eine Zusatzfrage, Herr Catenhusen.
Herr Minister, können Sie vielleicht einmal dem Plenum und der Öffentlichkeit erklären, warum von seiten der Post unterschiedliche Regelungen für Postwurfsensungen und für Briefsendungen gelten und woran es liegt, daß sich die Post auf unterschiedliche Weise vor dem Eindruck zu schützen versucht, daß sie mit dem Inhalt oder mit der Aufmachung solcher Pamphlete identifiziert werden könnte?
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Bei den Wurfsendungen gelten andere Maßstäbe, die damit zusammenhängen, daß hier keine Freimachung mit Briefmarken, kein Abstempeln durch die Post o. ä. vorkommt. Stärker einschränkende Maßnahmen gibt es im Bereich der beanschrifteten Briefsendungen, also dort, wo Freistempelmaschinen eingesetzt sind, weil zum Beispiel in deren Einsatzstücken von extremen Gruppen Aufrufe formuliert werden könnten, die auf der Anschriftenseite keinen Platz haben sollten. Bei Wurfsendungen gibt es insoweit keine Anschriftenseite. Das, was dort vom Absender angebracht ist, unterliegt deswegen einer anderen rechtlichen Beurteilung.
Ich möchte aber einräumen, daß die Sendung, um die es hier geht, einem „Brief" so täuschend ähnlich ist, daß ich veranlaßt habe, zu untersuchen, ob wir nicht eine Änderung der Bestimmungen für solche Wurfsendungen vornehmen sollten, die als „Brief" gestaltet sind und damit bei der Bevölkerung oder bei demjenigen, der sie bekommt, einen anderen Eindruck als den einer Wurfsendung erwecken. Die Frage ist, ob wir durch eine noch präzisere Fassung eine solche Vortäuschung eines Briefes vermeiden können, so daß klargestellt ist, daß es sich nur um eine „Wurfsendung" „An alle Haushalte" handelt. Ich sage dies, zumal auch durch die Aufschrift „Persönliche Zustellung durch Ihren Postzusteller" , die hier
verwendet worden ist, noch eine völlig falsche Identifizierung herbeigeführt wird, die ich — auch im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Bundespost — nur bedauern kann.
Daß wir uns auch als Bundesregierung mit dem Inhalt dieser Sendung nicht identifizieren können, ist ja wohl völlig klar. Die Deutsche Bundespost ist nun aber einmal ein Transportunternehmen, ein Dienstleistungsunternehmen. Wir müssen sorgsam darauf achten, daß wir das Recht auf freie Meinungsäußerung durch unsere Bedingungen nicht in irgendeiner Weise einschränken, weil dieses zu Recht, auch vom Grundgesetz und vom Verfassungsgericht her, als eines der höchsten Güter gilt und Zensurmöglichkeiten für das Serviceunternehmen Deutsche Bundespost das letzte sein sollte, was wir einführen wollen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Catenhusen.
Ist Ihr Bundesministerium also bereit, die Regelung nicht nur in der Weise zu erweitern, daß Postwurfsendungen und Postwurfsendungen, die briefähnlich oder briefgleich sind, gleichbehandelt werden, sondern auch zu überlegen, einheitliche Regelungen für Postwurfsendungen und für Briefe insgesamt zu erstellen?
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Das ist im Moment nicht vorgesehen. Ich habe veranlaßt, daß über die Wurfsendungen und über die Möglichkeiten, diese Wurfsendungen praktisch briefähnlich zu machen, eine Untersuchung stattfindet, um künftig briefähnliche Wurfsendungen zu verhindern.
Weitere Zusatzfrage, Herr Catenhusen.
Stimmen Sie mir zu, Herr Minister, daß durch diesen Vorgang dem Ansehen der Deutschen Bundespost Schaden und dem Gewissen vieler Beschäftigter der Bundespost einige Schmerzen zugefügt worden sind?Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Ich habe schon festgestellt, daß wir uns mit den Inhalten unter gar keinen Umständen in irgendeiner Weise identifizieren. Das gilt für die Bundesregierung genauso wie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Bundespost.
Aber ich glaube, wir lägen wohl völlig falsch, wenn wir die Auseinandersetzung mit dem „Transport-Service" führen würden statt mit den politischen Urhebern. Es ist nicht die Aufgabe derjenigen, die ihrer Servicepflicht nachkommen, sich in irgendeiner Weise mit den Inhalten der Sendungen zu identifizieren. Ich bedaure diese Diskussion deswegen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Schon in der griechischen Demokratie wurde die Zivilisationsstufe eingeführt, daß man nicht den Boten für eine schlechte Botschaft köpft.
Metadaten/Kopzeile:
8672 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Letzte Zusatzfrage, Herr Catenhusen.
Herr Minister, sind Sie angesichts dieses Vorganges im Zusammenhang mit der DVU-Liste von Herrn Frey bereit, die Maßstäbe in Ihrem Hause überprüfen zu lassen, die Sie bewogen haben, auf der einen Seite eine solche Versendung zuzulassen und auf der anderen Seite Postwurfsendungen mit politisch eher linkslastigen — nach Ihrem Verständnis — Aufschriften von einer solchen Versendung auszunehmen, wie das in der Vergangenheit im Einzelfall ja wohl passiert ist.
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Solche Postwurfsendungen sind mir nicht bekannt.
Wir haben jetzt keine Diskussion, sondern eine Fragestunde. Das kann ja noch kommen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Briefs.
Herr Minister, sieht die Bundesregierung in der Aufmachung der Wurfsendungen — „Persönliche Zustellung durch Ihren Postzusteller" — eine Beleidigung der Post und der bei der Post Beschäftigten, die so dem Anschein ausgeliefert werden, diese Wurfsendungen zu unterstützen? Ist der Bundesregierung bekannt, daß es wegen der Weigerung, diese zu verteilen, zu Strafversetzungen einzelner Kolleginnen und Kollegen gekommen ist?
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Letzteres ist mir nicht bekannt. Mir ist aber bekannt, daß sich viele darüber empört haben, diese Wurfsendung austeilen zu müssen und dies auch durch Unterschriftenlisten geäußert haben. Hier muß ich jedoch darauf Wert legen, zu sagen, daß es — wie ich schon vorhin betont habe — keine Möglichkeit für die Deutsche Bundespost gibt, zensurmäßig zu unterscheiden, welche Sendung ausgeteilt wird und welche Sendung nicht ausgeteilt wird. Das wäre eine völlige Überforderung. Wir können uns daher nur an das sehr, sehr klare Rechtsprinzip halten, daß das Grundrecht auf Meinungsfreiheit immer dann den Vorrang hat, wenn es sich nicht um Vorgänge handelt, die strafgesetzlich relevant sind. Zum Beispiel bei Aufforderungen, die in entsprechender Weise zu qualifizieren sind, ist natürlich eine andere Entscheidung richtig.
Die Frage bezüglich der Vermerke auf Briefen, die hier vorliegen, ist auch im internationalen Rahmen zu sehen. Es gibt international ein Interesse, daß politische Aufschriften zu unterlassen sind. Lediglich im Inland zulässige Wurfsendungen sind hier anders zu behandeln als Briefe.
Jetzt kommt Herr Börnsen an die Reihe. Bitte schön.
Herr Minister, ich möchte noch einmal auf die Frage zurückkommen, ob eine Unterscheidung zwischen Briefsendungen und Postwurfsendungen gerechtfertigt ist. Es wurde ja auch so manches Mal schon der Vorschlag gemacht, das Verbot politischer Aufschriften bei Briefsendungen zu beseitigen. Ihr Ministerium hat 1985 die Begründung, warum dieses Verbot gerechtfertigt sei, wie folgt formuliert: Ohne eine solche Vorschrift — in § 13 Abs. 1 Nr. 3 der Postordnung — bestünde keine Möglichkeit, zu verhindern, daß kontroverse oder auch extreme politische Aussagen auf der Aufschriftenseite von Postsendungen erscheinen würden. Das könnte beim Empfänger oder bei ausländischen Postverwaltungen den Eindruck erwecken, die Deutsche Bundespost identifiziere sich mit dieser Aussage. Mißhelligkeiten im Verhältnis zu anderen Staaten könnten die Folge sein. — Gilt so etwas nicht genauso für Postwurfsendungen, unabhängig davon, ob sie briefähnlich aufgemacht worden sind?
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Nein, das gilt nicht, weil bei der beanschrifteten Briefsendung der Akt der Abstempelung einer Gebührenmarke erkennbar ein Handeln der Deutschen Bundespost kennzeichnet, das hier zur Beförderung gehört. Die Gefahr einer Identifikation mit dem was z. B. bei einem entsprechenden Freistemplermaschinenabdruck vom Auftraggeber hinzukommt, wäre zu groß. Insofern wäre die Erlaubnis solcher Aufschriften — vorhin wurde gesagt, daß andere verweigert worden sind — der Forderung nach Verminderung der Identifikationsgefahr geradezu gegenläufig. Wir wollen die Tagesstempel, Briefmarken und ähnliches mehr unter keinen Umständen mit politischen Slogans des Absenders verbunden wissen. Bei der Wurfsendung ist dies, weil es postalische Vermerke usw. auf einer Aufschriftseite dabei nicht gibt, anders zu beurteilen.
Herr Börnsen zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Minister, glauben Sie, daß die von Ihnen eben geübte etwas formalrechtliche Argumentation dem Bürger einleuchtet, der sich über diese abscheuliche Werbesendung dieser „Deutschen Volksverhetzungsunion" fürchterlich geärgert hat? Glauben Sie, daß der das verstehen kann, was Sie eben sagten?Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Ich glaube, wir müssen Verständnis dafür haben, daß hier Empörung angebracht ist. Aber wir müssen zum zweiten sagen, daß ein Dienstleistungsunternehmen in einer entsprechenden Weise seinen Dienst zu vollziehen hat. Ich könnte mir auch vorstellen, daß ein Drucker, wenn er seiner Aufgabe nachkommt und in entsprechender Weise Texte drucken muß, die ihm vollkommen zuwider sind, dennoch unter Umständen nicht in der Lage ist, deswegen seinen Dienst zu verweigern. Wir müssen hier unterscheiden zwischen der entsprechenden Servicetätigkeit, für die man eingestellt und bezahlt ist, und der eigenen politischen Meinung. Die eigene politische Meinung, glaube ich, ist auch der Kern der Auseinandersetzung.Ich muß sagen, ich empfinde diese Debatte zumindest in diesem Kreis, hier im Deutschen Bundestag, wo man über die gesetzlichen Grundlagen sehr genau Bescheid weiß, als, sagen wir einmal: nicht sehr glücklich, weil wir gar nicht auf die Kernfrage hinleiten, wohin diese Auseinandersetzung gehört, nämlich auf das politische Feld. Sie gehört nicht in das Feld des
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8673
Bundesminister Dr. Schwarz-SchillingZustellers oder der Deutschen Bundespost, sondernad 1 zu denjenigen, die solche Texte versenden, undad 2 zu denjenigen, die diese Texte bekommen und ihrem eigenen politischen Meinungsbild in entsprechender Weise zum Ausdruck bringen oder die Sendung sofort vernichten sollten. Das obliegt jedem einzelnen selber. Das ist nun einmal der Preis, den wir in einer freien Gesellschaft, in einer Demokratie auch bezahlen. Ich glaube, daß der umgekehrte Weg, die Zensur hier einzuführen, das Verhängnisvollste wäre, was wir überhaupt tun könnten.
Jetzt hat Frau Dr. HammBrücher eine Zusatzfrage.
Herr Minister, haben Sie mit Ihrer letzten Bemerkung einen vorhin schon angedeuteten Lernprozeß jetzt nicht wieder rückgängig gemacht? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie vorhin gesagt, daß die mögliche Täuschung oder die naheliegende Täuschung und Irreführung durch diese Aufschrift geprüft werden soll.
— Er will aber doch wenigstens prüfen, ob diese Täuschungsmöglichkeit bei einer Postwurfsendung in Zukunft nicht geändert wird.
Darf ich Sie fragen, ob Sie in diese Prüfung vielleicht auch die Frage einbeziehen würden, die Sie heute mittag in der Regierungsbefragung auch schon einmal — meiner Ansicht nach unbefriedigend — beantwortet haben: Warum wird bei einem Freimachungsstempel nicht der schöne Satz „Mann und Frau sind gleichberechtigt" zugelassen? Das ist doch kein politischer Slogan, das ist ein Satz aus unserem Grundgesetz. Ich sehe überhaupt nicht ein — ich finde die Idee sogar sehr pfiffig — , warum das nicht auf einen Freimachungsstempel, ohne daß damit Volksverhetzung betrieben wird, zur Erinnerung des Empfängers aufgedruckt werden kann. Würden Sie bitte auch diese Aussage noch in Ihrer Prüfung mit einbeziehen?
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Frau Kollegin Hamm-Brücher, ich möchte zunächst einmal sagen: Ich habe mit meinen Äußerungen nichts wiederaufgehoben.
Die Prüfung, die sich auf die Täuschung bezieht, hat nichts mit der Frage zu tun, inwieweit eine Aufschrift politisch gewertet oder eben nicht politisch gewertet werden muß. Es geht hier vielmehr um den Fall, daß eine Wurfsendung äußerlich einen so ähnlichen Eindruck macht — wie ich es hier zeige — , als handle es sich um einen Brief, ohne im konkreten Fall die Bestimmungen zu verletzen. Die Frage ist, ob daraufhin ein Schluß gezogen werden kann, die Bestimmungen so zu fassen, daß eine so aufgemachte Wurfsendung, auf der hinten „Wurfsendung" steht und die vorne ein täuschend ähnliches Erscheinungsbild eines Briefes hat, in Zukunft nicht mehr möglich ist. Darauf bezieht sich der Prüfauftrag.
In dem anderen Bereich, den Sie eben angesprochen haben, ist die Praxis der Post oft geprüft und
durch gerichtliche Urteile zumeist bestätigt worden. Ich kann natürlich auch sehr gerne einmal die Urteile zusammenstellen lassen. Hier hat sich eine entsprechende Rechtsprechung herausgebildet, und diese können wir als solche nicht aufheben. Sie wäre auch, soweit sie auf grundgesetzlicher Grundlage beruht, von uns gar nicht aufhebbar.
Dann rufe ich Frau Traupe zu einer Zusatzfrage auf.
Herr Bundesminister, würden Sie uns Anwesenden einmal erklären, wie Sie es verantworten können, daß Sie zwar der SPD-Bundestagsfraktion den Stempel „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" , den sie natürlich bezahlt hätte, verwehrt haben, aber umgekehrt Tausenden von Beamten und Mitarbeitern der Deutschen Bundespost zumuten, solche Wurfsendungen zu verteilen?
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Ich habe mich gerade bemüht, das einmal auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite sind die Stempel politischen Inhalts auf der Aufschriftenseite beanschrifteter Sendungen generell nicht statthaft. Zum zweiten: Bei den Wurfsendungen besteht eine solche Bestimmung nicht, weil es sich dort um Sendungen handelt, die keine Aufschriftseite haben, sondern nur den Vermerk „An alle Haushalte" tragen. Aus dem Grunde ist es unterschiedlich zu handhaben.
Bitte schön, Frau Traupe.
Herr Miniser, Sie haben die Frage nicht beantwortet, wie es denn umgekehrt Tausenden von Mitarbeitern der Deutschen Bundespost — keines Privatunternehmens, sondern der Deutschen Bundespost — , zuzumuten ist, solche Wurfsendungen zu verteilen?
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Ich habe sehr wohl geantwortet, daß wir auf Inhalte von Wurfsendungen keinerlei Einfluß haben und daß die Dienstleistungen der Deutschen Bundespost die des Transportes ist und keine Zensur inhaltlicher Äußerungen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.
Herr Schwarz-Schilling, kann ich aus Ihren Äußerungen entnehmen, daß, wenn ich eine Postwurfsendung mit der Behauptung „Herr Schwarz-Schilling als Bundespostminister ist der Totengräber der Deutschen Bundespost" verschicken würde, Sie diese auch verteilen würden?
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Ich muß Ihnen sagen: Es gab ähnliche Slogan, die durchaus verteilt worden sind.
— Durch die Post.
Herr Kretkowski, Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
8674 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Herr Minister, da Sie selbst die Tatsache bedauern, daß solche Postwurfsendungen durch die Post verteilt werden müssen, frage ich Sie: Sind Sie bereit zu prüfen, ob die gesetzlichen Grundlagen so verändert werden können, daß solche Sendungen in Zukunft nicht mehr verteilt werden müssen, zumal ja Postwurfsendungen nicht zum unmittelbaren Monopolbereich der Deutschen Bundespost gehören — es gibt genügend andere Betriebe, die solche Sendungen verteilen könnten — , so daß die Deutsche Bundespost — und erst recht nicht der Bundespostminister — dann nicht in den Geruch käme, sich möglicherweise mit solchen Inhalten, wie sie in diesem Brief leider niedergelegt sind, zu identifizieren?
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Herr Kollege, ich möchte hier doch eine Klarstellung vornehmen. Was uns aufregt, ist der Inhalt und die Ausländerfeindlichkeit. Das hat mit der Frage, die hier aufgeworfen worden ist, überhaupt nichts zu tun. Sie hätten diese Postwurfsendung also auch ohne den Stempel „Erst Deutschland, dann Europa" als Postwurfsendung deklarieren können, und Sie hätten überhaupt keine Möglichkeit, damit irgendeine Änderung des Inhalts herbeizuführen oder eine Postsendung auch anderer Art von der Beförderung durch die Post auszuschließen, es sei denn, es handelte sich z. B. um Aufforderungen zu strafbarem Handeln. Auch das ist im übrigen dann außerordentlich schwierig auszumachen, wenn eine solche Postsendung verschlossen ist. Wir haben ja dann keine Möglichkeit, eine Prüfung dieser Art vorzunehmen.
Insofern warne ich davor zu glauben, daß wir in der Lage sind, so etwas zu verhindern. Was wir verhindern können ist die fälschliche Aufmachung einer Postwurfsendung als Brief. Darüber ist eine entsprechende Untersuchung eingeleitet worden.
Herr Sellin zu einer Zusatzfrage.
Halten Sie es für adäquat, politische Kontrolle im Rahmen von Freistemplern auszuüben, die auf Briefkuverts auftauchen, wenn sich Firmen, politische Parteien, politische Verbände einen Ausdruck auf dem Brief verleihen?
Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister: Wir haben, um hier möglichst wenig Zensur, wie Sie es genannt haben, auszuüben, gerade Wert darauf gelegt, daß wir politische Aussagen in einem solchen Freistempler ganz generell nicht zulassen, um damit jeglicher Art von Bewertung zu entgehen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs angelangt. Ich danke dem Minister für die Beantwortung der Fragen.
Ich brauche nicht den Geschäftsbereich des Bundesministers des Inneren aufzurufen, weil die Fragen 17 und 18 des Herrn Abgeordneten Baum und die Fragen 19 und 20 des Herrn Abgeordneten Fuchtel auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Häfele steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 21 des Abgeordneten Stahl auf:
Kann die Erstattung der Mehrwertsteuer bei Wareneinkäufen durch ausländische Besucher in der Bundesrepublik Deutschland in dem Sinne vereinheitlicht und rechtlich fixiert werden, daß die Erstattung des Mehrwertsteuerbetrages nach Prüfung durch den Zoll sofort in den jeweiligen Geschäften, vor allem auch bei Ladenketten, unmittelbar erfolgt und damit die Laufereien und Eingaben an die Zentralen sowie Wartezeiten und Ärger vermieden werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Das Umsatzsteuergesetz befreit Ausfuhrlieferungen an außengebietliche Abnehmer von der Umsatzsteuer. Hierfür sind bestimmte Voraussetzungen erforderlich. Voraussetzung ist vor allem der Nachweis der Ausfuhr.
Sind die Voraussetzungen erfüllt, wird die Umsatzsteuerbefreiung jedoch nicht dem ausländischen Käufer, sondern dem liefernden Unternehmer gewährt. Die durch die Umsatzsteuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen entstehende Steuerentlastung kann der Unternehmer im Wege eines entsprechenden Preisnachlasses schon beim Verkauf, freilich auf sein eigenes Risiko, an seine Kunden weitergeben. Sollte in diesem Fall der Unternehmer den Ausfuhrnachweis nachträglich nicht erhalten, müßte er auf den herabgesetzten Preis die Umsatzsteuer entrichten.
Um dieses Risiko zu vermeiden, wird der Unternehmer in der Regel in den Verkaufspreis die Umsatzsteuer zunächst einbeziehen und dem Käufer erst dann erstatten, wenn ihm die erforderlichen Nachweise für die Steuerbefreiung vorliegen.
Dieses Verfahren der Wahlmöglichkeit für den Unternehmer hat sich bewährt und sollte beibehalten werden, um die Erfassung der geschuldeten Umsatzsteuer sicherzustellen.
Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, das, was Sie sagen, ist zwar richtig. Aber bei meiner Frage geht's doch darum, den Bürokratismus, der ausländischen Gästen hier abverlangt wird, abzubauen. Und andere Länder machen das doch viel einfacher als die Bundesrepublik Deutschland. Deshalb ist mir nicht verständlich, was Sie hier sagen. Dann sollten Sie doch bitte vor allen Dingen auch die großen Handelsketten einmal anweisen, daß in den jeweiligen Geschäften, in denen der Kauf getätigt wird, nach Überprüfung durch den Zoll in jedem Falle dort erstattet wird, so daß man nicht erst Anträge an die Zentrale stellen muß. Dies ist ein riesiger bürokratischer Aufwand und kann zur Folge haben, daß die Gäste, die aus dem Ausland kommen und hier kaufen, dann unter Umständen sogar auf den Steueranteil verzichten. Dies kann doch wohl nicht sehr praktikabel sein, was Sie darstellen.Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: So wird's praktiziert, übrigens auch in anderen Ländern. Damit berühre ich aber schon Ihre zweite Frage. Es trifft nicht
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8675
Parl. Staatssekretär Dr. Häfelezu, was Sie hier in der Frage unterstellen: daß andere Länder das anders machen. Das trifft nicht zu.
Also, wenn Herr Stahl es kürzer macht, hat er noch eine Zusatzfrage.
Ich würde sagen, daß der Herr Staatssekretär die zweite Frage, wenn's geht, gleich beantwortet. Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis hätte ich dann noch die Möglichkeit, meine Frage dort unterzubringen.
Einverstanden? — Ich rufe dann die Frage 22 des Abgeordneten Stahl auf:
Warum erfolgt die Erstattung der Mehrwertsteuer nicht direkt durch das zuständige Zollamt, vergleichbar der Praxis in den nordischen Ländern, und würde diese Form der Erstattung nicht eine erhebliche Entbürokratisierung und Vereinfachung des derzeit praktizierten Verfahrens bedeuten?
Bitte schön, Herr Häfele.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Dann darf ich Ihre zweite Frage so beantworten: Die geltenden deutschen Rechtsvorschriften lassen eine unmittelbare Vergütung der Umsatzsteuer an ausländische Käufer nicht zu, die keine Unternehmer sind. Den Zollämtern ist es daher nicht möglich, einem ausländischen Käufer die von ihm im Rahmen des Kaufpreises an den liefernden Unternehmer gezahlte Umsatzsteuer zu erstatten.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen wird auch in den nordischen Ländern — von denen Sie in der Frage gesprochen haben — die Umsatzsteuer nicht von den Zollämtern erstattet. Die Erstattung erfolgt durch private Unternehmen, die als Verrechnungsstellen zwischen Verkäufer und Käufer tätig werden. Diese Unternehmen haben ihre Auszahlungsstellen meistens in der Nähe der Zollämter.
Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, dann würde ich Sie bitten, doch einmal bei der schwedischen Regierung nachzufragen, ob das, was Sie gesagt haben, zutrifft. Ich selbst bin schon einige Male im Norden gewesen und habe, nachdem ich in einem Geschäft meinen Einkauf getätigt hatte, bei einem Zollamt, wenn ich die Bescheinigung mithatte und die Ware vorgelegt habe, das Geld direkt erstattet bekommen. Ich meine, daß dies doch eine ganz vernünftige Regelung ist, die insgesamt auch bei uns übernommen werden könnte, damit ausländischen Gästen dieser riesenhafte bürokratische Aufwand, der ja auch nicht sehr verbraucherfreundlich ist, erspart wird.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Also, ich habe schon betont, daß das nach unseren Erkenntnissen private Stellen sind. Es kann sein, daß die so nah bei den Zollämtern sind, daß man das eine vom anderen vielleicht nicht so leicht unterscheiden kann.
Im übrigen entwickelt sich bei uns auf privater Basis auch schon etwas Ähnliches. Es gibt schon solche Firmen, die genau dies bewirken. Eine solche Firma gibt es z. B. in Lübeck. Der sind etwa 3 000 Unternehmen — bundesweit, nicht nur im Raum Lübeck — angeschlossen, die das machen, ganz ähnlich wie in den
nordischen Ländern. Also, marktwirtschaftlich ist das durchaus schon im Gange.
Noch eine Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, darf ich dann die Bitte äußern, daß Sie das nochmals überprüfen, z. B. hinsichtlich der nordischen Länder, speziell hinsichtlich Schweden.
Darf ich darüber hinaus einmal die Anregung geben, ob es nicht zweckmäßig ist, daß die Bundesregierung den deutschen Einzelhandel oder den Handel insgesamt ermutigt, in den Bereichen, in denen viele Ausländer einkaufen, wenigstens ein Blatt zu erstellen, auf dem dann auch steht, daß z. B. neben der Zollstelle, die Sie ansprechen, das Geld erstattet wird?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Unternehmer sind meistens findig genug, um alle Chancen wahrzunehmen, die ihnen den Verkauf erleichtern. Der Unternehmer kann ja nach der derzeitigen Rechtslage schon — zunächst — auf die Mehrwertsteuer verzichten. Nur, er trägt das Risiko. Wenn der Abnehmer aus dem Ausland ihm die Bescheinigung, daß er seine Ware ins Ausland ausgeführt hat, nicht nachreicht, dann bleibt der Unternehmer auf dem Risiko sitzen. Das heißt: Er mußt die Umsatzsteuer abführen, obwohl der Konsument sie ihm gar nicht bezahlt hat. Also, die Freiheit hat der Unternehmer jetzt schon.
Letzte Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, wenn Sie dies nicht so riesenhaft bürokratisch handhaben, wie Sie es jetzt dargestellt haben, würden Sie mir dann zustimmen, daß es hier eine vernünftige Lösungsmöglichkeit gibt, die im Interesse der Bundesrepublik, aber auch im Interesse der Gäste ist, daß sie nämlich zu ihrem Recht kommen, was ich eben erfragen wollte?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß wir es staatlich einfacher machen können, es sei denn um den Preis, daß die Umsatzsteuer nicht bezahlt wird, und das wollen wir ja nicht.
Dann haben wir die Frage 23 des Abgeordneten Diller:Welche Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten ergeben sich nach dem geplanten Abzug der 601. Tactical Control Squadron und der 612. Tactical Control Flight von der Prüm Air-Station und der Prüm-Housing für die dort beschäftigten deutschen Arbeitnehmer, die zum Teil seit Jahrzehnten bei den US-Streitkräften beschäftigt sind und mangels ziviler Angebote keine deutschen Arbeitsplätze in dieser Region finden können?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Kollege Diller, die Antwort lautet so: Die Bundesregierung ist über die Planungen der amerikanischen Luftwaffe zur Verlegung der von Ihnen angegebenen Einheiten unterrichtet worden. Wie das Hauptquartier der US-Luft-
Metadaten/Kopzeile:
8676 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Parl. Staatssekretär Dr. Häfelewaffe in Ramstein noch in diesen Tagen bestätigt hat, sind die Planungen jedoch noch nicht abgeschlossen und Entscheidungen noch nicht gefallen. Über mögliche Auswirkungen auf die örtlichen zivilen Arbeitnehmer läßt sich deshalb noch keine Aussage machen.Die Bundesregierung hat für den Fall, daß Arbeitsplätze wegfallen, das amerikanische Hauptquartier gebeten, alle Möglichkeiten zu nutzen, um die betroffenen Arbeitnehmer auf anderen Arbeitsplätzen, gegebenenfalls auch bei anderen Einrichtungen der US-Streitkräfte im Raume Prüm, weiter beschäftigten zu können.
Zusatzfrage, Herr Diller.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung mit Nachdruck auch dafür eintreten, daß die durch den Abzug von etwa 350 US-Familien frei werdenden Wohnräume der Prüm-Housing für die Unterbringung der durch die Patriot-Stationierung im Kreis Bitburg-Prüm notwendigen Soldaten genutzt werden, anstatt in kleinen Gemeinden mehrere hundert Wohnungen neu zu errichten?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen auf diese Frage nichts sagen. Hier war nach den Arbeitsplätzen gefragt. Darauf habe ich geantwortet. Jetzt fragen Sie nach den Wohnungen. Das müßte ich zunächst klären.
Das ist aber Englisch.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Aber es geht hier um die Frage, ob die Arbeitsplätze verlorengehen. Es ist kein Problem. Wir können auch dieser Frage nachgehen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Dr. de With werden nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Wartenberg steht uns zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Ist der Bundesregierung die an sie gerichtete Aufforderung bekannt, die auf der 32. Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland am 14./15. Oktober 1988 beschlossen wurde, nämlich die strikte Unterbindung der Lieferung von militärischen und polizeilichen Rüstungs- und Ausrüstungsgütern nach Südafrika, wobei die schon geltenden gesetzlichen Vorschriften auch auf zivile Produkte angewendet werden sollten, die militärisch genutzt werden können, und die Verweigerung von Exportgenehmigungen für Güter von strategischer Bedeutung, die nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigungspflichtig sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hirsch, ich
darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Die Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 14./15. Oktober 1988 zur Situation in Südafrika ist der Bundesregierung bekannt. Soweit mir bekannt ist, hat sowohl das Bundeskanzleramt als auch der Bundesaußenminister geantwortet.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Damit hatte ich gerechnet, daß der Bundesregierung das bekannt ist. Aber wenn Sie sagen, daß der Kanzler und der Wirtschaftsminister geantwortet haben, würden Sie uns liebenswürdigerweise mitteilen, in welchem Sinne sie geantwortet haben, was sie geantwortet haben?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, die Bundesregierung hat zum Ausdruck gebracht, daß sie die in der Denkschrift geäußerte Besorgnis über die gegenwärtige Situation in Südafrika voll teilt. Auch wenn uns einige Dinge zu Ohren gedrungen sind, daß Präsident Botha in den letzten Tagen die Sharpeville Six begnadigt hat und Nelson Mandela aus dem Krankenhaus nicht wieder zurück ins Gefängnis gesandt wurde, so ist damit das menschenverachtende System der Apartheid doch nicht beseitigt. Die Ursache der Gewalt in Südafrika besteht fort.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß es das deutsche Ansehen nicht nur in der Dritten Welt auf Dauer drastisch beeinträchtigt, wenn z. B. das Markenzeichen einer bekannten deutschen Automobilfirma am Kühler von Wasserwerfern oder gepanzerten Polizeifahrzeugen zu sehen ist oder wenn das Markenzeichen einer nicht weniger bekannten deutschen Elektrofirma auf Monitoren angebracht ist, die in den Gefängnissen zur Überwachung der politischen Gefangenen benutzt werden?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, wir haben bei derartigen Fragen immer wieder darauf hingewiesen, daß wir weder für militärische noch für Polizeizwecke Ausfuhrgenehmigungen erteilen.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, daß keine Ausfuhrgenehmigungen erteilt würden. Aber Tatsache ist doch, daß sowohl die Autos als auch die elektrotechnischen Geräte gesehen wurden und daß man davon ausgehen muß, daß die Erlaubnis zum Export erteilt worden war. Jetzt möchte ich Sie doch einmal fragen: Wie hat man sich eigentlich die Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen in absehbarer Zeit vorzustellen, wenn sich die Verhältnisse in Südafrika, was wir hoffen wollen, ändern und wir es, ungefähr wie in Simbabwe vor einigen Jahren, mit zumindest doch gemischtrassigen Regierungen zu tun haben, wenn wir jetzt indirekt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8677
Frau Dr. Hamm-Brücherdurch unseren Export auch im nichtmilitärischen Bereich das Apartheid-Regime unterstützen und damit auch stabilisieren?Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir sind fest entschlossen, das Apartheidsystem nicht zu unterstützen. Wir haben im Bereich der ausfuhrgenehmigungspflichtigen Waren, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, immer wieder in jedem Einzelfall geprüft, ob die Ware in Südafrika zivil oder militärisch eingesetzt werden soll. Der südafrikanische Empfänger muß vor der Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung bescheinigen, daß die Waren nicht an die Polizei oder die Streitkräfte Südafrikas weitergeleitet noch von diesen benutzt werden.
Herr Sellin zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär von Wartenberg, sind Sie nicht meiner Ansicht, daß die Debatte über die Ausfuhrpolitik der Bundesregierung, das Verhältnis von Wirtschaftspolitik zu Außenpolitik, völlig an Glaubwürdigkeit verliert, auch im Falle von Südafrika, wenn man sich an die Dezember-Debatte erinnert, wo festgestellt wurde, daß Atomanlagen natürlich durch Umgehung von ausfuhrwirtschaftlichen Bestimmungen nach Südafrika exportiert worden sind,
und daß die Bundesregierung ein Erkenntnisinteresse an den Tag legen müßte, um ihre außenpolitische Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen, daß solche Exporte nicht möglich sind?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sellin, ich teile Ihre Befürchtungen nicht. Sowohl die Debatte im Dezember als auch die Debatte heute haben gezeigt, daß die Bundesregierung sehr effektiv und mit großem Engagement interessiert ist, Klarheit hineinzubringen. Vor allem in dem von Ihnen angesprochenen Fall der Lieferung von Kernenergiewaren
— Sie meinen wahrscheinlich die Firma NTG — wissen Sie, daß nach unserer Kenntnis gegen die Firma wegen des Verdachts ungenehmigter, d. h. illegaler Ausfuhren ermittelt wird. Auch die Liefergeschäfte mit Südafrika sind in die Ermittlungen einbezogen worden. Ob es sich bei den in Frage stehenden Waren
— das ist die Brennelemente-Meßmaschine — um eine ausfuhrgenehmigungspflichtige Ware handelt, kann erst auf der Grundlage der technischen Einzelfallprüfung festgestellt werden. Die Unterlagen liegen noch bei der Staatsanwaltschaft.
Ich rufe Frage 27 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um entweder allein oder gemeinsam mit anderen europäischen Ländern dieser Aufforderung zu entsprechen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, in Fortsetzung der Beantwortung Ihrer ersten Frage darf ich antworten: Die Bundesregierung
hat wiederholt erklärt, daß sie das Waffenembargo des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen über Südafrika in ihrer Ausfuhrgenehmigungspraxis strikt anwendet. Ausfuhrgenehmigungsanträge für Waren, die vom Waffenembargo erfaßt werden, werden abgelehnt. Darüber hinaus werden in Umsetzung des EPZ-Ministerbeschlusses vom September 1985 keine Ausfuhrgenehmigungen für sensitive Waren erstellt, die für die Polizei oder Streitkräfte Südafrikas bestimmt sind.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, abgesehen davon, daß ein Teil dieser Waren von deutschen Firmen im Lande selbst hergestellt wird, wie Sie wissen, und abgesehen davon, daß ich nicht nach Waffen gefragt habe, sondern nach Gegenständen, die für polizeiliche, aber auch für andere Zwecke benutzt werden, möchte ich nun doch noch einmal etwas genauer von Ihnen wissen und Sie bitten, mir zu sagen, in welchem Sinne oder mit welchem Ergebnis die Bundesregierung im Rahmen der EPZ tätig geworden ist, um ein abgestimmtes Verhalten der europäischen Lieferländer herbeizuführen.
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Sie weisen mit Recht darauf hin, Herr Kollege Hirsch, daß wir im Rahmen der EPZ nur dann gegenüber Südafrika mit unserer Politik Erfolg haben, wenn wir innerhalb der EPZ gemeinsam arbeiten. Im Rahmen der Genehmigungspraxis werden entsprechende Zusicherungen über den Endverbleib der Waren verlangt, also Fragen nach sensitiven Bereichen wie Streitkräfte, Polizei oder sonstige Institutionen gestellt. Wir behalten uns darüber hinaus vor, Überprüfungen des Endverbleibs vorzunehmen. Die Erfahrungen mit derartigen Endverbleibserklärungen, die auch aus dem Bereich der Ostausfuhren bekannt sind, haben ergeben, daß die genehmigten zivilen Empfänger einer Ware ein Interesse an der Einhaltung des Endverbleibs haben, da sie sonst ihre weitere Belieferung gefährden würden.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, abgesehen davon, daß sich die Endverbleibsklausel nur auf die Weiterlieferung in andere Länder bezieht und nicht darauf, wie der Käufer, der in dem Fall, den ich meine, ein Staat sein muß, solche Gegenstände verwendet, befindet sich die Bundesregierung hier in derselben Lage wie bei den Lieferungen von Materialien z. B. nach Libyen oder in andere Länder, die sich dann vor Ort zum Erstaunen aller Beteiligten plötzlich als Lieferungen für eine Giftgasanlage entpuppen; das ist ein paralleler Vorgang. Da solche Vorgänge — die Aufforderung des Rats der Evangelischen Kirche Deutschlands stammt vom Oktober 1988 — seit geraumer Zeit bekannt sind und tatbestandsmäßig vorliegen: Beabsichtigt die Bundesregierung, bei der — notwendigen — Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes diese Fälle zu erfassen?
Metadaten/Kopzeile:
8678 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, Minister Schäuble hat heute die Maßnahmen der Bundesregierung dargestellt. Wir haben auch in anderen Bereichen immer dann, wenn ein Zweifel an der Auskunft über den Endverbleib bestand, die Ausfuhrgenehmigung zurückgezogen.
Zusatzfrage, Herr Sellin.
Gibt es bereits Gespräche über eine EG-Richtlinie, die ein gemeinsames Verhalten der zwölf EG-Mitglieder zur Überprüfung von Exporten, sei es nach Südafrika oder in andere Spannungsgebiete, auch für Güter, die sowohl zivilen wie militärischen Charakter haben können, garantiert?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Meines Wissens wird im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit darüber diskutiert. Eine Richtlinie ist mir nicht bekannt.
Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, da ich zwar nicht Mitglied des Rates der EKD bin, wohl aber der Synode, die den Antrag verabschiedet hat, daß eine solche Intervention stattfinden sollte, möchte ich jetzt gern nachfragen. Wenn Sie jetzt nicht mündlich antworten können, bitte ich Sie, das schriftlich zu tun. In wie vielen Fällen ist bekanntgeworden, daß trotz der Unterzeichnung, daß die angeschafften Geräte nicht für polizeiliche Zwecke verwendet werden, sie nachweislich doch für polizeiliche Zwecke verwendet wurden, und sind künftige Exportgenehmigungen nicht mehr erteilt bzw. entsprechende Schritte eingeleitet worden, um diesen Verstoß zu ahnden, soweit man das überhaupt ahnden kann?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, mir ist die Anzahl nicht bekannt. Mir ist nur präsent, daß wir Ende Dezember die Genehmigung für die Ausfuhr von Multisensorplatten widerrufen haben.
Würden Sie bitte der Sache nachgehen, ob es noch mehr solcher Fälle gibt?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Sehr gerne.
Herr Gansel noch zu einer Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, die auf südafrikanischer Seite genutzte Verwendung von Cover-Firmen oder Tarnadressen zu überprüfen und dabei die Erkenntnisse des U-Boot-Untersuchungsausschusses und des bundeseigenen Salzgitter-Konzerns zu verwenden?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, sofern der Untersuchungsausschuß Erkenntnisse hat — die mir wegen Nichtkenntnisnahme der Protokolle nicht bekannt sind — , nimmt die Bundesregierung das zum Anlaß, zu überprüfen, inwieweit sie davon Gebrauch machen kann.
Jetzt kommen wir zur Frage 28 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher:
Ist es zutreffend, daß das Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn „hoffnungslos überfordert" ist , den legalen Export aus der Bundesrepublik Deutschland zu überwachen und illegalen Exporten rechtzeitig nachzugehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Bewertung „hoffnungslos überfordert", was die Ausstattung des Bundesamtes für Wirtschaft in Eschborn angeht, ist so nicht zutreffend. Richtig ist vielmehr, daß die quantitativen und die qualitativen Anforderungen an das Bundesamt für Wirtschaft, das den Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland mit den in der Ausfuhrliste enthaltenen Waren zu prüfen und zu genehmigen hat, in den letzten Jahren in einem Maße zugenommen haben, daß das Prüfungs- und Genehmigungsverfahren trotz personeller Verstärkungen und organisatorischer Anpassungen nur unter erheblicher Anspannung der vorhandenen Kräfte durchgeführt werden konnte. Seit langem werden deshalb Klagen über zu lange Fristen im Genehmigungsverfahren geführt.
Um diesen Zustand abzubauen und den gesetzlichen Aufgaben schneller und auch intensiver nachkommen zu können, sind weitere personelle Verstärkungen und ablauforganisatorische Verbesserungen unerläßlich. Die Verfolgung illegaler Exporte ist nicht die Aufgabe des Bundesamtes für Wirtschaft. Sofern ein Antrag auf Exportgenehmigung überhaupt nicht gestellt wird, kann das BAW allenfalls im Wege der Amtshilfe gegenüber den für die Aufdeckung und Verfolgung derartiger Sachverhalte zuständigen Behörden mitwirken. Soweit Anträge zwar gestellt werden, aber inhaltlich unrichtige Angaben enthalten, informiert das BAW die für die Verfolgung zuständigen Behörden, wenn und sobald es im Rahmen seiner Prüfungen Anhaltspunkte für Verstöße hat.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich denn den Widerspruch, daß leitende Angehörige des Bundesamtes für Wirtschaft diese hoffnungslose Überforderung des Amtes öffentlich kundtun — ich glaube, sogar in einer Anhörung — , während Sie sagen, davon könne keine Rede sein? Wo ist eigentlich der größere Sachverstand: bei den Behördenangehörigen selber oder im Ministerium?Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die angespannte Situation des Bundesamtes für Wirtschaft wollen wir überhaupt nicht bestreiten. Ich habe mit meiner Formulierung nur gemeint, daß „hoffnungslos überfordert" in dem von Ihnen genannten Artikel der „Zeit" in meinen Augen eine journalistische Überpointierung darstellt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8679
Parl. Staatssekretär Dr. von WartenbergZur Verdeutlichung der Anstrengungen des Bundesamtes für Wirtschaft selbst darf ich nur einige Zahlen nennen. Die Zahl der Anträge auf Ausfuhrgenehmigung nach dem AWG betrug z. B. 1982 44 000. 1987 waren es 73 000. Die Zahl der international erteilten Einfuhrbescheinigungen — das ist die gegenläufige Zahl — betrug 1982 9 800, im letzten Jahr 24 000.Im übrigen muß ich hinsichtlich der Feststellung, das Amt sei den Aufgaben nicht gewachsen, sagen: Die Bemühungen des BMWi gehen ja gerade dahin, im Zusammenhang mit dem Haushalt den Bundestag davon zu überzeugen, daß verstärkte Anstrengungen notwendig sind. In dem Sinne hat sich heute auch Bundesminister Schäuble geäußert.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
An einem konkreten Beispiel möchte ich noch einmal nachbohren. Nach Bekanntwerden der Abfallverschiebung durch die Firma Transnuklear hat man noch einmal alle Vorgänge des Unternehmens überprüft. In dem Zusammenhang hat der zuständige Referatsleiter gesagt
— ich zitiere — : „Als ich die Sachen in die Hand genommen habe, mußte ich tatsächlich feststellen: Wenn damals ein fachlich versierter Sachbearbeiter da gewesen wäre, dann hätte er auch etwas merken müssen." Ist das eigentlich keine hoffnungslose Überforderung, wenn so eine schlimme Sache passiert und der zuständige Referent hinterher zugeben muß, wenn wir nicht so überfordert gewesen wären, wäre das nicht passiert?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, mir sind dieser Vorgang als auch das Zitat nicht bekannt.
— Danke. — Aber wenn dem so ist, entspräche das unserer Intention, die wir heute morgen auch im Wirtschaftsausschuß ausgesprochen haben — das ist die Meinung der Bundesregierung — : daß wir alles tun müssen, das Bundesamt für Wirtschaft personell und organisatorisch besser auszustatten. Wenn Sie dafür die parlamentarische Unterstützung zusagen, wäre das ein Prozeß, der dann auch erfolgreich wäre.
Herr Staatssekretär, hier ist fast nichts mehr von dem zu verstehen, was Sie über Ihre Lippen träufeln lassen,
Wenn Sie ein bißchen lauter reden könnten, würde uns das helfen.
Wir stellen also fest: „hoffnungslos" streichen, aber überfordert schon.
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Ja.
— Dem kann ich nur zustimmen.
Jetzt hat Herr Dr. Hirsch das Wort zu einer Zusatzfrage.
Es ist ja auch alles schwierig mit dem Verstehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist denn das Bundesamt in der Lage, die Übereinstimmung der vorgelegten Papiere mit der tatsächlich exportierten Ware zu prüfen?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, ich glaube, im Laufe der Debatte des heutigen Tages angesichts der aktuellen Entwicklung ist deutlich geworden, daß dort einige Maßnahmen verbessert werden müssen, um das Miteinander der verschiedensten Institutionen zu garantieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Sellin, bitte schön.
In der Zwischenzeit ist bekannt, daß 105 Beamte vorhanden sind, um bundesweit Betriebsprüfungen durchzuführen. Mich würde interessieren, ob die Bundesregierung ein Interesse daran hat, sensitive Güter dort, wo sie hergestellt werden, durch nicht angemeldete Betriebsprüfungen präventiv zu untersuchen, und welcher Personalbedarf dann entstünde.
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sellin, ich kann über die Höhe des Personalbedarfs keine Auskunft geben. Ich habe auch keine Schätzung, auf die ich mich beziehen könnte. Aber wenn ein hinlänglicher Verdacht da ist, ist eine präventive Maßnahme durchaus eine sinnvolle Angelegenheit.
Eine Zusatzfrage, Herr Gansel.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen zufällig bekannt, wann das letzte Mal der Minister oder einer der Staatssekretäre das Amt besucht hat, um sich über das Informieren der Behörde oder seine Probleme zu informieren?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß mein Kollege Riedl im letzten Jahr beim Bundesamt für Wirtschaft war.
Im übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, daß an jedem Montag bei der Abteilungsleiterbesprechung ein Vertreter, meist der Leiter, des Bundesamtes für Wirtschaft im Wirtschaftsministerium ist und uns über den aktuellen Stand informiert.
Wir kommen jetzt zur Frage 29 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher:Welche konkreten Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung personell und organisatorisch zu ergreifen, um den geäußerten Engpässen für eine ordnungsgemäße Sachbearbeitung und Abwicklung der Aufgaben dieses Amtes Rechnung zu tragen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Metadaten/Kopzeile:
8680 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, um den genannten Engpässen in der Aufgabenerledigung des BAW Rechnung zu tragen, sind bereits in den Bundeshaushalten 1988 und 1989 zusätzliche Personalstellen sowie die Mittel für eine umfassende Ausstattung der Ausfuhrabteilungen mit moderner Informationstechnik zugewiesen worden. Dies wird jetzt möglichst kurzfristig in konkrete Verbesserungen umgesetzt.Die bisherigen Personalverstärkungen sind allerdings noch nicht ausreichend, insbesondere wenn durch die Beschlüsse der Bundesregierung vom 10. Januar dieses Jahres zur Verschärfung der Exportkontrollen in bestimmten Bereichen zusätzliche Aufgaben für das BAW entstehen.Weitere personelle Maßnahmen zugunsten des BAW müssen deshalb folgen. Ich darf mich auf meine Einlassungen anläßlich der Zusatzfragen vorher beziehen.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben pauschal rein quantitativ angekündigt, daß hier personelle und organisatorische Verbesserungen stattfinden sollen. Nun hört man ja nicht nur Klagen über die quantitative Ausstattung dieses wichtigen und für alle Glaubwürdigkeitsbeteuerungen in Sachen Außenwirtschaftsgesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz entscheidenden Instrumentariums, sondern auch über die qualitativen Voraussetzungen der dort eingestellten Mitarbeiter. Ich möchte Sie fragen, welche Anstrengungen man hinsichtlich der Vorbildung und der fachlichen Qualifizierung unternehmen wird, um nach fachkundigen Leuten Ausschau zu halten, die dann den inkriminierten Firmen oder der Nachprüfung der Anträge überhaupt gewachsen sein können.
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann der Intention Ihrer Frage nur zustimmen. Es sind nicht nur personelle und organisatorische Maßnahmen im BAW notwendig, um den Erwartungen gerecht zu werden, die wir hier zum Ausdruck bringen; es sind vor allen Dingen ja auch qualitiative Maßnahmen. Diese hängen auch mit dem Budget zusammen. Man muß über dementsprechende Fachleute, Chemiker und Physiker, verfügen, um den Anforderungen gerecht zu werden. Das verlangt verstärkte Bemühungen.
Darüber hinaus darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß auch in rechtlicher Hinsicht einige Maßnahmen notwendig sind, um das Zusammenwirken der verschiedensten auf diesem Gebiet in Deutschland arbeitenden Institutionen — z. B. des Zollkriminalinstituts oder des BAW — und ein Miteinander zu ermöglichen.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, es wird vielfach behauptet, daß man schon daran das mangelnde Interesse des Wirtschaftsministeriums erkennen könne, daß man eben schon bisher nicht die qualifiziertesten Leute in dieses Bundesamt geschickt habe, sondern Mitarbeiter, die man anderswo nicht mehr so recht habe gebrauchen können. Stimmt diese Fama, und was wird denn das Ministerium tun, um dieser immer häufiger vertretenen Ansicht entgegenzutreten?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich bin jetzt zwei Jahre Staatssekretär. Ich habe von dieser Fama noch nie etwas gehört; also wird es eine solche sein.
Wir sind daran interessiert, daß das BAW über sehr qualifizierte Mitarbeiter verfügt. Das BAW ist aber auch an das öffentliche Dienstrecht angeschlossen. Dementsprechend kennen Sie die Engpässe, die in allen Bereichen da sind. Deshalb noch einmal meine Bitte, alle Bemühungen des BMWi auch im Haushaltsausschuß zu unterstützen, mehr für die Ausstattung des BAW zu tun.
Herr Gansel zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da es sich im U-
Boot-Untersuchungsausschuß herausgestellt hat, daß ein Mitarbeiter des Bundesamtes mehrere zehntausend Unterlagen gesichtet hat, obwohl er noch nie in seinem Leben ein U-Boot betreten hatte, und zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die Unterlagen nicht ganz ausreichten, um den wesentlichen Teil eines U-Bootes zu bauen, möchte ich Sie fragen, ob Sie bei der Menge der bisherigen Kriegsschiffsexporte der Bundesrepublik daran denken, auch einen Mitarbeiter in dem Amt zu beschäftigen, der einschlägige Erfahrungen hat, d. h. vielleicht schon einmal ein Schiff oder ein Kriegsschiff oder wenigstens die See gesehen hat?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, ich würde Ihnen zustimmen: Es wäre sinnvoller, wenn diejenigen, die die Unterlagen zu prüfen haben, das Material auch einmal in der Realität sehen könnten.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Sellin auf:
Begreift der Bundesminister für Wirtschaft die Fusionskontrolle als ein Instrument der Industriepolitik oder der Wettbewerbspolitik?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sellin, die Bundesregierung hat in der Öffentlichkeit die Zielsetzung des Konzepts Daimler-Benz/MBB ausführlich erläutert. Es geht vor allem darum, in Europa die Voraussetzungen für eine leistungsfähige Luft- und Raumfahrtindustrie zu verbessern. Die deutschen Airbus-Partner sollen in die Lage versetzt werden, unter privatwirtschaftlich industrieller Führung spätestens bis zum Beginn des Jahres 2000 ohne weitere Hilfen des Staates das Projekt in eigener Verantwortung weiterzuführen.
Die Bundesregierung hat dieses Konzept unter den ausdrücklichen Vorbehalt der wettbewerbsrechtlichen Prüfung des Zusammenschlußvorhabens ge-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8681
Parl. Staatssekretär Dr. von Wartenberg
stellt. Aufgabe des Fusionskontrollverfahrens ist es, beim Bundeskartellamt die Wettbewerbsseite des Vorgangs zu prüfen und gegebenenfalls auf der Ebene des Bundeswirtschaftsministeriums in einer zweiten Stufe durch ein transparentes Verfahren unter Beteiligung der verschiedenen wettbewerbspolitischen Institutionen, namentlich der Monopolkommission, der gesellschaftlichen Gruppen sowie der Konkurrenten, die gesamtwirtschaftlichen Fragen zu klären, damit eine abschließende Entscheidung des Bundesministers für Wirtschaft in Kenntnis aller Vor- und Nachteile getroffen werden kann. Die wettbewerbspolitische Zielsetzung des Fusionskontrollverfahrens steht daher auch in diesem Fall außer Frage.
Zusatzfrage, Herr Sellin.
Ich habe erst eine Verständnisfrage an den Präsidenten: War das die Antwort auf Frage 31 oder auf Frage 30?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Entschuldigung, Herr Kollege Sellin, Sie haben völlig recht: Das war die Antwort auf die Frage 31.
Dann machen wir es so, daß ich jetzt auch die Frage 31 aufrufe, Sie noch die Frage 30 beantworten, und Herr Sellin hat dann vier Zusatzfragen, falls er sie will.
Beurteilt der Bundesminister für Wirtschaft die beantragte Fusion von Daimler-Benz und MBB beim Bundeskartellamt als von der Bundesregierung mit initiierten industriepolitischen Vorgang oder als wettbewerbspolitisch begrüßenswerten Vorgang?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Die Antwort auf die Frage 30 ist sehr kurz: Der Bundesminister für Wirtschaft begreift die Fusionskontrolle als ein Instrument der Wettbewerbspolitik.
Zum Fall MBB/Daimler-Benz habe ich die Ausführungen eben gemacht.
Jetzt kommt Herr Sellin, bitte schön.
Aus Ihren Ausführungen entnehme ich, daß es eine Arbeitsteilung in der Bundesregierung gibt. Ist es richtig, daß Herr Riedl in Ihrem Ministerium der Betreiber einer Industriepolitik ist, der Herr Schlecht als zweiter Staatssekretär für die Illusion einer Wettbewerbspolitik zuständig ist, die Sie aufrechterhalten und die Sie von der EG im Rahmen der Verhandlungen über die Fusionskontrolle einklagen, und sind Sie der Moderator in der ganzen Geschichte?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sellin, Ihnen wird aufgefallen sein, daß wir im Wirtschaftsministerium eine Arbeitsteilung haben; aber es ist nicht die, die Sie dargestellt haben.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Sie haben im Dezember im Ausschuß ausgeführt — und Sie werden dies wahrscheinlich, wie Sie angekündigt haben, auf der Dezembersitzung des EG-Ministerrates ebenfalls vertreten haben —, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, einer EG -Fusionskontrollverordnung zuzustimmen, die eine industriepolitische Ausrichtung hat. Ich möchte Sie fragen: Brauchen Sie überhaupt diese wettbewerbspolitische Orientierung, wenn von dieser Regierung eine industriepolitische Orientierung betrieben wird?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sellin, Sie haben mich völlig richtig zitiert: Bei der gegenwärtig diskutierten Fusionskontrolle der EG haben wir von deutscher Seite Befürchtungen zum Ausdruck gebracht, daß dort der industriepolitische Akzent im Vergleich zum wettbewerbspolitischen zu stark ist. Wir betonen den wettbewerbspolitischen Aspekt, und gerade bei dem angesprochenen Fall steht er mit im Mittelpunkt der Betrachtungen.
Dritte Zusatzfrage, Herr Sellin.
Ist es Ihnen gelungen, auf den EG-Verhandlungen im Dezember Ihre wettbewerbspolitische Orientierung durchzusetzen? Welche Konsequenz ziehen Sie daraus, wenn Ihnen das nicht gelungen ist?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Die Verhandlung über die Fusionskontrolle ist noch nicht abgeschlossen. Die Argumente, die wir vorgebracht haben, haben aber die Partner zu größerem Nachdenken gebracht als wir das vorher erwartet hatten.
Letzte Zusatzfrage, Herr Sellin.
Es gibt zwischen der EG-Richtlinie und der Praxis auf bundesrepublikanischer Ebene im Wettbewerbsrecht den Gegensatz, daß es auf bundesrepublikanischer Ebene ein zweistufiges Verfahren gibt — das Bundeskartellamt einerseits, die Regierung andererseits — , und auf EG-Ebene wird es die EG-Kommission alleine entscheiden, wie sie das Wettbewerbsrecht bzw. die industriepolitische Option handhabt. Setzt sich die Bundesregierung für ein zweistufiges Verfahren auf EG-Ebene ein, oder gibt sie sich mit einem einstufigen Verfahren zufrieden?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sellin, wir sind noch in den Beratungen. Die Präferenz der Bundesregierung ist Ihnen bekannt, ein zweistufiges Verfahren oder Zugriffskriterien zu finden, die etwas derartig Durchschlagendes in Brüssel nicht durchsetzen. Die Verhandlungen laufen, und insoweit kann man den endgültigen Beschlüssen noch nicht vorweggreifen.
: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Roth.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, am 21. Dezember 1988 hätten Sie mit Ihren Bedenken bei den anderen EG-Partnern Eindruck gemacht. Ist meine Information falsch, daß inzwischen auch Groß-
Metadaten/Kopzeile:
8682 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Rothbritannien der industriepolitischen Orientierung der Wettbewerbsrichtlinie der EG zugestimmt hat und daß jetzt die Bundesregierung ganz allein ist? Ist meine Einschätzung ganz falsch, daß Ihr Eindruck auf die anderen EG-Partner nicht sehr stark war?Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Unser Eindruck ist, daß der Ausgang der Verhandlungen völlig offen ist. Das ist der Eindruck, den wir aus den Verhandlungen am 21. Dezember 1988 mitgenommen haben.
— Ich kann die Stellungnahmen der einzelnen Nationen nicht bringen, aber das Vereinigte Königreich wäre der naturgemäße Verbündete der wettbewerbspolitischen Orientierung.
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Olderog auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die seit dem 1. Januar 1988 in Dänemark eingeführte Arbeitsmarktabgabe, durch die Importe um 2,5 v. H. des Warenwertes verteuert und Exporte mit 2,5 v. H. subventioniert werden, zu einer schweren Benachteiligung exportorientierter deutscher Unternehmen führt, und hält die Bundesregierung eine solche Wettbewerbsverzerrung für vereinbar mit dem EG-Recht?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Olderog, der Bundesregierung ist bekannt, daß Dänemark mit Wirkung vom 1. Januar 1988 eine neue Regelung der dänischen Arbeitgeberabgaben vorgenommen hat. Kern ist die Arbeitsmarktabgabe in Höhe von 2,5 % der für die Umsatzsteuer maßgeblichen Bemessungsgrundlage. Dabei werden allerdings die umsatzsteuerpflichtigen inländischen Vorbezüge — nicht jedoch die Importe, die bei der unmittelbaren Einfuhr mit der Abgabe nicht belastet werden — abgezogen. Exporte unterliegen nicht der Abgabe. Die Abgabe betrifft alle Wirtschaftsbereiche und gilt gleichermaßen für inländische wie ausländische Unternehmen.
Die Bundesregierung teilt die von verschiedenen Seiten bereits geäußerten Bedenken, daß die dänische Arbeitsmarktabgabe mit Art. 33 der 6. Mehrwertsteuer-Richtlinie nicht vereinbar ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Olderog.
Können Sie mir im einzelnen die Vorschrift des EG-Rechts erläutern, gegen die diese dänische Regelung verstößt?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Olderog, ich glaube, das würde jetzt zu intensiv sein. Ich gebe Ihnen gern eine schriftliche Ausarbeitung, obwohl das Finanzministerium eigentlich zuständig wäre, um die steuerlichen Richtlinien zu erläutern, die mit der dänischen Maßnahme im Konflikt stehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß insbesondere der Export des deutschen Landhandels, besonders auch der Getreideexport, durch diese dänische Regelung beeinträchtigt wird?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Olderog, ich habe, glaube ich, zum Ausdruck gebracht, daß wir eine Belastung des Handels durch diese Abgabe befürchten. Das ist nicht die Position der Bundesregierung allein, und deshalb ist innerhalb der Europäischen Gemeinschaft die Diskussion über die handelsbeschränkenden Auswirkungen dieser Maßnahme auf der Tagesordnung.
Jetzt rufe ich die Frage 33 des Abgeordneten Dr. Olderorg auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen bzw. will die Bundesregierung ergreifen, um gegen diese dänische Regelung vorzugehen, und wird die Bundesregierung erforderlichenfalls bereit sein, ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anzustrengen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Olderog, nach dem EWG-Vertrag ist es die Aufgabe der EG-Kommission, über die Einhaltung der Bestimmungen des Vertrages sowie des abgeleiteten Rechts zu wachen. Es obliegt daher der EG-Kommission, die dänische Abgabe auf ihre Vereinbarkeit mit den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu überprüfen.
Sie ist mit dieser Angelegenheit befaßt worden. Die Kommission ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Abgabe einen Verstoß gegen die 6. MehrwertsteuerRichtlinie darstellen könnte. Auf Grund des komplexen Sachverhaltes hält sie es für erforderlich, vor Einleitung eines förmlichen Vertragsverletzungsverfahrens Gespräche mit der dänischen Regierung zu führen, um diese zu einer Änderung der Regelung in EG-vertragskonformer Weise zu bewegen. Die Kommission beabsichtigt, bei Erfolglosigkeit ihrer Gespräche ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Dänemark einzuleiten, das zu einer Anrufung des Europäischen Gerichtshofs führen kann.
Die Bundesregierung unterstützt diese Vorgehensweise und hält es für zweckmäßig, das Ergebnis der Gespräche der EG-Kommission mit Dänemark abzuwarten.
Da es sich um die Vereinbarkeit einer allgemein — nicht nur gegenüber deutschen Waren — anwendbaren Maßnahme mit dem EG-Recht handelt, sieht die Bundesregierung die größte Aussicht auf Erfolg, über die Gemeinschaft die Abschaffung der Abgabe anzustreben.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Olderog.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung einen Protest bei der EG-Kommission gegen diese dänische Regelung angemeldet, und, wenn ja, wann war das?Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Olderog, wir haben mit anderen Nationen unsere Bedenken gegenüber der Kommission geäußert. Das
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8683
Parl. Staatssekretär Dr. von WartenbergDatum dieses Vorganges suche ich Ihnen gern heraus.
— Es muß im vergangenen Jahr gewesen sein, denn die Abgabe gilt ab 1. Januar 1988.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wann rechnen Sie damit, daß die europäische Kommission ihre Prüfung abgeschlossen haben wird, und was wird die Bundesregierung unternehmen, wenn nach Abschluß der Prüfung durch die EG-Kommission entsprechende Schritte gegen Dänemark beim Europäische Gerichtshof nicht ergriffen werden?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Olderog, wir gehen davon aus, daß bei unfruchtbaren Gesprächen der EG-Kommission mit Dänemark die EG-Kommission von sich aus rechtliche Schritte einleiten wird. Wenn das wider Erwarten nicht der Fall sein sollte, werden wir mit anderen Partnern die Kommission an diese Maßnahme erinnern.
Jetzt haben wir es geschafft.
Nein, eine Frage ist nicht beantwortet! Ich hatte gefragt, wann Sie mit dem Abschluß der Prüfung bei der EG-Kommission rechnen.
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Das ist offen, Herr Kollege Olderog. Ich kann zur Terminplanung nichts sagen.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Den Kollegen, die noch anwesend sind, kann ich sagen: Auf der Zeitskala stehen noch 23 Minuten und 27 Sekunden, aber die müssen wir nicht ausnutzen.
Herr Staatssekretär Höpfinger steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 34 und 35 des Abgeordneten Kirschner sollen schriftlich beantwortet werden; die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 36 der Abgeordneten Frau Traupe auf:
In welchen Tageszeitungen hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die Anzeige „Glückauf" am 29. Dezember 1988 geschaltet?
Bitte schön.
Herr Präsident, wenn die Frau Kollegin Traupe einverstanden ist, würde ich gern die Fragen 36 und 37 zusammen beantworten.
Sie ist einverstanden. Also rufe ich auch Frage 37 der Abgeordneten Frau Traupe auf:
Was hat diese Anzeige zum Thema „Sicherung der MontanMitbestimmung" gekostet?
Bitte schön.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Die Anzeige „Glückauf" ist am 29. Dezember 1988 in der regionalen Tagespresse geschaltet worden. Die Anzeige hat drei Themen zum Inhalt: Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und Sicherung der MontanMitbestimmung.
Die Schaltkosten haben — vorbehaltlich der noch nicht vorliegenden Schlußrechnungen — 517 000 DM betragen.
Eine Zusatzfrage, Frau Traupe.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, aus welchem Haushalt diese Zeitungsanzeigen bezahlt worden sind, aus dem Haushalt 1988 oder aus dem Haushalt 1989?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Die am 29. Dezember war auf jeden Fall noch im Haushalt 1988, aber die Anzeigen, die dann im neuen Jahr geschaltet worden sind, sind auf jeden Fall dem Haushalt 1989 zuzurechnen.
Im übrigen, Frau Kollegin, wenn wir den Haushalt selber nehmen und uns die Position 531 02 013 anschauen, so liegen dort die Beträge, die für die Information durch die Bundesregierung auf diesem Gebiet zur Verfügung gestellt werden, genau fest.
Herr Staatssekretär, wieviel Geld hat das Ministerium 1988 für Zeitungsanzeigen insgesamt ausgegeben?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Die Aufstellung, die ich hier habe, weist für 1988 einen Ansatz von 12 Millionen aus.
Frau Kollegin, ich darf hier darauf verweisen, daß die Informationspflicht jeder Bundesregierung aufgegeben ist. Wenn Sie sich die Haushaltsansätze von 1974 an anschauen, werden Sie feststellen, daß jede Bundesregierung — ganz gleich, wie sie zusammengesetzt ist — die Informationspflicht gegenüber der Bevölkerung wahrgenommen hat. Wie gesagt, 1988: 12 Millionen.
Herr Staatssekretär, warum sind die überregionalen Tageszeitungen nicht ausgewählt worden?Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, so ist es nicht. Wenn ich die Übersicht nehme, dann haben wir am 28. Dezember ein Inserat über Mitbestimmung in der Boulevardpresse. Wir haben am 29. Dezember Anzeigen in regionalen Tageszeitungen ebenfalls zum Thema Mitbestimmung und auch zum Thema Gesundheit, vor allem Informationen über die Härte-
Metadaten/Kopzeile:
8684 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Parl. Staatssekretär Höpfingerfallregelung und die Überforderungsklausel. Wir haben am 30. Dezember wieder inseriert und informiert, und zwar im Reihenhefter für Rundfunkzeitschriften zu den Themen Gesundheit, Gesundheitspflege und Altersteilzeit, sowie in den Heimatzeitungen noch einmal über Härtefälle.Frau Kollegin, wenn Sie es mir gestatten, darf ich an zwei Beispielen darstellen, wie notwendig das ist. In der Woche zwischen Weihnachten und Neujahr hat ein Kollege aus diesem Hause — die Fraktion möchte ich gar nicht nennen; das spielt jetzt keine Rolle — in der Presse Informationen gegeben, die er einen Tag später widerrufen mußte. Heute nachmittag hat es bei der Befragung der Bundesregierung zu diesem Themenbereich auf einen Schlag 15 Wortmeldungen gegeben. Das ist verständlich. Bei einem so umfassenden Gesetz muß informiert werden. Ich halte es für richtig, daß diese Haushaltsansätze gegeben sind, einmal, um das Gesetz herüberzubringen, und zum anderen, damit es von der Bevölkerung aufgenommen werden kann.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Traupe.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, welchen Wert die Anzeige „Sicherung der Montan-Mitbestimmung" in den regionalen Tageszeitungen hat, in deren Erscheinungsbereich überhaupt kein Bergbau auftritt?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich darf darauf hinweisen: Ich selber komme aus einem Gebiet, wo der Bereich Montan-Mitbestimmung kaum eine Rolle spielt. Dennoch darf man es den Bürgern nicht verwehren, daß sie an einer solchen Frage äußerst interessiert sind, zumal die Montan-Mitbestimmung meines Erachtens das Grundgesetz für den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland war.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Frage, aus welchem Haushaltsjahr die Anzeige bezahlt worden sei, meiner Kollegin Traupe geantwortet: die Anzeige am 28. Dezember wahrscheinlich noch aus 1988. Da Sie vorher gesagt haben, daß die Rechnung noch gar nicht da war und mit dem Ablauf des Jahres der Haushalt abgeschlossen ist und alle Mittel, die nicht ausgegeben worden sind, nicht mehr benutzt werden dürfen: Stimmen Sie mir zu, daß sie erst aus dem Haushalt 1989 bezahlt werden kann?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jungmann, ich meine, daß das an und für sich eine untergeordnete Frage ist. Der Ansatz ist sicher aus 1988. Wenn 1989 Restposten kommen, nehme ich an, daß das haushaltsmäßig ordnungsgemäß verrechnet werden kann. Die Mittel sind auf jeden Fall im Haushalt. Außerdem: Sie sind von diesem Parlament genehmigt.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs, weil die Fragen 38 und 39 des Abgeordneten Amling schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Jungmann auf:
Trifft die Behauptung des „Spiegel" Nr. 52 vom 26. Dezember 1988, Seiten 57 und 58, zu, wonach der Parlamentarische Staatssekretär a. D. Würzbach während seiner Amtszeit einen Offizier seines Stabes beauftragt hat, den Kommissionsbericht für die Erneuerung und Belebung der CDU Schleswig-Holsteins zusammenzustellen und zu schreiben?
Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Hürland-Büning zur Verfügung. Bitte schön.
Herr Kollege Jungmann, ich kann auf Ihre Frage nur antworten: Ja.
Ich muß den Kollegen das erklären, weil sie wegen der Reihenfolge verwundert sind. Ich als amtierender Präsident habe der Vereinbarung zugestimmt, daß wir die Fragen des Abgeordneten Jungmann vorziehen und Frau Hürland-Büning sie beantwortet, weil der Parlamentarische Staatssekretär Wimmer dann für die anderen Fragen zur Verfügung steht. Zumal sich die Fragen 41 und 42 auf seinen Vorgänger beziehen, hat die Parlamentarische Staatssekretärin die Fragen übernommen. Ich bitte um Verständnis. Wir haben die Fragen dann in der Reihenfolge so gelassen.
Frau Staatssekretärin, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie die Frage 41 mit Ja beantwortet.
Das ist korrekt.
Seit wann ist der Tatbestand dem Bundesminister der Verteidigung bekannt? Wodurch ist er ihm bekanntgeworden? Was hat er veranlaßt, um zu prüfen, ob dienstrechtliche Maßnahmen erforderlich sind?
Herr Kollege Jungmann, dienstrechtliche Maßnahmen sind bei einem Parlamentarischen Staatssekretär überhaupt nicht möglich; denn ein Parlamentarier kann immer nur durch den Deutschen Bundestag, durch einen Untersuchungsausschuß oder sonstwie belangt werden, aber nie dienstrechtlich, auch ein Parlamentarischer Staatssekretär nicht.
Bekanntgeworden sind die Angelegenheiten durch die Veröffentlichungen in der Presse. Der Minister hat daraufhin den Bürovorsteher gebeten, hierzu Stellung nehmen zu lassen. Das hat ergeben, daß das, was in der Presse steht, stimmt.
Weitere Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8685
Frau Staatssekretärin, in der Presse, die Sie hier zitieren, aus der das bekanntgeworden sein soll, stand aber, daß dem Minister aus dem Büro des Parlamentarischen Staatssekretärs über die nicht amtsgemäße Nutzung seines Büros ein Vermerk vorlag. Trifft das zu? Wenn ja, warum war dieser Vermerk nicht Anlaß, dafür zu sorgen, daß nicht parteipolitische Arbeiten im Büro des Parlamentarischen Staatssekretärs durchgeführt werden?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Der Minister hat solche Arbeiten untersagt. Es liegt ihm sehr daran, Amt und Partei zu trennen. Er hat darüber hinaus eine Verfügung erlassen, daß im Leitungsbereich auch Nebentätigkeiten von ihm genehmigt werden müssen und nicht ohne weiteres von dem betreffenden Parlamentarier abgeschlossen werden können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Frau Staatssekretärin, sind denn disziplinarrechtliche oder dienstrechtliche Maßnahmen gegen den Offizier in Gang gesetzt worden, der während der Dienstzeit für die schleswig-holsteinische CDU Kommissionspapiere erarbeitet hat?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Gansel, nach meinen Informationen hat der betreffende Mitarbeiter aus dem Büro des Kollegen zunächst an einem Wochenende, sozusagen in seiner Freizeit, an diesem Papier gearbeitet. Darüber hinaus ist dann noch etwa ein halbes Jahr lang im Büro auch während der Dienstzeit weitergearbeitet worden.
— Ja. — Ob hier dienstrechtliche Prüfungen notwendig sein werden, kann ich Ihnen zur Zeit nicht sagen. Ich bitte auch, die Eigenart zu berücksichtigen. Es war immerhin ein Auftrag eines Vorgesetzten.
— Ich glaube nicht, daß man dann den Mitarbeiter dienstrechtlich zur Verantwortung ziehen kann.
Jetzt kommt eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Traupe.
Frau Staatssekretärin, hätte der Offizier sich nicht von sich aus sofort melden müssen, daß dies nicht mit seinen Aufgaben als Offizier und Mitarbeiter der Hardthöhe vereinbar ist?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Traupe, nach meinen Informationen ist das später versucht worden und dann auch geschehen.
Herr Dr. Olderog, haben Sie noch eine Zusatzfrage hierzu? — Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, daß der betreffende Mitarbeiter im Büro des Parlamentarischen Staatssekretärs täglich zehn, zwölf Stunden, oft auch länger gearbeitet und
dem Parlamentarischen Staatssekretär von sich aus ausdrücklich angeboten hat, ihn in seiner parteipolitischen Arbeit zu unterstützen?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Olderog, in Büros von Parlamentarischen Staatssekretären und anderen leitenden Beamten ist es üblich, täglich zehn bis zwölf Stunden und darüber hinaus dienstlich zu arbeiten. Das andere von Ihnen Ausgeführte ist mir nicht bekannt, geht auch aus der Niederschrift nicht hervor.
Frau Götte zu einer Zusatzfrage. Bitte schön, Frau Götte.
Frau Staatssekretärin, ist bekannt, daß sich Mitarbeiter, Offiziere gegen diesen Auftrag gewehrt haben oder ob sich nicht beteiligte Mitarbeiter darüber beschwert haben, daß diese Arbeit im Büro gemacht wird?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Nein, ist mir nicht bekannt.
Jetzt kommen wir zur Frage 42 des Abgeordneten Jungmann:Treffen andere Vorwürfe über den Einsatz von Flug- und Kraftfahrzeugen der Bundeswehr für private Zwecke und die Aneignung amtlicher Geschenke durch den ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretär zu?Bitte schön.Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Die Frage 42, Herr Kollege Jungmann, beantworte ich wie folgt: Die Nutzung von Dienstkraftfahrzeugen für Bundesminister und Staatssekretäre richtet sich nach den Richtlinien der Bundesregierung vom 2. Juni 1975 in der Fassung vom 14. Mai 1976. Hiernach gelten Bundesminister und Staatssekretäre als immer im Dienst befindlich. Sie haben Dauerdispositionsbefugnis über ihr Dienstkraftfahrzeug. Ich verweise auch auf die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung I, Anhang 3, § 19. Dort ist diese Regelung ebenfalls festgeschrieben. Es heißt dort:Den Ministern und Staatssekretären werden Dienstkraftfahrzeuge zur alleinigen und uneingeschränkten Benutzung zugeteilt.Die Frage der privaten Nutzung von Dienstkraftfahrzeugen für Bundesminister und Staatssekretäre stellt sich daher insoweit nicht.Im übrigen zielen meiner Meinung nach Ihre Fragen im wesentlichen auf einen Sachverhalt ab, der in erster Linie im Wissen des Kollegen Würzbach selbst liegt, und eigentlich kann nur er persönlich sie beantworten.Soweit sich Ihre Frage auf den Einsatz von Flugzeugen der Bundeswehr bezieht, beruht der Erkenntnisstand der Bundesregierung auf der EDV-Erfassung der Flüge des Kollegen Würzbach in seiner Eigenschaft als damaliger Parlamentarischer Staatssekretär. Die EDV-Erfassung wird bei der Flugbereitschaft des BMVg vorgenommen. Diese — so haben Nachprüfungen ergeben — gibt keinen Aufschluß über den jeweiligen Flugzweck, der nach den Regelungen nur ein dienstlicher sein darf.
Metadaten/Kopzeile:
8686 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Parl. Staatssekretär Frau Hürland-BüningZur Frage der Gastgeschenke geht die Bundesregierung davon aus, daß der Kollege Würzbach die auch für Parlamentarische Staatssekretäre geltenden Bestimmungen über die Vergabe und Annahme von Gastgeschenken gekannt und beachtet hat.
Zusatzfrage, Herr Jungmann.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, daß die Bundeswehr auch noch über mehr Flugmöglichkeiten verfügt, als es die Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums anbietet, und ist der Bundesregierung darüber hinaus bekannt, ob der Parlamentarische Staatssekretär andere Möglichkeiten bei Bundeswehreinheiten genutzt hat, um Flüge für private Zwecke durchzuführen?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Das ist mir nicht bekannt, Herr Kollege Jungmann. Ich gehe davon aus, daß der Kollege Würzbach seine Amtspflichten wahrgenommen hat, und soweit wir das zu beurteilen haben, hat er sich korrekt verhalten.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Jungmann.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es, als diese Vorwürfe gegen den ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretär in der Öffentlichkeit auftauchten, eigentlich die Pflicht des Bundesministers der Verteidigung gewesen wäre, diesen Vorwürfen nachzugehen, sie zu überprüfen und lückenlos aufzuklären, so wie es dieser Bundesverteidigungsminister auch bei angeblichen Vergehen von Offizieren macht?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, den Verdacht betreffend habe ich vorhin bereits gesagt, daß Parlamentarier disziplinarisch nicht belangt werden können. Die Verdachte sind öffentlich erhoben worden. Es obliegt den dafür zuständigen Behörden, diesen Äußerungen nachzugehen, genauso — ich erinnere daran — wie die Staatsanwaltschaft in der Tonbandangelegenheit tätig geworden ist.
Nein, Herr Kollege Jungmann, wir können das nicht auf Dauer ausdehnen. Sie hatten zwei Fragen. Jetzt kommt Herr Kollege Olderog zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, gibt es für das Ministerium den geringsten konkreten Anhaltspunkt dafür, daß der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach die mit dieser Frage angesprochenen Vorschriften nicht beachtet haben könnte?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, Herr Kollege Olderog, daß ich das in meinen bisherigen Antworten ausreichend beantwortet habe.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Frau Staatssekretärin, ist es möglich, daß der Offizier, der während seiner Dienstzeit den Kommissionsbericht für die Erneuerung und Belebung der schleswig-holsteinischen CDU zusammengestellt hat, vielleicht deshalb nicht dienstrechtlich belangt werden konnte, weil er diesen Bericht dem Herrn Staatssekretär schenkweise übergeben hat, und trifft es zu — —
Herr Gansel, ich muß Sie unterbrechen. Wir sind bei der nächsten Frage, die einen ganz anderen Inhalt hat.
Ja, es geht um amtliche Geschenke, und deshalb wollte ich fragen, ob der Offizier diesen Bericht vielleicht an den Staatssekretär geschenkt hat und ob es zutrifft, daß es sich dabei um eine Studie über die strukturelle Nichtangriffsfähigkeit der schleswig-holsteinischen CDU handeln soll?
Die Frau Staatssekretärin hat verstanden, in welchem Sinne gefragt worden ist. Es ist ihre Sache, ob sie antworten will.
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Ja, da der Herr Kollege Gansel immer ein ehrenwerter Kollege ist, will ich ihm eine Antwort geben, die den ersten Teil betrifft, wenn Sie einverstanden sind, Herr Präsident. Der Offizier kann dienstrechtlich nicht verfolgt werden, weil er auf Anweisung seines Dienstvorgesetzten gehandelt hat.
Ich rufe Frage 40 des Abgeordneten Gansel auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die gegenwärtige Ausbildung irakischer Offiziersanwärter in der Flugzeug- und Raketentechnik an einer Hochschule der Bundeswehr unverzüglich abzubrechen, oder beabsichtigt sie, solche Ausbildungsmöglichkeiten auch weiteren Staaten zur Verfügung zu stellen, die über chemische Waffen und die entsprechenden Trägersysteme verfügen wollen?
Bitte schön, Frau Hürland.
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, die in der Frage zum Ausdruck gebrachte Alternative stellt sich nicht. Es gibt gegenwärtig keine Ausbildung irakischer Offiziersanwärter in der Flugzeug- und Raketentechnik an einer Hochschule der Bundeswehr.
Die bereits 1983 begonnene Ausbildung von zwei irakischen Kadetten, die ab 1985 an der BundeswehrUniversität München zu einem wissenschaftlichen Studienabschluß im Fachbereich Luft- und Raumfahrttechnik führen sollte, wurde von einem Studenten bereits am 16. Februar 1986 aufgegeben und von dem anderen Studenten am 15. März 1988 abgebrochen und an der Fachhochschule München fortgesetzt.
Der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin, daß es sich bei dem Studiengang an der Bundeswehr-Universität um die gleiche Ausbildung handelt, die auch zivile deutsche Technische Hochschulen vermitteln.
Herr Gansel, Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989 8687
Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich diese Auskunft, nachdem Staatssekretär Würzbach
in einem Brief an meinen Kollegen Erwin Horn zu Beginn des Jahres darauf hingewiesen hat, daß insgesamt sechs irakische Kadetten an der Universität der Bundeswehr München studiert haben?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Sie haben Elektrotechnik studiert, Herr Kollege Gansel, aber nicht Raumfahrttechnik.
Ist Ihnen bekannt, daß diese Kadetten von der irakischen Luftwaffe in Zusammenarbeit mit der Firma Dornier und der Carl-Duisberg-Gesellschaft ausgewählt worden sind und daß die Übergänge zwischen Weltraum- und Luftfahrttechnik und Elektrotechnik in der Tat fließend sind?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, ich gebe zu, daß die Übergänge in der Tat fließend sind. Darum habe ich eingangs auch gesagt: Die Studiengänge bei der Bundeswehrhochschule unterscheiden sich nicht von denen der Landeshochschulen, der Technischen Hochschulen im zivilen Bereich.
Mir ist nicht bekannt, daß die Firma Dornier hier eine Auswahl getroffen hätte. Es ist aber möglich, daß die Carl-Duisberg-Gesellschaft, die ja große Erfahrung im Studentenaustausch hat, da beteiligt ist.
Einen Augenblick! — Wir müssen hier ein bißchen darauf achten, daß wir noch zu Ende kommen.
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Auf jeden Fall wird die Auswahl von Studenten für Bundeswehrhochschulen mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt, so daß von dort aus in Verbindung mit unserem Hause eine Auswahl getroffen wird.
Meine Damen und Herren, zwei Kollegen haben noch je zwei Fragen gestellt. Wir haben aber nur noch eine Minute Zeit. Ich würde diese Fragen aber gern noch behandeln. Wenn wir das kurz und knapp machen, bin ich bereit, diese Fragen noch aufzurufen. Ich habe gesehen, wie die Kollegen — mit mir zusammen — den ganzen Abend hier gesessen haben. Ich sitze hier drei Stunden, sie wahrscheinlich auch. Ich wäre dankbar, wenn wir es kurz und knapp machen könnten.
Ich rufe Frage 43 der Abgeordneten Frau Dr. Götte auf:
Ist die Bundesregierung davon überzeugt, daß der US-Militärflugplatz Sembach/Pfalz für eine vorübergehende Stationierung von F 16-Kampfflugzeugen ohne Einschränkungen geeignet ist, obwohl die Rollbahn für schwere Jäger nur unzureichend dimensioniert ist und mit der Gemeinde Baalborn bewohntes Gebiet in der Einflugschneise, nur rund 500 Meter vom Flugplatz entfernt, beginnt?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Götte, die Start- und Landebahn des
Flugplatzes Sembach hat eine Länge von 2 400 m und ist somit für die F 16 geeignet. Die Start- und Landebahn des Flugplatzes Ramstein, auf dem die F 16 auf Dauer stationiert ist, hat mit 2 446 m praktisch die gleiche Länge.
Zusatzfrage, Frau Dr. Götte.
Der Flughafen Sembach grenzt unmittelbar an die Bundesstraße 40, und die Flugschneise führt unmittelbar über die B 40 hinweg. Kann man ausschließen, daß es zu einer Gefährdung des Verkehrs auf der B 40 kommen kann, wenn F-16-Flugzeuge auf der B 40 üben?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Auf der B 40 werden keine F-16-Flugzeuge üben.
— In Sembach werden Flugzeuge üben. Wir gehen davon aus, daß das ausgeschlossen ist.
Die B 40 führt unmittelbar am Flughafen vorbei und muß direkt vor der Landung überflogen werden. Ist auszuschließen, daß die Verkehrsteilnehmer auf der B 40 durch den Flugverkehr mit F 16 gefährdet werden?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, angesichts des derzeit relativ geringen Flugaufkommens mit A-10- und C-130-Luftfahrzeugen am Flugplatz Sembach erscheint dieser Platz am besten geeignet, zusätzliches Flugaufkommen aufzunehmen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Götte.
Experten haben mir gesagt, daß die Fläche zwischen der Hakenfanganlage, die als Überrollstrecke zur Verfügung steht, mit 125 Yards zu kurz ist, um ein Flugzeug im Fall eines Fehlstarts mit dem Seil noch einfangen zu können — in Sembach. Teilen Sie diese technische Bewertung, und welche Schlüsse sind daraus für die Flugsicherheit zu ziehen?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Götte, ich wäre wirklich dankbar, wenn Fachleute Laien gegenüber nicht immer solche Außerungen tun würden, sondern sich dann, wenn sie berechtigte Forderungen oder berechtigte Sorgen hätten, daß die Startbahn nicht ausreichend ist, daß die Fanganlage nicht ausreichend ist, daß es zu Gefährdungen kommen kann, an den Dienstvorgesetzten wenden würden. Ich bitte Sie einfach, mich mit dem Informanten zusammenzubringen, damit wir dann gemeinsam darüber sprechen. Denn weder Sie noch der Bundesminister der Verteidigung, noch die amerikanischen Streitkräfte sind daran interessiert, daß ein neues Unglück passiert.
Zusatzfrage des Abgeordneten Weiß .
Ich bin dem Präsidium sehr dankbar, daß wir noch die Möglichkeit
Metadaten/Kopzeile:
8688 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1989
Weiß
haben, diese Fragen zu diskutieren und beantwortet zu bekommen. Meine Fragen gehen ja in eine ähnliche Richtung.Frau Staatssekretärin, das alles hätten wir uns ersparen können, wenn ich auf meinen Brief vom 24. November 1988 vom Bundesverteidigungsminister eine Antwort bekommen hätte. Ich frage deshalb: Sind Sie bereit, daß wir die Sache einmal vor Ort, in Sembach selbst, abklären?Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weiß, ich könnte mir — auch für die Kollegin Götte — vorstellen, daß wir gemeinsam dort hingehen und uns an Ort und Stelle überzeugen.Wenn der Brief von Ihnen am 24. November geschrieben worden ist und Sie bis heute noch keine Antwort haben, dann muß ich zugeben, daß das gegenüber diesem Hohen Haus, gegenüber den Abgeordneten unzumutbar ist.
Ich werde mich darum bemühen, daß das abgestellt wird.
Dann kommt noch die Frage 44 der Abgeordneten Frau Dr. Götte:
Vertritt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Bevölkerung in den Flugplatzrandgemeinden bislang nur unterdurchschnittlich unter Lärmbelastung zu leiden hat und ihr somit 40 zusätzliche Starts pro Tag durchaus für die Zeit vom 1. Mai bis 1. August 1989 zugemutet werden können, und kann die Bundesregierung bestätigen, daß seit 3. Januar 1989 der Flugplatz Sembach bereits von F 16-Maschinen angeflogen wird ?
Bitte schön.
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Götte, die mit der vorübergehenden Verlegung einer Staffel der F 16 nach Sembach verbundene Belastung der Bevölkerung wird nicht verkannt. Sie erscheint jedoch angesichts der Tatsache, daß die Stationierung in Sembach nur wenige Monate dauern wird, nicht als unzumutbar. Es ist üblich, daß militärische Flugplätze auch von Flugzeugen angeflogen werden, die dort nicht stationiert sind — auch im übrigen Flugbetrieb. Dies gilt auch für den Flugplatz Sembach, und zwar nicht erst seit dem 3. Januar 1989. — Die Zeit wird im übrigen drei Monate und nicht vier Monate betragen.
Weitere Zusatzfrage, Frau Götte.
Ist Ihnen bekannt, daß die Bevölkerung der Gemeinden rund um den Flughafen Sembach schon jetzt ständig Klage über unzumutbare Belastungen führt, und wissen Sie, daß die F 16 nicht nur in dem vorgesehenen Zeitraum üben, sondern bereits jetzt trainieren, in Sembach zu starten und zu landen?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Das habe ich in meiner Antwort bereits zum Ausdruck
gebracht. Im übrigen, Frau Dr. Götte, wäre ich Ihnen doch sehr dankbar, wenn wir uns auf den Vorschlag des Kollegen Weiß zurückziehen könnten und an Ort und Stelle über alle Fragen — möglicherweise auch mit der Bevölkerung — sprechen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Wurde die Bundesregierung von den Amerikanern denn um Stellungnahme gebeten, wann war das, und haben Sie dieser Verlegung sofort zugestimmt?
Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung steht auch wegen der Verlegung der F-
16-Flugzeuge mit den zuständigen Dienststellen der US-Luftwaffe in Verbindung. Zur Auswahl des Verlegeflugplatzes Sembach ist zu bemerken, daß seine Lage — was Sie vorhin angedeutet haben — zu den umliegenden Gemeinden und der Bundesstraße 40 bekannt ist, die jeweiligen Abstände seine Nutzung mit Flugzeugen vom Typ F 16 aus flugbetrieblichen Gesichtspunkten jedoch nicht ausschließen.
— Doch, Sie haben gefragt, ob wir, die Bundesregierung, mit der US-Luftwaffe in Verhandlungen stehen.
Wir stehen in Verhandlungen. Und wenn wir in Verhandlungen stehen, gehe ich auch davon aus, daß wir gefragt worden sind.
Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Weiß auf.
— Auf die Fragen 45 und 46 des Abgeordneten Weiß werden also schriftliche Antworten erbeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Da also die restlichen Fragen schriftlich beantwortet werden sollen — die Antworten werden als Anlagen abgedruckt — , sind wir am Ende der Fragestunde — mit etwas mehr als fünf Minuten Zugabe.
Wir sind aber auch am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 19. Januar 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.