Rede von
Dr.
Jürgen
Schmude
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Waldburg-Zeil,. ich bin Ihnen für den Hinweis, den ich aufgreife, dankbar. Ich habe nur zitiert, was uns Herr Irmer sagte, als er meinte, man könne sich ja vorstellen, wie die Buren reagieren. Sie haben recht: Wir sollten da unterscheiden, damit wir auch unsere Freunde erkennen.
Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt ja immer wieder Kritiker unserer Haltung, die uns nahelegen, uns doch nicht mit Südafrika, sondern mit vielem anderen, was näherliegt, hier zu beschäftigen.
— Sehen Sie, Herr Lowack, Sie sagen auch noch „richtig" dazu. Ich frage Sie, Herr Kollege Lowack, ob Sie wirklich bei dieser Meinung bleiben können, ob Sie es vertreten können, dabei zu bleiben, wenn Sie sich noch einmal die Tatsachen vor Augen führen. Etwa die Tatsache, daß in Südafrika eine Rassendiktatur herrscht, die den Betroffenen und Verletzten keine Chance des Entkommens, keine Möglichkeit zur Besserung ihrer Lage läßt. Der weitaus größte Teil der Bevölkerung wird rechtlos gestellt, darf weder politisch noch wirtschaftlich mitbestimmen, wird in Bildung und Beruf konsequent niedergehalten. Und das auf Grund eines Rassenwahns, der seine ganze Gemeinheit doch erst zu entfalten begann, als der Rassenwahn in Deutschland militärisch besiegt und vor aller Welt als abschreckendes Beispiel entlarvt war. Da drängen sich Parallelen auf, so wenig sie umfassend, etwa durch eine Gleichstellung, gezogen werden dürfen.
Aber auch in Südafrika ist es ja nicht ein Regime chaotischer Desperados, das die schwarze Bevölkerungsmehrheit unterdrückt und terrorisiert, es ist ein moderner Staat, der ein ganzes System raffinierter Instrumente nutzt, um den schwarzen Bürgern den Weg zur Besserung ihrer Lage, den Weg zur Gleichberechtigung zu verstellen.
Vom Gesetzesrecht angefangen über die Praktiken der Verwaltung und Polizei bis hin zu gesellschaftlichen Mechanismen reichen die Schlingen dieses Netzes, in dem die Unterdrückten keinen Durchlaß finden. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn gelegentlich einige Maschen des Netzes neu geknüpft werden.
Es wird ein Ausnahmerecht praktiziert, das die schwarze Bevölkerung mit aller Härte trifft. Polizei und Sicherheitskräfte sind zur Brutalität und Willkür ermächtigt, ohne dafür nach den dort geltenden allgemeinen Gesetzen zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Damit die so ermöglichten Abscheulichkeiten nicht zu deutlich offenbar werden, sorgt eine strenge Pressezensur mit Verboten und Strafdrohungen dafür, daß die staatliche Gewalttätigkeit weitgehend unbeobachtet wüten kann. Wie zum Hohn, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Weltöffentlichkeit verstärken die von Südafrika bezahlten PR-Agenturen und Informationsbüros ihre Propagandatätigkeit, während freie Journalisten mundtot gemacht worden sind.
Das Ganze, was ich Ihnen vorstellen muß, vollzieht sich ja nun nicht durch eine Diktatur eines exzentrischen Alleinherrschers, sondern durch einen Staat, der den Anspruch erhebt, eine Demokratie zu sein, und das für eine kleine Minderheit seiner Bürger ja auch wirklich ist.
Da werden Demonstranten gejagt, auf sie wird scharf geschossen, und zahlreiche Todesopfer solcher Polizeieingriffe haben die Einschußwunden auf dem Rücken. In großer Zahl werden Menschen ohne Begründung festgenommen, ohne Gerichtsurteil festgehalten. Viele tausend Kinder sind in noch nicht einmal zwei Jahren darunter gewesen; viele sind immer noch in Haft. In der Haft wird geprügelt, gefoltert. Mit Folter schafft man Beweise. Beweise führen zu Verurteilungen und, wie wir hören, immer wieder zu Hinrichtungen. Es kommt auch in der Haft zur Tötung von Häftlingen. Und das nun nicht in einer Gesellschaft, die sich der Ruchlosigkeit verschrieben hat, sondern unter einer herrschenden Schicht, die sich der christlichen Botschaft verpflichtet weiß und die die entwürdigende Behandlung der Mehrheit sogar theologisch begründen läßt.
Daß wir an diesen Zuständen, an diesem menschlichen Leid und diesem unmenschlichen Unrecht nicht achtlos vorbeigehen dürfen, leuchtet auch ohne weitere Gründe ein. Es gibt sie aber, diese weiteren Gründe; denn unser Land unterhält intensive wirtschaftliche Beziehungen zu Südafrika, erlaubte und leider auch unerlaubte, wie wir heute bei der Erwähnung und Darstellung der Probleme des U-Boot-Ausschusses noch einmal sehen mußten. Viele Deutsche leben dort als Nutznießer des Systems. Es gibt kirchliche Beziehungen, die noch ins vorige Jahrhundert zurückreichen, und es gibt auch vielfältige politische Verbindungen.
Wer trotz all dem zu Unrecht und Verbrechen schweigt, ja, sogar eine Politik, auch eine Wirtschaftspolitik, fortsetzt, die das Unrecht stärkt, enthält sich nicht der Stimme, er fördert die Täter und macht sich mitschuldig.
Er macht sich mitschuldig daran, daß die Demokratie westlichen Musters in ihrem Ansehen bei den Völkern der Dritten Welt herabgesetzt wird. Nicht als hilfreiche Einrichtung zur Entfaltung der Freiheit und zum Schutz der Menschenwürde wird die südafrikanische „Demokratie" von der Mehrheit im eigenen Land und von den Nachbarvölkern erfahren, sondern als Unterdrückungssystem, das die demokratischen Rechte und Freiheiten verhindert. Das fordert uns heraus, und für viele in unserem Land ist die Provokation dadurch besonders bitter, daß sich die südafrikanische Verfassung ausdrücklich auf den allmächtigen Gott beruft.
Es ist in dieser Debatte schon gesagt worden, wie abwegig es ist, diese Politik auch noch mit der Ab-
3360 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1987
Dr. Schmude
wehr des Kommunismus zu rechtfertigen. Sie betreibt nämlich das Gegenteil.
Der südafrikanische Präsident Botha schätzt es ja, dieses Hilfsargument zu verwenden, und er hat letztens auch gesagt, er verbitte sich jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes. So hat er es dem SPD-Vorsitzenden Willy Brandt gegenüber erklärt, als dieser ihn auf Menschenrechtsverletzungen und undemokratische Zustände ansprach. Das ist ja nicht nur eine schlechte Verteidigung gegen den Vorwurf der Menschenrechtsverletzungen; es ist ein qualifiziertes Geständnis. Wo Menschen gequält und verfolgt werden, gilt gegenüber schützender Fürsprache das Argument der Einmischung nicht. Wer will, mag den Vorgang bestreiten und zur Nachprüfung stellen, er mag vielleicht auch für eine andere Bewertung eintreten; statt dessen aber die Kritik als angebliche Einmischung zurückzuweisen heißt, sich die Befugnis zur Menschenrechtsverletzung dreist und offen selbst zuzubilligen.
Da sagen uns Fürsprecher der südafrikanischen Regierung — und auch Herr Bötsch hat uns das heute wieder erklärt — , es habe doch aber Reformen gegeben und gebe sie noch. Gewiß hat es Verbesserungen gegeben, z. B. im Staatsbürgerschaftsrecht. Die genaue Betrachtung freilich, Herr Kollege, zeigt, daß der Rechtsanspruch auf Verleihung und Wiederverleihung der Staatsangehörigkeit für die meisten in Südafrika lebenden Schwarzen unerreichbar ist. Gezielt sind die Voraussetzungen so gestaltet worden. Ähnlich sieht es mit dem Paßgesetz und mit dem Anspruch auf den für alle gleichen Paß aus.
Die eigentlichen Härten und Schärfen der Apartheid werden durch solche Reformen ohnehin nicht gemildert. Rechtlosigkeit im politischen Leben sowie Benachteiligung und Unterdrückung in Wirtschaft und Arbeit bleiben für die Schwarzen unverändert bestehen. Bestätigt wird die Richtigkeit ihrer Forderung, man könne die Apartheid nicht reformieren, man müsse sie abschaffen. Wir machen uns diese Forderung zu eigen.
Es ist schon Anlaß zur Scham, wenn namhafte Politiker unseres Landes — ich nenne ausdrücklich den bayerischen Ministerpräsidenten Strauß — der politischen Gleichberechtigung der Schwarzen in Südafrika offen widersprechen.
— Entschuldigung, wer ist es, der nicht müde wird, öffentlich zu erklären „One man, one vote, das ist eine irrsinnige und abwegige Formulierung", wer ist das?
Das ist eben der, von dem ich hier rede: Herr Strauß.
Es führt in die Irre, wenn zur Begründung auf Gewaltanwendung durch Schwarze und unter Schwarzen hingewiesen wird. Gewiß hat es bei den Auseinandersetzungen unter Schwarzen bis in die letzten Tage abscheuliche Verbrechen gegeben, und zwar vor allem da, wo sich Wut, Verbitterung und Orientierungslosigkeit durchgesetzt haben und auch der Afrikanische Nationalkongreß keinen Einfluß mehr ausüben konnte. Aber es ist die weiße Regierung, die Verantwortung und Schuld auf sich geladen hat, indem sie unzählige schwarze Jugendliche in hoffnungslosem Elend leben läßt und ihnen statt einer angemessenen Ausbildung die Erfahrung gewalttätiger Verfolgung, Verhaftung und auch der Folterung durch die Sicherheitsorgane vermittelt.
Sehr geehrte Damen und Herren, es wäre ein selbstverständliches Gebot der Vernunft, in einer solchen Situation eine Lösung darin zu suchen, daß verantwortungsbewußte und zur Vermittlung des friedlichen Ausgleichs befähigte Vertreter der schwarzen Mehrheit gestärkt und ermutigt werden. Es gibt sie ja in großer Zahl, vor allem in den Kirchen und Gewerkschaften. Aber die Chance zum friedlichen Wandel, die damit der südafrikanischen Regierung immer noch geboten ist, wird von dieser mit besonderem Nachdruck ausgeschlagen. Gerade die vernünftigen Kräfte werden verfolgt, schikaniert, bedrängt und geschwächt. Wir haben heute wieder von zusätzlichen Verhaftungen dieser Art gehört. Statt maßvolle Führung zum friedlichen Wandel hin wahrnehmen zu können, stehen diese Kräfte vor ihren schwarzen Mitbürgern als Erfolglose da, von denen Hilfe nicht zu erwarten ist. Also bevorzugen viele gleich radikaleres Vorgehen und Gewalttätigkeit.
Gut kann es auf diesem Weg in Südafrika nicht ausgehen. Ein katastrophaler und blutiger Bürgerkrieg mag sich durch weitere Unterdrückungsherrschaft noch eine Weile aufschieben lassen, aber er wird durch sie zugleich immer wahrscheinlicher. Den drohenden Schrecken dürfen wir nicht erst Wirklichkeit werden lassen, um dann zu erleben, wie er auch uns betrifft und erschüttert.
Heute sind wir aufgefordert, mit aller Entschiedenheit unsere Stimme zu erheben und ebenso durch unser Handeln für die unterdrückten Menschen in Südafrika und gegen das Unrecht aufzutreten. Das erfordert deutliche Worte, wie wir Sozialdemokraten sie in unserem Antrag gebrauchen, wie wir sie hier auch von Politikern der FDP gehört haben. Aber dabei ist uns aufgefallen: Die ablehnenden Reaktionen, Herr Staatsminister, auf Ihre Rede gab es nicht bei der Opposition; die gab es in den Reihen der Regierungskoalition. Dort hat sich zum Teil kein Beifall gerührt.
Ich glaube, ich irre mich nicht darin, daß Sie eine undeutliche Sprache pflegen. Das gilt übrigens, Herr
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Dr. Schmude
Kollege Bötsch, heute auch wieder für Sie. Die Verhältnisse in Südafrika seien nicht zufriedenstellend, haben Sie uns mitgeteilt.
Wissen Sie, das erinnert mich an das Wort eines anderen Herrn aus Ihren Reihen, der meinte, es seien unfeine Methoden in Chile angewendet worden. Machen Sie nur so weiter, aber beanspruchen Sie keine Glaubwürdigkeit!
Es müssen wirtschaftliche und politische Maßnahmen folgen, Maßnahmen, die die Gegner der und Kämpfer gegen die Apartheid ermutigen und nicht, wie in der Fortsetzung der jetzigen Praxis liegend, entmutigen.
Diejenigen, die ihre Ruhe und das Thema vom Tisch haben wollen, täuschen sich. So fest man hier die Ohren auch verschließen mag, die südafrikanische Führung sorgt durch ihre Unterdrückungspraktiken dafür, daß der Skandal unüberhörbar bleibt. Der Aufgabe, die uns damit gestellt ist, können und dürfen wir uns nicht entziehen.
— Tut mir leid, ich bin fertig.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.