Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Amtsführung des Bundeskanzlers im Zusammenhang mit seinem „Newsweek"-Interview
Die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem erwähnten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.
Frau Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bedeutung des taktlosen Fehlgriffs des Bundeskanzlers gegenüber der Sowjetunion ist hier vor einer Woche behandelt worden. Dazu ist heute nur nachzutragen, daß hoffentlich auch diese Aussprache die Ablehnung der Denkweise und des Verhaltens des Bundeskanzlers durch die große Mehrheit der Bürger unseres Landes bekräftigen wird.
— Ich finde es interessant, daß Sie das Hamburger Wahlergebnis als Bestätigung von Denkweisen und Verhalten des Bundeskanzlers in dieser Sache würdigen.
Wir werden das noch nacharbeiten. — Hoffentlich läßt sich auch dazu beitragen, daß der angerichtete Schaden für die deutsch-sowjetischen Beziehungen begrenzt bleibt.
Heute stehen andere Gesichtspunkte im Vordergrund, z. B. die in dem Interview sichtbar gewordene unangemessene Amtsführung des Bundeskanzlers und sein Umgang mit dem Bundestag. Es können doch nur Unverfrorenheit und Geringschätzung des Parlaments sein, auf deren Grundlage man uns zumutet, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen.Der Bundeskanzler hat am 6. November 1986 hier wörtlich ausgeführt:Das Interview in „Newsweek" gibt in der entsprechenden Passage Sinn und Inhalt des eineinhalbstündigen Gesprächs nicht korrekt wieder. Dabei ist der falsche Eindruck vermittelt worden, ich hätte Generalsekretär Gorbatschow persönlich mit Goebbels vergleichen wollen. Das war nicht meine Absicht.
Wer bereit war, ihm das zu glauben, sah sich schon wenige Stunden später getäuscht. Das von den Rundfunkanstalten mit Hilfe des Tonbandes gesendete Interview-Gespräch des Bundeskanzlers mit dem „Newsweek"-Redakteuren hat eindeutig bewiesen, daß die Wiedergabe der Äußerung des Bundeskanzlers in „Newsweek" nicht nur korrekt war; der akustische Eindruck der Häme und der gezielten Absicht, mit der der Bundeskanzler seinen abwegigen Vergleich angestellt hat, gibt noch mehr Anlaß zur Bestürzung als der veröffentlichte Text.
Die Behauptung des Bundeskanzlers, er sei unkorrekt zitiert worden, sein Versuch, durch Vorwürfe an andere vom eigenen Fehlverhalten abzulenken, beides hat den Tag der Bundestagsdebatte nicht überdauert.Nicht der von „Newsweek" erweckte Eindruck, sondern der vom Bundeskanzler mit seiner hier gehaltenen Rede vermittelte Eindruck hat sich als falsch herausgestellt. Wir haben keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß ihm diese Unrichtigkeit auch bewußt gewesen ist. Was diese beiden Feststellungen in der Konsequenz bedeuten, ist klar.
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18960 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Dr. SchmudeNicht Distanzierung vom entstandenen Eindruck, sondern Distanzierung von den eigenen Äußerungen war angezeigt,
und zur Sache war klarzustellen, daß und warum der Bundeskanzler seine Interview-Aussage nicht aufrechterhält. Darauf warten wir bis heute vergeblich. Ist es Sturheit, die die Klarheit verhindert? Ist es die Einbildung, ein starker Mann der Politik dürfe keinen Fehler zugeben? Tatsächlich ist doch uneinsichtige Verdrängung kein Ausdruck von Stärke, sondern von Schwäche und Unsicherheit.
Oder spielt die Absicht eine Rolle, nicht durch Rücknahme der Äußerungen, wie sie gedruckt und gesprochen worden sind, diejenigen zu verprellen, auf deren Beifall der Bundeskanzler am rechten Rand der Union und darüber hinaus rechnen durfte? Unser freidemokratischer Kollege Schäfer hat dazu am 6. November eine kennzeichnende Äußerung eines Unionsabgeordneten im Europaparlament vorgetragen. Rücksichtnahme auf diesen Abgeordneten und auf andere kann das Verhalten des Bundeskanzlers erklären; gerechtfertigt wird es dadurch nicht, sondern es erscheint nur noch schlimmer.Wir fordern hier jene deutliche Klarstellung des Bundeskanzlers, die allein die Bereinigung bringen kann. Diese ist nach seiner Rede vor einer Woche auch gegenüber dem Bundestag geboten. Indem wir darauf drängen, Herr Bundeskanzler, helfen wir Ihnen übrigens gegen Ihre gefährlichsten Gegner: gegen Überheblichkeit, Dickfelligkeit und Übermut.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei großzügiger Auslegung kann man ja vielleicht Verständnis dafür haben, daß Herr Kollege Vogel mangels anderer Masse in „Newsweek" mit lautem Getöse breit eingestiegen ist. Peinlich ist nur, Herr Kollege Vogel, daß Sie von diesem Thema jetzt nicht wieder herunterkommen, jedenfalls nicht mit Anstand und nicht rechtzeitig.
Das ist zunächst peinlich für Sie selbst. Man fragt sich, welche Interessen Sie eigentlich wahrnehmen.
Nach Ihrer eigenen Erklärung soll es ja heute nicht um die deutschen oder die sowjetischen Interessen, sondern um die „Newsweek"-Interessen gehen, meine Damen und Herren,
um die armen „Newsweek"-Redakteure. Hans-Jochen Vogel, Schutzpatron aller Mühseligen und Beladenen, von Gorbatschow bis „Newsweek".
Meine Damen und Herren, es ist auch peinlich für die Partei des Herrn Vogel. Nach ihren nun wirklich schlimmen Wahldebakeln in Bayern und in Hamburg sollte sie wissen,
daß auch Oppositionspolitik konstruktiv sein muß, wenn sie Erfolg haben soll.
Sie darf vor allem nicht destruktiv sein, vor allem in der Außenpolitik nicht.
Und schließlich ist Ihr Verhalten, meine Damen und Herren, auch peinlich für das Parlament. Müssen die Bürger nicht den Eindruck bekommen, hier werde absurdes Theater gespielt, wenn ein ausgelaugtes — man muß schon sagen: ausgelutschtes — Thema immer weiter beredet wird?
Meine Damen und Herren, meine Fraktion will gute Beziehungen zur Sowjetunion,
und die Sowjetunion will auch gute Beziehungen zu uns. Sie hat das „Newsweek"-Thema j a nun wirklich zögerlich und erst dann aufgegriffen, nachdem die SPD es zum Wahlkampfthema gemacht hatte.
Was soll denn die Sowjetunion nun eigentlich machen, soll sie den Wahlkampf der SPD unterstützen? Das lohnt sich doch nicht.
Sie weiß doch selbst, daß die SPD in ihrer jetzigen Verfassung nicht gewählt werden kann.
Oder soll sie nun schweigen, während sich die SPD zu ihren Gunsten erregt? Auch das ist schwierig.
Herr Kollege Vogel, es ist peinlich.
Meine Damen und Herren, es gibt viele gute Ansätze zu vertieften Beziehungen mit der Sowjetunion. Sie können offenbar nicht von denen wahrgenommen werden, die sich aufspielen, als ob sie sowjetischer seien als die Sowjetunion, und das ist doch in Ihrer Polemik und in der Sache der Fall.
Sie können nicht fruchtbar gemacht werden von denen, bei denen die Sowjets nicht genau wissen, ob es ihnen angenehm ist, wenn sie als Genossen oder nicht als Genossen bezeichnet werden.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18961
Dr. DreggerDie Sowjets wissen bei uns, woran sie sind: Wir sind kalkulierbar. Wir vertreten auch handfeste Interessen, und zwar die deutschen.
Wir nehmen diese deutschen Interessen genauso nachdrücklich wahr, wie die Sowjetunion die sowjetischen Interessen wahrnimmt.
Je weniger aufgeregt, je sachbezogener wir es tun, um so besser für die Sowjetunion und für uns. Wir werden uns durch Sie daran nicht hindern lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Losgegangen ist das Ganze j a mit dem unsäglichen Wort von der „Gnade der späten Geburt". Dann kam die Waldheim-Unterstützung. Dann kam in Deutschland die schlimme Debatte über die kausale Verknüpfung der Verbrechen Stalins mit den Verbrechen Hitlers, eine Debatte, die nach dem Motto gelaufen ist: Wenn man die Nationalsozialisten und die nationalsozialistischen Verbrechen nur mit genügend Kriminellem vergleicht, dann wird sich das schon relativieren. Danach ist diese Debatte gelaufen.
Und dann, Herr Bundeskanzler, wesentlich schlimmer und noch falscher:
der Goebbels-Gorbatschow-Vergleich.
Was wird damit denn eigentlich ausgesagt? Damit wird ausgesagt:
Was Herr Goebbels getan hat — er hat das deutsche Volk aufgehetzt, hinter sich versammelt, um eine verbrecherische kriminelle Politik durchzuführen —, wird auf diese Art und Weise relativiert. Das ist der innenpolitische Aspekt Ihres Vergleichs und dieses „Newsweek"-Interviews.
Wenn man sich das Zitat in „Newsweek" einmal genauer anschaut, was denn da eigentlich gesagt worden ist, und wenn man das Gelächter, das dort im Protokoll vermerkt wird, mit interpretiert, dann kann man sich eines Eindrucks nicht erwehren, Herr Bundeskanzler: Im Grunde genommen sind Sie von denen, die Sie da miteinander verglichen haben, fasziniert.
Im Grunde genommen sind Sie davon fasziniert. Das kommt in diesem „Newsweek"-Zitat zum Ausdruck. Fasziniert hat Sie das Totalitäre. Fasziniert hat Sie das Totalitäre an beiden. Das ist der wirkliche Vorwurf, den man Ihnen in dieser Debatte machen soll.
Ich finde es nicht richtig, daß Sie darüber lachen. — Das Schlimme, Herr Bundeskanzler, ist doch Ihr Verhältnis zur deutschen Geschichte,
ein Verhältnis zur deutschen Geschichte, das überhaupt nicht erkannt hat, was da eigentlich geschehen ist.
Was Sie mit diesem Vergleich wollten, war doch wieder einmal nichts anders als eine Rechts-LinksGleichsetzung. Das ist einmal wieder eine Verhöhnung der Opfer, die in den nationalsozialistischen KZs als Linke umgebracht wurden.
— Eine Verhöhung der Opfer!
Und dann, Herr Bundeskanzler, das unrühmliche Ende dieser Affäre: der Versuch einer Bewältigung. „Newsweek" erzählen Sie, mit dem GorbatschowVergleich hätten Sie die Sache — ich zitiere wörtlich — „auf den Punkt gebracht". Das sagen Sie dort. Hier im Bundestag in der letzten Woche erzählt uns der Kanzler, das sei alles nicht so gemeint gewesen.
Bei „Newsweek", Herr Bundeskanzler, machen Sie den Brandstifter. Hier versuchen Sie, als Biedermann davonzukommen. Das ist die Art und Weise, wie Sie versucht haben, sich zu verteidigen. Aber auch das paßt zu Ihrem Geschichtsverständnis, und das paßt zu dieser gesamten Affäre. Das paßt auch zu der Art von Vergangenheitsbewältigung, die die CDU versucht, daß Sie hier im Bundestag nicht nur ein bißchen geschwindelt haben,
sondern uns, den Bundestag, belogen haben.
Sie haben uns, den Bundestag, belogen, daß sich die Balken gebogen haben.
Die Konstruktion dort oben, diesen Balken dort oben sollte man seit diesem Tag und in Zukunft „Helmut-Kohl-Balken" nennen. Denn das ist es, was Sie hier gemacht haben: Sie haben das Parlament belogen, um aus dieser Affäre herauszukommen.
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18962 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Dr. Müller
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir führen hier heute vormittag nicht eine Debatte über die deutsch-sowjetischen Beziehungen,
sondern ganz offensichtlich über die innenpolitischen Absichten der Opposition.
Der Sachverhalt, meine Damen und Herren, ist klar.
Der Wortlaut dessen, was der Bundeskanzler — —
— Vielen Dank, Herr Kollege Vogel.Der Wortlaut dessen, was der Bundeskanzler gesagt hat, ist bekannt, und der Wortlaut des Interviews, das daraus gefertigt wurde, auch.Der Bundeskanzler hat in der vergangenen Woche klargestellt, daß er den Vergleich, der ihm unterstellt wird, nicht ziehen wollte,
und daß es ihm fern lag, Generalsekretär Gorbatschow zu beleidigen. Er hat bedauert, daß ein anderer Eindruck entstehen konnte,
und er hat sich davon distanziert. Das alles, meine Damen und Herren, ist bekannt, und es ist klar. Damit muß die Sache erledigt sein.Herr Vogel selbst hat in der vergangenen Woche gesagt, daß kein Anlaß bestehe, die außenpolitische Diskussion fortzusetzen.
Wenn Sie nun doch diese Debatte heute führen,dann kann es kaum Ihre angeblich so tiefe Sorgeum die deutsch-sowjetischen Beziehungen sein, die Sie dazu veranlaßt.
Was es auch immer sein mag, weshalb Sie dennoch diese Aktuelle Stunde beantragt haben: Neu im Sinne von „aktuell" ist wenig, leider nicht einmal die Erkenntnis, daß Sie unbelehrbar sind und daß Sie Dementis und klarstellende Distanzierungen einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Leider ist auch die Erkenntnis nicht neu, daß Sie in der Wahrnehmung der sowjetischen Interessen so empfindsam sind,
daß manche schon fragen, Herr Kollege Ehmke, ob Sie damit nicht die Sowjetunion zwingen, nicht weniger empfindsam zu sein als die deutsche Sozialdemokratie.
Meine Damen und Herren, Sie sollten aufpassen, daß nicht der Eindruck entsteht, Sie wollten der Sowjetunion die Stichworte geben,
oder Sie wollten unsere östlichen Partner zu einem unseren deutschen Interessen nicht förderlichen Verhalten provozieren,
um damit, Herr Vogel, Ihr innenpolitisches Süppchen zu kochen.
Lieber Herr Vogel, gerade haben Sie noch liebenswürdigerweise darum gebeten, daß man den Redner reden lasse. Wenn Sie diese Aufforderung auch an sich selber richteten, wäre es noch besser.
— Vielen Dank! Das ist wahr, ich bin auch sehr klar.
Aber die Sorge, daß Sie damit Ihr innenpolitisches Süppchen kochen, ist leider auch nicht neu. Ich will Ihnen vier Beispiele nennen: In der Diskussion um unsere Bedrohung durch sowjetische Mittelstrekkenraketen haben Sie die Gleichgewichtspolitik des westlichen Bündnisses damit konterkariert, daß Sie gegen eine Nachrüstung waren ohne gleichzeitig eine Verschrottung der sowjetischen Raketen zu fordern. Wir können heute beweisen, daß Sie sowjetische Interessen besser wahrnehmen als die Sowjetunion selbst. Das ist das Problem.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18963
Bundesminister Dr. Schäuble— Es ist schon sehr bemerkenswert, wie Sie reagieren. Wir werden das noch ein bißchen fortsetzen.
Ich werde Ihnen, weil Sie so reagieren, alle vier Beispiele nicht ersparen. Wir können inzwischen beweisen, daß unsere Politik eine realistische Chance bietet, daß die sowjetischen Raketen, die uns bedrohen, verschrottet werden.
Ich nenne den zweiten Punkt: Sie haben das Bestreben der Bundesregierung, weltweit chemische Waffen zu ächten, dadurch konterkariert,
daß Sie mit den kommunistischen Parteien der DDR und der Tschechoslowakei vertragsähnliche Abschlüsse getätigt haben, die dazu dienen sollen, chemiewaffenfreie Zonen in Europa zu schaffen. Als ob es schon ausreichte, wenn bei uns keine chemischen Waffen gelagert wären,
und als ob es nicht wichtig wäre, daß wir nicht von chemischen Waffen bedroht werden!
Drittens erwähne ich die Diskussion um menschliche Erleichterungen im geteilten Deutschland. Ist etwa Herr Lafontaine, SPD-Ministerpräsident an der Saar, den deutschen Interessen nicht dadurch in den Rücken gefallen, daß er in der DDR öffentlich gefordert hat, die Bundesrepublik Deutschland müsse in Grundsatzfragen der deutschen Teilung von ihrem Standpunkt abgehen, etwa in der Frage der einen deutschen Staatsangehörigkeit, damit es zu menschlichen Erleichterungen im geteilten Deutschland komme?
— Aber dies hat er gesagt, Herr Kollege Vogel; wir haben es alle im deutschen Fernsehen gehört. Das heißt doch wohl, daß er in Wahrheit den Generalsekretär Honecker aufgefordert hat, so lange menschliche Erleichterungen nicht zu gewähren, wie wir in den Grundsatzfragen nicht den östlichen Standpunkt in der deutschen Frage übernehmen.
Dazu passen dann viertens Berichte, Herr Kollege Ehmke, daß Herr Falin schon im Frühjahr dieses Jahres deutschen Gesprächspartnern gesagt hat, die deutsche Sozialdemokratie wolle nicht, daß Generalsekretär Honecker vor der Bundestagswahl einen Besuch in der Bundesrepublik Deutschland mache.
Volker Rühe hat Sie, Herr Kollege Ehmke, j a schon in der vergangenen Woche mit ihrer Äußerung zitiert,
daß ein Gipfel der Supermächte vor der Bundestagswahl der SPD nicht ins Konzept passe. Meine Damen und Herren von der SPD, deutschen Interessen dienen Sie mit diesem Verhalten nicht!
In der Demokratie ist der Wettstreit zwischen den politischen Parteien notwendig, aber auch der politische Wettkampf darf nicht schranken- und zügellos werden.
Wir sollten darum wetteifern, wer die Interessen der Deutschen besser wahrnimmt, aber wir sollten nicht die Kugel unseres innenpolitischen Wettstreits über die sowjetischen Bande spielen,
und Sie sollten auch nicht empfindlicher als die Sowjetunion selbst sein.
Ich habe eine Aufstellung verleumderischer Beleidigungen führender Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland durch offiziöse Organe der Sowjetunion. Da ich gegen Vergeltung und Aufrechnung bin, trage ich das alles nicht vor, zumal der Bundeskanzler auch nicht Gleiches mit Gleichem vergelten wollte.
Aber Sie in der Opposition, die Sie so bewegt sind, müßten gelegentlich noch erklären, warum Sie gegen solche Anwürfe gegen führende Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland so lange geschwiegen haben.
Als der frühere Bundeskanzler Schmidt aus Israel auf eine schwer erträgliche Weise angegriffen wurde, war es der damalige Oppositionsführer Helmut Kohl,
der vor dem Deutschen Bundestag den Bundeskanzler Schmidt gegen diese Angriffe in Schutz genommen hat.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
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18964 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Bundesminister Dr. SchäubleSie, Herr Kollege Vogel, können nicht nur nicht regieren, sondern müssen auch erst noch lernen, was verantwortungsbewußte Opposition erfordert.
Aber vielleicht liegt Ihre mangelnde Unterscheidungs- und Urteilsfähigkeit auch darin begründet, daß Sie selbst beim Austeilen nicht so zimperlich sind.
Sie haben ohne jede Hemmung führende Politiker der Union in die Nähe der Sozialdemokraten gerückt.
— In die Nähe der Nationalsozialisten!
— Meine verehrten Damen und Herren, wie muß es um die SPD bestellt sein, wenn ein so harmloser Versprecher Ihnen schon eine so befreiende Freude bereitet.
Aber ich finde, daß es doch schön ist, wenn Sie wieder einmal Grund zur Freude haben, wo es Ihnen doch im Moment nicht so furchtbar gut geht.Ich sage es also noch einmal, und ich hoffe, daß ich mich nicht verspreche: Sie haben ohne jede Hemmung führende Politiker der Union in die Nähe der Nationalsozialisten gerückt.
— Ja, das können wir stundenlang zitieren. Das ist in der Tat überhaupt nicht harmlos,
und Sie haben sich davon bis heute nicht distanziert. Ihre angebliche Betroffenheit über sowjetische Betroffenheit wird doch unglaubwürdig, wenn man sieht, wie Sie diese absichtsvollen Entgleisungen bis in die jüngste Zeit hinein fortsetzen.
Sie werden damit allerdings nicht glaubwürdiger werden, wenn Sie nicht anfangen, die Maßstäbe, die Sie an andere anlegen, auch an sich selbst anzulegen.Herr Kollege Vogel, die Gewerkschaft der Polizei hat in diesen Tagen einen neuen Vorsitzenden gewählt
— ja, das ist wahr —, weil sie mit den unerträglichen Ausführungen ihres früheren Vorsitzend enauf einem großen Gewerkschaftskongreß nicht mehr identifiziert werden wollte.
Aber, Herr Kollege Vogel, es fehlt noch immer eine Erklärung des Distanzierens und des Bedauerns von Ihnen dazu, daß Sie zu diesem unsäglichen Vergleich auf diesem Gewerkschaftskongreß applaudiert haben sollen.
Da der Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland diese Aktuelle Stunde begründet hat: Lieber Herr Schmude, ich will Ihnen doch zum Ende mit Matthäus 7 antworten. Da heißt es:1. Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!2. Denn wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden,
— Sie werden doch wenigstens diese Sätze in Ruhe anhören können —und nach dem Maß, mit dem ihr meßt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden.3. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?4. Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Laß mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! — und dabei steckt in deinem Auge ein Balken?5. Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.
Meine Damen und Herren, ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Herr Bundesminister die zehn Minuten Redezeit überschritten hat.
— Ich denke, ich sollte das mitteilen. Das weiß der, der zuhört, nicht ohne weiteres.
— Sie beantragen die Eröffnung der Aussprache.
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat die Aussprache beantragt. Dann schließen wir die Aktuelle Stunde und beginnen mit der Aussprache.
Wir fahren in der Reihenfolge der Wortmeldungen fort. Das Wort hat Frau Abgeordnete Simonis.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem man Herrn Schäuble zugehört hat, kommt man auf ein deutsches Sprichwort: „Wie der Herr, so's Gescherr!"
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18965
Frau SimonisDer Kanzler schwindelt, außerhalb des Plenums würde man sagen, er lügt, und der Kanzleramtsminister sagt auch nicht die Wahrheit,
weder die politische noch die, die eigentlich Anlaß dieser Diskussion war. Es geht nicht um die deutsch-russischen Beziehungen, es geht um ein Interview, das der Kanzler „Newsweek" gegeben hat und das in der Zwischenzeit weltweit Schlagzeile gemacht hat.Man ist es ja bis an die Schmerzgrenze gewohnt, daß der promovierte Historiker Helmut Kohl in schönster Stammtischmentalität seine Weltanschauung um sich verbreitet. Schwadronierend über Aussehen und Einkaufsgewohnheiten der Frau des Kremlführers, Parallelen ziehend, wo keine sind und keine gezogen werden dürfen, setzt der Bundeskanzler seine Duftmarken peinlichster geschichtlicher und politischer Entgleisungen fort.
Der Moskau-Korrespondent der „Basler Zeitung" entsetzt sich über die „widerlichen" Äußerungen des Bundeskanzlers und konstatiert:Mit seinem mißglückten Versuch, große Politik zu machen, hat der deutsche Kanzler unmäßig viel politisches Kapital verspielt.Der Mann scheint den Kanzler nicht zu kennen. Ausgestattet mit der „Gnade der späten Geburt", die er ausgerechnet in Israel entdeckt, freut sich dieser Kanzler auch noch, daß er von mehr Deutschen gewählt wurde als Hitler, und ein Mann, der mehr Stimmen als Hitler bekommen hat, kann es sich auch leisten, seinen Gast Ronald Reagan, den Präsidenten der Vereinigten Staaten, ausgerechnet über SS-Gräber in Bitburg stolpern zu lassen.
Ein Bundeskanzler, dessen Intimus Bergsdorf, Abteilungsleiter im Bundespresseamt, zur Rettung seines Chefs den Vergleich zwischen Goebbels und Gorbatschow auch noch für ein Kompliment halten darf, kann natürlich bei Vertriebenenverbänden, die gerade wieder einmal Schlesien annektieren wollen, auftreten, ohne daß er die Gelegenheit nutzt, geradezurücken, zu widersprechen und Schaden zu begrenzen.
Sie, Herr Bundeskanzler, hatten wirklich keinen Blackout, Sie glaubten sich in einer persönlichen Sternstunde zu befinden, Sie konnten sich das Lachen über Ihre gelungenen Vergleiche nicht verkneifen; man hört richtig, wie Sie sich selbst auf die Schulter klopfen. Ich bin kein Narr, so sagen Sie. Und weiter sagen Sie: Die Frau Gorbatschow — die Sprache allein schmerzt schon — ist eine attraktive Frau, die reist nach Paris und kauft sich natürlichKleider in Paris. — Und wieder etwas weiter: Der — damit meinen Sie Gorbatschow — war nie in Kalifornien, nie in Hollywood, aber er versteht was von Public Relations. — Wie schön, schließe ich daraus, daß dann wenigstens Ronald Reagan in Hollywood und in Kalifornien war.Der innenpolitische Trümmerhaufen, den Sie mit Ihrer Laberei und Taktiererei angerichtet haben, ist schlimm.
Sie präsentieren sich als Schwadroneur, dessen politische Sensibilität und geistige Disziplin dem Kasino-Ton eines k. u. k. Offiziers um Mitternacht verflixt ähnelt. Der Regierungssprecher, der Erfinder der Pressezensur in der Bundesrepublik,
ist zwar imstande, aus der Zahl der Veröffentlichungen im Ausland den Eindruck herzuleiten, es habe sich um einen Erfolg gehandelt, dennoch wird auch er den verheerenden Eindruck, den die Flunkerei des Bundeskanzlers hier vor dem deutschen Parlament hervorgerufen hat, nicht aus der Welt schaffen.
Deutsche Staatsmänner, von Konrad Adenauer über Ludwig Erhard, von Brandt bis Schmidt, haben sich bemüht, das Ansehen Deutschlands von den Spuren seiner blutigen und grauenerregenden Geschichte zu befreien. Ihre Entgleisungen, die Sie sich permanent leisten, haben aber genau jene häßlichen Spuren wieder sichtbar gemacht.
Der simple Satz „Ein Mann, ein Wort" hat bei Ihnen wirklich keine Bedeutung, erstens weil Sie sowieso stets in Wortkaskaden antworten und zweitens weil der Satz „Ich entschuldige mich, ich habe geirrt", Ihnen wohl nie über die Lippen kommen wird.
Schuld haben die anderen: die „Presseheinis" -- das ist dann ja wohl der Ost im Presse- und Informationsamt —, die Journalisten und überhaupt der Rest der Welt. Richtig ist, daß der Pressesprecher im vorauseilenden Gehorsam das Maß der Instinktlosigkeit noch erhöht hat; aber es wäre falsch, aus diesem Zauberlehrling etwa gar den Meister machen zu wollen.Angesehene Historiker wie Martin Broszat warnen vor der Geschichtsklitterei,
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18966 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Frau Simonisdie sich, losgetreten vom Fraktionsvorsitzenden der CDU, bis hin zum Bundeskanzler bei uns in der Bundesrepublik breitmacht. Sie warnen davor, den Bürgern in der Bundesrepublik den selbstkritischen Umgang mit ihrer Geschichte wegzuschwadronieren, der ihnen überhaupt erst die Stellung in den Staaten der westlichen Demokratie erlaubt.Herr Bundeskanzler, Sie haben 18 Semester lang Geschichte studiert. Das sind einige Semester mehr, als die konservativen Bildungspolitiker Ihrer Parteien heute als Regelstudium bis zur Promotion einem jungen Geschichtswissenschaftler zugestehen wollen.
Bei Ihnen hat man das Gefühl, es waren ein paar Semester zu wenig. Sie beteuern stets, die deutsche Geschichte gelernt zu haben. Gelernt haben Sie vielleicht, begriffen haben Sie nichts.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal trägt auch in der Politik eine nüchterne Analyse nur zeitlicher Abläufe zur Erhellung von Sachverhalten bei. Die „Newsweek"-Ausgabe mit dem Kanzlerinterview trug das Datum vom 27. Oktober, aber schon am 24. Oktober lag die erste Stellungnahme des SPDFraktionsvorsitzenden vor. Die erste sowjetische Reaktion, die Vorsprache von Botschafter Kwizinski bei Kanzleramtsminister Schäuble, erfolgte erst 6 Tage später.
In jenen sechs Tagen und in den folgenden 13 Tagen öffnete die SPD ihre Propagandaschleusen. Allein vom Kollegen Vogel liegen mir fünf schriftlich verbreitete Einlassungen mit zusammen etwa 2 300 Wörtern vor:
Anfeindungen, Unterstellungen, Herabsetzungen des deutschen Bundeskanzlers
und die ständig wiederholte Behauptung schwerer Belastung der deutsch-sowjetischen Beziehungen. Selbst wenn ich Informationen nicht glauben will, daß die sowjetische Botschaft von der SPD angeregt wurde zu reagieren, bleibt doch unabweisbar, Herr Kollege Vogel, daß sich die Sozialdemokraten einmal mehr sowjetischer gebärdeten als die Sowjets.
Moskau hat da weit gelassener reagiert. Es hat — auch das wirkte noch wie eine gezwungene Wahlkampfgeste zugunsten der SPD — einen prominenten Besucher aus der Bundesrepublik Deutschland ausgeladen, zwei andere unmittelbar danach aber empfangen. Botschafter Kwizinski hat die Distanzierung des Bundeskanzlers von dem nicht beabsichtigten Eindruck gewürdigt und von einer „Episode" gesprochen.
Außenminister Schewardnadse hat sich nur auf Befragen in einer Pressekonferenz zu dem Vorgang geäußert.
Sie aber, meine Damen und Herren von der SPD, heizen unentwegt weiter. Merken Sie denn nicht, was Sie anrichten?
Spüren Sie keine Verantwortung dafür, daß Ihre rhetorische Beschützerrolle gegenüber einem totalitären Staat die Fragen nach dem GULag, nach Afghanistan, nach den psychiatrischen Kliniken geradezu zwangsläufig provoziert? Und das in einer Phase des West-Ost-Dialogs, in der zum erstenmal die ernsthafte Hoffnung besteht, auch über das steile Gefälle bei den Menschenrechten verhandeln zu können!
— Sagen Sie jetzt bitte nicht, das sei durch das Kanzler-Interview ausgelöst worden. Das ist objektiv unwahr. Denn hätten Sie nicht eine Bemerkung zum Vergleich hochstilisiert und mit beleidigenden Inhalten unterlegt,
würde wohl kaum jemand Anstoß daran genommen haben.
Ihre Spekulation auf Wahlhilfe aus Moskau — ich weiß sehr genau, wovon ich spreche — wird nicht aufgehen.
Die Sowjets sind Realisten, und Gorbatschow will, weil er Frieden und Zusammenarbeit für seinen Staat so nötig braucht wie alle anderen Staaten der Welt, offenkundig mit dem Westen ins reine kommen.
Da wirkt eine solch schäbig kleinkarierte Aktion, wie sie heute von Ihnen noch einmal inszeniert wurde, nur störend.
Je mehr Sie sich bemühen, die GRÜNEN links zu überholen und sich ihrer destruktiven Diktion anzupassen, desto sicherer vertreiben Sie sich Ihre Wähler.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18967
Klein
In der Presse wurde bereits die Frage aufgeworfen: Wie gut muß diese Bundesregierung sein, daß den Genossen keine anderen Argumente einfallen! Ich füge angesichts der heutigen, an den wirklichen Interessen und Bedürfnissen der Deutschen vorbeigehenden Einlassungen der SPD hinzu: Reichen Ihnen ein Absinken auf 27,5 % in Bayern und ein Rückgang um 10 % in Hamburg immer noch nicht aus?
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dem Interview waren ja noch andere Vergleiche. Es ist ja offensichtlich eine Zeit, wo diese Art von polemischen Vergleichen die politische Kultur kaputtmachen. Ich meine den Vergleich von Reykjavik mit dem Münchener Treffen von 1938. Auch dies war unsäglich.
Es muß doch eins klar sein: daß in Reykjavik zumindest von der Sowjetunion der Versuch gemacht worden ist, Schritte zu einer Verständigung zu schaffen. Ich glaube, das wird teilweise sogar von Ihnen so gewürdigt. Und dann machen Sie einen Vergleich mit dem Münchener Treffen von 1938, das zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, wo von seiten der Nationalsozialisten der Krieg bereits geplant gewesen ist! Dieser Vergleich ist noch geschmackloser als der Vergleich Goebbels mit Gorbatschow, denn das macht eigentlich klar, welches Verständnis Sie von sowjetischer Politik haben. Aber es macht auch deutlich, daß Sie gar nicht in der Lage und bereit sind, in irgendeiner Art und Weise einen Ausgleich der Interessen herbeizuführen. Denn wenn Sie so einen Vergleich benutzen, bedeutet das, daß Sie von nichts anderem als davon ausgehen können, daß die Sowjetunion kriegslüstern wartet, die Bundesrepublik oder andere Länder zu überfallen. Wenn Sie von dieser Position ausgehen, ist allerdings die Zeit für Verhandlungen nicht gegeben.
Noch ein Weiteres. Hier im Saal wird gesagt, das sei alles nicht so gemeint gewesen, während draußen CDU-Bundestagsabgeordnete nichts Besseres zu tun haben, als dieses Zitat, so wie es in „Newsweek" steht, zu rechtfertigen. Staatssekretär Dr. Hennig beispielsweise sagt auf einer Wahlveranstaltung — nachzulesen in dem Haller Kreisblatt, in der „Neuen Westfälischen" vom 10. November —, das sei nicht schlimm gewesen. Er rechtfertigt das also. Während hier im Hohen Hause immer so schön gesagt wird: Das war nicht so gemeint, haben wir unten weiterhin eine Politik entlang der Stammtischlinie. Das ist das, was Sie betreiben.
Das heißt, Sie versuchen, Stimmung zu machen. Sie versuchen, auf diese Art und Weise rechts abzusahnen, um Wahlen gewinnen zu können. „Der Spiegel" nennt das zu Recht den Waldheim-Effekt.
Auch das war j a dadurch eingeleitet worden, daß der Bundeskanzler nichts Besseres zu tun hatte, als in den österreichischen Wahlkampf einzugreifen und Herrn Waldheim zu loben. Die Situation von Herrn Waldheim dürfte Ihnen bekannt sein. Die allgemeine internationale Isolation von Herrn Waldheim danach ist deutlich geworden. Die gleiche Isolation werden Sie natürlich auch für sich erreichen. Das ist natürlich nicht nur ein innenpolitischer Schaden, das ist auch ein außenpolitischer Schaden, der langfristig von Ihnen zu verantworten ist.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat mehrfach Erklärungen zu dem „Newsweek"Interview abgegeben: vor der Presse, vor dem Deutschen Bundestag, damit vor dem höchsten Souverän.
Wer die Erklärungen, die hier in der letzten Sitzung abgegeben worden sind, praktisch als nicht gegeben betrachtet, sagt damit, daß für ihn eine Erklärung vor dem Deutschen Bundestag nicht von der Bedeutung ist, die eine Erklärung vor diesem höchsten Organ in einer parlamentarischen Demokratie nun einmal haben sollte.
— Diese Erklärung war nicht falsch; denn der Bundeskanzler hat ausdrücklich sein Bedauern über den ganzen Vorgang zum Ausdruck gebracht. Dadurch, daß er sein Bedauern zum Ausdruck gebracht hat, ist klargeworden, daß die Voraussetzungen für das, was Sie hier erneut versuchen, gar nicht mehr gegeben sind.In meiner Heimat Dresden würde man sagen: Sie „meeren" darin herum, weil Sie innenpolitisch ein Süppchen kochen wollen, nachdem Sie selbst festgestellt haben, daß die Dinge außenpolitisch eigentlich erledigt sind.
Wenn man dieser Meinung ist, muß man sich aber darüber im klaren sein, daß das ständige neue Aufwärmen auch dazu führen kann, daß das außenpolitisch wieder zu einem Thema wird, was nach unserer gemeinsamen Überzeugung erledigt gewesen ist.
Wenn Sie damit nun innenpolitisch versuchen, eine Show zu inszenieren, zeigt das natürlich, daß Sie offensichtlich sehr wenige Punkte haben, mit denen Sie sich sachlich auseinandersetzen können.
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18968 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
MischnickWenn einzelne Redner von Wortkaskaden, vom Fehlen einer Klarstellung usw. geredet haben, muß ich Ihnen sagen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD: In vergleichbaren Fällen haben Sie früher darüber geklagt, daß man, obgleich man Dinge, die nicht gut waren, in Ordnung gebracht hatte, nachgekartet hat. Wenn Sie jetzt meinen, mit Nachkarten unserer Sache zu dienen, Schaden abzuwenden, damit etwas Positives zu leisten, dann bedaure ich das sehr. Das Gegenteil ist der Fall. Wir werden uns an dieser Inszenierung nicht beteiligen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Verheugen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Mischnick, man kann sich auch auf die Art und Weise distanzieren, wie Sie das gerade getan haben. Wir haben das wohl bemerkt.Mindestens so schlimm — vielleicht noch schlimmer — als die Formulierungen des Bundeskanzlers in dem Interview selber war die Art und Weise, wie der dem Bundeskanzler unterstellte Chef des Presse- und Informationsamtes, Staatssekretär Ost, die Affäre gegenüber der Öffentlichkeit dargestellt hat. Der Regierungssprecher hat seine Aufgabe nämlich nicht darin gesehen zu informieren, sondern er hat — übrigens in wenig gekonnter Form — versucht, zu vertuschen, zu beschönigen und irrezuführen.Zuerst hat er so getan, als wäre alles überhaupt nicht wahr. Er hat jede Belastung der deutschsowjetischen Beziehungen bestritten und gesagt, er sehe keine Notwendigkeit für eine Entschuldigung des Kanzlers. „Newsweek" habe — das war seine ständige Rede — das Interview verzerrt wiedergegeben. Wenn es wirklich so gewesen wäre, müßte die Bundesregierung dem Staatssekretär das Gehalt kürzen; denn jeder, der die Arbeitsweise amerikanischer Nachrichtenmagazine und ähnlicher internationaler Magazine kennt, weiß, daß sie den allergrößten Wert auf die Authentizität ihrer Interviews legen. Daß „Newsweek" einen nicht autorisierten Text abdrucken würde, ist schlechterdings unvorstellbar.
Wenn der Regierungssprecher den Text nicht autorisiert hat, muß man fragen, was der Mann eigentlich tut. Wenn er ihn aber autorisiert hat, woran es wohl keinen Zweifel mehr gibt,
hat er die deutsche und internationale Öffentlichkeit vorsätzlich und wiederholt getäuscht.
Außer an der richtigen Stelle hat er ja auch überallnach Schuldigen gesucht, zuerst bei Journalistennatürlich, schließlich sogar beim Dolmetscher des Auswärtigen Amtes.
Um auch das auf den Punkt zu bringen: Der Regierungssprecher ist selber einmal Journalist gewesen.
Wenn er noch einen Funken journalistisches Ehrgefühl im Leibe hätte, würde er sich längst bei den in ihrer beruflichen Ehre herabgesetzten amerikanischen Journalisten entschuldigt haben.
Ja, ja, die haben sich nämlich anständig verhalten. Die haben den Originaltext in einer schonenden Form redigiert. Das muß man sagen.
Aber der Regierungssprecher hat sie mit seinem beharrlichen Rufmord ja gezwungen, die ganze Peinlichkeit zu offenbaren, um nicht zu sagen: zu enthüllen,
und das unsägliche Gespräch in seinem Originalton darzulegen. Aber das kommt natürlich davon, wenn man in Wahrheit gar keinen Regierungssprecher will, sondern einen Hof- und Hochjubler.
Dieser Staatssekretär für Desinformation, wie wir ihn jetzt nennen müssen, hat damit wieder einmal bewiesen, wes Geistes Kind er ist;
denn die Sache hat Methode. Unter Herrn Ost ist das zu Objektivität verpflichtete Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zu einer Zentralstelle für Volksverdummung und Propaganda heruntergekommen.
— Erzählen Sie mir nichts über Sprache! Wir reden hier über Sprache, Herr Kollege Klein.
Was betroffen macht, ist der unglaubliche Dilettantismus mitten in der Regierungszentrale. Von einem Regierungssprecher muß erwartet werden, daß er die außenpolitischen Wirkungen von Kanzlerinterviews beurteilen kann.
Was verunglückte Interviews in der deutschen Geschichte außenpolitisch angerichtet haben, ist bekannt. Da läßt Wilhelm II. schön grüßen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18969
VerheugenUnd denselben Geist haben wir hier heute morgen schon einmal erlebt,
in dem wieder einmal versucht worden ist, die alte Geschichte von den vaterlandslosen Gesellen aufzuwärmen.
— Ich bin sehr dankbar für Ihre Fürsorge. Ich weiß aber schon selber, was ich mache.Wir finden hier nicht nur Unfähigkeit, wir finden ein Zerrbild von der wahren Aufgabe eines Regierungssprechers. Wenn man an Leute wie Karl-Günther von Hase oder Rüdiger von Wechmar und deren Amtsverständnis denkt, kann man richtig melancholisch werden.
Der jetzige Regierungssprecher jedenfalls hat als erster in diesem Amt die Grenze zwischen Regierungsarbeit und Parteipropaganda bis zur Unkenntlichkeit verwischt.
Sein Amtsverständnis paßt zu dem des Bundeskanzlers. Der eine redet daher, was ihm gerade in den Sinn kommt, und für den anderen ist auch der unverdaulichste Gedankenbrei des Bundeskanzlers noch eine Götterspeise.
Meine Damen und Herren, die politische Demokratie offenbart sich in der Art und Weise der Kommunikation zwischen den Regierenden und der Öffentlichkeit. Deshalb reden wir hier über mehr als eine der üblichen Pannen der Bundesregierung, an die wir uns schon gewöhnt haben. Wir reden darüber, wie von der Spitze der Regierung her das Kernstück des demokratischen Prozesses, die Information der Öffentlichkeit, zur bloßen Manipulation und Zweckpropaganda herabgewürdigt wird.
Dieses Verständnis von politischer Öffentlichkeitsarbeit ist nicht hinnehmbar, weil es Unabhängigkeit des Urteils, Sachbezogenheit und kritische Wertungen nicht mehr toleriert.Und wir wissen doch aus vielen Äußerungen und den merkwürdigen Entscheidungen in diesem Presseamt, daß der jetzige Regierungssprecher unabhängigen Journalismus als eine Gefahr begreift.
Seine Sorge gilt nicht der Pluralität der Meinungen, sondern sein Sinnen und Trachten richtet sich auf Gleichschaltung.
Sonst hätte er nicht sagen können, mit deutschen Journalisten habe er bessere Erfahrungen gemacht als mit „Newsweek", womit er doch deutschen Journalisten unterstellt, daß sie sich selbst zensieren und schon von sich aus nichts drucken, was dem Kanzler Ärger machen könnte,
auch dann, wenn die politische Kompetenz des Regierungssprechers nicht ausreicht, um zu erkennen, welches außenpolitische Porzellan gerade wieder zerschlagen wird.
Was wir in den letzten Wochen erlebt haben, war — um auf der Vergleichsebene des Regierungschefs zu bleiben — ein Ost-Feldzug ganz eigener Art.
Aus der Geschichte wissen wir, daß noch keiner einen solchen gewonnen hat. Am Ende stand immer der ruhmlose Rückzug.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute geht es nicht um die außenpolitischen Wirkungen des Kanzlerinterviews. Die sind in der letzten Woche am Donnerstag ausführlich erörtert worden. Dieser Aspekt ist für uns zunächst erledigt. Wir haben das bereits in der letzten Woche erklärt. Heute geht es um die innenpolitischen Aspekte dieser Entgleisung. Diese innenpolitischen Aspekte konnten in der letzten Woche schon deswegen gar nicht abschließend erörtert werden, weil der genaue Wortlaut des Interviews erst nach Abschluß der Debatte bekanntgeworden ist. Zu dieser innenpolitischen Würdigung stelle ich fest:Erstens. Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat am 6. November hier von diesem Pult aus vor dem Deutschen Bundestag die Unwahrheit gesagt.
Er hat behauptet, die „Newsweek"-Redakteure hätten in dem veröffentlichten Text einen falschen Eindruck von dem vermittelt, was er gesagt habe. Das Gegenteil ist richtig. Ausweislich des Tonbandes hat er den ersten Mann einer Weltmacht und den Propagandachef Hitlers in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Sätzen und — weil Sie neuerdings die Worte zählen — in einem Abstand von wenigen Worten nebeneinandergestellt und hinzu-
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18970 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Dr. Vogelgefügt, er wollte damit „die Dinge auf den Punkt bringen".
Der veröffentlichte Text gibt das exakt wieder. Wenn man dem Text einen Vorwurf machen will, dann den, daß er eigentlich zu zurückhaltend wiedergibt, was tatsächlich gesagt worden ist, und den entscheidenden Satz, mit der Nennung der beiden Namen wolle der Bundeskanzler die Dinge auf den Punkt bringen, nicht veröffentlicht hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer bewußt das Gegenteil der Wahrheit sagt, der lügt.
Es ist schlimm, wenn ein Bundeskanzler überhaupt lügt. Wenn er das Parlament belügt, mißachtet er das zu seiner Kontrolle berufene Verfassungsorgan und verstößt damit gegen die Verfassung. Das ist der Kern der heutigen Auseinandersetzung.
Zweitens. Der Bundeskanzler hat nicht nur die Unwahrheit gesagt; er hat sich vielmehr in einer Art und Weise und auf einem Niveau geäußert,
die eines Bundeskanzlers unwürdig ist. Das gilt insbesondere auch für die taktlosen Bemerkungen über die Ehefrau des führenden Mannes einer Weltmacht
und für die ebenso peinliche Anspielung auf den früheren Beruf des amerikanischen Präsidenten als Filmschauspieler. Denn das steckt doch in dem Wort Hollywood und in dem Wort Kalifornien.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer das Tonband hört — unser Volk hatte j a Gelegenheit, im Fernsehen oder im Rundfunk den Originalton des Sprechers zu hören — und nicht weiß, wer da spricht, wer nicht weiß, wessen Gelächter da zu hören ist, der käme doch gar nicht auf den Gedanken, daß es sich dabei um die Äußerungen des Regierungschefs eines Sechzigmillionenvolkes
gegenüber einer Wochenzeitung von internationalem Rang handelt. Er würde wohl eher an eine schlechte Kabarettszene oder eine Stammtischunterhaltung zu weit fortgeschrittener Stunde denken. Das und nicht unsere Kritik hat die Reputation unseres Bundeskanzlers und seines Amtes nachhaltig beschädigt.
Hier liegt nicht Verletzung durch die Opposition, sondern Selbstverstümmelung eines Bundeskanzlers vor.
Drittens. Der Bundeskanzler hat den Schaden, den er durch seine verbalen Entgleisungen angerichtet hat, durch sein anschließendes Verhalten noch vermehrt, und zwar nicht nur deshalb, weil er die politische Verantwortung für die teils plumpen, teils schäbigen, in jedem Fall aber dilettantischen Winkelzüge des unsäglichen Herrn Ost trägt, eines Herrn, der fortgesetzt seine dienstlichen Aufgaben mit denen eines Parteisprechers vermengt und der im übrigen wegen erwiesener beruflicher Unfähigkeit aus diesem Amt entfernt werden sollte, wenn es keinen anderen Grund gibt.
Der Bundeskanzler hat den Schaden auch deshalb vermehrt, weil er selbst von seinem eigenen Versagen durch unwahre Vorwürfe abzulenken versucht hat. Unwürdig bis kläglich sind aber auch seine eigenen Verteidigungsversuche und die seiner Freunde, insbesondere die, die wir heute gehört haben.Herr Kollege Dregger hat gefragt, wessen Interessen wir eigentlich vertreten. Das will ich Ihnen gern sagen: Wir vertreten die Interessen der Deutschen, die nicht wollen, daß ein Bundeskanzler so verantwortungslos daherredet.
Die vertreten wir. Wir vertreten die Interessen der Wählerinnen und Wähler, die nicht wollen, daß das Parlament angelogen wird.
Die Interessen vertreten wir. Es ist Ihren Gehirnwindungen vorbehalten, diese Interessenvertretung für unser Volk als kommunistisch zu diffamieren. Eine erbärmliche Logik, Herr Kollege Dregger!
Dieser Schreier in der ersten Reihe, dessen Name dem deutschen Volk deswegen allmählich zum Begriff wird, Herr Klein, der große Schreier, hat gesagt, ich sei der erste gewesen, der sich in einem Interview beziehungsweise in einer Pressemeldung zu dem Vorgang geäußert habe. Herr Klein hat es aber wohlweislich unterlassen, den Wortlaut meiner Äußerung bekanntzugeben. Sie hat gelautet:Ich weigere mich zu glauben, daß ein deutscher Bundeskanzler so etwas gesagt hat.
Dies sei sicher eine Fälschung.
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Dr. Vogel— Sie kennen Ihren Bundeskanzler besser. Sie hätten sich nicht geweigert, das zu glauben. Das will ich gerne einräumen.
Im übrigen war für die, die hier gut zugehört haben, hochinteressant, wie die FDP mit „bewaffneter Neutralität" ihre Meinung zum Ausdruck gebracht hat.
Sie wissen ganz genau, Herr Kollege Mischnick, wie das Gespräch in Wien abgelaufen ist. Deswegen haben Sie zu Recht kein Wort der Verteidigung für diesen Fauxpas des Bundeskanzlers gefunden.
Nein, die Wahrheit ist: Der Bundeskanzler hat sich würdelos verhalten. Er hat nichts getan, um sein Ansehen wiederherzustellen. Dazu wäre es erforderlich, daß er für den Rest seiner Amtszeit dem Parlament mit dem Respekt begegnet, auf den das Parlament Anspruch hat.
— Ach, Sie sind ein so ermüdender Schreier, Herr Klein. Sie waren früher einmal ein anständiger Mensch, als Sie Pressesprecher der Olympia-Baugesellschaft in München waren. Da waren Sie ein anständiger Mensch.
Die lange Zugehörigkeit zur engeren Umgebung von Herrn Kohl hat Sie völlig verändert.
Der Bundeskanzler möge sich künftig bei seinen Äußerungen die Selbstdisziplin und die Mäßigung auferlegen, die er seinem hohen Amt schuldet.Die Tatsache — das sage ich jetzt mit großerRuhe —,
daß der Bundeskanzler ausgerechnet in dieser Debatte schweigt und sich vorzeitig von dieser Debatte entfernt,
obwohl der nächste Termin des Bundeskanzlers erst um 10 Uhr ansteht, und er diesen Termin in Haltern mit dem Hubschrauber innerhalb von 25 Minuten erreichen kann, zeigt, daß damit nicht zu rechnen ist. Ein Bundeskanzler, der in einer solchen Diskussion schweigt und sich ohne Grund vorzeitig entfernt,
der zeigt, welche Geringschätzung, nein, welche Verachtung er diesem deutschen Parlament entgegenbringt.
Damit ist noch klarer geworden, was dieser Bundeskanzler unter der geistig-moralischen Wende in der Politik versteht, und welche geistig-moralischen Zerstörungen wir zu erwarten hätten, wenn dieser Mann weitere vier Jahre das Amt wahrnehmen würde.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, mir liegt das Wortprotokoll vor. Wegen einiger sehr persönlicher und direkter Beleidigungen des Bundeskanzlers erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf, Herr Abgeordneter Ströbele.
Das Wort hat der Abgeordnete Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nach der Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Vogel zunächst sagen: Ich halte es für undenkbar, daß sich in Großbritannien, in Italien, in Frankreich oder in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Opposition zunächst über viele Wochen in einer solchen — ich greife Ihr Wort auf — „unsäglichen Weise" als Stichwortgeber für Moskau betätigt, anschließend ständig Öl ins Feuer gießt, Erklärungen des Regierungschefs hier im Parlament nicht zur Kenntnis nimmt,
mit persönlichen Verunglimpfungen fortfährt und — wie unser Fraktionsvorsitzender zu Recht dargestellt hat; eigentlich hätte man die Aktuelle Stunde schon nach seiner Rede beenden können —
ein völlig ausdiskutiertes Thema bis zum Überdruß hin- und herwendet. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Sie mit dieser Aktuellen Stunde sich selbst, diesem Parlament oder unseren Interessen gedient haben. Das können Sie doch schlichtweg nicht glauben.
Aber es sagt doch eine Menge über den desolaten Zustand der SPD aus, daß Sie auch nach dem fürchterlichen Wahldebakel von Hamburg überhaupt nicht begreifen, daß Ihnen die Fortsetzung dieser Kampagne und die fortgesetzte Herabsetzung des politischen Gegners überhaupt nichts nützt.
und daß Sie ja nur von Ihren innerparteilichen Problemen ablenken wollen, über die im Augenblick in
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Seitersder deutschen Presselandschaft von morgens bis abends berichtet wird.Es ist ja manisch, Herr Fraktionsvorsitzender Vogel, es ist doch wirklich manisch.
Ich will einmal sagen: Sie sind für mich die verkörperte Selbstgerechtigkeit und der personifizierte erhobene Zeigefinger. Auch das muß man hier einmal sagen.
Ich kann den Bundeskanzler ja nur dazu beglückwünschen, daß er sich Ihre Rede nicht mehr angehört hat.
Das ist ja doch wohl nicht zu glauben. Das ist Ihre Vorstellung von Parlamentarismus: Der Fraktionsvorsitzende der SPD meldet sich zu Wort, zitiert alle Leute hierher und erteilt Rügen und Zensuren. Also mir wird Hans-Jürgen Wischnewski immer sympathischer.
Er hat nämlich schon 1985 erklärt, daß er nichtmehr bereit ist, sich Ihre oberlehrerhaften Manieren gefallen zu lassen. Wir tun das erst recht nicht.Jetzt sage ich noch etwas anderes.
Sie haben ja die Diskussion herausgefordert. Ich halte es für einen unglaublichen und an Selbstgerechtigkeit und scheinheiliger Entrüstung überhaupt nicht mehr zu überbietenden Vorgang, wenn sich heute ausgerechnet Sozialdemokraten als Nachhilfelehrer in internationalen Umgangsformen aufspielen. Wir haben nicht vergessen, Herr Vogel, daß vor anderthalb Jahren der freigewählte Präsident der Vereinigten Staaten, der höchste Repräsentant des Landes, dem wir Deutschen nicht zuletzt die Überwindung der Nazibarbarei zu verdanken haben, von führenden Politikern der SPD hier in der Bundesrepublik Deutschland auf das Übelste beschimpft wurde. Das rufen wir einmal in die Erinnerung zurück.
Ich habe von Ihnen und von Herrn Brandt kein Wort der Entschuldigung und des Bedauerns gehört,
als Oskar Lafontaine damals mit Blick auf die Vereinigten Staaten behauptete, dort würden schlimmere Verbrechen vorbereitet als in Auschwitz.
Ich habe von Ihnen keine Klarstellung und keine Entschuldigung gehört, als Lafontaine mit Blick auf die Vereinigten Staaten von der Vor- und Hinterhofmentalität der Großmächte sprach, die sie von Verbrechen zu Verbrechen stolpern läßt. Ich habe keine Klarstellung, kein Bedauern und keine Entschuldigung gehört, als der „Vorwärts" die Gegendemonstration gegen Reagan in Neustadt mit der Schlagzeile „Kriegstreiberei muß ein Ende haben" ankündigte. In der offiziellen Einladung des SPDParteivorstands zu dieser Veranstaltung gab es kein Wort der Entschuldigung, später kein Wort der Klarstellung. Der amerikanische Präsident wurde wörtlich als „Kriegstreiber, rücksichtsloser Machtpolitiker und Verursacher des Elends in der Dritten Welt" beschimpft. Die Arroganz und Überheblichkeit deutscher Sozialdemokraten kannte keine Grenzen mehr, als Sie erklärten — das muß man sich doch einmal anhören —, es sei eine Mißachtung demokratischer Traditionen in Deutschland, wenn der amerikanische Präsident auf dem Hambacher Schloß spreche.
Es gab keine Klarstellung und keine Entschuldigung.Herr Vogel, Sie haben im Gegenteil damals in einem Pressegespräch die Frage verneint — die Zeit ist schnellebig, und hin und wieder muß man auch einmal wieder etwas in die Erinnerung rufen —, ob Ihre Partei wie bei Reagan auch bei einem Besuch des sowjetischen Parteichefs Gorbatschow als Organisator einer Gegendemonstration auftreten würde. Dies alles heißt für mich: Sie bringen dem Mann an der Spitze der totalitären Sowjetunion mehr Respekt entgegen als dem Präsidenten des demokratischen Amerika, unseres stärksten Verbündeten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal? — Nein.
Was Sie 1985 und 1986 betrieben haben, waren amtiamerikanische Ausfälle. Heute ist es Beflissenheit gegenüber der Sowjetunion.In innenpolitischer Hinsicht will ich nur noch sagen: Ihre Unfähigkeit, die Klarstellung des Bundeskanzlers in diesem Hause
zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren, wird nur noch — ich sage das mit einem Satz, um auch die Selbstgerechtigkeit Ihrer Seite noch einmal in Erinnerung zu rufen — von der Unanständigkeit übertroffen, den Generalsekretär der größten demokratischen Partei der Bundesrepublik Deutschland mit Goebbels zu vergleichen, ohne die Kraft aufzubringen, sich dafür zu entschuldigen.Ich will noch etwas anderes sagen. Weil Sie freundlicherweise eine Ausuferung dieser Debatte
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Seiters1 beantragt haben, will ich noch etwas anderes loswerden. Ich habe ein, wie ich finde, sehr treffendes Zitat in einer deutschen Zeitung gefunden. Da steht unter der Überschrift „Die größte Panne", Herr Vogel:Die Sturheit, mit der die SPD sich weigert, aus Schaden klug zu werden, ist enorm. Was geht eigentlich in den Köpfen sozialdemokratischer Politiker vor, wenn sie nach dem Hamburger Wahldebakel in aller Öffentlichkeit trotzig tönen, jetzt werde man sich eben den Kanzler so richtig vorknöpfen?
Je wütender die Opposition auf Kohl eindrischt, je ungenierter sie aus Mücken Elefanten macht,
desto mehr vermittelt sie der Wählerschaft den Eindruck, mit ihrem Latein am Ende zu sein.Genau das ist der Punkt, der auch zu dieser Aktuellen Stunde geführt hat: Sie sind mit Ihrem Latein am Ende.
Jede Woche eine neue Strategie, jede Woche — das kriegen wir ja noch — ein neuer Wahlkampfmanager. Ihre Strategie richtet sich einmal auf die Außenpolitik, mit der Sie im westlichen Bündnis völlig isoliert sind, auch unter Ihren sozialistischen Freunden, wo sich Ihre ganzen Untergangsthesen als falsch erwiesen haben, einmal auf die Wirtschaftspolitik. Es war ja geradezu eine Drohung, daß Sie uns mit Ihren steuerpolitischen und wirtschaftspolitischen Vorschlägen kommen wollten. Das sind doch die alten sozialistischen Rezepte, die wir alle kennen: mehr Staat, mehr Schulden, mehr Steuern, mehr Abgaben. Das hatten wir schon. Ihre Partei ist verbunden mit den Begriffen Massenarbeitslosigkeit, Inflation und Staatsverschuldung.Und dann wollen Sie und die Gewerkschaften — wie letzte Woche geschehen — die Montan-Mitbestimmung in den Mittelpunkt stellen,
obwohl seit 30 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland niemand dem Gedanken der Mitbestimmung mehr geschadet hat als die sozialdemokratischen Parteifunktionäre und die Gewerkschaftsbosse bei der Neuen Heimat!
Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Verrennen Sie sich nicht in Ihrem blinden Kampf gegen einen erfolgreichen Kanzler und eine erfolgreiche Regierung. Machen Sie, Herr Vogel, Ihre Schularbeiten in der Opposition.
Klopfen Sie sich hin und wieder auch einmal an die eigene Brust,
und zeigen Sie nicht immer mit dem Zeigefinger auf andere Leute. Wir werden uns jedenfalls überhaupt nicht beeindrucken lassen. Das kann doch auch nicht Ihr Eindruck sein von dieser mißglückten Attacke in dieser Aktuellen Stunde. Sie ist wirklich mißglückt, überflüssig, absurd, töricht und dumm, kann ich nur sagen.
Deswegen sage ich: Diese Aktuelle Stunde hilft uns, dem deutschen Bürger klarzumachen, worauf es in den kommenden Wochen ankommt: Rückwärts mit der SPD in die Krisen der 70er Jahre oder vorwärts mit der CDU in eine sichere Zukunft!
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen, erteile ich dem Abgeordneten Dr. Stark einen Ordnungsruf für seine Bezeichnung „Terrorist" gegenüber dem Abgeordneten Ströbele.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Zunächst darf ich einige amtliche Mitteilungen verlesen.Am 11. November 1986 hat der Abgeordnete Paintner seinen 60. Geburtstag gefeiert. Ich darf ihm im Namen des Hauses die besten Wünsche übermitteln.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:1. Aktuelle StundeAmtsführung des Bundeskanzlers im Zusammenhang mit seinem Newsweek-Interview2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte— Drucksachen 10/6392, 10/64183. Beratung des Elften Berichts und der Empfehlung der Europa-Kommission zur der Unterrichtung durch das Europäische Parlament— Drucksache 10/1423 —Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union— Drucksache 10/5271 —4. Beratung des Zwölften Berichts und der Empfehlung der Europa-Kommission zur Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte— Drucksache 10/6226 —5. Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
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18974 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Präsident Dr. JenningerEntschließung zur Europäischen Union und der Einheitlichen Akte— Drucksache 10/5436 —6. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einheitliche Europäische Akte— Drucksache 10/6414 —7. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung„Entscheidungen und Maßnahmen von Bund und Ländern nach dem Großbrand bei der Firma Sandoz/Basel und daraus resultierende Konsequenzen"8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Artikels 2 des Vierten Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung und zur Änderung der Bundesärzteordnung, des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde und der Reichsversicherungsordnung— Drucksache 10/6394 —9. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Entschädigung für NS-Unrecht"— Drucksache 10/6415 —10. Aktuelle StundeHaltung der Bundesregierung zur Verlängerung des Umrüstungszeitraums für das Kohlekraftwerk IbbenbürenDabei soll gleichzeitig, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden.Weiterhin haben die Fraktionen vereinbart, Punkt 8 der Tagesordnung abzusetzen.Die Punkte 6 bis 27 und Zusatzpunkt 8, die ohne Debatte vorgesehen sind, sollen vor Punkt 4 der Tagesordnung aufgerufen werden.Des weiteren soll Punkt 33 — „Bericht der Bundesregierung über den Stand der Reform des Auswärtigen Dienstes" — als letzter Punkt der heutigen Tagesordnung beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe die Zusatzpunkte 2 bis 6 der Tagesordnung auf:2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte— Drucksachen 10/6392, 10/6418 — Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
RechtsausschußFinanzausschußAusschuß für WirtschaftHaushaltsausschuß3. Beratung des Elften Berichts und der Empfehlung der Europa-Kommission zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament— Drucksache 10/1423 —Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union— Drucksache 10/5271 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
Haushaltsausschuß4. Beratung des Zwölften Berichts und der Empfehlung der Europa-Kommission zur Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte— Drucksache 10/6226 — Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß Haushaltsausschuß5. Beratung der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zur Europäischen Union und der Einheitlichen Akte— Drucksache 10/5436 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
Haushaltsausschuß6. Beratung des Antrags der Fraktion der SPDEinheitliche Europäische Akte— Drucksache 10/6414 — Übe rweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß
RechtsausschußFinanzausschußAusschuß für Wirtschaft HaushaltsausschußMeine Damen und Herren, interfraktionell sind eine gemeinsame Beratung dieser Zusatztagesordnungspunkte und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Deutsche Bundestag behandelt heute in erster Lesung das Vertragsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte. Parallel zu unseren Beratungen laufen die Ratifizierungsverfahren in den Parlamenten der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Dänemark, Belgien, Luxemburg und das Vereinigte Königreich haben schon ratifiziert.Die Bundesregierung zweifelt nicht an der Entschlossenheit aller anderen EG-Partner, noch in diesem Jahr die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Europäische Akte zum 1. Januar 1987 in Kraft treten kann. Ich bitte deshalb das Hohe Haus, durch eine zügige parlamentarische Behandlung des Vertragsgesetzes sicherzustellen, daß die Europäische Akte auch bei uns noch in dieser Legislaturperiode ratifiziert werden kann.Die integrations- und außenpolitische Bedeutung der Europäische Akte kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Viele Anläufe in den letzten 30 Jahren haben zu diesem Reformwerk geführt, das der wirtschaftlichen und politischen Einigung unserer Gemeinschaft neuen Auftrieb gibt. Dabei will ich nicht verschweigen, daß wir uns in mancher Beziehung ein weitergehendes, besseres Ergebnis gewünscht hätten. Aber das Bessere war schon immer der Feind des Guten. In dem gewiß langwierigen und mühsamen Prozeß der europäischen Integration konnten die zweiten und dritten Schritte noch nie vor dem ersten getan werden. Deshalb kann ich mich auch der pessimistischen Einschätzung in dem Entschließungsantrag der Opposition nicht anschließen.Die Europäische Akte ist ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zur Europäischen Union. Es
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18975
Bundesminister Genschergeht darum, die innere und äußere Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft zu stärken. Der politische Einfluß der Gemeinschaft in der Welt muß der wirtschaftlichen und der kulturellen Bedeutung Europas entsprechen. Die Gemeinschaft muß sich neben den USA und Japan als dynamischer Wirtschaftsraum als ein großer und freier Binnenmarkt und als Pionier der Spitzentechnologie bewähren. Nur so kann Europa seiner Verantwortung für die Erhaltung weltpolitischer und weltwirtschaftlicher Stabilität gerecht werden.Diesem Ziel soll uns die Europäische Akte mit ihren Vorschriften über den Binnenmarkt, über die Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Währungspolitik, über die Technologiegemeinschaft und über die Verbesserung der Entscheidungsverfahren im Rat und in der Beteiligung des Europäischen Parlaments näherbringen.Wir wissen: Aus einem großen und freien Binnenmarkt und einer vertieften Währungszusammenarbeit ergeben sich für uns als dem wirtschaftlich stärksten Partner in der Gemeinschaft Chancen und Herausforderungen.Die Bundesregierung begrüßt, daß die Europäische Akte der Forschungs- und Technologiepolitik der Gemeinschaft und dem Umweltschutz eine gemeinsame rechtliche Grundlage gibt. Eine zukunftsorientierte Technologiegemeinschaft sichert die europäische Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt. Die Gemeinschaft hat nunmehr klare Zielsetzungen und die notwendigen Instrumente erhalten. In gleichem Maße haben wir uns um die neuen Vertragsbestimmungen zum Umweltschutz bemüht. Umweltpolitik muß auch als Gemeinschaftsaufgabe für grenzüberschreitende Maßnahmen verstanden werden. Die Notwendigkeit solcher Maßnahmen hat sich in diesen Tagen erneut dramatisch bestätigt.Auch die institutionelle Reform der Gemeinschaft haben wir entscheidend mitgeprägt. Das gilt vor allem für die künftigen Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments. Die Erweiterung der Rechte des Parlaments war ein Kernpunkt der Reformdiskussion. Gerade hier blieb das Ergebnis hinter unseren Vorstellungen und Vorschlägen zurück. In dieser Frage wäre jedoch eine Politik des Allesoder-Nichts völlig verfehlt gewesen. Die Europäische Akte bietet dem Europäischen Parlament größere Möglichkeiten der Einflußnahme und damit eine qualitativ stärkere demokratische Rolle. Die Bundesregierung wird weiter dafür eintreten, daß dem Europäischen Parlament im Zuge der Entwicklung zur Europäischen Union die vollen demokratischen Funktionen übertragen werden. Nur so ist die Gemeinschaft auch gegenüber ihren Bürgern glaubwürdig.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Europäische Politische Zusammenarbeit hat sich zu einem zentralen Instrument außenpolitischer Interessenwahrung und europäischer Integration entwickelt. Heute ist die Gemeinschaft auch außenpolitisch eine von der Staatenwelt anerkannte Realität. In wachsendem Maße zeigt die Gemeinschaft Fähigkeit und Willen, ihrer politischen Verantwortung gerecht zu werden und die Entwicklung in Europa und in der Welt mitzugestalten. Die Europäische Akte verankert die Zusammenarbeit in der Außenpolitik zum erstenmal völkerrechtlich; sie stärkt Arbeitsweise und Wirkung.Am 1. Januar 1987 nimmt das Sekretariat zur Unterstützung der Präsidentschaft in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit seine Arbeit in Brüssel auf. Das gegenseitige Vertrauen aus 15jähriger enger Kooperation wird damit eindrucksvoll bekräftigt. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine Europäische Union mit einer wirklich gemeinsamen europäischen Außenpolitik.Die Vertragsparteien stellen fest, daß zur außenpolitischen Identität Europas auch die engere Zusammenarbeit in Fragen der europäischen Sicherheit beitragen kann. Sie sind zu einer stärkeren Koordinierung ihrer Standpunkte zu den politischen und wirtschaftlichen Aspekten der Sicherheit bereit. Das sind weitgehende völkerrechtliche Verpflichtungen, mit denen wir Europäer unseren Willen zur Europäischen Union dokumentieren.Herr Präsident, meine Damen und Herren, der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 16. Mai vorgeschlagen, das Ratifikationsgesetz um eine Regelung des Länderbeteiligungsverfahrens zu ergänzen. Er hat seine Zustimmung zu dem Gesetz davon abhängig gemacht, daß die gewünschte Regelung eingefügt wird. Damit wurde die schwierige Frage der Länderbeteiligung, die Bund und Länder seit den Verträgen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften nicht abschließend lösen konnten mit dem Ratifikationsverfahren verbunden. Die Bundesregierung hat aus ihrer Sicht bisher alles getan, um die Länder in Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft frühzeitig und umfassend zu unterrichten und zu beteiligen. Dennoch hat sie die Wünsche des Bundesrats aufgegriffen und sich um Lösungen bemüht, die gleichermaßen die Interessen des Bundes und der Länder berücksichtigen.Europapolitik betrifft in immer stärkerem Maße die Belange und Zuständigkeiten auch der Länder. Es ist deshalb verständlich, daß die Länder Verfahren vorschlagen, mit denen sie in allen europapolitischen Fragen, die sie betreffen, zu gemeinsamen Auffassungen finden und diese in die Willensbildung der Bundesregierung rechtzeitig einbringen können. Allerdings darf ein solches Verfahren die verfassungsmäßig garantierte außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung nicht beeinträchtigen.
Die Bundesregierung muß in der Lage sein, die Entscheidungen in der Gemeinschaft rasch und wirksam mitzugestalten.Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Formulierungen bieten eine Grundlage, auf der Bund und Länder im Gesamtinteresse der Bundesrepublik Deutschland konstruktiv und verantwor-
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18976 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Bundesminister Genschertungsbewußt zusammenarbeiten und die Ziele der Einheitlichen Europäischen Akte gemeinsam verwirklichen können.Mit dem Inkrafttreten der Europäischen Akte erreicht die Europäische Gemeinschaft eine neue Etappe, aber noch keinen Endpunkt auf dem Weg zur Europäischen Union. Dies ist das gemeinsame Ziel aller im Bundestag vertretenen Parteien.Ich appelliere an Sie, mit großer Mehrheit dafür einzutreten, daß wir hier in der Bundesrepubik Deutschland unseren Beitrag zur Erreichung dieses Etappenziels auf dem Weg zur Europäischen Union leisten können.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Brück.
Herr Präsident. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, Sie haben in einer Rede in der Universität Würzburg am 26. August dieses Jahres gesagt: „Die Europäische Akte liegt jetzt den nationalen Parlamenten zur Ratifizierung vor. Wie die nationalen Parlamente damit umgehen — das ist, für jedermann sichtbar, ein Test auf die Glaubwürdigkeit europäischer Politik."Dies ist ein guter, ein schöner Satz, Herr Bundesaußenminister — bis auf eine kleine Unschärfe.Am 26. August dieses Jahres lag die Europäische Akte nicht allen nationalen Parlamenten zur Ratifizierung vor. Sie lag nicht dem Deutschen Bundestag vor. Sie liegt ihm erst jetzt, heute morgen vor.Aber ich stimme Bundesaußenminister Genscher zu, wenn er das Ratifikationsverfahren für die Europäische Akte als einen Test für die Glaubwürdigkeit europäischer Politik bezeichnet.Diesen Test hat die Bundesregierung nicht bestanden.Wie die Bundesregierung die Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte behandelt hat, ist skandalös. Und ein Skandal ist es auch, was man dem Deutschen Bundestag zumutet.Die Beratung des Ratifikationsgesetzes findet nur wenige Wochen vor dem Ende der Legislaturperiode statt, also unter einem fast unerträglichen Zeitdruck.Ich bin gespannt, welche Lösung man im Ältestenrat findet, um den Ausschüssen des Deutschen Bundestages die Gelegenheit zu geben, wenigstens einmal dieses Ratifikationsgesetz zu beraten, und dabei zugleich die Fristen einhalten zu können, die notwendig sind, um das Gesetz vor Ende des Jahres auch noch im Bundesrat zu behandeln.Die Regierung hätte Zeit genug gehabt, das Gesetz früher zuzuleiten, damit eine gründliche, der Bedeutung des Themas angemessene Beratung im Plenum und in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages möglich gewesen wäre.Hier noch einmal die Daten:Die Einheitliche Europäische Akte wurde von der Bundesrepublik am 17. Februar dieses Jahres unterzeichnet.Am 16. Mai gab es den ersten Durchgang im Bundesrat.Noch vor der Sommerpause, so hat man bei der Bundesregierung immer wieder getönt, sollte es die Gegenäußerung geben. Aber da gab es ja dann die Probleme mit dem Männerfreund des Bundeskanzlers in Bayern.
Und so zögerte man und zögerte man, bis der Bundeskanzler dann wohl merkte, daß man das Problem nicht durch Aussitzen regeln kann.So liegt uns eben erst heute morgen die Gegenäußerung der Bundesregierung zu den Wünschen des Bundesrats vor.Die Behandlung des Deutschen Bundestages bei dieser Ratifikation ist in eine Reihe zu stellen mit der Behandlung des Europäischen Parlaments in dieser Einheitlichen Europäischen Akte.
Die Stärkung der Rolle des Europäischen Parlaments im gemeinschaftlichen Entscheidungsprozeß wäre die wichtige Aufgabe gewesen, die man mit der Einheitlichen Europäischen Akte hätte regeln müssen. Die Parlamente der Mitgliedstaaten haben im Lauf der letzten 30 Jahre Entscheidungsbefugnisse an den Rat verloren, ohne daß das Europäische Parlament entsprechende Befugnisse erhalten hat.Dies entspricht nicht den Prinzipien der parlamentarischen Demokratie. Europapolitik darf nicht immer mehr zu einer Sache von Bürokratien, gleichgültig, ob in Bonn oder in Brüssel, degenerieren.Deshalb müssen wir uns im Deutschen Bundestag, Frau Kollegin, durchaus auch Gedanken darüber machen, wie wir als Parlamentarier die europapolitischen Aktivitäten der Bundesregierung stärker beobachten und kontrollieren können, ohne zugleich — dies füge ich deutlich hinzu — die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland auf europäischer Ebene zu gefährden.Wir, die Sozialdemokraten, haben zur ersten Beratung des Ratifikationsgesetzes einen Antrag eingebracht, in den wir Formulierungen eingebaut haben, die als Präambel dem Ratifikationsgesetz vorausgestellt werden können.Wir hoffen, daß wir die Unterstützung der anderen Fraktionen des Deutschen Bundestages haben werden, wenn es darum geht, deutlich zu machen, daß sich der fortschreitende Zusammenschluß der Staaten der Europäischen Gemeinschaft an demokratischen Prinzipien zu orientieren hat.Meine Damen und Herren, auch in den anderen Punkten ist die Einheitliche Europäische Akte nicht das große Reformwerk, als das sie uns angekündigt worden ist. Sie bleibt weit hinter allen Erwartungen zurück. Wir alle hatten große Hoffnungen an diese
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BrückEinheitliche Europäische Akte geknüpft, den ersten großen Versuch, die Römischen Verträge den heutigen Gegebenheiten anzupassen. Aber wir wurden enttäuscht. Die Vorschläge der Einheitlichen Europäischen Akte sind unbefriedigend und weit vom Ziel der Europäischen Union entfernt, die zu verwirklichen sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft wiederholt feierlich verpflichtet haben, allen voran Bundeskanzler Kohl und Sie, Herr Bundesaußenminister Genscher.Was die Einheitliche Europäische Akte betrifft, könnte sich das Wort des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland bewahrheiten: Richtige Gelegenheiten zu versäumen ist gefährlich; sie kehren selten wieder.Trotz zahlreicher Bedenken und trotz der Enttäuschung über die geringe Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft werden wir Sozialdemokraten dem Ratifizierungsgesetz zustimmen, weil wir auch die kleinste Chance für die Weiterentwicklung der Gemeinschaft nutzen wollen. Es wäre falsch, wenn ich hier das Sprichwort von dem Spatzen in der Hand zitierte, der einem lieber ist als die Taube auf dem Dach. Denn — um im Bild zu bleiben — wenn die Differenz zwischen dem, was uns jetzt vorliegt, und dem, was immer wieder in Sonntagsreden gefordert wird, nicht größer wäre als die Differenz in der Größe zwischen einem Spatzen und einer Taube, dann wäre ich j a schon glücklich.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hellwig? — Bitte sehr, Frau Abgeordnete.
Herr Abgeordneter, gilt Ihre Zustimmung ohne Einschränkung auch für die Länder im Bundesrat?
Zuerst einmal sprechen wir, Frau Kollegin Hellwig, hier im Deutschen Bundestag. Ich habe gesagt, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dem zustimmen wird. Wie sich die sozialdemokratisch geführten Länder entscheiden werden, das werden sie entscheiden, wenn sie das, was die Bundesregierung erst jetzt vorgelegt hat — das ist ja erst gestern beschlossen worden —, geprüft haben.
Leider ist die Einheitliche Europäische Akte nur der kleinstmögliche Schritt auf dem Weg zur Europäischen Union. Wir Sozialdemokraten werden das Ziel Europäische Union mit allem Nachdruck weiterverfolgen. Die deutsche Sozialdemokratie war in ihrer langen Geschichte immer der Zusammenarbeit zwischen den Nationen verpflichtet. Sie hat stets daran festgehalten, daß nur durch die Zusammenarbeit der Völker die Zukunft unseres Kontinents gesichert werden kann.
Die Vereinigten Staaten von Europa, schon im Heidelberger Programm unserer Partei von 1925 gefordert, bleiben unser Ziel. Sie müssen unser Ziel bleiben, wenn sich Europa in dieser Welt politisch und wirtschaftlich behaupten will.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Dr. Pfennig.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir erst heute mit der Ratifizierung der Akte im Deutschen Bundestag beginnen können, ist dies ein erneuter Beweis für die alte Erkenntnis Robert Schumans, daß eine lebensfähige und starke Europäische Gemeinschaft nur systematisch, nur schrittweise und nur Stück für Stück verwirklicht werden kann.Die Initiative des Europäischen Parlaments, an dessen Vertragsentwurf zur Gründung der Europäischen Union ich mitgearbeitet habe, war der entscheidende Anstoß zur Erarbeitung der Europäischen Akte. Die Europäische Union ist seit jeher Ziel des mit den Gemeinschaftsverträgen eingeleiteten Integrationsprozesses, und an diesen Verträgen haben viele Europäer mitgearbeitet, auch viele, die in diesem Haus als Mitglieder einen Platz haben oder gelegentlich in anderer Funktion an Sitzungen teilnehmen.Trotz zahlreicher Erklärungen der Staats- und Regierungschefs wird mit der Akte das Ziel „Europäische Union" immer noch nicht erreicht, aber wir kommen ihm ein Stück näher. Das Europäische Parlament wollte mit seinem Vertragsentwurf zu einer umfassenden Integration kommen. Die Gemeinschaft ist in der politischen Wirklichkeit, wie sie es eigentlich immer getan hat, einen Mittelweg gegangen: Sie hat das Ziel, die Europäische Union, festgeschrieben, die Elemente allerdings nur unvollständig beschrieben.Immerhin sind jetzt die Europäische Politische Zusammenarbeit, die Verwirklichung des freien Binnenmarktes, die erweiterten Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments, die monetäre Dimension, die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts sowie die Bereiche Forschung, Technologie und Umweltschutz vertraglich abgesichert. Die Europäische Union als Endzustand der Gemeinschaft ist jetzt vertraglich ausdrücklich anerkanntes Ziel aller Mitgliedstaaten, und die Gemeinschaft versteht sich erstmalig als etwas Größeres als eine bloße Wirtschaftsgemeinschaft. Das ist schon eine entscheidende Zäsur.Es ist eben ein Unterschied, ob z. B. eine Umweltschutzgesetzgebung nur deswegen existiert, weil man Wettbewerbsverzerrungen vermeiden will, oder ob die Gemeinschaft deswegen tätig wird, weil umfassender Umweltschutz mit hohem Standard bei gemeinschaftsweiter Bedeutung ihre Aufgabe ist.Nicht zu übersehen ist auch, daß durch die Präambel der Europäischen Akte erstmalig vertraglich die Grundwerte der Gemeinschaft festgeschrieben werden: Demokratie, Menschen- und Grundrechte, Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit. Auch das ist ein wichtiger Unterschied zum bisherigen Zustand.
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Dr. PfennigSchließlich ist die Erwähnung des Europäischen Parlaments als eines unerläßlichen Ausdrucksmittels der demokratischen Völker Europas zumindest ein Hinweis darauf, daß die Gemeinschaft selbst bei der Vertretung der Bevölkerung in Zukunft nach den gleichen demokratischen Prinzipien verfahren soll, nach denen in den Mitgliedstaaten verfahren wird.
Die angestrebte Europäische Union ist damit nicht mehr nur eine Vision, sie ist aber auch — im Gegensatz zu den Wünschen des Europäischen Parlaments — noch keine Realität. Das mindere Ergebnis in der Europäischen Akte beruht darauf, daß eben nur eine Mehrheit der Mitgliedstaaten zu weitergehenden Schritten bereit war, nicht aber eine Minderheit, bestehend aus Großbritannien und vor allem aus Dänemark und Griechenland.Wir können aus zwei Gründen mit diesem Ergebnis nicht zufrieden sein: Die Europäische Union als Ziel der Einigung ist nach wie vor nur unzureichend beschrieben, und dasselbe gilt von der Gewaltenteilung, d. h. von den Wegen der Konfliktlösung zwischen und in den Gemeinschaftsorganen. Beide Probleme bedürfen der Lösung, wenn man zu einer Europäischen Union kommen will.Die Europäische Akte zeigt zwar, daß die Gemeinschaft und die zukünftige Union sich an dem im westlichen Europa im Laufe der Aufklärung entstandenen Bild vom Staat als freiheitlicher Demokratie orientiert, am gemeinsamen politischen Erbe der in Europa und in den USA entstandenen Demokratien, deren Basis die Überzeugung war und ist, daß jeder Mensch unverletzliche und unveräußerliche Grundrechte hat.Die Europäische Akte zeugt auch davon, daß sich zusätzlich zu den klassischen Werten der Demokratie als neuer politischer Wert der Gedanke des Zusammenschlusses endgültig durchgesetzt hat: Verzicht auf bewaffneten Angriff zwischen den Mitgliedstaaten und Frieden zwischen ihnen ist Zweck der Gemeinschaft. Der Zusammenschluß ist mit der Überzeugung verbunden, in einer Europäischen Union zukünftig die gemeinsamen Werte zu verwirklichen, in allen Mitgliedstaaten annähernd vergleichbare Lebensverhältnisse zu schaffen und die Gemeinschaft nach dem Prinzip der Subsidiarität arbeiten zu lassen. Dieses Beispiel des Zusammenlebens auf Grund vereinbarter politischer Prinzipien übt neben dem wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand der Gemeinschaft allerstärkste Anziehungskraft auch auf unsere östlichen Nachbarn in Europa aus.Das Fehlen eines Grundrechtskatalogs der Gemeinschaft neben den nationalen Grundrechtsgarantien, und das Fehlen einer echten Gewaltenteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten einerseits, zwischen Europäischem Parlament und Rat andererseits sind allerdings auch Hinweise, daß die Mitgliedstaaten zu einer wirklich föderalen Ordnung der Gemeinschaft noch nicht bereit sind. Das hat die Debatte über die Europäische Akte und die Rechte des Europäischen Parlaments am deutlichsten in Dänemark gezeigt. Es zeigt sich aber auch in der Akte selbst deutlich, die z. B. in den Bereichen Wirtschafts-, Währungs-, Außen- und Sicherheitspolitik zwar eine Koordinierung der jeweiligen nationalen Politik — übrigens ohne Einbeziehung der Verteidigungspolitik — vorsieht, aber eben der Gemeinschaft als solcher keine primäre Entscheidungsbefugnis und schon gar nicht dem Europäischen Parlament ein Mitentscheidungsrecht einräumt.Wir sollten dabei nicht stehenbleiben. Die Fortentwicklung der Gemeinschaft liegt in unserem ureigenen Interesse — wirtschaftlich, sozial, kulturell und allgemein-politisch. Oder glaubt etwa jemand, daß wir ohne Hilfe und Zustimmung unserer westeuropäischen Nachbarn jemals zu einer Wiedervereinigung kommen werden? Dies schließt die Diskussion darüber natürlich nicht aus, wie wir in der Gemeinschaft unsere Interessen am besten vertreten. Diese Diskussion muß auch zwischen Bund und Ländern geführt werden. Die Institutionalisierung dieses Dialogs im Ratifizierungsgesetz ist ein bemerkenswerter Vorgang, der einen Interessenausgleich zwischen Bund und Ländern bei der deutschen EG-Politik herbeiführen kann. Die Debatte um diesen Interessenausgleich darf jedoch nicht den Blick für die europapolitischen Notwendigkeiten selbst verstellen. Hier sollte man sich vor falschen Tönen hüten. Ist es beispielsweise richtig, wenn der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Rau, in Brüssel bei der Eröffnung des Büros seines Landes erklärt, man tue nichts anderes als zahlreiche US- und kanadische Bundesstaaten, oder liegt hier nicht eigentlich eine schlimme Verwechselung von nordamerikanischer außenpolitischer Interessenvertretung und deutscher EG-Innenpolitik vor? Sind die Bundesländer nicht auch Teil der EG?
— Herr Kollege Vogel, ich glaube, wir sollten diesen Ausrutscher des Ministerpräsidenten lieber schnell vergessen.Die Bundesländer sind innerhalb der Gemeinschaft auch für deutsche Interessen verantwortlich. Sie haben nach der deutschen Verfassung starke eigene Rechte. Insofern ist die Bundesrepublik in der Gemeinschaft trotz vergleichbarer Momente in Spanien und Belgien ein einzigartiger Fall. Wir sollten deshalb unsere Föderalismuserfahrung für den Aufbau der Gemeinschaft einbringen und zeigen, wie ein vernünftiger Abgleich zwischen Gesamtinteressen sowie mitgliedstaatlichen Rechten und Interessen erfolgen kann. Die Gemeinschaft bedarf solchen Beispiels. Ich möchte Ihnen das an drei tatsächlichen Ereignissen zeigen, bei denen nur die Namen verändert sind. Sie zeigen die Schwierigkeiten, mit denen EG-Mitgliedstaatsangehörige noch heute wegen des Fehlens von EG-Regelungen zu kämpfen haben.Wenn der britische Staatsangehörige Hunt, verheiratet mit einer Belgierin, beschäftigt und mit Wohnsitz in Brüssel, morgens mit dem Auto seiner Frau fährt, sie dagegen mit seinem noch in England zugelassenen Wagen fährt und in eine Polizeikon-
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Dr. Pfennigtrolle gerät, dann wird der Wagen beschlagnahmt, die Frau inhaftiert wegen unbefugten Fahrens eines ausländischen Fahrzeuges und das steuerliche und verkehrsrechtliche Vergehen bestraft.Wenn Herr Müller, Französischlehrer in einem deutschen Bundesland, wegen Versetzung seiner Frau zum Zolldienst in einem anderen Bundesland, dort die Einstellung als Französischlehrer erreichen will, muß er sich entgegenhalten lassen, ihm fehle ein Staatsexamen dafür und deshalb könne er nicht Französischlehrer sein. Herr Müller ist übrigens Franzose.Oder wer gar als Frisör von einem Mitgliedstaat in einen anderen wechseln will, ist z. B. auf die Ergebnisse des deutsch-französischen Expertentreffens zur Herstellung der Aquivalenz im Ausbildungsberuf Herren- oder Damenfrisör oder Coiffeur mixte angewiesen, wo die Experten streiten um die Vergleichbarkeit der Ausbildungsanforderungen für klassischen Schnitt, modische Damenfrisur, Kinderfrisur, freies Färben und Dauerwellen und viele solche Ausbildungspunkte.
Ist es da absolut unvernünftig, eine EG-Regelung zu verlangen, daß jeder Frisör auf Grund seines nationalen Diploms tätig werden kann und den Markt entscheiden zu lassen? Bewegen wir uns bei diesen Ereignissen nicht in allen EG-Mitgliedstaaten mit einem Beharren auf Kompetenzen weniger fortschrittlich als im vorigen Jahrhundert?Ich wünsche mir jedenfalls, daß die Bundesregierung wie bisher durchgreifende qualitative Reformen der Gemeinschaft anstrebt und der Bundeskanzler, nachdem 1985 mit dem Beitritt Spaniens und Portugals und der Europäischen Akte ein sehr erfolgreiches Jahr für die europäische Integration war, auch in Zukunft keinen Zweifel daran läßt, daß die Gemeinschaft so schnell wie möglich eine Europäische Union werden muß.
Ich erteile das Wort dem Staatsminister für Bundesangelegenheiten, Bevollmächtigtem des Freistaates Bayern beim Bund, Herrn Staatsminister Schmidhuber.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
So ist es.Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der föderative Aufbau der Bundesrepublik Deutschland ist eines der tragenden und unverzichtbaren Grundelemente unseres Staates. Nach unserer bundesstaatlichen Verf assungsordnung sind die Länder der Bundesrepublik Deutschland nicht dem Bund untergeordnete Verwaltungseinheiten, sondern ihm gleichrangige Staaten, die mit eigener, nicht vom Bund abgeleiteter Hoheitsmacht ausgestattet sind. Mit der Absicherung dieses Gestaltungsprinzips im Grundgesetz und der darin geregelten lückenlosen Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern ist eine fein ausgewogene Macht- und Gewaltenteilung entstanden, die nicht nur die größere Gemeinschaft stärkt und sich in Krisenzeiten stabilisierend auswirkt, sondern in besonderem Maße dem Bürger in der heutigen Demokratie die Freiheit sichert.Für uns Deutsche ist das föderative Prinzip das durchgehende Gestaltungsprinzip, seitdem es eine deutsche Geschichte gibt. Auch in der fast 40jährigen Verfassungspraxis der Bundesrepublik Deutschland hat es sich bestens bewährt. Der Föderalismus ist ein nicht zu ersetzendes, keineswegs verzichtbares Architekturelement unseres demokratischen und sozialen Rechtsstaats. Er läßt sich nicht von den anderen Strukturelementen der Bundesrepublik trennen, ohne daß Schaden an unserer freiheitlichen Ordnung entstünde.Unter den Verfassungsorganen der Bundesrepublik Deutschland kommt es vor allem dem Bundesrat zu, für die Belange des Föderalismus einzutreten. Als Länderkammer obliegt es vor allem ihm, darüber zu wachen, daß die Einigung Europas nicht die geschichtlich gewachsene föderative Struktur unseres Staates aushebelt und damit die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.Das ist die Ausgangslage, auf der der Bundesrat auch die Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaften beurteilt. Er hat sich stets mit voller Überzeugung zur europäischen Integration bekannt, weil die Aufrechterhaltung unserer freiheitlichen Wirtschafts-, Gesellschafts- und Rechtsordnung sowie die Abwehr der anhaltenden Bedrohung unserer Sicherheit auf lange Sicht nur mit einer gemeinsamen Wirtschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik im freien Teil Europas möglich ist. Das kann aber nicht bedeuten, daß jeder politische Vorschlag, wenn er nur mit dem Etikett „Europa" versehen wird, kritiklos hingenommen werden muß.Dementsprechend hat der Bundesrat die Einheitliche Europäische Akte als einen geeigneten Schritt auf dem Weg der Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaften zu einer Wirtschafts- und Währungsunion und auf weite Sicht zur Errichtung einer Europäischen Union begrüßt. Andererseits darf man die Gefahr nicht übersehen, daß die angestrebten Integrationsfortschritte zu Lasten der Eigenstaatlichkeit der Länder und damit der föderativen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gehen. Die Bestimmungen der Einheitlichen Europäischen Akte enthalten „Einbruchstellen" in Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche der Länder. Es handelt sich dabei vor allem um die Bereiche Umweltschutz, Forschung und Förderung der technologischen Entwicklung. Die Einführung bzw. die Wiederherstellung des Prinzips der Mehrheitsentscheidungen im EG-Rat könnte zu nachteiligen Auswirkungen für die Länder vor allem im Bildungs- und Baubereich führen.Darüber hinaus soll zur Entlastung des Rates die Möglichkeit erweitert werden, Befugnisse zur Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften auf die Kommission zu übertragen, ohne daß die Übertragung dieser Durchführungsbefugnisse nach Inhalt, Zweck und Ausmaß festgelegt ist. Auch inso-
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Staatsminister Schmidhuber
) weit kann in die Verwaltungskompetenz der Länder nach Art. 30 des Grundgesetzes eingegriffen werden.Daß diese Befürchtungen nicht grundlos sind, beweist die Praxis der Europäischen Gemeinschaften in den letzten Jahren.Auf zahlreichen Gebieten hat die EG Regelungen vorgeschlagen oder erlassen, für die sie nach den Verträgen von Paris und Rom keinerlei Zuständigkeit hat. Der Rechtsausschuß des Bundesrates hat in der Zeit von Anfang 1976 bis Ende Februar 1986 in 48 Fällen derartige Kompetenzüberschreitungen der EG-Organe festgestellt. Beispielhaft seien genannt: Richtlinien oder Richtlinienentwürfe für die Qualitätsanforderungen an Süßwasser, Erhaltung von Vogelarten, Sicherheit von Kinderspielzeug, Gleichbehandlung von Männern und Frauen, Programme in den Bereichen Umweltschutz, Wissenschaft und Technologie, Sicherheit am Arbeitsplatz, kulturelle Aktionen.In der Zwischenzeit sind weitere EG-Vorschläge ohne ausreichende Kompetenzgrundlage vorgelegt worden, wie etwa die Entschließung des Rats über die Verbrauchererziehung in den Primar- und Sekundarschulen oder die Rundfunkrichtlinie. Hier handelt es sich um bedeutende Eingriffe in die Kulturhoheit der Länder.Das Vorgehen der EG-Kommission gegen Maßnahmen der Regionalförderung in der Bundesrepublik stößt bei den deutschen Ländern auf Unverständnis.Die Rückwirkungen dieser Entwicklung auf die föderative Struktur sind unübersehbar. Die Länder verlieren durch die „Europäisierung" von Aufgaben und Zuständigkeiten nicht nur Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen, sondern auch ihre Mitwirkungsbefugnisse im Bund, die ihnen über den Bundesrat bei der Gesetzgebung und Verwaltung — auch im EG-Bereich — national zustehen.Der Zielkonflikt zwischen einer weiteren Verdichtung der europäischen Integration und der Eigenstaatlichkeit der Länder darf nicht vertuscht werden. Er muß mit dem Ziel einer sinnvollen Funktionsteilung nach dem Subsidiaritätsprinzip ausgetragen werden.Die Behandlung des Ratifikationsgesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte gibt hierzu Gelegenheit.Der Bundesrat sperrt sich nicht von vornherein gegen die Übertragung von Länderzuständigkeiten auf die EG. Vielmehr hat er sie immer akzeptiert und wird sie auch weiterhin akzeptieren, wenn folgende Grundsätze beachtet werden.Erstens. Aufgaben dürfen nur dann auf die EG übertragen werden, wenn eine zentrale Aufgabenerfüllung durch sie im Interesse der Bürger unabweisbar notwendig ist.Zweitens. Werden Aufgaben übertragen, so darf dies nur durch enumerative Aufzählung, nicht durch Generalklauseln geschehen.Drittens. Wer Rechte abgeben soll, muß hierzu um seine Zustimmung gebeten werden.Viertens. Wer Rechte abgegeben hat, soll bei der späteren Ausübung dieser Rechte durch die „empfangende" Instanz nach Möglichkeit nicht völlig ausgeschlossen werden. Daher gibt es seit jeher eine Mitwirkung des Bundesrats bei Bundesangelegenheiten.Von diesen Grundsätzen läßt sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 16. Mai 1986 leiten. Er fordert die Ergänzung des Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte um einen Art. 1 a. Diese Bestimmung sieht eine verstärkte Mitwirkung des Bundesrats bei europapolitischen Entscheidungen vor. Ihr Kernstück ist die Verpflichtung der Bundesregierung, vor ihrer Zustimmung zu Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaften bei Vorhaben, die ganz oder teilweise in die ausschließliche Gesetzeskompetenz der Länder fallen oder deren wesentliche Interessen berühren, die Stellungnahme des Bundesrates einzuholen; diese Stellungnahme bei den Verhandlungen zu berücksichtigen; davon nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen abzuweichen, soweit ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen der Länder berührt sind; im Falle einer Abweichung dem Bundesrat die maßgeblichen Gründe mitzuteilen und auf Verlangen Vertreter der Länder zu den Verhandlungen in den Beratungsgremien der Kommission und des Rates hinzuzuziehen, soweit dies möglich ist. Einzelheiten sollen in einem Abkommen zwischen Bund und Ländern geregelt werden.Mit dieser Regelung soll eine Kompensation von Kompetenzminderungen der Länder durch Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundesrates bei EG-Entscheidungen erreicht werden. Diese Forderung ist die konsequente Fortführung des Gedankens, daß bei zunehmender Integration die Europapolitik der Bundesregierung immer weniger Außenpolitik und immer mehr Innenpolitik wird.Mit diesem Ergänzungsvorschlag sollen die Mängel des sogenannten Bundesratsverfahrens nach Art. 2 des Ratifizierungsgesetzes zu den Römischen Verträgen sowie das mit Briefwechsel zwischen dem Bundeskanzler und dem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz im Jahre 1979 geschaffene Länderbeteiligungsverfahren korrigiert werden.Unbefriedigend am Bundesratsverfahren ist, daß die Bundesregierung an die Stellungnahme des Bundesrats nicht gebunden ist. Seitens der Bundesregierung genügt Kenntnisnahme. Ihr obliegt nicht einmal eine Vortragspflicht in Brüssel, auch dann nicht, wenn es sich um Länderkompetenz handelt. Auch das Länderbeteiligungsverfahren hat zu keiner Verbesserung geführt. Ein eindrucksvoller Beweis für seine Untauglichkeit ist das Zustandekommen der Einheitlichen Europäischen Akte selbst: In keiner Phase der Vertragsverhandlungen hatten die Länder eine Chance, die Texte im Wortlaut eingehend zu prüfen, geschweige denn zu einer gemeinsamen Meinungsbildung zu gelangen und ihre
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Staatsminister Schmidhuber
Auffassung in die Verhandlungen einfließen zu lassen.
Der Bundesrat mißt der Verbesserung und der gesetzlichen Verankerung seiner Mitwirkungsmöglichkeiten in EG-Angelegenheiten eine so große politische Bedeutung bei, daß er von der Erfüllung dieser Forderung die Zustimmung zur Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte abhängig macht.Die Vorschläge des Bundesrats sind nicht auf eine „Nebenaußenpolitik" der Länder gerichtet, wie immer wieder behauptet wird. Vielmehr befaßt sich der vorgeschlagene Art. 1 a allein mit der innerstaatlichen Mitwirkung von Entscheidungen der Bundesrepublik. Daß die Vertretung nach außen in den Gremien der Europäischen Gemeinschaften der Bundesregierung obliegt, wird in keiner Weise bestritten. Es geht nicht um die Mitwirkungsrechte des Bundesrats nach EG-Recht, sondern einzig und allein um die innerstaatliche Möglichkeit, an den Entscheidungen der Bundesregierung mitzuwirken.Es trifft auch nicht zu, daß die Bundesregierung durch Art. 1 a stringent an die Stellungnahme des Bundesrats gebunden werde.Von einer stringenten Bindung der Bundesregierung kann keine Rede sein. Sie hat immer das letzte Wort. Selbst in den Angelegenheiten, die in den ausschließlichen Gesetzgebungsbereich der Länder fallen, kann die Bundesregierung von der Stellungnahme des Bundesrats aus zwingenden außen- oder integrationspolitischen Gründen abweichen.Die Regelung des Art. 1 a ist daher in keiner Weise mit der dänischen Institution eines Marktordnungsausschusses zu vergleichen, wobei andererseits wohl kaum jemand ernsthaft die Behauptung aufstellen wird, die dänische Regelung verstoße gegen den EG-Vertrag. Die vom Bundesrat beschlossene Beteiligungsregelung räumt daher den Ländern kein Vetorecht ein. Dagegen dürfte sie einen heilsamen Zwang auf die Bundesregierung ausüben, sich mit dem Länderwillen auseinanderzusetzen. Handlungsfähigkeit und Handlungsfreiheit des Bundes bleiben in vollem Umfang gewahrt.Die Beteiligungsregelung des Art. 1 a ist daher allein nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen. Dabei bedarf es zunächst einer grundsätzlichen Klarstellung: Es ist nicht richtig, daß — wie z. B. die Europa-Kommission des Bundestages feststellt — die Bundesregierung zur alleinigen außen- und europarechtlichen Vertretung befugt und verpflichtet sei und daß sie diesen Anspruch nicht mit einem im Grundgesetz dafür nicht vorgesehenen Bundesorgan teilen dürfe. Diese Aussage verkennt zum einen — wie bereits ausgeführt —, daß es sich bei Art. 1 a nur um eine innerstaatliche Mitwirkung handelt. Zum anderen wird aber auch unterstellt, daß die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten allein Sache der Bundesregierung sei. Ein genauesStudium des Art. 32 Abs. 1 des Grundgesetzes wird Ihnen aber zeigen, daß dort nicht von „Bundesregierung", sondern vom „Bund" die Rede ist. Es gibt im Grundgesetz keine Bestimmung, wonach allein der Bundesregierung die innerstaatliche Willensbildung in EG-Angelegenheiten zukäme. Der Gesetzgeber ist daher frei, die Mitwirkung des Bundesrats in bestimmten Angelegenheiten vorzusehen.Unrichtig wäre auch die Annahme, dem Bundesrat stünden außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens Mitwirkungsbefugnisse nur dort zu, wo sie das Grundgesetz selbst ausdrücklich vorsehe. Die Fälle, in denen der Bundesrat bei der Erledigung von Bundesaufgaben mitwirkt, sind im Grundgesetz nicht abschließend aufgezählt. In zahlreichen einfachen Bundesgesetzen werden dem Bundesrat Aufgaben zugeteilt. Ich weise z. B. auf § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung hin.Einer Erweiterung der Befugnisse des Bundesrats durch Bundesgesetz stünden nur dann Bedenken entgegen, wenn dadurch verfassungsrechtlich festgelegte Befugnisse eines anderen Verfassungsorgans eingeschränkt würden. Das ist aber — wie bereits ausgeführt — hier nicht der Fall.Erfreulicherweise hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats dessen Vorstellungen weitgehend unterstützt. Heute kann ich feststellen, daß es in diesen zentralen Fragen eine gemeinsame Haltung der Bundesregierung und des Bundesrats — und damit der Länder — gibt.Der Bundesrat hält es darüber hinaus wegen der Bedeutung der Angelegenheit für den föderalen Aufbau der Bundesrepublik für erforderlich, das Mitgestaltungsrecht des Bundesrats verfassungsrechtlich festzuschreiben.Außerdem strebt er eine Änderung des Art. 24 des Grundgesetzes dahingehend an, daß die erstmalige Übertragung von Kompetenzen auf zwischenstaatliche Einrichtungen der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Insoweit greift der Bundesrat eine Anregung auf, die bereits die Enquete-Kommission „Verfassungsrecht" erhoben hatte. Es ist kein Geheimnis, daß die in Art. 24 Abs. 1 des Grundgesetzes verankerte Integrationsgewalt des Bundes die offene Flanke der bundesstaatlichen Struktur unseres Staates darstellt, weil auf diesem Weg die föderative Ordnung des Grundgesetzes verwässert werden kann.Um Mißverständnissen vorzubeugen, betone ich ausdrücklich, daß die Forderungen des Bundesrates keineswegs eine Abkehr von dem Ziel eines in Frieden geeinigten Europas bedeutet. Mit unvermindertem Nachdruck strebt er die weitere Integration der Gemeinschaft und auf weitere Sicht die Europäische Union an. Für ihn bleibt die Einigung Europas der historische Auftrag der europäischen Völker, den es mit aller Kraft zu erfüllen gilt. Jedoch hält er den Weg zum Zentralstaat für gefährlich.Die deutschen Länder wollen — unter Wahrung ihrer Eigenstaatlichkeit — mit ungebrochener politischer Kraft an der Vollendung der europäischen Einigung mitwirken. Das ist nicht Kleinstaaterei
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18982 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Staatsminister Schmidhuber
oder engstirniger Provinzialismus, sondern ein realistisches Konzept für die europäische Integration. Sie entspricht der föderalistischen Staatsauffassung des Grundgesetzes. Sie ist aber auch ein Modell zur Versöhnung des integrationspolitischen Imperativs mit den regionalen Besonderheiten in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft.
Das Wort hat der Abgeordnete Auhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch und gerade für uns GRÜNE steht die Notwendigkeit einer engen europäischen Zusammenarbeit außer Frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir wollen keinen europäischen Zentralstaat, und wir wollen vor allen Dingen auch keinen wirtschaftlichen europäischen Zentralstaat.
Das Kernstück der Europäischen Akte ist die Vollendung des Binnenmarktes. Das heißt, bis 1992 soll erreicht werden: keinerlei wirtschaftliche Binnengrenzen.
Was hat dies für wirtschaftliche, soziale, politische und ökologische Folgen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Angesichts dieser verzwickten Lage mit den vielen Ausnahmeregelungen bei den einzelnen Standards sollten wir doch lieber die Konkurrenz der Standards einführen. Was heißt die Konkurrenz der Standards für Produkte? Das bedeutet, daß die einzelnen Regierungen zwar eigene schärfere Standards erlassen können, aber angesichts des freien Warenverkehrs, wenn die Grenzen weggefallen sind, diese nicht mehr durchsetzen können. Dann werden die ökologisch problematischen, aber billigen Produkte z. B. die hohen dänischen Standards einfach unterlaufen. Die Folge wird die Nivellierung auf dem untersten Niveau sein.
Zweitens. Ohne Steuergrenzen wie heute wird es einen Druck zur Angleichung der indirekten Steuern geben. Wenn wir in der Bundesrepublik zu dem Ergebnis kommen, die Tabaksteuer zu erhöhen, weil Rauchen ungesund ist, wird eben kein Kehler mehr in Kehl Zigaretten kaufen, sondern dann werden wir vierteljährliche Pilgerfahrten von Rauchern über die Grenze nach Straßburg haben.
Heute kann sich ein Stuttgarter nicht für ein Viertelj ahr mit, was weiß ich, 20 Stangen Zigaretten in Frankreich versorgen, sondern davor ist heute noch der Zoll. Aber dieser Zoll wird nach der Europäischen Akte wegfallen.
Damit wird ein wichtiges Instrument zur ökologischen und sozialen Steuerung aufgegeben.Drittens. Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs ist ein zentrales Ziel der Europäischen Akte. Was bedeutet das? Das bedeutet den strukturellen Zwang zu verschärfter Austeritätspolitik.Erhöht ein Land z. B. die Zinsen, dann wird ein Druck auf die Nachbarländer ausgehen, ebenfalls die Zinsen zu erhöhen, oder es wird zu drastischen Kapitalabflüssen kommen, wie wir es durch die Reagansche Politik der letzten Jahre erlebt haben. Deutlich wird das in der Mitteilung der Kommission an den Rat zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs, die heute ebenfalls behandelt wird: „Die Vorschläge, die diese Mitteilung enthält, können für einzelne Mitgliedstaaten Schwierigkeiten herbeiführen, auch wenn sie schließlich für alle segensreich sein werden". Weiter heißt es in dieser Mitteilung: „Jede dieser Etappen bringt für die Mitgliedstaaten zunehmende Zwänge im Bereich ihrer Geld- und Kreditpolitik mit sich ... Die Liberalisierung der Wertpapiertransaktionen eröffnet zudem Wahlmöglichkeiten zwischen den Kapitalmärkten der Mitgliedstaaten, die dadurch unmittelbar in Konkurrenz miteinander gebracht werden." Ausdrücklich wird gesagt, „dies wird unvermeidliche zahlungsbilanzpolitische Konsequenzen und erforderliche Anpassungen nach sich ziehen." Was heißt das? Es wird in drastischem Maße dann Kapitalflucht eintreten, wenn in einem Mitgliedland eine soziale und ökologische Politik betrieben wird. Die Entscheidung für den vollendeten Binnenmarkt bedeutet Stärkung der Marktkräfte des frei fließenden Kapitals gegenüber dem gesellschaftlichen Einfluß. Das heißt, der gesellschaftliche Einfluß von Gewerkschaften, Umweltverbänden und nationaler Politik wird reduziert sein.Auf der anderen Seite wird aber diese große europäische Einheit eine drastische Reduzierung des parlamentarischen Einflusses beinhalten.
Die Minirechte, die das Europäische Parlament hinzugewonnen hat, stehen nämlich in überhaupt keinem Verhältnis zu den Gestaltungsmöglichkeiten des Europäischen Rates. Das bedeutet eine Entparlamentarisierung insbesondere der wirtschaftspolitischen und ökologischen Entscheidungen in der gesamten Gemeinschaft.Bei der CDU und FDP ist mir diese Politik verständlich. Bei Ihnen, meine Damen und Herren von
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Auhagender SPD, ist sie mir aber unverständlich. Sie fordern im Rahmen von „Arbeit und Umwelt" eine Energiesteuer, eine indirekte Steuer also. Sie steht im absoluten Widerspruch zu den Konsequenzen der Vollendung des Binnenmarktes. Ein von uns sehr geschätzter Sozialdemokrat, Erhard Eppler, hat sehr einleuchtende Gedanken zur Differenzierung der Mehrwertsteuer gebracht. Auch das wäre eine Absurdität angesichts der Vollendung des Binnenmarktes, die Sie unterstützen.
Sie fordern die Zinssenkung zur Konjunkturankurbelung hier in der Bundesrepublik. Aber gleichzeitig unterstützen Sie strukturell eine Lösung, nämlich die Vollendung des Binnenmarktes und den freien Kapitalverkehr, die gerade solche Schritte unmöglich macht.Die strukturellen Folgen der Europäischen Akte stehen also ganz im Gegensatz zu Ihren binnenwirtschaftlichen und sozialen Zielen.
Wir GRÜNEN erleben es ständig, daß man ökologisch wünschenswerte Zielsetzungen mit dem Hinweis auf die EG für unrealisierbar erklärt. Ein Beispiel. Auf unsere Anfrage zum Straßenverkehr, in der wir fragten, wie die Bundesregierung zur Einführung einer Schwerlastverkehrsabgabe steht — ich könnte mir vorstellen, daß auch viele Sozialdemokraten diese für vernünftig halten —, bekamen wir zur Antwort: Die Einführung einer Schwerlastverkehrsabgabe durch die Bundesrepublik Deutschland würde den derzeitigen Bemühungen um die Schaffung eines europäischen Verkehrsmarktes und um die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zuwiderlaufen. — Also mit Hinweis auf Europa wird eine sozial und ökologisch wünschenswerte Maßnahme abgeschmettert. Diese Art von Erklärung wird sich noch drastisch verstärken, wenn diese Europäische Akte, sollte sie Realität werden, umgesetzt wird.Sie von der SPD stellen einerseits positive ökologische Forderungen auf und schaffen gleichzeitig die strukturellen Fakten, die die Umsetzung Ihrer Forderungen ins Reich der Utopie verweisen. Sie müssen sich also fragen, was Sie eigentlich wollen.Meine Damen und Herren, wir GRÜNEN sind gegen diesen Weg der Verschärfung der wirtschaftlichen Sachzwänge gegen ökologische und soziale Interessen. Wir sollten nach dreißig Jahren Erfahrung von Europavorstellungen der 50er Jahre abrücken, von Vorstellungen, die an Uniformität, totaler Vereinheitlichung und zum Teil leider auch Großmachtdenken ausgerichtet waren. Insbesondere wenn der Kollege Pfennig von der Wiedervereinigung Europas spricht, dann klingt das für uns GRÜNE nach einer Renaissance des Großmachtdenkens auf europäischer Ebene. Stattdessen sind wir für ein Europa der solidarischen Kooperation auf der Basis eines Mindestmaßes einzelstaatlichen Handlungsspielraumes.
Wir sind für die erreichte europäische Zollunion. Statt ideologisch orientierten Verschmelzungsdenkens brauchen wir in Europa eine engere praktische Zusammenarbeit zur Bewältigung der großen ökologischen und sozialen Probleme. Warum nicht zielgerichtete Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit, gegen Waldsterben, anstelle dieser Minimaßnahmen auf EG-Ebene heute? Ich fordere insbesondere die Umweltverbände und auch die Gewerkschaften auf, dieses vernachlässigte Thema „EG — Integration und Vollendung des Binnenmarktes" sehr aufmerksam während der parlamentarischen Behandlung zu verfolgen. Was hier nämlich stattfindet, ist eine strukturelle Entmachtung ihres Einflusses. Wir brauchen eine intensive gesellschaftliche Diskussion über die Folgen dieser Entwicklung.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe den Eindruck, wenn es nach den GRÜNEN im 19. Jahrhundert gegangen wäre — wenn es sie da schon gegeben hätte — so wäre noch nicht einmal der Listsche Zollverein zustande gebracht worden.
Die Bedenken, die Sie hier vorgetragen haben, diese Krümelbedenken, hätten Sie davon abgehalten, damals diesen Verein zu schaffen.Dieser Gesetzentwurf, den wir vor uns liegen haben, ist nach mühsamen Anläufen zustande gekommen. Wir haben über 30 Jahre gebraucht mit mehrfachen Anläufen von der EVG über die FouchetPläne bis zu den leider nicht kodifizierten Tindemans-Beschlüssen —, daß wir zu einer europäischen Union kommen wollen. Nun liegt der erste Schritt wirklich vor uns. Ich meine, wir sollten diesen ersten Schritt zur politischen Einheit nicht mit diesen kleinlichen Bedenken begleiten. Wir haben alle eine Menge Wünsche, wie sich Europa umfassender und schneller darstellen sollte. Aber es ist nun ein wirklich erster Schritt bei der Schaffung dieser Europäischen Union über den europäischen Binnenmarkt, über die Technologiegemeinschaft, über eine gemeinsame Umweltpolitik, bei der wir weiterhin in der Vorreiterrolle bleiben werden. Wir werden nachher noch darüber diskutieren. Diese Vorreiterrolle wollen wir erhalten.
Wir können aber unseren Blick nicht davon abwenden, daß wir auch die anderen elf Staaten einbinden müssen. Hier schaffen wir eine Plattform, mit der wir diese Einbindung möglich machen.Wir haben eine Verbesserung der Entscheidungsverfahren im Rat und eine entsprechende Verbesserung der Rechte des Parlaments. Ich sage hier ganz deutlich, daß mir das für das Europäische Parlament überhaupt nicht ausreicht; denn es ist dabei unser korrespondierender Partner. Ich möchte ein
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18984 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Wolfgramm
I starkes Europäisches Parlament, und ich möchte es mit allen Rechten haben.
Wir können das aber nicht mit einem einzigen Schritt erreichen.Ich möchte einen besonderen Dank an die Bundesregierung und an Hans-Dietrich Genscher sagen,
der mit wirklich großer Mühe, mit unermüdlicher Zähigkeit. mit Engagement, mit Umsicht und mit viel, viel Energie diese Dinge immer wieder vorgetragen hat und schließlich zu diesem Ziel gekommen ist. Das schließt natürlich auch die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes wie all diejenigen, die sich dabei beteiligt haben, ein.Lieber Kollege Brück, Sie haben hier mehr als harsche Worte, unverdiente Worte auch für die Verzögerung gefunden, die Sie hier angeprangert haben. Sie hätten diese Zeit nutzvoll und verdienstvoll verwenden können, um mit Ihren SPD-Ministerpräsidenten zu reden.Es gibt einen Briefwechsel zwischen dem früheren Bundeskanzler Schmidt und dem damaligen Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz Rau. Dieser Briefwechsel hat ja schon damals Vorstellungen der Länder festzuschreiben versucht. Sie haben das nachgebessert; vor allen Dingen Ihre Leute haben das nachgebessert. Ich weiß nicht, warum die Kommunikation zwischen Ihnen so schlecht läuft. Man hört in der letzten Zeit: Sie wird immer schlechter. Aber das soll uns nicht dazu führen, Europa daran scheitern zu lassen.
Sie haben sich die falsche Adresse ausgesucht, die ganz falsche Adresse. Sie hätten sich an die Adresse der SPD-Ministerpräsidenten richten müssen und dort versuchen müssen, die Rechte dieses Parlaments zu verteidigen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?
Aber gern, Herr Kollege.
Aber, Herr Kollege, wissen Sie nicht, daß es doch zum Schluß eben nur noch am Land Bayern gehangen hat?
Lieber Herr Kollege, ich darf Ihnen hier einmal das Peter-Prinzip verdeutlichen und vielleicht auch einen kleinen Beitrag dazu leisten, es weiter bekanntzumachen. Da gibt es die berühmte Projektentwicklung in sechs Stufen: Erstens Begeisterung, zweitens Zweifel, drittens Panik, viertens Suche nach dem Schuldigen, fünftens Bestrafung der Unschuldigen und sechstens Belohnung der Nichtbeteiligten.
Übrigens erinnert mich das sehr, Herr Kollege Vogel, an eine augenblickliche Entwicklung in Ihrer Partei. Ich hoffe, daß sie nicht ganz so weit geht, wie ich das hier in diesen sechs Stufen vorgetragen habe.
— Ich bin hier in dieser Frage, Herr Kollege Vogel, nicht etwa Nichtbeteiligter, sondern ich bin sehr engagiert dabei, die Rechte dieses Parlaments zu wahren.
So kommen wir gleich dazu: Das Problem liegt darin, daß wir hier auch nach der Verfassung — Herr Kollege Schmidhuber, ich habe viel Respekt vor dem Föderalismus, ich habe viel Respekt vor der Haltung und den Rechten der Länder — festhalten müssen, daß es bisher Recht des Bundesparlaments war, daß es von der Bundesregierung volle Verantwortung in europäischen Fragen verlangen konnte, volle Verantwortung vor diesem Haus. Da muß sich die Bundesregierung rechtfertigen.Das, was jetzt möglicherweise geschieht, bedeutet, daß diese Verantwortung in dieser vollen Weise dem Parlament gegenüber nicht mehr geschuldet wird. Denn wenn wir hier zusätzliche Veränderungen vornehmen, die auch in unsere außenpolitischen Rechte gegenüber der Bundesregierung eingreifen, dann haben wir dieses Recht in diesem vollen Maße nicht mehr. Es geht also nicht nur um Rechte des Bundes in der Form der Bundesregierung gegenüber den Ländern, es geht auch um Rechte dieses Parlaments,
die möglicherweise dabei verkürzt werden. Wenn ich auf der einen Seite sage, daß ich sehr intensiv und sehr deutlich die Rechte des Europäischen Parlaments gestärkt haben will, dann möchte ich aber nicht im Gegenzug die Rechte des Bundesparlaments verringert haben.
Ich möchte an die Länder appellieren, daß sie diese Überlegungen über unsere Rechte mit in ihre Überlegungen bei dem Abkommen einbeziehen. Ich höre von den geplanten Vertretungen der Länder in Brüssel. Ich glaube, es ist nicht im Sinne einer gemeinsamen Bundesaußenpolitik, wenn jedes Land versucht, sich hier in Brüssel selbst darzustellen. Bei den Töpfen, die Brüssel aufgestellt hat, haben auch wir hin und wieder unsere Bedenken. Durch Verordnungen, die sich dem Recht des Parlaments und auch dieses Parlaments natürlich im einzelnen entziehen, werden dann Verteilungsmechanismen in Gang gesetzt, und bürokratische Vor-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18985
Wolfgramm
gänge in Brüssel entsprechen nicht immer dem, was Regionen und was einzelne Länder bedürfen.
Wenn die Länder nun auf diese Weise versuchen, sich den Zugang unmittelbar zu verschaffen, glaube ich nicht, daß das der richtige Weg ist.
Der richtige Weg ist Mitwirkung, Beteiligung, rechtzeitige — soweit es möglich ist — Information. Das ist sicher ein gutes Recht, und das wollen wir stärken. Da glauben wir auch, daß das eine oder andere verbesserungsfähig ist. Aber da hat die Bundesregierung, wie wir sehen, j a schon wirklich gute und überzeugende Vorschläge gemacht. Ich meine also, daß wir hier zu einem guten Kompromiß kommen werden.Wir haben sicher noch viele Wünsche, und ich habe eben den einen besonderen genannt. Der Bundesaußenminister selbst hat ja in seiner Rede vorhin auch noch einmal darauf aufmerksam gemacht, daß er sich dabei die vollen Rechte des Europäischen Parlaments als besonderes Ziel vorstellt.Ich möchte hier aber noch einen Punkt ansprechen. Wir hatten vor kurzem eine Begegnung der deutsch-französischen parlamentarischen Gruppe in Paris, zur gleichen Zeit, als der Regierungsgipfel in Frankfurt war. Die Begegnungen der beiden Weltmächte in den verschiedenen Städten, jetzt zuletzt in Reykjavik, zeigen, daß es Möglichkeiten gibt, hier zu einem gemeinsamen Ausgleich, zu einer wirklichen Friedensposition zu kommen. Aber sie machen auch sichtbar, daß es da auch Grenzen und Gefahren für Europa gibt.
Das ist bei dieser Besprechung der französischen Kollegen mit uns sehr deutlich geworden. Ich will das hier nicht weiter vertiefen. Aber ich meine, daß uns auch das besonders anregen muß, Europa so schnell wie möglich zu einer festen und damit auch starken und einflußreichen Europäischen Union zu führen, die unsere Interessen wirklich wahren kann.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Es wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 10/6392, 10/6226, 10/5436, 10/5271, 10/6414, 10/6418 und 10/1423 an die in der Liste der Zusatztagesordnungspunkte aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlagen unter den Zusatztagesordnungspunkten 2 und 6 sollen lediglich zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 7 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Entscheidungen und Maßnahmen von Bund und Ländern nach dem Großbrand bei der Firma Sandoz/Basel und daraus resultierende Konsequenzen
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6434 und 10/6447 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 60 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte die Geschehnisse der vergangenen beiden Wochen, die getroffenen Maßnahmen und die wesentlichen Ergebnisse der gestrigen Umweltministerkonferenz in Zürich kurz zusammenfassen und vortragen. Ich darf darauf hinweisen, daß wir zweimal in allen Einzelheiten den zuständigen Umweltausschuß des Deutschen Bundestags informiert haben. Ich möchte zu Beginn auch sagen: Die Bundesregierung hat unverzüglich gehandelt.Die erste Nachricht über den Ausbruch des Brandes hat die Internationale Hauptwarnzentrale Mannheim am frühen Morgen des 1. November gegen 3 Uhr erhalten. Es wurde mitgeteilt, es bestehe keine Veranlassung, den Alarmplan in Gang zu setzen.Eine zweite Mitteilung kam um 11 Uhr in das Bundesumweltministerium, in diesem Fall über das Auswärtige Amt. Es wurde uns mitgeteilt, daß es keinen Anlaß zur Besorgnis gebe, daß in Basel bereits Entwarnung gegeben worden sei.Bereits zehn Minuten später, also um 11.10 Uhr, haben wir uns dann über das Lagezentrum des Bundesinnenministeriums mit dem Land Baden-Württemberg in Verbindung gesetzt. Wir haben die Verantwortlichen in Baden-Württemberg gebeten, dafür zu sorgen, daß der internationale Alarm ausgelöst werde. Dieses ist geschehen, meine Damen und Herren.Ich nenne bei dieser Gelegenheit nur diese wenigen Daten und stelle fest: Früher, als wir gehandelt haben, konnte gar nicht gehandelt werden. Wir haben das getan, was in dieser Situation erforderlich war, ohne daß wir im einzelnen über Umfang und Ausmaß dieses schweren Unglücks und seine Konsequenzen informiert gewesen wären.
Am 3. und 4. November 1986 hat die Internationale Rheinschutzkommission getagt. Die deutschen Vertreter, insbesondere der Delegationsleiter, haben die Schweiz dringlich gebeten, unverzüglich alle möglichen Informationen über Ursache, Ablauf18986 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986Bundesminister Dr. Wallmannund Auswirkungen des Unfalls zur Verfügung zu stellen.Am 4. November — inzwischen war es Dienstag geworden — wurde uns von der Schweiz mitgeteilt, welche chemischen Stoffe in den Rhein gelangt sind. Diese Liste umfaßte insgesamt 34 Stoffe. Diese Liste — darauf lege ich Wert, meine Damen und Herren — wurde sofort über die Alarmstellen auch an sämtliche rheinanliegenden Bundesländer mitgeteilt.Ich sage das deswegen, weil vorgestern in einem Radiointerview behauptet wurde, daß die Stofflisten nicht sofort an die Länder weitergegeben worden seien. Diese Behauptung trifft nicht zu.Die Bundesländer haben an jenem 4. November nicht nur die Stoffliste erhalten, sondern wenige Tage später auch, und zwar auf Veranlassung meines Ministeriums, eine öko-toxikologische Bewertung der dort aufgeführten insgesamt 34 Stoffe durch das Umweltbundesamt.Am 5. November 1986 fand vormittags eine Sitzung des Umweltausschusses des Deutschen Bundestags statt, nachmittags eine Amtschefkonferenz der Umweltminister.Am nächsten Tag, dem 6. November — das war der Donnerstag —, fand die Umweltministerkonferenz statt.Auf drei Sitzungen bestand Gelegenheit, das schwere Brandunglück und seine gravierenden Folgen zu erörtern, Fragen zu stellen oder auch Vorhaltungen zu machen. Es hat bei diesen Veranstaltungen keine einzige Wortmeldung gegeben.
Irgendwelche Vorwürfe oder Vorhaltungen sind nicht erhoben worden.Meine Damen und Herren, am 7. November haben Mitarbeiter meines Ministeriums den Präsidenten des Bundesgesundheitsamts gebeten, den betroffenen Bundesländern und zunächst dem hauptbetroffenen Bundesland Baden-Württemberg Experten und Laborkapazitäten zur Verfügung zu stellen.Am Samstag, 8. November, gegen 14 Uhr habe ich den hessischen Staatsminister für Umwelt, Joseph Fischer — er ist der derzeitige Vorsitzende der Deutschen Rheinschutzkommission —, dringlich aufgefordert, endlich eine Sitzung dieser Kommission einzuberufen.
Herr Fischer — dieses Detail möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, meine Damen und Herren — erklärte später, er sei an einer rechtzeitigen Einberufung der Deutschen Rheinschutzkommission gehindert gewesen, weil das Lagezentrum der hessischen Landesregierung wegen der Demonstration in Hanau blockiert gewesen sei.
Montag, 10. November: Die Deutsche Rheinschutzkommission tagt hier in Bonn unter Vorsitz von Herrn Fischer. Die Vertreter aller Länder, namentlich die Vertreter des nordrhein-westfälischen und des hessischen Umweltministeriums, erklären ausdrücklich, daß der Informationsfluß vom Bund an die betroffenen Länder — so wörtlich — „reibungslos" gewesen sei.Am darauffolgenden Tage behauptete Herr Fischer in einem Interview, es habe Schwierigkeiten bei der Übermittlung der ihm zur Verfügung stehenden Informationen gegeben. Ich überlasse das Ihrer Beurteilung.Dienstag, der 11. November: Es findet ein Spitzengespräch mit dem Verband der Chemischen Industrie auf meine Einladung hin statt. Es wird eine Reihe von Sofortmaßnahmen als Konsequenz aus den Folgen der Brandkatastrophe bei dem Schweizer Chemieunternehmen Sandoz zugesagt:Erstens. Die betrieblichen Alarm- und gefahrenabwehrpläne werden nochmals überprüft und in jedem Fall mit den Katastrophenschutzplänen abgestimmt. Ich füge hinzu: Katastrophenschutz ist — genau wie der Gewässerschutz — ausschließlich Ländersache.Zweitens. Alle erforderlichen Sicherheitseinrichtungen in den Betrieben, z. B. Sprinkleranlagen, Frühwarnsysteme, Rückhaltebecken werden, falls nicht vorhanden, vorgesehen.Drittens: schnelle und umfassende Information der Behörden bei Schadensfällen über Produkte, Lagerbestände und Art der Lagerung. Auch dies ist notwendig, wie der Unfall in Basel gelehrt hat.Weitere Gespräche auf Expertenebene sind vereinbart. Der VCI will bis Jahresbeginn einen weiteren Maßnahmenkatalog zum Gewässerschutz vorlegen.Am selben Tage fand übrigens ein Expertengespräch mit Vertretern des schweizerischen Verbandes der Chemischen Industrie im Bundesumweltministerium statt.Mittwoch, der 12. November: das Treffen der Umweltminister der Rheinanliegerstaaten und des für Umweltschutz zuständigen EG-Kommissars Clinton Davis in Zürich. Es wurden alle in Betracht kommenden Maßnahmen erörtert, Fragen der Entschädigung wie Vereinbarungen über verbindliche Sicherheitsstandards in allen Rheinanliegerstaaten.Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur den Fall Sandoz behandelt, sondern auch den ebenfalls gravierenden Fall der Firma Ciba Geigy, die Atrazin in den Rhein geleitet hat.
Meine Damen und Herren, was dort geschehen ist, halten wir für nicht verantwortbar.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach Meinung aller Konferenzteilnehmer war diese Konferenz erfolgreich. Wir haben uns u. a. auf folgende Punkte geeinigt:
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18987
Bundesminister Dr. WallmannErstens. Die Auswirkungen des Störfalls auf dem Rhein werden weiter untersucht. Ein verstärktes Überwachungsprogramm wird definiert, und ein Wiederherstellungsprogramm für den Rhein samt Finanzierung wird erarbeitet.Zweitens. Chemikalienlager werden inventarisiert und einer Risikoanalyse unterzogen. Es geht dabei auch um bauliche Maßnahmen, z. B. um Brandwände, Sprinkleranlagen, Rückhaltebecken für Löschwasser, getrennte Lagerung von Stoffen, Dislozierung und Mengenbegrenzung bei den Lägern und dergleichen mehr.Drittens. Automatische Anlagen sollen die Brandfrüherkennung und die sofortige Brandbekämpfung ermöglichen. Bei der Brandbekämpfung werden vorsorgliche Pläne erstellt, die bei Löscheinsätzen dem Lagergut Rechnung tragen. — Sie wissen, es darf nicht unter allen Umständen Wasser eingesetzt werden, sondern auch der Einsatz von Schaumstoff kann erforderlich sein. Dabei kommt es darauf an, daß es sich um solche Stoffe handelt, die bei dem Brand nicht etwa chemische Verbindungen herstellen mit der Konsequenz, daß schwere Luftverunreinigungen entstehen. — Es wird eine Bestandsaufnahme der technischen und rechtlichen Regelungen der Rheinanliegerstaaten bei Störfällen geben. Unsere Forderung an die Schweiz nach Übernahme der sogenannten SevesoRichtlinien der Europäischen Gemeinschaft wird von der schweizerischen Regierung geprüft. Wir haben eine nächste Sitzung für den 19. Dezember in Rotterdam vorgesehen. Wir hoffen, daß wir da bereits eine Antwort auch gerade in dieser Frage erhalten.Viertens. Die Effizienz des Warn- und Alarmplans Rhein wird untersucht.Fünftens. Die Schweiz hat unseren Vorhalt aufgenommen, daß Atrazin-Einleitungen nicht gestattet werden dürfen.
Sie wird berichten, ob sie ein Verbot oder jedenfalls eine Reduzierung der heute offenbar erlaubten Mengen verfügen wird. — Auf meine ausdrückliche Frage, Herr Dr. Vogel, wurde mir gesagt, daß dies grundsätzlich erlaubt ist. Ich habe mitzuteilen, daß es sich um einen Gehalt von 1,2 Milligramm pro Liter gehandelt hat. Es ist so gewesen, daß dieses Wasser am Samstag, dem 1. November eingeleitet worden ist. Es ist behauptet worden, es habe sich dabei um 400 Liter gehandelt. Es ist dann in der Bundesrepublik gemessen worden, und die Meßergebnisse, Herr Dr. Vogel, haben ein ganz starkes Ansteigen gezeigt; dies war insbesondere am 4. und 5. November festzustellen. Wir messen inzwischen immer noch Werte, wenn auch deutlich reduzierte.Unsere Fachleute sagen uns: Erstens. Wenn es 400 Liter mit einem Gehalt von 1,2 Milligramm pro Liter gewesen sein sollen, dann können derartig hohe Meßergebnisse bei uns unter keinen Umständen erklärt werden. Das heißt mit anderen Worten:Entweder eine höhere Konzentration oder deutlich mehr Menge.Zweitens. Wenn eine Einleitung nur am 1. November stattgefunden haben sollte, dann könnte man, so sagen uns die Fachleute, heute überhaupt nichts mehr feststellen. Tatsächlich stellen wir immer noch Atrazin-Belastungen fest.Deswegen unsere dringliche Bitte und unser dringlicher Hinweis, daß Regelungen auch in der Schweiz vorgesehen werden,
die nach Möglichkeit Atrazin-Einleitung überhaupt ausschließen — diese Gefahr aber zumindest deutlich reduzieren. Bei uns wird Atrazin überhaupt nicht produziert. Das darf ich bei der Gelegenheit anmerken. —
Sechstens. Die Delegation der Schweiz ist zu weiterführenden Gesprächen bereit, um Fragen der Entschädigung einer raschen und sachgerechten Lösung zuzuführen. „Sie gibt der bestimmten Hoffnung Ausdruck", so die wörtliche Formulierung, daß die Fragen des Schadensersatzes und der Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden Zustandes des Rheins auf gütlichem Wege erledigt werden. — Meine Damen und Herren, ich halte das für besonders wichtig, weil insbesondere Private und kleine Vereine, die betroffen und geschädigt sind, auf diese Weise vor gerichtlichen Auseinandersetzungen mit all den Schwierigkeiten bewahrt werden können. — Bei der Beschaffung der hierzu notwendigen Unterlagen und Grundlagen wird die Internationale Rheinschutzkommission mitwirken.Siebtens. Am 19. Dezember 1986 — ich sagte es schon — soll das nächste Treffen der Minister stattfinden.Morgen tagt im übrigen die Störfallkommission im Bundesumweltministerium. Sie hat von mir den Auftrag, das Unglück von Basel noch einmal unter dem Gesichtspunkt zu analysieren, ob sich daraus neue Erkenntnisse für die Sicherheit unserer eigenen Anlagen ergeben.
Ist das erforderlich, meine Damen und Herren, so werden wir über freiwillige Vereinbarungen wie über die Verschärfung der gesetzlichen Vorschriften für ein Höchstmaß an Sicherheit sorgen.
Eine abschließende Bemerkung, meine Damen und Herren: Die EG-Kommission sowie Frankreich und die Niederlande haben der Bundesregierung für die schnellen und ausgezeichneten Informationen inzwischen förmlich gedankt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Minister für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Matthiesen.
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18988 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich ist der Unfall in Basel in der Dimension der Gefahr nicht vergleichbar mit Tschernobyl. Vor solcher Dramatisierung sollten wir uns hüten. Aber hüten sollten wir uns genauso vor Verharmlosung. Wir haben es nicht mit einem üblichen Rhein-Unfall zu tun, sondern mit einer Umweltkatastrophe.
Bei der Trinkwasserversorgung sind wir noch mit einem blauen Auge davongekommen.
Die Schäden am Öko-System Rhein sind verheerend und werfen uns um Jahre zurück.Natürlich ist es richtig und wichtig, jetzt über eingetretene materielle Schäden zu reden und den Verursacher haftbar zu machen. Damit ist der Natur aber nicht geholfen. Denn sie ist unbezahlbar.
Deshalb muß die Politik viel mehr als bisher der Anwalt der Natur sein. Und deshalb darf die materielle Schadensregulierung nicht der offizielle Schlußstrich sein, nach dem Motto: Schaden abgehakt, Krise bewältigt.
Denn — das füge ich hinzu — damit ist überhaupt nichts bewältigt. Denn Schaden genommen hat auch die Glaubwürdigkeit, vor allem der beteiligten Industrie.
Vor zwei Tagen habe ich in einer Tageszeitung eine Anzeige mit der Überschrift „Lieber Fluß" und dann mit dem Text entdeckt: „Wir brauchen Dein Wasser zum Kühlen. Dabei nutzen wir es so sorgfältig, daß es in der Regel sauberer zurückfließt, als es zu uns kommt."
Dies ist makaber und eine Zumutung in der heutigen Situation.
Dann muß man gerade der chemischen Industrie, wenn man sie vor weiterem Schaden bewahren will, die Aufforderung geben, diese Anzeigenserie so schnell wie möglich zu stoppen.
Natürlich müssen Informationssysteme verbessert werden. Natürlich müssen jetzt die Überwachung und die Effektivität der Kontrolle verbessert werden. Aber das alles wird nicht annähernd reichen, verlorengegangene Glaubwürdigkeit wieder zu gewinnen. Weil mehr und mehr die Akzeptanz unserer Industriegesellschaft selbst auf dem Prüfstand steht, sind wir gefordert, meine ich, in einer großen Kraftanstrengung den ökologischen Umbau unserer Industrie und die ökologische Erneuerung unserer Industriegesellschaft voranzutreiben.
Das ist nach meiner Überzeugung eine der notwendigen Konsequenzen.Umweltzerstörung ist kein nationales Problem. Umweltzerstörung kennt auch keine nationalen Grenzen. In erschreckender Häufigkeit zeigt die Erfahrung: Die Irrtümer und Fehler anderer bedrohen uns genauso wie unsere eigenen Irrtümer und Fehler, und umgekehrt. Daraus folgt die Begrenztheit nationaler Umweltpolitik. Dauerhaften Schutz der nicht teilbaren Umwelt werden wir nur in einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gewährleisten können. Wir brauchen in Fragen der Sicherheit zum Schutz der Menschen und der Natur eine internationale Umweltpartnerschaft. Auch das ist für mich eine der notwendigen Konsequenzen. Das alles zusammengenommen macht die neue Qualität auszufüllender politischer Verantwortung nach dieser Katastrophe aus. Natürlich ist vieles, was praktisch notwendig ist, aber darunter bleibt, Teil einer sinnvollen Antwort auf die aktuelle Situation. Aber es greift zu kurz, wenn wir aus dieser Umweltkatastrophe nicht wirklich die Lehre ziehen. Die Bürger erwarten dies zu Recht von uns.
Natürlich ist aktuell richtig, wie in NRW schon geschehen, ein Bündel konkreter Maßnahmen mit der chemischen Industrie zu vereinbaren, z. B. eine Sonderaktion für betriebseigene Sicherheitsüberprüfung, z. B. vollständige Informationen an die Behörden über Produkte, Lagerbestände sowie Art der Lagerung, z. B. detaillierte Gefährdungsabschätzung von Produkten und ihrer Wirkung auf die Umwelt, z. B. Überprüfung aller betrieblichen Alarm-und Gefahrenabwehrpläne und der Konzepte zur Brandbekämpfung. Natürlich ist richtig, so wie wir in Nordrhein-Westfalen es jetzt machen, in einer Sonderaktion durch die Gewerbeaufsicht alle gefährlichen Anlagen noch einmal auf ihre Sicherheit zu überprüfen. Und natürlich ist es richtig, die gesetzlichen Grundlagen, die Störfallverordnung und anderes, auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Das alles macht Sinn.Aber die entscheidende Antwort auf den zunehmenden Einsatz chemischer Produkte im täglichen Leben und die damit verbundenen Gefahren für Mensch und Umwelt einschließlich der bisher zu wenig beachteten Folgewirkungen muß eine stärker vorsorgende Chemiepolitik sein.
Wenn wir dazu in der Bundesrepublik Deutschland die politische Kraft hätten, dann wären wir ein Beispiel. Wir würden die Ängste und Erfahrungen unserer Bürger ernst nehmen, daß wir umdenken und auch vieles verändern müssen, wenn wir heute und morgen sicher leben wollen.Wir werden Unfälle nie ganz ausschließen können, besonders nicht in modernen Industriegesellschaften. Das erwarten auch nur die wenigsten Bür-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18989
Minister Matthiesen
ger. Alle Bürger erwarten aber zu Recht, daß wir vorbeugen, soweit es überhaupt nur menschenmöglich ist, und daß wir in eingetretenen Krisensituationen abgestimmte, schnelle und wirksame Schutzmaßnahmen treffen.Vieles muß in diesem Zusammenhang kritisch hinterfragt werden. Die unverantwortliche Haltung eines international tätigen Chemiekonzerns gehört an den Pranger. Ich füge aber hinzu, meine Damen und Herren: Im Kern ähnliches Verhalten hat es wiederholt auch bei uns im eigenen Lande gegeben. Vertuschen, Verschweigen, Verniedlichen
und bruchstückhafte Information auch bei uns
sind nicht nur hinderlich für die Arbeit der Behörden, sondern vor allem unverantwortlich gegenüber den Menschen.
Hier muß, weil Appelle, wie die Erfahrung zeigt, allein offenbar nicht ausreichen, mit aller Konsequenz gesetzgeberisch und mit staatlichem Handeln vorgegangen werden. Die immer noch vorhandene Tendenz, teilweise kriminelles Verhalten mit Worten wie „Panne", „Versehen" und „Versagen" zu umschreiben, muß spätestens nach dieser Umweltkatastrophe ein Ende haben.
Meine Damen und Herren, wir in NordrheinWestfalen sind — wie Sie vielleicht wissen — wie kein anderes Bundesland in der Trinkwasserversorgung wesentlich vom Uferfiltrat des Rheins abhängig. Wir decken damit 17 % unseres Gesamtbedarfs und versorgen damit über 3 Millionen Menschen. Angesichts der nahenden Giftwelle waren gerade wir zum Schutz des Trinkwassers auf umfassende Informationen und schnelle, exakte und toxikologische Bewertungen angewiesen, bevor uns die Welle erreichte. Hier haben wir bis zum Eintreffen der Welle keine rechtzeitige Hilfestellung bei der toxikologischen Bewertung von der Bundesregierung bekommen, obwohl die Bundesregierung im Besitz der Stoffliste war
und über fachlich kompetente Behörden und Institute für solche schnellen Bewertungen, wie Bundesgesundheitsamt, wie Umweltbundesamt, wie Biologische Bundesanstalt, wie Bundesanstalt für Gewässerkunde verfügt.
Der Informationsfluß über toxikologische Bewertungen muß, Herr Kollege Wallmann, koordiniert und muß verbessert werden. Die bloße Weitergabe von Fernschreiben ist keine ausreichende Hilfestellung. Darauf bezieht sich meine Kritik, auch im „Stern"-Interview. Wenn man Vorsorgemaßnahmen für 3 Millionen Menschen treffen muß, die vom Uferfiltrat des Rheins abhängig sind, dann reicht uns als Hilfestellung für die Behörden in dem betroffenen Land nicht die Weitergabe von Fernschreiben, sondern wir brauchen die schnelle toxikologische Bewertung. Das ist das Entscheidende.
Darauf bezieht sich meine Kritik. Ich füge hinzu: Wir brauchen die Bewertung, bevor die Welle die Landesgrenze erreicht,
und nicht erst zum Zeitpunkt, wo die Welle bereits unser Land erreicht hat oder unser Land passiert.Deshalb bin ich so sehr darüber enttäuscht, und deshalb finde ich auch in diesem Zusammenhang die Kritik am Bundesumweltminister richtig, auch angesichts der Tatsache, daß er uns am siebten Tag ein Fernschreiben mit vielen Fragen schickt, wie die internationale Zusammenarbeit verbessert werden könnte oder ob es uns bekannte Gerichtsurteile für die Schadensregulierung in ähnlich gelagerten Fällen gebe. Er versieht dies dann auch noch mit dem Hinweis, daß diese Informationen für die parlamentarische Beratung benötigt werden. Ich sage noch einmal: In einer Situation, in der es um schnelle Vorsorgemaßnahmen zum Schutz von über 3 Millionen Menschen geht, brauchen wir keine Fragen, sondern wir brauchen Antworten für humantoxikologische Bewertungen der in den Rhein eingeleiteten Stoffe.
In diesem Sinne hat die Bundesregierung die Auswirkungen des Brandes in Basel zumindest zunächst unterschätzt.
Das ist natürlich ein Alarmzeichen für die Bundesländer, wenn die gleiche Bundesregierung zur Bewältigung anderer Krisentatbestände mehr Kompetenzen will.
Meine Damen und Herren, wir dürfen nach dieser Umweltkatastrophe nicht einfach wieder schnell zur Tagesordnung übergehen. Wir müssen viele Konsequenzen ziehen. Wir brauchen eine deutliche Kurskorrektur hin zu einer stärker vorsorgenden Umweltpolitik. Wir brauchen nach meiner Überzeugung eine Verbesserung der internationalen und der nationalen Meldewege zur Früherkennung von Alarmfällen. Wir brauchen verbindliche Vereinbarungen darüber, daß kurzfristig human- und ökotoxikologische Daten mit Gefärdungsabschätzungen für Trinkwasser und Ökosystem zur Verfügung gestellt werden.
Ich füge hinzu: Wir brauchen eine Aktualisierung des Chemikaliengesetzes unter Einbeziehung der über 90 000 Altstoffe.
Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Gefahrstoffverordnung mit Prüfung der Frage, ob nicht auch — zumindest in wenigen begründeten Ausnahmefällen und Einzelfällen — Verbots- und Er-
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18990 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Minister Matthiesen satzstoffregelungen mit Übergangsbestimmungen getroffen werden müssen. Wir brauchen schließlich für Unfälle, die Bundes- und Landesgrenzen übergreifen, ein leistungsfähiges Krisenmanagement.Meine Damen und Herren, nach den Erfahrungen mit zwei Katastrophen des letzten Jahres müssen wir erkennen, daß wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen nicht ohne ökologische Erneuerung der Industriegesellschaft sichern können. Ich sage, unsere Industriegesellschaft wird eine Zukunft haben, nicht obwohl, sondern weil und soweit sie sich Umweltschutz leistet, und dies sollte eine der zentralen Konsequenzen aus dieser Umweltkatastrophe sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin schon etwas erstaunt darüber, daß Sie, Herr Matthiesen, das alles nicht vorher gesagt haben, wenn es so wichtig ist. Sie sind doch für die Wasserfragen zuständig; die Länder haben j a dem Bund die Wasserkompetenz nicht gegeben. Daß der Vollzug des Wasserrechts, der in Ihrer Hand liegt, solche Schwierigkeiten macht, müssen Sie eben vorher artikulieren.
Warum immer erst dann, wenn etwas passiert ist?
— Ja, man hat hier doch den Eindruck gehabt, alswäre Herr Matthiesen gestern ins Amt gekommen!
Warum hat er diese schweren Fehler und Schwächen nicht vorher artikuliert?
Meine Damen und Herren, es ist geradezu eine Geste der Hilflosigkeit, jetzt eine kleinliche Pannendiskussion zu führen!Das Parlament hat keine Informationsdefizite gehabt. Wir haben am 5. November getagt, und wir sind von den Beamten umfassend informiert worden.
— Wir sind nach dem damaligen Stand umfassend informiert worden! Wir haben keine Informationsdefizite. Sie haben — wir haben uns darüber in zwei Sitzungen vergewissert, gestern noch einmal — alles an Informationen bekommen, was der Bund hatte.
Sie können dem Bund überhaupt nicht vorwerfen, daß er die Gefahr unterschätzt oder Informationen nicht weitergegeben hätte. Sie können allenfalls und Sie müssen der Schweiz vorwerfen, daß sie Informationen nicht rechtzeitig gegeben hat. DieBeamten von Bund und Ländern — auch Ihre eigenen, Herr Matthiesen — muß ich hier in Schutz nehmen; sie haben korrekt, umsichtig und rechtzeitig gehandelt.
Über die Ziele, die Sie, Herr Kollege Matthiesen, formuliert haben, können wir uns sicher sehr schnell verständigen. Wir leben mit Gefahren, die uns immer wieder erst dann bewußt werden, wenn etwas passiert. Wir verdrängen sie geradezu.
— Die Verdrängung besteht doch darin, daß heute ein Landesminister auftritt und Dinge fordert, über die er vorher wochen- und monatelang geschwiegen hat.
Wenn die Wasserversorgung Nordrhein-Westfalens so gefährdet ist, hätte hier ein offenes Wort vorher gutgetan, nicht erst jetzt!
Wir leben also mit Gefahren, die wir immer wieder verdrängen, und wir müssen in der Tat Schritt für Schritt zu einer Umstrukturierung unserer Wirtschaft hin zu umweltverträglichen Produktionsweisen und zu umweltverträglichen Produkten kommen.Hier, in diesem konkreten Fall, hat es ein Verhalten der Schweizer Firmen und möglicherweise auch der Behörden gegeben, das wir nicht hinnehmen können. Das darf sich nicht wiederholen! Es war die Schweizer Seite, die die Gefahr unterschätzt hat. Es muß die Frage gestellt werden, ob die Lagerung bei Sandoz überhaupt rechtmäßig gewesen ist. Es muß kritisiert werden, daß die Schweiz Informationen, die wir dringend gebraucht hätten, um die Gefahr einzuschätzen, nicht rechtzeitig gegeben hat. So verhält sich ein Oberlieger nicht gegenüber einem betroffenen Unterlieger. Hier muß in internationalen Verhandlungen für die Zukunft Sicherheit geschaffen werden. Das darf sich nicht wiederholen.Der Kollege Wallmann hat hier eine Reihe von Schlußfolgerungen aufgeführt, denen ich sehr zustimme. Es sind Forderungen, die wir schon in der letzten Woche aufgestellt haben und die wir jetzt realisieren müssen:Erstens. Die Effizienz des Warn- und Alarmplans für den Rhein ist zu überprüfen. Wir müssen sicherstellen, daß die Angaben über die in die Gewässer gelangten Schadstoffe präziser erfolgen, damit uns rechtzeitig eine Bewertung möglich ist.Zweitens. Die sicherheitstechnischen Anforderungen an die Beschaffenheit und den Betrieb von Lagern für Chemikalien, auch im Handel, müssen national und international verbessert werden. Das heißt, es geht nicht nur um die großen Chemiekonzerne, es geht auch um die kleinen Lager von Pflanzenschutzmitteln etwa bei landwirtschaftlichen Genossenschaften. Es muß verhindert werden, daß in
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18991
Baumsolchen Fällen Löschwasser in die Gewässer gelangt.Ich möchte gerne für meine Fraktion wissen, Herr Kollege Wallmann, was denn auf Grund der Störfallverordnung von 1980 — diese Bestandsaufnahme ist notwendig — nun tatsächlich im Ländervollzug geschehen ist; denn dort haben wir solche Vorkehrungen vorgesehen, also vor sechs Jahren. Jetzt muß eine Bestandsaufnahme erfolgen.Es sollte ein Informationsaustausch über alle am Rhein gelagerten gefährlichen Stoffe auch über die Grenzen hinweg erfolgen. Wirkung und Langzeitwirkung solcher Stoffe sind sonst schwer einzuschätzen. Wir brauchen also ein Kataster über diese Chemikalien, das wir in einem Schadensfall abrufen können, um schnell reagieren zu können.Die Schweiz sollte, wie Sie das auch gesagt haben, Herr Wallmann, veranlaßt werden, Regelungen zu treffen, die der deutschen Störfallverordnung aus dem Jahre 1980 entsprechen. Damals haben wir auf Seveso reagiert. Die Schweiz sollte das auch tun; ich möchte ihr das dringend empfehlen. Es ist richtig, daß die deutsche Störfallverordnung insbesondere im Hinblick auf ihre Stofflisten zu überprüfen ist.Wir müssen ein internationales Haftungsabkommen anstreben. Es ist erfreulich, daß sich die Schweiz prinzipiell zu ihrer Haftung bekannt hat. Wir müssen Katastrophenschutzübungen noch häufiger als bisher auch grenzüberschreitend durchführen.Auch ich begrüße die Bereitschaft der deutschen chemischen Industrie, hier mitzuwirken. Wir sollten jedes Angebot der Industrie, selbst für Sicherheit zu sorgen, wirklich begrüßen. Hier kommen Maßnahmen in Gang, die manchmal sehr viel schneller funktionieren und schneller greifen als unsere staatlichen Instrumentarien. Das schließt aber nicht aus, daß wir auch im Bereich der Gesetzgebung uns z. B. das Umweltchemikaliengesetz in der nächsten Legislaturperiode erneut vornehmen.
— Weil wir das für die nächste Legislaturperiode vorhaben.
Wir, meine Fraktion, haben fest erklärt — auch zu einzelnen Punkten des Chemikaliengesetzes —, daß wir uns das in der nächsten Legislaturperiode vornehmen. Allerdings ist es blanke Illusion, 90 000 Altstoffe auf ihre Gefährlichkeit überprüfen zu können. Das ist nicht möglich, und damit weichen Sie den eigentlichen Gefahren aus.Ich stelle also fest, es hat einen sehr ernsthaften Schadensfall gegeben. Es wäre noch schlimmer geworden, wenn es beispielsweise geregnet hätte. Ich stimme Ihnen zu, es ist eine Katastrophe. Die Folgen für das Ökosystem Rhein sind nicht absehbar; wir müssen eine Bestandsaufnahme machen. Das verlangt die Bevölkerung.Ich möchte Ihnen sagen, Herr Matthiesen, Sie haben als Minister in Nordrhein-Westfalen mich als Verbraucher von Wasser in Köln sehr sachlich informiert. Um so erstaunter bin ich, daß Sie jetzt dem Umweltminister des Bundes in einem Interview des „Stern" Dinge vorwerfen, die so nicht stimmen. Er hat alles getan, was er tun konnte. Warum begeben wir uns über einen solchen Schadensfall in eine kleinliche unbegründete Pannendiskussion? Die Bevölkerung erwartet von uns, daß wir den Schaden begrenzen und alles tun, damit ein solcher Schaden nicht erneut eintritt. Das können nur Bund und Länder gemeinsam, und das sollten wir jetzt tun.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hönes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erneut hat sich gezeigt, welch verheerende Folgen ein Unfall in der chemischen Großindustrie hat. Das ökologische System Rhein ist vernichtet, die Trinkwasserversorgung von Millionen von Menschen ist gefährdet, Langzeitschäden für Rhein, angrenzende Grundwasservorkommen und das Leben in der Nordsee sind zu befürchten. Wenn die Kollegen und Kolleginnen der anderen Parteien außer dem Ruf nach besseren internationalen Warn- und Alarmplänen, eindeutigen Haftungsregelungen und besserem technischen Umweltschutz keine Konsequenzen aus dieser Katastrophe ziehen, dann tun sie damit eines:
Sie erhalten das Bild des beherrschbaren und kalkulierbaren Risikos chemische Industrie weiterhin aufrecht. Schauen Sie sich Ihren Entschließungsantrag an! Der spricht deutliche Worte.
Sie leugnen damit, daß die chemische Industrie auf Grund tausender hochgiftiger Produkte und einer Vielzahl riskanter Produktionsverfahren ein unabschätzbares Risiko in sich birgt, und Sie leugnen, daß die Chemie Tag für Tag die Umwelt und die Gesundheit der Menschen beeinträchtigt.
Wer wie die Sozialdemokraten und Umweltminister Wallmann auf die Regelung der Haftungsfrage drängt, der sollte auch dazusetzen, daß nur ein verschwindend kleiner Bruchteil des Schadens durch Geld zu ersetzen ist.
Wer jetzt über das Ausmaß des Schadens entsetzt ist, der von tausend Tonnen Pestiziden angerichtet wird, der sollte auch bedenken, daß jährlich 30 000 Tonnen davon mit der allergrößten Selbstverständlichkeit der Anwender und ganz legal auf Wiesen, Felder und Wälder versprüht werden.
18992 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Frau Hönes
Pestizide finden sich schon lange in vielen Grundwasservorkommen, in Flüssen und wohl auch im Trinkwasser.
Der Rhein hatte 1985 im jährlichen Mittel einen Athrazingehalt von 0,1 mµ-Gramm pro Liter. Wer jetzt entschuldigend anführt, daß Ausmaß der Katastrophe sei nicht abzusehen gewesen, da es zu einer Vervielfachung der Giftwirkung der einzelnen Pestizide durch die anderen Gifte gekommen ist, der sei daran erinnert, daß der Bevölkerung schon lange eine Vielzahl verschiedener Gifte in der Nahrung und im Trinkwasser zugemutet wird.
Die Katastrophe von Basel und das Wissen um die alltägliche Vergiftung sollte Anlaß genug sein, endlich die bisherige Chemiepolitik in Frage zu stellen und auch die Handlungsweise der deutschen chemischen Industrie kritisch zu überprüfen.
Denn Basel steht auch für Umweltkriminalität. Wenn eine Firma wie die Sandoz AG in Basel lieber die Versicherung wechselt, um ein paar 100 000 Franken zu sparen, statt die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die diesen Brand oder zumindest das Abfließen der Gifte in den Rhein vielleicht hätten verhindern können, dann ist das verbrecherisch.
Nichts anderes als ein Verbrechen ist es, wenn andere Firmen, wie vermutlich die Ciba Geigy, die Gunst der Stunde nutzen und ihren Dreck noch hinterherschicken. Mit weiteren Nachahmern muß gerechnet werden. Hier teilen wir ausnahmsweise die Einschätzung von Herrn Minister Weiser. Auch die BASF begeht gewohnheitsmäßig Umweltverbrechen, indem sie regelmäßig Athrazin und Metaxachlor in den Rhein leitet.
Die chemische Industrie hat oft genug bewiesen, daß sie keine Skrupel kennt und sich lediglich ihrem Profitdenken verpflichtet fühlt, so wenn es um den Export nicht zugelassener Pestizide in die Dritte Welt geht, wenn es darum geht, ein Medikament sofort vom Markt zu nehmen, wenn der Firma bedenkliche Nebenwirkungen bekanntwerden, wenn es um Arbeitsschutz geht: ich erinnere an Venylchlorid. Aus diesen Gründen lehnen wir es ab, wenn sich Umweltminister Wallmann und die Vertreter des Verbandes der chemischen Industrie im kleinen Kreise treffen, um die Konsequenzen von Basel mit dem Ziel zu erörtern, eine freiwillige Vereinbarung zum Schutz der Umwelt zu treffen. Die Frage, welche Konsequenzen nötig sind, ist öffentlich zu diskutieren.
Darum fordern wir Umweltminister Wallmann nochmals auf, zu den Gesprächen mit den VCI auch Vertreter der Fraktionen und der Umweltverbände einzuladen.
Als Sofortmaßnahmen zur Abwendung weiterer Gefährdungen und flankierend zum Umbau der Chemie fordern die GRÜNEN im Bundestag erstens die Bildung einer Entgiftungskommission. Ihre Aufgabe soll es sein, aufzuzeigen, auf welche Produkte auf Grund ihrer Gefährlichkeit verzichtet werden muß, auf welche Produkte zur Ressourcenschonung verzichtet werden sollte, wie notwendige Produktionsbereiche umweltverträglich gestaltet werden könnten und wie eine sanfte Chemie zu fördern ist. Die Entgiftungskommission ist ein erster Schritt zur Umorientierung der heutigen Chemie hin zu umweltschonenden Produkten und Produktionsverfahren.
Zweitens. Die Zulassung aller auf dem Markt befindlicher Pestizide ist zu überprüfen; denn die Katastrophe von Basel hat belegt, daß das Gefährdungspotential dieser Stoffe weit unterschätzt wurde.
Drittens. Pestizide, die auf Grund ihrer belegten Gefährlichkeit in der Bundesrepublik nicht zugelassen sind, dürfen ab sofort auch nicht mehr produziert, gelagert und exportiert werden.
Viertens. Die Störfallverordnung, die Gefahrstoffverordnung, und die Gefahrgutverordnung sind dem tatsächlichen Gefährdungspotential der chemischen Produktion und der Produkte anzupassen. Die Grenzwerte für Pestizide im Trinkwasser sind sofort in Kraft zu setzen und nicht erst in drei Jahren, wie es die Trinkwasserverordnung vorsieht. Wir halten das nach der massiven Vergiftung des Rheins und angrenzender Grundwasserleiter für unverantwortlich.
Diesen dringend notwendigen Maßnahmen haben die Sozialdemokraten gestern im Umweltausschuß nicht zugestimmt. Deshalb kann ich die Rede von Herrn Minister Matthiesen nicht ernst nehmen. Wir appellieren an alle kritischen Experten, ihr Wissen und ihren Sachverstand zur Entgiftung unserer Industriegesellschaft einzusetzen. Die Offentlichkeit muß über die immanenten Risiken der Chemie endlich offen und ehrlich aufgeklärt werden. Die Medien sollten ihre Verantwortung erkennen und den kritischen Dialog mit der chemischen Industrie nicht scheuen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was durch die Firma Sandoz in Basel in der Nacht zum 1. November und in den Tagen darauf im Rhein geschehen ist, hat uns, die wir seit langen Jahren für den Umweltschutz arbeiten, schwer getroffen.
Da haben wir mit großen Anstrengungen und hohen Kosten über Jahre hinweg den Gewässerschutz vorangetrieben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18993
Dr. LaufsDie Wassergüte des Rheins konnte über weite Strecken um zwei Klassen gesteigert, sein Sauerstoffgehalt in den letzten zehn Jahren verdoppelt werden. Wir waren auf dem besten Weg, wieder zu natürlichen Verhältnissen im Rhein mit einer Vielfalt von Fauna und Flora zu kommen. Ich teile die Erbitterung all der Angler und Naturschützer, die in mühsamer Arbeit Aale, Lachse, Zander oder Krebse wieder im Rhein heimisch gemacht haben und heute diesen natürlichen neuen Reichtum plötzlich vernichtet oder bedroht sehen.Der angerichtete Umweltschaden ist groß. Wenn aber der SPD-Vorsitzende Willy Brandt den Vergleich zur Umweltkatastrophe von Bhopal mit mehreren tausenden Toten zieht, so ist das blanker Zynismus, Panikmache, verantwortungslose Verunsicherung der Bürger.
Herr Hauff spricht vom Tschernobyl der chemischen Industrie. Das ist ein absolut unpassender Vergleich. Die SPD hat auf ihrem Nürnberger Parteitag festgestellt: „Der Glaube an die Beherrschbarkeit der Technik ist seit den Katastrophen von Seveso, Harrisburg, Bhopal und Tschernobyl erschüttert." Sie fügt nun Basel hinzu. Sie verstärkt jene hysterische Stimmung, die zum Ausstieg aus der modernen Industriegesellschaft drängt. Sie begünstigt die „grüne" Bewegung und gefährdet letztlich wertvolle Arbeitsplätze.Wir werden um unserer Zukunft willen die Herausforderung moderner Wissenschaft annehmen und moderne Technik nutzen, aber zugleich deren Risiken begrenzen. Die Zukunft wird den Erzeugnissen und Produktionsverfahren gehören, die nicht nur leistungsfähig und wirtschaftlich, sondern vor allem auch umweltverträglich und mit ihren technischen Risiken beherrschbar sind. Wir stehen vor einer neuen Phase der Modernisierung unserer Industrie. Umweltverträglichkeit und Risikominderung sind unsere Ziele. Viele Probleme können dabei nicht im nationalen Alleingang gelöst werden. Was nützen Gewässerschutz und Störfallvorsorge am Rhein, wenn sie auf ein Ufer beschränkt bleiben?Ein entscheidendes Tätigkeitsfeld unserer Politik der Risikominderung und des Umweltschutzes wird deshalb noch stärker als bisher die internationale Bühne sein. Der internationale Warn- und Alarmplan Rhein hat immerhin auf deutscher Seite funktioniert. Seine Auslösung wurde wenige Stunden nach dem Unglück vom Bundesumweltminister veranlaßt, nicht von den schweizerischen Behörden, die fast zwei Tage lang das Ausmaß der Katastrophe falsch einschätzten. Wir verdanken also dem entschlossenen Handeln des Bundesumweltministers und des baden-württembergischen Umweltministers, daß die Bevölkerung, die betroffenen Behörden, die Wasserwirtschaft und Industrie sofort gewarnt werden konnten.
Mit einer Fülle von Aktivitäten wurde von uns versucht, Aufklärung über den Umfang des Unglückszu erhalten und die gewonnenen Informationen an alle betroffenen Stellen weiterzugeben.
Alle erforderlichen Vorsorgemaßnahmen konnten rechtzeitig getroffen werden. Gesundheitsschäden konnten verhindert werden.In zwei ausführlichen Berichten der Bundesregierung vor dem Umweltausschuß am 5. und 11. November 1986 hat sich klar ergeben: Die Bundesregierung und die betroffenen Bundesländer haben unverzüglich und sachgerecht gehandelt. Sie verdienen keine Kritik, sondern unseren ausdrücklichen Dank.
Das Unglück ist insoweit ganz anders verlaufen als das an Saar und Mosel, als Minister Leinen erst drei Tage nach dem großen Fischsterben aufwachte, um Maßnahmen zum Schutz nichtsahnender Ausflügler und Sportfischer zu ergreifen.
Dabei hatte die Umweltkatastrophe an der Saar ihre Ursache in Deutschland und nicht im Ausland wie jetzt am Rhein.Basel ist keine deutsche Stadt. Es ist grotesk, wie SPD und GRÜNE den Bundesumweltminister für fehlende und schleppend eingehende Informationen aus der Schweiz verantwortlich machen wollen. Was die rot-grünen Umweltminister Fischer und Matthiesen dieser Tage im WDR-„Morgenmagazin" bzw. im „Stern" behauptet haben, ist unglaublich. Es lohnt sich eigentlich nicht, auf diese Ablenkungsmanöver und Nebenkriegsschauplätzen einzugehen.Herr Landesminister Matthiesen, Sie haben dem „Stern" ein Interview gegeben und wörtlich ausgeführt:Bundesumweltminister Wallmann hat uns nicht geholfen, weder hat er uns Bewertungen an die Hand gegeben noch sonst was.Herr Minister Matthiesen, das ist die glatte Unwahrheit. Ihre eigenen Beamten haben im Umweltausschuß das Gegenteil bestätigt.
Es ist eben nicht richtig, daß Sie nur ein langes Fernschreiben eine Woche nach dem Brand erreicht hat, das nur Fragen an die Bundesländer enthalten habe.Die erregte Diskussion z. B. um die Biologische Bundesanstalt ist überhaupt nicht zu verstehen. Daten der Biologischen Bundesanstalt werden benötigt zur besseren Beurteilung der ökologischen Folgeschäden. Für die zu treffenden Schnellmaßnahmen wie die Warnung der Wasserwerke, Vorbereitung und Durchführung von Rheinwasseruntersuchungen und Beobachtungen der Auswirkungen auf biozönose des Rheins waren sie nicht erforderlich.
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18994 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Dr. LaufsDaß Pflanzenschutzmittel für Wasserorganismen und Trinkwasserversorgung gefährlich sind, ist allgemein bekannt, hoffentlich auch im Lande Nordrhein-Westfalen.Die ersten Stoffdossiers sind durch das Umweltbundesamt am 8. November 1986 den Ländern übermittelt worden. Die Biologische Bundesanstalt hat noch weitere Stoffdossiers in Bearbeitung. Über die in den Rhein gelangten Stoffe waren die Länder schon am 4. November 1986 durch die von der Schweiz bereitgestellte Lagerliste für die durchzuführenden Schnellmaßnahmen ausreichend informiert. Die ganze Aufregung der SPD über die Biologische Bundesanstalt ist also künstlich und sachlich nicht begründet.Jetzt geht es darum, Art und Ausmaß der Schäden festzustellen. Hier ist solide wissenschaftliche Analyse gefragt. Voreilige Beurteilungen und pseudowissenschaftliche Schnellschüsse sind unseriös.
Dazu zählen wir auch die unpräzisen, schnellen Schlußfolgerungen, die im heute vorgelegten Entschließungsantrag der SPD enthalten sind. Wir werden diesen Antrag ablehnen. Wir werden noch Gelegenheit haben, präzisere Schlußfolgerungen zu erarbeiten,
die dann tragfähiger sind als das, was Sie jetzt so schnell vorgelegt haben.Das genaue Ausmaß der ökologischen Zerstörung wird erst im Laufe der Zeit erfaßbar sein. Die Lagerhaltung bei dem schweizerischen Unternehmen, die dort fehlenden Sicherheitsvorkehrungen, die Brandursache, die Verseuchung des Rheins bei der Brandbekämpfung und in den Tagen danach sowie die gleichzeitig erfolgten Gifteinleitungen an anderer Stelle müssen rückhaltlos untersucht und sorgfältig analysiert werden. Ein derartiges Unglück mit derartigen Folgen darf sich nicht wiederholen.Was werden wir weiter tun? Wir werden — wie in der Vergangenheit bei ähnlichen Ereignissen — auch diesen Großbrand zum Anlaß der Überprüfung deutscher Anlagen auf sicherheitstechnische Schwachstellen hin nehmen. Wir begrüßen die vom Verband der Chemischen Industrie dem Bundesumweltminister zugesagte Kooperation. Die Chemie wird ihre Produktpalette noch einmal sorgfätig auf Risiken bei der Lagerung, dem Transport und im Falle eines Brandes untersuchen, und die Sicherheitseinrichtungen überprüfen müssen.An erster Stelle kommt es aber darauf an, daß wir mit der Schweiz und Frankreich und selbstverständlich dem Verursacher, der Firma Sandoz, so bald wie möglich einen Plan erarbeiten, um die eingetretenen Schäden zu beseitigen und das Ökosystem Rhein wieder in den Zustand wie vor dem Unfall zu bringen. Wir können die geschädigte Natur nicht einfach sich selbst überlassen und auf ihre Regenerierungskraft bauen. Hier muß massiv und mit allen Möglichkeiten der Technik und Biologie die Revitalisierung ins Werk gesetzt werden.Meine Damen und Herren, wie die genaue Schadenbilanz auch immer sein mag, Kapitulation oder Resignation wären fehl am Platze. Wer in den Parlamenten oder in den Verwaltungen und Betrieben für den Umweltschutz Verantwortung trägt, darf sich nicht entmutigen lassen. Als Umweltschützer bin ich Optimist. Unser Einsatz für eine lebenswerte Umwelt und für einen lebenden Rhein wird weitergehen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer kurzen Intervention hat Herr Landesminister Matthiesen noch einmal das Wort erbeten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht hier in der Tat nicht um kleinkarierte Kritik, was die formalen Vorgänge anbetrifft. Ich wäre mißverstanden worden, wenn Sie mich so deuteten. Mir geht es um einen anderen Zusammenhang, und den will ich hier noch einmal kurz verdeutlichen.Es geht um Länder, die hinsichtlich ihrer Trinkwasserversorgung unterschiedlich betroffen sind. Nordrhein-Westfalen — und ich bin Ihnen, Herr Baum, sehr dankbar für Ihre positive Bemerkung— ist das am meisten betroffene Land — mit über 3 Millionen Menschen, die ihr Trinkwasser aus Rheinuferfiltrat beziehen. Nun rechte und streite ich nicht mit dem Herrn Kollegen Wallmann darüber, welches Fernschreiben er wann weitergegeben hat. Da konzediere ich ihm durchaus Korrektheit. Das ist auch gar nicht meine Kritik.
— Das ist nicht meine Kritik. Meine Kritik ist, daß ein Land, das so betroffen ist, rechtzeitig im Besitz der toxikologischen Bewertungen sein muß;
denn nur darauf aufbauend können wir im Land überhaupt in der Lage sein, die entsprechenden Maßnahmen zu bewerten und zu ergreifen.
— Nun will ich Ihnen, Herr Abgeordneter, den Ablauf schildern. Ich sage es ja nicht, um billig nachzukarten, sondern ich sage das, damit wir gemeinsam daraus die Konsequenzen ziehen.Die Stoffliste ist am 4. November um 4.50 Uhr beim Herrn Bundesminister von Basel eingetroffen. Am 4. November um 10.55 Uhr ist sie bei uns eingetroffen. Am 7. November um 22.44 Uhr waren wir im Besitz der Toxizitätsdaten von Sandoz. Am 8. No-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18995
Minister Matthiesen
vember um 18.40 Uhr waren wir im Besitz der Toxizitätsbewegungen des Umweltbundesamtes.Die Zwischenphase war aber für uns entscheidend; denn mittlerweile war die Welle da, und wir mußten Vorsorgemaßnahmen hinsichtlich des Schließens der Brunnen veranlassen.
Deshalb bleibe ich bei meiner Kritik, daß die Lieferung der Toxizitätsdaten viel zu spät geschah
und daß wir daraus für künftige Fälle die Konsequenz ziehen müssen, daß die humantoxikologischen Bewertungen durch die entsprechend ausgestatteten Bundesbehörden stärker koordiniert und in solchen Krisenfällen erheblich schneller den handelnden Landesbehörden zur Verfügung gestellt werden — zum Schutz der Gesundheit unserer Bürger.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Zusammenhang mit der Brandkatastrophe im Chemiekonzern Sandoz in Basel stellen sich drei Fragen: die Fragen nach der Information, nach dem Schaden und nach den Schlußfolgerungen.Die Informationspolitik will ich kurz abhandeln. Tatsache ist: Zunächst einmal war Bundesumweltminister Wallmann sieben Tage lang weggetaucht.
Als er sich am Freitag vergangener Woche — acht Tage nach der Katastrophe — im deutschen Fernsehen äußerte, ist der Wirrwarr in der Bundesregierung deutlich geworden: Wallmann bedankt sich bei der Schweiz für die frühzeitigen umfassenden Informationen. Zur gleichen Zeit erklärt der Regierungssprecher Ost einige hundert Meter davon entfernt, die Schweizer Behörden hätten nicht rechtzeitig informiert.Zweiter Punkt. Wir werfen der Regierung vor, daß sie sich nicht aktiv um Informationen bemüht hat. Bereits am 4. November, vier Tage nach der Katastrophe, hat uns der Verband der Chemischen Industrie eine Stoffliste vorgelegt. Sie haben sich nicht um Information vor Ort bemüht.
Sie haben im Ministerium — wie Sie im Ausschuß erklärt haben — nach Telexnummern gesucht, statt jemanden nach Basel zu schicken, um die notwendigen Informationen zu besorgen.
Zum Schaden will ich nur unterstreichen, was alle Redner gesagt haben. Das Schadensausmaß ist viel, viel größer als bislang angenommen. Auf absehbare Zeit ist das Ökosystem Rhein tot. Nach dem, was man zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagen kann, bestehen keine Gefährdungen für die Gesundheit der Menschen. Niemand kann aber mit Sicherheit ausschließen, daß sich nicht durch Anreicherung von Quecksilber in der Nahrungskette Langzeitgesundheitsschäden für den Menschen einstellen.Ich will noch etwas zu den Schlußfolgerungen sagen. Alles, was heute hier an unmittelbaren Schlußfolgerungen vorgetragen worden ist, ist richtig: bessere wechselseitige Information, bessere Warn- und Alarmpläne, bessere Abstimmung grenzüberschreitender Planung. Aber das alles reicht nicht aus. Wir müssen erkennen und zur Kenntnis nehmen, daß die chemische Industrie — das ging in der Debatte zum Teil unter, vor allem bei Ihnen, Herr Laufs — eine risikoreiche Produktion darstellt. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß es unsere Aufgabe sein muß — hier liegt eine Chance für Umwelt und Volkswirtschaft —, die chemische Industrie gefahrloser zu gestalten. Deswegen — hier waren Sie unredlich, Frau Kollegin Hönes — haben wir bereits im März dieses Jahres unser Konzept für eine umweltverträgliche und gesundheitsverträgliche Chemiepolitik vorgelegt,
das eine vorsorgende Chemiepolitik konkretisiert. Sie von den Koalitionsfraktionen haben wenige Tage vor Sandoz genau diesen Antrag abgelehnt.
Wir Sozialdemokraten wollen unsere Volkswirtschaft ökologisch umbauen, ökologisch erneuern. Das liegt im Interesse der chemischen Industrie, der Industriegesellschaft Bundesrepublik wie auch im Interesse der Arbeitsplätze. Denn die chemische Industrie wird auch morgen noch die Nase vorne haben, die möglichst umweltverträglich und gefahrlos ist.
Deswegen ist es die wichtigste Aufgabe, meine Damen und Herren, eine vorsorgende Chemiepolitik umzusetzen.Lassen Sie mich eine Schlußbemerkung machen. Sie, Herr Bundesumweltminister Wallmann, und Sie, Herr Laufs, haben sich darüber erregt, haben es als zynisch bezeichnet, daß Sozialdemokraten Parallelen zwischen Bhopal, Seveso und Sandoz hergestellt haben. Sie wissen wie wir: Es gibt diese Parallelen. Bei allen drei großen Umweltkatastrophen handelt es sich um große Chemiekonzerne mit einem Riesengewinn in Millionenhöhe jährlich.
Nach allem, was wir wissen, ist in den drei Fällendie notwendige Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen, die Optimierung der Sicherheitstechnik
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18996 Deutscher Bundestag -- 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Schäfer
insgesamt zugunsten der Gewinnmaximierung vernachlässigt worden. Überlegungen zur betrieblichen Rendite waren in allen drei Fällen wichtiger als entsprechende Sicherheitsvorkehrungen. Wenn Sie es mir nicht glauben, fragen Sie doch einmal Herrn Wallmann.
Bei den bösen Kommunisten in Tschernobyl konnte Herr Wallmann noch sagen, sie hätten schlampig gearbeitet. Bei den Schweizern, als er am 10. November 1986 vor die Bundespressekonferenz ging, also zehn Tage nach der Katastrophe, hat Wallmann schlichtweg den Betrieb der Schweizer Behörden für illegal erklärt. Auf gestrige Nachfragen, lieber Herr Kollege Wallmann, woher Sie eigentlich Ihr Urteil nehmen, sagte Ihr Staatssekretär Wagner, es gebe ein Fernschreiben der schweizerischen Bundesregierung an das Auswärtige Amt. Dies ist eine Fehlinformation. So haben Sie gearbeitet.Wir erleben jetzt wieder eine gewisse Beschwichtigungsstrategie. Herr Wallmann wird gefragt: Kann so etwas auch in der Bundesrepublik passieren? Dann antwortet er am 11. November nachgerade klassisch: „Man muß auch das Undenkbare immer noch versuchen zu bedenken." Damit soll ein Bürger etwas anfangen. Frage: Kann es bei uns passieren? Antwort: Man muß auch das Undenkbare immer noch bedenken.Lassen Sie mich zum Schluß auf eine schlimme Anzeigenserie hinweisen.
Herr Matthiesen hat schon darauf hingewiesen. Am 7. November 1986 war in Anzeigen der chemischen Industrie in mehreren Wochenzeitschriften —150 000 Fische sind bereits verendet — zu lesen:Lieber Fisch, es wird dir guttun, daß die chemische Industrie die organische Belastung der Gewässer in den letzten 20 Jahren um mehr als 90 % gesenkt hat.So die chemische Industrie.Herr Kollege Wallmann, termingerecht zu dieser Debatte finden wir in einer Illustrierten folgende Anzeige, heute am 13. November:Lieber Rhein, wir haben wesentlich dazu beigetragen, daß dein Sauerstoffgehalt heute höher als in den 50er Jahren ist. Ganz im Sinne unserer Umweltleitlinien.So die chemische Industrie. Wenn Sie sich schon über Zynismus aufregen wollen, dann nicht über Vergleiche mit Bhopal, lieber Herr Wallmann. Vielmehr wäre jetzt ein Wort angebracht, daß es makaber ist, was der Verband der chemischen Industrie unseren Bürgern zumutet.
Hier wird menschenverachtende Propaganda betrieben; hier werden Sorgen und Nöte von Bürgern verharmlost.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18997
SchmidbauerI Ich frage Sie: Wo waren Sie in den letzten Tagen? Wir wissen zwar, daß Sie die Ausschußsitzung verlassen haben, daß Sie — aus welchen Gründen auch immer — nicht einmal mehr mitberaten haben. Wenn Sie aber heute feststellen, der Umweltminister sei abgetaucht
— weggetaucht —, so heißt das doch, daß Sie sich irgendwo versteckt haben müssen, aber hier nicht aufmerksam den Dingen gefolgt sind.Wenn Sie gestern abend die Nachrichten gesehen haben, dann haben Sie auch gesehen, wie wichtig es war, daß dieser Minister in Zürich die Interessen der Bundesrepublik Deutschland, die Interessen des Rheins wahrgenommen hat
und sich nicht darauf verstiegen hat, mit Ihnen in eine billige Polemik einzutreten. Das war gut so; dafür bedanken wir uns.Sie hätten feststellen können, daß der Umweltminister Baden-Württembergs, Gerhard Weiser, eben nicht in die Polemik mit eingetreten ist, sondern daß gemessen wurde, daß Bilanz gezogen wurde, daß Gespräche mit der Schweiz geführt wurden, um möglichst Schaden von dem Ökosystem Rhein abzuwenden.Ihre Beiträge haben nicht dazu beigetragen. Ihre Beiträge haben zur Verunsicherung beigetragen, aber nicht dazu, daß sachliche Gespräche mit der Industrie, mit der Schweiz, mit allen Betroffenen geführt werden können.Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6434. Die Antragsteller haben getrennte Abstimmung hierzu verlangt.
Wer stimmt für den Text auf der ersten Seite des Entschließungsantrags auf Drucksache 10/6434? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? -- Enthaltungen? -- Dann ist dieser erste Teil des Antrags mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur zweiten Seite des Entschließungsantrags. Wer stimmt für Ziffer 1? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist Ziffer 1 mit Mehrheit bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen zu Ziffer 2. Wer stimmt Ziffer 2 zu?
— Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Ziffer 2 ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zu Ziffer 3. Wer stimmt Ziffer 3 zu?
— Wer stimmt dagegen? — Das ist nicht ganz sicher. Meine Damen und Herren, es hat keinen Sinn,
eine Auszählung vorzunehmen. Die Mehrheiten des Hauses kennen wir.
— Wir sind uns wohl einig. Ziffer 3 ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt Ziffer 4 zu? — Wer stimmt dagegen?
— Enthaltungen? — Dann ist Ziffer 4 mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zu Ziffer 5. Wer stimmt Ziffer 5 zu? — Wer stimmt dagegen? — Dann ist das mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zu Ziffer 6. Wer stimmt Ziffer 6 zu?
— Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Ziffer 6 ist bei Enthaltung der SPD-Fraktion mit Mehrheit abgelehnt.
Damit ist dieser Entschließungsantrag abschlieBend behandelt.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6447 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunkts.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Asylverfahren
— Drucksache 10/1164 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/6416 —Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Olderog Wartenberg
Ströbele
Dr. Hirsch
b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes
— Drucksache 10/3678 —Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/6416 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Olderog Wartenberg
Ströbele
Dr. Hirsch
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6417 und 10/6435 vor.
18998 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13.. November 1986
Vizepräsident Westphal
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b sowie ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Olderog.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befinden uns im Wahlkampf, aber ich will hier keine Wahlkampfrede halten. Wir alle wissen und sind uns dessen bewußt, daß hinter jeder Zahl der Asylstatistik ein menschliches Schicksal steht. Mit dem neuen Asylverfahrensrecht wollen wir den wirklich politisch Verfolgten ein rasches und faires Verfahren gewährleisten.
Wir wollen aber gleichzeitig nach außen deutlich machen, daß es keinen Sinn hat, aus anderen Gründen ins Bundesgebiet zu kommen.
Es gibt einerseits Erleichterungen für bestimmte Flüchtlinge, z. B. bei der Regelung der Sammelunterkünfte, bei der Aufenthaltsbegrenzung oder bei den Wartezeiten vor Aufnahme einer Arbeitstätigkeit; andererseits soll z. B. derjenige kein Asylrecht mehr erhalten, der erst nachträglich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zum Zwecke seiner Anerkennung politische Gründe für das Asylrecht schafft. Flüchtlinge, die bereits in Italien, Frankreich, Österreich oder in anderen Drittländern Schutz vor Verfolgung gefunden haben, sollen nicht länger das Recht haben, als „Asyltouristen" in die Bundesrepublik Deutschland zu kommen. Grundsätzlich müssen Asylbewerber in Zukunft fünf Jahre warten, bis sie hier arbeiten können.
Diese und andere leider notwendige Schritte treten neben eine Reihe administrativer Maßnahmen, um unberechtigte Asylbewerber nicht in unser Land zu lassen oder rasch in ihre Heimat zurückzuführen.
Meine Damen und Herren, viele fragen: Brauchen wir denn nach der Berlin-Regelung, die den Flüchtlingsstrom über Berlin enden ließ, neue gesetzliche Schritte? Ich antworte: ja. Ende des Jahres werden wir trotz Berlin vermutlich über 100 000 Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen haben. Ich bin sicher: Der Flüchtlingsdruck aus den Ländern der Dritten Welt wird weiter steigen.
Insbesondere finden Schlepper und Schlepperorganisationen — lieber Herr Ströbele, Sie wissen das — neue Wege. Nach Aussagen des UNHCR befinden sich zwischen 11 und 20 Millionen Menschen auf der Flucht. Rund 50 Millionen Menschen haben nach unserem Grundgesetz einen möglichen Rechtsanspruch auf Asyl: 2,6 Millionen Tamilen aus Sri Lanka, viele Millionen Sikhs aus Indien, viele Millionen Schwarze aus dem Süden Afrikas, meh-
rere Millionen Iraner, Äthiopier, Afghanen, mehrere 100 000 Palästinenser aus dem Nahen Osten, Christen und Jeziden aus der Türkei.
Es ist meine Überzeugung, daß der Druck von seiten der Dritten Welt weiter steigen wird.
— Ich greife das auf: Nennt nicht der UNHCR sehr bescheidene Flüchtlingszahlen für die Bundesrepublik Deutschland, und hat nicht der Europaabgeordnete Heinz-Oskar Vetter die Bundesrepublik aufgefordert, noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen?
Zu den Tatsachen: Die Bundesregierung hat nachgewiesen, daß wir gegenwärtig 670 000 Flüchtlinge beherbergen — neben den 3,7 Millionen Gastarbeitern und ihren Familienangehörigen. Hinzu kommt: Die Bundesrepublik Deutschland muß ihre Aufnahmefähigkeit für Deutsche aus der DDR, aus Ost- und Südosteuropa aufrechterhalten. Sie gehören als Deutsche zu uns. 1984 kamen über 36 000 Aussiedler aus Osteuropa sowie fast 41 000 Deutsche aus der DDR ins Bundesgebiet. 1985 waren es fast 39 000 Aussiedler und 25 000 Deutsche aus der DDR: Das sind Zahlen, meine Damen und Herren, die leider weitgehend unbekannt sind, aber die Aufnahmeproblematik der Bundesrepublik auch verdeutlichen.
Lassen Sie mich etwas zu den Flüchtlingen und den Zahlen des UNHCR sagen.
Von den 723.300 Ausländern, Herr Ströbele, die in den zehn Jahren zwischen 1975 und 1984 in Westeuropa Asyl beantragt haben, hat die Bundesrepublik 370 836, d. h. mehr als 51 % aufgenommen. So der UNHCR. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres kamen rund 60 000 Flüchtlinge nach Westeuropa, davon wieder gut 34 000, also 58 %, ins Bundesgebiet. So der UNHCR!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?
Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, ja.
Herr Kollege Olderog, mir fällt auf, daß Sie auf der einen Seite die Zahlen der Bundesregierung und auf der anderen Seite die Zahlen des UNHCR nennen. Können Sie dem Hohen Hause die Zahlen des UNHCR in bezug auf die Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik Aufnahme gefunden haben, nennen und sagen, um wieviel niedriger diese Zahlen im Vergleich zu den Zahlen der Bundesregierung sind?
Es gibt leider keine einheitliche Statistik darüber, wie man die Zahl der Flüchtlinge, die sich in den verschiedenen Ländern befinden, vergleichen kann. Es gibt einen Dissens
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 18999
Dr. Olderogzwischen dem Hohen Flüchtlingskommissar und uns. Er rechnet die De-facto-Flüchtlinge bei uns nicht mit. Das sind für die Bundesrepublik 220 000. Deswegen kommt er bei der Berechnung in bezug auf die Bundesrepublik zu anderen Zahlen, als sie das Bundesinnenministerium vorgelegt hat. Ich bin aber der Überzeugung, daß diese 220 000 Flüchtlinge, für die sich der UNHCR ja auch zuständig erklärt, natürlich mitgerechnet werden müssen. Hören Sie bitte einmal zu, damit Sie die Größenordnung richtig erkennen.1985 haben Belgien 5 357, die Niederlande 5 644, die Schweiz 9 703 und Frankreich — eine beachtliche Zahl — 28 925 Asylbewerber aufgenommen. Aber weit und einsam an der Spitze steht die Bundesrepublik Deutschland mit 74 000 Asylbewerbern. Das ist weit mehr als das Doppelte von dem, was die Franzosen aufnehmen. Wer will angesichts dieser Zahlen noch bezweifeln, daß die Bundesrepublik mit Abstand die größten Lasten bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms auf sich genommen hat? Die Bundesrepublik Deutschland -- das sind doch die Fakten — ist für die Flüchtlinge in allen Teilen der Welt das attraktivste Land. Und ich bitte den UNHCR, dies laut und deutlich anzuerkennen, statt unsere Leistungen ständig herunterzuspielen.Meine Damen und Herren, mir geht es keineswegs vorrangig um die Kosten in Höhe von 2,7 Milliarden DM, die wir in diesem Jahr für die Flüchtlinge aufwenden werden.
Ich bekenne mich dazu, daß wir als Politiker die moralische Pflicht haben, an unsere Bürger zu appellieren, sich humanitären Pflichten zu stellen.
Dies gilt um so mehr, als von den Nazis verfolgte Deutsche während der Hitler-Zeit als Flüchtlinge Zuflucht gefunden haben.Aber wir müssen auch erkennen, daß es für ein so kleines und dicht besiedeltes Land wie die Bundesrepublik Deutschland, daß es für unser Volk Grenzen dessen gibt, was wir verkraften können, Grenzen dessen, was wir unseren Bürgern zumuten können, auch Grenzen dessen, was wir an sozialer Integration leisten können.
Noch gibt es glücklicherweise keine nennenswerte Ausländerfeindlichkeit bei uns. Das haben die Wahlen, insbesondere auch in Frankfurt, deutlich bewiesen. Aber wir wissen aus Umfragen, daß — hier gibt es eine beängstigende Steigerung — heute doch schon über 70% der Bürger meinen, das Asylrecht werde zu großzügig gehandhabt.
Vor drei Jahren waren es nur 40%. Bedenken wir,daß die Ausländerquote bei uns steigt. In einer Demokratie kann eine Regierung in einer so wichtigenFrage auf Dauer nicht im Widerspruch zu den Bürgern stehen.
Es ist bewundernswürdig, wenn Bürger ihr Leben an ethischen und sittlichen Höchstnormen ausrichten und sich in beispielhafter christlicher Haltung der Flüchtlinge annehmen. Das christliche Gebot der Nächstenliebe gilt auch und gerade für Flüchtlinge, die mit einem besonderen, bitteren Schicksal fertig werden müssen. Aber das Matthäus-Evangelium ist leider kein Rezeptbuch für die praktische Politik.
Politiker müssen — ich wiederhole — ihren Bürgern moralische Lasten zumuten und immer und immer wieder ihre Hilfsbereitschaft einfordern und an sie appellieren.
Aber Politiker können in bester Absicht auch zuviel des Guten tun und damit genau das Gegenteil dessen bewirken, was sie wollen.Eine Ausländerpolitik, die auf Dauer unsere Bürger überfordert, muß früher oder später heftige ausländerfeindliche Reaktionen hervorrufen.
Wir müssen die Angst unserer Bürger ernst nehmen, die — ob zu Recht oder zu Unrecht — um ihren Arbeitsplatz fürchten oder um den Verlust der geistigen, kulturellen und ethnischen Identität unseres Volkes.
Warnen müssen uns doch, meine Damen und Herren, die Erfahrungen, die in Dänemark gemacht worden sind. Bevor die Grenze abgeriegelt wurde, hat es Woche für Woche tätliche Auseinandersetzungen zwischen Einheimischen und Asylbewerbern gegeben.
Oder hat man nicht in der Schweiz mit der Aktion „Für Volk und Heimat", haben nicht ähnlich ausgerichtete Organisationen in Genf und in Lausanne auf geradezu erschreckende Weise Erfolge errungen?
War nicht ganz Westeuropa von den Erfolgen Le Pens in Frankreich tief betroffen, der nicht nur in die Nationalversammlung, sondern vor allem auch in Regionalversammlungen mit vielen Mandaten einzog?
Im übrigen, meine Damen und Herren, würde eine ausländerfeindliche Stimmung all die Initiativen der Hilfsorganisationen ersticken, mit denen sich heute Tausende von Bürgern der Asylbewerber hel-
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Dr. Olderogfend annehmen. Ich möchte allen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Kräften im Namen meiner Fraktion für ihren oft beispielhaften Einsatz herzlich danken.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zu den Wirtschafts- oder auch Armutsflüchtlingen sagen. Deren Schicksal ist oft nicht minder bitter als das der politisch Verfolgten.
Aber es geht einfach nicht: Wir können die wirtschaftliche Not aller Länder dieser Erde nicht über das Asylrecht der Bundesrepublik Deutschland lindern.Bei Hungersnöten und wirtschaftlichen Problemen Unterstützung zu geben, ist Aufgabe unserer Entwicklungspolitik. Die Bundesregierung hat ihren Beitrag zur Entwicklungshilfe überdurchschnittlich gesteigert.
Die öffentlichen Entwicklungsleistungen haben 1985 mit 8,7 Milliarden DM eine Rekordhöhe erreicht. Die Bundesrepublik Deutschland leistet mehr Entwicklungshilfe als alle Länder des Ostblocks, einschließlich der Sowjetunion, zusammen.Lassen Sie mich zum Schluß kommen: Das weltweite Flüchtlingsproblem kann durch nationale Regelungen nicht gelöst werden. Wir brauchen eine Harmonisierung in Europa. Wir brauchen vor allem, daß den Bürger- und Menschenrechten auf der Welt endlich wieder mehr Geltung verschafft wird. Da sitzen nicht nur die Iraner, Äthiopier und andere Länder der Dritten Welt auf der Anklagebank.
Da ist der hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen gebeten, vor der Weltöffentlichkeit vor allem eine klare Sprache gegenüber kommunistischen Ländern zu finden, auch gegenüber der Sowjetunion.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute am Ende der Legislaturperiode über das Asylrecht sprechen, ist es auch notwendig, ein Resümee über die Auseinandersetzungen der letzten Monate zu ziehen.
Nicht ohne Bitterkeit ist festzustellen, daß diese Diskussion häufig jenseits der Schamgrenze verlief.
Ich muß besonders führenden Politikern der CDU/CSU vorwerfen, daß sie darauf gesetzt haben, Vorurteile zu verstärken,
und es bewußt unterlassen haben, die Menschen an moralische und ethische Verpflichtungen unserer Gesellschaft zu erinnern.Allein die Sprache, die in den Sommermonaten benutzt wurde, ist erschreckend. „Asylantenflut", „Überfremdung", „massenhafter Mißbrauch", „Schnorrer", „Asyltouristen" und viele andere Ängste und Haß schürende Begriffe wurden gebraucht. Die politische Kultur blieb auf der Strecke.
Aber das ist nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem ist, daß die Betroffenen, die Menschen, um die es geht, in eine unhaltbare Situation gekommen sind. Auch Sie, Herr Olderog, haben soeben in Ihrer Rede wieder Begriffe wie „Asyltourismus" und andere Ausdrücke benutzt, die die Öffentlichkeit immer wieder desinformieren und letzten Endes Vorurteile schüren.
Die Diskussion ist zur Zeit Gott sei Dank etwas ruhiger geworden. Dazu haben insbesondere die Kirchen und Wohlfahrtsverbände beigetragen,
denen wir dafür wirklich Dank schulden.
Auch die Maßnahmen der DDR haben die Diskussion ruhiger werden lassen.
Wesentlichen Raum in der Diskussion nahm die Äußerung von CDU/CSU-Politikern ein, die für die Abschaffung des Art. 16 des Grundgesetzes plädierten. Es ist eine bewußte Täuschung der Öffentlichkeit, wenn behauptet wird, daß Art. 16 Ursache des Ansteigens der Flüchtlingszahien ist. Wir Sozialdemokraten stellen noch einmal mit Nachdruck fest, daß Art. 16 von unseren Verfassungsvätern aus gutem Grund, eben auf Grund der Erfahrungen mit der Nazi-Zeit, in unsere Verfassung übernommen wurde. Art. 16 war und ist ein Zeichen der Wiederbegründung der politischen Kultur in Deutschland und darf nicht angetastet werden. Wir fordern die CDU/CSU und die Bundesregierung nochmals auf, die Diskussion um Art. 16 endlich zu beenden.Wer über das Asylrecht spricht, muß die Ursachen der Flüchtlingsproblematik auf dieser Welt zur Kenntnis nehmen. Kriege, Verfolgung und Hunger sind die eigentlichen Ursachen. Zur Zeit gibt es 15 Millionen Flüchtlinge auf dieser Welt. Nur 1 Million davon hat in Europa Zuflucht gefunden. Die meisten Menschen leben in den Nachbarländern
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Wartenberg
der Krisengebiete, also in Entwicklungsländern. Diese Länder haben die Hauptlast der Flüchtlingsbewegungen dieser Welt zu tragen. Dies sollte uns immer wieder vor Augen stehen, wenn hier in der Bundesrepublik über Restriktionen gegenüber Flüchtlingen geredet wird. Jede Restriktion in Europa bedeutet eine höhere Last für die Länder der Dritten Welt. Wir müssen uns bewußt sein, daß weitere Einschränkungen der Zugangswege nach Europa dazu führen, daß Art. 16 vielleicht erhalten bleibt, aber nur noch wenige ihn in Anspruch nehmen können. Dies kann nicht die Lösung der Probleme sein.Lassen Sie mich noch etwas zu dem Begriff des Mißbrauchs sagen, der immer wieder in den Mittelpunkt der Diskussion besonders von Ihnen gestellt wird. Die Verwendung des Begriffs Mißbrauch ist eine Desinformation der Öffentlichkeit. Gäbe es massenhaft Mißbrauch, so hätten wir eigentlich überhaupt gar kein Problem; denn dann könnten wir mit dem Instrument der offensichtlich unbegründeten Antragstellung den allergrößten Teil der Flüchtlinge sofort in die Heimatländer zurückschikken. Die Wirklichkeit ist, daß 30 % der Asylsuchenden anerkannt werden und von den restlichen 70 % die meisten hierbleiben müssen,
weil sie als De-facto-Flüchtlinge geduldet werden und nicht abgeschoben werden können, weil sie aus Krisengebieten kommen. Diese moralische Verpflichtung übernehmen wir.
Wenn das von den Zahlen her so ist, dann stimmt die These des massenhaften Mißbrauchs einfach nicht. Was wir feststellen können, ist also nicht Mißbrauch, sondern die Tatsache, daß neben den rein politisch Verfolgten zunehmend Flüchtlinge herkommen, die aus Bürgerkriegssituationen und Krisengebieten kommen, für die im engeren Sinn Art. 16 nicht gilt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie?
Nein. Ich habe nicht so viel Zeit.Dies setzt einiges voraus, daß man jenseits des Art. 16 über eine Flüchtlingskonzeption reden muß.Ich möchte einige Punkte aus dem Gesetzestext der Regierung herausgreifen. Wesentlich sind mehrere verfassungsrechtlich bedenkliche Änderungen. Besonders gilt das für die Einschränkung der Nachfluchtgründe, der selbstgeschaffenen Nachfluchtgründe. Das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht haben in mehreren Urteilen entschieden, daß selbstgeschaffene Nachfluchtgründe nicht in jedem Fall auszuschließen sind. Die jetzt vorgeschlagenen Regelungen werden bald nach Inkrafttreten vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden müssen. Das bedeutet, alleVerfahren müssen ausgesetzt werden. Das wird zu einer Verfahrensverlängerung um ein bis zwei Jahre führen. Wo bleibt da eigentlich der Anspruch, die Verfahren zu beschleunigen. Sie haben hier eine kontraproduktive Regelung vorgeschlagen.
— Das ist kein Unsinn. In diesem Bereich ist es richtig,
weil es schon fünf Urteile des Bundesverfassungsgerichts gegen Ihre Regelung gibt.
Bei der Zurückweisung von Flüchtlingen, die sich drei Monate in einem anderen Land aufgehalten haben, stellt sich die Frage: Unter welchen Bedingungen hat sich der Aufenthalt in einem anderen Land abgespielt?
Ich weise besonders auf die Iraner hin, die sich als illegale Flüchtlinge in der Türkei aufhalten müssen. Bei ihnen kann man wohl nicht sagen, daß sie Schutz vor Verfolgung gefunden haben.Weiter ergibt sich die Problematik, daß immer mehr Asylsuchende in dem Augenblick, in dem sie die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland überschritten haben, ihre Papiere vernichten,
damit von den Behörden nicht mehr festgestellt werden kann, wo sie sich vorher drei Monate aufgehalten haben. Insofern ist diese Regelung untauglich.
Ein wesentlicher Punkt bei der Frage der innenpolitischen Betrachtung der Asylprobleme in der Bundesrepublik Deutschland sind die sozialen Fragen. Es hat in der Vergangenheit restriktive Maßnahmen gegeben. Diese Maßnahmen haben nicht in dem Sinn gewirkt, daß weniger Menschen hierher kommen, sondern sie haben die soziale Lage der Menschen hier verschlechtert bzw. sie von dem Rest der Bevölkerung abgeschreckt. Deswegen lehnen wir eine Verlängerung des Arbeitsverbots für Asylbewerber auf fünf Jahre ab. Wir beziehen uns dort ganz bewußt auf den Bericht der SchäubleKommission beim Bundeskanzleramt. In diesem Bericht ist eindeutig festgelegt worden, daß eine Verlängerung des Arbeitsverbots auf fünf Jahre dazu führen würde, daß die illegale Beschäftigung steigt, die Soziallasten steigen und die Kriminalität zunähme. Es ist schon erstaunlich, daß trotz der Empfehlung Ihrer eigenen Kommission die Bun-
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Wartenberg
) desregierung jetzt eine so inhumane und sinnlose Regelung beschließt.
Herr Abgeordneter?
— Nein. — Wir sind für eine Verbesserung der Unterbringung der Asylbewerber und meinen, daß insbesondere die Regelungen für Gemeinschaftsunterkünfte überprüft werden müssen. Wir meinen, daß Menschen nicht länger als ein Jahr in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden dürfen.
Wenn diese Menschen nach einem Jahr nicht freiwillig dort bleiben wollen — es gibt einige gute Gemeinschaftsunterkünfte, dagegen kann man nichts sagen —, wenn sie dann woanders wohnen wollen, sollte man es ihnen gestatten. Gleichzeitig muß die Betreuung, insbesondere für Familien in Gemeinschaftsunterkünften, verbessert werden. Die psychische Verwahrlosung und das Entstehen von Aggressivität, die man dort feststellen kann, sind katastrophal.
Das ausländerrechtliche Paket dieses Gesetzes muß abgelehnt werden, z. B. die Einschränkung der Luftverkehrswege. Das ist eine völlig unpraktikable Regelung. Insbesondere betrift sie nur 4 % der Asylsuchenden, die auf diesem Wege hierherkommen. Eine solche Regelung kann nur im Verbund mit den europäischen Ländern weiter diskutiert werden.
Ein nationaler Alleingang ist in diesem Falle sinnlos. Auch die Fachleute haben dieses in der Anhörung abgelehnt, soweit sie betroffen sind.
Wir fordern unter diesem Eindruck eine neue Konzeption auch der Visaerteilung in den Krisengebieten gemäß den Anforderungen des Art. 16 des Grundgesetzes.
Wir begrüßen, daß eine Beschleunigung dadurch zustande kommt, daß mehr Stellen im Bundesamt geschaffen werden. Dieses reicht allerdings nicht aus.
Wir haben hier heute für die Sozialdemokraten einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem wir nicht nur einzelne aktuelle Punkte ansprechen, sondern versuchen, eine Konzeption der Flüchtlingspolitik über das Asylrecht hinaus zu entwickeln. Sie ist notwendig.
Ich bitte Sie alle, einmal über folgendes nachzudenken: Wenn wir es nicht schaffen, in diesem Parlament und damit für die Gesellschaft einen Grundkonsens in Flüchtlingsfragen herzustellen, werden wir eine Situation haben, in der die Akzeptanz von Flüchtlingen und damit die Lösung der Probleme
nicht möglich sein wird. Ich bitte Sie herzlich: Folgen Sie unserer Einladung, jenseits des Wahlkampfgetöses eine vernünftige Konzeption für die Flüchtlingspolitik in der Bundesrepublik Deutschland zu entwickeln. Dieses ist das Gebot der Stunde.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wartenberg, es wäre alles sehr schön, wenn nicht auch in Ihrem Antrag eine Menge Wahlkampfgetöse enthalten wäre. Es ist ja tatsächlich so, daß es kaum ein Gebiet gibt, das in der Öffentlichkeit und in diesem Hause seit Jahren derartig kontrovers behandelt wird wie dieses. Wir sind immer wieder dazu gebracht und aufgefordert worden, die Rechtsmittel zu verkürzen, die Verfahren zu verändern und die persönliche und soziale Lage der Flüchtlinge zu verschlechtern, manchmal in der kaum verhüllten Intention, weitere Flüchtlinge von der Bundesrepublik abzuschrecken.Es ist eine alte Erfahrung, die wir immer wieder beiseite geschoben haben, daß häufige Änderungen eines Gesetzes nicht zur Beschleunigung beitragen, sondern durch die Anpassung der Rechtsprechung an die neuen Verhältnisse und Regelungen sowie Klärung von Zweifelsfragen häufig für lange Zeit die Abwicklung der Verfahren behindern.Uns Liberalen ist immer wieder absichtsvoll unterstellt worden, wir wollten unser Land zum Schaden der eigenen Bevölkerung schrankenlos den Flüchtlingen aus aller Herren Länder öffnen, es in Humanitätsduselei ausplündern lassen und es der Überfremdung — wie man es nennt — ausliefern. Das ist natürlich falsch.Wir wollen unser Land politischen Flüchtlingen offenhalten. Wer wegen seiner politischen Überzeugung, seiner Rasse, seiner Religion oder seiner Herkunft verfolgt wird, soll in unserem Land eine Zuflucht finden können.
Wir wollen das Grundrecht auf Asyl erhalten. Wer erklärt, daß er politisch Verfolgte aufnehmen und sie selbstverständlich nicht ihren Verfolgern ausliefern will, braucht die Verfassung nicht zu ändern. Denn sie sieht nicht mehr und nicht weniger vor als genau das. Wir können und sollten es nicht als eine Belastung empfinden, wenn Menschen bei uns Zuflucht suchen, die uns für einen demokratischen Rechtsstaat halten. Wir können und wollen sie darin nicht enttäuschen.Diese Bereitschaft bedeutet natürlich nicht, daß wir auch jeden bei uns aufnehmen könnten, der nicht aus politischen, sondern aus anderen Gründen, etwa aus wirtschaftlichen, zu uns kommt. Wenn man die vielen Briefe, die man bekommt, und die Fragen, die in Versammlungen gestellt werden, bewertet, so steckt hinter den meisten die Angst,
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Dr. Hirschdie Angst um die eigene wirtschaftliche Lage, die von den Flüchtlingen beeinträchtigt werden könnte, und die Angst vor deren Fremdheit. Daran beteiligt sind auch ungelöste Integrationsprobleme, die man ja nicht bestreiten kann, Probleme, die schlicht auf Ausländer und Flüchtlinge übertragen werden. Herr Kollege Wartenberg, die sozialdemokratischen Bürgermeister wissen davon ja ein Lied zu singen. Die Fronten sind ja nicht so einheitlich, wie Sie es hier darstellen zu können geglaubt haben.Der Gesetzgeber, der nicht Fremdenhaß erzeugen will, kann sich — da folge ich dem Kollegen Olderog — nicht nur an der tatsächlichen Aufnahmefähigkeit orientieren, die, Herr Kollege, weit größer wäre, als wir Leistungen erbringen, sondern muß auch der begrenzten Aufnahmebereitschaft Rechnung tragen. Wir halten es allerdings für eine wesentliche Verpflichtung der Bundesregierung, auch durch eine sachgerechte Aufklärung der Bevölkerung über die begrenzte Zahl der von uns aufgenommenen Flüchtlinge, über die Zahl der weiterreisenden oder in ihre Heimatländer zurückkehrenden Flüchtlinge und über ihre politische und soziale Lage unbegründete Ängste und Vorurteile abzubauen. Darum, Herr Kollege Olderog, sollten wir uns vor diesen Phantomzahlen hüten, mit denen die Gehirne der Menschen vollgekleistert werden und die weit von der Realität abweichen.
Wir wären ja froh, wenn es einheitliche Statistiken gäbe und wenn wir nicht nur über die hereinkommenden Flüchtlinge, sondern auch über diejenigen, die uns wieder verlassen — und sie fahren nicht alle mit einem Boot über den Atlantik —, etwas exaktere Unterlagen veröffentlichen könnten.Wir sind vor allem der Überzeugung, daß ständige Gesetzesänderungen dann nichts bringen, wenn das geltende Recht nicht ausgeführt wird oder wenn die Verwaltung selbst durch pauschale Regelungen und Vereinbarungen die wichtigen Unterschiede zwischen politischen und wirtschaftlichen Flüchtlingen dadurch verwischt, daß sie Flüchtlinge aus bestimmten Bereichen bzw. Ländern auch dann nicht zurückschickt, wenn feststeht, daß sie weder politische noch zwingende humanitäre Gründe geltend machen können.Wenn bisher auf der einen Seite fast 70% der abgelehnten Asylbewerber in der Bundesrepublik belassen werden, kann man auf der anderen Seite in der Tat kaum Regelungen verantworten, die in ihrer Wirkung dazu führen, daß politische Flüchtlinge die Bundesrepublik nur schwer erreichen können. Das ist ein Widerspruch in sich. Sie wissen, daß ich dabei auch die Vereinbarung meine, die seit Mitte der 50er Jahre hinsichtlich der pauschalen Behandlung der Asylbewerber aus Polen besteht.Das Gesetz hält sich nach unserer Überzeugung — Herr Kollege Wartenberg, da widerspreche ich Ihnen — an die verfassungsmäßigen Grenzen. In weiten Teilen zeichnet es im wesentlichen die ständige Rechtsprechung nach, so bei den Nachfluchtgründen, beim Ausschluß bestimmter Fluchtgründe wie Krieg und Bürgerkrieg und bei einer Reihe anderer Fragen. Das Gesetz lehnt vor allen Dingen pauschale Wertungen ab und fordert jeweils die Prüfung des Einzelfalles.Der Gesetzentwurf bringt auch Verbesserungen jedenfalls für diejenigen Asylbewerber, die vom Bundesamt oder von einem Gericht anerkannt worden sind und die unter Umständen trotzdem noch mit einem länger dauernden Verfahren zu kämpfen haben. Sie bekommen eine größere Bewegungsfreiheit als bisher, sie können leichter als die anderen eine Arbeit aufnehmen, sie können aus den Sammelunterkünften herauskommen und eine Wohnung nehmen, und es ist auch vorgesehen, daß bei Einweisungen in Gemeinschaftsunterkünfte ihre berechtigten Belange zu wahren sind.Ähnliches gilt für die Regelungen hinsichtlich der Fluggesellschaften, die internationalen Gepflogenheiten nicht widersprechen. Wir wollen nicht, daß Fluggesellschaften aus wirtschaftlichen Gründen die Sichtvermerksbestimmungen unterlaufen.Aber diese Gesetzgebung nützt dann nichts, wenn die Gesetze nicht vollzogen werden. Darum begrüßen wir es, daß im kommenden Haushaltsjahr die Zahl der Mitarbeiter des Bundesamtes in Zirndorf und seiner Außenstellen um nahezu 400 — teilweise auf Dauer, teilweise zeitlich begrenzt — erhöht werden soll. Wir erwarten von den Ländern, daß sie die bei ihnen zuständigen Ausländerämter und die Verwaltungsgerichte personell und sachlich so ausstatten, daß ein vernünftiger und sachgerechter Verwaltungsvollzug möglich wird. Es ist nämlich bei sachgerechter Ausstattung und Organisation durchaus möglich, auch bei relativ hohen Bewerberzahlen zu erreichen, daß die Masse der Entscheidungen in weniger als einem Jahr getroffen wird.Wir Deutschen haben eine besondere Verantwortung. Andere europäische Länder verfolgen sehr genau unsere Gesetzgebung, um sie nachzuahmen. Darum muß es dabei bleiben, daß politisch Verfolgte unsere Solidarität genießen, daß wir sie aufnehmen und daß die Wirtschaftsflüchtlinge, die man besser „Armutsflüchtlinge" nennen sollte, jedenfalls unser Verständnis und unsere Hilfe finden.Darum muß man an die eindrucksvollen Ausführungen der Denkschrift der Evangelischen Kirche vom August dieses Jahres erinnern, wie viele Menschen in unserer aufgeklärten Zeit Opfer von ungerechten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen geworden sind, die auf der Suche nach Nahrung und Unterkunft, Identität und Zugehörigkeit um ihr Überleben kämpfen. Es wird in dieser Denkschrift eindrucksvoll belegt, daß die ganz überwiegende Last dieser Flüchtlingsbewegungen nicht etwa von den Industriestaaten, sondern von den Armuts- und Krisengebieten in der Dritten Welt getragen wird. Wir müssen daran erinnern, daß die von den Zeitungen als Erfolg gemeldete geringere Zahl von Flüchtlingen in der Bundesrepublik keineswegs bedeutet, daß es deswegen in der Welt auch nur einen einzigen Flüchtling we-
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Dr. Hirschniger gibt. Vielmehr schieben wir diese Last im Ergebnis anderen zu.
Wir sind der Überzeugung, daß die Industriestaaten weit mehr materielle Hilfe zur Bekämpfung der Ursachen der Flüchtlingsbewegung leisten müssen als bisher, weil wir andernfalls kommenden Generationen die größten Krisenpotentiale überlassen.Ich möchte mit einer persönlichen Bemerkung enden, die ich nicht für meine Fraktion, sondern nur für mich selbst mache. Der Gesetzentwurf beinhaltet auch eine Verlängerung des Arbeitsverbots nicht nur für Asylbewerber, sondern auch für ihre Familienangehörigen, die Ehepartner und Kinder, auf fünf Jahre. Ich anerkenne dankbar, daß wir von dieser Regelung Ausbildungsverhältnisse von Kindern zu einem Teil ausgenommen haben. Trotzdem verstößt die Gesamtregelung nach meiner Überzeugung gegen die menschliche Würde der von ihr Betroffenen,
wie das eindringlich in der Enzyklika Laborem exercens ausgeführt wird, wir aber auch an vielen Schicksalen in den Sammelunterkünften beobachten können und wie es unserer eigenen Lebenserfahrung entspricht. Ich halte das Gesetz insgesamt für der Lage angemessen und für vertretbar. Meine Fraktion wird ihm zustimmen. Ich selbst kann aber dieser drastischen Beschränkung der Arbeitserlaubnis nicht zustimmen, und ich werde mich daher bei der Schlußabstimmung zu dem Gesamtgesetz der Stimme enthalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Herr Kollege Hirsch, für Ihre letzte, persönliche Bemerkung bin ich persönlich Ihnen dankbar.Kaum war der Wahlkampf in Bayern vorbei, schon wurde es ruhiger um die Flüchtlinge und die Asylfrage. Das Thema hatte offenbar zunächst seine Schuldigkeit getan. Hätte es noch eines Beweises bedurft, daß ein bedrohliches, etwa ein nicht lösbares Problem mit der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge gar nicht bestand, sondern nur zu Wahlkampfzwecken erfunden wurde, der Zeitablauf hat es bewiesen. Der Kollege Hirsch hat ja eben auch darauf hingewiesen, daß es selbstverständlich möglich ist, sehr viel mehr Menschen in der Bundesrepublik unterzubringen und zu versorgen.Die Union hat die Menschen, die bei uns Zuflucht vor Verfolgung und Not suchen, bedenkenlos zu Wahlkampfzwecken und zur Machterhaltung benutzt. Erst wurden Emotionen und Fremdenfeindlichkeit losgetreten, um dann entschlossenes Handeln und Regierungspotenz durch Verabschiedung bürokratischer Asylverfahrensregelungen demonstrieren zu können.Die neuen asylrechtlichen Regelungen, um die es hier heute geht, dienen angeblich dazu, das Asylverfahren zügiger zu gestalten. Das stimmt ganz einfach nicht, das ist eine Irreführung der Offentlichkeit. Oder kann mir hier jemand erklären, was die Einführung des Arbeitsverbotes von fünf Jahren in Art. 2 dieses Gesetzes zur Beschleunigung des Asylverfahrens beitragen kann? Zeigt diese Regelung nicht eher, daß mit einer weiteren Verlängerung des Asylverfahrens durchaus gerechnet wird? Ist diese Regelung nicht ungeheuer zynisch angesichts der Tatsache, daß den Flüchtlingen immer vorgeworfen wird, wieviel sie die Bundesrepublik Deutschland kosten, wenn man ihnen gleichzeitig verbietet, selbst zu ihrem Lebensunterhalt und ihrer Versorgung in der Bundesrepublik beizutragen?Oder was bringen die 2 000 DM Strafe für Fluggesellschaften, die einen Flüchtling ohne Visum in die Bundesrepublik fliegen, für die zügige Abwicklung des Asylverfahrens? Oder was soll die Lagerunterbringung für die zügige Abwicklung des Asylverfahrens bringen?
Nein, unter der Bezeichnung „Gesetz zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes" verbirgt sich ein neues zusätzliches Abschreckungsgesetz nach denen der sozialliberalen Koalition von Anfang der 80er Jahre. Wieder einmal wollen die Regierung und die Koalition mehr tun, um die Flüchtlinge davon abzuschrecken, in die Bundesrepublik zu kommen, und zwar wieder dadurch, daß die Lebensbedingungen mieser gestaltet werden, möglichst so mies, daß sie schlechter als in den Ländern sind, aus denen die Flüchtlinge hierher kommen. Die Gesetze folgen den alten Regeln der Abschreckung und sind so schlimm, daß wir sie so nicht akzeptieren.Die Politik der Abschottung funktioniert auch nicht; wir haben gehört, daß die letzten Flüchtlingszahlen keineswegs zurückgegangen sind. Diese Regelungen sind mit dem Grundgesetz und besonders Art. 16 nicht zu vereinbaren. Ich erinnere daran, daß Carlo Schmid bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates zur Asylproblematik und zur Einführung dieses Artikels ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß jeder, nicht nur jeder Deutsche, in der Bundesrepublik das Recht hat zu arbeiten und sich eine Wohnung zu suchen, daß das aus Art. 2 des Grundgesetzes, dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, für jeden folgt. Davon haben Sie sich inzwischen weit entfernt. Das Grundrecht auf Asyl ist ausgehöhlt, die faktische Inanspruchnahme ist weitgehend unmöglich gemacht.Sie ist unmöglich gemacht durch die verfassungsfeindlichen Vereinbarungen mit der DDR, durch die Bestrafung der Fluggesellschaften, durch die Anweisung über die Visaerteilung an die Botschaften.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19005
StröbeleSicher haben Sie alle von Iranern, die sich in der Türkei aufhalten und von denen Familienangehörige schon hier sind, die aus dem Iran flüchten mußten, schon Briefe und Anfragen bekommen, wie diese politisch verfolgten Iraner aus der Türkei hierher kommen können. Ich frage mich: Was sagen Sie denen eigentlich? Sagen Sie denen das, was die Kollegin Hamm-Brücher in meiner Anwesenheit auf einer Podiumsdiskussion gesagt hat, was auch der Kollege Hirsch vertreten hat, wenn ich mich recht erinnere, auch der Kollege Olderog bei öffentlichen Veranstaltungen? Die haben gesagt: Die können j a zur deutschen Vertretung, zur deutschen Botschaft oder zum deutschen Konsulat in der Türkei oder im Iran gehen und ganz normal ein Einreisevisum für die Bundesrepublik Deutschland beantragen. Dann kommen die hierher und können Asyl beantragen. — Sie wissen genau, obwohl Sie das in der Öffentlichkeit so vertreten, daß die Flüchtlinge bei den deutschen Vertretungen keine Chance haben, ein Visum zu bekommen.
Um Sie beim Wort zu nehmen, haben wir hier einen Antrag eingebracht, der absichern soll, daß das, was Sie in der Öffentlichkeit verkünden, auch tatsächlich Wirklichkeit werden könnte, nämlich daß die Regierung ihre Auslandsvertretungen, die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland anweist, allen Flüchtlingen, die einen Sachverhalt vortragen, der einen Asylgrund beinhaltet, ohne weiteres unbürokratisch und rasch ein Visum auszustellen, mit dem sie in die Bundesrepublik Deutschland kommen können.
Wir verlangen in einer namentlichen Abstimmung Ihre Haltung dazu. Wir werden Sie dann in der Öffentlichkeit daran festhalten, wie Sie sich hier im Deutschen Bundestag zu dieser Frage gestellt haben.Inzwischen ist die Fraktion der GRÜNEN die einzige, die das Grundrecht auf Asyl und den liberalen Grundsatz des Grundgesetzes wirklich kompromißlos verteidigt. Für uns ist das Grundrecht auf Asyl unantastbar; aber wir wollen mehr, wir wollen die Wiederherstellung dieses Grundrechts. Wir wollen, daß die Menschen auch wieder freien Zugang zu diesem Grundrecht in der Bundesrepublik Deutschland haben können. Wir verlangen darüber hinaus, daß Flüchtlinge, die, weil sie in ihren Herkunftsländern um Leben und Gesundheit fürchten müssen, in die Bundesrepublik kommen, hier bleiben können und ein Bleiberecht bekommen. Der Kollege Hirsch hat darauf hingewiesen, daß es auch heute schon so ist, daß zahlreiche Flüchtlinge nicht abgeschoben werden können, obwohl sie von den Gerichten und den Behörden keinen Anspruch auf politisches Asyl zugesprochen bekommen.Wir sind der Auffassung, daß es unerträglich ist, daß sich diese Menschen — Sie sprechen davon, daß das 70 % sind — ohne gesicherten Rechtsstatus in der Bundesrepublik aufhalten müssen. Wir verlangen für diese Menschen Arbeitsmöglichkeiten, Arbeitserlaubnis, Freizügigkeit und einen gesicherten Rechtsstatus in jeder Hinsicht. Wir werden dafür einen Gesetzentwurf vorlegen.Aber wir sehen natürlich angesichts der Entwicklung und der neuen Gesetze, die heute zur Verabschiedung anstehen, daß das alles nicht genügt.Wir meinen unsere Verantwortung ernst nicht nur gegenüber unserer eigenen Vergangenheit und den Flüchtlingen, die in der Zeit von 1933 bis 1945 aus Deutschland in viele Länder der Erde fliehen mußten, sondern auch unsere Verantwortung für das, was in den Herkunftsländern der Flüchtlinge heute geschieht. Diese Verantwortung läßt es nicht zu, daß wir es hinnehmen können, daß Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland nicht aufgenommen, sondern zurückgeschickt werden, z. B. in den Libanon, in Verhältnisse, wo sie um Leben und Gesundheit fürchten müssen. Es gibt Beispiele von abgeschobenen Flüchtlingen, die im Libanon verschwunden sind, und Beispiele für Flüchtlinge, die im Libanon umgekommen sind, nachdem sie aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschoben worden sind.Wir meinen deshalb: Es ist an der Zeit, daß es auch in der Bundesrepublik Deutschland — orientiert an dem Beispiel der USA — eine „sanctuary"-Bewegung gibt, d. h. eine Bewegung, die sich direkt an die Seite der Flüchtlinge stellt und ihnen hilft, in der Bundesrepublik Deutschland bleiben zu können, auch wenn ihnen dieses Recht vorenthalten werden soll.Wir unterstützen Initiativen wie den Hungerstreik in Hamburg gegen die Auslieferung von Flüchtlingen in den Libanon. Wir unterstützen Initiativen wie die der GRÜNEN in Bremen für eine Freie Flüchtlingstadt Bremen. Wir unterstützen Initiativen wie die in Berlin für eine Fluchtburg Berlin für Flüchtlinge. Wir sind der Auffassung, daß es an der Zeit ist, daß wir gemeinsam mit Kirchen und anderen Organisationen, die sich wirklich dem Schicksal der Flüchtlinge annehmen, die Flüchtlinge vor diesem Staat und vor den Gesetzen, die Sie jetzt verabschieden wollen, schützen müssen, damit sie in der Bundesrepublik tatsächlich Asyl genießen und damit bleiben können, wie es vom Grundgesetzgeber vorgesehen ist.Deshalb werden wir gegen die Gesetze stimmen. Bei der Abstimmung über den Antrag der SPD werden wir uns der Stimme enthalten. Wir rufen dazu auf, die Bewegungen in der Bundesrepublik, die sich auf die Seite aller Flüchtlinge gestellt haben, in vielfältiger Weise zu unterstützen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Herr Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ströbele, Ihre völlig unbegründeten Angriffe gegen die Bundesregierung weise ich mit großem Nachdruck zurück, weil sie wirklich nicht den Tatsachen entsprechen. Man muß einmal deutlich sagen: Die
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19006 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt Bundesregierung hat in all der Zeit, die Sie angesprochen haben, eines deutlich gemacht: Asyl für die tatsächlich politisch Verfolgten, aber kein Asylrecht für die, die Mißbrauch mit dem Asylrecht betreiben. Das ist unsere Linie. Das muß auch heute deutlich gesagt werden. Dem dienen auch die Gesetze, die heute hier verabschiedet werden.
— Wenn Sie Zwischenrufe machen: Die Sozialdemokraten stellen j a auch immerhin eine Reihe von Bürgermeistern. Fragen Sie doch einmal Ihre Kommunalpolitiker, wie die Dinge draußen in den Gemeinden aussehen. Dann würden Sie hier nicht so wirklichkeitsfremd argumentieren.
Die Zahl der Ausländer, die in diesem Jahr bis Ende Oktober bei uns Asyl beantragt haben, beläuft sich inzwischen auf 91 000 Personen. Ich möchte das einmal in einen Vergleich setzen, um die Größenordnung zu verdeutlichen. Dies entspricht fast dem Eineinhalbfachen der Zahl der Asylbewerber, die 1985 in allen übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zusammen um Asyl nachgesucht haben. Und es entspricht etwa der Einwohnerzahl von Städten wie Iserlohn oder Trier.Wenn wir von den Interessen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bürger sprechen, sollten wir bei einem Thema wie diesem, das alle Verantwortlichen in unserem Land berührt, in Bund, Ländern und in den demokratischen Parteien auch zu gemeinsamem Handeln kommen.Wir müssen uns doch einmal folgendes vor Augen halten: Der Zustrom derjenigen Asylsuchenden, die keine Chance auf Anerkennung haben, hat inzwischen rund 80 % der Asylbewerber erreicht. Er hat ein Ausmaß angenommen, das zu einer Belastung für die Bundesrepublik Deutschland, für viele Städte und Gemeinden und auch zur Beunruhigung in der Bevölkerung führt.Wenn heute das Stichwort Ausländerhaß in die Debatte eingeführt wurde, dann möchte ich einmal deutlich sagen: Gerade weil wir wollen, daß Ausländerhaß in unserem Lande nicht gedeiht, wollen wir das Asylrecht für die wirklich Verfolgten schützen, aber den Mißbrauch des Asylrechts verhindern. Das ist die Zielsetzung, die auch im Interesse eines ordentlichen und sachgerechten Umgangs mit diesem Aufgabenbereich liegt.Wir wollen weiterhin ein Land bleiben, in dem die wirklich politisch Verfolgten Zuflucht finden können. Aber gerade wenn wir ihnen helfen wollen, müssen wir Maßnahmen wie die heutigen ergreifen und sicherstellen, daß der Mißbrauch des Asylrechts unterbunden wird. Die Bundesregierung hat deshalb begrüßt, daß in dem Spitzengespräch des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder und den Partei- und Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD, CSU und FDP am 25. September 1986 zwischen den Gesprächsteilnehmern Einigkeit darin bestand, alles zu tun, was bei der gegebenenVerfassungslage der Eindämmung des unkontrollierten Zustroms dienen kann.Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien haben dann eine ganze Reihe von Maßnahmen in die Wege geleitet. Nach intensiven Vorstellungen — auch unserer westlichen Nachbarn — hat die DDR Maßnahmen gegen eine unkontrollierte Einreise über Ost-Berlin getroffen. Wir hoffen zuversichtlich, daß hierdurch insgesamt eine Entlastung eintritt. Niemand kann aber heute sicher sagen, daß damit das Problem des Zustroms in die Bundesrepublik Deutschland unter mißbräuchlicher Berufung auf das Grundrecht auf Asyl dauerhaft gelöst sein wird.Mit den heute zur Abstimmung stehenden Änderungen des Asylverfahrensrechts, des Ausländerrechts, des Arbeitserlaubnisrechts ist der Rahmen dessen ausgeschöpft, was unter Einhaltung der entsprechenden Bestimmung unseres Grundgesetzes noch möglich ist. Mit diesen Maßnahmen sind wir aber auch an Grenzen gestoßen. Andere — das haben wir eben von Herrn Ströbele gehört — werden wieder von einer Asylpolitik der Abschreckung sprechen. Aber ich frage: Ist den Menschen wirklich gedient, wenn sie auf Grund unrealistischer Vorstellungen eine Entwurzelung aus ihrem Kulturkreis in Kauf nehmen, hier jahrelang Asylverfahren durchmachen und dann, weil die Gründe einfach fehlen, in ihre Heimat zurückkehren müssen?Ich nenne noch drei Bereiche, in denen wir nachdrücklich Maßnahmen ergriffen haben, um Verfahren zu beschleunigen. Die Bundesregierung hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge personell erheblich verstärkt, um durch kürzere Verfahrenszeiten sowohl den Berechtigten schneller zu ihrem Asylrecht zu verhelfen als auch dem Mißbrauch des Asylrechts Einhalt zu gebieten. Eine Verfahrensbeschleunigung läßt sich insgesamt aber nur dann erreichen, wenn auch die Bundesländer in ihren Bereichen — bei den Ausländerbehörden oder auch bei den Verwaltungsgerichten — die notwendigen Maßnahmen, die dringend geboten sind, ergreifen.
Einen Augenblick, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Ich möchte Ihnen gern ein bißchen mehr Ruhe verschaffen.
Meine Damen und Herren, auch der letzte Redner einer Debatte hat das Anrecht, gehört zu werden. Ich wäre dankbar, wenn diejenigen, die in den Saal kommen, ihren Platz einnehmen und den Saal nicht als ein Gesprächsforum benutzen.
Bitte, fahren Sie fort.
Die Bundesregierung begrüßt — das ist von dieser Stelle aus sicherlich noch einmal nachdrücklich zu unterstreichen —, daß sich die Innenministerkonferenz nunmehr intensiv mit dem Fragenkomplex befaßt und Abschiebungshindernisse überprüft, um sie eventuell möglichst schnell zu beseitigen. Denn es muß so sein, daß die,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19007
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidtdie nicht anerkannt worden sind, auch abgeschoben werden.Zum Schluß will ich noch den europäischen Aspekt ansprechen. Europa beginnt, seine Grenzen im Innenbereich durchlässiger zu machen, seine Rechtsordnungen anzugleichen. Hier ist auch der große Bereich des Asylrechts aufgerufen. Die Innenminister der EG-Staaten haben das schon am 20. Oktober 1986 in London vereinbart. Auf dem EGGipfel am 5. und 6. Dezember 1986 wird von deutscher Seite die Asylproblematik eingebracht werden. Noch in diesem Jahr werden sich die Vertragsparteien des Abkommens von Schengen, d. h. die Bundesrepublik Deutschland, die Benelux-Staaten und Frankreich, mit einer Harmonisierung des Asylrechts befassen.Zusammengefaßt, meine Damen und Herren, noch einmal für die Bundesregierung ein klares Ja zum Asyl für die, die tatsächlich politisch verfolgt sind, ein klares Nein zum Mißbrauch des Asylrechts. Dem dienen auch die heute hier zu verabschiedenden Vorlagen.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über die Punkte 2 a und 2 b der Tagesordnung, die Gesetzentwürfe des Bundesrats auf den Drucksachen 10/1164 und 10/3678.Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6416, diese Gesetzentwürfe in der Ausschußfassung anzunehmen.Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften mit Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Gesetzentwurf als Ganzes mit Mehrheit angenommen.Wir kommen dann zunächst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6417. Die sozialdemokratische Fraktion hat namentliche Abstimmung beantragt. Das Verfahren dazu ist Ihnen bekannt. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, muß mit der JaKarte entscheiden, umgekehrt verhalten sich diejenigen, die dagegenstimmen, und entsprechend diejenigen, die sich der Stimme enthalten. Ich eröffne die Abstimmung. —Ich weise darauf hin, daß anschließend eine zweite namentliche Abstimmung folgen wird.Die Schriftführer werden gebeten, im Saal zu bleiben und beim Auszählen zu helfen, wenn die Abstimmung geschlossen ist.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Damit kann ich feststellen, daß alle Abstimmungskarten abgegeben sind, die abgegeben werden sollten. Ich schließe die Abstimmung *). Ich bitte die Schriftführer, die Urnen auszuwechseln und die gefüllten hinauszutragen, damit wir gleich mit der zweiten Abstimmung beginnen können.Meine Damen und Herren, wir haben nun über den Entschließungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/6435 abzustimmen**). Die Fraktion der GRÜNEN verlangt hierzu gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Das Verfahren ist bekannt. Sind die Urnen ausgewechselt? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist die Abstimmung eröffnet.Denjenigen, die Auskünfte über die weiteren Verfahren haben wollen, möchte ich gerne sagen, daß wir im Anschluß an die beiden Abstimmungen eine Debatte haben werden, die 45 Minuten dauern soll. Dann erfolgt eine Abstimmung zum Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes. Damit wird aus zeitlichen Gründen eine weitere Abstimmung aus dem Fragenkreis derjenigen Tagesordnungspunkte, die ohne Debatte behandelt werden, verbunden. Dort gibt es einen Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf namentliche Abstimmung bei einer Verkehrsvorlage. Es kann sein, daß nach der Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes im Rahmen der Abstimmung über das Gesetz zur Ausführung der betreffenden Grundgesetzbestimmung eine Auszählung im Hammelsprung erforderlich ist, wenn von hier oben keine klare Mehrheit der Abgeordneten, die dem Haus angehören, festgestellt werden kann. Das heißt, von etwa 13.15 bis 13.30 Uhr stehen wir vor den nächsten zwei namentlichen Abstimmungen.Darf ich fragen, ob noch ein Abgeordneter im Saal ist, der seine Stimme nicht abgegeben hat? — Kann ich feststellen, daß wir die Abstimmung schließen können? — Dann ist diese geschlossen***). Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Wir hingegen fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerster , Doss, Frau Rönsch, Dr. Geißler, Dr. Dregger, Dr. Waigel und der Fraktion der CDU/CSU,der Abgeordneten Schäfer , Mischnick und der Fraktion der FDP,der Abgeordneten Tatge, Frau Hönes und der Fraktion DIE GRÜNEN sowieder Abgeordneten Delorme, Fischer und Genossen eingebrachten Entwurfs*) Ergebnis und Abstimmungsliste Seite 19009 D **) Erklärung zur Abstimmung Anlage 2***) Ergebnis und Abstimmungsliste Seite 19011 B
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19008 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Vizepräsident Westphaleines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache 10/4264 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/6398 —Berichterstatter:Abgeordnete Gerster Dr. Emmerlich
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerster , Doss, Frau Rönsch, Dr. Geißler, Dr. Dregger, Dr. Waigel und der Fraktion der CDU/CSU,der Abgeordneten Schäfer , Mischnick und der Fraktion der FDP,der Abgeordneten Tatge, Frau Hönes und der Fraktion DIE GRÜNEN sowieder Abgeordneten Delorme, Fischer und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren bei sonstigen Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs. 7 des Grundgesetzes— Drucksache 10/4265 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/6398 —Berichterstatter:Abgeordnete Gerster Dr. Emmerlich
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b 45 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Gerster.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die 2 000 Jahre alte Stadt Mainz lebt seit Anbeginn auf beiden Ufern des Rheins. Als die Römer an den Rhein kamen, errichteten sie ihr Lager auf beiden Ufern dieses Flusses. Das Castellum Mattiacorum auf der rechten Rheinseite gab zugleich dem heutigen Ort Kastel den Namen. 1184 feierte Kaiser Friedrich Barbarossa auf dem rechten Rheinufer bei Kostheim die glanzvolle Aufnahme seiner Söhne Heinrich und Friedrich in den Ritterstand. Geistliche und weltliche Fürsten aus ganz Europa kamen zusammen, um bei weltlich frohem Zusammensein
die geistige europäische Einheit zu feiern.
Aber Kostheim und Kastel sowie Amöneburg, das aus Kastel entstanden ist, feierten nicht nur glückliche Zeiten an der Seite von Mainz. Wann immer Mainz als Brückenkopf am Rhein Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen wurde, traf es die Bewohner der rechtsrheinischen Mainzer Vororte genauso, nicht selten sogar am ärgsten. So auch im Zweiten Weltkrieg, als die Innenstadt von Mainz zu 80% zerstört wurde, in Schutt und Asche lag und die neugeschaffene Zonengrenze zugleich die Trennung des linksrheinischen von dem rechtsrheinischen Mainz bedeutete.Für den Vertreter der rechtsrheinsichen amerikanischen Militärregierung hatte der folgende Vorgang kaum etwas Problematisches an sich. Vielmehr wollte er dem Wiesbadener Oberbürgermeister wohl einen Gefallen tun, als er diesem großzügig verkündete: Ich schenke dir diese drei Orte. Gemeint waren Mainz-Amöneburg, Mainz-Kastel und Mainz-Kostheim, das von da an verwaltungsmäßig von Wiesbaden mitverwaltet wurde.Spätestens da waren mit drei weiteren Stadtteilen 52 % des Stadtgebietes von Mainz auf der rechten Rheinseite von der Stadt abgetrennt, und erstmals in 2 000 Jahren war der Rhein nicht mehr Bindeglied, sondern Graben mitten durch eine jahrhundertelang gewachsene Wohn-, Lebens- und Gestaltungseinheit.Seit dieser Trennung gab es viele Versuche, die durch die Zonengrenze geschaffene willkürliche Trennung zu überwinden. Zunächst hieß es, man wolle dieses Problem im Rahmen der Länderneugliederung lösen, zu der man aber in der Zeit des Wiederaufbaus weder die Kraft noch die Zeit fand. Später hieß es, man könne dieses Problem nicht lösen, weil dann eine Neugliederung in Gang gesetzt würde, die man dann nicht mehr wollte. Also scheiterten alle Versuche, das Mainz-Problem zu lösen.Heute ist diese Lösung auf der Grundlage der beantragten Regelung des Grundgesetzes isoliert möglich. Für diese Regelung gibt es zwingende Gründe:Erstens. Mainz und seine drei rechtsrheinischen Vororte bilden seit 2 000 Jahren eine natürliche Lebenseinheit.Zweitens. Diese Einheit bestand auch und gerade vor Bildung der Großgemeinden zu Beginn dieses Jahrhunderts. Liegt doch der Kern der rechtsrheinischen Mainzer Vororte nur 500 Meter, nur durch den Rhein getrennt, von der Innenstadt von Mainz entfernt, während die Stadt Wiesbaden 12 km entfernt liegt.Drittens. Die Bildung von Zonengrenzen 1945 bedeutete eine willkürliche Trennung einer Kommune, die Folge der Zoneneinteilung und nicht Absicht war. Damals dachte niemand an eine endgültige Trennung.Viertens. Seit 1945 ist der Wille der ganz überwiegenden Mehrheit der Bürger für eine Rückgliederung nach Mainz. Das gilt auch und gerade für die jüngeren Jahrgänge. Diese Tatsache beweist: Die normative Kraft des Faktischen ist schwächer als
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19009
Gerster
das ausgeprägte Gerechtigkeitsgefühl selbstbewußter, mündiger Bürger.In dieser Lageeinschätzung gibt es nur eine gerechte und vertretbare Lösung. Der Bund, der für Fragen der Umgliederung und Grenzbereinigungen zwischen Bundesländern zuständig ist, muß in dem Streit zwischen Mainz und Wiesbaden, zwischen Rheinland-Pfalz und Hessen eine salomonische Entscheidung treffen,
nicht für die eine Seite, aber auch nicht für die andere Seite. Diese Entscheidung kann nur lauten: Laßt die betroffenen Bürger selbst entscheiden, und gebt ihnen dafür ein gerechtes und zugleich faires Verfahren.
Diesem Ziel dient die Gesetzesinitiative der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und GRÜNEN und von 39 Mitgliedern der SPD-Fraktion, die heute zur Entscheidung ansteht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Herr Präsident, ich möchte keine Zwischenfragen zulassen, weil die Zeit sehr knapp ist.
Diese Initiative bedeutet eben keine Entscheidung für Mainz und Rheinland-Pfalz, da danach die Bürger selbst zu entscheiden haben. Also ist dies eine Entscheidung ausschließlich zugunsten der Bürger, zugunsten des höchsten Souveräns.
Die Ablehnung dieser Entscheidung dagegen wäre eine Entscheidung gegen die Bürger und eine einseitige Parteinahme für Wiesbaden und für Hessen, da alles beim alten bliebe und die einseitige Willkürentscheidung des Jahres 1945 — damals gegen den Bürgerwillen getroffen, heute gegen den Bürgerwillen bestehend — verfestigt würde.
Ich appelliere daher an die SPD-Fraktion, an die Mitglieder einer Partei, die einmal angetreten ist, um mehr Demokratie zu wagen: Ist es mehr Demokratie, wenn Sie den Bürgern in den rechtsrheinischen Mainzer Vororten das Recht beschneiden, ihre eigene Entscheidung, die im Jahre 1945 übergangen wurde, wenigstens heute nachzuholen? Die Antwort lautet: Nein.
Ist es mehr Demokratie, wenn die Entscheidung eines Besatzungsoffiziers wichtiger wiegt als eine freie Entscheidung der Bürger in einer wahlgleichen Abstimmung? Die Antwort lautet: Nein.
Ist es mehr Demokratie, wenn Hessen und Wiesbaden, die AKK-Gemeinden gegen den standhaften, dauerhaften, eindeutigen Willen der Bürger behalten wollen? Auch diese Antwort lautet: Nein.
Ich habe Respekt vor meiner Wiesbadener Kollegin Hannelore Rönsch, die die AKK-Gemeinden als
Wiesbadener Abgeordnete auch in Zukunft lieber bei ihrer Heimatstadt Wiesbaden sähe.
Frau Rönsch ist aber Demokratin, die den Bürgerentscheid wichtiger nimmt als eine Notmaßnahme eines Besatzungsoffiziers, die zu revidieren längst überfällig ist.
Daher tritt sie für die Grundgesetzänderung und damit für die Entscheidung der Bürger und damit für die Demokratie ein.
Ich empfehle dem hessischen Ministerpräsidenten und dem Wiesbadener Oberbürgermeister Exner, eine Lehrstunde bei Frau Rönsch zu nehmen. In Sachen Demokratie können sie dabei einiges von dieser Kollegin lernen.
Im übrigen bitte ich alle Einsichtigen um Unterstützung für unsere interfraktionelle Initiative. Stimmen Sie zu, und lassen Sie die Bürger endlich und endgültig über ihre Zugehörigkeit zu Mainz oder Wiesbaden entscheiden! Nur auf diesem Wege ist eine gerechte Lösung möglich.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich Ihnen gern die von den Schriftführern mitgeteilten Ergebnisse der beiden Abstimmungen über die Entschließungsanträge mitteilen. Ich komme zunächst zum Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 10/6417. Bei der Abstimmung haben 370 Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben. Es war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben gestimmt 139, mit Nein 215; 16 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 368; davonja: 138nein: 214enthalten: 16JaSPDDr. Ahrens Antretter Bachmaier BambergBecker BernrathBerschkeitBindigFrau Blunck Brandt BrückBuckpesch Büchner Dr. von Bülow BuschfortCollet Curdt Daubertshäuser
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19010 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Vizepräsident Westphal DelormeDreßlerDr. Ehmke
Dr. EmmerlichDr. Enders EwenFiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Gerstl
GlombigGrunenberg Dr. Haack HaehserHansen
Frau Dr. HartensteinDr. HauchlerHauckHeimann HeistermannHerterich Frau Huber HuonkerImmer Jahn (Marburg)JaunichDr. JensJunghans Kastning KiehmKisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbowKretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lambinus Leonhart Frau Dr. LepsiusLiedtkeLöfflerLohmann
LutzFrau LuukFrau Matthäus-Maier MeininghausMenzelDr. Mertens
Dr. Mitzscherling MöhringMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert NagelNeumann Dr. NöbelFrau Odendahl Oostergetelo PauliDr. Penner Peter
PfuhlPorznerPoßRankerRapp ReimannFrau Renger ReuterRohde SanderSchäfer
Dr. Schmidt Schmidt (München)Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchreinerSchulte
Dr. Schwenk SielaffFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellStahl
Stiegler Stobbe StocklebenDr. StruckFrau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerUrbaniakVahlbergVerheugenDr. VogelVogelsangVoigt
VosenWartenberg WeinhoferWeisskirchen WestphalFrau WeyelWiefelvon der Wiesche Wimmer WischnewskiWitekDr. de WithWolfram ZeitlerDIE GRÜNENRusche TatgeNeinCDU/CSUFrau AugustinBayhaDr. Becker BergerDr. BernersBiehleDr. BlankDr. BlensBöhm
Dr. BötschBohlBohlsenBoroffkaBraun Breuer BrollBrunnerBühler BuschbomCarstensen ClemensDr. Czaj aDr. DanielsDawekeFrau Dempwolf DörflingerDolataDr. DollingerDossDr. Dregger EngelsbergerErhard
Dr. FaltlhauserFellnerFrau FischerFischer FunkGanz
Frau GeigerGerlach Gerster (Mainz)GlosDr. GöhnerDr. Götz Dr. GötzerGünther Dr. HäfeleHaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHerkenrathHinrichs Höffkes HöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornung Graf HuynJäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JobstJung
KalischFrau KarwatzkiKellerKiechle KittelmannKlein
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KolbKrausKreyKroll-SchlüterDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LangnerDr. Laufs LemmrichLenzerLink
Link LinsmeierLintnerDr. LippoldLohmann Dr. h. c. LorenzLouven Lowack MaaßFrau MännleMaginDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MikatDr. MiltnerDr. MüllerMüller Remscheid) Müller Wadern)Müller Wesseling) NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog Frau PackPeschPetersenPfeffermann Dr. PingerPöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweReddemann RepnikDr. Riesenhuber Rode Frau Rönsch
Frau Roitzsch
Rühe
RufSauer
Sauer SaurinSauter Sauter (Ichenhausen)Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz SchemkenSchlottmann Schmidbauer von Schmude Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder Schultz (Wörrstadt) Schulze (Berlin) SchwarzDr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerDr. SprungDr. Stark Dr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg StraßmeirStücklenSussetTillmannUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. Warrikoff WeirichWerner Frau Dr. Wilms WilzWindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Wittmann Dr. WörnerWürzbachDr. WulffZink
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19011
Vizepräsident Westphal FDPBaumBeckmannCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardDr. FeldmannGallusGattermann Genscher GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. HirschKleinert KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen PaintnerSchäfer
Frau Dr. Segall Wolfgramm
fraktionslosEickmeyerHandlosVoigt
EnthaltenDIE GRÜNENAuhagen BuebFrau EidFischer FritschFrau HönesMannDr. SchierholzSenfftStröbele TischerVogel VolmerFrau WagnerWerner Frau ZeitlerDamit ist der Entschließungsantrag der SPD abgelehnt worden.Ich komme zum Ergebnis der Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6435. Es haben 369 Kollegen ihre Stimme abgegeben. Keine Stimme war ungültig. Mit Ja haben gestimmt 19 Abgeordnete, mit Nein haben 345 Abgeordnete gestimmt; 5 Enthaltungen sind abgegeben worden.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 369; davonja: 19nein: 345enthalten: 5JaDIE GRÜNENAuhagen BuebFrau EidFischer FritschFrau HönesMannRuscheDr. SchierholzSenfft Ströbele TatgeTischerVogel VolmerFrau WagnerWerner Frau ZeitlerSPDImmer
NeinCDU/CSUFrau AugustinBayhaDr. Becker BergerDr. BernersBiehleDr. Blank Dr. Blens Böhm
Dr. Bötsch BohlBohlsen Boroffka BraunBreuerBrollBrunnerBühler BuschbomCarstensen ClemensDr. Czaja Dr. DanielsDawekeFrau Dempwolf Dörflinger DolataDr. DollingerDossDr. Dregger EngelsbergerErhard
Dr. FaltlhauserFellnerFrau FischerFischer FunkGanz
Frau Geiger Gerlach Gerster (Mainz)GlosDr. Göhner Dr. GötzDr. Götzer GüntherDr. Häfele HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. Hennig Herkenrath HinrichsHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornung Graf Huyn Jäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JobstJung
KalischFrau KarwatzkiKellerKiechleKittelmannKlein
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KolbKrausKreyKroll-SchlüterDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. Langner Dr. Laufs Lemmrich LenzerLinkDiepholz)Link Linsmeier LintnerDr. LippoldLohmann Dr. h. c. LorenzLouvenLowackMaaßFrau MännleMaginDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MikatDr. Miltner Dr. MüllerMüller
Müller
Müller
NelleFrau Dr. NeumeisterNiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog Frau PackPeschPetersenPfeffermann Dr. Pfennig PöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweReddemann Regenspurger RepnikDr. RiesenhuberRode Frau Rönsch
Frau Roitzsch
Rühe
RufSauer
Sauer
SaurinSauter
Sauter
Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz SchemkenSchlottmann Schmidbauer von Schmude Schneider
Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffSchultz
Schulze
SchwarzDr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerDr. SprungDr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg StraßmeirStücklenSussetTillmannUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-ZeilDr. Warnke Dr. Warrikoff WeirichWerner Frau Dr. Wilms WilzWimmer
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19012 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Vizepräsident Westphal WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Wittmann Dr. WörnerWürzbachDr. WulffZinkSPDDr. Ahrens AntretterBachmaier BambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau Blunck BrandtBrückBuckpesch Büchner
Dr. von Bülow Buschfort ColletCurdtDaubertshäuser DelormeDreßlerDr. Ehmke
Dr. Enders EwenFiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) Gerstl (Passau)GilgesGlombigGrunenberg Dr. Haack HaehserHansen Frau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerHauckHeimann Heistermann Herterich Frau Huber HuonkerJahn JaunichDr. JensJunghans Kastning KiehmKisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbowKretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Leonhart LiedtkeLöfflerLohmann LutzFrau LuukFrau Matthäus-Maier MeininghausMenzelDr. Mertens Dr. Mitzscherling MöhringMüller
Müller
Dr. Müller-Emmert NagelNeumann Dr. NöbelFrau Odendahl Oostergetelo PauliDr. Penner Peter
PfuhlPorznerPoBRankerRapp ReimannFrau Renger ReuterRohde SanderSchäfer
Dr. Schmidt Schmidt (München) Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner Schulte
Dr. Schwenk SielaffFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellStahl
StieglerStobbeStockleben Dr. Struck Frau TerborgTietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Urbaniak VahlbergDr. VogelVogelsangVoigt
VosenWartenberg WeinhoferWeisskirchen WestphalFrau Weyel Wiefelvon der Wiesche Wimmer WischnewskiWitekDr. de With Wolfram
Zeitler
FDPBaumBeckmannCronenberg Eimer (Fürth)EngelhardDr. FeldmannGallusGattermann Genscher GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. Hirsch KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick MöllemannNeuhausenPaintnerSchäfer
Frau Dr. Segall Wolfgramm
fraktionslosEickmeyerHandlosVoigt
Damit ist auch dieser Entschließungsantrag abgelehnt worden.Wir fahren nun in der Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die jetzt zu Wiesbaden gehörenden Ortsteile Amöneburg, Kastel und Kostheim haben bis 1945 zu Mainz gehört. Sie waren 1907 bzw. 1911 in Mainz eingemeindet worden.Die Gebietsabgrenzung zwischen den Bundesländern ist nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend durch die Besatzungsmächte erfolgt. Diese richteten sich bei der Festlegung der Ländergrenzen zunächst einmal nach den Grenzen der Besatzungszonen. Nur drei der Länder, die 1949 die Bundesrepublik bildeten, waren historisch überkommene Gebietseinheiten,
nämlich Bayern, Hamburg und Bremen.
Geschichtliche, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenhänge wurden bei der Grenzziehung zwischen den Ländern unmittelbar nach Kriegsschluß vielfach nicht beachtet.Meine sehr geehrten Damen und Herren, dem hatte das Grundgesetz durchaus Rechnung getragen, indem es in Art. 29 in seiner ursprünglichen Fassung einen verbindlichen Verfassungsauftrag zur Neugliederung des Bundesgebietes unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges enthielt. Die Neugliederung sollte nach Art. 29 Abs. 1 Satz 2 Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam zu erfüllen in der Lage waren. Art. 29 sah zur Durchführung der Neugliederung Volksbegehren und Volksentscheide vor. Acht Volksbegehren wurden initiiert, sechs von ihnen kamen zustande.Zur Vorbereitung der Gesamtneugliederung, die man damals ins Auge faßte, jedenfalls in weiten Kreisen, hatte 1955 eine Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Reichskanzlers Luther ein Gutachten erstattet und 1973 eine vom BundesinEnthaltenSPDFrau Fuchs
LambinusFrau Dr. LepsiusFrau Schmidt Verheugen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19013
Dr. Emmerlichnenminister eingesetzte Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Staatssekretärs Ernst.Einen Abschluß fand die Neugliederungsdiskussion durch das Gesetz vom 23. August 1976, durch das mit der 33. Änderung des Grundgesetzes der Art. 29 des Grundgesetzes seine jetzige Fassung erhielt. Der verbindliche Verfassungsauftrag zur Neugliederung wurde beseitigt. Eine Neugliederung des Bundesgebietes blieb und bleibt allerdings möglich, jedoch nur unter den in Art. 29 aufgeführten materiellen und formellen Voraussetzungen.Nach diesen 1976 in Art. 29 festgelegten Voraussetzungen ist eine Rückgliederung der ehemaligen rechtsrheinischen Mainzer Vororte Amöneburg, Kastel und Kostheim nicht erreichbar. Das ist der Grund dafür, daß die Antragsteller eine Ergänzung des Art. 29 Abs. 7 des Grundgesetzes vorschlagen.Die SPD-Bundestagsfraktion hält diesen Vorschlag nicht für begründet.
— Wir entscheiden mit Mehrheit; ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist, Herr Mann.Die 33. Änderung des Grundgesetzes im Jahre 1976, Herr Mann, hatte den Sinn, das Provisorische und Vorläufige, das der gebietlichen Gliederung der Bundesrepublik auf Grund ihrer Entstehungsgeschichte anhaftete, zu beenden. Der auf Grund seiner Geburtswehen labile Bundesstaat sollte stabil werden, eine zwar nicht endgültige und zementierte Stabilität erhalten, aber doch eine solche, bei der durch die Verfassung abschließend festgelegt wird, unter welchen Voraussetzungen eine Neugliederung des Bundesgebietes oder eine Veränderung von Ländergrenzen möglich ist.1976 waren die Forderungen nach einer Rückgliederung von Amöneburg, Kastel und Kostheim bekannt. Eine Initiative des damaligen Mainzer Bundestagsabgeordneten Dr. Hofmann, Grenzänderungen bis zu 50 000 Einwohnern durch Staatsvertrag oder durch einfaches Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates zuzulassen, hatte keinen Erfolg.
Es wurde vielmehr entschieden, daß Grenzkorrekturen von untergeordneter Bedeutung zwar in einem vereinfachten Verfahren weiterhin möglich sein sollten, jedoch nur dann, wenn in den davon betroffenen Gebieten nicht mehr als 10 000 Einwohner leben.Die Grundlagen für diese Entscheidung des Jahres 1976 haben sich seit dieser Zeit nicht verändert. Es ist infolgedessen nicht angängig, das Grundgesetz zur Regelung des Einzelfalles Mainz erneut zu ändern.Dazu besteht auch deshalb kein hinreichender Anlaß, weil die Rückgliederung von Amöneburg, Kastel und Kostheim nicht aus Gründen einer besseren Gebietsabgrenzung zwischen den Bundesländern Hessen und Rheinland-Pfalz, sondern aus kommunalen Gründen angestrebt wird.Es gibt in der Bundesrepublik eine Reihe von Fällen, in denen Wünsche nach einer kommunalen Neugliederung deshalb nicht verwirklicht werden können, weil die entsprechenden Gebiete anderen Ländern zugehören.
Würde der Forderung nach Rückgliederung von Amöneburg, Kastel und Kostheim stattgegeben, so wäre damit ein Präzedenzfall für die anderen gleich oder ähnlich liegenden Fälle geschaffen.
Es ist auch keine innere Rechtfertigung dafür erkennbar, daß Grenzkorrekturen nur auf solche Fälle beschränkt werden, in denen die Einheit von Gemeinden in der Zeit zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Inkrafttreten des Grundgesetzes verlorengegangen ist. Die Einheit von Gemeinden ist auch zu anderen Zeiten und aus ähnlichen, aber gleiche Wirkungen auslösenden Gründen aufgelöst worden, aus Gründen, die folgerichtig gleichermaßen berücksichtigt werden müßten.In jedem Fall, meine sehr geehrten Damen und Herren, wäre damit zu rechnen, daß sich andere auf die heute vorgeschlagene Grundgesetzänderung berufen
und verlangen, auch die Regelung ihrer kommunalen Probleme notfalls durch eine weitere Verfassungsänderung zu ermöglichen.
Einer solchen Entwicklung muß entgegengewirkt werden. Sie könnte zu einer unerwünschten Störung der Beziehungen zwischen den Bundesländern, zu einem Wiederaufleben der Neugliederungsdiskussion insgesamt führen und damit die erreichte Stabilität der förderativen Struktur der Bundesrepublik in Frage stellen.Wir haben durchaus Respekt vor dem Wunsch nach Rückgliederung der Ortsteile Amöneburg, Kastel und Kostheim.
Übergeordnete bundespolitische Gesichtspunkte sind jedoch so gewichtig,
daß sie letztlich den Ausschlag geben müssen. Vielen Dank.
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19014 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede meines Kollegen Dr. Emmerlich war zwar juristisch gesehen ein schöner Vortrag,
eine formalistisch sicher einwandfreie Leistung, aber es wäre ehrlicher gewesen, Sie hätten hier gesagt, Herr Kollege Emmerlich: Das Land Hessen und Ministerpräsident Börner haben uns gebeten, hier nicht mitzumachen.
Das ist doch der einzige Hintergrund, den Sie hier bitte auch wirklich ehrlich hätten ansprechen sollen.
41 Jahre nach der unsinnigen Teilung meiner Vaterstadt Mainz, bedingt durch die willkürliche Grenzziehung bei der Einrichtung alliierter Besatzungszonen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges,
unternehmen wir heute den Versuch, über Parteigrenzen, ideologische Gegensätze und auch über Ländergrenzen hinweg ein Stück Bürgerwillen in diesem Hohen Haus zu verwirklichen. Wir, die wir so oft von der Notwendigkeit der Überwindung der deutschen Teilung reden, haben hier Gelegenheit, eine kleinere — wenn auch genauso schmerzliche — Wunde zu heilen,
die der verhängnisvolle Krieg einer Stadt geschlagen hat, die in der Mitte der Bundesrepublik liegt, die auf eine 2000jährige, große und wechselvolle Geschichte zurückschauen kann, die zu den historisch bedeutendsten Gemeinden unseres Landes zählt.
Die Teilung meiner Vaterstadt Mainz durch die simple Anweisung eines amerikanischen Obersten, ihre rechtsrheinischen Vororte Kastel, Kostheim und Amöneburg Wiesbaden und damit dem späteren Land Hessen zuzuschlagen, wurde von den Bürgern links und rechts des Rheines niemals akzeptiert.
Auch der damalige Wiesbadener Oberbürgermeister stellte gegenüber seinem Kollegen in Mainz 1945 fest, Wiesbaden habe diese Eingemeindung nicht erstrebt; infolgedessen sehe man den gegenwärtigen Zustand nur als ein Provisorium an. Nun richten sich aber Provisorien gerne fest ein — man
sieht das hier an diesem Hause —, noch dazu, wenn sie deutsche Provisorien sind.
Mittlerweile will Wiesbaden von der alten Treuhänderschaft nichts mehr wissen und betrachtet die rechtsrheinischen Mainzer Vororte als seinen eigenen Besitzstand. Groteskerweise spricht der heutige Wiesbadener Oberbürgermeister davon, daß die Ihnen heute vorliegenden Gesetzentwürfe eine willkürliche Veränderung der Landesgrenzen seien.
Damit stellt er die Dinge auf den Kopf.
Willkürlich war allein die von den Besatzungsmächten 1945 geschaffene Grenzziehung. Eine Initiative des Deutschen Bundestages, Herr Kollege Emmerlich, die den betroffenen Menschen entgegenkommt, ist aber alles andere als willkürlich,
um so mehr als wir eine Volksbefragung für sie ausdrücklich vorsehen, und dies, obwohl sich erst im Juli dieses Jahres bei einer Umfrage fast zwei Drittel für die Rückgliederung nach Mainz ausgesprochen haben. Gerade in Bonn, das ebenso wie Köln seine rechtsrheinischen Vororte hat, wird man verstehen, welch ein Unsinn es wäre, etwa Beuel oder Deutz von ihren Mutterstädten zu trennen. Sie sind integrale Bestandteile ihrer Städte.
— Tut mir leid.
Herr Abgeordneter!
Nein. Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe nur eine sehr kurze Redezeit.
Als solche empfinden sich auch die betroffenen Ortsteile Amöneburg, Kostheim und Kastel.Es hat in der Vergangenheit nicht an Versuchen gefehlt, die Amputation der Stadt Mainz zu korrigieren. Schon am 8. September 1945 einigten sich die obersten Repräsentanten der Städte Mainz und Wiesbaden darüber, daß die bisherigen Ortsbezeichnungen Mainz-Amöneburg, Mainz-Kastel und Mainz-Kostheim beibehalten werden sollten. Und sie sind es bis heute geblieben. Sogar die Regierung des Landes Hessen billigte diese Vereinbarung 1946.
Die von den Mainzern schon immer vertretene Auffassung, die mündliche Anordnung eines amerikanischen Offiziers sei rechtsunwirksam, erhieltDeutscher Bundestag — 10. Wahlneriode — 246. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 13. November 1986 19015Schäfer
Schützenhilfe selbst von dem damaligen Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte, dem späteren Präsidenten General Eisenhower, der zwar den Rhein definitiv zur Grenze der amerikanischen Besatzungszone erklärte, aber darüber hinaus bestimmte, daß das deutsche Recht weiterhin gelten solle, sofern es nicht ausdrücklich aufgehoben worden sei.Im Juli 1948 übergab der damalige Oberbürgermeister Kraus in Mainz dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Altmeier ein Memorandum zur AKK-Frage. Altmeier wandte sich daraufhin an seinen hessischen Amtskollegen Zinn. Dieser stellte sich aber taub. Auch plakative Aktionen wie etwa zum 10. Jahrestag der Amputation fruchteten nichts.Die 1976 vorgenommene Änderung des Art. 29 des Grundgesetzes, Herr Kollege Emmerlich, war leider wiederum auf Mainz nicht anwendbar.Die Mainzer Bürger sind der Vertröstungen überdrüssig. Die in diesem Haus so häufig beschworene Gemeinschaft aller Demokraten,
der so viel schales Pathos anhaftet, hier kann sie sich wirklich einmal beweisen. Die Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf wäre sicher kein Erfolg einzelner Parteien, sondern ein Erfolg für alle Mainzer Bürger.Ich darf an dieser Stelle sagen: Gerade wir Liberalen nehmen die Gelegenheit wahr, denen zu danken, die seit Jahren in Bürgerinitiativen in Mainz sich für die Rückgliederung eingesetzt
und seit Jahrzehnten für das gekämpft haben, was wir heute hier beschließen können.
Hier stehen sich also nicht Parteien gegenüber. Der Bundestag muß die Frage beantworten, ob er dem Wunsch der Mainzer Bürger entsprechen will und ihre alten Stadtgrenzen wieder herstellen kann.
Der Bürgerwille darf nicht an der Starrheit föderaler Prinzipien in der deutschen Politik scheitern, Herr Kollege Schmitt. Das ist doch der Punkt, um den es heute geht. Es sind nicht die historischen Bande allein, die unser Anliegen rechtfertigen. Nach wie vor geht ein Großteil der rechtsrheinischen Mainzer Schüler in linksrheinische Schulen. Sicher gehen auch einige in die Kasteler Gesamtschule. Das finde ich gut. Die Bürger informieren sich vornehmlich über die „Mainzer Allgemeine Zeitung". Ob Theater, Universität, ob Krankenhaus, ob Einkaufszentrum, Mainz wird von den Bürgern der AKK-Gemeinden als ihre Stadt angesehen. Ich darf vielleicht noch einen Punkt hier nennen, der viel wichtiger als all das ist: Der Mainzer Karnevalohne die Beteiligung der rechtsrheinischen Vororte wäre nahezu undenkbar — was beweist, wohin diese Vororte gehören.
Es sind auch die nach wie vor bestehenden engen menschlichen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen, die diese Stadt zusammenhalten.Das immer wieder angeführte Argument, lieber Herr Kollege Schmitt, Mainz könne der Einstieg in eine grundsätzliche Neuordnung des Bundesgebiets sein — so auch Herr Emmerlich —, ist unzutreffend.
Zunächst ist Mainz die einzige geteilte Stadt im Bundesgebiet.Es geht auch nicht primär um die Frage einer Änderung der Landesgrenzen von Hessen oder Rheinland-Pfalz. Bei nüchterner Betrachtung kann man in einem Gebietsverlust von 0,05 % und der Reduzierung der Bevölkerung Hessens um 1/2% doch keine existentielle Gefährdung des Landes Hessen erkennen.
Die hessische SPD, die Sorge hat, ihre Landeskinder im „schwarzen" Rheinland-Pfalz, wie ich höre, Nachteilen auszusetzen, kann ich zudem beruhigen.
Zum einen werden wir Liberalen, Herr Kollege Mann, im nächsten Landtag für frischen Wind sorgen,
zum zweiten hat Herr Scharping — vielleicht schreien Sie jetzt nicht mehr so laut; er braucht ja nach Hamburg und Bayern Ihre Unterstützung sehr nachhaltig — schon ein Schattenkabinett vorgestellt. Ich weiß nicht, ob Sie darin vorgesehen sind. Zum dritten ist Mainz zwar eine — wie es sich nennt — „goldige" Stadt, hat aber dennoch einen „roten" Oberbürgermeister.
Gemeinsam mit den Christdemokraten — Herr Schmitt, so etwas wäre in Wiesbaden gar nicht möglich — hat die Mainzer FDP als Nachfolger von Jokkel Fuchs wiederum einen SPD-Kandidaten, Hermann-Josef Weyel gewählt. Also, wir sind über unseren Schatten gesprungen. Jockel Fuchs hat daraufhin verkündet, daß die politische Öffentlichkeit in der Bundesrepublik sehr wohl beachtet hat, wie Mainz die Weichen für die Zukunft gestellt hat. Jetzt schauen die Mainzer auf den Bundestag und auf die SPD-Fraktion, um einmal festzustellen, wie sie die Zukunft ihrer Heimatstadt gestalten werden.
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19016 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Schäfer
Meine Damen und Herren, es ist nicht kleinbürgerliche Heimattümelei, die uns heute bewegt. Die „Mainzer Allgemeine Zeitung" hat dazu geschrieben:Ihr Votum am Donnerstag wird zeigen, ob man in Bonn noch ein Gefühl für Bürgernähe hat oder ob man dort ein gewichtiges und ernstzunehmendes Anliegen von vielen tausend AKKBewohnern als Provinzposse abtut und aus rein parteitaktischen Gründen vom Parlamentstisch wischen will.Gerade als außenpolitischer Sprecher der FDP sage ich Ihnen: Kosmopolitismus der Menschen hat seine Wurzeln in der Heimatverbundenheit. Meine Fraktion steht geschlossen für diesen Antrag.
Ich appelliere an Sie, meine Kollegen von der SPD: Machen Sie doch bitte heute das Wahlkampfmotto Ihres Kandidaten Rau endlich wahr: Versöhnen statt Spalten.
Helfen Sie mit, die unsinnige und ungerechte Spaltung einer Stadt mitten in Deutschland zu beenden und damit Gegensätze zu versöhnen, die nicht wir, sondern ein grausamer Krieg geschaffen hat.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Tatge .
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der so hoffnungsvolle Anfang für diese gemeinsame Gesetzesinitiative quer zu den Parteien scheint nun in den letzten Wochen und Monaten immer mehr zu einem parteipolitischen Gerangel zu verkommen. Wir, DIE GRÜNEN im Bundestag, aber auch unsere Kolleginnen und Kollegen in Mainz wie in Wiesbaden halten uns heraus aus dem politischen Gerangel
zu Lasten der AKK-Bevölkerung und der absurden Diskussion über die Interpretation des Befragungsergebnisses.
Deswegen noch einmal klar und deutlich die Fakten: Bei der Befragung, ob die Bewohner der Gemeinden Amöneburg, Kastel und Kostheim lieber zu Mainz oder zu Wiesbaden gehören wollen, gab es eine Wahlbeteiligung von 69,1 %. Man muß darauf hinweisen, daß zum einen diese Befragung freiwillig war und zum anderen das Ergebnis der Beteiligung höher lag als die Beteiligung bei der letzten Kommunalwahl in Mainz und Wiesbaden.
Im Mainzer Vorort Kastel stimmten knapp 60 % für die Zugehörigkeit zu Mainz, in dem Vorort Kostheim fast 66 % für eine solche Lösung. Der Ort Amöneburg sprach sich mehrheitlich dafür aus, nach Wiesbaden eingegliedert zu werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmitt?
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß diese Befragung auf Grund einer Vereinbarung zwischen der Stadt Mainz und der Stadt Wiesbaden erfolgte, daß der Fragenkatalog vereinbart wurde, daß vor dem Ergebnis der Befragung beide Städte eine verbindliche Bewertung dieser Befragung vereinbart hatten und daß diese Bewertung nun dieses Ergebnis gebracht hat, daß sich keine Mehrheit der Bürger in AKK für eine Rückkehr nach Mainz ausgesprochen hat? Ist Ihnen auch die Erklärung in der Mainzer Presse vom 14./15. bekannt: „Wer bei der Meinungsumfrage nicht mitstimmt, votiert für Wiesbaden"?
Einen Augenblick, Herr Kollege. Sie können jetzt doch keine Debatte über diese Reform machen!
Das ist mir alles sehr wohl bekannt, Herr Kollege. Ich sage auch gleich noch etwas dazu. Ihre Interpretation ist falsch, ist rechtlich unzulässig und undemokratisch. Aber dazu sage ich gleich noch etwas.
Daß der Wiesbadener Oberbürgermeister nun die Grundsätze des allgemeinen Wahlrechts auf den Kopf stellt, indem er die Wahlberechtigten, die sich nicht an der Befragung beteiligt haben, Herr Kollege Schmitt, einfach als Gegner der Rückgliederung an Mainz hinzurechnet, spricht in seiner Peinlichkeit für sich selbst.
Man muß an dieser Stelle auch die Sozialdemokratie daran erinnern, daß die SPD-Ortsvereine in Amöneburg, Kastel und Kostheim sowie auch die SPD-Kandidaten zum Wiesbadener Stadtrat vor der letzten Kommunalwahl in einem offenen Brief dazu erklärt haben — ich zitiere —, „daß die SPD beim Vorhandensein parlamentarischer Mehrheiten nach der Kommunalwahl die Bürgerumfrage tätigen und den daraus bekundeten Bürgerwillen zum Inhalt ihres parlamentarischen Handelns machen wird".
Meine Damen und Herren von der SPD, was Sie vor den Wahlen in Wiesbaden wie in den AKK-Gemeinden erklärt haben, müssen Sie nach der Wahl — jetzt, wo es eine Mehrheit gibt — auch durchführen!
Für die demokratischen Bewegungen in Deutschland hat gerade die Gründung der ersten freien Republik auf deutschem Boden im Jahre 1792, eben der Mainzer Republik, eine große Bedeutung. Adam Philippe Custine, General der Armeen der Republik, erließ folgenden „Aufruf an die gedrückte
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19017
TatgeMenschheit in Deutschland im Namen der Frankenrepublik" — ich zitiere —:Eine Nation, welche zuerst allen Völkern das Beispiel gegeben hat, zu ihren Rechten zurückzukehren, bietet Verbrüderung, bietet Freiheit euch an. Euer eigener, unerzwungener Wille soll euer Schicksal entscheiden. Selbst dann, wenn ihr die Sklaverei den Wohltaten vorziehen würdet, mit welchen die Freiheit euch winkt, bleibt es euch überlassen, zu bestimmen, welcher Despot euch eure Fesseln zurückgeben sollte.Meine Damen und Herren, das sollte auch für Sie verbindlich sein, wenn die Mehrheit der Bevölkerung — was Sie scheinbar ganz negativ beurteilen — zurück nach Rheinland-Pfalz, aber vor allem zurück nach Mainz will.
Der zweite für meine Fraktion wichtige Grund war, daß wir als basisdemokratische Partei bei vielen Fragen die Abstimmung der Bevölkerung über ihre Angelegenheiten, d. h. ein Stück mehr Demokratie, wollen. Die Mainzer wie die Wiesbadener GRÜNEN und auch die Bundestagsfraktion begrüßen die durch die Gesetzesänderung im Bundestag ermöglichte Volksabstimmung und Volksbefragung nach den Prinzipien der geheimen, gleichen und allgemeinen Wahl, die meiner Meinung nach ein klares und eindeutiges Ergebnis — wie schon in der Befragung aufgezeigt — erbringen wird.Dabei ist für uns natürlich klar, daß zu fordern ist, daß die ausländischen Mitbürger an dieser Abstimmung beteiligt werden.
Auch fragen wir die CDU, wieso sie in diesem Fall für eine Abstimmung plädieren kann, wo sie doch in anderen Fällen strikt dagegen ist.
Dies ist für mich ein Widerspruch.
Erlauben Sie mir, auch noch einmal persönlich zu begründen, warum ich mich als einziger pfälzischer Abgeordneter meiner Fraktion und als Nichtmainzer stark für diesen Gesetzentwurf und seine Realisierung eingesetzt habe. Über die auch von mir für wichtig gehaltenen zwei genannten Gründe hinaus möchte ich auf einen historischen Zusammenhang eingehen:Die Gründung der freien Mainzer Republik, aber auch in anderen Gebieten des Rheinlandes, im Strich zwischen Landau und Bingen, wie es damals hieß, die Gründung der freien Republik Bergzabern, war eine der Grundbedingungen für die Begründung einer demokratischen Tradition in Südwestdeutschland. Diese demokratische Tradition gipfelte — auf dem Wege über das Aufbegehren des Hambacher Festes im Jahre 1832 — in der badischpfälzischen Revolution im Jahre 1848/49. Rund 13 000 Pfälzer hatten sich zu einer Revolutionstruppe zusammengeschlossen und versuchten, die demokratischen Errungenschaften in Südwestdeutschland mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben zu verteidigen.
Herr Kollege, an geschichtlichen Abhandlungen ist in dem Ihnen zur Verfügung stehenden Zeitraum nichts mehr unterzubringen.
Ich komme sofort zum Schluß, bitte aber, die Frage des Kollegen Schmitt anzurechnen.
Dazu hatte ich Ihnen schon Zeit gegeben. Sie müssen jetzt einen schönen Schlußsatz finden.
6 000 zogen über den Rhein nach Baden, um dort die Menschen, die in dem gleichen Kampf standen, zu unterstützen. Eine gewichtige Rolle spielte das 1 000 Mann starke rheinhessische Armeecorps, das in vielen Orten in der Pfalz kämpfte. Die letzten 40 rheinhessischen Schützen wurden am 14. Juni 1849 im Schloßgarten in Kirchheimbolanden von den einmarschierenden preußischen Truppen blutrünstig gejagt und erschossen.
Herr Kollege, ich finde es nicht nett, daß Sie die Anweisung des Präsidenten nicht berücksichtigen.
Der letzte Satz: Nehmen Sie meine Bemühungen als einen späten und kleinen Dank der Pfalz an Mainz und Rheinhessen.
Danke schön, Herr Präsident.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rönsch.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Brücken verbinden. Die Theodor-Heuss-Brücke über den Rhein bei Stromkilometer 498 verbindet die Wiesbadener Vororte Mainz-Amöneburg, Mainz-Kastel und Mainz-Kostheim mit der Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz, Mainz. Um dieses Kuriosum verstehen zu können, muß man wissen, daß die damals dem Regierungsbezirk Rheinhessen angehörenden Gemeinden Amöneburg, Kastel und Kostheim am 19. September 1945 durch Proklamation Nr. 2 der amerikanischen Militärregierung dem Land Hessen zugeteilt wurden. Das ehemalige Stadtgebiet von Mainz wurde dadurch auf zwei verschiedene Bundesländer aufgeteilt, und der Rhein wurde zur Trennungslinie zwischen der französischen und der amerikanischen Besatzungszone. Die Herzen eines Großteils der Bürger in AKK — so die Abkürzung für die drei Vororte — schlugen dann immer noch für die Vaterstadt Mainz. Mainz war das nahe Einkaufsziel, das man zu Fuß über die Brücke erreichen konnte, das Rathaus war nahe, und viele Eltern schickten verständlicherweise aus Hessen ihre Kinder nach Rheinland-Pfalz in die Schule. Je nä-
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19018 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Frau Rönsch
her die Fastnachtskampagne rückte, um so mehr fühlten sich die AKKler als echte „Määnzer". Auch die sprachliche Verwandtschaft dieser drei Vororte mit dem linksrheinischen Mainz ist deutlich festzustellen.
Es kam zwar immer mal wieder der Wunsch nach einer Rückgliederung auf, aber die Bürger hatten sich, Herr Kollege Schmitt, allmählich an den Zustand der Länderneugliederung gewöhnt und waren eigentlich ganz zufrieden mit Hessen.Dann kam aber die Kommunalwahl 1985 in Hessen. Um Stimmen in den drei Stadtteilen einzufangen, versprach der damalige SPD-Oberbürgermeisterkandidat — es wurde eben von den GRÜNEN, die Ihnen da eine Nachhilfestunde in Demokratie gegeben haben, darauf hingewiesen —, die Wiesbadener SPD werde die Bürgerumfrage
— meine Damen und Herren Kollegen von der SPD, ich würde an dieser Stelle mal zuhören, denn das waren Zusagen, die vor der Wahl gegeben wurden — über die endgültige Zugehörigkeit von AKK und den damit bekundeten Bürgerwillen zum Inhalt ihres parlamentarischen Handelns machen.
Diese Aussage des dann später gewählten Oberbürgermeisters stellte sich aber ganz schnell als wahltaktische Überlegung heraus, da er sich den Konsequenzen, die sich aus diesem Versprechen ergaben, in gar keinem Falle stellen wollte.Nachdem aber vor der Kommunalwahl dieser erste Schritt durch die SPD getan und die Zusage für eine Bürgerbefragung gegeben wurde, sah sich nun die CDU/CSU-Fraktion veranlaßt, den zweiten Schritt — von Ihnen versprochenen Schritt — zu vollziehen. Abgeordnete aller Fraktionen aus Hessen und Rheinland-Pfalz brachten einen Gesetzentwurf ein, der eine Lösungsmöglichkeit für die drei AKK-Vororte aufzeigte. Danach soll Art. 29 Abs. 7 des Grundgesetzes dahin geändert werden, daß kleinere Änderungen des Gebietsbestandes der Länder durch Staatsvertrag der betroffenen Länder oder durch Bundesgesetz ermöglicht werden. Gebiete, die nicht mehr als 30 000 Einwohner besitzen und zwischen dem 8. Mai 1945 und dem Inkrafttreten des Grundgesetzes von der aufnehmenden Gemeinde getrennt worden sind, können dann über eine Landesgrenze hinweg zurückgegliedert werden. Das gilt nur für die AKK-Gemeinden, auch wenn vorhin wider besseres Wissen von der SPD-Fraktion etwas anderes behauptet wurde.Mit diesem Gesetzentwurf hat man die Grundlage für die Konsequenzen aus einer Bürgerbefragung geschaffen. Das aber geht nun Teilen der SPD zu weit. Aufgeschreckt, daß andere jetzt aus SPDWahlversprechen Konsequenzen gezogen haben, stellten Sie, Herr Kollege Schmitt, dann fest, die AKK-Rückgliederung könne nicht im Interesse derSPD sein. So einfach ist es. Was nicht im Interesse der SPD ist, wird halt einfach nicht gemacht, obwohl es vor der Wahl anders versprochen wurde. Der vor der Wahl beschworene Bürgerwille wird nach der Wahl aus parteitaktischen Gründen einfach zur Seite geschoben.Ich werde heute mit meiner Fraktion dieser Gesetzesänderung zustimmen, weil ich den Bürgerwillen ernst nehme.
Sollten die Bürger von Amöneburg, Kastel und Kostheim sich mehrheitlich für eine Rückgliederung ihrer drei Stadtteile nach Mainz entscheiden, so ist durch diese Gesetzesänderung dann auch die Möglichkeit dafür gegeben. Wenn Sie, meine Kollegen und Kolleginnen von der SPD-Fraktion, vor der Wahl gegebene Versprechen ernst nehmen,
so müssen Sie heute mit uns stimmen, auch die Konsequenzen daraus ziehen, Herr Schmitt. Wir wollen heute von Ihnen durch namentliche Abstimmung wissen, für wen von Ihnen ein vor einer Wahl gegebenes Wort auch nach der gewonnenen Wahl noch Gültigkeit hat.
Ich hoffe auch, daß die Kollegen und Kolleginnen aus Ihrer Fraktion, die den Gesetzentwurf seinerzeit mit unterschrieben haben, heute noch zu ihrer Unterschrift stehen, obwohl — und das hörte man immer wieder — aus Partei- und Fraktionsspitze ordentlich Druck auf diese Kollegen ausgeübt wurde.
Ich hoffe, Sie stehen auch heute noch zu Ihrem Wort.
Ihre Aufregung beweist eigentlich nur, daß ich eben genau den Nagel auf den Kopf getroffen habe.
Für mich ist es eine demokratische Verpflichtung, daß gegebene Zusagen auch eingehalten werden. Wenn das für Sie nicht gelten sollte, können Sie heute anders abstimmen.
Auch als Wiesbadenerin werde ich deshalb einer Grundgesetzänderung, die den Bürgerwillen respektiert, zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Delorme.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19019
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen haben drei Fraktionen dieses Hauses und eine Gruppe von SPD-Abgeordneten beantragt, das Grundgesetz mit dem Ziel zu ändern, die durch Besatzungsrecht verfügte Amputation der Stadt Mainz rückgängig zu machen und die sogenannten AKK-Stadtteile Amöneburg, Kastel und Kostheim, nach Mainz zurückzugliedern. Vielleicht ist es verwunderlich, daß diese Frage 41 Jahre nach der Trennung immer noch eine offene Frage ist, und es ist kritisch gefragt worden, warum in der Zwischenzeit nichts getan wurde. Die Versuche laufen seit 40 Jahren; denn die rechtsrheinische Mainzer Bevölkerung hat sich mit diesem Unrechtszustand nie zufriedengegeben.
Aber es war zunächst die Besatzungsmacht, die jede Grenzänderung verhinderte, und die späteren Bemühungen, die in diese Richtung zielten, waren von Problemen der Länderneugliederung überlagert.Mit unserer Gesetzesinitiative streben wir keine Länderneugliederung an, die das Gefüge der Bundesrepublik erschüttern könnte; hier geht es um die Regelung eines im Bundesgebiet einmaligen Falles. In der beantragten Grundgesetzänderung wird nämlich gefordert, den Art. 29 in Abs. 7 so zu ergänzen, daß die Landeszugehörigkeit von Gebieten bis zu 30 000 Einwohnern nur dann im vereinfachten Verfahren geändert werden kann, wenn dadurch die zwischen dem 8. Mai 1945 und dem Inkrafttreten des Grundgesetzes verlorene Einheit einer Gemeinde ganz oder teilweise wieder hergestellt werden kann. Dies trifft aber nur auf Mainz und seine rechtsrheinischen Stadtteile zu.
Das Ganze ist im Grunde nur eine kleine, aber längst fällige „Flurbereinigung".Es kann auch keine Rede davon sein, daß das Land Hessen durch die angestrebte Gebietsänderung existentiell betroffen wäre. Sein Staatsgebiet in der Größe von 21 112 Quadratkilometern würde lediglich um 11 Quadratkilometer, also um 0,05%, kleiner. Die Einwohnerzahl würde um 28 000 schrumpfen; das sind ganze 0,5 % der hessischen Bevölkerung.
— Ich gehe von der Bevölkerung aus, die nach unseren Gesetzen Staatsbürger sind und auch ihre Wahlpflichten und -rechte ausüben können.
Zur Begründung unseres Anliegens möchte ich kurz auf die Vorgeschichte eingehen: Sie haben schon gehört, durch die Besatzungsmächte wurden 1945 die rechtsrheinischen Mainzer Stadtteile, immerhin 51 % des gesamten Stadtareals, von der Mutterstadt abgetrennt. Mainz, im Kriege zu mehr als 80% zerstört, verlor dadurch den Großteil seinerWirtschaftskraft, da in den rechtsrheinischen Stadtteilen die bedeutendsten Mainzer Industriebetriebe konzentriert waren. Aus der damaligen Demarkationslinie wurde die französisch-amerikanische Zonengrenze und schließlich die Landesgrenze zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz. Das durch Besatzungswillkür geschaffene Unrecht besteht aber heute noch.Ein Blick auf die Landkarte und in die Historie macht deutlich, daß Kastel und Kostheim seit der Römerzeit eine organische Einheit mit dem linksrheinischen Mainz bilden. Die durch die Besatzungsmächte verfügte Grenzziehung ist weder wirtschaftlich noch raumordnerisch gerechtfertigt. Die kulturellen, sozialen und emotionalen Bindungen zwischen AKK und Mainz sind erheblich stärker — und werden es auch bleiben — als die nach Wiesbaden.
So gehen etwa 63% der Schüler aus AKK nach Mainz auf weiterbildende Schulen, 80 % der Kinder werden in Mainzer Krankenhäusern geboren. Eine Politik, die Wert auf Bürgernähe legt, kann dies nicht einfach ignorieren.
— Ich sage es dem ganzen Hause; ich sage es auch gerade meinen Freunden von der SPD.
Der Mainzer Stadtrat hat gestern mit den Stirnmen aller vier Fraktionen — SPD, CDU, GRÜNE und FDP — nochmals an den Bundestag appelliert, der beantragten Grundgesetzänderung zuzustimmen. Dieser Appell der Stadt Mainz deckt sich mit dem Wunsch der überwiegenden Mehrheit der AKK-Bewohner. Als Beleg dafür darf ich auf das Ergebnis der Befragung hinweisen, die im Juli dieses Jahres in Amöneburg, Kastel und Kostheim durchgeführt wurde und an der sich rund 70 % der Wahlberechtigten beteiligt haben. Dabei votierten exakt 61,2 % für die Rückkehr nach Mainz und nur 32,7 % für den endgültigen Verbleib bei Wiesbaden. Das ist das Ergebnis einer demokratischen Befragung. Wer an diesem Ergebnis herumdeutelt, mißachtet grundlegende Prinzipien der demokratischen Willensbildung.
Die betroffenen Bürger erwarten, daß der Deutsche Bundestag dem damit bekundeten Willen Rechnung trägt. Um den rechtsrheinischen Mainzern, die vier Jahrzehnte lang nicht über ihr kommunales Schicksal bestimmen konnten, eine solche Mitwirkung zu ermöglichen, ist in unseren Anträgen eine Volksbefragung zwingend vorgeschrieben.
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19020 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
DelormeDies garantiert, daß nicht wieder über die Köpfe der unmittelbar Betroffenen hinweg entschieden werden kann.
Damit könnte ein Stück lebendige Demokratie verwirklicht werden. Helfen Sie uns dabei, indem Sie den vorliegenden Gesetzentwürfen zustimmen!Zum Schluß noch ein Wort unseres früheren Bundespräsidenten Theodor Heuss, der einmal gesagt hat: Länder kommen und gehen, unsere Städte aber bleiben. Helfen Sie dem 2000jährigen Mainz.
Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Suhr.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte mich bei der folgenden Abstimmung enthalten, und zwar aus folgenden Gründen: Zum einen hat die Kollegin Rönsch natürlich vollkommen recht, daß wir GRÜNEN nicht nur in diesem Fall, sondern auch in anderen Fällen versuchen, mit gutem demokratischen Beispiel voranzugehen.
Bei dieser Abstimmung und bei dem Problem AKK ist für mich allerdings zum anderen entscheidend, daß sich bei der vielzitierten Umfrage 80 % der ausländischen Mitbürger für einen Verbleib bei Wiesbaden ausgesprochen haben, weil das Ausländerrecht in Hessen von ihnen eben als humaner empfunden wird.
Solange das Ausländerrecht in Rheinland-Pfalz so aussieht, wie es jetzt aussieht, werde ich dafür stimmen, daß die Ausländer da wohnen und leben können, wo sie wollen.
Ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir haben eine weitere Erklärung zur Abstimmung nach der jetzigen Abstimmung. Ich schließe zunächst die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 3 a, das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes auf Drucksache 10/4264. Ich rufe Art. I und II, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Meine Damen und Herren, nach Art. 79 des Grundgesetzes bedarf ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages; das sind 332 Stimmen. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP verlangen zur Schlußabstimmung gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Das Verfahren ist Ihnen bekannt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich teile Ihnen in der Zwischenzeit mit, daß nach dieser Abstimmung zwei Tagesordnungspunkte aufgerufen werden, die keine Debatte erfordern, bei denen aber auch eine namentliche Abstimmung verlangt worden ist. Das heißt, wir zählen zunächst die Stimmen aus, und danach kommt gleich eine weitere namentliche Abstimmung. Ich bitte deshalb, in der Nähe zu bleiben.
Meine Damen und Herren, ist jemand im Saal, der seine Abstimmung noch nicht getätigt hat? — Kann ich davon ausgehen, daß alle Abstimmungskarten von den Abgeordneten abgegeben worden sind, die teilnehmen wollen? — Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, jetzt auszuzählen.") Direkt nach der Auszählung wird das Ergebnis mitgeteilt werden. Dann fahren wir fort.
Wir sind in der Auszählung. Aber es gibt noch eine Wortmeldung nach § 31 der Geschäftsordnung zu einer Erklärung zur Abstimmung. Der Herr Abgeordnete Schierholz hat dazu das Wort. — Ich bitte um Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger in Mainz und anderswo! Ich möchte Ihnen kurz darlegen, warum ich persönlich dem Gesetzentwurf meine Zustimmung nicht erteilt habe.Ich komme hier im Deutschen Bundestag aus einem Wahlkreis, dem fast vollständig das Gebiet des ehemaligen Fürstentums bzw. Landes SchaumburgLippe angehört. Die Bürgerinnen und Bürger von Schaumburg-Lippe waren im Januar 1975 gemäß dem im Art. 29 des Grundgesetzes vorgesehenen Verfahren aufgerufen, in einem Volksentscheid über ihre Landeszugehörigkeit zu entscheiden. Das ist ebenfalls ein Relikt des Zweiten Weltkrieges.Zu 63 %, also mit großer Mehrheit, haben sie sich seinerzeit dafür entschieden, Schaumburg-Lippe als eigenständiges Bundesland erhalten zu wollen. Die Konsequenz war — es ist angedeutet worden —: Das Grundgesetz wurde geändert. SchaumburgLippe gehört heute zu Niedersachsen.So wird mit dem Willen von Bürgerinnen und Bürgern umgegangen. Das kann ich nicht akzeptieren. Ich meine also, daß es — erstens — sehr wohl nicht nur um die Frage der Ortsteile von Mainz geht, daß es hier übergeordnete bundespolitische Gesichtspunkte gibt. Deswegen meine ich, daß wir*) Ergebnis und Liste der Abstimmung Seite 19021 C
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Dr. Schierholzauch kleine und kleinste Korrekturen im Kontext dieser bundespolitischen Aspekte sehen müssen.Zweitens. Ich sehe nicht nur bundespolitische Aspekte, ich sehe auch erhebliche verfassungspolitische Aspekte. Ich persönlich bin ein energischer Befürworter jenes Instruments, das in Art. 29 als dem einzigen Grundgesetzartikel vorgesehen ist, nämlich des Instruments des Volksentscheids. Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes bestimmt, daß das Volk „in Wahlen und Abstimmungen" entscheidet.
Ich halte es für unerläßlich, dann, wenn wir darangehen, solche basisdemokratischen Elemente heranzuziehen, das nicht nur auf einen Lokalaspekt zu konzentrieren.Von daher meine ich, daß Ihr Anliegen, meine Damen und Herren, die Sie für den Gesetzentwurf gesprochen haben, nur dann glaubwürdig wird, wenn Sie Volksbefragung und Volksentscheid auch in anderen Fragen vorsehen, etwa in der Frage des Volksentscheids gegen Atomanlagen.Die Debatte über Länderneugliederung ist aus meiner Sicht nicht nur an diesem singulären Punkt zu führen. Es können hier keineswegs nur Lokalcoloritinteressen eine Rolle spielen. Wir sind hier der Deutsche Bundestag. Weil diese Angelegenheit verfassungspolitisch von so eminenter Bedeutung ist, daß nämlich die ganze Frage, welchen Stellenwert in dieser Republik Volksbefragung, Volksbegehren, Volksentscheid eigentlich noch haben, thematisiert werden muß, nicht, weil ich nicht dem Begehren der Bürgerinnen und Bürger in AKK folgen würde — das könnte ich; deren Anliegen halte ich zumindest für verständlich —, müßte ich eigentlich gegen diesen Gesetzentwurf stimmen. Ich habe mich aus Solidarität mit meiner Fraktion enthalten.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie gern darüber unterrichten, wie es jetzt weitergeht. Ich hatte Ihnen vorhin gesagt, daß wir noch eine weitere namentliche Abstimmung haben werden. Das muß ich jetzt korrigieren, nachdem es eine Vereinbarung zwischen den Fraktionen und ihren Geschäftsführern gibt, daß wir die Punkte 23 und 24 der Tagesordnung, in deren Rahmen ein Änderungsantrag zu Punkt 24 von der Fraktion der GRÜNEN zur namentlichen Abstimmung erbeten wird, auf den Abend vertagen und das um etwa 19.30 Uhr behandeln, wenn eine weitere Abstimmung ansteht. Ich bitte um Verständnis dafür. Wir werden also jetzt das Ergebnis in der Frage der Grundgesetzänderung abwarten. Dies werde ich bekanntgeben. Dann geht es in der Tagesordnung mit all den Tagesordnungspunkten weiter, bei denen keine Debatte, wohl aber zum Teil strittige Abstimmungen vorgesehen sind.Meine Damen und Herren, ich teile Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Schlußabstimmung über den Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes auf Drucksache 10/4264 in der Ausschußfassung mit. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 379 ihre Stimme abgegeben. Es war keine Stimme ungültig. Mit j a haben 253 gestimmt, mit nein haben 201 gestimmt. 24 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Von den 20 Berliner Abgeordneten haben alle ihre Stimme abgegeben. Davon war keine ungültig. Mit ja haben 12 gestimmt, mit nein ? Abgeordnete. Ein Abgeordneter hat sich der Stimme enthalten.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 378 und 20 Berliner Abgeordnete; davonja: 252 und 12 Berliner Abgeordnetenein: 102 und 7 Berliner Abgeordneteenthalten: 24 und 1 Berliner AbgeordneterFrau Dr. HellwigHelmrich Dr. HennigHerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes HöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann
Dr. HornhuesHornung Dr. HüschGraf HuynJäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Frau KarwatzkiKellerKiechleKlein
Dr. Köhler(Duisburg)Dr. Köhler KrausKreyKroll-SchlüterDr. KronenbergDr. Kunz
LamersDr. LangnerDr. Laufs LemmrichLenzerLink
Link
LinsmeierLintnerDr. LippoldLöherLohmann LouvenLowack MaaßFrau MännleMagin MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MikatDr. MiltnerDr. MöllerDr. MüllerMüller
Müller
Müller
JaCDU/CSUFrau AugustinAustermann BayhaDr. Becker
Dr. Berners BiehleDr. Blank Dr. Blens Böhm
Dr. Bötsch BohlBohlsenBorchert BraunBreuerBrollBrunnerBühler
Carstens Carstensen (Nordstrand) ClemensDr. Czaja Dr. Daniels DawekeFrau DempwolfDeresDörflinger Dr. DollingerDossDr. Dregger Echternach EngelsbergerErhard
Dr. FaltlhauserFellnerFrau FischerFischer
Dr. FriedmannGanz
Frau Geiger Gerlach
Gerster
Dr. Göhner Dr. GötzDr. Götzer GüntherDr. Häfele HaungsHauser
Hauser
HedrichFreiherr Heeremanvon Zuydtwyck
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19022 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Vizepräsident Westphal NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. OlderogFrau PackPeschPetersenPfeffermann Dr. PingerPöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweReddemann Regenspurger RepnikDr. Riesenhuber Frau Rönsch
Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Roth RüheSauer
Sauer SaurinSauter Sauter (Ichenhausen)Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer Schmitz
von Schmude Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffSchultz SchwarzDr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerDr. SprungDr. Stark Dr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg StrubeStücklenSussetTillmannUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt Dr. VossDr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. Warrikoff Werner Frau Dr. Wilms WilzWimmer WindelenFrau Dr. WisniewskiWissmannDr. WittmannWittmann Dr. WörnerWürzbachDr. WulffZinkBerliner AbgeordneteFrau Berger BoroffkaBuschbom DolataKalischKittelmannDr. h. c. LorenzDr. Pfennig Schulze StraßmeirSPDBüchner
ColletDelorme FiebigFischer GlombigGrunenbergImmer LeonhartDr. Müller-Emmert NagelPauliSielaffFrau WeyelWimmer WitekZeitlerBerliner Abgeordneter LöfflerFDPFrau Dr. Adam-Schwaetzer BaumBeckmannCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardDr. Feldmann GallusGattermann GenscherGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher KohnDr.-Ing. Laermann MischnickMöllemannNeuhausenPaintnerSchäfer Frau Dr. Segall Frau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)Berliner Abgeordneter HoppeDIE GRÜNENAuhagen Frau Eid Fischer
FritschMannDr. Müller SenfftTatgeTischerVogel Frau WagnerWerner Frau ZeitlerfraktionslosEickmeyerHandlosVoigt
NeinSPDAntretter Bachmaier BambergBecker BerschkeitFrau Blunck BrandtBrückBuckpeschDr. von BülowCurdtDaubertshäuserDr. Ehmke
Dr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFischer Franke (Hannover) Frau Fuchs (Verl) Gerstl (Passau)GilgesDr. HaackHansen Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Heistermann HerterichFrau Huber HuonkerJahn Junghans KiehmKlein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbowDr. Kübler Kuhlwein Lambinus LiedtkeLohmann LutzFrau Matthäus-Maier MeininghausMöhringMüller Müller (Schweinfurt) NehmNeumann Dr. NöbelFrau Odendahl Oostergetelo Dr. Penner Peter
Pfuhl PorznerPoßPurpsRankerRapp ReimannFrau RengerReuterRohde SanderSchäfer SchlagaSchmidt
Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchulte
Dr. Schwenk Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. Sperling Stahl StocklebenDr. Struck Frau TerborgTietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Vahlberg Verheugen VogelsangVoigt
VosenWaltemathe WaltherWeinhoferWeisskirchen WestphalDr. WieczorekWiefelvon der Wiesche WischnewskiZanderBerliner AbgeordneteDr. Diederich HeimannFrau LuukDr. MitzscherlingStobbeDr. Vogel Wartenberg
DIE GRÜNEN Frau HönesEnthaltenSPDBernrath BindigBuschfort Haehser HauckJansenJaunichDr. JensKastning Kisslinger Kühbacher Frau Dr. LepsiusMenzelDr. Schmidt Schreiner
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19023
Vizepräsident WestphalUrbaniak Dr. de With Wolfram
Frau Zutt
DIE GRÜNENBueb RuscheDamit ist der Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes abgelehnt worden, und die Beratung über den Tagesordnungspunkt 3 b entfällt.Ich fahre fort in der Tagesordnung und rufe die Tagesordnungspunkte 6 und 7 auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes und des Häftlingshilfegesetzes— Drucksache 10/6240 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/6370 —Berichterstatter:Abgeordnete Jaunich Kreyb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 10/6371 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Riedl KühbacherFrau Seiler-AlbringDr. Müller
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten
— Drucksache 10/3662 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/6351 —Berichterstatter:Abgeordnete Buschbom Stieglerb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 10/6359 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Zutt von HammersteinSuhr
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 6, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/6240 in der Ausschußfassung. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entwurf einstimmig angenommen worden.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 7, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/3662 in der Ausschußfassung. Ich rufe die §§ 1 bis 15 sowie Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 1. Juni 1972 zur Erhaltung der antarktischen Robben— Drucksache 10/5986 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 10/6362 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Blunck
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist das Gesetz mit großer Mehrheit angenommen.Dr. Schierholz SuhrVolmerBerliner Abgeordneter Ströbele
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19024 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Vizepräsident WestphalIch rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Futtermittelgesetzes— Drucksache 10/5959 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 10/6399 —Berichterstatter: Abgeordneter Oostergetelo
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Gegen drei Stimmen sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 bis 14 auf:11. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 8. Juli 1985 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend die Verringerung von Schwefelemissionen oder ihres grenzüberschreitenden Flusses um mindestens 30 vom Hundert— Drucksache 10/5387 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 10/6364 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer Frau Dr. Hartenstein
12. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. November 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Panama über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 10/5408 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 10/6255 — Berichterstatter: Abgeordneter Kittelmann
13. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. März 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und St. Lucia über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 10/5407 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 10/6256 —Berichterstatter: Abgeordneter Kittelmann
14. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. November 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen— Drucksache 10/5534 —Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/6269 —Berichterstatter:Abgeordnete Kalisch Dr. NöbelDr. Hirsch
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Wir kommen zur Einzelberatung und zur Schlußabstimmung über Tagesordnungspunkt 11. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen?— Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen.Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 12 ab. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 13. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen?— Dieses Gesetz ist mit der gleichen Mehrheit angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 14. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19025
Vizepräsident WestphalWer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 und den Zusatztagesordnungspunkt 8 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes an die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Freie Hansestadt Bremen sowie Freie und Hansestadt Hamburg— Drucksache 10/6393 —Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuß Ausschuß für WirtschaftErste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Artikels 2 des Vierten Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung und zur Änderung der Bundesärzteordnung, des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde und der Reichsversicherungsordnung— Drucksache 10/6394 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Ausschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Bildung und WissenschaftWir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 15. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf der Drucksache 10/6393 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Wir kommen jetzt zu Zusatztagesordnungspunkt 8. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/6394 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu Änderungsvorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1986Außerplanmäßige Ausgabe bei Kap. 0615 apl. Tit. 68106— Erfüllung von Ausgleichsansprüchen nach § 38 Abs. 2 Atomgesetz infolge des Reaktorunfalls in Tschernobyl— Drucksachen 10/5585, 10/6200 —Berichterstatter:Abgeordnete Kühbacher Dr. Weng Dr. Müller (Bremen)b) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungAußerplanmäßige Ausgabe bei Kap. 0615 apl. Tit. 68101— Erfüllung von Ausgleichsansprüchen nach § 38 Abs. 2 des Atomgesetzes infolge des Reaktorunfalls in Tschernobyl — im Haushaltsjahr 1986— Drucksachen 10/5946, 10/6201 —Berichterstatter:Abgeordnete Kühbacher Dr. Weng Dr. Müller (Bremen)c) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 1602 Tit. 681 12— 2/3 Bundesanteil der Entschädigungen nach der Allgemeinen Billigkeitsrichtlinie aufgrund der Verwaltungsvereinbarung vom 18. Juli 1986 über eine Entschädigungsregelung unter Billigkeitsgesichtspunkten für Schäden infolge des Unfalls im Kernkraftwerk in Tschernobyl— Drucksachen 10/5969, 10/6245 —Berichterstatter:Abgeordnete Kühbacher Dr. Weng Dr. Müller (Bremen)Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Darf ich davon ausgehen, daß wir über die Beschlußempfehlungen zu den Tagesordnungspunkten 16 a bis 16 c gemeinsam abstimmen können? — Das ist der Fall. Wer den Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 10/6200, 10/6201 und 10/6245 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen des Ausschusses sind gegen eine einzelne Stimme angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1986hier: Einzelplan 06— Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern— Drucksachen 10/4349, 10/5696 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Friedmann KühbacherDr. Weng
Dr. Müller
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/5696 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltungen mit Mehrheit angenommen worden.
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19026 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Vizepräsident WestphalIch rufe die Tagesordnungspunkte 18 bis 20 auf:18. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 78/1015/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den zulässigen Geräuschpegel und die Auspuffanlagen von Krafträdern— Drucksachen 10/2076 Nr. 7, 10/6263 —Berichterstatter:Abgeordnete Wartenberg Schulte (Menden)Schmidbauer19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates zur Eröffnung eines außerordentlichen autonomen Zollkontingents für die Einfuhr von frischem, gekühltem oder gefrorenem hochwertigem Rindfleisch der Tarifstellen 02.01 A II a) und 02.01 A II b) des Gemeinsamen Zolltarifs für das Jahr 1986— Drucksachen 10/6001 Nr. 2.2, 10/6214 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schmidt
20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu den Unterrichtungen durch die BundesregierungMitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über ein Programm zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs in der GemeinschaftVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur dritten Änderung der ersten Richtlinie zur Durchführung des Artikels 67 des EWG-Vertrags
— Drucksachen 10/5980 Nr. 2.38, 2.40; 10/6360 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Kreile Dr. WieczorekEine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Die Beschlußempfehlungen sind im Ausschuß einvernehmlich verabschiedet worden. Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen.
— Es wird getrennte Abstimmung gewünscht.Wer der Beschlußempfehlung auf der Drucksache 10/6263 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dies ist einstimmig angenommen.Wer für die Beschlußempfehlung auf der Drucksache 10/6214 stimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wer der Beschlußempfehlung auf der Drucksache 10/6360 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 und 22 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Sechsundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —— Drucksachen 10/6031, 10/6257 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. MitzscherlingBeratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Neunundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung— Drucksachen 10/6032, 10/6258 —Berichterstatter: Abgeordneter KittelmannEine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ausschuß empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung nicht zu verlangen. Die Beschlußempfehlungen sind im Ausschuß einvernehmlich verabschiedet worden. Ich lasse daher über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. — Keine Einwendungen.Wer den Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 10/6257 und 10/6258 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen sind die Beschlußempfehlungen angenommen worden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die Delegation der Gruppe der Bundesrepublik Deutschland in der Interparlamentarischen Union über die 75. Interparlamentarische Konferenz vom 7. bis 12. April 1986 in Mexiko-Stadt— Drucksachen 10/5544, 10/6273 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Geiger Dr. SoellAuch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache L0/6273 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Einer.Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19027Vizepräsident WestphalEnthaltungen? — Gegen eine Stimme sind die Beschlußempfehlungen des Ausschusses angenommen.Ich rufe Punkt 26 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 181 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/6352 —Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.Ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Soell, Frau Matthäus-Maier, Neumann , Bindig, Dr. Holtz, Frau Luuk, Sielaff, Lambinus, Kuhlwein, Immer (Altenkirchen), Dr. Vogel und der Fraktion der SPDWiederherstellung demokratischer Verhältnisse in der Republik Südkorea— Drucksache 10/5218 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitEine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Antrags auf Drucksache 10/5218 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird — ich bitte um Verständnis — um 14.30 Uhr fortgesetzt. Wir müssen unseren Mitarbeitern auch einmal ein bißchen Pause gönnen. Wir fahren mit der Fragestunde fort, bei der nur noch elf Fragen anstehen. Deswegen kann das, glaube ich, so gemacht werden.Wir unterbrechen die Sitzung also bis 14.30 Uhr und fahren dann mit der Fragestunde sowie den weiteren Tagesordnungspunkten fort.Ich unterbreche die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Bevor wir in die Fragestunde eintreten, möchte ich die Zustimmung des Hauses dazu einholen, daß wir nach Beendigung der Fragestunde mit der normalen Tagesordnung, d. h. mit Punkt 4 der Tagesordnung — Änderung des Waschmittelgesetzes — fortfahren. Dies ist soeben im Ältestenrat vereinbart worden. — Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 10/6383 —
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung.
Ich rufe Frage 8 des Abgeordneten Fischer auf:
Welches ist der Stand der Ausbauplanungen für die Forschungszentren Köln-Porz und Oberpfaffenhofen der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt auf dem Sektor Raumfahrt?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Fischer, Ihre Frage 8 beantworte ich wie folgt: Die Ausbauplanungen in Köln und Oberpfaffenhofen betreffen notwendige Infrastruktureinrichtungen für die zukünftige deutsche und europäische Raumfahrt, insbesondere im Zusammenhang mit der Raumstation Columbus und dem Trägersystem Ariane, möglicherweise auch Hermes.
Ein erster Schritt wurde in Köln im September durch Einrichtung eines Zentrums der Nutzer-Unterstützung für Experimente unter Schwerelosigkeit — abgekürzt: MUSC — getan. Außerdem sollen in einem „Crew-Trainingszentrum" auf der Grundlage des bisherigen Trainings von Astronauten durch Fortentwicklung und Ausbau der entsprechenden Einrichtungen Ausbildung, Betreuung und Training der europäischen Astronauten angeboten werden.
In Oberpfaffenhofen ist eine Erweiterung des vorhandenen Technologiebereichs zu einem Zentrum für Automation im Weltraum geplant, das sich Rendezvous und Docking, Robotik, Telemanipulation, Servicing und Aufbau großer Strukturen widmen soll.
Für Betriebsaufgaben bei Nutzung einer Raumstation soll das vorhandene Operationszentrum GSOC ausgebaut und ein Betriebszentrum für bemannte Raumfahrt angeboten werden. Als drittes Element ist ein Nutzer-Datenzentrum für Raumfahrtanwendung vorgesehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung an ihrer sehr oft erklärten klaren Absicht fest, das Forschungszentrum in Porz zu einem Schwerpunkt der Weltraumforschung innerhalb der DFVLR zu machen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hält daran fest.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Fischer.
Sind dem BMFT Planungen bekannt oder geht das BMFT schon davon
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19028 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Fischer
aus, einzelne Bereiche des Forschungszentrums in andere Richtungen zu verlagern, in diesem Falle nach Süden, nach Oberpfaffenhofen?Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es ist keine Frage, daß bei den vorhandenen Zentren Konsolidierungen stattfinden werden. Das betrifft aber alle Zentren. In engstem Zusammenhang damit stehen die Verhandlungen, die wir mit den Landesregierungen auf diesem Gebiet führen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir in der Annahme zu, daß das, was Sie als „Konsolidierung" bezeichnet haben, im Grunde genommen bedeutet, daß Nordrhein-Westfalen erneut einen wichtigen Teil der zukünftigen Forschungseinrichtungen verlieren wird, da eine intensive Verlagerung nach Süddeutschland erfolgt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich stimme Ihnen nicht zu. Denn Sie wissen, daß mit dem europäischen transsonischen Windkanal eine große — auch internationale — Einrichtung nach Porz kommt und dadurch eine erhebliche Erweiterung der Kapazität stattfindet.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen .
Herr Staatssekretär, es soll eine Studie, die sogenannte IABG-Studie, zur Zukunft der DFVLR geben. Damit stehen auch die Fragen, die wir hier erörtern, in Zusammenhang. Können Sie uns Auskunft darüber geben, welche Ergebnisse diese Studie gebracht hat?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es gibt noch keine abgeschlossene Studie. Es gibt lediglich Vorstudien für die Organisation der Entscheidungsstruktur für Aktivitäten im Weltraum. Aber, wie gesagt, eine Studie liegt noch nicht vor.
Zusatzfrage des Abgeordneten Mann. Bitte sehr. — Ich bitte, den Zusammenhang nicht ganz außer acht zu lassen.
Herr Staatssekretär, können Sie uns und den anwesenden Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern sagen, wieviel Mittel in den Haushaltsjahren 1986 und 1987 für die Weltraumforschung in Porz einerseits und in Oberpfaffenhofen bei München andererseits in Ansatz gebracht sind?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen diese Zahlen jetzt aus dem Kopf nicht nennen. Aber Sie können sie im Haushaltsplan jederzeit nachsehen.
— Ich werde es aber nicht tun. Denn ich kann Ihnen jetzt eine gesicherte Zahl aus dem Kopf nicht nennen. Das sind verschiedene Haushaltsansätze.
— Porz überwiegt natürlich bei weitem.
Herr Abgeordneter, wir wollen hier keinen Dialog beginnen; das läßt unsere Geschäftsordnung nicht zu.
— Der Herr Staatssekretär hat Ihnen zugesichert, die Antwort zu geben. Ich meine, damit wäre die Angelegenheit erledigt.
Frau Matthäus-Maier, Ihre Zusatzfrage bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hat der bayerische Ministerpräsident Strauß dem Bund 70 Millionen DM für die Errichtung eines Crew-Trainingszentrums — CTC genannt — für europäische Astronauten im oberbayerischen Oberpfaffenhofen angeboten?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ja.
Danke schön. — Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Lothar Fischer auf:
Welches ist der Stand der Verhandlungen des Bundes mit den Sitzländern Nordrhein-Westfalen und Bayern über deren finanzielle Beteiligung an den Ausbauplanungen für die Zentren Köln-Porz und Oberpfaffenhofen der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt auf dem Sektor Raumfahrt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fischer, Ihre Frage 9 beantworte ich folgendermaßen: Mit den Ländern Nordrhein-Westfalen und Bayern ist nach Grundsatzbeschlüssen der beiden Landeskabinette auf Abteilungsleiterebene über eine Sonderfinanzierung der Bodenanlagen verhandelt worden; das betrifft auch die jeweiligen Angebote. Grundlage der Verhandlungen ist eine allen Beteiligten vorliegende Sach- und Kostenanalyse der DFVLR. Die Verhandlungen werden in Kürze fortgeführt. Der Bund verfolgt dabei das Ziel, alle Anlagen mit Hilfe einer abgestimmten Sonderfinanzierung beider Sitzländer zu realisieren. Die Verhandlungen sollen noch vor Jahresende abgeschlossen werden.
Zusatzfrage? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wenn also Verhandlungen geführt werden, was Sie soeben zugegeben haben, dann möchte ich doch einmal fragen: Welches ist der gegenwärtige Verhandlungsstand zwischen der Bundesregierung und den betroffenen Landesregierungen bezüglich des Crew-Trainingszentrums?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19029
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fischer, die Antwort habe ich Ihnen gerade gegeben. Es finden Verhandlungen auf Arbeitsebene zwischen den Regierungen statt.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer.
Welche Bedingungen sind denn von seiten Bayerns bei den Verhandlungen eingebracht worden?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Da die eingebrachten Bedingungen bei den beiden Ländern bis heute nicht endgültig feststehen, es sich nur um Absichtserklärungen handelt, möchte ich hierzu zum jetzigen Zeitpunkt keine feste Aussage oder Bewertung seitens der Bundesregierung machen bzw. vornehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn Sie davon ausgehen, daß beispielsweise aus dem Tit. 14 20, Forschung und Entwicklung, in den nächsten fünf Jahren drei Milliarden DM Forschungsmittel und ungefähr 17 Milliarden für Flugkörper, Luftfahrt, Raumfahrt usw. fließen: Würde es die Bundesregierung angesichts der Mittel, die in die Länder Baden-Württemberg und Bayern fließen, nicht für angezeigt halten, in bezug auf die Verteilung anderer Projekte, insbesondere der zivilen Raumfahrt, einen Ausgleich zwischen den Ländern vom Grundsatz her gutzuheißen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal geht die Bundesregierung davon aus, daß die Forschungspolitik keine spezielle Politik für Strukturmaßnahmen ist. Die Strukturproblematik ist eine Frage; die Forschungszentren sind eine andere Frage. Gleichwohl: Wenn die forschungspolitischen Bedingungen gleichermaßen gegeben sind, werden solche strukturpolitischen Fragen berücksichtigt.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für vereinbar mit einer geordneten Strukturpolitik, wenn der Ministerpräsident von Bayern mit diesen 70 Millionen versucht, sich das Crew-Trainingszentrum so zu erkaufen wie Herr Späth mit Subventionen die Mercedes-Niederlassung in Rastatt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich möchte diese beiden Themen nicht in einem Atemzug nennen und halte den Vergleich auch nicht für korrekt. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß Landesregierungen Interessen an der Ansiedlung von Zentren oder Forschungseinrichtungen anmelden, und es ist auch eine Selbstverständlichkeit, daß diese Anmeldungen oft mit finanziellen Anreizen und Angeboten verbunden sind. Bei der Fraunhofer-Gesellschaft z. B., mit der wir die Verhandlungen fast alle Tage zu führen haben, ist es eine Selbstverständlichkeit.
Herr Abgeordneter Hansen, Sie wünschen eine Zusatzfrage? Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, welche Folgen hätte die Verlagerung von Teilen der Aufgaben von Porz nach Oberpfaffenhofen für die Zukunft des dort ansässigen Luftfahrtmedizinischen Instituts?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist eine hypothetische Frage, die ich nicht beantworten möchte, weil Sie sonst daraus schließen würden, daß es bereits beschlossene Sache sei, die von Ihnen vermuteten Einrichtungen nach Oberpfaffenhofen zu verlegen.
Danke schön.
Weitere Zusatzfragen sind nicht erwünscht. Ich schließe damit die Behandlung von Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Herr Staatssekretär, ich bedanke mich bei Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatsminister Vogel zur Verfügung.
Die Abgeordnete Frau Simonis hat gebeten, die Frage 19 schriftlich zu beantworten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Dr. Struck auf:
Hat der Bundeskanzler Veranlassung, seine vor dem Flick-Untersuchungsausschuß am 7. November 1984 gemachte Aussage zu korrigieren, nachdem in der Zeitschrift „DER SPIEGEL" vom 20. Oktober 1986 berichtet worden ist, daß ein Tonband die Unterrichtung des Bundeskanzlers über die Tätigkeit Dr. Barzels für die Frankfurter Anwaltspraxis Dr. Dr. Paul beweist?
Herr Staatsminister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Struck, gestatten Sie, daß ich die Fragen 20 und 21 im Zusammenhang beantworte?
Ich bin nicht einverstanden, Herr Staatsminister.Vogel, Staatsminister: Nicht einverstanden. Gut.Die Frage 20 betrifft die Aussage des Bundeskanzlers Dr. Kohl als Zeuge vor dem 1. Untersuchungsausschuß. In dieser Aussage hat er sich zu Vorgängen aus dem Jahr 1973 geäußert. Damals war er, wie bekannt ist, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz und Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Union. Ich möchte deshalb vorausschicken, daß die Bundesregierung nicht die Absicht hat, zu Gegenständen Stellung zu nehmen,
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19030 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Staatsminister Vogeldie keinen Bezug zu ihrem Geschäftsbereich haben.
Ungeachtet dieser grundsätzlichen Haltung der Bundesregierung möchte ich folgendes bemerken: Die Bundesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür, daß der Bundeskanzler Veranlassung hätte, seine Aussage vor dem genannten Untersuchungsausschuß zu korrigieren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Struck. Bitte sehr!
Herr Staatsminister, stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß es sehr wohl zum Geschäftsbereich der Bundesregierung gehört, wenn in Frage steht, ob der Bundeskanzler als Zeuge möglicherweise eine Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuß gemacht hat?
Vogel, Staatsminister: Ich habe dazu geantwortet, Herr Kollege Dr. Struck.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß auf Grund einer Veröffentlichung, die ich in einer meiner Fragen zitiert habe, der Bundeskanzler und die Bundesregierung sehr wohl Veranlassung gehabt hätten, über diese Frage noch einmal ausführlich nachzudenken?
Vogel, Staatsminister: Ich bin nicht der Auffassung, Herr Kollege Dr. Struck.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Poß.
Herr Staatsminister, ist der Herr Bundeskanzler persönlich mit der Beantwortung der Fragen von Herrn Struck befaßt worden?
Vogel, Staatsminister: Sie können davon ausgehen, daß die Beantwortung dieser Frage ordnungsgemäß vorbereitet worden ist.
Bitte sehr.
Herr Staatsminister, kann ich denn davon ausgehen, daß der Inhalt Ihrer Antworten dem Kenntnisstand des Bundeskanzlers gerecht wird?
Vogel, Staatsminister: Ich spreche hier für das Bundeskanzleramt. Das wissen Sie.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier.
Herr Staatsminister, wann hat der Bundeskanzler von der Geschäftsverbindung Dr. Paul/Barzel erfahren?
Vogel, Staatsminister: Ich habe die Frage, die hier gestellt worden ist, Frau Kollegin, erschöpfend beantwortet.
Es geht um die Korrektur.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatsminister, darf ich Sie fragen, ob Ihre erste Antwort auf die Frage des Kollegen Struck bedeutet, daß sich die Bundesregierung weigert, hier auf Fragen Antwort zu geben, die Aussagen des Bundeskanzlers in einem Untersuchungsausschuß, eingesetzt von diesem Parlament, betreffen?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Lambinus, vielleicht haben Sie nicht genau zugehört. Deshalb will ich noch einmal wiederholen, was ich gesagt habe. Erstens. Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, zu Vorgängen Stellung zu nehmen, die nicht zu ihrem Geschäftsbereich gehören. Zweitens habe ich gesagt, daß die Bundesregierung keine Anhaltspunkte dafür hat, daß der Herr Bundeskanzler Veranlassung hätte, seine Aussage vor dem Untersuchungsausschuß zu korrigieren. Das ist, finde ich, sehr erschöpfend.
Zusatzfrage des Abgeordneten Mann.
Herr Staatsminister, sind Sie nicht der Auffassung, daß im Hinblick darauf, daß der Herr Kollege Dr. Rainer Barzel' als Präsident dieses Hauses in dieser Wahlperiode wegen der hier angesprochenen Vorgänge zurückgetreten ist, sehr wohl eine Verpflichtung der Bundesregierung besteht, hier umfassend zu antworten und nicht das Parlament an der Nase herumzuführen, wie Sie das hier heute tun?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Mann, Sie können davon ausgehen, daß wir unseren Verpflichtungen, die wir haben, voll nachkommen. Das habe ich heute auch getan.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatsminister, ich komme noch einmal auf den Untersuchungsausschuß zu sprechen: Nach dem Protokoll des Untersuchungsausschusses hat der Bundeskanzler gesagt, er sei ziemlich sicher, er habe 1973 nichts von Geschäftsverbindungen zwischen Barzel und Dr. Paul gewußt. Bleibt die Bundesregierung dabei, daß der Bundeskanzler 1973 ziemlich sicher nichts gewußt habe?Vogel, Staatsminister: Ich wiederhole noch einmal, Herr Kollege Kuhlwein, daß die Bundesregierung keinen Grund für die Annahme hat, daß der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19031
Staatsminister VogelBundeskanzler Veranlassung hätte, seine Aussage zu korrigieren.
Ich möchte zunächst einmal feststellen, Herr Abgeordneter Mann, daß der Fragesteller großen Wert darauf gelegt hat, daß die Fragen getrennt beantwortet werden. Ich bitte also darum, die Geschäfte in ordentlicher Form abwickeln zu können.
Nun können Sie, Herr Bachmaier, Ihre Zusatzfrage stellen. Ich bitte aber, darauf zu achten, daß Sie keine Dreiecksfragen stellen, wie etwa bei der letzten Frage.
Herr Präsident, ich lasse mich von Ihnen später gerne belehren, ob die Frage, die ich jetzt stelle, eine Dreiecksfrage ist.
Herr Staatsminister, Herr Barzel ist am 9. Mai 1973 von seiner Funktion als Partei- und Fraktionsvorsitzender zurückgetreten. War der Bundeskanzler bei der Präsidiumssitzung der CDU anwesend, als es um die weitere berufliche Verwendung von Herrn Barzel nach seinem Rücktritt ging?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege, erstens kann ich das jetzt nicht sagen. Zweitens möchte ich aber noch einmal auf den ersten Teil meiner Antwort hinweisen, daß die Bundesregierung grundsätzlich
— und zwar grundsätzlich, nicht nur in diesem Zusammenhang, sondern überhaupt — nicht die Absicht hat, zu Vorgängen Stellung zu nehmen, die außerhalb ihres Geschäftsbereichs liegen. Die Frage, die Sie stellen, bezieht sich auf Vorgänge, die eindeutig außerhalb des Geschäftsbereichs der Bundesregierung liegen.
— Das ist objektivierbar, meine Herren Kollegen.
Herr Staatsminister, entschuldigen Sie bitte, gehören Verhaltensweisen des Herrn Bundeskanzlers nicht zum Geschäftsbereich der Bundesregierung?
Vogel, Staatsminister: Es geht hier nicht um Verhaltensweisen des Herrn Bundeskanzlers, sondern es geht um Vorgänge aus dem Jahre 1973, die mit der Christlich-Demokratischen Union zu tun haben. Danach haben Sie gefragt.
— Ich habe jetzt auf die Frage des Kollegen geantwortet. Vielleicht können Sie das auch auseinanderhalten.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte sehr, Herr Wartenberg.
Sind Sie nicht auch der Meinung, daß Sie bis jetzt auf keine Frage geantwortet haben? Das ist wohl näherliegend. Ich frage Sie deswegen noch einmal — wie die Kollegen vorher — nachdrücklich: Seit wann weiß der Bundeskanzler, daß Barzel aus der Geschäftsbeziehung mit Dr. Paul allein für das Jahr 1973 272 000 DM erhalten hat?
Vogel, Staatsminister: Ich kann Ihnen nur die gleiche Antwort geben, die ich vorher gegeben habe.
Weitere Zusatzfragen liegen mir nicht vor.
Ich rufe Frage 21 des Abgeordneten Dr. Struck auf.
Trifft die Meldung zu, daß der Bundeskanzler von Dr. Barzel auf eine „mögliche Falschaussage" hingewiesen worden ist?
Vogel, Staatsminister: Ich darf hier zunächst auf die Antwort Bezug nehmen, die ich zu der Frage 20 gegeben habe. Ebensowenig wie bei der Frage 20 hat die Bundesregierung bei der Frage 21 Anhaltspunkte dafür, daß die in der Frage genannte Meldung zutrifft.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Struck.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir nicht zu, wenn ich sage, daß der Vorwurf einer möglichen Falschaussage des Bundeskanzlers vor dem Untersuchungsausschuß und der Hinweis eines Mitgliedes des Bundestages, an den Bundeskanzler gerichtet, er habe möglicherweise falsch ausgesagt, ein so schwerwiegender Vorwurf ist, daß Sie hier anders antworten müssen, als Sie es bisher getan haben?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Struck, zum einen wissen Sie, daß alle möglichen Vorwürfe in der Öffentlichkeit und in allen möglichen Erzeugnissen erhoben werden, und zum zweiten weiß ich natürlich auch ganz genau, daß Sie mit Ihren Fragen bestimmte Absichten verfolgen.
Ich möchte Ihnen erneut sagen: Die Bundesregierung hat keine Veranlassung — und auch keine Kenntnis von irgendwelchen Anhaltspunkten dafür —, davon auszugehen, daß der Bundeskanzler Veranlassung hätte, seine Aussage zu korrigieren. Ich weiß nicht, warum Sie dies nicht zur Kenntnis nehmen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Struck.
Herr Staatsminister, wenn, wie Sie eben in Ihrer Antwort deutlich gemacht haben, Herr Dr. Barzel den Herrn Bundeskanzler nicht auf eine mögliche Falschaussage aufmerksam gemacht hat, gibt es dann andere Mitglieder des Deutschen Bundestages oder Mitglieder der Bundesregierung, die den Bundeskanzler auf eine mögliche Falschaussage aufmerksam gemacht haben?
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19032 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Vogel, Staatsminister: Ich habe Ihnen gesagt, daß kein Grund zu der Annahme besteht, daß der Bundeskanzler Veranlassung hätte, seine Aussage zu korrigieren. Dies ist umfassend.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatsminister, muß ich Ihren bisherigen Einlassungen entnehmen, daß Helmut Kohl — ich sage es einmal so — im Untersuchungsausschuß nicht als Bundeskanzler ausgesagt hat, sondern als ehemaliger Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz oder als Parteivorsitzender der CDU — oder als was sonst?
Vogel, Staatsminister: Er hat als Zeuge ausgesagt, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier.
Herr Staatsminister, kann ich aus der Art und Weise, mit der Sie sich verzweifelt aus der Beantwortung der Frage herauswinden, wann denn nun der Herr Bundeskanzler davon erfahren hat, daß es eine solche Geschäftsverbindung gab, schließen, daß die Erörterung dieser Fragen dem Herrn Bundeskanzler höchst unangenehm ist?
Vogel, Staatsminister: Erstens, Frau Kollegin, bin ich überhaupt nicht verzweifelt, und zweitens habe ich auch keinen Grund zu der Annahme, daß dem Herrn Bundeskanzler in diesem Zusammenhang irgend etwas unangenehm sein muß.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Poß.
Herr Staatsminister, entspricht der Inhalt der Antworten, die Sie hier geben, dem Kenntnisstand des Bundeskanzlers?
Vogel, Staatsminister: Ich habe Ihnen ja gesagt, daß die Beantwortung dieser Fragen ordnungsgemäß vorbereitet ist, wie die Geschäftsordnung es vorsieht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatsminister, der Bundeskanzler hat als Zeuge im Untersuchungsausschuß, und zwar bezogen auf 1973, ausgesagt, daß man ja einen so verdienten Mann wie Dr. Barzel nicht ohne berufliche Perspektive bleiben lassen könne.
War damit nur die Zahlung zusätzlicher Bezüge durch die Fraktion gemeint, oder hat damals nach Erinnerung des Bundeskanzlers auch schon anderes eine Rolle gespielt?
Vogel, Staatsminister: Sie haben die Aussage des Bundeskanzlers vorgelesen, und ich kann Ihnen noch einmal sagen, daß keine Veranlassung besteht, anzunehmen, daß der Herr Bundeskanzler diese Aussage zu korrigieren hätte. Die Sorge um das Schicksal eines Kollegen ist ja nicht etwas, was verwerflich wäre.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mann.
Herr Kollege Vogel, nachdem Sie eben so geantwortet haben, daß ich davon ausgehe, daß Sie mit dem Bundeskanzler selbst gesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob diese Interpretation Ihrer Aussage stimmt und wann Sie mit ihm zur Vorbereitung der heutigen Antworten Rücksprache genommen haben.
Vogel, Staatsminister: Sie können davon ausgehen, daß ich autorisiert bin, diese Antworten so zu geben, wie ich sie hier gegeben habe.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Nöbel.
Herr Staatsminister, Sie haben mehrfach geantwortet, daß die Antworten, die Sie hier geben, mit dem Bundeskanzler persönlich abgesprochen sind. Ist es denn richtig, anzunehmen, daß der Bundeskanzler von keiner anderen Seite, also von niemandem, auf eine eventuelle Falschaussage hingewiesen worden ist?
Vogel, Staatsminister: Das kann ich im Augenblick nicht sagen, weil ich nicht weiß, wer überall in der Welt an den Herrn Bundeskanzler herangetreten ist.
Danach ist in den Fragen des Kollegen Struck aber auch nicht gefragt worden.
— Nein! Lesen Sie bitte die Fragen genau nach!
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Jäger .
Herr Staatsminister, nachdem Sie zu der Frage 21 geantwortet haben, daß es keinen Hinweis auf einen Hinweis unseres Kollegen Dr. Barzel an den Bundeskanzler gebe: Teilen Sie meine Auffassung, daß alle bisher gestellten Zusatzfragen auch nicht die Spar eines Hinweises darauf ergeben haben, daß es sich anders verhält, als Sie es hier dargestellt haben?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich merke natürlich genau die Absicht der Zusatzfragen, die hier gestellt werden, und richte meine Antworten entsprechend ein.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19033
Zusatzfrage des Abgeordneten Bachmaier.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob über die in Frage kommende Präsidiumssitzung der CDU vom Dezember 1973 im Kanzleramt eine Tonbandaufzeichnung existiert?
Vogel, Staatsminister: Mir ist davon nichts bekannt; ich schließe das auch aus.
Weitere Zusatzfragen sind nicht gestellt. Ich kann den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers schließen. Ich bedanke mich bei Staatsminister Vogel.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung steht uns Staatsminister Möllemann zur Verfügung.
Ich rufe Frage 22 des Abgeordneten Oostergetelo auf:
Was hat die Bundesregierung bewogen, in der Vergangenheit eine Weitergabe der Zahl der Flüchtlinge in die Bundesrepublik Deutschland an die EG-Kommission zu verweigern, und wird die Bundesregierung auch zukünftig an dieser unter dem Blickwinkel europäischer Zusammenarbeit fragwürdigen Praxis festhalten?
Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Oostergetelo, die Zahlen über Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland werden regelmäßig von der Bundesregierung veröffentlicht und sind allgemein zugänglich. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat, wie sie auf Ihre Anfrage hin bestätigt hat, keine besondere Anfrage bezüglich der Weitergabe von Flüchtlingszahlen an die Bundesregierung gerichtet. Sie hatte auch keinen Anlaß für eine solche Anfrage.
Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, können Sie, da Sie jetzt nachgefragt haben, uns sagen, wie sich die Zahlen etwa im Verhältnis zu unseren Nachbarländern darstellen?
Möllemann, Staatsminister: Danach habe ich nicht gefragt, sondern ich habe danach gefragt, ob es eine entsprechende Anfrage gibt. Aber ich kann Ihnen die Zahlen — das geht aus der Frage bei Ihnen nicht hervor —, sowohl die eigenen wie auch der Nachbarländer, gerne zugänglich machen.
Weitere Zusatzfragen sind nicht erwünscht.
Ich rufe Frage 23 des Abgeordneten Jäger auf:
Wird die Bundesregierung die verschärften Greueltaten der Sowjetarmee, insbesondere der sogenannten SpeznazEinheiten, gegen die afghanische Zivilbevölkerung zum Anlaß nehmen, diese Frage bei der nächsten Ministerratstagung der Europäischen Gemeinschaften auf die Tagesordnung setzen zu lassen, und wird sie sich dafür einsetzen, daß gegen die UdSSR in gleicher Weise wie gegen Südafrika wirtschaftliche Sanktionen mit dem Ziel verhängt werden, sie zur Beendigung des in Afghanistan verübten Völkermordes zu veranlassen?
Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung wird auch in Zukunft jede Möglichkeit nutzen, um der sowjetischen Regierung die Notwendigkeit einer politischen Lösung der Afghanistan-Frage mit Nachdruck nahezubringen. Diese Haltung wird von der überwiegenden Mehrheit der Staatengemeinschaft geteilt. Die Abstimmungsergebnisse in den Vereinten Nationen sprechen j a eine deutliche Sprache. „Politische Lösung" meint, damit da kein Mißverständnis aufkommt, eine Lösung im Sinne des Selbstbestimmungsrecht des afghanischen Volkes und des Abzugs der sowjetischen Truppen.
In wirtschaftlichen Sanktionen sieht die Bundesregierung kein geeignetes Mittel, um die Sowjetunion zur Beendigung ihrer Intervention in Afghanistan zu bewegen.
Die Frage der sowjetischen Intervention in Afghanistan hat nicht auf der Tagesordnung des Ministertreffens der Europäischen Politischen Zusammenarbeit am 10. November gestanden. Das Thema wird jedoch kontinuierlich im Rahmen der EPZ behandelt werden und auch in Zukunft Gegenstand der Beratungen sein. Wir haben im übrigen entsprechend bei den Vereinten Nationen votiert.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.
Herr Staatsminister, nachdem die Bundesregierung wegen der Schwere der in Südafrika begangenen Menschenrechtsverletzungen von ihrer bisher stets eingenommenen Haltung, keine wirtschaftlichen Sanktionen zu verhängen, doch zumindest teilweise abgegangen ist, weil sie nicht sinnvoll seien, frage ich, ob bei der vergleichbaren Schwere der Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan die Bundesregierung ebenfalls erwägt, von dieser ihrer ansonsten eingenommenen Haltung abzuweichen und doch gewisse wirtschaftliche Sanktionen in Erwägung zu ziehen, und zwar auch im Rahmen der EPZ.Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich würde zunächst beide Sachverhalte nicht miteinander vergleichen. Für mich und für die Bundesregierung ist der Krieg der Sowjetunion gegen Afghanistan ein Verbrechen, unakzeptabel, nicht hinnehmbar. Für uns ist genauso die Apartheidpolitik, die Politik der systematischen Rassendiskriminierung, unakzeptabel, nicht hinnehmbar. Es handelt sich aber um zwei nicht vergleichbare Sachverhalte.Sie wissen, daß es bisher sehr intensive Beratungen über die Frage gegeben hat, welche Maßnahmen geeignet sein könnten, die südafrikanische Regierung zu einer Veränderung ihres Kurses zu bewegen, und daß bei diesen Beratungen die Bundesregierung ihre skeptische Haltung gegenüber Wirtschaftssanktionen ganz generell nicht verborgen hat. Wir haben darüber auch hier im Parlament, zuletzt in der vergangenen Woche, gesprochen.
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19034 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Staatsminister MöllemannWir haben uns in einem Abstimmungs- bzw. Abwägungsprozeß am Ende zur Zustimmung zu begrenzten Sanktionen entschieden, weil wir andernfalls zum einen in der EG isoliert gewesen wären — der Zusammenhalt der EG ist für uns auch ein politischer Wert — und zum anderen hätten sehen müssen, daß wir bei den Blockfreien, bei der Organisation Afrikanischer Staaten, bei den Frontstaaten, in eine immer schwerer haltbare Position gekommen wären. Auch das ist ein außenpolitisches Momentur, das uns bestimmt hat, so zu votieren. Ich bleibe dabei: Es gibt keine Erwägungen, gegen die Sowjetunion Wirtschaftssanktionen zu verhängen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, darf ich noch einmal fragen: Wie wird die Bundesregierung angesichts dessen, was Sie hier vorgetragen haben, vermeiden, daß der Eindruck entstehen könnte, bei den schweren Menschenrechtsverletzungen in Südafrika und den schweren Menschenrechtsverletzungen der Sowjetarmee in Afghanistan werde seitens der europäischen Regierungen, einschließlich der Bundesregierung, mit zweierlei Maß gemessen?
Möllemann, Staatsminister: Wir messen da nicht mit zweierlei Maß, wie ich versucht habe darzustellen, sondern wir bestimmen unsere Reaktionen nach den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und der Wirksamkeit. Ich habe versucht anzudeuten, wo hier die Kriterien liegen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Eid.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir darin zu, daß die Forderung nach Sanktionen gegen die Apartheidregierung in Pretoria von einer breiten Opposition in Südafrika gestellt und getragen wird, daß aber eine solche Forderung nach Sanktionen gegenüber der Sowjetunion aus Afghanistan nicht vorhanden ist?
Möllemann, Staatsminister: Nein, da kann ich Ihnen nicht zustimmen, weil ich keine autorisierte Stellungnahme kenne, die den Willen des afghanischen Volkes markieren könnte. Ich habe nicht das Gefühl, daß wir derzeit eine solche vorliegen haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mit mir darin überein, daß sich die Bundesregierung im Grunde im Blick auf ein Embargo gegenüber Südafrika sehr zurückhaltend geäußert hat und eigentlich eine solche Sanktion nicht befürwortet und daß es daher konsequent wäre, wenn gegenüber anderen Staaten nicht ein anderes Embargo verhängt würde, etwa gegen Syrien oder gegen andere Staaten? Ist das, was ich von Ihnen gehört habe, nicht eine Konsequenz, die ich zwar nicht im einzelnen billigen will, aber die doch eine Politik der Bundesregierung darstellt?
Möllemann, Staatsminister: Die Haltung der Bundesregierung gegenüber Wirtschaftssanktionen ganz generell ist skeptisch bis ablehnend, aber wir haben in jeder einzelnen Frage, in der wir in der EPZ unsere Entscheidung bilden, neben der eigenen Haltung auch die unserer Partner und das zu berücksichtigen, was wir mit einer Entscheidung bewirken oder nicht bewirken. Deswegen kann es kein Patentrezept geben, das aus einem einzigen Argument heraus abgeleitet würde. Ich verstehe die Besorgnis, die der Kollege Jäger hat, daß hier eine Mißdeutung möglich wäre; aber ich weiß mich mit allen Fraktionen hier im Haus einig — das war eine eindrucksvolle Einigkeit bei der Afghanistan-Debatte —, daß hier im Hause niemand in der Gefahr steht, den unerträglichen Versuch der Sowjetunion, dem afghanischen Volk seine Selbständigkeit und Souveränität zu nehmen, zu billigen, und daß wir uns alle gemeinsam in der Forderung an die Sowjetunion einig sind, ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Jäger auf:
Welche Angaben kann die Bundesregierung über den Tod des Solidarnosc-Aktivisten Edward Majko machen, der nach einer inzwischen weiter erhärteten Meldung im Informationsbulletin der Solidarnosc Nr. 43 in einem Wagen der Breslauer Milizkommandantur unter ungeklärten Umständen ums Leben kam , und wie beurteilt die Bundesregierung die fortgesetzte Verfolgung von Mitgliedern der Solidarnosc durch die polnischen Behörden?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, die Umstände, unter denen Edward Majko ums Leben gekommen ist, sind bisher im einzelnen nicht geklärt. Der Bundesregierung ist bekannt, daß im September des Jahres zwei Personen in Breslau einen Autounfall hatten, bei dem beide verstorben sind. Bei dem Beifahrer handelt es sich um Edward Majko, Mitglied des Solidaritäts-Regionalkomitees von Breslau. Der ebenfalls verstorbene Fahrer des Fahrzeugs könnte ein Funktionär des Sicherheitsdienstes gewesen sein.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß sich die Behörden der Volksrepublik Polen seit der Entlassung der meisten politischen Gefangenen zum 15. September des Jahres bei der Verfolgung von Mitgliedern der Solidarität bisher weitgehend zurückgehalten haben. Dies schließt natürlich einzelne Fälle von repressiven Maßnahmen, zumindest zeitweiligen Festnahmen, nicht aus. In solchen Fällen äußern wir auch unsere Position, die Sie ja kennen.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Jäger.
Meine erste Zusatzfrage: Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber oder irgendwelche Anhaltspunkte dafür, daß der getötete Solidarnosc-Aktivist Majko von seiner Wohnung mit dem Ziel abgeholt worden ist, ihn zu einer Vernehmung oder einer Festnahme zu bringen, oder gibt es Anzeichen, die darauf hindeuten, daß er abgeholt worden ist, um ihn auf diesem Wege
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19035
Jäger
ohne jedes Verfahren — ich will es mal so formulieren — auszuschalten?Möllemann, Staatsminister: Ich kann das nicht gesichert beantworten, Herr Kollege Jäger.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, ist die sich in einem solchen Fall darstellende Politik der polnischen Regierung gegenüber der gewerkschaftlichen Opposition im Lande nach Ihrer Kenntnis bereits in Wien bei der KSZE-Folgekonferenz von irgendeiner Seite angesprochen worden, und wenn nicht, wird sie etwa von der Bundesregierung angesprochen werden?
Möllemann, Staatsminister: Sie können davon ausgehen, Herr Kollege Jäger, daß im Verlauf der sechswöchigen Implementierungsdebatte, also der Debatte darüber, ob die Bestimmungen der KSZESchlußakte verwirklicht worden sind oder inwieweit das noch nicht geschehen ist, natürlich die Frage der Menschenrechte im allgemeinen und die in Ihrer Frage, jedenfalls das Verhältnis zur Gewerkschaft Solidarnosc betreffend, im besonderen angesprochenen Probleme dort angesprochen und behandelt werden. Ich kann, weil ich nicht alle Reden kenne, die gehalten worden sind, nicht sagen, ob dies schon geschehen ist. Sie können aber davon ausgehen, daß es jedenfalls im Rahmen der Implementierungsdebatte geschieht.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Rusche auf:
Auf welche Weise hilft die Bundesregierung den tibetischen Flüchtlingen, die nun schon seit Jahrzehnten zum größten Teil in armen Nachbarländern von Tibet Zuflucht genommen haben, und wie schätzt sie die Chancen dieser Menschen ein, in naher Zukunft wieder in ihr Heimatland zurückkehren zu können?
Möllemann, Staatsminister: Herr Rusche, zur Beantwortung des ersten Teils der Frage verweise ich auf die Antwort der Bundesregierung zu Punkt 20 der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Frau Kelly, Rusche und der Fraktion DIE GRÜNEN, Drucksache 10/6127 vom 8. Oktober.
Zum zweiten Teil der Frage ist zu sagen, daß die chinesische Regierung diesen Menschen freistellt, in ihre Heimat zurückzukehren.
Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter Rusche.
Herr Staatsminister, hat sich die politische Situation in Tibet für diejenigen Tibeter, die seinerzeit, als die Chinesen Tibet okkupiert haben, nicht ins Exil gegangen sind — nach dem, was ihnen widerfahren ist —, so verändert, daß es für sie gefahrlos wäre zurückzukehren?
Möllemann, Staatsminister: Die chinesische Regierung sagt zu diesem Thema, daß diejenigen, die jetzt zurückkehren, wie andere chinesische Bürger — Sie wissen, daß Tibet heute zum Staat China gehört — behandelt werden. So würden alle dort gleichermaßen behandelt.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, wie schätzen Sie das Begehren der Exiltibeter nach Autonomie ein, also das Begehren derjenigen, die in ihr Land zurück wollen, die in ihren eigenen Grenzen leben wollen, wie es vor dem Einmarsch der Chinesen in Tibet war?
Möllemann, Staatsminister: Ich glaube nicht, daß es Aufgabe der Bundesregierung ist, die Struktur der Volksrepublik China in der Weise, wie von Ihnen angesprochen, zu bewerten. Ich möchte mich deswegen dazu nicht äußern.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß bezüglich der Freiheiten, die in ihre Heimat zurückkehrende Tibeter zu erwarten hätten, Skepsis angebracht ist angesichts der Haltung des Dalai-Lama, dem ja die Rückkehr auch schon freigestellt worden ist und der daran sicher als der religiöse Führer seines Volkes das größte Interesse haben müßte, der dies aber dennoch nicht getan hat, weil er offenbar befürchtet, daß er eben nicht die notwendige Freiheit genießen würde, um seine religiösen Aufgaben ungehindert erfüllen zu können?
Möllemann, Staatsminister: Ich habe festgestellt, daß die chinesische Regierung zu dieser Frage sagt, daß Rückkehrer in dieses Gebiet, also Tibeter, die in ihre Heimat zurückkehren, wie andere Chinesen auch behandelt würden. Wir haben keinen Einfluß darauf, diese Aussage erstens zu ändern und zweitens das Verhalten der chinesischen Regierung in dieser Frage grundlegend zu verändern.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Eid.
Herr Staatsminister, Sie sagen, die Tibeter könnten wie andere Chinesen zurückkehren. Impliziert diese Antwort, daß Sie die Tibeter als Chinesen bezeichnen?
Möllemann, Staatsminister: Nein. Ich habe gesagt, die chinesische Regierung habe festgestellt, daß Tibeter, die in ihre Heimat zurückkehren wollten, dort behandelt würden — weil das heute ein Teil von China ist — wie die Chinesen, die dort leben. — Sie haben recht: nicht „andere" Chinesen. Das müßte man präzisieren.
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Rusche auf:
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19036 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Vizepräsident CronenbergIst die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß die vollkommen unzureichende Beantwortung der Kleinen Anfrage zur menschenrechtlichen und völkerrechtlichen Situation Tibets und der von mir eingebrachten mündlichen Anfragen ein schlechtes Licht auf die Menschen- und Völkerrechtspolitik der Bundesregierung wirft?Möllemann, Staatminister: Nein. Vizepräsident Cronenberg: Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß die tibetische Exilregierung sowie viele Bürger im In- und Ausland die Antwort auf die Kleine Anfrage mit Verwunderung — um es gelinde zu sagen —, wenn nicht sogar mit Empörung zur Kenntnis genommen haben?
Möllemann, Staatsminister: Nein.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß Fachliteratur, die auch hier im Inland deutschsprachig erhältlich ist, bei weitem informativer ist als alles, was durch Ihre Antworten auf die Kleine Anfrage und auf meine mündlichen Anfragen zu erfahren war, und daß die Erwartung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages eigentlich dahin geht, daß sich die Bundesregierung auch darüber hinaus noch informieren könnte?
Möllemann, Staatsminister: Ich glaube, es liegt im Wesen von Fachliteratur auf der einen und von Antworten auf Anfragen, die ja einen überschaubaren Rahmen haben müssen, auf der anderen Seite, daß — jedenfalls in aller Regel — Abhandlungen in der Fachliteratur sehr viel komplexer sind, sehr viel umfassender, als das eben bei Antworten auf Kleine Anfragen der Fall ist. Aber ich nehme Ihren Hinweis gerne in der Form auf — so verstehe ich das —, daß Sie sich von vornherein — zuzüglich zu den Informationen der Bundesregierung — die notwendigen Kenntnisse durch Fachliteratur verschafft hatten und sie durch uns gar nicht mehr brauchten.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Immer auf:
Welche besonderen Gründe haben die Bundesregierung veranlaßt, auf eine baldige Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Gemeinschaft zu drängen, obwohl in der Türkei nach wie vor Angehörige der kurdischen Minderheit mit militärischen Mitteln verfolgt, gefoltert und getötet werden, die kurdische Sprache verboten ist und eine kurdische Namensgebung verweigert wird?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Immer, die Bundesregierung tritt im Einklang mit ihrer Türkeipolitik für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der EG und der Türkei auf der Grundlage des Assoziierungsvertrages vom 12. September 1963 ein. Dazu fühlt sie sich rechtlich und politisch verpflichtet.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatsminister, diese Antwort auf meine Frage ist natürlich nicht befriedigend. Aber, bitte, das ist Ihr Bier.
Ich habe gefragt und frage noch einmal, ob die Bundesregierung in Kenntnis der Tatsache, daß die kurdische Minderheit — ich füge hinzu: und die armenische und andere Minderheiten — in der Türkei militärisch und polizeilich verfolgt wird — in Klammern: türkische Bergvölker; so werden sie genannt —, nicht wie andere Staaten in der EG darauf verzichten sollte, eine Assoziierung oder eine Einbeziehung der Türkei in die EG voranzutreiben, jedenfalls so lange, bis diese Probleme gelöst werden.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Immer, Ihre Frage lautete — ich darf das wiederholen —, welche besonderen Gründe die Bundesregierung veranlaßt hätten, auf eine baldige Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Gemeinschaft zu drängen.
— Sicher, aber das ist ja die erste Frage.
Ich habe dazu festgestellt, daß die Bundesregierung im Einklang mit ihrer Türkeipolitik, die Ihnen bekannt ist — die sich im übrigen im Verhältnis zur Vorgängerregierung auch nicht geändert hat —, für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der EWG und der Türkei auf der Grundlage des Assoziierungsvertrages eintritt. Das tun alle übrigen EWG-Partner auch. Es liegt im Wesen eines Vertrages, daß man von beiden Seiten erwarten darf, daß man sich an ihn hält. In diesem Vertrag sind die entsprechenden Daten und Absichten klar enthalten.
Die Lage der kurdischen Türken, auf die Sie im zweiten Teil Ihrer Frage abheben, — —
Herr Abgeordneter, würden Sie den Staatsminister bitte ausreden lassen.Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, die Lage der kurdischen Türken, auf die Sie im zweiten Teil Ihrer ersten Frage abheben,
ist seit den 60er Jahren unverändert. Ich verweise bewußt auf die Antwort, die ich Ihnen zu diesem Komplex bereits einmal im September gegeben habe. Wir haben darüber hinaus in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD umfassend zur Lage der kurdischen Türken Stellung genommen. Die damalige Bewertung hat weiterhin Gültigkeit.Ich möchte nur darauf hinweisen, daß keine Bundesregierung seit dem Zustandekommen des Abkommens wegen der Lage der kurdischen Türken, die, wie ich sagte, seit den 60er Jahren unverändert
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19037
Staatsminister Möllemannist, Anlaß gesehen hätte, den Assoziierungsvertrag etwa nicht einhalten zu wollen.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie durch Ihre Äußerungen feststellen, daß es in der Türkei tatsächlich Kurden gibt, was doch von der türkischen Regierung ständig in Abrede gestellt wird, weil die Kurden weder ihre Sprache sprechen dürfen, per Strafe daran gehindert werden, noch ihre kurdischen Namen anmelden dürfen, wodurch eine kurdische Namensgebung verhindert wird. Nach der Meinung der Bundesregierung gibt es also, wenn ich das richtig sehe, Kurden in der Türkei, und es ist nicht so, wie die türkische Regierung immer wieder erklärt, daß es nämlich keine Kurden gebe, sondern nur ein türkisches Volk.
Nur für das Protokoll: Es wäre gut, wenn Sie noch irgendwo ein Fragezeichen unterbrächten.
Fragezeichen!
Herr Staatsminister, wollen Sie darauf noch antworten?
Möllemann, Staatsminister: Ja. — Es ist unbestreitbar, daß es kurdische Türken gibt oder türkische Kurden, wie Sie es nennen wollen. Also, das Volk der Kurden, das über mehrere heute bestehende Staaten verteilt lebt, und seine Lage ist mehrfach Gegenstand von Erörterungen hier gewesen wie auch Gegenstand von Kleinen Anfragen. Ich bitte Sie sehr herzlich, den ganzen Komplex, der sich in seiner Bewertung nicht geändert hat, noch einmal genau in der Antwort auf die Kleine Anfrage anzuschauen, die Ihre eigene Fraktion eingebracht hat.
Also, unbestreitbar ist es so, daß in der Türkei Kurden leben, natürlich.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die ebenso kluge wie entschiedene Politik der Bundesregierung im Ministerkomitee des Europarates ebenso wie die Haltung der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung durch die Einwirkungen auf die Demokratisierung in der Türkei dazu beigetragen haben, die Zahl der Folterungen zurückgehen zu lassen, die Folterer selbst einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen, und damit auch das Schicksal der kurdischen Minderheit in günstigem Sinne beeinflußt haben?
Möllemann, Staatsminister: Ja, ich glaube, niemand kann bestreiten, daß das Engagement der demokratischen Staaten Europas und Nordamerikas für eine Verbesserung der Menschenrechtslage in der Türkei mit zu Ergebnissen geführt hat. Das war einer der Gründe, weshalb sich die Bundesregierung auch dafür eingesetzt hat, daß die Türkei beim nächsten Mal wieder den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarates übernehmen kann, der ihr turnusmäßig zusteht. Damit wollen wir den Prozeß der Demokratisierung, der von der Regierung Özal und anderen dort in Gang gesetzt worden ist, ermuntern und bekräftigen, lassen aber keinen Zweifel daran aufkommen, daß es ein Prozeß ist, der noch nicht abgeschlossen ist.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Immer auf:
Begründet die Tatsache, daß eine kurdische Organisation in der Bundesrepublik Deutschland kurdischen Sprachunterricht an Schulen, Rundfunksendungen und Aufklärungsschriften in kurdischer Sprache fordert, wie sie im Verfassungsschutzbericht 1985 aufgeführt werden, schon den Tatbestand einer verfassungsfeindlichen Organisation, oder entsprechen solche Forderungen nicht den Menschenrechten, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen und in der Schlußakte von Helsinki verankert sind und von der Bundesregierung auch im Blick auf deutschstämmige Minderheiten, wie zum Beispiel gegenüber Rumänien, geltend gemacht werden?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Immer, nach Auffassung der Bundesregierung begründen die in Ihrer Frage aufgezählten Forderungen nicht den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit. Die Erwähnung der angesprochenen Organisation im Verfassungsschutzbericht beruht darauf, daß es sich um eine orthodox-kommunistische Vereinigung handelt.
Zusatzfrage, bitte schön.
In dem Verfassungsschutzbericht 1985 wird aber gerade — wenn ich das richtig gelesen habe — auf die Tatsache abgestellt, daß eine Gruppierung fordere, kurdischen Sprachunterricht in den Schulen zu erteilen und in Rundfunksendungen die kurdische Sprache zu benutzen, was in der Bundesrepublik nicht statthaft sei — sonst könnte ich den Verfassungsschutzbericht überhaupt nicht begreifen. Es wird mit keinem Wort erzählt, daß KOMKAR, die sicherlich mit der DKP Verbindungen hat, aus anderen Gründen verfassungswidrig sei. Hier werden vielmehr die Forderungen aufgezählt, und darauf wird offenbar die Verfassungsfeindlichkeit zurückgeführt.Möllemann, Staatsminister: Nein. Ich wiederhole: Aus der Sicht der Bundesregierung begründen die von Ihnen angesprochenen Forderungen — ich möchte sagen: natürlich — nicht die Verfassungsfeindlichkeit. Es wäre geradezu absurd, wenn das Erheben solcher Forderungen als verfassungsfeindlich gelte. Im Gegenteil: Solche Forderungen lassen sich zwar nicht aus der Charta der Vereinten Nationen ableiten; sie ergeben sich aber aus dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dem allerdings die Türkei nicht beigetreten ist, jedoch wir.Ich wiederhole hier: Aus der Sicht der Bundesregierung ist die Erwähnung der angesprochenen Organisation im Verfassungsschutzbericht darauf zurückzuführen, daß es sich um eine orthodox-kommunistische Vereinigung handelt, und nicht auf diese Forderungen.
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19038 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Weitere Zusatzfrage. — Ich möchte Sie aber darauf aufmerksam machen, daß wir in der Geschäftsordnung stehen haben, daß die Fragen kurz und präzise sein müssen.
Entschuldigung, Herr Präsident.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung in Zukunft also darauf hinwirken, daß die Standesämter in der Bundesrepublik Deutschland endlich dazu übergehen, auch kurdische Namen zuzulassen, und nicht wie bisher in einigen Bundesländern die Übung haben, nach NATO-Doktrin kurdische Namen auf Grund der türkischen Intervention nicht zuzulassen?
Möllemann, Staatsminister: Ich weiß jetzt nicht genau, wie das bei den Standesämtern im einzelnen läuft. Ich bin da noch nicht allzu oft gewesen.
Es liegt in der Natur der Sache, daß man sich dort nicht allzu häufig aufhalten muß. Aber ich nehme an, daß dort der Name in die Dokumente eingetragen wird, der im Paß der Leute steht.
Herr Abgeordneter, nun haben Sie Ihr Fragerecht weidlich ausgenutzt.
Ich kann nun die Fragestunde schließen und rufe den Punkt 4 der Tagesordnung auf.
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Waschmittelgesetzes
— Drucksache 10/5303 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 10/6404 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schmidbauer Kiehm
Frau Hönes
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/6405 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Kühbacher Gerster
Dr. Weng Dr. Müller (Bremen)
Meine Damen und Herren, es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, in der festgelegt worden ist, daß die Aussprache dreißig Minuten betragen soll. — Widerspruch erhebt sich dagegen nicht. Ich kann also die Aussprache eröffnen.
Zunächst einmal gebe ich das Wort dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Wallmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Gewässerschutz hat für die Bundesregierung herausragende umweltpolitische Bedeutung. Die sichere und langfristige Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser ist für uns alle lebenswichtig.
In dieser Legislaturperiode hat die Bundesregierung deswegen eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, mit denen der Gewässerschutz nachhaltig verbessert wird. Hierzu zählt insbesondere eine merkliche Verschärfung des gesetzlichen Instrumentariums. Nach der Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes im Juni dieses Jahres steht heute die Novelle zum Waschmittelgesetz zur abschließenden Beratung an. Es ist erfreulich, daß die Beratung des Regierungsentwurfs in den Ausschüssen sachlich und kooperativ verlaufen ist.
Zum Inhalt des Gesetzes möchte ich mich auf wenige Punkte beschränken.
Erstens. Durch die Novelle zum Waschmittelgesetz wird der Gewässerschutz in den Bereich der Herstellung von Waschmitteln vorverlagert. Die Umweltverträglichkeit derartiger Mittel ist weiter zu verbessern. Gewässerbelastende Stoffe sollen durch gewässerschonende ersetzt werden. Stärker als bisher wird damit das Vorsorgeprinzip verwirklicht.
Zweitens. Die Novelle erweitert den Anwendungsbereich des Waschmittelgesetzes auf eine Vielzahl bisher nicht erfaßter Wasch- und Reinigungsmittel, z. B. Wäscheweichspüler und Textilhilfsmittel.
Drittens. Wasch- und Reinigungsmittel müssen in geringeren Mengen als bisher eingesetzt werden. Hierzu dient vor allem eine bessere Information des Verbrauchers. Die Hersteller müssen genauere Dosierungsempfehlungen als bisher geben. Der Verbraucher erhält erstmals die Möglichkeit des direkten Vergleichs zwischen konkurrierenden Produkten. Durch eine sparsamere Verwendung der Waschmittel können unsere Gewässer beträchtlich entlastet werden.
Viertens. Die Novelle enthält daneben eine — wenn ich das so sagen darf — wichtige technische Komponente. Reinigungseinrichtungen, z. B. Waschmaschinen, sollen so gestaltet werden, daß der Verbrauch von Wasch- und Reinigungsmitteln sowie von Wasser und Energie möglichst verringert wird. Hier ist bereits jetzt eine positive Entwicklung auf dem Markt zu beobachten.
Die Neuerungen im Waschmittelgesetz werden dazu beitragen, den Gewässerschutz weiter zu verbessern. Gesetzliche Maßnahmen allein reichen jedoch auch hier nicht aus. Wir alle sind aufgerufen, meine Damen und Herren, bei der Verwendung von Wasch- und Reinigungsmitteln unseren persönli-
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Bundesminister Dr. Wallmann
chen Beitrag zur Schonung unserer Umwelt zu leisten. Ich vertraue auf die Bereitschaft unserer Bürgerinnen und Bürger, in ihrem privaten Bereich etwas für unsere Umwelt zu tun. Das Waschmittelgesetz ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem besseren Gewässerschutz. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Kiehm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dieser Änderung des Waschmittelgesetzes wird ein weiterer Schritt in die Richtung getan, Gewässerschutz zu betreiben, indem der Umsatz von Schadstoffen und Produkten reglementiert wird. Wir sind froh darüber, daß mit der Entscheidung über dieses Gesetz auch der Streit ein Ende hat, ob nun produktbezogener Gewässerschutz betrieben werden soll oder ob der Weg über die Abwasserreinigung erfolgen soll. Wir meinen, mit dieser Entscheidung wird deutlich, daß produktbezogene und abwassertechnische Regelungen notwendig sind.Der erste Schritt mit dem Waschmittelgesetz '75 hat zu Ergebnissen geführt, die sich nach unserer Meinung sehen lassen können: Gegenüber 1975 ging der Phosphatverbrauch in Wasch- und Reinigungsmitteln von 280 000 t auf unter 170 000 t zurück, d. h. 40 % Minderung. Der Anteil der Belastungder Gewässer durch Waschmittelphosphate sank von 40% auf 25%. Wie in anderen Bereichen des Umweltschutzes zeigt sich, daß die sozialliberale Regierung nicht nur allgemeine Impulse gegeben hat, sondern daß sie durch die Ausgestaltung des Instrumentariums auch erhebliche Erfolge erreicht hat.Herr Minister, wenn Sie davon sprechen, daß es Fortschritte im Gewässerschutz gibt und daß dieses Waschmittelgesetz dazu ein Beitrag ist, wird dies nicht bezweifelt. Nur, unsere Sorge ist, daß der Eindruck vermittelt werden könnte, daß bei Ihrem Einsatz zur Beseitigung gefährlicher Stoffe ein Optimum erreicht worden sei. Dies muß angezweifelt werden. Die Debatte der letzten Tage zeigt geradezu, daß die Bundesregierung zu verstärktem Handeln aufzufordern ist. Das hier und heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz macht nach unserer Meinung Schritte in die richtige Richtung. Deshalb werden wir dem Gesetz auch zustimmen.
Diese Schritte werden aber in einigen Punkten unserer Meinung nach nur zögerlich getan, und sie greifen auch nicht weit genug. Ich will dazu einige Sätze sagen.Erstens. Wir haben es für nötig gehalten, im Interesse einer längerfristigen Produktplanung der Produzenten ein Datum in das Gesetz einzuführen, nach dem nur noch Wasch- und Reinigungsmittel auf den Markt gebracht werden dürfen, bei denen die Inhaltsstoffe biologisch abbaubar oder umweltverträglich eliminierbar sind. Der 1. Januar 1990 sollte diese zeitliche Grenze markieren. Mit Verweis auf EG-Recht ist unser Antrag abgelehnt worden.Zweitens. Im Interesse einer eindeutigen Gesetzessprache wollten wir verhindern, daß die Phosphathöchstmengenverordnung ausdrücklich von der Existenz geeigneter Ersatzmöglichkeiten abhängig gemacht wird. Dies ist nicht gelungen. Es ist schon ein Kuriosum, daß wir im Bericht verdeutlichen müssen, was im Text nicht eindeutig gesagt wird, nämlich daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht über Gebühr bemüht werden soll.Drittens. Die Möglichkeit des Verbots bestimmter Inhaltsstoffe in einer Verordnung wollten wir auf Produkte ausdehnen, ein zusätzliches Instrument, das wir der Bundesregierung an die Hand geben wollten. Es ist nur ideologisch erklärbar, daß die Bundesregierung und die Koalition dieses Vorsorgemittel nicht annehmen wollen.
Es gibt aber auch akzeptable Verbesserungen: bei den Verbraucherinformationen und bei der Beteiligung des Umweltbundesamts. Der Minister ist darauf eingegangen. Deshalb auch unsere Zustimmung.Meine Damen und Herren, mir ist selten ein Gesetz untergekommen, das in seiner angestrengten Wirkungsweise mit einer solchen Fülle von Verordnungsermächtigungen ausgestattet ist; es sind wohl fünf oder sechs. Ich beklage das nicht, weil auf diesem Wege sicherlich gezielter, konkreter und schneller gehandelt werden kann. Hier aber liegt auch ein Dilemma. Der Bundestag verzichtet auf eine vielleicht auch nur unzureichende und allgemeine Regelung im Vertrauen darauf, daß die Regierung von den angebotenen Möglichkeiten Gebrauch macht. Hier zweifeln wir; hier haben wir nicht das hohe Ausmaß an Vertrauen, daß die Regierung die angebotenen Instrumente auch nutzen wird.Einer anderen Argumentation der Regierung können wir folgen; das ist nachvollziehbar. Sie sagt, vor dem Hintergrund einer drohenden Verordnung ließen sich leichter Vereinbarungen mit Industrieverbänden, Branchen und Unternehmen abschließen, die gezielter und schneller zu einem Ergebnis führen würden. Für eine vom Parlament bestimmte Politik und für die Kontrolle der Regierung durch das Parlament ist diese Form des nicht öffentlichrechtlich geprägten Handelns an sich eine unangemessene Lösung.Während wir der CDU manchmal deutlich sagen müssen, daß sie von bewährten Prinzipien Abschied nehmen sollte — ich denke an das Wasserhaushaltsgesetz mit der Entschädigung für Landwirte —, die im Grunde genommen zu einer Aufweichung des Verursacherprinzips führen, stehen wir Sozialdemokraten auch zu dem Kooperationsprinzip, das sich in diesen Vereinbarungen ausdrückt. Wir haben das einmal in einem Papier so formuliert: Das Instrument der Absprache kann dann an Bedeutung gewinnen, wenn die Drohung mit einschneidendem Ordnungsrecht und einer Abgabe glaub-
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19040 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Kiehmhaft gemacht werden kann. Aber es darf nicht auf Zeitgewinn und Abwiegelung gesetzt werden.
Wir halten es sogar für denkbar, daß im Zuge der Kooperation Staat und Wirtschaft, beide mit ihren Maßnahmen gezielt in Produktionsalternativen denken und auf diese Veränderungen hinwirken. Da, wo abschließende Regelungen nicht möglich sind, möchten wir erreichen, daß Stufenpläne mit Zeitvorgaben, die eine konstruktive Alternative darstellen, zu einer Verabredung gehören.Ausgehend von diesen Betrachtungen folgen wir der Argumentation, im Bereich der Wasch- und Reinigungsmittel Vereinbarungen zu treffen. Über die Problematik der Zielsetzung und einem dieser Zielsetzung folgenden Regierungshandeln habe ich mich mit dem Kollegen Schmidbauer schon einige Male an dieser Stelle auseinandergesetzt. Es ist zu begrüßen, daß auf unseren Antrag hin im Ausschuß einvernehmlich festgestellt worden ist, wie wir es mit diesen Vereinbarungen denn handhaben wollen. Es heißt dort, daß wir die Bundesregierung auffordern, die inhaltlichen Positionen für Verordnungen umgehend vorzubereiten und zur Diskussion zu stellen, damit die beteiligten Kreise und die Betroffenen in der Lage sind, sich an der vorgesehenen Zielsetzung zu orientieren. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die beteiligten Kreise und den Umweltausschuß über die angestrebten Vereinbarungen, die Vereinbarungspartner, den Anteil der durch die Vereinbarung betroffenen Produkte oder Inhaltsstoffe zu informieren und das Ganze in angemessener Weise auch zu veröffentlichen.Wir hoffen, daß unser Beitrag hier zur Veränderung des Waschmittelgesetzes auch ein Beitrag ist, den Gewässerschutz zu forcieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Brand bei Sandoz und die schwerwiegenden Auswirkungen auf das Ökosystem des Rheins haben uns, so denke ich, wieder sehr deutlich gemacht, welch große Bedeutung der Gewässerschutz hat. Sauberes Wasser ist als Grundlage allen Lebens unentbehrlich, und saubere Gewässer sind Voraussetzung für eine dauerhafte Sicherung unserer Trinkwasserversorgung.Die CDU/CSU-Fraktion hat deshalb im Entschließungsantrag in unserer Verantwortung für die Umwelt die Bundesregierung gebeten, die notwendigen Verbesserungen der Gewässerreinhaltung in die Wege zu leiten. In einer breit angelegten Konzeption hat die Bundesregierung praktikable und wirksame Entwürfe zum Wasserhaushaltsgesetz, zum Abwasserabgabengesetz und zum Waschmittelgesetz vorgelegt. Das Wasserhaushaltsgesetz ist bereits verabschiedet. Das Waschmittelgesetz wird heute verabschiedet, und wir werden noch in dieser Legislaturperiode auch das Abwasserabgabengesetz verabschieden.Der Entwurf der Bundesregierung zum Waschmittelgesetz war eine sehr gute Entscheidungsgrundlage. Der Beratungsverlauf hat gezeigt, daß die Grundsatzpositionen richtig sind und beibehalten werden können. Wir haben eine sehr ausführliche Beratung in den Ausschüssen gehabt. Wir haben ein sehr ausführliches Hearing in Berlin gehabt.Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Beteiligten bedanken, bei den Beamten des Ministeriums und im besonderen auch bei dem Berichterstatter, dem Kollegen Kiehm, der eben hier gesprochen hat. Es ist in der Tat so, daß wir uns, Herr Kollege Kiehm, hier sehr oft über die prinzipiellen Dinge unterhalten haben. Wir haben es immerhin verstanden — ich denke, dies ist ein wichtiger Punkt für unseren Gewässerschutz —, einvernehmliche Regelungen in diesem Waschmittelgesetz zu finden.Ich darf die wesentlichen Kriterien, von denen sich die CDU/CSU-Fraktion in ihren Entscheidungen zu diesem Gesetz hat leiten lassen, hier in kurzen Zügen darlegen.Erstens. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist mit der Bundesregierung der Meinung, daß der Anwendungsbereich des Gesetzes ausgedehnt werden muß. Deshalb haben wir den Schutzbereich des Gesetzes erheblich ausgeweitet. Die Liste der Wasch-und Reinigungsmittel, die unter das geltende Recht fallen, war unzureichend. Es sind deshalb alle Stoffe mit einbezogen worden, die im Zusammenhang mit Reinigungsvorgängen in das Abwasser und die Gewässer gelangen. Wir erfassen damit einen komplexen und teilweise bislang sehr unübersichtlichen Bereich.Insbesondere die für die Trinkwasserversorgung gefährliche Stoffgruppe der organischen Halogenverbindungen wird mit in dieses Gesetz einbezogen.Es ist folgendes notwendig: klarere Abgrenzung der verschiedenen Gruppen der neu unter das Gesetz fallenden Erzeugnisse; Verzicht auf Beschriftung; Meldepflicht nur dort, wo dies bei den Betroffenen zu Rechtsunsicherheiten führen kann und die umweltpolitische Wirksamkeit des Gesetzes nicht beeinträchtigt wird.Zweitens. Die CDU/CSU-Fraktion hält voll an dem Konzept der Bundesregierung fest, die gesetzlichen Regelungen stärker an Vorsorgegesichtspunkten zu orientieren. Gegenvorstellungen haben uns nicht überzeugen können. Der Vorsorgegedanke rückt zu Recht in allen Bereichen des Umweltschutzes immer stärker in den Vordergrund. Gerade ein typisches Vorsorgeinstrument wie das Waschmittelgesetz mit seinen produktbezogenen Anforderungen muß als solches auch effektiv einsetzbar sein.Daraus folgt für uns: Herabsetzung der Eingriffsschwelle für Anforderungen der Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln, keine alleinige und volle Beweislast des Staates für den Nachweis umweltschädlicher Wirkungen, Einführung der Möglichkeit, auch für Produkte Beschränkungen festzusetzen.
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SchmidbauerNicht folgen werden wir Forderungen nach Produktverboten oder absoluten gesetzlichen Verboten für bestimmte Inhaltsstoffe, z. B. bei Phosphaten. Hier ist auch stärker zu differenzieren. Solche Verbote sind unnötig und umweltpolitisch fragwürdig, weil zuerst die Möglichkeit bestehen muß, im Einzelfall die Umweltverträglichkeit von Ersatzstoffen zu prüfen.Drittens. Ein weiterer zentraler Punkt der Novelle ist die Erweiterung des Gesetzes um eine maschinenbezogene Regelung. Uns erscheint eine solche Regelung und Ergänzung sehr sinnvoll. Chemisches Erzeugnis und Maschine bilden ein Gesamtsystem, das im Interesse des Umweltschutzes optimal aufeinander abgestimmt sein muß. Hier ist die Verordnungsermächtigung entbehrlich. Wir erwarten in diesem Zusammenhang Ergebnisse im Hinblick auf die freiwillige Selbstverpflichtung von vier Wirtschaftsverbänden, die im August 1986 vereinbart wurde.Viertens. Der Verbraucher — und dies ist der wichtige Punkt in diesem Gesetz — erhält durch neue gesetzliche Regelungen bessere Informationen und wird damit in die Lage versetzt, seine eigene Verantwortung bei der richtig dosierten Verwendung von Wasch- und Reinigungsmitteln zu erkennen und ihr gerecht zu werden. Alle Verbraucherverbände haben dieser Regelung zugestimmt.Die heutige Presseerklärung eines Industrieverbandes in diesem Zusammenhang ist für mich nicht verständlich. Ich hoffe, daß sie nicht durchgängig die Meinung aller Hersteller darstellt.Fünftens. Die CDU/CSU-Fraktion steht voll hinter dem Kooperationsprinzip. Freiwillige Vereinbarungen haben große Vorteile. Gerade im Waschmittelbereich gibt es hierfür günstige Rahmenbedingungen und, so denke ich, gute Erfahrungen. Die Industrie hat eine weitgehende Kooperation in Aussicht gestellt. Nehmen wir sie beim Wort.Die CDU/CSU-Fraktion stimmt den Beschlußempfehlungen des Umweltausschusses zu. Die Gesetzesvorlage setzt die notwendigen Verbesserungen des Umweltschutzes mit marktkonformen und damit wirkungsvollen Instrumenten durch. Wir kennen die Verantwortung einer modernen Industriegesellschaft für die Sicherung einer gesunden Umwelt. Wir setzen auf ein abgewogenes Verhältnis zwischen staatlicher Reglementierung, Selbstverantwortung und Kooperationsbereitschaft der Wirtschaft. Wir wissen, daß wir bisher damit erfolgreich waren und künftig erfolgreich sein werden.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hönes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das neue Waschmittelgesetz, von Walter Wallmann präsentiert, trägt angeblich deutlich zur Entlastung der Gewässer bei. Es erhebt den Anspruch, die Umweltverträglichkeit von Wasch-und Reinigungsmitteln zu verbessern und den Mengenverbrauch zu reduzieren.Obwohl wir der Meinung sind, daß die Novellierung in Teilbereichen Fortschritte ermöglichen könnte, müssen wir doch zum wiederholten Male feststellen, daß diese Bundesregierung das Gesamtproblem Waschmittel schaumgebremst, enthärtet, optisch aufgehellt und weichgespült in Angriff genommen hat.
Unsere grundsätzliche Kritik richtet sich gegen die Laschheit des Vorgehens bei den höchst problematischen umweltrelevanten Inhaltsstoffen von Wasch- und Reinigungsmitteln.Anstatt endlich ein Instrument zu schaffen, mit dem überflüssige und umweltschädliche Stoffe wie schlecht abbaubare Tenside, Weichspüler, optische Aufheller, Bleichmittel, Phosphate oder Chlor enthaltende Chemikalien spürbar reduziert oder aus dem Verkehr gezogen und gegebenenfalls durch ökologisch verträglichere Alternativen ersetzt werden, zieht diese Bundesregierung mit einer Sturheit sondergleichen hilflose freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie vor. Sie schiebt das Problem mit dem Hinweis auf mögliche Verordnungsermächtigungen vor sich her.Der Jahresumsatz von 3,5 Milliarden DM der Wasch- und Körperpflegemittelproduzenten ist ihr offensichtlich wichtiger als 27 000 Vergiftungsfälle mit Haushaltschemikalien pro Jahr, wichtiger als fischgiftige Tenside, die sich im Klärschlamm anreichern, wichtiger als die Tatsache, daß der Phosphatgehalt des geschundenen Rheins bei einem Anwendungsverbot für Waschmittelphosphate in den Rheinuferstaaten zumindest halbiert würde.Es ist schon unbegreiflich, daß sich die Bundesregierung selbst in den Fällen, in denen wir über anerkannte umweltverträgliche Phosphatsubstitute wie Zeolith A verfügen, von der Waschmittellobby unterbuttern läßt und aus ihrer Umweltverantwortung davonstiehlt.Seit Jahren warnen Ärzte und Toxikologen vor optischen Aufhellern. Was diese Substanzen und die synthetischen Duftstoffe aus den Waschmitteln zusätzlich in den Gewässern anrichten, steht verschlüsselt in vielen wissenschaftlichen Publikationen. Die strahlend saubere Wäsche mit ihrem penetranten Verwöhnaroma, die Allergiker und sensible Menschen in ständige alarmbereitschaft versetzt, ist Ihnen wichtiger als eine klare gesetzliche Regelung.Diese Bundesregierung hat überdies auf die besondere Förderung von umweltverträglichen Wasch- und Reinigungsmitteln zur Gänze verzichtet.Das bekannte Baukastenprinzip, wonach Tenside, Bleichmittel und Enthärter getrennt angeboten werden und nachweislich der geringste Umweltschaden verursacht wird, existiert im Gesetz überhaupt nicht.Ebensowenig hat diese Bundesregierung der Erkenntnis Rechnung getragen, daß die altbewährte Seife, das Alkalisalz natürlicher pflanzlicher und tierischer Fettsäuren, aus vielerlei ökologischen
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19042 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Frau HönesGründen vorteilhafter ist als die meisten synthetischen Tenside. Dabei spielen nicht nur Überlegungen, die die „naturfremde" und „naturgemäße Struktureinheit" berücksichtigen, ein wichtige Rolle.Für uns ist nach all den Diskussionen, die der Novellierung des Waschmittelgesetzes vorausgegangen sind, völlig klar, daß Herr Wallmann jetzt, kurz vor der Wahl, ganz wie sein Vorgänger Zimmermann die Schaumschlägerei in Bonn fortsetzt. Mit Getöse und flotten Ökosprüchen wird ein fauler Kompromiß verkauft, dem noch dazu in letzter Minute durch erfolgreiche Intervention der Industrie der wacklige Schneidezahn gezogen wurde: Ein Großteil der industriell und gewerblich verwendeten Tenside und Reinigungsmittel, der im Vorentwurf noch vorhanden war, wurde mit dem Hinweis auf die „komplexen" Anwendungen aus dem Regelwerk entfernt. Dabei sind es oft genug gerade jene Chemikalien aus Industrie und Gewerbe, die unsere Fische das Fürchten lehren. Aber der Rhein ist tot; es lebe die Chemie.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Rhein ist nicht tot.
— Nein, selbst mit diesen Vergiftungen nicht. Sie stellen Ihre eigenen Leistungen hier schlecht dar. Sie haben die Bundesregierung mitgetragen. Es sind Milliarden in den Rhein investiert worden.
Man muß einmal einen Blick in die Vergangenheit werfen. 1975 hatten wir 280 000 t Phosphat in den Wasch- und Reinigungsmitteln. Wir hatten im letzten Jahr 100 000 t. Das heißt: Wir haben eine Reduzierung um etwa zwei Drittel erreicht, Frau Kollegin Hönes. Mit der Phosphathöchstmengenverordnung und mit allen anderen Maßnahmen haben wir eine ganz starke Reduzierung dieser Stoffe erreicht.
— Na gut, Sie sagen immer, es hätte mehr sein können. Wir können hier machen, was wir wollen, Sie stimmen dem sowieso nicht zu. Insofern empfinde ich die sachliche Zusammenarbeit mit dem Kollegen Kiehm und der SPD-Fraktion in diesem Punkte — bei aller Kritik, die Sie geäußert haben — als wirklich wohltuend. Wir haben, was ich sehr begrüße, wieder einmal eine Basis für gemeinsames Vorgehen, wie wir sie am Anfang, als der Umweltschutz entwickelt wurde, mit der damaligen Opposition viel öfter gehabt haben.
Mit der Novelle wird ein weiterer Schritt nach vorn zugunsten des Gewässerschutzes getan. Wir sind davon überzeugt, daß die Gewässerbelastung weiter reduziert wird. Es ist so, daß der Bereich der vom Gesetz erfaßten Wasch- und Reinigungsmittel erheblich ausgedehnt wird. Insbesondere auch die Weichspüler, die sich in der Bundesrepublik einer großen Beliebtheit — meines Erachtens einer zu großen Beliebtheit, 400 000 t jährlich — erfreuen, werden einbezogen. Wir brauchen schon so etwas wie eine chemische Abrüstung im Haushalt. Jeder, der Chemikalien, Reinigungsmittel im Haushalt verbraucht, sollte sich wirklich fragen, ob er so viele Stoffe braucht und ob er Reinigungsmittel in jedem Fall einsetzen muß. Das ist auch eine Sache des Verbrauchers. Wir haben in der Novelle die Information der Verbraucher verbessert und appellieren an die Verbraucher, Überdosierungen zu vermeiden und damit selber einen Beitrag zur Entlastung unserer Gewässer zu leisten.
Es ist wichtig — darauf wurde schon hingewiesen —, daß die Bundesregierung Verordnungen erläßt. Der Verordnungsgeber Bundesregierung hat künftig nicht mehr die alleinige Beweislast für die nachteiligen Wirkungen, wenn er in den Wasch-und Reinigungsmitteln Stoffe beschränken und verbieten will. Ich teile, Herr Kollege Kiehm, Ihre Besorgnis, daß wir Verordnungsermächtigungen notgedrungen — es bleibt uns kein anderer Weg — ausweiten. Es gibt gerade jetzt in der Endphase der Gesetzgebung eine Fülle von Umweltgesetzen, aber auch von anderen Gesetzen, in denen wir uns in großem Umfang unseres Gesetzgebungsrechts entledigen, natürlich in vollem Vertrauen zu denen, die das dann handhaben: Bund, also Bundesregierung und Länder. Aber das ist ein institutionelles Problem für den Deutschen Bundestag. Es gibt im Moment keine andere Lösung. Denn wir können im Gesetz nicht die Flexibilität erreichen, die der Verordnungsgeber hat.
Bezüglich der sogenannten Maschinenregelung kann als besonders erfreulich festgestellt werden, daß die Industrie zugesagt hat, Waschmaschinen und andere technische Einrichtungen zum Waschen und Reinigen im Interesse des Gewässerschutzes zu verbessern. Das Kooperationsprinzip funktioniert hier unter den Konditionen, die Sie genannt haben, denen ich zustimme.
Nach der Novelle wird es für die Möglichkeit des Verbots von Phosphat ausreichen, wenn geeignete Ersatzmöglichkeiten, z. B. die Umstellung von Waschprozessen, vorliegen. Man muß aber immer darauf achten, Frau Kollegin Hönes, daß man nicht mit den Ersatzstoffen wiederum Schäden verursacht — das ist ja alles sehr umstritten —, daß man also den Teufel nicht mit Beelzebub austreibt. Das wäre nicht der Sinn einer solchen Regelung.
Alles in allem also ein weiterer Schritt zur Gewässerentlastung. Wir haben ja die Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes, eine Verschärfung, hier beschlossen. Vor Ende der Legislaturperiode werden wir auch noch eine Novellierung des Abwasserabgabengesetzes vorlegen. Wir werden den Gewässerschutz also in berechenbaren Schritten mit sichtbaren Erfolgen verstärken. Das belegen auch die Zahlen, die das Umweltbundesamt veröffentlicht hat.
Deutscher Bundestae — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19043
Baum
Wir stimmen dem Gesetz zu.
Da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, kommen wir nun zur Einzelberatung und Abstimmung.Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf bei Stimmenthaltung der GRÜNEN angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Umweltschutzes in der Raumordnung und im Fernstraßenbau— Drucksache 10/5347 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 10/6366 —Berichterstatter:Abgeordnete Lohmann Pesch
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Schulte , Senfft und der Fraktion DIE GRÜNENMaßnahmenpaket zur Förderung umweltverträglicher Verkehrsmittel— Drucksache 10/5865 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr
InnenausschußFinanzausschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschußc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
zu dem Entschließungsantrag des Abgeordneten Schulte und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Abgabe einer Erklärung der BundesregierungVerhandlungen des EG-Umweltrats vom 27. Juni 1985 in Luxemburg zum umweltfreundlichen Autozu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Abgabe einer Erklärung der BundesregierungVerhandlungen des EG-Umweltrats vom 27. Juni 1985 in Luxemburg zum umweltfreundlichen Auto— Drucksachen 10/3582, 10/3584, 10/6208 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer DuveSchulte
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD Einführung umweltfreundlicher Kraftfahrzeuge— Drucksachen 10/1768, 10/4095 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer Duvee) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Schulte (Menden), Senfft und der Fraktion DIE GRÜNENFörderung umweltverträglicher Verkehrsmittel
hier: Einführung einer Lkw-Verkehrsabgabe— Drucksachen 10/3644, 10/5985 —Berichterstatter: Abgeordneter Hoffief) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Schulte (Menden), Senfft und der Fraktion DIE GRÜNENFörderung umweltverträglicher Verkehrsmittel
hier: Maßnahmen gegen überhöhte Geschwindigkeiten durch Lastkraftwagen— Drucksachen 10/3645, 10/5779 —Berichterstatter: Abgeordneter Kretkowskig) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNENFörderung umweltverträglicher Verkehrsmittel
hier: Nutzung und Förderung der öffentlichen Verkehrsmittel und der Deutschen Bundesbahn— Drucksachen 10/4133, 10/5803 —Berichterstatter: Abgeordner Antretterh) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
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19044 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Vizepräsident CronenbergAbgasverminderung bei Lastkraftwagen alsNotmaßnahme gegen das Waldsterben— Drucksachen 10/2059, 10/6407 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer Dr. LaufsSchäfer
i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNENZwölf autofreie Sonntage im Jahr— Drucksachen 10/2759, 10/6407 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer Dr. LaufsSchäfer
j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Großversuch Tempo 100— Drucksachen 10/5050 , 10/6407 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer Dr. LaufsSchäfer
k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Müller (Düsseldorf), Antretter, Dr. Hauff, Schäfer (Offenburg), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1986hier: Einzelplan 06Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern— Drucksachen 10/4387, 10/6407 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer Dr. LaufsSchäfer
l) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNENzur Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Bachmaier, Frau Blunck, Duve, Dr. Hauff, Kiehm, Lennartz, Müller , Müntefering, Reuter, Schäfer (Offenburg), Stahl (Kempen), Frau Weyel, Kißlinger, Jansen, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDVolkswirtschaftliche Verluste durch Luftverschmutzung— Drucksachen 10/5165, 10/6407 — Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer Dr. LaufsSchäfer
m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Hönes, Dr. Schierholz, Schulte (Menden) und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Gerstein, Dr. Bugl, Boroffka. Carstensen (Nordstrand), Engelsberger, Keller, Maaß, Frau Dr. Neumeister, Schneider (Idar-Oberstein), Seesing, Dr. Warrikoff und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr:Ing. Laermann, Neuhausen, Kohn, Dr. Rumpf, Frau Seiler-Albring, Dr. Hirsch, Baum, Beckmann und der Fraktion der FDPForschungen zu Ursachen der Waldschäden— Drucksachen 10/4703, 10/6407 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer Dr. LaufsSchäfer
n) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Hönes, Dr. Schierholz, Schulte (Menden) und der Fraktion DIE GRÜNENzur Großen Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Gerstein, Dr. Bugl, Boroffka, Carstensen , Engelsberger, Keller, Maaß, Frau Dr. Neumeister, Schneider (Idar-Oberstein), Seesing, Dr. Warrikoff und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann, Neuhausen, Kohn, Dr. Rumpf, Frau Seiler-Albring, Dr. Hirsch, Baum, Beckmann und der Fraktion der FDPForschungen zu Ursachen der Waldschäden— Drucksachen 10/4702 , 10/6448Berichterstatter: Abgeordnete Stahl SeesingDr.-Ing. LaermannSchmidt
Zu Tagesordnungspunkt 5 d liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6413 vor.Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 n 60 Minuten vorgesehen. — Widerspruch erhebt sich nicht.Ich kann also die Aussprache eröffnen und dem Abgeordneten Schmidbauer erneut das Wort erteilen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19045
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
— Ich hoffe nicht, daß jetzt die Zeit gelaufen ist.
Herr Abgeordneter, Sie können fortfahren.
Am Ende dieser Legislaturperiode können wir feststellen: Unsere Politik zur Verminderung der Schadstoffe in der Luft ist sehr erfolgreich. Wir können eine äußerst positive Bilanz vorlegen.
Unsere Luft ist sauberer geworden. Unsere Initiativen greifen.Die Bundesrepublik ist in Sachen Umweltschutz Vorreiter in Europa. Wir haben konsequent unsere Verantwortung für die Umwelt umgesetzt. Die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, die Technische Anleitung Luft, die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, das gesamte Paket „Auto und Umwelt" belegen dies eindeutig. Wir haben national und international die Initiativen ergriffen und sind ein gutes Stück vorangekommen. Ich erinnere nur an die multilaterale Umweltkonferenz. Ich erinnere an die gesamten Verhandlungen über unsere nationalen Maßnahmen auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft. Hier wird deutlich, daß das Flickwerk der Opposition, die sogenannten Sofort-Notprogramme, keine Alternativen für unsere Politik sind.
— Frau Kollegin Schmidt, im Anschluß gern.Was wurde von Ihrer Seite nicht alles an Vorwürfen erhoben! Welche Prognosen wurden abgegeben! Mit welchem Engagement hat die Opposition ein Tempolimit einführen wollen: gespalten, nicht gespalten. Mit welchem Engagement wollten Sie gar — vielleicht noch bis heute — zwölf autofreie Sonntage einführen!Meine Damen und Herren, wer redet eigentlich noch über diese vielen Anträge, die Sie unter den Vorlagen 5 a bis n hier finden!
Das ist ein deutliches Bild, was hier so alles in den letzten Jahren abgelaufen ist. Heute ist es der Einstieg in den Ausstieg. Heute ist ein neues Thema in. Der Elan für die sogenannten Notprogramme hat deutlich nachgelassen.Auch die Prognosen der Opposition zur Einführung bleifreien Benzins haben sich als pessimistische Eintagsfliegen erwiesen. Wo stehen wir heute? Ohne Vorgaben, aus dem Stand heraus haben wir erreicht, daß über 10 000 Tankstellen in der Bundesrepublik Deutschland bleifreies Benzin anbieten, davon 6 200 auch bleifreies Superbenzin.
— Der Absatz steigt ständig. Er betrug im letzten Monat rund 15 % mit weiter steigender Tendenz. Der Anteil an bleifreiem Normalbenzin liegt heute deutlich über 25 %. Wie ist es mit den Prognosen, die Sie hier alle einmal abgegeben haben?Die Preisdifferenz zwischen verbleitem und unverbleitem Benzin beträgt — auch dies ist auf unsere Strategie zurückzuführen — heute 3 Pf. pro Liter. Nicht nur national hat sich in diesem Zusammenhang unsere Politik durchgesetzt, auch insgesamt in Europa ist das bleifreie Benzin auf dem Vormarsch. Wir werden diese Tendenzen mit weiteren Maßnahmen verstärken. Bundesminister Dr. Wallmann hat bereits erklärt, daß er sich im November auf der nächsten Umweltkonferenz weiter dafür einsetzen wird, daß auch ein Verbot verbleiten Normalbenzins möglich wird. Dies ist der richtige weitere Weg.Wir hätten es gerne gesehen, wenn uns die Opposition in der schwierigen Arbeit der Einführung des schadstoffarmen Kraftfahrzeugs national und europaweit unterstützt und nicht ständig durch kontraproduktive Anträge die Umsetzung unseres Programms erschwert hätte. Ich habe Ihnen einmal angeboten: Sie können uns kritisch begleiten — Beifall wollen wir nicht —, aber doch bitte nicht mit solchen Anträgen, die unsere Position teilweise auch in Brüssel äußerst erschwert haben.Der Erfolg unserer Politik wird heute sehr deutlich. Die letzten Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts vom 1. November 1986 zeigen, daß über 1,5 Millionen schadstoffarmer Fahrzeuge, darunter fast 390 000 Fahrzeuge mit Katalysator, zum Verkehr zugelassen sind. Ca. 615 000 Fahrzeuge entsprechen den US-Normen. Gegenüber den Bestandszahlen von Anfang Oktober 1986 bedeutet dies eine Zunahme von mehr als 100 000 schadstoffarmen Pkw und einen Anstieg bei den Katalysatorfahrzeugen um ca. 60 000.Das sind greifbare Ergebnisse. Hier muß nicht theoretisiert und nicht spekuliert werden. Hier wird deutlich, welche Erfolge wir mit dieser Politik haben.Es wird deutlich, daß die Wirkungen unserer Luftreinhaltemaßnahmen aus dem Bereich Verkehr dazu führen, daß wir bereits Mitte oder Anfang der 90er Jahre die Stickstoffoxide bei den Kraftfahrzeugen um über 50 % und die Kohlenwasserstoffe um über 60 % senken können.Unsere Maßnahmen aus dem Bereich Auto und Umwelt beschränken sich nicht auf die Einführung bleifreien Benzins und die Einführung des schadstoffarmen Pkws, sondern wir realisieren inzwischen auch die Umrüstung von Altfahrzeugen. Dies hat vor uns kein anderes Land angepackt. Die Automobilindustrie rechnet nach entsprechenden Marktuntersuchungen, daß damit 4,5 Millionen Kraftfahrzeuge umgerüstet werden können. Dieses Programm war anfänglich sicher schwierig umzu-
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19046 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Schmidbauersetzen. Es gab keine Umrüstsätze, sie mußten entwickelt und produziert werden. Erhebungen zeigen, daß bereits heute über 300 000 Pkw umgerüstet sind.Für die Begrenzung der gasförmigen Emissionen aus Nutzfahrzeugen liegt inzwischen ein Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaft vor. Dieser Vorschlag deckt sich mit dem Nutzfahrzeugkonzept der Bundesregierung vom August 1985. Wir werden neue Grenzwerte definieren, die um 20 % niedriger sind als die derzeit gültigen — in der Bundesrepublik Deutschland bereits auf Grund freiwilliger Vereinbarungen realisiert. Wir sehen dies als eine erste Stufe der Maßnahmen an und wollen darauf drängen, daß gleichzeitig ein bestimmter Termin für eine zweite Stufe, eine weitere nachhaltige Verschärfung der Grenzwerte, vorgenommen wird und daß dieser Vorschlag ebenfalls von der Kommission aufgegriffen wird. Gleiches gilt für die Begrenzung der Partikelemissionen.Der EG-Umweltministerrat wird sich im November dieses Jahres mit diesen Vorschlägen beschäftigen. Wir gehen davon aus, daß auch Europa in diesem Bereich einen weiteren Schritt vorankommt.Ich fasse zusammen. Wir haben die Umweltprobleme im Kraftfahrzeugbereich an breiter Front erfolgreich angepackt. Wir müssen sicherlich national und international noch weitere wichtige Aufgaben angehen. Sicher ist: Dies geht nicht mit diesen Sofort- und Notprogrammen, dies geht nicht mit Dirigismus, dies geht nicht mit Schnellschüssen, dies geht nur in enger Kooperation mit allen Beteiligten. Nationale Maßnahmen sind gut und wichtig; aber wegen des grenzüberschreitenden Verkehrs, wegen des weiträumigen Transports der Luftverunreinigungen und unserer wirtschaftlichen Bindung in der Europäischen Gemeinschaft brauchen wir international abgestimmte Lösungen. Wir gehen diesen Weg auch in der Zukunft weiter.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn Sie, die Regierungskoalition, Herr Kollege Schmidbauer, zum hundertsten Male versuchen, einen Erfolgskatalog in der Luftreinhaltepolitik aufzublättern, hilft dies weder dem sterbenden Wald noch der zerbröckelnden Fassade des Kölner Doms.
In Wahrheit ist dieser Katalog eine Chronik des Versagens. Die Wirklichkeit zeigt es auf Schritt und Tritt.
Die Politik muß sich doch daran messen lassen, ob sie den gegenwärtigen, als dringend erkannten Problemen gerecht wird oder nicht. Aber hier herrscht Fehlanzeige; das muß ich deutlich feststellen.Leider ist das Thema Waldsterben zum Stiefkind der öffentlichen Diskussion geworden, zumindest seit Tschernobyl.
Das mag der Bundesregierung zwar recht sein, weil sie nicht täglich an ihre Niederlagen, z. B. in der Katalysatorpolitik, erinnert wird; dem Wald hilft es aber nicht. Im Gegenteil: Er stirbt weiter, offenbar unaufhaltsam.Wir müssen leider feststellen: Je länger die Funkstille darüber andauert, desto mehr verharrt die Regierung in Untätigkeit. Katastrophen haben viele Gesichter, meine Damen und Herren. Die Rheinverseuchung durch giftige Chemikalien hat die Bevölkerung aufgeschreckt. Sie hat auch die Behörden aufgeschreckt, auch die Chemieriesen, die sich im Dreiländereck angesiedelt haben, weil der Schaden plötzlich sichtbar geworden ist. 150 000 angeschwemmte tote Aale, rot gefärbtes Rheinwasser — das alles sieht man auf dem Bildschirm. 4 Millionen Hektar Waldschadensfläche sieht man aber nicht so leicht, weil die Schadflächen über das ganze Bundesgebiet verteilt sind und weil die abgestorbenen, toten Bäume rasch herausgehauen werden. Aber was sagt Ihr Waldschadensbericht, meine Damen und Herren? Der Wald wird eben ein wenig „lichter"! So die Fachsprache. Also, was soll's?Der Waldschadensbericht 1986 findet noch viel hübschere Formulierungen. In bezug auf die besonders bedrohten Bergwälder in den Alpen heißt es: „Vereinzelt haben sich Bestände flächig aufgelöst". Das ist Verschleierung, meine Damen und Herren. Auf deutsch heißt das nämlich: Dort ist der Wald weg, abgestorben; ehemals grüne Flächen sind zu toten Gerippen geworden. Man kann auch mit der Sprache Tatsachen verfälschen!
Meine Damen und Herren, vielleicht bekommen wir das Ökosystem Rhein wieder in Ordnung; wir hoffen es. Ob das Ökosystem Wald jemals wiederherzustellen ist, bleibt zweifelhaft. Deshalb meine Bitte: Handeln Sie! Forschung ist notwendig und richtig, aber Forschung ist kein Ersatz für das Handeln. Die sogenannte Leistungsbilanz der Bundesregierung in Sachen Luftreinhaltung ist in Wirklichkeit eine Fehlleistungsbilanz.Schauen Sie: 8 % Schadfläche im Jahre 1982, 50 % Schadfläche 1984 und 54 % Schadfläche 1986. Wir können uns leicht ausrechnen, wann wir bei 80 % angelangt sind. In Baden-Württemberg sind wir — niemand weiß das besser als der Herr Kollege Schmidbauer — ebenso wie in Bayern bereits bei 60 % angelangt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19047
Frau Dr. HartensteinNun reden Sie beschwichtigend von einer „Stabilisierung auf hohem Niveau". Das empfinden die geschädigten Waldbesitzer zu Recht als zynisch.
Was sagen Sie den Kommunen im Schwarzwald, im Bayerischen Wald, in der Rhön, deren Forsthaushalte längst in die roten Zahlen gerutscht sind, wo doch früher der Wald immer die beste Sparkasse war? Was sagen Sie dem Waldbauern im Kinzigtal, der heute schon mit einem jährlichen Zuwachsverlust von 335 DM pro ha rechnen muß und der, nimmt man den Schadholzanfall hinzu, seinen Reinertrag um 63 % geschmälert sieht? Geben Sie darauf bitte eine Antwort!Wenn der Wald, der über Jahrhunderte als Existenzgrundlage betrachtet wurde, auch noch wegfällt, brauchen wir uns nicht mehr zu wundern, wenn die Höfe aufgegeben werden und die jungen Leute in die Ballungsräume ziehen. Die Gefahr ist groß, daß unsere schönsten Erholungslandschaften, der Frankenwald, das Fichtelgebirge, der Schwarzwald, ihr Antlitz bis zur Unkenntlichkeit verändern.Mit dieser Sorge bin ich übrigens nicht allein. Lassen Sie mich als Beweis ein Zitat bringen:Unser Wald hat eine unschätzbare Bedeutung für Wasserhaushalt, für Klima, für Gesundheit und Erholung und für die Unverwechselbarkeit der deutschen Kulturlandschaft. Gelingt es uns nicht, die Wälder zu retten, wäre die Welt, in der wir leben, nicht wiederzuerkennen.Das sagte Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung im Mai 1983.
Dreieinhalb Jahre sind vergangen, und jetzt schauen Sie sich die Bilanz an, die wir heute ziehen müssen! Der Erfolg ist ausgeblieben.
Ich bestreite doch nicht, daß die Großfeuerungsanlagenverordnung Wirkung zeigt.
Ich bestreite auch nicht, daß die TA Luft 3 einen Boom an Umweltschutzinvestitionen bringen wird. Die Frage ist aber: Reicht das aus, eine ökologische Katastrophe abzuwenden? Die Antwort ist ganz klar: Es reicht nicht aus, es reicht auf keinen Fall aus.Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände, der Deutsche Forstwirtschaftsrat, der Deutsche Forstverein, der Verband der Landwirtschaftskammern, die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft, sie alle fordern übereinstimmend, daß bis spätestens 1993 die Gesamtschadstoffbelastung der Luft um mindestens 50% gesenkt wird, wenn der Wald eine Überlebenschance haben soll, Importe übrigens eingeschlossen.Dieses Klassenziel erreichen wir nicht, am wenigsten bei den Stickoxiden. Die schlimmste Schwachstelle ist der Kfz-Verkehr. Herr Bundesumweltminister Wallmann, es ist mir unverständlich, wie Sie noch während der ersten Lesung des Haushalts am 11. September dieses Jahres sagen konnten: Bis 1995 werden die Stickoxidemissionen um nahezu die Hälfte gesenkt. In den Verlautbarungen des Innenministers hieß es sogar: um mehr als die Hälfte. Die Wahrheit ist doch aber: In den nächsten acht Jahren steigt die Menge der Stickoxide noch an, bis 1988 um 4 % jährlich.
Dann flacht die Zuwachskurve endlich ein wenig ab.Die Gründe dafür sind leicht auszumachen. Wir haben eine steigende Zahl von Kraftfahrzeugen, wir haben eine Zunahme der gefahrenen Kilometer, und wir haben wieder eine höhere Geschwindigkeit.
— Darüber reden wir morgen.
Was durch die teuren Entstickungsanlagen der Kraftwerke eingespart wird, kommt durch den Anstieg des Kraftfahrzeugverkehrs wieder hinzu; ja, es wird sogar überkompensiert.Meine Damen und Herren, solange unser Fortschritt von dieser Art ist, rückt das Ziel einer umweltverträglicheren Wirtschafts- und Lebensform in weite Ferne. Macht es Sie denn nicht nachdenklich, wenn der Waldschadensbericht Ihrer eigenen Regierung auf Seite 13 vermerkt: Schadfläche bei über 60jährigen Beständen: Fichte 86 %, Kiefer 70%, Tanne 96 %, Buche 70%, Eiche 72 %? Den Kommentar dazu kann man sich sparen. Das sind doch wahrlich keine Erfolgsmeldungen.Minister Wallmann erklärte vor wenigen Tagen laut Bulletin der Bundesregierung, wir hätten bereits mehr als 3,3 Millionen schadstoffreduzierte Pkw in der Bundesrepublik. Nimmt man die Statistik des Kraftfahrtbundesamtes in Flensburg vom 7. November 1986 zur Hand, dann sieht man, daß darunter ganze 280 000 Fahrzeuge mit geregeltem Katalysator sind, also ein bißchen mehr als 1 %, und dies unter mehr als 26 Millionen Kraftfahrzeugen. Das sind die harten Fakten, und die muß man hier auch aussprechen dürfen.
Das schadstoffarme Auto ist auf weite Strecken ein Etikettenschwindel. Das kann man gar nicht anders sagen.Meine Damen und Herren, die Luftverschmutzung kostet in der Bundesrepublik nach vorliegenden Schätzungen rund 50 Milliarden DM pro Jahr. Wir haben alle sehr schmerzhaft lernen müssen, daß ökologische Sünden einen handfesten ökonomischen Preis haben — bei Gebäuden, bei Kulturdenkmälern, in der Forstwirtschaft, im Fremden-
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19048 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Frau Dr. Hartensteinverkehr, wo auch immer; die Schadensliste ist so lang, daß sie hier gar nicht vorgetragen werden kann. Insbesondere interessant ist, was der Deutsche Alpenverein vorgelegt hat, daß nämlich bei weiterem Rückgang der Schutzwälder, beim Absterben der Bergwälder etwa 370 Kilometer Ortsverbindungsstraßen unpassierbar würden und eine Reihe von Siedlungen mit Millionenaufwand geschützt werden müßten. Ähnliche Berechnungen liegen aus der Schweiz vor. Ich muß mir aus Zeitgründen ersparen, sie hier vorzutragen.Meine Damen und Herren, wir fordern — ich denke, die genannten Fakten beweisen die Notwendigkeit — eine neue Offensive für den Wald. Dazu gehört erstens die Senkung der zulässigen Emissionsgrenzwerte in der TA Luft 2, insbesondere bei Schwefeldioxid. Dazu gehört zweitens die Halbierung des Schwefelgehalts im leichten Heizöl und im Dieselkraftstoff. Ich weiß, Sie haben das beantragt. Aber wo bleibt der Push, um dies durchzusetzen? Dazu gehört ferner eine drastische Senkung der Mineralölsteuer für bleifreies Benzin. Dazu gehört -- besondere Bitte — ein energischer Einsatz dafür, daß Bleifrei auch in den anderen europäischen Ländern rasch zur Verfügung gestellt wird, nicht erst 1989, damit dieser Vorwand wegfällt, wenn man Bleifrei tanken will. Dazu gehört die Einführung eines Tempolimits. Dazu gehört eine konsequente Energieeinsparpolitik.Wer Verantwortung trägt, darf nicht wegtauchen, wenn unpopuläre Maßnahmen notwendig sind.
Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte am 18. Oktober — Herr Kollege Schmidbauer, hören Sie zu, sie haben es vielleicht nicht gelesen —
vor 6 000 Zuhörern in St. Märgen im Schwarzwald: „Die Politiker sind nicht gewählt worden, um den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen."
Ich füge hinzu: Sie sind gewählt worden, um das als notwendig Erkannte zu tun.
Wenn Sie das tun, haben Sie unsere Unterstützung. Wagen Sie es für die Erhaltung der Natur!
Das Wort hat Frau Abgeordnete Segall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß der Schutz der Umwelt bei allen Maßnahmen zur Raumordnung und insbesondere beim Fernstraßenbau stärker als bisher berücksichtigt werden muß, darüber gibt es wohl auf allen Seiten des Hauses eine einhellige Meinung. Es wäre also ganz schön, wenn wir auch einmal ein bißchen die Gemeinsamkeiten betonen könnten.Wenn mit dem Gesetzentwurf dem Umweltschutz noch mehr Gewicht verliehen werden soll, um insbesondere Ermessensentscheidungen bei der Planung zu regeln, so können wir das nur begrüßen.Nun zu der Debatte über den privaten und öffentlichen Straßenverkehr. Dazu möchte ich feststellen, daß die Vorschläge, die die Opposition zur Einschränkung des Autoverkehrs und zur Einführung eines Tempolimits vorlegt, an der tatsächlichen Entwicklung vorbeigehen. In Wahrheit hat das von der FDP und der CDU/CSU durchgesetzte Maßnahmenpaket zur Einführung des schadstoffarmen Autos und des bleifreien Benzins Vorbildfunktion für den europäischen Raum in West und Ost gehabt. Nehmen Sie doch bitte endlich einmal zur Kenntnis, daß das schadstoffarme Auto, das wir steuerlich nachhaltig fördern, zunehmend gekauft wird. Fast zwei Millionen schadstoffarme Fahrzeuge fahren bereits jetzt auf Deutschlands Straßen.
Die Erwartung, daß die Bürger beim Neuwagenkauf das schadstoffarme Auto kaufen, wird dank des gestiegenen Umweltbewußtseins und unserer Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Autos und des bleifreien Benzins erfüllt. Die FDP bleibt bei ihrer Forderung, verbleites Benzin ganz zu verbieten. Wir unterstützen ausdrücklich alle Anstrengungen von Bundesumweltminister Dr. Wallmann, auf EG-Ebene zu einer Lösung zu kommen, die das Verbot des verbleiten Benzins zum Inhalt hat oder jedenfalls ein nationales Verbot ermöglicht.
Die Studie des TÜV-Rheinland über die Umweltauswirkungen der EG-Beschlüsse macht deutlich, daß die Schadstoffemission der Kraftfahrzeuge erheblich herabgesetzt wird. Trotz Erhöhung des Kraftfahrzeugbestandes und höherer Fahrleistung ist mit einer Minderung der jährlichen Stickoxidemission bis 1988 um 30 % und bis Mitte der 90er Jahre um fast 60 % zu rechnen. Wir sind mit unseren Umweltmaßnahmen beim Straßenverkehr erfolgreich. Trotz des heftigen Widerstandes aller anderen EG-Staaten haben wir eine europäische Lösung erreicht. Außerdem ist bleifreies Benzin inzwischen sogar billiger, meist sogar um 3 Pfennig, als bleihaltiges Benzin, und die Kraftfahrzeugsteuerneuregelung greift.Nach dem Ergebnis des Großversuchs würde ein Tempolimit nur unwesentlich die Menge der Abgasemission vermindern. Es steht aber zu befürchten, daß dadurch die anderen, sich heute schon so nachhaltig auswirkenden Maßnahmen zur Einführung des schadstoffarmen Personenkraftwagens behindert würden.Wir Liberalen leugnen allerdings nicht, daß weitere Maßnahmen notwendig sind. Dazu gehört die Bemühung um eine EG-einheitliche Verringerung der Abgasgrenzwerte für Lastkraftwagen. Auch für Dieselkraftfahrzeuge brauchen wir eine Begrenzung der Partikelemission. Moderne Dieselfahrzeuge zeigen, daß dies möglich ist. Auf Drängen der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19049
Frau Dr. SegallI Bundesrepublik Deutschland wurden Vorschläge für Partikelgrenzwerte vorgelegt.Die FDP setzt sich weiterhin ganz entschieden für das Verbot von bleihaltigem Normalbenzin ein. Damit würde auch die Umrüstung bei kleineren und mittleren Tankstellen leichter vonstatten gehen. Der Preisabstand zwischen verbleitem Superbenzin und dem bleifreien Normal- und Superbenzin würde noch größer.Zu begrüßen ist, daß führende deutsche Hersteller inzwischen das Katalysatorauto im Angebot zur Norm gemacht haben; das Nicht-Katalysatorauto ist die Ausnahme in der Angebotspalette. Andere deutsche und europäische Hersteller müssen diesem Beispiel folgen. Die Nachrüstung von Altfahrzeugen muß verstärkt vorangetrieben werden, die Angebote müssen verstärkt gemacht und von den Bürgern angenommen werden. Unser Ziel ist mehr Umweltschutz durch moderne Technik und nicht durch ein Tempolimit, für dessen Einhaltung viele tausend Polizeibeamte eingestellt werden müßten.Nun noch ein Wort zu den Waldschäden. Der Waldschadensbericht 1986 hat erneut deutlich gemacht, daß die großflächigen Walderkrankungen ein ernst zu nehmendes Problem darstellen. Es sind allerdings nicht nur Verschlechterungen, sondern auch Verbesserungen eingetreten. Immer deutlicher stellt sich heraus, daß wir mit unserer Luftreinhaltepolitik auf dem richtigen Weg sind. Allein mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung wird ein Rückgang der Schwefeldioxidemission bis 1990 um 64% und bis 1995 um 78% erwartet, und auch die Stickoxidemissionen werden, wie dem jüngsten Jahresbericht des Umweltbundesamtes, der vor einigen Tagen veröffentlicht wurde, zu entnehmen ist, ebenfalls erheblich reduziert werden. Bei den Großfeuerungsanlagen werden die Stickoxidemissionen bis Anfang der 90er Jahre ungefähr um 70% zurückgehen, d. h. von ca. 1 Million Tonnen jährlich auf ca. 0,3 Millionen Tonnen. Die neue TA Luft wird bezüglich der Schwefeldioxidemissionen bei den von der TA Luft erfaßten Anlagen eine Verminderung von etwa einem Drittel erreichen. Ich denke, wir sollten auf diesem Wege fortschreiten, und wir werden dann auch Erfolge erzielen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Senfft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute geht es uns darum, Bilanz zu ziehen über einen Bereich in der Umweltpolitik der Bundesregierung, den sie sich selber vier Jahre lang als Schwerpunkt gesetzt hatte. Erinnern wir uns: Im Frühjahr 1983 hat die Bundesregierung ihre Maßnahmen zur Entgiftung der Autoabgase vollmundig als Jahrhundertentscheidung gefeiert. Ihr damaliger Ankündigungsminister Zimmermann war damals angesichts der dahinsiechenden Wälder, angesichts des politischen Drucks der Bevölkerung und auch angesichts des Einzugs der GRÜNEN in den Bundestag gezwungen, eine Großoffensive gegen das Waldsterben und gegen die Luftverschmutzung zu versprechen.Die Regierungserklärung, die von Minister Zimmermann am 15. September 1983 abgegeben wurde, kann nicht oft genug zitiert werden. Er sagte damals:Ich will ganz klar sagen, daß mit dem Kabinettsbeschluß Abgaswerte angestrebt werden, die bis an die Grenze dessen gehen, was bereits jetzt mit der Katalysatortechnologie erreichbar ist. Wir können es uns angesichts unserer Umweltbelastung und der Waldschäden, ..., nicht leisten, hinter vergleichbaren Begrenzungen der Vereinigten Staaten und Japan zurückzubleiben.
Heute müssen wir diesem gescheiterten Möchtegern-Umweltminister und seinem Konkursverwalter Wallmann sagen: Aus Ihrer Jahrhundertentscheidung ist eine Jahrhundertfehlentscheidung geworden, denn die neuesten Zahlen des KraftfahrtBundesamtes beweisen: Die Politik der Abgasentgiftung im Verkehr ist gescheitert. Schlimmer noch: Die Einführung steuerlicher Erleichterungen für bestimmte Autos, die als umweltfreundlich eingestuft wurden, sowie der Großversuch zum Tempolimit stellen ein doppeltes Täuschungsmanöver der Bundesregierung dar. Da wurden zwei . Windeier vom Herrn Vorgänger und Umweltversager Zimmermann gelegt, die Herr Minister Wallmann beharrlich weiter bebrütet. Denn was versteckt sich denn hinter der imposant anmutenden Zahl von mittlerweile 3 Millionen angeblicher schadstoffarmer Pkws? Die einzig vernünftige Lösung, der Dreiwegekatalysator, macht heute nur kümmerliche 0,8 % aller Personenkraftwagen aus, und Sie sprechen von Erfolg. Der Rest dieser von Ihnen so hoch als umweltfreundlich gepriesenen Fahrzeugflotte besteht entweder aus nachträglich anerkannten Altfahrzeugen, die überhaupt keinen Beitrag zur Schadstoffminderung leisten,
oder aber aus Neufahrzeugen, die mit nur geringem technischem Aufwand die laschen EG-Grenzwerte einhalten.Den größten Flop hat sich die Bundesregierung beim Diesel-Pkw geleistet: Die Statistik des Kraftfahrt-Bundesamtes weist aus, daß zwischen Juni und Juli dieses Jahres auf einen Schlag über 1,4 Millionen Altdiesel nachträglich als schadstoffarm anerkannt worden sind. Diese Verschönerung der Statistik wird den Steuerzahler etwa 1,2 Milliarden DM kosten, ohne daß dadurch auch nur ein einziges Gramm Stickoxid weniger emittiert würde. Der Steuerzahler bezahlt das Sterben der Wälder also noch weiter. Das Waldsterben wird sozusagen subventioniert. Ein solches Manöver ist ein glatter Großbetrug. Aber es kommt noch dicker: Aus offiziellen Studien, die zur Zeit in den Bundesbehörden diskutiert werden, geht hervor, daß die rußhaltigen Abgase aus Dieselfahrzeugen eindeutig krebserregend sind. Lassen Sie es mich deshalb in aller Deut-Senfftlichkeit sagen: Damit ist der steuerliche Anreiz für eine Großvergiftung geschaffen worden.Die Bilanz vierjähriger Schlamperei und Zickzackpolitik dieser Regierung in der Luftreinhaltung sieht so aus: Die Stickoxidemissionen im Kraftverkehrsbereich haben von 1985 auf 1986 um etwa 3,3% zugenommen.
3,3% durch Ihre Maßnahme! Die kümmerlichen Scheinmaßnahmen dieser Minister sind nämlich durch eine deutliche Zunahme des Pkw-Verkehrs um 4 % und eine ebenso deutliche Zunahme der Raserei auf den Autobahnen um 3% glatt weggefressen worden. Das bedeutet unter dem Strich: Der Wald stirbt weiter.Die GRÜNEN haben gleich nach ihrem Einzug in den Bundestag ein umfassendes Notprogramm gegen Waldsterben und Luftverschmutzung vorgelegt, in dem notwendige und sinnvolle Schritte zur Reduzierung der Schadstoffbelastung und zur Rettung des Waldes aufgezeigt worden sind. Dem folgte mit über 80 Einzelanträgen und Anfragen im Laufe dieser Legislaturperiode die wohl umfassendste Initiative einer Fraktion, die der Bundestag jemals im Bereich des Umweltschutzes erlebt hat.
Sämtliche Anträge wurden oder werden heute abgeschmettert. Das zeigt auch schon, daß es Ihnen nicht um die Sache Umweltschutz, sondern nur um Ihre Ideologie geht.Der Wald stirbt auch deshalb weiter, weil Sie in Ihrer Die-Welt-ist-in-Ordnung-Propaganda den Lkw vollkommen ignoriert haben. Mehr als 500 000 t Stickoxide und mehrere hunderttausend Tonnen anderer Schadstoffe zusätzlich werden vom Lkw jährlich ausgestoßen. Das heißt nichts anderes, als daß ein Drittel der gesamten Stickoxidemissionen des Verkehrs nicht durch irgendwelche Pkw verursacht werden, sondern von den Lkw. Aber an die Lkw-Lobby wagen Sie sich nicht heran.Sie erklären freudig weiter, daß bis zum Jahr 2000 der Straßengüterfernverkehr laut den Prognosen um bis zu 50 % zunehmen soll. 50 % mehr Lkw-Fahrten, 50% mehr Stickoxide. Das Waldsterben geht weiter. Eine Horrorvorstellung.
Die freiwillige Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und Lkw-Herstellern über ein Unterschreiten der bisherigen Grenzwerte bei neuen Lkw um 20%, die Sie bis Ende 1985 als Erfolg gefeiert haben, ist blanker Hohn und pure Augenwischerei. Diese Grenzwerte sind so hoch, daß sie schon seit Jahren von normalen Lkw deutlich unterschritten werden. Das bringt also unter dem Strich gar nichts. Die neue Lkw, die heute auf den Markt kommen, sind so dreckig bzw. die Schadstoffgrenzwerte sind so miserabel, daß für die Umwelt unter dem Strich nichts herauskommt.DIE GRÜNEN haben seit 1983 immer wieder darauf hingewiesen, daß der Straßenverkehr als System größte Schäden verursacht. Wir forderten damals und wir fordern auch heute, daß der Güterverkehr, insbesondere im Fernverkehr, endlich von der Straße auf die Schiene verlagert wird.
Durch diese Verlagerung des Straßengüterfernverkehrs werden pro Frachttonne die Stickoxidemissionen und der Energieverbrauch auf etwa ein Sechstel der heutigen Werte des Lkw-Verkehrs verringert. Aber Sie wollen das nicht. Sie bauen das Streckennetz der Bahn weiter ab und erweitern das Straßennetz für den Lkw-Verkehr, erhöhen die Achsfasten und fördern auch für die Zukunft den schweren Güterverkehr auf der Straße.Wer das Waldsterben hingegen ernst nimmt und bekämpfen will, muß konsequent handeln. Wir haben mit der Forderung nach Einführung einer Schwerverkehrsabgabe, die sich am Gewicht, der Transportstrecke und den Emissionen orientieren soll, einen Weg aufgezeigt, wie die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene über den Preis bewerkstelligt werden kann. Unsere Anträge auf Erhalt und Modernisierung des Zweigstreckennetzes und die Aufhebung der Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Bahn, wie wir sie schon 1983 in unserem Entwurf zum Bundesbahnsanierungsgesetz vorgeschlagen haben, bieten die Grundlage für eine sozial- und umweltverträgliche Verkehrspolitik auch im Bereich des Güterverkehrs.Warum lehnen Sie diese Vorschläge ab? Ist Ihnen die Bahn zu umweltfreundlich? Ist Ihnen die Bahn zu sicher? Ist Ihnen die Bahn zu energiesparsam?
Aus Gründen der Verkehrssicherheit und als Maßnahmen gegen die weiter steigende Luftverschmutzung fordern wir in unserem Maßnahmepaket zur Förderung umweltverträglicher Verkehrsmittel: erstens die Einführung einer Schwerverkehrsabgabe für Lkw-Verkehr, damit der Verkehr endlich auf die Schiene verlagert wird; zweitens den forcierten Ausbau und die Modernisierung des öffentlichen Personennahverkehrs und der Deutschen Bundesbahn; drittens deshalb die Befreiung der öffentlichen Verkehrsmittel und der Deutschen Bundesbahn von der Umsatzsteuer; viertens die Kilometerpauschale für den Weg zur Arbeitsstätte zu ersetzen durch eine Entfernungspauschale unabhängig vom benutzten Verkehrsmittel, damit es sich auch in Zukunft wieder lohnt, zu Fuß zu gehen, mit dem Fahrrad zu fahren oder auf Busse und Bahnen umzusteigen.
Im Straßenverkehr muß endlich das Verursacherprinzip angewendet werden, was dazu führt, daß eine Mineralölsteuererhöhung notwendig ist. Schließlich fordern wir die Halbierung der Fahr-
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Senfftpreise der Deutschen Bundesbahn und des öffentlichen Personennahverkehrs.
Mehr als 54% des Waldes sind schon krank. Weiter so, Deutschland? Hoffentlich nicht. Eine ökologische Umkehr in der Verkehrspolitik ist dringend vonnöten. DIE GRÜNEN im Bundestag werden deshalb auch weiterhin vehement für den Fußgänger-und Fahrradverkehr sowie für die forcierte, massive Förderung des umweltfreundlichen öffentlichen Personennahverkehrs und der Deutschen Bundesbahn eintreten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pesch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kribbelt einem schon in den Fingern, wenn man die Ausführungen der Opposition hört und aus Nordrhein-Westfalen kommt. Morgen findet j a eine Aktuelle Stunde zu einem sehr interessanten Thema statt, nämlich Ibbenbüren.
Wir haben j a die vollmundigen Worte des Herrn Rau erlebt, als Ibbenbüren in Betrieb genommen wurde, wo er verkündet hat, wie schnell die Schadstoffemissionen, also im nachhinein, beseitigt werden sollten. Nun muß er feststellen, daß das alles so einfach nicht ist, und er muß eingestehen, daß ihm dieser wortgewaltige Teil seiner Rede von Herren des RWE aufgesetzt worden ist.
Meine Damen und Herren, das ist eben Anspruch und Wirklichkeit.Das, was wir auch heute wieder von seiten der Opposition in Sachen Umweltschutz gehört haben, ist nach wie vor keine Alternative. Was uns die GRÜNEN hier vorzeigen, ist eben die Nullösung.
Nullösung, Nulltarif, keine Autos, kein Gar-Nichts, das ist Ihre Politik.
Dann hätten Sie natürlich den totalen Umweltschutz. Nur, mit Ihren Ideen und Vorstellungen ginge eben in dieser Republik gar nichts mehr.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier einige Anmerkungen zum Gesetz zur Verbesserung des Umweltschutzes in der Raumordnung und im Fernstraßenbau vortragen. Im Raumordnungsgesetz wie auch im Bundesfernstraßengesetz wurde dem Umweltschutz in den verschiedenen gesetzlichen Vorschriften, welche Ermessensentscheidungen in Planungen regeln, zu wenig Gewicht beigemessen. Im Raumordnungsgesetz fehlte bei der Aufzählung der Grundsätze der Raumordnung der Hinweis auf die Bedeutung der Sicherung der Rohstoffversorgung. Hier gilt es nun, die ökonomischen Notwendigkeiten mit den ökologischen Forderungen unserer Tage in Einklang zu bringen.Drei wichtige Bereiche des Umweltschutzes werden im vorliegenden Gesetzentwurf auf den Weg gebracht: erstens der Schutz des Bodens, zweitens die Sicherung der Rohstoffvorkommen, drittens die Ergänzung des Fernstraßengesetzes.Das Ziel dieses Gesetzentwurfes ist es, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in den Vordergrund zu stellen.
Hier handelt es sich um einen bedeutenden Schritt in Sachen Umweltschutz. Es wird behauptet, es sei ein kleiner Schritt. Meine Damen und Herren, viele kleine Schritte sind geeignet, den Umweltschutz voranzubringen. Wer diesen Gesetzentwurf abwerten will, wird der Sache in keiner Weise gerecht. Wer diesen Gesetzentwurf verkennen will, verkennt bewußt oder unbewußt, daß in der täglichen Praxis Verbesserungen des Gesetzesvollzuges von großem Nutzen sind.Der Schutz des Bodens stellt einen bedeutenden Schwerpunkt unserer Umweltschutzpolitik dar. Im Zusammenhang mit der jüngst vom Bundestag beschlossenen Novellierung des Baugesetzbuches treffen wir hier eine weitere wichtige Entscheidung in Sachen Umweltschutz.Die Sicherung der Rohstoffvorkommen wird durch die Formulierung der Bundesregierung, die die vorsorgende Sicherung von Rohstoffvorkommen vorsieht — und dies ist das eigentliche Anliegen — klarer zum Ausdruck gebracht. Die in der Bundesratsfassung enthaltene Formulierung „die räumlichen Voraussetzungen zu schaffen" wird dem Anliegen nicht gerecht, da die Rohstoffvorkommen in der Bundesrepublik bekannt und die räumlichen Voraussetzungen gegeben sind. Daß Rohstoffvorkommen standortgebunden sind, ist wohl selbstverständlich. Es erscheint daher mehr als sinnvoll, von der „vorsorgenden Sicherung" zu sprechen. Dadurch, meine Damen und . Herren, wird deutlich klargestellt, daß nicht erst dann, wenn konkrete Bau- oder Abgrabungsanträge wie bei Kies oder bei der Braunkohle gestellt werden, eine landesplanerische Sicherung einzugreifen hat.Die Neufassung des § 3 des Bundesfernstraßengesetzes dient dem Umweltschutz in einem Bereich, der wie kaum ein anderer zwangsläufig mit Eingriffen in den Naturhaushalt verbunden ist.
Das Gesetz verpflichtet nun, daß sich moderne Straßenplanung um möglichst umweltschonende Trassenführung nicht nur wie bisher zu kümmern
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Peschhat, sondern daß sie den Umweltschutz ausdrücklich zu beachten hat.Wir sind mit der Bundesregierung der Auffassung, daß im vorliegenden Gesetzentwurf der Begriff Umweltschutz allgemein umfassender ist als die Einschränkung im Entwurf des Bundesrates auf den Natur- und Landschaftsschutz. Umweltschutz umfaßt z. B. auch den Immissionsschutz. Letzterer ist für den Straßenbau von bekanntermaßen großer Bedeutung.Die CDU/CSU-Fraktion möchte überdies diese Gelegenheit hier und heute nicht verstreichen lassen, ohne noch einmal mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, daß die Überlegungen von Bund und Ländern vorangetrieben werden, im Raumordnungsgesetz eine rahmenrechtliche Regelung des Raumordnungsverfahrens vorzusehen, welche die Umweltverträglichkeitsprüfung unter überörtlichen Gesichtspunkten einschließt.Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, dem Gesetzentwurf in der Beschlußempfehlung des Raumordnungsausschusses Ihre Zustimmung zu geben.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Antretter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Straßenverkehr ist einer der größten Umweltbelaster überhaupt. Deshalb ist Umweltschutz im Verkehrsbereich eine der ganz großen Herausforderungen für uns. Die Vielzahl der heutigen Anträge läßt sich aber nicht nur damit begründen, daß vom Straßenverkehr so wesentliche Umweltbelastungen ausgehen, sondern die Anträge sind vor allem die Antwort darauf, daß die Bundesregierung bisher nicht bereit ist, Verantwortung im Umweltschutzbereich zu übernehmen, sondern es bei Lippenbekenntnissen und Schaueffekten wie der Gründung des Umweltministeriums beläßt. Weder gibt es wesentliche Initiativen der Bundesregierung zur Förderung umweltfreundlicher Alternativen zum Pkw, noch gibt es ernst zu nehmende Bestrebungen der Bundesregierung, den Straßenverkehr selbst wirklich umweltfreundlich zu gestalten.
Wenn Sie beispielsweise befürchten, Herr Minister Dollinger, daß auf den rechten Fahrstreifen unserer Autobahnen, wie Sie es mehrfach — wahrscheinlich richtigerweise — gesagt haben, bald kein Platz mehr für Pkws ist, da sie mit Lastkraftwagen voll sein werden, warum haben Sie dann in Brüssel Ende Juni dieses Jahres dafür gestimmt, daß die Gemeinschaftskontingente an Lkw in den nächsten Jahren von rund 7 500 auf 56 000 aufgestockt werden?
Das werden vor allem ausländische Transportunternehmen nutzen und als Chance betrachten. Warum, Herr Minister, haben Sie zugelassen, daß der Ministerrat der EG, in dem Sie Sitz und Stimme haben, beim Europäischen Parlament eine Aufstokkung der Freimengen von 2001 auf 6001 beantragt und diesen Antrag noch dazu als besonders dringlich erklärt hat?
Dadurch werden auf unseren Straßen in Zukunft wesentlich mehr, vor allem ausländische Lastkraftwagen fahren. Stau und Staugefahr werden zunehmen. Die Belastung durch Lärm und Abgase wird steigen. Der Verkehrszuwachs durch ausländische Nutzfahrzeuge auf unseren Straßen wird zu Transportverlusten bei der Bahn führen. Die Unternehmen der deutschen Straßenverkehrswirtschaft werden von diesen Verschiebungen zugunsten des Straßenverkehrs in keiner Weise profitieren, im Gegenteil.
Die Marktchancen werden sich massiv verschlechtern. Die deutschen Unternehmen werden weitere Marktanteile verlieren. Ganz abgesehen davon werden die deutschen Seehäfen noch stärker ins wirtschaftliche Abseits gedrängt werden.
Den Transitverkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen, das wäre die richtige Antwort auf Ihre düsteren Prognosen. Aber Sie haben ja auch hier das Gegenteil von einer verantwortlichen Politik gemacht, indem Sie die Mittel für den kombinierten Verkehr gestrichen haben oder zumindest streichen wollten, wenn es nicht noch im Parlament verhindert wird, was ich hoffe.
Wie lange, Herr Kollege Schmidbauer, wollen Sie eigentlich noch mit der falschen Behauptung hantieren, wir hätten einen großen und stark wachsenden Anteil schadstoffarmer Autos? Tatsache ist doch, daß es bisher keinen nennenswerten Trend zum wirklich umweltfreundlichen Katalysatorauto gibt, sondern nur eine Kaufwelle vor allem beim Diesel-Pkw, der in Wahrheit so umweltfreundlich gar nicht ist. Das wissen Sie doch selber. Dies ist doch Roßtäuscherei; denn welcher Bürger kennt sich so genau aus, um zu wissen, daß „schadstoffreduziert" nur ein neues Etikett, aber keine wirkliche Verbesserung ist und daß der Verkauf wirklich schadstoffarmer Autos von Ihnen bisher überhaupt nicht ernsthaft unterstützt wird? Die Wahrheit ist, daß von 26 Millionen am 1. November dieses Jahres zugelassenen Personenwagen gerade 270 000 bis 280 000 mit dem Katalysator ausgestattet sind. Stand 1. November: 267 000.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie Herrn Schmidbauer eine Zwischenfrage?
Bitte, Herr Kollege Schmidbauer.
Herr Kollege Antretter, würden Sie bestätigen, daß das Kraftfahrzeugbundesamt für November 390 000 Fahrzeuge mit Katalysator und 615 000 Fahrzeuge mit US-Norm angibt und daß die Differenz zwischen Oktober und No-
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Schmidbauervember allein 60 000 neue Fahrzeuge mit Katalysator beträgt? Würden Sie diese Zahlen bestätigen wollen?
Die Relation, die Sie vorher angesprochen haben, Herr Kollege Schmidbauer, stimmt dennoch nicht. Die amtlichen Zahlen, die mir vorliegen, sprechen von 267 000.
Jetzt kommen wir aber auf den eigentlichen Punkt: Rund zwei Drittel der angeblich sauberen Autos erfüllen nur die EG-Norm. Ob diese Pkw bei höheren Geschwindigkeiten überhaupt sauberer sind als herkömmliche Fahrzeuge, wird weder geprüft noch garantiert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte, Frau Kollegin Hartenstein.
Herr Kollege Antretter, würden Sie bestätigen, daß es relativ leicht ist, eine hohe Zahl von sogenannten schadstoffarmen Autos zu bekommen, wenn man nur die rühmlichen Eurogrenzwerte so hoch ansetzt, daß eine große Anzahl von Fahrzeugen auch dann unter den Begriff „schadstoffarm" fällt, wenn sie kein Gramm weniger Schadstoffe ausstoßen?
Frau Kollegin Hartenstein, da stimme ich Ihnen in vollem Umfange zu. Noch besser wäre es natürlich gewesen, wenn man in Europa so ernsthaft verhandelt hätte, daß wir wirklich seit 1986 den Katalysator obligatorisch eingeführt hätten.
Meine Damen und Herren, „ab Tempo 50 können sie zum Himmel stinken", so hat der ADAC dieser Tage in einer seiner Publikationen geschrieben. Mit einem Wort: Diese Politik bereinigt nur Statistiken, nicht aber die Luft.
Das Katalysatorfahrzeug setzt sich derart langsam durch, daß die Stickoxidminderung durch den Anteil schadstoffarmer Personenwagen geringer ausfällt als der Stickoxidanstieg durch die Zunahme des Pkw-Bestandes und der Pkw-Fahrleistungen.
Mit anderen Worten: Heute haben wir trotz sogenannter sauberer Autos mehr Stickoxide aus dem Pkw-Verkehr als noch vor einem Jahr.
Eine weitere Folge dieser Politik ist, daß die fortschrittlichsten Abgasminderungstechniken, nämlich der geregelte Drei-Wege-Katalysator und der Rußfilter zur Erzielung der US-Abgasdieselwerte, vom Markt verdrängt werden. Der ausgelöste Boom von Diesel-Pkws ohne jeden RuBgrenzwert ist ohne umweltpolitische Vernunft. Ich befürchte, daß wir uns in Kürze mit dem Problem der krebserregenden Substanzen im Dieselruß auseinanderzusetzen haben werden.
Das absolute Trauerspiel war, was Sie mit dem Großversuch zum Tempolimit angestellt haben. Die TÜV-Gutachter haben errechnet, daß bei guter Befolgung des Tempolimits die Stickoxide aus Personenwagen um bis zu 90 000 t jährlich gemindert würden. Das sind mehr als 30% aller Stickoxide auf Bundesautobahnen.
— Es ist Ihnen anheimgestellt, die Ihrer Regierung nachgeordneten Institutionen und Behörden als Illusionisten zu bezeichnen. Ich sage jedenfalls: Eine Untersuchung der Bundesanstalt für das Straßenwesen — die Sie natürlich aus guten Gründen unter Verschluß halten — belegt, daß es keine schneller wirkende Maßnahme zur Minderung des Schadstoffausstoßes im Verkehrsbereich gibt als das Tempolimit, abgesehen vom Katalysator.
Die eine Umweltschwalbe Wallmann mit seinem Alibi-Umweltministerium macht noch keinen umweltpolitischen Sommer. Die Bundesregierung hat sich auch hier wieder der von ihr so oft bemühten Methode des Unter-den-Teppich-Kehrens bedient: Das Waldsterben wird verharmlost, auch in der heutigen Debatte wieder, die Probleme des ungehemmt wachsenden Autoverkehrs werden verniedlicht oder geleugnet, das hohe Unfallrisiko zu einem unabänderlichen Begleitübel erklärt.
Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wir halten folgende Maßnahmen für unverzichtbar: Begrenzung der partikelförmigen Emissionen aus Diesel-Pkw nach dem Stand der Technik, Tempolimit auf Bundesautobahnen, Verringerung der Schadstoffemissionen aus Nutzfahrzeugen, verstärkte Förderung des kombinierten Verkehrs Schiene/Straße.
Aber, meine Damen und Herren, ich sage an die Adresse der GRÜNEN, die ebenfalls einige Anträge eingebracht haben: Senkung der Kfz-Steuer für Lastwagen und Einführung einer gleich hohen Schwerverkehrsabgabe, die dann im Gegensatz zur bisherigen Praxis auch Ausländer bezahlen müssen, das wollen wir, und dazu sagen wir ja. Aber zur Einführung Ihrer Schwerverkehrsabgabe ohne Senkung der Kfz-Steuer, so daß den deutschen Güterverkehrsunternehmen die Luft ausgeht und die ausländische Konkurrenz deren Transportvolumen übernimmt, dazu sagen wir nein.
Zu einer ernsthaften Verbesserung, Herr Kollege Senfft, der bisherigen Ergebnisse des EG-Umweltministerrats und zur obligatorischen Einführung des Katalysators beim Benzinmotor
— bitte nicht mehr, ich habe keine Zeit mehr — und
zu strengen Abgas- und Rußpartikelwerten beim
Antretter
Dieselmotor, dazu sagen wir ja. Aber zum Fahrverbot für die Bürger sagen wir nein.
Mit einem Wort, meine Damen und Herren: Auf ernsthaftes Handeln kommt es an. Hören Sie auf, die Probleme unter den Teppich zu kehren! Wir haben Ihnen heute Vorschläge mit Augenmaß vorgelegt. Wir haben Ihnen mit unseren Anträgen Vorschläge unterbreitet, als eine Opposition, die ihre Arbeit im Parlament konstruktiv leisten will. Wir sind zu unpopulären Maßnahmen bereit. Aber Sie müssen aufhören, Ihre Politik der Schaueffekte im Umweltschutz fortzusetzen. Treten Sie unseren Anträgen bei! Dann werden wir erfolgreich sein.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Verkehr das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, für die beteiligten Ressorts, für das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, für das Bundesministerium der Finanzen, für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und für das Bundesministerium für Forschung und Technologie, hier zu antworten. Das ist in der Redezeit kaum möglich.
Es wird auch nicht möglich sein, alle die Irrtümer, die Unkenntnis und die falschen Darstellungen, die hier geboten worden sind, in der kurzen Zeit zu widerlegen.
Es gibt keinen Zweifel, meine Damen und Herren, daß alle Verkehrswege, die es gibt, die Umwelt belasten.
Das muß man realistischerweise zugeben. Die Bundesregierung bemüht sich, die Wichtigkeit der Umweltfrage nicht nur zu erkennen, sondern auch so zu handeln, daß die Gefahren beseitigt werden.Meine Herren Vorredner, die Dame und die Herren aus der Koalition, haben einen Teil der Fragen, die hier zur Debatte stehen, bereits dargelegt, so daß ich mich in diesem Punkt kurz fassen kann.Die Bundesregierung stimmt dem Anliegen des Bundesrates zu. Wir haben allerdings einige Ergänzungen bzw. Formulierungen angebracht, die nach unserer Meinung notwendig sind. In dieser Vorlage ist besonders deutlich geworden, daß in der gesamten Planung des Straßennetzes Umwelt und Natur gesehen werden müssen und auch die Bodenschätze zu berücksichtigen sind.In dieser Debatte kam immer wieder das Thema Geschwindigkeit auf Bundesautobahnen auf. Meine Damen und Herren, ich würde raten, nicht so über einen Großversuch zu sprechen, der von Wissenschaftlern gemacht worden ist, wie es hier geschehen ist. Die Damen und Herren, die diesen Großversuch durchgeführt haben, haben ihre Pflicht erfüllt. Sie haben keine Veranlassung, ihre Aussagen in Zweifel zu stellen.
Die Fakten: Wir haben festgestellt, daß bei einem Tempolimit von 100 km auf Autobahnen theoretisch eine Verminderung der Stickoxide von nur 32 170 Tonnen pro Jahr zu erzielen sind. Das sind nur 10,8% der Emissionen des Pkw-Verkehrs auf Autobahnen, das sind nur 3,8% der Emissionen des Pkw-Verkehrs insgesamt, und das ist nur 1 % der gesamten NOX-Emissionen in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn man diese Zahlen anerkennt, dann kann man einem Tempolimit nicht die Bedeutung beimessen, wie es hier geschehen ist.Im übrigen wurde auch im Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am 29. September eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen zur Methodik und zu den Ergebnissen des Großversuchs durchgeführt. Doch auch diese Anhörung ergab keine Veranlassung, von dem auf Grund des Abgasgroßversuchs ermittelten Zahlenmaterial abzurücken.
Meine Damen und Herren, vielleicht ist für Sie noch ganz interessant, daß das nicht von der ÖVP regierte Österreich eine Studie zum Tempolimit 100 durchgeführt hat.
— Ja, das ist eine andere Frage; das kommt mit der Zeit alles richtig ins Lot. Ich spreche von einer Studie, die im Oktober 1986 im Auftrag des Bauministers fertiggestellt worden ist. Hier wurde ebenfalls festgestellt, daß „Tempo 100" relativ geringen Einfluß auf die Abgasemission hat.
Wenn Sie erneut das Tempolimit mit Unfällen in Verbindung bringen, dann kann ich nur sagen: Die Autobahnen haben an den Fahrleistungen einen Anteil von über 26%, an den Unfällen mit Personenschäden jedoch nur 4,3 %. Unsere Autobahnen sind die sichersten Straßen, obwohl wir dort keine Geschwindigkeitsbegrenzung haben.
Bei den tödlichen Unfällen auf den Autobahnen haben wir von 1983 auf 1985 immerhin einen Rückgang um 24 % festzustellen.Hier ist auf die Untersuchung der Bundesanstalt für das Straßenwesen wegen des „Tempo 100" hingewiesen worden. Bei uns bleibt nichts in der Schublade; das passiert woanders. Wir geben die Dinge heraus und stellen uns auch der Diskussion. Hier können wir feststellen: Die BASt hat lediglich einen mittleren Rückgang aller Unfälle auf Bundesautobahnen, Landstraßen und innerörtlichen Stra-
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Bundesminister Dr. DollingerBen von 2,3 % für den Fall der Einführung einer derartigen Geschwindigkeitsbegrenzung ermittelt.
Das Tempolimit, meine Damen und Herren, ist kein Allheilmittel zur Lösung der Verkehrsprobleme. Wir sind der Meinung, daß Schäden der Technik am sichersten durch eine neue, bessere Technik abgebaut bzw. beseitigt werden können. Bei den Abgasen der Fahrzeuge ist dies eben der Katalysator. Ich stelle fest, daß wir hier eine günstige Entwicklung zu verzeichnen haben.Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren, die Sie hier die Entwicklung des schadstoffarmen Autos kritisiert haben, Sie haben vergessen, daß diese ganze Aktion erst seit einem Jahr läuft. Hier müssen wir sehen, wie der Trend ist. Es wurden Zahlen genannt. Ich unterstreiche noch einmal, daß wir Anfang November 1,5 Millionen schadstoffarme Pkw hatten, darunter fast 390 000 Pkw mit Katalysator. Gegenüber Anfang Oktober haben wir eine Zunahme von 100 000 schadstoffarmen Pkw und einen Anstieg allein bei Katalysatorfahrzeugen von 60 000 zu verzeichnen. Rund 65% der im September neu zugelassenen Pkw waren schadstoffreduziert, davon waren 38 % Benzin- und 27 % Dieselfahrzeuge.Sie sehen, es ist ein völlig neuer Trend da. Die Dieselfahrzeuge sind früher einmal ganz nach vorne gekommen. Das geht zurück, der Ottomotor kommt wieder nach vorn. Ich meine, 65% Neuzulassungen in diesem Bereich ist ein beachtliches Ergebnis.Ich bin der Überzeugung, daß das so bleiben wird, zumal die Automobilindustrie dankenswerterweise zum Teil serienmäßig nur noch Pkw mit Katalysator anbietet. Das sollten wir auch einmal anerkennen und nicht immer von Lobbyisten und ähnlichem hier sprechen, als ob die Leute gegenüber einer guten Umweltpolitik feindlich wären.
Ich stelle auch fest, daß man heute flächendekkend bleifreies Benzin tanken kann. Es ist klar, daß wir versuchen, das auf europäischer Ebene auszudehnen. Ich möchte hier nicht nur denen danken, die von der Fabrikation her mitmachen, sondern auch all den Käufern von Kraftfahrzeugen, die sich zum schadstoffarmen Auto dadurch bekennen, daß sie es kaufen.Meine Damen und Herren, ein letzter Satz zum Tempolimit. Es steht häufig auf dem Papier, wird aber nicht eingehalten. Das können Sie in allen entsprechenden europäischen Ländern erfragen.
— Haben Sie keine Sorge, auch ich kann nicht alles auf einmal sagen.
Sie kommen noch dran, machen Sie sich keine Sorge.
Ich darf auf folgendes hinweisen. Hier wird zum Teil so getan, als wenn die Europäische Gemeinschaft und europäisches Recht nicht bestünden. Sie wissen genau, welche Probleme wir hatten, um die Schrittmacherfunktion in bezug auf Abgaswerte in Europa durchzusetzen. Wir bemühen uns weiter, hier etwas zu erreichen. Es wurde schon gesagt: Verminderung der Emissionen von Nutzfahrzeugen und Krafträdern. Unsere Anträge liegen in Brüssel. Ich erinnere an die Partikelgrenzwerte. Ich kann nur hoffen, daß der EG-Umweltministerrat noch in diesem Monat entscheidet. Kollege Wallmann gibt sich hier alle Mühe, und es ist nicht gut, wenn Sie hier auch auf Herrn Zimmermann in dieser Form schimpfen, wie es geschehen ist.
— Nein, das ist nicht meine Meinung. Es ist keine gute Moral, wenn Sie sagen, Schimpfen sei immer gut. Man soll ab und zu auch einmal loben und danke schön sagen. Das gehört auch dazu.
— Herr Daubertshäuser, selbstverständlich, wo es am Platze ist. Aber weil Sie sich hier bemühen, frage ich Sie einmal: Was haben eigentlich die SPDgeführten Regierungen in Brüssel in bezug auf Umweltschutz in allen Bereichen durchgesetzt?
Wenn Sie darüber einmal berichten würden, dann gäbe es eine kurze Aussprache, da Sie dann nichts zu bieten hätten. Meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß wir uns in Europa trotz der großen Schwierigkeit in diesem Bereich weiter durchsetzen werden.Es wurde hier davon gesprochen, die Höchstgeschwindigkeit von Lkws auf Außerortsstraßen zu verändern. Ich mache eine ganz einfache Bemerkung: Die Einhaltung der Geschwindigkeit bei Pkw und Lkw hängt in erster Linie vom Verantwortungsbewußtsein des Kraftfahrzeugführers ab. Das ist das allererste. Und das zweite ist dann die Frage: Wie kann die Geschichte überwacht werden? Und Sie wissen genau, wie schwierig das ist, zumal der Bund hier keine Möglichkeit hat, das zu bestimmen.
— Das ist doch unser Grundgesetz, gnädige Frau. Da können Sie es nicht so machen. Vielleicht wollen Sie eine andere Verfassung haben. Dann müssen Sie das hier sagen. Der Vollzug obliegt den Ländern. Wir können nur sagen: Überwacht bitte, aber wir können das nicht anordnen oder gar befehlen.Im übrigen stelle ich zu der Betrachtung über eine Lkw-Verkehrsabgabe noch fest: Eine zusätzliche Belastung für das deutsche Gewerbe ist nicht hinnehmbar. Und ich behaupte weiterhin: Wenn wir das machen würden, dann würde sich der Unterschied in bezug auf die geltenden Gesetze und die
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Bundesminister Dr. DollingerBelastungen in den einzelnen EG-Ländern ohne Zweifel weiter verschärfen. Wir wollen aber keine Verschärfung, sondern wir wollen eine Harmonisierung in Europa. Ihre Forderung steht genau im Gegensatz dazu. Im übrigen wäre eine einseitige Schwerverkehrsabgabe, zum jetzigen Zeitpunkt vorgenommen, nach geltendem EG-Recht kaum möglich. Ich sage das ganz vorsichtig.Nun kommt natürlich die Deutsche Bundesbahn. Meine Damen und Herren, die Deutsche Bundesbahn hat einen Anteil von 6 % an der Personenbeförderung und von 29% am Güterverkehr. Schauen Sie sich einmal die Zahlen von 1970 an! Bei uns ist nichts mehr zurückgegangen. Wenn mehr Verkehr auf die Bahn soll, dann brauchen wir einfach eine attraktive Bundesbahn. Um das zu erreichen, investieren wir in diesem Jahr 6 Milliarden DM. Das ist mehr, als in der Nachkriegszeit jemals in einem Jahr ausgegeben worden ist. Wir haben 6,3 Milliarden DM für die Bahn vorgesehen und 6,2 Milliarden DM für den Bundesfernstraßenbau. Wir bauen neue Strecken, die nicht nur für den Personenverkehr, sondern auch für den Güterverkehr wichtig sind. Das kostet uns 12, 13 Milliarden DM. 1991 wird die erste fertig sein. Sie können also nicht sagen, in dem Punkt geschehe nichts.
Wir brauchen die Straße und die Schiene und die Wasserstraße. Ein Verkehrsweg allein ist nicht in der Lage, die Aufgaben, die gestellt sind, zu bewältigen.Meine Damen und Herren, hier ist von den EGKontingenten gesprochen worden. Dabei handelt es sich um über 7 000 für ganz Europa. Davon entfallen auf Deutschland über 1 100. Ich habe der Einführung dieser Kontingente nicht zugestimmt. Am Dienstag war eine Abstimmung darüber in Brüssel. Ich habe Gegenforderungen im Bereich der Harmonisierung gestellt, weil Liberalisierung und Harmonisierung zusammengehören. Und wenn Sie, wie geschehen, behaupten, ich hätte der Lösung zugestimmt, die Freimenge von Treibstoff von 200 1 auf 6001 bei Lkws zu erhöhen, dann ist das falsch. Das wurde im Verkehrsministerrat bisher nicht behandelt.Meine Damen und Herren, wir betreiben eine ausgeglichene Politik und halten uns an das, was Europa hier in dieser Beziehung bietet. Für den ÖPNV geben wir 1,4 Milliarden DM plus die Zuschüsse an die Bahn, insgesamt rund 6 Milliarden DM pro Jahr aus. Das ist mehr, als alle Länder und Gemeinden zusammen ausgeben.
Ich darf eine abschließende Bemerkung machen. Meine Damen und Herren, die Probleme der Umwelt werden uns weiter beschäftigen müssen, und ich glaube, es ist besser, wenn wir miteinander statt gegeneinander operieren und wenn wir nüchtern, sachlich und nicht selbstgefällig diskutieren. Umweltschutz ist eine lebenswichtige Aufgabe. Wir dürfen dabei den Blick nicht nur auf die Natur richten, meine Damen und Herren, und den Menschen dabei übersehen. In der Gefahr sind gewisse Kreise in unserem Land. Lebensqualität kann nur bedeuten: ein harmonisches Nebeneinander von Natur und Mensch, und darum bemüht sich die Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 5 a, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 10/5347.Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit gegen die Stimmen der SPD angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit angenommen.Zu Tagesordnungspunkt 5 b schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlage auf Drucksache 10/5865 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Es ist damit so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 5c, und zwar über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/6208. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit — gegen die Stimmen der SPD — zugestimmt worden.Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 5d, der Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4095.Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6413 vor. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen?— Bei einigen Enthaltungen ist der Änderungsantrag abgelehnt.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/4095 zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?— Keine Enthaltungen. Der Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit gegen die Stimmen der SPD zugestimmt.Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 5 e bis 5 n, und zwar über die hierzu vorliegenden Beschlußempfehlungen. Kann ich davon ausgehen,
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Vizepräsident Stücklendaß wir über diese Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen können? — Das ist der Fall.
— Dann müssen wir über die ganze Latte einzeln abstimmen. Bitte schön.Tagesordnungspunkt 5e: Wer stimmt für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/5985? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Mit Mehrheit angenommen.Tagesordnungspunkt 5f: Wer für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/5759 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Bei einigen Gegenstimmen angenommen.Tagesordnungspunkt 5 g: Wer für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/5803 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Bei einigen Gegenstimmen angenommen.Tagesordnungspunkt 5 h: Wer für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/6407 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Bei einigen Gegenstimmen angenommen.Tagesordnungspunkt 5 i: Wer für die Beschlußempfehlung auf Drucksache
— das müssen Sie nachlesen; die ist aufgeführt, alles drin —
10/6407 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen — —
— Sie haben dagegengestimmt. Bei einigen Gegenstimmen und keiner Enthaltung mit Mehrheit angenommen.Tagesordnungspunkt 5j! Wer für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/6407 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit — bei Enthaltung der SPD — angenommen.Tagesordnungspunkt 5 k! Wer stimmt für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/6407? — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit — gegen die Stimmen der SPD — angenommen.Tagesordnungspunkt 51! Wer stimmt für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/6407? — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Bei Enthaltung der SPD mit Mehrheit angenommen.Tagesordnungspunkt 5 m! Wer stimmt für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/6407? — Wer st dagegen? — Wer enthält sich? — Gegen die Stimmen der SPD und bei einigen Enthaltungen angenommen.Tagesordnungspunkt 5 n! Wer stimmt für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/6448? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit — bei Enthaltungen der SPD — angenommen.Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.Der Ältestenrat hat in seiner heutigen Sitzung vorgeschlagen, in der Sitzungswoche vom 24. bis zum 28. November 1986 wie auch früher schon mit Rücksicht auf die Haushaltsberatungen keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden zuzulassen. Sind Sie mit den Abweichungen von der Geschäftsordnung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen; Gestaltung von Rahmenbedingungen der technischen Entwicklung" gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 14. März 1985 — Drucksachen 10/2937, 10/3022 —Zur Institutionalisierung einer Beratungskapazität für Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung beim Deutschen Bundestag— Drucksache 10/5844 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Ausschuß für Forschung und Technologie HaushaltsausschußDer Ältestenrat hat für die Beratung eine Kurzdebatte mit bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vorgeschlagen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bugl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat am 14. März 1985 die Enquete-Kommission „Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen; Gestaltung von Rahmenbedingungen der technischen Entwicklung" eingesetzt. Ein Teil des Auftrags war, den Wissens- und Informationsstand des Parlaments über wesentliche technische Entwicklungen zu verbessern und zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie das Thema Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag in Zukunft behandelt werden kann. Den ersten Teil ihres Auftrags hat die Kommission mit der Vorlage ihres Berichts vom 14. Juli 1986 erfüllt. Ich sehe es als Zeichen der Ernsthaftigkeit und des Willens zur thematischen Kontinuität, daß der Deutsche Bundestag diesen ersten Bericht heute hier diskutiert.Hans Jonas hat einmal gesagt: Es gibt eine Pflicht zur Zukunft. Wir alle sind aufgerufen, über die Qualität des technischen Fortschritts — denn nur um diese kann es gehen — nachzudenken. Es
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19058 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Dr. Buglgibt keine Alternative zum technischen Fortschritt, wohl aber Alternativen in Art und Form. Wir haben die Chancen und die Risiken des technischen Entwicklungsprozesses zu reflektieren und Maßstäbe zu seiner Beurteilung zu entwickeln, die unserem technischen Vermögen entsprechen. Dies vor allem ist die Aufgabe der Politik. Die vernunftgeleitete Auseinandersetzung über die Orientierungsmarken unserer gesellschaftlichen Zukunft gehört in die Parlamente.
Sie alle wissen, daß dies in den letzten Jahrzehnten keineswegs immer so war. Ich führe dieses Defizit auch auf die institutionelle Schwäche des Deutschen Bundestages zurück, in diesem Bereich über kein Beratungsinstrumentarium zu verfügen.Technikfolgenabschätzung bezeichnet im Verständnis der Enquete-Kommission den Versuch, unter Nutzung wissenschaftlicher Methoden die direkten und indirekten, die gewollten und nichtgewollten, synergistischen und zeitverzögerten, sozialen und ökologischen Wirkungen aus den Folgen des Einsatzes von Technik darzustellen, um sie politisch bewertbar zu machen. Es entspricht dem Verständnis der Kommission, parlamentarische Technikfolgenabschätzung als ein funktionales Zusammenspiel von wissenschaftlich gestützter Analyse und einem kontinuierlichen Beratungs- und Kommunikationszusammenhang zwischen Wissenschaft und Politik zu institutionalisieren. Aus diesem Grund sieht unser Vorschlag, die Bildung einer Kommission zur Abschätzung und Bewertung von Technikfolgen vor, die wie eine Enquete-Kommission zusammengesetzt wird, d. h. aus Sachverständigen und Parlamentariern.Unserem Konzept von Technikfolgenabschätzung als kommunikativem Prozeß entsprechen die organisatorischen Prinzipien des Vorschlages der Kommission. Sie berücksichtigen, daß eine zukünftige Beratungseinrichtung auf das vorhandene Netz von Forschungseinrichtungen im In- und Ausland zurückgreifen kann. Es trägt weiter der Notwendigkeit Rechnung, daß für die spezifischen Bedürfnisse des Parlaments eigene wissenschaftliche Kapazitäten vorhanden sein müssen, die das gesamte Wissen bündeln und aufbereiten sowie die Untersuchungen, die für das Parlament von Interesse sind, in die Wege leiten und aktiv ausgestalten. Aus diesem Grunde schlagen wir die Bildung einer wissenschaftlichen Einheit als organisatorischen Bestandteil der Bundestagsverwaltung zur Unterstützung der Kommission vor.Die vorgeschlagene Organisationsform der Beratungseinrichtung stellt sicher, daß ihre Tätigkeit in die parlamentarischen Prozesse integriert wird. Wissenschaftliche Informationsgewinnung muß sich an den parlamentarischen Beratungsbedürfnissen orientieren und auch die notwendige Einbeziehung von Abgeordneten und Bundestagsausschüssen in die Prozesse der Technikfolgenabschätzung sichern.Auf dieser Grundlage soll die angesprochene Kommission ihre Empfehlungen in Form von Optionen an den Deutschen Bundestag formulieren. Sowohl diese Absicht wie der Charakter ihrer Zusammensetzung verlangt, daß wir dieser Kommission eine geschäftsordnungsmäßige Grundlage geben. Von daher hat die Enquete-Kommission dem Deutschen Bundestag die diesbezügliche Ergänzung seiner Geschäftsordnung empfohlen.Meine Damen und Herren, je früher zukünftige Probleme mit politischem Entscheidungsbedarf erkannt werden, um so größer ist die Möglichkeit für den Gesetzgeber, diesen Problemen in chancenund risikoabwägender Haltung gegenüberzutreten. Dies ist ein wesentliches Ziel unserer Vorschläge. Früherkennung in diesem Sinne heißt, technikbedingte Risiken und Chancen zu einem Zeitpunkt ins Blickfeld zu bekommen, in welchem sie noch nicht manifest geworden sind.
Technikfolgenabschätzung orientiert sich mithin weit eher am Anspruch einer prophylaktischen denn an einer therapeutischen Chancen- und Risikosteuerung.Die Vorschläge der Kommission sind von viel Zustimmung und daran gemessen wenig Kritik begleitet worden; dies sicher auch, weil wir ganz klar und deutlich gesagt haben: es gilt das Primat der Politik. Technikfolgenabschätzung als informationelle Entscheidungsvorbereitung zu verstehen heißt, daß wissenschaftliche Expertenanalyse die politische Entscheidung selbst nicht ersetzen kann und nicht ersetzen darf. Die Entscheidungskompetenz liegt letztlich immer beim Politiker, nicht beim Experten.
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag hat 13 Jahre lang über Technikfolgenabschätzung geredet. Heute liegen dem Hohen Hause sehr konkrete, praxisnahe und im Konsens aller Parteien und aller gesellschaftlichen Gruppen, welche in der Enquete-Kommission vertreten waren, formulierte Vorschläge vor. Die Kommission hat sich auf der Grundlage ihres Beschlusses vom 3. November 1986 an den Präsidenten des Deutschen Bundestages mit der dringenden Bitte gewandt, die weitere Behandlung und die Umsetzung ihrer Arbeitsergebnisse wenn nicht in dieser, dann in der kommenden Legislaturperiode sicherzustellen.Wir, die Mitglieder der Kommission, sind dem Ältestenrat des Deutschen Bundestages dafür dankbar, daß er entsprechend unserer Bitte vereinbart hat, diese Aussprache auf die Tagesordnung zu setzen und den Bericht an den Geschäftsordnungsausschuß — federführend — zu überweisen. Dieser hat ja dann die Möglichkeit, unseren Vorschlag in der nächsten Legislaturperiode von sich aus aufzugreifen, ohne daß es eines nochmaligen Auftrages des Plenums bedürfte.Ich freue mich, für meine Fraktion sagen zu dürfen, daß wir in der nächsten Legislaturperiode diese
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Dr. BuglArbeit in einer geeigneten Form, die der Geschäftsordnungsausschuß zu finden hat, fortsetzen werden. Ich bin mir sicher, daß sich auch die anderen Fraktionen dazu bereit erklären werden.Wir haben knapp zwei Jahre lang in dieser Kommission vertrauensvoll zusammengearbeitet, haben in fairer Auseinandersetzung Einigkeit über das Ziel herbeigeführt, Technikfolgenabschätzung beim Parlament zu institutionalisieren, und haben alle Entscheidungen und den Ihnen vorliegenden Bericht im Konsens verabschiedet. Dafür bedanke ich mich bei den Mitgliedern der Kommission, aber auch bei den Mitarbeitern des Sekretariats ganz herzlich.
Meine Damen und Herren, nehmen wir die Chance wahr und stellen wir so die Weichen für die Weiterbehandlung und Umsetzung der Vorschläge der Kommission durch den 11. Deutschen Bundestag! Dies wird besser als alle Erklärungen deutlich machen, daß der Deutsche Bundestag die Herausforderung der Technik an die parlamentarische Politik angemessen aufgenommen und Wege zur verantwortungsvollen Bewältigung des technischen Fortschritts gefunden hat.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vahlberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 1973 wird in der Bundesrepublik ein Konzept zur Institutionalisierung von Technikfolgenabschätzung beim Bundestag diskutiert; Herr Dr. Bugl, Sie haben darauf eben hingewiesen. Dieser Prozeß des Nachdenkens war bis zur Einsetzung der Enquete-Kommission kein Ruhmesblatt für den Parlamentarismus.Wir haben uns deshalb sehr darüber gefreut, daß die Einsetzung der Enquete-Kommission einstimmig erfolgte. Diese Einstimmigkeit signalisierte, daß wir wirklich gewillt sind, in dieser Legislaturperiode etwas zustande zu bringen.Die SPD-Fraktion ist der Auffassung, daß die technische Entwicklung nicht fatalistisch hingenommen werden darf, sondern aktiv gestaltet werden muß. Mit den Defiziten des Parlaments bei der Beratung von technologischen Fragestellungen und der Kontrolle der Exekutive, der Regierung, haben wir uns bei der Einsetzung der Kommission ausführlich beschäftigt. Die Gestaltungskraft des Parlaments auf diesem Politikfeld, einem Politikfeld von wachsender Bedeutung, läßt — darin waren wir uns bei der Einsetzung einig — zu wünschen übrig.Um ein Beispiel zu nennen: Glauben wir tatsächlich, daß wir etwa in der Frage des Einstiegs in die bemannte Weltraumfahrt hier im Bundestag sachgerecht diskutieren, daß über die Frage, ob ARIANE oder HERMES oder HOTOL oder Projekt Sänger oder was es sonst noch alles auf dem Markt gibt, hier tatsächlich sachgerecht diskutiert wird?Wir werden letztendlich Entscheidungen treffen und damit Mittel in Größenordnungen von zig Milliarden über Jahrzehnte hinweg binden. Ich glaube, daß wir dabei einer Entscheidungsillusion erliegen. Ich glaube nicht, daß das Parlament eine solche Frage, die ich hier beispielhaft bringe, wirklich sachgerecht debattiert.Für die große Aufgabe eines sozialverträglichen, an ökologischen Zielen orientierten Umbaus unserer Industriegesellschaft braucht der Bundestag eine interessenneutrale wissenschaftliche Einrichtung, die in der Lage ist, das national wie international vorhandene Wissen zu sammeln, zu bewerten, eigenständig wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen, die nicht nur fachspezifisch angelegt sind, sondern denen ein Querschnittsdenken zugrunde liegt, indem auch Außenseiterthesen und -hypothesen zum Zuge kommen, eine Einrichtung, die den politischen Betrieb kennt, und das, was erarbeitet wurde, entsprechend aufzubereiten.Zwei Jahre hat die Enquete-Kommission im Geiste des Konsenses gearbeitet, Herr Dr. Bugl, wie ich bestätige. Wir wollten von Anfang an, daß etwas zustande kommt. Wir haben nun einstimmig einen Entwurf verabschiedet; er liegt dem Hause zur Beratung und zur Überweisung an die Ausschüsse vor.Für die SPD-Fraktion sage ich, wir hatten ursprünglich die Vorstellung, ein Institut „Arbeit, Umwelt, Technik" zu schaffen, das nicht in die Verwaltung des Deutschen Bundestages integriert ist, sondern dem Bundestag zuarbeitet. Wir haben uns nun in der Enquete-Kommission auf die verwaltungsinterne Lösung, die sogenannte kleine Lösung, verständigt, weil uns signalisiert wurde, daß nur die kleine Lösung eine Chance hat, hier von allen Fraktionen, vor allen Dingen von der Koalition akzeptiert zu werden.Nun stellen wir fest, daß wir doch wohl bei der Umsetzung unserer Vorstellung in dieser Legislaturperiode scheitern werden. Wir haben ausdrücklich einen sogenannten Zwischenbericht geschrieben, damit er noch in dieser Legislaturperiode behandelt werden kann. Um so größer ist unsere Enttäuschung darüber, daß die Behandlung im Plenum verzögert wurde und daß wir jetzt auf den neuen Bundestag vertröstet werden. Ich sage hier genauso, wie ich das schon im Ausschuß getan habe, daß ich befürchte, daß das eine Beerdigung erster Klasse ist, daß wir auf die neue Legislaturperiode vertröstet werden und daß die Frage Technologiefolgenabschätzung in der neuen Legislaturperiode nicht wieder zum Thema gemacht wird.Ich muß sagen, daß wir sehr überrascht waren, daß der Bundesverband der Deutschen Industrie sich mit seiner Stellungnahme vom 26. März 1986 der Einrichtung einer solchen Arbeitseinheit beim Bundestag widersetzt hat. Er hat ausgeführt, für Entscheidungen über organisatorische Fragen, wie sie hier vorgeschlagen werden, sei es zu früh. Solange die zahlreichen offenen inhaltlichen Fragen nicht geklärt seien, würden sie einer solchen Einrichtung nicht zustimmen.
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19060 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
VahlbergWir haben von Anfang an dafür plädiert, unmittelbar in die Ausschüsse zu gehen und zu beraten. Dies ist jetzt praktisch vereitelt worden. Herr Dr. Bugl, wir haben den Eindruck, daß Sie in der Zirkuskuppel geturnt haben und Ihre Fraktion Ihnen dabei amüsiert zugeschaut hat. Ich muß hinzufügen: Ihr Engagement ist unbestritten, wird von uns voll respektiert.
Sie haben sich in diesen zwei Jahren wirklich für eine Institutionalisierung der Technologiefolgenabschätzung eingesetzt, wir glauben aber, daß Ihre Fraktion vor dem BDI in die Knie gegangen ist,
so wie schon einmal, als vor 14 Jahren das Bundesimmissionsschutzgesetz beraten wurde, der BDI Sperrfeuer gab, um dieses Gesetz zu verhindern. Sie lamentieren immer darüber: Wenn von Bürgerinitiativen draußen im Lande Forderungen erhoben werden. Dann sprechen Sie vom Druck der Straße. Ich sage: Sie geben hier dem Druck aus Vorstandsetagen nach.
Wir wären bereit, dieses Thema in der kommenden Legislaturperiode wieder zu behandeln und mit Ihnen gemeinsam eine Institutionalisierung durchzusetzen. Wir haben große Skepsis und möchten die hier dem Hause mitteilen. Wir werden, wenn das jetzige Konzept scheitern sollte, und in der kommenden Legislaturperiode nicht zum Thema gemacht wird, unsere alte Vorstellung wieder einbringen,
nämlich ein Institut zu schaffen „Arbeit, Umwelt und Technik". Wir hoffen immer noch, daß der Druck, dem Sie jetzt erlegen sind, Sie in der kommenden Legislaturperiode nicht zu gleicher Reaktion veranlassen wird und der Deutsche Bundestag seine Beratungskapazität in Sachen Technologiefragen wirklich wird verstärken können.Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Enquete-Kommission „Technologiefolgenabschätzung" hat einen Bericht vorgelegt, hat eine Institutionalisierung vorgeschlagen, und der Vorschlag für diese Art von Institutionalisierung ist nach sehr langer Diskussion zwischen den verschiedenen Fraktionen — das möchte ich betonen — mit allen beteiligten Wissenschaftlern einstimmig erfolgt. Ich möchte weiterhin betonen — das sage ich für mich ganz persönlich —, daß die sachliche Arbeit in dieser Enquete-Kommission, die Zusammenarbeit mit den anderen Fraktionen und die Zusammenarbeit insbesondere mit allen beteiligten Wissenschaftlern für mich zumindest eines der erfreulichsten Dinge gewesen ist, die ich hier im Bundestag miterlebt habe. Hier waren nämlich ein gemeinsames Bemühen und eine gemeinsame Skepsis vorhanden. Die Skepsis rührte daher, daß wir uns alle als Fraktionen, als Parlamentarier in einer Situation befinden, wo das, was sich in Wissenschaft und Technik entwickelt, immer schwieriger zu beurteilen wird. Ich glaube, es war die gemeinsame Skepsis, die überhaupt dahin geführt hat, daß wir auch zu einem gemeinsamen Bericht gefunden haben.
Ich möchte ein Beispiel geben, um die Notwendigkeit der Technologiefolgenabschätzung und der besseren Beurteilungsfähigkeit eines Parlaments zu betonen. Im Dezember 1948 wurde ein Nobelpreis verliehen und in der Laudatio auf den Nobelpreisträger wurde folgendes gesagt — ich zitiere —:Die Erkenntnis der Kontaktgiftwirkung von DDT eröffnet weite Ausblicke. Das Mittel würde im Kampf gegen Insekten eine sehr große Anzahl guter Eigenschaften zeigen. Es ist nämlich bei gehöriger insektizider Dosierung praktisch ungiftig für den Menschen und wirkt schon in sehr kleinen Dosen für eine große Anzahl verschiedener Insektenarten. Weiterhin ist es billig, leicht darstellbar und überaus haltbar. Ohne Zweifel hat das Mittel schon Hunderttausenden von Menschen Leben und Gesundheit erhalten.Im August 1972 beschloß dieser Bundestag, das Mittel DDT zu verbieten, die Produktion und den Handel unter Strafe zu stellen. Wir müssen heute sagen, daß uns dieses Gift noch sehr lange in seinen Folgewirkungen begleiten wird, die Menschen gesundheitlich schädigen wird, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in der ganzen Welt. Es ist bedauerlich — das möchte ich betonen —, daß DDT in Europa selbstverständlich für den Export noch hergestellt wird und es immer noch nicht so ist, daß man sagen könnte: DDT ist von dieser Welt verschwunden.Dies ist für mich ein entscheidendes Beispiel, um die Notwendigkeit von Technologiefolgenabschätzungen nachzuweisen und mit dieser Enquete-Kommission dahin zu kommen, worauf ich hinaus möchte: Wir brauchen in Zukunft eine rationalere Diskussion über Technik. Wir können es uns nicht mehr leisten, daß wir auf der einen Seite Apologie der Technik betreiben, auf der anderen Seite Verteufelung. Ich sage das ganz bewußt: Dafür sind Wissenschaft und Technik zu weit entwickelt und die Entwicklung in industrialisierten Gesellschaften, wie jetzt die Katastrophe im Rhein gezeigt hat, zu weit fortgeschritten. Aus diesem Grunde gehe ich davon aus, daß eine bessere Information — auch in diesem Parlament — die höhere Qualität eines Diskurses über Wissenschaft und Technik garantieren sollte.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19061
Dr. Müller
Wir haben uns ein bißchen an der amerikanischen Institution Office of Technology Assessment, dem OTA, orientiert. Ich glaube, daß wir davon zwei Sachen lernen können: Es macht einfach einen Sinn, sich jenseits von Parteigrenzen in Fragen von Wissenschaft und Technik wissenschaftlich beraten zu lassen. Was daraus dann politisch geschlossen wird, kann und soll eine sehr unterschiedliche Sache sein. Ich möchte aber — das war mein Plädoyer für eine rationalere Diskussion — auf einem Informationsniveau in der Zukunft diskutieren, das uns eine größere Entscheidungsfreiheit gibt. Denn eins sollte doch klar sein: unsere Gesellschaft wird doch durch nichts stärker als durch wissenschaftliche und technologische Entwicklung bestimmt.Wenn wir im Bundestag oder in der Öffentlichkeit schauen, was denn eigentlich die größere Aufmerksamkeit hat, müssen wir feststellen: es ist nicht die Diskussion über Wissenschaft und Technik — kaum Aufmerksamkeit —, sondern es sind außenpolitische Dinge usw. Deswegen glaube ich, daß es an der Zeit ist, Demokratie in diese Debatte dergestalt hineinzubringen, daß die Diskussion möglich wird. Dafür brauchen wir Beratung. Das geht heutzutage nicht mehr einzig und allein aus dem blauen Dunst heraus.Ich möchte betonen, daß die Einheit, die diese Enquete-Kommission erzielt hat, eine Einheit nach langer Diskussion ist. Ich möchte auch betonen, daß insbesondere der Vorsitzende, Herr Bugl, dafür gesorgt hat, daß in dieser Enquete-Kommission ein Klima der Auseinandersetzung vorhanden war, das ich als äußerst produktiv bezeichnen möchte. Ich glaube, wir haben nicht ein einziges Mal abgestimmt.
Ich halte dies für ein wichtiges Ergebnis auch von parlamentarischer Kultur.Ich habe allerdings natürlich eine Sorge: Wir sind zwar mit dem Institutionalisierungsvorschlag fertig geworden. Wir werden auch noch einen weiteren Bericht vorlegen können. Wir haben sehr viele Erfahrungen mit den Grenzen von Technologiefolgenabschätzung gemacht. Wir mußten feststellen, daß die Methoden noch nicht besonders weit entwickelt sind, um es vorsichtig auszudrücken. Wir haben auch gelernt, daß es natürlich schwierig ist, solche Prognosen zu erstellen, und daß es dringend notwendig wäre, auch die Wissenschaft weiterzuentwickeln, sich selbst in diese Lage zu versetzen. Das wird nicht billig sein. Ich glaube, auch das ist eine der wesentlichen Erkenntnisse.Wir haben auf der einen Seite im Haushalt eine Entscheidung über ungefähr 13 bis 14 Milliarden DM Forschungsgelder pro Jahr. Ich bin der Meinung, daß es eigentlich Verfassungsauftrag ist, über die Wirkung des Einsatzes dieser Gelder optimal informiert zu sein. Dies entspräche unserer Sorgfaltspflicht.Jeder, der in sich hineinhört, weiß natürlich sehr schnell: Wie sollen wir das denn beurteilen? Von daher begründet sich die Notwendigkeit einer Institution für Technologiefolgenabschätzung beim Bundestag.Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß Sie, Herr Bugl, deutlich gemacht haben, daß die CDU den Willen hat, diese Enquete-Kommission in der nächsten Legislaturperiode zu einem Ergebnis kommen zu lassen. Wir — ich betone das für meine Fraktion — werden dafür Sorge tragen, daß die Vorschläge dieser Enquete-Kommission in der nächsten Legislaturperiode verwirklicht werden.Dies ist natürlich für die große Aufgabe nur ein Anfang. Ich kann mir größere Lösungen vorstellen. Meine Position ist dort aber: Laßt uns einen ersten Schritt tun, um auf diese Art und Weise auch Erfahrungen zu sammeln und diese Erfahrungen auch nutzbar werden zu lassen.Ich möchte zum Schluß kommen. Ich glaube, daß mit dem Ergebnis dieser Enquete-Kommission oder mit der Diskussion über Technologiefolgenabschätzung, die ja schon sehr lange gewährt hat, der Bundestag das erste Mal auf eine entscheidende Herausforderung der modernen industrialisierten Gesellschaft reagiert hat. Ob das ausreichend ist oder nicht, sei dahingestellt. Für mich ist entscheidend, daß ein Anfang gemacht wird. Ich hoffe sehr — ich betone das —, daß in der nächsten Legislaturperiode dieses Ergebnis — jenseits meiner Skepsis — verwirklicht wird und wir auf dieser Grundlage neue und andere Debatten über Technik und Wissenschaft haben werden, in denen wir uns streiten müssen, in die wir aber bestens informiert gehen.Danke schön für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Vahlberg, ich habe es ein bißchen bedauert, daß sich bei Ihnen, wie ich meine, ein paar Wahlkampftöne eingeschlichen haben.
Sie haben u. a. gesagt, daß die CDU, möglicherweise dem Druck aus Vorstandsetagen folgend, in die weitere Behandlung Verzögerungen bringen könnte. Ich darf noch einmal daran erinnern — ich habe das seinerzeit sehr bedauert —, daß wir sehr viel früher zur Einsetzung dieser Enquete-Kommission gekommen wären, wenn nicht, nachdem wir uns interfraktionell und im Ausschuß einvernehmlich geeinigt hatten, aus Ihrer Vorstandsetage, aus Ihrem Fraktionsvorstand erst einmal rot geschaltet worden wäre. Sie mußten nämlich mit einem eigenen Antrag nachziehen.
Wir hatten uns noch im Ausschuß bemüht, diese Sache vom Tisch zu bekommen, Ihren Vorstellungen zu entsprechen. Aber es ging nicht.
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19062 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Dr.-Ing. Laermann— Herr Vahlberg, ich möchte nur diese eine Anmerkung machen und ansonsten auf ihre Äußerungen nicht weiter eingehen. Aber, ich denke, Sie werden sich noch daran erinnern, wie das im Herbst 1984 gewesen ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vahlberg?
Nein. Vielleicht später.Ich denke — wir haben das bereits gehört —, daß eine vorausschauende Beurteilung und Bewertung der Folgen neuer Technologien — ich benutze ausdrücklich das Wort „Technologien" und nicht „Technik" — aus vielen Gründen erforderlich ist. Wir haben heute vieles an negativen Wirkungen zu beklagen. Ich möchte feststellen, daß manche Auswirkungen in politischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Beziehung im positiven Sinne hätten verstärkt werden können, also im Sinne erwünschter Wirkungen. Aber auch manche negativen Folgen im Sinne unerwünschter Nebenwirkungen hätten bei rechtzeitiger Erkenntnis, Kenntnis und Berücksichtigung zumindest teilweise vermieden oder durch entsprechende Maßnahmen aufgefangen werden können. Ich glaube, daß das in der Zukunft noch in sehr viel stärkerem Maße gilt. Von daher sind wir, das Parlament, dringend gefordert.Ich muß zunächst die Frage offenlassen, wie erwünschte und unerwünschte Wirkungen definiert werden und wer sie definiert, aus welcher Position heraus und mit welchen Erwartungen. Ich möchte den Philosophen Karl Popper zitieren: „Menschliche Entscheidung verbindet gegenwärtiges Verhalten mit Absichten und Erwartungen, und solche Entscheidungen werden stets bestimmt durch den moralischen, sozialen und materialen Standort, den der entscheidende Mensch im Augenblick der Entscheidung einnimmt." Wir haben zurückblickend jetzt schon manche Beispiele dafür, wie sich in kürzester Zeit — aus welchen Gründen auch immer — Positionen und Bewertungen verändert haben. Auch bei Technikfolgenbewertung müssen wir sehr wohl mitbedenken, daß sich etwas verändern kann.Die zunehmende Geschwindigkeit und die wachsende Komplexität, die größeren Wirkungsbereiche neuer Entwicklungen z. B. auf dem Gebiet der Mikroelektronik, neuer Energiesysteme, Kommunikationsnetze machen heute Folgenanalysen wichtiger denn je. Das ist eine wichtige und unverzichtbare politische Aufgabe.
Es kommt in erster Linie darauf an, bei allen an Entwicklungsprozessen Beteiligten, vor allem aber bei den politisch Verantwortlichen ein Bewußtsein für die Notwendigkeit der Technologiefolgenbewertung zu entwickeln, und zwar in allen Politikbereichen. Technologiefolgenbewertung ist eine Querschnittaufgabe in der Politik. Es ist nun nicht Aufgabe von Wissenschaftlern und Forschern, politische Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen —ich betone: politische Verantwortung. Aber sie tragen für ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse die Verantwortung insoweit, als sie auf Folgen hinweisen müssen, die sich nach ihrer Beurteilung aus der gewollten oder ungewollten Nutzung ihrer Erkenntnisse ergeben können. Dabei darf aber nicht übersehen und auch nicht verkannt werden — um die Verantwortung nicht einseitig zuzuweisen —, daß die Probleme meistens erst nach der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die praktische Nutzung bei der Anwendung entstehen. Dies liegt dann nicht mehr im Bereich der Wissenschaften, ist deren Einflußnahme auch vielfach entzogen.Negative Folgenwirkungen lassen sich auch nicht abschließend im Vorfeld praktischer Nutzung neuer Entwicklungen am grünen Tisch vorhersagen, lassen sich nicht im vorhinein wissenschaftlich analysieren, mindestens nicht umfassend und abschließend, sondern dies ist entsprechend der Dynamik der Entwicklungen eine sich täglich aus der praktischen Erfahrung heraus neu stellende dauernde Aufgabe.Gerade das Beispiel von Herrn Dr. Müller mit DDT weist darauf hin. 1945 waren wir alle froh, daß es dies gab. Dann erst setzten Erkenntnisse und Erfahrungen ein, die Handeln erforderlich machten. Gewiß setzte das zu spät ein. Aber wenn man aus dem Rathaus kommt, ist man immer klüger als vorher.
Und dies gilt insbesondere für Technologiefolgenbewertung.An dieser Stelle ist die Politik entscheidend gefordert, weil sie sehr sorgfältig und aufmerksam die Entwicklungen zu verfolgen hat und nicht immer hinterherhinken darf, wie wir das in der Vergangenheit erlebt haben. Dies ist eine ganz wichtige Aufgabe, die auch nur im funktionalen Zusammenwirken mit allen an den Prozessen Beteiligten bewältigt werden kann. Da ist die Wissenschaft gefordert, auch die Instrumentarien zur Verfügung zu stellen; da sind Technik und Wirtschaft gefordert, aber insbesondere die Politik.Deshalb möchte ich ausdrücklich begrüßen, daß es nach mehr als zwölfjähriger Diskussion im Parlament, erstens, im März 1985, endlich zur Einsetzung einer Enquete-Kommission gekommen ist und daß, zweitens, diese Kommission in einem ersten Teilbericht einen Vorschlag zur Institutionalisierung einer Beratungskapazität erarbeitet und vorgelegt hat. Dieser Vorschlag trifft in den Prinzipien die bisher diskutierten Vorstellungen.Erstens. Ich erwähne ausdrücklich den Ansatz „Nähe zum Parlament", was ich für ganz wichtig halte. Herr Vahlberg, so ein eigenes unabhängiges Institut birgt die Gefahr in sich, daß es sich in der Tat verselbständigt und von daher auch nur noch Alibi für Politik und für Parlament sein könnte. Die Gefahr ist mir zu groß. Wir haben das in der Vergangenheit oft genug am Beispiel OTA diskutiert.
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Dr.-Ing. LaermannUnd es zeigt sich aus den Erfahrungen, daß OTA neben dem Kongreß herläuft.
Ich bin zweitens der Auffassung, daß wir diese Bewertungskapazität mit ihrem beratenden Charakter für das Parlament — darauf kommt es mir ganz wesentlich an —
brauchen; denn die Verantwortung — das ist schon gesagt worden —, die letztendliche, politische Verantwortung muß beim Parlament bleiben; die kann dem Parlament niemand abnehmen.Wir müssen drittens — auch dies kommt in dem Vorschlag zum Ausdruck — auch der Interdisziplinarität entsprechen. Ich sprach vorhin von der Querschnittaufgabe, die hier ansteht. Deswegen meine ich, daß vom Grundsatz her der hier vorgelegte Vorschlag richtig ist.Außerordentlich bedeutungsvoll finde ich die Darlegungen zu den beiden grundsätzlichen Lösungsmodellen einer „bundestagsinternen" und einer „bundestagsexternen" Lösung. Das Problem, das ich gerade andeutete, kommt hier zum Ausdruck. Ich denke, daß hierüber in den parlamentarischen Beratungen auch noch intensiv zu diskutieren sein wird, gerade weil ich hier festgestellt habe, daß sich Vorstellungen, in Nuancen jedenfalls, nicht ganz deckungsgleich dargestellt haben.Im Kommissionsbericht heißt es u. a. unter V. 2:Dieser Vorstellung neigte die Enquete-Kommission einmütig zu, nachdem sie bestehende, aus der Wissenschaft und in der bundestagsinternen Diskussion vorgeschlagene Organisationsmodelle erwogen hatte.Es wird für die Ausschußberatungen grundlegend wichtig sein, zu wissen, welche Modelle im einzelnen untersucht worden sind, wie und nach welchen Kriterien diese bewertet wurden. Ich gehe deshalb davon aus, daß der vorliegende Bericht durch eine Materialsammlung ergänzt werden und uns diese in den Ausschußberatungen zur Verfügung stehen wird. Auf dieser Grundlage können wir dann Beschlußempfehlungen für die letztendlich zu wählende Organisationsstruktur erarbeiten.Ich halte das für ganz wichtig. Denn das Parlament muß dann über die Jahre mit diesen Vorstellungen und Vorschlägen leben. Deswegen, Herr Kollege Vahlberg, halten wir es auch für richtig, daß wir den nächsten Bundestag nicht schon in der Weise binden, daß wir sagen: Dies mußt du so exekutieren!, sondern daß wir sagen: Wir wollen das so, und wir übergeben dir das. Wir möchten — dafür trete ich mit ein und mache mich dafür stark — das in der Kontinuität tun, d. h. dafür sorgen, daß dieser Bericht nicht der Diskontinuität unterliegt.Ich möchte abschließend feststellen, daß für uns die Technologiefolgenbewertung eine unverzichtbare Aufgabe ist,
die interdisziplinäre und dauernde Aufgabe des Parlaments sein muß.
— Ich frage j a auch nicht nach den divergierenden Meinungen in Ihrer Fraktion, Herr Kollege Kübler.
— Sie hören doch, daß ich hier sicherlich — das können Sie mir abnehmen — für die Fraktion spreche; sonst hätte mich die Fraktion nicht hier hingestellt.
Ich darf wiederholen: Ich halte es für eine interdisziplinäre und für eine dauernde Aufgabe des Parlaments, der sich das Parlament nicht entziehen darf. Ich möchte von hier aus den Dank an die Kommission richten, insbesondere an die Sachverständigen, die sich mit großem Ernst und Engagement dieser Sache zugewandt und hier gearbeitet haben. Mein Dank gilt auch dem Stab für die Begleitung dieser Arbeit und insbesondere natürlich dem Vorsitzenden.Ich hoffe, daß wir auf der Grundlage der hier vorgelegten Vorschläge in die parlamentarischen Beratungen eintreten können bzw. daß der nächste Deutsche Bundestag bindende Beschlüsse zu diesem Thema faßt.Ich bedanke mich.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 10/5844 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Punkt 29 der Tagesordnung sowie den Zusatzpunkt 9 der Tagesordnung auf:29. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ströbele, Vogel und der Fraktion DIE GRÜNENGesetzentwurf zur Regelung einer angemessenen Versorgung für alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in der Zeit von 1933 bis 1945— Drucksache 10/5796 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Haushaltsausschußb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ströbele, Vogel und der Fraktion DIE GRÜNEN
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19064 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Vizepräsident StücklenEntschädigung für Zwangsarbeit während der Nazi-Zeit— Drucksache 10/5797 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschußc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ströbele, Bueb, Vogel und der Fraktion DIE GRÜNENAnrechnung von Versicherungszeiten für Zwangsarbeiter— Drucksache 10/5260 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschußd) Beratung des Antrags der Fraktion der SPDVerbesserung der Situation der Sinti und Roma— Drucksache 10/6242 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
InnenausschußAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuße) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht sowie über die Lage der Sinti, Roma und verwandter Gruppen— Drucksache 10/6287 —Uberweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
InnenausschußAusschuß für Arbeit und Sozialordnung HaushaltsausschußZusatzpunkt 9:Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Entschädigung für NS-Unrecht"— Drucksache 10/6415 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
InnenausschußFinanzausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOMeine Damen und Herren, interfraktionell sind eine gemeinsame Beratung dieser Punkte und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Menschliches Leid und Unrecht sind durch finanzielle Leistungen weder aus der Welt zu schaffen noch wiedergutzumachen. Daher muß jede Wiedergutmachung letztlich unzulänglich bleiben. Dennoch ist unsere Wiedergutmachungsgesetzgebung eines der bedeutendsten und umfassendsten Gesetzgebungswerke der Nachkriegszeit, das in der Geschichte ohne Beispiel ist.Bemühungen zur Wiedergutmachung setzten unmittelbar nach Ende der NS-Gewaltherrschaft ein, zunächst auf kommunaler, dann auf Landes- und nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland auf Bundesebene. Nach dem Bundesergänzungsgesetz von 1953 folgte 1956 das Bundesentschädigungsgesetz, das sowohl den Kreis der Anspruchsberechtigten als auch Umfang und Höhe der Leistungen erheblich ausweitete. Das Bundesentschädigungsschlußgesetz aus dem Jahre 1965 brachte nochmals erhebliche und finanziell gewichtige Verbesserungen. Es sollte zugleich nach Überzeugung aller Parteien die abschließende gesetzliche Regelung bilden. Für diejenigen in ihrer Gesundheit erheblich geschädigten Verfolgten, die wegen der gesetzlichen Schlußfrist keine Chance hatten, Entschädigungsleistungen zu erhalten, ist die Härteregelung von 1980 und 1981 geschaffen worden. Hierdurch wurde nochmals bestätigt, daß die Gesetzgebung abgeschlossen bleiben sollte. Seitdem haben sich keine neuen, grundlegenden Erkenntnisse ergeben, die zusätzliche Maßnahmen erfordern. Insgesamt beläuft sich der finanzielle Aufwand der Bundesrepublik Deutschland für die Wiedergutmachung bis zum Jahre 2000 auf über 100 Milliarden DM. Davon wurden bis Ende 1985 bereits 77 Milliarden DM erbracht.Der Bericht der Bundesregierung nimmt zu allen in den Entschließungsanträgen angesprochenen Fragen Stellung.
Er befaßt sich nicht nur mit den Hauptbetroffenen der NS-Verfolgung, sondern auch mit den Minderheiten, die durch NS-Unrecht geschädigt wurden. Er stellt klar, daß auch diejenigen Gruppen entschädigt werden, deren Berücksichtigung in den Entschließungsanträgen bezweifelt wird. Sinti, Roma und verwandte Gruppen wurden und werden bei der Durchführung der Entschädigung nicht anders behandelt als die übrigen Verfolgten.
Dies gilt auch für die Regelungen, die der Bund in eigener Zuständigkeit durchführt.Ich habe als Vorsitzender des Beirates für den Wiedergutmachungs-Dispositions-Fonds im April dieses Jahres ein ausführliches Gespräch mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und dessen Vorsitzenden, Romani Rose, geführt. Ich habe in diesem Gespräch dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sowie dem Vorsitzenden angeboten, mir alle Fälle zu nennen, die nach ihrer Ansicht ungerecht behandelt worden sind. Ich habe weiter zugesagt, daß ich bereit wäre, all diese Fälle zusammen
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Parl. Staatssekretär Dr. Vossmit dem Regierungspräsidenten Köln objektiv und gründlich einer Nachprüfung zu unterziehen. Herr Romani Rose hat das abgelehnt,
und bis heute habe ich keinerlei Fälle an die Hand bekommen, die nach Ansicht des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma ungerecht behandelt worden sind. Das Urteil darüber, meine Damen und Herren, will ich Ihnen selbst überlassen.Für Zwangssterilisierte besteht seit der Härteregelung der Bundesregierung von 1980 eine lückenlose Regelung, nach der jeder Betroffene mindestens 5 000 DM erhält. Der Bericht zeigt, daß in dem vorgegebenen Rahmen — der Teilung Deutschlands, der finanziellen Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland sowie der verwaltungsmäBigen Praktikabilität — für nahezu sämtliche Gruppen von NS-Opfern Regelungen geschaffen worden sind, die zueinander in einem nach Grund und Umfang der Schädigung ausgewogenen Verhältnis stehen.Jede Ausweitung der bestehenden Regelung würde die Ausgewogenheit des Gesamtsystems der Wiedergutmachung ernsthaft gefährden und zu schwerwiegenden präjudiziellen Auswirkungen führen. Dies kann und darf bei allen Überlegungen nicht unberücksichtigt bleiben.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ströbele.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es sind ja nur wenige anwesend. Liebe Vertreter von Verfolgtenverbänden, soweit Sie noch ausgeharrt haben! Ich hatte im Frühjahr dieses Jahres tatsächlich die Hoffnung, daß es doch noch möglich wäre, jetzt endlich, mehr als 40 Jahre danach, vielleicht etwas unbelasteter eine Regelung zu finden, die all denen von den deutschen Nazis Verfolgten, die noch unversorgt sind, die von Sozialhilfe leben müssen, rasch ein würdiges, materiell gesichertes Leben garantiert. Ich dachte, wenn all die feierlichen Reden — am 8. Mai, am 20. Juni oder in Bergen-Belsen, um nur einige wenige zu nennen — wirklich ernst gemeint sind, dann kann sich doch kein Abgeordneter hier in diesem Bundestag unserer Gesetzesinitiative verschiießen, ganz schnell und unbürokratisch allen noch lebenden Verfolgten eine angemessene Versorgung zukommen zu lassen, allen, auch den Sinti und Roma, die bisher nicht versorgt worden sind, und den Zwangssterilisierten, die von Sozialhilfe leben müssen. Ich habe einen ganzen Aktenordner voll Briefe von Leuten, die uns angeschrieben haben, von den Homosexuellen, von den Kommunisten, die Sie ausdrücklich aus der BEG-Regelung ausgenommen haben — dazu haben Sie heute kein Wort gesagt; dazu steht auch nichts in Ihrem Bericht — und auch denen, die in früheren Jahren für geringe Entschädigungszahlungen Abfindungserklärungen unterschrieben haben. Ich dachte, für uns alie müßte es doch unerträglich sein, wenn noch solche Briefe geschrieben werden, wie ich sie von einer Frau aus New York im Oktober dieses Jahres bekommen habe. Sie hat mich ausdrücklich ermächtigt, einen Brief auch zu veröffentlichen. Sie schreibt — ich zitiere:
Die Versuche wurden an meiner Gebärmutter durch Mengele und Konsorten vorgenommen, und die Folgen sind unheimlich. Ich bin verurteilt, bis zum Ende meines Lebens diese qualvollen Leiden durchzustehen, jetzt schon mehr als 43 Jahre lang. Das heutige Deutschland zahlt mir weder Heilbehandlung noch Rente.
Dieser Brief liegt Ihnen vor, Herr Staatssekretär.
Aber die Hoffnung, die ich im Frühjahr hatte, hat mich offenbar getrogen. Ein Jahr später sind die Chancen, in dieser Legislaturperiode noch etwas zu erreichen gleich Null, nahe Null. Der Herr Staatssekretär hat das durch seine Rede j a gerade bestätigt.
500 Millionen DM stellt die Bundesregierung für ein nationales Museum in Berlin, in das die jüngste deutsche Geschichte eingesperrt wird, zur Verfügung. Da gibt es keine Probleme. Menschen, die damals verfolgt gewesen sind und gelitten haben, bleiben unversorgt.
Als ich den Bericht bekommen habe und gesehen habe, daß er von der Ministerin Frau Süssmuth stammt, dachte ich, Frau Ministerin, nach den Äußerungen, die aus Israel von Ihnen berichtet worden sind, wir könnten mit unserem Anliegen bei Ihnen doch etwas Verständnis, etwas mehr Wärme erwarten. Was dabei herausgekommen ist, ist ein Bericht, der die bürokratische Kälte des Finanzministeriums atmet, die wir kennen, die wir schon in dem vorausgegangenen Bericht erfahren mußten und die wir hier auch wieder erfahren haben.
Ihr Bericht, Frau Ministerin Süssmuth, zu den bisherigen Entschädigungsleistungen ist als offene Provokation vieler Verfolgter zu werten. In Israel haben Sie den Opfern der Menschenversuche Men-geles noch Achtung, und, wenn ich richtig unterrichtet bin, auch Hilfe zugesagt. In Ihrem Bericht sind das plötzlich keine pseudomedizinischen Versuche mehr gewesen, was Mengele an den Zwillingen in Auschwitz vorgenommen hat; da sind es keine dauernden Gesundheitsschäden mehr, die die Menschen erlitten haben. Offenbar wollen Sie jetzt keine Hilfe mehr leisten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
23 sollen es bei den Homosexuellen gewesen sein, bei den Zwangssterilisierten von mehreren 100 000 nur 6 000. Kein Wort steht da von den Morden und von den Zwangseingriffen bei den Menschen in den KZs und in den Anstalten. Kein Wort steht in dem Bericht von den Leiden und von den Diskriminierungen nach dem Krieg, die viele der Verfolgten von der Antragstellung abgehalten haben und, wie ich meine, abhalten mußten.
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19066 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
StröbeleDer eigentliche Sinn dieses Berichtes müßte sein, festzustellen wie viele Verfolgte heute noch unversorgt sind. Darüber steht in dem Bericht überhaupt nichts, Frau Süssmuth. Das Befürchtete ist eingetreten: Der Berichtsauftrag mußte dazu herhalten, die Versorgungsregelungen, die meine Fraktion und die SPD-Fraktion im Herbst letzten Jahres eingebracht hatten und die im Juni für erledigt erklärt wurden und damit vom Tisch geschafft wurden, ein für allemal für erledigt zu erklären.Die Erarbeitung des Berichts hat wertvolle Zeit gekostet. Vier Monate haben Bundesregierung und Koalition damit gewonnen, in denen sie sich um eine Versorgungsregelung weiter herumdrücken. Was viel schlimmer ist: Nach menschlichem Ermessen ist in dieser Legislaturperiode nichts mehr zu erwarten, d. h. bis 1988 ist realistisch nichts mehr zu erwarten.Im Juni habe ich hier Vorwürfe gegen alle anderen Fraktionen erhoben, und ich wurde ausgelacht. Mir wurde vorgeworfen, das sei Panikmache. Selbstverständlich würde noch etwas versucht. Ich glaube, jetzt wird auch die Kollegin Schmidt von der SPD nicht mehr behaupten, daß in dieser Legislaturperiode noch etwas zu schaffen ist.Auf Kosten der Verfolgten spart die Bundesregierung, allen voran diese Ministerin. Sie spekulieren mit dem hohen Alter der Verfolgten — 41 Jahre danach — und damit, daß diejenigen, die noch etwas verlangen, die Ansprüche stellen können, jedes Jahr weniger werden.
Wir werden keine Ruhe geben. Die Sache der Verfolgten ist uns zu wichtig, und die Zeit ist zu knapp. Heute liegen dem Bundestag erneut unsere Anträge vor, die bereits im Juni mit einem Geschäftsordnungstrick im Finanzausschuß weggewischt worden sind.Wir wollen eine angemessene Versorgung für alle von den deutschen Nazis Verfolgten, und zwar unabhängig von Dauer und Schwere des Leidens — wir meinen, das kann man nicht abwägen —, unabhängig von der früheren gesellschaftlichen Stellung der Verfolgten und unabhängig vom Grund der Verfolgung. Wir halten es für eine Anmaßung, die Leiden der Menschen messen und mit Geld aufwiegen oder wiedergutmachen zu wollen.Es war unwürdig, wenn die Verfolgten für Ansprüche nach dem Bundesentschädigungsgesetz beweisen mußten, daß etwa die Dunkelhaft im KZ ursächlich für eine spätere Krankheit war. Die endlosen Gutachterverfahren, häufig von Medizinern und Richtern mit Nazi-Karrieren durchgeführt, waren einfach unerträglich. Wir wollen nicht mitmachen, daß für die Höhe der Wiedergutmachung nach dem Bundesentschädigungsgesetz die soziale Herkunft der Verfolgten entscheidend war, daß das Jahr eines Arbeiters im KZ also weniger schwer wog als etwa das eines Rechtsanwalts.Wir sind darüber empört, daß etwa Kommunisten, die gegen die Nazis Widerstand geleistet hatten, oder Roma und Sinti oder Zwangssterilisierte oder Personen, die sich nach dem Krieg in denKriegswirren strafbar gemacht haben, von Entschädigungszahlungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz ausgeschlossen waren.Aus all diesen Gründen wollen wir solche Fristen wie im Bundesentschädigungsgesetz nicht wieder einführen. Unsere Gesetzesinitiative soll durch die Einrichtung eines Fonds allen noch lebenden Verfolgten, die über kein ausreichendes Einkommen verfügen, eine lebenslange Rente und eine kostenlose Krankenbehandlung und Erholungsmöglichkeiten verschaffen. Dieser Fonds soll mit 500 Millionen DM aus Bundesmitteln ausgestattet werden.Einen weiteren Fonds schlagen wir für die Entschädigung der Zwangsarbeiter und Sklavenarbeiter vor. Oder sollen diese Menschen wirklich, so wie es in Ihrem Bericht steht, Frau Süssmuth, bis zu einer friedensvertraglichen Regelung warten? Dann sagen Sie doch gleich: Die kriegen nie einen Pfennig. — Das wäre wenigstens ehrlich.Die Bundesregierung kann aus den Industrieunternehmen, in denen sie die Mehrheit hat, wie beispielsweise bei Salzgitter oder auch VW, Entschädigungszahlungen leisten. Sie kann mit gutem Beispiel vorangehen. Ich gehe davon aus, daß die anderen Industriefirmen dann folgen werden.Das Stiftungsmodell der SPD werden wir prüfen. Wir werden zustimmen, wenn es unsere Mindestforderungen erfüllt. Entscheidend für uns ist, daß den Verfolgten schnell geholfen werden kann, noch vor dem 25. Januar nächsten Jahres.Gerade die im hohen Alter besonders leidenden Verfolgten brauchen unsere Hilfe. Wir haben eine historische Verantwortung für das, was deutsche Nazis den Menschen in Europa angetan haben. Wir sind dabei, dem eine weitere Schuld hinzuzufügen. Es ist noch Zeit, die historische Chance zu nutzen, wenigstens für die, die den Holocaust und die Nazi-Verfolgung überlebt haben, jetzt — 40 Jahre danach — zu sorgen und ihnen einen würdigen Lebensabend zu verschaffen.Wir werden deshalb trotz der Hoffnungslosigkeit in den Ausschüssen auf sofortige Beratung drängen. Wir kündigen jetzt schon an, daß wir eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages für die zweite Hälfte des Monats Dezember oder für Januar 1987 beantragen werden, wenn es nicht gelingt, in den nächsten beiden Wochen eine Entschädigungsregelung im Bundestag zu verabschieden.
Ich mache darauf aufmerksam, daß Beifall oder Mißbilligung von den Tribünen in diesem Hause nicht gestattet ist.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Werner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute hat uns wieder einmal das dunkelste Kapitel unserer Geschichte eingeholt, denn wir sprechen heute auftrags- und
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19067
Werner
wunschgemäß über den Bericht über „Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht sowie über die Lage der Sinti, Roma und verwandter Gruppen", den die Bundesregierung vorgelegt hat.Die GRÜNEN und die SPD haben heute Anträge mit Einzelforderungen eingebracht und vorgelegt.Ich möchte der Bundesregierung hier ausdrücklich für diesen umfassenden Bericht danken. Herr Kollege Ströbele, ich vermag die von Ihnen geäußerte Kritik daran in keiner Weise zu teilen.
Entsprechend der Aufforderung des Bundestages vom Juni 1986 gibt der Bericht nämlich eine Fülle von Daten, weist Zusammenhänge auf, spricht Probleme an und legt auch die Folgerungen der in den verschiedenen Anträgen erhobenen Forderungen nüchtern und sachlich dar.Mit Recht sagt die Bundesregierung zu Beginn des Berichts, daß keine finanzielle Leistung tatsächlich das schreckliche Unrecht wiedergutmachen kann, das die vom Nationalsozialismus Geächteten und Verfolgten erleiden mußten.
Dennoch: Zahllose Verfolgte und Geschundene sind auch heute noch auf die Hilfe angewiesen, die Länder und Bund schon seit 1946 in Form von Wiedergutmachungsleistungen als Zeichen der Sühne und Menschlichkeit erbringen. Meine Damen und Herren, man war sich dabei von Anfang an jedoch darüber im klaren, daß alle Instrumente der Wiedergutmachung mit Mängeln behaftet sein würden, Mängel, die es — soweit wie immer möglich — zu beseitigen oder einzudämmen gilt.Aus diesem Grund wurden ja mehrere außergesetzliche Härteregelungen getroffen, so daß für nahezu sämtliche durch NS-Unrecht verursachte Schäden eine Wiedergutmachungsregelung besteht, soweit die Bundesrepublik, die j a nur einen Teil des Reichsgebiets umfaßt, dafür im Einklang mit Vereinbarungen mit den Siegermächten und im Einklang mit dem Völkerrecht einzustehen hat.Typisches NS-Unrecht wird nach dem Bundesentschädigungsgesetz , dem Entschädigungsschlußgesetz sowie den übrigen Wiedergutmachungsgesetzen entschädigt. Andere rechtswidrige Schädigungen werden vom Allgemeinen Kriegsfolgengesetz (AKG) erfaßt. Auf Grund dieser Gesetze haben Bund und Länder bisher Entschädigungen in einer Höhe von über 77 Milliarden DM an NS-Verfolgte bezahlt, die ihrer Freiheit, ihres Vermögens beraubt wurden und die körperliche Schäden erlitten haben, die ihre Leistungsfähigkeit in beträchtlichem Umfang einschränken.Diese Entschädigungsregelungen berücksichtigen fast alle Verfolgtengruppen und werden voraussichtlich mindestens noch weitere 25 bis 30 Milliarden DM kosten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ströbele?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege, wenn Sie meinen, daß das mit dem Bericht und mit dem, was in dem Bericht steht, weitgehend geklärt und erledigt ist: Sind Sie bereit, sich im Ausschuß, im Deutschen Bundestag dafür einzusetzen, daß noch in diesem Monat eine öffentliche Anhörung der Verfolgtenverbände — es gibt j a eine ganze Reihe — stattfindet, in denen die Verfolgtenverbände Sie und das Ministerium in öffentlicher Sitzung darüber informieren können, wie viele Menschen, die verfolgt worden sind und die bisher nichts bekommen haben oder die nicht ausreichend entschädigt worden sind, sich heute noch in Not befinden, von Sozialunterstützung u. ä. leben müssen? Sind Sie bereit, sich einer solchen öffentlichen Anhörung zu stellen?
Über die Frage einer Anhörung kann und muß man immer miteinander reden. Nur, ich möchte auch einmal darauf hinweisen, daß nicht in jedem Fall ein unmittelbarer Kausalzusammenhang mit der derzeitigen Situation besteht. Das sollten wir einander fairerweise auch einräumen.
Dieses unübersehbare Ausmaß des NS-Unrechts, das Offenhalten der Reparationsfrage für Gesamtdeutschland und die Leistungskraft der Bundesrepublik Deutschland machten es leider unvermeidbar, die Entschädigungen in zeitlicher Hinsicht, nach Grund, nach Umfang der Leistungen und nach Personenkreis jeweils zu begrenzen. Bei letzterem, nämlich dem Personenkreis, gilt j a das sogenannte Territorialprinzip, das eine Fülle von Problemen aufgeworfen hat. Der Verfolgte muß eine räumliche Beziehung zum Deutschen Reich bzw. zum Geltungsbereich des BEG gehabt haben oder haben und in einem Staat wohnen, zu dem die Bundesrepublik Deutschland zum 1. Januar 1963 Beziehungen unterhalten hat bzw. mit dem sie spezielle Vereinbarungen getroffen hat. Diese Leistungen nach dem BEG erfolgen als Rente, Heilbehandlung, Geld-und Sachentschädigung für Opfer, aber auch für abhängige Hinterbliebene.
Ich möchte noch einmal sagen, Herr Ströbele: Alle Gruppen von Verfolgten wurden im Rahmen des BEG und AKG sowie der einzelnen Spezialvereinbarungen und der Härtefallregelungen erfaßt,
soweit deren Ansprüche eben nicht in den Gesamtzusammenhang von Reparationsleistungen hineinreichen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, danke. Die Uhr wurde vorhin nicht angehalten.
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19068 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Werner
Nun wollen die vorliegenden Anträge bestimmte Personengruppen erneut oder zusätzlich in die Wiedergutmachungsgesetze einbeziehen. Hierzu sind schon vor den Ausschußberatungen einzelne Anmerkungen notwendig.Renten- und Entschädigungszahlungen, Herr Ströbele, an alle Zwangsarbeiter
sind eindeutig als Reparationsleistungen im Sinne des Londoner Schuldenabkommens anzusehen; dies hat auch der Bundesgerichtshof mindestens zweimal gesagt. Abgesehen von dem Umfang des Personenkreises und den kaum finanzierbaren Kosten würde eine derartige Leistung gewiß eine große Anzahl von Staaten, von früheren Kriegsgegnern des Deutschen Reiches, auf den Plan rufen, um auch jetzt schon Reparationsforderungen unmittelbar an uns zu stellen.Abhängige Hinterbliebene von Euthanasie-Opfern wurden und werden im Rahmen des BEG entschädigt. Sie wissen, daß auch die Härtefallregelung 1981 mit dem Dispositionsfonds eine — allerdings pauschale — Entschädigung für Zwangssterilisierte vorsieht. Für Sinti und Roma besteht auf der Grundlage der Härtefallregelung gleichfalls die Möglichkeit, trotz Fristversäumnis die Erstaufnahme oder die Wiederaufnahme eines Verwaltungsverfahrens zu erreichen.
Eine generelle Wiederaufnahme der Entschädigungsverfahren für alle diese Gruppen wurde im übrigen auch 1980, Frau Schmidt, von der damaligen — SPD-geführten — Regierung abgelehnt.Wer die Anträge der GRÜNEN, meine Damen und Herren, liest, muß fragen: Wie wollen die GRÜNEN denn einzelne Forderungen umsetzen?
Wie wollen die GRÜNEN den Gemeinden die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an alle Verfolgten vorschreiben? Und wie stellen sich die grünen Antragsteller vor, allen NS-Opfern — ohne Rücksicht auf den Grad der Schädigung und auf die Bedürftigkeit —
eine Rente zahlen zu können, die sich dann beim Sozialhilfeempfänger — ohne Berücksichtigung der Ursache und der Notwendigkeit — vom Tage der Antragstellung an, bei genereller Last des Gegenteilbeweises bei den Behörden, auf bis zu 2 000 DM belaufen soll? Was wären die verwaltungstechnischen, finanziellen und gesamtpolitischen Folgeneiner derartigen — ich möchte es einmal sagen — Zerschlagung des bisher bewährten gesetzlichen Systems der Wiedergutmachung?
Diese Fragen werden Sie im Ausschuß beantworten müssen.Der Antrag der SPD steht unseres Erachtens im Einklang mit dem System der Wiedergutmachung. Er fordert mehr öffentliche Bewußtseinsbildung und mehr Information über Sinti, Roma und andere Gruppen, Dinge, die auch im Bericht der Bundesregierung als notwendig hervorgehoben werden. Ob dabei von dem Grundsatz abgegangen werden soll, in den Beirat des Dispositionsfonds keinen Gruppenvertreter aufzunehmen, wird allerdings genau geprüft werden müssen. Ebenso werden die angeregte Übertragung der Rentenleistung von einem verstorbenen Anspruchsberechtigten auf den hinterbliebenen Ehepartner wie auch die Frage der Ausstellung von deutschen Pässen bzw. Fremdenpässen geprüft werden müssen.Hier wie in allen die Sinti und Roma betreffenden Fragen wird die CDU/CSU konstruktiv und aufgeschlossen nach gemeinsamen Lösungen mit Ihnen im Ausschuß suchen. Wir werden sorgfältig auch den jüngsten SPD-Entwurf über die Errichtung einer Stiftung „Entschädigung für NS-Unrecht" auf seine Notwendigkeit überprüfen, einen Entwurf, der sicher an dem einen oder anderen Punkt Widerspruch hervorrufen, aber auch viel Beifall finden wird.Lassen Sie uns daher all diese heute angesprochenen Fragen im Ausschuß in aller Sachlichkeit, Redlichkeit und Wahrhaftigkeit miteinander diskutieren!
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Lieber Kollege Werner, ich schätze Sie ansonsten sehr. Ich muß nur sagen, daß mich heute gestört hat, daß Sie sich genauso wie der Bericht der Bundesregierung hinter einer Sprache verschanzen, die mit Begriffen wie BEG und AK-sonstirgendwas versucht, etwas zu lösen und den Menschen nahezubringen, was so auf keinen Fall geht. Deshalb möchte ich ganz ausdrücklich und in aller Eindringlichkeit dem Kollegen Ströbele von den GRÜNEN, auch wenn wir sonst häufig Meinungsunterschiede haben, für die Eindringlichkeit danken, mit der er uns klargemacht hat, um welches Problem es geht.
Es ist beinahe ein Jahr her, daß wir uns hier über die Lage der Sinti und Roma unterhalten haben. Es bestand damals Hoffnung — ich glaube, bei uns
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19069
Frau Schmidt
allen, in allen Fraktionen, die sich für diese Frage engagiert haben, daß es tatsächlich zu Lösungen kommen könnte. Und — weit wichtiger — nicht nur bei uns ist dieser Eindruck entstanden, sondern auch bei den Betroffenen, bei denen, die da oben saßen und uns zuhörten, bei den Sinti und Roma, aber auch bei anderen Opfern, bei Opfern der Erbgesundheitsgesetze, bei den sogenannten MengeleZwillingen, bei verfolgten Homosexuellen und vielen anderen verfolgten Gruppen, daß es eben nicht bei Sympathiebekundungen bleiben wird, sondern daß über die Parteigrenzen hinweg tatsächlich nach Verbesserungen, und zwar auch nach materiellen Verbesserungen, gesucht wird.
Ich bitte deshalb Sie, nicht die Regierung — was davon zu halten ist, haben wir gehört —, diesen Tag nicht zu dem Tag werden zu lassen, an dem diese sämtlichen Hoffnungen begraben werden.Lassen Sie uns deshalb als Parlament die Kraft haben, ungeachtet der Äußerungen der Regierung solche Verbesserungen noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden!
Ich will nicht geringschätzen, daß ein bißchen geschehen ist, z. B. unser Beschluß, Wiedergutmachungsleistungen nicht auf die Sozialhilfe anzurechnen, daß es offensichtlich erfolgversprechende Gespräche über ein Forschungsprojekt über die Sinti und Roma gibt und daß auch das Kulturzentrum vielleicht noch entstehen wird.Aber das reicht nicht aus, weil wir nicht ruhigbleiben dürfen, weil wir uns nicht hinter Fristen und von uns gesetzten Bedingungen — das sind doch keine objektiven Bedingungen, sondern es sind Bedingungen, die wir gesetzt haben und die auch änderbar sind — verschanzen dürfen, wenn es darum geht, das Leiden von Menschen zu lindern, Leiden, das diesen Menschen durch unser Volk angetan wurde und das es ihnen bis heute unmöglich macht, ein normales Leben zu führen. Dieses Erbe können wir nicht ausschlagen. Dieses Erbe haben wir anzutreten, unabhängig von unserem Geburtsjahr.
Wir haben Ihnen deshalb den Entwurf eines Stiftungsgesetzes vorgelegt. Mit dessen Hilfe wollen wir versuchen, alle Fälle, die bislang durch den Härtefonds für nichtjüdische Verfolgte absolut unzulänglich beschieden wurden, zu einer einigermaßen befriedigenden Lösung zu bringen, aber auch die Fälle, in denen jüdische Verfolgte nicht oder nicht ausreichend entschädigt wurden — ich nenne hier nur das schon erwähnte Beispiel der „MengeleZwillinge". Lassen Sie mich hier anmerken, daß ich die Teilung, die erstmals mit den Härtefonds vorgenommen wurde, von Verfolgten in Juden und Nichtjuden für fatal halte und ich mich damit im Einverständnis sowohl mit den jüdischen als auch den nichtjüdischen Verfolgten befinde.Wir wollen mit unserem Stiftungsgesetz kein neues Leistungsgesetz schaffen. Wir kennen die Schwierigkeiten, die damit verbunden wären, und wir sehen sie auch. Wir meinen, daß neue Bedingungen und Fristen, die mit einem solchen Gesetz zwangsläufig verbunden wären, unbürokratische, individuelle und vor allen Dingen gemeinsam mit den Verfolgten erarbeitete Entscheidungen eher erschweren als erleichtern. Eine Stiftung dagegen würde solche Möglichkeiten schaffen, eine Stiftung für alle verfolgten Gruppen, solche die hier schon genannt worden sind, die nicht oder nicht ausreichend entschädigt wurden, und viele andere mehr. Da kann jeder von uns, der hier in diesem Parlament sitzt, seinen Schriftwechsel vorweisen. Hier zu behaupten, alle hätten etwas bekommen, ist schlicht und einfach, Herr Voss, eine Lüge.
Wir wollen eine Stiftung, die z. B. auch die Möglichkeit hätte, willkürliche Ausschlußgründe, wie zum Beispiel die Tatsache, daß ein Verfolgter straffällig geworden ist, und zwar nach 1945 — als ob das etwas mit seiner Verfolgung zu tun hätte —, zu beseitigen.Darüber hinaus haben wir einen Antrag vorgelegt, der eine Reihe nichtmaterieller Forderungen enthält, die wir mit der gemeinsamen Entschließung des Bundestages vom Sommer dieses Jahres für nicht erledigt halten. So halten wir es für dringend notwendig, daß bis zum Inkrafttreten eines solchen Stiftungsgesetzes im Wiedergutmachungsdispositionsfonds ein Vertreter des Zentralrates der Sinti und Roma Mitglied wird, weil wir glauben, daß damit gerechtere Entscheidungen gefällt würden.Wir wollen über die bereits beschlossene Änderung des Bundessozialhilfegesetzes hinaus auch andere Sozialleistungen von der Anrechnung auf Wiedergutmachungsleistungen ausgenommen wissen. Wir wollen, daß der Zentralrat und die Beratungsstelle der Sinti und Roma auf Dauer, also institutionell gefördert werden. Wir wollen, daß die Leistungen, die Rentenzahlungen nach dem BEG wie Kriegsopfer- und Lastenausgleichsrenten behandelt werden. Wir wollen bis zum Inkrafttreten des Stiftungsgesetzes die Richtlinien des Härtefonds so geändert wissen, daß diejenigen, die bisher nicht ausreichend entschädigt wurden, eine Entschädigung erhalten können. Wir wollen die unseres Erachtens ungeklärte Frage der Staatsbürgerschaft für Sinti und Roma endlich einer Klärung zuführen. Wir wollen vor allen Dingen die Anerkennung der Sinti und Roma als ethnische Minderheit.Wir bitten Sie also, unserem Stiftungsgesetzentwurf und unserem Antrag zuzustimmen. Unser Einverständnis zur Vorlage des Berichtes der Bundesregierung, unsere Zustimmung zur gemeinsamen Entschließung war gekoppelt an die Bedingung, daß materielle Entschädigungsleistungen und andere Konsequenzen, die wir aus dem Bericht ziehen, nicht an der Begründung Zeitmangel scheitern dür-
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Frau Schmidt
fen. Wir gehen daher davon aus, daß die Beratungen in den Ausschüssen so zügig vorgenommen werden, daß die zweite und dritte Lesung im Dezember stattfinden kann.Liebe Kollegen, ich habe gerade den Bericht der Bundesregierung erwähnt. Ich wünschte mir, wir hätten diesen Bericht nie angefordert — nicht etwa, weil nicht auch lesenswerte Fakten darin stünden, sondern weil in diesem Bericht eine satte Selbstzufriedenheit zum Ausdruck kommt, die ihresgleichen sucht.
Es wird der Eindruck erweckt, als ob wir hier eine einmalige Leistung vollbracht hätten.
Gerade heute in Ihrem Beitrag, Herr Voss, war das auch wieder so. Einmalig waren nur die Verbrechen, die verübt wurden. Vor dieser Einmaligkeit werden die Leistungen zu erschreckender bürokratischer Normalität. Es wird mit Gesamtsummen operiert und darüber vergessen, wie bescheiden sich Abfindungen und Rentenzahlungen für schlimmes erlittenes Unrecht, das ein ganzes Leben beeinflußt und zerstört haben kann, im Einzelfall ausnehmen.Mir treibt es, Frau Ministerin, die Schamröte ins Gesicht ob der Sprache, die in diesem Bericht gepflogen wird. Da heißt es auf Seite 19:Zur Frage einer Entschädigung für die sogenannten „Mengele-Zwillinge", die in letzter Zeit im Parlament und in der Öffentlichkeit besondere Beachtung gefunden hat, ist auf folgendes hinzuweisen: Als sogenannte „Zwillingsversuche" waren bisher lediglich solche, im Konzentrationslager Auschwitz unter der Verantwortung von Dr. Mengele an Zwillingen vorgenommene Untersuchungen bekannt, in denen Messungen körperlicher Merkmale und Analysen von Körperflüssigkeiten vorgenommen worden waren,— was ist denn das, was schreiben wir denn da? —ohne daß dieses zu dauernden Gesundheitsschäden geführt hätte.Man kann nur empfehlen, alle zugänglichen Publikationen einmal nachzulesen. Dann kann man so etwas nicht mehr schreiben.
Da heißt es zu den Zwangssterilisierten und den Euthanasieopfern:Eine generelle Zahlung von Renten an Zwangssterilisierte, unabhängig vom Grad der Schädigung, wäre mit den Grundsätzen des geltenden Schadensersatzrechtes und der bisherigen Entschädigungspraxis nicht zu vereinbaren.Ja, vielleicht haben wir in der Vergangenheit auch andere Fehler begangen. Das kann doch kein Grund sein.Es heißt weiter: Die Zahlung von Renten oder einmaligen Entschädigungsleistungen an Hinterbliebene von Opfern der Euthanasie über die in den geltenden Gesetzen vorgesehenen Leistungen hinaus erscheint nicht möglich, zumal der Gesetzgeber die hier in Betracht kommende Entschädigung für Schäden an Leben auch im Bundesentschädigungsgesetz nur den Hinterbliebenen ... ge-währt, ..Ja, wie schaut denn das aus?Zur Kriegsdienstverweigerung heißt es:Verurteilungen wegen Kriegsdienstverweigerung, Fahnenflucht oder Zersetzung der Wehrkraft haben im allgemeinen nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen, da solche Handlungen auch in Ländern mit rechtsstaatlicher Verfassung, z. B. in den westeuropäischen Staaten, während des Krieges mit Strafe bedroht waren.Ja, haben wir denn vergessen, worum es sich da gehandelt hat?
Kann man denn eine derartige Geschichtslosigkeit praktizieren? Was ist es denn für eine Art von Gerechtigkeit, die wir hier im Unrecht praktizieren wollen?
In der Frage der Nationalität der Sinti und Roma steht da — ich komme gleich zum Schluß — zur Begründung des angeblichen Nichtvorhandenseins eines Handlungsbedarfs:Aufenthaltsrechtlich unterliegen nicht-deutsche Sinti und Roma den gleichen Regelungen wie alle Ausländer; eine Diskriminierung findet nicht statt.Ja, kennen Sie denn die Wirklichkeit in diesem Land nicht? Wissen Sie nicht, wie diesen Menschen mitgespielt wird? Die Klage der Sinti und Roma in Straßburg hat wohl ihren guten Grund. So wird dieser Bericht vom Zentralrat der Sinti und Roma, vom Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Berlin und vom VVN auch einhellig zurückgewiesen.Dies ist aber in meinen Augen nicht die Stunde der Regierung, sondern die des Parlaments, und deshalb bitte ich Sie, liebe Kollegen: Lassen Sie unseren Worten endlich auch Taten folgen, lassen Sie uns die Chance ergreifen, Unrecht nicht bürokratisch, sondern mit Herz und Verstand wenn nicht zu beseitigen, so doch zu mildern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bericht ist sehr kompliziert, und er ist sehr technokratisch — vielleicht muß er das sein —; befriedigend ist er nicht. Ich habe schon Schwierigkeiten mit dem Wort „Wiedergutmachung". Wir können finanzielle Leistun-Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19071Dr. Hirschgen erbringen, wir können den Opfern Achtung zollen, wir können die Folgen des Unrechts, das wir ihnen angetan haben, mildern.Aber es geht hier um die millionenfache Zerstörung von Lebensglück, von Hoffnungen, von Wünschen. Man muß sich in Prag die Zeichnungen der Kinder ansehen, die in einem Konzentrationslager ermordet worden sind. Man muß in Israel mit den Menschen sprechen, die in Deutschland aufgewachsen sind und die sich an unendliche und unsägliche Einzelheiten erinnern. Man muß mit Sinti und Roma sprechen, die jahrelang überhaupt nicht als Verfolgte anerkannt wurden. Dann weiß man, wie beschränkt die Möglichkeiten der Wiedergutmachung sind.In dem Bericht wird mit aller rechnerischen Leidenschaftslosigkeit darauf hingewiesen, daß sich für die Wiedergutmachung Gesamtzahlungen von 102,6 Milliarden DM ergeben. Das ist eine gewaltige Summe, aber diese Summe entspricht ja nicht nur unserem Willen, den Opfern der nationalsozialistischen Diktatur Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sondern sie entspricht auch dem unermeßlichen Unrecht und den Leiden, die in dieser Zeit Menschen von Deutschen zugefügt worden sind.An manchen Stellen des Berichts werden die Zahlen plötzlich plastisch. Für Freiheitsentziehung bei politischer Verfolgung werden 150 DM für jeden vollen Monat gezahlt. Der Gesamtbetrag summiert sich auf fast 3 Milliarden DM. Wie viele Tage der Verzweiflung, der Angst und der Not repräsentiert diese Zahl?Für rechtswidrige Zwangssterilisationen, von denen der Bericht ausführt, sie hätten in aller Regel nicht zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit geführt, werden 5 000 DM gezahlt, und zwar, wie es in dem Bericht heißt, „unter dem Gesichtspunkt der Genugtuung ... für die in Geld nicht meßbare Beeinträchtigung der Lebensgestaltung". Wer schreibt so etwas?
Der Bericht widmet den Sinti und Roma längere Ausführungen. Was dort geschrieben wird, klingt verständig. Trotzdem hätte man sich schon klare Äußerungen zu den — j a nicht neuen — Forderungen gewünscht, in den Beirat für den Wiedergutmachungsfonds beim Bundesfinanzminister einen Vertreter des Zentralrates deutscher Sinti und Roma zu berufen und, wie sie, Frau Schmidt, ausgeführt haben, in der Tat die Arbeit der sozialen Beratungsstelle des Zentralrates zu fördern und langfristig zu sichern. Warum tun wir das nicht?Ich habe mit Interesse gelesen, daß Frau Minister Süssmuth der Auffassung ist, daß auch die pseudomedizinischen Versuche an den „Mengele-Zwillingen" brutale und menschenverachtende Verbrechen waren, die zu verabscheuen sind. Das ist richtig. Sie haben sich ebenso wie wir persönlich in Israel in Gesprächen mit den überlebenden Zwillingen davon überzeugen können. Ich finde es gut, daß Sie sich darum gekümmert haben. Aber tatsächlich — das ist hier vorgetragen worden — heißt es dazu im Bericht der Bundesregierung, daß bisher lediglich solche Versuche, Untersuchungen, Messungen bekannt seien, die zu keinen Schädigungen geführt hätten. Es seien daher keine pseudomedizinischen Versuche nachgewiesen worden. Man könne über Härtefallregelungen sprechen.Diese Härtefallregelungen sehen vor, daß alle diejenigen Personen keine Ansprüche geltend machen können, die bereits eine anderweitige Entschädigung, gleichgültig für welchen Schaden und in welcher Höhe, erhalten hätten, und sie müssen sich in einer besonderen Notlage befinden. Wie paßt das zusammen? Ich bin von den Bemerkungen in dem Bericht in dieser Frage befremdet.Eine der wesentlichen Erkenntnisse unangenehmer Art ist es, daß 40 Jahre nach dem Krieg immer wieder Fälle und Gruppen bekannt werden, die von den Entschädigungsleistungen ausgeschlossen sind, obwohl sie zu den Verfolgten gehören und Schaden an Gesundheit und Körper erlitten haben. Wir haben offenkundig auch Verpflichtungen in Fällen, in denen mit bestimmten Staaten Globalabkommen getroffen waren, bei deren Durchführung sich im Laufe der Jahre mehr Anspruchsberechtigte herausgestellt haben, als zum Zeitpunkt des Globalabkommens bekannt waren. Wir erkennen an, daß sich der Finanzminister in solchen Fällen im Wege besonderer Vereinbarungen um weitere Lösungen bemüht und auch Leistungen erbracht hat. Wir fühlen uns aber auch verpflichtet, darauf zu drängen, daß die verbliebenen Gruppen in fairer Weise ohne formalistische und bürokratische Einengung berücksichtigt werden.
Wir zögern bei dem Vorschlag, eine neue Stiftung einzurichten. Wir wollen auch nicht in eine neue Wiedergutmachungsgesetzgebung eintreten,
die nach dem erklärten Willen des Deutschen Bundestages ausdrücklich gesetzgeberisch vor 20 Jahren abgeschlossen ist. Es scheint uns aber auch nach dem vorliegenden Bericht unausweichlich zu sein, den Härtefonds und die dafür geltenden Richtlinien den Erkenntnissen, die sich inzwischen ergeben haben und die sich auch aus dem Bericht ergeben, anzupassen. Es ist durchaus denkbar, daß sich dafür eine Summe ergeben muß, die im Umfang dem von der SPD-Fraktion beantragten Stiftungsvolumen entspricht.Die Wiedergutmachung sollte und darf nicht Gegenstand innenpolitischen Streites werden. Es ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam zu lösen haben, gemeinsam mit der Bundesregierung, nicht nur weil wir es den Opfern, sondern weil wir es uns selbst schuldig sind.
Wir müssen dabei berücksichtigen, daß wir diese Aufgabe nicht lange hinausschieben können.Ich zögere, mich den Forderungen anzuschließen, in dieser Legislaturperiode zu einem Ende zu kom-
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19072 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Dr. Hirschmen. Ich glaube, das ist eine Illusion. Aber was nötig ist und was ich für richtig hielte, wäre, dazu eine Anhörung in den Ausschüssen zu machen, die so vorbereitet wird, daß wir auf dieser Grundlage wirklich auch definitive finanzwirksame Entscheidungen treffen können. Die FDP-Fraktion ist j eden-falls entschlossen und bereit, die sich aus dem Bericht ergebenden Konsequenzen ohne unnötige Verzögerungen zu ziehen.
Das Wort hat Frau Bundesminister Dr. Süssmuth.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst für die Regierung die Kritik an der Sprache des Berichts entgegennehmen, aber auch sagen, daß Sie in die Sprache, die Sie hier eben kritisiert haben, in den Fragen, wie Sie sie gestellt haben, in den Abkürzungen, die Sie hier selbst gebrauchen und die Sie uns vorwerfen, ganz schnell auch selber immer wieder verfallen.
— Ich habe das Recht, auch die eben kritisierten Abkürzungen, wenn sie von anderen gebraucht werden, beim Namen zu nennen und das ist eben passiert.
Ich möchte die Dinge jetzt auch nicht auf Nebenstraßen lenken, Ihnen aber deutlich machen, daß dieser Bericht drei Ebenen enthält. Die eine ist die Ebene, in der kein Zweifel an dem ungeheuerlichen nationalsozialistischen Verbrechen gelassen wird. Hier ist eben gesagt worden: Unsere Sprache macht vieles unzulänglich; für das, was passiert ist, fehlen zum Teil die Worte, und dadurch macht die Sprache es oft noch schlimmer, als es eigentlich von den Schreibenden gemeint ist.
Ich sage ein Zweites. Ich habe diese Kritik ganz deutlich entgegengenommen und sage Ihnen: Ich finde es gut, daß es an solch einer außergewöhnlichen und vielleicht wichtigsten Sache mal kritisiert wird, aber ich bitte Sie, dann auch insgesamt mit Ihrer Sprache in vielen anderen Berichten und parlamentarischen Vorgängen auch so umzugehen.
Die andere Ebene ist gerade die der rechtlichen Regelungen, die in einer sehr nüchternen Sprache ausgeführt werden, die ich, wenn ich sie lese — ich hoffe nicht, daß wir hier als Frau und Mann einen Unterschied machen müssen —, genauso widerwillig wie diejenigen entgegennehme, die hier gesprochen haben.
Das dritte ist, daß in diesem Bericht — Herr Ströbele, bei allem Respekt vor Ihrem Engagement, und vielleicht billigen Sie das auch anderen zu — vielleicht auch hätte gesagt werden können, daß die Deutschen ganz erhebliche Anstrengungen gemacht haben, einen Teil dessen an den Menschen zu entschädigen, was an unmenschlichen Dingen passiert ist. Der Bericht hat als dritte Ebene jene Aussagen, wo wir durchaus um offene Probleme nicht herumreden, sondern sie auch ansprechen.
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Waltemathe?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn sie mir nicht auf meine Redezeit angerechnet wird; ich habe nur fünf Minuten.
Das wird auf keinen Fall angerechnet.
Frau Minister, Sie haben eben gesagt: Der Bericht enthält auch eine Aufzählung dessen, was wir an guter Wiedergutmachungsgesetzgebung gemacht haben. Dieser Feststellung stimme ich zu. Stimmen auch Sie mir zu, daß der Bericht auch hätte enthalten müssen — darum geht der Streit —, daß trotz der guten Wiedergutmachungsleistungen einige bewußt oder unbewußt vergessen wurden und daß wir uns auch heute noch anstrengen müssen, hier Gerechtigkeit herzustellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte wiederholen, Herr Waltemathe: Wir würden hier nicht darüber sprechen, wenn es nicht noch offene Probleme gäbe. Ein Beispiel dafür, das für viele steht, werde ich gleich noch nennen. Wir würden auch im Ausschuß nicht weiter beraten, wenn wir nicht der Meinung wären, daß es noch zu regelnde Probleme gibt.Aber ich möchte uns alle mahnen und tue das auch ganz offen für die Regierung, daß wir nicht nur sagen: Die anderen machen es falsch, wir machen es richtig. Denn im Umgang mit diesem Problem sind alle in gleicher Weise beteiligt, und hier sind durchaus Mängel anzusprechen. Ich denke, es kann einem Parlament, einer Regierung nur nutzen, wenn sie auch so etwas beim Namen nennt.Aber ich möchte bezüglich des strittigen Punktes, der hier in bezug auf die Mengele-Zwillinge beispielhaft zweimal zitiert worden ist, für die Regierung sagen, daß immer nur die eine Hälfte zitiert und die andere Hälfte weggelassen wird. Ich gebe auch zu, daß diese Passage auf Seite 19 zu Mißverständnissen führen kann, wie sie aus der bisherigen Regelung aufgenommen ist. Aber Sie lassen die nachfolgende Passage über die pseudomedizinischen Untersuchungen weg. Ich denke, an diesem Bericht wird an vielen Stellen offenbar, daß wir in unseren Regelungen Unterscheidungen treffen, von denen wir nicht genau wissen, was gesundheits-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19073
Bundesminister Frau Dr. Süssmuthschädigend und was nicht gesundheitsschädigend ist. Und hier kommen wir in die Problematik der Gruppen hinein.Deswegen muß ich Ihnen sagen: Gerade nach Rücksprache mit überlebenden Mengele-Zwillingen sehe ich mich außerstande, überhaupt ein solches Urteil auszusprechen. So wie ich diese Menschen, die überlebt haben, vor mir gesehen habe, gilt nicht nur in Israel mein Wort, daß ich mich für ihre berechtigten Interessen in der Bundesrepublik einsetzen werde; es gilt auch weiterhin.Es sind heute, wie im Bericht angesprochen, noch 80, die in Israel leben. Nach dem, was wir wissen, vielleicht noch 120 auf der Welt. Wenn jemand nicht wenigstens in diesem Bereich entschädigt worden ist, werden wir nach Lösungen suchen und suchen müssen. Ich denke, daß ist unser Auftrag gegenüber den Betroffenen.Wenn Sie andererseits zitieren, im Bericht sei geschrieben, Sinti und Roma würden nicht diskriminiert, so möchte ich noch einmal ausdrücklich sagen: Es ist zu unterscheiden zwischen gesetzlicher Nichtdiskriminierung und nach wie vor bestehender faktischer Diskriminierung. Deswegen möchte ich am Ende unserer Debatte noch einmal sagen: Das eine ist die Entschädigungsfrage, die heute ansteht. Das andere ist allerdings, wie wir denn mit den Betroffenen umgehen. Hier haben die Sinti und Roma ja gerade in ihrer jüngsten Stellungnahme und in ihrem Rechtsvorgehen deutlich gemacht, daß es unterhalb des Strafbaren erhebliche Diskriminierungen gibt. Sie fragen da, wie das geahndet werden kann, damit das Verhalten der Menschen so ist, daß wir tatsächlich als Gleichwertige und Gleichberechtigte mit ihnen leben und die in uns steckenden Vorurteile endlich ausräumen und Holocaust nicht nur auf der Entschädigungsebene diskutieren, sondern so — was genauso notwendig ist —, daß wir die Versöhnung, die es weiterzutragen gilt, durch die Erinnerung und Bewußtmachung weiterführen.Ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell und gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 10/5796, 10/5797, 10/5260, 10/6242, 10/6287 und 10/6415 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu noch anderweitige Vorschläge? — Bitte, Herr Ströbele.
Frau Präsidentin! Es fällt auf, daß die Anträge, z. B. der Bericht, an einen anderen Ausschuß als in unserem Antrag auf Herstellung einer angemessenen Versorgung vorgesehen, zur federführenden Beratung überwiesen wird. Ich halte das für unsinnig. Deshalb bin ich dafür, daß alle Anträge zumindest zur federführenden Beratung — sie können dann ergänzend auch in allen möglichen anderen Ausschüssen beraten werden — an einen Ausschuß, nämlich an den Innenausschuß, überwiesen werden. Sonst haben wir allein wegen der Zuständigkeit das Problem — das hatten wir auch im letzten Sommer —, daß für den einen Antrag der eine Ausschuß federführend war, für einen anderen ein anderer. Sie hingen aber alle miteinander zusammen. Dann mußten Interausschüsse gebildet werden, die auch nur sehr schwer zusammenkamen und tagen konnten.
Meine verehrten Kollegen, das ist ein Problem. Ich schaue gerade auf die ersten beiden Anträge, die an den Innenausschuß überwiesen werden sollen. Die haben natürlich einen inneren Zusammenhang wegen der Materie. Wenn wir dies nun in einem anderen Ausschuß federführend beraten, widerspricht das eigentlich der Art und Weise, wie wir diese Anträge sonst behandeln.
Aber der Bericht wird in einem anderen Ausschuß federführend beraten als diese Anträge, wo es um Wiedergutmachung geht.
Wir haben hier oben auch schon festgestellt, daß unterschiedliche Federführungen angegeben sind.
Ich beantrage, alle Anträge zur federführenden Beratung an den Innenausschuß zu überweisen. Dann können die anderen Ausschüsse, die genannt sind, mitberatend tätig sein.
Ich bin nicht so sachkundig, um sagen zu können, wo hier die Unterschiede im einzelnen liegen.
Bitte Herr Kollege Bohl.
Frau Präsidentin, es ist natürlich ein bißchen eigenartig, daß man, nachdem man sich im Ältestenrat auf ein bestimmtes Verfahren geeinigt hat und dabei auch seitens der Fraktion DIE GRÜNEN kein Widerspruch gekommen ist, dann mit einer solchen anderen Überweisung überfallen wird. Ich sehe mich daher nicht in der Lage, dem zuzustimmen, wobei ich nicht bestreiten will, daß es auch Argumente, die Herr Ströbele vorgetragen hat, gibt, die eine gewisse Schlüssigkeit in sich haben.
Deshalb bitte ich, bei dem Vorschlag des Ältestenrats zu bleiben. Wenn wir die Kollegen von den guten Argumenten, die Herr Ströbele vorgetragen hat, später noch überzeugen können, gibt es sicherlich keine Probleme, in der nächsten Sitzungswoche einen ergänzenden Beschluß des Bundestages zu fassen.
Abgesehen davon gibt es natürlich die Möglichkeit, jeden Ausschuß um ein Gutachten zu bitten. Aber ich sehe ein, daß das problematisch ist.Ich bitte herzlich, es zunächst einmal bei den Vorschlägen des Ältestenrats zu belassen. Wir können in der Tat in der nächsten Sitzungswoche, falls gewünscht, einen anderen Beschluß fassen. Sind Sie damit einverstanden? — Herr Ströbele.
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19074 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Ich habe den Antrag gestellt, die Anträge sowie die Unterrichtung durch die Bundesregierung an einen Ausschuß — ich schlage vor, an den Innenausschuß — zur federführenden Beratung und zur Mitberatung an die übrigen Ausschüsse, die in der Tagesordnung ausgedruckt sind, zu überweisen. Die Federführung — das wissen alle — ist ein großes Problem. Im federführenden Ausschuß werden die Termine vereinbart usw.
Meine Damen und Herren, dann lasse ich darüber abstimmen. Wer dem Antrag des Abgeordneten Ströbele zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Der Antrag ist abgelehnt. Damit ist die Überweisung so vorgenommen, wie wir das vorgesehen haben.
Ich rufe Punkt 30 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über weitere Maßnahmen auf dem Gebiet des Versorgungsausgleichs
— Drucksache 10/5447 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/6369 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Stiegler
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung von Regelungen über den Versorgungsausgleich
— Drucksache 10/5484 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/6369 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Stiegler
Der Ältestenrat schlägt für die Beratung des Tagesordnungspunktes 30, 30 Minuten vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Buschbom.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In der ersten Lesung der vorliegenden Gesetzesvorlagen am 15. Mai 1986 haben wir eingehend über ihren Sinn und Zweck und den damit zu erfüllenden gesetzgeberischen Auftrag debattiert. Wie Sie dem Ihnen vorliegenden Bericht des Rechtsausschusses entnehmen können, hat sich dieser redlich bemüht, seine eigenen interfraktionellen Vorstellungen mit denen der Bundesregierung und des Bundesrats in Einklang zu bringen. Das hat zu nicht unerheblichen Abweichungen von der ursprünglichen Vorlage geführt, was der Bericht unschwer erkennen läßt.Das überrascht jedoch nicht bei der Art des behandelten Rechtsinstituts des Versorgungsausgleichs als einer Sparte des Scheidungsfolgenrechts; denn das rechtspolitische Neuland, das der Gesetzgeber mit dem Versorgungsausgleich betreten hat, ist mittlerweile gewissermaßen zum Alptraum der Familienrechtler und Familienrichter geworden, weil sich die Grundidee des Versorgungsausgleichs, die gleichzeitige gerechte Aufteilung der in der Ehe beidseitig erworbenen Versorgungsansprüche, nur sehr zäh einer befriedigenden Normengebung erschließt.Auf die Ursachen habe ich bereits in der ersten Lesung hingewiesen: Ansprüche auf rentenversicherungsrechtliche oder beamtenrechtliche Altersversorgung, auf tarifrechtliche oder arbeitsvertragsrechtliche Betriebsrenten sind überwiegend öffentlich-rechtlicher Natur. Der normative Zugriff auf diese überwiegend öffentlich-rechtlichen Ansprüche entspringt aber dem privatrechtlichen Institut der Ehe einschließlich deren Abwicklung nach ihrer Auflösung.Es hat sich nun gezeigt, daß beide Rechtssysteme zu dem angestrebten Zweck einer gerechten Aufteilung der in der Ehe beidseitig erworbenen Versorgungsansprüche nicht in dem gewünschten Maße zu koordinieren sind. Der kollektivistische renten-versicherungsrechtliche Lösungsversuch der sozialliberalen Koalition mußte scheitern, weil der Schwerpunkt der Regelung zu einseitig in das öffentliche Recht verlagert war, was zu unverhältnismäßigen, verfassungswidrigen Ergebnissen geführt hat.Das Härteregelungsgesetz der neuen Koalition war eine erste Remedur. Es konnte aber das Strukturproblem nicht lösen. Das Ausweichen auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich brachte mehr Unsicherheit. Die bestehengebliebene Unabänderbarkeit unrichtig gewordener Versorgungsausgleichsentscheidungen widersprach dem öffentlichen Rentenrecht und dem Gerechtigkeitsempfinden.Das nun zu verabschiedende Gesetz beseitigt diese Mängel im wesentlichen durch die Verlängerung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs über den Tod des Ausgleichspflichtigen hinaus mit dem Zugriff auf dessen Hinterbliebenenversorgung, durch eine Erweiterung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs, durch die Möglichkeit, ein anderes, vor oder in der Ehezeit erworbenes Anrecht zum Ausgleich eines dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich unterliegenden Anrechts heranzuziehen oder den Ausgleich durch eine abfindende Beitragszahlung zur Begründung eines gesetzlichen Rentenanspruchs herbeizuführen, und schließlich durch die Möglichkeit, unrichtige oder unrichtig gewordene Versorgungsausgleichsentscheidungen auf Antrag abzuändern, sofern sich die entscheidungserheblichen Tatsachen wesentlich verändert haben und eine Abänderung nicht grob unbillig ist. Das sind die Schwerpunkte der erstrebten Abhilfe.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19075
BuschbomDamit wird der Versorgungsausgleich aber noch immer nicht problemlos. Die Verschiedenheit der dem Versorgungsausgleich zugrunde liegenden Rechtssysteme verstellt auch weiterhin eine für jeden Betroffenen einsichtige Regelung des Ausgleiches. Nach wie vor ist demjenigen, der einen Teil seiner Versorgungsansprüche an den scheidenden Partner abzutreten hat, kaum klarzumachen, daß er diesen Anteil auch dann schon verloren hat, wenn sein ehemaliger Partner noch gar nicht den Nutzen der Abtretung genießt. Für den Versorgungsträger bleiben Art und Höhe der Versorgung unverändert, und das bisherige Rentenverhältnis wird lediglich dadurch ergänzt, daß für den abgetretenen Versorgungsteil ein neuer Anspruchsberechtigter eintritt, der allerdings für den Versorgungsträger ein eigenes Leistungsrisiko bedeutet.Daß dieses Leistungsrisiko den Verlust des abzutretenden Versorgungsanspruchs rechtfertigen soll, auch wenn die Versorgungsleistung an den Ausgleichsberechtigten noch nicht erbracht wird, ist den Betroffenen nicht verständlich zu machen. Sie empfinden einen solchen Vorabentzug von ihrer Altersversorgung als Unrecht. Da es sich hier um privatrechtliche Scheidungsfolgen handelt, läßt sich ein solches Empfinden auch nicht durch rentenversicherungsrechtliche Erwägungen, etwa den Hinweis auf die Leistung an die Solidargemeinschaft der Versicherten, ausräumen; denn die privatrechtliche Abwicklung eines Familienrechtsverhältnisses läßt sich nicht dahin begreiflich machen, daß damit zugleich Finanzierungsaufgaben der öffentlichen Rentenversicherung verbunden sind.Hier bleibt ein schwerer Mangel. Alle Rechtsbeflissenen bleiben aufgerufen, nach Lösungen zu suchen, die den Versorgungsausgleichsberechtigten voll sichern und dem -pflichtigen das Empfinden nehmen, Unrecht zu erfahren.Wegen seiner Spezialität und des starken Bezugs zur Rentenversicherung wird der Versorgungsausgleich ein Rechtsinstitut bleiben, das sich allgemeinem Verständnis weitgehend entzieht. Das ist zu bedauern. Hier bleibt eine Aufgabe.Das gilt auch für die Gesetzessprache. Mit Hilfe der Mitarbeiter aus den Fraktionen und Ministerien, die ausdrücklich Dank und Anerkennung verdienen, wurde versucht, manches, was in den ursprünglichen Vorlagen nur für eingeweihte Rentenspezialisten begreifbar war, allgemein verständlich zu machen. Lieber Herr Stiegler, ob uns das befriedigend gelungen ist, mag bezweifelt werden.Zweifel habe ich dagegen nicht, daß das Gesetz über weitere Maßnahmen auf dem Gebiet des Versorgungsausgleichs dazu beitragen wird, wenigstens eine verbesserte gerechte Aufteilung der in der Ehe beidseitig erworbenen Versorgungsansprüche zu ermöglichen. Darum bitte ich um Ihre Zustimmung.Danke.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Stiegler.
Das steht heute nicht auf der Tagesordnung.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Buschbom hat eben sehr deutlich zu erkennen gegeben, daß der Versorgungsausgleich ein ungeliebtes Kind der Union ist, ein Kind, das Sie damals bei der Eherechtsreform adoptiert haben, das von der sozialliberalen Koalition sozusagen in die Welt gesetzt worden ist. Wir Sozialdemokraten haben diese grundlegende Ablehnung eigentlich nie verstanden.
Für uns ist die soziale Sicherung eine Form des Eigentums. Unser Kollege Egon Lutz sagt immer: Die Aktie des kleinen Mannes ist die Rentenversicherung. — Eigentum als freiheitssichernde Verbürgung im klassischen Verständnis, etwa bei Kant nachzulesen, ist eben nicht anders zu behandeln als der Zugewinn, der im Laufe einer Ehe angewachsen ist.Darum stehen wir grundsätzlich zum Recht des Versorgungsausgleichs. Nach der Scheidung einer Ehe soll das, was gemeinsam an Altersversorgung erworben worden ist, gerecht geteilt werden.Ich möchte — obwohl es hier im Parlament nicht üblich ist — unserer Kollegin Frau Dr. Renate Lepsius Dank sagen, weil Sie diejenige ist, die diese Konzeption erfunden und gegen manchen Widerstand durchgesetzt hat.
Wir haben mit dieser Regelung grundsätzlich Erfolg gehabt. Es gab nur kleinere Beanstandungen. Wenn wir bedenken, was sonst an Gesetzen alles beanstandet wird, war das, was Karlsruhe am Versorgungsausgleich beanstandet hat, im Grunde wirklich eine Petitesse.Das, was wir heute verhandeln, wäre überhaupt nicht auf der Tagesordnung, wenn die Union nach der Wende dem Vorschlag, den Frau Dr. Lepsius in der Ad-hoc-Gruppe Versorgungsausgleich erarbeitet hatte, zugestimmt hätte. Der Kollege Benno Erhard, der das damals nicht gemacht hat — er ist kein Liebhaber des Versorgungsausgleichs —, ist einer derjenigen, die unseren heutigen Justizminister — der damals mit mir Berichterstatter war — davon abgehalten hat, das Richtige zu tun. Beide müssen sie heute dafür büßen. Es ist höchst bemerkenswert, daß das Bundesverfassungsgericht in ein Urteil schreibt: Liebe Mehrheitsfraktion, hättet ihr nur auf die Opposition gehört; die hat euch nämlich dargelegt, wie man es richtig macht.
Um der geschichtlichen Wahrheit willen muß manschon darauf hinweisen, daß wir damals den richti-gen Ansatzpunkt hatten, immer unter der Voraus-
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Stieglersetzung, daß man sich grundsätzlich zum Versorgungsausgleich bekennt.Ich stimme mit dem Kollegen Buschbom überein, daß es da viele Schwierigkeiten gibt. Wenn man Himbeeren, Äpfel, Birnen und Erbsen sozusagen zu einer Mischfrucht zusammenbringen soll, die auch noch schmecken,
haltbar sein, allen lebensmittelrechtlichen Ansprüchen genügen soll, dann gibt es Schwierigkeiten, dann gibt es Probleme, auch mit dem Aroma. Aber es ist nun einmal notwendig, die vielerlei Versorgungseinrichtungen auf ein sicheres Fundament, quasi auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.Machen wir uns bitte klar: Ziel der ganzen Angelegenheit war, ist und bleibt die eigenständige soziale Sicherung vor allem der Frauen im Falle der Scheidung, der Start mit einer eigenen sozialen Sicherung. Hier wissen wir, daß der schuldrechtliche Versorgungsausgleich eine unzureichende Sicherung ist, weil er die beiden Partner auch nach der Scheidung noch aneinanderkoppelt. Darum ziehen wir schon immer den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich vor. Wir wollen also alle anderen Versorgungsansprüche nach dem Konzept, das Frau Dr. Lepsius einmal entwickelt hat, auf die gesetzliche Rentenversicherung übertragen. Von daher gesehen haben wir zusätzliche Ausgleichsformen entwickelt und erfunden.Früher war vorgesehen, daß ;nan eine Anwartschaft, die schuldrechtlich auszugleichen war — z. B. eine Betriebsrente —, durch hohe Bareinzahlungen ausgleichen konnte. Das hat viele Männer überfordert. Viele haben, weil sie nicht willig waren, nicht gezahlt. Die Frauen waren die Dummen.Jetzt hat man eine Regelung gefunden, die besagt: Im Rahmen der Billigkeit kann eine Anwartschaft nach wie vor mit einigen Tausend D-Mark bar ausgeglichen werden. Nach wie vor kann für die Frau ein richtiger Anspruch begründet werden. Was noch viel wichtiger ist: Man kann mit der eigenen Rente bezahlen. Wenn einer Bares nicht verfügbar hat, kann er mit dem sogenannten erweiterten oder Supersplitting statt mit Geld mit einem Teil seiner Rente bezahlen und damit einen Anspruch für die Frau begründen.Das ist, glaube ich, das Entscheidende: daß wir in Zukunft in der Masse der Fälle durch einen öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich — durch die verschiedenen Ausgleichsformen Splitting, Quasisplitting, Realteilung, Quasirealteilung, erweitertes Splitting und was es sonst noch an Ausgleichsformen geben mag — das Ziel erreichen, eine Starthilfe für die Frau durch eine eigenständige Sicherung zu schaffen. Die Lücken, die nach wie vor verbleiben, wollen wir einerseits dadurch schließen, daß wir für den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich, eine Abfindungsregelung geschaffen haben, und andererseits dadurch, daß wir, was die ausländischen Anwaltschaften angeht, die Bundesregierung auffordern, uns dabei zu helfen, daß wir, sei es durch internationale Verträge, sei es durch andere Möglichkeiten, zu neuen Lösungen kommen.Das zweite politische Ziel — und auch da stimme ich im Ansatz mit dem Kollegen Buschbom überein — ist, daß die Entwicklung der sozialen Sicherungssysteme, sprich: der Sozialabbau, sei es früher, sei es heute — also nicht nur etwa zur Zeit der Wendekoalition; es hat auch schon vorher, etwa 1955, Änderungen im Beamtenversorgungsgesetz gegeben —, nämlich Änderungen im sozialen Leistungsrecht dazu geführt haben, daß der Versorgungsausgleich nicht mehr stimmt. Da es hier um bares Geld geht, da es hier quasi um Enteignung geht, muß eine Korrektur möglich sein. Wir haben miteinander eine Korrektur möglich gemacht, und zwar so — und da haben sich der Kollege Buschbom und ich uns wirklich überwinden müssen —, daß wir den Ländern entgegengekommen sind, indem wir Bagatelländerungen, im nächsten Jahr bis zu 15 DM pro Monat, nicht abändern lassen, es sei denn, man müßte irgendwelche Wartezeiten erfüllen.Ich sage ganz bewußt — und ich glaube, das kann ich für Sie mit sagen —, daß wir wegen der Eigentumsfunktion durchaus verfassungsrechtliche Bedenken sehen und gewisse Bauchschmerzen haben. Wir wollten aber mit Rücksicht darauf, daß bis zum Dezember das Gesetz verabschiedet wird, den Ländern im Bundesrat keinen Vorwand geben, das Ganze aufzuhalten. Wir müssen uns immer klar sein: Es geht um Eigentum und nicht um die Gewährung von irgendwelchen Sozialleistungen, die man auch wieder nehmen kann; es geht um eigentumsähnliche Rechte.Meine Damen und Herren, wir sagen Dank den Beamten im Ministerium, vor allem Herrn Lohr und Herrn Wagenitz, die mit uns sehr eng in der Ad-hoc-Gruppe „Versorgungsausgleich" unter Renate Lepsius zusammengearbeitet haben. Jetzt haben sie wieder wacker mitgekämpft und mit großem Sachverstand, mit großer Geduld die Wünsche der Berichterstatter ertragen und umgesetzt und dabei geholfen, daß Fehler vermieden worden sind. Das ist ein Beispiel einer guten Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung. Ich glaube, wir können auch sagen: Dies ist ein Gemeinschaftswerk zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien. Wir haben uns das Ziel gesetzt, im Interesse der Frauen, die davon betroffen sind, eine gemeinsame Lösung zu finden. Wir haben uns auch aufeinander zubewegt, so daß wir Sozialdemokraten diesem Gesetz zustimmen können und werden.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wegen der doch recht kurz bemessenen Debattenzeit bleibt mir nur wenig Raum, auf die Einzelheiten des vorliegenden Entwurfs einzugehen. Ich möchte mich daher auf einige wesentliche Punkte beschränken.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19077
BeckmannBei diesem Gesetzentwurf stand für die FDPBundestagsfraktion fest, daß es eine generelle und grundlegende Überarbeitung des Versorgungsausgleichs nicht würde geben können. Wir haben mit dem Rechtsinstitut des Versorgungsausgleichs, das j a in dieser Art in Europa einzigartig ist, noch zuwenig Erfahrungen gemacht, um bereits heute einen völlig anderen Weg gehen zu können. Die Diskussion um das sogenannte Modell '87 hat gezeigt, daß auch völlig neue Lösungsvorschläge ihre Tücken haben und keine Gewähr dafür bieten, bei der Anwendung in der Praxis am konkreten Einzelfall nicht doch zu Unstimmigkeiten zu führen.Was wir heute beschließen wollen, sind daher lediglich notwendige Korrekturen, Verbesserungen des praktischen Instrumentariums, soweit dies die Funktionsfähigkeit des Versorgungsausgleiches erfordert und uns dies die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes abverlangt.Ich möchte aber nicht ausschließen, daß man in der nächsten Legislaturperiode erneut Überlegungen anstellen muß, wie ein zukunftsweisendes Versorgungsausgleichsrecht geschaffen werden kann. Ich warne jedoch bereits heute davor, diese Reform übers Knie brechen zu wollen.Wie wir an der Vielzahl von gerichtlichen Entscheidungen sehen können, gibt es immer wieder komplizierte Einzelfälle, bei denen sich für den Gesetzgeber dann oft auch überraschend neue Schwierigkeiten und auch Unsicherheiten herausstellen. Dies hat uns aber gezeigt, daß wir nicht alle Bindungen und Verwicklungen der menschlichen Einzelschicksale mit einplanen und für alle Eventualitäten gesetzliche Regelungen schaffen können.Wir begrüßen es daher ausdrücklich, daß die nunmehr gefundene Lösung u. a. die Möglichkeit beinhaltet, Entscheidungen über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich unter bestimmten Voraussetzungen abzuändern. So können jetzt sowohl nachträgliche Wertänderungen, die sich auf die ehezeitbezogene Berechnung der Versorgungsanrechte beziehen, als auch Rechen- und Rechtsanwendungsfehler, die der früheren Versorgungsausgleichsentscheidung zugrunde lagen, Berücksichtigung finden. Wir halten gerade diese Regelung von nachträglichen Anpassungs- und Korrekturmöglichkeiten für einen wesentlichen Schritt hin zur eigenverantwortlichen und vor allen Dingen auch flexiblen Anwendung des Versorgungsausgleichsrechts.Zudem glauben wir, daß auch die Möglichkeit, die Entscheidungen, die vor dem Inkrafttreten dieses Entwurfs ergangen sind, den jetzt vorgesehenen, neu eingeführten Ausgleichsformen anzupassen, mit zu einer Liberalisierung dieses Rechtsinstituts führen wird. Die Möglichkeiten der Abfindungszahlung, des erweiterten öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs und der Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung werden mit dazu beitragen, die noch bestehende und von den Rechtsanwendern beklagte Starrheit der gesetzlichen Regelungen abzumildern.Im ganzen gesehen ist der vorliegende Gesetzentwurf in der augenblicklichen Situation am ehesten geeignet, die bestehenden Ungerechtigkeiten und auch Unsicherheiten der geltenden Gesetzesfassung auszuräumen und vor allen Dingen dem Rechtsanwender eine flexiblere Regelung an die Hand zu geben.Meine Fraktion wird daher dem hier eingebrachten Entwurf gerne zustimmen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns ja am 15. Mai dieses Jahres bei der ersten Beratung dieses Gesetzentwurfes mit dem Thema schon ausgiebig befaßt. Was den Inhalt des Gesetzentwurfes angeht, ist dem, was meine Kollegen, insbesondere der Kollege Buschbom und der Kollege Stiegler als Berichterstatter, ausgeführt haben, eigentlich nichts hinzuzufügen.Im Rahmen des geltenden Versorgungsausgleichssystems wird mit diesem Gesetz versucht, Aufträge des Bundesverfassungsgerichts auszuführen und den Versorgungsausgleich aus der Sicht der geschiedenen Ehefrau zu verbessern. Dem stimmen wir zu. Wir stimmen auch, Herr Kollege Stiegler, um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen — ich habe das aber auch in der ersten Lesung betont —, dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs zu, eine eigenständige Altersversorgung der Frau auch für den Fall der Scheidung sicherzustellen.Trotzdem möchte ich die Gelegenheit nutzen, noch einmal einiges Kritische zu diesem Gesetzentwurf zu sagen. Ich glaube, Herr Kollege Stiegler, Sie tun dem Kollegen Buschbom unrecht, wenn Sie ihm unterstellen, daß er den Versorgungsausgleich als solchen nicht will und daß die Union ihn nicht will. Ich glaube, er hat aus der Kenntnis der familiengerichtlichen Praxis, aus der auch ich nach fünfeinhalb Jahren Tätigkeit als Familienrichter hier heute reden kann, einfach auf Probleme hingewiesen, die die betroffenen Bürger haben. Die eigentlichen Härtefälle werden mit diesem Härteausgleichsgesetz nämlich nicht geregelt,
und zwar aus sozialpolitischen Gründen und weil die Kassen bei Herrn Blüm, der hier heute leider nicht anwesend ist, leer sind. Insofern, denke ich, wird uns der Versorgungsausgleich — Herr Engelhard, ich habe Ihre Presseerklärung gelesen — auch weiter beschäftigen.Der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf mag zwar als gesetzgeberische Wohltat geplant sein; bei genauerem Hinsehen wird er jedoch, frei nach Goethe, zur Plage für die betroffenen Ehegatten, Familienrichter, Rechtsanwälte und Versorgungsträger.
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19078 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
MannDie neuerliche Reparatur wird, Herr Emmerlich, zu einer deutlichen Erhöhung der Arbeitsbelastung bei den Familiengerichten und den Versorgungsträgern führen. Die Unübersichtlichkeit und Verschachtelung des Systems der Alters- und Invaliditätssicherung schlägt beim Versorgungsausgleich voll durch. Der Vertreter des Justizministeriums hat in der Beratung des Ausschusses im Juni gesagt, selbst für hochspezialisierte Experten sei dieses Recht schon nicht mehr überschaubar und in vielen Bereichen sei es auch nicht mehr anwendbar. Ich glaube, man muß an dieser Stelle einmal sagen: Das ist ein Gesetz, das für die Betroffenen — es sind Hunderttausende — ein schlechtes Gesetz ist.
Aus diesem Grund wird unsere Fraktion diesem Gesetz nicht zustimmen. Sie wird sich der Stimme enthalten,
weil, wie ich am Anfang betont habe, wir dem grundsätzlichen Gedanken des Versorgungsausgleichs natürlich zustimmen.
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Härteregelungsgesetz hatten wir im Dezember 1982 unter dieser Bundesregierung endlich dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 1980 Rechnung getragen. Schon damals aber war klar, daß dies nicht das letzte Wort sein konnte. So haben wir weiter gearbeitet und am 12. März dieses Jahres den vorliegenden Entwurf in seinen Grundzügen im Bundeskabinett beschlossen.
Damit hat die Bundesregierung, jedenfalls weithin vorausschauend, der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die dann am 8. April 1986 erging, bereits entsprochen.
Jetzt hat der Rechtsausschuß, dem ich sehr herzlich danken möchte, speziell den beiden Berichterstattern, den Herren Kollegen Buschbom und Stiegler, diese schwierige Materie fristgerecht beraten und den Entwurf verabschiedet.
Künftig wird der Ausgleich der Altersversorgung geschiedener Eheleute gerechter gestaltet und damit gerade für viele Frauen mehr Sicherheit im Alter geschaffen. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen erst zur Einzelberatung und der Abstimmung über Tagesordnungspunkt 30 a, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/5447. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen sind die Vorschriften angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen der GRÜNEN ist das Gesetz angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 30b. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6369 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 10/5484 für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist so erfolgt.
Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 10/6369 unter Nr. 3 die Annahme einer Entschließung. Ich bitte um das Handzeichen, wer dem zuzustimmen wünscht. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf:
Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Unterstützung für die UNO-FDN-Contra in der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 10/5816 —
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6422 und 10/6437 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Erhebt sich Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die knappe Zeit verbietet es, all die Greueltaten, Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen aufzuzählen, die die Contra in Nicaragua begangen hat. Der ganze Abend würde dazu nicht ausreichen.Heute weiß jeder: Die Contras sind keine Volksbefreiungsarmee, die Contra ist eine internationale Terrorbande. Sie besteht aus Ex-Somozisten und gedungenen Söldnern. Sie wurde von den Vereinigten Staaten gegründet. Sie wird von dort gesteuert und finanziert. Die Politik der USA bekennt sich
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19079
Volmeroffen zu dem Terror der Contra, der damit auch den Charakter von Staatsterror annimmt.
Contras suchen heute auch in Europa nach Unterstützung, und das beliebteste Feld dafür sind Spanien und die Bundesrepublik. In der Bundesrepublik sind sie bei der Suche nach Unterstutzern fündig geworden. Namhafte Mitglieder der Union und CDU-nahe Organisationen sind mittlerweile eng mit der Contra verfilzt. Ich nenne an Organisationen die sogenannte Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, die Nicaragua-Gesellschaft, die Internationale Arbeitsgemeinschaft Freiheit und Demokratie, Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Hanns-Seidel-Stiftung und einzelne Journalisten von konservativen Presseorganen. Viele der Genannten arbeiten mit der World Anticommunist League zusammen, die wiederum unter der Leitung hoher amerikanischer Militärs steht, die sich im Korea-Krieg ausgezeichnet haben.Ziel dieser Veranstaltung ist es, eine ideologische Kampagne loszutreten, um die Contra in der Bundesrepublik und in Europa hoffähig zu machen, um sie als denkbare Alternative für die Regierung in Nicaragua aufzubauen.Die GRÜNEN haben dazu schon vor langer Zeit eine Große Anfrage eingebracht. Mittlerweile liegen uns Informationen darüber vor, daß die CDU intern beschlossen hat, dafür zu sorgen, daß diese Anfrage in dieser Legislaturperiode nicht mehr beantwortet wird. Das ist der Grund dafür, warum wir die Debatte heute ohne Beantwortung dieser Anfrage vorgeschlagen haben.Der Grund für die Nichtbeantwortung ist die enge Verfilzung von CDU-Leuten mit der Contra-Politik.
— Man könnte viele Namen nennen, Frau Geiger. Die halbe Stahlhelm-Fraktion der Union könnte man in diesem Zusammenhang aufzählen.Um einige Formen von Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung mit der Contra darzustellen, möchte ich einige Beispiele nennen. Es gibt Indizien für die indirekte und auch für die direkte Zusammenarbeit.Erstes Beispiel. Vor einiger Zeit fuhr dieser sogenannte Wissenschaftler Kriele nach Zentralamerika.
Er bekam seine Reise von der Konrad-AdenauerStiftung bezahlt. Er gab ein Buch heraus, in dem er deutlich Stellung für die Contra nahm.
Kriele hatte bereits einige Monate zuvor eine Unterschriftenaktion der Résistance internationale, eines rechtsradikalen Vereins in Frankreich, unterschrieben, der zur Unterstützung der Contra aufrief.Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat dies gewußt, und dies war sicherlich der Grund dafür, daß sie Krieles Reise finanziert hat.
— Mich wundert es ja nicht; ich will es nur darstellen. — Und sie hat Krieles Buch als Weihnachtsgeschenk an alle möglichen Forscher verschickt, die im Bereich Lateinamerika tätig sind.Übrigens, Aufrufe zur Unterstützung der Contra wurden auch unterschrieben, etwa von Graf Huyn, von Graf Stauffenberg, von Kai-Uwe von Hassel.
Und der Fraktionschef Dregger hat mittlerweile, nämlich im Frühjahr 1986, den Contra-Chef Calero empfangen. Offensichtlich ist die Contra mittlerweile bis in die Führungsetagen der CDU-Fraktion hoffähig geworden.
Zweites Beispiel. Am 6./7. September 1986 fand in Genf eine Tagung statt, die von der Simón-BolivarStiftung in Kolumbien mitorganisiert wurde. Diese kolumbianische Stiftung wiederum wird von der Konrad-Adenauer-Stiftung mitfinanziert. Auf der Tagung bekamen führende Contras ein Forum. Auch dies ist ein weiteres Indiz dafür, daß die Konrad-Adenauer-Stiftung die Contra zumindest indirekt fördert und unterstützt.Es gibt allerdings auch begründete Indizien für eine direkte Unterstützung, obwohl Heiner Geißler gesagt hat — Zitat —: „Obwohl es eine harte Entscheidung ist, nicht wahr, daß wir als Christliche Demokraten die Contra nicht unterstützen ... " — soweit Heiner Geißler; ich führe fort —, gibt es doch Indizien für diese direkte Unterstützung. So gibt es Informationen darüber, daß der Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Costa Rica, Herr Picht, 1984 Geld direkt an die Contras übergeben hat. Es gibt mittlerweile Videoaufnahmen mit Zeugenaussagen dazu.Es gibt viele andere Beispiele für die enge Verfilzung der Union. Vom 7. bis 12. September fand z. B. in Luxemburg der 19. Kongreß der World Anticommunist League statt. Dies ist ein internationaler Haufen von reaktionären, antikommunistischen und faschistoiden Gruppierungen,
denen nicht nur die mittelamerikanischen Todesschwadronen, die italienischen Faschisten, MSI und die Contra, sondern auch führende US-Politiker und CDU-Politiker wie der ehemalige Europaparlamentsabgeordnete General Schall angehören.Ich frage mich, wann sich die Union endlich entschließen kann, solche Leute, die Terroristen, den internationalen Rechtsterrorismus unterstützen, aus ihren Reihen auszuschließen. Ich wage zu behaupten: Die Union hat nicht das geringste Interesse daran, diese Leute auszuschließen. Denn sie hat überhaupt nichts dagegen, wenn führende Unionspolitiker den internationalen Rechtsterroris-
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Volmermus unterstützen, und um nichts anderes handelt es sich bei der Unterstützung der Contra in Nicaragua.
Ich behaupte ganz deutlich: Führende CDU-Politiker unterstützen direkt oder indirekt den internationalen Rechtsterrorismus, der sich in den Contra in Nicaragua ausdrückt.
Dies steht im Gegensatz zu den Plaudereien von Herrn Kohl oder Herrn Geißler über die Menschenrechte oder darüber, daß die Union grundsätzlich nur gewaltfreie Organisationen unterstützt. Die Unterstützung der Contra beweist, daß das Gegenteil der Fall ist.Die Union hat nie — nie! — zugegeben — und sie wird es wahrscheinlich auch heute nicht tun —, daß die Contra zu Menschenrechtsverletzungen greifen und eine üble Verbrecherbande sind. Sie betreibt damit eine Politik, die die Contras ideologisch deckt: dies, weil die USA die Contra unterstützen und weil sie, die Union, selber der Ansicht ist, daß die Contras die ideale Gegenregierung zu der jetzigen Regierung in Nicaragua bieten könnten. Nun mag ja sein, daß diese Äußerungen von einzelnen Unionsabgeordneten sind.Welche Auffassungen man auch über die Regierung oder die Politik in Nicaragua hat — ob man sie ablehnt, wie es die Union tut, ob man die Entwicklung der letzten Jahre hart kritisiert, wie es die SPD tut, oder ob man Nicaragua in kritischer Solidarität unterstützt, wie wir das tun — wir sind der Meinung, daß unabhängig davon eines nicht in Frage kommen kann, nämlich diese marodierenden Terroristenbanden, die sich Contra nennen, politisch, ideologisch oder finanziell zu unterstützen.
Wir möchten nicht, daß sich in diesem Parlament eine Akzeptanz des internationalen Rechtsterrorismus einschleicht, gefördert und unterstützt durch die Union. Wir fordern alle Unionsabgeordneten und alle Damen und Herren dieses Hauses auf, sich von dieser Form des Terrorismus zu distanzieren. Dazu wollen wir Ihnen in namentlicher Abstimmung die Gelegenheit geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nur ganz wenige Kollegen werden die Große Anfrage der GRÜNEN zu unserem heutigen Thema gelesen haben; das ist schade.
Denn wer sich durch den Wust von Fragen und die Wort- und Satzungetüme dieser Großen Anfrage durchgearbeitet hat, der spürt am Ende geradezu körperlich, wie sich der Kollege Volmer oder sein Mitarbeiter hier über viele Monate mit kriminalistischer Akribie und mit ideologischem Feuereifer auf der Spur einer weltweiten Verschwörung dunkler Mächte wähnte,
dunkler Mächte, wie er gerade noch einmal erwähnt hat, wie der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Hanns-Seidel-Stiftung. Im Hintergrund steht für ihn natürlich die Bundesregierung und dahinter als Drahtzieher natürlich der CIA. Er wähnte sich auf der Spur einer Verschwörung, die die Vernichtung der strahlenden sandinistischen Revolution in Nicaragua zum Ziel hat. Aber am Ende bleibt nichts als heiße Luft, bleibt nichts als das Vexierbild einer erregten Phantasie: statt Verschwörung das Zerrbild von Politik aus der Stammtischperspektive grüner Version. Ärgerlich ist nur, daß sich der Deutsche Bundestag und auch die armen Beamten im Auswärtigen Amt mit solchen Elaboraten befassen müssen.
Ich will zur Sache nur einige wenige Anmerkungen machen. Ich habe für meine Fraktion — Herr Kollege Bindig, Sie wissen das sehr gut — von dieser und von anderer Stelle viele Male unzweideutig erklärt, daß wir die CDU/CSU-Fraktion, für eine politische, d. h. eine friedliche Lösung der Konflikte in Zentralamerika eintreten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Volmer?
Nein; bei den fünf Minuten nicht.Wir haben als erste dementsprechend eine Initiative der Europäischen Gemeinschaft gefordert. Die Bundesregierung hat sie verwirklicht. Unsere Unterstützung gilt der demokratischen Opposition im Inneren Nicaraguas. Unsere Haltung in dieser Frage ist unverändert und klar. Sie schließt eine wie immer geartete Unterstützung der Contras aus. Der Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler, hat dies kürzlich noch einmal für seine Partei unmißverständlich zum Ausdruck gebracht.Die Contras sind eine bunte Gruppe, keineswegs über jeden Zweifel erhaben. Unübersehbar aber ist, daß die Contras nicht das Ergebnis amerikanischer Dollarsubventionen sind, sondern die Folge einer Politik der Sandinisten, die immer weiter wegführt von einem noch so weit gefaßten Demokratieverständnis, die immer repressiver wird und die das Land in ein wirtschaftliches, soziales und politisches Chaos führt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19081
LamersWer diese Entwicklung auch heute noch leugnet und statt dessen, wie Sie es gerade wieder getan haben, von kritischer Solidarität spricht, tut dies entweder, weil er ein antiamerikanisches Süppchen kochen will, oder aus ideologischer Verblendung oder aus einer Mischung von beidem.
Ich frage Sie wirklich, meine Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN,
und leider muß ich auch einige Kollegen von der SPD das fragen: Erinnern Sie sich denn nicht an die bitteren Erfahrungen mit Revolutionen in Vietnam, Kamputschea, im Iran? Haben Sie das eigentlich alles vergessen? Wissen Sie nicht, daß die Menschenrechtssituation im Iran heute weit schlimmer als zu Zeiten des Schah ist?
Und damals war sie schlimm genug.
Welche Verblendung führt Sie eigentlich dazu, zu übersehen, daß es heute in Nicaragua mehr politische Gefangene als zu Zeiten von Somoza gibt?
Was sagen Sie dazu, daß Dutzende von Christdemokraten, Liberalen, Sozialdemokraten, von Gewerkschaftern und von einfachen Menschen ohne jedweden Grund in Gefängnissen in Managua sitzen? Was sagen Sie zu der Drangsalierung der Kirche, was zu der Abschaffung der Pressefreiheit, was zu dem Aufbau totalitärer Strukturen in diesem Land?Sie leugnen das nicht nur, Sie unterstützen es auch noch, nicht zuletzt durch diese Solidaritätskomitees in unserem Lande, die nichts anderes als außerparlamentarische Ableger von Ihnen sind und Leute dorthin entsenden, die Fleisch von Ihrem Fleische sind, die sich selber als Brigadisten verstehen und die helfen, dem Volk von Nicaragua ein diktatorisches, j a vielleicht sogar ein totalitäres System aufzuzwingen.
Vor dem Hintergrund unserer Geschichte, meine Freunde, ist dies eine traurige und im eigentlichen Sinne perverse Lage.Meine Fraktion und die von ihr getragene Bundesregierung werden alles tun, daß Nicaragua dieses Los dennoch schlußendlich erspart bleibt und ihm wie allen seinen Nachbarn durch eine politische und friedliche Lösung der Konflikte im Innern und nach außen eine demokratische Lösung, eine demokratische Zukunft ermöglicht wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wischnewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt keinerlei Zweifel darüber, und ich hoffe, auch wir haben da keine Differenzen, Herr Kollege Lamers: Die Contras sind aus der somozistischen Nationalgarde entstanden.
Das ist ihr Ursprung aus der Somoza-Zeit. Ich bestreite überhaupt nicht, daß sich dem heute auch andere angeschlossen haben. Aber dies ist der Ursprung.Diese Contras arbeiten mit grausamen militärischen Übergriffen insbesondere von Honduras aus. Sie bedienen sich dabei des Mordes, der Entführung, der Vergewaltigung und der Folterung. Viele Tausende von Bürgerinnen und Bürgern in Nicaragua sind durch Contras umgekommen. Aber auch Bundesbürger und Bundesbürgerinnen sind betroffen. Zwei Deutsche sind ermordet worden: ein Arzt, der dort als Arzt tätig war, um anderen Menschen zu helfen, und ein Handwerker. In zwei Entführungsfällen sind neun Personen in terroristischer Art und Weise durch die Contras entführt worden. Ich hoffe, Sie erinnern sich insbesondere auch noch an den letzten Fall, in dem es den Contras darum ging, die Bundesregierung zu erpressen, um eine gewisse Anerkennung für die Contras zu erreichen. Ich sage hier: Die hervorragende Zusammenarbeitaller politischen Kräfte hat dazu beigetragen, dieses Problem lösen zu können.Wir verurteilen diesen Terrorismus der Contras in aller Eindeutigkeit und in aller Schärfe
— Terrorismus führt niemals zum Frieden —, ihren Terrorismus nicht nur gegenüber dem eigenen Volk, sondern auch gegenüber Bürgerinnen und Bürgern aus anderen Staaten. Wir verlangen deshalb von der Bundesregierung heute, alles zu tun, um die Contras, die in die Bundesrepublik kommen, strafrechtlich zu verfolgen, weil sie verantwortlich sind für den Mord an Bundesbürgern und für die Entführung von Bundesbürgern.
Ich hoffe auch, Sie werden mit dieser Strafverfolgung einverstanden sein; denn man kann nicht über die Bekämpfung des Terrorismus sprechen und, wenn solche Leute in die Bundesrepublik kommen, auf die Strafverfolgung verzichten. Dieses ist ein Unding.
Wir erwarten, daß die Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles tut, damit die Contras nicht Unterstützung aus der Bundesrepublik erhalten.Ich will aber nicht nur sagen, wogegen wir sind, sondern ich möchte auch ein paar Bemerkungen machen, wofür wir sind. Dies scheint mir besonders wichtig zu sein. Wir bedauern zutiefst, daß die Contras mit ihren terroristischen Methoden aus dem
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19082 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
WischnewskiHaushalt der Vereinigten Staaten unterstützt und weitgehend finanziert werden.
Wir bedauern zutiefst, daß die Vereinigten Staaten das Gerichtsurteil des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag nicht anerkennen. Wir hoffen, und wir bitten unsere Kollegen im amerikanischen Kon. greß, die veränderte Zusammensetzung des Parlaments zum Anlaß zu nehmen, die bisherige Haltung zu überprüfen, die Unterstützung der Contras ein. zustellen und damit zum Frieden in dieser Region beizutragen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die bilateralen Gespräche mit den Vereinigten Staaten auch ir dieser Hinsicht zu nutzen.
Wir haben Übereinstimmung in bezug auf die europäische Politik gegenüber Zentralamerika. Wir bitten die Bundesregierung in diesem Falle, in verstärktem Maße für die Politik der Europäischen Gemeinschaft gegenüber Zentralamerika einzutreten. Wir treten ein für die Wiederaufnahme des Prozesses von Contadora. Nur wenn die eigenen Kräfte in Zentralamerika darum bemüht sind, kann hier der Frieden hergestellt werden.
Wir werden unseren kritischen Dialog mit der sandinistischen Regierung fortsetzen, insbesondere wenn es um die Frage der Menschenrechte, der politischen Rechte und der Pressefreiheit geht, wobei allerdings diejenigen, die den Druck von außen ökonomisch und politisch organisieren, entscheidend dazu beitragen, daß dieser Dialog nicht einfacher wird.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf,
die Unterstützung, die Hilfe für Nicaragua wieder aufzunehmen. Wir fordern sie dazu auf, auch um ihr damit die Chance einzuräumen, sich an diesem Dialog wieder zu beteiligen. Jetzt fällt sie für diesen Dialog in vollem Umfange aus. Wenn sie die Hilfe wieder aufnimmt, hat sie eine Chance, sich an diesem Dialog zu beteiligen.Wir begrüßen außerordentlich, daß vor einigen wenigen Wochen der Dialog zwischen der sandinistischen Regierung und der katholischen Kirche wieder aufgenommen worden ist, und wir hoffen, daß dieser begonnene Dialog zu einem Ergebnis führt, das dem Land den inneren Frieden wiederzugeben hilft. Wir meinen, der Dialog sollte nicht nur mit den Parteien im Parlament geführt werden, sondern auch mit den Parteien, die außerhalb des Parlaments, aber im Lande sind; dies ist für den inneren Frieden von Bedeutung.Wir jedenfalls werden unsere Bemühungen im kritischen Dialog fortsetzen. Ich bitte um Annahme des Entschließungsantrages der Sozialdemokratischen Partei.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Staatsminister Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Mittelamerika-Politik der Bundesregierung, um die es in dieser Debatte und auch in der bereits erwähnten Großen Anfrage im Kern geht, wird unverändert von dem bestimmt, was wir zusammen mit unseren europäischen Partnern 1983 im Europäischen Rat in Stuttgart erklärt haben, nämlich: Die Probleme Mittelamerikas können nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden, sondern nur durch eine politische Lösung, die in der Region selbst ihren Ursprung hat und die die Grundsätze der Nichteinmischung und der Unverletzlichkeit der Grenzen beachtet.In derselben Erklärung wird die Notwendigkeit betont, in der Region demokratische Bedingungen zu schaffen und die Menschenrechte strikt zu beachten.Die Bundesregierung hat diese Prinzipien im Dialog mit den Staaten Mittelamerikas ebenso wie im ständigen Gespräch mit unseren Hauptbündnispartnern beharrlich vertreten. Sie unterstützt die aus der Region kommenden Bemühungen, also insbesondere die Contadora-Initiative, eine friedliche Gesamtlösung für Mittelamerika auf dem Verhandlungswege zu finden. Das gilt auch für die Bemühungen des Präsidenten von Guatemala, mit einem Parlament für Zentralamerika einen integrativen Ansatz zu schaffen.Diese Bemühungen befinden sich derzeit in einer besonders schwierigen Phase. Die politischen und ideologischen Gräben, mit denen wir es in Mittelamerika zu tun haben, haben sich leider weiter vertieft. In Nicaragua wird die Auseinandersetzung von Gegnern des sandinistischen Regimes mit Waffengewalt geführt. Die Meldungen über Kampfhandlungen insbesondere im nördlichen Grenzgebiet nehmen zu. Für die sandinistische Regierung dient der Druck von außen als Vorwand für die Verstärkung der Repression gegen die Opposition im Innern, die den bewaffneten Kampf ablehnt und mit politischen Mitteln um ihre Existenz ringt.
— Ich komme darauf zurück. Sicher ist das ein Vorwand, Herr Kollege Brandt!
— Das ist nicht unglaublich, sondern das sind Tatsachen! Ich erspare es mir, darauf angemessen zu erwidern; der Respekt vor dem Alter verbietet mir das.Costa Rica und Honduras sehen sich einer Klage Nicaraguas vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ausgesetzt. Sie haben darauf empfindlich reagiert. Damit ist zwischen den Staaten Mittel-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19083
Staatsminister Möllemannamerikas ein Klima entstanden, daß die Fortsetzung von Verhandlungen ernsthaft in Frage stellt. Ohne Mitwirkung aller Staaten in Mittelamerika lassen sich die Probleme der Region aber nicht lösen.Trotz dieses düsteren Hintergrundes dürfen die Bemühungen um eine Verhandlungslösung nicht aufgegeben werden.
Wir bereiten mit unseren europäischen Partnern das nächste Außenministertreffen der zwölf mit den Staaten Mittelamerikas und der ContadoraGruppe vor, das im Februar in Guatemala stattfinden wird.Der politische Dialog mit dieser Region, an dessen Zustandekommen der Bundesminister des Auswärtigen persönlich mitgewirkt hat, hat sich bereits bewährt. Es gab zwei sehr wichtige Anlässe, aus denen man das ableiten kann, 1984 in San José in Costa Rica und vor einem Jahr in Luxemburg, wo dieser Dialog institutionalisiert und ihm ein wirtschaftliches Kooperationsabkommen der EG mit Mittelamerika an die Seite gestellt worden ist. Natürlich werden Sie verstehen, meine Damen und Herren, daß wir im Auswärtigen Amt ein bißchen stolz darauf sind, daß der Bundesminister des Auswärtigen dafür vor wenigen Tagen vom Parlament von Costa Rica, von allen Abgeordneten dort, den Sozialisten wie den Christdemokraten bei zwei Gegenstimmen der Kommunisten, die Ehrenbürgerschaft des Landes Costa Rica angetragen bekommen hat.
Dieses erfolgt zum drittenmal. Die beiden bisherigen Auszeichnungen galten den amerikanischen Präsidenten Truman und Kennedy.Der politische Dialog wird von allen Staaten in der Region begrüßt und seine Fortsetzung gewünscht. Europa kann hier mäßigend Einfluß nehmen,
freilich ohne selbst an die Stelle regionaler Initiativen treten zu können.Meine Damen und Herren, ich komme zurück auf die Lage in Nicaragua. Auch wenn manche das nicht wahrhaben wollen, die sandinistische Regierung hat sich noch weiter von den ursprünglichen Zielen der Revolution entfernt; von Pluralismus, einem dieser Ziele, kann keine Rede mehr sein. Der Opposition wird immer mehr das Wasser abgegraben. Oppositionsparteien werden durch Verhaftungen von Mitgliedern eingeschüchtert oder durch Spaltungsversuche geschwächt. Die einzige Zeitung, die noch unabhängig war, die traditionsreiche „La Prensa", die bereits den Kampf gegen den Diktator Somoza getragen hatte, ist Ende Juni unter einem Vorwand geschlossen worden. Die katholische Kirche wird schwer bedrängt, wofür die Ausweisung eines Bischofs nur ein Beispiel ist. Die nichtsandinistischen Gewerkschaften geraten zunehmend unter Druck. Die in Vorbereitung befindliche Verfassung, die am 10. Januar in Kraft treten soll, soll diesen repressiven Praktiken den Mantel einer neuen Legitimität umhängen.Was not tut, ist ein ehrlicher Dialog mit den Kräften der Opposition, die es trotz allem im Lande noch gibt und die wiederholt vernünftige Vorschläge hierzu auf den Tisch gelegt haben. Die Bundesregierung bemüht sich, durch Pflege der Kontakte dazu beizutragen, die Opposition innerhalb Nicaraguas zu ermutigen und ihr den nötigen Freiraum zu schaffen, um damit einer pluralistischen Struktur, wie sie die Sandinisten selber nach dem Sturz Somozas auf ihre Fahnen geschrieben hatten, zum Erfolg zu verhelfen.
Lieber Herr Brandt, ich möchte jetzt auf Ihren Zwischenruf zurückkommen. Es muß Sie doch auch nachdenklich stimmen, daß Männer wie Virgilio Godoy oder Alberto Monge — er ist in der Sozialistischen Internationale mit Ihnen zusammen — sich tief enttäuscht vom einseitigen Engagement der Sozialistischen Internationale und vor allem Ihrem eigenen einseitigen Engagement für die Sandinisten gezeigt haben, daß Sie nicht differenziert genug auch die Fehler dieser Gruppierung angeprangert hätten. Wenn das, von mir gesagt, Ihnen den Kommentar „Quatsch" entlockt, muß ich das hinnehmen, aber Ihre eigenen Freunde in der Sozialistischen Internationale, die aus dem Land und der Region kommen, sollten Sie ernst nehmen.
Meine Damen und Herren, die bewaffnete Opposition, die sogenannten Contras, unterstützt die Bundesregierung nicht. Sie lehnt Hilfe für bewaffnete Aufständische prinzipiell ab. Das gilt in Nicaragua ebenso wie in El Salvador oder anderswo.
— Lieber Freund, nein. Herr Wischnewski hat doch gerade darauf hingewiesen. Es mag sein und es ist so, daß in den Contras auch ehemalige Somozisten tätig sind, aber es sind doch auch Vertreter von Gruppierungen drin, die gemeinsam mit den Sandinisten zunächst Somoza bekämpft haben, die sich keinen anderen Ausweg mehr wissen. Ich betone aber: Wir arbeiten mit den Contras nicht zusammen.
Wir haben auch deutlich gemacht, daß wir Waffenlieferungen an bewaffnete Aufständische ablehnen.Im übrigen: Wir sind in El Salvador dafür eingetreten, daß Präsident Duarte den Versöhnungsdialog auch mit den bewaffneten Rebellen aufnimmt. Ich finde, was man dem Präsidenten von El Salvador zumuten kann, kann man auch der sandinistischen Führung zumuten, nämlich den Versuch zu unternehmen, einen Dialog in Gang zu setzen, damit es eine friedliche Regelung geben kann.
— Nein, ich habe dazu klar Stellung genommen.
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19084 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Staatsminister MöllemannNoch zwei Bemerkungen. Der Kollege Volmer hat darauf hingewiesen, daß irgendeine Äußerung einer einzelnen Fraktion hier dazu geführt habe, daß die Große Anfrage nicht beantwortet werde. Herr Kollege Volmer, die Bundesregierung ist von der Fraktion der GRÜNEN mit einer sehr großen Zahl von Kleinen und Großen Anfragen beschäftigt worden. Wir haben alle diese Kleinen und Großen Anfragen entsprechend unserer Verpflichtung gegenüber dem Parlament korrekt beantwortet; aber die Aufgabe unserer Ministerien besteht nicht nur darin, Anfragen der GRÜNEN zu beantworten, sondern wir haben auch noch ein paar andere Aufgaben,
und deshalb werden Sie sich darauf einstellen müssen, daß wir den Zeitraum im Rahmen dessen, was zulässig ist, selbst bestimmen.
Schlußbemerkung, meine Damen und Herren: Ich möchte von hier aus dringend an diejenigen jungen Menschen, die am Aufbau Nicaraguas mitarbeiten wollen und dorthin fahren, appellieren: Wenn Sie dies tun — dagegen sprechen wir uns nicht aus —, dann tun Sie es im Engagement für demokratische Ziele, dann tun Sie es aber auch, indem Sie sich aus den umkämpften Kriegsgebieten fernhalten! Sie bringen sonst nicht nur sich selbst in Gefahr, Sie beschwören auch Gefahren für die internationale Politik, für das außenpolitische Handeln der Bundesrepublik Deutschland herauf.
Machen Sie sich nicht zum Propagandamittel von Organisationen, die Sie absichtsvoll in diese Krisengebiete führen wollen, damit solche Probleme dort entstehen!Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Es liegen zwei Anträge auf namentliche Abstimmung vor. Ich darf gleich darauf hinweisen, daß nach diesem Tagesordnungspunkt eine weitere namentliche Abstimmung folgt, damit niemand den Saal verläßt.Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6422. Die Urnen sind aufgestellt. Ich bitte, mit der Abstimmung zu beginnen. — Die Schriftführer bitte an die Urnen!Meine Damen und Herren, ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß noch zwei weitere namentliche Abstimmungen kommen.Haben alle ihre Stimmkarte abgegeben? —Ich schließe die Abstimmung und bitte um Auszählung')e) Ergebnis und Abstimmungsliste Seite 19089 ADie Urnen sind wieder aufgestellt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6437. Ich bitte, mit der Abstimmung zu beginnen.Meine Damen und Herren, ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß im Anschluß an diese namentliche Abstimmung eine weitere — die letzte — namentliche Abstimmung erfolgt. Bleiben Sie bitte im Saal.Sind noch Stimmkarten abzugeben? — Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.*)Bevor wir die Abstimmungsergebnisse vorliegen haben, rufe ich die nächsten Tagesordnungspunkte auf; zu einem gibt es wiederum eine namentliche Abstimmung.Ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes— Bericht 1984 des Bundesministers für Verkehr über die Jahre 1982 und 1983 —Drucksachen 10/2624, 10/5254 —Berichterstatter: Abgeordnete Stiegler, Dr. Kunz
BeschlußfassungWir können über diesen Tagesordnungspunkt durch Handaufheben abstimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/5254 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen ist die Beschlußempfehlung angenommen.Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu dem Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN Bundesbahnpolitik im Zonenrandgebiet— Drucksachen 10/1222, 10/5253 —Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Kunz , StieglerBeschlußfassungHierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6436 vor.Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Das Wort zur Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Stiegler.e) Ergebnis und Abstimmungsliste Seite 19090 B
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19085
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Aufmerksamkeit und Geduld für das Zonenrandgebiet. Die GRÜNEN versuchen es hier darzustellen, als ob sie etwas für das Zonenrandgebiet entdeckt hätten. Als einer, der Zonenrandförderung immer als interfraktionelle Aufgabe begriffen und auch daran gearbeitet hat, daß die nationale Solidarität mit dem Zonenrandgebiet gewahrt bleibt, sage ich gleichwohl, daß dieser Antrag abgelehnt werden muß. Ich sage es auch für meine Kolleginnen und Kollegen.
Die Ziffer 1 dieses Antrages
— ihr seid schon bekehrt; die müssen noch hören — führt uns im Zonenrandgebiet nicht weiter. Wir wissen, daß gerade im ländlichen Raum der Bus oft die bessere Verkehrslösung bringt.
Die Ziffer 2 führt uns ebenfalls nicht weiter. In Abstimmung mit der Gewerkschaft der Eisenbahner ist für die Zukunft der Ausbesserungswerke eine Lösung gefunden worden, die sowohl dem Verkehrsaufkommen als auch den Belangen des Zonenrandgebiets entspricht.
Die Ziffer 3 und die Ziffer 4 sind bereits Gegenstand der Abstimmung vorhin gewesen.
Die Ziffer 5 ist ebenfalls als Entschließungsantrag für den Verkehrswegeplan verabschiedet.
Die Ziffer 6 würde dem Zonenrandgebiet eher schaden als nützen.
Was die GRÜNEN hier wollen, ist, eine Schau zu machen, aber nicht etwas, was dem Zonenrandgebiet wirklich nützt.
Wir werden bei einer interfraktionellen seriösen Politik der nationalen Solidarität mit dem Zonenrandgebiet bleiben und deshalb diesen Antrag ablehnen.
Meine Damen und Herren, es ist namentliche Abstimmung erbeten.
Ich bitte, mit der Abstimmung zu beginnen. —
Darf ich von den Geschäftsführern erfahren, ob wir die Abstimmung schließen können? — Dann ist die Abstimmung geschlossen.
Ich setze die Abstimmung über die Beschlußempfehlung aus, bis die Ergebnisse der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag vorliegen *).
Ich rufe Punkt 31 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Kostengesetzen
— Drucksache 10/5113 - *) Siehe Seite 19091 B
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/6400 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Eylmann
Lambinus
Kleinert Mann
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/6403 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Zutt von Hammerstein
Suhr
Im Ältestenrat ist eine Kurzrunde mit fünf Minuten je Fraktion beschlossen worden. — Wir können mit der Aussprache beginnen. Als erster hat das Wort der Abgeordnete Eylmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von Nicaragua zu den Kostengesetzen. Wir haben es heute abend mit einem Paket von Kostenregelungen zu tun, die eine ganze Reihe von Entgelten, Gebühren, Honoraren und Entschädigungen im Justizbereich der wirtschaftlichen Entwicklung anpassen. Anpassung heißt in diesem Falle maßvolle Erhöhung.Nun hört es der Bürger nicht gern, wenn das Prozessieren teurer wird und wenn er auch beim Notar, den er um ein Geschäft bitten muß, mehr bezahlen muß. Der Bürger sollte allerdings berücksichtigen, daß er selbst zum begünstigten Personenkreis gehört, und zwar insofern, als er ja auch einmal in die Situation kommen kann, als Zeuge vor Gericht zitiert zu werden. Es ist ohnehin nicht sehr angenehm, wie jedermann weiß, als Zeuge vor Gericht erscheinen zu müssen. Wenn man dann noch nicht einmal angemessen entschädigt wird, ist es eine doppelt lästige Pflicht.Entschädigungen für Zeugen, Sachverständige und ehrenamtliche Richter sind zuletzt vor zehn Jahren angepaßt worden. Es wird also höchste Zeit, daß die Höchstsätze für den Verdienstausfall von 12 DM auf 20 DM erhöht werden. Hausfrauen erhielten bisher nur 6 DM; in Zukunft sollen es 12 DM pro Stunde sein. Das ist auf einem Teilgebiet ein weiterer Schritt auf dem Wege, die Leistung der Hausfrau oder des Hausmannes auch finanziell angemessener und richtiger zu bewerten.Besonders dringend war die Anhebung bei Sachverständigen. Denn zu den alten Stundensätzen von 20 DM bis 50 DM waren Sachverständige häufig nicht mehr zu bekommen. Jetzt beträgt der Kostenrahmen 40 bis 70 DM.Erhöht werden auch die Anwaltsgebühren, die seit sechs Jahren unverändert sind, obwohl der Lebenshaltungskostenindex in dieser Zeit um etwa 18,5 % gestiegen ist und die Bruttomonatsverdienste in Industrie und Handel sich in diesem Zeitraum
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19086 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Eylmannum gut 20 % erhöht haben. Bei den Anwälten sind natürlich auch die Büro- und Personalkosten stark angestiegen. Die Einkommensentwicklung der Anwaltschaft ist rückläufig; wen wundert dies unter diesen Umständen. Die Anwaltschwemme, die Verdoppelung der Anwälte in einem Zeitraum von zehn Jahren hat dieses Problem noch verstärkt. Die jetzt vorgesehene Anhebung der Wertrahmen- und Festgebühren verbessert die Einkommen der Anwaltschaft in einer Größenordnung von 7,5 bis 8 %, nachdem der Regierungsentwurf zunächst nur 4,5 % vorsah. Wir haben etwas nachgebessert.Wir hatten ein Problem zu bewältigen: Die Aufwendungen der Länder für die Prozeßkostenhilfe sind stark angestiegen. Das hängt damit zusammen, daß in 80 % aller Familienverfahren, Scheidungsverfahren, Prozeßkostenhilfe in Anspruch genommen wird. Das belastet die Länderhaushalte. Wir haben allerdings davon abgesehen, die Gebühren in den Familiensachen zu senken. Wir treffen dadurch einen Ausgleich, daß wir die Anwaltsgebühren in der Prozeßkostenhilfe um nur etwa 2 % anheben und außerdem den Mißbrauch der Prozeßkostenhilfe durch eine Änderung einiger Vorschriften in der Zivilprozeßordnung ausschließen.Meine Damen und Herren, wir haben uns darauf beschränkt, die Gebühren zunächst der wirtschaftlichen Entwicklung nur anzupassen. Eine Strukturreform der Kostengesetze ist notwendig. Wir haben sie uns für die nächsten vier Jahre vorgenommen. Wie wollen in der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte insbesondere die außergerichtliche Streitbeilegung durch Anwälte durch entsprechende finanzielle Anreize interessanter machen. Wir erhoffen uns davon eine Entlastung der Justiz. Bei der Kostenordnung haben wir noch ein Problem. Wir wollen die Landwirtschaft bei den Kosten der Übergabeverträge entlasten.
Lassen Sie mich als Schlußbemerkung feststellen, daß es bei der Beratung zu einer sachlichen Zusammenarbeit mit der Opposition, mit der SPD, gekommen ist. Das Bild, das man sich von diesem Parlament macht, wäre unvollständig, wenn man unberücksichtigt lassen würde, daß selbst zwei Monate vor der Wahl Vernunftlösungen mit einer breiten Mehrheit zustande kommen können.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Lambinus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 14. März 1985 hat der Deutsche Bundestag einstimmig einen Antrag der SPD-Fraktion angenommen, mit welchem die Bundesregierung aufgefordert wurde, einen Gesetzentwurf zur Anpassung der Entschädigungssätze für Zeugen, Sachverständige und ehrenamtliche Richter vorzulegen. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf zur Änderung von Kostengesetzen wird diesem Anliegen entsprochen. Wir Sozialdemokraten begrüßen dies.Die Anpassung der Entschädigungssätze für Zeugen, Sachverständige sowie für ehrenamtliche Richter an die wirtschaftliche Entwicklung seit 1977 war überfällig. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht Erhöhungen vor, die den Anstieg der Lebenshaltungskosten in den letzten zehn Jahren ausgleichen und noch ein wenig Luft für die nächsten Jahre lassen. Dies scheint mir eine sachgerechte Lösung zu sein.Im übrigen werden auch die Gebühren für Rechtsanwälte und Notare angehoben. Die letzte Gebührenanpassung fand vor sechs bzw. zwölf Jahren statt. Nach Auffassung unserer Fraktion waren die Gebühren an die wirtschaftliche Entwicklung in den letzten Jahren anzupassen. Die mit diesem Gesetz vorgesehene Anhebung der Rechtsanwaltgebühren um 6 bis 8% bringt eine Verdoppelung gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf, der in diesem Punkt von der Bundesrechtsanwaltskammer sehr herbe Kritik erfahren hatte. Ich hoffe, daß mit unserer Nachbesserung der Konfliktstoff aus der Welt geschafft ist.Dieses segensreiche Wirken des Gesetzgebers zugunsten der Notare, Anwälte sowie Sachverständigen, Zeugen und ehrenamtlichen Richtern hat allerdigs auch seine Kehrseite, und die soll durchaus nicht verschwiegen werden. Das Recht für den Bürger wird in Zukunft teurer. Er hat nicht nur erhöhte Rechtsanwalts- und Notargebühren zu zahlen. Auch die Gerichtskosten werden ihm teurer zu stehen kommen.Ich bin damit an einem Punkt angelangt, der uns Sozialdemokraten die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf nicht ganz leicht macht. Wir sind in die Beratungen mit der grundsätzlichen Position hineingegangen, daß bei aller Anerkennung der rechtlichen Interessen der Anwälte und Sachverständigen, bei allem Sachverständnis für die Konsolidierungsbemühungen der öffentlichen Haushalte der Rechtsschutz des Bürgers nicht beschnitten oder in Frage gestellt werden darf, auch nicht durch seine Verteuerung. Der Zugang zu den Gerichten muß jedem offenbleiben, ob arm oder reich. Die Möglichkeit anwaltschaftlicher Beratung und Vertretung darf nicht eine Frage des Geldbeutels sein.Die im Regierungsentwurf vorgeschlagene Erhöhung im Bereich des Gerichtskostengesetzes und der Kostenordnung konnten wir akzeptieren. Die vom Rechtsausschuß des Bundestages beschlossenen darüber hinausgehenden Bemühungen, den Vorstellungen des Bundesrates entgegenzukommen, sind nicht so gravierend, daß wir dem unsere Zustimmung verweigern konnten.In einem Punkt jedoch müssen wir unsere Vorbehalte anmelden. Wir halten die Übernahme von Vorschriften aus der ZPO-Novelle über die Prozeßkostenhilfe in die Kostennovelle nicht für sachgerecht. Wir kennen die Probleme, die die Justizhaushalte der Länder mit den gestiegenen Aufwendungen für die Prozeßkostenhilfe haben. Wir sehen auch die Notwendigkeit, Mißbräuche zu verhindern
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19087
Lambinusund die Leistungsfähigkeit der Berechtigten stärker zu berücksichtigen. Dies rechtfertigt nicht, kurz vor Toresschluß die Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe aus der ZPO-Novelle herauszulösen und hier in aller Eile zu beraten und zu beschließen, und zwar nur deshalb, weil die Koalitionsfraktionen nicht in der Lage sind, sich über den Inhalt der geplanten ZPO-Novelle zu verständigen.Dieser Gesetzentwurf liegt immerhin seit März 1985 vor. Während die Kostennovelle erst vor neun Monaten in den Bundestag eingebracht wurde. Wir lehnen einige der vorgeschlagenen Regelungen über die Prozeßkostenhilfe ab, weil wir sie für unausgereift, mißverständlich und deshalb für weiter diskussionsbedürftig halten. Zum anderen wird nach unserer Auffassung das angestrebte Ziel der Kostenentlastung durch ein komplizierteres Berechnungsverfahren und damit durch eine weitere Belastung der Justiz erkauft. Einem solchen Nullsummenspiel können wir nicht zustimmen. Wir werden also Art. 7 des vorliegenden Gesetzentwurfs ablehnen, dem Gesetz insgesamt jedoch zustimmen.Ich darf ebenfalls den Mitberichterstattern für die sachliche Zusammenarbeit recht herzlich danken.
Das Wort hat der Abgeordnete Torsten Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, dies ist ein notwendiges Gesetz. Wir haben ja manchmal Gesetzentwürfe in diesem Hause, bei denen man vielleicht denkt, daß sie nicht immer so ganz notwendig sind. Hier meinen wir, daß das Gesetz sehr notwendig ist. Denn die Rechtspflege ist ein besonderes Gut, das wir sorgsam behandeln wollen.
3,5% mehr als der Entwurf der Regierung vorsieht, sind, glaube ich, auch ein deutliches, positives Zeichen für den Rechtsausschuß. Er hat sich mit dieser Materie sorgfältig beschäftigt. Rechtsanwälte, Notare, Zeugen, Sachverständige und ehrenamtliche Richter deren Gebühren bzw. Entschädigungen in den Jahren 1975, 1977 und zuletzt 1981 angehoben wurden, werden diese Vorlage, positiv betrachten.
Es hat allerdings Vorschläge der Länder gegeben, bei dem Bereich der Ehesachen das Gebührenaufkommen wegen der hohen Aufwendungen der Länder zu kürzen. Das konnte dann bei den Beratungen schließlich ausgeglichen werden, wobei ich hier auch einmal festhalten möchte, daß besonders kleine und mittlere Kanzleien von diesem Entwurf in Zukunft ihren Vorteil ziehen sollen und auch müssen.
Ich möchte aber hier festhalten, daß die FDP feststellt, daß das Kostenrecht strukturell reformiert werden muß. Wir werden das in der kommenden Legislaturperiode in Angriff nehmen. Das ist für uns ein wichtiger Punkt. Es geht hier insbesondere um stärkere Anreize für außergerichtliche Streitbeilegung zum Zweck der beschleunigten Erledigung von Streitigkeiten und der Gerichtsentlastung sowie der Angleichung der Gebühren im sozialgerichtlichen Verfahren an die Gebühren der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Auch das Letztere ist ein Anliegen, das die FDP immer wieder vorgetragen hat.
Ich will aber noch einen Blick auf den Bericht des Haushaltsausschusses werfen, der gemäß § 96 hier votieren muß. Der Haushaltsausschuß hat festgestellt, daß es auch zu Mehreinnahmen des Bundes kommt, nämlich in Höhe von 7 Millionen DM. Es gibt weiter Mehreinnahmen der Länder in Höhe von 57 Millionen DM. Auch die Gemeinden werden nicht leer ausgehen, sie haben 7 Millionen DM mehr in der Kasse.
Wenn ich noch den kleinen Juristenspruch anfügen darf: Hab' ich Vorschuß, kann ich denken. Es wird das Denken beflügeln, hoffe ich.
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die seit Jahren überfällige Anpassung der Entschädigung sowohl der Sachverständigen, Zeugen und ehrenamtlichen Richter als auch der Gebühren der Rechtsanwälte, Gerichte und Notare findet auch die grundsätzliche Zustimmung der Fraktion DIE GRÜNEN.
Dennoch, recht haben und recht bekommen, ist eine Frage des Geldes. Ich finde, daß der Rechtschutz für den Bürger in der Tat teurer wird. Unsere Kritik schließt an das an, was der Kollege Lambinus von der SPD gesagt hat. Hier ist ganz zum Schluß in dieses Gesetz im Artikel 7 noch ein Abbau der Prozeßkostenhilfe hineingekommen, den wir nicht gutheißen können. Aus diesem Grunde wird unsere Fraktion diesem Gesetz nicht zustimmen, sondern sich enthalten.Ich möchte aber noch etwas hinzufügen. Die Kostennovelle — das hängt damit zusammen — ist ein eindrucksvolles Schulbeispiel für die stille Gewalt der Länderfinanzminister in der Rechtspolitik. Ohne zuverlässige Berechnung der Auswirkungen ihrer Vorschläge haben die Bundesländer versucht, die Gebührenstruktur in Familiensachen insbesondere durch eine Herabsetzung des Streitwertes in Ehesachen und den Fortfall der Beweisgebühr für die Anhörung der Ehegatten zu verändern. Durch ein vom Deutschen Anwaltsverein erstattetes umfangreiches Gutachten sind die Berechnungen dann nachgeholt und die Auswirkungen der Vorschläge der Länder ermittelt worden.Wenn der Bundesrat in seiner Stellungnahme von „zentralen Anliegen der Rechtspflege und der Länder" spricht, hat er dabei fast ausschließlich das Interesse der Länder an Haushaltskonsolidierungen im Auge. Auf diese Weise muß Rechtspolitik zum Schutz sozial Schwacher auf der Strecke bleiben. Nur bei Aufgabe dieser fiskalischen Fixierung
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19088 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Mannwird es möglich sein, lange überfällige Strukturreformen, z. B. den Ausbau der außergerichtlichen Beratungshilfe und eines wirksamen Rechtsschutzes in sozialgerichtlichen Verfahren, zu verwirklichen. Das steht schon lange aus. Es steht in der nächsten Legislaturperiode an. Ich denke, daß der Beitrag des Bundesrats, der Länderjustizminister und Länderfinanzminister mit dem Artikel 7, der aus der ZPO-Novelle im letzten Augenblick in dieses Gesetz hineingekommen ist, Böses ahnen läßt.Jedenfalls sind wir nicht bereit, eine solche Politik mitzumachen. Um dem Ausdruck zu verleihen, werden wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Da wir aber der Meinung sind, daß die Rechtsanwälte für ihre gute Arbeit natürlich anständige Honorare zu bekommen haben, werden wir auch nicht gegen diesen Entwurf stimmen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rechtsanwälte, Sachverständige, ehrenamtliche Richter und Zeugen sollen mehr Geld bekommen, jedenfalls etwas mehr Geld. Sie haben zum Teil lange auf diese Kostennovelle gewartet.
Der Gesetzentwurf trägt vor allem dem dringenden Anliegen Rechnung, die Entschädigungssätze der Sachverständigen an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen. Wenn die Neuregelung — wie vorgesehen — am 1. Januar 1987 in Kraft treten kann, dann sind seit der letzten Erhöhung der Sätze auf den Tag genau zehn Jahre vergangen. Es gibt wohl kaum einen Berufsstand, dem zugemutet worden ist, so lange unter gleichbleibenden finanziellen Bedingungen Leistungen zu erbringen. Ich danke deshalb ganz ausdrücklich den Sachverständigen, ohne deren Hilfe die Justiz in vielen Bereichen ihre Aufgaben nicht erfüllen könnte, daß sie ihr Wissen und Können im Interesse der rechtsuchenden Bürger gleichwohl zur Verfügung gestellt haben.
Ich freue mich auch besonders, daß die Entschädigungssätze für Hausfrauen, die als Zeugen oder ehrenamtliche Richter fungieren, verdoppelt werden. Die Bundesregierung hat dies vorgeschlagen, um deutlich zu machen, welchen Wert die Hausfrauenarbeit für die Familie und die Allgemeinheit hat.
— Wenn wir uns in diesem Anliegen einig sind, um so besser.
Aber diese Einkommensverbesserungen kosten auch Geld. Gemeinsam mit den Ländern, deren Haushalte in Anspruch genommen werden, haben wir Wege gefunden, die für alle Beteiligten gangbar sind.
Gegen die ursprünglichen Vorschläge des Bundesrates, in Ehesachen den Streitwert zu senken, die Beweisgebühr für die Anhörung der Parteien wegfallen zu lassen und damit an Prozeßkostenhilfe einzusparen, habe ich mich allerdings sehr entschieden ausgesprochen. Das würde nämlich für die Anwaltschaft — trotz sonstiger Gebührenerhöhung
— per saldo ganz beträchtliche Einkommensverluste nach sich ziehen. Es kann nicht richtig sein, die öffentlichen Haushalte auf Kosten eines einzelnen Berufsstandes konsolidieren zu wollen.
Insgesamt trägt der Entwurf jetzt den Interessen aller Beteiligten Rechnung. Bei einer so schwierigen und auch heiklen Materie bin ich über die Ausgewogenheit der Regelung sehr zufrieden und bitte um Ihre Zustimmung.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung.Durch den Abgeordneten Lambinus hat die SPD getrennte Abstimmung über die verschiedenen Artikel verlangt.Ich rufe zunächst einmal die Art. 1 bis 6 auf. Wer diesen Artikeln zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit sind diese Artikel angenommen.Ich rufe Art. 7 auf. Wer Art. 7 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen?
— Das Präsidium ist im Interesse des Hauses der Meinung, daß die Mehrheit knapp, aber ausreichend war.
— Das Präsidium hat dies beschlossen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Art. 8 bis 10. Wer für Art. 8 bis 10 ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Dann sind alle Artikel in der Einzelberatung angenommen worden.Wir kommen dann zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Bei Stimmenthaltung der GRÜNEN angenommen.Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen zum Tagesordnungspunkt 24 bekanntgeben.Ich darf zunächst das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6422 zum gleichen Tagesordnungspunkt bekanntgeben. Abgegebene Stimmen: 301; ungültig: keine. Mit Ja haben 119, mit Nein 178 Abgeordnete gestimmt. Enthaltungen: 4.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19089
Vizepräsident CronenbergEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 301; davonj a: 119nein: 178enthalten: 4JaSPDAntretter Bachmaier BambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau Blunck BrandtBrückBuckpesch Büchler Dr. von BülowColletDaubertshäuser DelormeDreßlerDr. Ehmke
Dr. EmmerlichDr. Enders EwenFiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) Gerstl (Passau)GlombigGrunenberg HaehserHansen Frau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerHauckHeistermannHerterich Frau Huber HuonkerJahn JaunichDr. JensJunghans KiehmKirschner Kisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKloseDr. Kübler Kuhlwein Lambinus LeonhartFrau Dr. Lepsius LiedtkeLutzFrau Luuk MeininghausDr. Mitzscherling MöhringMüller Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr. NöbelFrau Odendahl Oostergetelo PauliPeter PfuhlRankerRapp ReimannFrau RengerReuterRohde
RothSander SchlagaDr. Schmidt Frau Schmidt (Nürnberg) Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchulte
Dr. Schwenk SielaffSieler
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. SperlingStiegler Stobbe Frau TerborgTietjen ToetemeyerVahlbergDr. VogelVogelsangWartenberg WeinhoferWestphalFrau WeyelWieczorek Wimmer (Neuötting)Dr. de WithWolfram
DIE GRÜNENBastianFischer FritschFrau HönesFrau Kelly
Senfft Ströbele Tischer Vogel
NeinCDU/CSUFrau AugustinBayhaDr. Becker Dr. BernersBiehleDr. BlensBöhm
Dr. Bötsch BohlBohlsenBoroffkaBrollBrunnerBühler BuschbomCarstensen Dr. CzajaDr. Daniels Frau Dempwolf Dörflinger DolataDr. Dregger EhrbarEngelsbergerErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilckeFrau Fischer Fischer FunkGanz
Frau Geiger Gerlach Gerster (Mainz)Dr. Göhner Dr. Götzer GüntherHaungsHauser HedrichFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. Hennig HinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hüsch Jäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
KalischFrau KarwatzkiKellerKlein
Dr. Köhler KrausKreyDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LammertDr. Langner Dr. Laufs Lemmrich LenzerLink Linsmeier LintnerDr. LippoldLohmann Dr. h. c. LorenzLowackMaaßFrau MännleMaginDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Miltner Dr. Möller Dr. MüllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog Frau Pack Petersen Pfeffermann PfeiferPöpplPohlmannDr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RegenspurgerRepnikDr. RiesenhuberFrau Rönsch
RüheSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) ScharrenbroichScheuSchlottmann Schmidbauervon SchmudeSchneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffSchultz Schulze (Berlin) SchwarzDr. SchwörerSeehofer SeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerDr. SprungDr. Stark Dr. Stavenhagen StraßmeirStücklen SussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. Unland Vogt
Dr. Voigt
Dr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-Zeil Werner
WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannWittmann WürzbachZinkFDPBaumBeckmannCronenberg Eimer (Fürth)
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19090 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Vizepräsident CronenbegEngelhardDr. Feldmann GallusFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. HirschKohnDr.-Ing. Laermann MischnickMöllemannPaintnerSchäfer Frau Dr. Segall Dr. Solmsfraktionslos HandlosEnthaltenDIE GRUNENBuebVolmerFrau Wagner Werner
Damit ist dieser Antrag abgelehnt.Das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6437 zu Tagesordnungspunkt 32 lautet wie folgt: abgegebene Stimmen: 304. Mit Ja haben 17, mit Nein haben 285 Abgeordnete gestimmt. Enthaltungen: 2; ungültig: keine.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 302; davonja: 16nein: 284enthalten: 2JaDIE GRUNENBastian BuebFischer FritschFrau HönesFrau KellyMannRuscheSchmidt
SenfftStröbele TischerVogel VolmerFrau WagnerWerner
NeinCDU/CSUFrau AugustinBayhaDr. Becker Dr. BernersBiehleDr. BlensBöhm Dr. BötschBohlBohlsenBoroffkaBrollBrunnerBühler BuschbomCarstensen Dr. Czaj aDr. DanielsFrau Dempwolf DörflingerDolataDr. DreggerEhrbar EngelsbergerErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilckeFrau FischerFischer FunkGanz
Frau GeigerGerlach Gerster (Mainz)Dr. GöhnerDr. GötzerGünther HaungsHauser HedrichFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHinrichs Hinsken Höffkes HöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hüsch Jäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
KalischFrau KarwatzkiKellerKlein
Dr. Köhler KrausKreyDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. Lammert Dr. Langner Dr. Laufs Lemmrich LenzerLink Linsmeier LintnerDr. LippoldLohmann Dr. h. c. LorenzLowackMaaßFrau MännleMaginDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Miltner Dr. Möller Dr. MüllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog Frau Pack Petersen Pfeffermann PfeiferPöpplPohlmannDr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RegenspurgerRepnikDr. RiesenhuberFrau Rönsch
RüheSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) ScharrenbroichScheuSchlottmann Schmidbauervon SchmudeSchneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffSchultz Schulze (Berlin) SchwarzDr. SchwörerSeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerDr. SprungDr. Stark Dr. Stavenhagen StraßmeirStücklen SussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. Unland Vogt
Dr. Voigt Dr. Waffenschmidt Graf von Waldburg-Zeil Werner (Ulm) WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Wittmann WürzbachZinkSPDAntretter Bachmaier BambergBecker BernrathBerschkeit Frau BlunckBrandtBrückBuckpesch Büchler
Dr. von BülowColletDaubertshäuser Delorme DreßlerDr. Ehmke
Dr. EmmerlichDr. Enders EwenFiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) Gerstl (Passau)Glombig Grunenberg HaehserHansen Frau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerHauckHeistermannHerterich Frau Huber HuonkerJahn JaunichDr. Jens Junghans KiehmKirschner Kisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKloseDr. Kübler Kuhlwein Lambinus Leonhart Frau Dr. Lepsius
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19091
Vizepräsident Cronenberg LiedtkeLutzFrau LuukMeininghausDr. Mitzscherling MöhringMüller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr. NöbelFrau Odendahl OostergeteloPauliPeter
PfuhlPorzner RankerRapp ReimannFrau RengerReuterRohde
RothSander SchlagaDr. Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchulte
Dr. Schwenk SielaffSieler
Dr. Soell Dr. SperlingStiegler Stobbe Frau TerborgTietjen ToetemeyerVahlbergDr. VogelVogelsang Wartenberg WeinhoferWestphalFrau Weyel Wieczorek Wimmer (Neuötting)Dr. de With Wolfram
FDPBaumBeckmannCronenberg Eimer (Fürth)EngelhardDr. FeldmannGallusFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. Hirsch KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann PaintnerSchäfer
Frau Dr. SegallDr. SolmsWolfgramm
fraktionslos HandlosEnthaltenSPDBindigFrau Schmidt
Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Schließlich gebe ich das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6436 zu Tagesordnungspunkt 24 bekannt. Abgegebene Stimmen: 301; ungültig: keine. Mit Ja haben 17, mit Nein 284 Abgeordnete gestimmt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 300; davonja: 16nein: 284JaDIE GRÜNENBastianBuebFischer FritschFrau Hönes Frau Kelly MannRuscheSchmidt
SenfftStröbeleTischerVogel VolmerFrau WagnerWerner
NeinCDU/CSUFrau AugustinBayhaDr. Becker Dr. BernersBiehleDr. BlensBöhm
Dr. Bötsch BohlBohlsen Boroffka BrollBrunnerBühler BuschbomCarstensen Dr. Czaj aDr. DanielsFrau Dempwolf Dörflinger DolataDr. DreggerEhrbar EngelsbergerErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilckeFrau FischerFischer
FunkGanz
Frau GeigerGerlach Gerster (Mainz)Dr. GöhnerDr. Götzer Günther HaungsHauser HedrichFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. HüschJäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
KalischFrau KarwatzkiKellerKlein
Dr. Köhler KrausKreyDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LammertDr. LangnerDr. Laufs LemmrichLenzerLink LinsmeierLintnerDr. LippoldLohmann Dr. h. c. LorenzLowack MaaßFrau MännleMaginDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Miltner Dr. Möller Dr. Müller Müller
Müller
Müller
NelleFrau Dr. NeumeisterNiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog Frau Pack Petersen Pfeffermann PfeiferPöpplPohlmannDr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RegenspurgerRepnikDr. RiesenhuberFrau Rönsch
RüheSauer
Sauer
SaurinSauter
Sauter ScharrenbroichScheuSchlottmannSchmidbauervon SchmudeSchneider
Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffSchultz
Schulze
SchwarzDr. SchwörerSeehofer SeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenStraßmeir Stücklen SussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. Unland Vogt
Dr. Voigt
Dr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-Zeil Werner
WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannWittmann WürzbachZinkSPDAntretter Bachmaier Bamberg Becker
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19092 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Vizepräsident Cronenberg BernrathBerschkeitBindigFrau Blunck BrandtBrückBuckpeschBüchler Dr. von Bülow ColletDaubertshäuser DelormeDreßlerDr. Ehmke
Dr. Emmerlich Dr. EndersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) Gerstl (Passau)GlombigGrunenberg HaehserHansen
Frau Dr. HartensteinDr. Hauchler HauckHeistermann HerterichFrau Huber HuonkerJahn JaunichDr. JensJunghansKiehmKirschnerKisslingerKlein Dr. Klejdzinski KloseDr. KüblerKuhlweinLambinusLeonhartFrau Dr. LepsiusLöfflerLutzFrau LuukMeininghausDr. Mitzscherling MöhringMüller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr. NöbelFrau Odendahl Oostergetelo PauliPeter PfuhlPorznerRankerRapp ReimannFrau Renger ReuterRohde
RothSanderSchlagaDr. Schmidt Frau Schmidt (Nürnberg) Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. Schmude Dr. SchöfbergerSchulte
SielaffSieler
Dr. SoellDr. Sperling StieglerStobbeFrau Terborg TietjenToetemeyer VahlbergDr. VogelVogelsang Wartenberg WeinhoferWestphalFrau Weyel Wimmer
Dr. de With Wolfram
FDPBaumBeckmannCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardDr. Feldmann GallusFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. HirschKohnDr.-Ing. Laermann MischnickMöllemannPaintnerSchäfer Frau Dr. Segall Dr. SolmsWolfgramm
fraktionslos HandlosDer Antrag ist abgelehnt.Bevor wir mit dem nächsten Tagesordnungspunkt fortfahren, lasse ich noch über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen auf Drucksache 10/5253 — das betrifft den Tagesordnungspunkt 24 — abstimmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses bei einigen Enthaltungen und Gegenstimmen angenommen worden.Meine Damen und Herren, nun kommen wir zum Tagesordnungspunkt 34:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
zu dem Antrag der Fraktion der SPD Bekämpfung des erworbenen Immun-Mangel-Syndroms
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDPMaßnahmen gegen AIDS— Drucksachen 10/4071, 10/4516, 10/6299 —Berichterstatter:Abgeordnete DolataEimer
Frau Schmidt Frau WagnerMeine Damen und Herren, zunächst einmal hat der Berichterstatter Dolata das Wort erbeten. Herr Berichterstatter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um so aktuell wie möglich zu sein, haben wir Berichterstatter nach der Formulierung und Beschlußfassung im Ausschuß vor 14 Tagen weitere Gespräche geführt und bitten, in der Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/6299 einen Begriff dreimal auszutauschen. Da ist dreimal die Rede von „Hauptrisikogruppen". Wir bitten, jeweils von „Hauptgefährdetengruppen" zu sprechen und die Beschlußempfehlung nachher entsprechend abzufassen.
Danke schön.
Danke schön. — Entgegen den Wünschen des Präsidiums, aber einstimmig haben mich die Geschäftsführer gebeten, daß keine Reden zu diesem Punkt gehalten werden.
— Also, dann ist — mir ist das anders mitgeteilt worden — die Sache klar. Dies entspricht auch den Wünschen des Präsidiums.
— Ja, das ist völlig klar.
— Die letztendliche Bestimmung des Plenums über unsere Geschäftsordnung wird auch vom Präsidium nicht angezweifelt, meine Damen und Herren.
Die Souveränität des Hauses ist unbestritten.Angesichts dieser veränderten Sachlage möchte ich dann bitten, daß die CDU/CSU mir mitteilt, wer für sie das Wort ergreifen möchte. — Herr Dolata, dann haben Sie das Wort.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19093
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! AIDS hat Menschen inzwischen weltweit in Angst versetzt. Angst ist allerdings kein guter Ratgeber. Das haben wir in allen Beratungen immer wieder gesagt. Kein Zweifel aber auch, daß dieses neue Krankheitsbild ernstgenommen werden muß, ernstgenommen wird — und das auch von uns Politikern.
Deshalb hat die CDU/CSU gemeinsam mit der FDP einen Antrag hier im Deutschen Bundestag eingebracht. Deshalb haben wir im Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit über die gesamte Problematik mehrfach ausführlich gesprochen. Deshalb haben wir eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Deshalb haben wir uns vor Ort durch Gespräche mit Betroffenen, mit Selbsthilfegruppen, mit Ärzten, mit Forschern, mit Krankenhäusern, ihrem Personal, mit Wohlfahrtsverbänden und vielen anderen persönlich und eingehend informiert.
Erfreulicherweise gibt es bei dem, was hier zu tun ist, weitgehende Übereinstimmung, auch zwischen der Koalition und der Opposition. Deshalb haben wir interfraktionell verabredet, eine gemeinsame Beschlußempfehlung vorzulegen. Trotzdem bleiben einige Punkte, die weiterhin unterschiedlich gesehen und gewichtet werden, z. B. Punkt 3 des Koalitionsantrages. Wenn wir uns nun nicht darauf verständigt haben, diesen Prüfauftrag in unsere Beschlußvorlage aufzunehmen, so ist das kein Beinbruch. Wir gehen davon aus, daß die Bundesregierung unserer Bitte selbstverständlich entsprechen wird. Dann werden wir ja hören und lesen, was die Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern tun kann, um über die bisher üblichen freiwilligen HIV-III-Tests bei bestimmten Personengruppen hinaus die AIDS-Erkrankung im Zusammenhang mit dem Katalog anderer zu überprüfender Krankheiten zu erkennen, zu überprüfen und einzudämmen, vor allem, welche Folgerungen und Maßnahmen bei einem positiven Testergebnis zu ziehen sind, bis hin zu einem entsprechenden Betätigungsverbot, einschließlich flankierender Maßnahmen wie Vermittlung von Wohnraum und Arbeitsplätzen.
AIDS hat dazu geführt, daß die Bedeutung einfacher Vorbeugemaßnahmen wie Aufklärung der Bevölkerung und Beratung der Betroffenen wiederentdeckt wurde. Wir kennen mittlerweile Verfahren, infizierte Personen durch Tests zu identifizieren. Wir kennen die Übertragungswege, und wir kennen die Hauptgefährdetengruppen. Was wir nicht wissen, ist, wie die Krankheit, einmal zum Ausbruch gelangt, wirksam therapiert werden kann. Doch auch da zeigen sich Ansätze.
Gemäß allen bisher vorliegenden Erkenntnissen und Erfahrungen mit diesem Virus liegen die Schwerpunkte politischen Handelns auf den Bereichen Forschungsintensivierung, Aufklärung und Vorbeugung gegen Ansteckung. Bis ein Impfstoff gegen AIDS gefunden ist — und das kann noch Jahre, wird aber hoffentlich nicht Jahrzehnte dauern —, liegen in den Bereichen Aufklärung und Beratung die Aufgaben für alle, die für die AIDS-Problematik Verantwortung tragen.
Im Hinblick auf die Aufklärung kommt den Selbsthilfegruppen eine sehr wichtige Aufgabe zu. Vor allem die in der Deutschen AIDS-Hilfe zusammengeschlossenen regionalen Organisationen können vor Ort situationsgerecht den infizierten Personen, den Risikogruppen und allen Ratsuchenden wertvolle Hinweise sowie aufklärende, Angst vermindernde Ratschläge erteilen. Allen in solchen Gruppen Tätigen sei an dieser Stelle besonders für ihre engagierte Arbeit und Hilfe gedankt.
AIDS geht jeden an. „AIDS, das vermeidbare Risiko", unter diesem Motto stand in der vergangenen Woche eine Tagung in Berlin, veranstaltet vom Senator für Gesundheit und Soziales, mit Unterstützung des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit; auch ein Beweis dafür, daß Politiker begriffen haben, daß alle Mittel, die heute für Information und Vorbeugung eingesetzt werden, sich hundertfach bezahlt machen, nicht nur im materiellen, sondern vor allem im menschlichen Sinn.
Wir haben versucht, das nicht nur in der vorliegenden Beschlußempfehlung zu berücksichtigen, sondern auch für den Haushalt 1987 das Nötige zu tun. Am Geld kann und wird nichts scheitern.
Medizinische Fachliteratur gibt es ausreichend, und zunehmend befassen sich Sozialwissenschaftler mit der gesellschaftlichen Dimension dieser Krankheit. Sich mit AIDS zu befassen heißt immer auch, sich auf individuelle Einzelschicksale einzulassen. In diesem Sinn wird jeder von der Krankheit betroffen. Nicht nur die AIDS-Patienten und nicht nur die mit AIDS-Virus Infizierten sind von dieser Krankheit bedroht, sondern jeder als Teil unseres Gemeinwesens. Wie eine Gesellschaft mit der Krankheit und den von ihr Betroffenen umgeht, ist ein Prüfstein für ihre Menschlichkeit.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will gleich an den Anfang eine Bemerkung stellen und damit etwas aufgreifen, was Sie, Herr Dolata, eben gesagt haben. Wir sind in der Tat vielen, vielen Menschen zu Dank verpflichtet, die sich hier um die Betroffenen kümmern und ihnen helfen. Aber ich hoffe, daß wir nicht nur verbal hier von dieser Stelle aus Dank sagen, sondern daß auch die Bundesregierung bei ihren Forderungen darauf achtet, daß nicht kleinlich formalistische Hindernisse aufgerichtet werden, um diese Arbeit vernünftig leisten zu können.
Ich will aber zugleich meiner großen Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß dieser Deutsche Bundestag am 13. November, also mitten im Bundestagswahlkampf, in der Lage ist, ein Thema wie dieses frei von Parteienstreit zu behandeln. Ich glaube, daß das ein großes Zeichen für uns ist; denn hier handelt es sich um eine Herausforderung, der
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19094 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Jaunichwir zu begegnen haben und die nicht unter parteipolitischer Polarisierung leiden darf.
Gegenstand unserer heutigen Erörterung ist die vorgelegte Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, mit der nicht nur der Versuch unternommen, sondern auch erfolgreich praktiziert wurde, daß wir aus den Anträgen meiner Fraktion und den Anträgen der Koalitionsfraktionen ein gemeinsames Ganzes erarbeitet haben. Das liegt im Interesse der Menschen, um die es hier geht, und das liegt im Interesse einer wirksamen AIDS-Bekämpfung, soweit wir dazu derzeit in der Lage sind. Ich begrüße es, daß wir zu einer gemeinsamen Auffassung finden konnten und daß es uns insbesondere möglich war, gemeinsam auf den Einsatz seuchenpolitischer Instrumente, wie sie im Bundes-Seuchengesetz vorgesehen sind, zu verzichten.Ich begrüße es insbesondere, daß sich alle Fraktionen dieses Hauses einig sind, auf eine Meldepflicht nach den Bestimmungen des Bundes-Seuchengesetzes oder des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten zu verzichten. Ich hoffe sehr, daß diese gemeinsame Haltung Bestand hat; denn wir wissen, daß wir angesichts der Dimension, die diese Krankheit erlangt hat und weiter erlangen wird, von vielen bedrängt werden. Wenn man sich aber über das Instrumentarium im Bundes-Seuchengesetz oder im Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten im klaren ist, dann ist es für den, der kundig ist, gar keine Frage, daß man darauf nicht zurückgreifen kann. Denn die Meldepflicht hat nach unseren einschlägigen Gesetzen eine doppelte Funktion: Sie soll den betroffenen Erkrankten als Infektionsquelle bekanntmachen und somit die Möglichkeit zum gezielten Einsatz therapeutischer Maßnahmen geben. Ziel ist dabei, den Erkrankten zu heilen oder, wo eine kausale Therapie nicht möglich ist, ihn für die Zeit, in der er Infektionsträger ist, also bis zur Ausheilung, zu isolieren. Um dies sicherzustellen, sind notwendigerweise auch Zwangsmaßnahmen in diesen Gesetzen vorgesehen. Weiterhin soll die Meldepflicht dazu beitragen, über den bekanntgemachten einzelnen Kranken den Weg zur ursprünglichen Infektionsquelle zurückzuverfolgen, damit dort mit entsprechenden therapeutischen und hygienischen Maßnahmen angesetzt werden kann.Aus dieser so gearteten Aufgabe der Meldepflicht folgt, daß sie immer eine namentliche Meldepflicht sein soll, daß nicht die Meldung das Entscheidende bei der Bekämpfung der Infektionskrankheit ist, sondern die auf die Meldung folgende erfolgreiche Therapie; denn Kranke werden nicht durch das Melden gesund, sondern durch das Therapieren. Bei AIDS haben wir keine Therapie verfügbar. Von daher muß der Weg einer namentlichen Meldepflicht ein Weg sein, der in die Irre geht. Ich bin froh, daß wir uns darauf haben verständigen können, und sage noch einmal: Ich hoffe, daß dies auch für die Zukunft eine tragfähige Grundlage ist.Was bleibt also für uns zu tun? Wir müssen aufklären, aufklären und noch einmal aufklären. Gerade weil wir über die Aufklärung zwischenzeitlich haben bewirken können, daß die Menschen begriffen haben, daß fast ausschließlich Sexualkontakte zur Übertragung führen, müssen wir also nicht weitergehende Dinge überlegen. Dadurch ist es uns gelungen, der Hysterie Einhalt zu gebieten, die teilweise um sich gegriffen hatte, als es noch weitestgehend unbekannt war, auf welchem Wege die Übertragungen stattfinden. Wir haben auch für die Zukunft dafür zu sorgen, daß Hysterie nicht Platz greift. Wir haben darüber hinaus unseren Beitrag zur Forschung zu leisten. Die Anträge, die hier dem Parlament vorlagen, richten sich darauf, die Forschung wirksam zu unterstützen, zu fördern, zu koordinieren und entsprechende Finanzmittel für die Aufklärung bereitzustellen.Meine Damen, meine Herren, in den letzten Tagen ist uns von Betroffenen und den Menschen, die sich im speziellen darum kümmern, signalisiert worden, daß der gewählte Terminus ,,Hauptrisikogruppen" aus ihrer Sicht als Diskriminierung empfunden wird. Um den Konsens, der erzielt worden ist, nicht zu gefährden, war eine Korrektur in den wenigen Stunden nicht mehr möglich. Ich sage für meine Fraktion: Dies ist nicht diskriminierend gemeint. Wir sollten hier nicht allzuviel Wert auf die Semantik legen. Die Hauptsache ist: Die entsprechenden Maßnahmen werden eingeleitet und fortgeführt. Durch unser Wollen, manifestiert in der vorliegenden Beschlußempfehlung, denken wir nicht daran, von dieser Krankheit Betroffene zu diskriminieren. Ganz im Gegenteil: Ihnen gilt unser Mitgefühl. Ich drücke die Hoffnung aus, daß durch eine Konzentration im Forschungsbereich baldmöglichst Therapiemöglichkeiten gefunden werden können, damit wir diese große Herausforderung, der wir uns zu stellen haben, auch wirksam begegnen können.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Bundestag lagen zwei Anträge zur Bekämpfung von AIDS vor. Ich gestehe, daß ich dafür dankbar bin, daß dieses Thema aus dem parteipolitischen Hickhack herausgehalten werden konnte, wie diese Debatte bisher auch zeigte, und daß eine einheitliche Entschließung möglich war.Wer sich mit dieser Krankheit näher beschäftigt, findet — jedenfalls auf den ersten Blick — zwei einander scheinbar widersprechende Erkenntnisse vor. Zum ersten: Diese Seuche ist schlimmer und gefährlicher, als manche meinen. Zweitens: Die Ansteckungsgefahr ist bei normalem Kontakt wesentlich geringer, als die meisten Menschen befürchten. Das heißt, wir müssen diese Krankheit zwar sehr ernst nehmen und deutlich vor ihr warnen, aber gleichzeitig darauf hinweisen, daß für eine Hysterie überhaupt kein Anlaß besteht.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19095
Eimer
Zum Inhalt des gemeinsamen Antrags will ich jetzt nicht Stellung nehmen, denn jeder kann den Antrag lesen, und dem, was meine Vorredner dazu gesagt haben, kann ich mich nur anschließen.Betonen muß ich allerdings, daß sich die Entwicklung der Seuche und die Erkenntnisse darüber außerordentlich schnell verändern. Was heute Erkenntnis ist, ist morgen vielleicht überholt. So stellen wir fest, daß zunehmend mehr Personen über normalen Geschlechtsverkehr, also nicht durch Angehörige der Risikogruppen, angesteckt werden. In New York z. B. sollen es 37% sein, in Haiti 90%, und in Berlin fand man unter 853 untersuchten Schwangeren 5, die HIV-Viren im Blut hatten, ohne daß sie oder ihre Männer zu den sogenannten Risikogruppen gehörten.Ein neuer Virus wurde entdeckt, über den wir noch nichts wissen. Wir wissen also nicht, was noch auf uns zukommt. Wir können nicht vorgeben, daß wir unsere Entscheidung mit großer Sicherheit treffen, und ich gebe zu, daß ich eigentlich Angst vor einer falschen Entscheidung habe.Obwohl wir gegen eine Meldepflicht sind, will ich nicht verschweigen, daß es eine Reihe von Argumenten gegen die Meldepflicht gibt, die ich nicht für stichhaltig halte. So wird behauptet, es gebe keine Mittel gegen AIDS, und man könne AIDSKranke nicht lebenslang isolieren. Nun ist aber die Meldepflicht gerade für solche Krankheiten vorgesehen, die nicht heilbar sind und deswegen durch seuchenhygienische Maßnahmen kontrolliert werden müssen, ohne daß deswegen jemand lebenslang isoliert sein müßte. Das galt z. B. sehr lange für Syphilis. Heute ist die Meldepflicht für Syphilis eigentlich überflüssig, weil diese Krankheit schnell und sicher heilbar ist. Wäre das auch bei AIDS der Fall, wäre eine Diskussion über die Meldepflicht überflüssig.Es wird behauptet, im Intimbereich gebe es keine Kontrollmöglichkeiten. Das ist zwar richtig, aber es trifft auch bei Syphilis zu, und trotzdem wurde versucht, diese Seuche durch eine Meldepflicht einzugrenzen.Es wird behauptet, bei einer Meldepflicht würden die Betroffenen untertauchen, entzögen sich einer Überwachung und seien nicht mehr zu betreuen. Dieses Argument ist richtig, und es ist auch in der Begründung aufgeführt, aber es trifft z. B. bei Prostituierten nicht zu, denn auch hier kann das Beispiel der Syphilis angeführt werden. Bei einer Meldepflicht können sich die Kunden nämlich entscheiden, ob sie in Eros-Center gehen, die kontrolliert werden und bei denen die Risiken geringer sind, oder ob sie Kontakt mit unkontrollierten Prostituierten suchen, wo die Risiken unkalkulierbar größer sind. Der Markt regelt nicht nur über Geld, sondern auch über Angst.Ich halte es für falsch und für gefährlich, derartige Argumente zu benutzen, die nicht logisch und nicht stichhaltig sind; sie können zum Gegenteil dessen führen, was wir eigentlich wollen.Warum sind wir, die FDP, dennoch gegen eine Meldepflicht, auch bei Prostituierten? Ich möchte betonen, daß ich dieses Beispiel bewußt angeführt habe, weil ich meine, daß wir dann, wenn wir die Meldepflicht verhindern wollen, nicht mit falschen Argumenten kommen dürfen. Ich will unsere Argumente kurz zusammenfassen:Da ist zunächst ein sehr formaler Grund. Wir Parlamentarier müssen uns auf die übereinstimmende Meinung der allermeisten Experten verlassen. Wir müssen weiter feststellen, daß die Vorsorge auf freiwilliger Basis mit außerordentlich großer Motivation betrieben wird, daß Zwangsmaßnahmen nicht besser, sondern schlechter wären und daß bei normalem Kontakt Ansteckungsgefahren nach dem heutigen Erkenntnisstand nicht bestehen.Ich gestehe auch, daß ein Grund für die Ablehnung der Meldepflicht die Angst vor der neuen Diffamierung einer Gruppe, nämlich der Homosexuellen, ist, ohne daß den anderen wirksam geholfen werden könnte. Solange Selbsthilfegruppen funktionieren und solange wir nicht viel mehr als Aufklärung betreiben können, sind wir auch froh, daß die Experten uns von einer Meldepflicht abraten. Wir wollen nicht durch eine Meldepflicht die hohe Motivation und den großen Einsatz vieler Freiwilliger, denen ich von dieser Stelle aus ausdrücklich danken möchte, zerstören.Ich möchte noch einmal betonen: Das Nein gilt nach dem heutigen Erkenntnisstand. Morgen können neue Erkenntnisse kommen, die neue Maßnahmen erforderlich machen. Eines werden wir jedoch nicht zulassen, daß Hysterie oder Angst eine Treib-j agd auf bestimmte Gruppen hervorrufen, daß bestimmte Personengruppen diffamiert werden. Menschenwürde darf auch bei solch bösartigen Krankheiten, bei derartigen Gefährdungen nicht vergessen werden.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Rusche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meinen Kollegen Vorrednern für ihre Ausführungen danken. Auf Herrn Eimer möchte ich in zwei Punkten kurz eingehen. Ich finde es nicht in Ordnung, so über Meldepflicht zu sprechen, wie Sie es im Zusammenhang mit den Bordellen getan haben, die Prostituierten zu kontrollieren und sie ständig den Gefahren auszusetzen, daß sie von irgendwelchen Freiern infiziert werden. Wenn irgendwelche Kontrollen, dann wirklich bei allen oder gar nicht. Die Freier sind eine Gefahr für die Prostituierten, genau wie die Prostituierten eine Gefahr für die Freier sein könnten! Von daher ist es etwas unsinnig. Jeder Mensch muß sich vor dieser Krankheit schützen. Er muß sich davor schützen, sie weiterzugeben, und er muß sich davor schützen, sie zu bekommen.
Sie gestatten eine Zwischenfrage?
Gerne.
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19096 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Herr Kollege, bitte sehr.
Herr Kollege, haben Sie vielleicht meine Rede nicht ganz richtig verstanden? Ich habe mich auch bei Prostituierten gegen eine Meldepflicht ausgesprochen. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ich selbstverständlich auch Ihrer Meinung bin, daß die Gefahr für Prostituierte in erster Linie von den Freiern kommt.
Sie haben aber die Eventualität genannt, daß geprüfte und getestete Etablissements vielleicht lieber gesehen würden. Ich habe natürlich nicht unterstellt, daß Sie das wollten.
Auf der internationalen AIDS-Tagung in Berlin letzte Woche äußerte ein AIDS-Kranker zwei Wünsche, die ihm im Zusammenhang mit seiner Krankheit wichtig sind: ein Heilmittel und Akzeptanz. Wie wir wissen, ist ein Heilmittel für diese furchtbare Krankheit noch nicht in Sicht. Daran arbeitet die Forschung aber, die bereits unterstützt wird und künftig in vermehrtem Umfange von allen Zuständigen unterstützt werden sollte.
Der zweite Wunsch, die Akzeptanz, ist hier und jetzt erfüllbar. Wichtig im Zusammenhang mit der Akzeptanz ist die sachliche Aufklärung, um unbegründete Angst und Verunsicherung der Bevölkerung zu verhindern. Aufklärung ist überhaupt das einzige Mittel — da hilft kein Test, da gibt es keine anderen Mittel —, das im Zusammenhang mit dieser Krankheit vorbeugend helfen kann. Die Aufklärung von Gefährdeten muß daher weiter ausgebaut werden. Hier sind in dankenswerter Weise bereits die Deutsche AIDS-Hilfe und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung tätig geworden.
Die hier zu verabschiedende Beschlußempfehlung steckt voller Richtigkeiten. Das sieht auch unsere Fraktion, und wir werden dieser Beschlußempfehlung zustimmen. Leider ist die Formulierung oft so, daß manche der Menschen, die sich mit dem Problem beschäftigt haben, Grund zu Befürchtungen haben können, daß sich die Politiker einige Türchen zu restriktiven Maßnahmen offengelassen haben. Hoffen wir, daß es nicht so ist.
In einem anderen Punkt ist die Beschlußempfehlung unvollständig. Es ist von Selbsthilfegruppen die Rede, und man läßt damit die Hilfegruppen außer acht. In diesen Hilfegruppen arbeiten ähnlich wie beim Roten Kreuz oder beim Arbeiter-Samariter-Bund und alle die mit, die helfen wollen. Von daher sind es keine Selbsthilfegruppen, sondern Hilfegruppen, in denen auch Bürger, die sich nicht konkret gefährdet sehen, mitarbeiten.
Außerdem enthalten die Empfehlungen und der Bericht Formulierungen, die schon etwas veraltet sind. Wir haben kurz darüber gesprochen. Leider wird auch sonst noch in verschiedenen Publikationen über Risikogruppen gesprochen, wobei es sich nach Meinung von Experten um eine unkorrekte Übersetzung aus dem Englischen handelt. Es wäre wirklich besser, wenn man das Wort „Hauptgefährdetengruppen" dafür nähme. Aber selbst von Hauptgefährdetengruppen kann eigentlich schon nicht mehr die Rede sein, da den Menschen, die sich mit dieser Krankheit ernsthaft beschäftigt haben, klar ist, daß riskantes Verhalten zu einer Ansteckung mit HIV führen kann, nicht in erster Linie die Mitgliedschaft in einer Risiko- oder Betroffenen- oder Gefährdetengruppe. Viren haben keine sexuelle Präferenz oder irgendwie geartete Affinitäten zu irgendwelchen Minderheiten. Auch der Bundestag ist eine gefährdete Gruppe.
Abschließend möchte ich bemerken, daß die Aufklärung erste Erfolge zeigt. Mehr und mehr Menschen nehmen Abstand von riskantem Verhalten, um eine Infizierung zu vermeiden. Dies zeigt sich besonders im drastischen Rückgang der klassischen Geschlechtskrankheiten, der seit dem Bekanntwerden der Infektionskrankheit AIDS festzustellen ist.
Auf jeden Fall möchte ich dieser Beschlußempfehlung noch folgendes anfügen: Restriktive Maßnahmen, Meldepflicht, Zwangstests, wie diese verschiedentlich in München und Frankfurt schon zu verzeichnen waren, sind nur dazu geeignet, alles bisher Erreichte zunichte zu machen und einen vernünftigen Umgang mit dieser Krankheit zu verhindern.
Ich danke.
Bevor ich über die Beschlußempfehlung des Ausschusses abstimmen lasse, möchte ich dem Hause bekanntgeben, daß ich mich damit einverstanden erklärt habe, daß die Rede der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Karwatzki mit Rücksicht auf die späte Stunde und die noch vor uns liegenden Tagesordnungspunkte ausnahmsweise zu Protokoll gegeben wird.*)
Dann lasse ich über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 10/6299 abstimmen. Wer für diese Beschlußempfehlung ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Einsichtsrecht in Umweltakten
— Drucksache 10/5884 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
RechtsausschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHier ist eine Aussprache von 30 Minuten vereinbart worden.*) Anlage 3
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19097
Vizepräsident CronenbergIch gebe das Wort zunächst dem Abgeordneten Fritsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf meiner Fraktion über ein Einsichtsrecht in Umweltakten zielt im wesentlichen auf drei Punkte einer Weiterentwicklung demokratischen und rechtsstaatlichen Handelns.Erstens. Es ist vier Jahrzehnte nach dem Beginn des Versuchs, eine demokratische Gesellschaftsordnung aufzubauen und weiterzuentwicklen, an der Zeit, die Verwaltung aus der Situation des Blühens im Verborgenen herauszuholen und diesen Kernbereich exekutiven Handelns transparent und damit der Kontrolle durch die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zugänglich zu machen. Dieser Entwurf ist im deutschen Rechtsbereich der allererste Versuch überhaupt, ein allgemeines Recht auf Einsicht in Akten zu schaffen und zu regeln. Er ist — das darf ich hier ruhig einmal sagen — ein Meilenstein auf dem Weg einer Gesellschaft, die sich nur mit großer Mühe aus ihrer langen Geschichte obrigkeitsstaatlicher Haltungen löst und den nicht leichten Weg der Demokratisierung, auch gegen alle Widerstände von rechts, geht und gehen will
und die dabei dem Machtfaktor Verwaltung größte Aufmerksamkeit widmen muß, wenn sie auf diesem Weg nicht stehenbleiben oder gar Rückschläge erleiden will.Verwaltung mit ihrer hohen Konzentration an Sachverstand und damit Herrschaftswissen kommt in einer wohlverstandenen Demokratie dienende Funktion zu und darf sich weder zur einseitigen Vertretung von Interessen noch zur Verdunkelung ihrer Tätigkeit mißbrauchen lassen.
Zweitens. Wir zielen mit diesem Gesetzentwurf auf den Anschluß des deutschen Verwaltungsrechts an die internationale rechtsstaatliche Entwicklung zu mehr Transparenz und Kontrollierbarkeit der Verwaltung. So ist in vielen anderen Staaten das Prinzip der Aktenöffentlichkeit bereits Gesetz
und teils lange praktizierte Verwaltungstradition, ohne daß die Aufgabenerfüllung der öffentlichen Verwaltung daran Schaden genommen hätte. Zu diesen Staaten gehören Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark, die USA, Frankreich, die Niederlande und Kanada, um nur einige zu nennen. Wir greifen mit diesem Entwurf auch die Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom Februar 1979 auf, in der alle Mitgliedstaaten aufgefordert wurden, ein Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Einsichtnahme in behördliche Unterlagen zu schaffen.Drittens — das ist ein ganz wesentlicher Punkt — zielt der Entwurf auf die Herstellung eines durchsetzbaren Anspruches der Bevölkerung auf den Zugang zu behördlichem Wissen als Voraussetzung, ihrem Willen zur Gestaltung der Verhältnisse, von denen sie betroffen werden oder betroffen werden können, Geltung zu verschaffen. Wir haben uns dabei auf den Umweltbereich beschränkt, weil hier ein besonders dringendes Bedürfnis an Zugänglichkeit besteht.
Nicht erst die Erfahrungen nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl haben gezeigt, daß Verwaltung ihren Wissensvorsprung nicht — zumindest nicht immer — zu einer Aufklärung der Bevölkerung nutzt, sondern daß wichtige Informationen unveröffentlicht bleiben und daß widersprüchliche oder unverständliche Auskünfte erteilt werden. Wir müssen leider registrieren, daß in den letzten Jahren im Umweltbereich insgesamt in einer Vielzahl von Fällen zuständige Behörden ihnen bekanntgewordene Umweltgefährdungen und sogar Rechtsverstöße jahrelang tatenlos hingenommen haben.Die verheerende Situation unserer Umwelt — Waldsterben, vergiftete Böden, Smog über den Großstädten, die Nordsee als chemische Müllkippe, verseuchte Flüsse; das sind nur einige Beispiele — erfordert zwingend, daß die Bürgerinnen und Bürger neben den Parteien ihren politischen Kontrollund Gestaltungsanspruch gegenüber der Exekutive durchsetzen können und damit auch der unheilund skandalvollen Allianz von Wirtschaft, Verwaltung und oft auch der jeweiligen parlamentarischen Mehrheit, sei es in Bund, Ländern und Gemeinden, ein Ende bereiten können.
Dazu gehört auch, daß die Industrie verpflichtet wird, ihre umweltrelevanten Planungen und Daten öffentlich zu machen, damit Art und Umfang umwelt- und gesundheitsgefährdender Produktion in einer demokratischen Öffentlichkeit erörtert, beeinflußt und, wo nötig, auch verhindert werden kann. Daß dabei eine Einschränkung zugunsten des Schutzes personenbezogener Daten vorgesehen ist, ist für uns selbstverständlich.
Ich möchte in diesem Zusammenhang aus aktuellem Anlaß noch eines sagen: Nach den uns vorliegenden Informationen, die ja inzwischen auch in der Presse berichtet worden sind, hat die Zürich-Versicherung im Jahre 1981 die Verantwortlichen der Firma Sandoz in Basel auf schwerwiegende Sicherheitsmängel aufmerksam gemacht und den Abschluß einer Betriebshaftpflichtversicherung abgelehnt. Wenn dann ein deutsches Versicherungsunternehmen unter diesen Umständen in das Geschäft einsteigt, ist das ein Skandal erster Kategorie und eine Verhöhnung aller Bemühungen — auch hier im Hause — um Verbesserung unserer Umwelt.
Ich möchte abschließend sagen: Wir GRÜNEN gehen mit diesem Gesetzentwurf auf dem Weg der Verwirklichung von Kontroll- und Gestaltungsansprüchen der Bürgerinnen und Bürger, die für eine demokratische Ordnung unverzichtbar sind, weiterhin voran und lassen uns dabei auch von nieman-
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19098 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Fritschdem überholen. Die Bürger- und Freiheitsrechte in diesem Land sind bei uns in guten Händen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
— Oh nein, wir sind eine ganze Reihe von Liberalen, wie Sie sehen.Wegen der fortgeschrittenen Zeit und auch wegen der fortgeschrittenen Legislaturperiode werde ich mich auf wenige Bemerkungen beschränken und sage, da das Manuskript verteilt ist: Es gilt auch das geschriebene Wort.Der Gesetzentwurf ist zweifellos interessant. Was mich am meisten an ihm stört, ist, daß Sie sich mit der Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle überhaupt nicht auseinandergesetzt haben. In der Begründung steht von der Möglichkeit der Wirkung parlamentarischer Kontrolle überhaupt nichts.Sie versuchen, gleichzeitig zwei Probleme zu lösen. Das eine ist die Frage der Öffentlichkeit oder der Veröffentlichung von Akten auch gegenüber Nichtbetroffenen, also gegenüber jedermann. Die weitestgehenden Erfahrungen, die man damit gemacht hat, kann man in den Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit dem Freedom of Information Act beobachten. Wir haben uns dort im Justizministerium darüber im einzelnen informiert. Das Problem liegt darin: Nicht nur, daß enorme Kosten entstehen — darüber kann man j a reden —, um auseinanderzuhalten, in welchen Fällen ein allgemeines Informationsinteresse da ist und inwieweit in einzelnen Akten die privaten Daten von einzelnen Betroffenen oder auch von Unternehmen enthalten sind, die man nicht aufdecken kann. Das macht enorme Kosten.Aber das Entscheidende ist, daß von dieser Möglichkeit der Einsichtnahme nicht die breite Offentlichkeit, sondern weitestgehend Interessenverbände Gebrauch gemacht haben, die auf diese Weise die innere Willensbildung der Verwaltungen zu sehen und damit ein enormes Übergewicht über die Verwaltungen bekommen. Das ist die Frage, die man bei dieser Überlegung beantworten muß: ob man will, daß die Interessenverbände, die Interessentenverbände gerade in dem Bereich, den Sie ansprechen, gegenüber den Möglichkeiten der Verwaltung einen außerordentlichen Vorsprung bekommen. Denn sie können die Vorgänge in der Verwaltung sehen, aber die Verwaltung kann nicht die Vorgänge bei den Unternehmen sehen. Wollen wir das? Das ist die erste Frage.Es ist zweifellos richtig, daß die Öffentlichkeit von Akten in den Vereinigten Staaten größer ist als bei uns. Wir haben uns überlegt, ob man nicht z. B. den Weg gehen könnte, das Akteneinsichtsrecht derparlamentarischen Vertretungen — sei es in der Kommune, im Land oder im Bund — zu erweitern, zu verbessern, die Einsicht zu erleichtern. Aber wir sind mit diesen Überlegungen noch nicht zu einem Abschluß gekommen.Der zweite Punkt, den Sie zu lösen versuchen, betrifft die Frage, ob man umweltrelevante Vorgänge durch öffentlichen Druck verbessern kann. Also die Szene zum Tribunal machen. Auch da gibt es zweifellos Länder, in denen die Öffentlichkeit einen größeren Anteil an umweltrelevanten Vorgängen nimmt als bei uns. Ich habe in einzelnen Städten Japans gesehen, daß Emissionswerte von Unternehmen veröffentlicht, der breiten Offentlichkeit bekanntgemacht werden.
Der Stolz der beteiligten Unternehmen ist sehr hoch, wenn ihre Werte vernünftig sind. Der Stolz ist also da. Das wird beachtet, das wird bewertet.Mir fällt in Ihrer Begründung auf, daß Sie das Vollzugsdefizit, das man sehen kann, mit einer finsteren Verschwörung zwischen Verwaltung auf der einen Seite und Unternehmen auf der anderen Seite erklären. Das ist einseitig, und das wissen Sie. Wir wissen aus der Praxis — das wird Ihnen Herr Fischer bestätigen können —, daß es in weitem Umfang Vereinbarungen gibt zwischen Verwaltungen auf der einen Seite und Unternehmen auf der anderen Seite, die über die gesetzlichen Regelungen weit hinausgehen, die sie zu einem Teil überhaupt erst praktikabel machen. Denken Sie z. B. an große technische Veränderungen in den Stahlwerken in den letzten zehn, 15 Jahren, die alle ohne solche Schritt-für-Schritt-Vereinbarungen zwischen Verwaltungen auf der einen Seite und Unternehmen auf der anderen Seite überhaupt nicht möglich gewesen wären. Das ist ein Problem.Wenn Sie nun auf der anderen Seite solche Vereinbarungen mit allen technischen Details, die dazugehören, zur Veröffentlichung freistellen, dann werden — die Befürchtung habe ich; das muß man prüfen — die Unternehmen in weit größerem Maße als bisher zurückhaltend sein und gar nicht daran denken, solche Vereinbarungen zu schließen, weil sie damit rechnen müssen, daß auch ihre ganzen Produktionsvorgänge — auch die betrieblichen Geheimnisse, die es gibt — in die Öffentlichkeit gelangen.
Das ist, wenn man Ihren Gesetzentwurf verfolgt, überhaupt der problematische Teil, nämlich wie Sie abgrenzen wollen, welche Details jedermann zugänglich sein sollen und welche Sie aus Gründen des Datenschutzes oder des Betriebsgeheimnisses vom Zugang ausnehmen wollen. Da müssen Sie in Generalklauseln gehen.Vom anwaltlichen Standpunkt aus könnte man ein solches Gesetz nur begrüßen; denn man kann voraussehen, daß sich ein ungeheures Betätigungsfeld eröffnet im Blick auf die vielen Detailabgrenzungen, die zweifellos forensisch ausgetragen werden würden.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19099
Dr. HirschIch habe also Zweifel, ob Sie mit Ihrer FinstereMächte-Theorie wirklich richtig liegen. Ich frage mich, ob es nicht besser ist, das Einverständnis der Betroffenen, das Einverständnis der Industrie, ihr Verständnis zu erwerben, in Fragen des Umweltschutzes selber viel entschlossener, viel entschiedener vorzugehen, als sie das zur Zeit tun. Wir haben ja heute früh einen Bereich erörtert, wo ganz sicherlich die chemische Industrie Lehrgeld zahlen und erkennen wird, erkennen muß, daß ihr die Wiederholung solcher Vorgänge einen Schaden zufügen würde, der weit über das hinausginge, was man einem Unternehmen durch Verwaltungsmaßnahmen zufügen könnte.Wir werden uns also, da jeder von Ihnen weiß, daß der Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode nicht mehr abschließend beraten werden wird,
demnächst zu diesem Thema wiedersehen.Wir werden der Überweisung des Gesetzes in die Ausschüsse natürlich zustimmen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich in die Sachdebatte eintrete, möchte ich darauf hinweisen, daß das zuständige Innenministerium durch keinen Staatssekretär vertreten ist. Das ist das übliche unverschämte Verhalten des Innenministeriums mit vier Staatssekretären, das auch im Innenausschuß pausenlos praktiziert wird.
Ich finde, das ist ein Zustand, der nicht richtig ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bötsch?
Bitte schön. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr.
Herr Kollege, würden Sie bei Würdigung des Tagesordnungspunktes — wenn Sie ihn genau lesen — mit mir übereinstimmen, daß es genügend ist, daß der Staatssekretär des Umweltministeriums anwesend ist und der Debatte folgt?
Es geht hier um das Thema Akteneinsichtsrecht. Daß das am Umweltrecht aufgehängt ist, ist eine spezielle Frage. Aber das Grundthema — und das kam auch in der Begründung sehr deutlich heraus — bezieht sich auf mehr Bürgerrechte in diesem Bereich. Und da ist die Zuständigkeit des Innenministeriums gegeben.
— Der Innenausschuß ist formal dafür zuständig, entschuldigen Sie bitte.
Der Innenausschuß ist formal zuständig. Nur deswegen rede ich hier heute.
— Das wissen Sie noch nicht, da Sie mich dazu überhaupt noch nicht haben reden hören.
Aber Sie wissen vielleicht vieles schon im Vorgriff.Meine Damen und Herren, das Recht auf Information sowie die Möglichkeit des Informiertseins sind unerläßliche Voraussetzungen für das Funktionieren eines demokratischen Gemeinwesens, das die gleichberechtigte Teilnahme aller Bürger an der politischen Willensbildung voraussetzt und erfordert. Das Informationsrecht ist somit Instrument aktiver Teilnahme an der demokratischen Willensbildung und Kontrolle.Seit 1977 gilt in der Bundesrepublik das Verwaltungsverfahrensgesetz, das jedem Bürger, der an einem Verwaltungsverfahren beteiligt ist, einen grundsätzlichen Rechtsanspruch auf die Einsicht in Verfahrensakten gewährt. Vor dieser Zeit genehmigten die Behörden eine Akteneinsicht nur nach pflichtgemäßem Ermessen. Aber auch das heutige Recht klingt besser, als es in der Wirklichkeit ist. Nicht jeder Bürger hat nunmehr ein Akteneinsichtsrecht, sondern nur der Beteiligte an einem Verwaltungsverfahren. Es lassen sich noch viel mehr negative Punkte zu der jetzt existierenden Regelung darlegen, um zu zeigen, wie notwendig eigentlich eine Entwicklung in der Richtung ist, daß das Akteneinsichtsrecht verbessert wird.Der Gesetzentwurf, den die Fraktion der GRÜNEN vorgelegt hat, beschränkt sich in diesem Fall nur auf das Recht der Einsicht in Umweltakten, was wir durchaus für sinnvoll halten. Damit wird die allgemeine Diskussion vom Himmel auf die Erde geholt. Es sind noch genug Schwierigkeiten da, aber das ist schon einmal ein Versuch, konkret darüber an einem gesellschaftlich ungemein wichtigen Punkt, wie wir das gerade heute morgen gesehen haben, zu diskutieren.Ich will jetzt nicht auf die Einzelheiten dieses Gesetzentwurfes eingehen. Aber ein Punkt ist wichtig, der auch die Schwierigkeiten eines solchen Gesetzentwurfes zeigt und hier natürlich mit diskutiert wird. In der allgemeinen Begründung gibt es einen wirklich hinreißend niedlichen Teil. In dem heißt es:
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Wartenberg
Ein Bürger oder eine Bürgerin erhält Kenntnis von einem ihn oder sie interessierenden Vorgang. Er oder sie sucht ohne Voranmeldung die zuständige Behörde auf und bittet um Akteneinsicht. Ein Sachbearbeiter, der den Akteninhalt kennt, überprüft kurz die Akten im Hinblick auf Daten- und Geheimnisschutz sowie behördliche Schutzinteressen, bevor die Akten der Einsicht begehrenden Person herausgegeben werden. Dem Einsichtbegehrenden werden zugleich im Geschäftszimmer Tisch und Stuhl zur Verfügung gestellt.
Er kann nach Wunsch aus den Akten Notizen machen oder Ablichtungen anfordern.Die Darstellung dieses Verwaltungsablaufs ist wohl mehr als naiv.
— Es ist menschlich und nett.Der Staatssekretär im Innenministerium von Hessen, Andreas von Schoeler, hat sich sehr intensiv mit diesem Gesetzentwurf auseinandergesetzt. Er hat allein für den Normalfall des Verwaltungsverfahrens zehn komplizierte Prüfvorgänge gezählt, die der Beamte erledigen muß, bevor er überhaupt in der Lage ist, dem Menschen, der reinkommt, sich auf ein Stühlchen an den Tisch setzt und eine Akte haben möchte, diese zu geben.
Wenn ein Gewerbebetrieb Verfahrensbeteiligter ist, kommen noch einmal sechs notwendige Prüfvorgänge dazu, und zwar Prüfvorgänge, die Sie selbst durch eine sinnvolle Eingrenzung auferlegt haben. Das sind nicht Prüfvorgänge, die der Verwaltungsmensch dort erfindet, sondern Sie haben die sinnvollerweise in Ihrem Gesetzentwurf als Beschränkung drin.Ich glaube, das zeigt sehr deutlich, wo, was den Verwaltungsaufwand betrifft, die Schwierigkeiten einer solchen wünschenswerten und vernünftigen Regelung sind. Ich sage das nicht deswegen, um diesen Gesetzentwurf niederzumachen. Ich halte den Ansatz für richtig. Wir müssen ihn weiter diskutieren und zu einer Lösung kommen, vielleicht auch an einigen anderen Punkten. Bloß sollten wir nicht glauben, daß das alles so einfach ist.Es ist unbestreitbar richtig, daß ein allgemeines Akteneinsichtsrecht eine neue Verwaltungsaufgabe ist, die zusätzlichen Verwaltungsaufwand erfordert, und zwar um so mehr, je besser dieses Recht vom Bürger angenommen wird. Das Argument sticht jedoch nicht, daß z. B. in Schweden oder in den USA die Verwaltung keineswegs zusammengebrochen ist. Dort machen die Bürger von diesem Recht nur wenig Gebrauch. In den USA sind es überwiegend Industrieunternehmen, und in Schweden ist es überwiegend die Presse. Man muß wohl auch auf die jeweilige Situation in dem Land hinweisen, wie dieses Recht genutzt wird. In der Bundesrepublik würde es wohl sehr viel anders sein. Übrigens wäre es ganz gut, wenn die Bürger das dann täten.Wenn man ein Fazit ziehen soll, dann kann das wohl nur heißen: Das Projekt eines Aktenzugangsrechts für jedermann, ob nun bereichsspezifisch oder sofort für die ganze Verwaltung, wird vermutlich, jedenfalls vorläufig, an dem damit verbundenen Verwaltungsaufwand scheitern. Ich glaube, man sollte auch nicht von vornherein sagen, daß diese Schwierigkeit so ohne weiteres wegzuräumen ist.Trotzdem: Die Ziele, die mit einem Akteneinsichtsrecht erreicht werden sollen, sind so wichtig, daß wir alles versuchen sollten, um diese Schwierigkeiten zu überwinden. Insofern versprechen wir, daß wir diesen Gesetzentwurf als einen sehr guten Versuch, dieses einfach einmal zu kodifizieren, sinnvoll beraten werden und daß wir versuchen werden, zu Lösungen zu kommen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Regenspurger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!
Der zur Beratung anstehende Gesetzentwurf, dessen Überweisung an die Ausschüsse die Fraktion der CDU und CSU nach gutem parlamentarischen Gebrauch selbstverständlich zustimmt, ist — soviel läßt sich nach vollständiger Lektüre von Wortlaut und Begründung bereits sagen — überflüssig wie ein Kropf.
Wieder einmal machen seine Autoren deutlich, was ein rot-grünes Bündnis der Bevölkerung und dem Steuerzahler bescheren würde: mehr Gesetze, unverständliche Gesetze mit langen Paragraphen und umständlichen Definitionen,
zusätzliche Bürokratie und zusätzliche Kosten, dies alles vorgeblich im Interesse und zum Nutzen der Menschen. Tatsächlich will sich die Alternativszene jedoch ein weiteres Instrument zur Verwaltungssabotage schaffen,
nachdem die Möglichkeiten zu einem solchen in die Milliarden gehenden Mißbrauch des Verwaltungsstreitverfahrens
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Regenspurgererst in dieser Legislaturperiode durch die Straffung des Verfahrens im Zusammenhang mit der Genehmigung von Großanlagen beseitigt worden sind.
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Ich gestatte keine Zwischenfrage.
Akteneinsicht soll nämlich ausschließlich für Nichtbetroffene zusätzlich ermöglicht werden. Für Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens sieht nämlich das allen rechtsstaatlichen Erfordernissen Rechnung tragende Verwaltungsverfahrensgesetz die Akteneinsicht in seinem § 29 längst vor.
Selbst dabei handelt es sich nur um die Ausformung eines rechtsstaatlichen Grundsatzes, den bereits das Grundgesetz mit seinem Inkrafttreten gebracht hat. Von einem rechtsstaatlichen Nachholbedarf, wie ihn die Autoren des Entwurfs täuschend behaupten, kann angesichts der Kodifizierung des Verwaltungsverfahrens im Verwaltungsverfahrensgesetz
und des Verwaltungsstreitverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung keine Rede sein.
Wir haben es vielmehr mit einem weiteren Versuch zu tun, den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zu zerstören, diesmal mittels einer bewußt zu schaffenden Paragraphen- und Verfahrenshypertrophie.
Sieht es auf den ersten Blick chaotisch oder widersprüchlich aus, so hat das Ganze doch Methode:
Demontage des Staates in seiner Existenz und im Kern seines Aufgabenbereichs wie durch überzogenen Datenschutz im Bereich der inneren Sicherheit
bei gleichzeitiger Schaffung und Ausweitung einer Datenschutzbürokratie, verbunden mit der Forderung der Demontage der Polizei. Datenschutz möglichst nur für die eigene Klientel und die Gewalttäter.
Bei anderen aber die Forderung nach Transparenz.
Meine Damen und Herren, ich kann ja verstehen, daß Ihnen nicht gefällt, was ich sage. Ich sage es aber trotzdem, weil wir in einer freiheitlichen Demokratie leben, in der wir dies sagen können. Gott sei Dank können wir all dies sagen, was wir auch wollen.
Darüber dürfen auch die Bestimmungen in dem Entwurf nicht hinwegtäuschen, die vorgeblich dem Schutz personenbezogener Daten sowie dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen dienen sollen. Das Vorblatt des Entwurfs stimmt nämlich nicht mit dem vorgeschlagenen Gesetzestext überein. Im Gesetzestext erweist sich das, was die Autoren aus dem sogenannten informationellen Selbstbestimmungsrecht herauslesen, das Sie so gerne vor sich hertragen, als Käse, der überwiegend aus Löchern besteht.
Wie im übrigen die Autoren die Verwaltung und ihre Angehörigen in der Begründung ihres Entwurfes schildern, das grenzt an Diffamierung. Diese Diffamierung wird nur von der prahlerischen Inanspruchnahme selbst erarbeiteter Kompetenz übertroffen. Von den vielen Beispielen, die dafür angeführt werden könnten, möchte ich nur auf die Gutachtenvergabe durch den hessischen Umweltminister verweisen.
Den einzigen Beitrag, den die GRÜNEN zum Schutz der Wälder leisten könnten, nachdem sie die Wälder beim Thema Tschernobyl offen verraten hatten, könnte der Stoff der von ihnen erzeugten Papierflut sein, die sich aus ihren Parteigremien auch in das Parlament ergießt. Bekanntlich kann Papier nicht nur aus Altpapier hergestellt werden.
Wer viel bedrucktes Papier produziert, der erhöht im übrigen die Wahrscheinlichkeit, Falsches zu behaupten. So stellen die Autoren des Entwurfs die Behauptung auf, allgemeine Verwaltungsvorschriften würden nicht veröffentlicht. Vom Gemeinsamen Ministerialblatt haben Sie offensichtlich noch nichts gehört. Oder Sie sagen bewußt die Unwahrheit.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit voll in Anspruch zu nehmen, täte Ihrem Entwurf zuviel Ehre.
Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Der Ältestenrat schlägt Ihnen die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 10/5884 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Andere Vorschläge macht das Haus nicht. So ist die Überweisung beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und desBerichts des Ausschusses für das Post- und
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Vizepräsident CronenbergFernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Empfehlung des Rates über die koordinierte Einführung des dienstintegrierenden digitalen Fernmeldenetzes (ISDN) in der Europäischen Gemeinschaft — auf dem Weg zu einem europaweiten Telematikmarkt— Drucksachen 10/5933, 10/6254 —Berichterstatter: Abgeordneter PfeffermannUrsprünglich war eine Beratung mit Beiträgen von jeweils fünf Minuten vorgesehen. Die Fraktionen haben mir aber übereinstimmend mitgeteilt, daß sie auf eine Aussprache verzichten und ihre Reden zu Protokoll geben wollen*). Das Präsidium ist nicht begeistert, akzeptiert aber diesen Vorschlag, so daß ich nur noch über die Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen lassen brauche.Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltung? — Bei Gegenstimmen der GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung angenommen worden.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 33 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über den Standder Reform des auswärtigen Dienstes— Drucksachen 10/4204, 10/6158 —Berichterstatter:Abgeordnete Lowack Frau HuberFrau Dr. Hamm-Brücher Frau BorgmannDer Ältestenrat hat auch hier eine Beratung von 30 Minuten vorgesehen. — Widerspruch erhebt sich im Hause nicht, so daß ich die Aussprache eröffnen kann.Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 20. Juni 1985 hat der Deutsche Bundestag zu später Stunde, wie heute auch, die letzte Debatte zur Reform des auswärtigen Dienstes geführt. Es war gleichzeitig die erste parlamentarische Diskussion in 14 Jahren seit der Vorlage des Berichts der sogenannten Herwarth-Kommission im März 1971, die weittragende Vorschläge für eine Reform unterbreitet hatte.Für eine der wichtigsten Industrienationen, für ein Land, das wie kein anderes vom Außenhandel abhängig ist und das davon lebt, daß es die besten*) Anlage 4; Ausführungen des Parl. Staatssekretärs Rawe siehe Anlage 3 des Plenarprotokolls 10/247Auslandsvertretungen, den besten auswärtigen Dienst hat, ist dies eine beschämende Feststellung. Offenbar haben wir den Wert einer optimalen außenpolitischen Repräsentation noch nicht so recht erkannt.Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang auch ganz interessant, zu wissen, daß die Mittel für den auswärtigen Dienst im Bundeshaushalt einen Anteil von noch nicht einmal 1 % ausmachen, wobei zwei Drittel des Haushalts für den auswärtigen Dienst nicht für dessen Organisation, sondern für operative Beiträge ausgegeben werden.Immerhin: Die Union hatte ihre Verantwortung für den auswärtigen Dienst sehr schnell erkannt. Bereits im Herbst 1983 konnte ich eine Anfrage an die Bundesregierung über die Notwendigkeit eines eigenen Gesetzes über den auswärtigen Dienst richten. Über die Magenschmerzen bei der Erstellung einer ressortabgestimmten Antwort möchte ich mich nicht näher auslassen.Den vierten Reformbericht vom 18. Januar 1984 nahm die Fraktion zum Anlaß, einen Beschluß im Auswärtigen Ausschuß herbeizuführen, mit dem Konsequenzen für den Haushalt gefordert wurden. Gleichzeitig hatten wir die Große Anfrage und das Anhörungsverfahren vom Februar/März 1985 vorbereitet, wobei ich gerne einräume, daß dieses Anhörungsverfahren in großer Einmütigkeit aller Fraktionen über die Bühne gegangen ist.Die Protokolle zum Anhörungsverfahren sind übrigens noch heute eine Fundgrube und ein hervorragender weiterer Ausgangspunkt für die Debatte zur Reform des Dienstes. Sie zeigen auch, wie das Personal des auswärtigen Dienstes bemüht ist, mit Erfindungsreichtum und oft unzumutbaren Anstrengungen den Aufgaben und Anforderungen gerecht zu werden.Auf unseren Vorschlag hin hat der Auswärtige Ausschuß im Anschluß an das Anhörungsverfahren einstimmig einen weitreichenden Beschluß zur Verbesserung der Situation des auswärtigen Dienstes gefaßt. Gleichzeitig wurde die Bundesregierung gebeten, noch vor dem Kabinettsbeschluß über den Haushalt 1986 für besonders prekäre Bereiche notwendige Konsequenzen zu ziehen. Es ist dankbar anzumerken, daß der Haushaltsausschuß dieses außergewöhnliche Verfahren aus eigenem Engagement in der Sache akzeptiert und das Anliegen des Auswärtigen Ausschusses entscheidend gefördert hat.Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist zwischenzeitlich hinreichend bekannt, daß die Aufgaben des auswärtigen Dienstes seit dem Kommissionsbericht 1971 erheblich zugenommen haben. Ich kann mir wegen der Debatte vom 20. Juni 1985 Einzelheiten hierzu ersparen und darf nur nochmals aus dem ersten Reformbericht ein kurzes Zitat bringen. Es hieß dort: „Der auswärtige Dienst lebt heute personell von der Hand in dem Mund. An die Stelle der Personalplanung tritt deshalb weitgehend der Zwang, Löcher zu stopfen." Das war 1971. In der Zwischenzeit, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind nicht etwa Personalmehrungen
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Lowackvorgenommen worden. Vielmehr wurde Personal abgebaut.Das Problem der Ehefrauen, die im auswärtigen Dienst Berufs-, Einkommens- und Rentenverzicht hinnehmen müssen, bleibt ungelöst. Das ist es bis heute.In dem am 11. November 1985 vorgelegten Bericht hat die Bundesregierung darauf hingewiesen, daß zum Haushalt 1986 einige neue Stellen eingeplant werden sollen. Das Auswärtige Amt hat ergänzend 225 operative Stellen, abgesehen von der Personalreserve, vorgeschlagen.Zum Wunsch nach einem einheitlichen Stellenkegel hat die Bundesregierung eine Prüfung zugesagt. Wegen einiger kleinerer personeller Verbesserungen darf auf den Bericht Bezug genommen werden.Insgesamt hat dieser Bericht die Erwartungen des Deutschen Bundestages nicht ganz erfüllt. Der Auswärtige Ausschuß hat deshalb zwar Zustimmung empfohlen, aber gleichzeitig vorgeschlagen, die Bundesregierung zu bitten, weitere Konsequenzen für grundsätzliche und weitgreifende Verbesserungen für den auswärtigen Dienst zu ziehen. Der mitberatende Innenausschuß hat einige konkrete Verbesserungsvorschläge unterbreitet, die der Auswärtige Ausschuß zustimmend in seinen Bericht und die Beschlußempfehlung unter der Ziff. II aufgenommen hat.Es ist allerdings auch unübersehbar, daß viele Probleme im auswärtigen Dienst mit dem herkömmlichen Dienstrecht, das auf deutsche Verhältnisse abgestimmt ist, nicht oder nur unbefriedigend geregelt werden können.Der auswärtige Dienst ist in erster Linie ein Instrument zur Durchsetzung deutscher Außenpolitik. Für die Auslandsvertretungen können die politischen Zielsetzungen aber nicht wie in den innerdeutschen Verwaltungen durch Rechtsnormen oder Verwaltungsakte durchgesetzt werden. Zudem ist der Dienst auf vielseitig einsetzbare Beschäftigte angewiesen, die zeitlebens zur weltweiten Versetzung bereit sein müssen. Die Mehrheit der Auslandsdienstposten befindet sich in gesundheitsgefährdenden Gebieten.Dieser Entwicklung haben viele Länder durch Gesetze und Sonderregelungen für ihre auswärtigen Dienste Rechnung getragen. Dazu gehören die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, mit Ausnahme nur von Irland, Portugal und Spanien, an denen wir uns nicht orientieren sollten. Die Vereinigten Staaten von Amerika, Japan und die meisten Industrieländer haben derartige Gesetze.Der Auswärtige Ausschuß hat deshalb vorgeschlagen, dem Auswärtigen Amt aufzutragen, dem Ausschuß über den Inhalt eines Gesetzes zu berichten. Diesem Punkt hatte die sozialdemokratische Fraktion im Ausschuß nicht zugestimmt, weil man davon ausgegangen war, daß, initiiert in erster Linie durch die Kollegin Huber, noch ein eigener Gesetzentwurf vorgelegt werde. Nachdem das bis heute nicht geschehen ist, gehe ich davon aus, daß auch die Sozialdemokraten dieser Berichtempfehlung zustimmen können. Ich möchte Sie darum bitten.
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist leider keine positive Bilanz, die am Ende der 10. Legislaturperiode zur Reform des auswärtigen Dienstes gezogen werden muß. Zwar haben die vom Kollegen Lowack dargestellten Initiativen des Parlaments dazu geführt, daß die Probleme des auswärtigen Dienstes in den letzten Jahren stärker beachtet worden sind, durchgreifende politische Konsequenzen sind jedoch ausgeblieben. Ich glaube, das ist für die Angehörigen des auswärtigen Dienstes jetzt eine deprimierende, 15 Jahre währende Kontinuität in der Verweigerung der Reform.Das Bewußtsein für die Notwendigkeit ist allerdings geschärft worden. Ich wage zu hoffen, daß der nächste Bundestag diese Aufgabe nicht als einen lästigen Merkposten behandeln wird, sondern die zeitgemäße Regelung der offenkundigen Strukturprobleme des Dienstes übernehmen wird.Zur Schärfung des Bewußtseins für die Aktualität der Frage hat eine Kollegin an vorderster Stelle beigetragen, deren Enttäuschung über die wieder einmal steckengebliebene Reform ich voll und ganz teile. Ich meine Kollegin Antje Huber, die sich mit Engagement, Zähigkeit und großer Sachkunde der Nöte und Sorgen der Angehörigen des Dienstes angenommen hat. Ich möchte ihr dafür ausdrücklich danken.
Wenn ich alles zusammenfasse, was wir in dieser Legislaturperiode durch die Große Anfrage der CDU/CSU, durch das Hearing des Auswärtigen Ausschusses und durch den jetzt zu beratenden Bericht der Bundesregierung an Erkenntnissen gewonnen haben, so ergibt sich daraus für mich die zwingende Konsequenz: Wir brauchen ein Gesetz über den auswärtigen Dienst.Wir begrüßen es, daß sich auch der Bundesminister des Auswärtigen zu dieser Erkenntnis durchgerungen hat. Und wir beneiden ihn nicht um die Aufgabe, die er jetzt hat, nämlich diese Erkenntnisse auch beim Bundesminister der Finanzen und beim Bundesminister des Innern durchzusetzen. Der Widerstand der Finanz- und Innenpolitiker ist fraktions- und parteiübergreifend. Damit beantworte ich auch die unausgesprochene Frage des Kollegen Lowack, was da wohl passiert ist.
Die mit Außenpolitik befaßten Kollegen, die sich im wesentlichen einig sind, stehen einer ziemlich großen Koalition gegenüber. Man muß deshalb die Probleme und Besonderheiten des auswärtigen Dienstes noch einmal deutlich beim Namen nennen. Offenkundig leidet der auswärtige Dienst im-
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19104 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986
Verheugenmer noch unter der Klischeevorstellung vom Diplomaten, der sich am Cocktailglas festhält und sonst nicht viel tut. Dieser Mythos hat deshalb so ein zähes Leben, weil die Öffentlichkeit sich beharrlich weigert, die tägliche harte Knochenarbeit in einem Apparat zur Kenntnis zu nehmen, der zwar immer mehr leisten soll, aber nicht entsprechend ausgestattet wird.Man könnte interessante psychologische Betrachtungen anstellen, warum gerade der auswärtige Dienst so sehr zu Vorurteilen herausfordert. Der Hauptgrund ist wohl, daß seine Arbeit für die meisten Bürger unsichtbar ist. Was sie sehen, ist der Außenminister mit seinen medienbeherrschenden Aktivitäten rund um den Globus. So muß man dann wohl mit Bert Brecht sagen: Man sieht nur den im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.Der auswärtige Dienst ist für ein Land unserer Lage und Größe eines der wichtigsten Instrumente der Politik.
Die Dichte der internationalen Beziehungen, die weltwirtschaftlichen Verflechtungen, die gewaltige Aufgabe der Friedenssicherung, die zahlreichen Konflikte und Gefahrenherde um uns herum, aber auch eine so profane Erscheinung wie der moderne Reiseverkehr: Das alles verlangt einen hochmotivierten und hochqualifizierten auswärtigen Dienst.Wie aber soll man Motivation und Qualifikation aufrechterhalten, wenn der Dienst im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes gleichzeitig aufreibender und materiell unattraktiver wird? Es fängt schon mit der Bewerbung an. Qualifizierte Volljuristen und Nationalökonomen werden sich kaum für den auswärtigen Dienst entscheiden, wenn sie praktisch erst mit 35 Jahren ihr erstes richtiges Gehalt zu sehen bekommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lambinus?
Aber gerne.
Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, daß bei einer derartigen Beratung der für die Beamten zuständige Innenminister, aber auch der Finanzminister eigentlich anwesend sein sollten?
Ich stimme Ihnen zu, allerdings mit der Einschränkung, daß sie nicht eigentlich, sondern unbedingt anwesend sein sollten.
— Frau Kollegin Hamm-Brücher, das zeigt, wie dieses Problem innerhalb der Bundesregierung tatsächlich eingeschätzt wird. So ist es eben. — Anderswo sind gute Leute dann schon ein gutes Stück weiter oben auf der Karriereleiter.Meine Damen und Herren, kein anderer Dienst kennt das Prinzip der weltweiten Versetzungsbereitschaft bei gleichzeitiger Rotation. Kein andererDienst verlangt vom Ehepartner des Bediensteten nicht nur den Verzicht auf einen eigenen Beruf, sondern gleichzeitig auch noch unentgeltliche Hand- und Spanndienste, wie man die Rolle besonders der Ehefrau wohl treffend beschreiben kann.
Kein anderer Dienst ist mit solchen Risiken für die Gesundheit, den Bestand der Familie und sogar die persönliche Sicherheit verbunden.In unserem Dienstrecht, in unserem Verwaltungssystem wird der auswärtige Dienst mit seinen unzähligen und unvorhersehbaren Besonderheiten wie eine Flurbereinigungsdirektion behandelt. Das ist nicht nur anachronistisch, es ist auch sträflicher Leichtsinn, weil von der Funktionsfähigkeit des auswärtigen Dienstes eben so viel abhängt.Ein Gesetz über den auswärtigen Dienst sollte daher sicherstellen, daß das Auswärtige Amt eine Personalausstattung bekommt, die den wachsenden Aufgaben gerecht wird. Dazu müßte die Absicherung der Personalreserve und die Verbesserung des Stellenkegels gehören. Es ist nicht einzusehen, daß die Auslandsvertretungen beim Stellenkegel wie nachgeordnete Inlandsbehörden behandelt werden.Damit der Dienstherr seine Fürsorgepflicht erfüllen kann, muß ein Rechtsanspruch der Familienangehörigen der Bediensteten geschaffen werden, die bei Veranstaltungen, die im dienstlichen Interesse liegen, Schäden erleiden.Gesetzlich abgesichert werden sollten auch die Sprachzulage, der Ausbildungszuschlag und ein monatlicher Ehepartnerzuschlag.Was die Sprachzulage angeht, verehrte Kolleginnen und Kollegen, so möchte ich Sie auf einen interessanten Aspekt der Traditionspflege des Auswärtigen Amtes hinweisen. Diese Sprachenzulage ist seit 1924 nicht mehr erhöht worden. Wohl aber gelten die Kürzungen der Brüningschen Notverordnungen in diesem Bereich immer noch weiter.
Wir werden nicht daran vorbeikommen, die Opfer, die von den Ehepartnern verlangt werden, wenigstens in bescheidenem Umfang durch einen Ehepartnerzuschlag materiell auszugleichen. Das, was jetzt vorgesehen ist, nämlich eine weitere Zulage von 100 DM, halten wir für unzureichend.Unhaltbar ist auch der Zustand, daß es für die ausländischen Ortskräfte, für die das deutsche Tarifrecht nicht gilt, keine Mindeststandards gibt.Abgeschafft werden sollte schließlich der negative Kaufkraftausgleich, dessen Entstehungsgeschichte große Zweifel weckt. Für diejenigen, die es interessiert: Er ist 1940 durch Führererlaß für die Angehörigen von NS-Einrichtungen in den besetzten europäischen Gebieten geschaffen worden. Diesen negativen Kaufkraftausgleich, der in Einzelfällen schon heute zu schweren sozialen Härten führt, gibt es in dieser Form in keinem anderen auswärtigen Dienst; ähnlich gibt es ihn lediglich in der Schweiz.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 246. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1986 19105
VerheugenIn der Personalpolitik würde größere Flexibilität entstehen, wenn auf Antrag eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand in solchen Fällen möglich wäre, in denen der Bedienstete bestimmte Zeiten auf gesundheitsgefährdenden Posten verbracht hat.Ein Hauptproblem wird die Frage werden, inwieweit das Auswärtige Amt ermächtigt werden kann, die Sonderfälle seines Bereichs in eigener Kompetenz zu regeln; ich halte das für notwendig. Die Auslandsvertretungen und die Zentrale sind viel zu sehr mit bürokratischem Papierkrieg belastet. Wenn es um Sachmittel geht, sollten die Leiter der Vertretungen mehr Gestaltungsspielraum erhalten. Wenn es um Personalkosten und Personalprobleme geht, sollte das Amt selber mehr Regelungsbefugnisse haben.Bei den notwendigen Stellenvermehrungen geht es uns vor allem um den einfachen, den mittleren und den gehobenen Dienst. Gerade hier ist die Personaldecke besonders eng. Die für das nächste Haushaltsjahr vorgesehenen Stellenverbesserungen sind nicht ausreichend. Es erscheint fast wie Hohn, daß zur Verbesserung der Sicherheit der Bediensteten im In- und Ausland — ein Thema, das aus traurigem Anlaß aktuell geworden ist — ganze acht neue Stellen für Pförtner und zwei Stellen im mittleren Dienst vorgesehen sind. Wir haben lernen müssen, daß der auswärtige Dienst ein bevorzugtes Ziel terroristischer Anschläge ist. Angesichts dieser Gefahren können kleinliche fiskalische Bedenken nicht toleriert werden.Meine Damen und Herren, vergleichbare andere Länder haben ihre auswärtigen Dienste den veränderten Gegebenheiten längst angepaßt. Wir können uns einen personell unterbesetzten, mit Arbeitsmitteln schlecht ausgestatteten und sozial nicht ausreichend abgesicherten auswärtigen Dienst nicht länger leisten. Die unmittelbare politische Verantwortung liegt beim Bundesaußenminister. Herr Minister, holen Sie bitte das Gesetz aus der Schublade. Ich weiß nicht mehr so genau, was Sie in Ihren Schubladen haben, aber ich glaube, es ist drin.Meine Damen und Herren, der auswärtige Dienst ist ein empfindliches und wertvolles Instrument. Es liegt in unser aller Interesse, dafür zu sorgen, daß Einsatzbereitschaft und Leistungsfreude der Angehörigen des auswärtigen Dienstes auch ihre entsprechende Anerkennung finden.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum zweitenmal in dieser Legislaturperiode debattieren wir zu später Stunde über die nicht befriedigende Situation des auswärtigen Dienstes. Zum zweitenmal liegt dem Deutschen Bundestag eine Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dieser Thematik vor. Und zum zweitenmal glänzen — leider — die beiden weiteren entscheidend zuständigen Ministerien durch Abwesenheit. Herr Kollege Bötsch, es ist einfach eine Frage unserer Selbstachtung, daß wir hier in Anwesenheit der Vertreter der Exekutive debattieren. Wir sind die erste Gewalt im Staat, und wir haben einen Anspruch darauf, daß trotz der späten Stunde auch diese beiden Ministerien durch ihre politischen Spitzen hier wenigstens einigermaßen vertreten sind.
Seien Sie mir nicht böse, daß ich das hier einmal ganz deutlich sage.Nun wissen wir, daß trotz ernsthafter und gewissenhafter Bemühungen — Herr Kollege Lowack hat es gesagt, Herr Verheugen hat es gesagt — des Auswärtigen Ausschusses, der Berichterstatter — vor allem Frau Huber ist hier zu nennen — die Ergebnisse unserer Bemühungen, wie sie sich im Haushaltsplan für 1987 niederschlagen, alles in allem nicht befriedigend sind. Die vorgesehenen Verbesserungen, die Stellenmehrung, die Zulagen, die Aufwandsentschädigung, der Ehegattenzuschlag, sollen nicht geringgeachtet werden. Aber angesichts der festgestellten Mängel, der Defizite und der Personallage, wie sie hier jetzt wieder beschrieben worden ist, können wir sie doch nur als ein Trostpflaster — oder als mehrere Trostpflaster — bezeichnen.Im Hinblick auf meine sehr kurze Redezeit möchte ich heute deshalb nicht wiederholen, was ich bereits am 20. Juni 1985 gesagt habe. Ich möchte darauf verweisen und es doch noch einmal bekräftigen: Sehr geehrte Bundesregierung, der auswärtige Dienst ist keine Verwaltung wie jede andere. Deshalb kann er auch nicht so behandelt werden wie jede andere Verwaltung. Deshalb ist es erforderlich — wie in anderen westlichen Ländern längst geschehen —, den besonderen Erfordernissen dieses Dienstes durch ein eigenes Gesetz gerecht zu werden.
Nach langer Beratung unterstreiche ich deshalb für meine Fraktion — ich war ursprünglich gar kein besonderer Anhänger dieser Idee, aber ich habe dazugelernt und sage das heute für meine Fraktion — besonders den dritten Absatz der Ziffer I 3 unserer Beschlußempfehlung, mit dem dieser Gesetzgebungsprozeß nun in Gang gesetzt werden soll. Ich hätte mir gewünscht, daß die Aussage in diesem dritten Absatz noch etwas deutlicher ausgefallen wäre, z. B. mit einer ganz klaren Fristsetzung versehen worden wäre, etwa bis Februar 1987, damit wir in der nächsten Legislaturperiode alsbald wirklich Nägel mit Köpfen machen können.Aber, meine Kolleginnen und Kollegen — auch da waren wir uns über die Fraktionen hinweg einig —, abgesehen und unabhängig von einem Gesetz über den auswärtigen Dienst kann und muß die Bundesregierung einiges mehr tun, vor allem solange wir noch kein Gesetz haben.Wir wünschen — das ist besonders verbesserungsbedürftig — die Erstellung eines einheitlichen Stellenkegels für den In- und den Auslandsdienst des Amtes. Das müßte eine Selbstverständlichkeit
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Frau Dr. Hamm-Brüchersein. Allerdings ist hier die Hebung von ein paar hundert Stellen notwendig. Wir wissen das. Das kostet Geld. Man wird es also nicht von heute auf morgen durchführen können. Wir wünschen die zügige Vermehrung der Planstellen im mittleren Dienst. Denn nur dann, wenn wir im mittleren Dienst Luft schaffen, können wir organisatorisch Aufgaben verlagern und damit etwas Erleichterung in der Stellensituation schaffen.Wir wünschen die Aufstockung der Personalreserve, wie sie nun von der Reformkommission — wieder und wieder seit 1968 — gefordert wurde, aus vielen Gründen, aber auch weil sie die Voraussetzung für die dringend erforderliche Verstärkung der Aus- und Fortbildung der Bediensteten und auch des sogenannten Midcareer-Trainings, von dem bei der Anhörung immer wieder die Rede war.Wir müssen auch den Abbau der Bürokratie vorantreiben. Wir haben mit bassem Erstaunen im Ausschuß vernommen, daß die Automatisierung und die Computervorbereitung so weit abgeschlossen sind, daß aber das Geld fehlt, um die Fachkräfte hierfür an den Apparaten auszubilden. Das nähert sich schon einem Schildbürgerstreich.Wir wünschen, daß die Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit der Bediensteten des auswärtigen Dienstes und ihrer Angehörigen verstärkt werden.Wir wünschen nicht zuletzt die überfällige Verbesserung der Situation der Ehepartner und Familien der im Ausland tätigen Diplomaten. Ich sage Ihnen heute zum wiederholten Male: Die Attraktivität des auswärtigen Dienstes wird letztlich davon abhängen, ob wir der gewandelten gesellschaftlichen Situation, nämlich in der Regel der gewünschten Berufstätigkeit der Ehefrauen, die die Auslandsreisen mit ihrem Mann durch Unterbrechung ihrer Berufstätigkeit oder durch Verzicht auf sie bezahlen, endlich durch geeignete Maßnahmen ausreichend Rechnung tragen. Wir haben in unserer Beschlußempfehlung hierzu sehr konkrete gute Vorschläge gemacht,
übrigens mit Hilfe des Innenausschusses, dem wir dafür zu danken haben.Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, daß die Fraktion der FDP den Berichtsauftrag an die Bundesregierung als Aufforderung zur raschen und zufriedenstellenden Lösung dieser Probleme versteht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt darf nicht länger über das Ob debattiert werden; jetzt muß über das Wie debattiert werden. Ebenso begrüßen wir die im Beschlußteil der Vorlage angestrebten Besoldungsverbesserungen für den einfachen und den mittleren Dienst. Denn sie dienen nicht nur der Behebung sozialer Unzuträglichkeiten, sondern vor allem der Erhaltung der Versetzungsbereitschaft und damit doch der Funktionsfähigkeit des auswärtigen Dienstes auf allen Ebenen. Wir sollten nicht locker lassen.Wir danken allen, die an diesen Reformen weiter fleißig arbeiten und dafür kämpfen, vom Vorsitzenden des Personalrats bis zum Minister. Wir wollen sie dabei unterstützen. Aber ein bißchen müssen Sie auch selber kämpfen, meine Herren aus diesem schönen Hause.Zum Schluß: Ich fühle mich als langjährige Staatsministerin allen Mitarbeitern, die in diesem oft schweren Dienst für unser Ansehen in der Welt eintreten, tief verbunden.Mir ist diese Verbundenheit besonders deutlich geworden — lassen Sie mich das am Schluß sagen, und allen Anwesenden wird es ähnlich ergangen sein — bei der Gedenkfeier für den ermordeten Spitzenbeamten Gero von Braunmühl. Ich habe diese Stunde als eine Manifestation der Geschlossenheit, des Pflichtbewußtseins und der moralischen Integrität des auswärtigen Dienstes empfunden.Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, wenn wir diesen auswärtigen Dienst erhalten wollen — und wir wollen ihn so erhalten und nicht anders —, dann müssen wir ihm das geben, was er zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht. Der Gesetzgeber ist und bleibt hier gefordert.
Das Wort hat der Abgeordnete Fischer .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hamm-Brücher, ich danke Ihnen für den Hinweis auf Gerold von Braunmühl. Ich möchte deutlich machen, daß uns allen nicht erst seit der Ermordung, seit der erbarmungslosen Hinrichtung von Herrn von Braunmühl bewußt sein sollte, welchen besonderen, manchmal auch unerträglichen Belastungen die Angehörigen des auswärtigen Dienstes der Bundesrepublik an vielen Dienstorten in der Welt ausgesetzt sind.Wir GRÜNEN unterstützen deshalb auch die Forderung nach dem seit vielen Jahren überfälligen Gesetz über den auswärtigen Dienst, von dem wir uns insbesondere eine Verbesserung der Lebens-und Arbeitsbedingungen der Angehörigen des unteren und mittleren Dienstes erhoffen.Ich habe mir selber bei verschiedenen Gelegenheiten in ausführlichen Gesprächen mit den Personalvertretern deutscher Botschaften und Konsulate ein Bild von der Situation vor Ort machen können, und ich nehme erfreut zur Kenntnis, daß der Außenminister — mit Verlaub, Herr Genscher — inzwischen als Dienstherr offenbar größeres Interesse für die Lage seiner Mitarbeiter im Ausland entwickelt hat, als dies in früheren Jahren der Fall gewesen zu sein scheint.Ich habe mich deshalb auch in der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses am 1. Oktober dieses Jahres nachdrücklich hinter die Forderung nach einem Gesetz über den auswärtigen Dienst gestellt
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Fischer
und bedauere ausdrücklich, daß dies offensichtlich nicht mehr in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden kann.Die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses enthält in ihrem ersten Teil leider — das haben wir auch im Ausschuß betont — nur sehr verschwommene Formulierungen über Besonderheiten und Zusammenhänge an Stelle eines unmißverständlichen Berichtsauftrags an die Regierung. Wir GRÜNEN haben deshalb diesem Empfehlungsteil — übrigens nur diesem Teil — unsere Zustimmung verweigert, nicht weil wir weniger wollen, sondern weil wir für den auswärtigen Dienst mehr wollen.Wir GRÜNEN fordern dieses Gesetz, weil wir einen auswärtigen Dienst wollen, der den Menschen dient, wie es bereits mein Kollege Horacek in der Reformdebatte des Bundestages im Jahre 1985 gesagt hat. Das heißt für uns nicht nur die kritische Weiterführung der bisherigen Aufgaben, die aus unserer Sicht häufige Überbetonung wirtschaftspolitischer und sicherheitspolitischer Aufgaben, sondern eine verstärkte Öffnung für Themen wie Umweltschutz, Menschenrechte und humanitäre Hilfe.Deshalb muß dem auswärtigen Dienst der Rükken freigehalten werden von den Umständlichkeiten der innerstaatlichen Bürokratie, müssen seine Mitarbeiter in den Stand gesetzt werden, das zu tun, wofür sie da sind:
praktische Außenpolitik im Interesse der Menschen, nicht allein für die Deutschen im Ausland, nicht allein für die Vertreter der Industrie, sondern auch und gerade für Menschen, die als Flüchtlinge bei unseren Auslandsvertretungen Schutz vor Verfolgung suchen.
Der zweite Teil der Beschlußempfehlung bezweckt, wie es dort heißt, Verbesserungen für die Ehepartner der Angehörigen des auswärtigen Dienstes. Ehepartner, das heißt auf deutsch: für die Frauen. Man kann nur den Kopf schütteln, daß es zur Lösung dieser Probleme bei Dienstunfällen, bei Beurlaubungen und bei den Versorgungsansprüchen der Frauen überhaupt noch eines Berichtsauftrages des Bundestages an die Bundesregierung bedarf. Das hätte schon längst im Rahmen des Dienstrechtes geregelt sein müssen. Unser Verständnis dieser Probleme ist, daß sie nicht geprüft, sondern gelöst werden müssen, und zwar schnellstens.
Ein abschließendes Wort möchte ich zu den im Schlußteil der Beschlußempfehlung angesprochenen, leider nur geringfügigen Besoldungsverbesserungen für den einfachen und mittleren Dienst sagen. Diese Besoldungsverbesserungen verschaffen, wenn sie überhaupt durchkommen, nur eine geringe Kompensation für Einkommensverluste, die durch die zunehmende Anzahl von Dienstorten mit negativem Kaufkraftausgleich bzw. Null-Kaufkraftausgleich entstehen, eine Folge der Dollarkursentwicklung. Wir GRÜNEN müssen mit Erstaunen feststellen — das habe ich erst vor einigen Tagen begriffen —, daß mit dem negativen Kaufkraftausgleich heute noch ein Einkommenskürzungsinstrument Anwendung findet, dessen Existenz auf einen Führerbefehl Adolf Hitlers vom 18. Oktober 1940 zurückgeht und mit dessen Existenz sich das Dritte Reich vor den besoldungsmäßigen Konsequenzen der Besetzung fremder Länder bewahren wollte.
Mit Ausnahme der Schweiz, die ihrem auswärtigen Dienst eine bei uns nicht bestehende Sonderzulage zahlt, gibt es kein einziges Land auf der Welt, das einen negativen Kaufkraftausgleich für die Bediensteten des auswärtigen Dienstes kennt.Außenpolitik für und mit real existierenden Menschen im auswärtigen Dienst und für Menschen im Ausland!
— Sehr logisch! — Die chronische personelle Unterbesetzung der meisten deutschen Auslandsvertretungen läßt dieses Ziel für uns zur Zeit als Utopie erscheinen.Die zur Abstimmung stehende Beschlußempfehlung ist uns — das sage ich ganz ehrlich — etwas zu lasch. Im Interesse der Betroffenen jedoch und damit wir wenigstens überhaupt etwas durchsetzen, damit überhaupt etwas geschieht — und darüber, daß etwas geschehen muß, sind wir uns ja alle einig —, werden wir der Beschlußempfehlung mit Bauchgrimmen zustimmen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun der Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte der Frau Kollegin Hamm-Brücher sehr herzlich dafür danken, daß sie an die Trauerfeier für Gerold von Braunmühl in der Beethovenhalle am 15. Oktober erinnert hat. Ich glaube, daß damals einer breiten Öffentlichkeit deutlich geworden ist, mit welchem Pflichtbewußtsein der auswärtige Dienst seine Aufgabe erfüllt, mit einem Pflichtbewußtsein, das sich nicht nur in dieser Stunde bewähren mußte, sondern täglich an vielen Dienstorten neu bewähren muß.
Ich denke, Ihnen, Frau Kollegin, ist auch zuzustimmen, wenn Sie gesagt haben, daß dieses Pflichtbewußtsein seine Entsprechung auch in Verantwortung und Fürsorge unseres Staates für seinen auswärtigen Dienst finden muß, und das zu tun ist Anlaß unserer heutigen Beratung, ist Anlaß der Beratung auch der Beschlußempfehlungen des Auswärtigen Ausschusses vom 1. Oktober. Ich begrüße
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Bundesminister Genscherdiese Beschlußempfehlungen und die in ihnen enthaltenen Berichtsaufträge an das Auswärtige Amt und an die Bundesregierung.Die Notwendigkeit eines Gesetzes über den auswärtigen Dienst habe ich im Auswärtigen Ausschuß am 1. Oktober bejaht. Es ist mir ähnlich gegangen wie Ihnen, Frau Kollegin: Auch ich habe mich zu dieser Einsicht durchringen müssen. Ich bin heute der Meinung, es ist der richtige Weg, und zwar nicht nur deshalb, weil fast alle europäischen Staaten und dazu die USA, Japan und wichtige Staaten der Dritten Welt schon jetzt besondere Regelungen für ihre auswärtigen Dienste geschaffen haben, sondern auch, weil sich zeigt, daß die Besonderheiten des auswärtigen Dienstes und die Anforderungen an seine Mitarbeiter nicht in einer allgemeingültigen gesetzlichen Regelung einzufangen sind, die für andere Aufgabenstellungen unter anderen Bedingungen gedacht ist.Die Länder, die solche Regelungen schon heute haben, haben die Leistungsfähigkeit ihres auswärtigen Dienstes steigern können. Unser Land an der Schnittstelle der Weltpolitik darf aber noch weniger als diese Staaten irgendeine Möglichkeit aus der Hand geben, seinen auswärtigen Dienst in die Lage zu versetzen, seine vielfältigen Aufgaben zu erfüllen.Allerdings geht es nicht nur um die Leistungsfähigkeit des auswärtigen Dienstes; es geht zugleich auch um die in diesem Dienst arbeitenden Menschen und ihre Familien.
Deshalb ist besonders zu begrüßen, was die Beschlußempfehlung über Verbesserungen der sozialen und rechtlichen Stellung der Ehepartner sagt. Das Auswärtige Amt wird durch die Schaffung eines Familien- und Frauenreferats in Kürze einen weiteren Beitrag zur Besserstellung der Ehepartner und Familien unserer Bediensteten leisten, soweit das heute schon in unseren Möglichkeiten steht.Ebenso befürworte ich die im Schlußteil der Beschlußempfehlungen angesprochenen Einkommensverbesserungen für die mittleren und die unteren Besoldungsgruppen. Was wir aber vor allem erreichen müssen, ist ein angemessenes Einkommen für alle Mitarbeiter unseres Dienstes, das nicht zum Spielball externer Faktoren — wie Kursschwankungen anderer Währungen — gemacht werden darf.
Ebenso müssen wir davon ausgehen, daß das Familieneinkommen im Inland bei einer Auslandsversetzung sehr häufig nur noch aus dem Einkommen des Mitarbeiters besteht, was sehr oft einen erheblichen Einkommensverzicht bedeutet.Herr Präsident, meine Damen und Herren, die heute zur Verabschiedung durch den Bundestag anstehenden Beschlußempfehlungen des Auswärtigen Ausschusses sind ein Schritt auf dem Wege zur Reform des auswärtigen Dienstes. Diese Reform hat den jetzt vor dem Abschluß der Legislaturperiode stehenden Bundestag mehr beschäftigt als irgendeinen anderen Bundestag zuvor. Dafür möchte ich Ihnen — auch im Namen der Mitarbeiter des auswärtigen Dienstes — sehr herzlich danken, ebenso für die gestrigen Beschlüsse des Haushaltsausschusses, die eine beachtliche Verstärkung unseres Personalhaushalts mit sich bringen werden.Der auswärtige Dienst wird auch in Zukunft auf die Zustimmung des Deutschen Bundestages, auf sein Verständnis und seine Unterstützung angewiesen sein. Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß mich bei meinen Bemühungen in der künftigen Legislaturperiode die Regierungsfraktionen ebenso nachhaltig unterstützen werden, wie es von der Opposition schon jetzt versprochen worden ist.Ich danke Ihnen.
Da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, kann ich über die von allen Rednern erwähnte Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/6158 abstimmen lassen. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Ich kann feststellen, daß diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden ist.
Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 14. November 1986, um 8 Uhr ein und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.