Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den von den GRÜNEN auf ihrer Bundesversammlung am 18. und 19. Mai in Hannover beschlossenen Forderungen auf dem Gebiet der inneren und äußeren Sicherheit, des Rechts und der Wirtschaft.
Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß Nr. 1c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seiters.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir auch im Parlament darüber reden müssen, was grüne Politik für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland bedeutet.
Jeder muß wissen: Die bekanntgewordenen Beschlüsse des Parteitages der GRÜNEN in Hannover und das verabschiedete Wahlprogramm sind ein Rezeptbuch, wie man auf schnellstem Wege eine freiheitliche Demokratie, einen Rechtsstaat, eine soziale Gesellschaft und ein reiches Land ruinieren kann.
Ich will dies begründen. Erstens. Die GRÜNEN fordern den Austritt der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO, selbstverständlich verbunden mit dem Abzug aller westlichen Schutztruppen aus der Bundesrepublik, die einseitige Abrüstung des Westens, die langfristige Auflösung der Bundeswehr und die sofortige Auflösung des Bundesgrenzschutzes. Wer dies verlangt, macht uns schutzlos, treibt uns aus der Gemeinschaft des freien Westensheraus und will letzten Endes unsere Unterwerfung unter die sowjetische Hegemonie.
Zweitens. Die GRÜNEN fordern die Auflösung der Bereitschaftspolizei, den personellen Abbau und die Entwaffung der Polizei in Bund und Ländern sowie die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Wer dies verlangt, macht den Rechtsstaat schutzlos und liefert die Bürger den Chaoten und den Radikalen auf der Straße aus. Daß die GRÜNEN dies wollen, zeigte sich auf dem grünen Parteitag, als die Zahl der in Wackersdorf verletzten Polizisten beklatscht wurde, in beschämender und abstoßender Weise.
Drittens. Die GRÜNEN fordern die Streichung des Wiedervereinigungsgebots im Grundgesetz. Sie wollen die völkerrechtliche Anerkennung der DDR und die Schwächung Berlins. Ich sage: Wir haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, immer und überall für das Selbstbestimmungsrecht der Menschen einzutreten, ganz besonders für unsere Landsleute in der DDR, und dazu gehört auch das Festhalten am Wiedervereinigungsgebot in der Verfassung.
Viertens. Die GRÜNEN fordern die sofortige Stillegung aller Atomanlagen in der Bundesrepublik Deutschland.
Sie haben den folgenden Antrag aber mit großer Mehrheit abgelehnt — ich zitiere —:Die Bundesversammlung fordert den Bundesvorstand auf, an die Sowjetunion folgende Forderungen zu stellen: a) die Stillegung sämtlicher atomarer Anlagen auf sowjetischem Gebiet, b) finanzielle Wiedergutmachung zu leisten an alle von der Katastrophe betroffenen Nachbarstaaten.
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SeitersDarüber hinaus wurde ein Antrag abgelehnt, vor der sowjetischen Botschaft zu demonstrieren. Meine Damen und Herren, nichts kann die Unglaubwürdigkeit und Heuchelei grüner Forderungen drastischer dokumentieren als diese drei Beschlüsse. Motto. Kommunistische Kernreaktoren sind auch nach Tschernobyl gut, westliche sind schlecht. —
Ihnen geht es doch überhaupt nicht um die Kernkraft, sondern um die wirtschaftliche Schwächung der Bundesrepublik Deutschland und um die Systemveränderung, die Sie über Massenarbeitslosigkeit und Inflation erreichen wollen.
Fünftens. Die GRÜNEN sind mit Blumen in dieses Parlament eingezogen. Mit großen Worten haben sie sich immer wieder als die einzig wahren Anwälte für den Frieden und für das Leben verkauft.
Aber in Hannover beschließen sie — ich finde dies besonders unmoralisch und skandalös — die völlige Freigabe der Tötung ungeborener Kinder im Mutterleib bis zur Geburt.
Die ersatzlose Streichung des Abtreibungsparagraphen 218 macht die ungeborenen Kinder schutzlos und wehrlos. Dies ist der Ausstieg aus der zivilisierten Gesellschaft.
Meine Damen und Herren. Dies alles wäre keine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland, dies alles könnte man abtun, wenn es sich um Beschlüsse und Forderungen handelte, die von einer Splitterpartei kämen oder von politischen Sektierern ohne Einfluß auf das politische Geschehen.
Das eigentlich Erschreckende dieser Entwicklung besteht darin, daß sich diese grüne oder besser gesagt tiefrote Politik immer stärker auf Sozialdemokraten stützen kann, die bereit sind, mit diesen GRÜNEN gemeinsame Sache zu machen.
Mit dieser Partei koaliert die SPD in Hessen. Von dieser Partei will die SPD in Niedersachsen politische Unterstützung. Von dieser Partei erhofft sie sich Zusammenarbeit im Bund.Meine Damen und Herren, die deutsche Öffentlichkeit muß wissen, was die GRÜNEN wollen und wer mit ihnen paktiert.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tietjen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens. Herr Kollege Seiters, Sie haben Ihren Antrag auf Einsetzung dieser Aktuellen Stunde mit „Haltung der Bundesregierung" beschrieben. Ich frage Sie: Wo ist denn überhaupt eine Haltung bei dieser Bundesregierung feststellbar?
Wo ist denn eine Haltung?Zweitens. Herr Kollege Seiters, Sie sollten sich lieber mit den drängendsten Problemen Niedersachsens beschäftigen,
zum Beispiel mit der Arbeitslosigkeit in Niedersachsen, im Emsland und Ostfriesland.
Das wäre besser, als die Bundesregierung in diesem Stadium zu fragen, wo sie denn Haltung zeige, wo denn ihre Haltung sei.Sie tragen mit dem, was Sie mit dieser Aktuellen Stunde wollen, zu nichts anderem bei, als zu dem, was vor allem Sie, Herr Kollege, mein Wahlkreisgegenüber — leider —,
seit Jahren machen, nämlich zur Verunsicherung der Bürger. Da wird dann einmal die Sozialdemokratie in den Topf mit den Kommunisten geworfen. Jetzt paßt es schön, das rot-grüne Chaos in Niedersachsen für viele hunderttausend D-Mark zu plakatieren.
Das paßt ja wunderbar zusammen. Aber, lassen Sie sich eines gesagt sein: Mit diesen GRÜNEN, die dieses Programm in Hannover beschlossen haben, gibt es für Sozialdemokraten keine Zusammenarbeit, keine Koalition.
Dies sagen alle Sozialdemokraten Niedersachsens, angefangen vom künftigen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder
bis zu jedem Landtagskandidaten und bis zu vielen anderen Mandatsträgern der SPD in Niedersachsen.Worum geht es? Es geht darum, daß wir nicht mitmachen werden, den Verfassungsschutz abzulösen. Aber da sind Sie doch in einer ganz schlechten Position, Sie von der niedersächsischen Christlich-Demokratischen Union. Wie wollen Sie denn diesen Bürgern ihre Verunsicherung nehmen, wenn Ihr
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Tietjen) Ministerpräsident und der damalige Innenminister, Herr Rötger Groß, den Verfassungsschutz zu einem Attentat auf das Gefängnis in Celle angesetzt haben?
Meine Damen und Herren von der Union, wie wollen Sie denn zweifelnden Bürgern die Zweifel gegenüber dem Verfassungsschutz nehmen, wenn der Gedanke, daß die Störungen in Wackersdorf durchaus nicht ausschließbar auch von Verfassungsschutzbediensteten mitgeleitet worden sein können?
Meine Damen und Herren, Herr Kollege, mein Wahlkreisgegenüber — leider —,
wie wollen Sie denn die Verunsicherung nehmen, wenn der Herr Bundeskanzler Kohl in Leer — ich betone ausdrücklich: leider — mit Tomaten und Eiern und sonstigen Dingen beworfen worden ist?
Übrigens ist mein Fraktionsvorsitzender zwei Tage später freudig und mit viel Beifall aufgenommen worden.
Das muß man auch einmal sagen. Wie wollen Sie denn den Bürgern die Sorge nehmen, daß diese Aktionen in Leer in Ostfriesland, auch vom Verfassungsschutz gesteuert oder beeinflußt sein könnten?Das heißt unter dem Strich, meine Damen und Herren: Wir Sozialdemokraten lehnen das Programm der GRÜNEN ab; sie sind für uns nicht regierungsfähig. Wer alles ablehnt, was Politik heißt, kann mit uns nicht regieren.
Ich sage Ihnen aber auch, man muß mit den Bürgerinnen und Bürgern, die vom Bürger mit mehr als 5% ausgestattet werden, reden, und das haben Sie z. B. gemacht. Ich denke an die Phase 1969, als es um die Wahl des Herrn Bundespräsidenten ging.
Sie haben sich nicht gescheut, die Christlich Demokratische Union, mit den Nationaldemokraten, damals aus Niedersachsen kommend, zu verhandeln,
die neuen Nazis Deutschlands zu bitten und aufzufordern, den Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland mit zu wählen; das sollte damals Herr Schröder werden.
Es ist Gustav Heinemann geworden, und es war gut für Deutschland, daß Gustav Heinemann ohne Stimmen der Nazis Bundespräsident geworden ist. Lassen Sie es bitte schön sein, dieses Chaos an die Wand zu malen. Wir sind Demokraten, bleiben Demokraten, und wir wissen, was wir dem Bürger schuldig sind.
Das wird am 15. Juni die Wahl Gerhard Schröders zum Ministerpräsidenten von Niedersachsen zeigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Tietjen, wir machen es uns nicht so leicht, und wir werden es auch in Zukunft niemandem erlauben, so leicht davonzukommen, einfach vom Chaos zu reden. Das hat nichts mit Chaoten zu tun, meine Damen und Herren, was dort zu Pfingsten in Hannover abgelaufen ist. Die Beschlüsse der GRÜNEN sind der gezielte Bruch mit der Geschichte, der Tradition, dem Verfassungsverständnis und der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland.
„Raus aus der NATO" heißt Abschied vom Bündnis, das den Deutschen Sicherheit und Freiheit garantiert, d. h. Aufgabe Berlins, d. h. aber auch Aufgabe der Plattform, vor deren Hintergrund Entspannungspolitik allein betrieben werden kann. Ohne Einbindung in das Bündnis, ohne europäische Partnerschaft ist eine selbständige Politik gen Osten vollständig ausgeschlossen. Dies bedeutet die Abmeldung aus der europäischen, aus der Weltpolitik
und die Anerkennung der Staatsangehörigkeit der DDR mit der Folge, die Ihr fabelhafter Turnschuhminister aus dem Kabinett Börner in einem Gespräch mit der „HAZ" dargelegt hat. Politische Asylanten aus Sri Lanka bekommen hier Asyl — das wollen wir auch —, aber Flüchtlinge aus der DDR, aus Stralsund und Dresden, werden an den
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Dr. Graf LambsdorffStaatssicherheitsdienst zurückgeliefert, und das wollen wir nicht, meine Damen und Herren.
Die Bundeswehr soll abgeschafft werden, der Bundesgrenzschutz genauso, die Polizei soll entwaffnet werden, damit die Chaoten ihre jeweiligen Ziele ungehindert erstürmen können. Was das Schlimmste war: Als die Nachricht aus Wackersdorf kam, daß dort Polizisten von Chaoten geschlagen und geprügelt wurden, gab es breiten Jubel in der Stadthalle in Hannover.
Das ist Ihre menschenverachtende Politik;
das sind unsere Söhne, unsere Brüder, unsere Verwandten, die den Polizeidienst tun,
und das ist Ihre Menschenverachtung!Sie forden die Abschaltung der Kernkraftwerke ohne jeden Hinweis darauf, was das für wirtschaftliche Folgen hat. Plötzlich kann der Wald ruiniert werden, der vor drei Jahren noch schützenswert war und es heute nach unserer Überzeugung noch ist. Es wird mitgeteilt, aus dem Export müsse sich die Bundesrepubik Deutschland ausklinken, Abkehr von der staatlich unterstützten Exportierung der deutschen Industrie, umfassende und durchgreifende Kapitalverkehrskontrollen.
Dies ist alles beschlossen worden. Private Eigentums- und Verfügungsverhältnisse über die Produktionsmittel müssen selbstverständlich abgeschafft werden. Wer so über die deutsche Wirtschaft, so über deutsche Arbeitsplätze redet,
dem sage ich auch hier: Ihre Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren, wird in wenigen Jahren aus der Bevölkerung der Bundesrepublik ein Volk von Jägern, Fallenstellern und Sammlern machen, aber das wollen wir nicht.
Noch einmal: Dies ist nicht die Politik von Chaoten — —
— Ich weiß, Herr Ehmke, Sie können so schnell nicht zuhören, und Sie können auch so schnell nicht auffassen. Ich habe noch ein bißchen Zeit für Sie übriggelassen. — Dies ist eine radikale linke Partei,die sich den Begriff „Umweltpartei" gerade noch als Täuschungsmäntelchen umhängt.
Nun, Herr Ehmke, will ich langsamer sprechen, damit Sie zuhören können und es auch verstehen und begreifen können. Ich will Sie nicht überfordern, Herr Kollege.
Wie kommt ein DGB-Kongreß dazu, solche Positionen für bündnisfähig zu halten, wie ist es möglich, daß Sozialdemokraten, angeblich eine Arbeitnehmerpartei, und die große Arbeitnehmerorganisation eine arbeitsplatzfeindliche, die arbeitnehmerfeindlichste Organisation der Bundesrepublik, nämlich die GRÜNEN, für bündnisfähig halten? Wie lange wird ein Vertreter solcher Positionen noch im Gruselkabinett des Herrn Börner sitzen dürfen? Wie lange, meine Damen und Herren, sind die Sozialdemokraten bereit, Bündnisse mit den GRÜNEN zu erwägen?Wer die GRÜNEN wählt — das müssen wir der Öffentlichkeit sagen — öffnet das Hauptportal zum Abbau von Freiheit, Sicherheit und Wohlstand. Und wer Sozialdemokraten wählt, die solche Bündnisse diskutieren, eröffnet diesen Weg durch die Hintertür.Danke sehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kanzler ist in Panik geraten. Zu schnell könnte er in Bonn und sein Spezi in Hannover ihre Posten los sein.
Die Menschen laufen ihnen weg. Tschernobyl hat die Augen geöffnet für die katastrophalen Folgen einer Atompolitik, wie sie auch von der Bundesregierung betrieben wird. Nur noch jeder zehnte Bürger will neue Atomkraftwerke. 72 % haben Angst, weil ein solches Monstrum auch bei uns hochgehen kann.
Selbst Stammwähler kehren der Atom-Union den Rücken und entwickeln absonderliche Sympathien für die GRÜNEN. Das ist die Lage.
Kohl sieht nur noch eine Rettung: die katastrophalen Folgen von Tschernobyl vertuschen, einige Figuren in seinem Kabinett austauschen, um ohne Anderung seiner Atompolitik über die Runden zu kommen, die, die immer energischer den Ausstieg aus der verhängnisvollen Politik fordern, kriminalisieren und diffamieren, Herr Seiters, Demonstran-
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Volmerten in Wackersdorf mit Gasgranaten und Hubschrauberangriffen terrorisieren, Herr Zimmermann, und Verleumdungskampagnen gegen die konsequenteste Oppositionspartei in Sachen Atompolitik, die GRÜNEN, anstrengen, Frau Hürland.Der Kanzler sieht, daß ihm die Bauern weglaufen. Sie haben nicht nur mit einer ohnehin verfehlten Landwirtschaftspolitik zu kämpfen gehabt, Herr Kiechle. Ihre diesjährige Ernte ist von der todsicheren Kernenergie verseucht. Ob die Äcker überhaupt noch nutzbar sind, ist zweifelhaft.
Statt hier großzügig zu entschädigen, statt rückhaltlos zu informieren, statt Rezepte zur Rekultivierung der Böden zu entwickeln, statt dies und mehr zu tun,
flüchtet der Kanzler aus Angst vor der Wut der Bauern in seine Verleumdungskampagne. Sie richtet sich gegen die, die schon seit Jahren vor dem gewarnt haben, was jetzt schreckliche Wirklichkeit wurde.
Wenn die GRÜNEN schon recht haben in Sachen Atomkraft, dann will man sie wenigstens anderweitig ins Unrecht setzen. Die billigsten Pamphlete sind Kohl gerade recht. Sie passen zu ihm. Wir GRÜNEN brauchen eine Diskussion unserer Programme nicht zu fürchten. Wir fürchten keine kritischen Fragen. Die schärfsten Kritiker der GRÜNEN sind bekanntlich die GRÜNEN selber.
Wieviel Angst die CDU vor einer wirklichen Auseinandersetzung mit Argumenten hat, zeigt diese Aktuelle Stunde. Während die Koalitionsparteien 35 Minuten über die GRÜNEN herziehen dürfen, hätten wir gerade fünf Minuten zur Antwort.
Die Union kompensiert ihre Feigheit auf der Ebene demokratischer Diskussion mit einem bisher nicht gesehenen brutalen Einsatz der Polizeiapparate. Der Atomstaat wird aufgerüstet. Polizeimacht bricht Demokratie. Ministerpräsident Albrecht läßt in Celle Bomben legen. Zimmermann droht unverhohlen mit der Schußwaffe gegen Demonstranten.Diese Regierung interessiert nur die eine Frage: Welcher Schrecken macht Tschernobyl vergessen? Wieweit müssen die Atomgegner provoziert, wieweit muß das innenpolitische Klima verschärft werden, damit sie auf dem Fernsehschirm Gewalttätigkeiten präsentieren kann? So hofft sie, daß alle die Bürgerinnen und Bürger in die Arme des Staates zurückflüchten, die sich nach Tschernobyl aus Angst, aus Enttäuschung, aus Verbitterung und Wut abgewendet haben.Kohls Innenminister macht Außenpolitik.
Nicht nur, daß er ganz Österreich mit dem atomaren GAU in Wackersdorf bedroht. Als sei Österreich ein Teil Deutschlands, will der Innenminister österreichischen Bürgern und Politikern Denkverbote erteilen. Unsere, der GRÜNEN Sympathie gehört den österreichischen Nachbarn, die sich gegen den atomaren Großmachtanspruch dieser bundesdeutschen Regierung zur Wehr setzen.
Ich meine, die Menschen haben nach Tschernobyl gelernt. Heute können sie beurteilen, was in Hamm-Uentrop geschieht, auch wenn dies der SPD wehtut. Sie sehen, wie realistisch GRÜNE Programmaussagen sind, die Sie vor zwei Monaten noch für pure Utopie gehalten haben. Dies gilt nicht nur für die Atomkraft. Das wird für die Militärbündnisse gelten. Der amerikanische Angriff auf Libyen hat ja viel bewirkt. Das gilt für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Das gilt für eine Gesellschaftsordnung, die nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten aufgebaut ist und deshalb weitgehend auf repressive Polizeiapparate verzichten kann.Katastrophe, Herr Bundeskanzler — κατασρoφή —, ist ein altes griechisches Wort. Es bedeutet zu deutsch die Wende.
Wendepolitik heißt Katastrophenpolitik, Katastrophenpolitik heißt Wendepolitik.
Die Regierung setzt auf Aufrüstung, auf unbeherrschbare Technik, auf Vertuschung ihrer katastrophalen Folgen, auf die Diffamierung derer, die konkrete Alternativen vorschlagen. Worauf sie verzichtet, ist Vernunft. Wer aber programmatische Aussagen, wie DIE GRÜNEN es tun, entwickelt — mögen sie auch zukunftsorientiert, ja geradezu utopisch formuliert sein —, der setzt nicht auf Angst und Terror wie die herrschende Politik, der setzt auf langfristige Vernunft, und der braucht sich mit seinen politischen Beschlüssen nicht zu verstekken.Die Menschen werden urteilen, und Sie, Herr Bundeskanzler, und der Rest der noch regierenden Koalition werden es erleben.Danke.
Das Wort hat Frau Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Man hat kein Maß mehr für nichts, wenn das Menschenleben nicht mehr das Maß ist". Mit diesen Worten von Elias Canetti aus der „Provinz des Menschen" möchte ich fragen, wie es DIE GRÜNEN mit dem Schutz des Menschenle-
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Bundesminister Frau Dr. Süssmuthbens und der Menschenwürde halten, wenn sie Beschlüsse fassen, mit denen sie nicht nur die Streichung des § 218 fordern, sondern auch die Verbesserung der bestehenden Abtreibungsbedingungen, d. h. vor allem die Schaffung eines flächendeckenden Netzes von Einrichtungen für ambulante Schwangerschaftsabbrüche.Wenn es wirklich zutrifft, daß Leben und Menschsein unteilbar sind, dann gilt das vom Zeitpunkt der Zeugung bis zum Tod eines Menschen.
Dann können Sie sich nicht auf der einen Seite zum Anwalt des Menschen gerade im Zusammenhang mit der Atomenergie und den Atomrisiken machen und auf der anderen Seite sagen, das Recht des Menschen auf Schutz des Lebens habe dort seine Grenzen, wo es dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen entgegenstehe. Was ist das für ein Verständnis von Selbstbestimmung?Zunächst geht es — da möchte ich Sie endlich nachdenklich machen; Sie sollten der Bevölkerung nicht immer vormachen, als wären Sie die Anwälte in dieser Sache — um die Unterscheidung zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung. Sie entscheiden sich für Fremdbestimmung, Sie entscheiden über das Recht des Kindes auf Leben. Sie öffnen damit der Willkür Tür und Tor.
In dem Augenblick, wo Sie nicht anerkennen, daß es bei aller leiblichen Verbundenheit von Mutter und Kind das eigenständige und personale Recht des Kindes auf Leben gibt, muß ich Sie fragen: Wo ist eigentlich die Grenze für Eingriffe in menschliches Leben gesetzt? Nirgendwo setzen Sie mehr Grenzen; denn Sie sagen, die Selbstbestimmung der Frau habe Vorrang vor allem anderen.
— Ich kenne Ihr Programm. Wenn Sie heute noch so nachdenklich wären, wie es in dem Beschluß der GRÜNEN von 1980 zum Ausdruck gekommen ist, könnte die Bevölkerung noch hoffen. So — Sie haben eben von Verunsicherung gesprochen — öffnen Sie der Verunsicherung Tür und Tor.Es gibt keine Grundlage der Verfassung mehr, die Sie anerkennen; denn sonst müßten Sie anerkennen, daß das menschliche Leben uneingeschränkt zu schützen ist. Das hat das Bundesverfassungsgericht am 25. Februar 1975 erneut bestätigt.
Ich muß Ihnen nachdrücklich sagen: Es trifft zu, daß Sie die Grundlagen von Staat und Verfassung in Frage stellen. Sie tun das mit Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Menschen. Dabei fragen Sie allerdings nicht, wo dieses Selbstbestimmungsrecht der Menschen seine Grenzen hat, nämlich in der Verantwortung vor dem Menschen. Hierkönnen Sie dann nicht nur über Umweltschutz und bessere Lebensverhältnisse sprechen.
Die Verantwortung setzt ohne Wenn und Aber beim Anfang des Lebens ein. Und diesen Anfang des Lebens leugnen Sie.
Sie erklären, daß die Frauen darüber entscheiden sollten, je nachdem, was sie für notwendig erachteten.
— Gerade bei der Frage des Strafrechts hat die Verfassung sehr sorgfältig abgewogen. Jeder, der sich mit dem Konflikt von Frauen gerade bei der Schwangerschaft vertraut gemacht hat, weiß, wie kompliziert diese Lage ist und daß Sie hier nicht sagen können, wir ignorieren alles, was hier an Problemen liegt, sondern daß Sie mit der Verfassung die besonderen Indikationen anerkennen und sagen müßten, für bestimmte Fälle ist das Strafrecht außer Kraft gesetzt; es sei denn, Sie sagen, Schutz der Verfassung für menschliches Leben ist nicht mehr notwendig,
jeder entscheidet selbst, wann Leben beginnt und wann es beendet wird.
Ich kann nur alle Kranken und Behinderten in unserer Bevölkerung dringend vor solchen Beschlüssen warnen;
das ist das Ende der Menschenwürde.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da sich die Frau Ministerin Süssmuth dazwischengemeldet hatte, kann ich erst jetzt auf die Aussagen von Graf Lambsdorff ein wenig eingehen. Ich muß zunächst fairneßhalber feststellen: ausgedruckte Beschlüsse der GRÜNEN liegen mir nicht vor. Ich glaube, überhaupt keinem liegen sie vor. Wir beziehen uns also auf Programmentwurf und Veröffentlichungen in der Presse und im Fernsehen.
Ich habe den Entwurf sehr wohl gelesen und mußfeststellen, es ist ja nicht alles falsch, was da drin-
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Dr. Jenssteht; aber alles, was richtig ist, haben die GRÜNEN weitgehend bei der SPD abgeschrieben.
Die Presse wenigstens hat diesen Beschlüssen der GRÜNEN ein verheerendes Zeugnis ausgestellt.
So schrieb der relativ liberale Norbert Middeke: Selbst im links von der SPD vorhandenen Wählerpotential werde sich kaum ein nicht dem Anarchismus verfallener Bürger finden, der den GRÜNEN mit ihrer Melodie auf den Leim gehe.Ich muß auch sagen — ich will hier gar keinen scharfen Ton hineinbringen —: wenn sich die GRÜNEN massiv gegen Export, gegen weltweiten Handel, für Abkoppelung von der Weltwirtschaft, für Kapitalverkehrskontrollen aussprechen, dann habe ich dafür überhaupt kein Verständnis. Man hat bei den GRÜNEN immer noch nicht begriffen, daß viele Arbeitsplätze in unserer Wirtschaft vom Export abhängig sind, daß unser relativer Wohlstand, den wir in diesem Lande verwirklicht haben, davon abhängig ist,
daß wir Güter in die Länder der Dritten Welt, in die Schwellenländer, in das Ausland verkaufen können. Allerdings gibt es zur Zeit eine Abschwächung des Exports — das darf man nicht übersehen —, und auch das gefährdet wiederum Arbeitsplätze. Diese Regierung ist bisher leider nicht der Lage und auch nicht willens, etwas dagegen zu unternehmen.
Ich habe auch kein Verständnis dafür, daß die Marktwirtschaft als die Ordnung dargestellt wird, die die Umwelt systematisch zerstört. Das ist völlig falsch. Die Herren waren offenbar noch niemals in der DDR oder in einem sozialistischem Land.
Es gibt nicht nur Umweltzerstörung durch die Industrie; auch Private sind dabei, die Umwelt zu zerstören. Insbesondere der Verkehr trägt dazu bei, daß unsere Umwelt nicht etwa sauberer, sondern schmutziger wird.Begriffe wie Leistung, Wettbewerb, Produktivität sind für die GRÜNEN suspekt, und dies sind doch gerade die Grundlagen, die dazu geführt haben, daß wir einen relativen Wohlstand in unserer Gesellschaft erreicht haben. Wir können doch nicht das zerstören, was dazu geführt hat, daß wir materiellen Wohlstand in diesem Lande haben. Aber man denkt wohl erst so, wie die GRÜNEN denken, nachdem sie ein gesichertes, ein einigermaßen hohes Einkommen alljährlich haben.
Nein, ich sage, wir brauchen Produktivität, damitwir die Arbeitszeit verkürzen können, damit wirden Umweltschutz verbessern können, damit wirauch die Einkommen insbesondere der kleinen Leute in diesem Lande anheben können.
Ich zitiere Richard Löwenthal, der gesagt hat:Die Sozialdemokratie ist ein Produkt der Industriegesellschaft und ein Vorkämpfer der Demokratie in Staat und Gesellschaft. Sie kann mit denen, die die moderne Welt für einen weltgeschichtlichen Irrtum halten, keine Kompromisse schließen.
Mit diesen Forderungen grenzen sich die GRÜNEN selbst wieder aus einer ernsthaften politischen Diskussion aus.
Aber dies ist ein Problem der GRÜNEN selbst. Sie müssen in ihrer Partei Klarheit schaffen. Ich kann hier nur mit Johannes Rau wiederholen, daß mit diesen GRÜNEN auf Bundesebene keine verantwortbare Politik zu betreiben ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, jemanden als grünen Chaoten, Verbalradikalisten oder notorisches Lügenmaul zu bezeichnen.
Das haben die GRÜNEN der Presseberichterstattung zufolge auf ihrem Parteitag in Hannover schon selbst besorgt.
Die Partei, die ein wirrer Zeitgeist ins Parlament spülte
und die sich gern als Bewegung sieht, hat den grünen Tarnanzug endgültig abgelegt.
Ihre außenpolitischen Beschlüsse — so wirklichkeitsfern wie lebensgefährlich — nehmen sich aus, als hätte sie DKP-Chef Mies entworfen. Er hatte auf dem Parteitag seiner moskaufrommen Kader Anfang Mai die Zielvorgaben gemacht:
das politische Klima zugunsten der Kommunistenbeeinflussen; gemeinsam mit den GRÜNEN und anderen die Friedensbewegung stärken; die deutsche
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Klein
Beteiligung an SDI und die Stationierung der Pershing II rückgängig machen;
den Hauptstoß gegen die Unionsparteien führen und ein rot-grünes Regierungsbündnis fördern.
Die GRÜNEN, mit denen die DKP in einen — wie Mies es ausdrückte — „nicht fruchtlosen" Dialog gekommen sei, überholten drei Wochen später auf ihrem Parteitag die Kommunisten weit links:
drastische Verkürzung des Wehrdienstes, einseitige Abrüstung, Abzug der verbündeten Truppen aus der Bundesrepublik Deutschland, schließlich Auflösung der Bundeswehr und Austritt aus der NATO — so die programmatischen Forderungen.Keine Frage, daß es aus Sicht der GRÜNEN mit der NATO keinen Frieden geben könne.
Erst recht keine Frage, daß sich die in K-Gruppen geschulten Strategen mit ihren radikalen Auffassungen auf der ganzen Parteitagslinie durchgesetzt haben.
Ein Irrtum ist jetzt nicht mehr möglich: Das ist nicht die Politik naiv-idealistischer Naturschützer oder identitätssuchender T-Shirt- und-TurnschuhTrotzköpfe;
das ist die Politik von Kräften, die dieses Staatswesen zugrunde richten wollen. Das muß jeder wissen, der diese Partei wählt oder sich gar ihr anschließt.
Seit 41 Jahren herrscht Frieden in Europa, aber nur im freien Teil unseres Kontinents. Jenseits des Eisernen Vorhangs, von wo die GRÜNEN offenbar keinerlei Gefahr befürchten, haben aber immer wieder die Waffen gesprochen und sind immer wieder die Panzer gerollt: 1953 in Mitteldeutschland,
1956 in Ungarn, 1968 in der CSSR
und 1981 als Erpressungskulisse im Falle Polens.Damit ich nicht mißverstanden werde: Ich konstatiere keine Kriegsgefahr, wenn die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bündnispartner bei ihrer Politik der Festigkeit und der Verständigungsbereitschaft bleiben. Diese unbestreitbaren zeitgeschichtlichen Tatsachen aber einfach auf den Kopfzu stellen, vermag freilich nur eine Partei, die sich grün nennt, aber rot ist, von Frieden redet, aber vermummte Gewalt demonstrierender Chaoten oder mordender Guerilleros billigt.
— Übrigens ausweislich Ihrer Parteitagsbeschlüsse. - In der parlamentarischen Zusammenarbeit wie in meinem Münchner Wahlkreis habe ich manchen GRÜNEN kennengelernt,
dessen Auffassungen und Beweggründe ich nicht teile, aber respektiere. Diese meist jungen Frauen und Männer müssen jetzt aber zur Kenntnis nehmen, daß sie nur noch als Aushängeschilder oder Demonstrationsstaffage mißbraucht werden. Die GRÜNEN haben aus den Ängsten und Sorgen der Menschen nach dem Tschernobyl-Unglück schamlos politisches Kapital zu schlagen versucht.
Ein paar kurzfristige Umfrageerfolge haben die Drahtzieher zu hochmütiger Preisgabe ihrer radikalen Ziele verleitet. Aber Hochmut kommt vor dem Fall. Die Bürger unseres Landes werden sich weder zur Kapitulation vor dem internationalen Kommunismus noch zum Ausstieg aus unserem freiheitlich-demokratischen und wirtschaftlich erfolgreichen Staatswesen verführen lassen.
Die GRÜNEN sollen sich nicht täuschen.
Die Zustimmung einiger Gewerkschaftsfunktionäre bedeutet noch keine Verankerung in der Arbeiterschaft.
Die GRÜNEN fordern den Verzicht auf die Wiedervereinigung Deutschlands. Doch der Satz von August Winnig gilt unverändert: Die Sache der Nation ist die Sache des Arbeiters.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nach der Haltung der Bundesregierung zu den Forderungen der GRÜNEN auf dem Gebiet der inneren und äußeren Sicherheit gefragt.Die Forderung nach dem Austritt aus der NATO, die Ablehnung der Westeuropäischen Union und die maßlose Kritik an der Europäischen Gemeinschaft
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Bundesminister Genscherist die Forderung nach dem Ausstieg aus der Gemeinschaft der westlichen Demokratien.
Die Forderung nach der Ablehnung unserer Mitwirkung an Eureka ist die Forderung nach dem Ausstieg aus der Zukunft Europas.
Die Forderung nach einseitiger Abrüstung und nach Abzug unserer Verbündeten ist die Forderung nach dem Ausstieg aus Stabilität und Sicherheit in ganz Europa, meine Damen und Herren.
Es ist die Forderung nach der Beseitigung der Grundlagen für eine Politik, die auf Entspannung, Zusammenarbeit und Abrüstung gerichtet ist.
[GRÜNE]:
Aufrüstung!)Wir arbeiten für eine Ordnung des Friedens in Europa,
die auf Vertrauen und Sicherheit gegründet ist. Wir werden nicht zulassen, daß unsere Bundesrepublik Deutschland zu einem Ort und einer Ursache der Instabilität in Europa wird.
Meine Damen und Herren, schlimmer als Ihre Sachforderungen ist der Beifall, der auf Ihrem Parteitag aufbrandete, als die Nachricht kam, daß Polizeibeamte in Wackersdorf verletzt worden sind.
Dieser Beifall ist Ausdruck einer zutiefst inhumanen Gesinnung.
Er ist Beifall dafür, daß dem Nächsten körperlicher Schaden zugefügt worden ist. Wer zur Inhumanität Beifall klatscht, ist nicht fähig zum inneren Frieden, und wer den inneren Frieden verspielt, ist nicht fähig, den äußeren Frieden für unser Land zu bewahren.
Friedensgesinnung und Toleranz gegenüber dem Nächsten, das ist die innere Kraft einer humanen Gesellschaft. Wer wie Sie die Forderung nach Abschaffung des Bundesgrenzschutzes erhebt, nach Namensschildern für unsere Polizeibeamten,
wer gleichzeitig Beifall für vermummte Gewalttäterklatscht, der fordert den Ausstieg aus der freiheitsichernden Funktion unseres demokratischen Rechtsstaates.
Wer eine solche Politik fordert, der macht unsere Polizeibeamten, die Bürger in Uniform sind, zum Freiwild für Gewalttäter.
Dazu werden Sie uns nicht bekommen.
Ich weiß, daß Sie nicht alle genauso denken. Manche von Ihnen sitzen, während ich spreche, mit betretenem Gesicht da. Nur kommt es nicht nur auf die an, die Beifall zu einer solchen Politik und einem solchen Verhalten klatschen; meine Damen und Herren, auch die, die schweigen, machen sich mitschuldig, wenn es um die Fragen von Freiheit und Humanität geht.
Und deshalb sage ich Ihnen: Das, was Sie hier tun, führt in der Tat dazu, daß sich die Geister scheiden müssen. In den Fragen der Freiheit, in den Fragen der Humanität muß man Kraft und Mut haben, Partei zu ergreifen, nicht Beifall für die Gewalt zu klatschen, sondern zur Achtung vor dem Nächsten und zur Bewahrung der Freiheit nach innen und nach außen j a zu sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Bülow.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU — und leider Gottes auch eine etwas hysterisch gewordene FDP — macht das Hohe Haus zur Klippschule der Nation.
Nachdem der in dümmlicher Selbstüberschätzung erfolgreichste Regierungschef Europas beim Wählervolk nicht mehr übermäßig gelitten ist, weil ein Fettnäpfchen nach dem anderen stolpernd durchmessen wird und die Wahlen in Niedersachsen im Begriffe stehen, für die Union verlorenzugehen,
geht es nun vor den Wahlen unionsüblich ans schnelle Geldausteilen an alle möglichen Wählergruppen. Es wird nach dem grandiosen Versagen des Umweltinnenministers Zimmermann sowohl an
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Dr. von Bülowder Tschernobyl-Front als auch an der Katalysatorfront
nun flugs ein neuer Umweltminister — frisch gebadet und symphatisch — aus dem Hut gezaubert.Und nun kommt das Stück aus dem Tollhaus, die Beschäftigung der Union mit dem in ausgedruckter Fassung überhaupt noch nicht zugänglichen Parteiprogramm der GRÜNEN.
Unsolider, lumpiger, den Bürger verdrießender kann man mit wichtigen Themen der Nation — übrigens auch der Arbeitszeit des Bundestages — nicht umgehen.
Es reicht ja nicht, daß man Dossiers des Verfassungsschutzes über GRÜNE und sozialdemokratische Abgeordnete zum parteipolitischen Mißbrauch anfordert.
Jetzt kommt auch noch die große Arie von dem rotgrünen Chaos, vorgetragen von den aufgeblasenen Biedermännern der Union, um dem letzten Weiblein auf der niedersächsischen Geest den gehörigen Schrecken einzujagen. Es wird in der Tat höchste Zeit, daß bei der Union irgendwann einmal wieder etwas mehr Format und auch Würde einziehen.
Vielleicht muß man tatsächlich auf Leute wie Biedenkopf in der nächsten Legislaturperiode warten, um sich mit den wirklichen Zukunftsfragen unseres Landes etwas ernsthafter und in die Tiefe gehend zu beschäftigen.
Ich habe für meine Fraktion einige wenige Bemerkungen zum Themenbereich der Verteidigungspolitik vorzutragen.
Den Medien war zu entnehmen, daß die Partei der GRÜNEN den Austritt aus der NATO zum Programmpunkt erhoben hat. Es steht der Partei frei, diese Forderung zu erheben. Sie unterscheidet sich in dieser Frage grundlegend von den Sozialdemokraten.
Johannes Rau hat unmißverständlich klargemacht, daß es insbesondere Fragen der Wirtschafts- und Verteidigungspolitik sind, die ein Regierungsbündnis der SPD auf Bundesebene mit den GRÜNEN fürihn völlig, und zwar bedingungslos, unmöglich machen.
Wer also eine Veränderung der westlichen Strategie in Richtung auf Beseitigung von Atomwaffen, Chemiewaffen und den Aufbau einer auch militärisch sicheren Friedensordnung in Europa will, der muß und kann nur SPD wählen.
Auch wir sind — wie viele Menschen in unserem Land — mit den Handlungen der derzeitigen amerikanischen Regierung nicht einverstanden. Das Schwarz-Weiß-Lösungsmuster der Terroristenbekämpfung durch militärische Aktionen, die unendliche Säumigkeit der Reagan-Administration im Abrüstungsbereich droht die NATO zu einer Staatengruppe abrüstungsunwilliger Staaten zu machen. Das bloße Murren, Maulen und Betteln der Europäer auf Konferenzen, Herr Außenminister, reicht inzwischen nicht mehr. Die Absicht, den SALT-IIVertrag nicht mehr einzuhalten, die Neigung der Reagan-Administration, eher auf Konfrontation zur Sowjetunion zu gehen, statt Zusammenarbeits- und Entspannungsmöglichkeiten auszuloten, das rüde Beiseiteschieben westeuropäischer Wünsche und Gedankengänge führt zu Spannungen in der NATO und einer großen Unruhe in der europäischen Bevölkerung. Die Reagan-Administration ist derzeit leider der größte Förderer des Antiamerikanismus in der Welt.
Dies kann und darf uns als Deutsche in der Bundesrepublik nicht dazu verleiten, die Flucht aus dem Bündnis anzutreten, einem Bündnis, das allein uns zusammen mit den anderen Westeuropäern Schutz gewährt und das wir nur beeinflussen können, wenn wir mit unseren Nachbarn in Westeuropa gemeinsam Politik machen.
Wir fielen ja sonst zum Schrecken all unserer Nachbarn in West und Ost wieder auf eine rein nationaleVerteidigungspolitik zurück, die in der Sache nichtdenkbar ist und im übrigen die übergeleitetenRechte der Siegermächte des Zweiten Weltkriegeskeineswegs beseitigte. Nur mit den Westeuropäern— nicht gegen sie — können wir eine dauerhafteFriedensordnung in Europa schaffen. Wir brauchenauf absehbare Zeit auch die Abstützung durch dieVereinigten Staaten von Amerika, solange uns einehochgerüstete Sowjetunion in Europa gegenübersteht. Dieses Amerika ist bei aller Kritik ein großartiges Land. Wer dieser Nation jedoch allzu ergeben
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986 16823
Dr. von Bülowund wenig selbstbewußt gegenübertritt, ja, alle oft auch unsinnigen amerikanischen Positionen einfach nachbetet, verspielt seinen Einfluß.
In der Verteidigungspolitik kommt hinzu, daß die Phantasielosigkeit und Denkfaulheit dieser Regierung uns in den 90er Jahren riesige ungelöste Probleme bescheren wird. Der Umfang der Bundeswehr ist nicht zu halten. Das weiß die Truppe, das weiß das Bündnis. Um das Problem auch von der Konzeption her überzeugend anzugehen, müssen die Strukturen dringend angepaßt und verändert werden. Anregungen von unserer Seite werden mit primitiven Argumentationen beiseitegeschoben.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende. Ich kann Ihnen leider keine weitere Redezeit einräumen.
Statt sich über grüne und unausgegorene Gedankengänge zu ereifern, wären Sie gut beraten, in Ihren Amtsstuben, soweit Sie dazu überhaupt in der Lage sind, die dringendsten Konzeptionen und organisatorischen Rechenaufgaben zu lösen.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Roitzsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte darauf hinweisen, daß mein Vorredner, Herr von Bülow, nicht von den GRÜNEN war, sondern von der SPD und einmal Minister war und hier Verantwortung für das deutsche Volk getragen hat.
Dies beweist, meine Damen und Herren, daß man sich nicht nur mit der Politik der GRÜNEN, sondern eben auch mit der Politik der SPD beschäftigen muß. Wenn Herr Schröder in Niedersachsen heute noch sagt: „ich nicht mit den GRÜNEN", so wette ich mit Ihnen, daß er noch weniger Rückgrat hat als Holger Börner in Hessen, der die GRÜNEN ja einmal mit der Dachlatte verprügeln wollte und heute einen grünen Umweltminister hat.
Die Forderung der GRÜNEN nach Abschaffung der Bundeswehr und Austritt aus der NATO, die Forderung nach einseitiger Abrüstung ohne Gegenleistung des Warschauer Pakts soll vordergründig eine Friedenssehnsucht wecken, die wir alle haben.
Nur, meine Damen und Herren, dieser Friede wäre ein Friede, wie er auf dem Friedhof herrscht. Hier könnte keiner mehr aufschreien, hier könnte keiner mehr aufstehen.
Der Austritt aus der NATO und die Abschaffung der Bundeswehr würden uns lähmen und völlig hilflos und handlungsunfähig machen.
Frau Präsidentin, können Sie die Schreier einmal ein bißchen herunterdrehen?
Wenn Sie jetzt das Programm der GRÜNEN sehen und mit den Aussagen der SPD vergleichen, dann stellen Sie auch bei den Sozialdemokraten eine zunehmende Amerikafeindlichkeit fest. Sie stellen fest, daß eine Anbiederung von Sozialdemokraten gegenüber der SED, gegenüber dem Warschauer Pakt, stattfindet und daß sie sich von den Amerikanern distanzieren.
Ich appelliere an die Sozialdemokraten, die in diesem Staat einmal Verantwortung getragen haben, die dazu beigetragen haben, daß wir dieses Sicherheitsbündnis, dieses Friedensbündnis NATO haben, einmal aufzustehen und ihren linken Kollegen zu sagen, wo sie langgehen. Sie gehen nämlich Hand in Hand und Ton in Ton mit den GRÜNEN.
Meine Damen, meine Herren, die Bundeswehr muß erhalten bleiben. Die Bundeswehr ist eine Friedensarmee. Nur durch das starke Bündnis mit der NATO können wir den Frieden bewahren.
Noch eine Bitte an die SPD: Lassen Sie Ihren Kanzlerkandidaten Johannes Rau nicht nur mit dem Katechismus durch das Land gehen und seinen guten Spruch „versöhnen statt spalten" sagen; achten Sie darauf, daß die anderen Genossen nicht mit der Dachlatte durch das Land ziehen und verhöhnen und spalten!
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die eigentliche Enttäuschung in dieser Debatte sind bisher die Redner der Sozialdemokratischen Partei.
Herr Tietjen, Sie sagen: Die Stimmen zur Macht wollen wir gern benutzen; nur machen wir dann hinterher eine ganz andere Politik. Sagen Sie das bitte auch den Wählern in Niedersachsen?Herr Jens sagt: Was im Programm der GRÜNEN richtig ist, ist von den Sozialdemokraten abgeschrieben.
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16824 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986
Dr. HirschHeißt das, daß Sie so eine Art GRÜNE für gehobenen Stände sind?
Sie sagen: Keine Zusammenarbeit mit den GRÜNEN auf Bundesebene! Das hat schon Herr Rau gesagt. Warum verweigern Sie eine Aussage dazu, was Sie auf Landesebene machen wollen? Warum verweigern Sie eine Aussage dazu, wie Sie sich die Landespolitik in Niedersachsen und in Hessen vorstellen? Warum verweigern Sie eine Aussage dazu, daß die Justiz und die Polizei Ländersache sind? Wollen Sie da mit den GRÜNEN zusammenarbeiten, ja oder nein? Sagen Sie es den Wählern vorher und machen Sie es nicht so wie der verehrte Herr von Bülow, der sich in vornehmer Zurückhaltung überhaupt jeglicher Äußerungen zu dem Programm der GRÜNEN enthalten hat.Es kann einer Protestpartei nichts Schlimmeres passieren, als daß man sie beim Wort nimmt. Darum ist es kein Zufall, daß Ihre Beschlüsse nicht vorhanden sind, daß sie nicht auf dem Tisch liegen. Dann würde man nämlich erkennen, was für ein Gemisch aus Gefälligkeiten und Neurosen Sie verbreiten.Sie spielen mit der Sehnsucht der Menschen nach der Gewaltlosigkeit, und Sie führen mit Ihren Forderungen zu einer chaotischen Gesellschaft, in der die Gewalt das Recht ersetzt.
Das ist die Politik, die Sie betreiben, und zwar deswegen, weil Sie die Bedingungen unterschlagen, unter denen Gewaltlosigkeit möglich ist,
nämlich daß entweder alle Mitglieder einer Gesellschaft auf Gewalt verzichten oder die Minderheit, die für sich Gewaltfreiheit in Anspruch nimmt, bereit ist, für diese Gewaltfreiheit bis zur Selbstaufgabe alles zu erdulden.
Das sind die Bedingungen, die Sie den Menschen verbergen!Sie predigen Gewaltlosigkeit und führen zur Wehrlosigkeit gegenüber der Gewalt, gegenüber dem Rechtsbruch,
gegenüber dem Verfassungsbruch. Sie machen den Staat und die Rechtsordnung zur Beute derjenigen, die bereit sind, für ihre politischen Ziele Gewalt einzusetzen, und Sie wissen es, aber Sie verbergen es dem Bürger.
Sie predigen Haß gegenüber der Polizei.
Nichts war entlarvender als die jubelnde Freude auf Ihrer Versammlung über die Verletzten bei der Polizei. Sie predigen die Auflösung des BGS und der Bereitschaftspolizei sowie die Entwaffnung der Polizei, weil Sie sie wehrlos machen wollen. Soll ihre Arbeit durch die der Freiwilligen Feuerwehr und des Roten Kreuzes ersetzt werden? Das müßte man annehmen, wenn man Sie ernst nehmen wollte.Sie predigen die Abschaffung der Strafvollzugsanstalten. Was machen Sie mit den einsitzenden Rechtsbrechern? Wollen Sie das dem Bürger bitte auch sagen? Wollen Sie sie freilassen?
Sie fordern die Auflösung des Verfassungsschutzes, natürlich auch des MAD und des BND — also Wehrlosigkeit gegenüber der Spionage, Wehrlosigkeit gegenüber denjenigen, die unsere Verfassung mit Gewalt umstürzen wollen.Wo die Begrenzung staatlicher Macht notwendig ist, fordern Sie ihre totale Aufhebung und überantworten damit den Staat, die Rechtsordnung und ihre Durchsetzung denen, die nicht davor zurückschrecken, Gewalt auszuüben.
Daß Sie das tun, wissen wir. Daß Sie es dem Bürger verschleiern, wissen wir auch. Es ist unsere Aufgabe, es dem Bürger zu sagen. Daß die Sozialdemokraten sich an diesem Spiel beteiligen und daraus Gewinn ziehen wollen, ist eine Tragödie für unsere Demokratie.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zynischer, hemmungsloser und härter, so möchte ich sagen, ist in diesem Jahrhundert in Deutschland ein politisches Programm äußerster Brutalität noch nie verkündet worden.
Selbst die Bewegung, die Deutschland zum Ruin geführt hat, hat sich bemüßigt gefühlt, vor ihrer Machtergreifung die eigentlichen Ziele zu bemänteln und hinter scheinbar oder wirklich akzeptablen moralischen Werten zu verstecken, und erst später offen gesagt und bekannt, was sie tun will oder getan hat, und das Schlimmste hat sie auch dann noch verheimlicht.Die grüne Bewegung hat bisher in Einzelaktionen einmal Sympathiebriefe an Terroristen ge-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986 16825
Brollschrieben oder einmal Steinwerfern und anderen Gewalttätern Jubel gezollt. Auch angesichts des skurrilen Äußeren dieser Gruppe konnte man immer noch meinen, das seien Ausrutscher einer kleinen Randerscheinung, die sozusagen das Abfallprodukt einer verrottenden bürgerlichen Gesellschaft sei.
Heute wissen wir: Es ist etwas ganz anderes. Es ist eine Bewegung, die sich nicht, wie sie täuschend und irreführend sagt, zum Ziel gesetzt hat, Demokratie und Recht zu verwirklichen — das sind Tarnbegriffe —, sondern statt Demokratie Herrschaft des Pöbels und statt Recht Herrschaft der Brutalität und des Terrors will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Bewegung an sich, die sich zur Wahl stellt,
sollte schon der Aufmerksamkeit unserer Bürger anheimgegeben sein. Nach den Erfahrungen unserer Geschichte kann keiner mehr sagen, es sei unmöglich, daß Menschen derlei verwirklichen können, was sie lautstark daherreden. Wir wissen, es ist menschenmöglich.
Es hat in der Republik von Weimar einmal einen bekannten Politiker gegeben, Franz von Papen, der ebenfalls glaubte — er kam sich selbst nach dem Kriege noch reinen Gewissens als ein guter Politiker vor —, er könne den Tiger reiten, und der später gefressen worden ist. Ich bitte die Sozialdemokraten und ihren niedersächsischen Ministerpräsidentenkandidaten Schröder dringend, darauf zu achten, daß er nicht ein neuer Franz von Papen unserer Bundesrepublik wird. Er sollte sich mit seinen Freunden deutlich und klar distanzieren
von diesem Weg in das Unrecht und nicht, wie die Vertreter der SPD es heute morgen getan haben, zwar zu 50 % ein Verbalbekenntnis zu unserem Grundgesetz abgeben, aber zu weiteren 50 % so viel Sympathie für das bekunden, was die GRÜNEN in Hannover beschlossen haben, daß jeder Bürger zweifeln muß, ob die Bekundungen, man werde mit diesen Leuten nicht paktieren, wirklich ernst gemeint sind.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesrepublik steht bei den kurz bevorstehenden Wahlentscheidungen an einem Scheideweg;
es geht nicht um diese oder jene politische Richtung, sondern um den Weg in den Abgrund, in das Elend, in das Unrecht
oder den weiteren Weg in Wohlstand, Sicherheit und Freiheit. Jeder Bürger wird wissen müssen, daß diese Wahlentscheidung von jedem einzelnen äußerste Verantwortung verlangt.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf dem Hannoveraner Parteitag ist unter der Kapuze des wetterfesten Umweltfreundes das andere, das wahre Gesicht der GRÜNEN deutlich geworden.
Es ist hier von den Vertretern der GRÜNEN gesagt worden: „Wir fürchten uns nicht, uns dies anhören zu müssen", ja, sie seien selbst ihre besten Kritiker. Wissen Sie, was der Öffentlichkeit bei diesem Parteitag erneut deutlich geworden ist?
Daß Sie vor nichts zurückschrecken,
ja, in einer Hemmungslosigkeit sonderart nichts, aber auch nichts auslassen, um auf sich, und sei es in der unangenehmsten Weise, aufmerksam zu machen.
So etwas macht eine Unfähigkeit zur Politik deutlich, ja, schärfer akzentuiert, eine politische Unzurechnungsfähigkeit.
Es ist das Mißverständnis von Freiheit, wie es die Mütter und Väter unserer Verfassung nicht gewollt und uns nicht mit auf den Weg gegeben haben, zu meinen, durch die Freigabe des Rauschgiftkonsums
einen Beitrag leisten zu können. Sie haben aus gutem Grunde auf Ihrem Hannoveraner Parteitag Beschlüsse aus mehreren Landesverbänden diesmal nicht wieder aufleben lassen, nämlich zur Straflosigkeit der Sexualität mit Kindern. Nur, draußen weiß man — und das wissen die Eltern kleiner Kinder quer durch unsere Republik —,
daß dies nicht aufgehoben ist, sondern bei passender Gelegenheit wieder aus der Schublade herausgezogen werden wird nach dem Motto: Die Pädophilen — zu deutsch: die Kinderfreunde — lassen grüßen.
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16826 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986
Bundesminister EngelhardHier wird vom Rauschgift über die Sexualität mit Kindern in einer großen Linie deutlich, daß Sie vor nichts zurückschrecken, auf die Gefahr hin, in Kauf nehmen zu müssen — und dies ist dringend zu wünschen —, daß Bürger, Menschen in unserem Lande, vor Ihnen zurückschrecken, vor Ihnen zurückschrecken müssen.Es ist darauf hingewiesen worden: Wer die völlige Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs auf sein Panier schreibt, der wendet sich vom Schutz werdenden Lebens ab. Er handelt verfassungswidrig. Wer zeitlich keine Grenze mehr setzt, wird sich fragen lassen müssen, ob er nicht die Grenze überschritten hat, auch nichts mehr zum Schutz bereits geborenen Lebens zu sagen.Wenn dann der tosende Beifall erklingt, wenn bekannt wird, wie viele Polizisten in Wackersdorf auf das schwerste verletzt worden sind,
was ist dies dann? Das ist der Beifall, das ist das Jasagen, das ist die Freude an organisierter Schwerkriminalität. Das ist Ihre Stimme, die hier deutlich geworden ist.
Meine Damen und Herren, wenn Sie in dieser Situation heute morgen hier einen betretenen Eindruck machen, so ist dies verständlich.
Einen peinlicheren Eindruck, einen mir unverständlichen Eindruck hat heute die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei gemacht. Ich habe kein Verständnis:
Warum tun Sie sich eigentlich so schwer, zu Dingen, die völlig klar auch Ihren Prinzipien zuwiderlaufen müßten, ein klares Nein und pfui Teufel zu sagen?
Statt dessen suchen Sie in einem Eiertanz nicht nur persönlich, sondern auch in der Sache klare Worte zu meiden. Das wird den Bürgern draußen — die Koalition in Hessen im Auge, die Empfehlung der Jungsozialisten für eine Zusammenarbeit mit den GRÜNEN im Ohr — ein deutlicher Hinweis sein, wie Verflechtungen, von denen man ehedem nichts träumen konnte, die auch Ihnen ehedem Schauder über den Rücken gejagt hätten, mittlerweile so weit gediehen sind, daß von Ihnen in zentralen Fragen ein klares Wort gegenüber den GRÜNEN heute nicht mehr gewagt wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. de With.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem, was die GRÜNEN in Hannover beschlossen haben, ist in der Tat kein Staat zu machen.
Das gilt für ihre Beschlüsse zur NATO-Politik ebenso wie für ihre Beschlüse zu § 218 und auch für das, was sie zu dem gesagt haben, was wir zur Bekämpfung des Terrorismus in die Strafprozeßordnung und in das Strafgesetzbuch geschrieben haben.
Zu Herrn Seiters sage ich: Wer selbst im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen:
Mit dem Mann in Hannover — Herrn Albrecht — darf kein Staat mehr gemacht werden.
Bis vor kurzem galt der Satz, daß der Staat nicht Bomben legt. Damit ist es vorbei. Ich erinnere an eine Karikatur in der „Süddeutschen Zeitung", wo zwei Häuser abgebildet waren. Über dem einen stand das Wort „Strafvollzugsanstalt Celle", über dem anderen das Wort „Rechtsstaat". In dem Haus des Gefängnisses war nur ein kleines Loch, im Haus des Rechtsstaates aber ein großes Loch. Das haben Sie von der Union zu verantworten. Sie von der FDP, Herr Hirsch, dementierten nicht.
Sie müssen hier die Haftung mit übernehmen.
Wenn ich die Rede von Herrn Engelhard höre, frage ich mich: Wie kann er mit vollziehen, was hier beim Demonstrationsstrafrecht, bei der Schleppnetzfahndung geändert wurde? Was sagt er denn zu dem, was der Bayerische Staatsminister der Justiz, Herr Lang, zur Rückkehr zum Landfriedensbruchparagraphen in der Fassung, wie sie in der Zeit vor 1970 galt, ausführt?
Hier weht der Obrigkeitsstaat kalt durch das Land.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen kleinen Rückblick auf das, was für die Rechtspolitik hier in diesem Hause weiter getan wurde, werfen. Wie war es denn bei der Auschwitz-Lüge? Wie war es denn bei der Strafaussetzung zur Bewährung,
Dr. de With
wo sie wirklich an der Reform vorbeigegangen sind? Wie ist es mit dem Opferschutz? Ich gebe die Hoffnung immer nocht nicht auf, daß wir gemeinsam zu einer Regelung kommen. Wie ist es mit dem Insolvenzrecht? Ich habe den Eindruck, daß die Reform hier sanft zu entschlafen droht.
Nein, wer die GRÜNEN prügelt — und für ihre Beschlüsse in Hannover müssen sie angegriffen werden —, der soll sich sorgsam selbst überlegen, was er in den vergangenen drei Jahren hier in diesem Haus verabschiedet hat.
— Richtig, Herr Penner, oder aber unterlassen hat zu tun.
Ich jedenfalls rufe Ihnen, Herr Seiters, ein klassisches Wort zu, das da lautet:
Eure Reden, die so blinkend sind, in denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt, sind unerquicklich wie der Nebelwind, der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Sauter.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Beschlüsse der GRÜNEN auf ihrem Parteitag zu ausgewählten Themen der Rechtspolitik sind erhellend und erschreckend zugleich. Sie machen unübersehbar deutlich, daß diese Bewegung einen Anschlag auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung plant, daß es ihr ernst ist mit dem Ausstieg aus unserer demokratischen Staats- und Rechtsordnung
und daß ihr Blick und ihre Sehnsucht auf eine andere Republik gerichtet sind,
auf eine Gesellschaftsordnung, in der Willkür die Rechtsstaatlichkeit ersetzt, in der brutale Führungscliquen die Macht exekutieren, in der statt Freiheit Unterdrückung herrscht, in der Anzeigerturn, Bespitzelung und geistige Vergewaltigung zum Markenzeichen werden.
Lassen Sie mich einige wenige Beschlüsse exemplarisch herausgreifen. Erstens. Streichung der Antiterrorgesetze, also der §§ 129 und 129 a StGB. Was soll damit erreicht werden? Es soll damit unter anderem Straffreiheit für diejenigen erreicht werden, die eine Vereinigung gründen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord, Totschlag oder Völkermord zu begehen oder sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligen, für sie werben oder sie unterstützen. Mit wem — frage ich — stecken diese GRÜNEN eigentlich unter einer Decke, wenn sie dies fordern? Wen vertreten diese GRÜNEN eigentlich, wenn sie sich dieser Kriminellen so fürsorglich annehmen? Sollen etwa Terroristen und Terroristenfreunde im nachhinein noch rehabilitiert werden?Zweitens. Stufenweise Abschaffung des Freiheitsentzugs und der Gefängnisse. Kriminelle sollen also nach diesem Langzeitplan der GRÜNEN in Zukunft frei herumlaufen:
Mörder, Sexualverbrecher und Räuber, um nur einige zu nennen. Hat der rechtschaffende Bürger keinen Anspruch mehr darauf, vor diesen Gewalttätern geschützt zu werden, oder möchten die GRÜNEN damit vergessen machen, daß sich bei ihnen zwischenzeitlich Terroristenfreunde, Flugzeugentführer, Kriminelle, Busengrabscher und Kinderschänder zu Hause fühlen können
und daß einige von ihnen die Parlamente in Bund, Ländern und Gemeinden bevölkerten und bevölkern? Soll etwa nicht mehr darauf hingewiesen werden können, daß beispielsweise der Bundestagsabgeordnete der GRÜNEN, Hans-Christian Ströbele, 1982 zu zehn Monaten Haft mit Bewährung wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden ist? Soll etwa nicht mehr darauf hingewiesen werden können, daß beispielsweise das Mitglied des Europäischen Parlaments der GRÜNEN, Brigitte Heinrich, 1980 wegen Vergehens gegen das Sprengstoff- und Kriegswaffenkontrollgesetz zu 21 Monaten Haft verurteilt worden ist, soll etwa nicht mehr darauf hingewiesen werden können, daß die Mitglieder des Europäischen Parlaments der GRÜNEN, Michael Kloeckner und Benedikt Harlin, im März 1984 in erster Instanz zu zweieinhalb Jahren Haft wegen öffentlicher Aufforderungen zu Straftaten und wegen Werbung für eine terroristische Vereinigung verurteilt worden sind?
Abschaffung des § 218 StGB: Die GRÜNEN wollen die völlige Streichung der Strafbarkeit der Tötung werdenden Lebens. Abtreibung bis zum Tage der Geburt soll erlaubt sein.
Damit dokumentieren die GRÜNEN, daß sie keine Achtung vor der Würde des Menschen haben. Sie zeigen auch, daß sie nicht bereit sind, sich an unsere Verfassung zu halten. Die völlige Streichung des § 218 ist Aufruf und Beihilfe zum Mord, zu feigem und heimtückischem Mord. Beim Tierschutz vergießen die GRÜNEN Krokodilstränen,
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16828 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986
Sauter
aus Gründen der politischen Opportunität. Bei dem skrupellosen und brutalen Mord von werdendem Leben dokumentieren sie Ihre wahre Geisteshaltung. Der Wehrlose wird bei ihnen zur Disposition gestellt; da gibt es keine moralischen und da soll es keine rechtlichen Schranken geben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man heute Angst haben muß, dann vor den GRÜNEN. Wenn eine Gefahr für Recht und Freiheit droht, dann von Ihnen.
Wenn es darum geht, daß totalitäre Gedanken wieder aufleben, die wir nach schmerzlichen Erfahrungen in diesem Jahrhundert überwunden glaubten, dann bei Ihnen, den GRÜNEN.
Meine Damen und Herren, an sich ist die Redezeit für die Aktuelle Stunde erschöpft; aber das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Vogel .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben gerade eine Aktuelle Stunde. In dieser Aktuellen Stunde ist die Redezeitaufteilung gemäß den Regeln unserer Geschäftsordnung so, daß die Regierungsparteien 34,5 Minuten haben, die GRÜNEN haben 5,5 Minuten Redezeit; die Redezeiten der Vertreter der Regierung, die in diesem Fall über 15 Minuten betragen haben, werden nicht angerechnet. Das heißt, in diesem Fall hatte die Regierung praktisch 50 Minuten Zeit, über die GRÜNEN herzufallen, hier zu versuchen, Wahlkampf für Niedersachsen zu machen. Die GRÜNEN hatten gerade fünf Minuten Zeit, um ihre Position darzustellen.
Ich glaube, dies ist in höchstem Ausmaß unbefriedigend; es ist auch nicht sehr demokratisch. Deswegen beantrage ich gemäß § 126 unserer Geschäftsordnung, die Abweichungen von der Geschäftsordnung möglich macht, daß unserer Fraktion fünf Minuten zusätzlicher Redezeit zuerkannt werden, um unsere Position hier noch einmal antwortmäßig darstellen zu können.
Danke.
Wird weiter das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich diesen Antrag zur Abstimmung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich unterbreche die Sitzung bis zur Fragestunde um 13 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Bevor wir mit der Fragestunde beginnen, habe ich etwas nachzutragen. Ausweislich des mir inzwischen vorliegenden Stenographischen Protokolls der heutigen Aktuellen Stunde hat der Abgeordnete Schmidt mehrere Zwischenrufe an den Abgeordneten Dr. Hirsch und an Bundesminister Genscher gerichtet. Für diese Zwischenrufe, die ich jetzt nicht im einzelnen aufzähle, erteile ich dem Abgeordneten Schmidt einen Ordnungsruf.
Wir treten jetzt in die Fragestunde ein. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 10/5567 —
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Nur fehlt zu der Frage 1 der Fragesteller, der Abgeordnete Uldall. Ist er hier? — Er ist nicht hier. Die Frage wird nicht beantwortet.
Wir kommen zur Frage 2 des Abgeordneten Dr. Kübler:
Wird die Bundesregierung als Folge des Reaktorunfalls in Tschernobyl die von ihr verfügte Aufhebung des Überflugverbots über das Kernkraftwerk Biblis wieder rückgängig machen, und ist die Bundesregierung bereit, das Überflugverbot über das Kernkraftwerk Biblis und gegebenenfalls weiteren Kernkraftwerken wieder einzuführen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kübler, die Bundesregierung hat die für den zivilen Flugbetrieb hinsichtlich des Uberfiugs über Kernkraftwerke bestehenden Bestimmungen nicht geändert. Sie hält. diese nach wie vor für ausreichend.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kübler.
Darf ich den Herrn Staatssekretär fragen, wie die Frage der Wiederherstellung des militärischen Überflugverbots zu handhaben ist, zumal da aus meiner Fragestellung zu entnehmen war, daß beide Bereiche gemeint sind, insbesondere der militärische Bereich?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, für den militärischen Flugbetrieb gilt, daß Kernkraftwerke bei der Streckenplanung für militärische Tiefflüge auszusparen und zu umfliegen sind. Entsprechend sind Kernkraftwerke in den Tiefflugarbeitskarten eingezeichnet. Diese Anordnung kommt einem Überflugverbot gleich. Ich glaube, diese Antwort sollte ausreichen.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Dàrf ich gleich die Frage stellen, warum im Gegensatz zur bisherigen Handhabung die Frage diesmal nicht vom Bundesverteidigungsminister beantwortet wird, sondern seitens des Bundesverkehrsministers. Konkrete Frage: Haben sich bei der Handhabung dieser Frage Zuständigkeiten in der Zwischenzeit verändert?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986 16829
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies ist mir nicht bekannt. Ich werde aber der Frage nachgehen. Vielleicht ist es reiner Zufall. Sie bekommen da eine schriftliche Antwort.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Penner.
Herr Staatssekretär, warum gibt es denn kein Überflugverbot für Biblis mehr?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe Ihnen gesagt, daß bei der Streckenplanung die Kernkraftwerke auszusparen und zu umfliegen sind. Ich glaube, das reicht doch aus.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, wie kann die Bundesregierung sicherstellen, daß bei der Fülle und der Vermehrung der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik ein Überflugverbot durchgesetzt werden kann und eine Umfliegung erreicht wird? Ich weise Sie darauf hin, daß das Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich im Erprobungslauf ist und dennoch fast täglich Tiefflüge über dieser Einrichtung festzustellen sind.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte diese Frage gern schriftlich beantworten, um vorher einige Experten befragen zu können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, gibt es denn überhaupt noch die Einrichtung des Überflugverbotes, und wie verhält es sich mit Kernkraftanlagen in unmittelbarer Grenznähe, die auf ausländischem Territorium stehen, von der Belastung her aber unmittelbar auf die deutsche Seite einwirken?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, in dieser Frage steckt ein bißchen viel. Ich habe nicht die Absicht, zu französischen Kernkraftwerken Stellung zu nehmen, die Sie in Ihrer Frage offensichtlich gemeint haben.
Was den deutschen zivilen Flugbetrieb und deutsche Kernkraftwerke angeht, so ist der zivile Flugbetrieb gehalten, Kernkraftwerke entweder in ausreichendem Abstand zu umfliegen oder bei Überflügen die Bestimmungen der Luftverkehrsordnung über die Sicherheitsmindesthöhe genauestens zu beachten, d. h. eine Flughöhe einzunehmen, bei der alle denkbaren Möglichkeiten eines Flugunfalles in Ansatz gebracht wurden.
Unter diesen Voraussetzungen ist die Wahrscheinlichkeit eines Absturzes in ein Kernkraftwerk als äußerst gering anzusehen. Seit Wiedererlangung der Lufthoheit im Jahre 1955 ist nicht ein einziger Fall bekanntgeworden, in dem ein nach Sicht betriebenes ziviles Luftfahrzeug, das notlanden mußte, ein Gebäude berührt hat.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Immer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß eine große Anzahl von Firmen nicht bereit ist, Industriegebäude und -gelände ihrer stillgelegten Betriebe an die Kommunen oder Interessenten zu veräußern, damit Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden können, und hält sie diese Praxis mit der Sozialpflichtigkeit gemäß Artikel 14 Abs. 2 GG vereinbar?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Immer, die Bundesregierung kann Ihrer Tatsachenbehauptung, wonach eine große Anzahl von Firmen nicht bereit ist, Industriegebäude und Industriegelände ihrer stillgelegten Betriebe an die Kommunen oder Interessenten zu veräußern, nicht bestätigen. In dem von Ihnen genannten Fall sollen nach den Erkenntnissen der Bundesregierung noch im Juni die Verhandlungen fortgesetzt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Verhandlungen schon mehrere Jahre laufen und verschiedene Firmen, die bereit waren, in einem Gebiet, in dem wir eine steigende Zahl von Arbeitslosen haben, anzusiedeln, das deshalb nicht tun konnten, weil sich dieser bestimmte Konzern nicht dazu versteht, über diese Dinge zu verhandeln, und sind Sie mit mir nicht auch der Meinung, daß diese stillgelegten Betriebe offensichtlich dazu dienen, die Bilanzen der Konzerne so zu verschlechtern, daß sie Steuern sparen können?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Immer, zunächst hat die Bundesregierung nicht die Aufgabe, den letzten Teil Ihrer Frage zu beurteilen.
Hinsichtlich des ersten Teils Ihrer Frage bestätige ich Ihnen, daß die Verhandlungen schon längere Zeit dauern. Aber Sie müssen auch berücksichtigen, daß die Stillegung des Werkes bisher noch nicht erfolgt ist.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Ist Ihnen bekannt, daß nur noch ein Restbetrieb aufrechterhalten wird, nämlich etwa 10% des Geländes und ein Gebäude, und daß einige Hallen schon seit zehn Jahren ungenutzt leerstehen?Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Das kann ich nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnis nicht bestätigen. Wenn Sie aber Wert darauf legen, werde
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16830 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986
Parl. Staatssekretär Dr. Jahnich dieser Frage nachgehen und Ihnen das schriftlich mitteilen.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Immer auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung in der Lage und bereit, im Baugesetzbuch Regelungen zu verankern, die geeignet sind, Gelände und Gebäude von stillgelegten Betrieben Kommunen oder privaten Interessenten leichter als derzeit zur Verfügung zu stellen, damit die Erschließung neuer Industrie- und Gewerbegebiete vermieden und dennoch Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden können?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Immer, die Bundesregierung hält die gegenwärtige Rechtslage, die insoweit auch in das neue Baugesetzbuch übernommen werden soll, für angemessen und ausreichend. Danach hat eine Gemeinde im Rahmen ihrer Planungshoheit für eine geordnete städtebauliche Entwicklung des Gemeindegebiets zu sorgen. Durch das neue Baugesetzbuch wird, darüber hinaus der Gesichtspunkt der Innenentwicklung des Gemeindegebiets weiter hervorgehoben. Die Revitalisierung von Industriebrachen gehört dazu.
Die Gemeinden können sich einerseits der Instrumente des Privatrechts bedienen oder Grundstücke freihändig erwerben. Darüber hinaus stehen der Gemeinde andererseits eine Reihe bodenrechtlicher Instrumente zur Verfügung, die sie bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen je nach Sachlage einsetzen kann: insbesondere die Bauleitplanung und ihre Sicherungsinstrumente einschließlich des gesetzlichen Vorkaufsrechts, die Planverwirklichungsgebote, die Bodenordnung, die Enteignung oder die Sanierung.
Weitergehende gesetzliche Regelungen hält die Bundesregierung nicht für erforderlich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung, daß es eigentlich nicht sinnvoll ist, daß Gemeinden — auch in Fördergebieten -- immer wieder neue Industrie- und Gewerbegebiete ausweisen und erschließen, während in den Städten solche Gebiete vorhanden sind, die einfach dadurch blockiert werden, daß die Konzerne oder andere Eigentümer nicht bereit sind, diese Gebiete zur Verfügung zu stellen, und schließen Sie aus dieser Tatsache nicht auch, daß es für die Gemeinden sehr schwierig ist, die gesetzlichen Regelungen durchzusetzen, und daß es daher vielleicht doch notwendig ist, die gesetzlichen Regelungen zu ändern?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Immer, die Bundesregierung hat das Sanierungsrecht erleichtert, und dies geht auch in die Baugesetznovelle ein. Die Bundesregierung verfolgt mit Aufmerksamkeit, wie die Brachflächen in den Städten und Gemeinden genutzt werden. Es obliegt selbstverständlich der Planungshoheit einer Gemeinde, wo sie Gewerbegebiete ausweist; aber wir legen
Wert darauf, daß Brachflächen nicht liegenbleiben, sondern genutzt werden. Dem dient das Sanierungsrecht auch schon in der jetzigen gesetzlichen Fassung. Die Sanierungsbemühungen werden in der Baugesetznovelle noch weiter konkretisiert.
Keine weiteren Zusatzfragen. -- Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Dr. Sperling zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Frage 7 des Abgeordneten Antretter zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen wird ebenfalls auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Sprung steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Urbaniak auf:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die 4 Milliarden DM, die die französische Regierung den staatlichen Stahlkonzernen Usinor und Salicor in Form von Kapitalerhöhungen im Jahr 1986 zukommen läßt, gegen den Subventionskodex verstoßen, und welche Schritte will sie dagegen unternehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Urbaniak, die Bundesregierung verfügt nicht über Erkenntnisse, nach denen die französische Regierung den staatlichen Stahlkonzernen Usinor und Salicor im Jahre 1986 4 Milliarden DM für Kapitalerhöhung zukommen läßt. Die EG-Kommission hat am 31. Juli 1985 für Usinor und Salicor wie für Stahlunternehmen anderer Mitgliedstaaten auch zusätzliche Beihilfen in Höhe von 10 Milliarden französischen Francs zur Umwandlung von Schulden in Kapital genehmigt. Ferner wurden aus dem Beihilfepaket vom 29. Juni 1983 noch nicht freigegebene Betriebsbeihilfen in Höhe von 3,8 Milliarden französischen Francs freigegeben. Die EG-Kommission hat versichert, daß für diese zusätzlichen Beihilfen der Subventionskodex Stahl der EG beachtet werde und keinerlei Zahlungen nach dem 31. 12. 1985 erfolgt sind.
Die Bundesregierung wird die Entwicklung im Beihilfenbereich weiterhin besonders aufmerksam verfolgen und auf Einhaltung des Subventionskodex bestehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Staatssekretär, über diese Kapitalerhöhungsmargen, auf die sich meine Frage bezieht, ist ja in der Presse hinreichend berichtet worden. Hat die Bundesregierung diese Pressenotizen und -artikel nicht zur Kenntnis genommen und keine Schlüsse daraus gezogen?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986 16831
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Urbaniak, die Bundesregierung steht wegen dieser Pressemeldungen in Kontakt mit der EG-Kommission. Bisher haben wir von seiten der EG-Kommission nicht gehört, daß das, was in der Presse vermutet wird, tatsächlich der Fall ist.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Urbaniak.
Herr Staatssekretär, wenn es sich bestätigen sollte, daß diese Kapitalerhöhung erfolgt ist, können Sie dann bestätigen, daß dies einem Verstoß gegen den Subventionskodex in der EG gleichkäme?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Urbaniak, dem stimme ich voll zu. Es wäre ein massiver Verstoß gegen die Vereinbarungen, die in der EG getroffen worden sind.
Frage 9 des Herrn Abgeordneten Urbaniak:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß durch das Handeln der französischen Regierung ein neuer Subventionswettlauf in der EG zu befürchten ist?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Urbaniak, der Bundesregierung sind keine Maßnahmen der französischen Regierung bekannt, die zu einem neuen Subventionswettlauf in der EG führen könnten. Sie wird aber die weitere Entwicklung sorgfältig beobachten und gegebenenfalls alles ihr Mögliche unternehmen, um einen neuen Subventionswettlauf verhindern zu helfen.
Zusatzfrage, Abgeordneter Urbaniak.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob in anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft ein derartiger Subventionswettlauf begonnen wird oder ob die Vermutung begründet ist, daß es Ansätze dazu gibt?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Urbaniak, solche Erkenntnisse gibt es nicht.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann man also davon ausgehen, daß der Kodex zur Zeit eingehalten wird und daß die einheimische Stahlindustrie von den Beschlüssen der EG voll abgedeckt ist, so daß sich in der Stahlindustrie alles so normal entwickelt, daß wir wieder zu normalen Wettbewerbsvoraussetzungen kommen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Urbaniak, nach den Erkenntnissen, die wir haben, kann man davon ausgehen. Noch einmal: Wir beobachten die Entwicklung sehr sorgfältig. Auch uns liegt daran, daß der Subventionskodex endgültig zum 31. Dezember letzten Jahres ausgelaufen ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 10 und 11 der Abgeordneten Frau Terborg sollen auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 12 des Herrn Abgeordneten Schreiner auf:
Welche tatsächlichen, rechtlichen und politischen Voraussetzungen müssen vorliegen, um der Badenwerk AG und eventuellen weiteren deutschen Abnehmern Stromimporte aus Frankreich, insbesondere von dem grenznahen Atom-kraftkomplex Cattenom, zu ermöglichen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schreiner, Stromlieferungen und -bezöge über die Grenzen hinweg sind im Rahmen des europäischen Stromverbundes seit langem üblich. Sie tragen in dem praktizierten Umfang zur Erfüllung wesentlicher elektrizitätspolitischer Ziele bei, da sie die Sicherheit der Stromversorgung erhöhen und ihre Wirtschaftlichkeit verbessern. Die Entscheidung über Stromimporte treffen aber die Elektrizitätsversorgungsunternehmen im Rahmen der ihnen nach dem Energiewirtschaftsgesetz obliegenden Verantwortung für eine ausreichende und preisgünstige Versorgung mit elektrischer Energie. Ein verstärkter Stromimport stünde nur dann nicht im Einklang mit den Zielen der Energiepolitik der Bundesregierung, wenn damit deutsche Steinkohle verdrängt würde oder ein nachhaltiger Verzicht auf die Errichtung der notwendigen Grundleistungskraftwerke innerhalb der Bundesrepublik verbunden wäre.
Davon kann im Fall der zwischen Badenwerk AG und Electricité de France bereits 1979 vereinbarten Strombezüge aus Cattenom schon wegen des begrenzten Umfanges — es sind rund 130 MW — keine Rede sein. Im übrigen ist die Ein- und Ausfuhr elektrischer Energie nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigungsfrei. Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften unterliegt Elektrizität als Ware den Vorschriften des EWG-Vertrages über den freien Warenverkehr.
Zu den tatsächlichen Voraussetzungen für die Einfuhr französischen Stroms gehört das Vorhandensein ausreichender Kupplungskapazitäten zwischen dem Lieferanten EDF und dem Empfänger bzw. die Bereitschaft zur Durchleitung eines Elektrizitätsversorgungsunternehmens, das über derartige Kupplungskapazitäten verfügt.
Zusatzfrage, Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, wir beurteilt die Bundesregierung den Umstand, daß die französische Elektrizitätsversorgungswirtschaft insbesondere durch die Bereitstellung von Atomstrom in der Lage sein könnte, das deutsche Preisgefüge völlig auf den Kopf zu stellen, weil der französische Atomstrom von der öffentlichen Hand in Frankreich hoch subventioniert wird und weil die Produktionskosten dort gegenüber denen in Deutschland insoweit geringer sind, als dort die Voraussetzungen des Umweltschutzes erheblich geringer veranschlagt werden als hier?
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16832 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß es sich nach dem EWG-Vertrag hierbei um eine Ware handelt, die über die Grenzen hinweg frei ausgetauscht werden kann. Aber es ist auch darauf hinzuweisen, daß bis jetzt nur ein einziges deutsches Stromversorgungsunternehmen entsprechende Bezüge von dem Kernkraftwerk, das Sie angesprochen haben, ins Auge gefaßt bzw. Verträge darüber abgeschlossen hat.
Zweite Zusatzfrage.
Entschuldigung, ich habe Ihren Äußerungen nicht im geringsten entnehmen können, daß Sie meine Frage auch nur ansatzweise beantwortet hätten. Ich habe Sie gerade gefragt, wie die Bundesregierung den Umstand beurteilt, daß der französische Atomstrom zu Dumpingpreisen — weit unter dem deutschen Preisniveau — hier angeboten werden kann, weil die französische Atomstromindustrie hoch subventioniert wird — analog der Stahlproblematik — und weil die französische Gesetzgebung auf dem Gebiete des Umweltschutzes erheblich unterhalb des Niveaus der deutschen ist.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann weder bestätigen, daß es sich um Dumpingpreise handelt, noch kann ich der Tatsache, daß ein bestimmtes Gut --- in diesem Fall Elektrizität — billiger angeboten wird, als es in der Bundesrepublik zur Verfügung steht, entnehmen, daß es sich hierbei um einen Austausch, um einen Warenverkehr handelt, der mit den Regeln internationaler Vereinbarungen — in diesem Fall des EWG-Vertrages — nicht in Einklang steht.
Ich hätte Ihnen noch eine Zusatzfrage ermöglicht, weil Sie Ihre erste Frage nur verdeutlicht haben. Wollten Sie noch eine Zusatzfrage stellen? — Dann bitte.
Da Sie eben von den tatsächlichen Voraussetzungen gesprochen haben, frage ich, ob die Bundesregierung der Auffassung ist, daß Strombezüge, über den bisherigen 5-%-Vertrag hinausgehend, den Interessen der deutschen Primärenergiewirtschaft abträglich sein könnten.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß wir in der EG einen freien Warenaustausch haben. Dazu gehört auch die Lieferung bzw. der Bezug von Strom. Wenn eine
Erhöhung vorgenommen würde, wenn ein Versorgungsunternehmen in diesem Sinne entscheiden würde und wenn es nicht gegen andere Zusagen, z. B. den Jahrhundertvertrag über die Abnahme deutscher Steinkohle, damit indirekt verstoßen würde, dann gäbe es keinerlei Möglichkeit, daraus einen Vorwurf herzuleiten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Staatssekretär, das müssen wir natürlich ein bißchen präziser hören. Sie erwähnen hier zwei Einschränkungsmöglichkeiten, einmal wenn es die Grundlast, so habe ich Sie vorhin verstanden, betrifft, und zum anderen, wenn es die deutsche Steinkohle betrifft. Welche rechtlichen Möglichkeiten hätte denn der Bund, in einem solchen Fall der Ausweitung, wie mein Kollege Schreiner gefragt hat, rechtlich einzugreifen, denn der Jahrhundertvertrag ist j a wohl keine rechtliche Grundlage?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Wenn ein deutsches Versorgungsunternehmen einen Stromlieferungsvertrag mit einem ausländischen Lieferanten abschließt, so ist das nur seine Entscheidung.
Also besteht keine rechtliche Möglichkeit?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Nein.
Keine Zusatzfragen. Frage 13 des Abgeordneten Mann:
Wie hoch genau sind die laut Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Mai 1986 mit zwischen 7 und 10 Milliarden DM angegebenen Kosten des im Probebetrieb befindlichen, zur Zeit abgeschalteten Atomreaktors in Mülheim/Kärlich?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Mann, die Bundesregierung ist an der Finanzierung des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich nicht beteiligt. Sie kann daher aus eigener Kenntnis keine Angaben zu den Kosten des Kernkraftwerks machen. Nach der Information der Bundesregierung belaufen sich die Herstellungskosten einschließlich Preisgleitung und Bauzeitzinsen ohne Kosten des Erstkerns auf ca. 7 Milliarden DM. Die hohen Investitionskosten sind ganz überwiegend auf Bauzeitverzögerungen zurückzuführen und mit den Kosten für andere ebenfalls mit Verzögerungen hergestellte Anlagen vergleichbar. Nach Angaben des Betreibers werden im Fall Mülheim-Kärlich die höheren Baukosten durch eine günstige Leasingfinanzierung weitgehend kompensiert.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Kollege, ungeachtet Ihrer Schwierigkeiten, sich genaue Kenntnisse zu beschaffen, frage ich Sie: Können Sie sagen, in welchem Umfang sich der Bau von Mülheim-Kärlich durch den Unfall im amerikanischen Atomkraftwerk Harrisburg, „Three Mile Island", 1979 verteuert hat?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Dies ist eine sehr präzise Frage. Ich habe dafür keine Information zur Verfügung, sehe aber auch kaum die Möglichkeit, dazu etwas sagen zu können, es sei denn, der Betreiber bzw. Errichter des Kernkraftwerks gibt uns dafür die entsprechenden Unterlagen.
Herr Kollege, dann darf ich vielleicht eine weitere allgemeine Zusatzfrage stellen. Es ist für mich sehr schwierig, hier wirklich sachgerecht zu fragen. Sind Sie der Auffassung, daß Ihre
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986 16833
MannAuskunftsbereitschaft in Einklang damit steht, daß nach einer Studie des Bundesforschungsministers Entschädigungsforderungen der Betreiber in Höhe von zig Milliarden bei der Frage eines Ausstiegs aus der Kernenergie von der Bundesregierung in die öffentliche Diskussion gebracht werden und Sie sich hier hinstellen und sagen, Sie könnten aber keine Angaben zu den Kosten machen?Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß wir bereits in der Antwort auf eine Kleine Anfrage Ihrer Fraktion darauf aufmerksam gemacht haben, daß wir an der Finanzierung dieses Kernkraftwerks nicht beteiligt sind und daß wir uns daher auch nicht in der Lage sehen -- daran hat sich bis heute nichts geändert —, die Frage nach einer Mitwirkung von Beteiligungsunternehmen des Bundes im Rahmen einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit an der Finanzierung des Kraftwerks zu beantworten. Darüber hinaus kann ich auch nichts über die Kosten sagen, die andere an diesem Kernkraftwerk Beteiligte getragen haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Suhr.
Ich hätte von Ihnen gerne gewußt, ob Sie Informationen darüber besitzen, wie hoch im Moment der gesamte Buchwert der bestehenden Kernkraftanlagen ist. Durch die Medien geistern da ja völlig widersprüchliche Zahlen zwischen 120 Milliarden und 200 Milliarden; manche sprechen von 130 Milliarden DM.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Es ist eine Frage nach den Kosten der Errichtung des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich gestellt worden, und ich habe darauf eine Antwort gegeben. Darüber hinaus kann ich Ihnen keine Zahlen nennen.
Sie haben nur eine Zusatzfrage! — Ansonsten keine weiteren Zusatzfragen.
Frage 14 des Abgeordneten Bernrath wird auf Grund der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Haase sowie 17 und 18 des Abgeordneten Hinsken werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden ebenfalls als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 19 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:
Wie ist der Stand der Verhandlungen über den Anschluß des Mitte des Jahres auslaufenden derzeit gültigen Welttextilabkommens?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kirschner, auf den ersten Teil Ihrer Frage möchte ich folgendes antworten. Eine neue Verhandlungsrunde über eine Anschlußregelung an das derzeit gültige Welttextilabkommen findet am 4. und 5. Juni, also heute und morgen, in Genf statt. Nach dem letzten Stand scheint nunmehr eine Mehrheit der Entwicklungsländer grundsätzlich bereit zu sein, einer Anschlußregelung zuzustimmen. Die Modalitäten sind jedoch noch offen. Die Spannweite der Forderungen der Entwicklungsländer reicht von substantiellen Liberalisierungen über Nichtdiskriminierungen — das heißt in diesem Falle: Beschränkung des Textilhandels auch zwischen den Industrieländern — bis zu der Festlegung, daß es sich um eine letztmalige Verlängerung des Welttextilabkommens um wenige Jahre als Übergang zur Anwendung der allgemeinen GATT-Regeln auch auf dem Textil- und Bekleidungssektor handelt. Einige Entwicklungs- und Schwellenländer knüpfen ihre Zustimmung zu einer umfassenden neuen GATT-Runde über die Liberalisierung des Handels-und Dienstleistungsverkehrs an verbindliche Zusagen . der Industrieländer, das Welttextilabkommen auslaufen zu lassen, an.
Nach derzeitiger Terminplanung sollen die Verhandlungen über das Welttextilabkommen Ende Juni/Anfang Juli fortgesetzt und nach Möglichkeit zum Abschluß gebracht werden.
Nun zum zweiten Teil Ihrer Frage: Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, die Forderung der Gewerkschaften nach Einhaltung der ILO-Normen und die der Textilindustrie nach Musterschutz zu unterstützen. Deshalb hat sie sich auch für einen entsprechenden Verhandlungsauftrag des EG-Ministerrates an die EG-Kommission zu diesen beiden Punkten eingesetzt.
Die Bundesregierung hat jedoch schon frühzeitig darauf hingewiesen, daß es sich hierbei um Bereiche handelt, die außerhalb des eigentlichen Rahmens des Welttextilabkommens liegen. Wir dürfen also keine allzu hohen Erwartungen an die Durchsetzbarkeit konkreter Verpflichtungen der Entwicklungsländer knüpfen. Es muß immer wieder daran erinnert werden, daß das Welttextilabkommen eine zeitlich befristete, seit 1974 bereits zweimal verlängerte Ausnahme von den allgemeinen GATT-Regeln zugunsten der Industrieländer ist. Nicht wir, sondern die Entwicklungsländer machen ein Zugeständnis, wenn sie sich mit einer neuerlichen Beschränkung ihrer Exporte einverstanden erklären. Die Verhandlungen über eine Anschlußregelung an das jetzige Welttextilabkommen sollten deshalb im Interesse des Hauptziels nicht überfrachtet bzw. belastet werden. Dies ist auch einhellige Meinung in der EG.
Wenn ich es richtig sehe, sind jetzt gleich beide Fragen des Abgeordneten Kirschner beantwortet worden, also auch die Frage 20:Ist die Bundesregierung bereit, die Forderung der Gewerkschaften nach sozialen Mindeststandards zu unterstützen, wie sie auch die ILO fordert , und ist sie auch bereit, die Forderung der deutschen Textilindustrie nach einem Musterschutz zu unterstützen?
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16834 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986
Vizepräsident Frau RengerDamit haben Sie vier Zusatzfragen, Herr Kollege Kirschner. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, kann man nach Ihren Ausführungen davon ausgehen, daß nun konkrete Chancen bestehen, daß dieses Welttextilabkommen womöglich noch im Monat Juli abgeschlossen wird bzw. daß dann der Anschluß erfolgt?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß berechtigte Hoffnungen bestehen, daß es zum Abschluß eines neuen Welttextilabkommens bzw. zu einer Verlängerung des derzeit gültigen Abkommens — mit entsprechenden Modifikationen des Abkommens selbst -- kommt.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie erwähnten, daß vor allen Dingen die Entwicklungsländer Zugeständnisse machen. Nach meinen Kenntnissen sind ja die sogenannten Schwellenländer das Problem. Beurteilen Sie Länder wie beispielsweise Taiwan, Hongkong oder Südkorea noch unter diesem Aspekt, betrachten Sie sie also als Entwicklungsländer, oder ist im Zusammenhang mit dem Welttextilabkommen nicht dort im Grunde genommen die größte Problematik zu sehen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Dies ist völlig richtig. Wir sehen das genauso. Wir sind der Meinung, daß diese Länder einen entsprechenden zusätzlichen Beitrag im Zusammenhang mit der Verlängerung des Welttextilabkommens leisten sollten.
Dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in meiner zweiten Frage habe ich noch auf den von der deutschen Textilindustrie immer wieder geforderten Musterschutz hingewiesen. Können Sie zu dieser Forderung der deutschen Textilindustrie etwas sagen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich darf Ihnen sagen, daß wir dies für ein sehr wichtiges Thema halten. Wir haben diesen Punkt in dem Mandat, das die EG-Kommission für die Verhandlungsführung in Genf erhalten hat, besonders erwähnt.
Vierte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was tut die Bundesregierung konkret, um diesen Musterschutz, von dem letzten Endes sehr viele Arbeitsplätze abhängen, tatsächlich durchzusetzen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Verhandlungen in Genf führt die EG-Kommission. Die EG-Kommission hat ein Mandat für die Verhandlungen erhalten. In dem Mandat ist auch dieses Thema besonders angesprochen. Die EG-Kommission hat die Sache jetzt weiterzuverfolgen und durchzusetzen. Wir selbst werden den Gang der Verhandlungen in Genf sehr genau verfolgen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, gibt es eine eindeutige Verhandlungsposition seitens der Bundesregierung -- und zwar im Sinne einer Einflußnahme auf die EG-Kommission —, die etwas über den Inhalt des zukünftigen Textilabkommens aussagt?
Dr. Sprung, Part. Staatssekretär: Herr Kollege, dies ist der Fall. Ich habe schon einige Male von dem Mandat gesprochen, das die EG-Kommission erhalten hat. Ich bin gern bereit, Ihnen dieses Mandat im Wortlaut zur Verfügung zu stellen. Wir haben es im Wirtschaftsausschuß ausführlich diskutiert. Wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß es eine gute Grundlage für die Verhandlungen in Genf ist.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie uns auch etwas darüber sagen, ob die Bundesregierung auf die Länge der Laufzeit des abzuschließenden Abkommens Einfluß nimmt, damit die Betriebe wissen, woran sie sind?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Auch dieses Thema ist von besonderer Bedeutung. Wir wollen eine substantielle Verlängerung erreichen. Aber ich sage noch einmal: Die Textilexportländer haben ihre eigenen Vorstellungen. Sie haben zum Teil ganz andere Vorstellungen. Es gilt, zu einem Kompromiß zu gelangen. Die Bereitschaft zu einer nochmaligen Verlängerung ist allerdings auch dort grundsätzlich vorhanden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Huonker.
Herr Staatssekretär, spielt das Thema „Diebstahl von Kreativität", also Diebstahl von Mustern, in anderen Staaten der EG und deren Textilindustrie eine ähnliche Rolle wie in der Bundesrepublik, oder steht da die Bundesrepublik, obwohl das Gegenstand des Mandats ist, allein?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich hier — das ist bekannt — um ein Thema von allgemeiner Bedeutung und von dem auch andere Länder sehr stark berührt sind. Die Internationale Handelskammer hat sich dieses Themas angenommen. Es wird auch in der nächsten GATT-Runde erörtert. Denn die daraus resultierenden Wirkungen, insbesondere für die Industrieländer, sind erheblich. Ich nenne die Wirkungen auf die Arbeitsplatzsituation, die Möglichkeit, die Produktion weiter zu steigern, usf.
Zweite Zusatzfrage.
Stimmen Sie mir zu, daß die Chancen, auf diesem Gebiet weiterzukommen, geringer sind, wenn sich beim Welttextilabkommen nichts bewegt und man die Sache auf die GATTVerhandlungen verschieben würde?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986 16835
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Das würde ich so nicht sehen wollen. Wir werden sehen, wie weit wir in Genf kommen.Ich sage noch einmal: Zu einem Abschluß gehören zwei: die Exportländer und die Importländer. Wir wollen etwas von den Exportländern. Deshalb werden wir nichts durchsetzen können, was nicht auch von seiten der Exportländer letzten Endes akzeptiert und als vernünftig angesehen wird, weil nur so internationaler Handel auf Dauer und auf einer vernünftigen Basis möglich ist.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Huonker auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung bei der Anschlußregelung zu dem Ende Juli 1986 auslaufenden Welttextilabkommen die Aussichten, daß Verbesserungen der Absatzmöglichkeiten für die ärmeren Entwicklungsländer maßgeblich zu Lasten der Schwellenländer wie z. B. Hongkong, Süd-Korea und Taiwan erfolgen, und was tut sie, um dies durchzusetzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Huonker, die Verbesserung der Absatzmöglichkeiten der ärmeren Entwicklungsländer ist ein Hauptelement der EG-Verhandlungsrichtlinien. Zu Lasten der Schwellenländer soll dies insofern gehen, als für sie eine deutlich geringere Verbesserung der Marktzugangsmöglichkeiten vorgesehen ist. Eine eventuelle Reduzierung der bisherigen Quoten wie bei der Welttextilabkommens-Verlängerung 1981 ist im Verhandlungsmandat nicht vorgesehen, da diese von den Schwellenländern entschieden abgelehnt wird und die Erneuerung des Welttextilabkommens stark gefährden würde.
Die Bundesregierung setzt sich bei den Verhandlungen über die Erneuerung der bilateralen Textilabkommen mit Nachdruck für eine differenzierte Behandlung der Entwicklungsländer nach ihrer Lieferstärke und dem Stand ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Huonker.
Herr Staatssekretär, kann man nach dem jetzigen Stand der Verhandlungen beurteilen, ob es auf seiten der Entwicklungsländer einen quasi geschlossenen Block gibt oder ob innerhalb der Entwicklungsländer die sehr unterschiedliche Situation textilexportierender Länder gesehen wird?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe bereits in der Antwort auf die Frage von Herrn Kirschner darauf hingewiesen, daß es hier unterschiedliche Positionen gibt. Ich habe sie im einzelnen beschrieben. Es gibt keinen geschlossenen Block. Es gibt keine geschlossene Meinung.
Zweite Zusatzfrage.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang Brasilien?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen zu dieser sehr konkreten Frage in diesem Zusammenhang nichts sagen. Ich bin aber gern bereit, mich danach zu erkundigen und Ihnen schriftlich eine Antwort zu erteilen.
Wir kommen zur Frage 22 des Abgeordneten Huonker:
Erwartet die Bundesregierung, daß Länder wie Hongkong, Süd-Korea und Taiwan im Zuge der Anschlußregelung zum Welttextilabkommen ihre Binnenmärkte für Textil- und Bekleidungseinfuhren auch aus den Industrieländern öffnen werden, und wie schätzt die Bundesregierung die Durchsetzung entsprechender Vereinbarungen in der Praxis ein?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Huonker, gemäß den Verhandlungsrichtlinien sollen sich alle Teilnehmerländer verpflichten, durch eine Öffnung ihrer Märkte und gerechtere Wettbewerbsbedingungen einen Beitrag zum Textilhandel zu leisten, der ihrem Entwicklungsstand und ihrer Wirtschaftslage entspricht. Dies gilt insbesondere für die Schwellenländer. Hinsichtlich Hongkong ist zu berücksichtigen, daß dieses Land bereits freien Zugang zu seinem Markt hat.
Eine bindende Verpflichtung zum Abbau von Handelsbarrieren ist allerdings im Rahmen des Welttextilabkommens nicht verhandelbar, nicht negoziabel. Eine schrittweise Öffnung der Märkte wird insbesondere im Rahmen der neuen GATT-Runde anzustreben sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Huonker.
Ich habe Sie richtig verstanden: Sie sagen, daß das beim Welttextilabkommen nicht verhandelbar sei?
Gibt es politische Möglichkeiten, am Rande oder im Rahmen dieser Welttextilabkommensverhandlungen einen Bogen zu schlagen, auf den man zurückgreifen kann, wenn die GATT-Runde kommt, oder läßt man das jetzt einfach laufen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Der Zusammenhang zwischen den Verhandlungen über eine Verlängerung des Welttextilabkommens und der GATT-Runde ist sehr eng. Für die Entwicklungsländer, für die Schwellenländer sind die Verhandlungen über eine Verlängerung des Welttextilabkommens ein Zeichen dafür, was man in einer neuen GATT-Runde erwarten darf, wieweit sich eine weitere Liberalisierung des Welthandels schon vorher in den Verhandlungen über eine Verlängerung des Welttextilabkommens ausdrückt. Hier steht sehr viel auf dem Spiel. Den Welttextilabkommens-Verhandlungen kommt, so gesehen, eine große Bedeutung zu.
Zusatzfrage, bitte.
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16836 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986
Ist gewährleistet, daß die betroffene deutsche Industrie und die zuständige Gewerkschaft über den Gang der Verhandlungen exakt informiert sind und werden?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Wir stehen mit beiden in ständigem Kontakt. Es hat eine ganze Fülle von Gesprächen stattgefunden. Wenn ein Informationswunsch ausgesprochen wird, wird dem auch Rechnung getragen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, gibt es exakte Zahlen, die aussagen, welche Möglichkeiten bisher seitens der Industrieländer bestanden haben, ihre Exporte auch in den Schwellenländern abzusetzen, oder war die Abschottung so dicht, daß Sie hier keine Zahlen haben?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß dies ein wichtiger Punkt in den Verhandlungen ist. Daß insbesondere die Schwellenländer ihre Märkte öffnen sollen, ist eine Forderung, die wir erheben. Hongkong hat seinen Markt bereits geöffnet. Dieser Prozeß muß sich fortsetzen. Das ist ein Ziel, das nicht von heute auf morgen erreicht werden kann. Wir werden sehr geduldig sein müssen, auch sehr viel Überzeugungsarbeit zu leisten haben, um diesen Ländern klarzumachen, daß es auch zu ihrem Vorteil ist, wenn sie ihre Märkte öffnen.
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. von Bülow auf:
Hat die Bundesrepublik Deutschland der Erhöhung der Einfuhrmengen von Maschenwaren und Bekleidung aus der Türkei um 15 Millionen Wäscheteile zu Lasten des deutschen Marktes zugestimmt, und welche Auswirkung auf die Beschäftigung der Maschenindustrie der Schwäbischen Alb und ihrer Arbeitnehmer erwartet die Bundesregierung angesichts schrumpfender Absatzmärkte in der Bundesrepublik Deutschland?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Bülow, es ist, glaube ich, richtig, wenn ich Ihre Frage 23 in Etappen beantworte.
Zum ersten Teil dieser Ihrer Frage: Die Bundesregierung hat keiner Erhöhung der Einfuhrmengen von Bekleidung aus der Türkei, sondern einem Arrangement zugestimmt, das die Kommission der Europäischen Gemeinschaften im Rahmen eines 'Mandats des EG-Ministerrats zu Verhandlungen mit Textillieferländern mit den türkischen Bekleidungsverbänden über die Beschränkung von Ausfuhren in die EG ausgehandelt hat.
Nach jahrelangen Bemühungen ist es gelungen, ein solches Selbstbeschränkungsarrangement gegenüber einem Partner zustande zu bringen, der nach dem Assoziationsabkommen von 1964 grundsätzlich ein Recht auf freien Zugang zu den Märkten der Gemeinschaft hat. In der Vergangenheit hat die EG-Kommission für einzelne Warenkategorien wiederholt zeitlich befristete, einseitige Schutzmaßnahmen ergriffen, ohne jedoch die kontinuierlichen und teilweise sprunghaften Einfuhrsteigerungen verhindern zu können. Mit dem Beschränkungsarrangement gibt es jetzt erstmals einen verläßlichen Rahmen für die äußerstenfalls möglichen Einfuhren bis einschließlich 1988. Dagegen können wir nicht davon ausgehen, daß die einseitigen Schutzmaßnahmen gegenüber dem Assoziationspartner Türkei, die immer wieder zu Verstimmungen geführt haben, von der EG ständig erneuert werden.
Nach einem vergleichbaren Arrangement für bestimmte Textilprodukte vom Dezember 1985 umfaßt die jetzt erzielte Vereinbarung über Bekleidungserzeugnisse elf Warenkategorien, darunter sieben aus dem Bereich der Maschenindustrie. Für drei Maschenkategorien gibt es sogar Beschränkungen entweder nur für die Bundesrepublik oder für uns und einige andere Mitgliedstaaten, nicht für die gesamte Gemeinschaft. Es sind also gerade die Interessen der deutschen Maschenindustrie, die die Bundesregierung gewahrt hat.
Und nun zu den möglichen Auswirkungen auf die Beschäftigung in der Maschenindustrie in der Schwäbischen Alb: Berechnungen über Auswirkungen auf die Beschäftigung in der Maschenindustrie sind rein spekulativ; Höchstmengen sind noch keine Effektiveinfuhren. Quoten für ein einzelnes Land können dem Gesamtimportvolumen nicht numerisch hinzugerechnet werden. Einzelquoten besagen nichts über Absatzchancen der deutschen Maschenindustrie. Marktentwicklung, Angebots- und Nachfrageverschiebungen, Substitutionsprozesse lassen sich nicht eindeutig vorhersagen, auch oder gerade nicht für kleinere Marktsegmente. Als Flankenschutz im Strukturanpassungsprozeß und im Interesse der Arbeitnehmer hält die Bundesregierung dieses Beschränkungsarrangement allerdings für notwendig.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Bülow.
Herr Staatssekretär, angesichts der sehr bitteren Beschwerden der Industrie über die Art des Zustandekommens sowie an den auf Umwegen ans Licht gekommenen Inhalten des Türkei-Abkommens, das Sie mit dem Wort „Arrangement" beschreiben — frage ich Sie: Wie ist eigentlich das Verfahren? Wird die beteiligte Industrie von der Bundesregierung, bevor diese der EG-Kommission ein Mandat vermittelt, gehört, und hört wiederum die EG-Kommission, bevor sie die Verhandlungen aufnimmt, die zuständige Industrie und die entsprechenden Gewerkschaften?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Natürlich finden, wenn solche Verhandlungen laufen, Kontakte auch mit der Industrie statt. Es wird mit ihnen über die Situation, die sich ergeben kann, bzw. über die Verhandlungslage gesprochen.
Herr Abgeordneter von Bülow, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Sie können sich also nicht erklären, worauf sich diese massive Kritik am Vorgehen des Wirtschaftsministeriums und der EGKommission überhaupt bezieht?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986 16837
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Die Verhandlungen sind von seiten der EG-Kommission geführt worden. Die Abmachungen, die getroffen worden sind, sind Abmachungen, die — ich habe schön darauf hingewiesen — einen noch unerträglicheren, einen noch ungünstigeren Zustand beendet haben. So gesehen ist das Arrangement durchaus auch als Erfolg zu sehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, beinhaltet das Verhandlungsmandat der EG-Kommission auch, daß auszuschließen ist, daß das nächste Textilabkommen das letzte Textilabkommen ist?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Sie kehren jetzt zum Welttextilabkommen zurück; ich will gern darauf antworten. Das Mandat sieht vor, daß die EGKommission über eine Verlängerung des Welttextilabkommens für einen bestimmten mittelfristigen Zeitraum verhandelt. Was danach geschieht, ist Verhandlungsgegenstand und wird der weiteren Entwicklung zu überlassen sein. Es wird wohl insbesondere auch ein Gegenstand der allgemeinen GATT-Runde sein. Zunächst einmal geht es um eine weitere Verlängerung. Damit ist nicht gesagt, daß mit dieser Verlängerung gleichzeitig auch ein Endpunkt gesetzt ist, daß der Textilbereich danach wieder endgültig in die allgemeinen GATT-Regeln überführt wird. Davon kann nicht die Rede sein.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Dr. von Bülow auf:
Haben in der Vergangenheit alle Staaten der Europäischen Gemeinschaft in ähnlichem Umfang wie die Bundesrepublik Deutschland die von der EG festgesetzten Einfuhrquoten aus Drittländern tatsächlich ausgeschöpft, und wenn nein, wie will die Bundesrepublik Deutschland künftig sicherstellen, daß sich EG-Einfuhren nahezu ausschließlich zu Lasten der deutschen Maschenindustrie und ihrer Beschäftigten auswirken?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Bülow, die EG hat auf der Basis des Welttextilabkommens mit 27 Drittländern Textilabkommen abgeschlossen, in denen sich diese Länder in rund 400 Fällen zu einer Selbstbeschränkung ihrer Exporte in die Gemeinschaft verpflichtet haben. Außerdem gibt es noch etwa 250 mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen bestimmter Textil- und Bekleidungserzeugnisse für einzelne Mitgliedstaaten und eine Vielzahl autonomer Importquoten von Mitgliedstaaten insbesondere gegenüber Staatshandelsländern. Die Quotennutzung ist je nach Produkt, Jahr, Mitgliedstaat und Lieferland unterschiedlich. Insgesamt kann gesagt werden, daß, in den letzten Jahren im Durchschnitt etwa ein Drittel der im Rahmen der Textilabkommen festgelegten deutschen Quoten zu weniger als 50 % genutzt war. 1985 betrug die Nutzung etwa zwei Fünftel der Quoten. Eine kürzliche Analyse der Quotenausnutzung in allen Mitgliedstaaten durch die EG-Kommission ergibt für alle EG-Länder ein etwa vergleichbares Bild. Von einer einseitigen Belastung der deutschen Maschenindustrie und ihrer Beschäftigten durch die
EG-Einfuhren kann daher nicht gesprochen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. von Bülow.
Angesichts der Tatsache, daß die tatsächlichen Statistiken ausweisen, daß andere Länder sich sehr wohl sehr viel massiver der Textileinfuhren erwehren, frage ich Sie, ob nicht auch die Bundesregierung darauf aus sein muß, zugunsten der Beschäftigung, insbesonderer der Frauen in den ländlichen Gebieten, sich Instrumente zu schaffen, um die Arbeitsplätze durch Abbremsung von Billigeinfuhren zu erhalten.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Bülow, ich kann dem im Grundsatz voll und ganz zustimmen. Wenn Sie jetzt konkret auf die Textilimporte abstellen, so gilt das, was ich dazu bereits gesagt habe.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Angesichts der Tatsache, daß ja nicht nur aus der Türkei, sondern auch aus Portugal und den arabischen Staaten nahezu sprunghafte Textileinfuhren zu verzeichnen sind und die Unternehmer die Beschäftigung in erheblichen Teilen der Textilindustrie nicht mehr garantieren können, frage ich Sie, ob Sie überhaupt einen Gesamtüberblick über die Lage gehabt haben, als Sie der Brüsseler Kommission das Verhandlungsmandat gegeben haben.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr von Bülow, ich darf noch einmal auf das hinweisen, was ich eingangs bei der Beantwortung der Fragen von Herrn Kirschner gesagt habe. Es müssen auch die Entwicklungsländer und die Textilexportländer mitspielen. Wenn wir eine Verlängerung des Abkommens haben wollen, wenn wir den Textilsektor nicht in die allgemeinen GATT-Regeln übergehen lassen wollen, so bedarf es der Zustimmung auch der Exportländer. Es geht ja um eine Ausnahme von den allgemeinen Handelsregeln. So gesehen, kann man, glaube ich, feststellen, daß das, was erreicht worden ist — die bisherigen Welttextilabkommen; dies gilt auch für das, was künftig noch möglich ist —, einen Schutz für die deutsche Textilindustrie darstellt und weiterhin dazu beitragen wird, daß Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Huonker.
Herr Staatssekretär, wo sehen Sie die Gründe dafür, daß die Quoten in vergleichsweise bescheidenem Umfang ausgenutzt wurden? Sie sprachen vorhin davon, 'daß sie nur zu zwei Fünfteln ausgenutzt würden.Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Es ist so, daß ein Teil der Quoten — ich habe darauf hingewiesen — überhaupt nicht voll in Anspruch genommen wird. Der Grund ist, daß man den Markt falsch einge-
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16838 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986
Parl. Staatssekretär Dr. Sprungschätzt hat. Die Verwaltung kann das eben nicht so gut. Auch eine EG-Kommission weiß nicht, wie der Markt sich entwickelt. Es hängt also von der Entwicklung des Marktes ab. Man hat Quoten eingeräumt, die nicht in Anspruch genommen worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Oostergetelo.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß die deutsche Textilindustrie unwahrscheinliche Vorleistungen erbracht hat, was man auch mit Gesundschrumpfung betitelt, und angesichts der Tatsache, daß wir in dieser Branche zigtausend Arbeitsplätze verloren haben — in einem Umfang, wie es in keiner anderen Branche der Fall war —, frage sich Sie: Verstehen Sie den Unmut sowohl der Betriebe als auch der Arbeitnehmer, wenn sie aus den Äußerungen des Wirtschaftsministers Töne herausgehört haben, die auf mehr Liberalisierung hinauslaufen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich verstehe den Unmut der Betroffenen. Auf der anderen Seite müssen wir sehen, daß wir Vereinbarungen haben, Verträge haben, daß internationale Regelungen gelten, denen wir uns ebenfalls nicht entziehen können. Ich glaube, daß von seiten des Wirtschaftsministeriums keine Äußerung getan worden ist, die es erlaubt, zu sagen, daß diesen Problemen nicht Rechnung getragen wird, daß nicht gesehen wird, daß die Textilindustrie einen schwierigen strukturellen Anpassungsprozeß hinter sich hat, daß sie heute wieder wettbewerbsfähig ist und sich im Markt zu behaupten weiß. Das, was wir in den Verhandlungen tun, ist, Lösungen zu finden, die allen Aspekten gerecht werden. Dazu gehört auch, daß die Entwicklungsländer die Möglichkeit haben müssen, vermehrt auf den Märkten der Industrieländer abzusetzen. Wie das dann im Wettbewerb im einzelnen aussieht, ist eine andere Sache.
Danke sehr, Herr Staatssekretär. Damit ist Ihr Fragenbereich beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Duve auf:
„Nie sind Sie von Ihren Prinzipien abgewichen", die Tatsache mit einbezogen, daß Herr Ziesel in der „Reichsbühne" Jahrgang 1939, Folge 18, Seite 19, geschrieben hat: „Ein gesunder Rasseninstinkt bewahrt die Litauer vor jedem blutsmäßigen Einfall der Juden in ihr Volk"?
Bitte Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Duve, das Glückwunschschreiben von Herrn Bundesminister Kiechle ist an den Herausgeber des „Deutschland-Magazin" gerichtet. Auf diese Funktion von Herrn Kurt Ziesel beziehen sich auch die Formulierungen in den Schreiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Ja, Herr Staatssekretär, wir haben ja sozusagen eine ganze Nationalgalerie des konservativen Deutschlands in der April-Nummer des „Deutschland-Magazin" mit diesen Glückwünschen. Der Minister Ziesel führt diese Galerie an.
Kommen Sie bitte zu Ihrer Frage!
Da Sie eben so geantwortet haben, möchte ich Sie jetzt gerne fragen, ob diese Äußerung „Als langjähriger, regelmäßiger Leser Ihres ,Deutschland-Magazins' habe ich immer Ihren Mut zur Wahrheit und Klarheit bewundert" auch den Artikel von Herrn Ziesel in der Mai-Nummer umfaßt, in der der Kabinettskollege Genscher als „ ,Bruder' kommunistischer Gewalttäter und Vollzugsorgane der Weltrevolution" bezeichnet wird.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, Sie machen jetzt etwas, was ich für unzulässig halte.
— Ich bin um eine Antwort gebeten worden. Dann kann ich auch sagen, was ich für unzulässig halte; aus einer Zeitschrift, in der die unterschiedlichsten Artikel über Monate und Jahre erscheinen, nun etwas eklektizistisch zu zitieren und zu fragen, ob sich nun alle Glückwünsche auch auf jede einzelne Zeile dieser Zeitschrift beziehen.
Ich glaube, so kann man nicht vorgehen.
Einen Augenblick. — Das war bereits die Antwort?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ja.
Herr Abgeordneter, Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, der Beifall zeigt, daß Sie eher eine lässige als eine unzulässige Antwort gegeben haben.
Aber ich will doch noch einmal nachfassen. Ich habe präzise gefragt, ob die Darstellung eines Kabinettskollegen durch den so geehrten Ziesel auch jenes Lob bekommt, das Herr Kiechle für seine gesamte Lektüre — er sagt es ausdrücklich — der Artikel des Herrn Ziesel in seinem Glückwunschschreiben geäußert hat. Ich wiederhole: Genscher
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986 16839
Duveals ,Bruder` kommunistischer Gewalttäter und Vollzugsorgane".
Ich wollte nur sagen, daß beide Herren Bewertungen vorgenommen haben.
Sie haben das Wort, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, das Glückwunschschreiben von Herrn Bundesminister Kiechle an den Herausgeber des „Deutschland-Magazin" bezieht sich naturgemäß auf die Gesamtlektüre dieser Zeitschrift und die Funktion des Herrn Ziesel als Herausgeber dieser Zeitschrift. Ich kann mir gar kein Urteil darüber erlauben, welchen einzelnen Artikel in einer über Jahre erscheinenden Zeitschrift nun Herr Bundesminister Kiechle gelesen und mehr oder weniger gelungen gefunden hat. Deswegen kann ich Ihre Frage, so wie sie jetzt gestellt ist, ob auch einzelne Zitate von diesem Glückwunschschreiben mit umfaßt sind, überhaupt nicht beantworten. Ich halte es auch für unzulässig, einen solchen Zusammenhang herzustellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, bezieht sich die Bemerkung in dem Glückwunschschreiben, in dem es heißt: „Sie sind ein wunderbares Beispiel dafür, daß ein hellwacher kritischer Geist und steter Einsatz die besten Voraussetzungen sind, ein Leben lang jung und dynamisch zu bleiben", auch auf eine Äußerung von Herrn Ziesel, die 1934 bereits im „Zentralorgan der nationalsozialistischen Jugend" gefallen ist, Jahrgang Nr. 1, Heft 19, wo er sich selbst als alten Nationalsozialisten bezeichnet hat?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kuhlwein, wenn Sie meine Antwort auf die schriftlich gestellte Frage von Herrn Kollegen Duve gehört oder innerlich verarbeitet hätten, dann wüßten Sie, daß ich diesen Zusammenhang ausgeschlossen habe. Das Glückwunschschreiben hat sich ausschließlich auf den Herausgeber der Zeitschrift „Deutschland-Magazin" bezogen. Ich füge noch einmal hinzu: Selbstverständlich kann in einem solchen allgemein gehaltenen Glückwunsch nicht jeder gelungene oder nicht gelungene Artikel, jeder gute oder weniger gute Artikel in diesem Magazin gemeint sein.
Der Herr Kollege Mischnick hat das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß die Bewertung des Bundesministers Genscher durch Herrn Ziesel nicht den Tatsachen entspricht?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Mischnick, ich teile in vollem Umfang Ihre Meinung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, in dem Glückwunschschreiben steht: „Nie sind Sie von Ihren Prinzipien abgewichen". Sind Sie mit mir der Meinung, daß Minister Kiechle damit zumindest das hier wiedergegebene Zitat — „Ein gesunder Rasseninstinkt bewahrt die Litauer vor jedem blutsmäßigen Einfall der Juden in ihr Volk" — nicht gemeint hat?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Oostergetelo, die Antwort auf diese Frage habe ich dem Kollegen Duve gegeben. Der Glückwunsch bezieht sich auf den Herausgeber des „Deutschland-Magazin" und nicht auf irgendeine andere Zeit.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kastning.
Herr Staatssekretär, da Sie bzw. Herr Kiechle sich auf den Herausgeber beziehen, möchte ich Sie doch fragen, ob Sie in der Lage sind, hier dem Hohen Hause in der Fragestunde einmal zu erklären, wie sich ein Herausgeber von einem Menschen trennen läßt, der auch schon vor Jahrzehnten tätig war und etwas geschrieben hat? Ist der Herausgeber ein Phantom und der Mensch Ziesel etwas ganz anderes?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in dieser Fragestunde steht ein Glückwunschschreiben von Herrn Bundesminister Kiechle
zur Diskussion, das an den Herausgeber der Zeitschrift „Deutschland-Magazin" gerichtet ist, und hier steht nicht zur Diskussion, was der Herr Ziesel vor 47 Jahren oder, wie das letzte Zitat zeigt, vor 52 Jahren geschrieben oder gedacht hat. Hier ist seine Arbeit als Herausgeber des „Deutschland-Magazin" gewürdigt worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heistermann.
Herr Staatssekretär, könnte es sein, daß der Bundesminister dieses Blatt nur sporadisch liest oder nur die Artikel, wo er selbst in hervorragender Position dargestellt wird?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Angesichts der Arbeitsbelastung von Herrn Bundesminister
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Parl. Staatssekretär Dr. von Geldern
Kiechle vermute ich, daß er das Blatt nur sporadisch liest.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß z. B. sehr viele sozialdemokratische Kollegen Ihrem verdienten früheren Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner mit freundlichen Worten zum Geburtstag gratulieren, obwohl dieser in früheren Jahren die Sozialdemokraten immer wieder als Sozialfaschisten und z. B. als verantwortlich für das Aufkommen des Faschismus in Deutschland bezeichnet hat?
Ich kann zwar auch nicht erkennen, was das mit der Frage zu tun hat; aber der Herr Staatssekretär beantwortet ja jede Frage.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich vermute, Herr Kollege Böhm, daß auch in diesen Fällen die spätere Funktion des von Ihnen genannten früheren Kollegen und nicht seine Äußerungen gemeint waren, die vor Jahrzehnten gefallen sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weisskirchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, nachdem Sie hier zu den konkreten Fragen bisher ausweichend Stellung genommen haben, sagen Sie mir doch jetzt bitte schön einmal positiv, wozu Herr Kiechle Herrn Ziesel eigentlich wirklich gratuliert hat: Zu welchem Mut, zu welcher Klarheit und zu welcher Wahrheit hat er ihm eigentlich gratuliert?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich nehme an, ohne daß ich dieses Glückwunschschreiben nun selbst formuliert hätte, daß in diesem Glückwunschschreiben zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß der Herausgeber der Zeitschrift „Deutschland-Magazin" eine von Herrn Bundesminister Kiechle anerkannte publizistische Arbeit leistet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, nachdem wir ja die Freude oder das Leid haben, das „Deutschland-Magazin" kostenlos über Jahre zugeschickt zu bekommen, und es natürlich aufmerksam lesen,
frage ich Sie, ob sich dieser Glückwunsch auch darauf bezieht, daß der Herr Ziesel anerkannte Demokraten dieser Bundesrepublik, die die Bundesrepublik als Staat mit aufgebaut haben und die zum Teil über 13 Jahre die Regierung gestellt haben und in der Regierung tätig waren, permanent diffamiert hat, und zwar nicht nur als Herausgeber, sondern auch als Artikelschreiber, und ob das nach Ihrer Meinung zu würdigen ist, wenn man an die Zukunft der jungen und immer besser werdenden Demokratie denkt.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Immer, ich glaube, daß Sie ein Glückwunschschreiben, das einem Mitbürger zu seinem 75. Geburtstag geschrieben worden ist, wirklich überinterpretieren -- wie übrigens alle bisherigen Fragesteller —, wenn Sie daraus entnehmen wollen, daß nun jegliche Tätigkeit und jegliche Äußerung dieses Menschen damit mit gebilligt und mit gewürdigt würde.
Ich lasse jetzt noch zwei Zusatzfragen zu: von dem Abgeordneten Reuter und dem Abgeordneten Penner. Bitte, Herr Abgeordneter Reuter.
Herr Staatssekretär, halten Sie im Licht dieser Fragen dieses Glückwunschschreiben des Landwirtschaftsministers für besonders geschmackvoll und politisch klug, und können Sie für die Bundesregierung hier erklären, daß man vielleicht im nachhinein der Auffassung sein könnte, es wäre besser gewesen, wenn Herr Kiechle diesen Glückwunsch nicht geschrieben hätte?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann hier nur meine persönliche Bewertung geben, und die ist, daß auch ich das „DeutschlandMagazin" für einen wichtigen Beitrag in unserer publizistischen Landschaft halte
und meine, man kann auch dem Herausgeber des „Deutschland-Magazin" deshalb seine Anerkennung zu seinem 75. Geburtstag durchaus zum Ausdruck bringen.
Herr Abgeordneter Penner, die letzte Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986 16841
Herr Staatssekretär, es geht ja in dem Glückwunschschreiben um den Satz: Nie sind Sie, Herr Ziesel, von Ihren Prinzipien abgewichen. Teilen Sie meine Auffassung, daß damit der Minister zum Ausdruck bringt, daß erstens Herr Ziesel Prinzipien gehabt hat und daß er zweitens mit diesen Prinzipien nie gebrochen hat?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Penner, ich interpretiere diesen Satz des Glückwunschschreibens so, daß damit die konsequente publizistische Linie des „Deutschland-Magazin" unter Leitung von Herrn Ziesel gewürdigt worden ist.
Die Fragen 26 und 27 der Abgeordneten Frau Blunck werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß niederländische Landwirte Kuhställe in Spanien bauen, um dort Milch zu erzeugen, und wie paßt eine solche Handlungsweise in die Quotenregelung der Europäischen Gemeinschaft?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß niederländische Landwirte Kuhställe in Spanien bauen, um dort Milch zu erzeugen.
Grundsätzlich aber kann nach dem System der Garantiemengenregelung Milch jeder Landwirt der Gemeinschaft in jedem Mitgliedstaat abgabenfrei Milch erzeugen, sofern ihm dort eine Referenzmenge zur Verfügung steht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Spielt die Eingliederung Spaniens und Portugals in dieser Hinsicht eine Rolle, d. h. gibt es eine besondere Möglichkeit, weil Spanien erst ab dem 1. Januar 1986 in der EG ist, oder spielt das keine Rolle?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, das spielt schon eine Rolle. Aber Spanien ist mit dem Beitritt zur Gemeinschaft in die Garantiemengenregelung Milch einbezogen worden, wenn auch mit besonderen Modifikationen. Auch dort ist das Quotensystem eingeführt und sind Quoten also nicht beliebig oder frei erhältlich.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Worin besteht diese Modifikation bzw. der besondere Gehalt der Aussagen in bezug auf die Milchquoten durch den Eintritt Spaniens in die EG? Wo sind die Möglichkeiten, die dort für niederländische Landwirte geschaffen worden sind? Das Problem ist j a, daß das ganze Quotensystem unterlaufen werden kann, wenn man in der EG so handeln darf.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Nach Auffassung der Bundesregierung, Herr Kollege Eigen, kann das Garantiemengenregelungssystem der Gemeinschaft durch die besonderen Regelungen, die für die beiden Länder, die nachträglich in die Gemeinschaft eingetreten sind, gefunden werden mußten, nicht unterlaufen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Nachdem Herr Kollege Eigen nach niederländischen Landwirten gefragt hat: Ist der Bundesregierung bekannt, daß auch deutsche Landwirte dort ähnliche Betriebe errichten, und halten Sie das für eine Sache, die im Hinblick auf die Milchquotenregelung oder den Abbau der Mengenbegrenzung schädlich ist?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Immer, im ersten Teil Ihrer Frage unterstellen Sie, daß ich die Frage des Kollegen Eigen mit Ja beantwortet hätte. Ich habe sie aber mit Nein beantwortet.
Im zweiten Teil wiederholen Sie eine vom Kollegen Eigen bereits gestellte Frage. Die Bundesregierung ist sich sicher, daß das System der Garantiemengenregelung Milch durch den Beitritt Spaniens und Portugals nicht unterlaufen worden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß es die Möglichkeiten, die Herr Eigen in seiner Frage angesprochen hat, nicht gibt, obwohl Spanien in dieser Frage eine Übergangsfrist hat? Wenn dem so ist, ist dann nicht ein Unterlaufen der Quoten auch bei uns deshalb zu befürchten, weil es überhaupt keine Obergrenzen für Betriebe gibt, und widerspricht das nicht der Äußerung der Bundesregierung, möglichst viele Betriebe zu erhalten?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Oostergetelo, es fällt mir zwar schwer, den Zusammenhang zwischen Ihrer zuletzt gemachten Aussage und Ihrer Frage herzustellen, aber ich möchte gleichwohl wiederholen: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß niederländische Landwirte Kuhställe in Spanien bauen, um dort Milch zu erzeugen. Wir halten die Regelungen für ausreichend, die gefunden worden sind und gefunden werden mußten, nachdem Spanien und Portugal zu Beginn der Garantiemengenregelung Milch ja noch nicht in der Gemeinschaft waren, sondern erst später Mitglieder wurden. Wir glauben nicht, daß diese Garantiemengenregelung durch die beiden neuen Mitgliedsländer unterlaufen werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
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16842 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung für den Fall, daß ihr solche Fälle dennoch zu Ohren kommen, wie sie der Kollege Eigen in seiner Frage geschildert hat, dagegen unverzüglich bei der spanischen Regierung intervenieren wird?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, das können Sie aus meiner Antwort nicht schließen; denn es ist grundsätzlich jedem Bürger in jedem Mitgliedsland der Europäischen Gemeinschaft erlaubt, Milch zu erzeugen, vorausgesetzt, er hat eine Milchquote. Dann kann er sie abgabenfrei erzeugen. Solange Spanien die ihm auferlegte Garantiemenge einhält, können wir nichts dagegen haben, daß spanische Behörden auch anderen Bürgern aus der Europäischen Gemeinschaft die Gelegenheit geben, Milch zu erzeugen.
Ich rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, uni sicherzustellen, daß landwirtschaftliche Betriebsmittel, in diesem Falle Mineraldünger, nicht künstlich verteuert werden, durch eine Mengenbegrenzung beim Import in die Bundesrepublik Deutschland?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, eine generelle Beschränkung der Einfuhren von Mineraldünger in die Bundesrepublik Deutschland besteht nicht. Gegenüber Staatshandelsländern besteht zwar formell eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung bei Harnstoff und Kalkammonsalpeter aus der Tarifstelle 31.02 des Gemeinsamen Zolltarifs der EG. Jedoch kommt diese Beschränkung praktisch nicht zum Tragen, da man sich bis auf weiteres mit der Überwachung der Einfuhren begnügt.
Gegenüber den Vereinigten Staaten hat der EGRat am 27. Januar dieses Jahres als Gegenmaßnahme zu US-Einfuhrbeschränkungen bei EGStahlhalbzeug eine mengenmäßige Beschränkung der Einfuhren von Mono- und Diammoniumphosphat der Tarifstelle 31.05 A II a) des Gemeinsamen Zolltarifs beschlossen. Durch diese Regelung dürften negative preisliche Auswirkungen auf die deutsche Landwirtschaft angesichts des großen Angebots auf dem Weltmarkt für Düngemittel allenfalls von marginaler Bedeutung sein.
Im übrigen ist sich die Bundesregierung bewußt, daß Handelsbeschränkungen als Antwort auf Retorsionsmaßnahmen anderer gefährliche Auswirkungen haben können, weil nicht nur der Gegner getroffen wird, sondern auch Nachteile für die eigene Wirtschaft entstehen. Aus diesem Grunde drängt die Bundesregierung auf Mäßigung im Handelsstreit der EG mit den USA wegen der Erweiterung der Gemeinschaft um Spanien und Portugal.
Der Bundesregierung sind keine Bestrebungen zur Beschränkung der Einfuhr von Mineraldünger bekannt. Sie würde aber bei Mineraldüngern, deren Zollsätze im GATT gebunden sind, Einfuhrbeschränkungen aus den oben genannten wirtschaftlichen und auch aus allgemeinen handelspolitischen Gründen ablehnen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Handelt es sich bei der Handelsbeschränkung, was die USA betrifft, nur um eine Drohung in bezug auf die gegenseitigen Kontroversen in bezug auf Spanien und Portugal, oder sind diese Handelsbeschränkungen inzwischen Faktum geworden?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, wie ich gerade ausgeführt habe, hat der EG-Rat am 27. Januar dieses Jahres als Gegenmaßnahme gegen Einfuhrbeschränkungen der Vereinigten Staaten in anderen Bereichen bei bestimmten Düngemitteln eine Beschränkung beschlossen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Wäre es nicht vernünftiger gewesen, wenn der EG-Rat bei den Produkten, die die Landwirtschaft erzeugt, eine solche Gegenmaßnahme eingeleitet hätte, und nicht bei den Produkten, die möglicherweise die Produktion der Landwirtschaft in der Europäischen Gemeinschaft verbilligen? Hier scheint mir doch ein völlig falscher Weg beschritten zu sein. Was sagt die Bundesregierung dazu?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, ich habe gesagt, daß grundsätzlich bei solchen Maßnahmen immer auch die Wirkung auf die eigene Wirtschaft bedacht werden muß und daß wir deshalb sehr daran interessiert sind, daß solche Handelskonflikte nicht zu solchen Maßnahmen führen. Im speziellen Fall der hier von der EG getroffenen Maßnahmen ist nach Auffassung der Bundesregierung die amerikanische Lieferung für unsere Landwirtschaft von marginaler Bedeutung. Wir haben hier ein großes Angebot auf dem Weltmarkt und befürchten deshalb die von Ihnen angesprochenen möglichen wirtschaftlichen Nachteile in diesem konkreten Fall nicht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß in dem Interessenkonflikt zwischen den EG-Ländern und den Vereinigten Staaten es auch unsere Aufgabe sein muß, bei allen möglichen Maßnahmen im Agrarbereich unsere Interessen so zu vertreten, daß sie nicht unterlaufen werden können? Das gilt j a auch für andere Probleme, nicht nur bei diesem Problem, z. B. bei der Frage nachwachsender Rohstoffe oder Flächenstillegung. Müssen wir das nicht immer mit ins Kalkül ziehen und hier energisch unsere Interessen vertreten?Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Oostergetelo, ich bin Ihrer Auffassung und kann Ihnen versichern, daß dies auch geschieht.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986 16843
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Ich rufe als nächsten den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hennig steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Wilz auf:
Welche Wissensbereiche und Schwerpunkte werden von der vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen zur Verfügung gestellten „Grundausstattung für die Schulbibliotheken zur Behandlung der deutschen Frage im Unterricht" erfaßt, und welche Titel — mit welchem Wert im Buchhandel — enthält es im einzelnen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Wilz, das vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen zur Verfügung gestellte „Literaturpaket 1985" ist in der zeitlichen Abfolge bereits das dritte Angebot einer Grundausstattung für Schulbibliotheken zur Behandlung der deutschen Frage im Unterricht.
In Ergänzung der Bücherpakete 1980/81 und 1982 — dieser Hinweis ist wichtig — enthält das „Literaturpaket 1985" eine völlig neue Zusammenstellung von 50 Verlagswerken. Das „Literaturpaket 1985" ist in die folgenden Wissensbereiche eingeteilt: Deutsch, Erdkunde, Geschichte, Sozialkunde und DDR.
Die Verlagswerke verteilen sich nahezu gleichmäßig auf diese fünf Wissensbereiche. Die thematischen Schwerpunkte der Publikationen in dem „Literaturpaket 1985" sind: Rechtslage Deutschlands, 40 Jahre nach Kriegsende: Flucht und Vertreibung, historische Dimension der deutschen Frage, Entstehung von zwei Staaten in Deutschland, Menschenrechte und Jugend im geteilten Deutschland.
Die 50 Verlagswerke besitzen einen Buchhandelswert von insgesamt 846,25 DM.
Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen stellt den Schulen das „Literaturpaket 1985" für eine Bearbeitungsgebühr von lediglich 80 DM pro Bestellung zur Verfügung, wodurch in etwa die Versandkosten gedeckt werden. Die Bearbeitungsgebühr ist von den Schulen in keinem Fall als Hindernis für eine Bestellung beanstandet worden.
Eine Zusammenstellung der einzelnen Buchtitel mit den jeweiligen Buchhandelspreisen liegt mir vor. Ich kann sie Ihnen gerne zur Verfügung stellen, sofern Sie dies wünschen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wilz.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung - und wenn ja, mit welchen Gründen —, daß die Behandlung der deutschen Frage im Unterricht gerade auch im Hinblick auf die Präambel des Grundgesetzes, das Wiedervereinigungsgebot und die Forderung nach der Selbstbestimmung für alle Deutschen, notwendig ist und, wie ich meine, nach Möglichkeit sogar verpflichtend bis hin zum Abitur?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Ich teile diese Auffassung, Herr Kollege Wilz. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Kultusministerkonferenz in ihrem Erlaß über die deutsche Frage im Unterricht von 1978 folgenden Hinweis gegeben hat — ich zitiere wörtlich —:
,Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.' Dieser in der Präambel des Grundgesetzes formulierten Aufgabe ist auch die Schule verpflichtet. Die deutsche Frage muß daher im Unterricht aller Schulen einen festen Platz haben. Den Schülern sind Kenntnisse über die Ursachen der Teilung und die heutige politische und rechtliche Situation in Deutschland zu vermitteln.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie schon etwas dazu sagen, welchen Anklang dieses, wie ich meine, hervorragende und zugleich praktisch kostenlos zur Verfügung gestellte Literaturpaket in den Schulen gefunden hat?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie gestatten, Herr Kollege Wilz, werde ich das zum Gegenstand meiner Antwort auf Ihre nächste Frage machen.
Zusatzfrage, Abgeordneter Werner.
Herr Staatssekretär, können Sie eine Aussage darüber machen, inwieweit es in den einzelnen Bundesländern — ähnlich wie in Verbindung mit dem Kalender des Gesamtdeutschen Instituts — inhaltliche Vorbehalte gegen einzelne Bestandteile dieses Pakets gibt?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Wir haben lediglich in einem einzigen Fall von solchen inhaltlichen Vorbehalten gehört. Das bezieht sich auf Nordrhein-Westfalen. Alle anderen Länder haben sich für diesen Hinweis bedankt und das Paket den Schulen zur Bestellung empfohlen.
Zusatzfrage, Abgeordneter Graf Huyn.
Herr Staatssekretär, stellt die Bundesregierung in Ergänzung eines solchen Literaturpakets z. B. auch Video-Kassetten, die insbesondere den Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit deutlich machen, zur Verfügung, oder — falls dies nicht geschieht — wäre sie in der Lage, dies zu tun? Ich denke z. B. an solche Filme wie „Die wunderbaren Jahre" oder „Mit dem Wind nach Westen".Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Graf Huyn, die Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben stellt, wie Sie wissen, auch Filme und Video-Bänder zur Verfügung, die solchen und ähnlichen Themen gewidmet sind und die natürlich auch Schulen für den Unterricht zur Verfügung stehen.
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16844 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986
Ich rufe Frage 31 des Herrn Abgeordneten Wilz auf:
Haben alle Bundesländer den Schulen die Empfehlung zur Bestellung des Literaturpakets 1985 des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen gegeben, und wie hoch ist die Zahl der bisherigen Bestellungen der Schulen aus den einzelnen Bundesländern?
Herr Staatssekretär.
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wilz, das „Literaturpaket 1985" ist im April 1985 den Kultusministern der Länder mit Schreiben von Herrn Bundesminister Windelen angeboten worden. Allein der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat es abgelehnt, den Schulen des Landes eine Empfehlung zur Bestellung zu geben. In seinem Schriftwechsel mit Herrn Bundesminister Windelen hat er allerdings freigestellt, das „Literaturpaket 1985" auch den Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen zu überlassen. Da die Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen aber offiziell nun eben keine Kenntnis von diesem Angebot erhielten, haben aus diesem Bundesland nur insgesamt 65 Schulen das Bücherpaket bestellt.
Aus den übrigen Bundesländern gingen dagegen folgende Bestellungen ein: Baden-Württemberg 292; Bayern 1 203; Berlin 60; Bremen 44; Hamburg 77; Hessen 223; Niedersachsen 207; Rheinland-Pfalz 125; Saarland 136 und Schleswig-Holstein 211. Damit liegen insgesamt 2 643 Bestellungen vor. Im Vergleich dazu waren es 1982 549 und 1980/81 2 209 Bestellungen.
Das Bücherpaket 1985 ist die Fortführung der Zusammenarbeit mit den Kultusministern, in Realisierung der Empfehlung der Kultusministerkonferenz vom 23. November 1978, in angemessener Weise die Bemühungen der Kultusminister und der Lehrer in den Schulen um eine bessere Unterrichtung der Jugend über die offene deutsche Frage durch Bereitstellung von geeigneten Publikationen zu unterstützen. Die Aktion Bücherpaket stellt einen Schwerpunkt in der deutschlandpolitischen Bildungsarbeit dar und ergänzt und verstärkt die Bemühungen von Bund und Ländern, der Jugend durch Klassenreisen in die DDR, Informationsfahrten nach Berlin und an die innerdeutsche Grenze die Realitäten der Teilung Deutschlands zu veranschaulichen. Die Bundesregierung hat die Aufwendungen hierfür seit 1983 ständig erhöht.
Der Bundesregierung ist es völlig unverständlich, weshalb der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen davon Abstand genommen hat, den Schulen des Landes die Bestellung des „Literaturpakets 1985" zu empfehlen.
Herr Abgeordneter, eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär; nachdem wir schon vor zwei oder drei Jahren bei der Frage der Übernahme des Schulkalenders mit dem Land Nordrhein-Westfalen eine ähnliche Erfahrung gemacht haben und hier keine hinreichenden Begründungen vorgelegt worden sind, frage ich Sie nunmehr: Gibt es Tatsachen oder Schlußfolgerungen dafür, daß das Land Nordrhein-Westfalen, das bekanntlich von der SPD regiert wird, dieses Literaturpaket nicht aus Sachgründen ablehnt, sondern daß hier ideologische und parteipolitische Motive zugrunde zu legen sind?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wilz, Herr Minister Schwier hat den Brief von Minister Windelen vom April am 28. Mai 1985 beantwortet und hat in diesem Schreiben lediglich zwei konkrete Punkte angeschnitten. Einer betrifft den Hinweis, daß ihm die Aufnahme von drei Veröffentlichungen von Professor Blumenwitz in dieses Literaturpaket zu dominant ist, während er Bücher von Herrn Professor Münch und Herrn Professor Frowein vermißt. Hierzu habe ich hervorgehoben, daß dieses Literaturpaket eine Ergänzung des den Schulen bereits zugegangenen Pakets von 1980/81 und 1982 ist, in dem genau diese erwähnten Bücher den Schulen großenteils schon zur Verfügung gestellt worden sind, und wir uns nicht in dieser Weise Dubletten leisten können.
Der zweite Hinweis, den er gibt, ist der auf die Kalendertexte des Jahres 1984. Dies läßt in der Tat den Schluß zu, daß die Begründung, die Sie vermuten, nicht so ganz falsch sein könnte.
Zusatzfrage, Herr Wilz.
Herr Staatssekretär, nachdem sich dies so anhört, als ob hier Zensuren erteilt würden — offensichtlich aus parteipolitischen Gründen —, frage ich Sie: Könnte dies alles auf dem ideologischen Hintergrund zu sehen sein, daß — nachdem die SPD auch rechtlich die Frage des deutschen Ostens aufgegeben hat — Teile der SPD dabei sind, nunmehr auch das Wiedervereinigungsgebot aufzugeben und damit Mitteldeutschland zu verspielen, daß sie dabei sind, die Jugend, die jungen Menschen in Nordrhein-Westfalen, von der deutschen Frage abzukoppeln?
Ich muß ganz offen gestehen, daß das mit der Fragestellung nichts mehr zu tun hat, ganz eindeutig. Entschuldigen Sie.
Herr Abgeordneter Hirsch zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da man die sich wiederholenden Bemühungen des Bundes, auf den verschiedensten Gebieten die Kulturpolitik der Länder zu beeinflussen, zurückhaltend bewerten muß, wären Sie denn bereit, da wir uns sonst ein eigenes Urteil gar nicht bilden können, den Fraktionen, ein paar Exemplare dieser Wunderwerke zur Verfügung zu stellen, damit wir überhaupt erkennen können, ob Ihre Beanstandungen oder die des Kultusministers von Nordrhein-Westfalen angemessen und zutreffend sind oder nicht?Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, hierfür gibt es lediglich ein Hindernis, nämlich das, daß dieses Literaturpaket insgesamt einen Wert von mehr als 800 DM darstellt und wir es nicht in beliebiger Stückzahl streuen können. Wir haben aber im Innerdeutschen Ausschuß den drei Arbeitsgruppen angeboten, einen kompletten Satz dieser
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986 16845
Parl. Staatssekretär Dr. HennigWerke zur Verfügung zu stellen, und es wird dann ganz gewiß die Möglichkeit geben, das auch einzusehen. Im übrigen kann ich Ihnen das Verzeichnis selbst jederzeit hier aushändigen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß im föderativen System die Auswahl von Lehrmitteln in der Schule prinzipiell Sache der Länder ist und bleiben soll und daß sie sich auch nicht zu rechtfertigen haben, wenn sie Lehrmittel aufnehmen oder nicht aufnehmen, und trifft es zu, daß es auch zur Regierungszeit der sozialliberalen Koalition Fälle gegeben hat, wo unionsregierte Länder Materialien aus dem innerdeutschen Ministerium abgelehnt haben?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es geht überhaupt nicht darum, daß wir in irgendeiner Form Materialien für die Schüler zur Verfügung stellen, sondern es geht um ein Hilfsmittel für die Lehrer, in deren Präsenzbibliothek dieses einzureihen ist. Im übrigen geht es in gar keiner Weise darum, die Kulturpolitik der Länder vom Bund her zu beeinflussen, sondern es geht darum, zur Deutschlandpolitik der Bundesregierung, für die sie allerdings die Zuständigkeit hat, den Schulen erklärende und erläuternde Materialien zur Verfügung zu stellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heistermann.
Herr Staatssekretär, wären Sie denn bereit, bevor Sie dieses Bücherpaket zusammenstellen, mit den Kultusministern Verhandlungen darüber zu führen, ob das Bücherpaket, das Sie zu versenden beabsichtigen, eine entsprechende Ergänzung der schon vorhandenen Schulbüchereien darstellt, oder gehen Sie eigentlich davon aus, daß die Schulen selbständig Bücher einkaufen, so daß es durchaus sein könnte, daß die von Ihnen übersandten Exemplare in den Schulbüchereien bereits vorhanden sind, und wären Sie bereit, das vorher mit den Kultusministern abzuklären?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, erstens gibt es inzwischen regelmäßige Begegnungen zwischen den Experten unseres Hauses und den von den Kultusministerien ernannten Vertretern, wo man sich ein- bis zweimal im Jahr trifft und solche Dinge miteinander bespricht. Dort ist das nicht zur Sprache gebracht worden.
Zweitens glaube ich schon, daß die Schulen, wenn sie diese Liste erhalten und sie mit den Literaturpaketen vergleichen, die sie möglicherweise schon in den Vorjahren bezogen haben, selber in der Lage sind, zu sehen, ob das eine Ergänzung ihrer Bestände ist oder ob sie damit schon ausgerüstet sind. Da es sich aber in allen 50 Fällen um zusätzliche Veröffentlichungen handelte, kann es eigentlich nicht vorgekommen sein, daß sich solche Dubletten ereignet haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß es in der Zeit der sozialliberalen Koalition ähnliche Vorgänge gegeben hat, beispielsweise als CDU-geführte Landesregierungen bestimmte Materialien, etwa den berühmten Kalender, nicht an die Schulen oder an die Lehrer bzw. Lehrerkonferenzen weitergeleitet haben?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen das für den Kalender nicht bestätigen; da müßte ich nachschauen, Herr Kollege Weisskirchen.
Aber ich kann Ihnen bestätigen, daß es diese Bedenken früher in allgemeiner Form auf anderer Seite gegeben hat, allerdings, so vermute ich, mit besseren Gründen.
Ich rufe Frage 32 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Ist der Bundesregierung das Ergebnis der Volkskammerwahl in der DDR, die am kommenden Sonntag, dem 8. Juni 1986, stattfinden wird, bezüglich der Sitzverteilung schon bekannt, und wie lautet dieses Ergebnis?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Böhm, die Gesamtmitgliederzahl der Volkskammer ist gesetzlich auf 500 festgelegt. Dies ergibt sich aus Art. 54 der Verfassung der DDR vom 6. April 1968 in der Fassung vom 7. Oktober 1974 und aus Art. 7 des Wahlgesetzes der DDR vom 24. Juni 1976 in der Fassung vom 28. Juni 1979. Die Sitzverteilung beruht seit 1950 auf Beschlüssen des Nationalrates der Nationalen Front, für die es keine gesetzlichen Grundlagen gibt.
Auf der Grundlage des Wahlvorschlages des Nationalrates der Nationalen Front, veröffentlicht im „Neuen Deutschland" vom 13. Mai 1986, bin ich .bereits heute in der Lage, Ihnen, Herr Kollege, für die am 8. Juni dieses Jahres zu wählende Volkskammer die endgültige Sitzverteilung mitzuteilen. Es werden erhalten: die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands 127 Sitze, der FDGB 61 Sitze, die Demokratische Bauernpartei Deutschlands 52 Sitze, die National-Demokratische Partei Deutschlands 52 Sitze, die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands 52 Sitze, die Christlich-Demokratische Union Deutschlands, die Ost-CDU, 52 Sitze, die Freie Deutsche Jugend 37 Sitze, der Demokratische Frauenbund Deutschlands 32 Sitze, der Kulturbund der DDR 21 Sitze und die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe, VdgB, 14 Sitze.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Ansicht, daß dieses Wahlschauspiel am kommenden Sonntag, nachdem das Ergebnis bereits feststeht, weniger einer demokratischen Wahl als einer Art Volkszählung mit Anwesenheitskontrolle ähnelt?
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16846 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juni 1986
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Böhm, die Verfassung der DDR schreibt vor, daß die Abgeordneten vom Volke in freier, allgemeiner, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden. Das ergibt sich aus Art. 54. Sie verspricht dem einzelnen das Recht auf Mitbestimmung und Mitgestaltung, indem die Bürger alle Machtorgane demokratisch wählen; so heißt es in Art. 21 Abs. 2.Dies sind schöne, aber angesichts der Realität hohle Worte; denn tatsächlich haben die Bürger lediglich die Möglichkeit, auf der Wahlliste ihres Wahlkreises, die auf den Wahlvorschlägen der Nationalen Front beruht, einen oder mehrere Kandidaten zu streichen. Derartige Streichungen werden aber nur dann überhaupt wirksam, wenn sie von mehr als 50 % der Wahlberechtigten eines Wahlkreises vorgenommen werden. Ein solches Ereignis hat es bei Volkskammerwahlen bisher noch niemals geben können.Deswegen erschöpft sich der Wahlakt tatsächlich darin, daß der Wähler den Stimmzettel entgegennimmt und ohne irgendwelche Veränderungen offen in die Urne wirft. Damit steht das Wahlergebnis mit den üblichen mehr als 99 % fest. Die künftige Zusammensetzung der Volkskammer habe ich Ihnen ja bereits mitteilen können. Ich meine, das ist eine Wahl, die keine ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Staatssekretär, entspricht diese Volkskammerwahl dann nicht eher den Wahlveranstaltungen der Nationalsozialisten zu ihren Reichstagen in den 30er Jahren als demokratischen Wahlen in freien Ländern?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Böhm, ich will die Parallele vermeiden. Aber ich möchte sagen, daß Parallelen zu Wahlen in demokratischen Ländern ganz gewiß nicht gegeben sind.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, nachdem Sie soeben selber gesagt haben, daß dies eine Wahl sei, die keine Wahl sei, möchte ich Sie fragen, ob Sie meine Auffassung teilen, daß die aus dieser „Wahl" hervorgehende neue Volkskammer auch nicht beanspruchen darf, eine Volksvertretung im Sinne unseres Grundgesetzes zu sein?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Diese Auffassung teile ich, Herr Kollege Jäger. Im übrigen muß man darauf hinweisen, daß die Zahl der Volkskammertagungen pro Legislaturperiode gering und überdies rückläufig ist. In der zu Ende gehenden fünfjährigen Periode waren es noch ganze 12 Tagungen. Abstimmungen in der Volkskammer erfolgen regelmäßig einstimmig, was auf den Grad der Selbständigkeit und Unabhängigkeit dieser Volksvertreter ein bezeichnendes Licht wirft. Echte politische Relevanz besitzt das Staatsorgan Volkskammer nicht.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Böhm auf:
Seit wann steht dieses Ergebnis fest, und wie vertragt sich diese Wahl mit dem Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte, dem die DDR beigetreten ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Böhm, da in diesem Jahr erstmals wieder seit 1963 die- VdgB, die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe, Kandidaten zu den Volkskammerwahlen nominiert, tritt insoweit eine Änderung gegenüber der Sitzverteilung ein, die seit 1963 bestanden hat. Die 1947 gegründete VdgB war bis 1963 in der Volkskammer mit einer Fraktion von 12 Abgeordneten vertreten. Die der VdgB jetzt zugesprochenen 14 Vollmandate gehen zu Lasten des FDGB — bisher 68 Mandate —, der FDJ — bisher 40 Mandate —, des DFD — bisher 35 Mandate — und des Kulturbundes — bisher 22 Mandate —.
Wahlsystem und Wahlvorgang verstoßen gegen Art. 25 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, der das aktive und passive Wahlrecht jedes Bürgers „bei unverfälschten, in regelmäßigen Abständen stattfindenden Wahlen auf Grund des allgemeinen und gleichen Wahlrechts bei geheimer Abstimmung, die die freie Willensäußerung der Wähler gewährleistet", garantieren soll.
Nach Auffassung der Bundesregierung ist die hier garantierte Willensäußerung der Wähler in der DDR schon deshalb nicht gewährleistet, weil die Volkskammerwahl nicht der freien Entscheidung der Bevölkerung über unterschiedliche politische Gruppierungen, sondern vor allem der propagandistischen Bestätigung der Politik der herrschenden SED dient.
Wir sind schon drei Minuten über die Zeit. Daher kann ich keine Zusatzfragen mehr zulassen. Aber, ich glaube, die Antwort war so ausführlich, daß man vom Fragesteller her gesehen damit zufrieden sein kann.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde und unserer Tagesordnung.
Ich darf noch darauf aufmerksam machen, daß die weiteren Fragen am Donnerstag um 14 Uhr behandelt werden.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, 5. Juni, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.