Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat fristgerecht eine Änderung der heutigen Tagesordnung beantragt. Diesen Antrag werden wir im Anschluß an die Fragestunde behandeln.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema
Vorgehen der DDR-Behörden gegenüber
Menschenrechts- und Friedensgruppen
verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Lintner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Geschehen in Ost-Berlin vermittelt von der DDR-Führung ein Bild nervöser Unsicherheit. Dieses Geschehen ist auch nur vordergründig erledigt. Zwar sind die Verhafteten entlassen und die Verfahren formell auch eingestellt, aber es ist doch ein rigoroser, totalitärer Gebrauch der Macht sichtbar gemacht worden, der hier erörtert werden muß.
Zunächst möchte ich aber darauf hinweisen, daß es schon sehr bedeutsam ist, daß der gemeinsame Protest aller Fraktionen dieses Hauses offensichtlich Erfolg gehabt hat. Ich glaube, daraus sollten wir lernen, daß wir uns diese gemeinsame Sensibilität zu bewahren haben, um auch künftig möglicherweise Betroffenen so helfen zu können.
Bedeutsam, meine Damen und Herren, war auch, daß die evangelische Kirche in der DDR solidarisch zusammengerückt ist und auch so das Los der Betroffenen erleichtert hat. Da ich einige der Betroffenen persönlich kenne, möchte ich hinzufügen: Der Erfolg freut mich auch für sie.
Aber der Konflikt ist — ich habe schon darauf hingewiesen — nur vordergründig beigelegt, weil eben doch deutlich geworden ist, daß Regierung und SED bereit sind, gegen Verträge und feierliche Verpflichtungen in bezug auf Menschen- und Bürgerrechte zu verstoßen, wen sie dies aus Machterhaltungsgründen für erforderlich halten. Da wird nach der Devise „Papier ist geduldig" verfahren, und notfalls wird selbst gegen die eigene Verfassung verstoßen. In der heißt es in Art. 30 Abs. 1 immerhin wörtlich:
Die Persönlichkeit und Freiheit jedes Bürgers der Deutschen Demokratischen Republik sind unantastbar.
In Art. 27 ist angeblich auch die Meinungsfreiheit garantiert und in Art. 28 angeblich auch noch die Versammlungsfreiheit.
Meine Damen und Herren, das alles hat den eigenen Leuten nichts genützt. Staatssicherheitsdienst und Polizei kommen in der DDR eben notfalls vor der Verfassung. Das ist natürlich für uns eine deprimierende Erfahrung, denn die DDR-Führung bringt dadurch ein Element der Unsicherheit in die Ost-West-Beziehungen und auch in das innerdeutsche Verhältnis. Bloße Schönwetterverläßlichkeit, wie sie hier zutage tritt, ist für ernsthafte Beziehungen keine geeignete Basis. Die DDR verunsichert auf diese Art und Weise die Verhandlungspartner auf einem politischen Feld, das geradezu von der Vertrauenswürdigkeit der Handelnden lebt. Die DDR fordert von uns immer Verläßlichkeit und Kalkulierbarkeit, und wir sind bereit, das zu akzeptieren, aber gleiches muß natürlich auch umgekehrt gelten und gefordert werden.
Die DDR bietet bei all dem Geschehen ein Bild der Unsicherheit. Dieser Eindruck wird noch durch die Tatsache verstärkt, daß ein geradezu lächerlich nichtiger Anlaß Grund für diese Polizeiaktion war. Die „Frankfurter Rundschau" umschreibt das so:
Damit war weltweit wieder das Bild von der häßlichen DDR in den Vordergrund gerückt, einer DDR, die noch nicht einmal ein hektografiertes Blättchen
— ich habe es mitgebracht und kann es Ihnen zeigen —
von 600 Exemplaren ertragen kann, in dem steht, was ohnehin die meisten wissen oder sich hinter vorgehaltener Hand erzählen.
Deshalb müssen wir schon verwundert die Frage stellen, ob das als Grund ausreicht, zu den Hand-
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Lintner
lungsmustern aus der Zeit des Kalten Krieges zurückzukehren. Dadurch ist bei uns und in der Weltöffentlichkeit ein fataler Eindruck entstanden.
Die DDR sollte bei solchem Vorgehen bedenken, daß auch hier bei uns die politische Vertretbarkeit von Leistungen der Bundesregierung zunächst erreicht werden muß. Wir brauchen die Zustimmung der Mehrheit unserer Bürger. Die Akzeptanz ist in der Deutschlandpolitik die Basis, und diese Akzeptanz und dieses Basis werden durch Vorgänge, wie wir sie da erlebt haben, im Kern geschädigt. Ich hoffe, daß kein irreparabler Schaden eintritt.
Das Wort hat der Abgeordnete Büchler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lintner, ich möchte Ihre Rede ausdrücklich würdigen. Ich glaube, das ist eine Basis, auf der man miteinander reden kann.
Die Sozialdemokraten in Fraktion und Partei haben unmittelbar bei Bekanntwerden der Vorgänge in und um die Zionskirche in Ostberlin reagiert, und zwar jeder aus seiner besonderen Aufgabe heraus etwas unterschiedlich, aber einheitlich in der Verurteilung dieser repressiven Vorgänge, die gegenüber den Friedens- und Umweltgruppen getätigt worden sind. Dies ist eine Selbstverständlichkeit; das möchte ich deutlich sagen. Alle Fraktionen des Bundestages haben dem Sinne nach Ähnliches geäußert.
Die SPD hat den ersten möglichen Kontakt mit der DDR-Seite genutzt, sich direkt an die Spitze der SED zu wenden. Hans-Jochen Vogel hat diesen Vorgang am vergangenen Dienstag öffentlich gemacht. Die DDR muß sich ohne Frage seit Helsinki und seit ihrem UNO-Beitritt den internationalen Gepflogenheiten und der internationalen Menschenrechtsdiskussion stellen; sie muß auch wissen, ob es ihrer Außenpolitik nützt oder schadet, wenn sie gegen Pazifisten und gegen Umweltschützer vorgeht.
Es ist ein großes Verdienst, möchte ich sagen, nicht zuletzt der sozialdemokratischen Entspannungspolitik, daß die DDR der Menschenrechtsdiskussion nicht mehr ausweichen kann. Es ist dabei kein Schaden, hier in aller Sachlichkeit festzustellen, daß sich die DDR noch nicht veranlaßt gesehen hat, nach unserem Beispiel den individuellen und den politischen Grundrechten einen entsprechenden Stellenwert beizumessen; bedauerlicherweise ist dies so.
Bei den sozialen Grundrechten, die die DDR stets für wichtiger erklärt, braucht sich die Bundesrepublik keineswegs zu verstecken. Wir haben — noch ist es so, wenn der Kollege Blüm nicht weiter zuschlägt — eine umfassende Versorgung im Gesundheitswesen; wir haben keine Wohnungsnot, wie in der DDR; wir haben immer noch, wenn auch durch die neue BAföG-Regelung eingeschränkt, ein für alle zugängliches Bildungswesen; wir haben auch — immer unter der Voraussetzung, daß der Mann mit der Axt im Innenministerium nicht an die Wurzeln geht — ein liberales
Demonstrationsrecht und Koalitions- und Versammlungsfreiheit. Ich glaube, dies ist alles gut so. Dies alles hat die DDR nicht oder nur mit qualitativen Einschränkungen, um es deutlich zu sagen. Bei uns ist dies verwirklicht. Umgekehrt verhält es sich allerdings ein bißchen mit der Arbeitslosigkeit, wie wir alle wissen.
Das jüngste Vorgehen der DDR gegen die Friedens- und Umweltgruppen ist ein weiterer Beweis für den prinzipiellen Vorzug unserer freiheitlichen Ordnung vor der Ordnung der DDR.
Ich habe dieses Vorgehen der DDR-Organe einen unverständlichen Affront genannt und auch gegenüber der SED angekündigt, daß darüber gesprochen wird. Dabei bleiben wir. Dies ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, geschehen.
Heute muß allerdings darüber hinaus gesagt werden: Die Einstellung der Strafverfahren zeigt auch an, daß es einen Streit innerhalb der Führung der DDR gibt, einen Streit, der sicherlich auch etwas mit den im SPD-SED-Papier angesprochenen Themen zu tun hat, Meinungsverschiedenheiten auszutragen und zu einer gewissen Öffnung der DDR-Gesellschaft auf diese Weise zu gelangen.
Wir sollten deshalb durch den Wettbewerb der Systeme zu einer neuen Art von politischer Auseinandersetzung kommen. Diese Auseinandersetzung sollte es nicht beim Austausch gegenseitiger Positionen und bei wechselseitigen Vorwürfen belassen. Wir sollten zu einer neuen Art der Kultur des politischen Streits untereinander und vor allem mit der DDR kommen.
Dabei bleibt natürlich unverrückbar: Für uns müssen Frieden und die politische Ordnung in der Bundesrepublik, die den Menschen Freiheit garantiert, Vorrang haben. Dies zusammengenommen ist die Grundlage für die eigentliche praktische Politik, die auch den Menschen in der DDR zusätzliche Freiheiten bringen kann. Dies ist das erklärte Ziel der Sozialdemokraten hier im Deutschen Bundestag.
Der Bundespräsident hat einmal formuliert, daß wir mit unserer Freiheit verantwortlich umgehen müssen; vor allem komme es nicht auf den lauten Beifall in den eigenen Reihen an, sondern auf die stille Zustimmung der Menschen in der DDR. Das sollten alle Redner in dieser Aktuellen Stunde, die ja zum Teil auch nach innen gerichtet ist, bedenken, und das wäre gut für diese Politik.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine beiden Vorredner haben schon darauf hingewiesen, daß der Protest — übrigens aus allen Fraktionen — des Deutschen Bundestages in einer deutschlandpolitischen Frage — eine Tatsache, die man vielleicht noch einmal ganz besonders hervorheben sollte — bereits Wirkung gezeigt hat.
Diese Aktuelle Stunde wäre natürlich ihrem Anspruch, aktuell zu sein, vor einer Woche noch eher
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3311
Ronneburger
gerecht geworden, wie übrigens ursprünglich beantragt, als das heute der Fall sein kann. Aber gerade wenn wir aus dieser unmittelbaren Aktualität bereits heraus sind, ist es vielleicht angebracht, einen kurzen Blick zurück auf die Entwicklung des Verhältnisses der beiden Staaten zueinander zu werfen.
Hier kann es — auch in den vergangenen Jahren — niemandem verborgen geblieben sein, daß wir nur mit kleinen Schritten vorangekommen sind und vermutlich auch in der Zukunft nur kleine Schritte werden tun können. Es kann aber genausowenig übersehen worden sein, daß in dem Verhältnis zueinander auch immer wieder Rückschläge eingetreten sind, zur Zeit der sozialliberalen Koalition ebenso wie unter der jetzigen Koalitionsregierung. Wir haben diese Rückschläge immer wieder gehabt und haben sie durch Beharrlichkeit, durch Geschlossenheit, durch Kontinuität unserer Deutschlandpolitik doch zu überwinden vermocht.
Es hat in diesen Jahren — wer könnte es bestreiten — eine Verbesserung der Situation gegeben. Es hat mehr Rechte, mehr Freiheiten, mehr innere Freiheit für die Menschen in der DDR gegeben. Zwischenmenschliche Beziehungen sind mehr geworden. Um so bedauerlicher ist es, daß wir nun wieder einen solchen Rückschlag haben erleben müssen, der leider geeignet ist, dieses Verhältnis und diese Entwicklung zumindest im Augenblick stagnieren zu lassen. Der Rat, den man in dieser Situation geben kann, kann natürlich nur der sein, an dem erklärten Ziel unserer Deutschlandpolitik mit der gleichen Beharrlichkeit und manchmal auch mit der gleichen Gelassenheit festzuhalten, wie wir das in der Vergangenheit getan haben.
Es hat diese Lockerungen gegeben. Ausgegeben wurden sie von der DDR allerdings nicht als Ergebnis unserer Deutschlandpolitik der gemeinsamen Bemühungen, sondern als eine, wie es hieß, selbstverständliche Konsequenz aus der fortgeschrittenen inneren gesellschaftlichen Entwicklung des sozialistischen Staates. Aber übersehen wir, z. B. bei den größeren Zahlen der Reisegenehmigungen, auch nicht, daß es dafür immer noch keinen einklagbaren Rechtsanspruch gibt, sondern daß hier immer noch Wohlwollen von Funktionären die Voraussetzung dafür ist, daß sich solche Dinge ereignen und weiterhin vollziehen können.
Wir haben mit den Vorgängen um die Zions-Kirche eine bittere Enttäuschung erlebt. Ich glaube aber, wir sollten diesen Zustand der Enttäuschung so schnell wie möglich zu überwinden trachten.
Wenn ich eines mit aller Deutlichkeit hinzufügen darf: Hüten wir uns auf unserer Seite, aus der komfortablen Situation eines Bürgers eines freiheitlichen Rechtsstaates nicht nur zu protestieren, sondern denen, die in diesem Staat und mit diesem Staat leben müssen, etwa Ratschläge darüber zu geben, wie man mit einem solchen Staat umgeht.
Ich glaube, das wissen die drüben besser als wir. Wir selbst haben alle Veranlassung, auf das zu hören, was die Betroffenen selbst sagen, und ich meine nicht zuletzt die Kirchen im sozialistischen Staat der DDR.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hensel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit tiefer Betroffenheit und Empörung habe ich das Vorgehen der DDR-Behörden gegen die Mitglieder der Umweltbibliothek in Ost-Berlin verfolgt, und dies um so mehr, als der Besuch von Erich Honecker, der hier und, ich glaube, auch in der DDR viel Hoffnung geweckt hat, erst einige Wochen zurückliegt, die Debatte um mehr Glasnost unverändert weitergeführt wird und das Mittelstreckenabkommen kurz vor der Unterzeichnung stand. Diese Zusammenhänge haben sehr viel Sensibilität in der Öffentlichkeit hervorgerufen, die in einen einhelligen internationalen, aber auch bundesdeutschen Protest gemündet sind. Dies und die Verurteilung der Vorfälle in der DDR haben offenbar dazu geführt — das sagten auch schon meine Vorredner — , daß die DDR-Führung bereit war einzulenken. Die verhafteten Mitglieder der Zionsgemeinde wurden freigelassen, und ihre Anwälte haben, was für DDR-Verhältnisse sehr ungewöhnlich ist, volle Akteneinsicht bekommen, und es gibt auch Anzeichen dafür, daß die Verfahren eingestellt werden sollen.
Allerdings stehen im Widerspruch zu dieser Entwicklung im Inneren, auch die Einreiseverbote gegen Mitglieder der SPD und der GRÜNEN, die sich auch gegen mich selbst gerichtet haben. Sie wissen, daß die GRÜNEN auch in der Vergangenheit bei ähnlichen Übergriffen der DDR-Behörden in aller Deutlichkeit ihren Protest immer artikuliert haben, damit aber meistens ziemlich allein auf weiter Flur standen. Um so mehr begrüßen wir es heute, daß diesmal von allen Parteien hier im Bundestag klare Worte gefunden wurden und daß auch die SPD diesmal klare Worte findet und offenbar gewillt ist, das gemeinsame Papier mit der SED in dieser Frage mit Leben zu füllen.
Glaubwürdigkeit setzt eben auch einen erweiterten Dialogbegriff voraus, der die Problematik der Menschenrechte nicht ausklammern kann. Auch Teile der Union machen Fortschritte, nachdem sie erst vor kurzem die Existenz der staatsunbhängigen Gruppen offiziell zur Kenntnis genommen haben. Ich begrüße dies ausdrücklich. Es ist doch so, daß die Aufnahme dieser Kontakte, die beispielsweise dazu führt, daß man Menschenrechtsverletzungen anspricht, nicht mehr nur im Osten, sondern auch in Chile und Südafrika wahrgenommen wird. Das hat die Union in der Vergangenheit nie so eindeutig belegt. Ich möchte an dieser Stelle auch sagen: Nach unserem Verständnis ist ein gespaltenes Verhältnis zu den Menschenrechten und der Friedenspolitik bei der Union leider nach wie vor vorhanden.
— Das möchte ich an dieser Stelle einfach zurückgeben.
Die Politik der Union ist so lange wenig glaubhaft, wie sie nur Drittstaaten gegenüber propagiert wird. Wer gegen staatliche Willkürmaßnahmen in der DDR
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Frau Hensel
protestiert, darf nicht gleichzeitig in der Bundesrepublik das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Demonstrationsfreiheit untergraben. Wer wie Innenminister Zimmermann ständig an bundesdeutschen Grundrechten knabbert, kann sich erst dann glaubhaft für Menschenrechte und Meinungsfreiheit in der DDR einsetzen, wenn er sein grundsätzliches Verhältnis zur Demokratie eindeutig geklärt hat. Zwischen Menschenrechten und Demokratie nach außen und nach innen besteht genauso ein kausaler Zusammenhang wie zwischen dem inneren und äußeren Frieden. Meine Partei hat immer versucht, dieser Prämisse gerecht zu werden.
Schon vor längerer Zeit haben die GRÜNEN deshalb einen viel weitergehenden gleichberechtigten Dialog auf allen Ebenen sowohl mit der DDR-Führung als auch mit unabhängigen Gruppen gefordert und auch praktiziert. Wir sind der festen Überzeugung, daß es nur dann eine gemeinsame europäische Zukunft geben wird, wenn die Freizügigkeit der Begegnung und ein freier Reiseverkehr gewährleistet ist und wenn überall freie Meinungsäußerung, ein freier Gedankenaustausch möglich ist. Dies sind die Voraussetzungen für einen befruchtenden kulturellen Austausch über die heutigen Grenzen hinweg, und sie dienen dem Abbau von Feindbildern und einer längerfristigen Friedenssicherung über Raketenabkommen hinaus.
Weder das Vorgehen in der DDR gegen die staatsunabhängigen Friedensgruppen noch die Einreiseverweigerung gegenüber einigen Kollegen und mir werden die GRÜNEN davon abbringen, auf ein Europa ohne Grenzen und ohne Blöcke hinzuarbeiten.
Wenn es, wie ich hoffe, interfraktionelle Gemeinsamkeiten zu den angesprochenen Fragen in diesem Hause gibt, so sollten wir diese aufgreifen, um einen übergreifenden, gleichberechtigten Dialog mit der DDR auf allen Ebenen besser führen zu können.
Danke.
Ich erteile das Wort der Frau Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle haben wohl mit Bestürzung vor 14 Tagen die Nachrichten von der Polizeiaktion gegen die „Umwelt-Bibliothek" in der Zionsgemeinde in Berlin aufgenommen. Das nächtliche Vorgehen der DDR-Sicherheitsorgane hat uns wiederum vor Augen geführt, daß wir es im anderen Teil Deutschlands mit einem Staat zu tun haben, in dem nach wie vor die Meinungsfreiheit und die Freiheit des gedruckten Wortes als Bedrohung empfunden und deshalb eben nicht zugelassen werden. Den Ablauf der Ereignisse brauche ich nicht mehr nachzuzeichnen. Wir haben mit Erleichterung vernommen, daß alle Festgenommenen wieder frei sind und daß die Ermittlungsverfahren eingestellt werden sollen.
Doch damit können wir nicht und erst recht nicht die betroffenen Kreise in der DDR den Vorfall ad acta legen; denn er wirft eine Reihe von Fragen auf, etwa: Signalisiert die Aktion eine Verhärtung des innenpolitischen Klimas in der DDR, insbesondere eine Verschlechterung des Verhältnisses Staat/Kirche? Muß der Vorgang vielleicht im Zusammenhang mit anderen kürzlich geschehenen Ereignissen gesehen werden, u. a. der Absage der Informationsgespräche zwischen Staat und evangelischer Kirche oder den Auftrittsverboten für kritische Liedermacher auch in kirchlichen Räumen? Liegt hier etwa der Beginn eines Abrückens von dem seit 1978 verfolgten staatlichen Kurs gegenüber den Kirchen?
Meine Damen und Herren Kollegen, ich bezweifle, daß wir schon heute diese Fragen abschließend beantworten können. Wir sollten — darin sind wir uns ja auch alle einig — diese Aktuelle Stunde zum Anlaß nehmen, über den Vorfall sehr nüchtern und besonnen jenseits aller Rhetorik und Polemik nachzudenken. Ich denke, damit helfen wir unseren Landsleuten am besten.
Die beiden christlichen Kirchen in der DDR, insbesondere die traditionell größere evangelische Kirche, haben sich unter dem offiziellen Kurs seit 1978 eine Stellung verschafft, die den einzigen außerstaatlichen Freiraum ermöglicht, den es in der sozialistischen Gesellschaft außerhalb des privaten Bereiches gibt. Die evangelische Kirche hat im Rahmen dieser Entwicklung verschiedenen Gruppen Raum gegeben, u. a. Umweltschützern, Friedens- und Menschenrechtsverfechtern, die zum Teil nur wenig kirchliche Bindungen haben.
Neben allen anderen Aspekten wirft der Vorfall in der Zionskirchengemeinde deshalb auch ein Schlaglicht auf das Dilemma, in dem sich die Kirche gegenüber den mehr oder weniger kirchlichen Gruppen befindet, die unter ihrem Dach Schutz suchen. Die Kirche soll nach einem Wort von Bischof Leich für alle, aber nicht für alles da sein. Zwischen Staat, kirchentreuen Gemeindemitgliedern und den vielfältigen Gruppen bewegt sich die Kirche drüben auf einer schwierigen Gratwanderung. Angesichts dieser komplizierten Situation sollten wir von hier aus weiter Entfernung mit Bewertungen und Ratschlägen Zurückhaltung üben. Ich stimme allen Kollegen zu, die dies soeben auch schon zum Audruck gebracht haben.
Leitende kirchliche Kreise in der DDR gehen nach den Gesprächen, die mit staatlichen Stellen dort geführt worden sind, davon aus, daß es längerfristig nicht zu einer Verschlechterung des Verhältnisses von Staat und Kirche kommen wird. Sie haben die Aktion als Warnung an alle autonomen Gruppen eingeschätzt, ihren Spielraum nicht zu überschätzen und oppositionelle Aktivitäten zu unterlassen. Es bleibt aber — dies müssen wir festhalten — , daß es sich nicht nur innenpolitisch, sondern auch im Verhältnis zur Kirche bei den Geschehnissen um einen schwerwiegenden Vorgang handelt. Aus unserer Sicht eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates haben die Sicherheitsbehörden der DDR mit ihrer Nacht-und-Nebel-Aktion gegen fundamentale rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen.
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Bundesminister Frau Dr. Wilms
Bereits jetzt steht fest, daß die DDR dafür einen nicht unerheblichen Preis zahlen muß. Das internationale Ansehen der DDR hat gelitten. Auch aus der Sicht von Tendenzen in der kommunistischen Welt, die mit den Begriffen wie Glasnost und Perestrojka umschrieben werden, ist das Vorgehen der DDR-Behörden als Rückschritt zu werten.
Letztlich ist auch nicht gering einzuschätzen, daß sich- die Kirche mit Zustimmung vieler Gemeindemitglieder mit allen Gruppen solidarisiert und solidarisieren muß, die bei ihr Zuflucht suchen.
Ich möchte auch nicht verschweigen, daß Vorfälle dieser Art auch die innerdeutschen Beziehungen immer wieder zu belasten drohen. Die Bundesregierung hat in jüngster Zeit im Interesse der Menschen in beiden Teilen Deutschlands viel Positives erreicht. Der Besuch Honeckers in der Bundesrepublik Deutschland hat gerade bei unseren Landsleuten drüben neue Hoffnungen geweckt. Angesichts dieser guten Bilanz bedauern wir die jüngsten Vorfälle außerordentlich.
Aber der Bundesregierung war auch immer bewußt, daß übertriebene Erwartungen und Hoffnungen auf eine freiheitliche Entwicklung in der DDR nach wie vor nicht angebracht sind. Dennoch gibt es zu dem mühsamen Dialog mit der DDR für uns keine Alternative. Wir werden dabei unseren Verhandlungspartnern immer wieder deutlich sagen, daß Vorfälle, wie sie jetzt geschehen sind, das Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland wie auch zu anderen westlichen Ländern spürbar belasten, weil sie Geist und Buchstaben der KSZE-Schlußakte von Helsinki widersprechen.
Wir werden auch weiterhin über klare und einforderbare Vereinbarungen mit der DDR reden. Wir werden den Dialog mit der DDR mit Geduld und Augenmaß weiterführen. Wir werden aber auch nicht darauf verzichten, Unrecht als das, was es ist, beim Namen zu nennen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haack.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Maßnahmen des Staatssicherheitsdienstes der DDR vor zwei Wochen in Räumen der Ost-Berliner Zionsgemeinde sind in der Bundesrepublik einhellig verurteilt worden. Wir tun dies auch im Bundestag einmütig. Nacht-und-Nebel-Aktionen mit Verhaftungen und Beschlagnahmen passen nicht mehr in eine Zeit, in der von neuem Denken, Offenheit und einer Kultur des politischen Streits gesprochen wird.
Im Interesse der Betroffenen sind wir froh, daß die Verhafteten wieder frei sind und die Ermittlungen der DDR-Behörden mittlerweile wieder eingestellt sind. Die SED muß aber wissen, daß sie bei vergleichbaren Vorfällen in der Zukunft in gleicher Weise mit unserem Protest rechnen muß.
Die Aktionen der DDR-Behörden geschahen zur selben Zeit, in der in Ost-Berlin der zehnte Schriftstellerkongreß stattfand, auf dem die Zensur als überlebt, nutzlos, paradox, menschenfeindlich, volksfeindlich, ungesetzlich, verfassungswidrig und strafbar angeprangert wurde.
Stephan Hermlin sagte in diesem Zusammenhang zu den Vorgängen am Prenzlauer Berg, die Polizeiaktionen hätten jene zu verantworten, die von der Bewegung hin zur Öffnung und zum Abbau von Feindbildern nichts hielten. Zu diesen Verantwortlichen gehört das Politbüromitglied Kurt Hager, der vor kurzem kritisierte, daß die Einmischung in DDR-Angelegenheiten vom Westen aus dazu diente, „DDR-Bürger zu verunsichern und ihrem Staat zu entfremden". Welch groteske Unterstellung! Nicht wir mit unserer an den Menschenrechten orientierten berechtigten Kritik verunsichern DDR-Bürger, dies tun vielmehr die SED-Propagandisten des alten Denkens.
Kurt Hager hat es in einem Interview mit einer Illustrierten im April dieses Jahres weit von sich gewiesen, Glasnost oder Perestrojka in der DDR einzuführen, mit dem mittlerweile geflügelten Wort: „Würden Sie, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?" Wir sollten Herrn Hager zurufen: Auch die DDR hat einen Tapetenwechsel nötig.
In dem von Generalsekretär Gorbatschow angestrebten „Europäischen Haus" muß auch die SED ihre Wohnung instand setzen und modernisieren,
wenn sie den berechtigten Wünschen der Menschen in ihrem Herrschaftsbereich gerecht werden will.
Das Prinzip der Abgrenzung ist überlebt. Auch die DDR braucht eine Öffnung nach innen und außen. Die einsichtigen SED-Politiker wissen dies. Wissenschaftler und Künstler, Wirtschaftsfachleute und Arbeiter, die Bürger der DDR warten auf diesen Prozeß.
Wir wollen niemanden bevormunden, sondern wir wollen diesen notwendigen Öffnungsprozeß auch im Interesse der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten unterstützen. Wir sind gegen polizeistaatliche Methoden, weil sie den Menschenrechten widersprechen. Auch die DDR-Behörden müssen sich selbstverständlich an die Schlußakte von Helsinki halten.
Nur so können auf Dauer friedliche Beziehungen entwickelt werden. Friedensfähigkeit, meine ich, ist mehr als die Bereitschaft, einen Krieg zu verhindern. Die Friedensfähigkeit eines Staates erweist sich auch im Umgang mit seinen Bürgern. Zur Friedensfähigkeit gehört auch, Vereinbarungen einzuhalten. Die SED hat schon kurz nach Verabschiedung des gemeinsamen Papiers der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK und der Grundwertekommission der SPD viermal gegen Geist und Inhalt dieses Papiers verstoßen: erstens in einem Referat Kurt Nagers auf einer „Partei aktiv"-Tagung der Bezirksparteiorganisation in Frankfurt , zweitens in einem Gespräch des Rektors der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Prof. Reinhold, mit dem „Neuen Deutschland" , drittens durch die in dieser Aktuellen Stunde kritisierten Maßnah-
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Dr. Haack
men, viertens durch die Zurückweisung von Abgeordneten, zuletzt des SPD-Bundestagsabgeordneten Weisskirchen am vergangenen Freitag, der mit Vertretern kirchlicher Gruppen in Ost-Berlin sprechen wollte.
Das letzte Kapitel dieses genannten Papiers ist überschrieben: „Neues Denken, neues Handeln. "
Die Vorgänge der letzten Wochen zeigen: Altes Denken, altes Handeln.
Durch den gestern unterzeichneten Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion über die Vernichtung atomarer Mittelstreckenraketen ist ein großer Durchbruch erzielt worden, den wir in den beiden deutschen Staaten besonders begrüßen. 1983, nach dem Stationierungsbeschluß des Deutschen Bundestages, hat Generalsekretär Honecker von einer notwendigen Schadensbegrenzung gesprochen.
Diesen Begriff sollten wir in der aktuellen Diskussion aufgreifen. Generalsekretär Honecker möge dafür sorgen, daß nicht durch unbedachtes Vorgehen Schaden verursacht wird.
Die deutsch-deutschen Beziehungen, zu denen auch ein ungehinderter Austausch von Ideen, Informationen und Meinungen sowie eine Öffnung der DDR-Gesellschaft gehören, dürfen nicht fahrlässig belastet werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Lummer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben gestern im Zusammenhang mit dem Abrüstungsvertrag wieder große und, wie auch ich sage, goldene Worte gehört, und ich will sie auch gar nicht geringschätzen, etwa das Wort, daß man in der Sowjetunion weiterhin mehr Offenheit, mehr Demokratisierung betreiben werde; der Generalsekretär sagte auch, dieser Prozeß sei unumkehrbar geworden.
Was in der Zionsgemeinde stattfand, war jedenfalls eher das Gegenteil davon. Das war weder Glasnost noch Perestrojka. Das war Abgrenzung, und das war Zensur. Ich danke dem Kollegen Haack, daß er Christoph Hein mit seinen Bemerkungen über Zensur in der DDR auf dem jüngsten Schriftstellerkongreß zitiert hat.
Man kann natürlich Bücher verbrennen und auf einen Index setzen. Man kann auch die Produktion von Büchern verhindern. Man kann auch die Einfuhr verhindern. Aber alles das ist gegen Offenheit, gegen den freien Meinungsaustausch und gegen die freie Meinungsbildung. Ich meine jedoch, daß wir den Versuch machen wollen, Konsequenzen zu ziehen und weiterzukommen. Da knüpfe ich ebenfalls — ich freue mich über den hohen Grad an Übereinstimmung hier im Hause, bis auf eine kleine Ausnahme — an das Papier von SPD und SED an und nenne das Stichwort „Kultur des Streits". Aber Kultur des Streits setzt ja gewissermaßen voraus, daß ein solcher Streit mit bestimmten Mitteln und in bestimmten Formen stattfinden kann. Das setzt doch z. B. voraus, daß man drüben auch den „Vorwärts" lesen kann, vielleicht auch eine Zeitung, hinter der angeblich immer ein kluger Kopf steckt, oder irgendein anderes Blatt von Welt; welches, sei dahingestellt.
Aber ich finde, wir sollten an dieser Stelle ganz konkret werden und die andere Seite beim Wort nehmen, wenn es um diese Kultur des Streits geht. Es war 1967, glaube ich, und einer der Wortführer war Fritz Erler, als es um Redneraustausch und Zeitungsaustausch ging. Vielleicht können wir dort wieder anknüpfen. Der Bundestag hat damals einen Beschluß zur Ermöglichung des Zeitungsaustauschs gefaßt. Ich finde, daß wäre doch eine Möglichkeit, weiterzukommen.
Oder ein anderes Beispiel, das als Begriff hier ja auch schon auftauchte: Alle Welt redet derzeit von Feindbildern. Ich meine, es ist in der Tat richtig: Man muß nicht nur Sprengköpfe, sondern muß auch die Feindbilder in den Köpfen der Menschen beseitigen.
— Ja, aber selbstverständlich.
— Ich sehe, daß Sie sich über die Übereinstimmung, die hier vorhanden ist, freuen. — Denn bekanntermaßen, meine Damen und Herren, ist es ja nicht so, daß die Waffen Spannungen produzieren. Vielmehr gibt es dann, wenn Ängste und mangelndes Vertrauen vorhanden sind, eine Eskalation der Rüstung und der Aufrüstung.
Deshalb mache ich einen ganz einfachen Vorschlag, Frau Ministerin — ich hoffe, Sie akzeptieren ihn und äußern ihn nach drüben hin — : Bilden wir doch eine gemeinsame, eine deutsch-deutsche Kommission nach dem Vorbild der deutsch-polnischen Schulbuchkommission. Diese Kommission bekommt alle Bücher für Kinder, Jugendliche und Soldaten auf den Tisch. Die Mitglieder lesen sie durch, und dann kann man sich darüber unterhalten.
— Wunderbar, dann machen wir es doch jetzt einmal! Es geht ja darum, daß das gegenüber der DDR jetzt geäußert wird. Vielleicht besteht dann eine Chance, daß sie das akzeptiert. Aber natürlich habe ich meine Zweifel daran, daß sie das tut. Denn wir wissen ja, daß sie diesen kultivierten Wettstreit offenbar nicht so recht mag. Vorhin ist ja schon etwas zitiert worden. Ich führe jetzt einmal ein Zitat aus einem von der SED noch im Frühjahr 1985 aufgestellten Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit an. Da heißt es: „Die Kinder sollen erfahren, daß es Menschen gibt, die unsere Feinde sind, gegen die wir kämpfen müssen, weil sie den Krieg wollen." Wenn wir uns in dem Papier bescheinigen, daß wir friedens- und reformfähig sind, dann stimmt das doch alles nicht mehr, dann kann das so nicht stehenbleiben.
Ich meine, man sollte eben den Versuch machen, in einer solchen Kommission das zu lesen, was in den
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Lummer
Büchern steht, festzustellen, was Feindbilder sind. Dann kann man sie vielleicht auch abrüsten und beseitigen. Damit käme man auf dem Weg zu mehr Glasnost, mehr Verständigung und letztendlich auch mehr Frieden durch Vertrauensbildung ein Stück weiter.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Terborg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über die Situation der evangelischen Kirche in der DDR. Man hat uns nicht darum gebeten. Das Kanzleramt weiß, daß die DDR-Kirchen ihren eigenen Weg im Spannungsfeld mit der Staatsgewalt finden müssen.
Wir reden heute über umweltbewußte Bürger in der DDR. Sie haben uns nicht darum gebeten. Das Kanzleramt weiß, daß es ihnen eher schadet, als es ihnen nützt. Manchmal, so denke ich, sollten wir die Klappe halten. Wir sollten uns darauf verlassen, daß auf den bereits bestehenden vielfältigen Kanälen offizieller und inoffizieller Kontakte mit der DDR mehr und Effektiveres erreicht wird. Was jetzt eigentlich gar nicht im Streit steht, denn alle Parteien — und auch das Kanzleramt — wissen, wie man etwas mehr Menschlichkeit, etwas mehr Bürgerlichkeit und ein paar Freiräume mehr verwirklichen kann, wenn man auf westlichen Podien etwas weniger laut poltert.
Ich bitte Sie inständig, das zu beherzigen.
Ich bin nun schon — wie alle meine Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion — seit vielen Jahren im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen der Volkskammer im anderen Deutschland. Viele Stunden haben wir dazu gebraucht, um überhaupt miteinander gesprächsfähig zu sein. Viele Stunden haben wir darauf verwandt, sachbezogen um Ergebnisse zu ringen. Einiges haben wir bereits erreicht. Aber ich werde einen Teufel tun, Ihnen die Ergebnisse zu schildern. Uns reichen die Ergebnisse. Würden wir auf dem Markt der öffentlichen Meinung unsere Pfauenfedern spreizen — wie das in der Politik ja nun so üblich ist —, hätten wir nichts erreicht. Mir kommt es darauf an, den Menschen, den jungen Menschen in beiden deutschen Staaten zu helfen. Wir können das, was wir wollen, nicht auf Plakaten vor uns hertragen. Wir können das, was wir versuchen, nicht in die Mikrophone reden. Wir können das, was wir anstreben, nur in geduldiger, ja in fast lautloser Kleinarbeit zu betreiben versuchen. Mißerfolge sind dann noch immer drin. Aber ich kämpfe um die Chance, daß uns Minimalschritte im deutsch-deutschen Miteinander gelingen werden. Das können Minimalschritte für die Kirchen sein, das können Minimalschritte für die jungen Menschen im anderen Deutschland sein.
Kolleginnen und Kollegen, bitte verschütten Sie diese Chance nicht durch öffentliches Getöse. Machen Sie sich mit uns auf die Reise in den offensiven Dialog mit einer anderen Gesellschaftsform, die wir nicht akzeptieren, deren Existenz wir aber zur Kenntnis nehmen müssen.
Ich erinnere hier an den Antrag, der diesem Hohen Hause vorliegt, die Kontakte zur Volkskammer aufzunehmen. Dies ist ein Weg, wie man beginnen kann.
Seien Sie bitte bereit, diesen mühsamen deutschdeutschen Weg zu gehen. Ich denke, im Kanzleramt, Herr Reddemann, besteht mehr Bereitschaft dazu als bei manchen Sprechern, die ich hören mußte.
Ich denke, wir Deutschen hätten allen Grund, auf ebenso lautlose wie effektive Weise Verständigung da zu erreichen, wo dies über die Medien, die Podien, die Plenardebatten noch nicht möglich ist.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Böhm .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Aktionen des Staatssicherheitsdienstes gegen Umwelt-und Friedensgruppen in Ost-Berlin und in vielen Städten der DDR waren ein denkbar schlechter Beitrag zur Förderung des vielzitierten „Klimas des Vertrauens" im geteilten Deutschland und im geteilten Europa. Im Gegenteil, es wurde Mißtrauen geschürt.
Ich bin, verehrte Frau Kollegin Terborg, der Meinung, daß wir das deutlich aussprechen sollen und daß Leisetreterei in diesem Zusammenhang eine falsche Politik wäre. Wir haben heute gehört, daß nicht zuletzt die Proteste aus der Bundesrepublik Deutschland dazu geführt haben, daß keiner der Verhafteten noch inhaftiert ist. Ich glaube, das ist ein guter Erfolg unserer glücklicherweise gemeinsamen Politik in dieser Frage.
Meine Damen und Herren, viele Menschen in unserem Land stellen sich die Frage, ob die Art und Weise, wie wir mit der DDR umgehen, d. h. den innerdeutschen Interessenausgleich durch wirtschaftliche Leistungen suchen, um menschliche Erleichterungen zu erreichen, die richtige Politik ist, wenn sich die DDR so verhält, wie es in der Aktion des Staatssicherheitsdienstes zum Ausdruck kam, daß sie nämlich auf der einen Seite unser Entgegenkommen akzeptiert, aber auf der anderen Seite Verträge bricht, in denen sie sich zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet hat.
Das Vorgehen des Staatssicherheitsdienstes verstößt einmal mehr gegen auch von der DDR anerkannte Normen des Völkerrechts, wie sie z. B. in der Charta der Vereinten Nationen, den völkerrechtlich verbindlich wirkenden internationalen Menschenrechtspakten aus dem Jahre 1966 und auch in der KSZE-Schlußakte verankert sind.
3316 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Böhm
Die Unterzeichnerstaaten von Helsinki — und natürlich gehört die DDR dazu — haben ausdrücklich die politische Bedeutung der innerstaatlichen Menschenrechtsverwirklichung für die internationalen Beziehungen herausgehoben. Die DDR ist hier gefordert, sich entsprechend den Unterschriften zu verhalten, die von ihren Führern bei diesen Konferenzen gegeben worden sind.
Bei aller Freude über die zahlreichen praktischen Erfolge der Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung in den letzten Jahren bleibt nach diesen neuen Ereignissen die bittere Erkenntnis, daß sich im Grundsätzlichen in der DDR wenig geändert hat. Nach wie vor werden zahlreiche Familien auf Grund der Mauer getrennt, werden ganze Generationen von Kindern und Heranwachsenden zum Haß erzogen, sind Familien und Kirchen in der DDR ständiger Gängelung und Einflußnahme durch den mächtigen Partei- und Staatsapparat ausgesetzt. Ein gigantischer Sicherheitsapparat stellt eine ständige Bedrohung für jeden Bewohner der DDR dar.
Bei dieser Aufzählung von Verstößen, meine Damen und Herren, handelt es sich weiß Gott nicht um Kalten Krieg, sondern um die bittere Alltagswirklichkeit für Millionen mitteldeutscher Landsleute.
Die Aktionen des Staatssicherheitsdienstes zeigen aber auch — und das deutlich gemacht zu haben war gewiß nicht dessen Absicht — : Wir, die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR, sind e i n Volk. Uns beschäftigen schließlich dieselben Themen, wir denken über dieselben Fragen nach: Wie schützen wir unsere Umwelt? Wie erhalten wir diese Umwelt für unsere Kinder? Wie sichern wir den Frieden?
In einer dieser Zeitungen, die eine angeblich so große Bedrohung für die DDR darstellen, wurde z. B. das Schicksal des zum Tode verurteilten 19jährigen sowjetischer Studenten Ryskulbekow angesprochen, für den sich auch die Bundesregierung und viele Menschenrechtsbewegungen in Polen und in der Tschechoslowakei eingesetzt haben.
Es wäre unklug und sachlich nicht richtig, wollte man die Umwelt- und Friedensgruppen in der DDR für irgendeine politische Richtung bei uns vereinnahmen. Sicher gäbe es Anlaß zu einem kritischen Dialog auch mit diesen Gruppen. Diese Gruppen sind unter den besonderen gesellschaftlichen Bedingungen der DDR angetreten, und sie wirken dort. Unsere Aufgabe kann es nur sein, für sie, ihre Anhänger und alle Landsleute in der DDR die Menschenrechte und die Selbstbestimmung einzufordern, die zu gewähren und zu verwirklichen sich die Führer der DDR verpflichtet haben.
Die Aktionen des Staatssicherheitsdienstes haben auch sichtbar gemacht: Niemand kann das Denken verbieten. Das Fühlen, Denken und Handeln der Menschen in der Mitte Europas, mit denen sie sich den drängenden Fragen unserer Zeit stellen, ist und bleibt ohne Rücksicht auf das gesellschaftliche System, in dem sie leben, gleich. Ich finde, das ist eine beglückende Gemeinsamkeit, die wir heute hier haben, und ein Blick in die DDR zeigt, daß die Menschen dort von denselben Problemen umgetrieben werden, die auch uns beschäftigen.
Danke.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hensel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gunst der Stunde nutzen. Heute wurde sehr viel von allen Fraktionen gesagt, und ich habe einen gewissen Konsens festgestellt, über den ich sehr froh bin. Ich möchte aus diesem Konsens heraus noch einmal auf eine Sache eingehen, nämlich auf den Rückschlag. Ich will darauf aufmerksam machen, daß wir vielleicht reflektieren sollten, ob das tatsächlich ein Rückschlag war oder ob es einfach nur die öffentliche Eskalation war, die die tagtägliche Praxis dort beschreibt.
Alle Fraktionen haben eben gerade in den Reden wie auch ich in meiner letzten Rede in diesem Parlament Vorschläge unterbreitet, wie man in dieser Sache ein Stück weit vorankommen kann, auch aus diesem Parlament heraus ein bißchen mehr Bewegung, ein bißchen mehr Stabilität in den Beziehungen zur DDR schaffen kann. Ich möchte davor warnen, daß wir jetzt aus unterschiedlichen Motiven heraus in einen gewissen Aktionismus geraten, in den wir nicht geraten wollen. Ich möchte deswegen zum Abschluß noch einmal darauf aufmerksam machen, daß ich beim letztenmal den Vorschlag gemacht habe, in dieser Frage einen interfraktionellen Gesprächskreis zu initiieren. Ich möchte Sie noch einmal bitten, diesen Konsens, den wir heute erzielt haben, in einem Gesprächskreis fortzuführen, um unsere Gedanken, die den Dialog mit der DDR betreffen, in einen konzeptionellen Rahmen zu bringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Werner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine ursprünglichen Sätze zur Seite legend, möchte ich auf zwei Beiträge eingehen. Frau Terborg, Ihnen wurde Leisetreterei vorgeworfen. Ich glaube, es wäre in der Tat nicht ganz richtig, sich politisch so zu verhalten, wie Sie es uns anempfohlen haben, zum einen, weil die jeweils in der DDR betroffenen Landsleute etwas anderes von uns erwarten. Sie erwarten nämlich, daß wir klar und deutlich die Stimme erheben. Sie erwarten aber zum anderen, daß wir nicht mit überzogenen Forderungen, die nicht sachgemäß und zeitgerecht sind, auftreten und damit unter Umständen die Schwierigkeiten noch vergrößern. Wir müssen also das eine tun und dürfen das andere nicht lassen. Und zu dem „das andere nicht lassen" gehört, daß wir die DDR unentwegt an die von ihr eingegangenen Rechtsverpflichtungen erinnern, ihr immer wieder den eigenen Spiegel vorhalten und anmahnen müssen, das einzuhalten, was sie im Rahmen der KSZE-Vereinbarungen und der internationalen Pakte unterschrieben hat.
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Werner
In diesem Zusammenhang möchte ich auch ein Wort zu der Durchführung der Amnestie sagen, die zur Zeit ja läuft. Wir müssen mit Bedauern feststellen, daß offensichtlich zwar auch politisch Inhaftierte aus der Haft entlassen werden, aber eine große Zahl von Auflagen deren freien Bewegungsraum einengt.
Wir müssen feststellen, daß einer Fülle von Aussiedlungsanträgen eben nicht stattgegeben wird, aus welchen Gründen auch immer. Es kann nicht sinnvoll sein, daß wir darüber einfach hinweggehen.
Das zweite, was ich anmerken möchte, ist an den Herrn Kollegen Haack gerichtet. Herr Haack, wir freuen uns sicherlich, daß wir auf der Grundlage Ihrer Worte eine Übereinstimmung feststellen werden. Es ist sicherlich so, daß das neue Denken in der DDR zunächst ausschließlich für den Bereich der Verteidigungs-, Sicherheits- und Außenpolitik reserviert worden war. Aber auch die DDR ist ja nicht abgeschlossen von der Welt, und auch die DDR-Führung mußte und muß zur Kenntnis nehmen — das zeigen nicht zuletzt auch die Diskussionen, die zur Zeit an den Hochschulen der DDR geführt werden — , daß dieses neue Denken selbstverständlich nicht nur in die unabhängigen Friedens- und Ökogruppen, sondern auch in die institutionalisierten Foren Eingang gefunden hat. Von dorther entsteht natürlich ein gewisser Druck innerhalb der eigenen Reihen der SED nach oben, ein Druck, der — Sie sprachen Herrn Hager an — von oben wiederum manche groteske Form der Gegenreaktion hervorruft.
Es sind also verschiedene Versuche der Kanalisierung von unten nach oben im Hinblick auf mehr Liberalisierung festzustellen — wie man das inhaltlich auch immer ausfüllen mag — , aber auch der Versuch der Kanalisierung von oben nach unten im Hinblick darauf, eine nunmehr erkennbar gewordene Bewegung nicht ausufern, außer Kontrolle geraten zu lassen. Ich glaube, Herr Hager ist hier eben die eine Extremposition, die wir mit Bedauern zur Kenntnis nehmen müssen, so wie zumindest ich zur Kenntnis nehme, daß sich Erich Honecker — wenn ich einmal von den Einlassungen vor der Militärakademie absehe — differenzierter äußert.
Ich glaube, wir müssen dort, wo wir das tun können — auf der Ebene des Kontaktes mit den Gesprächspartnern in der DDR — , alles unternehmen, um auf offiziellem Wege, aber auch auf dem informativen Wege unterhalb der offiziellen Ebene das Gespräch zu führen, das Gespräch auch und gerade kritisch zu führen über Ihr gemeinsames Papier mit der SED,
das Anreiz zur Kritik bietet, das aber sicherlich in dem einen oder anderen Punkt — nicht zuletzt auf Grund der DDR-internen Wirkungen — auch unsererseits zusätzliche Gespräche notwendig macht.
Deswegen sollten wir — nicht zuletzt auch wegen des Rückschlages, den es in Verbindung mit der Aktion der Staatssicherheitsorgane in der DDR gegeben hat — wenigstens für uns daraus die Lehre ziehen, nun noch systematischer und nach Möglichkeit auch mit einem höheren Maß an Übereinstimmung unsere demokratischen Überzeugungen — und zu gegebener Zeit auch unsere politischen Divergenzen, die wir ja haben mögen — drüben glaubhaft zu vertreten und auf diese Weise einen aktiven Beitrag zu mehr Demokratisierung und Liberalisierung in der DDR zu leisten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst ein Wort zu Ihnen, meine Kollegen von der Union. Sie haben heute zu zweit auf unser Ideologiepapier, vereinbart zwischen Beauftragten der SPD und SED, abgehoben und sich bereit erklärt, mit ihm zu arbeiten. Wir begrüßen das sehr und laden Sie dazu ein, das weiterzumachen.
Meine Damen und Herren, politische Auseinandersetzungen, auch in scharfer Form ausgetragen, sind nichts Besonderes. Etwas sehr Besonderes und Beanstandungswürdiges ist es aber, wenn solche Meinungsverschiedenheiten mit dem Einsatz von Polizei und Staatsanwaltschaft verbunden sind und mit diesen Mitteln beendet werden sollen. Wer das tut, wie es die DDR im Bereich der Zionskirchengemeinde in Berlin getan hat, darf sich über die öffentliche Anteilnahme in anderen Ländern nicht wundern; er muß sie vielmehr erwarten.
In vielen Ländern ist die Neigung verbreitet, der Kirche vorzuschreiben, wieweit sie sich in politischen und gesellschaftlichen Fragen engagieren darf und wo sie sich herauszuhalten hat. Die Kirche darf sich das nirgends vorschreiben lassen. Nach ihrem Auftrag entscheidet sie selbst, wo sie und wie sie Verantwortung wahrnimmt. Sie muß das tun, auch wenn sie im Einzelfall damit den Arger der Herrschenden erregt.
Die Kirche spricht für sich selbst, auch in der DDR. Deshalb tun wir hier nicht gut daran — darin stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Herr Ronneburger — , etwa den großen Konflikt zwischen Kirche und Staat auszurufen, den beide dort nicht so sehen und nicht haben wollen.
Wir haben kein Mandat — niemand hier hat es —, an Stelle der evangelischen Kirche in der DDR zu reden. Insofern, Frau Minister, finde ich es auch nicht glücklich, daß Sie hier feststellen, zu welcher Solidarisierung die Kirche drüben verpflichtet ist. Es ist ihre Sache dort drüben, das festzustellen.
Wir sollten also nicht für sie reden, denn das hieße nämlich, diejenigen, die selbst Stimme und Artikulationsmöglichkeit haben, zu bevormunden.
Daß die kirchenleitenden Personen ihre Möglichkeiten beherzt und erfolgreich zu nutzen verstehen, hat sich in den zurückliegenden Tagen eindrucksvoll gezeigt. Vielleicht werden darüber auch diejenigen Kritiker in der Bundesrepublik nachdenklich, die den
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Dr. Schmude
Kirchenführungen in der DDR mit oberflächlicher Begründung im Sommer dieses Jahres Schwächlichkeit und Anpassung vorgeworfen haben. Solche Vorwürfe waren grob ungerecht.
Die Vertrauenswürdigkeit der Kirchenleitungen war nicht zu bezweifeln, und sie ist jetzt erneut bewiesen.
Geradezu alltäglich, meine Damen und Herren, ist der Ärger regierender Politiker über Medien. Und doch sind diese ja nur der Spiegel dessen, was politisch geschieht. Manchmal sind sie Zerrspiegel. Aber es bedarf immer des Geschehenen, um ein Bild zurückzuwerfen. Nicht sie sind schuld an kritikwürdigen Zuständen, sie melden sie nur. Und gerade in Deutschland melden sie sie natürlich auch grenzübergreifend. Wenn sich die DDR-Politiker die Berichterstattung in den Westmedien verbitten wollen, dann mögen sie doch zunächst ihre eigenen Medien auf deren Berichte über die Bundesrepublik überprüfen.
Im übrigen ist der Rückschlag des internationalen Ansehens der DDR, bei dem sie ja im Laufe der letzten Jahre viel dazugewonnen hat, wahrlich nicht von den Medien verschuldet. Verschuldet haben diesen Schaden die Veranlasser des kurzen Prozesses, des harten Durchgreifens. Andere Kräfte in der DDR-Führung haben sich mit ihrer Besonnenheit zum Glück durchgesetzt, und wir hoffen, daß ihnen das auch künftig gelingt.
Und noch eines: Es dient dem Ansehen eines Staates wahrlich nicht, wenn er zum Gespräch einreisende demokratische Politiker an der Grenze zurückweist.
Nur aus ganz besonderen Gründen ist unsere kleine Gruppe, zu der Herr Weisskirchen in der letzten Woche gehörte, nicht ganz umgekehrt. Aber wir sind nicht bereit, hinzunehmen, daß man uns aussortiert und bestimmt, wer reden darf und wer nicht. Gewiß soll und darf man die DDR nicht überfordern; aber ist es auch nur die Andeutung einer Überforderung, wenn einerseits DDR-Politker bei uns herumreisen dürfen, wie sie wollen, wenn sie ihre intensiven Kontakte — und mehr als das — zur DKP ungestört pflegen dürfen, wenn sie andererseits uns aber sogar das schlichte Gespräch unmöglich machen wollen? Hier herrscht krasse Ungleichheit, und dabei darf es nicht bleiben.
Meine Damen und Herren, bei konkreten Vorgängen dieser Art zählt nicht die Heftigkeit und Schrille des ersten Schreis; es zählt die Beharrlichkeit im Fordern, Mahnen und Verhandeln. Darin hat man sich auf uns Sozialdemokraten immer verlassen dürfen, und darin kann man auch künftig auf uns rechnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Reddemann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Frau Kollegin Terborg hat gesagt, wir seien weder gefragt noch gebeten worden, etwas zu dem zu sagen, was sich vor 14 Tagen in OstBerlin ereignet hat.
Nun gut, es gibt keinen Beschluß einer Synode. Es gibt sicher auch keinen Beschluß einer Vollversammlung irgendeiner oppositionellen Gruppe. Aber selbst wenn es nicht einen einzigen Brief gäbe — wir haben in den letzten vierzehn Tagen eine Vielzahl erhalten — , dann wäre es unsere Aufgabe; wenn eine Rechtsverletzung in einem Teil unseres Vaterlandes stattfindet,
dies im Deutschen Bundestag zumindest in einer Aktuellen Stunde zu behandeln.
Denn, meine Damen, meine Herren, wir als Deutscher Bundestag können doch nicht so tun, als gehe uns das, was in Ost-Berlin und was in der DDR passiert, nichts an, während wir uns zur gleichen Zeit zu allen möglichen Stunden des Tages über Rechtsverletzungen in anderen Teilen der Welt ganz selbstverständlich unterhalten.
Ich möchte die Frau Kollegin Terborg wirklich herzlich bitten, ihr Wort vom öffentlichen Getöse zurückzunehmen. Denn wenn es wirklich öffentliches Getöse ist, daß wir uns über diese Rechtsverletzungen in Ost-Berlin nicht streiten, sondern daß wir darüber sprechen, dann ist wohl alles, was aus Ihrer Partei, was aus Ihrer Fraktion
zum Thema Südafrika, zum Thema Nicaragua, zum Thema Chile, zum Thema El Salvador gesagt wird, ebenfalls öffentliches Getöse. Im Interesse der Gemeinsamkeit hoffe ich, daß wir das so nicht auffassen können.
Meine Damen, meine Herren, warum sprechen wir denn heute hier?
Wir sprechen darüber, weil wir durch unseren öffentlichen Protest denen ein Stück Freiraum geben wollen, die derzeit in Ost-Berlin und in der DDR versuchen, sich von der dauernden parteipolitischen Bevormundung zu befreien, innerhalb des dort herrschenden Systems ein Stück Freiheit für sich zu schaffen.
Ich meine, das ist für uns alle ein Anlaß, deutlich zu
sagen, daß wir nicht einfach tatenlos zusehen oder
zuhören, sondern daß wir offen sagen, wo Rechtsver-
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Reddemann
letzungen geschehen, und protestieren, wo man versucht, das bißchen Freiraum, das sich gestaltet hat, zu beseitigen. Ich sage das in aller Offenheit auch deswegen, weil ein Teil der Gruppen in Ost-Berlin — wir kennen sie ja — durchaus nicht einmal den Kontakt zu meinen eigenen Parteifreunden wünscht. Auch denen gehört ganz selbstverständlich unsere Unterstützung und unsere Solidarität. Wir sollten das bitte nicht als öffentliches Getöse bezeichnen.
Ein zweiter Punkt, warum wir heute hier sprechen müssen — er geht uns selbst an, meine Damen, meine Herren — : Wir haben erlebt, daß Mitglieder unseres Hauses nicht nach Ost-Berlin reisen durften, nicht weil böse kalte westliche Krieger — oder wie immer man das bezeichnet — sie daran hindern, sondern weil die Staatsorgane der DDR glauben, sie könnten eine Selektion vornehmen, sie könnten Mitglieder dieses Hauses oder Pressesprecher der GRÜNEN oder wen immer daran hindern, nach Ost-Berlin zu reisen, wenn sie nur befürchten müssen, daß dort Kontakte mit Menschen aufgenommen werden, über die man in der SED-Führung im Augenblick nur ungern spricht.
Ich möchte mit allem Nachdruck sagen: Wir müssen als ganzer Deutscher Bundestag die Solidarität gegenüber diesen Kolleginnen und Kollegen beweisen, gleichgültig, welcher Partei sie angehören, und gleichgültig, welche Vorstellungen sie haben. Hier verstehe ich überhaupt nicht, Frau Kollegin Terborg, daß Sie in diesem Zusammenhang wieder einen Kontakt zur Volkskammer verlangen,
also zu denen, die uns mit daran hindern,
daß alle unsere Kollegen nach drüben gehen können.
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich eine Schlußbemerkung machen. Frau Kollegin Hensel hat in ihrer zweiten Rede gesagt, dies sei kein Rückschlag. Ich muß sagen: Dies ist leider ein sehr richtiger Satz. Denn das, was in Ost-Berlin geschehen ist, ist eben ganz gewöhnlicher Kommunismus, wie wir ihn seit vielen Jahren erlebt haben und wie er bis heute leider noch nicht so geändert wurde, daß man von einer freiheitlicheren Entwicklung reden kann.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe nun Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 11/1461 —
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Echternach zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Dr. Sperling auf :
Wie hat sich die Zahl der Baugenehmigungen im Wohnungsbau nach den bisher vorliegenden Zahlen im Verlauf dieses Jahres entwickelt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, wenn Sie damit einverstanden sind, würde ich beide Fragen gern im Zusammenhang beantworten.
Dann muß ich den Abgeordneten fragen, ob er einverstanden ist.
— Er ist einverstanden. Dann rufe ich auch Frage 2 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Welche Schlußfolgerung zieht die Bundesregierung daraus?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Zunächst zur ersten Frage. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres wurden für 146 507 Wohnungen Baugenehmigungen erteilt. Im entsprechenden Vorjahreszeitraum waren es 174 672. Dies ist ein Rückgang um 16,1 %.
Die Entwicklung verlief in den Teilbereichen unterschiedlich. Während die Zahl der zum Bau genehmigten Wohnungen in Zweifamilienhäusern um 46,2 % und in Mehrfamilienhäusern um 19,1 % zurückging, ist bei den Einfamilienhäusern eine Steigerung um 3,5 % festzustellen. Auch in regionaler Hinsicht ist eine deutliche Differenzierung zu beobachten. So fiel der Rückgang bei den Stadtstaaten Bremen und Hamburg weit überdurchschnittlich aus. In Bayern betrug der Rückgang nur 9,6 %.
Im Jahresverlauf zeigen sich im Wohnungsbau wieder positivere Tendenzen. Dies signalisieren — noch vor den Baugenehmigungen — die statistischen Zahlen über die Auftragseingänge. Diese zeigen im Wohnungsbau seit März 1987 eine aufwärts gerichtete Tendenz. Die Auftragseingänge im Wohnungsbau lagen saisonbereinigt im dritten Quartal dieses Jahres bereits um 9,4 % über den Zahlen des zweiten Quartals. Im September wurde das Niveau vom September 1986 um 3,5 % überschritten. Es ist zu erwarten, daß sich diese Entwicklung wegen des zeitlichen Vorlaufs der Auftragseingänge schon bald auch in einer wieder positiveren Entwicklung bei den Baugenehmigungen niederschlägt.
Was die Schlußfolgerungen angeht, so ist zu sagen: Die rückläufige Entwicklung der Genehmigungen im Wohnungsbau ist keine neue Erscheinung, sondern ist als Trend bereits seit den 70er Jahren zu beobachten; sie verdeutlicht das hohe Versorgungsniveau. Dieser Trend wird aktuell unterschritten, einmal durch den starken Rückgang beim Zweifamilienhaus als Folge der Streichung der Steuervorteile zum 1. Januar 1987, zum anderen durch die Nachfrageschwäche im Mietwohnungsbau.
Für die Bundesregierung kommt es darauf an, durch eine entsprechende Gestaltung der Rahmenbedingungen positive Voraussetzungen für die weitere Entwicklung des Wohnungsbaues zu schaffen. In diese Richtung zielen auch die von der Bundesregierung am
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Parl. Staatssekretär Echternach
2. Dezember 1987 beschlossenen Maßnahmen zur Stärkung des Wachstums.
Dort, wo es sich auf regionalen Wohnungsmärkten als notwendig erweist, das Mietwohnungsangebot aus sozialen Gesichtspunkten zu stärken, ist es Aufgabe der Länder und Gemeinden, die erforderlichen Schritte zu tun.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Pressemeldung mit dem Brief Ihres Ministers an die Ministerkollegen Stoltenberg und Bangemann vom 4. Dezember bekannt, in dem Ihr Minister mehr Wohnungsbaumittel anfordert, um offensichtlich für die doch gar nicht so sehr befriedigende Entwicklung etwas zu tun?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es geht um die Ausgestaltung des Programms für die Stärkung des wirtschaftlichen Wachstums, das ich soeben ausdrücklich angesprochen habe. Es geht nicht darum — wie Sie den Brief offenbar mißverstanden haben — , etwa neue Förderprogramme im sozialen Wohnungsbau aufzulegen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Selbst wenn es darum geht, daß dort Mittel für den Wohnungsbau, nicht aber für den sozialen Wohnungsbau angefordert werden: Wie wird dieser Brief denn nun wirksam werden? Haben Sie da bereits Kenntnisse oder Einsichten?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Die Meinungsbildung der Bundesregierung ist in vollem Gange, auch hinsichtlich der von Ihnen gestellten Frage.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, warum, wenn Wohnungsbaumittel im Rahmen solcher Programme nötig werden, Wohnungsbauförderungsmittel im Kernhaushalt des Ministeriums gestrichen worden sind?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Sie sprechen jetzt wieder die Mittel für den sozialen Wohnungsbau an. Sie wissen, daß der Haushalt des Bundesbauministers insgesamt eine Rekordhöhe erreicht hat. So hoch wie im nächsten Jahr, 1988, hat er bisher noch nie gelegen. Allerdings steuern wir um. Wir setzen verstärkt auf das Wohngeld. Sie wissen, daß die Wohngeldnovelle eine kräftige Steigerung der Wohngeldleistungen erbracht hat, und zwar um rund 50 %. Wir sind der Auffassung, daß das Wohngeld die auf dem Wohnungsmarkt noch bestehenden Probleme sozial weit treffsicherer und effektiver lösen kann als etwa direkte Förderungsprogramme der öffentlichen Hand, die sich angesichts der bundesweiten Versorgungslage und auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ohnehin verbieten. Dort, wo noch sozialer Wohnungsbau zu leisten ist, ist er Sache der Länder, aber auch die Länder haben ihre Förderprogramme deutlich reduziert und reduzieren sie weiter, ganz besonders die sozialdemokratisch regierten Bundesländer.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling? — Bitte.
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre jetzige Antwort nicht, daß mit dem Aufblähen konsumtiver Mittel die Wohnungsnot nicht beseitigt wird, sondern daß eigentlich mehr für Investitionen getan werden müßte, und sind das Zusammenstreichen der Mittel im Bundeshaushalt und ihr Ersetzen durch einen Wunsch nach einem Programm nicht ein Indiz dafür, daß die schönen Schilderungen einer günstigen Entwicklung, die Sie vorhin gegeben haben, sämtlich falsch sind, weil sie von einem unheimlich niedrigen Niveau, nämlich von einem Minusrekord im Wohnungsbau in diesem Jahr, ausgehen müssen?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, Herr Kollege Sperling, Sie verkennen die Wirkung des Wohngeldes, wenn Sie es so, wie eben geschehen, als schlichte Konsumausgaben qualifizieren, und ich bedaure auch, daß der Mieterbund das Wohngeld immer so abqualifiziert. Ich glaube, daß es nicht nur sozial treffsicher ist, sondern daß es auch die Wohnkaufkraft der Bevölkerung stärkt und daß es insofern auch durchaus auf die Investitionsentscheidungen am Wohnungsmarkt einwirkt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir, indem Sie die Wohngelderhöhung als eine Leistung darstellen und gleichzeitig wissen, daß Sie es auf Grund der gestiegenen Einkommen anpassen mußten, darin zu, daß dieses Wohngeld in erster Linie eine direkte Subvention der Vermieter darstellt und in keiner Weise — wie Sie es darstellen — Investitionen anregt?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Das kann ich so nicht akzeptieren. Das Wohngeld stärkt gerade die Freiheit des Mieters am Wohnungsmarkt, während die früheren Förderungsmittel des sozialen Wohnungsbaus ausschließlich an den Vermieter gegangen sind, und zwar mit der Möglichkeit der Fehlstreuung und mit dem Problem des Mißbrauchs und der Mietverzerrung, mit dem wir es heute zu tun haben. Das Wohngeld ist eben sozial ungleich treffsicherer, weil es beim Mieter direkt ankommt, während die früheren Förderungssysteme des sozialen Wohnungsbaus eben nur teilweise und nur indirekt den Mieter erreicht haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kansy.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß der Bundesbauminister, und zwar unabhängig davon, wer es ist und welcher Partei er angehört, zur Zeit insofern in einer schwierigen Situation ist, als die Bundesländer in den letzten Jahren sowohl hinsichtlich der Städtebauförderung als auch hinsichtlich der Wohnungsbauförde-
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Dr.-Ing. Kansy
rung immer für sich reklamiert hatten, die Zuständigkeiten zu bekommen, aber dann, wenn es irgendwo brennt, in dieser Angelegenheit plötzlich wieder den Bund entdecken?
Echternach, Parl. Staatssekretär: In der Tat ist es ein wichtiges Moment in der Gestaltung der Haushalte, daß die Bundesländer einstimmig gefordert haben, daß ihnen die Kompetenzen im Wohnungsbereich und im Städtebaubereich übertragen werden. Ursprünglich wollten sie ja vom nächsten Jahr an auch die Städtebauförderung in eigener Regie durchführen. Auch in jüngster Zeit hat es solche Forderungen aller Bundesländer noch einmal gegeben, und insofern müssen sich die Bundesländer, wenn sie die Zuständigkeit für die Förderung in Anspruch nehmen, natürlich auch an ihrem eigenen Verhalten messen lassen. Dabei ist es im Hinblick auf die Frage des Kollegen Sperling schon interessant, daß die Bundesländer ihre Förderung des sozialen Wohnungsbaus deutlich reduziert haben. An der Spitze der Länder, die den sozialen Wohnungsbau reduziert haben, steht das Land Nordrhein-Westfalen mit einer Reduzierung des sozialen Wohnungsbaus um 42 % und des Mietwohnungsbaus sogar um 66 %. An zweiter Stelle liegt das Land Hamburg mit einer Reduzierung um 40 % , beim Mietwohnungsbau sogar um 57 %.
Herr Kansy, möchten Sie eine weitere Frage stellen? — Bitte schön.
Ja, ich möchte nach der Zusatzfrage des Kollegen Klejdzinski noch eine Frage stellen. Es waren ja zwei Fragen, und deswegen kann ich zwei Zusatzfragen stellen.
Herr Staatssekretär, können Sie sich daran erinnern, ob bei der letzten Diskussion der Wohngeldnovelle die SPD-Fraktion die Aufstockung des Wohngeldes — von dem sie heute sagt, es würde nur in die Taschen der Vermieter laufen — beklagt hat oder ob sie sogar noch mehr gefordert hat?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihre Erinnerung bestätigen. In der Tat haben die Sozialdemokraten auch da versucht, noch draufzusatteln.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie denn vorhin in der Antwort auf die Frage von Herrn Dr. Sperling richtig verstanden, daß Sie eine waghalsige These aufstellen, nämlich, daß letztlich das, was den Mietern durch das soziale Wohngeld gegeben wird, insofern in den Konsum geht, als es vom privaten Investor wieder genutzt werden kann?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich habe mich gegen die Qualifizierung des Wohngeldes als schlichte Konsumzahlung gewandt und habe auf die indirekten Auswirkungen auf die Investitionsentscheidungen am Wohnungsmarkt hingewiesen. Insofern haben Sie offenbar meine Antwort nicht ganz verstanden.
Eine Zusatzfrage, Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, auf die Gefahr hin, daß ich Ihre Antwort auch nicht verstehe, frage ich Sie trotzdem: Kann es nicht durchaus sein, daß, wenn Sie direkt fördern, beispielsweise indem Sie auf dem flachen Lande weiterhin das Wohneigentum fördern, diese Zahlungen dazu beitragen, daß etliche Bürger bauen, die sonst nicht bauen könnten, und daß damit ein Investitionsstoß in diese Bereiche hineinkommt, der sonst nicht vorhanden wäre?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Genau aus diesem Grunde, Herr Kollege, haben wir ja unsere gesamten Förderungsmittel im sozialen Wohnungsbau auf den Eigenheimbereich konzentriert. Aber ich muß auch darauf verweisen, daß wir die steuerlichen Rahmenbedingungen für den Eigenheimsektor ebenfalls deutlich verbessert haben, indem wir die abschreibungsfähigen Gesamtkosten um 50 % aufgestockt und indem wir gleichzeitig auch die Möglichkeit geschaffen haben, die Grundstückskosten zu 50 % abzuschreiben.
Das waren die Antworten zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen und rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf.
Wie beurteilt die Bundesregierung prinzipiell das zwischen Amerikanern, Japanern und Europäern diskutierte Projekt einer Totalanalyse des menschlichen Erbgutes?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Ein gemeinsam zwischen Amerikanern, Japanern und Europäern diskutiertes Projekt zur Totalanalyse des menschlichen Erbgutes, des sogenannten Genoms, ist der Bundesregierung bisher nicht bekannt. Die Analyse des menschlichen Erbgutes ist durch gentechnische Methoden bis zur molekularen Ebene hin möglich geworden. Eine Kartierung der gesamten menschlichen Erbinformation ist vorstellbar. Wie schnell dieses Ziel erreicht werden kann, ist heute jedoch noch nicht voraussagbar.
Die Methoden der Molekularbiologie erlauben es, die Funktion einzelner Gene und ihre Steuerung zu erfassen. Diese Möglichkeiten gewinnen für die Diagnose und Therapie genetisch bedingter Erkrankungen — heute sind ca. 3 000 Erbkrankheiten bekannt — zunehmend an Bedeutung.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn Ihnen das nicht bekannt ist, sind Sie dann bereit, sich zu erkundigen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ja, selbstverständlich; das tun wir laufend. Dieses Thema wird selbstverständlich in Amerika, in Japan wie in verschiedenen europäischen Staaten diskutiert.
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Eine weitere Zusatzfrage, Herr Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn es so ist und wenn ich vor allen Dingen das alles berücksichtige, was Sie vorgetragen haben, frage ich Sie: Denkt die Bundesregierung beispielsweise daran, solche Analysen des menschlichen Erbgutes durch Datenschutzbestimmungen zu schützen, damit eine solche Analyse nicht weitergegeben werden kann und man auch ein Recht hat, über die eigene Analyse zu verfügen? Ich möchte insofern, wenn ich das sagen darf, darauf verweisen, daß man ja noch nicht einmal ein Recht an seiner eigenen Röntgenaufnahme hat.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist selbstverständlich, daß Genomanalysen dem Betroffenen, von dem sie gemacht sind, unter Umständen auch schaden können. Er muß — da gibt es überhaupt keinen Zweifel innerhalb der Bundesregierung — das Recht haben, über diese Informationen selber und allein zu verfügen.
Nur: Diese Fragen heute rechtlich zu lösen ist nicht notwendig, denn nach derzeitigen technischen Möglichkeiten dauert die Genomanalyse eines Menschen theoretisch — bis jetzt hat sie ja nicht stattgefunden —100 Jahre. Wenn es gelingt, die Zeit erheblich zu verkürzen — es gibt in der Zukunft Möglichkeiten der automatischen Genomanalyse; es müssen sehr viele chemische Untersuchungen automatisch gemacht werden — , dann kann nach heutiger Sicht eine Verkürzung eintreten, so daß die Analyse immerhin noch 20 Jahre in Anspruch nimmt.
Zusatzfrage, Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß uns diese langen Fristen, die Sie eben angedeutet haben, Gott sei Dank davor schützen, daß die von Ihnen als möglich bezeichnete Genomkartierung nicht nur günstige Tendenzen, z. B. hinsichtlich Erbkrankheiten, aufweist, sondern uns hinsichtlich Auslese und Selektion auch sehr bedrohliche Gefahren erwachsen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich teile diese Ansicht grundsätzlich nicht; denn wir müssen zwischen der Wissensinformation und dem, was wir mit dem Wissen hinterher anfangen, unterscheiden. Wir können nicht die Augen davor verschließen, daß diese Genomanalysen weltweit gemacht sind. Selbstverständlich müssen auch wir sie beherrschen. Aber hinterher nach dem Stand der wissenschaftlichen Möglichkeiten die Individualrechte zu schützen ist eine hohe und wichtige soziale Aufgabe.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wenn das eine so wichtige Aufgabe ist: Warum wird sie denn dann beim Gesundheitskostendämpfungsprogramm des Kollegen Blüm nicht stärker in Betracht gezogen, nachdem dort bekannt wird, daß die Verdatung aller krankheitsrelevanten Angaben von Patienten bevorsteht, und warum können wir dann heute in den Zeitungen lesen, welche Medikamente Herr Dr. Barschel genommen hat? Müßten Sie dann nicht angesichts der hohen Priorität, die Sie dieser Aufgabe zubilligen, schleunigst darangehen, entsprechende Datenschutzgesetze zu machen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Nein, weil bis jetzt eine Gefahr rein wegen der zeitlichen Horizonte nicht real ist. Aber zum gegebenen Zeitpunkt muß man das sehr wohl ins Auge fassen. Hier Gesetze zu machen, bevor man die wissenschaftlichen Inhalte kennt und beherrscht, ist sehr schwierig, weil man unter Umständen die falschen Vorschriften erläßt. Deshalb muß das in der richtigen Abfolge geschehen.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Klejdzinski auf:
Wird sich die Bundesregierung an derartigen Gesprächen zur Genomentschlüsselung beteiligen, wenn ja, in welcher Art und Weise?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klejdzinski, Ihre Frage Nr. 4 beantworte ich wie folgt:
Ein Programm zur Totalanalyse des menschlichen Genoms ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht geplant. Mittelfristig werden Arbeiten an Genomabschnitten mit bereits identifizierten Genen jedoch auch zur Strukturaufklärung des gesamten Genoms beitragen. Quantitativ stehen diese Arbeiten hinter den Anstrengungen in den USA und Japan zurück. Um qualitativ und apparativ Anschluß an die internationale Entwicklung halten zu können, sollen die nationalen Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet künftig verstärkt in europäische Programme einbezogen werden. Gespräche hierzu finden im Rahmen der zuständigen EG-Gremien und innerhalb der internationalen Forschungskooperation statt.
Zusatzfrage, Herr
Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, es erfolgt keine Gesamtanalyse, aber eine Analyse von Teilabschnitten: Kann ich davon ausgehen, daß ich, wenn ich die Teilabschnitte zusammensetze, dann doch zu einer Gesamtanalyse komme?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ja, dazu wird ja auch ein Beitrag geleistet, wie ich eben ausgeführt habe.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, daß es 20 Jahre dauert, bis man alle Informationen entschlüsselt hat. Stimmen Sie mit mir überein, daß Wissenschaftler durchaus die Meinung vertreten, daß man durch die Entschlüsselung sogenannter Leitsubstanzen zu einer wesentlich schnelleren Analyse des Gesamterbgutes kommen kann und daß unter dieser Kenntnis Datenschutzbestimmungen dann sicherlich früher notwendig wären, als sie erst dann in die Gesetzesmaschinerie hineinzuschieben, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist?
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3323
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Entwicklung befindet sich in einem so frühen Stadium, daß diese Gefahren heute mit Sicherheit nicht zu befürchten sind.
— Sie können natürlich sehr, sehr viele populärwissenschaftliche Abhandlungen zu diesem ja spektakulären Thema lesen.
Innerhalb der Science Community, unter den Fachleuten, wird das bestritten. Es handelt sich auch nicht um 20 Jahre, sondern nach heutigen wissenschaftlichen Möglichkeiten dauert es, wenn 1 000 Teams daran arbeiten, 100 Jahre, bis ein einziges Genom analysiert ist.
Dr. Lippelt, bitte schön, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie sich vorstellen, daß man etwas, was wissenschaftlich, technisch möglich ist, auch mal lassen könnte?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Aber selbstverständlich. Das ist gerade unsere Kultur. Wir lassen vieles, was wir können, nur weil es nicht sinnvoll oder nicht menschlich ist.
Wir sind damit am Ende dieses Fragenbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Scherrer auf:
Erwägt die Bundesregierung Maßnahmen zur Verbesserung des gewerblichen Mieterschutzes, um zu verhindern, daß zunehmend alteingesessene Handels- und Handwerksbetriebe aus den Innenstädten verdrängt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Scherrer, daß vor allem kleinere Handels- und Handwerksbetriebe im Bild vieler Innenstädte immer seltener zu finden sind, hält die Bundesregierung für eine bedauerliche Entwicklung. Diese Entwicklung beruht jedoch, soweit ersichtlich, nicht primär auf Ursachen, die in den Bereich des gewerblichen Mieterschutzes fallen. Die Aufgabe oder Verlagerung des Geschäftsbetriebs hat vielmehr zumeist andere Gründe, wie Nachfolgeschwierigkeiten, mangelnde Erweiterungsmöglichkeiten oder allgemeine Rentabilitätsprobleme.
Die Bundesregierung sieht deshalb in einer Verstärkung des Mieterschutzes für Gewerberaummieter kein geeignetes Mittel, um dieses Problem zu lösen. Ihr liegen bislang auch keine Nachweise dafür vor, daß das Mietrecht für die Verdrängung von Handels- und Handwerksbetrieben aus den Innenstädten ursächlich ist.
Die Bundesregierung hat in Würdigung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung des gewerblichen Mittelstandes darauf hingewirkt — darauf möchte ich Sie auch noch hinweisen dürfen —, daß im neuen Baugesetzbuch sowie in der Baunutzungsverordnung die Belange des Mittelstandes im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung mehr als bisher berücksichtigt werden.
Herr Scherrer, bitte schön, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß am 4. Juni 1987 am Timmendorfer Strand eine Konferenz der Justizminister und Senatoren stattgefunden hat, die an Ihr Ministerium den klaren Auftrag erteilt hat, eine Sammlung wegen einer Veränderung des gewerblichen Mieterschutzes zusammenzustellen, und ist diese Sammlung zusammengestellt und entsprechend ausgewertet?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Scherrer, Sie nehmen bereits die nächste Frage vorweg. Es trifft zu, daß die Justizministerkonferenz am 4. Juni 1987 folgenden Beschluß gefaßt hat — ich zitiere —:
Die Justizminister und Senatoren haben die derzeitige Rechtslage bei der Beendigung von Geschäftsraummietverhältnissen und die damit verbundenen Probleme für mittelständische Gewerbebetriebe erörtert. Sie bitten den Bundesminister der Justiz, durch eine rechtstatsächliche Materialsammlung die Grundlage über die Beurteilung der Frage zu beschaffen, ob in diesem Bereich ein Handlungsbedarf für den Gesetzgeber besteht.
Der Bundesminister der Justiz hat daraufhin das Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik in Berlin mit der Untersuchung beauftragt. Die Untersuchung bedarf noch der gründlichen Vorbereitung mit den Mitarbeitern des Instituts. Sie setzt, wenn sie statistisch relevante Erkenntnisse liefern soll, umfangreiche Befragungen von Gewerberaummietern und natürlich auch Expertengespräche voraus. Ich werde darauf hinwirken, daß die Ergebnisse im Laufe des nächsten Jahres vorliegen werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Scherrer.
Herr Staatssekretär, nachdem die Bundesregierung es abgelehnt hat, den gewerblichen Mieterschutz auszudehnen, frage ich Sie, was Sie dann den einzelnen Verbänden erklären wollen, die diese Forderungen ja sehr massiv vortragen.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Zunächst, Herr Kollege Scherrer, müssen Sie auch die Nachteile der Verstärkung des gewerblichen Mieterschutzes sehen. Es wird eine Spaltung des Mietrechts für Geschäftsräume eingeführt, und ein Sonderrecht mit verstärkten Mieterschutzbestimmungen für Klein- und Mittelbetriebe bringt weniger Chancen für die Anmietung attraktiver Geschäftsräume mit sich. Diese Bedenken bestehen nach wie vor. Wir haben auch mit den Verbänden gesprochen, die Sie ansprechen. Soweit mir bekannt ist, haben sich die Verbände bisher nicht für
3324 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
eine Gesetzesänderung ausgesprochen. So haben z. B. der Zentralverband des Deutschen Handwerks und die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels auch die Nachteile, die mit einer von Ihnen befürworteten Regelung verbunden sind, gesehen. Wir haben von den Verbänden bis heute ein Votum in Ihrem Sinne nicht bekommen.
Zusatzfrage, Herr
Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, würde es der Beschleunigung der vom Kollegen Scherrer gewünschten Gesetzesnovelle dienlich sein, wenn Sie und Ihr Kollege Echternach vielleicht zu einem Spaziergang in Ihren beiden Wahlkreisen anträten, um innerhalb der Städte einmal mit betroffenen kleinen und Mittelbetrieben, mit Handwerkern über die Mietkonditionen zu reden?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, Herr Kollege Echternach und ich gehen häufiger spazieren.
Wir erörtern eine Menge von Themen. Ich darf Ihnen sagen, daß die Untersuchung, die wir in die Wege geleitet haben, von uns sehr zügig vorangetrieben wird. Sie können sicher sein — ich habe das soeben gesagt — , daß ich darauf hinwirke, daß die rechtstatsächliche Untersuchung auch recht bald vorliegt.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Scherrer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Forderungen nach einer Verlängerung des Kündigungsschutzes für Gewerbebetriebe, z. B. von drei auf sechs Monate?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, die Frage 6 habe ich soeben bei der vorhergehenden Zwischenfrage, so meine ich, Herr Kollege Scherrer, hinreichend beantwortet.
Dann hat der Abgeordnete Scherrer dazu zwei Zusatzfragen. Bitte schön, wenn Sie wollen.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie noch fragen: Was soll man in einer Diskussion dann einem aufgebrachten Mittelständler für Antworten geben,
der durch die ständige Konzentration, die ja vor allen Dingen in den Innenstädten der Fall ist, seine Existenz verloren hat und der das nachweisbar darauf zurückführen kann, daß ihm die Mietschraube dermaßen angezogen worden ist, daß er einfach nicht mehr konkurrieren kann?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Ich selbst fühle mich dem Mittelstand verpflichtet, Herr Kollege Scherrer. Ich kenne die Probleme des Mittelstandes. Ich habe auch die Probleme, die Sie ansprechen, nicht geleugnet. Ich habe nur darauf hingewiesen, daß diese Problematik nicht in erster Linie über das Mietrecht gelöst werden kann.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? — Nein. Dann aber Frau Weyel, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bei Ihren Spaziergängen mit dem Herrn Kollegen Echternach gelegentlich einmal aufgefallen, daß freiwerdende Räume von Handel und Handwerk, vor allen Dingen in den Innenstädten, jetzt häufig von Spielhallen in Beschlag genommen werden, weil nur sie Mietangebote machen können, die wesentlich höher sind als die anderer Konkurrenten?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das, was Sie vortragen, ist mir nicht nur bei Spaziergängen mit Herrn Kollegen Echternach aufgefallen. Sie schneiden hier eine Problematik an, der sich die Bundesregierung ebenfalls verpflichtet weiß. Sie gehört aber nicht zur konkreten Frage, die hier zu beantworten war.
Der Abgeordnete Müller möchte noch eine Zusatzfrage stellen.
Würden Sie mir zustimmen, daß diese ganze Entwicklung ganz in das Konzept Ihrer Deregulierungsabsichten paßt und insofern voll mit den Zielsetzungen der jetzigen Koalition übereinstimmt?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, es ist richtig, daß wir im Mietrecht immer mehr die Soziale Marktwirtschaft anstreben. Gleichwohl haben wir die Problematik, die hier ansteht,
gutachtlich untersuchen lassen. Ich möchte dem Untersuchungsergebnis nicht vorgreifen.
Herr Sperling, Sie haben zu dieser Frage noch nicht — —
Ich habe eine Frage gehabt. Es sind aber zwei Fragen in einer Antwort zusammenhängend beantwortet worden.
Ja, ich glaube, Sie haben recht. Dann haben Sie eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, darf ich denn davon ausgehen, daß Sie Spielhöllen als Ergebnis der freien Sozialen Marktwirtschaft als städtebaulichen Effekt begrüßen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Sie unterstellen mir eine Feststellung, die ich nicht gemacht habe.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3325
Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Schäfer und die Fragen 9 und 10 des Abgeordneten Seidenthal werden auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. Sie sind also bei anderen Teilen der Tagesordnung schon mit dabei. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich kommen dann zur Frage 11 des Abgeordneten Susset:
Kann die Bundesregierung die Meldung der „Neuen Züricher Zeitung" vom 18. November 1987 bestätigen, derzufolge das Institut für Polymere der ETH-Zurich ein Verfahren zur Herstellung von biologisch abbaubarem, breit einsetzbarem Plastik auf der Basis von Starke anwendungsreif entwickelt hat?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, der Bundesregierung sind verschiedene Verfahren zur Herstellung biologisch abbaubarer Kunststoffe bekannt. Über das Verfahren der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich liegen noch keine Informationen vor, so daß über die Anwendbarkeit dieses speziellen Verfahrens noch keine Aussagen gemacht werden können.
Zusatzfrage, Herr Susset.
Wäre die Bundesregierung dann bereit, sich dort zu erkundigen, ob nicht in der Zwischenzeit doch schon weitere Erfahrungen vorliegen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja gerne, Herr Kollege, wir behalten dieses Verfahren, auf das Sie uns aufmerksam gemacht haben, im Auge.
Weitere Zusatzfrage, Herr Susset?
Keine.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben aber eine weitere Frage. Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Susset auf:
\\Venn ja, sieht die Bundesregierung in dieser neuen Technologie Möglichkeiten für einen Beitrag zu einer umweltfreundlichen Müllentsorgung sowie für einen verstärkten Einsatz von Agrarrohstoffen, und was gedenkt die Bundesregierung zur Realisierung dieser Möglichkeiten zu tun?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Entwicklung biologisch abbaubarer Kunststoffe wird von der Bundesregierung grundsätzlich begrüßt. Allerdings liegen über die Anwendungseigenschaften dieser Kunststoffe im Verpackungsbereich und ihre Eignung für die unterschiedlichen Füllgüter bisher nur unzureichende Informationen vor. Dies gilt auch für die Umweltverträglichkeit der Abbauprodukte. Wegen ihrer nur bedingten Wasserfestigkeit und fehlender Gasdiffusionsdichtigkeit, also der Barriereeigenschaften, ist eine breite Anwendung voraussichtlich nicht möglich. Insbesondere im Lebensmittelbereich, wo es besonders auf Aromakonservierung und hygienischen Schutz ankommt, ist die Verwendung von biologisch abbaubaren Kunststoffen derzeit noch mit Vorbehalt zu betrachten.
Bei dieser Sachlage beabsichtigt die Bundesregierung derzeit nicht, auf einen Einsatz dieser Technologie direkt hinzuwirken. Allerdings könnten sich die derzeit im Umweltministerium angestellten Überlegungen zur Kennzeichnung von Kunststoff nach § 14 Abs. 1 des Abfallgesetzes fördernd auf den Einsatz von Produkten aus biologisch abbaubaren Kunststoffen auswirken.
Eine weitere unterstützende Maßnahme könnte in der Auszeichnung dieser Kunststoffe mit dem Umweltzeichen, dem blauen Umweltengel, bestehen, so daß der Verbraucher auch den zur Zeit gegenüber anderen Kunststoffen höheren Preis aus Umweltgesichtspunkten akzeptieren könnte. Das Zeichen muß allerdings vom Hersteller beantragt werden und wird nur nach eingehender Prüfung verliehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zusatzfrage, Herr Susset.
Ist die Bundesregierung bereit, auf das Ministerium für Forschung und Technologie einzuwirken, ob hier nicht doch Möglichkeiten bestehen, daß man durch Forschung vielleicht rascher zum Ziel der umweltfreundlichen Verpackung kommt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es wird auf diesem Gebiet seit Jahren in breiter Front geforscht, insbesondere auch von der Industrie selbst. Ich will aber gerne auch im Kontakt mit dem Forschungsministerium feststellen, was auf diesem Sektor bisher getan worden ist und ob weitere Möglichkeiten für öffentliche Mittel in diesem Bereich gesehen werden.
Ist die Bundesregierung bereit, hier auch Forschungsergebnisse aus dem Ausland zu berücksichtigen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich. Solche Forschungsergebnisse würden sich, wenn sie die Erwartungen erfüllen würden, die man an sie richten muß, mit Windeseile am Markt durchsetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war schon Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Susset.
Dann hat Herr Dr. Sperling noch um eine Zusatzfrage gebeten. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, könnte die Haltung Ihres Hauses dadurch geändert werden, daß Sie sich über die umweltschädliche Wirkung biologisch nicht abbaubarer Kunststoffe mehr Gedanken machten und Erkenntnisse darüber sammelten, was die an tatsächlichen Kosten bewirken, indem Sie vielleicht in dem Buch von Herrn Wicke nachschlagen: durch Ausgaben für die Ökologie mindestens 100 Milliarden DM Vermögensverluste der deutschen Wirtschaft, zum Teil auch durch Deponien mit solchen nicht abbaubaren Kunststoffen?
3326 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist ein Teil unserer intensivsten Arbeit, die etwa mit dem Abfallgesetz einhergeht und mit der Kennzeichnung gefährlicher Stoffe. Auf dieser Front wird in breitem Umfange gearbeitet. Gerade vor diesem Hintergrund haben andere, biologisch abbaubare Kunststoffe eine reelle Chance. Wir wünschten uns das, aber wir können sie nicht befürworten, solange wir nicht sicher sind, daß sie nicht andere negative Eigenschaften haben, wobei zu den negativen Eigenschaften natürlich auch die mangelnde Einsatzfähigkeit als Verpakkungsmaterial im Sinne der Verbraucher zählen würde.
Dann kommen wir zu Frage 13 der Abgeordneten Frau Wollny:
Ist die Bundesregierung mit uns der Ansicht, daß die im Störfallbericht der Gesellschaft für Reaktorsicherheit von 1986 vorgenommene veränderte Interpretation der Kategorie N von bisher „Dies sind in der Regel Vorkommnisse die über routinemäßige Ereignisse hinausgehen und im Sinne der BMI-Kriterien von Bedeutung sind" zu „Vorkommnissen von untergeordneter Bedeutung, die nur wenig über routinemäßige betriebstechnische Bedeutung hinausgehen", eine deutliche Abschwächung der Bedeutung dieser Kategorie bedeuten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Bundesregierung ist nicht der Ansicht, daß die Gesellschaft für Reaktorsicherheit eine geänderte Interpretation der Kategorie N der meldepflichtigen Vorkommnisse in Kernkraftwerken vorgenommen hat. Im Bericht der Gesellschaft für Reaktorsicherheit ist lediglich derselbe Sachverhalt wie 1985 mit den Worten des Jahres 1987 beschrieben worden. Da lautete die Definition der Kategorie N — 1985 — : „Dies sind in der Regel Vorkommnisse, die über routinemäßige betriebstechnische Ereignisse hinausgehen und im Sinne der BMI-Sicherheitskriterien von Bedeutung sind.
Diese Definition ist für den Leser schwer verständlich, wenn er nicht die Sicherheitskriterien des Bundesinnenministeriums — heute ist es das Bundesumweltministerium — zur Hand hat, auf die sich diese Definition stützt. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit hat daher im Bericht für das Jahr 1986 mit verständlichen Worten knapp die Bedeutung der besonderen Vorkommnisse erläutert, die typischerweise unter der Kategorie N zu melden sind. Die oben zitierte amtliche Definition der Kategorie N bleibt davon unberührt, ebenso die 21 technischen Einzelkriterien, die unter dieser Kategorie zusammengefaßt sind.
Der Eindruck einer geänderten Interpretation kann schließlich nur entstehen, wenn man, wie Sie es getan haben, unvollständig zitiert. Das vollständige Zitat lautet: „Diese besonderen Vorkommnisse gehen im allgemeinen" — die Worte „im allgemeinen" haben Sie weggelassen — „nur wenig über routinemäßige betriebstechnische Ereignisse hinaus. Sie werden erfaßt und ausgewertet, um eventuelle Schwachstellen bereits im Vorfeld zu erkennen." Auch diesen letzten Satz haben Sie bei Ihrem Zitat weggelassen.
In der Tat haben wir in der Bundesrepublik Deutschland eine sehr niedrige Schwelle für die Meldepflicht. Das bedeutet, daß auch vergleichsweise unbedeutende Betriebsvorkommnisse gemeldet werden müssen. Wir haben dies gerade deswegen durchgesetzt, weil wir eventuelle Schwachstellen im Vorfeld erkennen wollen und nicht erst dann, wenn ein ernster Störfall schon eingetreten ist. Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, über die Jahre hin die besonderen Vorkommnisse der Kategorie N durchzugehen, werden Sie bestätigt finden, daß diese Vorkommnisse im allgemeinen tatsächlich nur wenig über routinemäßige betriebstechnische Ereignisse hinausgehen.
Zusatzfrage, Frau
Wollny.
Das ist etwas unverständlich. Ich meine, es ist eine Abschwächung, wenn man nun sagt, daß die Vorkommnisse wenig über normale Ereignisse hinausgehen, während man vorher gesagt hatte, daß die Vorkommnisse über normale Ereignisse hinausgehen. Das Wort „wenig" führt ja wohl zu einem Unterschied.
Übrigens: Das wir bestimmte Zitatstellen weggelassen haben, ist nicht unsere Schuld. Die Fragen waren vollständig. Aber sie wurden uns zurückgeschickt, weil sie zu lang waren. Folglich mußten wir sie kürzen.
Aber ich habe das Fragezeichen nicht entdeckt, Frau Wollny.
Doch; ich hatte gefragt, ob es nicht ein Unterschied in der Qualität der Beurteilung ist, ob man sagt, sie gehen über normale Vorfälle hinaus, oder ob man sagt, sie gehen wenig über normale Vorfälle hinaus.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Also, Frau Kollegin, ich betone noch einmal: Es ist nichts geändert worden. Es ist in all den Jahren nach den gleichen Kriterien beurteilt worden. Wir haben ja viele Kriterien, die zu unterschiedlichen Meldepflichten führen. Diese Kategorie N ist eines unter vielen Kriterien für diese Vorfälle. Es hat bisher keinerlei Anlaß gegeben, an der Definition und der Handhabung dieser Kategorie Zweifel zu äußern. Entscheidend ist — und das war ja Inhalt Ihrer Frage — , daß es keine Änderung in der Bewertung gegeben hat und daß wir in der Verdeutlichung dessen, was gemeint ist, unserer Zielsetzung Rechnung tragen, möglichst umfassend und auch öffentlich über alle Vorkommnisse zu unterrichten, die im Bereich der kerntechnischen Sicherheit eine Rolle spielen können.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Soll das bedeuten, daß ein Störfall, der zu einer Reaktorschnellabschaltung wegen Störung in der Turbine führt, z. B. — 1985 — eine Störung in der Turbinenregelung oder — 1986 — eine abgerissene Turbinenstellventilspindel — beides hat zu Schnellabschaltungen geführt — 1986 eine andere Qualität als 1985 hatte; und worin liegt dieser Qualitätsunterschied?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich möchte hier auf den ausführlichen schriftlichen Be-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3327
Parl. Staatssekretär Grüner
richt verweisen, den der Bundesumweltminister dem Umweltausschuß zugleitet hat,
und beschränke mich darauf, noch einmal daran zu erinnern, daß wir hinsichtlich der Meldepflichten insgesamt fünf Kategorien haben, nämlich die Kategorie S, Sofortmeldung, die Kategorie E, Eilmeldung, die Kategorie N, nach der Sie hier gefragt haben, Normalmeldung, und zwar schriftlich, spätestens nach fünf Arbeitstagen, und die Kategorie V, Meldung in angemessener Frist, spätestens nach zehn Arbeitstagen. Diese Einteilung und Handhabung haben sich bewährt, und ich sehe keinen Ansatzpunkt für eine berechtigte Kritik an dieser Handhabung.
Zusatzfrage, Herr Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, Sie werden ja wahrscheinlich auch einmal in die Störmeldungen hineingeguckt haben. Sehen Sie dann nicht vielleicht einen Zusammenhang mit dem Umstand, daß 1985 63 Fälle in der Kategorie N gemeldet waren, 1986 aber 317 Fälle, und meinen Sie nicht, daß das dazu geführt haben könnte, jetzt zu sagen „Das geht wenig über routinemäßige Sachen hinaus" und nicht mehr zu sagen „Das geht über routinemäßige Sachen hinaus"? In dem Wort „wenig" liegt doch eine Verharmlosung, und hat das nicht mit diesem eklatanten Anstieg der Störfälle zu tun?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, sondern es handelt sich darum, daß sich insbesondere durch die Inbetriebnahme von neuen Kernkraftwerken die Zahl der Vorfälle, die nicht erheblich waren, die aber trotzdem meldepflichtig sind, erhöht hat. Insbesondere verweise ich darauf, daß es keine Meldungen in einem Bereich gegeben hat, der schon in einer höheren Kategorie angesiedelt wäre, die also als nicht mehr im Vorfeld von möglichen Störungen liegend bezeichnet werden können.
Aber ich wäre sehr dankbar, wenn ich noch einmal auf den ausführlichen Bericht, auf die breite Veröffentlichung dieser Störfallmeldungen hinweisen dürfte, die wir ja auch dem Umweltausschuß zugeleitet haben.
Frau Hensel, Sie möchten eine Zusatzfrage stellen.
Sie haben vorhin gesagt, es sei nichts geändert worden. Aber es existiert ja eine veränderte Interpretation im Störfallbericht der Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Ist denn die Bundesregierung der Ansicht, daß die Erhöhung dieser Art von Störfällen das Gesamtrisiko der AKWs erhöht, und glaubt sie, das Sicherheitsniveau deutscher AKWs durch Uminterpretation erhöhen zu können?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich betone noch einmal, daß nicht umformuliert worden ist. Wir sind der Meinung, daß eine sehr intensive, auf breitester Front erfolgende Verpflichtung zur Meldung die Chancen für vorbeugende Sicherheitsmaßnahmen erhöht und etwaige denkbare Schwachstellen insbesondere im Vorfeld erkennen läßt. Es ist selbstverständlich, daß wir in der Ausdehnung dieser Meldepflichten ein Element vorsorgender Sicherheit sehen und deshalb an dieser Ausdehnung außerordentlich interessiert sind, ohne daraus die Schlußfolgerung ziehen zu dürfen, daß die erhöhte Zahl der Fälle etwas mit verminderter Sicherheit zu tun habe.
Frage des Abgeordneten Weiss .
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung bestätigen, daß z. B. ein durch mangelhafte Steckverbindung nicht fahrbereiter Steuerstab, wie es am 7. September 1986 im AKW Philippsburg II eingetreten war, im Falle einer Schnellabschaltung weitreichende Konsequenzen haben könnte, und sind Sie deshalb dann nicht auch der Auffassung, daß die Bezeichnung eines solchen Störfalls als Störfall von untergeordneter sicherheitstechnischer Bedeutung nicht angemessen oder gar sittenwidrig ist, und warum hat nach Ansicht der Bundesregierung ein Störfall, z. B. Reaktorschnellabschaltung wegen Störung in der Turbine, wie es z. B. 1985 im KKI eingetreten ist, im Jahre 1986 eine andere Qualität als 1985 bzw. worin liegt der Qualitätsunterschied solcher Ereignisse in den Jahren 1985 und 1986, z. B. 1986: KKB, abgerissene Turbinenstellventilspindel, 1985: KKI, Störung in der Turbinenregelung?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, jeder dieser von Ihnen geschilderten Vorfälle ist meldepflichtig. Die Einstufung, die Sie hier unterlegen, kann ich nicht bestätigen; denn ein gerissenes Ventil — ich bin kein Techniker — kann unterschiedliche Auswirkungen haben.
Entscheidend ist doch, Herr Kollege, daß wir die Verpflichtung der Kernkraftwerksbetreiber haben, bei Ereignissen, die Anlaß zur Besorgnis geben, eine Sofortmeldung zu erstatten. Es gibt die zweite Kategorie der Eilmeldung, wenn es sich um eine wirklich wichtige Sache handelt. Die hier in der Fragestunde angesprochene Kategorie N, Normalmeldung — schriftliche Meldung spätestens nach fünf Arbeitstagen — , bedeutet, daß es sich um Vorkommnisse handelt, deren Meldung keineswegs eilbedürftig ist. Sie sind deshalb auch bezüglich der Einschätzung ihres Gefahrenpotentials von untergeordneter Bedeutung.
Wichtig ist für uns allerdings, daß sie gesammelt werden, um durch die Fülle möglicher und im Einzelfall nicht bedeutender Vorfälle ein Signal zu erhalten, um unter Umständen im Vorfeld zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen oder anzuordnen.
Ich rufe die Frage 14 der Abgeordneten Frau Wollny auf:
Wie groß werden von der Bundesregierung z. Z. die Probleme beim Planfeststellungsverfahren für die Atommülldeponie in der stillgelegten Eisenerzgrube „Konrad" eingeschätzt, und wie sehen die konkreten Pläne aus, um das ehemalige Salzbergwerk ASSE II als Ausweichstandort einzurichten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung betrachtet die im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens für das Endlager „Konrad" aufgeworfenen
3328 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Parl. Staatssekretär Grüner
Fragestellungen als lösbar und geht davon aus, daß nach Prüfung des Vorliegens der atomrechtlichen Voraussetzungen ein positiver Planfeststellungsbeschluß erteilt wird. Von daher trifft die in der Frage enthaltene Unterstellung, die Bundesregierung suche einen Ausweichstandort, nicht zu.
Die Asse II wird bis Mitte der 90er Jahre als Forschungsstätte zur Durchführung der Demonstrationsversuche für ein Endlager in Salz benötigt. Die Bundesregierung hat sich vorbehalten, nach Vorlage und Bewertung der Ergebnisse der Standortuntersuchungen sowie unter Berücksichtigung des Fortgangs des Planfeststellungsverfahrens zum Endlager „Konrad" zu entscheiden, ob gegebenenfalls auch eine Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Asse angestrebt werden soll.
Zusatzfrage, Frau
Wollny.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß zu Grube „Konrad" ein neues hydrogeologisches Gutachten in Auftrag gegeben wurde, und beinhaltet der Auftrag neue Untersuchungen, oder sollen die Berechnungen in den PTB-Gutachten lediglich noch einmal überprüft werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es trifft zu, Frau Kollegin, daß im Rahmen der Prüfung der Nachweise und Rechnungen für die Langzeitsicherheit vom niedersächsischen Umweltministerium, der Planfeststellungsbehörde, zusätzliche Rechnungen gewünscht werden.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön, Frau Wollny.
Welche Kriterien müssen nach Ansicht der Bundesregierung für eine Langzeitsicherheit erfüllt sein bzw. sind geboten, und wie definiert die Bundesregierung „Langzeitsicherheit"?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wie das Wort es sagt: Sicherheit auf sehr, sehr lange Zeit, mit den Möglichkeiten, die heute physikalisch und technisch gegeben sind.
— Endlos lange, Frau Kollegin.
Nun wissen wir es. Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, bedeutet dies, daß vorher im Genehmigungsverfahren der Aspekt der Langzeitsicherheit noch nicht beachtet wurde, und hat das vielleicht damit zu tun, daß kritische Gutachten, die die Stadt Salzgitter in Auftrag gegeben hat, Ihrem Nachdenken doch etwas aufgeholfen haben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist richtig, daß wir gerade bei der Langzeitsicherheit nicht auf Erfahrungen zurückgreifen können, die in diesem Zusammenhang irgendwo anders auf der Welt gemacht worden wären. Deshalb muß die Genehmigungsbehörde mit großer Akribie pflichtgemäß jedem
Einwand, jedem Argument, das im Planfeststellungsverfahren auftaucht, nachgehen.
Wir legen als Bundesregierung sehr großen Wert darauf, daß es kein Argument gibt, das vorgebracht wird, das nicht auch wirklich gründlich mit den heute gegebenen technischen Möglichkeiten geprüft wird.
Zusatzfrage, Frau Hensel.
Herr Staatssekretär, kann sich die Bundesregierung der Ansicht anschließen, daß die Bevölkerung durch die Menge der radioaktiven Transporte besonderen Belastungen ausgesetzt ist, und beabsichtigt die Bundesregierung, die Problematik des Transports von radioaktivem Müll in das Planfeststellungsverfahren mit einzubeziehen, und wenn nicht, warum nicht?
Hier kann ich nicht den Zusammenhang mit der Frage erkennen; aber wenn der Herr Staatssekretär antworten will, dann will ich ihn nicht hindern.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es ist gar keine Frage, daß jeder Transport, auch der Mülltransport, für die, die da wohnen, eine zusätzliche Belastung darstellt. Ich bin jetzt fachlich nicht in der Lage, Ihnen die Frage zu beantworten, ob das in das atomrechtliche Planfeststellungsverfahren oder in ein anderes Verfahren einzubeziehen ist. Dazu bin ich nicht in der Lage. Aber selbstverständlich wird allein schon auf der Grundlage der Umweltverträglichkeitsprüfung und anderer Vorschriften auch die Belastung für die Bevölkerung durch die Transporte mit berücksichtigt werden müssen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Weiss .
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt bzw. kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Planung für die oberirdischen Bauten jetzt ansteht, daß sie schon ausgeschrieben worden ist für „Konrad", und zwar trotz des noch laufenden Planfeststellungsverfahrens, und stellt das nicht einen Eingriff in ein schwebendes Planfeststellungsverfahren dar, durch den dieses präjudiziert wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist nicht der Fall, Herr Kollege, sondern das Planfeststellungsverfahren wird ordnungsgemäß mit dem nötigen Zeitaufwand durchgeführt. Es wird keine Präjudizierung durch parallel laufende Bauentscheidungen geben. Das Planfeststellungsverfahren in dieser Frage ist für sich selbst zu sehen und zu bewerten.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Herr Par-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3329
Vizepräsident Westphal
lamentarischer Staatssekretär Rawe steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Börnsen auf:
Bezieht die Bundesregierung die bei der Deutschen Bundespost Beschäftigten in einen vom Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen propagierten offenen Dialog ein, und wie beurteilt die Bundesregierung ein Fernschreiben der Oberpostdirektion Bremen vom 30. Oktober 1987, in dem von den Amtsstellenleitern eine aktive Vertretung der Position des Bundesministeriums für das Post- und Fernmeldewesen erwartet wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, wenn der Herr Kollege Börnsen einverstanden ist, würde ich gerne seine nächste Frage gleich mit beantworten.
Ich sehe, er ist einverstanden. Ich rufe auch noch die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Börnsen auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß zur Durchsetzung einer Neustrukturierung der Deutschen Bundespost eine breite Übereinstimmung gesucht und gefunden werden muß in der Gesellschaft, bei den Bürgern und bei den Beschäftigten?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Danke schön. — Herr Kollege Börnsen, ich kann Ihre Frage uneingeschränkt bejahen. Die Bundesregierung bezieht die Mitarbeiter des Unternehmens Deutsche Bundespost in den Dialog über die Reform des Unternehmens mit ein. Wie in jedem Unternehmen kann auch der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen erwarten, daß seine Führungskräfte sich aktiv für die Unternehmensziele und die hieraus abzuleitenden Maßnahmen einsetzen.
Auch Ihre Frage 16 bejaht die Bundesregierung. Sie ist der Auffassung, daß zur Neustrukturierung der Deutschen Bundespost eine breite Übereinstimmung in der Gesellschaft, bei den Bürgern und bei den Mitarbeitern gesucht und gefunden werden muß. Aus diesem Grund hatte die Bundesregierung 1985 die Kommission „Fernmeldewesen" ins Leben gerufen, die ein konsensfähiges Konzept zur Reform des Fernmeldewesens vorbereiten sollte. Auch während der Erstellung der Gesetzesvorlage werden in Gesprächen die Meinungen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, der bei der Deutschen Bundespost vertretenen Gewerkschaften und auch die Meinungen der Mitarbeiter gehört und soweit wie möglich in das Konzept mit einbezogen.
Herr Börnsen, bitte schön, Zusatzfrage ein.
Herr Staatssekretär, wenn Sie einen offenen Dialog mit den Beschäftigten bei der Deutschen Bundespost suchen, meinen Sie nicht, daß gerade in einer Phase vor der Beschlußfassung über ein zu beratendes Gesetz, welches noch eine lange Zeit in Anspruch nehmen wird, und zwar bis in das nächste Jahr hinein, solch ein offener Dialog voraussetzt, daß die politische Meinungsbildung der bei der Post Beschäftigten auch ohne Vorgabe einer momentanen Meinungsbildung im Ministerium vonstatten gehen sollte?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das geschieht ja auch nicht in der Weise, wie Sie es darstellen, Herr Kollege Börnsen. Sie wissen, daß die Tarifpartner des Unternehmens Deutsche Bundespost ihre Meinungen zum Teil sehr einseitig vertreten. Wenn es wirklich zu einem Dialog kommen soll, muß man die Meinungen auch gegeneinandersetzen dürfen. Wenn z. B. in vielen Flugblättern, wie Sie wissen, von Privatisierung und ähnlichen Dingen die Rede ist, die in keinem Konzept je gestanden haben und die auch nicht in der Regierungserklärung dieser Bundesregierung stehen, sondern da ausdrücklich ausgeschlossen sind, dann meine ich schon, daß es zu einer vernünftigen Unternehmensführung gehört, daß man wirklich über das aufklärt, über das man gerade nachdenkt.
Herr Börnsen, zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es gibt sicher in der politischen Diskussion unterschiedliche Ansätze in der Bewertung eines jetzt vorliegenden Berichtes einer Regierungskommission. Ist nicht zu unterscheiden zwischen der politischen Diskussion auch der bei der Post Beschäftigten einerseits und einer Vorgabe, die von der Exekutive dem Führungspersonal bei der Post gegeben wird, und würden Sie es als einen offenen Dialog bezeichnen, wenn dem Führungspersonal vorgegeben wird, daß es aktiv die Position des Postministers zu vertreten habe, obwohl noch nicht einmal eine parlamentarische Beratung über diesen Themenbereich stattgefunden hat?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Börnsen, wir werden im weiteren Verlauf der Fragestunde hierzu noch genauer Stellung nehmen müssen, weil Fragen in ähnlicher Richtung gestellt worden sind. Aber glauben Sie denn nicht auch, daß zu einem Dialog gehört, daß die Leitung des Unternehmens zunächst einmal ihre Meinung den Mitarbeitern mitteilt und nicht nur meinetwegen die von Ihnen politisch vertretene Meinung vorgibt, wobei ich Ihnen gerne konzediere — das will ich hier auch herausstellen —, daß Sie in der letzten Haushaltsdebatte ausdrücklich anerkannt haben, daß in dieser Frage Handlungsbedarf bestehe? Das läßt mich auf einen Konsens hoffen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Börnsen.
Herr Staatssekretär, ich danken Ihnen natürlich ausdrücklich, daß Sie mir sozusagen eher eine staatsbürgerliche Haltung zutrauen als der Deutschen Postgewerkschaft.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das war nicht meine Ausführung.
Aber gehen Sie nicht trotzdem mit mir darin einig, daß das, was Sie eben zitiert haben — die Einsicht in die Notwendigkeit einer Neustrukturierung der Deutschen Bundespost — , auch von der Deutschen Postgewerkschaft so ausgeführt wird? Wenn dem so ist, müßte es dann nicht eher so sein, daß man in den Diskussionsprozeß
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Börnsen
ohne abgeschlossene Meinung gehen muß, um am Ende dieses Prozesses, nämlich vor der gesetzlichen Beratung und Beschlußfassung, zu einer breiten Übereinstimmung zu kommen, von der Sie gesagt haben, daß sie uneingeschränkt zu bejahen sei? Denn ansonsten ist es nicht möglich, einen Dialog zu führen, wenn man nämlich bereits einen abgeschlossenen Standpunkt hat.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich habe gar nicht von einer abgeschlossenen Meinungsbildung gesprochen. Sie werden sich erinnern können, daß der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen nach Vorlage des Berichts zunächst im zuständigen Ausschuß dieses Hohen Hauses darüber berichtet und ausdrücklich gesagt hat, er könne sich eine Konzeption in dieser Richtung vorstellen. Darüber, wie sie dann endlich zustande komme, müßten wir alle miteinander noch einmal sprechen.
In diesem gegenseitigen Dialog befinden wir uns im gegenwärtigen Zeitpunkt. Mit Vorgaben hat das gar nichts zu tun. Nur, jeder muß schon sagen, was er eigentlich zu dieser Reform meint. Das tun beide Seiten offensichtlich.
Jetzt kommt Herr Börnsen mit seiner vierten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich feststellen, daß hinsichtlich dieses gemeinsamen Zieles einer breiten Übereinstimmung auch noch eine erhebliche Bewegungsfähigkeit des Herrn Postministers zu erwarten sein wird?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Die Bereitschaft dazu haben wir von Anfang an gezeigt, Herr Kollege Börnsen. Wenn Sie nur einmal daran denken, daß wir schon eine erhebliche Anzahl von Gesprächen auch mit der Deutschen Postgewerkschaft geführt haben. Heute abend, nach Schluß der namentlichen Abstimmung, begeben wir uns erneut nach Frankfurt, um dort mit dem Hauptvorstand dieser Gewerkschaft über das Problem zu diskutieren. Daraus ersehen Sie, wie groß unsere Bereitschaft zum Dialog ist.
Damit keine Irrtümer entstehen: Sie meinen die namentliche Abstimmung morgen.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie sagen, daß heute um 18 Uhr keine namentliche Abstimmung stattfindet.
Ich richte mich insoweit lieber nach den Geschäftsführern und frage sie nachher noch einmal.
Eine Zusatzfrage, Herr Paterna, bitte schön.
Herr Staatssekretär, darf ich, nachdem Sie in einer Antwort auf eine Frage des Kollegen Börnsen wörtlich formuliert haben, daß der Tarifpartner „zum Teil auch sehr einseitig" informiert habe, daraus schlußfolgern, daß Sie die Informationspolitik Ihres Ministers damit auch als sehr einseitig charakterisieren wollten?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, das dürfen Sie nicht. Ich habe in diesem Fall die Opposition gemeint, die zunächst auch immer von Verprivatisierung gesprochen hatte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler, bitte schön.
Herr Staatssekretär, halten Sie es denn wirklich für mit der Meinungsfreiheit des Grundgesetzes vereinbar, wenn Beschäftigte der Bundespost verpflichtet werden, eine politische Entscheidung des Hauses aktiv zu vertreten, und stellen Sie diese Entscheidung, die Sie getroffen haben, etwa auf die gleiche Ebene wie beamtenrechtliche Grundsätze, z. B. den Grundsatz des aktiven Eintretens für die freiheitlich-demokratische Grundordnung?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich kenne natürlich Ihren Informationsstand nicht. Nur, ich kenne keine einzige Entscheidung, die so endgültig getroffen worden ist, wie Sie es gerade dargestellt haben. Deswegen kann eine solche Entscheidung bislang auch niemandem vorgegeben worden sein.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie aber von Ihren Beschäftigten erwarten, daß sie die Meinung des Hauses aktiv verteidigen, müssen Sie auch wohl an diejenigen, die davon angesprochen sind, appellieren, einen Standpunkt zu vertreten, der möglicherweise nicht ihrer Meinung entspricht, und halten Sie das wirklich, auch abgestimmt mit dem Innenminister, für mit dem Grundgesetz vereinbar?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich habe nicht von den „Beschäftigten" unseres Unternehmens gesprochen, sondern von den „Mitarbeitern" dieses Unternehmens. Ich meine in der Tat, daß die führenden Mitarbeiter schon die Meinung der Leitung des Hauses vertreten müssen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, hätten Sie die Freundlichkeit, das Haus mal wissen zu lassen, ob seither Gespräche ausschließlich mit der Deutschen Postgewerkschaft geführt worden sind oder ob sich diese Gespräche auf einen größeren Kreis von Gesprächsteilnehmern beziehen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, ich habe gesagt, daß wir mit den Verbänden und mit unseren Tarifpartnern — ich habe also nicht nur von der einen Gewerkschaft gesprochen, sondern von den Tarifpartnern — gesprochen haben. Ich habe allerdings bei dem einen Tarifpartner eine gewisse Einseitigkeit festgestellt. Und dazu bekenne ich mich.
Bitte schön, Sie können noch eine zweite Frage stellen, Herr Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, würden Sie bei Ihrer Aussage zu Frage 16 des Kollegen Börnsen auch weiterhin bleiben, nämlich der Offenheit der Gespräche, auch wenn gerade mit Blick auf
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3331
Pfeffermann
die jüngste Verlautbarung der Deutschen Postgewerkschaft der Eindruck entstanden ist, daß Gespräche, die geführt wurden, mehr der öffentlichen Agitation seitens der Postgewerkschaft als der Konsensfindung dienen? Bleiben Sie trotzdem ausdrücklich dabei, daß die Gespräche fortgeführt werden, was ich begrüßen würde?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Als ein guter Demokrat bleibe ich selbstverständlich dabei, Herr Kollege Pfeffermann. Sie können davon ausgehen, daß das auch die Bundesregierung tut; denn wir wollen möglichst weitgehende Übereinstimmung erzielen, und wir lassen uns auch durch Propaganda nicht verwirren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Paterna.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie einerseits sagen, es gebe keine abgeschlossene Meinungsbildung des Hauses — das kann ich bestätigen —
und andererseits sagen, Sie müßten die Führungskräfte in den Stand setzen, die Unternehmensziele entschlossen zu vertreten: Können Sie uns dann bitte begreiflich machen, wie die Führungskräfte etwas aktiv nach außen vertreten können sollen, was es noch gar nicht gibt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, wenn hier ein neues Modell oder meinetwegen auch mehrere neue Modelle diskutiert werden sollen, dann muß ich diese doch vorgeben. Diese Modelle kann ich sehr wohl positiv und aktiv nach draußen vertreten. Dann merke ich aus dem Rückfluß, wie sehr sie eigentlich umsetzbar sind oder nicht. Aber ich kann von den Führungskräften nicht erwarten, daß sie sich selber erst gar nicht der Mühe unterziehen, ihren Mitarbeitern klarzumachen, was mit Modellen erreicht werden soll.
Ich rufe nun die Frage 17 der Frau Abgeordneten Faße auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Bericht der Regierungskommission Fernmeldewesen nicht bindend sein kann für die Meinungsbildung der bei der Deutschen Bundespost Beschäftigten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich hoffe, daß Frau Kollegin Faße damit einverstanden ist, daß ich beide Fragen zusammen beantworte.
Ja, sie ist es.
Dann rufe ich auch die Frage 18 der Frau Abgeordneten Faße auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß vor Inkrafttreten von Gesetzen die Meinungsbildung auch von Beamten, Angestellten und Arbeitnehmern der Deutschen Bundespost nicht durch die politische Führung vorgegeben und festgelegt werden darf?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Regierungskommission Fernmeldewesen war von der
Bundesregierung eingesetzt worden, um angesichts des technischen Zusammenwachsens von Telekommunikation, Datenverarbeitung und Bürotechnik die Aufgabenstellung im Bereich des Fernmeldewesens sowie die Möglichkeiten zur Verbesserung der Aufgabenerledigung zu untersuchen. Der Bericht der Regierungskommission, der nach zweieinhalbjähriger Arbeit der Bundesregierung übergeben wurde, enthält Empfehlungen zu dem Umfang, den Grenzen und der Struktur einer staatlichen Betätigung im Bereich des Fernmeldewesens sowie zu der besonderen Rolle der Deutschen Bundespost als eines organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Gebildes und zu der Mitwirkung von Privaten innerhalb eines gesetzten Rahmens. Die Ergebnisse haben Empfehlungscharakter und liefern somit der Bundesregierung wichtige Hinweise für die Neustrukturierung des Fernmeldewesens. Auf den Empfehlungen aufbauend wird die Bundesregierung eine Kabinettsvorlage erstellen.
Daraus folgt schon zwingend der Schluß, den auch der Kollege Börnsen oder der Kollege Paterna — ich weiß nicht, wer es war — gezogen hat, daß es eine umfassende Diskussion darüber geben wird. Erst nach umfassender parlamentarischer Beratung wird ein Gesetz erstellt werden, das dann allerdings bindende Wirkung haben wird.
Zu Ihrer Frage 18: Der Bundesminister, der mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfes vom Bundeskabinett beauftragt wurde, bemüht sich, während der Erarbeitung des Gesetzentwurfs die vielfältigen Meinungen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen zur Reform zu erfassen und so weit wie möglich in das Konzept einzubeziehen. Es kann keine Rede davon sein — auch das habe ich vorhin schon deutlich gemacht —, daß hier von der politischen Führung eine strikt zu befolgende Vorgabe gemacht würde.
Frau Faße, bitte schön, Zusatzfrage.
Wenn wir uns in der Phase der Diskussion befinden: Wie beurteilen Sie dann öffentliche Aussagen von Bediensteten, die mit den Vorschlägen der Kommission nicht identisch sind?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Wenn sie fachlich gut gemacht sind, höre ich sie mir gerne an und versuche zu überlegen, ob sie in das Konzept einbezogen werden können.
Zweite Zusatzfrage, Frau Faße.
Das heißt also, daß kritische bzw. abweichende Äußerungen Bediensteter für diese keinerlei negative Auswirkungen haben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Wo gibt es denn das in der Bundesrepublik?
Das ist eine Gegenfrage gewesen und keine Antwort.
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Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, darf ich das ausnahmsweise als Antwort betrachten? Ich kann es sonst auch anders formulieren.
Ich kann das nur so feststellen.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Danke.
Bitte schön, Frau Faße, eine dritte Zusatzfrage.
Sehen Sie — das betrifft meine Frage 18 — die Festlegungen und Vorgaben auch nicht durch Veranstaltungen gegeben, zu denen im besonderen Multiplikatoren eingeladen wurden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein. Gerade die Multiplikatoren müssen wir einladen, um eine breite Meinungsbildung in Gang zu setzen. Wie wollen Sie das denn sonst veranstalten?
Vierte Zusatzfrage, Frau Faße.
Teilen Sie meine Meinung, daß sachliche Informationen zur Meinungsbildung sicherlich richtig sind, daß man sich aber auch fragen muß, inwieweit es möglich sein kann, daß die Antworten zu sehr vielen Bereichen jetzt schon vorliegen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationen bezogen haben. Ich habe jetzt mehrfach deutlich gemacht, und der Kollege Paterna, der sich gern dessen berühmt — ich bestätige ihm, daß er meistens recht hat — , die Vorgänge in unserem Hause sehr genau zu kennen, hat es vorhin ausdrücklich bestätigt: Es gibt keine solche Vorlage, von der Sie sprechen.
Heißt das, Herr Börnsen, daß Sie eine Zusatzfrage stellen wollen?
Ich würde das gerne tun.
Dann dürfen Sie das jetzt tun.
Herr Staatssekretär, wenn wir auch darin übereinstimmen, daß es noch keine Vorlage und kein Konzept gibt: Ist es trotzdem zutreffend, daß bei der Unterrichtung der Führungskräfte der Deutschen Bundespost bei entsprechenden Fragen, die von den Mitarbeitern der Deutschen Bundespost gestellt werden und die dann entsprechend vorformuliert wurden, die Antworten gleich mitgeliefert wurden.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ob die Fragen und Antworten vorformuliert worden sind, kann ich Ihnen nicht bestätigen.
Aber Sie bestätigen immer das, was ich die ganze Zeit
schon ausführe: daß wir in einem ausgesprochen guten Dialog mit den Mitarbeitern unseres Unternehmens sind.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie zu Frage 17 fragen: Ist dieser Bericht der Regierungskommission überhaupt für jemanden bindend, und hat nicht auch der Postminister in seiner Wertung dazu in einzelnen Punkten durchaus abweichende Stellungnahmen abgegeben, weswegen die Grundunterstellung der Bindung des Kommissionsberichts an sich schon eine nicht ganz korrekte Fragestellung ist?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ihre Feststellung, Herr Kollege Pfeffermann, ist korrekt. Deshalb hatte ich vorhin auch ausdrücklich gesagt, daß der Bericht dieser Regierungskommission empfehlenden Charakter habe und daß wir ihn auch als solchen ansehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, können Sie zur Frage 18 bestätigen, daß die zur Unterrichtung der Mitarbeiter erarbeitete Unterlage
— nämlich der Riesenkatalog, der da zusammengetragen worden ist — ausdrücklich die Stellungnahme aller möglichen Verbände, Parteien und Gewerkschaften enthält, übrigens — wenn ich das einflechten darf — mit Ausnahme der der CDU/CSU, weswegen wir als einzige hätten betroffen sein können
— die Hausaufgaben waren gemacht, meine Damen und Herren, Sie wissen das; der Paterna zeigt sich im Moment unwissender, als er in der Tat ist —, .. .
Augenblick, bitte fragen Sie.
... und daß gerade dieser Katalog deutlich macht, daß die Mitarbeiter über die gesamte Breite der Argumente unterrichtet werden sollen, die zur Frage der Neustrukturierung der Deutschen Bundespost von den beteiligten Verbänden und Gewerkschaften in die Diskussion eingebracht worden sind?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, ich will Ihnen das nicht nur bestätigen, sondern auch ausdrücklich sagen, daß wir alles, was uns bis zu diesem Zeitpunkt, also bis zu dem Zeitpunkt der Erstellung dieser Unterrichtungsmappe, an Meinungsbildern — mit Ausnahme der Stellungnahme Ihrer Fraktion — bekannt war, in dieser Mappe veröffentlicht haben. Ich gehe einfach einmal davon aus, daß wir, weil wir das so gemacht haben, auch das Interesse der anderen Seite des Hauses geweckt haben.
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Bevor ich das Wort zu einer Fragestellung weitergebe, will ich Ihnen mitteilen, daß es heute nach übereinstimmender Auskunft sämtlicher vier Fraktionsgeschäftsführer keine namentliche Abstimmung gibt, wohl aber morgen. Im übrigen hat das auch die Verwaltung noch einmal bestätigt, aber die kommt hinterher.
Ich rufe Frage 19 des Herrn Abgeordneten Paterna auf:
Welche Maßnahmen und Veranstaltungen hat die Bundesregierung nach Vorlage des Berichts der Regierungskommission Fernmeldewesen durchgeführt, um die Beschäftigten der Deutschen Bundespost auf die politische Position des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen festzulegen, und wie hoch waren die Kosten dafür?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, bei der Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens handelt es sich um eine volkswirtschaftlich notwendige Maßnahme, die nicht einseitig in Zusammenhang mit politischen Positionen steht. Dies wird — ich sagte das vorhin schon — auch dadurch bestätigt, daß die Opposition die Notwendigkeit einer Reform des Post- und Fernmeldewesens anerkennt.
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen sowie die oberen Führungskräfte des Ministeriums informieren zur Zeit in direktem Kontakt, zum Teil auch in besonderen Veranstaltungen — darüber haben wir schon gesprochen — die Mitarbeiter der Deutschen Bundespost über die Ziele und den Sachstand — ich betone: den Sachstand — des Reformvorhabens.
Insbesondere wurden folgende Informationsmaßnahmen durchgeführt: ein Brief des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen an alle Mitarbeiter; zentrale Informationsveranstaltungen für Präsidenten, Abteilungsleiter, Amtsvorsteher und Referatsleiter; dezentrale Veranstaltungen bei den Oberpostdirektionen. Die Durchführung dieser Maßnahmen ist Bestandteil der normalen Führungsmaßnahmen und kann deshalb nicht im einzelnen — ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür — kostenmäßig quantifiziert werden.
Wenn es denn richtig ist, was Ihre Kollegen vorher so nachdrücklich angemahnt haben, daß zu einem breiten Dialog auch eine breite Unterrichtung der Öffentlichkeit gehört, dann werden Sie verstehen, daß wir uns tatsächlich auch mit einer breit angelegten Öffentlichkeitsarbeit bemühen, die Pläne zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens bekanntzumachen. Meinungsbildner und die breite Öffentlichkeit wurden in überregionalen Wirtschaftszeitungen und Magazinen sowie in regionalen Tages-und Kaufzeitungen unterrichtet.
Ich bedaure, daß ich Ihnen aus Wettbewerbsgründen die Schaltkosten nicht mitteilen kann, aber ich denke, wenn wir die erste Ausschußsitzung zu dem Problem haben und sich die Kostenseite etwas abgerundet hat, kann ich Ihnen eine konkrete Auskunft darüber geben, was insgesamt aufgewendet worden ist.
Herr Paterna, erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem ich feststelle, daß ich für Ihr mangelndes Kostenbewußtsein kein Verständnis habe, frage ich Sie: Gibt es im Hause keine Zahl darüber, welche Papier- und Vervielfältigungs- und Portokosten entstehen, wenn der Minister allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Brief schreibt? Wenn es die Zahl doch gibt, wäre ich dankbar, wenn sie hier genannt würde. Gibt es in Ihrem Haus keine Zahl darüber, was es kostet, wenn 300 Führungskräfte aus dem ganzen Bundesgebiet zweimal in der Führungsakademie zusammengezogen werden? Hat da niemand die Reisekosten und die Ausfalltage berechnet?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das läßt sich sicher berechnen, und ich habe Ihnen gesagt, daß ich auch gerne bereit bin, Ihnen das nachzuliefern. Ich habe aber auch gleichzeitig gesagt, daß ich aus Wettbewerbsgründen nicht gerne die Schaltkosten in den Zeitungen nennen möchte. Das ist meine Antwort.
Aber ich appelliere noch einmal an Sie: Sie fordern doch so den notwendigen Dialog. Nun führen wir ihn, auch mit diesem Aufwand, und trotzdem höre ich aus Ihrer Frage eine gewisse Kritik heraus. Das bedrückt mich, Herr Kollege.
Nächste Zusatzfrage, Herr Paterna.
Das kann ich vor der Weihnachtszeit nicht verantworten. Herr Präsident, da wir hier keinen Dialog über unsere Begriffe von Dialogfähigkeit führen, möchte ich mich mit der Zusage einverstanden erklären, daß die erbetenen Zahlen nachgeliefert werden, und auf weitere Zusatzfragen verzichten.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich bedanke mich sehr herzlich, Herr Kollege.
Gilt das für die Frage 19 und die Frage 20 des Abgeordneten Paterna, die lautet:
Welche Kosten sind der Deutschen Bundespost nach Übergabe des Berichts der Regierungskommission Fernmeldewesen für Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften entstanden, um die Öffentlichkeit ausschließlich aus ihrer Sicht über die Neustrukturierung der DBP zu beeinflussen und zu unterrichten?
— Ja. — Dann wünsche ich einen angenehmen weiteren Dialog.
Es kommt noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Börnsen.
Der Dialog ist nie zu Ende!
Leitlinie für diesen Prozeß
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Börnsen
— der Neugestaltung der Bundespost —
ist ein umfassendes langfristiges Konzept, nach dem sich die Post neu organisiert. So soll die Arbeitsweise verbessert und die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft neu geregelt werden.
Zum Schluß heißt es dann:
Wenn Sie mehr über unseren Weg in die Zukunft, über eine neue, stärkere Post wissen wollen, schreiben Sie mir bitte.
Der Postminister
Wir hatten vorhin in der Auseinandersetzung festgestellt, es gebe noch kein Konzept. In der Öffentlichkeit wird ein Konzept als vorliegend angekündigt. Meinen Sie, daß es möglich wäre, daß auch das Parlament über dieses Konzept unterrichtet wird?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Börnsen, Sie sind mir nicht böse: Den Zusammenhang mit der Kostenfrage erkenne ich nicht. Aber ich beantworte selbstverständlich gern Ihre Frage, wenn der Präsident es gestattet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, ich bestätige Ihnen zunächst einmal, daß der Zusammenhang nicht erkennbar ist. Sie wollen aber trotzdem antworten?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Wenn ich darf, Herr Präsident, tue ich das gerne.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte!
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich habe mehrfach davon gesprochen, daß es keine abgeschlossenen Konzepte gibt, daß es aber sehr wohl Modellvorstellungen dazu gibt, wie man das neu ordnen kann. Herr Börnsen, so blauäugig, daß Sie diese Konzepte nicht längst kennen, sind Sie auch nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nun machen wir mit diesem Dialog für heute aber erst einmal Schluß.
Jetzt kommt die Frage 21 des Abgeordneten Müller zu einem anderen Teilthema des Postgeschehens:
Wieweit muß bei einem Nichtfunktionieren des TV-Sat der Bund für die Gesamtverluste aufkommen, und wieviel ist durch Versicherungen abgedeckt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, für das TV-Sat-1-Projekt hat der Bundesminister für Forschung und Technologie 485 Millionen DM aufgewendet. Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat für den Satelliten weitere 100 Millionen DM verausgabt.
Da Satellitenhersteller nach internationaler Praxis keine Gewähr für das Funktionieren von Satelliten im Orbit übernehmen, hat die Deutsche Bundespost in Anbetracht der bekannten Risiken eine Versicherung abgeschlossen.
Die Ausgaben für die Wiederbeschaffung eines Satelliten und für einen Start betragen 390 Millionen DM. Sollte es zu einem Totalverlust des Satelliten kommen, erhält die Deutsche Bundespost eine Entschädigung von 180 bzw. 90 Millionen DM, je nachdem, ob die Fehlerursache vor oder nach der Trennung des Satelliten von der Rakete aufgetreten ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Müller, bitte.
Herr Staatssekretär, da mich Ihre erste Auskunft etwas verwunderte, muß ich nachfragen. Sie sagen, das habe 485 plus 100 Millionen gekostet. Nach einer Information der „Media-Perspektiven", die normalerweise richtig informiert sind, kostet allein der TV-Sat 1 1,5 Milliarden DM.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Sie hatten gefragt, was die Bundesregierung aufgewendet hat.
Richtig. Ich wollte das nur nachschieben, weil ein Dissens zwischen meiner Information und der Ihren besteht. Kann ich — unterstellt, diese Information mit den 1,5 Milliarden stimmt — daraus schließen, daß nur ein Bruchteil dessen, was dieses System gekostet hat, durch eine Versicherung abgedeckt ist?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das können Sie in der Tat daraus schließen. Nur ist vorher der Dissens nicht ganz aufgeklärt worden. Sie haben nach den Kosten des Satelliten gefragt,
aber selbstverständlich braucht man auch eine entsprechende Projektorganisation und alles, was weiter dazugehört, wenn das Ding läuft. Da können erhebliche andere Kosten angefallen sein, über die ich jetzt aber leider keine Übersicht habe; ich bin gern bereit, sie Ihnen nachzuliefern.
Und von diesem anderen ist nichts versichert?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das kann man nicht versichern; das nimmt Ihnen keine Versicherung ab.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Frau Staatsminister Dr. Adam-Schwaetzer ist zur Beantwortung der Fragen bei uns.
Die Fragen 22 und 23 der Abgeordneten Frau Nickels sind von der Fragestellerin zurückgezogen worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Stimmt die Bundesregierung mit mir darin überein, daß die USA mit ihrem bereits laufenden Projekt , Mini-Atomreaktoren zur Versorgung von SDI-Komponenten zu bauen und in erdnahen Umlaufbahnen zu postieren, gegen die bisherige Regel, keine Kernreaktoren in erdnahe Schichten zu bringen, verstößt, und daß sie damit den Auslöser zur nuklearen Verseuchung der Atmosphäre gibt?
Bitte schön, Frau Staatsminister.
Herr Kollege Lippelt, es gibt bislang
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3335
Staatsminister Frau Dr. Adam-Schwaetzer
keine internationale Vereinbarung, nach der es unzulässig wäre, Satelliten mit nuklearen Energiequellen an Bord in eine erdnahe Umlaufbahn zu bringen. So unterhält die Sowjetunion einige Satelliten mit nuklearen Energiequellen in solchen Umlaufbahnen.
Sollten die USA, wie in dem vom Ihnen zitierten Artikel behauptet wird, Mitte der 90er Jahre Raumflugkörper mit nuklearen Energiequellen in eine erdnahe Umlaufbahn bringen, würde dies gegen eine internationale Regelung verstoßen.
Im übrigen bewirken Satelliten mit nuklearen Energiequellen an Bord in erdnahen Umlaufbahnen keine nukleare Verseuchung der Atmosphäre.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Lippelt.
Frau Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, daß in dem Artikel von dem bisherigen Brauch, nukleare Quellen in erdferne Umlaufbahnen zu senden, die Rede ist, von wo keine baldige Rückkehr möglich ist, und daß bei diesem neuen Entwicklungsprojekt, von dem hier gesprochen wird, gewissermaßen eine bisher beachtete Regel — ich sage nicht „ein internationales Abkommen", sondern spreche von einer bisher beachteten Regel — durchbrochen würde?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe in meiner Antwort bereits ausgeführt, daß die Sowjetunion bereits seit einer ganzen Reihe von Jahren Satelliten, die mit solchen nuklearen Energiequellen ausgestattet sind, in diesen erdnahen Umlaufbahnen betreibt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsminister, da ich Ihnen nicht widersprechen möchte und das hier auch zu weit führen würde, frage ich Sie: Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß damit ja auch Unfälle zusammengehangen haben und daß die Sowjetunion, so weit es bekannt ist, so etwas in erdnahen Schichten nicht betreibt?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann die Auskunft nur wiederholen. Sie hatten ja bereits den Unfall angesprochen, der 1978 dadurch eingetreten ist, daß ein mit einem Kernreaktor ausgerüsteter sowjetischer Radarsatellit über Kanada abgestürzt ist.
Dabei ist Gott sei Dank niemand zu Schaden gekommen. Die Auskunft, die ich Ihnen gegeben habe, daß die Sowjetunion in erdnahen Bahnen Satelliten betreibt, bleibt unberührt.
Eine Zusatzfrage, Herr Weiss. Bitte schön.
Frau Staatsminister, gibt es denn einen Unterschied — Sie haben diesen nicht gemacht — zwischen den bisher verwendeten Radioisotopenbatterien, die auch in erdnahem Umlauf verwendet werden, und nuklearen Reaktoren, die doch im Gefährdungspotential eine ganze Stufe höher liegen?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Kollege, die Frage des Kollegen Lippelt bezog sich darauf, ob in erdnahen Umlaufbahnen derartige Satelliten betrieben werden oder ob, wenn denn eintritt, was in dem Artikel angekündigt ist — —
Sie haben nicht unterschieden zwischen Isotopenbatterie und Reaktor. Sie haben bloß von nuklearem Antrieb gesprochen.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Ja, in der Tat.
Nach dieser Differenz, die in dem Artikel klar ist, habe ich gerade gefragt.
Das hat die Frau Staatsminister auch verstanden.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, daß aus der Antwort auf die nächste Frage des Kollegen Lippelt besonders deutlich wird, worauf es der Bundesregierung ankommt, nämlich, daß, wenn denn überhaupt solche Satelliten betrieben werden, dieser Betrieb für uns alle sicher vonstatten geht. Dazu sind einige Bemühungen bei den Vereinten Nationen im Gange. Aber darauf gehe ich noch in der Antwort auf die nächste Frage des Kollegen Lippelt ein.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Dr. Lippelt auf.
Wenn ja, wann und in welcher Form wird die Bundesregierung ihren Protest gegenüber der US-Regierung zum Ausdruck bringen?
Bitte schön, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Kollege Lippelt, unter den gegebenen Umständen sieht die Bundesregierung keinen Anlaß, gegen eine mögliche Positionierung amerikanischer Satelliten mit nuklearen Energiequellen in einer erdnahen Umlaufbahn zu protestieren.
Der Weltraumausschuß der Vereinten Nationen befaßt sich gegenwärtig mit der Ausarbeitung eines Prinzipienkatalogs für den Einsatz solcher mit nuklearen Energiequellen betriebenen Satelliten. Ziel ist u. a., international anerkannte Sicherheitsanforderungen für den Betrieb solcher Satelliten festzuschreiben. Dies gilt auch in bezug auf die jeweilige Umlaufbahn eines Satelliten. Die Bundesregierung beteiligt sich im Rahmen der Vereinten Nationen aktiv an der Ausarbeitung des Prinzipienkatalogs und hofft auf einen positiven Ausgang der Verhandlungen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Lippelt.
Frau Staatsminister, da in den USA diese Diskussion im Zusammenhang mit SDI entbrannt ist und man befürchtet, daß aus diesem Grunde die Regel durchbrochen wird, frage ich Sie: Meinen Sie denn überhaupt, daß SDI-Komponenten, wenn es denn jemals dahin kommt, so
3336 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Dr. Lippelt
sicher betrieben werden können, daß davon keine Verschmutzung der erdnahen Atmosphäre ausgehen kann?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Kollege Lippelt, ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß nach unseren Erkenntnissen und unserer Auffassung diese unterstellte Tatsache, daß hier eine Regel durchbrochen worden sei, so nicht zutrifft, weil ja bereits in erdnahen Umlaufbahnen nuklear betriebene Satelliten kreisen.
Zum anderen kommt es uns — ganz gleichgültig, wie die Forschung zum SDI-System in den Vereinigten Staaten weitergeht — darauf an, im Rahmen der Vereinten Nationen ausreichende Sicherheitsstandards zu vereinbaren, damit ganz klargestellt wird, daß aus dem Einsatz und dem Betrieb solcher Satelliten, für welchen Zweck sie auch eingesetzt sein mögen, keine Gefährdungen für die Menschen eintreten.
Frau Staatsminister, müßte es bei der Unterscheidung zwischen Sowjetunion und USA, die Sie gemacht haben — ich nehme sie jetzt einmal so hin — , nicht Aufgabe zumindest deutscher Politik sein, nicht aus dem schlechten Beispiel der Sowjetunion die Legitimation für die Verschlechterung des bisher anderen Verhaltens der USA herzuleiten, sondern umgekehrt auf die USA einzuwirken, daß sie daran festhalten, in erdnahen Schichten nicht zu positionieren, und darauf hinzuwirken, daß sich die Sowjetunion dieser Regel anschließt? Wenn ich ergänzen darf: Sind Sie nicht auch der Meinung, daß Außenpolitik ökologisiert werden muß und daß man über solche Dinge in Ihrem Hause stärker nachdenken muß?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Kollege, ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß Außenpolitik selbstverständlich, gerade weil wir unsere Umwelt in den nationalen Begrenzungen allein nicht mehr schützen können, einen sehr starken ökologischen Bezug hat und braucht. Gerade deshalb setzen wir uns in den Vereinten Nationen dafür ein, daß es zur Festschreibung solcher für alle verbindlichen Standards kommt, damit eben eine solche Gefährdung nicht eintreten kann.
Herr Fischer hat noch eine Zusatzfrage.
Wenn Sie davon ausgehen, daß eine 100 %ige Sicherheit anzustreben oder gegeben sei, wenn Miniatomreaktoren zur Versorgung von SDI-Komponenten hochgeschossen werden: Können Sie uns einmal sagen, mit welchem Trägersystem solche Miniatomreaktoren mit 100 %iger Sicherheit hochgeschossen werden sollen?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Lieber Herr Kollege Fischer, ich glaube, das überschreitet jetzt etwas die Kompetenzen des Auswärtigen Amtes. Ich kann Ihnen dazu keine Sicherheitsphilosophie vortragen. Ich weiß allerdings, daß auf dieser Erde ganz offensichtlich nichts mit 100 %iger Sicherheit zu betreiben ist. Ihre Frage nach der Trägerrakete wird ein anderes Ministerium sicher kompetenter als das Auswärtige Amt beantworten können.
Wir kommen zur Frage 26 des Abgeordneten Stiegler:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung der CSSR bei den derzeitigen Gesprächen zur Einführung von Tagesvisen an den Grenzen zur CSSR nach der gegenwärtigen Rechtslage noch keine Gegenseitigkeit anbieten kann, und was wird sie unternehmen, um z. B. durch eine Änderung des Ausländergesetzes — zumindest auf Gegenseitigkeit — sicherzustellen, daß auch die mit der Paßnachschau beauftragten Behörden ermächtigt werden, normale Sichtvermerke auszustellen?
Bitte schön, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Kollege Stiegler, es trifft zu, daß über Erleichterungen im Reiseverkehr gesprochen werden soll. Ich kann Ihnen bestätigen, daß das deutsche Ausländerrecht keine Bestimmungen enthält, die der zwischenstaatlichen Vereinbarung von Erleichterungen oder ihrer Durchführung entgegenstehen würden. Es ist derzeit allerdings nicht beabsichtigt, den Grenzbehörden generelle Zuständigkeiten zur Erteilung von Sichtvermerken zu übertragen.
Zusatzfrage, Herr Stiegler.
Frau Staatsminister, wie wollen Sie denn dann sicherstellen, daß auch wir der CSSR auf Gegenseitigkeit die Möglichkeit geben, Tagesvisen zu erteilen?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Kollege Stiegler, die Bürger der Tschechoslowakei haben natürlich die Möglichkeit, die Visaerteilung in der deutschen Vertretung, also in der Botschaft in Prag, zu beantragen. Es ist sichergestellt, daß die Sichtvermerksbewerber diese Visa sehr rasch erteilt bekommen. Sichtvermerksbewerber, die ihren Antrag bis 12 Uhr vorlegen, können den Sichtvermerk noch am Nachmittag desselben Tages erhalten. Sofern sie erst neun Tage nach der Antragstellung reisen wollen, erhalten sie den Sichtvermerk unter der Bedingung sofort, daß sie erst nach Ablauf von neun Tagen in die Bundesrepublik Deutschland einreisen.
Die Gebühr — wenn ich das vielleicht noch anmerken darf — für die Erteilung eines Sichtvermerks beträgt 15 DM. Die Gebühr für die Erteilung eines Sichtvermerks durch die Botschaft der CSSR in Bonn beträgt demgegenüber etwa doppelt so viel.
Zusatzfrage, Herr Stiegler.
Frau Staatsminister, Sie wissen ja, daß wir wollen, daß die CSSR an der Grenze, z. B. in Waidhaus, die Sichtvermerke ausstellt, und daß von tschechoslowakischer Seite natürlich gesagt wird: Wenn wir an der Grenze spontan ausstellen sollen, erwarten wir von der Bundesrepublik Deutschland Gegenseitigkeit. Was wird denn nun getan, damit nicht möglicherweise die Tagesvisen dann zwar in aller Munde sind, wir sie aber wegen der fehlenden Gegenseitigkeit in der nächsten Zeit nicht bekommen werden?
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3337
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Kollege Stiegler, die Bundesregierung hat bereits zugesagt, einen zusätzlichen Übergang an der Grenze zur CSSR einzurichten. Darüber hinaus werden Gespräche über Reiseerleichterungen geführt werden, und dabei wird das sicherlich ein Thema sein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hiller,
Frau Staatsminister, halten Sie es für denkbar, daß man mit der CSSR eine ähnliche Regelung anstrebt, wie wir sie im grenznahen Bereich zwischen den beiden deutschen Staaten haben?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Kollege, aus der Sicht des Auswärtigen Amtes ist es begrüßenswert, alles anzustreben, was eine Erleichterung des Grenzverkehrs beinhaltet. Ich muß allerdings an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, daß all diese Fragen ebenfalls mit unseren Partnern im Schengener Übereinkommen besprochen werden müssen und daß dies Dinge sind, die dann zunächst erörtert werden müssen.
Die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Böhm werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Die Fragen 29 und 30 der Abgeordneten Frau Hensel werden gemäß Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die jeweiligen Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Frau Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 31 des Abgeordneten Verheugen kann nicht hier, sondern muß wegen Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Hiller auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Abdruck einer parteipolitischen Polemik gegen die SPD des schleswig-holsteinischen CDU-Vorsitzenden und Bundesministers der Finanzen, Dr. Stoltenberg, aus dem CDU-Pressedienst wenige Tage vor der schleswig-holsteinischen Landtagswahl im offiziellen Pressedienst des Bundesministeriums der Finanzen (BNIF-Finanznachrichten 36/87 vom 4. September 1987) im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1977 (BVerGE 44, 125ff)?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Hiller, in den vom Bundesministerium der Finanzen herausgegebenen „BMF-Finanznachrichten" sind seit deren Einrichtung im Jahre 1968 Pressemitteilungen, Interviews und sonstige Beiträge der Minister und der Parlamentarischen Staatssekretäre nachgedruckt worden. Dabei haben sich die „Finanznachrichten" als sinnvolle Einrichtung erwiesen, um wichtige Vorhaben und allgemein interessierende Fragen der Steuer- und Haushaltspolitik zu erläutern und darzustellen. Es ist zur ergänzenden Meinungsbildung der an der Finanzpolitik interessierten Bezieher der „Finanznachrichten" sinnvoll, auch auf die Kritik der jeweiligen Opposition an der Politik der Bundesregierung einzugehen. Von dieser Möglichkeit haben auch die Finanzminister und Parlamentarische Staatssekretäre der SPD Gebrauch gemacht.
Auch bei kritischer Betrachtung des von Ihnen erwähnten Beitrags vermag ich keinen Bezug auf die Landtagswahl in Schleswig-Holstein zu erkennen.
Eine Zusatzfrage, Herr Hiller.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß es Staatsorganen von der Verfassung her versagt ist, sich in amtlicher Funktion im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen, insbesondere durch Werbung die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie zitieren hier nach meiner Kenntnis die Grundsätze des Verfassungsgerichts aus dem Jahre 1977. Aber die sehe ich in diesem Fall in keiner Form tangiert.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Hiller.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß in den Hauptzollämtern in Schleswig-Holstein ausdrücklich darum gebeten wurde, gemäß Verteiler in den Dienststellen diesen besagten Pressedienst zu verteilen, in dem steht: „Nach wie vor ist die sozialdemokratische Partei zu einer ernsthaften und sachbezogenen steuerpolitischen Diskussion nicht bereit?"
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Ausgabe der „Finanznachrichten", die Sie hier zitieren, befaßt sich mit dem Umstand, daß indirekte Steuern von der sozialdemokratischen Partei während ihrer Regierungszeit erhöht worden sind. Die „Finanznachrichten" werden an einen größeren Bezieherkreis, zu dem auch der von Ihnen genannte gehört, verschickt, und von daher besteht die Möglichkeit, daß davon auch Gebrauch gemacht worden ist.
Zur Frage 32 noch eine Zusatzfrage, Herr Jansen?
— Bitte schön, dann haben Sie das Wort.
Herr Staatssekretär, könnten Sie meiner Auffassung zustimmen, daß diese Veröffentlichung in den „Finanznachrichten" — zumal sie die Überschrift hat: „Im Deutschlanduniondienst" , also in einem CDU-Organ wird dieser Text des Ministers abgedruckt — gegen die konkrete Forderung der Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts verstößt, die da sagt: „Weder dürfen Verfassungsorgane des Bundes anläßlich von Wahlen in den Ländern, noch dürfen Verfasssungsorgane anläßlich von Wahlen zum Bundestag gegen Parteien argumentieren?"
3338 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich vermag Ihnen nicht zuzustimmen, Herr Kollege. Im übrigen ist das ein Usus. Ich habe hier Beispiele an der Hand, beispielsweise vom früheren Finanzminister Matthöfer, der vorher einen Artikel im Sozialdemokratischen Pressedienst veröffentlicht hatte, der dann anschließend in den „Finanznachrichten" veröffentlicht worden ist. Was die sachliche Seite betrifft, habe ich soeben bereits gesagt, daß es sich hier um die Erhöhung von indirekten Steuern handelte, die mit dem Wahlkampf in Schleswig-Holstein nicht das Geringste zu tun hatte.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Hiller auf:
Wird die Bundesregierung in Zukunft dafür Sorge tragen, daß nicht auch in Bonn — wie in Kiel — staatliche Einrichtungen und/oder Instrumente der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit für parteipolitische Interessen in Dienst genommen werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hiller, die Bundesregierung wird auch in Zukunft Beiträge und Erklärungen der politischen Leitung des Bundesfinanzministeriums in den „BMF-Finanznachrichten" veröffentlichen, soweit dies der Information und der Meinungsbildung der Bezieher der Finanznachrichten über die Arbeit und Absichten der Bundesregierung dient und dafür erforderlich ist.
Zusatzfrage, Herr Hiller.
Ist zu erwarten, daß die Bundesregierung auch im anstehenden schleswig-holsteinischen Wahlkampf in ähnlicher Weise über diesen Pressedienst Nachrichten verbreiten wird?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hiller, es ist zu erwarten, daß die Bundesregierung sowohl in diesem Falle, aber auch in anderen Fällen die Grundsätze des Verfassungsgerichtes, die ich soeben bereits zitiert habe, beachten wird.
Herr Hiller, weitere Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, Ihre Ausführungen zu den entsprechenden Fragen ebenfalls über diesen Pressedienst des Bundesfinanzministeriums allen Dienststellen zugänglich zu machen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Es wird von Fall zu Fall darüber entschieden, Herr Kollege Hiller, ob Antworten und Fragen, die in dieser Fragestunde behandelt worden sind, aber auch diejenigen, die schriftlich beantwortet worden sind, in den „Finanznachrichten" veröffentlicht werden. Ich selbst nehme an diesem Prozeß keinen Anteil. Das macht in der Regel die Pressestelle. Ich will aber Ihre Anregung gerne aufnehmen, damit diese Frage in den „Finanznachrichten" publiziert wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jansen.
Könnten Sie mir in diesem Zusammenhang mindestens zusagen, daß nach all dem, was im Augenblick in dieser Republik diskutiert wird, auch im Finanzministerium darüber nachgedacht wird, ob es nicht einer neuen Sensibilität dafür bedarf, die Vermischung von staatlichen Aufgaben und Parteiaufgaben wirklich nicht in dieser Form — Zitate aus Parteizeitungen im amtlichen Mitteilungsblatt des Finanzministeriums — zu praktizieren? Wäre das nicht ein Weg, den wir im Interesse demokratischer Gewaltentrennung alle gehen müssen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will gerne zugeben, daß neue Sachverhalte und neue Umstände dazu dienen sollen, in einen Prozeß des Nachdenkens zu geraten. Ich sehe aber speziell in dem Fall, der hier heute zur Debatte steht, keine Veranlassung, darüber nachzudenken; denn hier besteht keine solche Beziehung. Grundsätzlich will ich Ihnen Recht geben. Ich darf Ihnen sagen, daß wir im Bundesfinanzministerium ebenso sensibel sind, wie, so glaube ich, alle Angehörigen anderer Ressorts, aber auch anderer politischer Gruppierungen.
Na, denn denken Sie man schön. Die Fragen 34 und 35 des Abgeordneten Lowack und die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Heistermann sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen nun zur Frage 38 der Abgeordneten Frau Bulmahn:
Aus welchem Grund teilte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Dr. Voss, mir auf meine Fragen vom 1. Oktober 1987 mit, daß die Bundesregierung über kein Informationssystem verfüge, um Angaben über die regionale Verteilung von Bundesausgaben zu machen, wenn es nach einer Meldung der WIRTSCHAFTSWOCHE vom 6. November 1987 dem Bundesminister der Finanzen durchaus möglich war, eine Liste über „Leistungen aus dem Bundeshaushalt an das Land Schleswig-Holstein" vorzulegen, und der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Riedl, in der Fragestunde vom 7. Oktober 1987 zusagte, „ihn so bald wie möglich schriftlich über die Richtigkeit der in der WIRTSCHAFTSWOCHE vom 4. September 1987 abgedruckten Zahlen zur regionalen Verteilung von Bundesaufträgen zu unterrichten"?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Bulmahn, sind Sie damit einverstanden, daß ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang beantworte?
Nein, ich würde Sie bitten, die beiden Fragen getrennt zu beantworten.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Dann beantworte ich die erste Frage wie folgt: Ihre Fragen vom 1. Oktober 1987 konnten in der Sache nicht beantwortet werden, weil eine umfassende Information über die regionale Verteilung von Bundesausgaben nicht vorliegt. Die in der „Wirtschaftswoche" vom 6. November 1987 und 4. September 1987 zitierten Aufstellungen basieren, soweit sie den Bundeshaushalt betreffen, nur auf einer teilweisen Regionalisierung der Gesamtausgaben des Bundes.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich, daß der Bundesminister der Finanzen, Herr Stoltenberg, im Landtagswahlkampf über derar-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3339
Frau Bulmahn
tige Daten verfügte und diese dort auch verwendet hat?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Hier handelt es sich um eine Spezialausarbeitung mit Spezialfragestellungen beispielsweise auch zu Investitionen der Bundespost und Investitionen der Bundesbahn. Sie hatten aber in Ihrer damaligen Frage nach den gesamten Sachinvestitionen des Bundes, gegliedert nach den einzelnen Ministerien, für alle Bundesländer gefragt. Das ist eine Frage, für die es keine Unterlagen gibt. Diese Aufgabe war auch in der Kürze der Zeit, die uns für die Beantwortung von derartigen Fragen zur Verfügung steht, nicht zu lösen.
Weitere Zusatzfrage, Frau Bulmahn.
Kann ich aus der Tatsache, daß sich die Bundesregierung zur Zeit außerstande sieht, eine Liste über die Verteilung von Bundesaufträgen und -ausgaben auf die einzelnen Bundesländer vorzulegen, schließen, daß sich nicht nur in der Staatskanzlei in Kiel, sondern auch im Bundesministerium der Finanzen Beamte für den Landtagswahlkampf der CDU in Schleswig-Holstein eingesetzt haben und eingesetzt wurden?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Das können Sie absolut nicht schließen, Frau Kollegin.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es auch früher schon solche Papiere mit Leistungen des Bundes für das Land So-und-so gab, und wäre es nicht zweckmäßig, wenn diese Papiere, die regelmäßig erstellt werden, auch regelmäßig dem gesamten Parlament oder zumindest dem Raumordnungsausschuß zugänglich gemacht würden, weil die räumliche Verteilung der Bundesmittel in der Tat eine erhebliche politische Aussagekraft hat und weil ein solches Verfahren auch der Kontrollaufgabe des Bundestages insgesamt dienlich wäre?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben für einige Bereiche diese Aufstellungen, die Sie ansprechen; nur liegen sie in der umfassenden Form, wie sie Frau Kollegin Bulmahn angefordert hatte, und nach Ressorts verteilt nicht vor. Ich weiß nicht, Herr Kollege, ob dieser Verwaltungsaufwand die Mühe lohnte. Einerseits muß ich Ihnen zugeben, daß man für die eine oder andere Frage dann natürlich eine bessere Grundlage hätte, als man sie im Moment hat. Aber Sie wissen andererseits auch, daß wir schon so viele Statistiken und Unterlagen haben, daß man auch einmal versuchen sollte, diesen Wust von Papier in gewissen Grenzen zu halten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hiller.
Herr Staatssekretär, kann ich besonders Ihren letzten Ausführungen entnehmen, daß Sie eine aktualisierte Neuauflage der Daten für
Schleswig-Holstein vor dem 8. Mai nicht anfertigen werden?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Davon können Sie ausgehen, Herr Kollege.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.
Herr Staatssekretär, dürfen wir davon ausgehen, daß es also solche statistischen Sammlungen gibt, die wohl in den Ländern vorliegen, aber dem Bundesfinanzminister nicht bekanntgegeben werden?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Es ist in der Tat so, daß es eine Reihe von statistischen Erhebungen der Länder gibt, die nicht automatisch dem Bundesfinanzminister zur Kenntnis gebracht werden. Der Bundesfinanzminister hat natürlich die Möglichkeit, die Länder zu bitten, ihm diese Erhebungen zur Verfügung zu stellen. Das wird in vielen Fällen auch gemacht, nur nimmt es natürlich etwas Zeit in Anspruch.
Ich rufe jetzt die Frage 39 der Abgeordneten Frau Bulmahn auf:
Wie verteilen sich die „Leistungen aus dem Bundeshaushalt 1986" auf die einzelnen Bundesländer?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Die im Bundesfinanzministerium geführten Übersichten über ausgewählte Bundesleistungen an die Länder umfassen alle Leistungen auf Grund der Gesetze über die Gemeinschaftsaufgaben und die Geldleistungsgesetze sowie Finanzhilfen. Danach verteilen sich die für 1986 erfaßten rund 21 Milliarden DM auf die Bundesländer wie folgt: Baden-Württemberg 3,3 Milliarden DM, Bayern 3,7 Milliarden DM, Berlin 0,9 Milliarden DM, Bremen 0,3 Milliarden DM, Hamburg 0,8 Milliarden DM, Hessen 1,6 Milliarden DM, Niedersachsen 2,5 Milliarden DM, Nordrhein-Westfalen 5,1 Milliarden DM, Rheinland-Pfalz 1,0 Milliarden DM, Saarland 0,4 Milliarden DM, Schleswig-Holstein 1,0 Milliarden DM, und nicht aufteilbar ist ein Betrag von 0,8 Milliarden DM.
Zusatzfrage, Frau Bulmahn, bitte schön.
Meine Frage hatte sich auch auf die Verteilung der Sachinvestitionen der Bundesaufträge bezogen. Ich frage Sie, Herr Staatssekretär: Wird die Bundesregierung zukünftig bereit sein, das Volumen der Sachinvestitionen der Bundesaufträge, der Subventionen und sonstigen Zuweisungen und Zuschüsse des Bundes auch regional aufzuschlüsseln?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen bereits gesagt, Frau Kollegin, daß es diese Unterlagen bisher nicht gibt.
Ich habe Ihnen auch gesagt, daß es einen sehr großen Verwaltungsaufwand und Arbeitsaufwand nach sich ziehen würde, wenn man sie machen würde. Von daher muß überlegt werden, ob es sinnvoll ist. Zur Zeit ist es jedenfalls nicht geplant.
3340 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Frau Bulmahn hat eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie, glauben Sie, kann der Bund seiner gesetzlichen Verpflichtung, für gleichwertige Lebensverhältnisse in der ganzen Bundesrepublik zu sorgen, nachkommen, wenn er die dafür nötigen Daten nicht hat und nicht erhebt?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Es gibt lediglich keine statistischen Unterlagen in der Form, wie Sie sie gefordert haben, Frau Kollegin.
Ich habe Ihnen ja eben schon eine Reihe von statistisch vorhandenen Unterlagen vorgelesen. Sie können natürlich, wenn Sie das wollen, das natürlich für den Einzelfall eruieren. Nur, es liegt nicht vor. Und das war ja der Grund, warum wir es Ihnen nicht mitteilen konnten.
Im übrigen neige ich dazu, jedem Kollegen dieses Hauses möglichst viel an Information zu geben. Nur, wenn die notwendigen Unterlagen nicht vorliegen, ist es natürlich im Einzelfall einmal nicht möglich. Und das war hier so ein Einzelfall.
Jetzt kommt der Abgeordnete Stiegler zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich mich richtig erinnere, sind früher solche Sonderausarbeitungen, die für den Minister oder den Staatssekretär zusammengestellt worden sind, immer in einer grünen Reihe, die, glaube ich, „Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik" heißt, veröffentlicht worden. Werden Sie denn darauf hinwirken, daß in Zukunft, wenn wieder Sonderausarbeitungen der gehabten Art für den Minister oder für Sie oder für einen anderen Wahlkämpfer erstellt werden, diese dann veröffentlicht werden und damit allgemein zugänglich sind?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Dem steht grundsätzlich nichts im Wege, Herr Kollege. Nur, es wird zu prüfen sein, ob eine derartige Ausarbeitung so viel allgemeines Interesse findet, daß eine Publikation in der Form, die Sie vorschlagen, sich lohnt. Aber das kann man ja dann von Fall zu Fall prüfen.
Jetzt haben wir das Ende der Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen erreicht. Denn die drei weiteren Fragen, die Frage 40 des Abgeordneten Gansel und die Fragen 41 und 42 des Abgeordneten Catenhusen, sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Wartenberg.
Ich rufe Frage 43 des Abgeordneten Uldall auf:
Welche Regionen des Zonenrandgebietes würden nicht mehr gefördert werden, wenn im Geltungsbereich des Zonenrandförderungs-Gesetzes die gleichen Indikatoren zur Beurteilung der
Fördergebiete herangezogen würden wie in den übrigen Gebieten der Gemeinschaftsaufgabe ,,Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" ?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Uldall, das Zonenrandgebiet ist nach dem Zonenrandfördergesetz und dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" kraft Gesetzes bevorzugtes Fördergebiet der Gemeinschaftsaufgabe. Eine Bestimmung der Förderbedürftigkeit der Arbeitsmarktregionen des Zonenrandgebiets nach ökonomischen Indikatoren ist daher nicht notwendig.
Die Aufhebung der Förderbedürftigkeit des Zonenrandgebiets kraft Gesetzes und die Ermittlung der Förderbedürftigkeit wie bei Nicht-Zonenrandarbeitsmarktregionen nach den üblichen ökonomischen Indikatoren der Gemeinschaftsaufgabe — so wie es die Hamburger Initiative zur Differenzierung der Zonenrandförderung beabsichtigt — würde 6,5 % der Bundesbevölkerung in 17 ganz oder teilweise im Zonenrandgebiet liegenden Arbeitsmarktregionen von der Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe ausschließen. Hiervon wären insbesondere die vollständig im Zonenrandgebiet liegenden Arbeitsmarktregionen Lübeck, Helmstedt, Herzogtum Lauenburg, Kiel-Neumünster und Segeberg-Stormann sowie im Zonenrandgebiet liegende Teile von zwölf weiteren Arbeitsmarktregionen betroffen.
Herr Uldall, Zusatzfrage?
Nein. Es war hervorragend beantwortet.
Toll. Nun kommt die Frage 44.
— Zu Frage 43 gibt es Zusatzfragenwünsche. Wir waren so überrascht. — Zuerst Herr Stiegler, dann Herr Böhm.
Herr Staatssekretär, welche zwölf weiteren Arbeitsmarktregionen wären das denn? Würden Sie uns eine vollständige Information geben oder schriftlich nachreichen?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, ich reiche Ihnen die Information gern nach.
Herr Böhm, bitte schön, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Ansicht, daß die Initiative des Stadtstaates Hamburg letztlich darauf hinausliefe, daß der deutschlandpolitische Charakter der Zonenrandförderung nicht mehr gewahrt wäre und die Zonenrandförderung nur noch als eine Art Unterfall regionaler Strukturpolitik erschiene?
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3341
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich teile Ihre Auffassung.
Auch noch eine Zusatzfrage, Herr Hiller, zu Frage 43? — Ja.
Herr Staatssekretär, wären Sie auch bereit, die Liste der 17 Arbeitsmarktregionen, soweit das vorhanden ist, hier jetzt schon bekanntzugeben?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich bin gern bereit, die Arbeitsmarktregionen kurz vorzulesen. Es sind dies die Arbeitsmarktregionen Bayreuth, Alfeld, Lübeck, Helmstedt, Herzogtum Lauenburg, Hildesheim, Schweinfurt, Kiel-Neumünster, Gelnhausen-Schlüchtern, Fulda, Hersfeld-Rothenburg, Kassel, Braunschweig-Salzgitter, Segeberg-Stormarn, Hannover, Wolfsburg und Hamburg.
So, jetzt kommt aber die Frage 44 des Abgeordneten Uldall:
Welche Regionen außerhalb des Zonenrandgebietes könnten bei gleichbleibendem Fördergebietsumfang statt dessen in die Förderung einbezogen werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Uldall,würden durch eine solche Initiative 6,5 % der Bundesbevölkerung im Zonenrandgebiet von der Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe ausgeschlossen, müßte bei gleichbleibendem Fördergebietsumfang der Bund-Länder-Planungsausschuß für regionale Wirtschaftsstruktur darüber entscheiden, welche Arbeitsmarktregionen statt dessen in das Fördergebiet aufgenommen würden. Über die genaue Anzahl und welche Arbeitsmarktregionen dies sein könnten, kann zum jetztigen Zeitpunkt noch nichts ausgesagt werden. Offen ist dabei auch die Frage, ob die Kommission der Europäischen Gemeinschaft die Aufnahme anderer Arbeitsmarktregionen an Stelle von Zonenrandgebieten überhaupt genehmigen würde.
Zusatzfrage, Herr Stiegler.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Zonenrandförderung als solche — bisher jedenfalls — nicht mehr beanstandet und daß frühere Bedenken zurückgestellt worden sind?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Kraft Vereinbarung mit der Kommission der Europäischen Gemeinschaften ist das Zonenrandgebiet zwar Gegenstand der Verhandlungen. Wir wissen aber, daß bei dem Bemühen, die Förderkulisse insgesamt zu reduzieren, gerade in den Neuverhandlungen ein politischer Anlaß gesucht werden könnte, die Zonenrandförderung insgesamt in Frage zu stellen.
Zusatzfrage, Herr Böhm.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung am deutschlandpolitischen Charakter der Zonenrandförderung festhalten?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Ja.
Dann rufe ich nun die Frage 45 des Abgeordneten Stiegler auf:
Welche Auswirkungen hätte die Hamburger Initiative zur Änderung des Investitionszulagen- und des Zonenrandförderungsgesetzes auf die Zonenrandförderung insgesamt, und was wird die Bundesregierung unternehmen, um die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein zu veranlassen, ihre bilateralen Probleme ohne Gefährdung der Zonenrandförderung zu lösen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, die Initiative des Bundeslandes Hamburg hätte zur Folge, daß alle Förderregionen im Zonenrandgebiet, deren Wirtschaftsstruktur günstiger ist als die der schwächsten, nicht zum Regionalfördergebiet gehörenden Arbeitsmarktregion, nicht mehr kraft Gesetzes zum Fördergebiet der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" gehören würden. Davon wären die vollständig im Zonenrandgebiet liegenden Arbeitsmarktregionen — ich hatte sie genannt — Lübeck, Helmstedt, Herzogtum Lauenburg, Kiel-Neumünster und Segeberg-Stormarn sowie Teile von weiteren 12 Arbeitsmarktregionen, also insgesamt 6,5 % der Bundesbevölkerung, betroffen.
Der gesetzlich vorgesehene Präferenzvorsprung für das Zonenrandgebiet bei den Fördersätzen und bei der Mittelzuteilung bei der Gemeinschaftsaufgabe, bei der regionalen Investitionszulage, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und die Sonderabschreibung für das Zonenrandgebiet würden dann nur noch für die Teile des Zonenrandgebiets gelten, die auf Grund der wirtschaftlichen Kriterien, die für die Abgrenzung des Fördergebiets nach dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" angewendet werden, als förderbedürftig einzustufen wären.
Die Bundesregierung wirkt seit Jahren intensiv darauf hin, die Regionalförderung im Hamburger Umland zurückhaltend zu praktizieren, zuletzt wieder auf der Sitzung des Bund-Länder-Planungsausschusses vom 2. Juli dieses Jahres unter Vorsitz von Bundesminister Bangemann. Auf dieser Sitzung hat der Vertreter Schleswig-Holsteins das Bemühen von Schleswig-Holstein betont, die Förderung im Hamburger Umland so restriktiv wie möglich zu handhaben. Da nach dem Grundgesetz — Art. 91 a — und dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" die Durchführung der Regionalförderung allein in die Zuständigkeit der Länder fällt, hat die Bundesregierung keine weitergehenden Einwirkungsmöglichkeiten.
Zusatzfrage, Herr Stiegler.
Herr Staatssekretär, wie verträgt sich Ihre Darstellung mit einer Information, die wir kürzlich im Innerdeutschen Ausschuß und im Zonen-
3342 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Stiegler
randausschuß bekommen haben, daß Schleswig-Holstein die Förderhöchstsätze grundsätzlich immer ausschöpft und nicht etwa differenziert, wie Sie es soeben vorgetragen haben, und was werden Sie unternehmen, um mit der schleswig-holsteinischen Landesregierung an Hand von Klagefällen, die die Hamburger haben, wirklich zu reden, damit das Problem an Ort und Stelle geregelt wird und nicht zu Lasten des gesamten Zonenrandgebiets durch eine Gesetzesänderung oder durch Brüsseler Interventionen gelöst werden muß?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, die Bundesregierung ist bemüht, in den Planungsausschußsitzungen derartige Streitigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten immer wieder zur Sprache zu bringen und zu einer einvernehmlichen Regelung zu kommen. Es ist Angelegenheit der Länder, sich hier zu einigen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Stiegler.
Herr Staatssekretär, nachdem hier aber auch Bundesinteressen berührt sind, nämlich die Zonenrandförderung insgesamt, frage ich Sie: Wäre es nicht besser, der Bundeswirtschaftsminister würde mit den beiden Landeswirtschaftsministern über dieses Problem reden und eventuell anregen, daß Hamburg und Schleswig-Holstein in einem Verwaltungsabkommen oder in einem Staatsvertrag — wie immer das zu machen ist — ihre Probleme zu Hause und nicht auf dem Rücken anderer lösen?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, im Rahmen der Hamburger Initiative und der sich daraus ergebenden Diskussion führen wir Gespräche mit beiden Teilen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm, bitte schön.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg deutlich klargemacht, daß sie die Initiative, die von dort ausgegangen ist, in keiner Weise unterstützen und fördern will, sondern an der bisherigen Form der Zonenrandförderung festhalten wird?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Böhm, wir werden den Hamburger Senat in geeigneter Form darauf hinweisen, daß ein derartiger Antrag die gesamte Zonenrandförderung in Frage stellen könnte.
Zusatzfrage des Abgeordneten Uldall.
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die völlige Absurdität in der Förderpraxis, daß Unternehmen, die im Norden Hamburgs eine Neuinvestition vornehmen wollen, keinerlei Unterstützung bekommen, während sie bei einer Ansiedlung 250 m weiter zum Teil mit Höchstsätzen gefördert würden?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Uldall, uns ist das Problem bekannt, das dadurch entsteht, daß wenige Kilometer auseinandergelegen sich zwei Regionen befinden, die in einen Subventionswettlauf eintreten, um Investitionen in ihren eigenen Bereich zu ziehen. Deshalb haben wir mehrfach appelliert, in diesem Grenzbereich von aggressiver Werbung abzusehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hiller.
Ist die Bundesregierung auch bereit, mit der schleswig-holsteinischen Landesregierung über eine Veränderung der dortigen Förderungspolitik zu sprechen?
Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt Gesetze und Bestimmungen, nach denen jedes Land seine Strukturpolitik betreiben kann.
Die Frage 46 des Abgeordneten Gansel wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Fragen 47 und 48 der Abgeordneten Frau Eid sowie die Fragen 49 und 50 der Abgeordneten Frau Beer werden auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Jetzt sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir haben jetzt noch genau zwei Minuten und 20 Sekunden Zeit für die Fragestunde. Den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung brauche ich nicht aufzurufen, da die Fragen 51 des Abgeordneten Müller und die Fragen 52 und 53 des Abgeordneten Schulhoff auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ist der Abgeordnete Gerster anwesend? — Dann kommen wir zu den Fragen aus dem Bereich des Bundesministers der Verteidigung, und zwar zunächst zu Frage 54. — Ich sehe, daß Herr Staatssekretär Würzbach nicht mehr anwesend ist. Er war aber eben noch im Saal.
Es ist wohl nicht genügend beachtet worden, daß wir zuvor eine Aktuelle Stunde hatten, die über 14 Uhr hinausgegangen ist.
Wir wollen kein Riesenproblem daraus machen, aber morgen findet ja keine Fragestunde statt. Es wären jetzt exakt die letzten zwei Fragen gewesen.
Ich bitte, das im Gespräch mit Herrn Würzbach zu klären. Er ist offensichtlich einem Mißverständnis erlegen und hat nicht genügend beachtet, daß die Fragestunde ein paar Minuten länger dauert.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3343
Vizepräsident Westphal
Die Frage 54 und alle übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir schließen die Fragestunde.
Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen zunächst eine amtliche Mitteilung machen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1489, um die Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 11/1455 und um die Beratung der Sammelübersichten 33, 35 und 36 auf den Drucksachen 11/1493, 11/1495 und 11/1496 zu erweitern.
Darüber hinaus soll von der Frist für den Beginn der Beratungen abgesehen werden, soweit es zu einzelnen Punkten der Tagesordnung erforderlich ist. — Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wie bereits heute mittag mitgeteilt, hat die Fraktion DIE GRÜNEN fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung zu erweitern um die Beratung der Anträge auf den Drucksachen 11/1096 und 11/1097. Wird dazu das Wort zur Geschäftsordnung verlangt? — Die Abgeordnete Frau Eid hat das Wort zur Geschäftsordnung.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich beantrage, die Anträge, die Sie eben genannt haben, auf den Drucksachen 11/1096 und 11/1097 heute auf die Tagesordnung zu setzen.
Wir debattieren hier heute über die Frage, welche Möglichkeit die Bundesregierung hat, zur Überwindung der Apartheid beizutragen. Dabei kommt Sanktionen und Boykotten eine zentrale Rolle zu, insbesondere auch dem Rüstungsembargo der Vereinten Nationen gegenüber Südafrika. Unsere genannten Anträge beschäftigen sich mit dem U-Boot-Geschäft der Firmen HDW und IKL mit Südafrika. Der Bundeskanzler und die Bundesregierung werden darin aufgefordert, dem U-Boot-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages die nötigen Akten zur Verfügung zu stellen, damit dieser Ausschuß seine Pflicht tun und die Wahrheit herausfinden kann. Ferner geht es darum, die Geschäftsbeziehungen des Bundes zu den genannten Firmen aufzukündigen bzw. zu überprüfen, da das ganze bisherige Verhalten dieser Firmen darauf hindeutet, daß sie nicht gewillt sind, in Zukunft das UN-Embargo gegen Südafrika einzuhalten.
Es gibt zwei aktuelle Gründe, die Anträge der GRÜNEN heute im Rahmen der Südafrikadebatte zu behandeln:
Erstens. Der südafrikanische Premier Botha hat vor kurzem bekanntgegeben, daß Südafrika jetzt — wahrscheinlich mit deutscher Hilfe — dabei ist, U-Boote zu bauen. Die Firmen HDW und IKL haben für Südafrika das Kriegsschiff SAS Drakensberg gebaut und wollen jetzt mit demselben Team in Südafrika U-Boote bauen.
Bei HDW handelt es sich um ein Bundesunternehmen. Der Bundestag kann nicht hinnehmen, daß sich ein staatliches Unternehmen derart unverfroren über internationales Recht hinwegsetzt. Die Glaubwürdigkeit der deutschen Südafrikapolitik steht auf dem Spiel. Heute könnte der Bundestag zeigen, daß er es ernst meint mit der Verwirklichung möglicher Schritte zur Überwindung der Apartheid, denn die Überwindung der Apartheid meint an erster Stelle auch, keine Waffen und keine Rüstungsgüter an Südafrika, die es dem Apartheidstaat ermöglichen, weiter Krieg gegen die eigene schwarze Bevölkerung und gegen die Nachbarländer zu führen.
Zweitens. Der U-Boot-Untersuchungsausschuß hat beschlossen, ein Beschlagnahmeverfahren gegen die Firmen HDW und IKL durchzuführen, um an die Akten der Unternehmen heranzukommen. Es geht darum, an Hand der Akten zu klären, ob das U-Boot-Geschäft mit Südafrika weiterläuft und ob die Bundesregierung hiervon Kenntnis hat. Der Bundeskanzler selbst könnte dazu beitragen, daß hier die Wahrheit ans Licht kommt. Er weigert sich jedoch, Druck auf das Bundesunternehmen HDW auszuüben, damit dieses die Akten freiwillig zur Verfügung stellt.
Diese Weigerung des Bundeskanzlers wollen wir hier heute diskutieren. Wir wollen wissen, warum der Bundeskanzler die Firmen deckt. Wir wollen wissen, was der Bundeskanzler und die Firmen zu verbergen haben.
Wir wollen von dem Bundeskanzler erfahren, ob er Kenntnis darüber hat, daß Südafrika jetzt tatsächlich U-Boote baut, wie es Premier Botha behauptet. Schließlich hat der Bundeskanzler seinerzeit ausführlich mit Herrn Botha über das U-Boot-Thema gesprochen.
Wir bitten um Zustimmung, unsere beiden Anträge hier heute zu debattieren.
Vielen Dank.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Grunde genommen weiß man kaum, was man zu Ihren völlig haltlosen, abwegigen und auch wahrheitswidrigen Angriffen gegen den Bundeskanzler sagen soll.
Es gehört wirklich schon viel Unverfrorenheit dazu, das so auszuführen, zumal Sie bis zum jetzigen Zeitpunkt keinen Beweis dafür haben, daß die Konstruktionsunterlagen rechtswidrig geliefert worden sind.
Das können Sie heute guten Gewissens nicht vor dem Hohen Hause behaupten.
3344 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Bohl
Was die Behauptung angeht, der Bundeskanzler kneife, er wolle irgend jemanden in Schutz nehmen: Er ist ja vor dem Untersuchungsausschuß aufgetreten. Sie hatten ja gar keine Fragen mehr. Sie wußten ja gar nicht — —
Herr Kollege, — —
Herr Präsident, ich gebe zu, daß ich mich am Rande dessen bewege, — —
Nein. Die Frage, wo der Rand ist, muß ich hier bestimmen. Deswegen warne ich Sie davor, ihn weiter zu überschreiten.
Herr Präsident, nachdem Sie die Ausführungen der Kollegin Eid nicht zum Anlaß genommen hatten, etwas zu sagen, dachte ich nur, ich könnte darauf erwidern. Aber ich akzeptiere das, was Sie sagen.
Ich glaube, Frau Kollegin Eid, Sie entwerten doch das Thema Südafrika ganz gewaltig.
Es geht in der Südafrika-Debatte nicht um HDW oder IKL, sondern es geht um Südafrika. Sie sollten nicht versuchen, dem müden Aufguß eines totgeborenen Untersuchungsausschusses wieder einen Hauch publizistischen Interesses einzuflößen.
Dieser Untersuchungsausschuß dümpelt zu Recht vor sich hin, und dabei wird es wahrscheinlich auch bleiben. Das ist auch gut so.
Sie versuchen, Angelegenheiten des Untersuchungsausschusses in das Plenum zu bringen.
Damit untergraben Sie die Stellung des Untersuchungsausschusses. Ich halte das für ganz, ganz schlimm. Wenn wir als Plenum dem Untersuchungsausschuß einen Auftrag geben, dann soll dieser auch mit seinen Instrumenten und den Verfahren, die dort vorgegeben sind, handeln. Am 12. November 1987 hat dieser Ausschuß ja beim Bonner Amtsgericht den Antrag gestellt, die noch ausstehenden Akten zu beschlagnahmen.
Dieses Verfahren ist also von dem Untersuchungsausschuß eingeleitet worden.
Ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Was soll eigentlich jetzt diese Einmischung in dieses Verfahren hier vor dem Deutschen Bundestag?
Sie wollen doch letztlich nur für publizistisches Interesse sorgen, das Sie im Ausschuß und in der Öffentlichkeit nicht erreichen. Das ist Ihr Problem.
Deshalb sind Ihre Anträge sachfremd und für die Behandlung des heutigen Themas, wie ich finde, schädlich. Sie sind auch verfassungsrechtlich bedenklich. Wir werden deshalb Ihre Anträge ablehnen.
Für Ihre Anträge gilt die alte Seemannsweisheit: Kaum ausgelaufen, schon aufgelaufen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Gansel.
Herr Präsident, ich kann verstehen, daß Sie Schwierigkeiten mit dem Elan des Kollegen Bohl hier im Plenum haben. Mir geht das im Untersuchungsausschuß auch oft so. Ich kann das nachempfinden.
Ich möchte kurz ein paar Punkte zu dem Antrag der GRÜNEN sagen. Erstens. Eigentlich hätte ich jetzt gerne Herrn Stoltenberg hier gesehen, der in der Sache dazu etwas hätte sagen können, warum von einem öffentlichen Unternehmen keine Akten an den parlamentarischen Untersuchungsausschuß ausgeliefert werden. Aber Herr Stoltenberg sitzt zur Zeit in Schleswig-Holstein vor einem anderen Untersuchungsausschuß. Es ist eben so, daß bestimmte Regierungsmitglieder zur Zeit mit Untersuchungsausschüssen ihre Probleme haben.
Zweitens. Ich habe gesagt: eigentlich. Mir ist klar, daß es sehr wohl aktienrechtliche Begründungen dafür geben kann, daß eine Anweisung nicht von dem Bundeskanzler an den Finanzminister und nicht von dem Finanzminister — —
Herr Kollege, ich muß auch Sie unterbrechen. Sie müssen zur Geschäftsordnung sprechen. Sie dürfen keine inhaltliche Debatte über den Untersuchungsausschuß führen. Ich habe bei allen versucht, es so eng wie möglich zu halten. Aber Sie sehen, wie schwierig das ist. Nun müssen Sie sich auch daran halten.
Ja, Herr Präsident, das will ich auch tun, indem ich darauf hinweise, daß sich die Anträge der GRÜNEN auf zwei Punkte beziehen: einmal auf die Herausgabe der Akten und zum anderen auf die Entziehung der Aufträge bei HDW. Dazu lassen Sie mich folgendes sagen. Das ist ein Thema, das man jetzt nicht extra in eine Debatte hineinquetschen kann. Dazu brauchen wir Zeit. Das zu sagen ist geschäftsordnungsmäßig zulässig.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3345
Ja, das ist zur Geschäftsordnung.
Und zwar brauchen wir deshalb Zeit dazu, weil es bei Konsequenzen der Bundesregierung bei dem öffentlichen Unternehmen nicht darum gehen kann, durch Auftragsentzug Arbeitsplätze zu gefährden, sondern es muß darum gehen, daß dort Ordnung geschaffen wird, daß Gesetze eingehalten werden, damit dort wieder sichere Aufträge hinkommen und Arbeitsplätze gesichert werden können. Um das Problem geht es. Aber das im einzelnen zu diskutieren haben wir heute im Rahmen einer Südafrika-Debatte nicht ausreichend Zeit.
Es ist — da gebe ich den GRÜNEN recht — ein Skandal, daß wir diese Akten nur stückweise und jetzt in sehr gekürzter und gesäuberter Form erhalten haben.
Schon wieder der Übergang, Herr Kollege Gansel.
Aber dieses hat dazu geführt, daß der Untersuchungsausschuß nun auf dem Klageweg vorgehen muß. Ich halte es für sinnvoll, diese Klage zunächst einmal abzuwarten, bevor das Problem aus dem Untersuchungsausschuß in das Plenum hineingezogen wird.
Deshalb, Herr Präsident, auch wenn es mir schwerfällt, nicht auf die Behauptung des Herrn Bohl zu entgegnen, daß der Untersuchungsausschuß vor sich hindümpele, weise ich doch darauf hin, daß wir nach dem Grundgesetz nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, in öffentlicher Sitzung Beweise über den Untersuchungsauftrag zu erheben, und zwar im Untersuchungsausschuß, nicht hier im Plenum, über die illegale Lieferung von Blaupausen für den U-Boot-Bau nach Südafrika. Da wollen wir es auch tun, nicht heute hier im Plenum. Deshalb bitte ich darum, daß diese Anträge nicht heute, sondern bei anderer, passender Gelegenheit debattiert werden.
Die SPD lehnt den Antrag, sie heute auf die Tagesordnung zu setzen, ab.
Danke sehr.
Herr Kollege Bötsch, wenn Sie alle wüßten, daß das eine gute Vorbereitung auf die morgige Altestenratssitzung war! Denn dort steht dieses Thema an, was man sagen darf und was nicht, wenn man das Wort zur Geschäftsordnung bekommen hat, und wie der arme jeweilige Präsident damit fertig werden muß.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Erweiterung der Tagesordnung. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag, die Tagesordnung zu erweitern, mit großer Mehrheit abgelehnt worden.
Ich rufe nun den Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Südafrika
— Drucksache 11/807 —
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und Dr. Lippelt und der Fraktion DIE GRÜNEN
Südafrika
— Drucksache 11/870 —
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung dieser Tagesordnungspunkte zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fragen der Menschenrechte, ihres Schutzes und ihrer Verwirklichung haben den Bundestag in dieser Legislaturperiode schon oft beschäftigt. Heute geht es wieder um Menschenrechte, und zwar nicht in einem abstrakten, abgehobenen Sinn, sondern ganz konkret um die Frage, was wir tun können, um die täglichen millionenfachen Menschenrechtsverletzungen in Südafrika zu überwinden. Und es geht um die Frage, welche Verantwortung wir selbst, die Bundesregierung und dieser Bundestag, für die Verhältnisse in Südafrika und ihre Fortdauer haben. Südafrika ist in den letzten Jahren ein Thema geworden, das die deutsche Öffentlichkeit immer stärker bewegt. In den großen gesellschaftlichen Gruppen, vor allen Dingen in den Kirchen und Gewerkschaften, wird mit großem Engagement, mit großem Ernst die Frage nach dem deutschen Beitrag zur Bekämpfung der Apartheid diskutiert. Ich weiß — alle wissen das — , daß diese Diskussionen nicht immer frei von Emotionen sind. Aber wer könnte das nicht verstehen?
Was wir hier diskutieren und entscheiden, kann ja tiefgreifende Auswirkungen haben auf die Lebenssituation vieler Menschen, die von einem rassistischen System zu einem rechtlosen Dasein verurteilt sind. Wir hören zwar, daß sich die weiße Minderheitsregierung in Südafrika auf den Weg von Reformen begeben habe. Und in der Tat sind einige in den letzten Jahren vorgenommenen Veränderungen am System der Apartheid wichtig und anerkennenswert. Ein paar Jahre früher hätten diese Maßnahmen vielleicht sogar zu einer Befriedung und zu einer Öffnung für eine Verhandlungslösung führen können.
Wenn man genauer hinschaut, dann sieht man aber, daß diese Veränderungen die Substanz der Apartheid nicht berühren, ja daß sie noch nicht einmal in der Praxis das bewirken, was sie angeblich bewirken sollen.
Die Rassendiskriminierung der alten Art ist für Südafrika heute im Grunde schon kein Thema mehr. Mit Ausnahme der ewig Gestrigen wissen auch die weißen Südafrikaner, daß sie das perfekt durchorgani-
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Verheugen
sierte System der Rassentrennung — d. h. in der Praxis: der Rassendiskriminierung auf allen Gebieten — natürlich nicht durchhalten können. Aber was uns als Reform der Apartheid angeboten wird, ist in Wahrheit nichts anderes als eine Anpassung des Systems an veränderte politische und wirtschaftliche Umstände. Es bleibt eben dabei: Apartheid ist ein System der politischen Unterdrückung zum Zwecke der wirtschaftlichen Ausbeutung.
Im Zentrum der Diskussion in Südafrika steht die Machtfrage. Diese Frage wird von beiden Seiten völlig klar beantwortet. Die Weißen sind nicht bereit, allen Menschen in Südafrika demokratische Freiheitsrechte zu gewähren. Ihr ganzes Bestreben ist darauf gerichtet, allein über die Macht im Lande verfügen zu können. Ebenso klar sagen die schwarzen Afrikaner, daß sie das Machtmonopol der Weißen nicht länger dulden wollen. Solange sich diese beiden Standpunkte unversöhnlich gegenüberstehen, so lange wird es keinen Frieden in Südafrika geben.
Die in der Bundesrepublik ganz erstaunliche aktive südafrikanische Propaganda- und Lobbytätigkeit bis in das Haus hier hinein suggeriert uns, die Lage in Südafrika habe sich normalisiert, und für die Gewalt im Lande sei eine radikale schwarze Minderheit verantwortlich. Das ist ganz falsch. Wenn das Land ruhiger geworden zu sein scheint, so liegt das daran, daß der Unterdrückungsapparat unter den Bestimmungen des Ausnahmerechts besser funktioniert und daß die Zensurmaßnahmen merkwürdigerweise ganz besonders in den deutschen Medien wirkungsvoll sind. Wir erfahren nicht mehr so direkt über die Medien, was im Lande wirklich vor sich geht. Aber wer sich etwas Mühe gibt, der kann das schon herausfinden. Er wird feststellen, daß sich die Lage zuspitzt. Eine friedliche Lösung ist nicht in Sicht. Wege zur Versöhnung werden nicht angeboten. Die Voraussetzungen für einen Dialog über die Rassengrenzen hinweg sind nicht vorhanden.
Ich will diese Voraussetzungen nennen. Wer will, daß sich die Konfliktparteien in Südafrika an einen Tisch setzen, der muß dafür sorgen, daß alle politischen Gefangenen freigelassen werden. Wir appellieren an die südafrikanische Regierung, das zu tun: Lassen Sie die Gefangenen frei! Lassen Sie Nelson Mandela frei!
Wer Voraussetzungen für Dialog schaffen will, muß dafür sorgen, daß die politischen Organisationen der Bevölkerungsmehrheit erlaubt werden, und er muß dafür sorgen, daß alle diskriminierenden Gesetze aufgehoben werden. Unter diesen Voraussetzungen gäbe es vielleicht doch noch eine hauchdünne Chance für eine friedliche und gewaltfreie Lösung der Konflikte. Ich gehe davon aus, daß wir hier alle eine solche friedliche und gewaltfreie Lösung wollen.
Dann können wir uns allerdings der Frage nicht entziehen, was wir beitragen können, um sie herbeizuführen. Ich denke, wir müssen versuchen, auf diejenigen, die in Südafrika die Macht ausüben, mit allen unseren Möglichkeiten einzuwirken.
Nun hat die Erfahrung gelehrt, daß die gewöhnlichen Mittel der Politik und der Diplomatie dazu nicht ausreichen. Jahrzehntelanger politischer Druck auf die Regierungen in Pretoria hat nichts bewirkt. Auch das starke wirtschaftliche Engagement der Bundesrepublik in Südafrika hat den Wandel zum Besseren nicht gefördert. Die Hoffnung, man könne Südafrika durch gutes Zureden und durch Verstärkung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen an westliche Menschenrechtsstandards heranführen, hat sich als eine vollständige Illusion erwiesen, wenn es denn jemals ernsthaft gewollt war.
Was jetzt noch bleibt — damit befinde ich mich in Übereinstimmung mit Gewerkschaften, Kirchen und Bürgerrechtsorganisationen in Südafrika selbst — , als letztes friedliches Mittel, ist der Entzug wirtschaftlicher Unterstützung für ein System, das diese Unterstützung zur Unterdrückung und Ausbeutung vier Millionen Menschen mißbraucht.
Für diese Politik hat sich weltweit der Begriff Sanktionspolitik eingebürgert. Ich mag diesen Ausdruck überhaupt nicht. Er trifft auch das eigentliche Ziel nicht. Im Begriff Sanktionen steckt die Absicht, jemanden bestrafen zu wollen. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht nicht um Bestrafung — in einer solchen Position sind wir als Deutsche wohl auch nicht — , sondern es geht darum, dem System der Apartheid die ökonomische Basis zu entziehen. Diese ökonomische Basis beruht auf der Bereitschaft der westlichen Industriestaaten, südafrikanische Rohstoffe zu kaufen und Südafrika mit hochentwickelter Technologie und mit Kapital zu versorgen. Das System der Apartheid könnte nicht überleben, wenn es von den westlichen Märkten abgeschnitten wäre und wenn seine Autarkiebestrebungen auf den Gebieten Rüstung, Energie, Kommunikation und Verkehr nicht weiter unterstützt würden. Die Geschäftsordnungsdebatte hat uns ja soeben gezeigt, daß diese Unterstützung sogar in illegalen Formen vor sich geht
und daß die Mehrheit des Hauses hier nicht einmal bereit ist, ernsthaft an der Aufklärung dieses schlimmen Vorgangs mitzuwirken.
Der Entzug der Unterstützung würde den weißen Südafrikanern deutlicher als alles andere zeigen, daß sie nicht mit dem augenzwinkernden heimlichen Einverständnis der westlichen Demokratien handeln. Denn das glaube ich auch: Die weißen Südafrikaner sind inzwischen selbst Opfer der Täuschung geworden, mit deren Hilfe sie die Außenwelt zu ihrem Verbündeten machen wollen. Sie glauben an ihre eigene Lebenslüge. Sie glauben inzwischen selbst, daß sie in Südafrika die freiheitlichen Ideale demokratischer Gesellschaften gegen einen anbrandenden Kommunismus verteidigen. In Wahrheit ist es genau umgekehrt: Wer den Fortbestand des Unrechts in Südafrika mit Antikommunismus rechtfertigt, der bereitet kommunistischer Propaganda in Südafrika in der Tat den Weg.
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Mir ist wohl bewußt, daß wirtschaftliche Maßnahmen zur Durchsetzung politischer Ziele keine ganz einfache Sache sind. Gelegentlich wird behauptet, so etwas sei prinzipiell nicht möglich oder wenigstens mit unseren Ordnungsvorstellungen nicht vereinbar. Mit Verlaub gesagt: Das ist Unsinn, denn selbst unser Außenwirtschaftsgesetz sieht ja die Möglichkeit wirtschaftlicher Sanktionen im Interesse übergeordneter politischer Ziele ausdrücklich vor. Wir praktizieren das auch jeden Tag. Was ist die COCOM-Liste, die unseren Handel mit den RGW-Staaten einschränkt, denn anderes als eine wirtschaftliche Sanktion? Die Frage des Einsatzes wirtschaftlicher Sanktionen zur Durchsetzung von Menschenrechten oder zur Sicherung des Friedens muß von Fall zu Fall geprüft und entschieden werden.
Wenn die unterdrückten Menschen bereit sind, schmerzliche wirtschaftliche Folgen in Kauf zu nehmen, dann haben wir nicht das Recht, ihnen zu sagen, daß sie materielle Vorteile für wichtiger halten müßten als Freiheit, Recht und Menschenwürde.
Es kommt noch etwas Bedrückendes hinzu: Wenn es möglich ist, daß die wirtschaftlichen Beziehungen, die unser Land mit Südafrika unterhält, zur Stabilisierung des Apartheidsystems gebraucht werden — es gibt unendlich viele Belege dafür, daß das so ist —, dann sind wir auch aus eigener Einsicht zum Handeln aufgerufen.
Wir sehen mit Bestürzung, daß die im Südafrikageschäft tätigen deutschen Unternehmen immer noch nicht bereit sind, eindeutig und klar gegen die Apartheid Stellung zu beziehen. Die enge Verfilzung mit den Machthabern in Südafrika besteht immer noch. Es war ein bedrückender Beweis für diese Verfilzung, daß die Vertreter der deutschen Wirtschaft in Südafrika die maßvollen Anregungen eines Vertreters der Bundesregierung in Johannesburg mit Pfiffen und Buh-Rufen quittiert haben. Ich möchte hier sagen, daß wir das, was der Vertreter der Bundesregierung bei dieser Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer in Johannesburg gesagt hat, ausdrücklich begrüßen und unterstützen.
Der deutschen Wirtschaft möchte ich das eine sagen: Die Kumpanei mit einer unmenschlichen, verbrecherischen Politik mag kurzfristig zu hohen Profiten geführt haben; langfristig wird diese Kumpanei auf die deutsche Wirtschaft zurückfallen.
Wir haben schon viele schöne Absichtserklärungen gehört, aber wo bleiben die Maßnahmen der deutschen Betriebe zur Verbesserung der Aufstiegs- und Ausbildungschancen ihrer schwarzen Mitarbeiter, wo bleibt ihr Engagement für die politischen und sozialen Rechte ihrer Belegschaften, wo bleibt ihre Bereitschaft, mehr zu tun, als der ihnen aufgenötigte und vielfach unterlaufene EG-Verhaltenskodex verlangt? Die Forderung nach dem totalen Rückzug der deutschen Unternehmen aus Südafrika wird kommen, und das jetzige Verhalten der deutschen Wirtschaft bietet keine Rechtfertigung für das Verbleiben in Südafrika. Nur dann, wenn die Wirtschaft Partei ergreift, nur dann, wenn sie wirklich konkrete Schritte unternimmt, die den Wandel in Südafrika unterstützen, kann es eine solche Rechtfertigung geben.
Allerdings: Wie sollte die Wirtschaft auf eine solche Idee kommen, wenn die Politik der Bundesregierung sie geradezu ermutigt, so weiterzumachen wie bisher? Die Südafrikapolitik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien ist widersprüchlich und unglaubwürdig wie eh und je. Wir werden natürlich auch heute wieder eine sehr scharfe Verurteilung der Apartheid hören, aber wir werden nichts hören, was den Hoffnungen und Erwartungen der schwarzen Mehrheit in Südafrika entgegenkäme.
Ich begrüße ausdrücklich, daß der Bundeskanzler nach seiner Afrikareise erklärt hat, die Bundesregierung wolle jetzt eine aktivere Rolle im südlichen Afrika spielen. Aber wenn diese aktivere Rolle darin besteht, daß jetzt zum erstenmal ein Vertreter der Bundesregierung offiziell in einem südafrikanischen Homeland aufgetreten ist; wenn diese aktivere Rolle darin bestehen soll, daß der bayerische Ministerpräsident irgendeine Art von Vermittlertätigkeit ausüben soll; wenn die aktivere Rolle darin besteht, daß die bisherigen Positionen in der Namibia-Frage aufgeweicht werden, dann kann die SPD-Bundestagsfraktion darin nicht nur keinen Fortschritt erkennen, sondern sieht sie einen klaren Rückschritt.
Ich anerkenne die Bemühungen des Auswärtigen Amtes, in vielen Einzelfällen in Südafrika im Interesse der verfolgten Menschen auf die Regierung in Pretoria einzuwirken. Ich anerkenne auch die Bereitschaft, jetzt stärker mit den Frontstaaten zusammenzuarbeiten und der südafrikanischen Destabilisierungspolitik entgegenzuwirken. Aber das reicht nicht aus. Solange man nicht zum Kern des Problems vordringt und solange man nichts gegen die Ursache des Übels unternimmt, werden diese Maßnahmen wirkungslos bleiben. Natürlich braucht Mosambik wirtschaftliche
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Hilfe, aber in erster Linie braucht Mosambik Frieden, und der Schlüssel zum Frieden liegt nicht bei uns, sondern in Pretoria.
Symbolische Handlungen der Bundesregierung wie die Wiederentdeckung Afrikas — die dritte jetzt — reichen nicht aus. Die Afrika-Initiative — wenn es eine war — sollte die Gefahr der außenpolitischen Isolierung vermindern. Auf diesem Wege wird das nicht gelingen.
Ich habe keine Garantie dafür, daß der Weg, den die SPD vorschlägt, schnell und sicher zum friedlichen Wandel führt, aber sicher ist, daß Südafrika der Katastrophe immer näher kommt, wenn die Weißen nicht einsehen, daß sie in der Welt draußen, also auch bei uns, keine Unterstützung mehr finden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bötsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, daß die heutige Debatte fast so etwas wie eine Sternstunde hätte werden können, wenn man sie dazu genutzt hätte
oder wenigstens den Versuch machen würde, der Wahrheit über Südafrika die Ehre zu geben, ihr zum Durchbruch zu verhelfen, unsachliche und schädliche Beschuldigungen aufzugeben und Maßnahmen zu ergreifen, die dem Wohl der Menschen in Südafrika — und nicht irgendwelchen Ideologien — wirklich dienen.
Der Kollege Verheugen hat hier einen Politiker angesprochen, nämlich Franz Josef Strauß, und hat ihn angegriffen. Dazu muß ich sagen, daß er als ein anerkannter, gefragter und sachkundiger Gesprächspartner — —
— Franz Josef Strauß!
Herr Vogel, er ist in all diesen Bereichen anerkannt
und hat jetzt nicht umsonst eine Einladung nach Mosambik erhalten, eine Einladung, die er auch annehmen wird, weil nämlich die von Ihnen so gescholtene Vermittlerrolle in diesem Bereich gerade bei den Ländern gefragt ist, die unmittelbar mit dem Geschehen im südlichen Afrika verbunden sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, diese Chance, die wir haben, würde verpaßt, wenn wir den Anträgen der SPD und der GRÜNEN zustimmen würden,
weil mit diesen Anträgen nicht einmal der Ansatz eines Versuches unternommen wird, die südafrikanischen Probleme sachlich zu analysieren und Lösungen vorzuschlagen. Wenn wir das, was SPD und GRÜNE in ihren Anträgen vorschlagen, verwirklichen würden, dann würde Südafrika nicht zu dem kommen, was vielleicht als Absicht dahintersteht — das unterstelle ich — , sondern es würde in Chaos und Bürgerkrieg versinken, und es würden Hunger, Armut und Krieg nicht nur über die Menschen in der Republik Südafrika, sondern auch über viele Menschen in den Nachbarstaaten im südlichen Afrika kommen.
Meine Damen und Herren, Sie von der Opposition, glaube ich, müßten das eigentlich wissen, denn viele von Ihnen haben sich in den vergangenen Jahren vor Ort ein Bild von den Verhältnissen machen können. Wenn Sie, aus welchen Gründen auch immer, an solchen Anträgen festhalten, müssen Sie das selbst verantworten. Ich glaube aber, die Ergebnisse wären wirklich verheerend. Sicherlich — da besteht Übereinstimmung — können, gemessen an unseren demokratischen Verhältnissen, die Verhältnisse in Südafrika nicht einmal als zufriedenstellend bezeichnet werden. Immer noch gibt es Apartheid. Sie haben das natürlich zu Recht angesprochen und kritisiert. Es gibt Menschenrechtsverletzungen in Südafrika.
Meine Damen und Herren, aber Südafrika befindet sich an einem Wendepunkt. Es besteht trotz mancher Dinge, die auch heute noch besorgniserregend sind, Hoffnung auf einen friedlichen Wandel.
Sie wissen doch, daß in vielen Bereichen die Apartheid abgeschafft wurde, wie beispielsweise durch die Aufhebung des Verbots gemischtrassiger Ehen, die Öffnung der Universitäten, die Öffnung der Geschäftszentren für nichtweiße Unternehmen, die Beendigung der Zwangsumsiedlung, die Aufhebung der Zuwanderungs- und der Paßgesetze und die Abschaffung der Rassentrennung in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Seit Ende der siebziger Jahre
dürfen die Schwarzen freie Gewerkschaften bilden und besitzen sie das Streikrecht.
Sicherlich sind das nur erste Schritte, aber sie weisen in die richtige Richtung. Die Regierung ist zu einem nationalen Dialog und zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung bereit, die auch den Schwarzen politische Rechte verleiht. Das ist ein langwieriger und umfangreicher Prozeß.
Wir und gerade Franz Josef Strauß haben — das will ich noch einmal betonen — die südafrikanischen Gesprächspartner immer wieder zur Eile und zur Beschleunigung dieses Reformprozesses gedrängt. Wir
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Dr. Bötsch
haben das auch durch Taten unterstrichen. Wir haben die Sanktionen der EG mitgetragen;
Wir haben das Kulturabkommen nicht erneuert, um eine Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen zu erreichen.
Herr Kollege Verheugen, wenn Sie hier von einer Lobbytätigkeit der südafrikanischen Regierung sprechen, dann mache ich doch darauf aufmerksam, daß die Bundesrepublik Deutschland mit der südafrikanischen Republik diplomatische Beziehungen unterhält. Vielleicht hätten Sie beim nächsten Tagesordnungspunkt eher Gelegenheit gehabt, mit diesem Wort das zu umschreiben, was manche Regierungen uns hier zumuten. Ich kann mich nicht erinnern, daß irgend jemand — jedenfalls nicht bei mir — etwa den Versuch gemacht hat, eine solche Debatte heute hier zu verhindern.
— Leider nein, Herr Kollege Verheugen, ich nicht, aber mein Würzburger Oberbürgermeister, der Ihrer Partei angehört, war im Sommer dort unten und hat sich im übrigen dann in der Würzburger Presse ausführlich gegen Sanktionen ausgesprochen. Das will ich auch einmal sagen. Herr Vogel, Ihr früherer Mitarbeiter Dr. Zeitler — vielleicht fragen Sie einmal bei ihm nach — hat das auch öffentlich deutlich verteidigt, weil er es vor Ort gesehen hat und dann daraus die Konsequenzen gezogen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, daß eine Politik der politischen und wirtschaftlichen Isolierung Südafrikas den Reformgegnern unter den Weißen Auftrieb geben würde. Getroffen würden statt dessen die reformwilligen Kräfte, auch die Vertreter der südafrikanischen Wirtschaft, und das Los der schwarzen Arbeiter und auch der zahlreichen schwarzen Gastarbeiter aus den Nachbarländern würde sich eklatant verschlechtern. Im Klima einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise würde die Durchführung der dringend notwendigen Reformen nur behindert, und die Radikalisierung würde gesteigert.
Meine Damen und Herren, in dieser Haltung werden wir nicht nur von den vielen weißen Apartheidsgegnern — es gibt sehr viele — , sondern auch von einer ganzen Reihe von gemäßigten schwarzen Oppositionspolitikern unterstützt.
— Ja, jetzt kommt Herr Buthelezi. Auch seine heutige Erklärung, vor zwei Stunden bekanntgeworden, hat an dieser Haltung nichts geändert. Auch er setzt auf eine Politik des friedlichen Ausgleichs, die es ermöglichen muß, daß alle Bevölkerungsgruppen, die in Südafrika gleichermaßen Heimatrecht haben, in Frieden, Freiheit und Wohlstand miteinander leben und über ihr Geschick entscheiden.
Man fragt sich: Was soll mit Sanktionen eigentlich erreicht werden? Herr Kollege Verheugen, der Vergleich mit der COCOM-Liste hinkt nicht einmal. Sie sollten sich einmal etwas damit beschäftigen, was mit ihr eigentlich erreicht werden soll. Hier geht es nämlich um technisches Know-how, das möglicherweise im militärischen Bereich gegen uns verwendet werden könnte. Sie wollen aber, auch wenn Sie es hier anders ausgedrückt haben, mit den Sanktionen eine Bestrafungsaktion durchführen.
— Sie haben das verbal hier bestritten, aber in Wirklichkeit dient es zu nichts anderem.
Meine Damen und Herren, Sie müssen sich deshalb schon die Frage gefallen lassen — vielleicht wird sie ein weiterer Redner beantworten — : Was wollen Sie damit eigentlich erreichen? Sie haben gefordert, daß man sich nicht mehr der Ausfuhr von Rohstoffen aus Südafrika bedient. Ja, cui bono, kann ich nur sagen. Die Ausfuhr an Gold, an Mineralien, an sonstigen Rohstoffen, an Metallen, an Edel- und Halbedelsteinen ergibt einen Ausfuhranteil von 80 %. Wenn diese Exporte zum Erliegen kämen, dann müßten die Bergwerke schließen, und damit wären gravierende Einkommens- und Beschäftigungsverluste gerade für die Bevölkerungsteile verbunden, deren Sorgen Sie hier angeblich vertreten.
Ein lückenloser Handels-, Investitions- und Finanzboykott, der eingehalten würde, würde die Wirtschaft des Landes insgesamt ruinieren; das müssen wir sehen. Die Hauptleidtragenden einer solchen Sanktionspolitik wären die Beschäftigten. Im Bergbau sind dies vor allen Dingen die schwarzen Arbeitskräfte. In der Industrie würden, zugegeben, auch weiße Arbeitskräfte davon betroffen, die ein höheres Qualifikationsniveau aufweisen.
Noch gravierender wären die Folgen für die schwarzen Nachbarstaaten der südafrikanischen Republik. Eine schwere wirtschaftliche Rezession in der südafrikanischen Republik hätte mit Sicherheit den wirtschaftlichen Zusammenbruch des gesamten Bereichs um die südafrikanische Republik im südlichen Afrika zur Folge; denn wir wissen doch, daß viele dieser Länder wirtschaftlich sehr eng mit Südafrika zusammenarbeiten, um nicht zu sagen, daß sie von Südafrika in großen Teilen wirtschaftlich sogar abhängig sind.
— Handel mit Südafrika zu treiben ist deren freiwillige Entscheidung.
Was heißt hier „abhängig gehalten werden"? Niemand ist gezwungen, das zu tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sanktionen sollen angeblich den wirtschaftlichen Zusammenbruch des — wie Sie das nennen — Apartheid-Regimes, den Abbau der weißen Privilegien und eine Verschlechterung des bisherigen hohen weißen Lebensstandards bewirken. Durch die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der schwarzen Bevölkerung
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Dr. Bötsch
solle endlich die ersehnte Revolution ausgelöst werden. Angeblich würde eine durch Sanktionen erzwungene totale Kapitulation einem demokratischen Südafrika dann den Weg ebnen. Glauben Sie das wirklich? Ich meine, diese Vorstellung kann man nur als naiv bezeichnen.
Zur Frage der wirtschaftlichen Sanktionen hat es innerhalb des größten gewerkschaftlichen Dachverbandes CUSATU eine heftige Diskussion gegeben. Im Endergebnis hat sich in diesem Verband eine Mehrheit für Sanktionen ausgesprochen. Aber es ist immerhin bemerkenswert, daß sich in diesem Verband, der weiß Gott nicht im Verdacht steht, ein besonderer Freund der weißen Bevölkerung zu sein, immerhin eine Minderheit gegen wirtschaftliche Sanktionen ausgesprochen hat. Man hat hier erkannt, zu welchem Ergebnis solche Sanktionen führen würden, nämlich zur Arbeitslosigkeit und zum wirtschaftlichen Untergang für diejenigen, denen man angeblich mit solchen Sanktionen zu Hilfe kommen will. Es ergäben sich Nachteile für alle, für Weiße, für Schwarze, für Farbige, für Asiaten. Die Folgen hat das gesamte südliche Afrika zu tragen.
Das sind andere Auswirkungen, als sie in Ihren Anträgen hier heute dargestellt werden. Diese Sanktionen würden den Verhandlungsprozeß verzögern, weil er den Anstiftern von Gewalt und Einschüchterung Auftrieb gibt und weil sie es dann nicht mehr für nötig halten würden, an den Verhandlungstisch zu kommen. Sie werden in ihrem Entschluß ermutigt, weiterhin Gewalt anzuwenden, um ihre politischen Ziele zu erreichen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Toetemeyer?
Nein.
Die südafrikanische Regierung ist nicht gegen Reformen. Sie ist dabei, eine neue Ordnung zu schaffen, die auf demokratischen Grundsätzen und auf der Anerkennung der Vielfalt der in Südafrika lebenden Menschen aufbaut. Das Hauptziel ist es, Verhandlungen herbeizuführen, um ein gegenseitig akzeptiertes demokratisches Regierungssystem in Südafrika zu schaffen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, müssen sich entscheiden, ob Sie die Entwicklung in Südafrika in Richtung auf eine Verbreitung der Demokratie, in Richtung auf Gerechtigkeit und Frieden fördern wollen oder ob Sie Ihren Beitrag durch das Fordern von sinnlosen und gefährlichen Sanktionen leisten wollen, die Südafrika ins Chaos treiben.
Sie haben hier schon vorher gesagt: Jetzt kommt Buthelezi. Ist es wirklich richtig, wenn man solche moderaten Sprecher wie Buthelezi überhört, die den Westen beschwören, von Sanktionen abzusehen, daß man dies einfach nicht zur Kenntnis nimmt? Ich meine, daß die Politik der südafrikanischen Regierung von der Einsicht bestimmt ist, in der Vergangenheit Fehler gemacht zu haben, auch Versäumnisse begangen zu haben, daß sie aber heute doch von der Bereitschaft bestimmt ist, versäumte Reformen nachzuholen und einen Wandel hin zu mehr Gleichheit und zu mehr Gerechtigkeit herbeizuführen. Dies ist für uns bisher zu langsam erfolgt — an dieser Feststellung gibt es keinen Zweifel — , und wir erwarten eine Beschleunigung dieses Wegs. Wir fordern eine Beschleunigung dieses Wegs.
Unser Beitrag dazu kann aber nicht sein, wirtschaftliche Sanktionen zu ergreifen, sondern wir wollen unseren Beitrag dazu im Dialog leisten. Jeder ist dazu aufgerufen. Dialog ist der richtige, Sanktionen wären der falsche Weg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Eid.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist erst wenige Tage her, daß die Bundesregierung wieder einmal auf der internationalen Anklagebank saß; denn als sich am vergangenen Wochenende in Kopenhagen die Regierungschefs der EG-Mitgliedsländer zu ihrem Gipfel trafen, tagten zur gleichen Zeit in Kopenhagen Vertreter von mehr als 70 Antiapartheid-Organisationen, von Kirchen und Parteien aus elf EG-Staaten, um endlich ein klares und entschiedeneres Vorgehen der Europäischen Gemeinschaft gegenüber dem südafrikanischen Apartheid-Regime einzufordern. Zu Recht richtete sich der Protest der Anwesenden ganz besonders auch gegen die Bundesregierung, die weltweit als Bremser verbindlicher Sanktionsbeschlüsse, als einer der letzten unermüdlichen Unterstützer des Apartheid-Regimes gilt.
Mehr als ein Jahr ist vergangen, seit sich der Bundestag zum letztenmal mit der Lage in Südafrika befaßt hat. Schon damals mußte Herr Kollege Hornhues eingestehen, daß die von der Kohl-Regierung erwarteten „positiven Veränderungen" in Südafrika ausgeblieben seien.
Man hat
— so sagte er damals wörtlich —
wohl eher den Eindruck, daß man weiter denn je von einer Lösung der Probleme, von der Beendigung der Apartheid entfernt ist.
Um wieviel mehr gilt diese Feststellung heute. Will dieser Bundestag heute erneut feststellen, daß wir weiter denn je von einer Lösung der Probleme entfernt sind? Wollen sich die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion wieder hinter neuen trügerischen Hoffnungen verstecken und sich wieder dagegen aussprechen, daß die Bundesrepublik endlich durch umfassende und verbindliche Sanktionen ihren Beitrag dazu leistet, daß das Unrecht in Südafrika ein Ende hat? Ohne daß die fünf wichtigsten Handelspartner Südafrikas, zu denen die Bundesrepublik zählt, endlich verbindliche Sanktionen gegen dieses menschenverachtetende Unrechtssystem in Südafrika verhängen, wird sich auch in naher Zukunft nichts ändern.
Südafrikas Propagandamaschine will uns zur Zeit wieder einmal die Reformbereitschaft des Botha-Regi-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3351
Frau Eid
mes vorgaukeln. Aber weder die Freilassung Govan Mbekis noch der angekündigte Abzug südafrikanischer Truppen aus Angola, erst recht nicht die Änderung des Group Areas Act haben etwas mit Reform zu tun. Denn wie steht es beispielsweise um die Freilassung der anderen politischen Gefangenen, um die Aufhebung des Verbots oppositioneller Organisationen und Parteien?
Sie, Herr Kohl — leider ist er nicht hier; ich hätte es eigentlich anders erwartet —, haben vor mehr als einem Jahr eine neue politische Initiative zur Freilassung Nelson Mandelas und der anderen politischen Gefangenen sowie zur Aufhebung des Organisationsverbotes angekündigt. Ich hätte den Bundeskanzler gerne gefragt: Was hat er getan, damit diese Initiative zum Erfolg führt?
Nein, seit unserer letzten Debatte über Südafrika hat es dort nicht den geringsten Fortschritt gegeben. Im Gegenteil: Die Bergarbeiter sahen sich unter existensgefährdenden Bedingungen zu einem landesweiten Streik gezwungen, wie er in der Geschichte des Landes bisher einmalig war. Mehr als 4 000 Kinder und Jugendliche wurden seit der Verhängung des Ausnahmezustandes in Gefängnisse geworfen und werden dort immer noch gefangengehalten.
Unüberhörbar sind die Protestrufe internationaler Juristenkommissionen, die vor wenigen Monaten von grausamer Folter an Kindern und Jugendlichen berichtet haben. Die Pressezensur wurde verschärft, um die letzten öffentlichen oppositionellen Stimmen im Land noch totaler unterdrücken zu können. Zwei Apartheid-Gegner wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, 32 weitere sitzen in den Todeszellen. Gerade in diesen Tagen hat die oberste Revisionsinstanz in Südafrika wieder gegen sechs ApartheidGegner die Todesurteile bestätigt.
Dieses Regime bedeutet nicht nur Rassismus, Folter, Terror, Ausbeutung und Unterdrückung nach innen, sondern auch Terror, Krieg und Instabilität nach außen. Der Krieg, den dieses Regime seit Jahren gegen seine Nachbarstaaten führt, hat Hunderttausende von Menschenopfern gefordert. Das ist die erschreckende Bilanz, für die auch die Politik dieser Bundesregierung mitverantwortlich ist.
Die GRÜNEN werden im kommenden Jahr verstärkt auf die südafrikanische Destabilisierungspolitik gegenüber den Frontstaaten aufmerksam machen. Als ersten Höhepunkt werden wir im Rahmen einer gemeinsamen Kampagne von Hilfswerken und Solidaritätsgruppen eine öffentliche Anhörung mit Vertretern aus Mosambik im Bundestag durchführen.
Wir begrüßen, daß der Herr Bundeskanzler vor wenigen Wochen Mosambik besucht und Nahrungsmittelhilfe sowie weitere Unterstützung zugesagt hat. Sein politisches Auftreten dort wie auch seine Erklärung vor wenigen Tagen anläßlich der Haushaltsdebatte aber geben keinen Anlaß zu der Hoffnung, daß sich die Südafrikapolitik dieser Bundesregierung ändern könne.
Zwar hat er den Terror der RENAMO-Truppen verurteilt, dabei aber hat er systematisch verschwiegen, daß das südafrikanische Apartheid-Regime die Schuld an der Destabilisierung der ganzen Region trägt.
Er sprach sich nach wie vor gegen Sanktionen gegen das Apartheid-Regime aus, nicht zuletzt mit dem Argument — was wir immer wieder hören — , daß darunter besonders die Schwarzen in Südafrika und die Menschen in den Frontstaaten zu leiden hätten.
Warum verschweigen Sie, Herr Bundeskanzler, daß sich Ihre Gesprächspartner in Mosambik eindeutig für Sanktionen aussprechen? Wenn dieses Argument schon angeführt wird, muß sich der Bundeskanzler auch die Frage gefallen lassen: Was hat er denn getan, um den Frontstaaten das Überleben auch mit Sanktionen und deren Auswirkungen zu erleichtern? Nichts haben Sie dazu beigetragen. CDU und CSU lehnen bis heute beispielsweise jeden finanziellen Beitrag zum sogenannten Afrika-Fonds der Blockfreien ab, der die Frontstaaten in ihrem Widerstand gegen das Apartheit-System stärken soll.
Sie, Herr Bundeskanzler, sprechen jetzt wieder von Reformen und von Dialog. Zu welchen Reformen, zu welchem Dialog war denn dieses von Ihnen geschützte Regime bisher bereit und in der Lage? Welche zukünftigen Reformen wollen Sie in Aussicht stellen?
Herr Bundeskanzler, Ihre Regierung hat, kaum sind Sie aus Maputo heimgekehrt, der Öffentlichkeit gezeigt, was Sie unter Reformen verstehen. Ein Mitglied Ihres Kabinetts, Staatssekretär Lengl vom Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, hat am Wochenende an den Feierlichkeiten zur zehnjährigen Unabhängigkeit des Homelands Bophuthatswana teilgenommen und sich dort, wie die FAZ von diesem Montag berichtet, offiziell als Mitglied der Bundesregierung feiern lassen. Dies ist der dritte Versuch in den letzten Monaten, daß Mitglieder Ihrer Regierung Vorstöße zu einer indirekten Anerkennung der südafrikanischen Homeland-Politik betreiben.
Herr Staatsminister Schäfer, wir fordern Sie auf, sich noch heute unmißverständlich von diesem Schritt zu distanzieren und diese Politik ausdrücklich zu mißbilligen.
Ein Zweites erwarten wir heute von Ihnen: ein klares Wort zur Aufklärung und zur Beendigung des bundesdeutschen U-Boot-Geschäfts mit Südafrika.
Die staatseigenen Howaldtswerke-Deutsche Werft AG und das Ingenieurkontor Lübeck haben für Südafrika das Kriegsschiff SAS Drakensberg gebaut. Die Drakensberg ist ein U-Boot-Mutterschiff, dessen Aufgabe darin besteht, die südafrikanischen U-Boot-Einsätze vor den Küsten von Mosambik und Angola zu koordinieren. Es ist erwiesen, daß Südafrika U-Boote
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Frau Eid
für Sabotageaktionen gegen Hafenstädte und Industrieanlagen der Frontstaaten einsetzt.
Dank bundesdeutscher Hilfe verfügt dieses Land, wie Premier Botha jüngst selbst erklärte, jetzt über genügend Know-how, um eigene U-Boote bauen zu können. Botha teilte sogar mit, daß dasselbe Team, das die Drakensberg entworfen und gebaut hat, nunmehr auch den technischen Hintergrund für den geplanten U-Boot-Bau liefern werde.
Nach allen vorliegenden Informationen handelt es sich bei diesem Team um Techniker und Ingenieure von HDW und IKL sowie um Südafrikaner, die vor allem in der Bundesrepublik bei IKL in Lübeck ausgebildet wurden. Dies geht aus den Akten hervor, die dem 4. Untersuchungsausschuß des 10. Deutschen Bundestages zur Verfügung standen, dem jetzigen Untersuchungsausschuß aber vorenthalten werden.
Wenn sich die Behauptungen der Südafrikaner bewahrheiten, handelt es sich nicht nur um einen erneuten eklatanten Bruch des UNO-Rüstungsembargos durch bundesdeutsche Firmen, sondern auch um einen innenpolitischen Skandal ersten Ranges.
Denn es ist völlig undenkbar, daß eine derart weitgehende Rüstungskooperation den hiesigen staatlichen Stellen verborgen bleiben kann.
Die Kieler Affäre hat gezeigt, wie leicht es möglich ist, daß hohe Staatsbeamte, Regierungsmitglieder und selbst Ministerpräsidenten die Öffentlichkeit systematisch belügen. Nach der Botha-Äußerung verstärkt sich der Verdacht, daß auch beim U-Boot-Geschäft die Unwahrheit gesagt wird.
Die Öffentlichkeit ist um so mißtrauischer geworden, als die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen alles unternehmen, um die vom Bundestag gewünschte Aufklärung des U-Boot-Skandals zu verhindern. Finanzminister Stoltenberg weigert sich — mit Ihrer Unterstützung, wie wir ja soeben gesehen haben — , auf das bundeseigene Unternehmen HDW Druck auszuüben, dem Untersuchungsausschuß Akten zur Verfügung zu stellen.
Obwohl Bundeswirtschaftsminister Bangemann und Finanzminister Stoltenberg die ganze Angelegenheit eigentlich unmittelbar an die Staatsanwaltschaft hätten abgeben müssen, geschah nichts dergleichen. Ein schwerwiegender Verstoß gegen das UNO-Rüstungsembargo gegen Südafrika wird als lächerliche Ordnungswidrigkeit behandelt.
Ist diese Straffreiheit für die Rüstungsmanager der Preis dafür, daß die Bundesregierung nicht belastet wird? Ob in Südafrika tatsächlich gebaut wird oder nicht, war nie Gegenstand der Ermittlungen.
Herr Bundeskanzler, spenden Sie nicht nur Reis an Mosambik, tun Sie etwas gegen die Kriegsmaschinerie des Apartheid-Regimes!
Lassen Sie mich abschließend noch einmal unsere Forderungen zusammenfassen:
Erstens. Wir fordern den Außenminister oder in seiner Stellvertretung den Herrn Staatsminister auf, sich eindeutig vom Auftritt des Herrn Staatssekretärs Lengl in Bophuthatswana zu distanzieren und sein Vorgehen zu mißbilligen.
Zweitens. Wir erwarten, daß Herr Minister Genscher sich gegenüber der südafrikanischen Regierung mit allen Mitteln dafür einsetzt, daß die sechs von der Hinrichtung unmittelbar bedrohten Apartheidgegner begnadigt werden.
Drittens. Wir fordern den Bundeskanzler auf, sich endlich für die Freigabe aller erforderlichen Akten an den U-Boot-Auschuß einzusetzen.
Darüber hinaus verweisen wir auf unseren Antrag, der hier zur Abstimmung vorliegt. Wir warten auf die geforderte Regierungserklärung des Bundeskanzlers und wünschen, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen im Auswärtigen Ausschuß möglichst bald eine öffentliche Anhörung zum Thema Südafrika durchzuführen.
Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Irmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst weise ich mit aller Entschiedenheit alle Versuche zurück, die hier von seiten der GRÜNEN kamen, uns in eine Art Sympathiestellung oder Komplizenschaft mit dem Apartheid-Regime hineinzumanövrieren.
Frau Kollegin, wir lassen uns von niemandem übertreffen, wenn es um die Verurteilung dieses verabscheuungswürdigen Systems geht.
— Moment! Ich komme ja darauf, Herr Kollege.
Ich weise aber darauf hin: Es ist doch völlig absurd, hier einen einzigen Vorschlag zu machen, nämlich Sanktionen zu verhängen, und dann das hochzustilisieren und zu ideologisieren und zu sagen: Das löst das ganze Problem.
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Irmer
Auf der anderen Seite sollte niemand der Versuchung erliegen, das Regime in Südafrika zu verharmlosen.
Es gibt meines Wissens auf der ganzen Welt kein Regime, das die Frage, ob ein Mensch alle Rechte hat, ob ein Mensch weniger Rechte hat oder ob ein Mensch gar keine Rechte hat, nur davon abhängig macht, welche Hautfarbe dieser Mensch hat. Das südafrikanische Regime gesteht den schwarzen Menschen dort unten nicht einmal die Staatsangehörigkeit zu. Und wenn es wahr sein sollte, daß ein Mitglied der Bundesregierung — dann allerdings wohl nur in privater Eigenschaft —
an Jubiläumsfeierlichkeiten in Bophuthatswana teilgenommen hat, dann muß auch ich dies für meine Fraktion mißbilligen.
Denn Bophuthatswana ist von niemandem anerkannt, und zwar mit vollem Recht. Diese Homelands sind Gebilde, die nicht lebensfähig sind und die auf der Landkarte willkürlich zusammengestückelt sind; man schaue sich den Fleckerlteppich Bophuthatswana einmal an. Damit können und wollen wir nichts zu tun haben.
Das unhaltbare Apartheid-Regime führt natürlich dann auch dazu, daß hemmungslose Polizeistaatsmethoden angewendet werden. Wir sollten nicht so tun, als ob die angeblichen Reformen, die die Regierung jetzt durchgeführt hat, auch nur annähernd geeignet wären, von dem Problem irgend etwas zu lösen.
Es handelt sich im wesentlichen um kosmetische Korrekturen, die nur geeignet sind, die Weltöffentlichkeit über den nach wie vor bestehenden wahren Charakter des Regimes zu täuschen.
Jetzt hat man den Immorality Act angeblich abgeschafft. Das mag ja sehr wohl so sein. Aber ich frage einmal: Was ist denn die Folge? Jetzt dürfen also schwarze und weiße Menschen zusammen Kinder zeugen. Ich frage: Was geschieht dann? Dann kommt ein Mischlingskind zur Welt, das dann gleich als coloured, als farbig, klassifiziert, in eine Schublade gesteckt wird und von vornherein weniger Rechte hat als sein weißer Vater oder seine weiße Mutter, dafür aber etwas mehr Rechte als der jeweils ganz schwarze Vater oder die ganz schwarze Mutter. Meine Damen und Herren, dies ist unter gar keinem Gesichtspunkt hinzunehmen. Man darf nicht müde werden, dies immer wieder zu betonen.
— Ja, das ist eine weitere Frage; das ist sicher richtig, was Sie hier sagen. —
Weshalb empören wir uns so über die Zustände in Südafrika? Doch deshalb, weil die Regierung in Südafrika auch noch in Anspruch nimmt, sie täte all dies im Interesse der westlichen Werte und Ideale. Da wird dies doch sogar im Namen des Christentums gerechtfertigt. Da wird doch gesagt, das diene dem Kampf gegen den Kommunismus, den in Afrika natürlich niemand will und der in Afrika auch nichts zu suchen hat. Aber dann muß sich die Regierung fragen lassen, warum sie — entsprechend ihrer eigenen Logik — nicht nur gegen Angehörige des ANC einschreitet, der ja bekanntermaßen auch Gewalt anwendet, sondern vorgestern auch den hochangesehenen Eric Molobi verhaftet hat, Angehörigen des Vorstandes der United Democratic Front, die sich ausdrücklich nur zu friedlichen Mitteln bekennt und diese anwendet. Dieser Mann ist verhaftet worden. Die Regierung ist völlig unglaubwürdig, wenn sie vorgibt, Gewalt bekämpfen zu wollen und dann auch solche Menschen festsetzt und an der Ausübung des Widerstandes, des friedlichen Widerstandes hindert, die sich hierzu ausdrücklich bekennen. Die Regierung entlarvt sich von Tag zu Tag doch selbst.
Meine Damen und Herren, es wird hier in der Bundesrepublik hin und wieder gesagt, man müsse diesem Regime weniger kritisch gegenüberstehen, weil deutsche Interessen auf dem Spiele stünden: Rohstofflieferungen, die strategisch wichtige, sehr wichtige Position Südafrikas am Kap. Aber, meine Damen und Herren, eine solche Argumentation wäre ganz kurzsichtig. Denn eines Tages wird die schwarze Mehrheit in Südafrika regieren. Wie sollen unserer Beziehungen zu dieser schwarzen Regierung dann ausschauen, wenn wir in der Tat nicht alles getan haben, um den Menschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen?
Unsere Glaubwürdigkeit auf dem gesamten Kontinent steht auf dem Spiel.
Es darf auch nicht der Anschein der Komplizenschaft mit diesem Regime entstehen,
weil wir sonst in Afrika auf dem gesamten schwarzen Kontinent mit niemandem mehr reden können.
Meine Damen und Herren, was tut man, um die Verhältnisse dort zu verändern? Hier setzt jetzt meine Kritik an der Opposition ein.
— Meine Damen und Herren, Augenblick!
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Irmer
— Jetzt hören Sie mir doch bitte zu! — Sie sagen: Durch allgemeine Wirtschaftssanktionen kann die Situation verbessert werden. Ich will Ihnen eines sagen: Wenn ich wüßte, daß ich das Apartheid-Regime in absehbarer Zeit zum Verschwinden bringen könnte, wenn wir allgemeine Wirtschaftssanktionen verhängen würden, dann wäre ich der erste, der sich dafür aussprechen würde. Aber Sie kennen doch die Buren, Sie wissen doch, wie sie reagieren. Glauben Sie denn wirklich, daß die Apartheid über Nacht verschwinden würde? Und ob Sanktionen wirken würden oder nicht, ist eine zweite Frage.
Meine Damen und Herren, wir haben im Auswärtigen Ausschuß beschlossen, daß wir eine Delegation in die Länder des südlichen Afrika schicken, die berichten soll. Es wird Aufgabe des Ausschusses sein, sehr sorgfältig zu prüfen, mit welchen Sanktionen man Druck wirkungsvoll ausüben kann. Aber ich bin es leid, immer wieder diese ideologischen Anschuldigungen zu hören: Weil ihr Sanktionen nicht zustimmt, seid ihr für die Apartheid.
Das ist nicht hinnehmbar.
Auch heute wurde schon gesagt: Selbst die Schwarzen in Südafrika sind geteilter Meinung darüber, ob man Sanktionen verhängen sollte oder nicht.
Herr Kollege Voigt, lassen Sie mich Ihnen folgendes sagen. Es gibt Schwarze, die sagen „Wir sind dagegen", und es gibt Schwarze, die sagen „Wir sind dafür". Wir müssen uns sehr sorgfältig überlegen, ob wir ohne weiteres das Argument zurückweisen, wir träfen bei wirkungsvollen Sanktionen genau diejenigen, denen wir eigentlich helfen wollen. Das wische ich nicht mit einer Handbewegung vom Tisch.
Ferner muß ich auf folgendes hinweisen: Viele von denen, die dieses behaupten, sind solche, die mit Sicherheit ihren Arbeitsplatz nicht verlieren würden, wenn die Sanktionen greifen sollten. Es sind zum Teil — ohne daß ich diesen Menschen etwas unterstellen will — Leute, die dieses zusätzliche Leiden, von dem in diesem Zusammenhang die Rede ist, gar nicht persönlich auf sich nehmen müßten. Diejenigen, die sagen „Wir haben jetzt so lange gelitten, auf ein bißchen mehr oder weniger kommt es da auch nicht mehr an! ", sind meistens solche, die davon nicht betroffen wären.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Toetemeyer? Wenn Sie die Frage zulassen, halte ich die Uhr an.
Dann lasse ich die Zwischenfrage zu.
Herr Kollege, ich stimme Ihnen zu, daß man über die Frage, in welcher Weise die Sanktionen auf die Buren wirken, unterschiedlicher Meinung sein kann. Würden Sie mir zustimmen, daß unsere amerikanischen Kollegen in beiden Häusern des Kongresses sich diese Frage sehr ernsthaft überlegt und dennoch mit Zweidrittelmehrheit wirtschaftliche Sanktionen beschlossen haben?
Darf ich Ihnen die Gegenfrage stellen, Herr Kollege, was diese wirtschaftlichen Sanktionen denn inzwischen bewirkt haben.
Herr Kollege, ich habe das zur Kenntnis genommen. Ich will ja nur, daß auch Sie einsehen, daß man, ohne ein Freund der Apartheid oder des Regimes zu sein, sehr wohl daran zweifeln kann, ob Sanktionen dieser Art der Weisheit letzter Schluß sind.
Diese Anträge gehen jetzt in den Ausschuß. Wir werden uns sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr ernsthaft damit beschäftigen müssen. Wir müssen überlegen: Was können wir tun, um diese entsetzlichen Verhältnisse in Südafrika endlich zu beenden?
Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Staatsminister Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute erneut mit Südafrika. Wir haben im Laufe der letzten Jahre kaum ein außenpolitisches Thema so häufig behandelt wie dieses. Hierfür gab es und gibt es gute Gründe, wie das heute in einigen Reden auch bereits anklang.
Lage und Entwicklung in Südafrika sind unverändert Anlaß zu großer Sorge. Die Ursachen der Friedlosigkeit in diesem Land sind nicht behoben.
Fast täglich werden wir mit ihren schlimmen Folgen konfrontiert: Gewalt und Unrecht, deren Opfer zahlreiche Menschen und häufig sogar Kinder sind. Südafrika ist das einzige Land der Welt, meine Damen und Herren, das die Mehrheit der eigenen Bevölkerung politisch und sozial ausbürgert, indem es Menschenrechte und Lebenschancen nach Hautfarbe zuteilt. Daran gibt es keinen Zweifel.
Wenn es nicht bald gelingt, das verkrustete Apartheidssystem und Apartheidsdenken zu überwinden, wird sich die Eskalation der Gewalt fortsetzen und allen Bemühungen um einen friedlichen Wandel ein Ende bereiten.
Meine Damen und Herren, bevor ich auf einzelne Fragen und Probleme eingehe, möchte ich feststellen: Die Südafrikapolitik der Bundesregierung stützt sich auf ein festes Fundament. Sie ist in ihren Kernbereichen in den Antworten der Bundesregierung auf Anfragen aus dem Bundestag festgeschrieben. Ich nenne hier nur die wichtigsten: vom 21. Dezember 1983, vom 14. April 1986 und vom 27. Mai 1986 über die verbind-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3355
Staatsminister Schäfer
liche Regierungspolitik zu Südafrika und das südliche Afrika einschließlich Namibia. Die politischen Aussagen dieser Antworten gelten unverändert und ohne Einschränkung auch bezüglich der Feststellungen und Forderungen, die die SPD und die GRÜNEN in ihren heutigen Anträgen formuliert haben.
Alle demokratischen Parteien in unserem Lande und die große Mehrheit unserer Bevölkerung stimmen überein: Rassendiskriminierung und Apartheidssystem sind Synonyme für Unrecht und für ein menschenrechtswidriges Gesellschaftssystem. Apartheid und Rassismus sind nicht reformierbar, sie müssen abgeschafft werden. Wir wollen, daß dies friedlich geschieht. Gewalt, von welcher Seite und in welcher Form auch immer, lehnen wir ab. Sie führt zu Chaos und Bürgerkrieg. Dieser verhängnisvolle Prozeß, der Südafrika zu zerstören droht, darf nicht weitergehen. Konfrontation und Sprachlosigkeit zwischen Minderheit und Mehrheit müssen überwunden werden. Schwarz und Weiß müssen sich endlich am Verhandlungstisch treffen, um gemeinsam in einem nationalen Dialog über eine neue politische Ordnung zu beraten, die allen Südafrikanern gleiche Menschen- und Bürgerrechte garantiert.
Mit der Umkehr müssen allerdings diejenigen beginnen, die die Macht haben und die politische Verantwortung für ihre Ausübung tragen. Einen nationalen Dialog kann es ja nur geben, wenn die südafrikanische Regierung die Voraussetzungen dafür schafft. Dazu gehören die Beendigung des Ausnahmezustandes, der nun schon seit Juni 1986 anhält, und die Wiederherstellung der Presse- und Meinungsfreiheit, die Entlassung von Nelson Mandela und aller anderen politischen Gefangenen aus dem Gefängnis.
Am Montag — Herr Irmer hat darauf hingewiesen — haben wir erfahren, daß der UDF-Politiker Eric Molobi verhaftet worden ist, mit dem Bundesminister Genscher noch im November in Bonn gesprochen hat und mit dem auch der Bundespräsident und der Bundeskanzler im vergangenen Jahr zusammengetroffen sind. Wir haben seine Freilassung gefordert. Wer politische Gegner ins Gefängnis wirft, anstatt mit ihnen über die Zukunft des Landes zu reden, der vertieft die Gräben zwischen Schwarz und Weiß und trägt die Verantwortung für die Eskalation von Gewalt und Gegengewalt.
Die politische Opposition — eine weitere Forderung — und die Interessenvertreter der Bevölkerungsmehrheit dürfen nicht länger kriminalisiert werden. Der ANC und die anderen verbotenen Organisationen müssen entbannt und als Dialogpartner behandelt werden.
Es führt in eine politische Sackgasse, Politiker wie den ANC-Führer Govan Mbeki zu entlassen und sie dann durch Redeverbote mundtot zu machen. Was ist das für eine Politik, meine Damen und Herren?
Wenn wir über die Lage und Entwicklung in Südafrika seit der letzten Debatte zu diesem Thema sprechen, so müssen wir ganz klar sagen — das sagt die Bundesregierung, Frau Eid — , daß es bisher leider keine echten Fortschritte gegeben hat und auch wenig Hoffnung darauf besteht. Präsident Botha selbst hat erst vor wenigen Tagen auf dem Jahreskongreß der Nationalen Partei der Kap-Provinz erklärt, daß es in Südafrika keine politischen Gefangenen gebe. Die Tatsachen sehen, wie wir wissen, ganz anders aus. Wer die Realität verdrängt oder sie in ihr Gegenteil umkehrt, der gibt in der Tat denjenigen recht, die der südafrikanischen Regierung jede Glaubwürdigkeit, aber auch jede Reformfähigkeit absprechen. Es besteht kein Zweifel, Pretoria hält unverändert an den Eckpfeilern der Apartheid fest: Das Homeland-System wird aufrecht erhalten, es wird sogar noch ausgebaut. Hier werden schwarze Südafrikaner durch staatliche Willkür ausgebürgert. Diese Menschen haben das gleiche Recht auf ihre Heimat und ihre Staatsangehörigkeit wie ihre weißen Mitbürger.
Hier, Frau Eid, darf ich auf Ihre Anfrage zurückkommen. Sie haben mich aufgefordert, Stellung zu nehmen zur Reise von Staatssekretär Lengl. Es ist dazu zu sagen: Es gibt für die Bundesregierung keine Anerkennung der Homelands als eigenständige Staaten, es gibt nicht die Anerkennung irgendwelcher Einrichtungen dieser Art. Homelands sind nach unserer Auffassung und der Auffassung aller westlicher Staaten Teil der Republik Südafrika. Wir können niemand daran hindern, dort hinzureisen, und mir ist nicht bekannt, daß Herr Lengl im Auftrag der Bundesregierung gereist ist. Davon haben wir jedenfalls im Auswärtigen Amt bis zur Stunde nichts gehört. Ich kann mir das nicht vorstellen.
— Daß wir nichts davon gehört haben, spricht nicht gegen das Auswärtige Amt, Herr Kollege Voigt. Wenn Sie das von innen kennen würden, würde auch der Begriff „Sauladen" sicher nicht mehr von Ihnen verwendet werden, der leider nicht zurückgewiesen worden ist; ich tue das hiermit. Wir können niemanden daran hindern, weder aus Ihrer Fraktion noch aus der GRÜNEN-Fraktion, irgendwo hinzufahren und dort aufzutreten. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß es sich auch hier nicht um einen offiziellen Auftrag der Bundesregierung gehandelt hat. Ich habe Ihnen das gerade gesagt.
— Regierungsmitglieder reisen gelegentlich auch privat. Das dürfte Ihnen, Herr Kollege, bekannt sein.
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Staatsminister Schäfer
— Das ist eine Frage, die müssen Sie bitte nicht mir stellen.
Auch das Beispiel von Oukasie — um auf die Situation in Südafrika zurückzukommen — bei Pretoria zeigt, wie die südafrikanische Regierung mit Menschen umgeht. Tausende von schwarzen Familien, die seit Jahrzehnten in einer Gemeinde zusammenleben, werden zwangszweise aus ihren Häusern vertrieben und umgesiedelt, weil ihre weißen Nachbarn sie los sein wollen. Es gibt immer noch keine ernst zu nehmenden Initiativen zur Abschaffung der getrennten Wohngebiete. Was nützt es, wenn in Südafrika jetzt Schwarze und Weiße heiraten dürfen — Herr Irmer hat darauf hingewiesen —, sich aber nicht frei entscheiden können, wo sie gemeinsam wohnen und leben wollen?
Zwar gibt es — das ist in letzter Zeit zu Recht bemerkt worden — Ansätze zu „grauen" Wohngebieten
— etwa in einer Vorstadt von Johannesburg —, aber sie werden von der Regierung als illegal angesehen. Niemand weiß, wie lange die Regierung sie duldet.
Die Gesetzgebung über das getrennte Erziehungsund Gesundheitswesen besteht nach wie vor weiter. Die gemeinsame Exekutive für das Homeland Kwazulu und die Provinz Natal ist ein positiver Ansatz,
aber noch lange kein Durchbruch in Richtung auf eine gleichberechtigte Beteiligung aller Südafrikaner an der politischen Verantwortung.
Der Gesetzentwurf der südafrikanischen Regierung über die Schaffung eines National Council kann sich auf keinen demokratischen Konsens berufen.
Sie ist einseitig und vor allem an den Machtinteressen
der Weißen orientiert. Kein schwarzer Politiker
— auch Buthelezi nicht — ist bereit, sich an solchen Reformdiktaten zu beteiligen.
Meine Damen und Herren, wir werden unsere konstruktive Politik fortsetzen. Unser Ziel ist es, Pretoria zum Umdenken zu bewegen, damit eine friedliche Überwindung der Apartheid und grundlegende Reformen in Südafrika möglich werden. Das bedeutet konkret Aufrechterhaltung des politischen Drucks auf die südafrikanische Regierung durch strikte Anwendung der restriktiven Maßnahmen so, wie sie in den Luxemburger Beschlüssen von 1985 und in den Beschlüssen der europäischen Außenminister von 1986 festgelegt sind.
Wir werden in Menschenrechtsfragen weiterhin deutlich unsere Stimme erheben und gemeinsam mit den anderen Europäern unsere politischen und diplomatischen Mittel einsetzen, um den Opfern der Apartheid zu helfen. Die unter Ausnahmerecht Inhaftierten müssen freigelassen werden. Die Zwangsumsiedlung muß aufhören und die Homeland-Politik revidiert werden.
Die von den südafrikanischen Gerichten ausgesprochenen Todesurteile gegen die „Sharpeville Six" dürfen nicht vollstreckt werden. Unser Botschafter hat bereits im Namen der Zwölf bei der südafrikanischen Regierung demarchiert, um eine Vollstreckung der Todesurteile zu verhindern.
Die Bundesregierung wird ihre Kontakte mit den Führern der schwarzen Mehrheit, mit den Kirchen und Gewerkschaften weiter ausbauen und intensivieren.
Die Zusammenarbeit mit diesen Gruppen und Parteien ist ein wichtiger und unverzichtbarer Teil unserer Südafrikapolitik.
Mit unseren Partnern in der EG sehen wir von Sanktionen ab, die über die Beschlüsse der Europäer von 1985 und 1986 hinausgehen,
weil wir bezweifeln — das ist heute durch Redner der Koalition zum Ausdruck gekommen — , daß sie die friedliche Beendigung der Apartheid beschleunigen könnten. Das gilt auch für die Anträge, die der heutigen Debatte zugrunde liegen. Alle Bundesregierungen haben — unbeschadet ihrer parteipolitischen Zusammensetzung, Herr Kollege Verheugen — die Auffassung vertreten, daß ein Wirtschaftsboykott kein geeignetes Mittel der Politik ist.
Die südafrikanische Regierung muß aber wissen, daß unsere Geduld nicht unerschöpflich ist.
Wir werden die Entwicklung in Südafrika weiter kritisch verfolgen. Die von den europäischen Regierungen beschlossenen restriktiven Maßnahmen haben wir aus Solidarität und als politisches Signal an Pretoria mitgetragen.
Unsere Südafrikapolitik wird auch in Zukunft gemeinsam mit unseren europäischen Partnern abgestimmt werden. Und zu Ihrer Beruhigung in der Opposition: Wir werden auch mit besonderem Interesse die weitere Südafrikapolitik der Vereinigten Staaten zu sehen haben, die für uns von großer Bedeutung bleibt.
Die Bundesregierung mißt ebenso wie die anderen europäischen Staaten vor allem positiven Maßnahmen große Bedeutung zu. Sie sind Zeichen der Solidarität und Hilfe für die Menschen in Südafrika, die durch die Apartheid nicht nur politisch, sondern auch beruflich und sozial diskriminiert werden. Diesen Opfern der Apartheid wollen wir helfen.
Die Mittel für diese Maßnahmen sind aufgestockt worden. Sie werden auch in Zukunft weiter verstärkt. Parallel und die nationalen Programme verstärkend engagiert sich auch die Europäische Gemeinschaft mit positiven Maßnahmen in Südafrika. Für solche europäischen Programme werden für die Jahre 1986, 1987 über 60 Millionen DM zur Verfügung stehen. Auch hieran sind wir finanziell maßgeblich beteiligt.
Meine Damen und Herren, die von der Apartheid ausgehende Friedlosigkeit ist nicht auf Südafrika beschränkt. Sie wird durch grenzüberschreitende Gewalt und eine destabilisierende Hegemonialpolitik in das ganze südliche Afrika getragen. Die jüngsten südafrikanischen Militäraktionen in Angola sind ein Beispiel hierfür. Der provozierende Besuch, meine Da-
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Staatsminister Schäfer
men und Herren, von Präsident Botha und südafrikanischen Ministern bei ihren auf angolanischem Territorium operierenden Truppen wird von der ganzen internationalen Staatengemeinschaft zu Recht als Ausdruck ungezügelter Machtausübung und arroganter Politik angeprangert.
Die Europäische Gemeinschaft hat dieses Verhalten der Südafrikaner in einer Erklärung vom 27. November in schärfster Form verurteilt und den bedingungslosen Rückzug der südafrikanischen Soldaten aus Angola gefordert. — Herr Kollege Lowack, wir sprechen auch über Kuba, und wir haben auch dessen Anwesenheit verurteilt; aber wir können nicht akzeptieren, daß mit solchen windelweichen Begründungen üble Außenpolitik mit dem Überfall auf andere Staaten gemacht wird. Das ist nicht hinzunehmen. Das würden Sie dem Osten genauso ankreiden, wie wir das den Südafrikanern ankreiden müssen.
Dafür haben wir uns auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingesetzt. Aber nicht nur Angola, auch Mosambik und andere Regionalstaaten sind Opfer dieser Destabilisierungspolitik.
Der Bundeskanzler hat in Mosambik den Terror ja verurteilt, der dieses Land seit Jahren bedroht und zunehmend die Existenzgrundlagen der Bevölkerung vernichtet. In den letzten Tagen erreichten uns besorgniserregende Meldungen aus Botsuana, einem Staat, den ich im Frühjahr besucht habe. Auch hier versucht Pretoria, einem kleinen Nachbarstaat — der übrigens ein hervorragendes Beispiel für die Fähigkeit der Schwarzen gibt, ihren Staat gut zu verwalten, was von einigen Vertretern der Apartheid immer wieder bestritten wird —,
seinen politischen Willen durch die Androhung von Gewalt aufzuzwingen.
Die Bundesregierung wird die bedrängten afrikanischen Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen. Dies hat der Bundeskanzler in Maputo klar gesagt. Wir werden unsere Wirtschaftshilfe an die Frontstaaten und ihre Regionalorganisation SADCC verstärken. Wir haben unsere Gesprächskontakte, wie Sie wissen, mit den afrikanischen Regierungen des südlichen Afrika intensiviert. Bundesminister Genscher ist im November in Angola gewesen. Der Bundeskanzler hat kurz darauf Mosambik besucht. Wie wichtig diese politischen Kontakte sind, habe ich selbst während meiner ersten Afrika-Reise in diesem Jahr nach Angola, Botsuana und Lesotho erfahren. Wir setzen diese Politik fort. Der Bundespräsident wird sich während seiner bevorstehenden AfrikaReise ebenfalls in einen Frontlinienstaat, nämlich nach Simbabwe, begeben. Dies sind klare Signale für unseren politischen Standort, meine Damen und Herren. Wir hoffen, daß das in Pretoria verstanden wird.
Meine Damen und Herren, zur Erhaltung und Sicherung des Friedens im südlichen Afrika gehört aber auch die Lösung der Namibia-Frage. Wir bekennen uns zu unserer historisch begründeten Verantwortung für dieses Land und seine Menschen. Deshalb haben wir aktiv am Zustandekommen von Resolution 435 mitgewirkt, und deshalb wollen wir, daß sie schnell und ohne neue Bedingungen implementiert wird.
Bundesminister Genscher hat sich für eine Wiederbelebung der Kontakt-Gruppe der fünf westlichen Staaten eingesetzt, übrigens auch nach unseren Gesprächen in einigen afrikanischen Staaten, wo diese Bitte auch an uns herangetragen worden ist.
Wir wollen jede Möglichkeit nutzen, die uns einer Verwirklichung der Sicherheitsratsresolution 435 näher bringt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle einen weiteren Satz sagen: Dies alles geschieht — und darauf müssen wir immer wieder hinweisen — in engster Abstimmung mit unseren Verbündeten. Wer diese Politik ablehnt oder für überholt hält, muß sich darüber klar sein, daß er sich aus dem gemeinsamen westlichen Lager entfernt.
Auch das muß hier an dieser Stelle einmal sehr deutlich gesagt werden.
Meine Damen und Herren, vor wenigen Wochen haben wir auf einer Konferenz der deutschen Botschafter in Schwarzafrika über die Lage auf unserem Nachbarkontinent beraten und eine umfassende Bestandsaufnahme unserer Afrika-Politik vorgenommen. In Dakar stand unsere Afrika-Politik mit allen ihren politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sonstigen Aspekten auf dem Prüfstand. Unbeschadet einer engagierten Meinungsvielfalt zu Einzelfragen hatte die Konferenz ein eindeutiges Ergebnis: Sie bestätigte Grundlagen, Zielrichtung, Inhalt und Mittel unserer Afrika-Politik. Unsere Missionschefs haben mit großem Ernst darauf hingewiesen, daß die Probleme in Afrika sich in besorgniserregender Weise zuspitzen. Dies gilt vor allem für die fundamentalen Wirtschaftsprobleme Afrikas. Ich nenne hier die Verschuldungskrise, die die Leistungskraft der afrikanischen Volkswirtschaften zu ersticken droht und die den Menschen Mut und Hoffnung auf eine bessere Zukunft nimmt. In Äthiopien und in anderen Teilen des afrikanischen Kontinents steht eine neue Hungerkatastrophe bevor. Ökologische Fehlentwicklungen und die Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen durch Klimaveränderungen, Desertifikation, Raubbau an Wäldern und Rohstoffen sind Probleme, die nicht auf Afrika beschränkt sind. Sie gehen uns alle an. Unser entwicklungspolitisches Engagement und unsere Hilfe für die wirtschaftlich schwachen Staaten in Afrika sind daher notwendige Investitionen in eine gerechte und friedliche Zukunft der Welt.
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Staatsminister Schäfer
Ein Vierteljahrhundert internationaler Entwicklungspolitik in Afrika hat nicht die Erfolge gebracht, die wir uns alle hiervon versprochen haben. Hunger und Not, Krankheit und Elend sind nicht überwunden. Das Pro-Kopf-Einkommen sinkt von Jahr zu Jahr. Alle entwicklungspolitischen Bemühungen werden scheitern, wenn es nicht gelingt, den erdrückenden Schuldenberg abzubauen und die Leistungskraft der afrikanischen Volkswirtschaften zu erhöhen. Diese Aufgabe kann nur gelöst werden, wenn alle Beteiligten pragmatisch und vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen hat 1986 richtungsweisende Empfehlungen zur Überwindung der Wirtschaftskrise in Afrika aufgestellt. Die Industriestaaten werden zu verstärkter Hilfeleistung und die afrikanischen Staaten zu wirtschaftlichen Reformen aufgerufen. Diese Empfehlungen werden zur Zeit von beiden Seiten umgesetzt.
Auch der Weltwirtschaftsgipfel in Venedig hat sich der Probleme der ärmsten und hochverschuldeten, aber reformwilligen Ländern Afrikas südlich der Sahara angenommen. Die daraus resultierende entwicklungspolitische Gesamtstrategie trägt erste Früchte. Im internationalen Rahmen werden unter erheblicher deutscher Beteiligung deutliche Zeichen gesetzt, die Bemühungen um wirtschaftliche Reformen in diesen Ländern zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, die heutige Debatte unterstreicht erneut: Bedeutung und Gewicht der Afrikapolitik im Rahmen unserer Außenpolitik ist größer geworden. Unsere afrikanischen Freunde und Partner
— ich hatte eben den Außenminister von Uganda hier, den ersten Außenminister dieses Landes, der die Bundesrepublik besucht hat — können sich auf unsere solidarische Hilfe und Unterstützung verlassen.
— Ich sagte ja auch: der erste Außenminister.
Ich habe sehr deutlich gemacht, daß es sich nicht um eine Ministerin gehandelt hat.
Die westlichen Demokratien werden sich weder heute noch morgen mit Apartheid und Rassendiskriminierung abfinden. Europa muß und wird Afrika in seiner Not nicht allein lassen, sondern auch weiterhin mithelfen, die wirtschaftlichen Probleme in unserem Nachbarkontinent zu lösen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine liberale Zeitung, so sagt man, ist eine Zeitung, die im politischen Teil das beklagt, was sie im Wirtschaftsteil mit anrichtet.
Und als liberaler Politiker, Herr Kollege Irmer — damit komme ich zu Ihnen — , haben Sie uns heute ein Beispiel dafür geboten, wie man in ein und derselben Rede politisch vortreffliche Fragen stellen kann und in den wirtschaftlichen Konsequenzen diesen beharrlich ausweichen, mit anderen Worten: jede Folgerung aus dem vermissen lassen kann, was man sich eben selbst als Aufgabe aufgestellt hat.
Da treiben Sie uns Sozialdemokraten durch Ihre sehr richtigen Darlegungen von einem Applaus in den anderen. Wenn unsere Spannung gewachsen ist, zu hören, was Sie nun für Konsequenzen daraus ziehen,
kommt eine große Null. Dann erzählen Sie uns, man wisse ja nicht, wie die Buren reagieren werden.
Wie die Buren heute reagieren, kann man überall nachlesen. Sie sind dankbar für die Wirtschaftsbeziehungen, die florieren, und sie empfinden sie als permanente Bestätigung ihrer Politik. So reagieren die. Das wissen wir.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wer hat denn bei dem, was Sie Abstimmung nennen, in Wahrheit die Bremserrolle ganz massiv ausgeübt und wirksame Sanktionen in der EG mit verhindert? Das war Ihre Regierung.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn ich das Thema noch weiterführen darf. — Was da an Sanktionen herausgekommen ist, wirkt so, als sei es konstruiert, um das Instrument der Sanktion generell zu diskreditieren.
Denn daß schwächliche Sanktionen nicht greifen können, weiß man; das brauchte man nicht erst noch zu beweisen. — Aber nun, Frau Präsidentin, gestatte ich die Zwischenfrage.
Graf Waldburg-Zeil, bitte sehr.
Herr Kollege, würden Sie mir nicht zustimmen, daß es vielleicht besser wäre, Verallgemeinerungen wie „die" Buren zu unterlassen, denn Sie wissen wie ich, daß es Buren
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Graf von Waldburg-Zeil
gibt, die sehr wohl daran interessiert sind, das Apartheidsystem abzuschaffen?
Herr Kollege Waldburg-Zeil,. ich bin Ihnen für den Hinweis, den ich aufgreife, dankbar. Ich habe nur zitiert, was uns Herr Irmer sagte, als er meinte, man könne sich ja vorstellen, wie die Buren reagieren. Sie haben recht: Wir sollten da unterscheiden, damit wir auch unsere Freunde erkennen.
Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt ja immer wieder Kritiker unserer Haltung, die uns nahelegen, uns doch nicht mit Südafrika, sondern mit vielem anderen, was näherliegt, hier zu beschäftigen.
— Sehen Sie, Herr Lowack, Sie sagen auch noch „richtig" dazu. Ich frage Sie, Herr Kollege Lowack, ob Sie wirklich bei dieser Meinung bleiben können, ob Sie es vertreten können, dabei zu bleiben, wenn Sie sich noch einmal die Tatsachen vor Augen führen. Etwa die Tatsache, daß in Südafrika eine Rassendiktatur herrscht, die den Betroffenen und Verletzten keine Chance des Entkommens, keine Möglichkeit zur Besserung ihrer Lage läßt. Der weitaus größte Teil der Bevölkerung wird rechtlos gestellt, darf weder politisch noch wirtschaftlich mitbestimmen, wird in Bildung und Beruf konsequent niedergehalten. Und das auf Grund eines Rassenwahns, der seine ganze Gemeinheit doch erst zu entfalten begann, als der Rassenwahn in Deutschland militärisch besiegt und vor aller Welt als abschreckendes Beispiel entlarvt war. Da drängen sich Parallelen auf, so wenig sie umfassend, etwa durch eine Gleichstellung, gezogen werden dürfen.
Aber auch in Südafrika ist es ja nicht ein Regime chaotischer Desperados, das die schwarze Bevölkerungsmehrheit unterdrückt und terrorisiert, es ist ein moderner Staat, der ein ganzes System raffinierter Instrumente nutzt, um den schwarzen Bürgern den Weg zur Besserung ihrer Lage, den Weg zur Gleichberechtigung zu verstellen.
Vom Gesetzesrecht angefangen über die Praktiken der Verwaltung und Polizei bis hin zu gesellschaftlichen Mechanismen reichen die Schlingen dieses Netzes, in dem die Unterdrückten keinen Durchlaß finden. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn gelegentlich einige Maschen des Netzes neu geknüpft werden.
Es wird ein Ausnahmerecht praktiziert, das die schwarze Bevölkerung mit aller Härte trifft. Polizei und Sicherheitskräfte sind zur Brutalität und Willkür ermächtigt, ohne dafür nach den dort geltenden allgemeinen Gesetzen zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Damit die so ermöglichten Abscheulichkeiten nicht zu deutlich offenbar werden, sorgt eine strenge Pressezensur mit Verboten und Strafdrohungen dafür, daß die staatliche Gewalttätigkeit weitgehend unbeobachtet wüten kann. Wie zum Hohn, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Weltöffentlichkeit verstärken die von Südafrika bezahlten PR-Agenturen und Informationsbüros ihre Propagandatätigkeit, während freie Journalisten mundtot gemacht worden sind.
Das Ganze, was ich Ihnen vorstellen muß, vollzieht sich ja nun nicht durch eine Diktatur eines exzentrischen Alleinherrschers, sondern durch einen Staat, der den Anspruch erhebt, eine Demokratie zu sein, und das für eine kleine Minderheit seiner Bürger ja auch wirklich ist.
Da werden Demonstranten gejagt, auf sie wird scharf geschossen, und zahlreiche Todesopfer solcher Polizeieingriffe haben die Einschußwunden auf dem Rücken. In großer Zahl werden Menschen ohne Begründung festgenommen, ohne Gerichtsurteil festgehalten. Viele tausend Kinder sind in noch nicht einmal zwei Jahren darunter gewesen; viele sind immer noch in Haft. In der Haft wird geprügelt, gefoltert. Mit Folter schafft man Beweise. Beweise führen zu Verurteilungen und, wie wir hören, immer wieder zu Hinrichtungen. Es kommt auch in der Haft zur Tötung von Häftlingen. Und das nun nicht in einer Gesellschaft, die sich der Ruchlosigkeit verschrieben hat, sondern unter einer herrschenden Schicht, die sich der christlichen Botschaft verpflichtet weiß und die die entwürdigende Behandlung der Mehrheit sogar theologisch begründen läßt.
Daß wir an diesen Zuständen, an diesem menschlichen Leid und diesem unmenschlichen Unrecht nicht achtlos vorbeigehen dürfen, leuchtet auch ohne weitere Gründe ein. Es gibt sie aber, diese weiteren Gründe; denn unser Land unterhält intensive wirtschaftliche Beziehungen zu Südafrika, erlaubte und leider auch unerlaubte, wie wir heute bei der Erwähnung und Darstellung der Probleme des U-Boot-Ausschusses noch einmal sehen mußten. Viele Deutsche leben dort als Nutznießer des Systems. Es gibt kirchliche Beziehungen, die noch ins vorige Jahrhundert zurückreichen, und es gibt auch vielfältige politische Verbindungen.
Wer trotz all dem zu Unrecht und Verbrechen schweigt, ja, sogar eine Politik, auch eine Wirtschaftspolitik, fortsetzt, die das Unrecht stärkt, enthält sich nicht der Stimme, er fördert die Täter und macht sich mitschuldig.
Er macht sich mitschuldig daran, daß die Demokratie westlichen Musters in ihrem Ansehen bei den Völkern der Dritten Welt herabgesetzt wird. Nicht als hilfreiche Einrichtung zur Entfaltung der Freiheit und zum Schutz der Menschenwürde wird die südafrikanische „Demokratie" von der Mehrheit im eigenen Land und von den Nachbarvölkern erfahren, sondern als Unterdrückungssystem, das die demokratischen Rechte und Freiheiten verhindert. Das fordert uns heraus, und für viele in unserem Land ist die Provokation dadurch besonders bitter, daß sich die südafrikanische Verfassung ausdrücklich auf den allmächtigen Gott beruft.
Es ist in dieser Debatte schon gesagt worden, wie abwegig es ist, diese Politik auch noch mit der Ab-
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Dr. Schmude
wehr des Kommunismus zu rechtfertigen. Sie betreibt nämlich das Gegenteil.
Der südafrikanische Präsident Botha schätzt es ja, dieses Hilfsargument zu verwenden, und er hat letztens auch gesagt, er verbitte sich jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes. So hat er es dem SPD-Vorsitzenden Willy Brandt gegenüber erklärt, als dieser ihn auf Menschenrechtsverletzungen und undemokratische Zustände ansprach. Das ist ja nicht nur eine schlechte Verteidigung gegen den Vorwurf der Menschenrechtsverletzungen; es ist ein qualifiziertes Geständnis. Wo Menschen gequält und verfolgt werden, gilt gegenüber schützender Fürsprache das Argument der Einmischung nicht. Wer will, mag den Vorgang bestreiten und zur Nachprüfung stellen, er mag vielleicht auch für eine andere Bewertung eintreten; statt dessen aber die Kritik als angebliche Einmischung zurückzuweisen heißt, sich die Befugnis zur Menschenrechtsverletzung dreist und offen selbst zuzubilligen.
Da sagen uns Fürsprecher der südafrikanischen Regierung — und auch Herr Bötsch hat uns das heute wieder erklärt — , es habe doch aber Reformen gegeben und gebe sie noch. Gewiß hat es Verbesserungen gegeben, z. B. im Staatsbürgerschaftsrecht. Die genaue Betrachtung freilich, Herr Kollege, zeigt, daß der Rechtsanspruch auf Verleihung und Wiederverleihung der Staatsangehörigkeit für die meisten in Südafrika lebenden Schwarzen unerreichbar ist. Gezielt sind die Voraussetzungen so gestaltet worden. Ähnlich sieht es mit dem Paßgesetz und mit dem Anspruch auf den für alle gleichen Paß aus.
Die eigentlichen Härten und Schärfen der Apartheid werden durch solche Reformen ohnehin nicht gemildert. Rechtlosigkeit im politischen Leben sowie Benachteiligung und Unterdrückung in Wirtschaft und Arbeit bleiben für die Schwarzen unverändert bestehen. Bestätigt wird die Richtigkeit ihrer Forderung, man könne die Apartheid nicht reformieren, man müsse sie abschaffen. Wir machen uns diese Forderung zu eigen.
Es ist schon Anlaß zur Scham, wenn namhafte Politiker unseres Landes — ich nenne ausdrücklich den bayerischen Ministerpräsidenten Strauß — der politischen Gleichberechtigung der Schwarzen in Südafrika offen widersprechen.
— Entschuldigung, wer ist es, der nicht müde wird, öffentlich zu erklären „One man, one vote, das ist eine irrsinnige und abwegige Formulierung", wer ist das?
Das ist eben der, von dem ich hier rede: Herr Strauß.
Es führt in die Irre, wenn zur Begründung auf Gewaltanwendung durch Schwarze und unter Schwarzen hingewiesen wird. Gewiß hat es bei den Auseinandersetzungen unter Schwarzen bis in die letzten Tage abscheuliche Verbrechen gegeben, und zwar vor allem da, wo sich Wut, Verbitterung und Orientierungslosigkeit durchgesetzt haben und auch der Afrikanische Nationalkongreß keinen Einfluß mehr ausüben konnte. Aber es ist die weiße Regierung, die Verantwortung und Schuld auf sich geladen hat, indem sie unzählige schwarze Jugendliche in hoffnungslosem Elend leben läßt und ihnen statt einer angemessenen Ausbildung die Erfahrung gewalttätiger Verfolgung, Verhaftung und auch der Folterung durch die Sicherheitsorgane vermittelt.
Sehr geehrte Damen und Herren, es wäre ein selbstverständliches Gebot der Vernunft, in einer solchen Situation eine Lösung darin zu suchen, daß verantwortungsbewußte und zur Vermittlung des friedlichen Ausgleichs befähigte Vertreter der schwarzen Mehrheit gestärkt und ermutigt werden. Es gibt sie ja in großer Zahl, vor allem in den Kirchen und Gewerkschaften. Aber die Chance zum friedlichen Wandel, die damit der südafrikanischen Regierung immer noch geboten ist, wird von dieser mit besonderem Nachdruck ausgeschlagen. Gerade die vernünftigen Kräfte werden verfolgt, schikaniert, bedrängt und geschwächt. Wir haben heute wieder von zusätzlichen Verhaftungen dieser Art gehört. Statt maßvolle Führung zum friedlichen Wandel hin wahrnehmen zu können, stehen diese Kräfte vor ihren schwarzen Mitbürgern als Erfolglose da, von denen Hilfe nicht zu erwarten ist. Also bevorzugen viele gleich radikaleres Vorgehen und Gewalttätigkeit.
Gut kann es auf diesem Weg in Südafrika nicht ausgehen. Ein katastrophaler und blutiger Bürgerkrieg mag sich durch weitere Unterdrückungsherrschaft noch eine Weile aufschieben lassen, aber er wird durch sie zugleich immer wahrscheinlicher. Den drohenden Schrecken dürfen wir nicht erst Wirklichkeit werden lassen, um dann zu erleben, wie er auch uns betrifft und erschüttert.
Heute sind wir aufgefordert, mit aller Entschiedenheit unsere Stimme zu erheben und ebenso durch unser Handeln für die unterdrückten Menschen in Südafrika und gegen das Unrecht aufzutreten. Das erfordert deutliche Worte, wie wir Sozialdemokraten sie in unserem Antrag gebrauchen, wie wir sie hier auch von Politikern der FDP gehört haben. Aber dabei ist uns aufgefallen: Die ablehnenden Reaktionen, Herr Staatsminister, auf Ihre Rede gab es nicht bei der Opposition; die gab es in den Reihen der Regierungskoalition. Dort hat sich zum Teil kein Beifall gerührt.
Ich glaube, ich irre mich nicht darin, daß Sie eine undeutliche Sprache pflegen. Das gilt übrigens, Herr
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Dr. Schmude
Kollege Bötsch, heute auch wieder für Sie. Die Verhältnisse in Südafrika seien nicht zufriedenstellend, haben Sie uns mitgeteilt.
Wissen Sie, das erinnert mich an das Wort eines anderen Herrn aus Ihren Reihen, der meinte, es seien unfeine Methoden in Chile angewendet worden. Machen Sie nur so weiter, aber beanspruchen Sie keine Glaubwürdigkeit!
Es müssen wirtschaftliche und politische Maßnahmen folgen, Maßnahmen, die die Gegner der und Kämpfer gegen die Apartheid ermutigen und nicht, wie in der Fortsetzung der jetzigen Praxis liegend, entmutigen.
Diejenigen, die ihre Ruhe und das Thema vom Tisch haben wollen, täuschen sich. So fest man hier die Ohren auch verschließen mag, die südafrikanische Führung sorgt durch ihre Unterdrückungspraktiken dafür, daß der Skandal unüberhörbar bleibt. Der Aufgabe, die uns damit gestellt ist, können und dürfen wir uns nicht entziehen.
— Tut mir leid, ich bin fertig.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hornhues.
— Wir benutzen eigentlich nur den Doktortitel.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schmude, wenn Sie vieles von dem, was Sie gerade mit Schärfe angesprochen haben, in der Zeit, als Sie selber Regierungsverantwortung trugen, nur ein Stückchen weit versucht hätten in konkrete Politik umzuwandeln, vielleicht wäre dann das eine oder andere schon auf den Weg gebracht worden.
— Ich will Ihnen eines sagen, Herr Lippelt. Es ist schon eine Geschichte — insoweit haben Sie recht — , wenn man die Dinge, wenn man der Verantwortung ledig ist, plötzlich mit neuer Schärfe erkennen kann und, wenn man in Verantwortung wieder sein sollte, vielleicht wieder anders sehen muß.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in wiederholten Anmerkungen ist hier immer wieder suggeriert und Zweifel über die Position der CDU/CSU zur Apartheid gehegt worden. Deshalb lassen Sie mich zum wiederholten Mal und erneut feststellen: Die CDU/CSU lehnt die Apartheid entschieden ab,
weil sie mit ihren eigenen Wertvorstellungen unvereinbar ist und elementaren freiheitlich-demokratischen Wertvorstellungen widerspricht.
Zweitens. Wir stimmen dem Bundeskanzler zu, der hier im Bundestag am 25. September 1986 erklärt hat, daß der jetzige Zustand in Südafrika unhaltbar ist.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt die Bundesregierung in ihrem Bestreben, in Südafrika einen schnellen und friedlichen Wandel zu einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung zu begünstigen, die von der Zustimmung aller Südafrikaner getragen wird und in der alle Südafrikaner einen gerechten Anteil an der Gestaltung der Geschicke ihres Landes haben. Es geht um die Überwindung der Apartheid. Wir stimmen dem Bundeskanzler zu, der vor gut Jahresfrist in derselben von mir gerade schon zitierten Rede mit Blick auf die Situation in Südafrika erklärt hat:
... der seit Jahrzehnten schwelende Rassenkonflikt in der Republik Südafrika hat sich ... zusehends verschärft ... Gewalt und Gegengewalt haben ein neues Stadium der Eskalation erreicht . . Die Erfahrungen im Alltag der schwarzen Bevölkerung, der die elementarsten Menschen- und Bürgerrechte vorenthalten werden, führen zu immer mehr Enttäuschung, Verzweiflung und dann auch zur Radikalisierung.
So weit die Rede des Bundeskanzlers vor einem Jahr vor diesem Hause.
Ich muß feststellen, daß sich an dieser Beschreibung der Situation bis heute im Prinzip wenig geändert hat. Es trifft zu, daß nach außen hin manches ruhiger geworden ist. Aber es ist festzustellen, daß dies unter den hier schon skizzierten Bedingungen des Ausnahmezustands erzwungen ist. Zwar wurden weitere Reformschritte angekündigt, aber der entscheidende Durchbruch zu einer — wiederum Zitat Bundeskanzler Kohl — „fairen Teilhabe aller Südafrikaner an der politischen Willensbildung" wurde bisher nicht erreicht. Dies ist ganz grob skizziert die Situation.
In dieser Situation werden als Lösung der Probleme nun erneut — von den GRÜNEN, von Ihnen, Herr Verheugen — verschärfte Sanktionen als der Weg zur Überwindung der Apartheid propagiert. Ich gestehe zu, ich habe mich gefreut, daß Sie heute immerhin zugestanden haben, daß Ihnen das Wort „Sanktionen" nicht gefällt, daß Sie im Grunde keine Sanktionen meinen, aber es sind Sanktionen, die Sie vorschlagen, und zwar durchaus empfindlich treffende, wenn sie verhängt würden, und daß Sie — das ist sehr wichtig — selber Zweifel haben, welche Wirksamkeit sie denn haben können. Ich hoffe, daß Sie wenigstens insoweit Abschied von der oft suggerierten Allheilwirkung Abschied nehmen, die man von Sanktionen erwartet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Unterstellung, die hier in verschiedenen Debattenbeiträgen immer wieder deutlich wurde, war — dagegen möchte ich mit Entschiedenheit zur Wehr setzen — : Wer für Sanktionen ist, ist moralisch gut, und wer gegen Sank-
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Dr. Hornhues
tionen ist, ist ein Kollaborateur des Rassismus in Südafrika. —
So einfach ist es nicht, und vor allen Dingen ist es falsch.
— Sie haben es suggeriert. — Wir verwahren uns gegen dieses Spiel. Offenbar geht es weniger um die Lösung der Probleme selbst, als manchmal — so habe ich den Eindruck — darum, wie man in bestimmten Kreisen bei uns innenpolitische Punkte gewinnen kann. Wenn dieses Spiel so weitergeht, kann ich es nur zutiefst bedauern.
Ich gestehe zu, Herr Kollege Verheugen, daß sich Ihre Rede heute insoweit von Ihren alten Reden ein Stück abhob, da Sie dies nicht mehr mit der bisherigen Deutlichkeit angesprochen haben. Im Kern geht es um die Frage: Kann man mit Sanktionen tatsächlich zu einem schnellen Wandel beitragen?
Gestern ist mir eine Studie des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Berlin zur Sanktionsfrage auf den Tisch gekommen. Im Vorwort dieser Studie heißt es: „Der Autor dieser Studie hält Sanktionen als letztes Druckmittel für die Einleitung eines evolutionären Wandels in Südafrika für notwendig." Der Autor Peter P. Waller stellt dann in dieser Studie auf Seite 7 fest: „Unbestritten ist, daß sich Sanktionen vor allem zu Lasten der schwarzen Bevölkerungsmehrheit auswirken werden und zu einer wesentlichen Verschärfung der internen Unruhen führen werden." An anderer Stelle stellt er fest: „Eine Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen mit der Republik Südafrika
— Stichwort Gegensanktionen — hätte für Simbabwe, Sambia, Malawi, Mosambik katastrophale Folgen und würde zu einem völligen Zusammenbruch der Wirtschaft dieser Länder führen."
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer Sanktionen fordert, sollte all denjenigen, denen er versucht deutlich zu machen, daß dies ein guter, ein richtiger Weg, ein edler Weg sei, deutlich aufzeigen, welche Auswirkungen diese Sanktionen im funktionierenden Falle hätten; denn er trägt für diese Auswirkungen die entsprechende Verantwortung. Deswegen ist es bei aller Kritik am System Südafrikas nicht zulässig, einfach zu sagen: Der Weg mit den Sanktionen ist genau richtig, weil er so schön einfach zu sein scheint. Sanktionen würden — davon bin ich zutiefst überzeugt — das weitere Versinken des gesamten Subkontinents in Blut und Chaos bedeuten. Wer glaubt, diesen einfachen Weg gehen zu müssen, lädt gewaltige Verantwortung und Schuld auf sich.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Verheugen?
Nein.
Herr Kollege Verheugen, Sie haben sich in Ihrer Rede erneut auf die schwarzen Führer berufen, die dies forderten. Mir ist bekannt, daß eine ganze Fülle von sehr namhaften Persönlichkeiten, die ich persönlich kenne und auch schätze, dies fordern. Mir ist genauso bekannt, daß es gegenteilige Aussagen gibt, und ich bin nicht bereit, hinzunehmen, daß derjenige, der eine schwarze Hautfarbe hat und sich gegen Sanktionen ausspricht, gemeinhin, wie dies häufig geschieht, als Kollaborateur Südafrikas diffamiert wird.
— Ich habe auch nicht behauptet, daß Sie das gesagt haben. Beziehen Sie doch nicht alles auf sich! Es haben sich auch noch andere Redner zu dem Thema geäußert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt namhafte und qualifizierte Untersuchungen, die man nicht einfach wegwischen kann, die eines deutlich machen: Je härter die Befragten selber wirklich von Sanktionen betroffen würden, wenn sie selber in den Industriebereichen arbeiten, wo die Arbeitsplätze wegfallen würden, um so heftiger wird die Ablehnung von Sanktionen. Verantwortliche Politik kann es sich nicht so einfach machen, zu sagen: Die wollen dies ja.
Für uns bedeutet dies: Sanktionspolitik kann und wird nicht unsere Politik sein. Darum lehnen wir die in den Anträgen zum Ausdruck kommende weitere Verschärfung von Sanktionen ab. Es ist — davon sind wir zutiefst überzeugt — der falsche Weg. Der Bundeskanzler hat hier im vergangenen Jahr für die Bundesregierung deutlich gemacht, daß die Schritte, die in der EG unternommen wurden, von ihm nicht gerade mit heißem Herzen getragen wurden, aber sie wurden aus Solidarität getragen, um eine Politik möglich zu machen.
Wir sind der Überzeugung, daß die Möglichkeiten eines konkreten politischen Engagements zur Lösung der Probleme in Südafrika und im südlichen Afrika insgesamt noch längst nicht ausgeschöpft sind. Wir haben die Möglichkeiten des Einwirkens bisher
— ich glaube, da sollten wir uns einig sein — nur höchst unzulänglich genutzt. Eine gelegentliche Reise, eine gelegentliche Debatte, ein gelegentlicher Zeitungsartikel, dies kann ja wohl nicht mit konkretem politischen Engagement verwechselt werden. Der Kernpunkt des Bemühens muß darauf gerichtet sein, endlich die Regierenden in Südafrika mit den Vertretern der schwarzen Bevölkerungsmehrheit an den Verhandlungstisch zu bringen. Es sind hier die Vorschläge des südafrikanischen Präsidenten angesprochen worden, einen Nationalrat zu schaffen, in dem erstmals auch gewählte schwarze Vertreter Mitglied sein sollen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das kann man einfach wegwischen und als Scheinansatz und ähnliches bezeichnen. Man kann auch die Probe aufs
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Dr. Hornhues
Exempel machen. Allerdings wird ein solcher Weg nur erfolgreich sein können, wenn die südafrikanische Regierung dazu im Vorfeld Bedingungen erfüllt, Vorbedingungen schafft, die hier schon genannt worden sind und die — Herr Kollege Verheugen, Sie hätten es vielleicht dazusagen sollen — immer wieder auch von dem oft kritisierten Chef der Inkartha, Gatsha Buthelezi, gefordert worden sind. Sie meinen die Freilassung Nelson Mandelas und aller politischen Gefangenen insgesamt. Sie meinen die Aufhebung der Verbannung und des Verbots bestimmter politischer Organisationen wie des ANC, die Aufhebung des Ausnahmezustandes, um nur die wichtigsten Forderungen zu nennen.
Wichtig ist dies als Voraussetzung für Verhandlungen — da stimme ich allen zu, die diese Forderung erheben — , weil es den Schwarzen nicht zugemutet werden kann, symbolisch gesprochen, mit einem Gewehr im Rücken am Verhandlungstisch Platz zu nehmen.
Die Bundesregierung und insbesondere auch der Bundeskanzler haben sich diese Forderung zu eigen gemacht und auch die Forderung nach dem generellen Gewaltverzicht gestellt, die sich dann allerdings auch an den ANC richtet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Punkte nehmend, so ergibt sich hier, wie ich glaube, eine Fülle von Möglichkeiten zu einem konstruktiven Ansatz für eine konstruktive Politik, die mühselig ist, die nicht von heute auf morgen schnelle Erfolge bringen wird, die aber erfolgreich sein wird, weil, wenn wir bereit sind, den Dialog auf allen Ebenen zu führen, uns nicht abzuschotten und andere nicht zu isolieren, die Erkenntnis auch im weißen Südafrika wachsen wird, daß es Zukunft für die Weißen in ihrem Land nur in dem Zusammenwirken mit den schwarzen Bürgern Südafrikas geben kann. Auf diesen Punkt, auf die wachsende Einsicht, so zäh der Weg dahin sein mag, setzen wir und nicht auf Sanktionen, die — das können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen, lieber Herr Kollege Verheugen — letztendlich doch als Bestrafung oder ähnliches mehr empfunden werden müssen.
Zu dem, was wir tun können, meine sehr geehrten Damen und Herren, gehört vielleicht auch mehr, als daß wir hier darüber diskutieren, daß wir uns bemühen — dazu haben wir auch als Abgeordnete Chancen — , Personen zusammenzuführen, die es bis heute abgelehnt haben, miteinander zu sprechen, so daß wir, wenn der Gedanke des Hearings einmal wieder Fortsetzung findet, vielleicht das Kunststück schaffen könnten, zu einem solchen Termin Personen zusammenzubringen, die bisher nicht zusammenkommen konnten oder wollten, ein Hearing, an dem Vertreter des ANC und Herr Buthelezi teilnehmen werden, ein Hearing, an dem Vertreter der internen Partei Namibias, der DTA, und der SWAPO teilnehmen werden. Um dies hinzubekommen, bedarf es — das weiß jeder, der sich näher damit beschäftigt — gewaltiger Anstrengungen.
Wir haben eine Fülle von Kreuz- und Querbeziehungen. Wir könnten sie auch einmal gemeinsam nutzen, anstatt hier nutzlose Debatten über Sanktionen zu führen,
die letztlich nur den Eindruck erwecken sollen, wir hätten wirklich etwas getan, für das wir letztlich kaum einen Preis zahlen müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, von daher begrüßen wir mit allem Nachdruck das verstärkte Bemühen der Bundesregierung gerade in den letzten anderthalb Jahren, sich nicht nur verbal, sondern auf einer Fülle von Ebenen zu bemühen, sich gerade für das Zustandekommen dieses Dialoges, für das Zustandekommen einer Verhandlungsrunde, an der alle teilnehmen können, zu engagieren. Dem dient vieles, was die Bundesregierung eingeleitet hat inklusive der Verstärkung des Sonderprogrammes „Südafrika", dem haben gedient und werden künftig dienen die Reisen ins südliche Afrika, die vorgenommen worden sind.
Meine sehr geehrten Damen, lassen Sie mich nur dies sagen: Wenn man in Mosambik vielleicht mehr darauf setzt, daß ein bayerischer Ministerpräsident diesem Land in der Not helfen könnte, dann will ich sagen: Überlegen Sie es sich noch zweimal, ob Sie dies kritisieren wollen oder ob es nicht ein sinnvoller Schritt ist, jede Chance zu nutzen, die man ergreifen und bekommen kann, um für die Menschen in Südafrika wirklich zu einem endlich befriedigenden Ergebnis zu kommen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Hornhues, vieles von dem, was Sie zu der Wirksamkeit von Sanktionen gesagt haben, wäre glaubwürdiger zu diskutieren, wenn jedenfalls dort, wo Sanktionen beschlossen und bindendes Recht sind, Verstöße gegen sie unnachsichtig aufgeklärt und geahndet würden.
Das ist der Grund, weshalb ich einige Worte zu einem Satz in dem Antrag der SPD-Fraktion sagen muß, in dem es heißt:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ... Verstöße gegen das Rüstungsembargo der Vereinten Nationen aufzuklären.
Eine solche Aufforderung ist notwendig.
Seit 1978 gibt es das Rüstungsembargo der UNO, nach dem die Lieferung von Kriegswaffen, von Rüstungsgütern und -unterlagen sowie von Lizenzen an die Republik Südafrika verboten ist. Das ist bindendes Völkerrecht, das ist umgesetzt in das innerdeutsche Recht. Ausnahmegenehmigungen können von der Bundesregierung nicht erteilt werden, und Verstöße sind zu bestrafen.
Jetzt stelle ich nur ein paar Fakten einander gegenüber; ich werte sie zunächst nicht:
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Gansel
Im Juni 1984, als der südafrikanische Premierminister Botha Bundeskanzler Kohl besuchte, wurde zur Illustration eines eisigen Empfangsklimas das Sofa, auf dem sich die Staatsgäste sonst mit dem Bundeskanzler abbilden lassen, aus dem Bundeskanzleramt herausgetragen.
Im Empfangszimmer selbst, in das die Fernsehkameras und die Mikrophone nicht hineinkamen, erörterte dann Bundeskanzler Kohl mit dem Premierminister Botha die technische Zusammenarbeit bei dem Bau von U-Booten, angeblich für die südafrikanische Küstenverteidigung. Wir wissen heute, daß der Bundeskanzler dem südafrikanischen Premierminister eine wohlwollende Prüfung der technischen Rüstungszusammenarbeit zugesichert hat. Er, Kohl, wolle sich selbst darum kümmern. Wir wissen, daß dann später auch wohlwollend geprüft wurde, ob man nicht gleich ganze U-Boote nach Südafrika liefern könne.
Im September 1984, am Tage, nachdem Bischof Tutu den Nobelpreis für seinen Kampf um Menschenrechte und für seinen Widerstand gegen das südafrikanische Rassistenregime erhielt, trafen sich bei Herrn Schreckenberger im Amtszimmer des Bundeskanzleramtes Firmenvertreter mit Vertretern der Bundesregierung, um darüber zu diskutieren, wie man ganze U-Boote oder das Know-how für den Bau von U-Booten nach Südafrika entgegen der geltenden Rechtslage exportieren könne.
Im November 1984, als in den ersten Wochen Hunderte dem Terror der südafrikanischen Polizei zum Opfer gefallen waren, gab es nicht nur ein vornehmes Kolleg der Hanns-Seidel-Stiftung mit dem südafrikanischen Außenminister in München — und Herrn Strauß sollte ein Orden überreicht werden — , nein, da wurden die ersten Pläne im Gepäck eines Kuriers der südafrikanischen Botschaft schwarz über die Grenze gebracht, von westdeutschen Rüstungsfirmen an Rüstungsfirmen in Südafrika.
Als im Juni 1985 Südafrika auf dem Wege zum Ausnahmezustand war, kamen Vertreter der Rüstungsindustrie zum Bundeswirtschaftsminister Bangemann, um seine Mithilfe zu erbitten bei dem Export der Teile des Rüstungsgeschäftes, die zu groß waren, um im Diplomatengepäck abgewickelt werden zu können.
Im Juli 1985, als in Südafrika auf den Straßen Hunderte verprügelt und viele ermordet wurden, als über zusätzliche internationale Sanktionen debattiert wurde, war dem Bundeswirtschaftsminister bekannt, daß entgegen dem Rüstungsembargo Unterlagen nach Südafrika geliefert worden waren. Da hatte Wirtschaftsminister Bangemann die Firmenvertreter zwar verwarnt, aber er hatte nichts getan, um weitere Lieferungen effektiv zu verhindern. Deshalb wurde am Tag nach dem Gespräch mit Wirtschaftsminister Bangemann noch einmal Rüstungsmaterial im Diplomatengepäck außer Landes gebracht, übrigens gegen
Quittung. Der Herr Schäfer, der vorhin so hehre Töne gewählt,
als Vertreter der Bundesregierung von sich gegeben hat, hatte immerhin noch am 19. Juni 1986 als einfacher Abgeordneter hier im Bundestag den Mut, zu sagen: „Schließlich, meine Damen und Herren, sollten wir weiß Gott auch endlich einmal den südafrikanischen Militärattaché aus diesem Lande verweisen; denn wir haben ja nun wirklich keine militärischen Beziehungen." „Beifall" verzeichnet da das Protokoll.
Da wußten Sie nicht, Herr Schäfer, daß der Kurier der südafrikanischen Botschaft Rüstungspläne in Empfang genommen hatte. Aber heute wissen Sie das. Und bis heute haben Sie nicht den Mut und die Kraft gehabt, diesen Angehörigen der südafrikanischen Botschaft außer Landes zu schicken, diesen Mann, der gegen Quittung Rüstungsunterlagen in Empfang genommen hat. Er treibt hier noch immer sein Unwesen. Sie haben noch nicht mal ihm gegenüber tätig werden können.
Als dieses Gespräch bei Herrn Bangemann stattfand
und als die ersten Untersuchungen noch behördenintern begonnen wurden, äußerte sich Herr Strauß — ich zitiere aus dem „Spiegel" ; und das ist nie dementiert worden — zu dem Problem so:
Gensehers Afrikapolitik, so sagt Strauß bei jeder Gelegenheit, strotze vor Dilettantismus und rühre in den Primitivformeln. Der neue Entspannungspolitiker Genscher solle endlich mit dem substanzlosen Geschwafel aus UNO-Resolutionen aufhören.
Wer so über die Vereinten Nationen redet, wer so über mandatorische, völkerrechtlich verpflichtende Beschlüsse redet, hat keinen Respekt vor Völkerrecht, vielleicht auch keinen Respekt vor Menschenrechten, hat jedenfalls nicht den Willen, Verstößen nachzugehen, an deren Vorbereitung — —
— Sie wollen eine Zwischenfrage stellen?
Herr Abgeordneter, Sie möchten eine Frage stellen. Sie lassen sie zu, Herr Abgeordneter Gansel?
Ja. Bitte.
Herr Kollege Gansel, ist Ihnen nicht bekannt, daß der besagte südafrikanische Militärattaché bereits seit einem Jahr nicht mehr in der Bundesrepublik akkreditiert ist
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3365
Schäfer
bzw. anwesend ist?
Herr Schäfer, ich hatte einen Briefwechsel mit Ihnen nach einer Fragestunde hier im Deutschen Bundestag vor der Sommerpause. Ich hatte Sie gefragt, aus welchen Gründen Herr Steenkamp, der als Kurier der südafrikanischen Botschaft gegen Quittung die Mikrofilme bei IKL Lübeck über den Bau von U-Booten im Empfang genommen hat, noch immer nicht außer Landes gewiesen worden sei. Und Sie haben mir darauf schriftlich geantwortet, Sie seien zur Zeit nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen, weil die südafrikanische Botschaft entsprechende Briefe nicht beantwortet habe. Stimmt das, oder stimmt das nicht?
— Ja, bitte.
Sie gestatten noch eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Gansel, es ist schwierig, jetzt eine Antwort in Frageform zu geben. Aber ich versuche es trotzdem. Ist Ihnen nicht bekannt, daß meine damalige Antwort im Zusammenhang mit Ihrer Behauptung stand, Sie wüßten, wer von der südafrikanischen Botschaft mit Kurierpost diese Dokumente — — Und ich habe Ihnen damals sagen müssen: Wir wissen es nicht, weil die südafrikanische Botschaft uns keine Auskunft gegeben hat, also für uns nicht feststeht, wer das möglicherweise im Kuriergepäck nach Südafrika gebracht hat. Das war der Sachverhalt, Herr Kollege.
Sehen Sie, Herr Schäfer, das ist der Skandal.
Weil bisher nur die Oberfinanzdirektion Kiel ermittelt hat, weil bis heute weder eine Staatsanwaltschaft noch ein Gericht
und noch nicht einmal die Oberfinanzdirektion Kiel die Firmenakten eingesehen hat,
Firmenakten, die aber wir eingesehen haben, deshalb gibt es nur ein Dutzend Bundestagsabgeordnete,
— Frau Präsidentin! —
deshalb gibt es in diesem Bundestag ein Dutzend Abgeordnete, die die internen Firmenakten gesehen haben, die sich zur Zeit auch beim Untersuchungsausschuß zu Teilen befinden,
die die Quittung von Herrn Steenkamp enthalten, noch am 19. Juni, einen Tag nach dem Gespräch mit Herrn Bangemann,
Unterlagen bei IKL Lübeck für den U-Boot-Bau empfangen zu haben.
Und nun sage ich Ihnen, Herr Schäfer: Der Vertreter des Außenministeriums, des Wirtschaftsministeriums, des Finanzministeriums nimmt an jeder Sitzung des Ausschusses teil. Die Bundesregierung weiß es, sie kennt den Namen und tut nichts. Und Sie stellen sich hier dumm. Das wirft ein Schlaglicht auf die Glaubwürdigkeit Ihrer Südafrikapolitik.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Verheugen?
Bitte sehr.
— Ich habe sie beantwortet.
Herr Kollege Gansel — —
Meine Damen und Herren, einen Augenblick! — Der Redner hat seine Frage so beantwortet, wie er es für richtig hält. Da gibt es keine andere Möglichkeit.
Herr Kollege Gansel, würden Sie sich in der Lage sehen, den Deutschen Bundestag darüber aufzuklären, daß in dem derzeit gültigen Verzeichnis der in Bonn akkreditierten Diplomaten nach wie vor ein südafrikanischer Militärattaché aufgeführt ist, können Sie das bestätigen?
Herr Kollege Verheugen, es ist nicht nur ein Militärattaché aufgeführt, sondern es ist nach wie vor bei der südafrikanischen Botschaft Herr Steenkamp tätig, dessen Unterschrift sich in den Akten des Untersuchungsausschusses auf der Quittung befindet, mit der bestätigt wird, daß in Lübeck Unter-
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Gansel
lagen über den Bau von U-Booten mehrfach in Empfang genommen worden sind. Dies finde ich einen Skandal:
daß bei der Bundesregierung ein Papier existiert, in dem davon die Rede ist, daß Unterlagen über den U-Boot-Bau in Mikrofilmen über die Grenze gebracht werden sollen und daß man weiß, wer es getan hat, und den Betreffenden in Bonn trotzdem unbehelligt weiterarbeiten läßt.
Frau Präsidentin, das hat hier — —
Also, meine Damen und Herren, einen Augenblick! — Das geht nun wirklich nicht, daß Sie hier von den Abgeordnetenbänken so massiv dazwischenrufen. Das ist zwar ganz lustig, aber das geht wirklich nicht.
Nein, das ist traurig. Entschuldigung, daß ich kritisiere, aber das ist nicht lustig.
Also, verehrter Herr Kollege, es ist wirklich ganz schwierig, es jedem recht zu machen. — Ich bitte darum, den Redner ausreden zu lassen. Er hat nur noch eine Minute
und dann kommen Sie dran, meine Damen und Herren.
Frau Präsidentin, ich habe vorhin nur einige Fakten einander gegenübergestellt. Jeder Zusammenhang im Sinne von Vorsätzlichkeit ist möglich, aber ich behaupte ihn nicht. Nur, diese einander gegenüberstehenden Fakten müssen doch einfach wehtun. Da muß man sich doch schämen, daß das alles möglich war. Da muß man sich doch schämen, daß es bis heute noch keine staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, noch keine Einsicht in Firmenakten, noch keine Strafe gibt.
Ich habe mich in meiner politischen Laufbahn selten so geschämt wie bei dem Studium dieser Firmenakten, wie bei dem Studium der Regierungsstellungnahmen, bei denen Seite für Seite deutlich wurde: Erst kommt das Geschäft, dann kommt eine ganze Zeit überhaupt nichts, dann kommen viele Argumente gegen Sanktionen, und dann kommen vielleicht auch Menschenrechte. Ich habe mich selten so geschämt!
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Bitte sehr.
Herr Kollege Gansel, wie können Sie die Behauptung, die Staatsanwaltschaft habe nichts getan,
angesichts der Tatsache aufrechterhalten, daß die Staatsanwaltschaft es nach Anlegung einer sogenannten Beobachtungsakte abgelehnt hat, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, weil ein hinreichender Tatverdacht nicht gegeben ist?
Kollege Bohl, die Staatsanwaltschaft hat bis heute keine Ermittlungsmaßnahme durchgeführt. Der Staatsanwaltschaft ist aber seit Anfang des Jahres bekannt, daß eine Verletzung z. B. des deutsch-indischen Geheimschutzabkommens möglich ist. Sie hat das Geheimschutzabkommen im Rahmen ihrer sich weiter ausdehnenden beobachtenden Tätigkeit überhaupt erst vor wenigen Wochen angefordert. Bis heute hat niemand Einsicht in die Akten der Unternehmen genommen außer der Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages. Bis heute ist deshalb keine Beschlagnahme bei den Firmen erfolgt, keine Durchsuchung, keine wirkliche Aufklärung, keine Ahndung.
Daß Vorschriften über Sanktionen verletzt werden, das kann vorkommen. Aber daß man Verletzungen passieren läßt, daß man Entschuldigungen dafür findet, daß man ihre Ahndung hinausschiebt,
das muß in der ganzen Welt den Eindruck erwecken, daß wir es mit den Beschlüssen der UNO und mit unserem Kampf für Menschenrechte in Südafrika nicht ernst nehmen.
Wollen Sie noch eine Zwischenfrage beantworten?
Bitte sehr.
Herr Kollege Gansel, Ihnen mag es ja unangenehm sein, daß es die Staatsanwaltschaften — nicht nur die Staatsanwaltschaft in Kiel, sondern auch die Staatsanwaltschaft in Karlsruhe — in Kenntnis des Sachverhalts ablehnen, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Aber wenn die Staatsanwaltschaften mangels eines hinreichenden Tatverdachts ein Ermittlungsverfahren nicht einleiten, wie können Sie dann den Vorwurf erheben, es werde nichts getan? Man kann doch keine Unschuldigen verfolgen!
Herr Bohl, die Generalbundesanwaltschaft hat im Januar die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens auf der Grundlage eines Gutachtens des Bundesverteidigungsministeriums abgelehnt. Dieses Gutachten ist uns inzwischen bekannt. Sie wissen, daß dieses Gutachten die Frage einer Verletzung des Geheimschutzabkommens mit Indien ausdrück-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3367
Gansel
lieh offenläßt. Sie wissen inzwischen auch, daß dem Generalbundesanwalt der Vertrag der Firmen mit Südafrika nicht vorgelegt worden ist.
Sie wissen auch, daß die Generalbundesanwaltschaft bis heute keinen Einblick in die Firmenakten nehmen konnte. Sie wissen aus eigener Lektüre, Herr Bohl, was dort an belastendem Material über die Firmen vorhanden ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wischnewski?
Bitte sehr.
Herr Kollege Gansel, könnten Sie den verehrten Kolleginnen und Kollegen mitteilen, wieviel Senatoren der Vereinigten Staaten gegen diese Vorgänge protestiert haben und welche wichtigen internationalen Institutionen gegen diese Vorgänge sind?
Herr Kollege Wischnewski, das ist deshalb eine wichtige Frage, weil die Bundesregierung im November 1986 auf der Grundlage eines Berichts der Oberfinanzdirektion Kiel staatsanwaltschaftliche Ermittlungen mit dem Hinweis abgelehnt hat, die internationalen Beziehungen der Bundesrepublik seien nicht erheblich gestört. Das konnten sie zu diesem Zeitpunkt ja auch nicht sein, weil die Bundesregierung es geschafft hatte, das Verfahren ein Jahr lang geheimzuhalten. Jetzt aber ist es bekannt.
Ich habe hier eine fünfseitige Aufstellung vor mir, die vom 27. November bis zum April reicht. Auf jeder Seite stehen zehn Beschwerden von schwarzafrikanischen Staatschefs, Beschwerden der UNO, Beschwerden des indischen Außenministers, Beschwerden von 42 Senatoren in einem Brief an den Bundeskanzler. Und da behauptet diese Bundesregierung noch immer, die internationalen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland seien nicht erheblich gestört!
Was soll denn noch alles passieren, damit Sie sich bewegen?
Herr Abgeordneter, Sie haben jetzt noch fünf Sekunden.
— Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß. Lassen Sie bitte keine Zwischenfrage mehr zu.
Herr Kollege Gansel, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie deutschen Staatsanwälten Strafvereitelung vorwerfen, daß Sie Mitgliedern der Bundesregierung strafrechtliche Begünstigung vorwerfen?
— Es interessiert mich.
Herr Kollege, für mich war dieses sogenannte U-Boot-Projekt zuerst ein Rüstungsexportskandal; nachdem ich in die Zusammenhänge hineingeschaut habe, war es für mich ein Skandal der Südafrikapolitik dieser Bundesregierung.
Jetzt, nach über einem Jahr, ist es für mich auch ein Skandal geworden, wie und in welchem Tempo Verstöße gegen UNO-Resolutionen bei uns aufgeklärt und geahndet werden.
Alle anderen Konsequenzen können Sie selbst aus dieser Antwort ziehen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir schlagen keinen totalen Boykott vor, aber wir sind der Meinung, daß die Solidarität mit den Unterdrückten wichtiger ist als das Geschäft. Deshalb sind wir für abgestufte und gezielte Maßnahmen,
die das Regime in Südafrika so treffen können, daß es mehr Raum gibt für die Verwirklichung von Demokratie und Menschenrechten. Deshalb bitte ich um die Überweisung unseres Antrags an den Ausschuß.
Danke sehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine Tatsache, daß der Kollege Gansel den Untersuchungsausschuß als eine Art Lieblingsbeschäftigung ansieht — er spielt ja dort eher die Rolle des Ritters von der traurigen Gestalt —,
und weil er dort nichts bringt, was er gerne haben möchte, versucht er, hier ein neues Forum zu finden. Das ist doch der Hintergrund. Ich verwahre mich dagegen,
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Lowack
daß diese Debatte dazu benutzt wird, die Themen eines Untersuchungsausschusses, der noch vor der Beweisaufnahme steht, so darzustellen, als ob sie bewiesen wären, und damit der Debatte einen falschen Hintergrund zu geben.
Meine Damen und Herren, ich bitte jetzt wirklich um etwas Zurückhaltung. Das geht so nicht mehr weiter. — Bitte!
Sehr verehrte Kollegen, wer bei der außenpolitischen Bedeutung dieser Debatte in dieser Art und Weise Behauptungen aufstellt, die unwahr sind und überhaupt erst Gegenstand in einem Untersuchungsausschuß sind, der schädigt die Interessen der Bundesrepublik Deutschland. So können wir von diesem Podium aus nicht Politik machen. Dieser Verantwortung müßte sich der Kollege Gansel endlich einmal bewußt sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was hier passiert — und das ist mein Vorwurf an die sozialdemokratischen Kollegen, die hier gesprochen haben, und an die GRÜNEN — , ist zunächst eine grundsätzliche Desinformation darüber, was sich in Südafrika tatsächlich abspielt. Sie tragen mit dazu bei, daß die Menschen bei uns oft fälschlicherweise Zustände in einem Land annehmen, das sie gar nicht kennen, die Sie aber so darstellen, als ob sie bestünden.
Man kann Südafrika in seiner ganzen Struktur mit Deutschland und mit Europa nicht vergleichen. Man muß einfach anerkennen, daß andere Strukturen zu anderen Lösungen führen müssen. Wer das nicht einräumt, wer hier Illusionen weckt, ist mitverantwortlich für eine Kampagne, die nicht dazu beiträgt, daß den Schwarzen geholfen, sondern dazu beiträgt, daß ihnen geschadet wird.
Meine sehr verehrten Kollegen, ich habe manchmal den Eindruck, daß mit dieser Debatte und mit der Politik, die Sie machen, ideologische Spielchen auf dem Rücken der Schwarzen ausgetragen werden und daß nicht mehr der Wille im Hintergrund steht, den Schwarzen zu helfen. Sie tragen mit dazu bei, daß sich in Südafrika Gewalt durchsetzen kann.
Sie beklagen, daß dort Kinder gefangen gesetzt werden, Sie sagen aber nicht, daß man sie aufgefordert hat, gewalttätig zu werden; der ANC hat sie aufgefordert, gewalttätig zu werden. Sie sagen auch nicht, welche ideologische Unterstützung für den ANC von Europa ausgeht. Sie tragen Verantwortung dafür, daß der ANC das Gefühl hat, daß seine Politik Unterstützung aus Europa bekommt und deshalb nicht bereit ist zu irgendwelchen Kompromissen. Er hält deshalb an einer Ideologie fest, die ihn in Übereinstimmung mit Moskau Politik machen läßt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein kurzes Wort — es ist vorhin in der Debatte angesprochen worden — : Bophuthatswana. Ich wundere mich manchmal, wie dieses oder andere Länder in Südafrika, die eine Loslösung erreichen möchten, immer wieder auf Widerspruch bei uns stoßen. Hier sollte eine Chance, ein Spielraum für die zukünftige deutsche Afrikapolitik genutzt werden.
Sehr verehrter Herr Staatsminister Schäfer, ich habe eine Bitte. Wir haben ja insoweit Einigkeit erreicht. Ich bin der Auffassung, daß wir die Probleme, die das südliche Afrika hat, nicht immer aus Interventionen von Südafrika her ableiten dürfen. Damit vernebeln wir uns nur den Blick für die Realitäten und würden uns selbst von politischen Maßnahmen abhalten, die ich selbst für notwendig halte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wischnewski?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege, wären Sie so liebenswürdig, dem Hause mitzuteilen, wie viele Länder der Welt das von Ihnen genannte Land anerkannt haben?
Ich glaube, daran sollte nicht unbedingt eine politische Möglichkeit, die wir hätten, orientiert werden. Für mich ist es eine Frage des Erfolgs.
Wenn wir feststellen können, daß sich dort ein überwiegend von Schwarzen bewohntes Land mit einer Verfassung verwalten kann, die man akzeptieren kann, wenn dort der Wille zu einer eigenen staatlichen Ordnung gegeben ist, dann sollten wir eine solche Entwicklung fördern, sie zumindest in unsere politischen Überlegungen einbeziehen.
Bitte schön,
Herr Kollege, ich habe nur danach gefragt, wie viele Länder der Welt dieses Land anerkannt haben.
Sehr verehrter Herr Wischnewski, ich habe darauf geantwortet, daß es nicht darauf ankommt, wie viele Lander der Welt dieses Land anerkannt haben. Ich habe von politischen Möglichkeiten gesprochen, die davon nicht abhängen.
— Sehr verehrter Herr Wischnewski, ich habe gesagt: Und wenn es kein Land anerkannt hätte, käme es nicht darauf an, wenn wir eine gute politische Möglichkeit sehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, manchmal führen wir hier eine gespenstische Debatte.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3369
Lowack
Die beiden Anträge, die von den GRÜNEN und von der SPD eingebracht worden sind, sind doch im Grunde genommen von eimem unglaublichen Zynismus geprägt. Hier wird zu einem Verhalten aufgefordert, das in Südafrika zu Gewalt führt. Wir fördern damit nicht die notwendigen Reformen, sondern wir verhindern damit möglicherweise das, was in dem Land getan werden muß.
Ich sage eins: Ohne Geduld werden wir alle die Probleme, die es gibt, nicht lösen können. Ich bitte Sie, positiv dazu beizutragen, daß in dem Land eine Entwicklung stattfindet, bei der die Apartheid überwunden wird. Das ist aber nicht mit solchen abstrusen Anträgen möglich, wie Sie sie heute gestellt haben.
Danke.
Das Wort hat der Herr Staatsminister Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Gansel zwingen mich zu einer Erwiderung.
Erstens. In der Konsequenz dessen, was ich in dieser von Ihnen zitierten Rede gesagt habe, ist mitzuteilen: Es gibt Gott sei Dank seit einem Jahr keinen Militärattaché der Republik Südafrika mehr in der Bundesrepublik Deutschland. Der Bundesaußenminister hat damals klargemacht, daß er nicht bereit sei, eine Neuakkreditierung eines Militärattachés zuzulassen, wenn die Amtszeit des alten auslaufe. Die ist dann sehr oft verlängert worden; er war sehr viel länger hier, als das normalerweise bei Diplomaten üblich ist. Es gibt keinen solchen mehr.
Zweitens. Sie reden offensichtlich von jemand anderem, nämlich von einem, wie Sie behaupten, Kurier, einem Diplomaten, den Sie hier genannt haben. Herr Gansel, Ihre Erkenntnisse sind mir nicht zugänglich. Sie sagen, sie seien bei Ihnen im Panzerschrank. Ich habe keinen Einblick in Ihren Panzerschrank, um das deutlich zu machen. Ich bin auch nicht Mitglied des Untersuchungsausschusses, in dem möglicherweise mehr Informationen vorhanden sind, als sie uns zugänglich sind. Mir jedenfalls sind sie nicht zugänglich.
Ich darf also feststellen, daß der von Ihnen genannte Herr, der angeblich als Diplomat im Kuriergepäck solche Unterlagen nach Südafrika verbracht hat, nicht identisch ist mit dem Militärattaché. Hier liegt offensichtlich eine Verwechslung vor. Aber das wurde eben alles ein bißchen durcheinandergebracht.
Drittens. Wir hatten eine Debatte, in der es unterschiedliche Auffassungen gegeben hat — die gab es ja schon lange — über die Frage des Sinns oder des Unsinns von Sanktionen. Aber wenn Herr Gansel jetzt auch noch den Versuch unternimmt, so zu tun, als gäbe es eine von der Bundesregierung betriebene heimliche militärische Zusammenarbeit, dann muß ich das in aller Entschiedenheit für die Bundesregierung zurückweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.
Ein Wort zur persönlichen Erwiderung — ich kann das nach der Geschäftsordnung auch vom Saalmikrophon aus machen — : Herr Schäfer, ich nehme meine Behauptung zurück, daß an der südafrikanischen Botschaft zur Zeit ein Militärattaché tätig ist. Es tut mir leid, wenn ich Ihnen gegenüber daraus falsche Rückschlüsse gezogen habe. Für mich war maßgebend, daß diese Stelle noch in der Diplomatenliste steht.
Im übrigen ist es dann wohl so, daß Herr Steenkamp in anderer Funktion Kurier für den illegalen Rüstungsexport war. Ich bitte Sie, im Anschluß hieran mit mir in mein Büro zu kommen, damit ich Ihnen Einsicht geben kann in die Geheimakte. Nach der Verschlußsachenordnung des Bundestages bin ich dazu berechtigt. Ich bitte Sie, von meinem Angebot Gebrauch zu machen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der SPD zu Südafrika an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zu Südafrika auf Drucksache 11/187. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat beantragt, daß über ihren Antrag sofort abgestimmt wird. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP beantragen Überweisung des Antrages an dieselben Ausschüsse wie bei dem Antrag der Fraktion der SPD. Nach ständiger Übung geht die Überweisung der sofortigen Abstimmung vor.
Wer der Überweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Überweisung ist damit beschlossen. Damit kann auch dieser Antrag beraten werden.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 3 und Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
Aussprache über die schlechte Versorgungslage in Rumänien
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN
Versorgungslage in Rumänien — Drucksache 11/1489 —
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache 30 Minuten vorgesehen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Geiger.
3370 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Menschen in Rumänien geht es nun schon seit Jahren sehr schlecht. Von Winter zu Winter verschärft sich die Lage noch. Jetzt bereits im vierten Winter müssen die Bürger der Sozialistischen Republik Rumänien elend frieren und hungern, in den vergangenen Jahren allerdings relativ unbemerkt von der Weltöffentlichkeit. Erst am 15. November 1987 bei den Volksratswahlen, den rumänischen Kommunalwahlen, wurde die verzweifelte Situation, in der sich die Menschen in diesem Staat befinden, plötzlich deutlich. In Kronstadt stürmten aufgebrachte Arbeiter die Büros der Partei, des Bürgermeisters und legten Feuer. „Wir wollen Brot", riefen die Arbeiter und plünderten die Lebensmittellager, die sich Parteifunktionäre für die Wahlsiegesfeier angelegt hatten.
Wir Bundesbürger in unserem vorweihnachtlichfestlich illuminierten Land können uns kaum vorstellen, was es heute bedeutet, in Rumänien zu leben. Bereits seit 1981 sind die Grundnahrungsmittel Fleisch, Brot, Zucker und Speiseöl rationiert. Seit vier Jahren wird immer mehr elektrische Energie eingespart, in diesem Winter noch einmal zusätzlich 30 %. Die Raumtemperaturen dürfen in Privatwohnungen und Amtsstuben 12 Grad nicht überschreiten — und das bei den teilweise mehr als minus 30 Grad Außentemperatur des rumänischen Winters. In jeder Wohnung darf nur eine einzige 40-Watt-Birne ihr spärliches Licht verbreiten. Manchmal wird der Strom in ganzen Stadtvierteln ganz abgestellt, es wird sogar von Babys berichtet, die in den Brutkästen eines Bukarester Krankenhauses erfroren seien. Alte und kranke Menschen leiden auf unvorstellbare Weise.
Dazu kommt die katastrophale Lage in der medizinischen Versorgung. Es gibt fast keine Medikamente, nicht einmal mehr einfache Schmerzmittel. Die Ärzte stehen vor einer nahezu ausweglosen Situation bei der Ausübung ihres Berufs. Statt den Menschen helfen zu können, müssen sie ihnen sagen, daß sie zwar ihre Krankheit erkennen, daß sie aber nicht die Hilf s-mittel haben, die Krankheit zu bekämpfen. Das gilt sowohl für die Medikamente als auch für die primitivsten Mittel wie Spritzen, Kanülen, Pflaster, Salben und alle Verbandsstoffe, von den fehlenden ärztlichen Bestecken und Geräten ganz zu schweigen. Viele rumänische Ärzte sind am Ende ihrer Kräfte und haben ihren Beruf hassen gelernt. Die Ohnmacht, Krankheiten zu heilen, die zum großen Teil durch die Unterversorgung und durch den Vitaminmangel entstehen, macht ihnen schwer zu schaffen. Ein Landarzt berichtete, daß er seit Monaten kein Medikament gesehen hat.
Die Lebensmittelrationen erinnern uns an die schlimmsten Kriegs- und Nachkriegsjahre in unserem Land. Am Tag der Revolte in Kronstadt stand auf einer Mauer zu lesen: „Ob wir verhungern, erfrieren oder erschossen werden, das ist uns ganz egal. " Diejenigen Menschen, die von der Partei keine Extrarationen zugeteilt bekommen oder Pakete aus dem Westen erhalten, sind am Verzweifeln.
Meine Fraktion bekundet nachdrücklich ihr Mitgefühl und ihre Verbundenheit mit allen notleidenden Menschen in Rumänien, besonders auch mit den über 250 000 deutschen Landsleuten, die in Siebenbürgen, im Banat und im Sathmarer Siedlungsgebiet leben. Seit ich im Namen meiner Fraktion Hilfe für die Menschen in Rumänien gefordert habe, erreichen mich täglich viele Briefe mit teilweise erschütterndem Inhalt. Viele Leute bei uns sind glücklicherweise bereit, den Rumänen zu helfen. Viele haben schon schlechte Erfahrungen gemacht, lassen sich aber trotzdem nicht davon abbringen, Sendungen nach Rumänien zu schicken.
Die Nahrungsmittelpakete sind von der Bundesrepublik bis Rumänien oft eine lange Zeit unterwegs. Für einen Warenwert von ca. 20 DM muß noch einmal fast soviel Porto bezahlt werden und müssen noch einmal hohe Zölle entrichtet werden. Entweder müssen die rumänischen Bürger auf das Postamt gehen — dort werden die Pakete geöffnet — und müssen den Zoll zahlen, oder der Absender muß ihn bei uns hier gleich mitbezahlen.
Leider sind Lebensmittelpakete bisher fast der einzige Weg, wie vom Westen aus in Rumänien geholfen werden kann. Dazu braucht man jedoch Adressen. Wir kennen nicht von allen notleidenden Bürgern in Rumänien Namen und Anschrift.
Die rumänische Regierung leugnet bis heute schlicht die schlimme Lage und steht offenbar auf dem Standpunkt, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Lebensmittellieferungen aus der EG sind nach ihrer Meinung nicht notwendig, weil es keine Hungerkatastrophe in Rumänien gibt. Vermutlich will der rumänische Staat die desolate Lage nicht zur Kenntnis nehmen, weil das als eine Bankrotterklärung des Systems ausgelegt werden könnte. Das zu klären ist heute nicht unser Anliegen. Aber es gibt nach meiner Auffassung keine Entschuldigung dafür, die Bevölkerung weiter leiden zu lassen, wenn internationale Hilfe ohne Bedingungen und ohne alle Hintergedanken angeboten wird.
Ich weiß durch die große Resonanz auf unsere Aktion, daß es bei uns viele spendenwillige und hilfsbereite Menschen gibt. Deshalb heute mein Appell an die rumänische Regierung: Haben Sie Mitleid mit Ihren Bürgern. Lassen Sie Hilfe zu. Verzichten Sie auf hohe Zölle und Schikanen aller Art bei Hilfslieferungen. Ermöglichen Sie eine große konzertierte Hilfsaktion, so wie sie Anfang der 80er Jahre für die in Not geratenen Polen möglich war.
Ich bitte Außenminister Genscher, unseren Appell an die rumänische Regierung nächste Woche mit nach Rumänien zu nehmen und seinen ganzen Einfluß geltend zu machen, daß der Bevölkerung geholfen werden kann.
Ich bitte ferner die Bundesregierung in aller Dringlichkeit zu prüfen, welche Hilfsmaßnahmen sie in eigener Verantwortung der rumänischen Bevölkerung anbieten kann. Die Bundesregierung sollte außerdem nach Möglichkeiten suchen, wie die verschiedensten Hilfeaktionen der Landsmannschaften, des Roten Kreuzes, der Kirchen und vieler anderer Organisationen in geeigneter Weise koordiniert werden können. Ich bitte die Bundesregierung darüber hinaus, sich bei
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3371
Frau Geiger
der EG-Kommission für ein Soforthilfeprogramm einzusetzen, damit der notleidenden rumänischen Bevölkerung durch EG-Agrarüberschüsse geholfen werden kann.
Ich erinnere an dieser Stelle auch an meinen Appell an den Bundespostminister, zu überprüfen, ob eine Portobefreiung für die Päckchen und Pakete begrenzt auf diesen Winter möglich ist.
Nicht zuletzt appelliere ich an die Hilfsbereitschaft aller unserer Bürger, in diesem Winter so viele Päckchen und Pakete wie irgend möglich nach Rumänien zu schicken. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich, unseren Antrag zu unterstützen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Roland Schönfeld schreibt kürzlich in „Politik und Zeitgeschichte" :
Beschleunigter Aufbau einer möglichst kompletten Industriestruktur und ausgeprägte Distanzierung vom RGW als Instrumente einer betonten Autonomiepolitik erschwerten in den siebziger Jahren die Anpassung der rumänischen Volkswirtschaft an verschlechterte außenwirtschaftliche Rahmenbedingungen. Die Zahlungskrise 1981/82 war Anlaß einer rigorosen Austerity-politik zum raschen Abbau der Hartwährungsschulden, die nicht nur der Bevölkerung schwere Bürden auferlegt, sondern bei weitgehendem Verzicht auf westliche Investitionsgüter und Technologie die Modernisierung der rumänischen Wirtschaft in gefährlicher Weise beeinträchtigt.
Es heißt weiter an anderer Stelle in einem Bericht:
Der offensichtlich wachsende Unmut der Bevölkerung, ja, Anzeichen von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sind eine Folge der von der Regierung seit Anfang der 80er Jahre rigoros durchgeführten Politik.
Frau Kollegin Geiger hat darauf hingewiesen, daß es erhebliche Einschränkungen in Rumänien für die Bevölkerung gibt. Solche eben von mir zitierten Darstellungen, mehr oder weniger kurz oder prägnant, gibt es schon seit längerer Zeit. Und: Sie häufen sich, meine Damen und Herren. Ich will hier gar nicht näher auf Beiträge wie den von Wagner in „Die Zeit" vom 4. Dezember eingehen, der dort vom „Leben und Schreiben im real dahinvegetierenden rumänischen Sozialismus" spricht. Ansichten dieser Art sind offenbar auf internationaler Ebene zu finden. Bedeutender aber, meine Damen und Herren, sind für mich eigene Erkenntnisse und Berichte von Augenzeugen, nach denen die Versorgung der Menschen in Rumänien drastisch schlechter geworden ist. Dort müssen Kinder barfuß zur Schule gehen. Dort sind Grundnahrungsmittel in manchen Landstrichen nur schubweise und insgesamt ungenügend zu haben. Medikamente — es klang schon an — sind nur schwer erhältlich u. ä. mehr.
Auslösender Faktor für die Aktivitäten von Parlamentariern und vielen anderen Menschen bei uns waren nun allerdings die Unruhen in Kronstadt oder Brasov, wie es rumänisch heißt. Sie haben mehr als andere Ereignisse deutlich die Brisanz der Lage der Menschen aufgezeigt. Da nützen auch die Bagatellisierungsbemühungen von rumänischer Seite wenig, die darauf hinauslaufen, der internationalen Öffentlichkeit vorzugaukeln, daß die Unruhen lediglich aus betriebsinternen Gründen einer besonderen Lohnfindung oder ähnlichen Anlässen entstanden seien.
Wir wollen also helfen, und zwar wirksam. Damit werden wir nicht zugleich Freunde der Regieung Ceausescu. Es wäre aber sicher ein wenig mehr Verständnis für diese Regierung vorhanden, wenn sie eine solche Hilfe ermöglichen und erleichtern würde. Leider ist das bis heute nicht der Fall, im Gegenteil. Ich persönlich habe, von meinen Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Fraktion mit entsprechenden Hinweisen versehen, bei derartigen Überlegungen und Vorhaben selten eine derart störrische Haltung gespürt wie hier in dieser Zeit auf rumänischer Seite.
Dort meint man, klarmachen zu müssen, daß Rumänien in seiner Geschichte Hilfe von außen prinzipiell nur dann akzeptiert hat, wenn eine besondere Not durch Naturkatastrophen eingetreten war.
: Das Regime ist eine
Naturkatastrophe!)
Ich selbst erinnere mich sehr deutlich daran, wie eine Naturkatastrophe Anlaß für das Entstehen einer Partnerschaft zwischen einer deutschen Stadt, meiner Heimatstadt Wolfenbüttel, und einer rumänischen Stadt, Satu Mare, war. Dies ist ein guter Ansatz gewesen; das sollte man fortsetzen. Man sollte die einigermaßen Informierten nicht an der Nase herumführen, indem man ein rosarotes Bild der inneren Situation des Landes zeichnet.
Meine Damen und Herren, noch schwerer wiegt jedoch für die SPD und mich, daß die heutige Debatte und ihre inhaltliche Abwicklung als „schwere Einmischung in die inneren Angelegenheiten Rumäniens" empfunden wird; so jedenfalls hochrangige rumänische Vertreter in Gesprächen in diesen Tagen. Ich halte diese Reaktionen nicht nur für unverständlich, sondern ich halte sie auch — lassen Sie mich das deutlich sagen — für menschenverachtend
und für einen völlig falschverstandenen Stolz der Regierung Ceausescu. Man verliert nach meiner außenpolitischen Erfahrung doch nicht das Gesicht, wenn man — möglicherweise nur für eine vorübergehende Zeit — humanitäre Hilfe zuläßt und erleichtert. Ich denke nur an Polen — Frau Geiger hat auch dies erwähnt —, wo man schließlich auch innerhalb des Ostblocks lebt und gern Hilfe aus dem Westen entgegennimmt, ohne sich dabei großartig verbiegen zu müssen.
Rumänien handelt allerdings schon seit vielen Jahren genau entgegengesetzt. Die hohen Einfuhrzölle
3372 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Schmidt
und die Abwehrmaßnahmen anderer Art sind ein beredtes Beispiel dafür. Schon eine drastische Senkung dieser Zölle könnte eine neue Welle der Hilfsbereitschaft in der Bundesrepublik erzeugen. Angeblich ist Rumäniens Regierung ja bereit, die Aktionen „von Person zu Person" zu fördern, die übrigens auch über deutsche Versandhäuser laufen, die in der Abwicklung wohl recht pfiffig handeln sollen. Allerdings bleibt diese Aussage Stückwerk, wenn keine konkreten Verbesserungen umfassenderer Art eintreten.
Meine Damen und Herren, auch auf der Basis der von vielen immer beschworenen Annäherung im Rahmen der KSZE-Schlußakte wäre ein deutliches rumänisches Zeichen mehr als überfällig. Wenn es nicht kommt, erlischt sicher auch das letzte Verständnis für die dort Regierenden. Es kann nicht nur — gewissermaßen einseitig — um die von Rumänien gewünschte industrieorientierte Wirtschaftshilfe gehen, obwohl sie für das Land und die Menschen sicher ihre Bedeutung hat.
Aus all diesen Gründen haben die vier Fraktionen des Bundestages zu Recht gemeinsam den vorliegenden Antrag eingebracht. In ihm wird die rumänische Regierung nicht direkt angesprochen; vielmehr werden Bundesregierung und EG-Kommission zu schnellem Handeln aufgefordert.
Es gibt viele Menschen und Organisationen in der Bundesrepublik, die helfen wollen. Auf deutscher Seite könnten z. B. die Portoerleichterung und die Vergabe von EG-Überschußprodukten als Mittel angesehen werden. Meine Damen und Herren, wenn Außenminister Genscher in der kommenden Woche Rumänien einen Besuch abstatten wird, sollte er solche Angebote von deutscher Seite im Gepäck haben, um zugleich massiv Erleichterungsmaßnahmen der Rumänen einfordern zu können.
Lassen Sie mich schließlich im Sinne einer abgerundeten Darstellung am heutigen Tage auch noch bemerken, daß in der SPD-Bundestagsfraktion ebenso wie in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit die Auffassung besteht, daß über den aktuellen Ansatz der humanitären Hilfe hinaus mehr zur rumänischen Situation hätte gesagt werden müssen oder bei passender Gelegenheit gesagt werden muß, und wir wollen das — meine Damen und Herren, dies kündige ich bereits heute an — im Frühjahr im Bundestag initiieren. Dafür werden die rumänische Reaktion und das Maß an Aktivitäten der Bundesregierung zum heute besprochenen Vorgang für uns und sicherlich für das ganze Haus ein wichtiger Gradmesser sein.
Als weitere Stichworte will ich jedoch auch die Menschenrechtssituation im Lande, die Möglichkeiten der Deutschen in Rumänien, zu einem gesicherten Leben in der rumänischen Staatsgemeinschaft zu gelangen,
sowie die Chance für Rumäniendeutsche, in die Bundesrepublik überzusiedeln, nennen.
Zu letzterem Punkt sei an dieser Stelle angemerkt,
daß die SPD erwartet, daß die deutsche Bundesregierung und die rumänische Seite auch in dieser Frage
schon vor einer Bundestagsdebatte zu Fortschritten gelangen. Es geht nicht an, daß '70 000 Ausreiseanträge — so die mir genannte Zahl — seit längerer Zeit unbearbeitet liegen
und daß der Zugang zur deutschen Botschaft nur auf Vorlage einer Einladung der Botschaft möglich ist, wobei derartige Einladungen zeitweise zwei Jahre auf sich warten lassen.
Meine Damen und Herren, ich würde mir wünschen, daß die rumänische Regierung und ihre Vertreter auch durch unsere Aktivität zur Besinnung kommen und noch mehr als heute erkennbar für die im Lande lebenden Menschen erträgliche Lebensbedingungen schaffen. Dies ist der Sinn unseres Antrages, nicht mehr und nicht weniger, und deswegen bitte ich Sie alle um Zustimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Feldmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen und können uns nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen souveränen Staates einmischen.
Dies wäre mit den Prinzipien, die wir in Helsinki beschlossen haben, nicht vereinbar.
Unser Antrag ist keine Einmischung.
— Da werden Sie mir wohl zustimmen. Aber wenn von einem „gemeinsamen Haus Europa" gesprochen wird, muß es erlaubt sein, Hilfe anzubieten, wenn Hilfe nötig erscheint.
Es kann uns nicht gleichgültig sein, wenn in einem anderen Land die Grundversorgung der Menschen nicht mehr klappt. Es ist auch das Bedürfnis von Menschen, denen es gut geht, anderen, denen es schlecht geht, zu helfen. Das ist nicht selbstverständlich und sollte daher positiv bewertet werden.
Es geht uns auch nicht um Sonderhilfe für rumänische Staatsbürger deutscher Abstammung. Unsere Hilfe soll alle erreichen. Wir wollen keine Gruppe bevorzugen.
Hier und heute ist auch nicht die Stunde der Ursachenforschung. Wir wissen, daß auch in Rumänien eine kritische Debatte über die Ursachen der Versorgungskrise im Gange ist. Wir wollen aus der Versorgungskrise in Rumänien kein politisches Kapital schlagen. Nichts liegt uns ferner, als durch unsere heutige Debatte eine Verschlechterung der deutschrumänischen Beziehungen zu betreiben. Wir wollen aber die fundamentalen Unterschiede zwischen unse-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3373
Dr. Feldmann
ren beiden Ländern, die unterschiedlichen Gesellschafts- und Paktsystemen angehören, nicht verwischen.
Es ist uns klar, daß wir Hilfe gegen den Willen der rumänischen Regierung nicht leisten können und daß spektakuläre Forderungen deshalb nicht hilfreich sind. Wir wollen uns darum bemühen, die existierenden Hilfsmöglichkeiten stärker zu nutzen. Die Wohlfahrtsverbände, die schon manche Hilfsaktion organisiert haben, sind auch hier der richtige Ansprechpartner für weitere Hilfe. Ich darf auch an die seit dem 2. November praktizierten Möglichkeiten des Gebührenzettelverfahrens erinnern.
Geben, meine Damen und Herren, ist oft leichter als nehmen. Falscher Stolz ist aber fehl am Platze. Ich erinnere mich gerne daran, daß Rumänien als erstes Land des Warschauer Paktes bereits 1967 wieder diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik geknüpft hat, daß wir im November 1979 ein Kulturinstitut in Bukarest eröffnet haben und daß Rumänien durch seine aktive und selbstbewußte Außenpolitik viel zur Verständigung und Entspannung in Europa gerade auch in schwieriger Zeit beigetragen hat.
Entspannung, meine Damen und Herren, für die Rumänien viel getan hat, besteht aber nicht nur aus Abrüstung, sondern auch aus guten Beziehungen zwischen den Menschen. Wie können diese Beziehungen besser gefördert werden als durch aktive Hilfe, so wie wir sie anbieten?
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt es außerordentlich, daß der Deutsche Bundestag endlich über die innenpolitische Situation in Rumänien diskutiert, auch wenn diese Debatte beschämend kurz ist und — ich sage es mit Selbstkritik — beschämend spät kommt.
Seit Jahren berichten uns Menschen über die zunehmend elendere Versorgungslage, das Abschalten von Strom und Wasser und das Fehlen von Medikamenten. Schriftsteller berichten über brutale Drangsalierungen, Zensur und das Verbot, eine Schreibmaschine ohne behördliche Genehmigung zu besitzen. Amnesty international legt Berichte über Folterungen in Gefängnissen, Todesstrafen z. B. wegen Fleischdiebstahls, Gefängnisstrafen für Fehler im Arbeitsprozeß und unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz vor. Zeitschriften wie das „Osteuropa-Info" veröffentlichten Berichte über die Gründung einer freien Gewerkschaft im Februar 1977, brachten Interviews mit Vasile Paraschiv, einem ihrer Mitglieder, berichteten über seine Verhaftung und die Zerschlagung der Gruppe. Hier bei uns im Bundestag geschah nichts.
Auf Grund solcher Berichte sagte Mitterrand 1982 seinen Besuch in Rumänien ab und ließ statt dessen dem rumänischen Botschafter eine Liste mit Namen von Verschwundenen übermitteln. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland dagegen preisen seit 20 Jahren die guten Beziehungen zwischen der BRD und Rumänien und betonen von Schmidt bis Strauß, von Carstens bis Kohl, daß die Bundesregierung es nicht vergessen werde, daß Rumänien 1967 als erster der kleineren osteuropäischen Staaten diplomatische Beziehungen zur BRD aufgenommen habe. War solche Unterstützung Rumäniens 1968 noch verständlich, als Rumänien als einziger Warschauer-Pakt-Staat sich weigerte, sich am Einmarsch in die CSSR zu beteiligen, so wurde der konservative Nationalismus der Innen- und Außenpolitik Rumäniens in den siebziger Jahren immer deutlicher.
Die Bundesregierung betonte aber noch 1984, daß Ceausescu uns ein „willkommener Gast" sei, weil sie hoffte, Rumänien zur Diversifikation gegenüber der Sowjetunion nutzen zu können. Die Bundesregierung hat Milliarden-Kredite an Rumänien gegeben, obwohl sie sah, daß diese von Ceausescu zur Finanzierung sinnloser, menschliche Arbeitskraft und natürliche Lebensgrundlagen zerstörender Großprojekte verwandt wurden, und obwohl sie sah, daß Ceausescu diese Kredite durch eine brutale Politik des Konsumverzichts auf dem Rücken der Menschen zurückzuzahlen versuchte. Bedenken kamen der Regierung nur, wenn allzu schlimme Praktiken bei der Behandlung der deutschen Minderheit bekannt wurden — Praktiken, die mindestens ebenso scharf, wenn nicht härter die Ungarn, die Juden und die Zigeuner in Rumänien treffen.
Wir GRÜNEN unterstützen alle Hilfsmaßnahmen für die Menschen in Rumänien, die wir heute beschließen. Wir hoffen sehr, daß Herr Genscher die Einrichtung einer neutralen Verteilungsstelle in Rumänien aushandeln kann — denn das ist sehr wichtig —, die dafür sorgt, daß diese Hilfe wirklich die betroffenen Menschen erreicht, was bisher von Ceausescu leider immer wieder abgelehnt wurde.
Zugleich wünschen wir uns aber, daß endlich gesehen wird, wie sehr die Politik der Bundesregierung dazu beigetragen hat, daß sich Ceausescu an der Macht halten kann. Eine Entspannungspolitik, die mit dem Blockdenken nicht bricht, sondern alle Erscheinungen nur unter dem Gesichtswinkel des Nutzens für den eigenen Block sieht, ist mit schuld, daß solche Diktatoren wie Ceausescu sich als in Ost und West gefeierte Führer darstellen können. Es ist peinlich für die Bundesrepublik, daß erst, nachdem Reagan auf Grund von Protesten von Menschenrechtsorganisationen Rumänien die Meistbegünstigungsklausel verweigerte, daß erst, nachdem Gorbatschow und Reagan zu Abrüstungsvereinbarungen kamen und Ceausescu nicht mehr gebraucht wird, sie sich erstmals auch um die Lage in Rumänien kümmerte.
Wir würden es für ein gutes Zeichen halten, wenn der Herr Bundesaußenminister, der für nächste Woche seinen Besuch in Bukarest plant, diesen Besuch nutzen würde, um auf Freilassung aller derer zu drän-
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Dr. Lippelt
gen, die sich an den Aufständen in Brašov beteiligt haben und jetzt inhaftiert sind.
Das Wort hat der Staatsminister Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, die jüngsten Ereignisse in Kronstadt haben uns alle betroffen gemacht, und sie werfen auch ein Schlaglicht auf eine Situation, die Sie hier in Ihren Beiträgen beschrieben haben.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Versorgungslage der Bevölkerung in Rumänien schlecht ist. Die sich abzeichnende Notlage verfolgt die Bundesregierung mit wachsender Sorge. Ihre Bemühungen galten und gelten dem Ziel, die Möglichkeiten, wirksame Hilfe nach Rumänien zu leisten, zu verbessern.
Ich darf darauf verweisen, daß seit dem 2. November dieses Jahres im Postverkehr mit Rumänien als erstem Mitgliedstaat des Warschauer Paktes das sogenannte Gebührenzettelverfahren eingeführt worden ist. Es gibt dem Absender in Deutschland die Möglichkeit, die bei Geschenkpaketen nach Rumänien anfallenden Abgaben und Zölle für den Empfänger in Rumänien zu übernehmen, ohne Geschenkversandfirmen in Anspruch zu nehmen.
Darüber hinaus hat das Auswärtige Amt auf verschiedenen Ebenen, auch durch den Bundesminister selbst, an die rumänische Seite appelliert, Zollschranken und bürokratische Hemmnisse für humanitäre deutsche Hilfe abzubauen. Sie hat bei ihrem Appell deutlich gemacht, daß Hilfssendungen nicht einer bestimmten Volksgruppe, sondern selbstverständlich allen Hilfsbedürftigen im Lande zugute kommen sollen.
Ich kann heute hier leider nur feststellen, was Kollegen vor mir schon getan haben, daß die rumänische Seite für Hilfsaktionen größeren Umfangs bislang keinen Anlaß sieht und diese nicht wünscht. Sie wünscht schon gar nicht, daß ein bestimmter Bevölkerungsteil als Gruppe, so wie sie es versteht, privilegiert werde. Wenn dies in unserer Öffentlichkeit und auch in diesem Hohen Hause als unbefriedigend angesehen wird, so habe ich dafür volles Verständnis.
Wir haben alle ein Interesse daran, daß die gegenwärtigen Hilfsmöglichkeiten, die unspektakulär ablaufen und von den Empfängern als eine wichtige Hilfe begrüßt werden, erhalten bleiben und ausgebaut werden. In dieser Situation kann ich allen, die ihre Hilfsbereitschaft in die Tat umsetzen wollen, nur raten: Halten Sie sich an die gegebenen Möglichkeiten! — Engagement zur Linderung der Lage sollte im Interesse der Sache mit Umsicht, Augenmaß und Diskretion verbunden sein.
Die Bundesregierung wird weiterhin bei allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Gesprächen darauf hinwirken, daß die rumänische Regierung ihre unbewegliche Haltung ändert. Ich selbst hatte auch ein Gespräch mit dem Botschafter, der mir sehr deutlich klarzumachen versucht hat, daß es sich hier um eine Einmischung handelt.
Die Reise des Bundesaußenministers, von der Sie alle gesprochen haben, kann ich zur Zeit noch nicht bestätigen. Die Reise des Bundesaußenministers hängt noch von bestimmten Zusagen ab, die die rumänische Regierung noch nicht gegeben hat.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Sauer .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns heute nachmittag die Zeit genommen, über zwei Stunden das Thema Südafrika zu behandeln. Ich meine aber, daß es diesem Thema nicht angemessen ist, wenn wir es jetzt im Schnellverfahren in nur 30 Minuten für alle Fraktionen behandeln. Da die Bevölkerung in Rumänien seit vier Jahren besonders hungert und friert und die Menschenrechte dort verletzt werden, meine ich, hier sollten wir uns wirklich die Zeit nehmen, die Probleme ausführlich zu debattieren.
Wir haben von allen Seiten des Hauses gehört, daß die Bevölkerung in Rumänien wirklich um das nackte Überleben kämpft. Früher war Rumänien die Kornkammer Europas und hatte im Jahre 1940 sogar noch die größte Agrarproduktion in Europa. Die Grundnahrungsmittel — dies wurde vorhin nicht ganz deutlich — sind bereits seit 1981 rationiert, aber selbst Wasser, Strom, Benzin, Medikamente und Waschmittel sind nur zu bestimmten Zeiten immer seltener und auch nur mit viel Glück zu erhalten.
Wenn die Außentemperaturen selbst bis zu 30 Grad minus absinken, dürfen die Wohnungen auf 12 bis 14 Grad beheizt werden, aber bei Fernwärme in den Städten werden nur 6 bis 8 Grad erreicht, und darunter leiden insbesondere alte Menschen und Säuglinge. In Kronstadt sind an einem Tag, als die Brutkästen im Krankenhaus ausfielen — allein an einem Tag — 40 Säuglinge erfroren.
Trotz der totalen Nachrichtensperre des Staates wissen wir — das sagte auch Frau Kollegin Geiger —, daß am 15. November die Arbeitnehmer in Kronstadt zu Tausenden vor das Parteibüro gezogen sind und das Rathaus gestürmt haben. Wir können 10 bis 15 andere Städte nennen, wo ähnliches passiert ist. Das Land ist halt heruntergewirtschaftet, höchst verschuldet, und es fehlt dem Land an westlicher Technologie und Modernisierung. Das Aufbegehren des Volkes ist die Folge von Lohnkürzungen, von Preissteigerungen und — ich sage es deutlich — von dem ins Absurde geführten Personenkult, von Funktionärsherrschaft, von Prestigeprojekten, von kirchenfeindlichen Aktionen und menschenunwürdigen Praktiken, z. B. daß sich derzeit die Arbeitnehmerinnen in den Betrieben im Zwei-Monats-Rhythmus Zwangsschwangerschaftskontrollen unterziehen und sich noch rechtfertigen müssen, warum sie nicht schwanger sind. Ich meine, mit Polizei, mit dem Militär und mit dem Securitate-Geheimdienst sind diese Probleme auf Dauer nicht zu lösen.
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Sauer
Wir wollen uns in der Tat, Herr Kollege Feldmann, nicht in die inneren Angelegenheiten dieses Landes einmischen, aber wenn wir uns weltweit für die Menschenrechte einsetzen, müssen wir auch hier eine klare und deutliche Sprache sprechen.
Wir sollten auch feststellen, daß nichtregierungsamtliche Experten der Wirtschaft, wie Ion Iliescu oder Silia Prukan, klare Vorstellungen unterbreitet haben. Die rumänische Führung und die Wirtschaft müssen den Mut aufbringen zu neuen Strategien gegenüber und mit der Bevölkerung. Natürlich wünschen wir der Regierung auch den richtigen Weg, damit sie selber aus der Talsohle herauskommt, und ich füge in Sorge hinzu: ehe es für eigenständige Entscheidungen zu spät sein könnte.
Der Gradmesser unserer Zusammenarbeit muß bleiben, wie sich der Staat und seine Einrichtungen gegenüber den Deutschen in Siebenbürgen und im Banat verhält.
Wir lassen uns davon auch nicht von dem rumänischen Botschafter hier in Bonn abhalten. Ich sage das auch in vollem Bewußtsein in Richtung auf den Innenminister Postelnicu und seinen Nachfolger als Chef der Geheimpolizei Securitate, Julian Vlad. Wir möchten Rumänien gern helfen.
Bisher haben wir von der CDU/CSU bei allen Gelegenheiten, ob bei der KSZE in Bern oder in Wien, bei Mitgliedern der Großen Nationalversammlung hier in Bonn, bei Mitgliedern der rumänisch-deutschen Parlamentariergruppe in Bonn diese Sorgen vorgetragen, ohne Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Die rumänische Regierung hat bisher nicht auf uns gehört. Darum bin ich dankbar, daß wir in Übereinstimmung mit allen Fraktionen des Hauses unsere Kollegen nach Rumänien schicken, damit sie unsere Sorgen dort vortragen, weil wir mit dem rumänischen Volk zusammenarbeiten wollen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den interfraktionellen Antrag zur Versorgungslage in Rumänien. Wer stimmt diesem Antrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000" zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hillerich und der Fraktion DIE GRÜNEN
Einsetzung einer Enquete-Kommission
— Drucksachen 11/711, 11/801, 11/1448 — Berichterstatter:
Abgeordnete Daweke Kuhlwein
Neuhausen
Frau Hillerich
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuhlwein.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 17. September haben SPD und GRÜNE im Deutschen Bundestag einen Antrag auf Einrichtung einer Enquete-Kommission eingebracht, die sich mit Fragen der zukünftigen Bildungspolitik beschäftigen soll. Die Idee dazu ist übrigens in der SPD-Bundestagsfraktion geboren worden und nicht im Bonner Bildungsministerium, wie heute manchmal geargwöhnt wird.
Ich habe von Anfang an sehr wohl die Grenzen einer Bundestagsenquete in einem Politikbereich gesehen, in dem die Länder eigene und vom Bund unabhängige Zuständigkeiten reklamieren können. Ich habe allerdings nicht ahnen können, daß einige Länder schon eine Bestandsaufnahme durch den Bund im Bildungsbereich als Anschlag auf die verfassungsmäßig garantierte Kulturhoheit werten würden. Wir haben die Empfindsamkeiten ernst genommen und haben den Bedenken dieser Länder weitgehend Rechnung getragen, weil es uns darum ging, im Bundestag zu einer Enquete-Kommission zu kommen, deren Einsetzungsauftrag von allen Fraktionen des Hauses getragen wird.
Ich will nun auch nicht behaupten, daß ich manche Interventionen als kleinkariert empfunden hätte, auch wenn der DIHT sie als „kleinliches Zuständigkeitsgerangel" bezeichnet hat. Bei der Vertretung von Interessen gehts ja manchmal, wie wir wissen, auch ums Kleingedruckte. Die Kultusministerkonferenz sei mein Zeuge dafür, wie wichtig gelegentlich selbst Fußnoten in einem gemeinsamen Beschlußpapier sein können.
Ich will auch nicht darüber rechten, warum Frau Dr. Wilms als Bundesbildungsministerin sogar in ihrem Ministerium eine Tagung zur Allgemeinbildung veranstalten durfte, bei der höchstderoselbst der bayerische Kultusminister als Podiumsteilnehmer aufgetreten ist, wohingegen der Deutsche Bundestag veranlaßt wurde, die Allgemeinbildung zu meiden wie der Teufel das Weihwasser.
Ich werde schließlich auch niemandem einen Vorwurf daraus machen, wenn er die Rechte zum föderalistischen Schwur erhebt, während die Linke freudig nach Bundesmitteln für den Informatikunterricht greift.
Ich bin allerdings nicht sicher, ob die Menschen in der Bundesrepublik diesen abstrakten Streit um Normen noch verstehen, wenn ihnen gleichzeitig gesagt wird, sie sollten sich auf ein „Europa der Bürger" und auf immer enger werdende internationale Verflechtungen vorbereiten. Ob es da wohl wirklich eine vertrauensbildende Maßnahme für die Politik bedeutet, wenn die Bürger dann erfahren, daß wir stundenlang
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Kuhlwein
darum gerungen haben, ob der Begriff „Schule" in unserem Einsetzungsauftrag vorkommen darf? Wie gesagt, ich bin ein Freund des Kulturföderalismus. Aber vielleicht sollte man ihn gelegentlich vor seinen allerbegeistertsten Bannerträgern in Schutz nehmen.
Im übrigen hat die Auflistung dessen, wo der Bund inzwischen unbestreitbare Zuständigkeiten im Bildungsbereich hat, manche überrascht. Wir sind deshalb in unserem Ausschuß dem weisen Vorschlag des Rechtsausschusses gefolgt und haben die Bereiche mit Angabe der entsprechenden Grundgesetzartikel gleich in den ersten Absatz unseres Antrags aufgenommen. Da finden wir denn aus der ausschließlichen Gesetzgebung die auswärtigen Kulturbeziehungen und die Auslandsschulen, aus der konkurrierenden Gesetzgebung die betriebliche und überbetriebliche Berufsausbildung einschließlich der beruflichen Weiterbildung sowie die Regelung von Ausbildungsbeihilfen. Wir finden aus der Rahmengesetzgebung das Gebiet der allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens, aus den Gemeinschaftsaufgaben den Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken. Da findet sich die Möglichkeit der Übertragung auch von Kompetenzen der Länder auf zwischenstaatliche Einrichtungen, etwa auf die Europäische Gemeinschaft. Da findet sich nicht zuletzt im Art. 91 b des Grundgesetzes ebenfalls als Gemeinschaftsaufgabe die gemeinsame Bildungsplanung und Forschungsförderung.
Meine Damen und Herren, dies alles sollte auch bei denen nicht in Vergessenheit geraten, die den Bund gern zum bildungspolitischen Nachtwächter machen wollen. Dabei gebe ich ja offen zu, daß die Bundesregierung sich seit der Wende offenbar in dieser Rolle wohlfühlt.
Wenn die Kommission, wie es im Einsetzungsauftrag heißt, ihre Arbeit auf die Zuständigkeiten des Bundes beschränkt, dann wird sie sich dennoch nicht über Mangel an Arbeit beklagen können. Sie wird untersuchen müssen, ob es Chancengleichheit für alle Schichten und Gruppen in der Bildungsbeteiligung gibt und wie gegebenenfalls Bildungschancen verbessert werden können. Sie wird sich mit der ersten Schwelle zwischen Schule und Berufsausbildung und mit der zweiten Schwelle zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem befassen und Antworten suchen müssen, wie diese Schwellen begehbar gemacht werden können. Sie wird sich mit den Inhalten von Berufsausbildung, Hochschule und Weiterbildung beschäftigen. Sie wird in diesen Bereichen Konsequenzen aus den neuen Kommunikationstechnologien ziehen. Sie wird das Schlagwort vom „lebenslangen Lernen" in praktisch-politische Folgerungen für Organisation und Finanzierung der Weiterbildung umsetzen. Sie wird Prognosen für den Finanzbedarf der beruflichen Bildung, der individuellen Ausbildungsförderung, des Hochschulbaus und der Hochschulforschung wagen und Vorschläge machen, von wem die finanziellen Mittel aufgebracht werden sollen. Sie wird das Besoldungs- und Beamtenrecht daraufhin abklopfen, wieweit es neuen Herausforderungen im Bildungsbereich entspricht. Sie wird Vorschläge machen, wie die Bildungspolitik des Bundes aktiv an der Schaffung des europäischen Binnenmarktes beteiligt werden kann.
Die Enquete-Kommission wird bei allen Überlegungen immer im Auge haben, daß es zwar dieselben jungen und erwachsenen Menschen sind, die mal nach Landesrecht und mal nach Bundesrecht gebildet werden, daß jedoch Blicke über den Gartenzaun nicht erwünscht sind. Es wird sich dennoch nicht ganz vermeiden lassen, daß die Kommission auch Begriffe wie Berufsbildungsfähigkeit oder Studierfähigkeit unter die Lupe nimmt. Sie sind zwar auf der einen Seite ein mögliches Ergebnis von Schule, auf der anderen Seite jedoch auch Voraussetzung für Berufsbildung und Hochschulbesuch, für die der Bund eigene Verantwortung trägt.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei den Berichterstattern der Koalitionsfraktionen bedanken, die in dem schwierigen Prozeß der Abstimmung mit den B-Ländern nicht nur unseren Blick für die berechtigten Interessen der Länder geschärft, sondern auch eine Reihe zusätzlicher Anregungen für den Arbeitsauftrag beigetragen haben — dies gilt insbesondere für die Europafrage und für das Beamtenrecht — , besonders bei Herrn Daweke.
Wir sollten uns jetzt in der Enquete-Kommission so konstruktiv wie im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft an die Arbeit machen, um bildungspolitische Antworten auf die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden. Vielleicht wird am Ende unseres Arbeitsprozesses auch mancher Länderkultusminister mit uns versöhnt sein, weil wir auch seinen eigenen Aufgabenbereich und die Bedeutung der Bildungspolitik in Konkurrenz zu anderen Politikfeldern wieder stärker ins Bewußtsein gebracht haben.
Meine Fraktion wird dem gemeinsamen Einsetzungsantrag zustimmen.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Daweke.
Frau Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Enquete-Kommission, die wir heute einsetzen, ist die fünfte Enquete-Kommission, die der Deutsche Bundestag in dieser Legislaturperiode installiert. Ich will deshalb gerne zu Beginn einen Gedanken vortragen, der in den internen Beratungen meiner Fraktion eine große Rolle gespielt hat: Ich möchte die Frage erörtern, ob es eigentlich richtig ist, daß wir uns — wohl beginnend mit der 9. und 10. Legislaturperiode, aber jetzt auch in der 11. — immer mehr mit Enquete-Kommissionen und Unterausschüssen beschäftigen und diese einsetzen.
Ich will nur sagen, daß die große Gefahr besteht, daß wir das sozusagen als Politikersatz betreiben
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3377
Daweke
könnten. Wenn man diese Gefahr sieht, glaube ich, kann man sie auch beherrschen. Aber man muß wissen, daß natürlich die Arbeit in diesen Kommissionen sehr speziell ist und daß wir aufpassen müssen, nicht den Überblick, also die Gesamtschau, zu verlieren, wenn wir immer mehr in solches Spezialistentum und immer mehr in solche Detaildiskussionen geraten.
Als zweiten Gedanken möchte ich vortragen — da sage ich kein Geheimnis — , daß wir uns sehr schwergetan haben mit dem Minderheitenrecht der SPD und der GRÜNEN, diesen Ausschuß zu beantragen, nicht nur wegen des sehr schwierigen Bund-Länder-Verhältnisses, das mit dem Antrag angesprochen ist, sondern natürlich auch vor dem Hintergrund der Tatsache — ich habe das hier schon einmal gesagt — , daß wir in der Bildungspolitik eine ganze Reihe von Koordinierungsgremien haben. Dazu gehören die BundLänder-Kommission, die diese Woche getagt hat, die KMK, die in der letzten Woche getagt hat, und mancherlei Gremien dieser Art; ich nenne ausdrücklich den Hauptausschuß des Instituts für Berufsbildung. Es gibt also eine große Zahl von Gremien, die Koordinierung versuchen. Wir setzen mit unserer Kommission noch eine weitere solche Koordinierungsrunde hinzu. Das waren unsere inhaltlichen Bedenken in der Sache. Aber ich sage ausdrücklich: Wir respektieren natürlich das Recht der Minderheit auf Einsetzung einer solchen Enquete-Kommission und haben deshalb auch von Anfang an konstruktiv an der Ergänzung und der Erweiterung der Anträge von SPD und GRÜNEN mitgearbeitet.
Herr Kuhlwein hat eben die inhaltlichen Themen genannt, die anstehen. Ich will mich ebenfalls ausdrücklich dazu bekennen, daß wir — Fritz Neuhausen von der FDP, Herr Kuhlwein als Antragsteller und Frau Hillerich als Antragstellerin — sehr konstruktiv zusammengearbeitet haben. Das war nur dadurch möglich, daß sich die Sozialdemokraten und DIE GRÜNEN bewegt haben
— und dadurch, daß wir uns mühsam bewegt haben; das gebe ich zu. Das ist aus der Zeit, die hinter uns liegt, eigentlich ein ganz gutes Beispiel dafür, daß man politisch zusammenarbeiten kann, unabhängig von der Tatsache — das muß ich sagen, damit Frau Hillerich nicht in ihrer eigenen Fraktion von den anderen Flügeln geprügelt wird — , daß Sie in der Sache natürlich ganz schlimme Positionen vertreten haben. Gleichwohl haben wir uns auf einen gemeinsamen Antrag geeinigt. Ich finde, das verdient Erwähnung.
Die letzte Bemerkung meinerseits. Wenn wir schon eine Bildungs-Enquete -Kommission einsetzen, bitte ich, darauf zu achten, daß unser Text grammatisch richtig ist. Wir sollten uns, wenn es geht, einigen, daß im III. Abschnitt hinter dem zweiten Spiegelstrich statt „entwickelt hat" „entwickelt haben" stehen soll. Es handelt sich nämlich um eine Plural. Gerade eine Bildungskommission sollte auf solche Kleinigkeiten achten.
Schönen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hillerich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es liegt nahe: Auch wir bitten Sie, der Einsetzung der Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik" zuzustimmen.
Erfreulicherweise haben sich alle Fraktionen im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft darauf verständigen können, daß Bildungspolitik, nimmt sie ihren Auftrag im Hinblik auf die Bildungsbedürfnisse und Ansprüche der Menschen in unserer Gesellschaft ernst, sich mit Herausforderungen auseinandersetzen muß, wie — ich zitiere aus der gemeinsamen Beschlußempfehlung —: „dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter, den ökologischen Erfordernissen" — um nur diese beiden zu nennen — , Herausforderungen, die weit über wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Erwägungen im Hinblick auf zukünftigen Qualifikationsbedarf hinausgehen. Im Mittelpunkt der Arbeit der Enquete-Kommission sollen die Menschen, Jugendliche und Erwachsene, stehen, denn es geht um ihre Zukunft, um ihre Fähigkeiten zur aktiven und verantwortlichen Teilnahme und Gestaltung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungsprozesse in der Gesellschaft.
Nicht bildungspolitischer Schlagabtausch mit Expertenhilfe, allerdings auch kein Spezialistentum, wie Herr Daweke befürchtete, sondern nüchterne, ehrliche Bestandsaufnahme nach wissenschaftlichen Maßstäben und Wertung der Ergebnisse unter bildungspolitischen Zielperspektiven — das ist meine Vorstellung von der Arbeitsweise der Kommission. Alle Beteiligten sollen ihre Zielvorstellungen, ihre Untersuchungsfragen in die konkrete Arbeit einbringen. Alle müssen sich aber auch gefallen lassen, ihre Annahmen, Prognosen und auch ihre allgemeinen und speziellen Zielvorstellungen in Frage stellen zu lassen und möglicherweise zu modifizieren oder zu korrigieren. Dies wird — ich gestehe dies zu — nicht leicht sein, denn wir wissen um die recht unterschiedlichen politischen Interessen und Zielvorstellungen über das, was Bildung und Berufsbildung leisten sollen — gerade im Hinblick auf den Erhalt oder die Veränderung bestehender und sich abzeichnender Zustände in Wirtschaft und Gesellschaft.
Dennoch hoffe ich, daß es durch diese Enquete-Kommission gelingen könnte — die Vorarbeiten haben dies zumindest gezeigt — , wenigstens den Minimalkonsens über das, was im Bildungsbereich dringend zu verändern ist, in einigen Punkten herzustellen. Und ich hoffe, daß die Enquete-Kommission darin übereinstimmt, während ihrer Arbeit und gerade mit Hilfe der Sachverständigen die öffentliche bildungspolitische Diskussion zu bereichern.
Allerdings, die teilweise schrillen Töne, die schon im Vorfeld der Enquete-Kommission zu hören waren, stimmen bedenklich. Erfreulich ist, daß es im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft — trotz Verhinderungsversuchen von außen — zu einem klaren gemeinsamen Votum für die Einsetzung gekommen ist.
Die grundgesetzlich fixierte Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern bei der Planung von Bildung und Forschung wurde im Ausschuß ernst genommen.
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Frau Hillerich
Das Ansinnen, der Bundestag solle wegen der Kulturhoheit der Länder in einer der entscheidensten Fragen unserer Zukunft, der künftigen Gestaltung unseres Bildungswesens, auf eigenständige Beratung und Empfehlungen verzichten — von einem bayerischen Landtagsabgeordneten wird dies im „Bayernkurier" gar als „dreister Zugriff auf die ausschließliche Zuständigkeit der Länder" bezeichnet —,
halten wir GRÜNEN für kleinkariert und außerhalb jeder bildungspolitischen Vernunft. Da bin ich wohl etwas schärfer als die Kollegen von der SPD. Selbstverständlich bejahen wir GRÜNEN unter den verfassungsmäßig garantierten Prinzipien auch den Föderalismus. Wir sehen darin eine Garantie für kulturelle und politische Vielfalt und — angesichts der politischen Vergangenheit unseres Staates — ein wichtiges Gegengewicht gegen zentralstaatliche Fehlentwicklungen. Selbstverständlich bejahen wir auch die Kulturhoheit der Länder als Kernstück des Föderalismus.
Dennoch: Die Notwendigkeit einer zwischen Bund und Ländern abgestimmten Rahmenplanung ist doch wohl unbestreitbar. Und wenn der Bund in diesem Rahmen einen Untersuchungsbedarf hat, dann ist eine Enquete-Kommission, die am Ende ihrer Arbeit Empfehlungen ausspricht, doch wohl ein recht bescheidenes Instrument. Ein neuer „Deutscher Bildungsrat" und die Fortschreibung des „Bildungsgesamtplans" wären das, was wir unserer Meinung nach eigentlich bräuchten.
Ich denke, daß wäre auch das, was die Bürgerinnen und Bürger, die mit ihren Steuern immerhin die Riesenapparate der Kultusbürokratien und auch uns Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker bezahlen, eigentlich mit Recht von uns erwarten können.
Jede Bürgerin und jeder Bürger, ganz gleich, in welcher Region lebend, welchen Alters und Geschlechts, welcher Religion und Staatsangehörigkeit, hat das Recht auf Chancengleichheit in Bildung und Ausbildung, und die ist auf Länderebene allein nun einmal nicht herzustellen. Und es sind die materiellen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die Chancengleichheit aller im Bildungssystem, die von den Menschen eingefordert werden. Daß sie dann lernen, sich bilden und weiterbilden wollen — da sind wir eigentlich recht unbesorgt.
Bund und Länder sind gefordert, Voraussetzungen für selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Lernen in und außerhalb von Schulen und Hochschulen, betrieblicher und überbetrieblicher Berufsausbildung zu schaffen.
Meine Damen und Herren, noch einmal bitte ich Sie daher um Zustimmung zur Einsetzung dieser Enquete-Kommission.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heute vorliegende Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000" weist gegenüber den ursprünglichen Vorlagen der SPD und der GRÜNEN eine Reihe von Änderungen auf und ist als ein Kompromiß zu bezeichnen, der das Ergebnis der schon erwähnten zahlreichen Gespräche, vor allem im Kreise der Berichterstatter, war. Ich möchte mich auch für den Geist, der in diesen Gesprächen geherrscht hat, sehr bedanken. Denn man findet selten die Möglichkeit, offen und mit Konturen und dennoch kooperativ miteinander umzugehen.
Ich habe schon bei der ersten parlamentarischen Behandlung darauf hingewiesen, daß wir diese Initiative begrüßen und darin eine Unterstützung der neuen Aufbruchstimmung sehen, die durch den Bundesbildungsminister in der bildungspolitischen Diskussion ja auch angeregt worden ist.
Meine Damen und Herren, der ursprüngliche Antrag der SPD ist in den erwähnten Verhandlungen der Berichterstatter entschlackt worden — das ist keine negative Bewertung — , eine Reihe der in den Formulierungen enthaltenen vorweggenommenen Wertungen sind entfallen. Andererseits sind die — und ich meine: in ihrer Empfindlichkeit manchmal überspitzten — Bedenken der Länder berücksichtigt worden. Aber dann ist ja diese Entschlackung deshalb wieder behindert worden, weil die auch den Rechtsausschuß bewegenden Vorbehalte der Länder zu einer so zunächst nicht vorgesehenen Auflistung von bildungspolitischen Zuständigkeiten des Bundes geführt haben — so nicht vorgesehen, weil wir uns als Berichterstatter über diese Zuständigkeiten im klaren waren und sie guten Gewissens — d. h.: ohne Hintertüren — berücksichtigt zu haben glaubten. Aber die hier schon oftmals erwähnte Bereitschaft der Bildungspolitiker zum „Kern-Konsens" hat auch diese Hürde nicht zum Hindernis werden lassen.
Aber im Ernst, meine Damen und Herren: Vor dem Hintergrund des Wortes vom „kooperativen Föderalismus " und vor den neuen europaweiten Entwicklungen mutet manche übertriebene Bedenklichkeit merkwürdig an, so, als befürchte man ständig, es stehe ein bildungspolitischer Staatsstreich unmittelbar bevor.
Es ist kein Geheimnis, meine Damen und Herren, daß die FDP in ihrer bildungspolitischen Tradition die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes mit einem stärkeren Akzent belegt. Aber bereits in der ersten Debatte über den ursprünglichen, damals noch unveränderten Antrag haben wir den Respekt vor der Kulturhoheit der Länder in bezug auf diese Enquete hervorgehoben und uns in den Berichterstattergesprächen bemüht, den Erwartungen der Länder Rechnung zu tragen. Und ich sage offen: Um so mehr enttäuschten manche Kleinlichkeit und manche provin-
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zielle Haltung, mit der wir Liberalen nicht einverstanden sein können.
Meine Damen und Herren, die Fragebereiche der Kommission sind hier schon erwähnt worden. So wie sie jetzt formuliert sind, besteht die Chance einer sachlichen Untersuchung, bei der es nicht um den Nachvollzug früher geschlagener Schlachten, sondern um den Blick in die Zukunft geht. Das reicht — das wurde gesagt — von der Entwicklung der Bildungsbeteiligung und des Übergangs vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem über die Frage nach den für die raschen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft wichtigen und notwendigen Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und auch Verhaltensweisen des einzelnen und nach den Konsequenzen des Einsatzes neuer Kommunikationstechnologien bis zum Ziel des lebenslangen Lernens, und es berührt die Finanzierung des Bildungsbereichs, wie auch der Blick auf den sich entwickelnden europäischen Binnenmarkt geworfen wird.
Meine Damen und Herren, für uns Liberale steht dabei entgegen mancher Mißinterpretation der einzelne im Mittelpunkt einer Bildung, die neben ihrer Funktion als Vorbereitung auf die Arbeitswelt und das Leben in der Gesellschaft auch als ein wichtiges Mittel zur Existenzerhellung einen Wert an sich darstellt.
Wenn wir in diesem Zusammenhang von einem Konsens sprechen, meine Damen und Herren, dann verstehen wir darunter nicht, daß die Konturen unterschiedlicher Ansätze dabei verlorengehen. Aber wir verstehen darunter den Versuch, diese Konturen in Fragestellung und Beantwortung so herauszuarbeiten, daß wenig Raum für manche gegenseitige Unterstellung von Motiven bleibt, in der sich Vorurteile spiegeln, die aber mit der Wirklichkeit meist nicht zu tun haben.
Meine Damen und Herren, als ich hier in der vergangenen Woche in bildungspolitischem Zusammenhang hinsichtlich der Mühen des Lebens Demokrit zitierte, hat der amtierende Präsident Heinz Westphal danach gefragt, ob Demokrit früher oder später als Sisyphus gewesen sei. Ich darf heute antworten: Sisyphus ist eigentlich immer, meine Damen und Herren; denn er muß ja für alle Ewigkeit seinen Felsen den Berg hinaufwälzen, um ihn gleich darauf wieder zu Tal stürzen zu sehen.
Dieses Bild läßt sich leicht auf die Bildungspolitik übertragen. Aber Albert Camus hat ihm eine positive Deutung gegeben. „Der Kampf gegen Gipfel", schrieb er, „vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen. "
Vielleicht, Herr Kuhlwein, trifft das ja auch auf die künftigen Mitgleider der heute einzusetzenden Enquete-Kommission zu.
Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Einsetzung einer Enquete-Kommission ab. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation
— Drucksachen 11/943, 11/1483 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schulze Heimann
Dr. Knabe
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Heimann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute abend zwar nur noch eine kurze Debatte; aber wichtig ist, daß wir sie haben und daß wir heute gemeinsam der Bundesregierung sagen, was wir von ihr erwarten, wenn sie in Kürze die Gespräche mit der DDR über die Bildung einer Gemischten Kommission — wir finden die Bezeichnung Gemeinsame Kommission besser — zur Förderung der beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen führen wird. Die Bildung einer solchen Kommission ist bekanntlich beim Besuch von Generalsekretär Erich Honecker in der Bundesrepublik vereinbart worden.
Manche bezweifeln, ob eine solche Kommission überhaupt notwendig und nützlich ist. Ich will das jetzt nicht mehr kommentieren, sondern nur feststellen: Wenn es sie dann geben soll, muß wenigstens sichergestellt sein, daß die Treuhandstelle für Industrie und Handel in Berlin in vollem Umfang erhalten und weiterhin für die Abwicklung der beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen zuständig bleibt, daß Berlin angemessen in der Kommission vertreten ist und daß die Gemeinsame Kommission regelmäßig auch in Berlin (West) tagt.
Dieser Beschluß aller Fraktionen des Deutschen Bundestages beweist, daß trotz der Meinungsunterschiede in vielen Fragen der Deutschlandpolitik, die zu leugnen ich gar kein Interesse habe, auch immer wieder Gemeinsamkeiten möglich sind, wie es Peter Lorenz in seiner letzten Rede hier vor dem Bundestag gefordert hat.
Daß dies in einer solchen praktischen Frage und am Beispiel Berlin geschehen ist, dafür sage ich im Namen der SPD, die diesen Antrag eingebracht hat, den anderen Fraktionen und vor allem auch dem Kollegen Hoppe, der als Vorsitzender des Ausschusses für in-
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Heimann
nerdeutsche Beziehungen die Angelegenheit sehr befördert hat, ausdrücklich Dank.
Als Berliner Bundestagsabgeordneter liegt mir daran, noch folgendes hinzuzufügen: Wir wissen, daß Verhandlungen mit der anderen Seite, wenn es um Berlin geht, meist etwas schwieriger werden. Herr Staatssekretär von Würzen z. B. hat diese Erfahrung schon öfter machen müssen, aber — und dies als Kompliment gemeint — meistens haben er und andere die Sache zu einem guten Ende führen können. Wenn wir jetzt auf der Gewährleistung der Rolle, die die Treuhandstelle und die Berlin (West) überhaupt im Handel mit der DDR in der Vergangenheit gespielt haben, beharren, dann doch nicht aus lauter Jux und Dollerei. Alle Mächte und Staaten — und dies sind mindestens sechs — , die in bezug auf Berlin Verantwortung tragen, Rechte wahrnehmen und eigene Interessen verfolgen, sollten dazu beitragen, daß Berlin (West) in Zukunft immer mehr eine für alle nützliche positive, konstruktive Rolle in der Zusammenarbeit zwischen West und Ost spielen kann. Berlin (West) muß aus der Ecke heraus, in die es gewollt und ungewollt in den Zeiten des Kalten Krieges gestellt worden ist.
Interdependenz zwischen unterschiedlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen hilft, den Frieden in Europa genauso zu sichern wie Abrüstung und Rüstungskontrolle. Das immer noch wirksamste Mittel, solche Interdependenz herzustellen, ist der Handel. Es geht also nicht darum, hier und da kleinliche Statusvorteile auf Kosten der anderen Seite zu erringen, sondern dafür Sorge zu tragen, daß von dem interdeutschen Handel neben den wirtschaftlichen Vorteilen, die er für beide Seiten hat, auch eine politische Wirkung ausgeht, die die Verhältnisse im Herzen Europas entkrampfen und entspannen hilft. Berlin ist geographisch der Ort der kürzesten Wege zwischen Ost und West. Damit es dies auch politisch werden kann, ist noch eine große Anstrengung nötig. Dies ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt. Wir danken der Bundesregierung, daß sie in diesem Beschluß eine Unterstützung ihrer eigenen Absichten sieht, wie Herr Staatssekretär von Würzen im Ausschuß erklärt hat.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Schulze.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der SPD, der die Verbesserung der Stellung Berlins innerhalb der wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland mit der DDR zum Gegenstand hat, ist in allen Ausschüssen, die mit dieser Materie befaßt waren, auf breite Zustimmung gestoßen und nach kleineren Änderungen im federführenden Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen als gemeinsame Entschließung aller Fraktionen einstimmig verabschiedet worden. Ich bin der gleichen Meinung wie der Herr Kollege Dr. Mitzscherling, der am 15. Oktober dieses Jahres hier gesagt hat, daß dies wichtig und gut für Berlin sei.
Wenn wir heute im Plenum des Deutschen Bundestages über diesen Antrag eine Aussprache führen, dann soll sie unseren gemeinsamen politischen Willen sowohl unserer Bevölkerung in beiden Staaten in Deutschland, aber auch allen anderen Ländern der Welt gegenüber bekunden, daß für uns Berlin als Hauptstadt der Nation immer Zentrum innerdeutscher Politik ist, auf und um dessen Fundament sich die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland aufbauen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt vom Grundsatz her die geplante gemeinsame Wirtschaftskommission ausdrücklich. Die Kommission ist sicher — das ist hier schon vom Kollegen Heimann zum Ausdruck gebracht worden — eine gute Möglichkeit, die innerdeutschen Beziehungen zu verbessern und zu vertiefen.
Zur Verdeutlichung unseres Standpunktes für die Verhandlungen mit der DDR bezüglich der geplanten Gemeinsamen Kommission — wir haben sie „Gemeinsame Kommission" genannt und nicht Gemischte Wirtschaftskommission — möchte ich kurz auf unsere Ausgangslage zurückkommen. Die Gemeinsame Kommission muß auf der Grundlage der bestehenden Abkommen und Regelungen, die zwischen unseren jetzigen Schutzmächten, den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften und den beiden Staaten in Deutschland abgeschlossen worden sind, eingerichtet werden. Das bedeutet für Berlin , daß seine Stellung durch diese neue Institution weder formal noch tatsächlich in irgendeiner Weise verschlechtert werden darf; denn die Bedeutung von Berlin für den innerdeutschen Handel ist seit jeher herausragend. Die TSI, die heutige Treuhandstelle für Industrie und Handel, hat ihren Sitz in Berlin. Ihre laufenden Gespräche mit dem Ministerium für Außenhandel der DDR finden abwechselnd in Berlin (Ost) und Berlin (West) statt. Diese auf dem Berliner Abkommen vom 20. September 1951 in der Fassung vom 16. August 1960 aufgebauten wirtschaftlichen Beziehungen und Einrichtungen sind für uns Ausgangspunkt zu einer quantitativen und qualitativen Verbesserung durch die neue Gemeinsame Kommission, nicht aber ein Wendepunkt zur Umkehr.
Die Abwicklung der beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen muß daher voll in der Zuständigkeit der TSI verbleiben. Ebenso muß gesichert sein, daß Berlin in der Gemeinsamen Kommission angemessen vertreten sein wird. Daß Berlin auch ein Tagungsort bleibt, versteht sich hier von selbst.
Ich selber bin auch sehr froh darüber, daß es uns gelungen ist, in dieser Frage zu einer Gemeinsamkeit zu kommen, und würde mir wünschen, daß Berliner Fragen weiterhin mit so großer Übereinstimmung und Sachlichkeit behandelt werden können.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Sellin.
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Frau Präsidentin! Zunächst eine Vorbemerkung in bezug auf die Aktuelle Stunde von heute mittag: Vorgehen der DDR-Behörden gegenüber Menschenrechts- und Friedensgruppen. Zwei Abgeordnete der GRÜNEN wollten heute nach Berlin/DDR einreisen. Einer kam herein, einer nicht.
Das nur als Ergänzung zur Aktuellen Stunde von heute mittag.
Jetzt zu diesem Tagesordnungspunkt. Die SPD-Fraktion beschäftigt sich in ihrem Antrag, der anläßlich des Berichtes der Bundesregierung zur Lage der beiden deutschen Staaten eingebracht worden ist, im Kern mit der Notwendigkeit, daß Berlin auch künftig formal und tatsächlich voll in den deutschdeutschen Handel integriert bleibt. Die zuständige Stelle für den deutsch-deutschen Handel ist die Treuhandstelle für Industrie und Handel in Berlin (West) auf seiten der Bundesrepublik und das Ministerium für Außenhandel der DDR in Berlin (Ost).
Die historische Entwicklung des deutsch-deutschen Handels nach dem Zweiten Weltkrieg beruhte juristisch auf alliiertem Recht, insbesondere auf dem Militärregierungsgesetz Nr. 53 und der alliierten Verordnung Nr. 500. Auch nach dem Inkrafttreten des Außenwirtschaftsgesetzes am 1. September 1961 blieben diese Bestimmungen in Kraft. Damit unterliegt der Wirtschaftsverkehr mit der DDR nach wie vor besonderen alliierten Bestimmungen.
Das Berliner Abkommen von 1951 über den Handel zwischen den Währungsgebieten der Deutschen Mark und der Deutschen Mark der Deutschen Notenbank (D-Mark Ost) gewährleistet die wirkungsvolle Einbeziehung von Berlin (West). Das Abkommen sieht vor, daß ein angemessener Teil der Lieferungen und Bezüge auf die Stadt Berlin (West) entfallen soll. Außerdem sichert die Abwicklung des Handels über die Treuhandstelle für Industrie und Handel in Berlin (West), daß West-Berliner Interessen berücksichtigt werden.
Eine zukünftig zu bildende gemeinsame Wirtschaftskommission zwischen der DDR und der Bundesrepublik darf die gefundene Praxis der Treuhandstelle nicht außer Kraft setzen. Die Gemeinsame Kommission soll Berliner Vertreter/innen berücksichtigen und selbstverständlich auch routinemäßig in Berlin tagen.
Aus der geographischen Lage Berlins ergibt sich, daß der deutsch-deutsche Handel dienstleistungsmäßig in Berlin besonders günstig vereinbart und abgewickelt werden kann. Dieser Standortvorteil sollte Berlin weiterhin zugute kommen.
Wir GRÜNEN können deshalb dem SPD-Antrag in der vorliegenden Fassung inhaltlich zustimmen. Leider hat die CDU/CSU in die Beschlußvorlage deutschlandpolitische Ambitionen geschrieben, die ich nicht teile. Im Antrag der SPD wird von den beiden deutschen Staaten geredet. Die CDU/CSU änderte diese Formulierung und spricht von beiden Staaten in Deutschland. Wir GRÜNEN betonen die politische Realität der Zweistaatlichkeit. Wir halten es politisch für überholt, sich auf die Einheit Deutschlands hin zu orientieren.
Zwei deutsche Staaten in Europa bedeuten für die jeweiligen Nachbarstaaten eine politische und wirtschaftliche Entspannung vor einer denkbaren Großmachtkonstellation in Mitteleuropa. Diese Situation hat im 20. Jahrhundert wesentlich dazu beigetragen, daß zwei Weltkriege von Deutschland aus angefangen worden sind. Gesamteuropäische Politik verlangt wirtschaftliche, ökologische und soziale Zusammenarbeit nicht nur innerhalb Westeuropas, sondern verstärkt mit allen osteuropäischen Ländern. Die wirtschaftliche, ökologische und soziale Lage in Ländern wie Polen, CSSR, Rumänien, Ungarn, UdSSR und selbstverständlich auch der DDR verlangt die Öffnung der Grenzen für jegliche Zusammenarbeit, die den Menschen eine lebenswertere Umwelt und Lebensqualität eröffnet. Es ist selbstverständlich, daß hierzu auch demokratische Grundrechte wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit gehören. Die DDR hat mit ihren jüngsten Eingriffen in die Arbeit der Umwelt- und Friedensgruppen in Berlin/DDR gegen diese Perspektive von Glasnost verstoßen. Es wäre eine hoffnungsvolle Perspektive, wenn die DDR die innere Souveränität aufbrächte, den „ganzen Gorbatschow" im Sinne des Wortes im eigenen Land anzuwenden. Einreiseverbote, Ausreiseverweigerungen sind Kennzeichen von mangelnder Kritikakzeptanz und Kritikfähigkeit gegenüber Andersdenkenden.
Wirtschaftlicher Handel ist dringend notwendig. Er kann aber der Politik kein menschliches Antlitz geben. Und von daher: Menschenrechte in Ost und West.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn in diesen Tagen soviel über die Zusammenarbeit zwischen Ost und West gechrieben und geredet wird, dann ist es ja nur zu verständlich, wenn dabei die Abrüstungsvereinbarung im Vordergrund steht, weil praktizierte Abrüstung zugleich Vertrauensbildung und Friedenssicherung bedeutet. Aber nicht geringschätzen darf man daneben die stabilisierende Wirkung auch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Für 'die Entspannung und die Sicherung des Friedens in Europa hat der Ost-West-Handel mit seinen über die Jahre sich verstärkenden Beziehungen mit den Staaten des Ostens und nicht zuletzt mit der DDR eine bedeutsame Rolle gespielt. Es ist deshalb nur zu begrüßen, daß die innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen jetzt vertieft und weiterentwickelt werden sollen; denn sie sind in der Tat eine verläßliche Grundlage für unsere Deutschlandpolitik.
Wenn es nun gilt, eine Gemeinsame Kommission zu bilden und damit einen neuen Schritt zu tun, um zu einer qualitativen und quantitativen Verbesserung des innerdeutschen Handels zu kommen, dann muf allerdings garantiert sein, daß dies wirklich ein Schritt nach vorn wird. Das ist nur dann der Fall, wenn nicht an Berlin vorbeimarschiert wird. Damit dies nicht passiert, sind Wachsamkeit und Konsequenz geboten denn leider haben wir ja in Berlin Felder der Politik auf denen wir immer noch eine Bilanz des Mangels
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Hoppe
registrieren müssen. Beispielhaft seien genannt: die Zwei-Tage-Besuchsregelung, der Jugendaustausch und der Sportverkehr, bei dem die sonst so zu begrüßenden Städtepartnerschaften noch zu einem zusätzlichen Risikofaktor werden.
Auf diesen von mir genannten Feldern muß die DDR endlich ihre Boykotthaltung korrigieren. Keinesfalls darf Berlin deshalb auch noch im Bereich der wirtschaftlichen Beziehungen ins Abseits geraten.
Für die bevorstehenden Wirtschaftsgespräche kann deshalb die dem Bundestag vorliegende Beschlußempfehlung des innerdeutschen Ausschusses nur bekömmlich sein, ja die dort verbindlich festgelegten Konditionen sind unverzichtbar, damit die Position Berlins nicht geschmälert wird. — Ich will sie hier nicht noch einmal im einzelnen vortragen, sondern nehme ausdrücklich Bezug auf den Inhalt der einstimmig verabschiedeten Vorlage zu dem Antrag der SPD. Der Schulterschluß von Bundestag und Bundesregierung in dieser Frage ist für Berlin lebenswichtig. Für die deutsch-deutschen Beziehungen kann es bestimmt förderlich sein, wenn die DDR Berlin aus der Schußlinie nehmen würde.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mitzscherling.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Debatte zeigt, daß alle Fraktionen dieses Hauses bessere wirtschaftliche Beziehungen zur DDR wollen. Auch wird deutlich, daß für uns der innerdeutsche Handel eben nicht schlichtweg Außenhandel, sondern von einer eigenen Bedeutung ist. Für uns sind bessere Wirtschaftsbeziehungen, engere Beziehungen zur DDR ein wichtiges Element besserer Gesamtbeziehungen.
Unserem vorwiegend politischen Interesse steht auf seiten der DDR vor allem ökonomisches Interesse gegenüber. Für sie hat der Handel mit den Währungsgebieten der DM-West — wie die Bundesrepublik und Berlin im Berliner Abkommen von 1951 genannt werden — einige nicht unbeträchtliche Vorteile. Immerhin geht mehr als ein Viertel aller DDR-Lieferungen nach Berlin (West), das wegen seiner räumlichen Nähe zum Verkauf transportkostenintensiver oder leicht verderblicher Güter besonders geeignet ist. Doch trotz der vielfältigen Maßnahmen zur Förderung des innerdeutschen Handels konnten seine Schwächen seit Abschluß des Grundlagenvertrages nicht wirklich überwunden werden.
Denn was die Materialien zum Bericht zur Lage der Nation schon 1971 feststellten, gilt heute, 16 Jahre später, grundsätzlich noch immer: Die Warenstruktur des innerdeutschen Handels ist dem Entwicklungsstand beider Volkswirtschaften nicht angemessen. Das stetige Wachstum des innderdeutschen Handels hängt mehr denn je von der Fähigkeit der Wirtschaft der DDR ab, Erzeugnisse anzubieten, für die nach Qualität und Preis Nachfrage auf dem Markt der Bundesrepublik besteht.
Entscheidend ist also nach wie vor die Fähigkeit der DDR, zu exportieren, um die erforderlichen Importe finanzieren zu können. Die aus dem Sonderstatus des innerdeutschen Handels im Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft resultierenden Vorteile und die steuerlichen Präferenzen sind zweifellos geeignet, den Absatz von DDR-Produkten auf unseren Märkten zu erleichtern. Deshalb wollen wir Sozialdemokraten den Sonderstatus des innderdeutschen Handels erhalten und treten allem entgegen, was ihn gefährden könnte. Wir freuen uns, daß diese Einstellung von den anderen Fraktionen geteilt wird.
An den bestehenden Rechtsgrundlagen, die diesem Handel zugrunde liegen, darf niemand rütteln. Das Berliner Abkommen muß weiter gelten. Berlins Bedeutung im innerdeutschen Handel muß herausragend bleiben. Sie darf nicht geschmälert, Berlins Stellung darf nicht geschwächt werden, schon gar nicht durch eine Kommission, die wir „Gemeinsame Kommission" genannt wissen wollen, um jegliche Verwechslungen mit Kommissionen zu vermeiden, die im Außenhandel tätig sind. Ich wiederhole, was ich schon bei der Einbringung unseres Antrags sagte. Für mich ist zumindest zweifelhaft, ob das vorgesehene Gremium wirtschaftlich nützt. Aber wenn es nun schon eingerichtet wird, muß alles dafür getan werden, daß seine Existenz nicht zu deutschland- und berlinpolitischen Nachteilen führt.
Ich freue mich deshalb, daß sich alle Fraktionen in den beratenden Ausschüssen unserem Anliegen angeschlossen haben und der Bundesregierung einen klaren Verhandlungsauftrag geben. Wir werden darauf achten, daß Berlin nicht zu kurz kommt: bei der Entsendung von Vertretern und als Tagungs- und Verhandlungsort. Wir wollen, daß Bewährtes erhalten bleibt. Die Treuhandstelle für Industrie und Handel muß wie bisher in Berlin tätig sein können.
Lassen Sie mich abschließend sagen, meine Damen und Herren, daß jenseits der Bildung neuer Gremien noch einiges getan werden kann, um den Ausbau der deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen zu fördern. Das gilt für beide Seiten. Die DDR-Wirtschaft erzeugt durchaus auch qualitativ hochwertige und preislich wettbewerbsfähige Produkte, die sich auf unseren Märkten absetzen lassen. Wer kennt bei uns nicht das schöne, aber sehr teure Meißner Porzellan? Aber wer weiß schon, daß viele unserer Uhren mit DDR-Uhrwerken betrieben werden, daß bei uns angebotene Textilien und Strümpfe aus der DDR kommen? Viele DDR-Erzeugnisse bleiben anonym, weil der westdeutsche Abnehmer es so wollte und der DDR-Exporteur nachgab, um rasch an heißbegehrte Devisen zu kommen.
Mehr Marktforschung und Markenbewußtsein, bessere Service- und Vertriebsleistungen, doch auch eine größere Produkt- und Produktionsflexibilität könnten hier helfen. Die DDR ist zu fragen: Warum kommt die Gestattungsproduktion nicht voran, warum werden keine Joint Ventures abgeschlossen, warum wird der devisenbringende Wochenendtourismus der Berliner nicht genutzt? Viele Felder sind ausbaufähig, vorrangig das der Kooperation im Umweltbereich. Die Bereitschaft in den DDR-Führungsetagen hierzu mag da sein, aber sie muß auch im Pro-
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Dr. Mitzscherling
duktions- und Vertriebsbereich der DDR ankommen. Vielleicht ist das nach dem Honecker-Besuch verbesserte Klima hilfreich.
Bei uns liegen die Schwierigkeiten nicht auf der Lieferseite. Unsere Unternehmer produzieren vieles, was die DDR braucht. Doch die DDR kauft nur dann, wenn sie auch bei uns verkaufen kann. Deshalb muß immer wieder geprüft werden, wie wir unsere Bezüge aus der DDR steigern können, z. B. durch Abbau von Kontingenten oder von Orientierungsgrößen. Mit anderen Worten: Mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der DDR heißt auch, mehr DDR-Produkte auf unsere Märkte zu bringen. Nur dann werden sich die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen weiterentwickeln können, und das wollen wir alle.
Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen der Fraktion DIE GRÜNEN ist das angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Doss, Günther, Hauser , Wissmann, Link, (Frankfurt), Dr. Becker (Frankfurt), Schulze (Berlin), Dr. Jobst, Dr. Unland, Jung (Limburg), Weiß (Kaiserslautern), Schwarz und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Cronenberg (Arnsberg), Dr. Thomae, Heinrich, Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Haussmann, Frau Seiler-Albring, Eimer (Fürth), Frau Würfel, Frau Folz-Steinacker, Nolting, Kohn, Gries, Frau Dr. Segall, Dr. Solms und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ladenschlußgesetzes
— Drucksache 11/1042 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 11/1462 —
Berichterstatter: Abgeordneter Urbaniak
Vom Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Es kann auch weniger sein, meine Damen und Herren. Aber immerhin, es sind 30 Minuten vorgesehen. — Es erhebt sich kein Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Doss. — Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Am 25. Juli 1986 wurde im Deutschen Bundestag das Ladenschlußgesetz letztmals novelliert. Zielsetzung der damaligen Regelung war, den seit Inkrafttreten des Ladenschlußgesetzes 1956 veränderten Reisegewohnheiten der Menschen Rechnung zu tragen und in wenigen ausgewählten Ausnahmebereichen auf Bahnhöfen, internationalen Flug- und Fährhäfen längere Öffnungszeiten zu ermöglichen. Alle, die seinerzeit am Entwurf der Novelle mitgearbeitet haben, waren der Überzeugung, mit der Aktualisierung einer Passage des Ladenschlußgesetzes eine Lösung gefunden zu haben, die allen Beteiligten nutzt.
Das Oberlandesgericht Frankfurt schuf jedoch mit seinem Urteil vom 1. Oktober 1987 durch eine Interpretation des Gesetzestextes, die die vom Gesetzgeber verfolgte Zielsetzung erheblich einschränkte, eine völlig neue Situation. Das Oberlandesgericht reduzierte den im Text befindlichen Begriff „Reisende" auf „Flugreisende" und verfügte damit die Ausgrenzung von Tausenden von Bahn-, Bus- und Pkw-Reisenden, Besuchern, Begleitpersonal und Flughafenbeschäftigten im Schichtdienst.
Die per Gerichtsbeschluß ausschließlich privilegierten Flugreisenden mußten sich in der Folge als solche ausweisen, um den versehentlichen Verkauf an einen Nichtflugreisenden und damit einen Gesetzesverstoß auszuschließen. Die Szenen, die sich ab dem 1. Oktober 1987 in den Läden auf dem Frankfurter Flughafen abspielten, machten in aller Deutlichkeit die Absurdität dieser neuen Situation klar: überforderte Kassiererinnen, erboste Kunden, verärgerte Einzelhändler, Unverständnis, mitleidiges Lächeln, Hohn und Spott und die nachdrückliche Bestätigung des Bildes vom übergenauen, alle Lebensbereiche regulierenden und kontrollierenden Deutschen. Die Resonanz war entsprechend. Die Attribute „weltfremd" , „lächerlich", „kleinlich", und „fluggastfeindlich" waren noch die gemäßigtesten Beschreibungen. Vom „Rückfall in die Provinzialität" war ebenso die Rede wie vom „Auftrag zum phantasievollen Umgang mit dem Gesetz".
— Der blanke Neid, weil Sie gleich hören, daß wir so erfolgreich tätig waren!
Die unmittelbaren Folgen des Frankfurter Urteils weiteten sich zur Provinzposse aus, die dem Ansehen des Flughafens als einer Drehscheibe des internationalen Verkehrs, als eines Aushängeschildes und einer Empfangsstation für Millionen ausländischer Besucher nachhaltig zu schaden drohte. Die Einschränkung des Serviceangebots bedeutet für den Frankfurter Flughafen eine beträchtliche Benachteiligung im ohnehin harten Wettbewerb mit konkurrierenden europäischen Nachbarflughäfen — mit nicht absehbaren Folgen für 150 Geschäfte mit 700 Beschäftigten auf dem Frankfurter Flughafen, mit einem befürchteten Umsatzrückgang von rund 30 %.
Mit dem Tag des Urteils begann die Arbeit an der Lösung des entstandenen Problems. Herr Urbaniak, in den vergangenen 70 Tagen gleich sieben Sitzungswochen wurde eine Formulierung erarbeitet und ab-
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Doss
gestimmt, die der schon 1986 verfolgten Intention Rechnung trägt, eine abweichende Interpretation ausschließt und sicherstellt, daß unsere internationalen Flughäfen wettbewerbsfähig bleiben. Die Sorge, das notwendige Novellierungsverfahren werde auch bei schnellster Bearbeitung nicht vor Herbst 1988 abzuschließen sein, erwies sich als unbegründet. Der Entwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, macht die Fähigkeit der CDU/CSU-FDP-Koalition deutlich, ein Problem schnell und zielgenau anzupacken und auch zu lösen. Er stellt darüber hinaus — jetzt sind Sie dran, meine Damen und Herren — die Bereitschaft aller Fraktionen in diesem Hause unter Beweis, einem bestehenden und in seiner Dringlichkeit allseits bewußten Handlungsbedarf nachzukommen und eine zeitgemäße sachliche Regelung zu finden.
Der Entwurf entspricht der ursprünglichen Intention einer pragmatischen benutzerfreundlichen Lösung. Er schließt Kontrollmaßnahmen aus, die in der Praxis kaum durchführbar sind und die Konflikte erzeugen, weil ihr Sinn nicht nachvollziehbar ist, weil sie verzögern und weil sie in Persönlichkeitsrechte eingreifen.
Da die Entscheidung des Gerichts kurzfristig nicht revidierbar ist, muß der Gesetzgeber die Grundlagen dieser Entscheidung in dem von ihm gewollten Sinne ändern. Ein sogenannter Abmahnverein — von Presseorganen als „Heckenschützen der Marktwirtschaft" bezeichnet —
und seine anonyme Klientel haben einen interpretationsfähigen Begriff einseitig in ihrem Interesse ausgelegt. — Herr Kollege Urbaniak, ich habe Sie gerade nicht verstanden.
— Ich? Ich habe doch nur zitiert, was die Leute von der Presse darüber geschrieben haben.
Das Gericht hat sich der angesprochenen Auslegung angeschlossen — eine Entscheidung, die schwer verständlich ist, die wir aber akzeptieren müssen.
Ich bin davon überzeugt, daß die jetzt gefundene Formulierung, die als Ergebnis intensiver Beratungen heute vorliegt, den Willen des Gesetzgebers dokumentiert, an internationalen Verkehrsknotenpunkten, an denen das Kaufverhalten der Benutzer von Fahr-und Flugplänen bestimmt wird, die quasi exterritorial liegen und nur einem begrenzten Publikum zugänglich sind, internationale Spielregeln — nämlich ein ungehinderter Verkauf an jedermann — Platz greifen zu lassen.
Ein Votum für eine solche Ausnahmeregelung ist weder ein Votum gegen das Ladenschlußgesetz noch ein Einstieg in dessen weitere Aushöhlung. Das Ladenschlußgesetz hat sich seit 30 Jahren als ausgewogener und funktionierender Kompromiß zwischen Einzelhandel, Mitarbeitern und Kunden bewährt.
Daran hat sich nichts geändert. Daran ändern auch veränderte Situationen, die eine Aktualisierung und Ausnahmeregelungen für Teilbereiche verlangen, nichts.
Mein besonderer Dank gilt daher den Kollegen von der FDP-Fraktion, denen es nicht leichtgefallen ist, lin Zuge dieser Novellierung an dieser Stelle auf eine weitergehende Liberalisierung im Hinblick auf eine zügige Beratung und eine zügige Lösung des Problems zu verzichten.
Wir führen daher heute keine Debatte über das Ladenschlußgesetz an und für sich, sondern alleine über einen Tatbestand, der nach allgemeiner Auffassung eine Ausnahmeregelung rechtfertigt. Mit dem zur Abstimmung vorliegenden Entwurf wird der Charakter des Ladenschlußgessetzes als einer Wettbewerbsregelung für den kleinen und mittelständischen Einzelhandel mit Schutzfunktion für die Beschäftigten nicht beeinträchtigt.
Mit dem § 9 Abs. 3 des Ladenschlußgesetzes sollen alleine die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, den Verkauf von Waren auf internationalen Flug- und Fährhäfen während der allgemeinen Ladenschlußzeiten ohne Personenkontrollen zu ermöglichen. Die Koalition hat das Problem erkannt und in Rekordzeit gelöst.
Sie ist en gros und en détail handlungsfähig.
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung eine Regelung im Rahmen des Ladenschlußgesetzes, die im § 9 lediglich dazu führt, Rechtssicherheit zu schaffen. Dafür treten wir immer ein. Die Betroffenen müssen eine klare Situation vorfinden. Das gilt vor allen Dingen für die Arbeitnehmer, die auf internationalen Flughäfen und im Bereich von internationalen Fährhäfen in den Läden und Ladenzeilen beschäftigt sind. Aber es gilt auch, für die Konsumenten eine klare Situation zu schaffen. Darum haben wir Herrn Doss natürlich zugestimmt und gesagt: Dies wollen wir sehr schnell in Ordnung bringen.
Dennoch wollen wir Ihnen sagen: Wenn die Bundesregierung dies 1986 ordentlich gemacht hätte — ich habe damals davon gesprochen, daß dies nicht im Schweinsgalopp geschehen dürfe — , wäre dies nicht notwendig gewesen.
Darum mußten Sie jetzt Ihre Initiative machen.
Wir haben bei den Beratungen aber einige wichtige Punkte festgehalten. Zunächst einmal haben die Mitglieder der Fraktion der SPD klar herausgestellt, daß unbeschadet der vorliegenden Regelung ihre entschiedene Haltung, die geltenden Ladenschlußbestimmungen zu bewahren, weiterhin gilt. Mit uns ist
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Urbaniak
eine Öffnung des Ladenschlußgesetzes nicht zu machen, meine Damen und Herren.
Dies werde ich natürlich dem Hause und Ihnen, lieber Kollege Heyenn, überhaupt nicht vorenthalten: Herr Doss hat sich dieser Meinung — das werden Sie jetzt durch Zuruf oder Nicken bestätigen — angeschlossen. Herr Doss, Sie sind einer der wenigen Mutigen in der Koalition.
Wir haben dazu aber auch die Erklärung der Bundesregierung bekommen. Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß mit der Gesetzesregelung, die wir heute verabschieden werden, eine Ausweitung und eine allgemeine Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes nicht verbunden ist. Dies ist Gegenstand des Berichtes geworden; das ist auch gut so. Hier haben wir Klarheit.
Der Ausschuß hat sich gründlich auch mit der Situation einer möglichen Konzentration von Einkaufszentren, die sich in solchen Bereichen bilden könnte, beschäftigt und ist in dieser Beratung zu der Überzeugung gekommen, daß dies eigentlich ausgeschlossen ist; das ist auch gut so. Wir wissen also, wo es hier lang geht.
Wir wollen das Ladenschlußgesetz so erhalten, wie es ist und wie es sich bewährt hat. Schutzfunktionen für die Arbeitnehmer sind hiermit ganz entscheidend herausgestellt. Eine Ausweitung wird ausgeschlossen.
Ich darf hier feststellen, daß es auch kein Bedürfnis gibt, diese Ladenschlußzeiten zu erweitern, denn wir haben ja bei einer 38,5-Stunden-Wochenarbeitszeit 64,5 Stunden Ladenöffnungszeit zur Verfügung; in den Wochen mit langen Samstagen sind es sogar 68,5 Stunden. So viel freie Zeit für das Konsumieren oder Einkaufen hat es wohl noch nicht gegeben. Auch darum bitten wir die Koalition, die sozialdemokratische Position zur Kenntis zu nehmen.
Wenn Sie mit dem Dienstleistungsabend kommen, dann können Sie das nur mit der Änderung des § 3 des Ladenschlußgesetzes verbinden und diesen öffnen. Dagegen werden wir uns stemmen, weil man Bewährtes nicht aufgeben soll. Und wenn Sie glauben, dies sei ein Mittel, die dahinplätschernde Konjunktur zu beleben als ein Instrument Ihrer Wirtschaftspolitik, dann kann ich Ihnen nur sagen: Auch damit werden Sie es nicht schaffen, denn für die immer weiter steigende Zahl von Arbeitslosen ist diese Regierung verantwortlich.
Da müssen Sie schon klotzen und nicht kleckern. Dazu sind Sie einfach nicht in der Lage. Sie sind wirtschaftspolitisch ausgebrannt.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Folz-Steinacker.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 1. Oktober 1987 hat das OLG Frankfurt die bisher geltende Einkaufspraxis auf dem Frankfurter Flughafen in Frage gestellt.
— Ich bedanke mich! — Dieses Urteil verpflichtete Geschäftsinhaber und Verkaufspersonal zu problematischen Kontrollen beim Verkauf außerhalb der allgemeinen Ladenschlußzeiten. Nur gut einen Monat später, am 5. November 1987, fand die erste Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfs statt, den Koalitionsfraktionen und hessische Landesregierung fast gleichlautend eingebracht haben, und, Herr Kollege, wiederum einen guten Monat später wird dieser Gesetzentwurf heute in zweiter und dritter Beratung abschließend behandelt.
Das Gesetzgebungsverfahren wird damit noch in diesem Jahr, wenn der Bundesrat zustimmt, abgeschlossen.
Vielfach wird dem Gesetzgeber der Vorwurf gemacht, er reagiere nur sehr langsam und zu spät. Ich freue mich — natürlich auch die FDP — , daß wir mit diesem Gesetz genau das Gegenteil beweisen können. Damit ist wieder einmal die Handlungsfähigkeit unserer Koalition bestätigt.
— Herr Kollege, solange ich nicht vom Podium heruntergehen und mich selbst beklatschen muß, bin ich ganz zufrieden.
Für die künftigen Diskussionen um den allgemeinen Dienstleistungsabend sehe ich es als gutes Omen an, daß wir auch die Opposition von der Notwendigkeit des Gesetzes überzeugen konnten. Vielen Dank! Dieses Gesetz ist zwar kein Einstieg in eine allgemeine Liberalisierung des Ladenschlusses,
aber es ist ein weiterer kleiner Schritt in diese Richtung, dem nach unserer Ansicht bald nächste folgen müssen.
Ziel des Gesetzes ist es auch, daß künftig ohne diskriminierende Kontrollen auf dem Frankfurter Flughafen eingekauft werden kann. Deshalb hat sich die FDP von Anfang an für eine möglichst großzügige Regelung eingesetzt. Damit haben wir sichergestellt, daß nicht erneute Diskussionen oder gerichtliche Verfahren heraufbeschworen werden, ob dieser oder jener berechtigt sei einzukaufen. Der Frankfurter Flughafen als Flugkreuz Nummer eins — das ist wohl unbestritten — in der Bundesrepublik braucht in dieser
3386 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Frau Folz-Steinacker
Hinsicht Gott sein Dank nicht um sein Weltniveau zu fürchten.
In dem einen Monat seit der ersten Lesung des Gesetzentwurfs ist die Diskussion um die Einführung eines allgemeinen Dienstleistungsabends ein gutes Stück vorangekommen. Wir sind sehr stolz darauf.
Drei Ereignisse möchte ich allerdings ausdrücklich hervorheben: Einmal sind es die verlängerten Hamburger Abendöffnungszeiten an zwei Donnerstagen, die ein voller Erfolg waren, was Sie nicht bestreiten können.
— Zwei Abende sind auch ein bißchen wenig, um neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Ich möchte dem Hamburger Senat und insbesondere dem Hamburger Wirtschaftssenator ganz ausdrücklich meinen Dank und den Dank meiner Fraktion sowie meine Anerkennung für ihre mutige Entscheidung aussprechen.
Die Verbraucher haben mit den Füßen und dem Pkw ganz deutlich abgestimmt und gezeigt, daß es ein Bedürfnis für solche verlängerten Abendöffnungszeiten gibt.
— Herr Kollege, hören Sie weiter zu!
Dagegen konnten auch die gewerkschaftlichen Störversuche Gott sei Dank nichts ausrichten. Fast gleichzeitig hat das Jahresgutachten des Sachverständigenrates den wissenschaftlichen Nachweis für die Notwendigkeit einer Flexibilisierung der Ladenschlußzeiten erbracht.
— Herr Kollege, das ist auch für Sie sehr wichtig.
Die „Fünf Weisen" fordern den Gesetzgeber nachdrücklich dazu auf, die Wachstumschancen für die Volkswirtschaft, die mit flexibleren Ladenschlußzeiten verbunden sind, ganz mutig zu nutzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Nein.
Diejenigen, die sich mit stereotypen Argumenten gegen die Einführung flexiblerer Ladenschlußzeiten wenden, sollten das Gutachten des Sachverständigenrates gründlich lesen.
Inzwischen haben sich die Koalitionsparteien über die Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Änderung des Ladenschlußgesetzes in der ersten Jahreshälfte 1988 ausdrücklich geeinigt. Ich begrüße dieses sehr. Damit ist nunmehr Klarheit über den weiteren Gesetzgebungsgang geschaffen.
I Ich möchte den Bundesarbeitsminister mit allem Nachdruck darauf hinweisen
— ich kann es nicht ändern —, daß wir kein Gesetz zur umfassenden Regelung aller Dienstleistungsbereiche in der Bundesrepublik wollen.
Der Dienstleistungsabend ist für uns ein Stück mehr Freiheit, mehr Spielraum für selbstverantwortliche Entscheidungen
und nicht ein zusätzliches Reglementierungsinstrument, liebe Kollegin. Ich fordere deshalb unseren Herrn Arbeitsminister Blüm auf, sich nicht als „Lordsiegelbewahrer" eines überlebten Ladenschlusses zu profilieren
und die hinhaltende Verzögerungstaktik seines Hauses bei der Einführung eines allgemeinen Dienstleistungsabends zu beenden.
— Richtig. Der 30. Juni wird für uns ein Stichtag sein. Wir werden sehr gespannt sein.
Der Dienstleistungsabend bedarf nur dort einer gesetzlichen Regelung, wo heute gesetzliche Hemmnisse bestehen. Da gibt es wohl gar keinen Zweifel. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, daß ein Gesetz nur dort gemacht werden soll, wo es wirklich absolut nötig ist.
Mit Bedauern stellen wir fest, daß die Gewerkschaften ihre Polemik gegen den Dienstleistungsabend fortsetzen. Dank eines Gerichtsbeschlusses sind den deutschen Verbrauchern bisher Weihnachtsstreiks der Gewerkschaft erspart geblieben. Nicht dieses Urteil, sondern die Urteilsschelte, die — ich will es umschreiben —, ein Funktionär der HBV noch vor der Veröffentlichung vorgenommen hat, ist ein Skandal.
— Ich muß das nicht wiederholen; man kann hier sehr gut hören.
Ich kann nur hoffen, daß die Gewerkschaften auch in den anderen Gerichtsbezirken wenigstens auf die geplagten Hausfrauen und Familienväter Rücksicht nehmen, die durch die Weihnachtseinkäufe ohnehin genug belastet sind.
— Liebe Kollegin, es gibt auch welche, die erst abends Zeit haben
und die dann gern einkaufen möchten. Wie steht es
um die Argumente einer Gewerkschaft, die sich nur
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3387
Frau Folz-Steinacker
dadurch zu helfen weiß, daß sie Streß und Zeitdruck der Mitbürger in der Weihnachtszeit für sich auszunutzen sucht?
Ich möchte an diese Stelle das noch einmal ausdrücklich betonen, worauf ich schon bei der ersten Lesung hingewiesen habe: Was auch immer die Gewerkschaften mit den Arbeitgeberverbänden an Tarifverträgen aushandeln mögen, es kann und wird keine Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen geben, die gegen den Dienstleistungsabend gerichtet sind.
— Dies ist eine Erklärung, meine Damen und Herren, die ich mit allem Nachdruck für die FDP abgebe. Darauf mögen sich alle Beteiligten einrichten. Die Koalition wird so, wie es in der Koalitionsvereinbarung vom Frühjahr festgelegt ist und wie es jetzt noch einmal bestätigt worden ist — das kann ja wohl niemand von Ihnen bestreiten — , die gesetzlichen Voraussetzungen für einen allgemeinen Dienstleistungsabend schaffen.
Wir werden uns von diesem Ziel einer fortschrittlichen, freiheitlichen Regelung des Ladenschlusses weder durch das Störfeuer der Gewerkschaften noch durch die Querschüsse der Opposition abhalten lassen.
Danke.
Das Wort hat jetzt Frau Beck-Oberdorf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Offensichtlich ist das Hohe Haus hier ein sehr gutes Beispiel dafür, wie wenig Leute abends Lust haben zu arbeiten. Das kann man hier sehen. Ich kann das übrigens gut nachvollziehen.
— Ja.
Ich gehe schon davon aus, daß diese Debatte um Frankfurt eine kleine Vorrunde und ein Vorgeschmack auf das ist, was auf uns zukommt, nämlich die Debatte um die generellen Ladenschlußzeiten, wozu Frau Folz-Steinacker soeben ja auch noch einmal ein brennendes Plädoyer gehalten hat.
Erfahrene HBVlerinnen können bezeugen, daß diese Debatte um die Verlängerung der Öffnungszeiten immer nach dem Sommerurlaub losgeht, wenn die Herrschaften aus dem Urlaub wiederkommen, von warmen Italien-Abenden träumen und nun ihre Einkaufsbummelei in gleicher Weise hier in der Bundesrepublik fortführen wollen. Sie vergessen dabei allerdings immer, daß in diesen Ländern eine lange Siesta angesagt ist. Darum kämpft hier natürlich niemand. Ich glaube, es ist niemand dabei vorzuschlagen, die Läden zwischen 12 und 17 Uhr zuzumachen. Dann könnten wir noch einmal anfangen zu diskutieren.
Ich bin einmal gespannt, wie diese Regierung versuchen wird, die Veränderung der Ladenöffnungszeiten, die immer so schön als Flexibilisierung bezeichnet wird — wieder einer der vielen Euphemismen dieses Hauses — , als frauenfreundliche Politik auszulegen. Das wird ja hier getan. Auch hier ist vom Weihnachtsstreß die Rede: die armen Frauen, die armen Mütter, die für ihre Kinder die Geschenke zusammenraffen müssen. Es wird dabei immer unterschlagen, daß es gerade die Frauen sind, die hinter den Tresen stehen werden, und daß sie die extrem Betroffenen einer Änderung des Ladenschlusses sein werden.
Wir werden also vermutlich erleben, daß Herr Blüm — wie er das sehr gerne tut — mit feuchten Augen die sanfte Macht der Familie beschwören wird, während auf der anderen Seite die FDP im Kabinett die Aufgabe übernehmen wird, die Gesetzesnovellierung vorzunehmen
und genau die Grundlagen dafür zu schaffen, daß eben diese Frauen abends in der Familie fehlen werden.
Nicht anders wird das aussehen müssen, weil sie nämlich in den Geschäften arbeiten müssen. Ich weiß nicht, wie Sie sonst den geänderten Ladenschluß bewerkstelligen wollen.
Als zweites kommt noch hinzu, daß die Arbeitsverhältnisse, die dort entstehen werden, noch einmal benachteiligender für Frauen sein werden, als sie eh schon sind, weil dort natürlich noch mehr Flexibilisierung und Teilzeitarbeit in schlechtestem Maße stattfinden wird.
Diese Art von Frauenpolitik kennen wir zur Genüge. Das heißt dann eben: Ein Sträußchen am Muttertag für Frauen, aber hinten herum, wo reale Politik gemacht wird, kommt das heraus, was hier jetzt ansteht. Das Ladenschlußgesetz ist von der Idee her ein Arbeitsschutzgesetz; dessen sollten wir uns hier wieder besinnen.
Aber gut, hier geht es zunächst einmal um den Frankfurter Flughafen. Ich gebe sofort zu, daß auch ich auf Reisen außerhalb der normalen Einkaufszeiten manchmal Bedarf an einem Brötchen oder einer Tafel Schokolade habe. Ich persönlich habe weniger Schwierigkeiten, Chanel No. 5 oder einen Pelzmantel als Reisebedarf anzuerkennen. Auch das alles gibt es in Frankfurt. Wir haben also insofern schon ein Stückchen Pilotprojekt für die Erweiterung der Ladenschlußzeiten.
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Frau Beck-Oberdorf
Da aber auch wir davon ausgehen, daß es zu einer Posse wird, wenn man sich beim Einkauf ausweisen muß, und auch wir diese pingelige Grenzziehung nicht mit vertreten wollen, stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, obwohl ich noch einmal betonen möchte, daß sich Kollegen und Kolleginnen von mir im Ausschuß zum Teil anders verhalten haben, weil sie eben die Gefahr sehen, daß hier der Eintritt und der Dammbruch vorbereitet werden für längere Ladenöffnungszeiten, und sich insofern enthalten oder gegen diesen Entwurf gestimmt haben. Wir sagen noch einmal: Generell in der Ladenschlußdebatte stehen wir ganz hart gegen jede Änderung. —Gut, es gibt Unterschiede. Ich stehe gegen jede Änderung; meine Kollegin von hinten guckt schon „böse". Andere Vorschläge werden wir sicherlich in der generellen Debatte noch einmal hier benennen.
Mit der „Kollegin von hinten" war ich nicht gemeint, möchte ich hiermit mitteilen.
Ich stimme Ihnen ausnahmsweise zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Wer dem Gesetz als Gan-
zem zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Soweit ich sehen konnte, ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 bis 11 auf:
7. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Mai 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen
— Drucksache 11/361 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 11/981 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Kalisch Dr. Nöbel
Dr. Hirsch
Wüppesahl
8. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
19. Dezember 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über den Verlauf der gemeinsamen Staatsgrenze
— Drucksache 11/477 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 11/1345 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schwarz Voigt
Dr. Lippelt
9. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 26. März 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die Berichtigung der deutsch-belgischen Grenze im Bereich der regulierten Grenzgewässer Breitenbach und Schwarzbach, Kreise Aachen und Malmedy
— Drucksache 11/476 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 11/1346 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Wulff Voigt
Dr. Lippelt
10. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur dem Internationalen Kakao-Übereinkommen von 1986
— Drucksache 11/630 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 11/1444 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Sauter
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/1449 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Borchert Dr. Struck
Frau Rust
11. Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Miltner, Gerster , Regens-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987 3389
Vizepräsident Frau Renger
purger, Fellner, Dr. Blank, Dr. Blens, Clemens, Dr. Hüsch, Kalisch, Dr. Kappes, Krey, Neumann , Dr. Olderog, Weiß (Kaiserslautern), Frau Dr. Wisniewski, Zeitlmann und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hirsch, Richter, Lüder und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes
— Drucksache 11/1190 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 11/1492 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Hämmerle
Wüppesahl Dr. Kappes Richter
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf zum Vertrag mit dem Königreich Dänemark. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf zum Vertrag mit dem Großherzogtum Luxemburg. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angemommen.
Wir stimmen nunmehr über den Gesetzentwurf zum Vertrag mit dem Königreich Belgien ab. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir stimmen jetzt zum Gesetzentwurf zum Internationalen Kakao-Übereinkommen von 1986 ab. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen der GRÜNEN ist der Gesetzentwurf angenommen.
Wir kommen nunmehr zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes. Mir ist mitgeteilt worden, daß der Herr Berichterstatter noch zu uns zu sprechen wünscht. Herr Dr. Kappes, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will hier nur mitteilen, daß mir das Bundesministerium der Justiz heute nachmittag auf dem Weg über den Sekretär des Innenausschusses mitgeteilt hat, es habe formale Bedenken gegen die vorliegende Ausschußfassung des Gesetzentwurfes. Nach Meinung des Bundesjustizministeriums soll die Einleitung zu Art. 1 entfallen.
Ich habe das mit Frau Kollegin Hämmerle, die Berichterstatterin für die sozialdemokratische Fraktion ist, abgestimmt; wir könnten dem zustimmen. Die beiden anderen Berichterstatter sind nicht hier. Es bestehen aber sicher keine Bedenken, dieser Anregung des Justizministeriums zu folgen. Inhaltlich ändert sich nichts dabei.
Sind alle einverstanden?
— Daß ist großartig; ich danke vielmals.
Danke schön, Herr Berichterstatter.
Wir können zur Einzelberatung und Abstimmung kommen. Der Berichterstatter hat gesagt, Art. 1 soll wegfallen.
— Nur die Einleitungsformel.
— Aha! Ich bitte um Entschuldigung.
Ich lasse über die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift mit der vom Berichterstatter vorgeschlagenen Änderung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angemommen.
Wir treten in die
dritte Beratung und Schlußabstimmung ein.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 und 13 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dritten Protokoll vom 12. Mai 1987 zur Änderung des Vertrages vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogtum Luxemburg über die Schiffbarmachung der Mosel
— Drucksache 11/1177 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Verkehr
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau
Saibold und der Fraktion DIE GRÜNEN
Übernahme des internationalen WHO-Kodexes für die Vermarktung von Muttermilchersatz
— Drucksache 11/552 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
3390 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Vizepräsident Frau Renger
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 80/1107/EWG zum Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische, physikalische und biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit
— Drucksache 10/5980 Nr. 2.44, 11/1480 —
Berichterstatter: Abgeordneter Fuchtel
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 und die Zusatztagesordnungspunkte 4 bis 6 auf:
Beratung der Sammelübersicht 32 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/1441 —
ZP4
Beratung der Sammelübersicht 33 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/1493 —
ZP5
Beratung der Sammelübersicht 35 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/1495 —
ZP6
Beratung der Sammelübersicht 36 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/1496 — Auch hierzu ist keine Aussprache vorgesehen.
Wer stimmt diesen Beschlußempfehlungen des Ausschusses zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen
Einwilligung in die Veräußerung eines bundeseigenen Grundstücks in Stuttgart-Feuerbach gem. § 64 Abs. 2 BHO
— Drucksachen 11/903, 11/1455 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Simonis Roth
Zywietz
Frau Rust
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Ausschusses zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 10. Dezember 1987, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.