Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Kabinettberichterstattung
Meine Damen und Herren, erlauben Sie, daß ich zunächst einige Bemerkungen zum Ablauf dieses neuen Verfahrens mache.
Mit der Kabinettberichterstattung verwirklichen wir eine Empfehlung der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform. Sie hat gemäß dem Einsetzungsbeschluß des Deutschen Bundestages vom 20. September 1984 vor der Sommerpause ihren Bericht vorgelegt, der neben anderen auch diesen Vorschlag enthält. Die Einzelheiten des Verfahrens sind dort aufgeführt. Mit der Bundesregierung und im Ältestenrat wurde Einvernehmen erzielt, daß wir mit dieser neuen Unterrichtungsform jetzt zunächst probeweise beginnen.
Wenn wir wollen, daß sich diese zusätzliche Unterrichtungsmöglichkeit für den Bundestag bewährt, ist es wichtig, daß die Voraussetzungen richtig gesehen und die Verfahrensformen eingehalten werden.
Zunächst ist von Bedeutung, daß die Kabinettberichterstattung nicht auf einem durchsetzbaren Anspruch des Parlaments beruht, etwa eine Abwandlung des Fragerechts darstellt, sondern zwischen Bundestag und Bundesregierung vereinbart worden ist. Daraus ergeben sich die folgenden Einzelheiten:
Mit der Fragestunde und den Möglichkeiten der Aktuellen Stunde kann die Kabinettberichterstattung nicht verknüpft werden. Es kann also — anders als bei der Fragestunde — nicht unter Berufung auf den Bericht oder die Antworten der Bundesregierung eine Aktuelle Stunde unmittelbar aus der Kabinettberichterstattung heraus verlangt werden.
Der Tagesordnungspunkt Kabinettberichterstattung ist auf höchstens 60 Minuten begrenzt. Zunächst erfolgt der Bericht mit einer Dauer von höchstens zehn Minuten. Dann folgen Fragen an den Berichterstatter der Regierung und dessen Antworten. Eine Frage und die dazu gegebene Antwort dürfen je höchstens zwei Minuten dauern. Die Frage kann also etwas erläutert werden. Damit möglichst viele Kolleginnen und Kollegen die Chance für eine Frage haben, kann jeder Abgeordnete nur eine Frage stellen. Es gibt also — anders als in der Fragestunde — keine Zusatzfragen.
Für die Fragen und Antworten ist insgesamt eine halbe Stunde vorgesehen. Danach können die Fraktionen Erklärungen von jeweils höchstens fünf Minuten abgeben.
Dies ist eine vorläufige Regelung, die sich erst bewähren soll. Im Ältestenrat wurde vereinbart, daß nach drei Monaten eine Alternative erprobt wird, nämlich Fragen und Antworten von bis zu 50 Minuten Dauer ohne Schlußerklärungen der Fraktionen. Wenn beide Formen ausprobiert sein werden, können wir entscheiden, ob und in welcher Variante wir das Instrument weiterführen.
Die Fragen sollen der Information über die Kabinettsitzung dienen. Sie müssen deshalb im Zusammenhang mit dem Bericht stehen. Nach den Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission kann der Präsident andere Fragen zurückweisen. Ich habe vor, diesen Ermessensspielraum eng auszulegen und bitte deshalb, nicht in eine allgemeine Befragung über auch noch so interessant erscheinende Punkte einzutreten, sondern sich auf den Bericht aus der Kabinettsitzung zu konzentrieren.
Meine Damen und Herren, ich würde mich freuen, wenn wir das neue Verfahren so durchführen könnten, daß alle Beteiligten und auch die Öffentlichkeit etwas davon haben und sein Nutzen deutlich wird. Vielleicht gelingt es uns, den Beziehungen zwischen Parlament und Regierung im politischen Alltag ein Stück hinzuzufügen, das sicherlich zeitgemäß ist und das übrigens in Großbritannien in ähnlicher Form seit langem erprobt ist.
Für den Bericht aus der Kabinettsitzung steht der Herr Bundesminister der Finanzen zur Verfügung. Ich erteile ihm das Wort zu dem Bericht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat in seiner heutigen Sitzung im wesentlichen drei Themen behandelt.Der erste Punkt betrifft die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage zum Engagement
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11582 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Bundesminister Dr. Stoltenbergbundesdeutscher Banken in Südafrika und Namibia. Auf der Grundlage der gestrigen Beratung der Außenminister der Gemeinschaft wird das Kabinett in der kommenden Woche die Antwort in einigen Punkten noch neu formulieren und dann dem Hohen Hause zuleiten.Ferner wurde die umweltfreundliche Umrüstung der Dienstfahrzeuge des Bundes beschlossen. Wir möchten auch auf diesem Gebiet Vorreiter sein.
— Schönen Dank für die Zustimmung.Im Mittelpunkt der Kabinettsitzung stand die Verabschiedung des Zehnten Subventionsberichts für den Zeitraum von 1983 bis 1986, der jetzt dem Hohen Hause und dem Bundesrat zugeleitet wird. Danach belaufen sich die Subventionen des Bundes — sowohl Finanzhilfen im Haushalt als auch Steuervergünstigungen — 1985 auf 31,9 Milliarden DM gegenüber rund 30 Milliarden DM im Vorjahr. 1983 waren es 28,2 Milliarden DM. Das sind gleichbleibend jeweils 1,7% des Bruttosozialprodukts. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß der Bund ab 1985 durch den Abbau von Mischfinanzierungen von den Ländern deren bisherigen Anteil an den Wohnungsbauprämien übernommen hat. Dies verzerrt die Subventionsstatistik zu Lasten des Bundes um rund 800 Millionen DM, die bei den Ländern entsprechend als Subventionen entfallen.Im Bericht werden — wie bisher üblich — auch die Subventionsmaßnahmen der EG nachrichtlich dargestellt. Ebenso wird mit der Erhöhung der Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft verfahren, da sie im wesentlichen an die Stelle einer bisherigen EG-Maßnahme, nämlich des Währungsausgleichs, tritt. Diese Pauschale ist, wie Sie wissen, mit degressiven Sätzen ausgestaltet und bis 1991 befristet. Sie verursacht beim Bund Mindereinnahmen von 1,1 Milliarden DM 1984 bzw. 1,7 Milliarden DM in diesem Jahr und etwa in derselben Größenordnung in den Folgejahren.Ich will den öffentlichen Methodenstreit der Zuordnung jetzt nicht vertiefen. Würde man, wie es die Vorstellung der Opposition ist, diese Maßnahmen einrechnen, käme man auf ein Subventionsvolumen 1985 von 33,6 Milliarden DM gegenüber 31,1 Milliarden DM im Vorjahr. Am Rückgang des Subventionsvolumens im Jahre 1986 um rund 1 Milliarde DM, den wir eingeplant haben, ändert dies nichts.Meine Damen und Herren, die Entwicklung bei den Finanzhilfen und den Steuervergünstigungen zeigt unterschiedliche Tendenzen. Die Finanzhilfen im Bundeshaushalt sind seit 1983 mit 13,5 Milliarden DM etwa konstant geblieben. Für 1986 werden sie zurückgeführt, wenn Sie unseren Vorlagen folgen.
Sie werden auf 5,1 % der Bundesausgaben zurückgeführt. 1985 lagen sie noch bei 5,6 %. Ursächlich hierfür ist vor allem das Auslaufen der befristeten Stahlhilfen — ein Rückgang um 400 Millionen DM —, die niedrigeren Aufwendungen für dieKokskohlenbeihilfe — ein Minus um rund 300 Millionen DM — und für die Spar- und Wohnungsbauprämien — ein Minus von rund 200 Millionen DM.Gleichzeitig setzen wir aber auch neue Akzente. Ich erwähne beispielsweise für mehrere Schwerpunkte im Forschungsbereich das Programm Fertigungstechnik, mit dem Entwicklungsarbeiten in der Industrie gefördert werden.Der Abbau der Subventionen im Bundeshaushalt — der Finanzhilfen — soll im mittelfristigen Planungszeitraum fortgesetzt werden. Insgesamt planen wir, die Finanzhilfen jährlich um durchschnittlich 6,5% zurückzuführen, also um ein Viertel des Gesamtvolumens in der Planungsperiode.Die Steuervergünstigungen haben dagegen ein stärkeres Gewicht gewonnen. Sie machen derzeit rund 55 % des Subventionsvolumens aus. 1980 waren es 50 %. Sie steigen im Berichtszeitraum etwa parallel mit den Steuereinnahmen an. Dies beruht unter anderem auf mehreren Entscheidungen zur Förderung von Wirtschaft und Beschäftigung, noch unter dem Vorzeichen der schweren Lasten der Rezession getroffen, die in der Regel zeitlich befristet sind, z. B. der erweiterte Schuldzinsenabzug für private Bauherren im Wohnungsbau — er läuft mit der Neuordnung der Wohnungsbaubesteuerung aus —, z. B. die Insolvenzrücklage. Aufgrund dieser erwähnten Befristung wird sich längerfristig ein deutlicher Rückgang der Steuerausfälle ergeben.Was mir besonders wichtig ist, möchte ich so formulieren: Meine Damen und Herren, die Struktur der Subventionen hat sich in den letzten sechs Jahren ganz erheblich verändert. Ein immer größerer Anteil fließt in private Haushalte, vor allem auch unter sozialen Vorzeichen. 1980 waren es noch 47%, 1986 werden es 53,4 % sein. Entsprechend ist der Anteil der Subventionen für die Betriebe und bestimmte Wirtschaftszweige zurückgegangen. Ich unterstreiche das, weil öffentlich immer noch die Meinung verbreitet ist, Subventionen seien Zuschüsse an Unternehmen. Die sozialen Ausgaben gewinnen hier eine wachsende Bedeutung.Für diese Verschiebung ist jetzt die erhebliche Erhöhung des Wohngeldes von besonderer Bedeutung. Außerdem wächst auch das Gewicht der Steuervergünstigungen, die unmittelbar dem einzelnen Steuerzahler zugute kommen.Bei den Subventionen für die Wirtschaft ist unter dem Vorzeichen der Rezession bis 1983 und jetzt der anhaltenden Strukturumstellung bestimmter Branchen die Sicherung von Betrieben und Arbeitsplätzen von besonderer Bedeutung. Aber auch hier wird wie bei den Bundeshilfen für die Erschließung von Ölvorkommen oder den erwähnten Stahlhilfen der Grundsatz der Befristung realisiert.Auch die Überprüfung und den Abbau von Steuervergünstigungen betrachtet die Bundesregierung als dauerhafte Aufgabe. Wir können nach den Erfahrungen vieler Jahre und auch anderer Länder eine grundlegende Verringerung dieser Subventionen nur erreichen, wenn wir einen wesentlich niedrigeren Einkommen- und Lohnsteuertarif verwirk-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11583
Bundesminister Dr. Stoltenberglichen. Das ist die Aufgabe der kommenden Wahlperiode.
Für die Unternehmensbesteuerung gilt ebenfalls: Je stärker Steuervergünstigungen abgebaut werden, desto mehr läßt sich die allgemeine Belastung zurücknehmen, insbesondere beim Körperschaftsteuertarif, der ja in einem engen Verhältnis zum Einkommensteuertarif steht.Die kaum noch überschaubare Vielfalt wirtschaftslenkender steuerlicher Sonderregelungen muß abgebaut werden, damit sich marktwirtschaftliche Kräfte besser entfalten können.Für die kommende Diskussion ist auch von Bedeutung, daß die im jetzt vorgelegten Subventionsbericht ausgewiesenen Finanzhilfen und Steuervergünstigungen ganz überwiegend in bestimmten politischen Schwerpunktbereichen anfallen. Allein 20 Finanzhilfen von insgesamt 107 erbringen fast 90 % des Gesamtvolumens. Allein 20 Steuervergünstigungen von 113 verursachen rund 80% der Steuerausfälle. Allein die Steuervergünstigungen für Berlin machen bereits ein Viertel des Ausfallvolumens aus.Meine Damen und Herren, der Subventionsbericht gibt nur über finanzielle Hilfen des Bundes Auskunft. Hilfen der Länder, der Gemeinden, des ERP-Sondervermögens, Hilfen der Europäischen Gemeinschaft vor allem, werden daher, soweit von den vorliegenden Daten her möglich, nachrichtlich ausgewiesen. Wir haben jedoch die Länder im Finanzplanungsrat im März 1985 gebeten, aktuellere Daten über ihre Finanzhilfen zur Verfügung zu stellen. Die Finanzminister der Länder haben dies für den nächsten Subventionsbericht zugesagt.Zum Abschluß, Herr Präsident, will ich folgendes sagen: Auch im 10. Subventionsbericht ist trotz erheblicher systematischer Abgrenzungsprobleme der Versuch eines internationalen Subventionsvergleichs unternommen worden. Er läßt den Schluß zu, daß die Bundesrepublik Deutschland bezogen auf das Bruttosozialprodukt nach den USA, der Schweiz, Japan und Belgien von den untersuchten 14 Ländern am wenigsten Finanzhilfen gewährt. Die internationalen Verflechtungen werden auch hier stärker. Ein grundlegender Erfolg bei der weiteren Eingrenzung und Verringerung des Umfangs an Subventionen setzt in wichtigen Bereichen innerhalb und auch außerhalb der Europäischen Gemeinschaft nachhaltige gemeinsame Anstrengungen voraus.Ich danke Ihnen.
Ich danke dem Herrn Bundesminister für seinen Bericht und bitte, nun Fragen zu stellen. Ich habe die Absicht, zwischen der linken und der rechten Seite des Hauses abzuwechseln.
— Die Mitte ist in diese beiden Kategorien einbezogen.
Die Schriftführer nehmen die Wortmeldungen entgegen.
Zu einer Frage hat der Abgeordnete Wieczorek das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister Stoltenberg, können wir erwarten, daß die Bundesregierung noch vor der nächsten Bundestagswahl konkrete Vorschläge zum Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen macht, damit die bisher Begünstigten wissen, was ihnen in Zukunft bevorsteht?
Herr Kollege Wieczorek, ein sorgfältiges Studium des Berichts und der Finanzplanung zeigt Ihnen folgendes: Wir haben Vorentscheidungen für den Abbau einzelner Subventionen getroffen. Über die bisher bekannten Maßnahmen hinaus habe ich erwähnt, daß das seit über zehn Jahren laufende Programm Deminex, also Bundeshilfen für die Erschließung von Erdölreserven im Ausland, eingestellt werden soll. Es hat seinen Sinn gehabt. Es ist nicht mehr nötig. Nachdem ertragstarke deutsche Mineralölunternehmen zunehmend auch dort Gewinn machen, können sie diese Aufgabe ohne Staatshilfe wahrnehmen. Andererseits glaube ich, daß die Formulierung von steuerpolitischen Konzepten für die kommende Wahlperiode eine Aufgabe der politischen Parteien ist.
Zu einer weiteren Frage der Abgeordnete Uldall.
Herr Minister, zu den Subventionen, die im Subventionsbericht genannt werden, gehören zusätzlich auch die Hilfen, die an die Bundesunternehmen gewährt werden. Wenn also ein Bericht über den Abbau der Subventionen gegeben wird, müßte von der Regierung auch genannt werden, wie sich die Hilfen an die Bundesunternehmen im vergangenen Jahr entwickelt haben und wie sich diese voraussichtlich entwickeln werden.Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Herr Kollege Uldall, es hat für die Mitarbeiter der Ressorts und die verantwortlichen Bundesminister immer wieder gewisse Abgrenzungsprobleme gegeben. Ich weiß zum Beispiel — ich sage das ohne jeden Vorwurf —, daß auch in der Zeit meiner sozialdemokratischen Vorgänger Abgrenzungskriterien verändert worden sind. Das war vor sechs, sieben Jahren. Ich will das am Beispiel der Bundesunternehmen deutlich machen.Wir haben in den letzten Jahren erhebliche Kapitalzuführungen an die Bundesunternehmen geben müssen, die in Wahrheit nichts anderes waren als — faktisch, im Ergebnis — eine Verlustabdeckung. Formal war das aber Kapitalzuführung, Investition, keine Subvention.Wenn wir durch die erfolgreiche Entwicklung einiger wichtiger Bundesunternehmen, die wir allmählich aus den roten Zahlen herausführen, diesen
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11584 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Bundesminister Dr. StoltenbergBetrag im nächsten Jahr um 500 Millionen DM verringern, dann schlägt sich das im Subventionsbericht nicht als eine Verringerung von Subventionen nieder. In meiner politischen Bewertung ist das aber faktisch Subventionsabbau.
Zu einer Frage Herr Abgeordneter Dr. Spöri.
Herr Bundesfinanzminister, wann wird die Bundesregierung den Vorschlag des Bundeskanzlers und des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Häfele verwirklichen, die Subventionen insgesamt um 5 % linear in einem Jahr zu reduzieren?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Sie wissen — das haben wir hier im Hohen Haus mehrfach diskutiert, Herr Kollege Spöri —, daß es solche Vorschläge und Überlegungen in früheren Jahren gegeben hat. Wir sind nach sorgfältiger Prüfung der Probleme, weil man in der Regierungsverantwortung auch noch ständig dazulernt, zu dem Ergebnis gekommen, daß es besser ist, Subventionen gezielt zu kürzen — aus Gründen, die ich hier bereits im einzelnen vorgetragen habe.
Wir können nicht linear um 5 % kürzen, weil wir zugleich wichtige Sozialleistungen wie das Wohngeld, das formal eine Subvention ist, ausweiten und damit die Legende vom Sozialabbau widerlegen.
Zu einer Frage hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher das Wort.
Herr Präsident, ist es möglich, zum ersten Berichtsteil eine Frage zu stellen?
Aber natürlich, Sie können alles fragen, was im Thema angesprochen ist.
Das würde aber alles so auseinanderreißen.
Wir können das nicht teilen.
Herr Bundesfinanzminister, Sie erwähnten die Antwort auf eine Große Anfrage zur Tätigkeit unserer Banken in Südafrika und Namibia und die EG-Beschlüsse, die gestern gefaßt wurden. Können Sie uns sagen, ob diese Empfehlungen oder Beschlüsse der EG-Kommission von gestern Auswirkungen auf die Tätigkeit unserer Banken haben und, wenn ja, welche?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Frau Kollegin, der Bundesaußenminister hat im Kabinett mündlich über die Beratungen der EG-Außenminister berichtet, die gestern bis in den Abend hinein getagt haben. Ich habe das aufmerksam gehört, habe aber keine schriftliche Unterlage. Deshalb zögere ich etwas, auf Grund eines mündlichen Berichts des Kollegen Genscher hier heute improvisiert zu antworten. Ich gehe davon aus, Herr Präsident, daß das Hohe Haus in dieser Woche noch eine Aktuelle Stunde zum Thema Südafrika durchführen will, und ich gehe davon aus, Frau Kollegin, daß wir sehr bald auf der Basis der Antwort auf die Große Anfrage eine umfassende Diskussion haben werden. Ich bitte Sie um Verständnis, daß ich etwas Schwierigkeiten habe, jetzt über den Beratungsstand der Außenminister vorzutragen.
Zu einer Frage hat das Wort der Abgeordnete Schlatter.
Herr Bundesfinanzminister, nachdem Sie uns hier dargelegt haben, warum die Anhebung der Vorsteuerpauschale für Landwirte nicht in den Subventionsbericht aufgenommen wurde, ist meine Frage, ob Sie damit gleichzeitig feststellen, daß die Ausweisung eines Einkommensausgleichs für Landwirte in den früheren Subventionsberichten, nämlich im 3. bis 8., falsch war.
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich glaube, daß der Sachzusammenhang diesmal ein anderer ist. Es trifft zu, daß auch die Regierungen Brandt und Schmidt die Vorsteuerpauschale für Landwirte als ein geeignetes Instrument für temporäre Hilfen angesehen haben. Ich unterstreiche das gern im Hinblick auf die heftige Kritik, die jetzt von Ihren politischen Freunden geübt wird. Aber damals war die Ursache eine andere. Diesmal ist die Vorsteuerpauschale von uns erneut eingeführt worden unter dem Vorzeichen des Wegfalls des Grenzausgleichs, des Wegfalls einer Subvention der Europäischen Gemeinschaft. Deswegen erschien uns die nachrichtliche Darstellung richtig.
Ich wollte aber — vielleicht haben Sie es ein bißchen gespürt — diesen Methodenstreit nicht auf die Spitze treiben und habe deshalb in dem Bericht vor dem Deutschen Bundestag bewußt auch dargelegt, welches Gesamtvolumen entstehen würde, wenn man die Vorsteuerpauschale nach den Vorstellungen der Opposition in die Subventionsrechnung einbeziehen würde. Wir haben eine gut begründete Auffassung, die wir vertreten; Sie haben andere Auffassungen. In meiner politischen Laufbahn habe ich gelernt, daß ein derartiger Methodenstreit die zugrunde liegenden Fragen nicht lösen kann. Deshalb wollen wir es vielleicht von beiden Seiten ein bißchen relativieren.
Das Wort zu einer weiteren Frage hat der Abgeordnete Lattmann.
Herr Bundesminister, liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über die Entwicklung der Subventionen im internationalen Vergleich vor? Ist das, was Sie für die Bundesrepublik als Zunahme der Subventionen bezeichnet haben, also ein deutscher Sonderfall, oder liegt es im internationalen Trend?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11585
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich habe, Herr Kollege Lattmann, zum Schluß meines Berichts sehr kurz, wie es der zeitlichen Situation angemessen ist, unsere Position im Bereich der 14 wichtigen Industrieländer dargestellt. Da liegen wir, was den Subventionsabbau oder die Subventionsbegrenzung anbetrifft, etwa an fünfter Stelle. Das ist nicht schlecht. Es gibt auch in anderen Ländern große Anstrengungen zum Subventionsabbau.Aber wir haben das Problem, daß zugleich auf neue Subventionen gedrängt wird. Wir kennen es aus der Stahldiskussion: Wir haben uns entschlossen, die befristeten Hilfen zu beenden. Aber wir müssen in der EG dafür sorgen, daß auch andere diese Beschlüsse einhalten.Im übrigen gibt es nach der Erhöhung, die Sie erwähnt haben, jetzt einen Rückgang im Subventionsvolumen. Ich wollte das noch einmal ausdrücklich nachtragen.
Zu einer Frage hat die Frau Abgeordnete Matthäus-Maier das Wort.
Herr Stoltenberg, trifft die Aussage des Ifo-Instituts zu, daß der überwiegende Teil des Abbaus bei den Finanzhilfen bis 1989 auf Maßnahmen der alten sozialliberalen Koalition zurückzuführen ist und nicht etwa auf ein großes Engagement dieser Bundesregierung beim Subventionsabbau?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Nein, ich glaube nicht, daß man das in dieser verallgemeinernden Form sagen kann.
Aber weil wir ein politisches Fachgespräch führen, will ich gerne sagen, daß sich in einzelnen Positionen, z. B. bei den rückläufigen Mitteln für die Sparprämien, auch Entscheidungen unserer Vorgänger noch widerspiegeln. Ihre Gesamtbewertung kann ich aber nicht teilen.
Im übrigen sind Subventionen — wie Sie feststellen können, wenn Sie sich einmal die Tabelle 11 anschauen — auch die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur", und da glaube ich, daß es richtig ist, daß wir im Hinblick auf die bedrängte Lage der Landwirtschaft bestimmte Mittel verstärkt haben.
Zu einer Frage der Herr Abgeordnete Dr. Lammert.
Herr Minister, Sie haben zu Recht auf die Befristung von Subventionen und auf die Notwendigkeit bestimmter Ausgleichszahlungen, die uns durch die Subventionspraxis von Nachbarländern zugemutet worden sind, hingewiesen. Nun ist ja gerade die Subventionierung der eigenen Stahlindustrie in den Befristungsterminen auf die Regelung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft bezogen, von der im Augenblick keineswegs sicher erscheint, ob die vorgesehenen und vereinbarten Fristen tatsächlich eingehalten werden. Wie wird sich die Bundesregierung politisch verhalten, wenn die vereinbarte Beendigung von Subventionszahlungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zum 31. August dieses Jahres von Nachbarländern nicht eingehalten werden sollte?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Die Bundesregierung hat in ihrer Vorlage entschieden, daß es im nächsten Jahr keine weiteren Stahlsubventionen gibt, und ich weiß mich darin auch in Übereinstimmung mit den Koalitionsfraktionen, was individuelle Schattierungen nicht ausschließt.
Die Bundesregierung besteht in der Verantwortung des Bundeswirtschaftsministers darauf, daß ein entsprechender Beschluß der Europäischen Gemeinschaft auch von den anderen Ländern eingehalten wird.
Nun gibt es auf dieser Grundlage in internationalen Institutionen immer gewisse Nuancen. Es gibt ohne Zweifel Bemühungen einiger Mitgliedsländer, unter prinzipieller Bejahung dieses Beschlusses noch eine kleine Tür für eine Übergangslösung im nächsten Jahr zu öffnen. Vorsorglich hat der Bundeswirtschaftsminister in Brüssel erklärt: Wenn es hier eine geringfügige Differenzierung geben sollte, müssen diese Länder auch eine Leistung erbringen. Diese könnte z. B. darin bestehen, daß sie Stahlquoten an andere Unternehmen, auch an deutsche, übertragen.
Insofern muß, was immer dort noch an Schattierungen zur Diskussion stehen kann, der Beschluß durchgehalten werden; denn in Wahrheit hat sich die massive Subventionierung der Stahlindustrie in anderen Ländern nicht segensreich ausgewirkt, sondern hat zu einer Kapazitätsvernichtung und zu einem sinnlosen Wettbewerb geführt.
Meine Damen und Herren, bevor ich die Fragerunde fortsetze, darf ich einige Gäste begrüßen.Auf der Ehrentribüne haben der Präsident des Repräsentantenhauses des Königreichs Marokko, Herr Ahmed Osman, und die Mitglieder seiner Delegation Platz genommen. Ich habe die Ehre und Freude, Sie, Herr Präsident, im Deutschen Bundestag willkommen zu heißen!
Den Deutschen Bundestag und das Repräsentantenhaus verbinden gute freundschaftliche Beziehungen. Der damalige Präsident des Deutschen Bundestages, Herr Professor Carstens, nahm an der Inaugurationszeremonie des Repräsentantenhauses teil, um das besondere Interesse an dem wichtigen Schritt Marokkos zu einer „konstitutionellen demokratischen und sozialen Monarchie" zu betonen. Ihr Besuch in Bonn, der in wenigen Stunden zu Ende geht, unterstreicht und vertieft diese freundschaftliche Verbindung.
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11586 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Präsident Dr. JenningerWir setzen unsere Beratungen fort. Zu einer Frage hat die Abgeordnete Frau Borgmann das Wort.
Herr Minister, können Sie uns sagen, wann genau die Bundesregierung das Kulturabkommen mit Südafrika in Ausführung der gestern von der EG gefaßten Beschlüsse zu Sanktionen auf dem kulturellen Sektor aufkündigen wird? Herr Genscher hat gestern vor der Presse gesagt: zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Wann wäre das genau?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Frau Kollegin, ich möchte mich auf meine Antwort an Frau Kollegin Hamm-Brücher beziehen:
Diese Frage einer Überprüfung oder Neugestaltung des Kulturabkommens — „Neugestaltung" würde heißen, daß wirklich den Belangen aller Bevölkerungsgruppen, nicht nur der weißen, Rechnung getragen werden müßte — ist heute erörtert worden. Aber ich möchte es wirklich dem Herrn Bundesaußenminister überlassen, in seiner Verantwortung das Hohe Haus darüber zu unterrichten.
Zu einer Frage hat der Herr Abgeordnete Wissmann das Wort.
Herr Minister, Sie haben in Ihrem Bericht gesagt, die Bundesregierung beabsichtige, den Abbau der Subventionen im mittelfristigen Finanzplanungszeitraum fortzusetzen. Können Sie dem Plenum sagen, wie die Schwerpunkte dieser Abbaustrategie aussehen werden?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ein Schwerpunkt der Abbaustrategie muß sein, den Anteil der Erhaltungssubventionen weiter zu verringern. Ich sage ausdrücklich: weiter zu verringern, denn wir haben den Anteil der reinen Erhaltungshilfen bereits erfreulich zurückgeführt. 1981 waren es noch 15 % der Finanzhilfen, 1986 sind es noch 11 %. Wenn wir schon Firmen unter strengen, besonders zu rechtfertigenden Bedingungen unterstützen, ist es immer noch besser, ihnen Mittel für Forschung und technische Entwicklung zu geben, als bloße Erhaltungssubventionen unbefristet zu zahlen. Das ist auch eine Frage der Qualität und der Begründung von Subventionen.
Zum zweiten, Herr Kollege Wissmann, gehe ich nach der Finanzplanung davon aus, daß sich auch in anderen Bereichen rückläufige Tendenzen abzeichnen. Ich habe schon das Beispiel der Sparprämien erwähnt. Aber ich will auch sagen, daß nach unseren Beschlüssen das Förderungsvolumen für den sozialen Wohnungsbau zurückgehen wird. Das von uns beschlossene Sonderprogramm war befristet, und wir werden nach der Finanzplanung auch den allgemeinen Förderungsrahmen zurückführen. Das ist von Bedeutung, weil gegenwärtig von den 20 größten Finanzhilfen des Bundes die für den sozialen Wohnungsbau die größte ist. Wir können das machen, nachdem der Deutsche Bundestag entschieden hat, daß wir die Förderung des Bundes auf Eigentumsmaßnahmen konzentrieren, und nachdem die Länder in der Lage sind, auch mit Hilfe der sehr hohen Rückflüsse, die ihnen gesetzlich zustehen, den sozialen Wohnungsbau der Zukunft stärker in ihre Verantwortung zu übernehmen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Struck.
Herr Minister, ist es richtig, daß die Bundesregierung seit der Regierungsübernahme Steuersenkungen beziehungsweise Steuervergünstigungen allein zugunsten von Unternehmen in der Größenordnung von zirka 9 Milliarden DM im Entstehungsjahr beschlossen hat?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich kann die Zahl jetzt nicht exakt bewerten, weil sie auch über den Subventionsbericht hinausführt. Ich müßte mir die Zahlen noch einmal genau anschauen, die sich auf Steuersenkungen unabhängig von Subventionen beziehen. Ich habe aber in meinem kurzen Bericht klargemacht, Herr Kollege Struck, daß das, was wir an steuerlichen Subventionen für Unternehmen beschlossen haben, in der Tat vor allem auch auf Probleme des Arbeitsmarktes abzielt — ob es die Insolvenzrücklage war, ob es die Investitionshilfen für die Stahlindustrie gewesen sind —, also wichtige befristete Maßnahmen, die wir natürlich mit Blick auf besonders bedrängte Wirtschaftszweige und ihre Arbeitnehmer vorsehen und in Kraft gesetzt haben, um Anpassungsprozesse ökonomisch und sozial erträglich zu machen.
Zu einer Frage hat das Wort Herr Abgeordneter Jung.
Herr Bundesminister, würden Sie der vielfach öffentlich geäußerten Auffassung zustimmen, daß die steuerlichen Subventionen beziehungsweise die sehr zahlreichen Ausnahmeregelungen im Steuerrecht auch die Begründung sind für eine in den vergangenen Jahren viel zu kompliziert gewordene Steuergesetzgebung und daß mit einem Abbau der steuerlichen Subventionen eine längst erwünschte Vereinfachung des Steuerrechts erreicht werden kann?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ja, ich stimme Ihrer Auffassung zu; ich habe sie auch in der letzten Woche in meiner Haushaltsrede zum Ausdruck gebracht.
Zu einer Frage hat das Wort der Abgeordnete Roth.
Herr Präsident, Sie erlauben mir sicherlich zusammen mit meiner Anfrage an den Herrn Bundesminister eine Bemerkung: Wir haben
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11587
Rothdas als Kabinettsanfrage verstanden, nicht als Fachanfrage. Das Ausweichen beim Thema Südafrika, nachdem das Kabinett das diskutiert hat, betrachten wir als Verlassen der ursprünglichen Vereinbarung.
Aber damit das doch politisch seriös weitergeht, eine Fachfrage.
Ich schließe mich an die Frage an, die Herr Spöri gestellt hat. Sie haben auf die Frage nach dem linearen Subventionsabbau, wenn man Gegner der Bundesregierung ist, gesagt: Na gut, was geht uns das Gerede vor der Wende an!Würden Sie mir als Freund der Bundesregierung, der Sie ja sind — Sie haben ja gesagt, Sie hätten dazugelernt —, folgende Frage zustimmend beantworten: Sie sind heute mit Ihren Argumenten, was den linearen Subventionsabbau anbetrifft, auf die Auffassung der Bundesminister Matthöfer und Apel vor der Wende eingeschwenkt und haben gesagt, daß der Beschluß der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 3. September 1981, es sei ein linearer Abbau der Subventionen von 5% jährlich möglich, Unsinn gewesen sei.
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Aber, Herr Kollege, Sie werden doch nicht ernsthaft erwarten, daß ich Ihre Formulierungen und die zugrunde liegende Bewertung übernehme. Entscheidend ist nach meiner Überzeugung, daß politische Parteien und Politiker in der Kontinuität ihrer Sachziele und Argumente bleiben. Was ich Ihnen vortragen konnte, zeigt, daß wir das Thema Subventionsabbau ernst nehmen, und daß der geringfügige Anstieg, der in der Tat im Saldo vorübergehend zu verzeichnen ist, die Folge sozialpolitischer Entscheidungen und nicht des Zuspielens vom großen Geld an reiche Leute war und gezielt bestimmte, besonders bedrängte Strukturbereiche unserer Volkswirtschaft betroffen hat. Das heißt, wir bleiben — das zeigt der Bericht klar — in der Kontinuität dessen, was wir als Opposition gesagt haben, was auch der Bundeskanzler als Oppositionsführer gesagt hat.In der Methodik sollte jeder bei gleichbleibenden politischen Zielen dazulernen. Wenn wir nach intensiver Prüfung und Diskussion festgestellt haben, daß es sachlich richtiger ist, Subventionen gezielt und nicht linear zu kürzen, dann kann ich darin überhaupt nichts Belastendes empfinden. Wir hoffen alle, daß wir gegenseitig lernen; wir hoffen das auch von Ihnen in der Opposition.
Herr Abgeordneter Roth, ich will zu Ihrer Vorbemerkung sagen, daß der Tagesordnungspunkt heißt: Bericht aus der Kabinettssitzung.
Der Bundesfinanzminister hat seinen Bericht damit begonnen, daß er gesagt hat: In der heutigen
Sitzung sind im wesentlichen drei Themen behandelt worden. Der erste Punkt betraf eine Große Anfrage zum Engagement der bundesdeutschen Banken in Südafrika und Namibia. Ferner wurden die umweltfreundliche Umrüstung der Dienstfahrzeuge und dann der Subventionsbericht behandelt. Damit stehen alle drei Themen zur Diskussion.
Es ist nicht Sache des Parlaments, festzulegen, was die Bundesregierung berichtet. Das ist Sache der Bundesregierung.
— Ich bitte etwas um Geduld. Das ist ein Versuch. Wir müssen sicherlich alle miteinander aus solchen Erfahrungen lernen.
Herr Abgeordneter Feilcke.
Herr Minister, Sie haben davon berichtet, daß der Anteil der Subventionen, die privaten Haushalten zugute kommen, gestiegen ist — wenn ich mich richtig erinnere, auf etwa 53 %, in jedem Fall auf über 50 %. Können Sie schon etwas über die voraussichtliche weitere Entwicklung sagen, möglicherweise auch Zahlen nennen, eine Prognose wagen, wie die Entwicklung in der Zukunft sein wird?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich zögere, das über das Jahr 1986 hinaus zu tun. Da gibt es Elemente, bei denen dieser Anteil größer werden kann — Wohnungsbauprämien mit der Übernahme von Anteilen der Länder, Wohngeld —, aber es gibt auch Bereiche — wenn ich noch einmal an die Finanzplanung für den sozialen Wohnungsbau erinnern darf —, in denen er rückläufig sein kann. Wir haben keine sichere Prognose über die Entwicklung über 1986 hinaus. Wir können das im nächsten Subventionsbericht beantworten.
Zu einer Frage der Abgeordnete Müller .
Herr Minister, aus welchem Grund ist die Vorsteuerpauschale zum Ausgleich des Währungsausgleichs im Subventionsbericht nur in einer Fußnote und nicht im beschreibenden Teil vermerkt?
Ist das eine Subvention oder ist das keine?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich hatte mir erlaubt, die Frage bereits zu beantworten, Herr Kollege. Man kann es im Protokoll nachlesen.
Zu einer Frage der Abgeordnete Hoffie.
Herr Minister, ich beziehe mich auf den ersten Teil Ihrer Berichtsausführungen, nämlich auf die Umrüstung von Bundesfahrzeugen auf schadstoffarme Techniken: In welcher Zeit wird dies geschehen, wieviel Fahrzeuge sind davon betroffen? Insbesondere interessiert mich, ob sich das
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11588 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
HoffieKabinett auch mit der Frage einer weiteren Spreizung der Mineralölsteuer für verbleites und unverbleites Benzin beschäftigt hat. Agenturmeldungen sprechen zur Stunde davon, daß sich eine Ministerrunde damit beschäftigt habe.Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Herr Kollege Hoffie, aufgrund einer gemeinsamen Vorlage des Finanzministers und des Innenministers ist folgendes vorgesehen: Wir wollen die Umrüstung bei den Pkw der Bundesbehörden, insbesondere der obersten Bundesbehörden, sofort einleiten. Wir können also in diesem Jahr im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel beginnen. Die Vorsorge für das nächste Jahr haben wir im wesentlichen getroffen. Sollte noch eine kleine Korrektur notwendig sein, werden wir den Haushaltsausschuß darum bitten.Das bedeutet, daß in diesem und im nächsten Jahr gut 3 000 Pkw umgerüstet werden sollen, weit mehr als die Hälfte der mit Benzinmotoren angetriebenen Pkw. Nicht umgerüstet werden ältere Fahrzeuge bis zum Baujahr Ende 1979 und Fahrzeuge, die in den nächsten zwei Jahren ausgemustert werden müssen.Wir sind uns grundsätzlich einig — das ist im Kabinett berichtet und heute morgen vor der Kabinettssitzung unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers im Kreise der beteiligten Minister besprochen worden; insofern will ich die Frage gern aufnehmen —, daß wir — da hat es im Gegensatz zu einem Vorabbericht in einer Tageszeitung auch gar keine Auseinandersetzungen gegeben — dem Deutschen Bundestag im Hinblick auf die noch vorhandene Preisdifferenz vorschlagen wollen, mit Wirkung vom 1. Januar eine stärkere steuerliche Begünstigung des nichtverbleiten, des bleifreien Benzins vorzusehen,
jedoch im Rahmen einer degressiven Lösung. Das ist eine gute Formel für die Umweltpolitiker und die Finanzpolitiker.
Wir gehen davon aus, daß der Marktanteil unverbleiten Benzins bei einer deutlich stärkeren steuerlichen Förderung erheblich zunehmen wird und daß sich von dort her im Markt auch vernünftige Preisrelationen einpendeln.
Zu einer Frage der Abgeordnete Westphal.
Herr Minister, finden Sie nicht, daß der Lernprozeß Ihrer Regierung doch ein bißchen lange dauert? Denn von der Umstellung des Gedankens, linear 5% zu kürzen, zu dem Herbert Wehner damals gesagt hat, das sei ein Messer ohne Klinge, dem das Heft fehle, hin zu der Absicht, nun doch konkret und an bestimmter Stelle zu kürzen, ist doch viel Zeit verstrichen. Heute kann man feststellen, daß die damalige sozialdemokratisch geführte Regierung nicht weniger als drei Subventionsabbaugesetze vorgelegt hat, mit denen allein im Entstehungsjahr 8 Milliarden DM Subventionen abgebaut worden sind, während in der Zeit, in der Sie regieren, allein die Steuervergünstigungen um 30 % gestiegen sind, ohne daß die Landwirtschaftsumsatzsteuerpauschale dabei eingerechnet ist. Finden Sie nicht, daß diese Umstellung ein bißchen lange gedauert hat?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Herr Kollege Westphal, bei allem Respekt vor Ihrem Sachverstand: Ich muß der Behauptung widersprechen, daß die Steuervergünstigungen um 30 % angestiegen sind. Ich habe die Zahlen — mit und ohne Vorsteuerpauschale — hier vorgetragen. Diese in Frageform gekleidete Behauptung trifft nicht zu.
Nein, ich finde schon, daß wir beim Subventionsabbau wichtige Teilergebnisse erzielt haben. Die Gründe, weshalb einige Subventionen noch steigen und weshalb uns andere noch lange Zeit begleiten können, habe ich dargelegt. Auch in den damaligen Beiträgen von 1981 ist natürlich davon ausgegangen worden, daß die Förderung Berlins, soweit es sich um Subventionen handelt, daß die Förderung des Zonenrandgebiets nicht in eine pauschale Kürzung einbezogen werden kann. Und in der Tat: Ich wäre Ihnen, Herr Kollege Westphal, für eine nachhaltige Unterstützung auch außerhalb dieser Debatte im Deutschen Bundestag dankbar, wenn wir nun auch Herrn Lafontaine erklären müssen, daß es mit Direktsubventionen für ARBED aus Wettbewerbsgründen nicht so weitergehen kann.
Ich wäre Ihnen auch dankbar, wenn Sie uns — jetzt nehme ich mal Ihre engere Heimat —
bei der Kohleförderung unterstützen würden, die wir sicher fortführen wollen. Wir wollen den Hüttenvertrag weiterführen. Aber wir müssen bestimmte Elemente auch zur Entlastung der Steuerzahler verändern. Und da kommt die Nagelprobe für Sie und Ihre Freunde — wir können die Liste weiter durchgehen —, genauso wie die Bewährungsprobe für uns kommt.
Zur letzten Frage erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Langner.
Herr Minister, meine Frage schließt sich an die des Kollegen Jung zum Zusammenhang von Vereinfachung der Steuergesetze und Milderung der Belastung an. Wird die Stunde der Wahrheit für den Abbau und die Anpassung von Steuervergünstigungen dann kommen, wenn die Erfolge Ihrer Konsolidierungspolitik einen linear-progressiven und damit milderen Tarif ermöglichen, und wird diese Politik der Anpassung und des Abbaus von Steuervergünstigungen dann besonders weitreichend sein können, wenn wir auch mit Beiträgen der Opposition rechnen können?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11589
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich glaube in der Tat, Herr Kollege Langner, daß die Einführung eines durchgehenden Progressionstarifs als des Kernstücks einer künftigen Steuerreform objektiv und bei starkem Engagement der Verantwortlichen auch politisch die Voraussetzung dafür schafft, Steuersubventionen auf breiterer Front abzubauen. Die internationale Erfahrung zeigt das eindringlich. Dort, wo man einen niedrigeren Tarifverlauf hat, hat man weniger Subventionen. Dies dient auch der Steuergerechtigkeit. Die Überfülle von in Jahrzehnten gewachsenen Steuersubventionen, vor allem bei der Einkommen- und Lohnsteuer, führt dazu
— auch das gehört zu den Dingen, die ich in den letzten Jahren gelernt habe, Herr Roth; ich bestätige Ihnen ganz ausdrücklich, daß ich in den letzten Jahren viel auf diesem Gebiet gelernt habe —, daß ein hoher Prozentsatz der Steuerpflichtigen sie nicht mehr in Anspruch nimmt. Das sind in der Regel die Steuerpflichtigen, die nicht die optimalen Informationsmöglichkeiten haben.
Das sind die Bezieher kleiner Einkommen, und das sind in der Wirtschaft kleine Betriebe. Deswegen ist es auch ein Gebot der Steuergerechtigkeit, Subventionen abzubauen und die Tarife zu senken.Schönen Dank.
Meine Damen und Herren! Die für die Fragen an den Berichterstatter der Bundesregierung und dessen Antworten vorgesehene Zeit ist abgelaufen.
Die Fraktionen haben nunmehr die Möglichkeit, zur Kabinettberichterstattung eine Erklärung von fünf Minuten abzugeben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wieczorek .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesfinanzminister setzt mit seiner Vorstellung des 10. Subventionsberichts die Taktik aus der Haushaltsdebatte der vorigen Woche fort. Aber alle Lobeshymnen, Herr Minister,
über die angeblichen Leistungen dieser Bundesregierung können über die Tatsache nicht hinwegtäuschen.
In der Opposition hat die CDU/CSU fortwährend Subventionsabbau gefordert. Erinnert sei an den Vorschlag der generellen Kürzung um 5 %. Vor der Bundestagswahl hat sie den Subventionsabbau großspurig angekündigt.Aber in Wirklichkeit hat diese Bundesregierung ihr Versprechen nicht gehalten.
Das Geschwätz vom Subventionsabbau erweist sich als großer Schwindel und als Täuschung der Wähler.
Die Bundesregierung hat die Subventionen nicht gekürzt; sie hat sie sogar erheblich ausgeweitet,
ausgeweitet auf Rekordhöhen.
Seit 1982 sind die Steuervergünstigungen allein beim Bund um 25 % gestiegen, insgesamt sogar um mehr als 30 %.
Das sind ohne Vorsteuerpauschale schon 9 Milliarden mehr Steuersubventionen.Auch die Finanzhilfen des Bundes wurden nicht gesenkt, sondern erhöht. Sie liegen 1986 um 300 Millionen DM oder 2,3 % höher als 1982, und das trotz der im Haushaltsentwurf 1986 angewendeten Buchhaltereffekte und trotz der anhaltenden Auswirkungen der Subventionsabbaugesetze der sozialliberalen Koalition aus dem Jahr 1981, durch die allein die Ansätze für Finanzhilfen von 1982 bis 1986 um 1 Milliarde DM zurückgehen. Das sind Tatsachen, die zeigen, wie diese Bundesregierung sich an ihre früheren Versprechen hält. Das sind Tatsachen über das Versagen der Wenderegierung auch auf dem Gebiet der Subventionen.Meine Damen und Herren, auch bei diesen Vergleichen ist die schlimmste Aktion des Bundesfinanzministers Dr. Stoltenberg auf dem Gebiet der Subventionen überhaupt noch nicht berücksichtigt, nämlich die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft. Sie schlägt 1986 mit über 2,5 Milliarden DM zu Buche.
Allein diese Subvention hat ein Volumen von 20 Milliarden DM. Der Bundesfinanzminister versucht, dies zu verschleiern, indem er manipuliert und den Subventionsbegriff so auslegt, wie es ihm im Moment paßt.Aber, meine Damen und Herren, auch ohne diese Milliardenbeträge an die Landwirtschaft sprechen die Vergleichszahlen eine deutliche Sprache für die Subventionspolitik dieser Bundesregierung. Die Bundesregierung hat ihre Glaubwürdigkeit verloren. Sie handelt anders, als sie redet. Dieser Bundesfinanzminister wird als aktiver Subventionsminister in die Geschichte eingehen.
Diese Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat versagt: versagt beim Subventionsabbau,
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11590 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Wieczorek
versagt beim Abbau der Arbeitslosigkeit, versagt bei der Umstrukturierung dieses Haushalts.Ich danke Ihnen.
Zu einer Erklärung hat das Wort der Abgeordnete Uldall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß wir am Ende dieser ersten Stunde feststellen können,
daß das Parlament hiermit eine gute Möglichkeit bekommen hat, sich von der Bundesregierung informieren zu lassen.
Ich meine aber auch, meine Damen und Herren, daß wir als Parlament noch eine ganze Menge lernen müssen, was die Fragestellung angeht. Die Fragen müssen wirklich darauf hinauslaufen, daß wir zusätzliche Informationen von der Regierung haben wollen. Wenn wir versuchen, durch die Frageform eine Debatte hervorzurufen, dann frage ich mich, welchen Sinn eigentlich eine solche Stunde wie diese haben sollte.
Möglichkeiten für Debatten haben wir jede Menge. Wir sollten diese neue Form der Unterrichtung durch die Bundesregierung wirklich nutzen, um Informationen zu bekommen.
Wenn wir das nicht tun, nutzen wir die Chancen nicht, um das aus der Regierung herauszuholen, was zu bekommen ist.
— Herr Kollege, dann stellen Sie in Zukunft die richtigen Fragen; dann bekommen Sie die richtigen Antworten.
So, wie der Kollege Wieczorek es hier eben gemacht hat, geht es wirklich nicht. Man kann nicht einen Vortrag des Ministers anhören und hinterher eine vorgefertigte Rede verlesen, in der überhaupt nicht auf die Ausführungen Bezug genommen wird.
Herr Kollege Wieczorek, es ist soeben ausführlich von der Bundesregierung dargelegt worden, daß wir zwischen den Finanzhilfen und den Steuervergünstigungen zu unterscheiden haben. Unter den Finanzhilfen wird landauf, landab normalerweise dieSubvention verstanden. Das ist also das eigentliche Kernthema. Bei den Finanzhilfen, d. h. den Zuwendungen an die Unternehmen, hat die Bundesregierung im vorgelegten Haushaltsplan eine Kürzung um 1 Milliarde DM vorgenommen.
Bei einer solchen Situation können Sie sich doch nicht hinstellen und sagen, daß hier alles erhöht wird. Das ist doch absolut falsch.
Ich erwarte, Herr Wieczorek, daß Sie in Zukunft genauer zuhören, was die Bundesregierung erklärt, und erst dann entsprechende Urteile fällen.
Zu der Summe von 1 Milliarde DM kommt noch weit mehr hinzu, meine Damen und Herren. Wie auf meine Frage von der Regierung ausgeführt wurde, sind gleichzeitig die Zuwendungen an die Bundesunternehmen um weitere 0,5 Milliarden DM gekürzt worden. Das heißt also, die Summe der Zahlungen an Unternehmen — an private Unternehmen und an Bundesunternehmen — ist insgesamt um 1,5 Milliarden DM reduziert worden.Da sage ich: Das ist ein mutiger Weg, den unser Finanzminister gegangen ist. Er verdient weiterhin unsere volle Unterstützung.
Neben den Finanzhilfen, Herr Kollege Wieczorek, gibt es auch noch die Steuervergünstigungen. Bei den Steuervergünstigungen haben wir keine Erhöhung festzustellen, sondern bei den Steuervergünstigungen stellen wir für die vergangenen Jahre und auch für die nächsten Jahre eine Konstanz fest.
Nur: Wer sich etwas im Steuerrecht auskennt, weiß doch, daß wir ein progressiv ausgestaltetes Einkommensteuerrecht haben. Das heißt — Herr Kollege Roth, Sie als Wirtschaftsspezialist wissen das —: Normalerweise müßte bei einem progressiv ausgestatteten Steuersystem die Steuervergünstigung größer werden. Wenn sie jetzt konstant bleibt, dann ist das ein Zeichen dafür, daß die von der Bundesregierung eingeleiteten Maßnahmen zu greifen anfangen. Wir können also mit Freunde und mit Befriedigung feststellen,
daß alle Bemühungen — wie z. B. um eine zeitliche Befristung der Subventionen — jetzt ihre ersten Erfolge zeitigen. Herr Wieczorek, auch hier haben Sie soeben absolut falsch — —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11591
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, mit Ihren Zwischenrufen etwas zurückhaltender zu sein. — Herr Kollege, fahren Sie fort. Bitte sehr.
Meine Damen und Herren, ich meine, daß der Weg, den die Bundesregierung eingeschlagen hat, zu einem Abbau von Steuervergünstigungen und zu einem Abbau von Zahlungen an die Unternehmen führt. Dieser Weg, der mit Augenmaß, mit Energie und mit Ausdauer von der Bundesregierung beschritten wird, ist der richtige Weg. Sie, Herr Minister, haben die ersten Erfolge auf diesem Weg zu verzeichnen. Herr Minister, Sie werden auch in Zukunft die Unterstützung der CDU/CSUFraktion haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich war das ja wohl als Kabinettsbefragung gedacht; es hat sich zu einer Befragung des Ressortministers verengt.
Ich bedaure es zutiefst, daß Herr Stoltenberg nicht in der Lage war, detailliert zu Südafrika Stellung zu nehmen, sondern alles auf den anderen Ressortminister abgewälzt hat. So war es ja wohl eigentlich nicht geplant.
Ich begrüße es für unsere Fraktion, daß ein Subventionsbericht vorgelegt wird. Der Bürger hat einen Anspruch darauf, daß alle Mittel, die vom Staat verausgabt werden, auch in epischer Breite dargelegt werden. Nur: Man muß den schillernden Begriff „Subvention" natürlich auch in seiner Substanz erfassen. Und da ist es halt ein Unterschied, ob ein Wohngeldempfänger 100 DM bekommt oder ob fast 2 Milliarden DM an die DWK für den Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf fließen.
Insofern liegt Herr Wieczorek auch völlig daneben, wenn er abstrakt den Abbau von Subventionen fordert. Darum kann es ja gar nicht gehen; man muß sich vielmehr jede Subvention im einzelnen anschauen und gucken, wo eingespart werden kann und welche Subventionen unbedingt erhaltenswert sind, um diesen Begriff zu gebrauchen.
Es ist aber auch interessant, welche Subventionen nicht in dem Bericht stehen. Unsere Regierung praktiziert ja immer wieder einen schönen Kunstgriff, indem sie behauptet, um den Staatsanteil zu senken — das wird j a immer so abstrakt als positiv verkauft — sei es erforderlich, die Subventionen zu kürzen. Nur schüttet sie diese auf der anderen Seite dann wieder in Form von verringerten Steuereinnahmen aus. Dazu wird die Subvention praktisch direkt in den Steuertarif eingearbeitet, ohne als Subvention erfaßt zu werden. Ich möchte hier nur als Beispiel das Ehegattensplitting erwähnen, das j a eine reine Subvention der christlichen Ehegemeinschaft darstellt. Ich denke z. B. auch an Kinderfreibeträge, die natürlich nicht als Subvention auftauchen. Würde dagegen Kindergeld ausgezahlt, das an alle in gleicher Höhe gewährt würde, dann würde es dort auftauchen.Wenn Herr Stoltenberg sagt, 53 % der Subventionen kämen den Privathaushalten zu und das dann noch als soziale Aufgabe verkauft, dann ist das natürlich auch nicht richtig, denn jeder weiß, daß Steuererleichterungen, wie z. B. § 7 b, in erster Linie den Besserverdienenden zugute kommen.
— Natürlich, wenn ich einem Spitzensteuersatz von 56 % unterliege, dann kriege ich bei 10 000 DM, die ich absetzen kann, über 5 000 DM wieder. Wenn ich einem Spitzensteuersatz von 22 % unterliege, dann kriege ich vielleicht 2 000 DM, und wenn ich arbeitslos bin, kriege ich überhaupt nichts. Das ist natürlich sozial negativ.
Der Abbau von Subventionen, dem hier abstrakt das Wort geredet wird — Herr Stoltenberg hat das dann auch beispielhaft an den ARBED-SaarstahlWerken deutlich gemacht —, ist natürlich katastrophal, wenn man Subventionen nur so für sich sieht und ganz übersieht, daß eine ganze Region vor die Hunde geht, und zwar dadurch, daß Arbeitsplätze in riesigem Ausmaß vernichtet werden, während die entsprechenden Ersatzstrukturen noch nicht aufgebaut sind. Insofern kann Aufgabe einer verantwortungsvollen Regierung doch nur sein, dort erst einmal Ersatzkapazitäten aufzubauen und nicht ab 1. Januar 1986 von vornherein dafür zu sorgen, daß diese Riesenfirma Pleite geht.
Der Abbau der Kokskohlen-Beihilfe fügt sich natürlich auch gut in dieses Bild ein. Das wird hier natürlich als Abbau von Subventionen verkauft, aber gleichzeitig wird der weitere Ausbau der Atomkraft forciert. Es ist Ihnen natürlich keine Mark zu schade, um sie dort hineinzupumpen; demgegenüber wird gleichzeitig versucht, die Kohle zurückzudrängen.Unsere Position ist — das ist auch ein Appell an Sie, Herr Bundesfinanzminister —, in Zukunft nicht immer, wie es auch die SPD heute wieder gemacht hat, abstrakt von Subventionskürzungen zu reden, sondern dann wirklich zu sagen, wo etwas im konkreten Einzelfall gekürzt werden soll, und auch dazu zu stehen, wenn einzelne Subventionen notwendig und erhaltenswert sind.
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11592 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Vogel
Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Kollege Wieczorek hat sich, wie ich finde, heute durch ein ungewöhnliches Maß von Weitsicht ausgezeichnet. Auf einen Bericht aus der Kabinettssitzung mit einer vorbereiteten Rede zu erscheinen, also den Bericht schon zu kennen — Respekt, Respekt, Herr Kollege!
Meine Damen und Herren, wir begrüßen die Tatsache, daß es zu dieser Einrichtung kommt. Das ist eine alte Forderung der FDP. Ich persönlich muß noch sagen: Ich halte es für vertretbar, daß dann, wenn morgen oder übermorgen eine Aktuelle Stunde zu einem bestimmten Thema stattfindet, das in der Kabinettssitzung behandelt worden ist, heute Fragen dazu nicht beantwortet werden. Das scheint mir vernünftige Arbeitsökonomie zu sein.
Herr Bundesfinanzminister, der Subventionsbericht ist seit vielen Jahren kein Vergnügen, sondern eine traurige Pflichtlektüre. Das gilt auch für dieses Jahr. Ob nun mehr oder weniger darinsteht, wir bestreiten nicht, daß strukturelle Verbesserungen erreicht worden sind. Die Summen bleiben zu hoch. In einem Punkt möchte ich Ihrer Bewertung widersprechen. Sie sagen, es sei nicht schlecht, an fünfter Stelle hinter den USA, Japan, der Schweiz und einem weiteren Land zu stehen. Ich frage mich, ob es nicht doch schlecht ist, wenn wir sehen, daß unsere erfolgreichsten Wettbewerber offensichtlich ohne Subventionen besser sein können als wir mit so relativ hohen Subventionen.
Deswegen bleibt es dabei, daß wir den Abbau der Subventionen fortsetzen müssen, daß wir uns darum bemühen müssen. Das haben Sie uns zugesagt. Es ist weiß Gott kein Ausweis politischer Gestaltungskraft, wenn man schließlich bei der linearen Kürzung landen muß — das gebe ich Ihnen zu —, aber unsere allseits traurigen Erfahrungen mit Steinbruchlisten, Streichlisten, Vorschlagslisten in allen Regierungen und in allen Koalitionen machen einem nicht sehr viel Hoffnung, daß gezielter Subventionsabbau wirklich in den Größenordnungen, die wir brauchten, erreichbar ist.
In dem Zusammenhang, meine Damen und Herren, finde ich es gut, daß im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers einiges an Subventionen — und zwar nicht nur Zwangsläufiges, wie gelegentlich behauptet wird — gestrichen worden ist. Diese Behauptungen scheinen mir eher Schutzbehauptungen anderer Ressortkollegen zu sein, die etwas weniger entschlossen sind, Subventionen abzubauen — nach dem Motto: Der Bangemann soll mit seinem guten Beispiel nicht unsere schlechten Sitten verderben. — Dies ist, so finden wir, keine sehr positive Haltung.
Meine Damen und Herren, Subventionen gehen über den finanztechnischen Bereich hinaus, Herr Bundesfinanzminister, und das wissen Sie. Es ist in einer Ihrer Bemerkungen angeklungen. Subventionen sind ihrer Natur nach ordnungspolitisch verfehlt, sie sind Wettbewerbsverzerrungen. Wir wissen, daß der Anteil der großen Unternehmen an den Subventionsempfängern deutlich überproportional ist im Verhältnis zu dem der kleinen und mittleren Unternehmen.
Hier finden Wettbewerbsverschiebungen zu Lasten der kleinen und mittleren Unternehmen statt, die wir auf Dauer nicht hinnehmen dürfen.
Wir stellen unsere Wirtschaftsordnung auf den Kopf, wenn über Erfolg oder Mißerfolg eines Unternehmens vorwiegend die Nähe zu den Subventionstöpfen, die wir überall in der Landschaft aufgestellt sehen, und nicht die Tatsache entscheidet, ob sich der Unternehmer um seine Produkte, um seine Kunden und um seine Märkte kümmert. Auch das darf nicht sein. Auch aus diesem Grunde müssen wir von diesen hohen Subventionen herunter.
Schließlich und endlich, Herr Bundesfinanzminister: Sie und diese Regierung sind erfolgreich beim Abbau der Staatsquote. Ich halte dies für ein bemerkenswertes Ergebnis unserer Konsolidierungspolitik, und ich begrüße dies; denn die Höhe der Staatsquote gibt immer auch darüber Aufschluß, wie hoch der Grad, wie hoch die Intensität der Staatseingriffe in den Ablauf der Wirtschaft und in das Leben der Bürger ist. Nur werden Sie die Staatsquote nicht allein über die Ausgabenkonsolidierung in dem Umfang zurückführen können, wie diese Koalition es sich vorgenommen hat. Das geht nur, wenn Sie Ausgaben und Einnahmen, d. h. Steuern und Subventionen, beseitigen. Deswegen ist Ihr Ausblick auf die nächste Legislaturperiode, in der diese Koalition weiter zusammenarbeiten und sich dieser Aufgabe annehmen wird, vollauf gerechtfertigt. Dies gibt einem Hoffnung darauf, daß die Subventionsberichte in einigen Jahren deutlich besser aussehen, als das heute der Fall ist.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, die Kabinettberichterstattung ist damit beendet.Ich rufe den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf:Aktuelle StundeDie Fraktion der CDU/CSU hat gemäß Ziffer 1c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema Aktuelle sicherheitspolitische Vorschläge in der SPD verlangt.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Dregger.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11593
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Militärpapier der SPD, formuliert durch den Herrn von Bülow
— ich möchte es nicht „Sicherheitspapier" nennen; dann müßte ich schon vom „Unsicherheitspapier" reden —,
betrifft in gravierender Weise die Sicherheit Deutschlands und Europas und die Einschätzung unseres Landes in Ost und West.
Deshalb müssen wir es schon heute einer ersten kritischen Stellungnahme unterziehen, wenn es auch nach der Natur der Aktuellen Stunde ohne Konzentration auf einige Punkte nicht behandelt werden kann.
Dieses Militärpapier verkennt die Wirklichkeit.
Es denkt nur militärisch — und das noch falsch. Wer wie die SPD die Sicherheitspartnerschaft mit der Sowjetunion anstrebt, beendet die Sicherheitspartnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
Beides gleichzeitig geht nicht. Es wäre Größenwahn,
wenn wir glaubten, als Mittelmacht Sicherheitspartnerschaft mit beiden Seiten begründen zu können oder gar durch uns und mit uns beide Seiten zwingen zu können, mittelbar zu Sicherheitspartnern zu werden.
Meine Damen und Herren, erste Empfehlung an Sie: Verzichten Sie auf Größenwahn!
Kehren Sie auf den Teppich zurück. Überfordern Sie nicht unser Land, das in den letzten 50 Jahren so häufig überfordert worden ist.
Zweite Empfehlung: Erkennen Sie, daß sich der freie Teil Europas gegen die eine Weltmacht, die Sowjetunion,
nur mit Hilfe der anderen Weltmacht, der Vereinigten Staaten von Amerika, schützen kann.
Dafür gibt es neben politischen Gründen drei militärische Gründe.
Erstens. Der europäischen Verteidigung fehlt es ohne die USA an der erforderlichen strategischen Tiefe. Ein Blick auf die Karte genügt. Die Sowjetunion steht nicht mehr jenseits des Bug, sondern seit 1945 diesseits der Elbe.
Zweitens. Auf unsere Seeverbindungen sind wir existentiell angewiesen. Ohne die USA sind wir außerstande, diese Seeverbindungen zu schützen.
Drittens. In Europa gibt es kein militärisches Gleichgewicht. Wir können es nicht schaffen, es sei denn, wir wären bereit, das freie Europa in einen Militärstaat zu verwandeln.
— Das wollen Sie nicht, und das wollen wir nicht. Das heißt, daß das Gleichgewicht nur mit Hilfe des militärischen Potentials der Weltmacht USA hergestellt werden kann.
Schlußfolgerung: Wir sind auf ein enges Bündnis mit den USA, wir sind auf eine intakte NATO angewiesen. Der gegenwärtige Zustand Deutschlands und Europas ist gewiß unbefriedigend. Wir können ihn aber nicht dadurch überwinden, daß wir diesen Zustand nun noch rechtlich zementieren, wie Sie es versuchen. Wir können ihn nicht dadurch überwinden, daß wir die Bundeswehr schwächen. Und wir können ihn nicht dadurch überwinden, daß wir uns von unserer Schutzmacht, den Vereinigten Staaten von Amerika, abwenden.
Meine Damen und Herren, wir müssen das anstreben, was allen Menschen und allen Völkern zusteht: die Verwirklichung der Menschenrechte in ganz Europa, die Zuerkennung des Selbstbestimmungsrechts an alle europäischen Völker einschließlich der Polen, der Tschechen, Slowaken und der Ungarn.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.
Das Ergebnis — —
Nein, Ich bitte Sie herzlich. Sie wissen, bei der Aktuellen Stunde kann ich Ihnen keine Minute mehr geben. Es tut mir leid.
Ich bin sehr gehorsam.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rühe hat mich am vergangenen Donnerstag hier gefragt, ob die Sicherheitspolitische Kommission der SPD beschlossen habe, den Abzug der amerikanischen Truppen aus der Bundesrepublik zu fordern und
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11594 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Dr. Ehmke
die Wehrpflicht auf acht Monate herabzusetzen. Ich habe ihm laut Protokoll geantwortet:Weder hat die Sicherheitspolitische Kommission das beschlossen noch wird sie das beschließen.Das SPD-Präsidium hat dies inzwischen mit größerer Autorität unterstrichen.Die CDU hindert das alles nicht, nun schon tagelang wider besseres Wissen das Gegenteil zu behaupten.
Herr Kollege Wimmer hat dieses Zerrbild zum Vorwand genommen, von einem Verrat zu sprechen.
Dazu, Herr Dregger, muß ich leider zweierlei feststellen: Die Methode, eine Unwahrheit so lange zu wiederholen, bis dann doch etwas hängenbleibt, hat bisher nicht Demokraten, sondern vielmehr Nichtdemokraten ausgezeichnet.
Und das Wort „Verrat" gehört zu jener Sprache und zu jenem Geist, oder richtiger: Ungeist, an dem die Weimarer Republik zugrunde gegangen ist.
Warum verhalten sich die Unionsparteien so?
Weil sie mangelhafte Außen- und Sicherheitspolitik der Diskussion entziehen und im Hinblick auf die nächste Bundestagswahl durch Diffamierungskampagnen ersetzen wollen.
Sie wollen damit zugleich von ihrer allgemeinen politischen Misere ablenken, zu der die wachsende Ablehnung von Bundeskanzler Kohl durch die Bürger ebenso gehört wie die Ablehnung seiner Politik der sozialen Demontage durch die Wähler.
Die Unionsparteien glauben, Sicherheitspolitik durch Denkverbote, Vasallentreue gegenüber der Reagan-Administration und durch stramme rechte Ideologie, wie sie uns Herr Dregger gerade wieder vorgeführt hat, ersetzen zu können.
Unser Volk aber muß wissen: Mit solchen Betonköpfen kann man langfristig die Sicherheit der Bundesrepublik nicht gewährleisten.
Sie führen das Wort „Sicherheit" ständig und lautim Munde, aber den Spionageabwehrchef der Bun-desrepublik haben Sie nach Ost-Berlin laufen lassen,
und die Bundesregierung hat sich dann damit entschuldigt, daß sie wieder einmal nichts gewußt habe.
Herrn Wörner halten Sie im Amt des Verteidigungsministers, obwohl er den Respekt der Soldaten, von den Generälen bis zu den Wehrpflichtigen, mit Recht verloren hat.
Verehrte Kollegen, das ist nicht gerade ein Beitrag zur sicherheitspolitischen Vertrauensbildung.
Sie nehmen die Bundeswehrplanung von Herrn Wörner hin, obwohl sie finanziell, materiell, personell auf Sand gebaut ist. Sie planen Potemkinsche Dörfer und nennen das Bündnistreue. Für wie dumm halten Sie eigentlich unsere Bündnispartner?
Die wissen genau wie wir, daß die Bundeswehr umstrukturiert werden muß, daß es nicht bei der Struktur und den Zahlen bleiben kann, die wir heute haben.
Aus der friedens- und rüstungspolitischen Diskussion hat sich die konservative Bundesregierung praktisch abgemeldet. Darüber haben wir am Donnerstag debattiert.
Ihre Klimmzüge in Sachen SDI — ein Bild der Lächerlichkeit, das die Koalition bietet — sind inzwischen das Gespött der Welt.
Und schließlich und vor allem: Entgegen Ihrem Wahlversprechen „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" schaffen Sie neue Spannung durch immer mehr Waffen auf dem Boden der Bundesrepublik, von den Atomraketen bis zu den chemischen Waffen.
Und darum sagen wir als deutsche Patrioten zu dieser Politik nein.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11595
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man eben Herrn Professor Ehmke gehört hat, dann könnte man fast der Meinung sein, wir hätten ein völlig anderes Thema, wir redeten nicht über das, was eigentlich Grundlage der heutigen Debatte ist.
Tatsächlich, lieber Herr Ehmke, haben wir es ja zunächst mit einem Phänomen zu tun gehabt, mit einem Papier, das es überhaupt nicht gab. Dann haben wir es mit einem Papier zu tun gehabt, das es zwar gibt, das aber nichts Neues enthält, das die Meinung eines einzelnen darstellt, das nicht verbindlich ist, das aber laut Herrn Kollegen Gilges — ich zitiere eine Zeitungsmeldung — in der SPD eine ganz starke Basis hat, der Mehrheit in der SPD aber noch nicht weit genug geht.
Worüber, Herr Kollege Ehmke, reden wir eigentlich? Wie wir langfristig die Sicherheit Europas und der Bundesrepublik sichern können? Mit welchen Argumenten wird in einem solchen Papier gearbeitet, das übrigens auch von Herrn Schröder in Hannover heute noch einmal ausdrücklich unterstützt und bestätigt worden ist?
Mit welcher Begriffsverwirrung wird hier eigentlich gearbeitet? Ich will das nur an einem einzigen Beispiel deutlich machen. In diesem Papier, Herr von Bülow, steht, die Sowjetunion müsse von ihrer Strategie der Vorwärtsverteidigung abgehen. Weiß eigentlich der ehemalige Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium nicht mehr, von welchen Zahlen über die Rüstung auf sowjetischer Seite er früher selbst gesprochen hat? Weiß er nicht mehr, daß die NATO zu ihrem Grundsatz erklärt hat: „Keine unserer Waffen wird je eingesetzt werden, es sei denn, zur Abwehr eines Angriffs"? Was heißt hier eigentlich „Vorwärtsverteidigung" der Sowjetunion angesichts der Entwicklung der Rüstungsverhältnisse, wie wir sie real festgestellt haben und wie auch Sie sie früher bestätigt haben?
Ich glaube, daß es angesichts dieses Inhaltes und dieses Versuchs der Begriffsverwirrung schon seine Berechtigung hat, daß wir uns hier im Plenum mit diesen Vorschlägen auseinandersetzen, denn ein solches Papier kann für sich als Entschuldigung auch nicht in Anspruch nehmen, daß es den Hinweis auf langfristige Ziele enthält. Solch Hinweis, Herr von Bülow, ist irrelevant, denn Wirkungen eines solchen Papiers können schon heute auftreten — in der Bundesrepublik selbst und im Bündnis. Haben Sie sich eigentlich einmal die Verantwortung klargemacht, die Sie übernommen haben, als Sie mit diesen Thesen an die Öffentlichkeit getreten sind oder getreten worden sind? Ich weiß nicht, wie es in der SPD tatsächlich zugegangen ist.
Ein Programm, das vorsieht, auf dem vorgeschlagenen Wege eine Veränderung der NATO-Strategie in einer Bundesregierung im Bündnis durchzusetzen — Punkt 10 Ihres Papiers —, andererseits aber nur mit Aufforderungen an die Sowjetunion arbeitet, wo es darum geht, tatsächliche Verhältnisse zu ändern, ein Papier, das voller Widersprüchlichkeiten ist: Sagen Sie nicht, Herr von Bülow: „Zur Anhebung der nuklearen Schwelle reichen jedoch die konventionellen Fähigkeiten der NATO, vernünftig und ohne Hektik ausgebaut, schon heute"? Und Sie wollen diese konventionellen Fähigkeiten nicht etwa ohne Hektik ausbauen, sondern Sie wollen sie abbauen.
Rechnen Sie mit der Vergeßlichkeit des Lesers, wenn Sie auf der einen Seite sagen: „Blitzschnell können Funken von Krisenherden der Welt, an denen fast immer mittelbar oder unmittelbar Großmächte beteiligt sind, die übervollen Pulverfässer Europas zur Explosion bringen" und auf der anderen Seite von einer „Vorwarnzeit von mehreren Jahren" sprechen? Was sind das für reale Begriffe in der Auseinandersetzung mit den strategischen, mit den verteidigungspolitischen Notwendigkeiten, mit denen wir es zu tun haben?
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Herr Gilges zu diesem Papier sagt, es solle die NATO überflüssig machen, dann sage ich Ihnen: Wenn wir auf die NATO verzichten, wenn wir glauben, wir könnten den Schutz des Bündnisses aufgeben,
dann werden wir nicht nur unsere Existenz riskieren, sondern wir werden riskieren, daß der Frieden unsicherer wird
und der Krieg wahrscheinlicher wird, als er es bisher war.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lange.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute einen Beleg dafür bekommen, wie die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP mit einem Kollegen dieses Hauses umspringen, der es wagt, mit dem Entwurf eines Antrages aus dem Teufelskreis eingeschliffener Phrasen auszubrechen, Tabus anzukratzen und Dogmen der Politik dieser Fraktionen die Maske herunterzuziehen,
einer Politik stetiger Aufrüstung, innerer und äußerer Militarisierung unserer Gesellschaft, einer Poli-
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11596 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Langetik der Kalkulation der Möglichkeit der Vernichtung unserer eigenen Bevölkerung,
und dies alles aufbauend auf einem dumpfen, platten Antikommunismus, um damit alte Ängste der Menschen zu schüren. Sie betreiben eine Politik der Einschüchterung und der Denkverbote. Mit uns machen Sie das nicht! Das machen Sie vielleicht mit Herrn Bülow; mit uns machen Sie das jedenfalls nicht!
Was ist hier eigentlich geschehen? Da bewahrt sich ein Einzelkämpfer der Sozialdemokraten seinen eigenen Kopf
— hören Sie doch zu; das wird Ihnen sympathisch sein, was ich jetzt sage —, und das ist in einem großen Kreis von Abschreckungsdogmatikern in dieser Fraktion, deren Vorstellungsvermögen bei der Präsenz der Amerikaner in der Bundesrepublik endet, schwer genug. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Dregger, nehmen wir jedenfalls die Treueschwüre der SPD zum Bündnis sehr ernst. Wir fürchten, daß diese Partei auch meint, was sie sagt.
Wie dem auch sei, Herr Kollege von Bülow, für Ihren Mut, in Ihrer Fraktion die Umsetzung friedenspolitischer Beschlüsse der Partei anzumahnen, möchten wir Ihnen jedenfalls ausdrücklich danken.
Vieles von dem, was in diesem Papier gefordert wird, entspricht dem, was schon immer Bestandteil grüner Friedensprogrammatik war:
keine einseitige Bedrohungsanalyse aus einem Freund-Feind-Schema heraus — Sie zeigen die Qualität Ihrer sicherheitspolitischen Argumentation durch Ihre Reaktion, die Sie an den Tag legen. Sie haben keine Ahnung; es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen —,
die notwendigen Hinweise darauf, daß das Abschreckungssystem längst überholt und unglaubwürdig geworden ist — was übrigens in der USAdministration inzwischen genauso gesehen wird; hier in Mitteleuropa kann ein Nuklearkrieg von niemandem überlebt werden —, die klare und nachweisbare Analyse, daß die beiderseitige Fähigkeit zum Überfall, wie von Bülow sagt — wir sagen: zumErstschlag —, den Krieg nicht unwahrscheinlicher, sondern unvermeidbarer macht, das konsequente Beharren auf Wegnahme von Bedrohung in personeller und materieller Hinsicht — auch wir sind für eine drastische Verkürzung des Wehrdienstes, auch wir sind für die Wegnahme der Pershing II sofort und für eine Reduzierung der SS 20 —
und vor allen Dingen perspektivisch denken über das Jahr 2000 hinaus in Richtung auf Neutralität und Blockfreiheit. Wir sind dafür.Übrigens, war es nicht Johannes Rau, der einmal in der GVP, der Gesamtdeutschen Volkspartei, gewesen ist, die in ihrem damaligen Manifest 1952 geschrieben hat:Deutschland als Land der Mitte und ohne koloniale Bindungen muß aus dem militärischen Aufmarsch Nordamerikas und der Sowjetunion herausbleiben.Da ich meine, daß Herr Rau zu jenen Politikern gehört, die ihre Überzeugung nicht wie eine zweite Haut quasi abstreifen, und ein Mann der festen Linie ist, denke ich, daß er diesem Grundsatz treu bleiben und Ihren Überlegungen positiv gegenüberstehen wird.
Wenn wir auch in vielem mit dem Bülow-Papier nicht übereinstimmen — ich kann das der Zeit halber hier nicht ausführen —, meinen wir doch, daß seine Ausführungen in die richtige Richtung gehen. Manche präzisen Schritte sind für uns sogar inhaltlich koalitionsfähig.
Zum Schluß in Richtung SPD: Sorgen Sie dafür, daß die Gedanken Ihres Kollegen in Ihrer Partei mehrheitsfähig werden. Die GRÜNEN haben hier keinen Konkurrenzneid. Der atomare Irrsinn wird nicht wegbeschworen, indem man ihn weniger irrsinnig macht; entweder man unterwirft sich ihm, oder man bricht mit ihm. Ihnen, Herr Kollege von Bülow, wünschen wir weiterhin Standhaftigkeit und Orientierung auf einem richtigen Weg.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wir debattieren die aktuellen sicherheitspolitischen Vorstellungen der SPD;
mitnichten reden wir nur von den abwegigen, inholprigem Funktionärsdeutsch formulierten Strate-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11597
Klein
gie-Illusionen eines früheren Parlamentarischen Staatssekretärs.
Gut, die strategiepolitische Kommission beim SPDParteivorstand war nicht vollzählig, als das Papier behandelt wurde, aber der Entwurf eines Antrages zur Sicherheitspolitik für den Bundesparteitag 1986 wurde behandelt, und sein Verfasser ist der Kommissionsvorsitzende.
Freilich mißriet ihm das Vordenken mangels Nachdenkens zum Wunschdenken, zum abenteuerlichen Wunschdenken, das zu schweren Irritationen im Westen und zu gefährlichen Fehlurteilen im Osten führen muß. Denn, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, seine außenpolitische Brisanz erhält dieses Strategiekonzept vor allem durch das, was sich vor und nach seinem Bekanntwerden in Ihren Reihen entwickelt hat: Nicht genug damit, daß Sie vor der Weltöffentlichkeit Ihr Wort zum NATO-Doppelbeschluß gebrochen haben,
jetzt versuchen Sie auch, die gescheiterte falsche Entspannungspolitik mit noch unsolideren Mitteln fortzusetzen.
Da vereinbaren Politiker von SPD und SED ein Rahmenabkommen über eine chemiewaffenfreie Zone in Europa,
das der westlichen, auf weltweite Abschaffung von Chemiewaffen zielenden Verhandlungsstrategie in Genf diametral zuwiderläuft.
Da findet keine außen- oder sicherheitspolitische Debatte in diesem Hause mehr statt, bei der nicht Redner der SPD die USA mit strengen, oft aggressiv-beleidigenden Worten auf die Anklagebank setzen, für Moskau und seine Verbündeten aber um Verständnis werben.
Da gründen Egon Bahr, Karsten Voigt und Horst Ehmke Arbeitsgruppen mit Vertretern der regierenden kommunistischen Parteien in der UdSSR, in der DDR und in der Volksrepublik Polen;
ein ganzes Netzwerk solcher parteipolitischen Subkulturen soll dem folgen — mit den Kommunisten in Ungarn und in der CSSR, mit sozialistischen Parteien in West- und Nordeuropa.Wir, die Koalitionsfraktionen und die von ihnen getragene Bundesregierung, sind uneingeschränkt für Gespräche,
für Informationsaustausch, für Kontakte auch der Opposition,
aber wir wenden uns entschieden gegen eine in keiner anderen Demokratie der Welt vorstellbare Nebenaußenpolitik
und gegen diese Mißtrauen weckende institutionalisierte Kameraderie von Sozialisten und Kommunisten.
Es ist ein zwielichtiger Hintergrund, vor dem die SPD über Sicherheitsstrukturen diskutiert.
Den Kollegen Gilges hat der Kollege Ronneburger bereits zitiert, aber die Erklärung des SPD-Präsidiums zu dem Papier ist es, die mit zwei geradezu ungeheuerlichen Behauptungen den letzten, über schwierige Jahrzehnte hinweg geretteten Rest an Gemeinsamkeit in der Sicherheitspolitik endgültig zu zerstören droht. Ich zitiere:Die Bundesregierung läßt sich im Strom eines Wettrüstens treiben, das die Unsicherheit ständig steigert.
Wer so formuliert, bestreitet den Friedenswillen der mündigen Bürger und der politisch Verantwortlichen in unserem Staat!
Zweites Zitat:Ziel sozialdemokratischer Sicherheitspolitik ist es, den Nichtangriffswillen des westlichen Bündnisses wie der Bundesrepublik in die militärische Planung und Strategie umzusetzen.
Das unterstellt dem westlichen Verteidigungsbündnis indirekt militärische Angriffsplanung und Angriffsstrategie.
Um unser aller Zukunft willen: Im Interesse des Friedens in Europa und — erlauben Sie dieses Wort einem politischen Gegner — auch im Blick auf die freiheitliche Tradition der deutschen Sozialdemokratie beschwöre ich Sie:
Erklären Sie das unselige Strategiepapier für null und nichtig! Ziehen Sie diese beiden Sätze aus der Erklärung des SPD-Präsidiums zurück. Meine Fraktion wie wohl auch die große Mehrheit der
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11598 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Klein
Wähler würde einen solchen Schritt mit Respekt quittieren.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Voigt .
Seit über drei Jahren findet im westlichen Bündnis eine Strategiedebatte statt, und wenn man sieht, was die zur Zeit in der Bundesrepublik regierende Partei, die Christdemokraten, dazu beizutragen hatten, wird man feststellen, daß von ihrer Seite überhaupt nichts vorliegt. Auch international ist beim Wechsel von Helmut Schmidt zu Kohl sichtbar geworden, daß ein Substanzverlust in der Fähigkeit zu strategischem Denken eingetreten ist.
Ich erinnere daran: Als die damaligen Oppositionspolitiker Fritz Erler und Helmut Schmidt aus der Oppositionsrolle heraus ihre Vorschläge zur Reform der westlichen Strategie vorlegten, da wurden sie damals von Ihnen genauso verteufelt und bekämpft, wie Sie es heute mit der gegenwärtigen Debatte in der SPD tun.
Heute haben Sie diese Position übernommen. Wir knüpfen mit der gegenwärtigen Debatte an die große Tradition von Fritz Erler und Helmut Schmidt an,
und wir führen diese Diskussion im deutschen Interesse, eine Diskussion, die zu führen eigentlich auch Ihre Pflicht wäre.
Ich sage Ihnen voraus, daß unsere späteren Beschlüsse zur Reform der NATO-Strategie weit über die Anhängerschaft der SPD hinaus Anhänger finden werden, auch in anderen NATO-Ländern.
Wir sagen, daß unser langfristiges Ziel die Überwindung des Systems der wechselseitigen Abschreckung und auch die Überwindung der Spaltung Deutschlands und Europas ist. In Feiertagsreden bekennen auch Sie sich zu diesem Ziel, aber im Unterschied zu Ihnen wird auch unser Alltagshandeln von unserem Ziel, auch wenn dieses heute noch ein Fernziel ist, bestimmt. Schritte in bezug auf dieses Ziel sind bereits heute realisierbar und gangbar. Hierzu gehört eine schrittweise Entmilitarisierung des Macht- und Systemkonflikts zwischen Ost und West.Die Mitgliedschaft in der NATO — ich will dieses Thema überhaupt nicht vermeiden — ist im Unterschied zur CDU für die Sozialdemokraten kein Selbstzweck, kein Grundwert und erst recht kein Beitrag zur geistig-moralischen Erneuerung, sondern ein Mittel zum Zweck der Erhaltung des Friedens und zur Sicherung einer freiheitlichen und demokratischen Grundordnung.
Wenn diese Zwecke im Rahmen einer europäischen Friedensordnung ohne die bisherigen Bündnissysteme erfüllt werden können, so ist die Zugehörigkeit zur NATO für die SPD kein Dogma.Aber ebenso deutlich sage ich auch zu den GRÜNEN: Auf absehbare Zeit ist für die Bundesrepublik die Mitgliedschaft in der NATO und die Anwesenheit der Vereinigten Staaten in Westeuropa unverzichtbar,
und zwar gerade dann, wenn man eine ausreichende Verteidigungsfähigkeit will, und diese ist erforderlich, wenn man politisch zu einer aktiven Friedens- und Entspannungspolitik fähig bleiben will.
Ich meine, es ist eine bittere Realität, die wir Sozialdemokraten bedauern, daß, wer eine künftige Sicherheitspartnerschaft will, heute für eine ausreichende Verteidigungsfähigkeit sorgen muß.Die USA und die Sowjetunion verhandeln in Genf über eine Reform der Strategien; dies ist ein Verhandlungsziel der USA. Welches sind die Beiträge der Bundesregierung zu dieser Strategiedebatte?
Die beiden Weltmächte verhandeln über ihre bilateralen Interessen. Wo gibt es eine Konzeption zur Reform der strategischen Beziehungen in Europa von Ihnen? Nichts und Fehlanzeige!
Letzten Endes trennen uns unterschiedliche Philosophien. Meiner Meinung nach glauben die Konservativen in diesem Parlament nicht an ein Ende des Rüstungswettlaufs, sondern an seine Unendlichkeit.
Wir sind davon überzeugt, daß, den Rüstungswettlauf zu beenden, nicht nur möglich, sondern auch erforderlich ist. Insofern sind wir rüstungspessimistischer, aber zukunftsoptimistischer als Sie. Ihre Stärke, Herr Dregger, die Sie mit Ihren markigen Worten ausgedrückt haben, ist eigentlich Ausdruck einer tiefliegenden psychologischen Angst vor einem Feindbild, das Sie heute noch nicht rational bewältigt haben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11599
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Der Kollege Voigt hat eine geradezu abenteuerliche Behauptung aufgestellt: Die Vorstellungen, die in diesem Papier zum Ausdruck kämen, knüpften an die Traditionen eines Helmut Schmidt an. Das genaue Gegenteil ist richtig.
Sie machen Schluß mit den strategischen Denkweisen und verteidigungspolitischen Grundüberzeugungen der Sozialdemokratie nach Wehner und mit Schmidt.
Hier handelt es sich — das ist der Grund, warum wir hier darüber diskutieren — weder um das Papier eines Außenseiters noch um das Papier eines Einzelkämpfers. Hier wird eine geistige Linie sichtbar, die sich über den Münchener Parteitag, über den Essener Parteitag, durch die ganzen sicherheitspolitischen Debatten der SPD bis in die jüngsten Tage hinein zieht. Diese Vorstellungen des Herrn von Bülow sind nicht isoliert. Sie haben die Mehrheit in der SPD, jedenfalls hinsichtlich der gefährlichen Passagen. Daher muß hier darüber diskutiert werden; denn dieser Weg führt nicht in die Sicherheit, sondern in die Unsicherheit.
Was wären die Folgen für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, wenn die Forderungen dieses Papiers umgesetzt würden?Erstens. Das Bündnis wäre seines wesentlichen Inhalts beraubt und müßte zerbrechen.
— Hier kommt der Ruf „Gott sei Dank", und zwar von dem Herrn, der eben Herrn von Bülow bescheinigt hat, daß er sich mit ihm in Gemeinsamkeit weiß. Das ist interessant.Zweitens. Wir wären außerstande, unser Land und seine Freiheit zu verteidigen. Noch schlimmer: Wir wären nicht mehr imstande, von dem Gebrauch oder von der Drohung mit militärischer Gewalt abzuschrecken. Der Krieg würde wahrscheinlicher, und der Friede würde brüchiger. Das kann niemand in der Bundesrepublik Deutschland wollen.
Drittens. Die Bundeswehr könnte ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen.
Darum sage ich Ihnen: Ihre sogenannten Wege zur Sicherheitspartnerschaft sind in Wahrheit sicherheitspolitische Irrwege.Ich sagte, das Bündnis müßte zerbrechen. Ihre strategischen Vorstellungen — das weiß der Kollege Voigt, das weiß auch der Kollege Ehmke —,
sind nicht bündnisfähig. Das gilt für die Abkehr von FOFA. Das gilt für die chemiewaffenfreie Zone. Es ist interessant, daß sich Ihr präsumptiver Kanzlerkandidat in Moskau verleiten läßt, sich dafür im Gegensatz zur Politik des Bündnisses auszusprechen.
Die Vorstellungen vom ersatzlosen Abzug der nuklearen Gefechtsfeldwaffen, die Vorstellungen vom Abzug der Pershing II — sie sind nicht bündnisfähig.
Die Vorstellungen über den Verzicht auf den nuklearen Ersteinsatz — sie sind nicht bündnisfähig.
Und noch weniger bündnisfähig sind Ihre Vorstellungen über die Milizarmee. Sie finden im Bündnis niemanden, der diesen sicherheitspolitischen Unfug mitzumachen bereit ist. Sie wären total isoliert.
Es ist doch völlig unvorstellbar, daß es ein operatives Zusammenwirken zwischen dem deutschen Milizheer und alliierten mechanisierten Großverbänden geben könnte. Ein deutsches Milizheer wäre das Ende einer kollektiven und integrierten Vorneverteidigung auf deutschem Boden.
Darüber hinaus können wir angesichts der politischen, wirtschaftlichen, geographischen und geostrategischen Lage nicht in die Rolle eines neutralen Kleinstaates schlüpfen.
Angesichts der politischen und militärischen Bedrohung durch die Warschauer-Pakt-Staaten
unter der Führungsmacht der Sowjetunion gibt es auf absehbare Zeit, auch zu Beginn des nächsten Jahrtausends, keine nationalen, aber auch keine europäischen Alleingänge! Das Bündnis mit den Vereinigten Staaten und die Präsenz alliierter — auch amerikanischer — Truppen auf unserem Boden bleiben die entscheidende Voraussetzung für eine Politik, die den Frieden in Freiheit sichert, meine Damen und Herren.
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11600 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Bundesminister Dr. WörnerDas, was in diesem Papier steht, müßte Sie alarmieren. Stellen Sie sich einmal vor, wir würden Ihre Vorschläge umsetzen,
stellen Sie sich einmal vor, wir würden auf sechs, sieben oder acht Monate Wehrpflicht heruntergehen, stellen Sie sich einmal vor, wir würden die Zahl der Wehrpflichtigen in der Bundeswehr auf 90 000 senken:
Wie wollen Sie eigentlich noch die Vorneverteidigung garantieren? Was glauben Sie, was die Amerikaner, was glauben Sie, was die Briten, was die Franzosen, was die Belgier täten, meine Damen und Herren? Es muß Ihnen doch die Stimme des Chefkorrespondenten des amerikanischen Nachrichtenmagazins „U. S. News & World Report", Robert Haeger, zu denken geben, der heute geschrieben hat:Weiß oder interessiert eigentlich irgend jemanden bei den Sozialdemokraten, welche schlimme psychologische Wirkung das auf Politiker und Bürger in Amerika hat? ...
Was sollen gar die Väter und Mütter der jungen US-Soldaten denken,
die von Terroristen erschossen oder verstümmelt wurden?Weiter heißt es:Es kann gut sein, daß bald der laute Ruf von der anderen Seite des Atlantiks kommt: Ami, come home!'
Dann ist es aus mit Ihrer Sicherheit, auch mit der Möglichkeit, solche, wie Herr Horn es gesagt hat, Spinnereien in die Öffentlichkeit zu tragen.
Schlimmer aber als Ihre Vorstellungen, die Sie hier verbreiten, sind die Denkschemen, die dahinter sichtbar werden. Das fängt gleich mit dem ersten Satz an:Die Sicherheit der europäischen Völker wird seit 1945 durch die beiden Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges, die USA und die Sowjetunion, gewährleistet.Dieser Satz ist vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Realität doch geradezu unglaublich. Wollen Sie allen Ernstes behaupten, daß dieSowjetunion in den zurückliegenden 40 Jahren unsere Sicherheit gewährleistet hat?
Das Gegenteil ist richtig: Die Sowjetunion bedroht unsere Sicherheit, meine Damen und Herren.
Hier wird etwas von dem sichtbar, was doch Sozialdemokraten und nicht Politiker der CDU/CSU angeprangert haben. Denken Sie an Gesine Schwan — ich habe die Zitate alle dabei —, denken Sie an Georg Leber,
denken Sie an meinen unmittelbaren Amtsvorgänger, der noch die Wehrpflichtverlängerung, die Sie heute ablehnen, gefordert hat, meine Damen und Herren, denken Sie an Professor Jäckel — sie alle haben Ihnen das ins Stammbuch geschrieben.
Da kann ich nur sagen: Derjenige, der es nicht mehr wagt, die eigentliche Ursache der Friedensgefährdung und des Ost-West-Gegensatzes, d. h. die expansive Machtpolitik der Sowjetunion, die Unterdrückung von Freiheit und Menschenrechten, darzustellen, wer es nicht mehr wagt, die Bedrohung durch die Sowjetunion beim Namen zu nennen,
untergräbt, meine Damen und Herren, die Voraussetzungen unserer Sicherheitspolitik.
Wollen Sie etwa den Menschen in der DDR, wollen Sie den Menschen in Polen und in Ungarn erzählen,
daß die Sowjetunion ihre Sicherheit gewährleistet? Nur wenn man sich diese Illusionen, die hier zutage treten, vor Augen hält, meine Damen und Herren, dann merkt man, was dahintersteckt, dann weiß man auch, was sich hinter dem Gedanken der Sicherheitspartnerschaft versteckt: nichts anderes als die Gefahr, meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland und Europa durch Schwächung der Bundeswehr in eine Lage zu versetzen, in der dann die Schlüssel europäischer Sicherheit, die Schlüssel deutscher Sicherheit bei der Sowjetunion liegen. Dort wollen wir sie nicht haben. Deswegen werden wir uns Ihren Vorstellungen in den Weg stellen, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Bülow .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit einigem Erstaunen habe ich vergangenen Sonntag von dem
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Dr. von BülowWirbelsturm Kenntnis genommen, den mein Diskussionsvorschlag für die Sicherheitspolitische Kommission beim Parteivorstand in den Bonner Wassergläsern ausgelöst hat. Ich habe in diesem Papier für meine Kommission aufzulisten versucht, was bei der Suche nach neuen Wegen der Sicherheitspolitik bedacht werden müßte und was als Lösungsansatz möglicherweise in Frage kommen könnte.Das Papier wird von der Kommission diskutiert, nicht mehr und nicht weniger. Da können einige Teile akzeptiert, die anderen verworfen werden. Für mich gibt es dabei keine Prestigepunkte außer dem Ehrgeiz, letztlich ein Papier dieser Kommission aus einem Guß vorlegen zu können. So furchtbar viele Alternativen gibt es ja nicht.
Wir wollen Sicherheitsstrukturen für unser Land und das westliche Bündnis finden, die unsere Sicherheit gewährleisten, die jedoch ganz eindeutig weder zum Überfall noch zu raumgreifenden Angriffen benutzt werden können.
Das deckt sich im Augenblick vielleicht nicht mit den Vorstellungen der derzeitigen amerikanischen Administration. Sie von der Union als die aufgespielten Gralshüter einer bedingungslosen Amerikatreue belegen unsere abweichenden Denkweisen mit dem Vorwurf des Ausverkaufs und des Landesverrats. Das braucht uns nicht zu scheren.
Im Gegenteil: Ich halte die abgrundtiefe Denkfaulheit der CDU/CSU über die Zukunft Europas
für ein langfristig viel größeres Sicherheitsrisiko.
Ich halte den Zustand Europas in West und Ost für unerträglich. Er ist nur zu überwinden, wenn man Wege ausfindig zu machen versucht, die auf beiden Seiten für gangbar gehalten werden.
Da müssen auf beiden Seiten Millionenheere verringert und Pulverfässer beseitigt werden. Ich habe mir erlaubt zu überlegen, was man einseitig an Veränderungen, Bewaffnung und Strukturen tun kann,
um einerseits die eigene Sicherheit zu gewährleisten, auf der anderen Seite aber auch dem anderen Gelegenheit zu geben, seinerseits Strukturen zu ändern, j a sich sogar zurückzuziehen.
Nun ist mein Diskussionspapier der „Bild"-Zeitung zugespielt worden, einer Zeitung, die Ihnen ja sehr nahe steht und die sich bekanntlich nicht scheut, ihr mißliebige Personen, insbesondere Sozialdemokraten, mit Verfälschungen zu überziehen. Heinrich Böll hat den Praktiken dieser Zeitung ein ganzes Buch gewidmet.
So ist es auch hier geschehen: Statt korrekt den langfristigen Abzug der sowjetischen Truppen aus Osteuropa und Zug um Zug hiergegen den Abzug der Amerikaner aus Westeuropa als meine Forderung darzustellen, wurde daraus die Überschrift „Ami go home".
Die Verfälschung meiner Überlegung ist dann durch die Union ohne Rücksicht auf Verluste fortgesetzt worden.
Ich finde infam, wenn sich z. B. der Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion mit dem Hinweis zu Wort meldet, Johannes Rau nehme für seine Reise in die Sowjetunion — wie das bei Sozialdemokraten ja üblich sei — das Geschenk der Bereitschaft zur Wehrlosigkeit gegenüber der Sowjetunion mit.
Daß Herr Dregger mich ein Sicherheitsrisiko nennt, muß ich zur Kenntnis nehmen. Wenn Herr Dregger allerdings in seinem Buch Hitler für dumm und verbrecherisch hält, weil er den Überfall auf Rußland — man höre und staune — nicht als Befreiungskrieg aufgezogen habe, so kennzeichnet dies besser als alles andere die Vorstellungswelt, aus der heraus große Teile der Union noch heute glauben, Politik machen zu können.
Solange derartige Vorstellungen noch in maßgeblichen deutschen Hirnen schweben, können sich die Deutschen auf eine ganz große Koalition der Ost- und Westeuropäer gefaßt machen, die sich vor den praktischen Folgen solcher Gedanken schützen will.
Die Sowjets verteilen im übrigen Auszüge Ihres Buches, Herr Dregger, im ganzen Ostblock, weil es für die KPdSU keine bessere Reklame gibt als Ihre Ausführungen.
Sie sind offensichtlich unfähig, auch nur ansatzweise an Wege aus der trostlosen europäischen Lage zwischen West und Ost zu denken.
Denn das wiederum können Sie nicht gegen die Sowjetunion, sondern nur mit der Sowjetunion und deren osteuropäischen Partnern, einschließlich der DDR und Polens, erreichen.
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11602 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Dr. von BülowIch gebe zu, daß meine Vorstellungen Elemente enthalten, die einen eher optimistischen Ablauf der politischen Bemühungen zwischen Ost und West voraussetzen.
Allerdings halte ich die Möglichkeit, derartige Voraussetzungen zu erreichen, für wesentlich realistischer als die Parolen, unter denen Sie bereit sind, Ihre Illusions- und Täuschungsreden auf Vertriebenentreffen zu halten.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Biehle.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Wenn ich die Haushaltsdebatte und diesen heutigen Tag Revue passieren lasse, bin ich tief betroffen darüber, daß es nur noch Gehässigkeiten gibt, daß Ideologie im Vordergrund steht und Realität und Politik bei Ihnen keinen Stellenwert mehr haben.
Was denken denn die jungen Menschen draußen, unsere Wehrpflichtigen, wie Sie hier Politik verkaufen wollen und wie Sie hier die Sicherheitspolitik dieses Landes vertreten?
Wenn der Kollege von Bülow lapidar gesagt hat — das war das einzige, was er zu seinem Papier ausgeführt hat —, sein Papier habe Sturm in Wassergläsern ausgelöst, dann kann ich Ihnen nur sagen, Herr Kollege von Bülow: Uns geht es um die Sicherheit, den Frieden und und die Freiheit der Menschen in diesem Lande. Das lassen wir nicht in Frage stellen. Darüber gibt es für uns keine Diskussion.
— Darüber gibt es keine Diskussion. Sicherheit, Frieden und Freiheit stehen an erster Stelle unserer Politik.
Bei genauem Hinsehen stellt man fest, daß das Papier des Kollegen von Bülow keine Vision für das Jahr 2 000 ist. Im Gegenteil: Altbekannte sozialdemokratische Sehnsüchte werden erneut vorgestellt.So das Deutsche Fernsehen am 9. September. In derTat ist es so: Das sind Dauerbrenner von Ollenhauer über Wehner bis zu Lafontaine mit dem Austritt aus der NATO bis hin zum jetzigen SPDSicherheitspapier.Lassen Sie mich aber deutlich sagen: Der Kollege von Bülow ist kein Einzelkämpfer und kein Einzeltäter. Er ist Vorsitzender einer SPD-Kommission und hat wiederholt SPD-Papiere vorgelegt. Bis zum heutigen Tage gibt es zu den vorausgegangenen Papieren keine Distanzierung der SPD.Es ist einfach beängstigend, wie hier suggeriert wird, daß die NATO konventionell stärker sei als der Warschauer Pakt und daß sie mehr Soldaten unter den Waffen habe als der Warschauer Pakt.
Wo lebt diese SPD eigentlich? Wunschdenken, Herr Kollege Ehmke, ersetzt realistische Sicherheitspolitik eben nicht, eine Politik, wie sie Kanzler Schmidt noch betrieben hat. Aber der ist ja nicht mehr gefragt. Im Gegenteil, Bahr nannte Schmidts Auffassungen sogar „töricht".Wer die Bedrohung, wie in dem SPD-Papier geschehen, bestreitet oder gar in Frage stellt, kommt natürlich zu falschen Auffassungen und Schlußfolgerungen. Der will die NATO auflösen. Der kann die Amerikaner heimschicken nach dem Motto „Ami go home" und der verzichtet auch auf die Bundeswehr, weil nur sieben Monate Grundwehrdienst die Bundeswehr überflüssig machen und jegliche Einsatzbereitschaft im Ansatz zerstören.
Der Westen muß nach Ansicht des SPD-Papiers auch die Fähigkeit zum Überfall und zum Eindringen ins Hinterland beseitigen. Man höre und staune: Hier wird der Bundeswehr der Status eines Kalten Kriegers aufoktroyiert.Jeder Unteroffizier der Bundeswehr weiß, daß die Struktur der Bundeswehr, die Logistik, die Bewaffnung nur die Verteidigung ermöglichen, nichts anderes. Wer anderes behauptet, schlägt den Bundeswehrsoldaten ins Gesicht.
Dieses Papier ist eine totale Abkehr von jahrelanger gemeinsamer Sicherheitspolitik, untergräbt den Verteidigungswillen und leitet, wie selbst SPD-Abgeordnete gesagt haben, einen Selbstzerstörungsprozeß im Bündnis ein.
Ich fordere Sie auf: Lösen Sie sich von diesem Papier, überlassen Sie es nicht den letzten wenigen rechten SPD-Mohikanern, die erfolglose Erklärungen als Persilscheine abgeben.
Sorgen Sie ohne Wenn und Aber dafür, daß dieses Papier zurückgezogen wird.Nehmen Sie sich ein Beispiel an dem ehemaligen SPD-Verteidigungsminister Leber, der vor wenigen Monaten gesagt hat:
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11603
BiehleKlar ist inzwischen, daß der Friedensumfang unserer Streitkräfte nicht wesentlich verringert werden darf. Deshalb auch die Absicht der Bundesregierung, den Wehrdienst ab 1989 von 15 auf 18 Monate zu verlängern.Er führte weiter aus:Verzicht auf Nuklearwaffen und Verzicht auf ihren Ersteinsatz zum Zwecke der Verteidigung sind aus Gründen der Kriegsverhinderung für den Westen nicht akzeptabel.Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte ganz kurz auf das eingehen, was der Herr Kollege Biehle gesagt hat. Mich haben diese Ausführungen erstaunt. Die Frage der Strategie und im weiteren Sinne der Sicherheit bedarf der parlamentarischen Diskussion. Hier kann es keine Denkverbote geben. Wer die Engel des Lichtes und der Finsternis nach geographischen Himmelsrichtungen einteilt, der versäumt die Zukunft und gefährdet unsere Sicherheit im nächsten Jahrzehnt.
Wenn die Union so tut, als sollten die Amerikaner nach den Vorstellungen der SPD möglichst bald abgezogen werden, dann ist das im Grunde genommen doch böswilliger Unfug, der auch dadurch nicht besser wird, wenn er von Ihnen hier heute wiederholt wird.
Die SPD hat gestern deutlich erklärt,
daß die amerikanische Truppenpräsenz zentrales Element der Stabilität in Europa ist, und dabei bleiben wir.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wer über Milizstrukturen nachdenkt, nennt nur das beim Namen, was in Herrn Wörners Bundeswehr-Planung doch schon drinsteht. Darüber wird j a doch auch auf der Hardthöhe nachgedacht. Ich persönlich bin da skeptisch; sicher ist jedoch: Ein Absenken der Präsenz unserer Streitkräfte ist unvermeidbar. Dabei geht es um die Soldaten, die Herrn Wörner fehlen, die er nicht zusammenbekommt, weil seine Rechnung vorne und hinten nicht aufgeht.
Die ganze Sicherheitspolitik dieser Regierung ist doch desolat. Sie ist rückwärts orientiert und irreführend. In Sachen der chemiefreien Zone hat sich Herr Dregger doch gerade vor einigen Tagen eine deutliche Abfuhr des amerikanischen Verteidigungsministers geholt. Und nun versucht die Union, die Sondierungen von Ministerpräsident Rau in Moskau für einen beiderseitigen Abzug schlicht zu diffamieren, statt selbst einzusteigen.
Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, stimmen doch im Ziel einer weltweiten Abrüstung aller chemischen Waffen überein.
Aber man darf doch das Gute um des Besseren willen jetzt nicht unterlassen. Das ist doch das Entscheidende.
Die Bundesregierung hat der Neutronenwaffe in Montebello de facto zugestimmt. Verteidigungsminister Wörner hat vor diesem Hause genau das Gegenteil behauptet. Entweder ist er in wichtigen Fragen nicht informiert, oder er hat die Unwahrheit gesagt.
Beim Pershing-Il-Unfall von Schwäbisch Gmünd mußten wir uns gestern von ausgewiesenen Wissenschaftlern belehren lassen, daß der von Verteidigungsminister Wörner vorgelegte Bericht gravierende physikalische Fehler enthält,
daß sich ein Unfall jederzeit wiederholen kann. Und Herr Wörner, der größtes Interesse an einer Sachaufklärung haben müßte, versucht, die Bedenken aufs Abstellgleis zu schieben. Das ist Sicherheit à la Wörner.
Der Bundeswehr-Plan von Verteidigungsminister Wörner ist eine Phantom-Planung. Durch eine Verlängerung der Wehrpflicht soll sein konzeptionsloses Durchwursteln auf Kosten unserer jungen Bürger verlängert werden. Statt dessen fordert die SPD — erstens — keine Verlängerung der Wehrpflicht, zweitens Stärkung der konventionellen Durchhaltefähigkeit, vor allem der Mobilmachungsfähigkeit, damit die nukleare Schwelle angehoben wird. Und drittens:
Die Bundeswehr muß unter Nutzung weiterer Kaderungen umstrukturiert werden, damit sie lebensfähig bleibt und damit die Dienstzeitbelastung unserer Soldaten nicht ins Unendliche hineinwächst.
So sieht es aus.Ich fordere den Verteidigungsminister auf,
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11604 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Hornsich endlich den Sachfragen zu stellen. Mit seinen ideologischen Wahlkampfübungen wird er den realen Problemen unserer Sicherheit, des Bündnisses und der Bundeswehr nicht gerecht.
Das Wort hat der Abgeordnete Breuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die Redner der SPD hier verfolgt, dann stellt man fest: Ihre Fraktion ist hinsichtlich dessen, was Denken und Denkfähigkeit angeht, bemerkenswert anspruchslos geworden.
Sie sind mittlerweile so weit, daß das, was der Herr Kollege Horn noch gestern oder vorgestern als „Spinnerei" bezeichnet hat, hier heute als Produkt großer Denkfähigkeit und des Denkens überhaupt in der SPD herausgestellt wird.
Meine Damen und Herren, im Januar 1983 hat die SPD das Regierungsprogramm der SPD 1983/ 1987 — wenn sie die Bundesregierung gestellt hätte— beschlossen. Ich darf aus dem sicherheitspolitischen Teil einmal zitieren. Dort steht: „Die äußere Sicherheit ist für unser Land nur im Atlantischen Bündnis und nur an der Seite der Vereinigten Staaten, Frankreichs und Großbritanniens zu verwirklichen."
— Sehr gut. Nur habe ich dieses Zitat am heutigen Tage hier in dieser Debatte kein einziges Mal gehört.
Sie würden die gesamte Diskussion über dieses SPD-Papier schlagartig damit beenden, wenn Sie zu der Position zurückkehren würden, die Sie damals für die Zeit von 1983 bis 1987 proklamiert haben.
Die Beschlüsse des Parteipräsidiums der SPD von dieser Woche deuten ganz deutlich darauf hin, daß mittlerweile in der SPD nur noch der kleinste gemeinsame Nenner gesucht wird.
Da hat das Parteipräsidium beschlossen, die Präsenz der amerikanischen Truppen in der Bundesrepublik Deutschland sei ein zentrales Element der politisch-militärischen Stabilität in Europa. Man höre ganz genau zu: ein zentrales Element.
Meine Damen und Herren, die Präsenz der Amerikaner in Europa, die Präsenz der Amerikaner in der Bundesrepublik Deutschland
ist nicht ein zentrales Element, sondern das zentrale Element der Sicherheit in Europa.
Die Anwesenheit der Amerikaner in Europa ist der lebenswichtigste Bestandteil der Existenz der nordatlantischen Verteidigung, ist der lebenswichtigste Bestandteil der NATO.
— Wenn man Ihre Rede gehört hat, Herr Ehmke, kann man nicht feixen, dann kann man nur lachen, lachen darüber,
wie weit es mit Ihnen gekommen ist und daß Sie nicht mehr dazu in der Lage sind, auch noch ein Stück dazu beizutragen, daß die Bundesrepublik Deutschland, daß unser Land die Reputation behält, die andere Sozialdemokraten vor Ihnen zusammen mit Christdemokraten, mit Freien Demokraten für die Bundesrepublik erkämpft haben.
Sie sind heute dazu bereit, sie zu verspielen, Sie sind dazu bereit, das Denken zu nennen, was andere in ihrer Fraktion Spinnerei nennen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was Mehrheit und was Minderheit in der SPD ist, ist deutlich geworden, und Herr Kollege Ronneburger hat dies hier durch das klargemacht, was Kollege Gilges von der SPD gegenüber dem Bonner „General-Anzeiger" erklärt hat. Er hat gesagt, die Vorstellungen in dem heute diskutierten Papier besäßen eine starke Basis innerhalb der SPD. Wenn es denn wahr ist, was heute morgen über die Ticker ging,
daß die Sowjets in Moskau gegenüber Herrn Rau erklärt haben, daß sie die Vorstellungen dieses Papiers begrüßen würden, dann ist sehr deutlich, welcher Schaden hier durch Sie angerichtet worden ist.
Die Sowjetunion kann heute annehmen, daß starke Teile, wenn nicht die überwiegende Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie den Boden dessen verlassen, was Sicherheit in Europa in den vergangenen 30 Jahren bestimmt hat. Daß die So-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11605
Breuerwjetunion dieses hoffen kann, ist der Schaden, der durch Sie und durch dieses Papier entstanden ist.
Der Schaden wird dadurch nicht wiedergutgemacht, daß Ihre Diskussionsbeiträge, Ihre Debattenbeiträge heute überhaupt nicht der Sache zugewandt sind, sondern lediglich versuchen, uns in eine andere Ecke hineinzudrängen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz zu zwei Punkten Stellung nehmen, die von der Opposition soeben angeschnitten wurden.
Zum einen wurde hier der durchsichtige Versuch gemacht, unsere Bundeswehrplanung, die übrigens nicht nur die Privatplanung des Verteidigungsministers, sondern auch die Planung der militärischen Führung ist, in Frage zu stellen.
Damit machen Sie natürlich den Versuch, von Ihrer
eigenen Flucht aus der Verantwortung abzulenken.
Ich darf Ihnen vorlesen, was mein Amtsvorgänger Apel in der Sitzung des Bundestages am 9. Juni 1982 gesagt hat:
Dies werden wir tun müssen, weil wir am Ende dieses Jahrzehnts gar nicht darum herumkommen, die Wehrpflicht zu verlängern. Wenn die Wehrpflicht von 15 auf z. B. 18 Monate verlängert werden müßte — ich sehe diese Notwendigkeit ab 1986/87 —, dann stellt sich noch stärker die Frage, wie wir jungen Männern erklären können, daß sie 18 Monate Soldat sein müssen, ...
Bei der Vorstellung der Langzeitplanung hat er für die damalige Regierung eindeutig und klar gesagt: Der Grundwehrdienst wird verlängert werden müssen, und zwar Ende der 80er Jahre.
Nun kommen Sie hier her und schlagen zum Teil die Verringerung der Wehrpflicht auf 6 bis 7 Monate vor; zum Teil erklären Sie hier, wie der Kollege Horn, mit Pathos, daß dies nicht in Frage komme, weil es unsolide gerechnet sei, weil diese Planung keine Grundlage habe. Ich kann nur sagen: Auch in diesem Punkt haben Sie Abschied genommen. Sie rennen einem Phantom nach und Ihrer Verantwortung davon. Das ist die Wirklichkeit. Als Regierung haben Sie sich zur Notwendigkeit bekannt; als Opposition machen Sie das, was Sie für populär halten. Nur kann man damit die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht aufrechterhalten.
Ein zweiter Punkt: Noch einmal zurück zu dem, was Herr von Bülow gesagt hat. Einer der entscheidenden Irrtümer Ihres Papiers, Herr von Bülow — das findet sich in vielen Papieren der SPD —, ist die Forderung nach Umgestaltung der westlichen Armeen, der Bundeswehr in die sogenannte strukturelle Nichtangriffsfähigkeit. Das nehme ich Ihnen nicht ab. Sie als ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung wissen und müssen wissen — aber Sie verschweigen es, aus welchen Gründen auch immer —, daß der Westen in Mitteleuropa, daß die NATO, daß die Bundeswehr strukturell nicht angriffsfähig ist.
Unsere Truppen, die Truppen der NATO in Mitteleuropa, sind nach Struktur, nach Umfang, nach Gliederung, nach Logistik, nach Ausstattung und Ausbildung zum Angriff unfähig.
Das Gegenteil allerdings trifft beim Warschauer Pakt zu. Warum schreiben Sie das nicht in Ihrem Papier?
Sie wissen doch: Der Warschauer Pakt ist nach Umfang, Ausbildung, Ausstattung zur Offensive fähig und bereit.
Dafür hat der Kollege von Bülow eine sehr nette Formel gefunden — er schreibt über den Warschauer Pakt —: „Verteidigung nicht im eigenen Land, sondern auf dem Gelände des Gegners". Man überlege sich einmal, die NATO hätte eine ähnliche Planung des Vorstoßes auf gegnerisches Territorium,
was Sie dann erklären würden, ob Sie auch das noch Verteidigung auf dem Gebiet des Gegners nennen würden.
Daher, meine Damen und Herren — das ist kennzeichnend für die politische Denkstruktur, und daher muß es hier ausgesprochen werden —: Anstatt die Konzession von dem zu fordern, der auf Offensivfähigkeit aus ist, fordert sie Herr von Bülow von demjenigen, der bereits strukturell nicht angriffsfähig ist. Herr von Bülow, Ihr Adressat müßte die Sowjetunion sein und nicht der Westen. Der Stärkere muß die Vorleistung bringen.
Wir haben hinreichend Vorleistungen gebracht, ohne daß die Sowjetunion auf diese Vorleistungen eingegangen ist.
Daher noch einmal, auch wenn sich das andere in der öffentlichen Diskussion so populär sagt: Es kann keinen Zweifel daran geben, daß der Westen einen entscheidenden Vertrauensvorschuß gebracht hat, indem er seine Streitkräfte ausschließ-
11606 Deutscher Bundestag 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Bundesminister Dr. Wörner
lich auf Verteidigung ausrichtet. Und es ist nun Zeit, daß die Sowjetunion das gleiche tut. Dann wäre die Sicherheit Europas garantiert.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Bahr. Die SPD hat noch knapp zwei Minuten Redezeit.
— Machen Sie es bitte dem Präsidenten nicht schwer. Die Geschäftsordnung ist nicht anders auszulegen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesverteidigungsminister hat auf zwei Punkte abgehoben: Miliz und Wehrpflicht. — Herr Kollege Wörner, Sie mußten wissen und Sie haben gewußt, welche Stellungnahme zu diesen beiden Punkten das Präsidium der SPD abgegeben hat. Sie haben hier wider besseres Wissen gegen uns polemisiert.
Sie haben gesagt, wir scheuten uns, von der Bedrohung zu reden. Sie haben offenbar vergessen, daß wir hier von dieser Stelle aus gesagt haben: Als Ergebnis der Stationierung und der Gegenstationierung in der DDR und in der Tschechoslowakei ist die Bedrohung für unser Land gewachsen. Vergessen Sie das bitte nicht.
Alles, was hier heute mittag gesagt worden ist, ist im Grunde ein vorweggenommener Wahlkampf, und es ist im Grunde nichts anderes als politische Umweltverschmutzung;
denn, Kollege Klein, wir sprechen Ihnen nicht den Friedenswillen ab,
wir reden davon, ob Sie fähig sind. Ich bin der Auffassung: Bei Ihnen ist der Geist willig, aber das Fleisch manchmal sehr schwach.
Meine Damen und Herren, wir haben auf unserem Parteitag in Essen die Grundzüge einer neuen Strategie beschlossen. Grundlage dafür war ein Papier, das von Hans Apel bis Oskar Lafontaine getragen worden ist. Wir haben nicht die Schwierigkeiten, Herrn Kohl und Herrn Strauß erst fünf Stunden zusammensetzen zu müssen, damit sie sich über Außenpolitik verständigen.
Das wird auf dem nächsten Parteitag ausgefüllt werden. Da lassen wir uns kein Denkverbot auferlegen. Niemand wird uns von der Sicherheitspartnerschaft abbringen,
die schon Helmut Schmidt vor den Vereinten Nationen als Kanzler vertreten hat, meine Damen und Herren,
und die natürlich die Grundlage einer neuen Strategie des Bündnisses werden soll. Darüber können wir dann streiten. Da werden wir dann das Papier der SPD, das heute gar nicht zur Debatte stand, zur Diskussion stellen. Wir werden unseren Weg fortsetzen, in klarer Verantwortung, auch in der Opposition. Wir werden dies aber auch mit dem Blick auf die Verantwortung in der Regierung machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wimmer.
— Während der Aktuellen Stunde kann ich Ihnen das Wort zur Geschäftsordnung nicht geben.
Bitte, Herr Abgeordneter Wimmer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn sind drei Feststellungen angebracht.Zunächst einmal: Die ganze Fehlentwicklung dieser sozialdemokratischen Vorstellungen wird schon im ersten Satz deutlich, in dem nämlich die Sowjetunion zur Garantiemacht des Friedens in Europa erklärt wird.
Die UdSSR ist weder in Polen noch in Mitteldeutschland, noch in den baltischen Staaten, noch in der Tschechoslowakei, noch in Ungarn die Garantiemacht des Friedens.
Das Zweite: Wir brauchen über neue sozialdemokratische Vorstellungen eigentlich nicht mehr zu reden. Gestern hat das Präsidium der Sozialdemokratischen Partei erklärt, daß man zwar nicht den Abzug der Amerikaner ohne den Abzug der UdSSR-Truppen in Europa wünsche. Aber genau das ist ja der Fall, wenn die Amerikaner aus Europa weggehen und die Sowjets hinter die sowjetische Grenze verschwinden; denn dann bleibt die UdSSR als Weltmacht in jedem Fall in Europa anwesend. Das hieße für uns und unsere europäischen Nach-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11607
Wimmer
barn schlicht und einfach, daß wir dann das Schicksal Europas in die Hände einer auf dem europäischen Kontinent anwesenden Weltmacht legen würden. Das wollen wir in Anbetracht unserer Empfindlichkeit für die Freiheit unseren Mitbürgern und den Europäern nicht zumuten.
Ein Drittes darf ich in diesem Zusammenhang sagen. Herr Ministerpräsident Rau hat sich gestern in Moskau lobend über die Kooperationsgruppen der KPdSU und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands geäußert. Was wird uns aus diesen Kreisen eigentlich an weiteren sozialdemokratischen Papieren, die hier in Deutschland diskutiert werden müssen, zugemutet werden? Deshalb sollte man Herrn Rau fragen, was er denn für so gut an dieser Kooperation zwischen, wohlgemerkt, der KPdSU und einer traditionell demokratischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei, hält.
Sie haben heute in dem Versuch keinen Erfolg gehabt, das Ganze nur zu Denkmodellen zu erklären. Was ist dieses sozialdemokratische Papier? Das ist die Vorbereitung einer Handlungskonzeption für genau das, was sozialdemokratische Nebenaußenpolitik in den letzten Wochen, Monaten und Jahren gewesen ist. Deswegen brauchen Sie derartige Denkanstöße überhaupt nicht mehr, weil Sie Lafontaine, Eppler, Ehmke und Vogel in Ihren Reihen haben und weil Sie gegen die Interessen unseres Landes Ihre außenpolitischen Vorstellungen mit den Kommunisten durchzusetzen versuchen.
Das hat bei Ihnen Tradition. 1984 auf dem Essener Parteitag haben Sie sich geweigert, eine klare Aussage zugunsten der 7. amerikanischen Armee in Deutschland zu treffen.
Sie haben die Sozialdemokraten, die zum Kurs von Wehner und Schmidt standen, aus der sicherheitspolitischen Verantwortung der Partei entlassen. Erwin Horn, du brauchst gar nicht zu lachen. Hier in diesem Papier steht, daß der Obmann der Sozialdemokraten im Verteidigungsausschuß der Auffassung ist, daß an Soldaten kein öffentlich geförderter Wohnraum mehr vergeben werden sollte.
Die Sozialdemokratische Partei gibt hier in Bonn ein Flugblatt heraus im Zusammenhang mit der 30-Jahr-Feier der Bundeswehr, daß wir nichts tun sollten, um erneut den Militarismus in unserem Lande zu bejubeln. Das ist die sozialdemokratische Haltung, die nun in dem Papier einer Kommission zum Ausdruck gekommen ist. Da können wir nur eines sagen: Wir versagen Ihnen die Zustimmung, auf diesem Gebiet tätig zu werden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie brauchen keinen Antrag zur Geschäftsordnung zu stellen. Wir haben eben festgestellt, daß noch vier Minuten Redezeit vorhanden sind. Das heißt, als Entgegnung auf die Redner der Regierungsparteien können wir die noch nach der Stärke der Parteien aufteilen. Damit man mehr als einen Satz sagen kann, teile ich sie auf in zwei Minuten Redezeit für jede Oppositionspartei.
Das Wort hat der Abgeordnete der GRÜNEN, der sich meldet. — Bitte, Herr Lange, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In aller Kürze vielleicht zwei Sätze. Wir sind der Auffassung, daß einmal grundsätzlich, gleich, ob wir jetzt intensiver oder weniger intensiv über das Papier von Herrn von Bülow geredet haben oder nicht, zu durchdenken ist — und darum bitte ich Sie wirklich in aller Sachlichkeit —: Ist denn diese Bundesrepublik im Falle eines Krieges überhaupt militärisch zu verteidigen? Ist sie denn überhaupt mit Nuklearwaffen zu verteidigen? Ist Ihnen denn klar, was das für eine konkrete Folge für die Bevölkerung hier in der Bundesrepublik hat? Der Herr Wörner redet die ganze Zeit von Bündnisfähigkeit, er redet die ganze Zeit von den möglichen Reaktionen der Engländer, der Franzosen, der Italiener. Er redet nicht von der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland, die, wenn es zum Krieg kommt, hier als erste betroffen wäre.
Er ist doch der verantwortliche Minister für diese Bevölkerung und nicht der USA-getreue Vasall, wie er sich hier darstellt.
Man kann zu dem Papier von Herrn von Bülow stehen, wie man will, man kann doch auch völlig anderer Auffassung sein. Aber ich habe den Eindruck, daß der Herr Wörner dieselbe Rede vor zehn, 20 Jahren hätte halten können, als die GRÜNEN noch nicht im Parlament waren, noch lange nicht im Parlament waren. Es hat sich überhaupt nichts getan. Die Sperre sitzt bei der CDU/CSU im Kopf. Neue Denkweisen, wie sie Herr von Bülow hier in lobenswerter Weise praktiziert, sind einfach gefordert. Dann kann man immer noch darüber streiten. Aber daß Sie hier einen Mann in die Ecke stellen und seine Ideen, die in etwa mit unseren grünen Ideen übereinstimmen, lächerlich machen, zeigt nur, daß Sie die Ernsthaftigkeit von Sicherheitspolitik über das Jahr 2000 hinaus überhaupt nicht begriffen haben.
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11608 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
LangeWir gehen davon aus, daß die ganze Bedrohungsanalyse von Herrn Wörner und der Regierung nur zum Teil stimmt.
Es ist eine offensive Struktur des Warschauer Paktes; keine Frage. Aber wenn man eine Bedrohungsanalyse hat, die nur diese Vorstellung hat,
die in dem anderen nur den Bedroher sieht und nicht auch den Bedrohten, dann ist man zur Entwicklung des Friedens nicht fähig,
dann wird man in hundert Jahren dieselbe Rüstungspolitik betreiben, denn dann kann man nicht abrüsten.Deshalb meinen wir, daß wir auf dem richtigen Wege sind, wenn wir das, was Herr von Bülow angedeutet hat, versuchen politisch in die Tat umzusetzen. Was die Rolle der GRÜNEN anbelangt, kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie uns hier auf die Dauer totschweigen wollen, werden Sie sich spätestens im Frühjahr 1987 wundern!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bahr.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja nicht sehr oft der Fall, daß auf Teilstrecken geredet wird.
Die Diskussion des heutigen Tages erinnert auch in der Art, in der sie geführt worden ist, an die heftigen Diskussionen, die wir um die Ostverträge hatten.
Auch damals hieß es: Verrat; damals hieß es: Wir sind zwar verkauft, aber noch nicht geliefert; damals hieß es, wenn diese Verträge angenommen würden, sei die Zeit abzusehen, in der die russischen Panjepferdchen am Rhein grasen würden. — Nun, im Rückblick erkennt man, daß Verleumdung eben Verleumdung war.
Meine Damen und Herren, wer die Hetze von damals mit der fabelhaften Erklärung vergleicht, die der heutige Bundeskanzler zum 15. Jahrestag des Moskauer Vertrages abgegeben hat, der stellt fest, wie froh die Koalition über das ist, was sie damals so heftig bekämpft hat.
Sie sind eben damals hinterhergehinkt, meine Damen und Herren, und Sie hinken auch heute in der Diskussion über neue Strategien hinterher,
denn diese Diskussion findet längst statt.
Ich darf Sie daran erinnern, daß dieses schreckliche Thema möglicher Reduzierung amerikanischer Truppen von Henry Kissinger, diesem bekannten Antiamerikaner, aufgebracht worden ist.
Meine Damen und Herren, Sie werden den Anschluß an diese Diskussion auch international verpassen. Sie können natürlich wie damals auch heute wieder schreien über das, was wir morgen machen werden, damit Sie übermorgen wieder in der Kontinuität des von uns Geschaffenen sein können.
Meine Damen und Herren, ich muß die Redezeit verlängern, da der Redner nicht zu Wort kommt.
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie herzlich, den Redner zu Ende kommen zu lassen. Dann sind wir am Ende der Aktuellen Stunde. Bei diesen vielen Zwischenrufen ist es ihm wirklich nicht möglich, einen einzigen Gedanken klar auszuführen.
Meine Damen und Herren, wir haben hier klargemacht, welches unsere Positionen sind.
Wir haben Sie hingewiesen auf das, was die Partei und das Präsidium festgestellt haben. Wir lassen uns unsere Position auch nachträglich nicht durch Verdächtigungen der Union verfälschen oder stehlen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11609
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Meine Damen und Herren, wir wollen in unseren Beratungen fortfahren. Deshalb bitte ich diejenigen, die an der Fragestunde nicht teilnehmen möchten, darum, ihre Diskussionen draußen weiterzuführen. Die anderen Damen und Herren bitte ich, Platz zu nehmen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Fragestunde Drucksache 10/3795
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hennig zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Schulze auf:
Was gedenkt die Bundesregierung gegen die sich im vergangenen und diesem Jahr gehäuften Fälle von Einreiseverweigerungen der DDR-Behörden in die DDR zu unternehmen, deren Anstieg insbesondere im Zusammenhang mit Einreisewünschen von Bundesbürgern anläßlich der diesjährigen Leipziger Messe auffällt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schulze, es trifft zu, daß die Zahl der Reisewilligen aus dem Bundesgebiet und aus Berlin , denen von der DDR die Einreise verweigert wird, in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hat, prozentual übrigens am stärksten zwischen 1981 und 1982, aber auch danach. Ich will dies ganz objektiv mitteilen und will deswegen auch sagen, daß zwischen 1982, wo es 2872 Personen waren, und 1984, wo es 3881 Personen waren, denen die Einreise verweigert worden ist, eine bedauerliche Steigerung festzustellen ist.
Seit Jahresanfang 1985 wurden bisher 1970 Reisende zurückgewiesen, davon 350 anläßlich der Leipziger Herbstmesse. Darüber hinaus gibt es eine Dunkelziffer, da sich nicht alle Reisewilligen, denen die Einreise verwehrt worden ist, bei unseren Behörden melden.
Bei den Betroffenen handelt es sich überwiegend um frühere Bewohner der DDR. Erfahrungsgemäß verweigern die DDR-Behörden Personen, die in den letzten Jahren aus der DDR übergesiedelt sind, für unbestimmte Zeit die besuchsweise Einreise in die DDR. Das ist bei den Zurückweisungen anläßlich der Leipziger Herbstmesse besonders deutlich geworden. Von den Betroffenen waren etwa 90 % erst im vergangenen Jahr aus der DDR hierher übergesiedelt.
Die Bundesregierung hat die Regierung der DDR wiederholt und nachdrücklich darauf hingewiesen, daß Einreiseverweigerungen in diesem Umfang mit dem Geist und den Zielen der innerdeutschen Verträge nicht zu vereinbaren sind. Das gilt in besonderem Maße für den Ausschluß ganzer Personengruppen vom Reiseverkehr in die DDR ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalles. Die Bundesregierung wird die Regierung der DDR auch künftig drängen, mehr Freizügigkeit im innerdeutschen
Reiseverkehr zuzulassen. Sie hat auch die Zurückweisung von Reisenden bei der Leipziger Herbstmesse zum Anlaß genommen, erneut die einschränkende und vielfach unterschiedliche Genehmigungspraxis der DDR im innerdeutschen Reiseverkehr öffentlich zu beanstanden und an die zuständigen Behörden der DDR zu appellieren, die Einreisebehinderungen einzustellen.
Die Bundesregierung ist sich allerdings dessen bewußt, daß Verbesserungen im innerdeutschen Reiseverkehr nur schrittweise und unter großen Schwierigkeiten zu erreichen sind. Die letzten Jahre haben aber gezeigt, daß Fortschritte möglich sind. Die Bundesregierung wird ihre Bemühungen daher mit Beharrlichkeit fortsetzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulze? — Bitte.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung zumindest pauschal die Gründe für das Ansteigen der Zahl der Einreiseverweigerungen bekannt?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schulze, wie ich sagte, sind von den 350 Personen, die zur Leipziger Messe einreisen wollten und von einer Einreiseverweigerung betroffen wurden, etwa 90% Mitbürger, die im vergangenen Jahr aus der DDR übergesiedelt sind, und das legt den Schluß nahe, daß dies offensichtlich damit zusammenhängt.
Bitte, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Wie weit ist Berlin von diesen Einreiseverweigerungen betroffen?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schulze, ich habe im Moment keine zwischen West-Berlin und dem übrigen Bundesgebiet aufgegliederten Zahlen, aber ich will Ihnen diese Angabe gern nachliefern, soweit uns das möglich ist. Bei diesen 350 Personen müßte es möglich sein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ströbele.
Ist Ihnen bekannt, daß Mitgliedern und Funktionären der Alternativen Liste in Berlin schon seit mehr als einem Jahr grundsätzlich die Einreise in die DDR oder nach Ost-Berlin verweigert wird, was hat die Bundesregierung getan, um das zu ändern, und würde sich die Bundesregierung auch so verhalten, wenn Mitglieder der Jungen Union in toto von solchen Maßnahmen betroffen wären?Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Um mit dem letzten anzufangen, Herr Kollege Ströbele: Selbstverständlich. Wir haben hier gleiche Maßstäbe. Es hat
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Parl. Staatssekretär Dr. Hennigübrigens kürzlich auch Gruppen der Jungen Union gegeben, denen die Einreise verweigert worden ist. Wir finden es im gleichen Maße bedauerlich, ob Ihren Freunden oder unseren Nachwuchsorganisationen die Einreise in die DDR verweigert wird. Dies alles hat mit freiem Reiseverkehr und mit den KSZE-Verabredungen nichts zu tun.
Danke schön. — Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Schulze auf:
Gibt es Anhaltspunkte dafür, daß die DDR-Behörden ihr Recht der Einreiseverweigerungen für früher gegen DDRRecht verstoßen habende Personen willkürlich zur Regulierung von Kontakten zwischen Bundes- und DDR-Bürgern benutzen, um nach und nach die Westkontakte von DDRBürgern einzuschränken?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schulze, es ist anzunehmen, daß Einreiseverbote im Einzelfall auch dazu dienen sollen, persönliche Kontakte zu unterbinden. Die Bundesregierung hat wiederholt ihre Besorgnis über die in der DDR bestehende Praxis von Kontaktbeschränkungen und ihre Auswirkungen auf den innerdeutschen Reiseverkehr ausgedrückt. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Ihnen vorliegende Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Kontaktverbote in der DDR" der Abgeordneten Lintner, Reddemann und der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP aus den letzten Wochen.
Andererseits muß die Anzahl der bekanntgewordenen Einreiseverweigerungen im Verhältnis zu dem inzwischen erreichten Umfang des Reiseverkehrs in die DDR gesehen werden, der im Jahre 1984 etwa 6,3 Millionen Reisen aufwies. Danach ist die quantitative Größenordnung der Zurückweisungen im innerdeutschen Reiseverkehr nach wie vor relativ gering. Ich will damit aber gar nichts relativieren, denn den Betroffenen ist mit statistischen Betrachtungen in keinem Einzelfall gedient. Sie leiden unter diesen willkürlichen Maßnahmen, und deshalb wird die Bundesregierung auch künftig jede einzelne Einreiseverweigerung beschwerdeführend gegenüber der DDR geltend machen, wenn die Betroffenen das wünschen. Wir werden diesen bedauerlichen Sachverhalt nicht auf sich beruhen lassen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmitt .
Herr Präsident! Herr Staatssekretär, haben Sie Erkenntnisse, daß Mitbürger, die in besonderem Maße in der Friedensbewegung tätig sind, Einreiseverweigerungen erfahren?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, es gibt offensichtlich Einreiseverbote für Personen, die aus unterschiedlichen Gründen in der DDR als unerwünscht gelten. Dazu gehört in der Tat nach meinen Beobachtungen gelegentlich auch als besonders betroffene die Personengruppe, die Sie umschrieben haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ströbele.
Herr Staatssekretär, meine Frage schließt an die vorangegangene Frage, die ich Ihnen gestellt habe, an und wiederholt die Bitte, zu sagen, ob die Bundesregierung in Sachen Alternative Liste und Verbote der Einreise in die DDR irgend etwas unternommen hat. Wenn j a, was?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Dies ist angesprochen worden, Herr Kollege Ströbele. Im übrigen habe ich bereits ausgeführt, daß wir in jedem Einzelfall, wenn die Betroffenen dies wünschen und das der Bundesregierung unterbreiten — wir müssen j a zunächst einmal erfahren, daß die Einreise verweigert worden ist —, dem nachgehen, indem wir die DDR auf den Einzelfall ansprechen. Wenn das also uns von diesen Betroffenen vorgetragen worden ist, ist das in diesem Fall genauso geschehen wie in anderen Fällen.
Danke schön. Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Damit sind wir am Ende der Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Ich bedanke mich beim Staatssekretär Dr. Hennig.
Da der Fragesteller für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie schriftliche Beantwortung beantragt hat, kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler zur Verfügung.
Ich rufe auf die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Kübler:
Beabsichtigt die Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag eine Zwischenbilanz zum UNO-Sonderprogramm für die 36 LLDCs zu geben, und werden bei der Erstellung auch die NGOs beteiligt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kübler, die Bundesregierung hat in ihrem Sechsten Bericht zur Entwicklungspolitik verschiedene Aspekte der Zusammenarbeit mit den ärmsten Entwicklungsländern ausführlich dargestellt. Eine Zwischenbilanz des 1981 beschlossenen UNAktionsprogramms ist Gegenstand einer Überprüfungskonferenz, die vom 30. September bis zum 11. November dieses Jahres in Genf stattfindet. Die Bundesregierung wird dem zuständigen Ausschuß des Deutschen Bundestages über die Ergebnisse dieser zwischenstaatlichen Veranstaltung berichten. Die Bundesregierung begrüßt das Engagement der Nichtregierungsorganisationen für die Umsetzung dieses Aktionsprogramms. Im Zuge der Vorbereitungen für die Überprüfungskonferenz beabsichtigt sie, am 13. September 1985 ein Gespräch mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen zu führen.
Danke schön. — Eine Zusatzf rage.
Herr Staatssekretär Dr. Köhler, wird die Bundesregierung zusätzlich zu dem Statt-
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Dr. Küblerfinden dieser Überprüfungskonferenz dem Deutschen Bundestag eine eigene Zwischenstellungnahme im Anschluß an diese Überprüfungskonferenz vorlegen?Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kübler, ich habe j a gesagt, daß wir im Zusammenhang mit dieser Konferenz berichten werden. Im übrigen hat diese Thematik schon heute morgen im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit eine Rolle gespielt. Wir haben über den Stand der Bemühungen der Bundesrepublik auf diesem Gebiete berichtet.Die Bundesrepublik erfüllt seit 1980 — der im Moment übersehbare Zeitraum reicht bis 1984 — die Zielsetzungen in der Gewichtung der Hilfe für die Least Developed Countries mit 0,12 % ihres Bruttosozialprodukts in einer hervorragenden Weise. Vereinbart war die Zielsetzung 0,15 %. Wir haben bei steigendem Bruttosozialprodukt diese Größenordnung 0,12 % halten können. Damit liegt die Bundesrepublik eindeutig an der Spitze aller größeren Industrienationen.
Ich darf eine zweite Zusatzfrage stellen, da ich vielleicht in meiner Intention nicht ganz verstanden worden bin. Ich möchte diese Klarstellung in folgende Frageform kleiden: Glaubt die Bundesregierung nicht, daß im Hinblick auf die wirklich katastrophale Situation in diesen unterentwickeltsten Ländern dieser Ablauf von 1981 bis jetzt — 1985 — Anlaß geben müßte zu einer sehr grundsätzlichen Überprüfung — ich sage das jetzt unabhängig von Parteien — der bisherigen Formen der Entwicklungspolitik? Könnte gerade dieser Zeitpunkt — vier Jahre nach 1981 — nicht Anlaß dazu sein? Meine Meinung nach müßte er es sein.
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kübler, ich habe keinen Zweifel, daß wir in der Betrachtung völlig übereinstimmen. Deswegen hat das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit — beginnend mit der Situation, die sich auf Grund der Hungerkatastrophe in Äthiopien deutlich abzeichnete — auch umfangreiche konzeptionelle Arbeit geleistet, um speziell die Afrikahilfe den veränderten Situationen anzupassen. Ich habe auch darüber von Zeit zu Zeit dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit berichtet.
Tatsächlich bedarf die Entwicklungshilfe gegenüber den Least Developed Countries einer entschiedenen Weiterentwicklung, die international in Zusammenarbeit mit der Weltbank und anderen Institutionen auch wirklich zügig betrieben wird. Es bleibt aber die Tatsache, daß das Mittelvolumen nur dann signifikant gesteigert werden könnte, wenn man den Least Developed Countries praktisch Budgethilfe leisten würde. Das ist aber aus entwicklungspolitischen Gründen bisher stets von allen Parteien und allen Fraktionen dieses Bundestages für ein nicht richtiger Weg gehalten worden.
Die Erwägungen, die ich eben dargestellt habe, betreffen selbstverständlich nicht die Katastrophen- und Hungerhilfe, die unter einem anderen Gesetz steht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hüsch.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß es nach Ihrer Auffassung bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den am wenigsten entwickelten Ländern weniger auf den Umfang der geldlichen Leistungen als vielmehr auf die Definition der qualitativen Ziele ankommt und daß deshalb auch die Kritik, die die Bundesregierung nach Meinung ihrer Gegner treffen soll, nicht zutrifft, die Bundesregierung hätte die am wenigsten entwickelten Länder in ihren Finanzplanungen benachteiligt?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihrer Überlegung, Herr Kollege Hüsch, nur zustimmen, möchte aber gleichzeitig keinen Zweifel daran lassen, daß trotz des Vorwiegens dieser dringend wichtigen qualitativen Gesichtspunkte die Nettoauszahlungen an Least Developed Countries, die im Zweijahresvergleich 1981/1982 bei 2,12 Milliarden DM lagen, im darauf folgenden Zweijahreszeitraum 1982/1983 auf 2,44 Milliarden DM gesteigert wurden, so daß Berichte, die gerade jetzt wieder durch die Zeitungen gegangen sind — die deutsche Hilfe für diese Staaten sei gesunken —, in keiner Weise den Tatsachen entsprechen, was übrigens den Verfassern dieser Berichte auch bekannt sein müßte.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hohen Hause — ungeachtet der Tatsache, daß die Rahmenplanung vertraulicher Natur ist — generell mitteilen, daß auch in den künftigen Haushaltsjahren nicht beabsichtigt ist, die Hilfe für die am wenigsten entwickelten Länder zu verringern, sondern sie — im Gegenteil — auch quantitativ zu verstärken?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Ich kann dies, Herr Kollege Hüsch, bestätigen, und ich benutze die Gelegenheit gern, um die in diesem Arbeitsbereich nicht ständig tätigen Kollegen zu bitten, daß sie sich hier von der Haushaltssystematik nicht verwirren lassen. Da wir gegenüber den meisten Least Developed Countries mit Zweijahreszusagen arbeiten, muß man immer einen Zeitraum von jeweils zwei Jahren vergleichen. Sonst kommt man, da Zweijahreszusagen in einem Jahr mehr und im anderen Jahr eben weniger in Erscheinung treten, zu falschen Schlußfolgerungen. Auch das ist leider geschehen. Ich benutze die Gelegenheit gern, um dies hier richtig- und klarzustellen.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Damit sind wir mit Ihrem Geschäftsbereich am Ende.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Vogt zur Verfügung.Die Frage 6 des Abgeordneten Pfuhl sowie die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Hansen werden auf Wunsch der Fragesteller schrift-
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Vizepräsident Cronenberglich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe nunmehr die Frage 9 des Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeiten, den Betrieben vorübergehende und degressiv gestaffelte Einarbeitungszuschüsse zu zahlen, die ihre eigenen Auszubildenden nach Abschluß einer erfolgreichen Lehre übernehmen und dadurch Berufsanfängern bei der Suche ihres „ersten" Arbeitsplatzes zu helfen?Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich möchte — mit Genehmigung des Fragestellers, des Kollegen Meyer zu Bentrup — bitten, die Fragen 9 und 10 gemeinsam beantworten zu können.
Ich rufe also auch die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:
Läßt sich die Gefahr von Mitnahmeeffekten — bei der Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes — dadurch ausschließen, daß eine Förderung nur für die Betriebe in Betracht kommt, die zum gleichen Zeitpunkt keine Entlassungen vornehmen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Auf Grund zahlreicher und schwer kontrollierbarer Mitnahme- und Mißbrauchseffekte hat der Gesetzgeber die Vorschriften über den Einarbeitungszuschuß dahin gehend geändert, daß der Einarbeitungszuschuß ab 1. Januar 1984 dann nicht geleistet werden kann, wenn die Einarbeitung beim bisherigen Arbeitgeber erfolgt. Ohne allzu großen bürokratischen Aufwand lassen sich Mitnahme- und Mißbrauchseffekte auch heute nicht ausschließen. Angesichts der Tatsache, daß immer noch die weitaus größte Zahl der Auszubildenden vom Ausbildungsbetrieb in ein Arbeitsverhältnis übernommen wird, kann auch der Vorschlag, den Einarbeitungszuschuß nur an solche Betriebe zu leisten, die zum gleichen Zeitpunkt keine Entlassung vornehmen, nichts Entscheidendes ändern. Die bisher mit der geänderten Vorschrift gesammelten Erfahrungen belegen die Einschätzung des Gesetzgebers, eine richtige Interessenabwägung getroffen zu haben.
Zusatzfragen? — Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie dieses Instrument zur Belebung des Arbeitsmarktes grundsätzlich, wenn Sie wissen, daß 1983 8% der Lehrlinge nach Abschluß ihrer Ausbildung nicht übernommen wurden, während es im Jahre 1984 bereits 14% waren?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal kann ich die Zahlen, die Sie nennen, bestätigen. 80 % der Auszubildenden werden zwar vom Ausbildungsbetrieb Angebote gemacht, in ein Arbeitsverhältnis überzuwechseln, aber 14 % der Ausgebildeten finden kein Arbeitsverhältnis. Deshalb stehen wir vor dem Problem, wie die sogenannte zweite Schwelle für die Jugendlichen überwunden werden kann. Die erste Schwelle, die es zu überwinden gilt, ist die, bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz Erfolg zu haben, die zweite Schwelle, nach der Ausbildung einen Arbeitsplatz zu finden.
Hier bietet sich grundsätzlich der Einarbeitungszuschuß als ein geeigneter Weg an, weil er ja zu einer zusätzlichen Qualifikation führen muß. Deshalb wird im Rahmen der 7. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz überlegt, etwa das Instrument des Einarbeitungszuschusses mit dem Instrument des befristeten Arbeitsvertrages zu verbinden, sowie ein Teilunterhaltsgeld für Jugendliche einzuführen, um die Chance, aus dem Ausbildungsverhältnis in ein Arbeitsverhältnis überzuwechseln, zu verbessern.
Weitere Zusatzfrage? — Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie würden also den Betrieben, wenn sie befristete Arbeitsverträge abschließen, Einarbeitungszuschüsse gewähren?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich sagte, daß dies im Grundsatz überlegt wird. Dabei werden wir sicherlich auch überlegen müssen, ob sie dem jeweils ausbildenden Betrieb oder nur einem anderen Betrieb gewährt werden, in dem dann das Arbeitsverhältnis eingegangen wird, mit dem eine weitere Qualifikation verbunden ist. Denn das ist der Sinn des Einarbeitungszuschusses. Er ist ein Instrument der beruflichen Qualifizierung an einen bestimmten Arbeitsplatz. Im Zusammenhang mit der siebten Novelle, die dieses Hohe Haus noch im Herbst dieses Jahres, so hoffe ich, beschäftigen wird, werden wir zu Entscheidungen kommen.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Ich rufe dann die Frage 11 des Abgeordneten Schulhoff auf.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Arbeitsämter in zunehmendem Maße dazu übergehen, eine Herabbemessung der Arbeitslosenhilfe nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz, insbesondere bei älteren und kranken Langzeitarbeitslosen, vorzunehmen?
Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mit Ihrer Erlaubnis würde ich gerne die Fragen 11 und 12 gemeinsam beantworten.
Ich rufe dann noch die Frage 12 des Abgeordneten Schulhoff auf.Hält es die Bundesregierung angesichts der schlechten Vermittlungschancen älterer Arbeitsloser nicht für sinnvoll, den § 136 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz zur Vermeidung großer Härten für die Betroffenen zu streichen?Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Regelung des § 136 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz bestimmt, daß das für die Bemessung der Arbeitslosenhilfe maßgebende Arbeitsentgelt neu festzusetzen ist, wenn der Arbeitslose dieses Arbeitsentgelt nicht mehr erzielen kann. Eine solche Neubemessung kommt in Betracht, wenn sich nach längeren Vermittlungsbemühungen herausgestellt hat, daß der Arbeitslose das bisherige Arbeitsentgelt auf dem Arbeitsmarkt
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Parl. Staatssekretär Vogtnicht mehr erzielen kann. Es handelt sich um ausgesprochene Einzelfallentscheidungen.Die Bundesregierung hält die gesetzliche Regelung, die in dieser umfassenden Form 1977 geschaffen wurde, für änderungsbedürftig. Die Herabbemessung der Arbeitslosenhilfe allein aus Arbeitsmarktgründen sollte eingeschränkt werden. Ich bitte aber um Ihr Verständnis, daß ich Einzelheiten hierzu noch nicht mitteilen kann, weil die Vorarbeiten zur genannten und in Aussicht gestellten siebten Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes noch nicht abgeschlossen sind.
Wünschen Sie eine Zusatzfrage?
Nein, das reicht mir aus.
Danke schön. Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Tatge auf:
Ist die Bundesregierung bereit, insbesondere das Bundesministerium der Verteidigung, auf eine Mehrfachbestrafung des Totalverweigerers Kai Kanz zu verzichten, insbesondere auf dem Hintergrund, daß er vom Jugendschöffengericht Idar-Oberstein vom Vorwurf der Dienstflucht freigesprochen wurde, weil er aus überzeugend dargelegten Gewissensgründen nicht anders habe handeln können, und der Presseoffizier der Artillerieschule XII in Idar-Oberstein als Begründung für eine erneute Verhaftung durch Feldjäger am 19. August 1985 angibt: „Es stellt sich nicht die Frage nach dem Sinn, sondern nach Befehl und Gehorsam." ?
Herr Präsident! Herr Kollege, der Soldat ist zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Die Begründung dieses Urteils ist dem Verteidigungsminister noch nicht bekannt, da uns die Entscheidung noch nicht im Wortlaut vorliegt. Ob das Urteil bestand hat, wird das zuständige Oberlandesgericht zu beurteilen haben, nachdem der Soldat Revision eingelegt hat. Sie wissen, daß wir auf diesen Ausgang keinen Einfluß nehmen.
Der Kanonier Kanz hat darüber hinaus auch. nach seiner Verurteilung wiederholt den Befehl verweigert, so unter anderem, den Dienst anzutreten oder die militärische Ausrüstung entgegenzunehmen. Dieses Verhalten ist ebenfalls für sich eine Dienstpflichtverletzung, die disziplinar geahndet werden kann. Die Verhängung von solchen Disziplinarmaßnahmen wegen wiederholter Dienstpflichtverletzung ist verfassungsrechtlich zulässig und kein Verstoß gegen irgendwelche rechtsstaatlichen Prinzipien.
Auch das Nebeneinander von strafgerichtlicher Bestrafung und disziplinarer Ahndung verletzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht das Verbot einer unzulässigen Doppelbestrafung, zumal nach dem Übermaßverbot gegenseitig Dinge angerechnet werden.
Die von Ihnen zitierte Aussage des Presseoffiziers der Artillerieschule ist in dem von Ihnen angesprochenen Zusammenhang so nicht gemacht worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie mir noch einmal sagen, wie die Bundesregierung die Geisteshaltung beurteilt, die in der Aussage des Presseoffiziers zum Ausdruck kommt — ich möchte Ihnen das noch einmal zitieren —: „Es stellt sich nicht die Frage nach dem Sinn, sondern nach Befehl und Gehorsam"?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich verweise auf meine Antwort, die ich Ihnen eben gab, daß diese von Ihnen zitierte Aussage in diesem Zusammenhang so nicht gemacht worden ist, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß es in der juristischen Kommentierung eine sehr unterschiedliche und sehr differenzierte Beurteilung dieser Mehrfachbestrafung gibt, und sieht die Bundesregierung nicht mit mir die Notwendigkeit, diesen juristischen Kommentaren auch Rechnung zu tragen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen eben sehr klar die Auffassung der Bundesregierung, der entsprechende Urteile der obersten Gerichte zugrunde liegen, dargestellt.
Danke schön.
Die Abgeordneten Frau Dr. Lepsius und Dörflinger haben um schriftliche Beantwortung ihrer Fragen 14, 15 und 16 gebeten. Die Antworten auf diese Fragen werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Steiner auf.
Wieviel Prozent der Stabsfeldwebel sind mit „ziemlich gut" (4 c) und besser beurteilt, und welche Beförderungschancen haben die mit „ziemlich gut" und besser beurteilten StFw zum Oberstabsfeldwebel (OStFw) vor ihrem Ausscheiden wegen Erreichens der besonderen Altersgrenze bis einschließlich 1990?
Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steiner, nach den zum 30. September 1984 ausgewerteten planmäßigen Beurteilungen wurden 95,1 % der Stabsfeldwebel bzw. Stabsbootsmänner mit 4 c oder besser beurteilt. Stabsfeldwebel und entsprechende, die mit 4 c und besser beurteilt und auf beförderungsfähige Dienstposten versetzt sind, werden ihrem Leistungsbild entsprechend in der Regel spätestens zwei Jahre vor Erreichen der besonderen Altersgrenze zu den Dienstgraden Oberstabsfeldwebel oder Oberstabsbootsmann ernannt und erhalten dadurch dann auch die höheren ruhegehaltfähigen Dienstbezüge.
Zusatzfrage.
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11614 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Jahresberichte der Stammdienststellen der drei Teilstreitkräfte bekannt, wonach nachweisbar nur ein ganz geringer Teil der Stabsfeldwebel vor Erreichen der besonderen Altersgrenze auf entsprechende Dienstposten für Oberstabsfeldwebel versetzt werden können?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Berichte sind natürlich bekannt und münden im Ministerium über den entsprechenden Dienstweg mit in die Beurteilung und auch in die Erstellung einer solchen Antwort, die wir Ihnen hier geben, mit ein. Ich habe — Sie werden das im Protokoll nachlesen — die Verbindung sehr deutlich angesprochen. Das ist zum einen eine gute Beurteilung und zum anderen ein entsprechender beförderungsfähiger Dienstposten. Beides muß zusammenkommen. Wir tun alles, um sie nicht kurz vor dem Ausscheiden, sondern vor dem Ablauf der zwei Jahre zu befördern, um auch die Ruhegehaltfähigkeit zu erreichen.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wissen Sie, daß beispielsweise in der Teilstreitkraft Luftwaffe im nächsten Jahr elf Oberstabsfeldwebel und zur gleichen Zeit, weil die Beförderungschancen gering sind, 111 Stabsfeldwebel ausscheiden werden, die nicht das Ziel erreichen, von dem Sie sagten, sie können es erreichen? Sie haben ferner gesagt, 95% aller Stabsfeldwebel seien mit „ziemlich gut" oder besser beurteilt.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich weiß, daß wir in allen Laufbahngruppen, und zwar nicht nur bei den Unteroffizieren, den Portepee-Unteroffizieren, sondern auch bei den Fachdienstoffizieren — auch im zivilen Bereich der Bundeswehr —, auch bei den Truppenoffizieren, die uns in der letzten Zeit vermehrt beschäftigt haben, eine Menge gut oder überdurchschnittlich gut beurteilter Männer haben, die auf Grund der Enge der Planstellen nicht befördert werden können.
Dies ist korrekt. Das gilt in der Bundeswehr wie für alle anderen Bereiche im öffentlichen Dienst.
Es ist das Bemühen der Bundesregierung, die berühmte Schere, wie wir das mit einem Fachwort belegen, zugunsten dieser Männer zu schließen. Das geht nur schrittweise.
Ihre zweite Frage geht etwas konkreter darauf, was die Regierung tat und tut. Darauf werde ich noch zu antworten haben.
Damit rufe ich die Frage 18 des Abgeordneten Steiner auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um das derzeit unausgewogene Verhältnis von Planstellen der Besoldungsgruppen A 9/A 9 mA für die Spitzendienstgrade der Unteroffiziere zu verbessern?
Sie können die Antwort geben, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nach zuletzt 1981 vorgenommenen Anhebungen haben wir jetzt in den Jahresschritten 1985/86/87 ein mehrjähriges Programm eingeleitet, das z. B. 27 neue Planstellen der Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage und 126 Planstellen der Besoldungsgruppe A 9 für Stabsfeldwebel vorsieht. Hierdurch wird der Anteil dieser Stellen, wenn Sie die Zahlen kennen, nicht unerheblich erhöht.
Da — dies ist wichtig — rund 78 % der Unteroffiziere mit Portepee als Soldaten auf Zeit bereits vor Erreichen dieser Dienstgrade ausscheiden, kommen also die hier genannten Stellen ausschließlich den Berufsunteroffizieren zugute.
Dies bedeutet im Vergleich mit dem mittleren Dienst im zivilen Teil eine etwa gleiche Behandlung. Hier sind die Soldaten also den Beamten des mittleren Dienstes gleichgestellt. Keinesfalls stehen sie schlechter da.
Im Jahre 1986 — Sie wissen, daß wir in den Haushaltsberatungen sind — planen wir darüber hinaus, 50 Planstellen A 9 bei dem Wartime-Host-NationSupport-Programm zu bekommen.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wieviel Prozent der Stellen, die insgesamt für die Spitzendienstgrade ausgeworfen sind, mit A 9 mA abgedeckt sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen heraussuchen lassen.
Weitere Zusatzfrage.
Würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß, da nach meinen Informationen nur ca. 16 % dieser Stellen mit A 9 mA ausgeworfen sind, die Beförderungschancen, wie Sie sie hier dargestellt haben, nicht gegeben sein können?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, darüber sollten wir uns unterhalten, wenn uns die soeben von Ihnen erwähnten Statistiken vorliegen. Das ist eine aufwendige Herausrechnerei, aber das tun wir. Dann sollten wir das danebenlegen.
Ich will nur darauf hinweisen, daß der Stellenkegel gerade für die Spitzendienstgrade bei den Unteroffizieren in den letzten Jahren — das ist Bestandteil des soeben von mir zitierten Drei-JahresProgramms — erheblich verbessert wurde, während dort in den Jahren davor nichts getan wurde. Da Sie danach fragen, darf ich in Erinnerung rufen, daß diese Bundesregierung den Dienstgrad Stabs- und Oberstabsfeldwebel nach zehn Jahren endlich wieder eingeführt hat.
Ich rufe Frage 19 des Abgeordneten Catenhusen auf:Welche Projekte zur Entwicklung von Impfstoffen gegen bakteriologische Waffen sind von seiten des Bundesministeriums der Verteidigung in den letzten zehn Jahren gefördert worden, und um welche biologischen Kampfstoffe ging es dabei im einzelnen?Herr Staatssekretär.
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Würzbach, Parl. Staatssekretär: Es werden Projekte zur Entwicklung von Impfstoffen gegen solche Krankheitserreger und Toxine gefördert, die im Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen vom 1. Juli 1969 und nach dem B-Waffenübereinkommen von 1972 als potentielle B-Kampfstoffe definiert sind. Es werden jedoch keine Neuentwicklungen, sondern lediglich notwendige Verbesserungen der Verträglichkeit, der Wirksamkeit und der Impfverfahren untersucht. Die geförderten Projekte, Herr Kollege, können Ihnen natürlich von unserer Fachabteilung vorgestellt werden.
Zusatzfrage.
Heißt das, daß Sie mir eine Liste darüber zur Verfügung stellen können, um welche biologischen Kampfstoffe es dabei im einzelnen ging?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich würde vorschlagen, daß Sie nicht nur eine Liste bekommen, sondern daß Sie sich mit dem Fachmann zusammensetzen. Sie sollten nicht nur eine Liste bekommen, sondern Sie sollen eine Erläuterung bekommen, die, glaube ich, wegen der Komplexität förderlich ist.
Eine weitere Zusatzfrage? — Dann rufe ich Frage 20 des Abgeordneten Catenhusen auf:
Sind nach Auffassung der Bundesregierung gentechnische Experimente, mit denen Impfstoffe gegen biologische Waffen entwikkelt werden sollen, wegen des damit verbundenen Einsatzes hochpathogener Viren in der Genforschung mit den Richtlinien der Zentralen Kommission für die biologische Sicherheit vereinbar?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Aufgabe der Zentralen Kommission für die biologische Sicherheit ist es, gentechnologische Forschungsexperimente unter sicherheitstechnischen Gesichtspunkten zu prüfen und die Experimente zu registrieren. Die Kommission hat nicht die Aufgabe, die wissenschaftliche Zielsetzung gentechnologischer Forschungsvorhaben zu bewerten. Das Verfahren zur Überprüfung von Forschungsarbeit ist im übrigen in den Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in-vitro-neukombinierte Nukleinsäuren festgelegt. Als Fachmann werden Sie — besser als ich es vorher wußte — wissen, was in vitro bedeutet, nämlich im Reagenzglas.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegt der Zentralen Kommission für die biologische Sicherheit bereits ein Antrag auf Genehmigung einer solchen gentechnischen Entwicklung eines Impfstoffes gegen Pferde-Encephalitis vor?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage werde ich dem Fachmann, mit dem Sie zusammentreffen, vorlegen, damit er vorbereitet ist und Ihnen diese beantworten kann.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön.
Kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß der wohl dem Haushaltsausschuß vorliegende Antrag auf Freigabe von Mitteln für einen derartigen Forschungsauftrag an die Tierärztliche Hochschule Hannover vorgelegt worden ist, obwohl die Frage der Zulassung eines solchen Experiments noch nicht geklärt ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Das können Sie meiner Antwort nicht entnehmen.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:
Kann die Bundesregierung die Aussage des Bundesministers der Verteidigung vom 13. Juni 1985 vor dem Deutschen Bundestag, wonach die amerikanische Regierung beim Kongreß noch nicht einmal die Mittel für die Produktion von Neutronenwaffen beantragt hat, geschweige denn, Neutronenwaffen in Europa stationieren wolle, auch heute noch aufrechterhalten, oder welche neueren Erkenntnisse hat sie dazu?
Bitte schön.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die am 13. Juni 1985 gemachten Aussagen sind zutreffend, und es ist nichts hinzuzufügen.
Das Verteidigungsministerium hat im übrigen zu den Behauptungen eines Fernseh-Magazins, die in diesem Zusammenhang gemacht wurden und der Wahrheit nicht entsprachen, in einer ausführlichen Zusammenstellung die Fakten aufgelistet und veröffentlicht. Auch ist heute dem Verteidigungsausschuß durch das Verteidigungsministerium zu diesem Punkt ausführlich vorgetragen worden; anschließend wurde darüber diskutiert.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist dem Verteidigungsministerium der jährliche report des amerikanischen Kongresses bekannt, wonach bereits 400 Neutronensprengköpfe produziert worden sein sollen und demzufolge für die Produktion eines einzigen von drei Typen bisher 1 047 Millionen Dollar ausgegeben wurden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Der jährliche report ist dem Verteidigungsministerium bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wie können Sie die Behauptungen eines Fernsehjournalisten oder einer Rundfunkanstalt widerlegen, wenn Ihnen dieser annual report und die darin wiedergegebenen Zahlen bekannt sind?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auf Grund der Frage, wie Sie sie hier formuliert haben, stand und steht ein möglicher Widerspruch zwischen der Aussage eines Kollegen Ihrer Fraktion und der Antwort des Ministers in der Debatte in Rede. Es gibt hier keinen Widerspruch zu dem, was der Minister — bezogen auf die Tatbestände, auch
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11616 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Parl. Staatssekretär Würzbachniedergelegt in dem report — in anderen Dingen gesagt hat.
Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:
Kann die Bundesregierung ihre Zustimmung zur Stationierung von Neutronenwaffen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland heute schon absolut ausschließen, oder ist sie etwa heute schon entschlossen, einer solchen Stationierung zuzustimmen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Diese Fragen stellen sich nicht, da die Stationierung von Neutronenwaffen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland nicht vorgesehen war und nicht vorgesehen ist.
Eine Zusatzfrage.
Ist es dann richtig, festzustellen, daß die Regierung der Vereinigten Staaten in dieser Hinsicht noch keinerlei Kontakte mit der Bundesregierung aufgenommen hat?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ja.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß die in den Vereinigten Staaten produzierten und lagernden Neutronensprengköpfe für Waffensysteme geeignet und bestimmt sind, wie sie von amerikanischen Streitkräften in der Bundesrepublik stationiert sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die sind nicht für hier stationierte Waffen bestimmt.
— Ich habe gesagt, daß sie nicht vorgesehen sind und sich jegliche Spekulationen darüber völlig erübrigen. Die Haltung der Bundesregierung wie der Amerikaner, der Regierung wie des Kongresses, Kollege Dr. Hirsch, ist so klar, daß wir überhaupt keinen Anlaß des geringsten Zweifels, der Vermutung, der Reininterpretation irgendwelcher Vorgaben haben. Es liegen in den Vereinigten Staaten in der Zeit, über die öffentlich diskutiert wurde, 1981 bis 1984, produzierte Neutronenwaffen, die nicht nach Europa, nicht in die Bundesrepublik kommen sollen — werden. Keiner hat eine ähnliche Idee oder Vorstellung.
Herr Abgeordneter Dr. Hirsch, Ihnen stand nur eine Zusatzfrage zu, Sie haben diese verbraucht.
Der Abgeordnete Steiner hat noch die Möglichkeit zu einer Frage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, warum weichen Sie der Antwort aus, ob sich die Sprengköpfe, die produziert sind, für Waffen- bzw. Trägersysteme eignen, die hier stationiert sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich weiche keiner Frage aus; niemand ist der Frage ausgewichen. Wir machen nur sehr klar, daß wir bei irgendwelchen möglichen Interpretationen, rhetorischen Untersuchungen nicht mitspielen werden, die möglicherweise den Eindruck nähren, den der eine oder andere in diesem Zusammenhang erzeugen will.
Nun haben wir noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ströbele.
Herr Staatssekretär, können Sie die Frage nicht ganz klar beantworten: Gibt es in der Bundesrepublik Trägersysteme, die geeignet sind, solche Waffen zu befördern, zu transportieren?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wir haben Waffen, mit denen Sie, wenn Sie dafür entsprechende Gefechtsköpfe fertigen und hier lagern, diese befördern könnten. Dies ist in Deutschland, in Europa weder der Fall gewesen noch heute der Fall, noch beabsichtigt.
Abgeordneter Tatge.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir, weil ich Ihre Antwort nicht ganz verstanden habe, helfen, indem Sie die Frage nach der Eignung der Sprengköpfe einfach mit Ja oder Nein beantworten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich konnte Ihre Frage nicht verstehen, Herr Kollege.
Herr Abgeordneter, würden Sie die Frage wiederholen?
Gern, ja. — Ich möchte Sie bitten, die Frage, die Ihnen von meinem Kollegen Hirsch gestellt worden ist — Ihre Antwort habe ich nicht verstehen können —, einfach mit Ja oder Nein zu beantworten. Es ist die Frage nach der Eignung der Sprengköpfe.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie das Protokoll nachlesen, werden Sie das sicherlich leichter verstehen, als Ihnen das soeben gelang.
Herr Abgeordneter Dr. Solms hat noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Waffensysteme, die geeignet sind, solche Sprengköpfe zu transportieren, außerhalb Europas und außerhalb der Vereinigten Staaten stationiert?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ja, davon gehe ich aus.
Nun sind alle Zusatzfragen beantwortet, Herr Staatssekretär. Damit ist die Behandlung Ihres Geschäftsbereichs zu Ende. Ich bedanke mich.Die Abgeordnete Frau Hoffmann hat ihre Fragen 23 und 24 zurückgezogen.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur
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Vizepräsident CronenbergBeantwortung steht uns Frau Staatssekretär Karwatzki zur Verfügung.Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf:Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es sowohl das Asylrecht wie die Menschenwürde verletzt, wenn eine Sozialbehörde die Sozialhilfe eines Asylbewerbers mit der Begründung um 20 v. H. kürzt, der Flüchtling habe einen geringeren Ernährungsbedarf als ein Deutscher, weil der Lebensstandard in seinem Heimatland niedriger sei und weil seine politische Verfolgung außerdem mit „Einschränkungen" verbunden gewesen sei?
Herr Präsident, Herr Kollege Hirsch, sind Sie damit einverstanden, daß ich beide Fragen zusammengefaßt beantworte?
— Ich bedanke mich.
Dann rufe ich auch noch die Frage 26 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Gedenkt die Bundesregierung etwas zu tun, um solche menschenverachtenden Entscheidungen für die Zukunft zu verhindern?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Sozialhilfeträgers ist § 120 Abs. 2 Satz 4 des Bundessozialhilfegesetzes. Danach kann die Hilfe zum Lebensunterhalt für Asylbewerber bis auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche eingeschränkt werden. Ob und inwieweit die Hilfe eingeschränkt wird, hat der Sozialhilfeträger unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 14. März 1985 die Notwendigkeit herausgestellt, bei der Anwendung der Kann-Bestimmung des § 120 Abs. 2 Satz 4 den Individualisierungsgrundsatz in der Sozialhilfe zu berücksichtigen. Ob der Sozialhilfeträger die maßgebenden Vorschriften der Rechtslage entsprechend angewandt hat, läßt sich nur bei Kenntnis aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalles beurteilen. Die Möglichkeit, eine Überprüfung zu erreichen, ist im Widerspruchsverfahren und gegebenenfalls im Verwaltungsrechtsweg gegeben. Somit ist auch Asylbewerbern ein an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientiertes Verfahren garantiert, ohne daß es einer Rechtsänderung bedarf.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch, bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, die Rechtslage kann man streitlos stellen.
Nun möchte ich gerne fragen, ob die Bundesregierung denn der Auffassung sein kann, daß das für den Einzelfall auszuübende Ermessen der Sozialbehörde sachgerecht ausgeübt ist, wenn man die 20 %ige Kürzung des Sozialhilfesatzes damit begründet, daß der Asylbewerber aus der Türkei kommt, dort der Lebensstandard ohnehin geringer als in der Bundesrepublik ist und man schon deswegen einen geringeren Ernährungsbedarf unterstellen könne, weil der Asylbewerber als politisch Verfolgter in seinem Heimatland Entbehrungen gewöhnt sei.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ich teile diese Meinung nicht, Herr Kollege Hirsch.
Vielen Dank.
Dann möchte ich weiter fragen. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß eine Entscheidung im Einzelfall zu fällen ist. Würden Sie es denn für angemessen halten, daß der Städtetag gleichwohl seinen Mitgliedern auch nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts pauschale Argumente an die Hand gibt, mit denen die Mitglieder in die Lage versetzt werden, in Wirklichkeit ohne Einzelfallprüfung zu pauschalen Kürzungen der Sozialhilfesätze zu kommen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ich halte das nach der jetzigen Rechtsprechung, insbesondere nach dem neuen Urteil, für nicht richtig.
Eine dritte Frage, bitte.
Die Stadt im Regierungsbezirk Köln, um die es sich handelt, hat die Mehrzahl der Entscheidungen in der Tat zurückgenommen, nachdem der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen dieser Stadt mitgeteilt hat, daß er die Ausgaben in vollem Umfang ersetzen wird, wenn die Sozialhilfe nicht gekürzt ausgezahlt wird. Halten Sie es nicht für richtig, Frau Staatssekretärin, wenn die Bundesregierung auch mit den zuständigen Ministerien der anderen Länder Verbindung aufnimmt, um eine gleiche Haltung zu erreichen und auf diese Weise dazu beizutragen, daß es nicht zu pauschalen Kürzungen der Sozialhilfesätze kommt?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, ich greife Ihre Anregung dankbar auf und werde diesen Weg beschreiten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jaunich.
Frau Staatssekretärin, sehen Sie nicht die Notwendigkeit, in § 120 BSHG Präzisierungen vorzunehmen, nachdem uns allen bekannt ist, daß diese Bestimmung seinerzeit im 2. Haushaltsstrukturgesetz auf Verlangen der Länder in das BSHG hineingebracht worden ist?Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Jaunich. Ich meine, das, was ich ausgeführt habe, macht deutlich, daß im Einzelfall wirklich pflichtwidriges Ermessen entweder in diesem oder in jenem Falle zutrifft. Ich halte es nicht für dringend erforderlich, daß der Paragraph geändert wird.
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11618 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 27 des Abgeordneten Jäger auf:
Steht die Bundesregierung zu ihrer Aussage, daß die sozialen Hilfen für Mütter in Not so ausgestaltet werden, daß keine schwangere Frau aus materieller Notlage heraus gezwungen ist, ihr Kind abtreiben zu lassen, und wird sie demgemäß beim Bundeshaushalt 1986 für die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" höhere Mittelansätze beantragen, nachdem sich in Baden-Württemberg erwiesen hat, daß die 1985 bereitgestellten 50 Millionen DM nicht ausgereicht haben?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich die Gesetzesinitiative der Koalitionsfraktionen, auf Grund derer die Mittel der Bundesstiftung „Mutter und Kind" bereits für das Jahr 1985 und auch für die Jahre 1986 bis 1988 um jährlich 10 Millionen DM auf jeweils 60 Millionen DM aufgestockt werden sollen. Damit wird sich auch der Haushaltsansatz für 1986 entsprechend erhöhen. Mit den Leistungen aus der Bundesstiftung und vor allem durch die Einführung des Erziehungsgeldes, das nicht auf Sozialleistungen angerechnet, also zusätzlich gewährt wird, wird erreicht, daß ab dem 1. Januar 1986 keine Frau mehr deshalb in eine soziale Notlage gerät, weil sie ein Kind bekommt.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter.
Frau Staatssekretärin, indem ich Ihnen für diese Antwort ausdrücklich danke, möchte ich fragen: Bedeutet das, daß die Bundesregierung die Initiative der Koalitionsfraktionen auch im parlamentarischen Verfahren unterstützen und die notwendigen Mittel bereitstellen wird?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, das habe ich gerade ausgeführt.
Noch eine Zusatzfrage? —
Dann rufe ich die Frage 28 des Abgeordneten Jäger auf:
Ist eine der zur Zeit gebräuchlichen Methoden der Abtreibung, insbesondere die instrumentelle Kürettage und die Saug-Kürettage, bei welchen das ungeborene Kind noch lebend zerstückelt wird, die Verätzung, bei welcher das Kind im Mutterleib durch Einspritzen konzentrierter KochsalzLösungen oder von Medikamenten langsam vergiftet wird, oder die Anwendung von Prostaglandin-Hormonen zur Herbeiführung sogenannter Lebend-Abtreibungen, bei denen das noch lebend aus dem Mutterleib geholte Kind einfach dem Tod überlassen wird, nach Auffassung der Bundesregierung mit der Menschenwürde des ungeborenen Kindes, die diesem nach Artikel 1 des Grundgesetzes zukommt, vereinbar, und gegebenenfalls welche?
Frau Staatssekretär.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, die Antwort ist mit dem Kollegen aus dem Justizministerium abgestimmt.
Die Bundesregierung geht einvernehmlich mit dem Bundesverfassungsgericht davon aus, daß — ich zitiere — „Leben im Sinne der geschichtlichen Existenz eines menschlichen Individuums ... nach gesicherter biologisch-physiologischer Erkenntnis jedenfalls vom 14. Tage nach der Empfängnis ... an besteht" und — ich zitiere — „der damit begonnene Entwicklungsprozeß ... ein kontinuierlicher Vorgang" ist, „der keine scharfen Einschnitte aufweist und eine genaue Abgrenzung der verschiedenen Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens nicht zuläßt".
Jedenfalls in diesem Rahmen unterfällt menschliches Leben dem Schutz der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes. Das gilt auch für den Zeitpunkt, in dem ein Abbruch der Schwangerschaft, nach welcher Methode auch immer, vorgenommen wird. Der Gesetzgeber hat nur unter den Voraussetzungen des § 218 a des Strafgesetzbuches den Schwangerschaftsabbruch straffrei gestellt. Der Schutz der Menschenwürde des ungeborenen Lebens, der in diesen Fällen nicht mit den Mitteln des Strafrechtes durchgesetzt wird, gebietet aber, daß die Ärzte im Einzelfall unter Beachtung der Bestimmungen der Berufsordnung für die deutschen Ärzte die jeweils schonendste Methode anwenden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Frau Staatssekretärin, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß nicht nur die Ärzte, sondern insbesondere auch die Bundesregierung die Aufgabe haben, die Menschenwürde und natürlich auch alle anderen Menschenrechte in jedem Lebensstadium zu schützen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ja.
Weitere Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Wenn Sie die Frage mit Ja beantworten, möchte ich Sie fragen: Wie will denn die Bundesregierung sicherstellen, daß auch ungeborenen Kindern die Achtung ihrer Menschenwürde als ihres obersten Menschenrechts gewährleistet wird — und Sie haben eben ausgeführt, daß die Regierung der Auffassung ist, daß die den ungeborenen Kindern zusteht —, wenn sie sich bisher keine eigene Meinung darüber gebildet hat, ob die grausamen Abtreibungsmethoden, die derzeit zigtausendfach praktiziert werden, diese Menschenwürde nun verletzen oder nicht?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, so umfassende Fragen sind natürlich schwer zu beantworten, weil man am Ende gar nicht mehr weiß, was am Anfang gefragt worden ist. Aber ich möchte schon sagen, daß die Bundesregierung im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten — und der Rahmen wird gesetzt — selbstverständlich auch dieses Leben schützt.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt .
Frau Staatssekretärin, sehen Sie in Einzelfällen einen Konflikt zwischen den Interessen oder auch der zu schützen-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11619
Frau Schmidt
den Würde der Mutter und der zu schützenden Würde des ungeborenen Lebens? Und in diesem Zusammenhang: Beabsichtigt die Bundesregierung eine Änderung des § 218?Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Schmidt, Abwägung dieser beiden Tatbestände, die Sie angesprochen haben, trifft in jedem Falle zu.
Zusatzfrage des Abgeordneten Czaja.
Frau Staatssekretärin, erfordert die von Ihnen im Einklang mit dem Justizministerium eben unterstrichene, jede Staatsgewalt von Verfassungs wegen bindende aktive und passive Schutzpflicht für die Grundrechte, hier für das Grundrecht des völlig schutzlosen ungeborenen Kindes auf Leben, nicht, daß auch seitens der Bundesregierung möglichst rasch Schritte überlegt werden, die Anwendung der grausamsten Methoden wie der Zerstückelung, Verätzung und Vergiftung ungeborener Kinder zu unterbinden, und meinen Sie nicht, daß, wenn dies nicht geschähe, wegen des Nichtstuns der Vorwurf der Willkür erhoben werden könnte?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Jede Methode, Herr Kollege Czaja, die verbessert wird, ist selbstverständlich wünschenswert. Aber unsere Devise lautet: Helfen statt strafen. Ich glaube, daß das der richtige Weg ist.
Herr Abgeordneter Gilges.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, meine Kollegin Schmidt hat eine längere Frage gestellt, die zwar der Zeit nach kurz war, aber länger im Sinn. Den ersten Teil haben Sie beantwortet. Ich möchte den zweiten Teil wiederholen: Beabsichtigt die Bundesregierung eine Korrektur oder Änderung oder Novellierung des § 218?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung gedenkt dies nicht zu tun.
Danke schön. Weitere Zusatzfragen? — Graf Waldburg, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, wenn die Bundesregierung nicht beabsichtigt, Gesetze zu ändern, so sind Sie doch sicher mit mir einer Meinung, daß zumindest die Einhaltung der bestehenden Gesetze von der Bundesregierung erwogen werden muß.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist selbstverständlich.
Graf Huyn.
Frau Staatssekretärin, da ich glaube, daß die Beantwortung der letzten Zusatzfrage des Kollegen Jäger und auch der Zusatzfrage des Kollegen Dr. Czaja nicht sehr präzise war, frage ich: Wären Sie bereit, die Fragesteller in schriftlicher Form mit einer genauen Antwort über die Haltung der Bundesregierung zu diesen grausamen Methoden der Abtreibung zu unterrichten?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bilde mir schon ein, daß ich sehr fair geantwortet .habe. Aber ich greife das auf und will das gerne noch schriftlich beantworten.
Dies steht in Ihrem Belieben, Frau Staatssekretärin.
Frage 29 von Herrn Dr. Weng wird auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 30 des Abgeordneten Fiebig auf:
Trifft es zu, wie die Zeitschrift „Natur" und die „Westfälische Rundschau" vom 22. August 1985 berichtet haben, daß die giftige Frostschutzchemikalie „Diäthylenglykol" in verschiedenen Tabakwaren enthalten ist und das Glykol im Magen des Menschen zu Oxalsäure abgebaut wird, die die Nieren schädigt?
Frau Staatssekretärin.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fiebig, nach der 1959 erlassenen Tabakverordnung darf Diäthylenglykol als Feuchthaltemittel für verschiedene Tabakerzeugnisse verwendet werden. Bei welchen dieser Erzeugnisse es tatsächlich Verwendung findet, ist der Bundesregierung nicht im einzelnen bekannt. Die Verbände der Hersteller von Tabakerzeugnissen haben erklärt, daß sie Diäthylenglykol nicht oder nicht mehr verwenden bzw. künftig von der Verwendung Abstand nehmen wollen.
Diäthylenglykol wird nicht im Magen abgebaut, und Oxalsäure spielt als Stoffwechselprodukt von Diäthylenglykol eine geringere Rolle als bei Monoäthylenglykol. Nierenschädigungen treten bei Aufnahme hoher Mengen von Diäthylenglykol offensichtlich unabhängig von der Oxalsäurebildung auf. Bei Verwendung von Diäthylenglykol als Feucht-haltemittel in Tabakwaren ist wegen der relativ geringen Aufnahmemenge mit einer solchen Wirkung jedoch nicht zu rechnen.
Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Fiebig.
Frau Staatssekretär, da Sie sicherlich wissen, daß ich Pfeifenraucher bin, haben Sie mich sehr beruhigt. Dennoch eine Zusatzfrage: In jedem Vierteljahr tauchen neue Tataren- und Schreckensmeldungen in der Presse auf. Ist die Bundesregierung bereit, das gesamte Lebensmittelrecht samt Verordnungen, Bedarfsgegenständegesetz und alles das, was auf Genußmittel und Lebensmittel zielt, einmal zu durchforsten, um solche Schreckensmeldungen in Zukunft präventiv zu verhindern?Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fiebig, mit den Schreckensmeldungen ist das so eine Sache. Wir müssen uns gemeinsam überlegen, was im Einzelfall verändert werden muß. Dabei müssen wir, das Parlament, uns in die Lage ver-
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Parl. Staatssekretär Frau Karwatzkisetzen, das, was geändert werden muß, schnell zu ändern.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Frau Staatssekretär, sind die entsprechenden Abteilungen der Bundesoberbehörden, etwa des Bundesgesundheitsamtes, personell genügend ausgestattet, um solch eine Arbeit zu leisten?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß das der Fall ist. Ich weiß allerdings auch, Herr Kollege Fiebig, daß gerade im Zuge der Haushaltsberatungen erreicht werden konnte, daß mehr Personal angefordert wurde, so daß, sollte es dort eine Lücke geben, diese geschlossen werden kann.
Herr Abgeordneter, ich nehme an, daß Sie trotz der Beruhigung, die eben gegeben worden ist, auf der Beantwortung der nächsten Frage bestehen: Frage 31. Die ist j a noch nicht beantwortet. Oder sollte noch eine Zusatzfrage zu Frage 30 gestellt werden? — Dann bitte ich erst darum.
Frau Staatssekretärin, ich habe erst durch den Weinskandal erfahren, daß das Mittel Diäthylenglykol auch im Tabak enthalten war, und ich kann mir vorstellen, daß es vielen anderen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Lande genauso gegangen ist. Ist die Bundesregierung bereit, mitzuteilen, ob ähnliche Bestandteile noch in anderen Lebens- und Genußmitteln enthalten sind, und ist sie bereit, nicht nur das Gesetz, sondern auch alle Lebens- und Genußmittel daraufhin zu überprüfen, ob etwas mit diesem Stoff Vergleichbares darin enthalten ist?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Dieser Stoff ist nach dem Lebensmittelrecht verboten.
Danke schön. Nunmehr zur Beantwortung der Frage 31 des Abgeordneten Fiebig:
Ist die Bundesregierung bereit, die Tabakverordnung, die bisher bis zu 5 v. H. Glykol-Anteil erlaubt, dahin gehend zu ändern, daß die Verwendung von Glykol vollständig verboten wird?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fiebig, das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat den Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung der Tabakverordnung fertiggestellt, in dem die Aufhebung der bisher bestehenden Zulassung von Diäthylenglykol für die Herstellung von Tabakerzeugnissen vorgesehen ist. Es ist beabsichtigt, diese Verordnung in Kürze dem Bundesrat zur Zustimmung zuzuleiten.
Zusatzfragen? — Bitte schön!
Frau Staatssekretär, unter welchem Datum haben Sie diesen Prozeß in Gang gesetzt?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen das nicht auswendig sagen, Herr Kollege Fiebig. Ich schaue nach und schreibe es Ihnen sofort.
Haben Sie noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig?
— Dann bitte schön!
Frau Staatssekretär, wohlwissend, daß Sie meine Fragen so beantworten können, wie Sie wollen, möchte ich Sie trotzdem bitten, meine Zusatzfrage zu beantworten. Ich habe Sie nämlich nicht danach gefragt, was verboten ist, sondern danach, ob Sie untersuchen werden, ob in anderen Lebens- und Genußmitteln verbotene Stoffe enthalten sind.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Das wird im Einzelfall immer getan. Von der Zuständigkeit her sind aber nicht wir im Obligo, Herr Kollege, sondern das haben die Länder zu überprüfen.
Danke schön. Dann rufe ich die Frage 32 des Abgeordneten Fischer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorgang, daß die in Weinstrafverfahren verhängten Geldstrafen oder als Bewährungsauflagen angeordneten Geldbußen häufig erheblich niedriger sind als die von den Straftätern durch die von ihnen begangenen Straftaten erzielten Erlöse?
Frau Staatssekretär.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fischer, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß die in Weinstrafverfahren verhängten Geldstrafen oder Geldbußen häufig erheblich niedriger sind als die von den Straftätern erzielten Erlöse. Grundsätzlich gilt, daß die Schwere der Schuld des einzelnen das Maß der Strafzumessung bestimmt. Die Ausschöpfung des Strafrahmens liegt dabei im richterlichen Ermessen.
Zusatzfragen? — Herr Abgeordneter, bitte.
Frau Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß vor wenigen Tagen vom Landgericht in Mainz ein Straftäter wegen Weinpanschens in Verbindung mit Betrug zu einer Geldstrafe bzw. Geldbuße in Höhe von 160 000 DM verurteilt worden ist, während sich der von der Staatsanwaltschaft festgestellte Vermögensvorteil in diesem Fall auf fast 1 Million DM belief?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe das aus der Zeitung entnommen. Das Urteil liegt uns noch nicht vor. Erst danach kann ich dazu Stellung nehmen.
Weitere Zusatzfragen? — Bitte schön.
Frau Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß eine derartige Abschöpfung, wie ich sie dargestellt habe, in den Fällen, in denen es sich bei dem Fehlverhalten lediglich um eine Ordnungswidrigkeit handelt, möglich ist, während
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Fischer
sie in den Fällen, in denen es sich um Straftaten nach dem Strafgesetzbuch in Verbindung mit dem Weingesetz handelt, nicht möglich ist?Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich maße mir nicht an, über das Strafverfahren hinaus ein Urteil abzugeben. Ich gehe davon aus, daß unsere Justiz richtig Recht spricht. Verfahrensfragen — dafür bitte ich um Verständnis — sollten Sie vielleicht an den Kollegen des Justizministeriums richten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Tatge.
Frau Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung politisch den Tatbestand, daß rechtskräftig verurteilte Weinpanscher, die zur Zeit Freigänger sind, in der Zeit, in der sie berufstätig sind, bei einer Marketinggesellschaft der Weinwerbewirtschaft arbeiten?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Mir ist das nicht bekannt.
Danke schön. Dann rufe ich die Frage 33 des Abgeordneten Fischer auf:
Ist die Bundesregierung der Bitte des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit nachgekommen, zu den Beratungen des Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität eine Regelung vorzuschlagen, die eine effektive Abschöpfung solcher Mehrerlöse auch in Strafverfahren und insbesondere auch in Weinstrafverfahren möglich macht?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fischer, im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz möchte ich wie folgt antworten:
Auf Grund der im Zusammenhang mit der Beratung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes geäußerten Bitte hat die Bundesregierung die Landesjustizverwaltungen um Mitteilungen gebeten, in welchem Umfang einschlägige Fälle in der Praxis aufgetreten sind. Der Bundesregierung selbst fehlt es hierzu an ausreichenden Erkenntnissen.
Die von den Landesjustizverwaltungen befragte Praxis sieht ganz überwiegend kein praktisches Bedürfnis für Gesetzesänderungen. Die Verfallvorschriften haben unabhängig von der Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB keine nennenswerte praktische Bedeutung erlangt. In der Regel ist der Täter vermögenslos, sind Vermögensvorteile bei ihm nicht mehr vorhanden oder nicht mehr feststellbar oder haben Geschädigte Ansprüche geltend gemacht.
Auch und vor allem aus prozeßökonomischen Erwägungen haben sich die meisten befragten Gerichte, Staatsanwaltschaften und zehn Landesjustizverwaltungen gegen Gesetzesänderungen ausgesprochen. Ein Verzicht auf die Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB würde die Strafjustiz zu einem erheblichen Verfahrensaufwand und unter Umständen in die nicht zumutbare Rolle einer Abwicklungs- und Verteilungsstelle für zivilrechtliche Schadenersatzansprüche zwingen; die Gefahr von Verfahrensverzögerungen sei nicht zu übersehen.
Mit der Anwendung des § 41 des Strafgesetzbuches — Geldstrafe neben Freiheitsstrafe — und der verfahrensrechtlichen Rückgewinnungshilfe nach § 111 b der Strafprozeßordnung hält die Praxis das Eintreten ungerechter Ergebnisse für weitgehend vermeidbar.
Angesichts der eindeutigen Stellungnahmen sieht die Bundesregierung keine Veranlassung, neue Vorschläge vorzulegen, die die Entscheidung des Gesetzgebers von 1969 bzw. von 1974 korrigieren. Die Gesichtspunkte, die bei der Erörterung der vierten Novelle des Weingesetzes eine Rolle spielten, sind bei den gesetzgeberischen Beratungen bereits berücksichtigt worden.
Eine Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Frau Staatssekretärin, haben Sie die Frage, ob und inwieweit eine gesetzgeberische Initiative der Bundesregierung notwendig sei, auch mit den berufsständischen Organisationen, mit der Weinbranche insgesamt, erörtert, und wie waren die Äußerungen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Wir haben die Priorität im Bereich der Justiz gesetzt. Dieses Gespräch ist noch nicht geführt worden.
Werden weitere Zusatzfragen gestellt? — Das ist nicht der Fall. Danke schön.Die Fragen 34 und 35 des Abgeordneten Müller werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Ich rufe Frage 36 des Abgeordneten Meininghaus auf:Liegen der Bundesregierung medizinische Erkenntnisse über die Wirkung von Hydrazin auf den menschlichen Körper vor, und ist die Bundesregierung bereit, dazu unverzüglich die Forschung voranzutreiben?Bitte, Frau Staatssekretär.Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meininghaus, auf Veranlassung des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit hat das Bundesgesundheitsamt das Gesundheitsamt der Stadt Wiesbaden schon im Jahre 1982 vor dem giftigen Stoff Hydrazin im Trinkwasser gewarnt und u. a. mitgeteilt, daß Hydrazin bereits seit einer Reihe von Jahren nach der Liste der maximalen Arbeitsplatzkonzentration — MAK-Liste — als kanzerogener Stoff eingestuft ist; darüber hinaus wirke Hydrazin nach jüngeren Erkenntnissen auch muta-gen und teratogen. Weiterhin wurde der Stadt Wiesbaden mitgeteilt, daß im Hinblick auf das potentielle Krebsrisiko jegliche Kontamination von Trinkwasser durch Hydrazin ausgeschlossen werden müsse.Da es sich im übrigen um einen Stoff handelt, dessen Wirkungen seit langem bekannt sind, hält die Bundesregierung das von Ihnen geforderte Vor-
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Parl. Staatssekretär Frau Karwatzkiantreiben bestimmter Forschungen nicht mehr für erforderlich.
Eine Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Frau Staatssekretärin, liegen schon Erkenntnisse über Therapien bei HydrazinAufnahme im menschlichen Körper vor?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Da muß ich passen. Ich beantworte die Frage schriftlich, Herr Kollege.
Herr Abgeordneter?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielleicht teilen Sie dann auch noch mit, ob bei diesen Therapien jeweils auch die Verursacher in Anspruch genommen werden können.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ja, das tue ich gerne.
Danke schön.
Ich rufe Frage 37 des Abgeordneten Meininghaus auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, inwieweit Hydrazin außerhalb der Bundesrepublik Deutschland angewandt wird, und liegen Erkenntnisse über sich daraus ergebende gesundheitliche Beeinträchtigungen vor?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Hydrazin wird auch in anderen Ländern in ähnlichem Maße wie in der Bundesrepublik Deutschland verwendet. Anwendungsbeschränkungen und -verbote sind dem Bundesgesundheitsamt nicht bekannt. Über die angeführte gesundheitliche Bewertung hinaus liegen keine Erkenntnisse vor.
Ich rufe Frage 38 des Abgeordneten Schmitt auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung nach den Berichten über die Hydrazinverseuchung des Trinkwassers in Wiesbaden-Klarenthal ergriffen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, das Bundesgesundheitsamt hat bereits mit Schreiben vom September 1982 die Landeshauptstadt Wiesbaden und die V. Hessische Bereitschaftspolizeiabteilung vor möglichen Gefahren beim Einsatz von Hydrazin in Heizwasserkreisläufen gewarnt und mitgeteilt, welche Maßnahmen erforderlich sind, um Trinkwasserverunreinigungen mit Hydrazin zu verhindern. Das Bundesgesundheitsamt hat zudem dafür gesorgt, daß seine Vorstellungen als Stand der Technik hinsichtlich des Schutzes der Verbraucher vor einer Verunreinigung des Trinkwassers mit Hydrazin in den Entwurf DIN 1988 Teil 4 Eingang gefunden haben.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat im Hinblick auf die jüngsten Ereignisse in Wiesbaden den obersten Landesgesundheitsbehörden sowie den für den Alarmplan „Gefährliche Stoffe" zuständigen Behörden mit Fernschreiben vom 6. September 1985 folgendes mitgeteilt:
Wie aus Pressemitteilungen bekannt wurde, ist in einer Kindertagesstätte Hydrazin aus dem Wärmeaustauscher in das Trinkwasser gelangt. Ich bitte zu bedenken, daß ähnliche Pannen durch Korrosion des Wärmeaustauschers auch bei anderen Fernheizungsanlagen möglich sind. Ich rege daher an, alle mit Hydrazin betriebenen Fernheizungsanlagen zu erfassen und im Hinblick auf diese Problematik zu überprüfen. Ich empfehle daher, bereits jetzt den Entwurf zur Neufassung der DIN 1988 anzuwenden. Dieser Entwurf sieht vor, zukünftig Tertiäraustauscher (d. h. mit einem Zwischenmedium) zu verwenden. Als Übergangslösung soll bei alten Wärmeaustauschern das Heizwasser der Fernheizungsanlage eingefärbt werden.
Eine Zusatzfrage. — Bitte, Herr Abgeordneter.
Frau Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß wegen der Hydrazinverseuchung des Trinkwassers in Klarenthal die Wasserversorgung für 12 000 Menschen gefährdet ist? Ist Ihnen bekannt, daß sich 4 000 Menschen einer Untersuchung unterziehen mußten, und ist Ihnen bekannt, daß der zuständige Amtsarzt des Wiesbadener Gesundheitsamtes auf Fragen der Bürger erklären mußte, daß er keine medizinischen Therapien gegenüber einer Hydrazinverseuchung vorschlagen kann?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, sehr wahrscheinlich wird eine Behandlung notwendig sein, die sicherlich nicht unbedingt eine Therapiebehandlung sein muß. Mir sind die Fälle, die Sie geschildert haben, im einzelnen auch nicht bekannt. Ich denke aber, ich habe ausgeführt, daß wir nicht originär zuständig sind, sondern daß hier sicherlich auch die obersten Landesbehörden betroffen sind.
Danke schön. — Frau Schmidt , möchten Sie eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, jetzt mit meinem sicherlich etwas laienhaften Verständnis in bezug auf Ihre Antwort, daß dieses Hydrazin gefärbt werden soll: Wäre es nicht richtig, sämtliche dieser hochgiftigen Stoffe — nicht nur Hydrazin — mit einem Farbstoff zu versehen, damit Verbraucher überall dort, wo auch nur theoretisch so etwas passieren kann, durch die veränderte Farbe aufmerksam werden? Die große Gefährdung ist ja vor allem dadurch eingetreten, daß man überhaupt nichts erkannt hat, weil das Wasser völlig normal aussah.Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Deshalb haben wir diesen Vorschlag des Färbens als Zwischenlösung schon einmal eingebracht. Ihre Anre-
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Parl. Staatssekretär Frau Karwatzkigung ist weiterhin nachdenkenswert, Frau Kollegin Schmidt.
Danke schön. — Dann rufe ich die Frage 39 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ein sofortiges Verwendungsverbot für dieses hochgiftige, kancerogene Rostschutzmittel zu erlassen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Hydrazin ist in der Arbeitsstoff-Verordnung als krebserzeugend eingestuft. Diese Einstufung hindert nicht die Verwendung eines solchen Stoffes, sofern alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutze der Gesundheit getroffen werden. Da zudem der Stoff in mehreren Verwendungsbereichen bisher unverzichtbar ist, hält die Bundesregierung zur Zeit weder Herstellungs- und Verwendungsverbote noch Verbote der Ein- und Ausfuhr für erforderlich.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, müssen Sie nicht zu einem solchen Verwendungsverbot kommen, nachdem im Fall WiesbadenKlarenthal offenkundig geworden ist, daß sowohl menschliches Versagen als auch technische Mängel dazu führen können, daß erhebliche gesundheitliche Gefährdungen für die Bevölkerung eintreten? Muß das nicht zu einem sofortigen Verwendungsverbot führen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, dieser Meinung bin ich nicht. Hier liegt eindeutig der Tatbestand vor, daß das auf Mängel zurückzuführen ist, die bei einer besseren Wartung hätten vermieden werden können.
Frau Staatssekretärin, müssen Sie nicht einräumen, daß auch künftig, selbst bei gutem Willen, solche Mängel auftreten können und daß aus diesem Grunde die Bundesregierung die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit ergreifen müßte, um dieses Risiko von Anfang an abzustellen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Lieber Kollege, man kann wirklich nicht alles verbieten, was vielleicht einmal kommen könnte. Vielmehr glaube ich, daß vieles vermieden werden könnte, wenn die gesetzlichen Vorschriften eingehalten würden.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Reimann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, angesichts der Warnung des Bundesgesundheitsamtes aus dem Jahre 1982 die Produktion, Ein- und Ausfuhr von Hydrazin zu untersagen?
Frau Staatssekretär.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reimann, die Bundesregierung sieht zur Zeit keine Veranlassung, die Herstellung sowie die Ein- und Ausfuhr von Hydrazin zu verbieten. Ich wiederhole jetzt fast alles, was ich dem Kollegen eben schon geantwortet habe. Ich bitte um Nachsicht.
Nach § 3 der Trinkwasserverordnung darf Trinkwasser Stoffe nicht enthalten, bei denen feststeht, daß sie bei Dauergenuß schädlich sind. Dazu gehört Hydrazin, wie auch aus meiner Antwort eben zu entnehmen war. Nach § 12 Abs. 4 der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser oder § 12 Abs. 4 der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme dürfen nur Materialien und Geräte bei der Einrichtung und Unterhaltung von Kundenanlagen für die Wasserversorgung bzw. Fernwärmeversorgung verwendet werden, die den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Damit wird auf die entsprechenden DIN-Normen verwiesen. Bei Anwendung dieser Normen werden die Wasserkreisläufe von Trinkwasser und Heizungswasser so auseinandergehalten, daß Hydrazin nicht in das Trinkwasser gelangen kann.
Die Affäre um Hydrazin konnte demnach nur entstehen, weil die Anlage nicht dem Stand der Technik entsprach und offenbar auch eine ordnungsgemäße Überwachung nicht durchgeführt worden ist. In Anbetracht dieser Sachlage sind die Voraussetzungen für ein Herstellungs- bzw. Aus- und Einfuhrverbot nach § 17 des Chemikaliengesetzes nicht erfüllt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reimann.
Frau Staatssekretärin, ich glaube, Sie haben jetzt beide Fragen im Zusammenhang beantwortet, wenn ich das richtig verfolgt habe.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nein, ich habe noch eine Antwort, Herr Kollege.
Ich möchte dann gerne zur Frage 40 folgende Zusatzfrage stellen. Kann sich die Bundesregierung künftig mit Warnungen vor der Anwendung solcher Schadstoffe begnügen? Müssen nicht bei Kenntnis von schädigenden Eigenschaften weitreichendere Maßnahmen getroffen werden?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe j a eben auf die Frage der Kollegin Schmidt bereits geantwortet, daß die Möglichkeit des Färbens durchaus eine Zwischenlösung sein kann. Aber ich bitte auch um Verständnis, daß wir nicht alles verbieten können, was irgendwann einmal durch einen technischen Mangel oder aber auch durch menschliches Versehen entstehen kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, dann möchte ich Sie fragen, ob Sie das Einfärben von Wasser als weitreichende Maßnahme ansehen.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nein, ich habe ja gesagt: als eine Zwischenlösung.
Ich hatte aber nach weitreichenden Maßnahmen gefragt.Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Irgendwann wird bei der Entwicklung sicherlich auch ein ande-
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Parl. Staatssekretär Frau Karwatzkires Ergebnis herauskommen. Aber wir müssen uns erst einmal mit diesen Bereichen auseinandersetzen und mit diesen Antworten — sage ich jetzt einmal, Herr Kollege — vielleicht auch zufrieden sein. Ich habe im Augenblick keine andere Möglichkeit, Ihnen eine vielleicht befriedigendere Antwort zu geben.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Schmidt .
Frau Staatssekretärin, müßte aber nicht überall dort ein Verbot solcher Stoffe erlassen werden, wo es alternative Produkte gibt, die den Anforderungen auch nur annähernd genügen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Dieser Meinung bin ich schon. Darüber wird — da dürfen Sie sicher sein — in unserem Hause und auch im Bundesgesundheitsamt intensiv nachgedacht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmitt .
Frau Staatssekretärin, müßten Ihre Unzufriedenheit und Ihre Besorgnisse hinsichtlich dieser Trinkwasserverunreinigungen nicht größer werden, wenn Sie zur Kenntnis nehmen können, daß das Gesundheitsamt Wiesbaden für die Stadt Wiesbaden ein allgemeines Verwendungsverbot für Hydrazin erlassen hat, weil inzwischen auch in anderen Stadtgebieten als in Klarenthal solche Rostschutzstoffe im Trinkwasser aufgefunden wurden?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ich höre gerade von den Fachleuten, daß im Augenblick überlegt wird, ob nicht doch ein Verbot auszusprechen ist. Ich bitte aber um Nachsicht, daß wir jetzt über den Weg der Zwischenlösung versuchen, schnell etwas zu erreichen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jaunich.
Frau Staatssekretärin, wären Sie bereit, uns jene Anwendungsgebiete schriftlich mitzuteilen, für die Hydrazin aus Ihrer Sicht als unverzichtbar gilt?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Gerne, Herr Kollege Jaunich.
Ich rufe nunmehr die Frage 41 des Abgeordneten Reimann auf:
Kann die Bundesregierung ungefährliche, alternative Rostschutzmittel für Heizungsanlagen empfehlen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reimann, jetzt kann ich, glaube ich, auch etwas zu den Alternativen sagen.
Bei Versorgungssystemen für Fernwärme ist nach Kenntnissen der Bundesregierung eine thermische Konditionierung möglich, durch die man sowohl auf Hydrazin als auch auf andere Rostschutzmittel verzichten kann. Dieses Verfahren eignet sich aus ökonomischen Gründen aber offenbar nur für größere Unternehmen. Bei kleineren Fernwärmeversorgungsunternehmen wird als Ersatzstoff Natriumsulfit verwendet, das nach der Trinkwasseraufbereitungsverordnung zugelassen ist. Der Ersatz des Hydrazins durch Natriumsulfit stößt aber nach der Darstellung der Arbeitsgemeinschaft Fernwärme aus korrosionstechnischen Gründen örtlich auf Schwierigkeiten. Inzwischen werden neue Ersatzstoffe für Hydrazin angeboten, deren Zusammensetzung das Bundesgesundheitsamt seit einiger Zeit zu klären versucht. Sie können zur Zeit noch nicht empfohlen werden.
Zusatzfrage?
Ja. — Frau Staatssekretärin, Ihr letzter Satz lautete, daß neue Ersatzstoffe für Hydrazin noch nicht empfohlen werden können: Ist denn die Bundesregierung bereit, in ihren technischen Anleitungen die Verwendung von alternativen Rostschutzmitteln insgesamt zu fordern, also auch der, die Sie nicht genannt haben?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nun, erst einmal müssen die Alternativen da sein. Dann kann man natürlich das eine verbieten, um das andere einzuführen. Aber, Herr Kollege Reimann, Sie dürfen sicher sein, daß daran mit Nachdruck gearbeitet wird.
Frau Abgeordnete Schmidt noch einmal zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben im ersten Teil Ihrer Antwort gesagt, daß diese thermische Konditionierung bei kleineren Anlagen aus ökonomischen Gründen nicht angewendet wird. Meinen Sie nicht auch, daß diese ökonomischen Gründe hinter den Verbraucherschutz und den Menschenschutz zurückzutreten hätten und hier nicht das wesentliche Beurteilungskriterium sein dürften?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Schmidt, vom Prinzip her stimme ich mit Ihnen überein. Aber ich habe hier eine Auskunft darüber zu geben, wie es sich zur Zeit darstellt. Sie dürfen auch sicher sein — ich habe das vorhin schon einmal ausgeführt —: Man arbeitet sehr stark daran, um so etwas überhaupt überflüssig zu machen, damit das Verbot auch ausgesprochen werden kann. Aber zuerst müssen wir diese Alternativen haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schmitt .
Frau Staatssekretärin, sind Sie angesichts der Situation, daß Gesundheitsgefährdungen der Bevölkerung aus ökonomischen Gründen weiterhin hingenommen werden sollen, bereit, sich auch einmal außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik umzusehen und festzustellen, ob in anderen europäischen Ländern bereits
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Schmitt
ungefährliche alternative Rostschutzmittel im Gebrauch sind oder sich in der Entwicklung befinden?Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Das ist bereits eingeleitet worden. Wir wissen, daß Hydrazin auch in anderen europäischen Ländern gebraucht wird.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Jaunich auf:
Welche Konsequenzen beabsichtigt die Bundesregierung aus dem Votum des Bundesgesundheitsrates hinsichtlich der Verlängerung der Ausbildung für Medizinisch-Technische Assistenten zu ziehen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jaunich, die Frage einer Verlängerung der Ausbildung der Medizinisch-Technischen Assistenten hat der Bundesgesundheitsrat 1984 von sich aus aufgegriffen und sich im Frühjahr 1985 für eine Verlängerung der Ausbildung von zwei Jahren auf drei Jahre ausgesprochen. Er entspricht damit teilweise dem Wunsch des Deutschen Verbandes Technischer Assistenten in der Medizin. Der DVTA geht in einer im Juli dieses Jahres erhobenen Forderung wesentlich weiter, indem er zusätzlich zu einer Verlängerung der Ausbildung auf ein Jahr eine Neukonzeption der in den §§ 9 und 10 des MTA-Gesetzes von 1971 geregelten vorbehaltenen Tätigkeiten fordert.
Die Bundesregierung hat gegenwärtig nicht die Absicht, diesen Forderungen zu entsprechen. Nach nahezu übereinstimmender Auffassung der Länder ist eine Verlängerung derzeit nicht zu realisieren, weil sie zu höheren Kosten der Ausbildung bei gleichzeitiger Reduzierung der Ausbildungsplatzkapazitäten führen würde. Die höheren Kosten gingen weiter zu Lasten der Schüler. Aus den Erörterungen im Bundesgesundheitsrat hat die Bundesregierung den Eindruck gewonnen, daß die als Begründung für eine Verlängerung zitierte Stoffüberfrachtung durch eine Entrümpelung weitgehend überwunden werden könnte.
Ein zwei Jahre ausgebildeter MTA hat bereits, wenn er zusätzlich jeweils eine bestimmte Spezialisierung anstreben möchte, ein zusätzliches Lehrgangsjahr, also insgesamt drei Jahre, zu absolvieren. Eine Verlängerung auf dann vier Jahre würde den MTA-Schüler zeit- und kostenmäßig ungewöhnlich hoch belasten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? — Bitte schön.
Frau Kollegin, ich frage nur noch einmal nach, um nicht der Gefahr zu unterliegen, Sie mißverstanden zu haben: Sie beabsichtigen keine Revision des geltenden Rechts?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ja.
Die Frage 43 des Abgeordneten Kirschner wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 44 des Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil auf.
Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um z. B. durch Verlängerung der Patentschutzfristen, Benachteiligungen von der forschenden pharmazeutischen Industrie abzuwenden, die dieser durch sogenannte „Nachahmer" im In- und Ausland entstehen?
Frau Staatssekretär.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung ist sich der Bedeutung der forschenden pharmazeutischen Industrie für den medizinischen Fortschritt in Diagnostik und Therapie bewußt. Sie hat den Patentschutz für Arzneimittelerfindungen seit 1968 ständig und erheblich auf eine Patentlaufzeit von nunmehr 20 Jahren verbessert. Andererseits hält die Bundesregierung aber gerade auch im Arzneimittelbereich den nachstoßenden Wettbewerb durch kleine und mittlere Unternehmer nach Ablauf des Patentschutzes für erwünscht. Sie beabsichtigt deshalb zur Zeit keine weiteren Änderungen der Patentschutzfristen.
Aus wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Gründen bestehen im Ausland gerade bei Arzneimitteln vielfach noch Regelungen, die von den deutschen Patentvorschriften zum Nachteil forschender pharmazeutischer Unternehmen abweichen. Bilateral und im Rahmen der Vereinten Nationen bemüht sich die Bundesregierung, den deutschen Vorstellungen zum Schutz des geistigen Eigentums auch international mehr Geltung zu verschaffen.
Belange der forschenden pharmazeutischen Industrie sind auch im Zusammenhang mit der sogenannten Zweitanmelderproblematik berührt. Ein Richtlinienvorschlag der EG-Kommission sieht insofern, anknüpfend an eine schon im Chemikalienbereich bestehende Regelung, eine zehnjährige Verwertungssperre für vom Erstanmelder im Rahmen der Zulassung eingereichte Unterlagen vor. Der Richtlinienvorschlag der EG wird zur Zeit in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages beraten.
Im Rahmen der laufenden Änderung des Pflanzenschutzgesetzes kann sich die Zweitanmelderfrage in vergleichbarer Weise stellen. Falls eine Regelung für das Pflanzenschutzgesetz beschlossen wird, wird die Bundesregierung die Möglichkeit der Übernahme ins Arzneimittelgesetz prüfen.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Dann kann ich davon ausgehen, daß gerade in der Zweitanmelderfrage durchaus die Problematik gesehen wird, daß bei uns innovative Forschung benachteiligt wird, weil derjenige, der zweitanmeldet, nun, ohne den Forschungsaufwand zu tätigen, in denselben Bereich hineingehen kann, daß dies natürlich über die Förderung der Nachahmung hinausgeht und daß wir hier eigentlich einen besseren Schutz für unsere forschende Industrie erreichen müssen.Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Graf von Waldburg-Zeil, ich habe ausgeführt: Gerade diese Frage wird in dem zuständigen Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sehr differenziert von allen Fraktionen miteinander disku-
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11626 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985
Parl. Staatssekretär Frau Karwatzkitiert. Ich glaube schon, daß Ihrer nachdrücklichen Bitte dort Rechnung getragen wird.
Frau Staatssekretärin, können Sie bereits eine Zeitvorstellung nennen, innerhalb derer diese zehnjährige Verwertungssperre in etwa verwirklicht werden könnte?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ich höre gerade, daß es in der EG diskutiert wird. Sobald dort ein Meinungsbildungsprozeß abgeschlossen ist, müssen wir uns damit befassen.
Danke schön.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht. Die Fragen 45 und 46 der Abgeordneten Frau Schmidt werden zurückgezogen.
Ich bedanke mich, Frau Staatssekretär. Damit ist Ihr Geschäftsbereich erledigt.
Ich komme dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Herr Staatssekretär Bayer steht zur Beantwortung zur Verfügung. Wir wollen schauen, ob die Fragesteller im Hause sind.
Der Abgeordnete Lowack bittet um schriftliche Beantwortung seiner Frage. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Fragen 48 und 49 des Abgeordneten Stahl auf. Er befindet sich nicht im Saal. Es wird wie in der Geschäftsordnung vorgesehen verfahren.
Ich rufe die Fragen 50 und 51 des Abgeordneten Hettling auf.
Kann die Bundesregierung den Bericht der Illustrierten „stern" bestätigen, daß jährlich mehr als 200 Zweiradfahrer von rechtsabbiegenden Lastkraftwagen überfahren werden, und daß eine Untersuchung der Bundesanstalt für Straßenwesen bereits 1979 empfahl, die Lastkraftwagen mit verbessertem Spiegelsystem und seitlichen Schürzen auszurüsten, wie sie an Serienfahrzeugen in Frankreich, Schweden und der Niederlande üblich sind, wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese Unfallursache bei den Lastkraftwagen zu beseitigen?
Warum hat die Bundesregierung die Empfehlungen der Bundesanstalt für Straßenwesen nicht aufgegriffen, und welche Gründe sprachen gegen den Einbau eines Fensters in der Beifahrertür, wie er bei Bussen im öffentlichen Nahverkehr seit langem üblich ist?
Bitte, Herrn Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Vorsitzender, die Frage 50 beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung kann die Angaben in dem genannten Zeitungsartikel bestätigen. Die Technische Universität Berlin hat in ihrer im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen vorgelegten Forschungsarbeit für Lastkraftwagen einen seitlichen Schutz empfohlen, jedoch keine Empfehlung für verbesserte Spiegelsysteme gegeben.
Seit längerem beschäftigt sich auch die UN-Wirtschaftskommission für Europa in Genf mit diesem Problem. Sie will eine ECE-Regelung ausarbeiten, die in das nationale Recht übernommen werden soll. Inzwischen hat die Europäische Gemeinschaft gehandelt und, soweit es den Rückspiegel betrifft, am 18. Februar 1985 eine Anpassungsrichtlinie über Rückspiegel erlassen. Diese EG-Vorschrift verbessert die Sichtverhältnisse rechts neben dem Fahrzeug, insbesondere bei Lastkraftwagen, erheblich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.
Herr Staatssekretär, in Anbetracht von jährlich 200 Toten und wahrscheinlich vielen tausend Verletzten frage ich Sie: Wenn nun schon auch die EG solche Vorschläge macht und diese verbesserte Sicht nach hinten durch Spiegel und größere Fenster an den Türen der Lastwagen in Schweden, Frankreich und in den Niederlanden gegeben ist, wann beabsichtigt die Bundesregierung, diese Möglichkeiten, die vorhanden sind, durch Verordnung auch für deutsche Lkw — zumindest sofort für die Neufahrzeuge — verbindlich vorzuschreiben?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Bayer, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich nehme an, daß Sie die Frage 51 bezüglich der seitlichen Fenster mit einbeziehen.
Diese Frage bezieht sich allerdings auf die vorhandenen Busse. Ich habe meine Frage auf die Situation in Schweden, Frankreich und Holland sowie auf Ihre Antwort bezogen, daß bis heute in diesem Bereich von seiten der Bundesregierung noch nichts getan wurde.
Bayer, Staatssekretär: Frankreich hat einen seitlichen Unterfahrschutz angeordnet; seitliche Fenster eigentlich nicht. Auch in Großbritannien gibt es Vorschriften zur Anbringung von seitlichen Unterfahrschutzvorrichtungen. Dasselbe gilt für die Niederlande und für Japan.
Aber bezüglich der Sichtfenster besteht das Problem, daß gerade bei Lastkraftwagen, bei denen diese seitlichen Sichtfenster gefordert werden, die Verbesserung der Sichtverhältnisse unverhältnismäßig gering ist. Die Sichtfenster haben einen großen Sinn bei Bussen, in denen rechts neben dem Fahrer kein Beifahrer sitzt. Bei Lkw ist üblicherweise ein Beifahrer vorhanden. Wir haben die Erkenntnis gewonnen, daß ein zusätzliches Sichtfenster keinen entsprechenden Sicherheitsgewinn bringt. Wir sind aber zusammen mit der BASt zusammen dabei, zu prüfen, welche Sicherheitsgewinne durch zusätzliche Spiegelsysteme — diese Vorschrift ist ja von der EG erlassen worden — zu erzielen sind. Das gilt aber nicht für Türen.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Insofern ist die Sache in Bewegung, Herr Staatssekretär. Aber wenn wir davon ausgehen, daß wir jährlich mit 200 Toten zu rechnen haben — insofern wird die Position des „stern" ja nicht in Frage gestellt —, haben wir keine Zeit mehr, lange zu warten. Können wir nicht die in anderen Ländern gemachten Erfahrungen auch für
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. September 1985 11627
HettlingLkw umsetzen und die von der Bundesanstalt für Straßenwesen vorgeschlagenen besseren Spiegelsysteme und Schürzen sofort einführen?Bayer, Staatssekretär: Bezüglich der Spiegel ist die Einführung beschlossen. Bezüglich der Schürzen gibt es Probleme wegen der EG-einheitlichen Regelungen, vor allem wegen der Gewichtsprobleme. Das ist ja eine Nutzlast, die von den Lkw zur Beseitigung von Sicherheitsproblemen aufgewendet werden muß. Hier wird geltend gemacht, daß dies natürlich Wettbewerbsverzerrungen verursachen kann.Wir sind daran, eine EG-einheitliche Regelung, die eine sinnvolle zusätzliche Sicherheit bringt, sofort anzuwenden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Brück.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, in den Lkw sei immer ein Beifahrer dabei. Ist das tatsächlich so? Oder ist nicht vor allem im Nahverkehr nie ein Beifahrer dabei?
Bayer, Staatssekretär: Ich darf Ihnen die Frage bezüglich der Beifahrer wie folgt beantworten: „Sichtfenster in der Beifahrertür von Lkw bringen nicht den gewünschten Erfolg." Zu diesem Ergebnis kommt die Bundesanstalt für Straßenwesen. Sie schreibt weiter:
Im Gegensatz zu Türen in Kraftomnibussen des öffentlichen Nahverkehrs sind Türen in Lastkraftwagen erheblich schmaler und wesentlich höher angeordnet. Darüber hinaus verhindern Einbauten bzw. der Beifahrer selbst
— sofern er vorhanden ist —
eine ungehinderte Sicht auf den zu überwachenden Verkehrsraum. Selbst bei ungehinderter Sicht könnte der Fahrer durch das Sichtfenster nur das beobachten, was im Abschnitt sichtbar ist, nicht aber das Geschehen davor und dahinter.
Das sind die Probleme, die die Bundesanstalt für Straßenwesen hier sieht.
Sie haben noch eine Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, Sie sagten soeben, daß die Einführung des verbesserten Spiegelsystems beschlossen sei. Wann wird bei neuzuzulassenden Lkw dieses verbesserte Spiegelsystem, das eine Unfallursache beseitigt, verbindlich vorgeschrieben?
Bayer, Staatssekretär: Es gibt die Anpassungsrichtlinie 85/205 EG vorn 18. Februar 1985, die ich gerade erwähnt habe. Damit wird eine erhebliche Verbesserung der Sichtverhältnisse auf der rechten Lkw-Seite erreicht. Allerdings werden diese verschärften Vorschriften nach den Übergangsbestimmungen, die in der EG Geltung haben, erst Ende der 80er Jahre EG-einheitlich in Kraft treten können.
Eine letzte Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, nach Ihrer letzten Aussage können diese Vorschriften auf Grund der Übergangsvorschriften erst Ende der 80er Jahre in Kraft treten. Wir haben jetzt 1985. Glauben Sie, daß die Bundesregierung, daß dieses Parlament es sich leisten kann, auf Grund des Fehlens dieser Spiegelsysteme noch Tausende von Toten und Zigtausende von Verletzten zu verantworten?
Bayer, Staatssekretär: Die Bundesregierung wird alles tun, um diese Frist zu verkürzen. Aber wir sind an die EG-Vorschriften gebunden. Die Bundesrepublik ist ein Durchgangsland, das einzige große Durchgangsland, das im Fernverkehr, vor allem im Lkw-Fernverkehr, von allen Seiten her benutzt wird. Wir müssen hier die EG-Vorschriften berücksichtigen, weil wir bei entsprechenden Klagen unterliegen würden.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde und auch am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 12. September, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.