Protokoll:
10140

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 10

  • date_rangeSitzungsnummer: 140

  • date_rangeDatum: 23. Mai 1985

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:25 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/140 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 140. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung und Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 10315A Begrüßung des Präsidenten des kanadischen Senats und einer Delegation des kanadischen Parlaments 10339 D Beratung des Berichts des Petitionsausschusses Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahre 1984 — Drucksache 10/2979 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 73 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/3100 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 78 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/3362 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 79 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/3363 — Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 10315C Meininghaus SPD 10318 A Neuhausen FDP 10319C Mann GRÜNE 10322 A Schneider (Idar-Oberstein) CDU/CSU . 10324 B von der Wiesche SPD 10325 D Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU . . 10327 B Hansen (Hamburg) SPD 10329 B Schlottmann CDU/CSU 10330 A Reuter SPD 10331 D Dr. Göhner CDU/CSU 10334 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Urheberrechts — Drucksache 10/837 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/3360 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/3366 — Saurin CDU/CSU 10336 D Stiegler SPD 10338 B Kleinert (Hannover) FDP 10340A Mann GRÜNE 10341 C Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 10343 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundes- Seuchengesetzes — Drucksache 10/2709 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 10/3174 — Müller (Düsseldorf) SPD 10344 D Werner (Ulm) CDU/CSU 10345 A Frau Wagner GRÜNE 10345 C Frau Dr. Segall FDP 10346 B Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär BMJFG 10346 C Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten — Drucksache 10/1729 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 10/3132 — Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär BMJFG 10347 C Delorme SPD 10348 B Frau Augustin CDU/CSU 10348 D Frau Wagner GRÜNE 10349 B Frau Dr. Segall FDP 10350 A Aktuelle Stunde betr. die Äußerungen des Stellvertretenden Vorsitzenden der SPD- Fraktion Schmude zum Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes Lintner CDU/CSU (zur GO) 10368 C Dr. Vogel SPD 10369 B Ronneburger FDP 10370 C Windelen, Bundesminister BMB . . . 10371B Dr. Schierholz GRÜNE 10372 C Dr. Miltner CDU/CSU 10373 D Büchler (Hof) SPD 10374 C Hoppe FDP 10376 A Werner (Ulm) CDU/CSU 10376 C Löffler SPD 10377 B Schulze (Berlin) CDU/CSU 10378 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 10379C Lowack CDU/CSU 10380 D Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes — Drucksache 10/3079 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 10/3378 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/3379 — Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes — Drucksache 10/2577 — Braun CDU/CSU 10382A Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 10383 B Eimer (Fürth) FDP 10385A Bueb GRÜNE 10385 D Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär BMJFG 10387 C Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Herstellern (Arzneimittelversorgungsrecht) — Drucksache 10/2633 — Weinhofer SPD 10389A Cronenberg (Arnsberg) FDP 10390 C Frau Wagner GRÜNE 10392 B Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU . . . . 10393 C Beratung der Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN Militarisierung des Weltraums — Drucksache 10/2378 — Lange GRÜNE 10395 D Dr. Abelein CDU/CSU 10397 C Dr. Klejdzinski SPD 10399A Dr. Feldmann FDP 10400 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 10402A Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung — aus Drucksache 10/171 — Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 III Zweite Beschlußempfehlung und zweiter Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/3368 — Buschbom CDU/CSU 10404 A Fischer (Osthofen) SPD 10404 D Kleinert (Hannover) FDP 10406A Mann GRÜNE 10407 A Dr. Eyrich, Minister des Landes BadenWürttemberg 10407 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 10408 D Erste Beratung des von den Abgeordneten Gansel, Amling, Bachmaier, Bahr, Bernrath, Bindig, Frau Blunck, Brück, Büchner (Speyer), Catenhusen, Collet, Conradi, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dreßler, Duve, Dr. Ehmke (Bonn), Dr. Emmerlich, Fischer (Homburg), Fischer (Osthofen), Frau Fuchs (Verl), Gerstl (Passau), Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Heistermann, Hiller (Lübeck), Dr. Holtz, Horn, Frau Huber, Immer (Altenkirchen), Jahn (Marburg), Jungmann, Kiehm, Kisslinger, Klein (Dieburg), Dr. Klejdzinski, Klose, Kühbacher, Kuhlwein, Lambinus, Löffler, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Neumann (Bramsche), Dr. Nöbel, Frau Odendahl, Paterna, Peter (Kassel), Rapp (Göppingen), Frau Renger, Reuter, Roth, Schäfer (Offenburg), Schanz, Dr. Scheer, Schlaga, Frau Schmidt (Nürnberg), Dr. Schmude, Schröer (Mülheim), Schulte (Unna), Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Steiner, Stiegler, Stobbe, Toetemeyer, Verheugen, Voigt (Frankfurt), Waltemathe, Wartenberg (Berlin), Weisskirchen (Wiesloch), Westphal, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Kriegswaffenkontrolle — Drucksache 10/3342 — Gansel SPD 10409 D Lamers CDU/CSU 10412 C Frau Borgmann GRÜNE 10414 C Beckmann FDP 10416 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 10. September 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Burundi über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen — Drucksache 10/3286 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 1. Oktober 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Dominicanischen Bund über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen — Drucksache 10/3287 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen (Seeunfalluntersuchungsgesetz) — Drucksache 10/3312 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesrechnungshof (Bundesrechnungshofgesetz) — Drucksache 10/3323 — 10419 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1883/78 über die allgemeinen Regeln für die Finanzierung der Interventionen durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Garantie — Drucksachen 10/2849 Nr. 9, 10/3265 — . 10419C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu Gemeinschaftsmaßnahmen zur Sanierung der Binnenschiffahrt — Drucksachen 10/1607, 10/3101 — . . . 10419 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1418/76 über die gemeinsame Marktorganisation für Reis IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die Erzeugungserstattungen in den Sektoren Getreide und Reis Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates mit Durchführungsvorschriften für die Gewährung von Erstattungen im Sektor Getreide und Reis für die Erzeugung von Kartoffelstärke — Drucksachen 10/2751 Nr. 14, 10/3133 — 10420A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2617/80 zur Einführung einer spezifischen Gemeinschaftsmaßnahme zur regionalen Entwicklung im Hinblick auf die Beseitigung von Entwicklungshemmnissen für neue Wirtschaftszweige in bestimmten von der Umstrukturierung der Schiffbauindustrie betroffenen Gebieten Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 219/84 zur Einführung einer spezifischen Gemeinschaftsmaßnahme zur regionalen Entwicklung im Hinblick auf die Beseitigung von Entwicklungshemmnissen für neue Wirtschaftszweige in bestimmten von der Umstrukturierung der Textil- und Bekleidungsindustrie betroffenen Gebieten Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung einer spezifischen Gemeinschaftsmaßnahme zur regionalen Entwicklung im Hinblick auf die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Grenzgebiete Irlands und Nordirlands Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung einer spezifischen Gemeinschaftsmaßnahme zur regionalen Entwicklung im Hinblick auf die Förderung neuer Wirtschaftszweige in bestimmten von der Einführung der gemeinsamen Fischereipolitik betroffenen Gebieten — Drucksachen 10/3075, 10/3324 — . . . 10420C Beratung des Antrags der Abgeordneten Müntefering, Conradi, Huonker, Dr. Jens, Lohmann (Witten), Meininghaus, Menzel, Polkehn, Purps, Ranker, Reschke, Roth, Schmitt (Wiesbaden), Dr. Sperling, Waltemathe, Frau Weyel, Wolfram (Recklinghausen) und der Fraktion der SPD Stärkung und Verstetigung der Bautätigkeit — Drucksache 10/3274 — 10420 D Fragestunde — Drucksache 10/3359 — Wahrung der Planungshoheit der Gemeinden bei von der Bundesbahn veräußerten Liegenschaften MdlAnfr 56, 57 17.05.85 Drs 10/3359 Rapp (Göppingen) SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 10351 B ZusFr Rapp (Göppingen) SPD 10351 B Subventionierungspraktiken zu Lasten der deutschen Seehäfen durch Unterstützung der Ausgleichskassen der Partikulier-Genossenschaften MdlAnfr 58, 59 17.05.85 Drs 10/3359 Hettling SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 10352 A ZusFr Hettling SPD 10352A ZusFr Ewen SPD 10353A Beratervertrag zwischen Dr. Scholl und der Deutschen Lufthansa auf Empfehlungen von Bundeskanzler Dr. Kohl MdlAnfr 62 17.05.85 Drs 10/3359 Schily GRÜNE Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 10353 C ZusFr Schily GRÜNE 10353 C ZusFr Frau Hürland CDU/CSU 10353 D Gespräche des Bundespostministers in Dacca über die Einführung eines digitalen Fernmeldevermittlungsnetzes MdlAnfr 65 17.05.85 Drs 10/3359 Frau Schmedt (Lengerich) SPD Antw StSekr Dr. Florian BMP 10354A ZusFr Frau Schmedt (Lengerich) SPD 10354 D ZusFr Brück SPD 10354 B ZusFr Schanz SPD 10354 B ZusFr Pfeffermann CDU/CSU 10354 C Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Bodenverseuchung und deren Finanzierung MdlAnfr 67, 68 17.05.85 Drs 10/3359 Urbaniak SPD Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . 10355A ZusFr Urbaniak SPD 10355 B ZusFr Frau Steinhauer SPD 10355 D ZusFr Reimann SPD 10356A Zahl der Ausbildungsplätze nach dem Berufsbildungsgesetz beim Bund, insbesondere bei Bahn, Post und Bundeswehr, 1984 und 1985 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 V MdlAnfr 70 17.05.85 Drs 10/3359 Vogelsang SPD Antw PStSekr Pfeifer BMBW 10356 C ZusFr Vogelsang SPD 10356 C ZusFr Kuhlwein SPD 10356 D ZusFr Kastning SPD 10357 A ZusFr Urbaniak SPD 10357 B Angebot und Nachfrage bei Ausbildungsplätzen 1985 MdlAnfr 71 17.05.85 Drs 10/3359 Kastning SPD Antw PStSekr Pfeifer BMBW 10357 B ZusFr Kastning SPD 10357 C ZusFr Kuhlwein SPD 10357 D ZusFr Frau Steinhauer SPD 10358 A ZusFr Urbaniak SPD 10358 B Verschärfung der Situation auf dem Lehrstellenmarkt, insbesondere für Mädchen MdlAnfr 72 17.05.85 Drs 10/3359 Kuhlwein SPD Antw PStSekr Pfeifer BMBW 10358 C ZusFr Kuhlwein SPD 10358 D ZusFr Frau Odendahl SPD 10359 A ZusFr Weisskirchen (Wiesloch) SPD . 10359 A Maßnahmen zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen im Jahre 1985 MdlAnfr 73 17.05.85 Drs 10/3359 Weisskirchen (Wiesloch) SPD Antw PStSekr Pfeifer BMBW 10359 B ZusFr Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . 10359 D ZusFr Frau Steinhauer SPD 10360 A ZusFr Reimann SPD 10360 B ZusFr Urbaniak SPD 10360 C ZusFr Kuhlwein SPD 10360 D Entwicklung der Zahl der Altbewerber auf dem Ausbildungsstellenmarkt seit 1982 MdlAnfr 74 17.05.85 Drs 10/3359 Frau Odendahl SPD Antw PStSekr Pfeifer BMBW 10360 D ZusFr Frau Odendahl SPD 10361 A ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 10361A Einführung eines digitalen Fernmeldevermittlungsnetzes in Bangladesch MdlAnfr 75, 76 17.05.85 Drs 10/3359 Schanz SPD Antw StSekr Lengl BMZ 10361 B ZusFr Schanz SPD 10361C Brück SPD 10362 A Einführung eines digitalen Fernmeldevermittlungsnetzes in Bangladesch unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten MdlAnfr 77 17.05.85 Drs 10/3359 Frau Schmedt (Lengerich) SPD Antw StSekr Lengl BMZ 10362 B ZusFr Brück SPD 10362 C Veröffentlichung des DIW-Gutachtens „Bedingungen erfolgreicher Entwicklungspolitik der Länder der Dritten Welt" durch das BMZ MdlAnfr 78, 79 17.05.85 Drs 10/3359 Volmer GRÜNE Antw StSekr Lengl BMZ 10362 D ZusFr Volmer GRÜNE 10362 D ZusFr Brück SPD 10363 A ZusFr Frau Dann GRÜNE 10363 B Bewertung der Broschüre „Die Freiheit — Kern der deutschen Frage" im Zusammenhang mit dem Bericht der Bundesregierung über die Lage der Nation MdlAnfr 80, 81 17.05.85 Drs 10/3359 Lutz SPD Antw StMin Vogel BK 10363 C ZusFr Lutz SPD 10363 D ZusFr Urbaniak SPD 10364 B ZusFr Schily GRÜNE 10364 C ZusFr Frau Steinhauer SPD 10364 C ZusFr Werner (Ulm) CDU/CSU 10365 C Teilnahme des Bundeskanzlers am Schlesiertreffen angesichts der Artikel im „Schlesier" MdlAnfr 82 17.05.85 Drs 10/3359 Dr. Schierholz GRÜNE Antw StMin Vogel BK 10366A ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 10366 B ZusFr Lutz SPD 10366 D ZusFr Kastning SPD 10366 D ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD 10367 A Beratervertrag zwischen Dr. Scholl und der Firma Deutsche Anlagen Leasing auf Empfehlung von Bundeskanzler Dr. Kohl MdlAnfr 83 17.05.85 Drs 10/3359 Schily GRÜNE Antw StMin Vogel BK 10367 B ZusFr Schily GRÜNE 10367 C ZusFr Dr. Struck SPD 10367 C VI Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 Errichtung eines Ehrenmahls in Warschau für die in Katyn ermordeten polnischen Offiziere; Bezeichnung der Deutschen als Mörder auf der Inschrift MdlAnfr 86, 87 17.05.85 Drs 10/3359 Stockhausen CDU/CSU Antw StMin Möllemann AA 10368 A ZusFr Stockhausen CDU/CSU 10368 B Nächste Sitzung 10420 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 10421*A Anlage 2 Aufstockung der Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen MdlAnfr 22 17.05.85 Drs 10/3359 Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA . . . . 10421*C Anlage 3 Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes hinsichtlich des Unterhaltsgeldes für Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfeempfänger bei Teilnahme an beruflichen Fortbildungsmaßnahmen MdlAnfr 24 17.05.85 Drs 10/3359 Amling SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA . . . . 10421* D Anlage 4 Manöver auf dem Truppenübungsplatz Bergen am 8. 5. 1985; Störung einer Mahnfeier MdlAnfr 45, 46 17.05.85 Drs 10/3359 Frau Fuchs (Verl) SPD SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg . 10422* A Anlage 5 Korrektur der Regelungen des Instituts für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen angesichts der Ergebnisse der ärztlichen Vorprüfung im Frühjahr 1985 MdlAnfr 49, 50 17.05.85 Drs 10/3359 Dr. Lammert CDU/CSU SchrAntw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG 10422* B Anlage 6 Erneute Bewerbung des ehemaligen Präsidenten des Bundesgesundheitsamts, Dr. Fülgraff, für dieses Amt MdlAnfr 51 17.05.85 Drs 10/3359 Dr. Weng (Gerlingen) FDP SchrAntw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG 10423*A Anlage 7 Nebentätigkeiten des Kandidaten für das Präsidentenamt des Bundesgesundheitsamtes MdlAnfr 52, 53 17.05.85 Drs 10/3359 Frau Seiler-Albring SPD SchrAntw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG 10423* A Anlage 8 Auswirkungen der geplanten Änderungen des Bundeskindergeldgesetzes auf die Einkommen unter Berücksichtigung der abzugsfähigen Kinderfreibeträge MdlAnfr 54 17.05.85 Drs 10/3359 Reimann SPD SchrAntw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG 10423* C Anlage 9 Reduzierung der Grenzwerte für Phosphate und Silikate in der Trinkwasseraufbereitungsverordnung MdlAnfr 55 17.05.85 Drs 10/3359 Grünbeck FDP SchrAntw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG 10423* D Anlage 10 Untertunnelung der Stadt Gernsbach im Zuge der B 462 MdlAnfr 60, 61 17.05.85 Drs 10/3359 Frau Dr. Lepsius SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . 10424*A Anlage 11 Auswahlverfahren für die Vergabe von Aufträgen zur technischen Ausrüstung der Bundespost MdlAnfr 63; 64 17.05.85 Drs 10/3359 Michels CDU/CSU SchrAntw StSekr Dr. Florian BMP . . 10424* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 VII Anlage 12 Anbindung Ostbayerns an das ISDN unter besonderer Berücksichtigung des Zonenrandgebiets MdlAnfr 66 17.05.85 Drs 10/3359 Stiegler SPD SchrAntw StSekr Dr. Florian BMP . . 10424* C Anlage 13 Unterstützung der von Währungsdisparitäten betroffenen Mitarbeiter deutscher Vertretungen im Ausland MdlAnfr 84, 85 17.05.85 Drs 10/3359 Würtz SPD SchrAntw StMin Möllemann AA . . . 10424*D Anlage 14 Weigerung Großbritanniens, Akten über den ehemaligen KZ-Arzt Josef Mengele herauszugeben MdlAnfr 88, 89 17.05.85 Drs 10/3359 Frau Zutt SPD SchrAntw StMin Möllemann AA . . . 10425* C Anlage 15 Erörterung der Fälle in Polen zurückgehaltener Familienmitglieder deutscher Aussiedler auf der KSZE-Menschenrechtskonferenz MdlAnfr 92 17.05.85 Drs 10/3359 Dr. Hupka CDU/CSU SchrAntw StMin Möllemann AA . . . 10425* D Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 10315 140. Sitzung Bonn, den 23. Mai 1985 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 24. 5. Antretter* 24. 5. Dr. Barzel 24. 5. Böhm (Melsungen) * 24. 5. Brandt 23. 5. Büchner (Speyer) * 24. 5. Buschfort 24. 5. Egert 23. 5. Dr. Enders* 24. 5. Frau Fischer* 24. 5. Franke (Hannover) 24. 5. Gansel* 24. 5. Gerstl (Passau)* 23. 5. Haase (Fürth) * 24. 5. Dr. Hackel* 24. 5. Frau Dr. Hamm-Brücher 24. 5. von Hammerstein 24. 5. Hauck 24. 5. Dr. Holtz * 24. 5. Immer (Altenkirchen) 24. 5. Frau Kelly* 24. 5. Kittelmann* 24. 5. Dr. Köhler (Wolfsburg) 24. 5. Dr. Kreile 24. 5. Lemmrich* 24. 5. Frau Matthäus-Maier 24. 5. Dr. Müller* 24. 5. Nelle 24. 5. Neumann (Bramsche) * 24. 5. Dr. Pohlmeier 23. 5. Polkehn 24. 5. Rawe 24. 5. Reddemann* 24. 5. Dr. Rumpf* 24. 5. Dr. Scheer* 23. 5. Schluckebier 24. 5. Schmidt (Hamburg) 24. 5. Schmidt (München) * 24. 5. Schmitz (Baesweiler) * 24. 5. Dr. Schmude 24. 5. Schröder (Hannover) 24. 5. Schulte (Unna) * 24. 5. Schwarz a 24. 5. Sielaff 24. 5. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim* 24. 5. Dr. Unland* 24. 5. Verheugen 24. 5. Vogt (Kaiserslautern) 24. 5. Voigt (Sonthofen) 24. 5. Vosen 23. 5. Dr. Weng (Gerlingen) 24. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 10/3359 Frage 22): Wird die Bundesregierung durch ihre Vertreter in den Selbstverwaltungsorganen der Bundesanstalt für Arbeit dafür eintreten, einen Nachtragshaushalt zur Aufstockung der Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu beschließen, und wie steht der Bundesminister der Finanzen zu solchen Initiativen? Die Frage eines Nachtragshaushalts zur Aufstokkung der Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist derzeit nicht aktuell. Erst Mitte Mai sind rund 200 Millionen DM übertragene Restmittel aus früheren Haushaltsjahren auf die Landesarbeitsamtsbezirke verteilt worden. Damit stehen nunmehr insgesamt fast 2,5 Mrd. DM zur Verfügung, die in diesem Jahr für die Förderung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgegeben werden können. Das ist das höchste Förderungsvolumen, das wir je hatten. Die Zielgröße von 80 000 ABM-Beschäftigten im Jahresdurchschnitt ist damit gewährleistet. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Frage des Abgeordneten Amling (SPD) (Drucksache 10/3359 Frage 24): Kann die Bundesregierung begründen, warum sie trotz der von ihr hervorgehobenen Bedeutung, die der beruflichen Fortbildung für die Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer zukommt, und trotz der mit dem Schlußkommuniqué zum Weltwirtschaftsgipfel von ihr abgegebenen Erklärung, diese Anpassungsfähigkeit fördern zu wollen, nicht bereit ist, endlich die vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit bereits Ende letzten Jahres gegebenen Anregung aufzugreifen und das AFG dahin gehend zu ändern, daß zukünftig einmal grundsätzlich alle Arbeitslosengeld- bzw. Hilfeempfänger für die Zeit ihrer Teilnahme an einer notwendigen beruflichen Bildungsmaßnahme einen Unterhaltsgeldanspruch haben und zum anderen Unterhaltsgelddarlehen nicht als Kann-, sondern als Pflichtleistung zu gewähren ist? Der Deutsche Bundestag hat mit Beschluß vom 9. Dezember 1983 die Bundesregierung aufgefordert, im Frühjahr 1985 über die Auswirkungen zu berichten, die sich aus den Einschränkungen, insbesondere in § 44 Arbeitsförderungsgesetz vom Dezember 1981 und das Haushaltsbegleitgesetz 1984 ergeben haben. Die Bundesregierung wird den Bericht dem Deutschen Bundestag in Kürze zuleiten. In diesem Bericht wird die Bundesregierung auch die Auswirkungen der von Ihnen angesprochenen Gesetzesänderungen eingehend darlegen. Ob und in welchem Umfange danach Änderungen des Förderungsrechts geboten erscheinen und vertretbar sind, wird in der Diskussion über den Bericht der Bundesregierung zu erörtern sein. 10422* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen der Abgeordneten Frau Fuchs (Verl) (SPD) (Drucksache 10/3359 Fragen 45 und 46): Welche militärischen Notwendigkeiten waren es im einzelnen, die die Bundeswehr veranlaßten, ausgerechnet am 8. Mai 1985 auf dem Truppenübungsplatz Bergen Manöver durchzuführen, die es erforderlich machten, die Zufahrt zum sowjetischen Kriegsgräberfriedhof in Oerbke zu sperren und eine Delegation des DGB-Kreises Soltau/Fallingbostel, die dort einen Kranz niederlegen wollte, durch militärisches Sperrgebiet zu eskortieren? Wie vereinbart es die Bundesregierung mit dem würdigen Ablauf einer Mahnfeier und Kranzniederlegung, wenn diese dem DGB-Kreis Soltau/Fallingbostel zunächst verboten und nach endlicher Genehmigung in mehrfacher Weise behindert wurde? 1. Am 8. Mai 1985 führten alliierte und deutsche Truppenteile auf dem NATO-Truppenübungsplatz Bergen Schieß- und Übungsvorhaben durch. Wie üblich war der Übungsraum etwa 8 Wochen zuvor für eine Überprüfung der Einsatzbereitschaft (Tactical Evaluation) eines Flugabwehr-Raketen-Bataillons (FlaRakBtl) der deutschen Luftwaffe vergeben worden. Zwischen dem DGB-Kreisverband Soltau-Fallingbostel und der Kommandantur wurde daher am 6. Mai vereinbart, daß eine Kranzniederlegung durch eine Delegation des DGB-Kreisverbandes am Nachmittag des 8. Mai erfolgen solle. Die Delegation wurde durch einen Offizier der Kommandantur durch das Übungsgebiet zum Friedhof und wieder zurück begleitet. Ein Hinweis der Kommandantur auf die Möglichkeit, eine Gedenkfeier auf einem der drei anderen sowjetischen Soldatenfriedhöfe im Bereich des Truppenübungsplatzes durchzuführen, die frei zugänglich sind, wurde vom DGB-Kreisverband nicht aufgegriffen. 2. Die Kranzniederlegung auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof hat ungestört und würdig stattgefunden. Das FlaRakBtl hat wegen der Feier seine Übung unterbrochen. Allerdings haben sich andere Teilnehmer der DGB-Veranstaltung eigenmächtig und abseits des eigentlichen Weges auf den Friedhof begeben. Bei ihrem Abmarsch sind diese durch das übende FlaRakBtl gelaufen. Diese Personen haben damit eine Ordnungswidrigkeit begangen. Die Kommandantur hat jedoch auf eine Verfolgung der Angelegenheit verzichtet. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Frau Karwatzki auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Lammert (CDU/CSU) (Drucksache 10/3359 Fragen 49 und 50): Hält die Bundesregierung die gegenwärtigen fachlichen, rechtlichen und politischen Regelungen des Instituts für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) in Mainz für korrekturbedürftig, und hat sie bereits entsprechende Initiativen ergriffen? Wie beurteilt die Bundesregierung die spektakulären Ergebnisse der ärztlichen Vorprüfung (Physikum) an den deutschen Hochschulen im Frühjahr 1985, und strebt sie nachträgliche Korrekturen an, wie sie 1981 schon einmal stattgefunden haben? Zu Frage 49: § 14 Abs. 3 der Approbationsordnung für Ärzte schreibt inhaltlich und terminlich bundeseinheitlich durchzuführende schriftliche Prüfungen nach dem Antwort-Wahl-Verfahren vor. Bei der Festlegung der Prüfungsfragen und der als zutreffend anzuerkennenden Antworten sollen sich die Landesprüfungsämter nach Maßgabe einer Vereinbarung der Länder einer Einrichtung bedienen, die diese Aufgaben wahrnimmt. Dementsprechend haben die Länder auf der Grundlage eines Staatsvertrages das Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen in Mainz errichtet. Der Staatsvertrag und die auf seiner Grundlage erlassenen Richtlinien regeln die Arbeit dieses Instituts im einzelnen. Die wesentliche Grundlage für die Gestaltung der Prüfungsfragen enthält § 14 Abs. 2 der Approbationsordnung für Ärzte, wonach die Prüfungsfragen auf die für den Arzt allgemein erforderlichen Kenntnisse abgestellt sein und zuverlässige Prüfungsergebnisse ermöglichen müssen. Die Bundesregierung hat derzeit nicht die Absicht, die genannten Regelungen der Approbationsordnung für Ärzte zu ändern. Sie prüft jedoch insgesamt die Möglichkeiten für eine Verbesserung des Prüfungswesens der ärztlichen Ausbildung, weil sie ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen schriftlichen und mündlichen Prüfungen anstrebt. Die Zuständigkeit für den Staatsvertrag und die hierauf basierenden Richtlinien für die Arbeit des Instituts für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen liegt ausschließlich bei den Ländern. Aus der Sicht der Bundesregierung sind diese Regelungen nicht zu beanstanden. Zu Frage 50: Bei der Ärztlichen Vorprüfung im März dieses Jahres betrug die durchschnittliche Mißerfolgsquote ca. 42 %. Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder, die die Prüfungen nach der Approbationsordnung für Ärzte als eigene Angelegenheit durchführen, hat am 30. März 1985 übereinstimmend festgestellt, daß diese Prüfung inhaltlich und formal ordnungsgemäß durchgeführt worden ist und damit rechtmäßig war. Gegenteilige Behauptungen sind unbegründet. Das zeigt sich auch daran, daß die Mißerfolgsquote an einigen Hochschulen mit 25% bis 30 % in einer Größenordnung wie bei den voraufgegangenen Prüfungen war. Das Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen hat auch das ihm vorgeschriebene Verfahren eingehalten. Die Prüfungsaufgaben sind von einer unabhängigen Kontrollkommission aus sachverständigen Hochschullehrern überprüft worden. Die Gesundheitsministerkonferenz hat unter den gegebenen Umständen weder Anlaß noch Möglich- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 10423* keit gesehen, das Prüfungsergebnis nachträglich zu korrigieren. Die Bundesregierung beurteilt dies ebenso. Sie spricht sich gegen besondere Maßnahmen zur Korrektur des Prüfungsergebnisses aus und ist auch nicht bereit, die Regelung für das Bestehen der schriftlichen Prüfungen in der Approbationsordnung für Ärzte rückwirkend zu ändern, wie es von einigen Ländern vorgeschlagen wird. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Frau Karwatzki auf die Frage des Abgeordneten Dr. Weng (Gerlingen) (FDP) (Drucksache 10/3359 Frage 51): Trifft es zu, daß sich der ehemalige Präsident des Bundesgesundheitsamtes, Prof. Fülgraff, wieder für dieses Amt beworben hat? Eine Bewerbung des ehemaligen Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes, Professor Dr. Fülgraff, liegt nicht vor. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Frau Karwatzki auf die Fragen der Abgeordneten Frau Seiler-Albring (FDP) (Drucksache 10/3359 Fragen 52 und 53): Trifft es zu, daß der Kandidat für das Präsidentenamt des Bundesgesundheitsamtes als Veterinärmediziner Beraterverträge mit der Deutschen Lufthansa und Berliner Fleischwarenfabriken hat? Trifft es zu, daß der Leiter der Personalabteilung im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit die Institutsleiter des Bundesgesundheitsamtes nach ihren Nebeneinkünften befragt hat und sich entsprechende Erklärungen unterschreiben ließ? Zu Frage 52: Es trifft nicht zu, daß der kommissarische Leiter des Bundesgesundheitsamtes Beraterverträge mit der Deutschen Lufthansa hat. Als Leiter des Instituts für Veterinärmedizin des Bundesgesundheitsamtes war Prof. Großklaus in früheren Jahren Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates für die Bordverpflegung der Lufthansa-Service GmbH. Der Beirat wurde schon vor Jahren aufgelöst. Die unentgeltliche Mitwirkung im Wissenschaftlichen Beirat der Lufthansa lag im dienstlichen Interesse. Prof. Großklaus hat eine im Jahre 1962 als Nebentätigkeit genehmigte betriebsberatende Tätigkeit auf dem Gebiet der tierärztlichen Lebensmittelhygiene für zwei Lebensmittelfilialbetriebe ausgeübt. Diese Tätigkeit, die ohne jede Beeinträchtigung der dienstlichen Belange ausgeübt worden ist, war von den damaligen Dienstvorgesetzten wegen ihres Nutzens für die dienstlichen Aufgaben im Bereich der Lebensmittelhygiene ausdrücklich begrüßt worden. Prof. Großklaus hat diese Tätigkeit vom Tage der kommissarischen Amtsleitung an beendet. Zu Frage 53: Ich beantworte Ihre Frage mit j a. Auf Grund des Nebentätigkeitsbegrenzungsgesetzes, das am 1. März 1985 in Kraft getreten ist, werden zur Zeit auch im Bundesgesundheitsamt alle Nebentätigkeiten überprüft. In diesem Zusammenhang hat der Leiter der Personalabteilung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit am 26. April 1985 mit den Institutsleitern gesprochen. Der Bezug zum Nebentätigkeitsbegrenzungsgesetz ist dabei ausdrücklich hergestellt worden. Die Angaben der Institutsleiter wurden schriftlich festgehalten und von den Institutsleitern und dem Leiter der Personalabteilung des Ministeriums unterschrieben. Alle Institutsleiter haben dieses Verfahren befürwortet. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Frau Karwatzki auf die Frage des Abgeordneten Reimann (SPD) (Drucksache 10/3359 Frage 54): Kann die Bundesregierung Beispiele nennen, wie sich das geplante Bundeskindergeldgesetz — pro Jahr — auf Familien mit höherem, mittlerem und niedrigem Einkommen unter Berücksichtigung von abzugsfähigen Kinderfreibeträgen auswirken wird? Beispiele der von Ihnen genannten Art sind — allerdings auf Monatsbasis — auf Seite 26 der Nr. 3 des Bulletins des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 5. Januar 1985 aufgeführt. Ich darf hierauf verweisen, kann Ihnen aber auch die Jahresbeträge zuleiten oder — wenn Sie das möchten — hier nennen. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Frau Karwatzki auf die Frage des Abgeordneten Grünbeck (FDP) (Drucksache 10/3359 Frage 55): Beabsichtigt die Bundesregierung, in der Trinkwasseraufbereitungs-Verordnung die Grenzwerte für Phosphate und Silikate als Zusatzstoffe wesentlich zu reduzieren, und welchen Anlaß hierzu sieht sie? Bei der Festlegung von Grenzwerten für zugesetzte Phosphate und Silikate in Trinkwasser werden bei der Neufassung der Trinkwasseraufbereitungs-Verordnung die Ergebnisse berücksichtigt werden, die in einer Anhörung zum Verordnungsentwurf in der vergangenen Woche erzielt worden sind. In dieser Anhörung ist dargelegt worden, daß die technologischen Erfordernisse nur dann ausreichend berücksichtigt sind, wenn für die Zugabe von Phosphaten der jetzt geltende Grenzwert beibehalten wird. Dagegen könne der Grenzwert für zugesetzte Silikate um die Hälfte herabgesetzt werden, 10424* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 sofern die natürlichen Silikatgehalte des aufzubereitenden Trinkwassers unberücksichtigt bleiben. Die Zulassung von Zusatzstoffen ist nach § 12 des Lebensmittel- und Bedarfgegenständegesetzes, auf die die genannten Bestimmungen der Trinkwasseraufbereitungs-Verordnung gestützt sind, nur möglich, soweit dies unter Berücksichtigung technologischer Erfordernisse mit dem Schutz des Verbrauchers vereinbar ist. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen der Abgeordneten Frau Dr. Lepsius (SPD) (Drucksache 10/3359 Fragen 60 und 61): Hat das Gutachten der Universität Aachen die Untertunnelung der Stadt Gernsbach auf der B 462 als vordringlichen Bedarf ausgewiesen, nachdem die Kosten-Nutzen-Analyse der Wertskala (1 bis 6) den hohen Faktor 5.31 enthält, wenn nicht, mit welcher Begründung? Wird die Bundesregierung entsprechend der im Gutachten der Universität Aachen enthaltenen Kosten-Nutzen-Analyse der geplanten Ausbaumaßnahmen der B 462 bei Gaggenau mit einem Faktor von 2.7 im Verhältnis zu Gernsbach mit 5.31 die Untertunnelung von Gernsbach als vordringlichen Bedarf einstufen und erste Priorität vor allen anderen Ausbaumaßnahmen der B 462 einräumen? Zu Frage 60: Das Projekt: B 462 Verlegung in Gernsbach erreichte bei der gesamtwirtschaftlichen Bewertung ein Nutzen/Kosten-Verhältnis von 5,31; es wurde vom Gutachter dennoch nicht für die Einstufung „Vordringlichen Bedarf" vorgeschlagen. Dies beruhte auf einem EDV-technischen Irrtum. Der Irrtum wird korrigiert. Zu Frage 61: Der Bundesminister für Verkehr wird wegen des günstigen Bewertungsergebnisses bei den bevorstehenden Abstimmungsgesprächen von einer Priorität der Verlegung der B 462 in Gernsbach ausgehen. Welche Projekte letztlich zur Aufnahme in den „Vordringlichen Bedarf" als höchste Priorität vorgeschlagen werden, hängt von dem Ergebnis der Abstimmungsgespräche mit dem Land Baden-Württemberg ab. Anlage 11 Antwort des Staatssekretärs Dr. Florian auf die Fragen des Abgeordneten Michels (CDU/CSU) (Drucksache 10/3359 Fragen 63 und 64): Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Deutsche Bundespost bei ihrer technischen Ausrüstung mit Informations- und Kommunikationssystemen hauptsächlich von der Firma Siemens beliefert wird? Nach welchen Kriterien wird das Auswahlverfahren zwischen verschiedenen Firmen bei der Vergabe von Aufträgen zur technischen Ausrüstung der Deutschen Bundespost durchgeführt? Die Bundesregierung kann ganz entschieden nicht bestätigen, daß die Deutsche Bundespost bei ihrer technischen Ausrüstung mit Informations- und Kommunikationssystemen hauptsächlich von der Firma Siemens beliefert wird. Das Auswahlverfahren zwischen verschiedenen Firmen bei der Vergabe von Aufträgen zur technischen Ausrüstung der Deutschen Bundespost wird nach den Kriterien Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit durchgeführt. Sie sind durch die Verdingungsordnung für Leistungen — ausgenommen Bauleistungen (VOL) — für alle öffentlichen Auftraggeber, also auch für die Deutsche Bundespost, verbindlich vorgegeben. Anlage 12 Antwort des Staatssekretärs Dr. Florian auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 10/3359 Frage 66): Nach welchem Zeitplan plant die Deutsche Bundespost die Anbindung Ostbayerns (Oberpostdirektion Regensburg) an das geplante integrierte schmalbandige digitalisierte Netz (ISDN), und in welcher Weise wird dabei das Zonenrandgebiet dem Gesetz entsprechend bevorzugt berücksichtigt werden? Einer gesonderten Anbindung bestimmter Regionen an das ISDN bedarf es nicht. Vielmehr entwikkelt sich das ISDN aus dem heute bestehenden Fernsprechnetz, durch welches auch Ostbayern erschlossen ist. Eine der Voraussetzungen für ISDN ist neben digitaler Übertragungstechnik die Digitalisierung der Vermittlungsstellen. Entsprechend einer bundesweit abgestimmten Entwicklungsplanung ist im OPD-Bezirk Regensburg der Einsatz digitaler Vermittlungstechnik in folgenden Städten von 19861990 vorgesehen: Regensburg, Deggendorf, Weiden, Landshut und Passau. Für die einzelnen Teilnehmer — im Zonenrandgebiet ebenso wie im übrigen Bundesgebiet — werden ISDN-Anschlüsse durch geeignete technische Maßnahmen auch an solchen Orten eingerichtet werden, an denen aus netztechnischen oder wirtschaftlichen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt ISDN-Vermittlungsstellen errichtet werden können. Anlage 13 Antwort des Staatsministers Möllemann auf die Fragen des Abgeordneten Würtz (SPD) (Drucksache 10/3359 Fragen 84 und 85): Welche Maßnahmen wird der Bundesminister des Auswärtigen noch in diesem Jahr durchführen bzw. einleiten, um die durch Währungsdisparitäten entstandenen sozialen Probleme der Mitarbeiter in den deutschen Vertretungen im Ausland kurzfristig zu beheben? Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 10425* Sieht der Bundesminister des Auswärtigen einen besonderen Handlungsbedarf gerade für die unteren Einkommensgruppen? Zu Frage 84: Es wurden folgende Maßnahmen ergriffen: 1. Die Angehörigen des mittleren und einfachen Dienstes in den USA und Kanada erhalten seit dem 1. November 1984 einen Sonderzuschlag zum Auslandszuschlag in Höhe von DM 150,—bis DM 300,— zusätzlich Kaufkraftausgleich, der für New York im Augenblick bei 70 Prozent liegt. 2. Durch eine beschleunigte Festsetzung des Kaufkraftausgleichs ist seit Ende 1984 sichergestellt, daß bei rapidem Dollar-Anstieg der finanzielle Ausgleich über den Kaufkraftausgleich schneller an die Bediensteten ausgezahlt werden kann. 3. Schließlich enthalten die neuen Schul- und Kinderreisebeihilfen sozialpolitische Elemente. So entfällt rückwirkend ab 1. Januar 1985 die Höchstgrenze beim Schulgeld (bisher DM 600,—pro Monat) für alle Bediensteten. Daneben erhöht sich der Bemessungssatz für den einfachen und mittleren Dienst von 80 % auf 90 %, wenn der Bedienstete Schulbeihilfe für mehr als ein Kind erhält. Bisher lag der Bemessungssatz bei 80 % für alle Besoldungsgruppen. Auch bei Internats- oder Privatunterbringung im Inland erhöhen sich die Bemessungssätze von 50 % auf 70 % für die Besoldungsgruppen A 1 bis A 8. Darüber hinaus ist nach derzeitigem Stand der Ressortgespräche über das 4. Besoldungsänderungsgesetz, das am 1. Januar 1986 in Kraft treten soll, vorgesehen, beim Kaufkraftausgleich eine günstigere Bemessungsgrundlage einzuführen. Ferner soll bei den Besoldungsgruppen A 1 bis A 8 eine Mieteigenbelastung von 21 % der Inlandsbezüge genügen, um den erhöhten Mietsonderzuschuß von 97 % zu erhalten. Diese Neuregelung ist ebenfalls weltweit vorgesehen, so daß an Dienstorten mit hoher Mieteigenbelastung die unteren Besoldungsgruppen eine zusätzliche Erleichterung erfahren. Zu Frage 85: Meine Antwort zur 1. Frage zeigt, daß gerade für die unteren Einkommensgruppen nicht unerhebliche Verbesserungen entweder bereits eingeführt wurden oder beabsichtigt sind. Anlage 14 Antwort des Staatsministers Möllemann auf die Fragen des Abgeordneten Zutt (SPD) (Drucksache 10/3359 Fragen 88 und 89): Ist der Bundesregierung eine Meldung der AP aus London vom 8. Mai 1985 bekannt (abgedruckt in der „Süddeutschen Zeitung" vom 9. Mai 1985), wonach die britische Premierministerin Margaret Thatcher die Herausgabe britischer Geheimakten über den ehemaligen KZ-Arzt Josef Mengele verweigert, und wie steht sie zu dieser Meldung? Welche Wege sieht die Bundesregierung, im Rahmen ihrer Möglichkeiten und angesichts des begründeten Interesses der Bundesrepublik Deutschland an der Ergreifung Mengeles auf die britische Premierministerin einzuwirken, daß sie ihre Position möglicherweise revidiert? Zu Frage 88: Der Bundesregierung ist die Meldung der AP aus London vom 8. Mai 1985 bekannt. Sie bezieht sich auf eine mündliche Anfrage des Labour-Abgeordneten Reginald Freeson an Premierministerin Thatcher in der Fragestunde des Unterhauses vom 7. Mai 1985. Wie die Bundesregierung von britischer Seite weiß, verwahrt das Verteidigungsministerium (Ministry of Defence) Unterlagen über Auschwitz, in denen auch der Name Mengele erscheint. Die britische Regierung hat von einer Veröffentlichung dieses Materials nach der üblichen 30-Jahresfrist abgesehen, weil es sensitive Einzelheiten enthalten soll, die bei den Überlebenden oder Angehörigen der Opfer qualvolle Erinnerungen wecken könne. Die Bundesregierung respektiert diese Entscheidung. Zu Frage 89: Die britische Regierung hat einem offiziellen Vertreter des amerikanischen Justizministeriums Gelegenheit gegeben, das Material über Mengele zu sichten. Die Bundesregierung bezweifelt deshalb nicht, daß auch einem deutschen Rechtshilfeersuchen entsprochen werden würde. Es bleibt Aufgabe der Justizbehörden zu entscheiden, ob ein solches für erforderlich gehalten wird. Dabei ist die Frage einer möglichen britischen Unterstützung der deutschen Ermittlungen gegen Mengele, bei der auch die zum Schutze Dritter erforderliche Vertraulichkeit gewahrt werden kann, selbstverständlich von der Frage nach einer möglichen Veröffentlichung von britischen Unterlagen zu unterscheiden. Anlage 15 Antwort des Staatsministers Möllemann auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hupka (CDU/CSU) (Drucksache 10/3359 Frage 92): 10426* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985 Wird die Bundesregierung in die Menschenrechtskonferenz in Ottawa auch die Verweigerung von Interventionsnotizen für die von den Behörden der Volksrepublik Polen gewaltsam zurückgehaltenen Familienmitglieder der deutschen Aussiedler einbringen? Es ist vorgesehen, die polnische Seite während des KSZE-Expertentreffens über Menschenrechte in Ottawa auf die sogenannten „Illegalen"-Fälle (1981-1984: 63 824; Januar—April 1985: 4 956), in denen einzelne Mitglieder von Familien genehmigte Besuchs- oder Touristenreisen für die (oft jahrelang nicht genehmigte) Aussiedlung nutzten, anzusprechen. Dabei soll unter Hinweis auf die Zurückweisung diplomatischer Interventionen im Einzelfall allgemein um größeres Wohlwollen bei der Bearbeitung von Ausreiseanträgen ersucht werden, für Ehegatten und minderjährige Kinder insbesondere um eine Herabsetzung der derzeitigen „Wartezeit" von rund drei Jahren.
Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014000000
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 2 der Tagesordnung um die Sammelübersichten 78 und 79 des Petitionsausschusses — Drucksachen 10/3362 und 10/3363 — ergänzt werden.
Darüber hinaus ist vereinbart worden, die Punkte 8 a und 8 b der Tagesordnung — Reform des Auswärtigen Dienstes — abzusetzen. Tagesordnungspunkt 8 c soll in entsprechender Anwendung des § 96 der Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß zur Beratung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 2 a und 2 b sowie die Zusatz= punkte 4 und 5 der Tagesordnung auf:
2. a) Beratung des Berichts des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahre 1984
— Drucksache 10/2979 —
b) Beratung der Sammelübersicht 73 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/3100 —4. Beratung der Sammelübersicht 78 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/3362 —5. Beratung der Sammelübersicht 79 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/3363 —
Hierzu liegt auf der Drucksache 10/3376 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Meine Damen und Herren, es sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b sowie der Zusatzpunkte 4 und 5 und eine Aussprache von zwei Stunden vereinbart worden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Berger.

Lieselotte Berger (CDU):
Rede ID: ID1014000100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Behandlung von Petitionen ist eine eigenständige Aufgabe des Parlaments neben den vielen anderen bekannten Funktionen, etwa der Legislativ- und der Kontrollfunktion. Entgegen landläufiger Meinung ist die Petitionsbehandlung nicht primär der Kontrollfunktion zuzuordnen. Dies hat das vom Petitionsausschuß eingeholte Rechtsgutachten von Professor Graf Vitzthum, Tübingen, in einer gründlichen Untersuchung nachgewiesen. Nicht das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung steht hier im Vordergrund, sondern das Verhältnis zwischen Parlament und Bürger.
In einer Zeit, in der manches im Verhältnis zwischen Staat und Bürger und im Verhältnis zwischen Wähler und Gewählten im argen zu liegen scheint, bietet sich dem Petitionsausschuß eine besondere Aufgabe und Chance. Er hat eine Brückenfunktion zwischen Bürger und Staat.
Politisch aktive Gruppen haben längst erkannt, daß das Petitionsrecht einen grundrechtlich gesicherten Seiteneingang für diesen Dialog mit dem Parlament darstellt,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

der bis zur quasi-plebiszitären Massenpetition reichen kann; aber auch seine Grenzen sollten erkannt werden.
In der Diskussion um unsere Verfahrensfragen und um den Umfang unseres Petitionsbehandlungsrechtes gibt es einige Fortschritte. Einmal ist das erwähnte Rechtsgutachten „Petitionsrecht und Volksvertretung" inzwischen in Buchform veröffentlicht und allen Abgeordneten und angesprochenen Stellen zugeleitet. Ferner liegt hierzu eine Stellungnahme des Bundesministers des Innern vor. Der Bundesminister des Innern pflichtet im Ergebnis der Argumentation in den Schlußfolgerungen des Gutachtens bei. Insbesondere wird in der Stel-



Frau Berger (Berlin)

lungnahme ausgeführt, daß der Verfasser zutreffend die Dimensionen des Petitionsrechts herausgearbeitet und die Verpflichtung des Gesetzgebers betont hat, organisations- und verfassungsrechtliche Vorkehrungen zu treffen, um eine umfassende Ausübung des Petitionsrechts zu ermöglichen. Es schmälert das Gewicht der Aussage des BMI nicht wesentlich, wenn er die Stellungnahme wegen der Neuartigkeit der Fragestellung als vorläufig bezeichnet.
Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ist ebenfalls mit den einschlägigen Fragen befaßt. Er gibt den außerhalb des Parlaments angesprochenen Stellen zur Zeit Gelegenheit zu einer Äußerung und setzt den Komplex voraussichtlich noch vor der Sommerpause auf die Tagesordnung.
Meine Damen und Herren, ich sehe es im allgemeinen nicht als meine Aufgabe an, in einer Debatte wie der heutigen auch Einzelfälle herauszugreifen. Wenn ich es heute dennoch tue, so deshalb, um dabei grundsätzliche Fragen deutlich zu machen, die für die zukünftige Arbeit bedeutsam sein können. Vor allem geht es mir um die Art und Weise der Behandlung von Petitionen durch die Bundesregierung und ihre Behörden, im Guten wie im weniger Guten.
Erstens. Ich erwähne hier zunächst eine Schadenersatzangelegenheit, die unter dem Stichwort „Tulpenzwiebelfall" in die Geschichte des Petitionswesens eingegangen ist. Es ging um einen Überschwemmungsschaden an Tulpenzwiebelkulturen zweier Gartenbauer, einen Schaden, der 1969 durch unsachgemäße Errichtung und Wartung einer NATO-Straße entstanden war.
Nach elf Jahren dauernden Rechtsstreitigkeiten war noch nicht einmal klar, welche Körperschaft und zu welchem Teil

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Heiliger Bürokratius!)

sie haftet, ob der Bund, das Land oder die zur Wartung der Straße verpflichtete Gemeinde. Die Staatssekretäre dreier Bundesministerien hatten erfolglos darüber zu Rate gesessen, und die Petenten waren mittlerweile über 70 Jahre alt. Prozeß- und Zinskosten waren bereits höher als der Hauptschaden geworden. Bundesverteidigungsminister Dr. Wörner hat nach Anhörung im Petitionsausschuß entschieden, daß der Bund einen angemessenen Anteil des Schadens übernimmt.
Dieser Fall lehrt viererlei:
a) Er demonstriert, wie es um den lückenlosen Rechtsschutz in der Bundesrepublik bisweilen bestellt sein kann, daß nämlich die Prozeßdauer in bedenkliche Nähe zur Rechtsverweigerung rückt.
b) Ferner wird offenbar, daß es in der Bürokratie Rechtsabteilungen gibt, die auf Abwehr von Ansprüchen mit allen Mitteln eingestellt sind, selbst um den Preis materieller Gerechtigkeit.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Da muß erst der Minister kommen!)

c) Schließlich wird deutlich, wie notwendig außergerichtliche Beschwerdeinstanzen, in diesem Fall der Petitionsausschuß, sein können. Denn ohne Eingreifen des Petitionsausschusses und Zitierung des verantwortlichen Bundesministers wäre ein Ende dieses Falles nicht abzusehen gewesen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

d) Vor allem aber wird durch das Happy-End klar, wie politische Führung beschaffen sein muß. Der Held dieses Falles ist ohne Zweifel der Bundesverteidigungsminister persönlich.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Er hat in einer völlig verfahrenen Angelegenheit Verantwortung übernommen und zwei Bürgern, die über ihre Auseinandersetzung mit dem Staat alt geworden waren, zu ihrem Recht verholfen, teilweise sogar entgegen einem rechtskräftigen Urteil. Ich stehe also nicht an, dem Bundesverteidigungsminister Dr. Wörner von dieser Stelle aus für seine couragierte Entscheidung nochmals zu danken.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Zweitens. Einen viel mühsameren Verlauf nahm ein anderes Petitionsverfahren. Es ging dabei u. a. um den Bau einer Straßenüberführung, die von allen Seiten als gigantoman empfunden und heftig kritisiert wurde. Dem Wunsch des Petitionsausschusses, die Planung insoweit zu überprüfen, wurde nicht entsprochen, weil dies weitere Verzögerungen bedeutet hätte. Soweit einige Änderungen in diesem Falle durchgesetzt werden konnten, war zunächst ein erheblicher Widerstand der Planungsbehörden zu überwinden. Erst gegen Ende des Verfahrens hat sich die Verständigungsbereitschaft verbessert.
Auch aus diesem Falle lassen sich generelle Erkenntnisse ableiten, die um so wichtiger und notwendiger sind, als den Petitionsausschuß in zunehmendem Maße Petitionen zur Verkehrsplanung erreichen.
Was heute an Straßenbauplanung ausgeführt wird, ist größtenteils das Ergebnis einer Planung von vor acht bis zehn Jahren.

(Bohl [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Wir wissen alle, wie ungenügend die Umweltbelange noch in der Mitte der 70er Jahre berücksichtigt wurden. Muß dies denn bedeuten, daß der Bremsweg für eine auf maximale Verkehrserschließung gerichtete Straßenbauplanung zehn Jahre dauert? Könnte dies dazu führen, daß die übrigens lobenswerte Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung vom Februar dieses Jahres erst in zehn Jahren ihre Wirkung entfalten kann? Wann kommt die flächensparende Planung, die Reduzierung der Verkehrsflächen, und wann werden beim Ausbau des Bundesfernstraßennetzes strengere Maßstäbe des Umwelt- und Naturschutzes angelegt? Die politische Antwort kann nur lauten: Sofort, hier und jetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)




Frau Berger (Berlin)

Daher ist der Deutsche Bundestag schon bei der Fortschreibung des Bedarfplans für den Bau der Bundesfernstraßen noch in diesem Jahr aufgerufen, diese Planung an das veränderte Umweltbewußtsein anzupassen. Die Bundesregierung sollte die Maßstäbe ihrer eigenen Bodenschutzkonzeption bereits von sich aus in die Planungsfortschreibung einbeziehen. Schließlich ist die politische Leitung des Verkehrsministeriums zu bitten, die bereits im Planfeststellungsverfahren befindlichen Projekte, ja sogar die bereits rechtskräftigen Projekte zu überprüfen, soweit dies noch möglich ist.
Nach unserem Eindruck werden geplante Vorhaben soweit wie möglich erst einmal „durchgezogen". Dies kann man menschlich sogar nachfühlen, denn schließlich sehen die Planer ihr Lebenswerk in der Verwirklichung von Straßenbau

(Mann [GRÜNE]: Genau!)

und nicht in dessen Verhinderung. Jede Regierung steht vor dem Problem, daß sich die Planungsbürokratie gerne verselbständigt.

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Ja!)

Hier ist eine bis in die untere Behörde spürbare politische Steuerung erforderlich.
Drittens. Im Berichtsjahr hatten wir erstmals den Präsidenten des Bundesrechnungshofes in seiner Eigenschaft als Vorsitzenden des Bundespersonalausschusses

(Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

in den Ausschuß gebeten. Auch diese Erfahrung gibt mir Anlaß zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen.
Die Vorstellung, daß sich irgend jemand kritisch mit der Spruchpraxis des Bundespersonalausschusses befaßt, ist diesem Gremium sicherlich ungewohnt.

(von der Wiesche [SPD]: Ganz neu!)

Das ist ein ganz mildes Understatement.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Aber nachdem das Rechtsgutachten des Tübinger Professors Graf Vitzthum das Petitionsbehandlungs- und -überweisungsrecht des Parlaments auch unmittelbar gegenüber Entscheidungen des Bundespersonalausschusses bejaht, ist mit Hilfe von Petitionen wenigstens punktuell eine parlamentarische Kontrolle dieses Gremiums nicht ausgeschlossen. Sie ist möglich.
Die Anwesenheit des Vorsitzenden des Bundespersonalausschusses im Petitionsausschuß galt der Petition eines Beamten, bei dem es um eine Ausnahme vom Verbot der Beförderung innerhalb von zwei Jahren vor der Altersgrenze ging. Hier hatte sich das zuständige Verteidigungsministerium mit der Höherbewertung des bestehenden Dienstpostens so viel Zeit gelassen, daß der Petent für eine Beförderung die Ausnahmegenehmigung des Bundespersonalausschusses benötigt hätte. Der Petent, Kriegsteilnehmer und 100 % Schwerbehinderter, der durch Kriegs- und Nachkriegseinflüsse in seiner beruflichen Entwicklung zwölf Jahre verloren hatte, scheiterte letztlich an den Grundsätzen, die sich der Bundespersonalausschuß in dieser Frage selbst gegeben hatte, und dieser blieb gänzlich ungerührt von der Aufforderung des Deutschen Bundestages, die Petition zu berücksichtigen.
In diesen Jahren stehen Geburtsjahrgänge zur Pensionierung an, die — zusammen mit anderen Mitbürgern — die Hauptlast des Krieges zu tragen hatten. Es sind die Jahrgänge 1920 bis 1925. Soweit sie überlebten, haben fast alle dem Staat viele Lebensjahre, Kraft und Gesundheit opfern müssen. Wie wir feststellen konnten, spielen diese Umstände bei der Frage der sogenannten Altersbeförderung überhaupt keine Rolle mehr. Hier wird eine heile Welt unterstellt, die es im Leben dieser Beamten oft viele Jahre nicht gegeben hat. Auch wenn Kriegs- und Nachkriegsereignisse nicht im engeren Sinne ursächlich für die Überschreitung der Zweijahresfrist gewesen sein mögen, diese Beamten verdienen es, daß man ihnen am Ende ihrer Berufslaufbahn nicht mit einer starren Zweijahresfrist eine ihnen zustehende Förderung verweigert. Die Fristen der Bundeslaufbahnverordnung sind Menschenwerk und keine mosaischen Gesetze.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich glaube, daß die Angehörigen der im Kriege schwer geprüften Jahrgänge soweit möglich einen politischen und moralischen Folgenbeseitigungsanspruch haben. Dies mögen der Bundespersonalausschuß und auch der Bundesinnenminister bedenken.
Abschließend möchte ich allen Mitgliedern des Ausschusses für ihre Arbeit danken, die sie neben den vielfältigen anderen parlamentarischen Verpflichtungen leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern des Ausschußbüros und den Bediensteten in den Ministerien und nachgeordneten Behörden, die uns bei vielen Eingaben wichtige Hilfe auf dem Weg zu gerechten Entscheidungen sind. Ich bin auch dankbar dafür, daß bei der heutigen Debatte die Regierungsbank — wie schon im letzten Jahr — zu dieser frühen Stunde gut besetzt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Der Zeitplan sieht für diese Debatte insgesamt zwei Stunden vor. Es reizt mich doch, eine Bestimmung aus der Geschäftsordnung der verfassunggebenden Nationalversammlung von 1848 zu zitieren, wo es im § 48 heißt:
Dem Petitionsausschusse ist ein bestimmter Tag in jeder Woche

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das war noch etwas!)

zur Vorlegung seiner Berichte einzuräumen. Erst nach völliger Erledigung dieser Berichte kann zur anderweitigen Tagesordnung übergegangen werden.

(Beifall bei allen Fraktionen)




Frau Berger (Berlin)

Offenbar hat das Petitionswesen in den Anfängen der deutschen Demokratie eine sehr zentrale Rolle gespielt.

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Oder es geht heute gerechter zu!)

Es ist gar nicht auszudenken, welches Interesse unsere Arbeit bei den Kollegen finden würde, wenn damit so zahlreiche Plenarauftritte verbunden wären. Gleichwohl werde ich nicht vorschlagen, unsere Geschäftsordnung entsprechend zu ändern.
In dem Bemühen, unsere Arbeit zum Wohle des Bürgers öffentlich sichtbar zu machen, werden wir dennoch in geeigneter Weise fortfahren. Hier wäre es gewiß ein Fortschritt, wenn unsere alljährliche Debatte künftig vom Fernsehen live übertragen werden würde.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014000200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Meininghaus.

Alfred Meininghaus (SPD):
Rede ID: ID1014000300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rund 1 100 Petitionen sind es, die den Deutschen Bundestag jeden Monat erreichen, Forderungen, Anregungen, Beschwerden, Briefe, die die Sorgen und die Bedrängnis widerspiegeln, in denen sich die Bürger befinden. Dabei ist oft ersichtlich, daß es dem einen oder anderen nicht leichtgefallen ist, seine Gedanken zu Papier zu bringen.
Wir Parlamentarier sind bemüht, jede einzelne Petition ernstzunehmen, der Problematik nachzugehen und alle unsere Möglichkeiten, zu helfen, auszuschöpfen. Von Ministerien oder Bundesbehörden werden Stellungnahmen oder Gutachten eingeholt. Zur Information und Entscheidungshilfe werden Regierungsvertreter geladen oder auch Ortsbesichtigungen durchgeführt.
Dies alles dient dem Meinungsbildungsprozeß der Ausschußmitglieder. Ich möchte dieses ausdrücklich betonen, weil sehr oft ein Vorwurf erhoben wird. Es ist nicht etwa so, daß diejenigen in der Beamtenschaft, über die man sich beschwert, damit eine Möglichkeit haben, diese Beschwerde selbst zu behandeln. Wir holen diese Stellungnahmen und Gutachten lediglich ein, um uns selbst ein Bild von der Sachlage machen zu können.
Während die Zusammenarbeit mit den Ministerien und Bundesbehörden im großen und ganzen als zufriedenstellend bezeichnet werden kann, ist das leider nicht immer von unserer Zusammenarbeit mit den Fachausschüssen zu sagen. Im Jahresbericht wurde darauf hingewiesen. Nach § 109 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundestages hat der Petitionsausschuß die Stellungnahmen der Fachausschüsse einzuholen, wenn die Petitionen einen Gegenstand der Beratung in diesen Ausschüssen betreffen. Wie in früheren Jahren hat dieses Verfahren in vielen Fällen zu erheblichen Verzögerungen bei der abschließenden Behandlung von Petitionen geführt, so daß viele Bürger verärgert eine
Entscheidung beim Petitionsausschuß anmahnen mußten. Hier muß schnellstens eine Verbesserung eintreten. Darum ist es zu begrüßen, daß sich der Geschäftsordnungsausschuß bemüht, hier durch ein einheitliches Verfahren Abhilfe zu schaffen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Im Jahresbericht ist eine Vielzahl von Fallbeispielen aufgeführt. Meine Vorrednerin hat einige vorgetragen, und meine Kollegen werden in der nachfolgenden Debatte sicherlich noch einige dieser Fallbeispiele kommentieren. Ich möchte mich nur auf einige wenige Bemerkungen beschränken.
Wenn der Bericht ausweist — das ist aus der Tabelle in der Anlage 1 zu ersehen —, daß in 14,98%, also fast 15% der Fälle dem Anliegen der Petenten entsprochen werden konnte, erscheint das zunächst gering. Sicher haben sich auch viele Bürger mit zu hohen Erwartungen an uns gewandt. In jedem Fall wird jedoch in allen Angelegenheiten die Sach- und Rechtslage des jeweiligen Anliegens überprüft. Bei manchem der Bundesregierung zur Berücksichtigung oder Erwägung überwiesenen Fall dürfte im nachhinein auch noch eine positive Erledigung zu verzeichnen sein.
Echt abgelehnt — das muß man auch feststellen — wurden immerhin 38,28 %. Das hat natürlich auch seine Gründe. Nach dem Regierungswechsel, der sogenannten Wende, ist im Eingang der Petitionen eine steigende Tendenz festzustellen. Diese Tendenz setzt sich auch im Jahre 1985 fort. Selbstverständlich schlägt es sich nicht nur in Wahlergebnissen nieder, sondern auch in der Zahl von Petitionen, wenn man durch eine Politik der Umverteilung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse Großverdiener schont und kleine Leute schröpft.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Rentner, Schwerbehinderte, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger sind schließlich die Leidtragenden dieser Politik. Das war im Petitionsausschuß schon lange vor dem 12. Mai 1985 erkennbar.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: 1976 gab es 7 000 Petitionen mehr!)

So haben wir, Herr Kollege, folgerichtig über 3 000 Petitionen — oder fast 34 % der Eingaben, Bitten, Beschwerden und Forderungen — bekommen, die den Bereich des Bundesministers für Arbeit und Soziales betrafen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: 1976 waren es mehr!)

Zum Vergleich will ich sagen: Danach folgen mit 1210 Eingaben — an zweiter Stelle also mit 13,39 % — die Eingaben, die den Bundesminister der Finanzen betreffen. Sie können sich denken, daß bei der parlamentarischen Behandlung dieser Eingaben im Petitionsausschuß nicht selten unterschiedliche Auffassungen über die Erledigung der Petitionen vorhanden waren und auch noch vorhanden sind.
Bei der Arbeit im Ausschuß ist es grundsätzlich so, daß die Abgeordneten ihre Entscheidungen über



Meininghaus
die Anliegen der Petenten ohne Fraktionszwang in der Sache treffen. Schwierig wird es für CDU/CSU- und FDP-Politiker natürlich, wenn sich Petenten kritisch mit der Regierung auseinandersetzen

(Zurufe von der CDU/CSU: Ach!)

oder eine Änderung der sie belastenden Gesetze verlangen.

(Zustimmung bei der SPD — Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ich sage nur Kindergeld für Vollwaisen! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Von der Opposition reden Sie nicht!)

Dann macht die Koalition auch im Ausschuß von ihrer Mehrheit Gebrauch und lehnt ab. In der Begründung an den Petenten ist sehr häufig nicht zu erkennen, daß es auch im Ausschuß Befürworter der Petition gegeben hat. Die SPD-Fraktion konnte im abgelaufenen Jahr nur noch versuchen, bei wichtigen politischen Grundsatzfragen durch Änderungsanträge im Plenum des Deutschen Bundestages ihre Meinung durchzusetzen oder ihre Opposition zu dokumentieren. Das ist z. B. wegen des Jugendarbeitsschutzgesetzes, wegen der Hilfe für Behinderte und bei einigen weiteren sozialpolitischen und anderen Problemen geschehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Namen der SPD-Fraktion möchte ich den Mitarbeitern des Petitionsbüros für ihre ausgezeichnete Arbeit Dank aussprechen.

(Beifall bei der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Bei der Vielzahl der Petitionen konnten sich alle Mitglieder des Ausschusses davon überzeugen, daß der Arbeitsanfall, den jeder einzelne der Mitarbeiter zu bewältigen hat, sehr groß ist. Wenn die Petitionen zügig bearbeitet und in einer angemessenen Zeit einer Erledigung zugeführt werden sollen, bedarf es dringend einer personellen Verstärkung dieses Büros.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Immerhin räumt der Gesetzgeber dem Petitionsrecht einen hohen Stellenwert ein, und wir Parlamentarier sollten alles tun, um dem gerecht zu werden.
Die Leistungen der Mitarbeiter des Petitionsbüros werden aber erst deutlich, wenn man weiß, daß die Büroorganisation nicht den Möglichkeiten des technischen Fortschritts Rechnung trägt.

(Zuruf von der SPD: Leider, leider!)

Im Zeitalter der Computertechnik und der Bildschirmtexte ist es einfach nicht zu vertreten, daß Akten gestapelt und Vorgänge herumgetragen werden müssen.

(Zuruf von der SPD: Waschkörbe!)

An Hand der eingegangenen und bearbeiteten Petitionen kann z. B. festgestellt werden, daß jeder Sachbearbeiter eineinhalb Stunden Zeit für die Erledigung einer Petition hat. Sicher könnten viele Dinge sorgfältiger behandelt werden, wenn neue technische Anlagen zur Verfügung gestellt würden. Wir Abgeordnete sind aufgerufen, diese Forderungen zu unterstützen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014000400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neuhausen.

Friedrich Neuhausen (FDP):
Rede ID: ID1014000500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal ist es nützlich, sich der Bedeutung des eigenen Tuns durch einen Blick in die Vergangenheit zu vergewissern. Das gilt, wie Frau Berger eben an Hand des Dokuments von 1848 ausgeführt hat, auch für die Arbeit des Petitionsausschusses.
Das „Vollständige politische Taschenwörterbuch" von E. L. F. Hoffmann aus dem Jahre 1849, ein Werk mit dem umfassenden Untertitel:
Ein Handbuch zur leichten Verständigung der Politik, der Staatswissenschaften und Rechtsurkunden sowie
— wie es weiter heißt —
überhaupt eine ausführliche Erklärung aller politischen und sozialen Fragen, constitutionellen und staatsrechtlichen Begriffe, Ausdrücke, Parteinamen und Fremdwörter
sagt zum Begriff der Petitionen folgendes:
Das Recht zu bitten, sei es des eigenen Wohls oder auch des Wohls der Mitmenschen wegen ist ein natürliches, allgemeines Menschenrecht; es ist das Recht aller Bürger eines freien Staates, eines freien würdigen Menschenvereins. Deshalb muß auch in jedem zivilisierten Staate der Bürger das Recht haben, wegen Abhülfe von Beschwerden oder anderen Zwecken, durch Bittschriften, Adressen oder Vorstellungen sich an die Regierungsgewalten zu wenden.
So geschrieben ein Jahr nach dem Jahr, aus dem das von Ihnen zitierte Dokument stammt.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Bericht über „Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag" des Jahres 1984 gibt — wie in jedem Jahr; wir haben es schon gehört — einen Einblick in die Themenvielfalt aktueller „Beschwerden", „Bittschriften, Adressen oder Vorstellungen", und wie in jedem Jahr sollte diese Aussprache auch dazu dienen, dem gesamten Parlament und der Öffentlichkeit einen Überblick über diese Vielfalt zu geben. Denn das durch Art. 17 des Grundgesetzes verbriefte Recht, daß sich jedermann einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen mit Bitten und Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung wenden kann, entspricht jenem „natürlichen, allgemeinen Menschenrecht".
Aber, meine Damen und Herren, es wird auch deutlich, wie sich die Zeiten verändert haben, wenn man bedenkt, daß jenes Buch aus dem Jahre 1849 seinen hohen Anspruch, eine ausführliche Erklärung aller „politischen und sozialen Fragen" usw.



Neuhausen
zu geben, auf 236 Seiten im Taschenformat erfüllt, also mit einem Umfang, der vom Bericht des Petitionsausschusses, aufs gleiche Format gebracht, für ein einziges Jahr leicht erreicht wird. Deswegen kann sich ein Beitrag zu diesem Punkt hier heute morgen auch nicht unmittelbar an die Kollegen aus diesem Ausschuß richten. Sie kennen das alle gut genug. Ich für meinen Teil widerstehe auch der Versuchung, auf einige sehr interessante Einzelfälle einzugehen. Das wird j a von anderer Seite getan.
Ich halte die Betonung des Grundsätzlichen wieder einmal für sehr wichtig. Die Arbeit des Petitionsausschusses ist nicht nur ein Stück unmittelbarer demokratisch-parlamentarischer Kontrolle, wie Sie dargestellt haben, Frau Berger, sondern mehr ein Instrument, über den großen Themen der Politik die Einzelfälle wahrzunehmen und zu behandeln. Es handelt sich also um ein Mittel, Bürgernähe nicht nur zu beschwören, sondern, soweit es irgend geht, zu verwirklichen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich sage das, meine Damen und Herren, ganz bewußt und betont, weil, wenn mit Recht über Parlamentsreform, über die Verringerung des Abstandes zwischen Bürgern und Entscheidungsgremien diskutiert und nach neuen Wegen gesucht wird, j a vor allem die schon vorhandenen Instrumente gestärkt werden müßten,

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

womit ich ganz konkret auch an das denke, was Herr Meininghaus und Frau Berger sagten, auch an die personelle Ausstattung des Ausschußbüros. Dieses Büro leistet eine vorzügliche Arbeit. Für diese ist zu danken. Aber es bleibt ja, wie wir alle wissen, angesichts der erwähnten Vielfalt, die sich in Zahlen und in Aktenzahlen niederschlägt, manche Engstelle zu beheben, wofür auch hier geworben werden soll.
Meine Damen und Herren, es gibt — sehr grob gesagt — drei Fallgruppen von Petitionen, nämlich erstens Beschwerden oder Bitten, die sich aus dem Handeln von Verwaltungen ergeben, zweitens solche, die vor dem Hintergrund wirklicher oder, Herr Meininghaus, vermeintlicher Härten und Unstimmigkeiten, die durch die Gesetzgebung selbst verursacht wurden, vorgetragen werden, und drittens gibt es Anregungen und Forderungen zur Gesetzgebung, also in weitestem Sinn allgemeinpolitische Anliegen. Die Grenzen zwischen diesen Gruppen, natürlich insbesondere zwischen der ersten und der zweiten und dann wieder zwischen der zweiten und der dritten Gruppe sind schwimmend, stehen also nicht fest. Allein ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis des Berichts zeigt j a nicht nur die erwähnte Vielfalt, sondern auch die sehr verschiedenen Arten von Anliegen, wobei der Bericht den Zuständigkeitsbereichen der Bundesministerien folgt und deshalb für jeden dieser Zuständigkeitsbereiche einmal auf diese drei Gruppen hin zu untersuchen wäre. So finden Sie im Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen Amtes sowohl Petitionen zu Fragen der Familienzusammenführung, der Betreuung inhaftierter Deutscher im Ausland, der Transferschwierigkeiten bei Auslandsforderungen als auch zu Anliegen allgemeinpolitischer Natur, was etwa die Nachrüstung, die Bündnispolitik usw. betrifft. Im Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums werden Bitten zu besoldungs- und dienstrechtlichen Fragen oder zum Ausländerrecht ebenso wie grundsätzliche Anregungen zum Umweltschutz, zum Wahlrecht oder gar zur Einführung eines Volksentscheids auf der Grundlage eines von den Petenten erarbeiteten „Entwurfs eines Bundesabstimmungsgesetzes" vorgelegt. Diese Liste könnte für die übrigen Ministerien fortgesetzt werden.
Ich trage das hier vor nicht einfach als Aufzählung aus dem Bericht, weil ich sehe — Herr Meininghaus hat von seiner Seite darauf hingewiesen —, daß daraus Probleme für die Arbeit des Petitionsausschusses entstehen. Denn dieser Ausschuß ist ja kein unpolitischer Ausschuß, und seine Mitglieder sind keine parteipolitischen Neutren, sondern natürlich in die Willensbildung ihrer Fraktionen eingebunden. Das wird ganz besonders bei den allgemeinpolitischen Anregungen immer wieder deutlich und kann ja gar nicht anders sein. Und doch liegt — das meine ich sehr im Ernst — in der politischen Abgrenzung bei der Meinungsbildung im Ausschuß die Gefahr, daß man, bezogen auf Probleme, die sich an Einzelfällen oder deren Summe zeigen -- und jetzt klopfe ich an die eigene Brust —, die Unbefangenheit gegenüber den Auswirkungen auch solcher gesetzlicher Bestimmungen, die von der eigenen Fraktion initiiert oder mitgetragen wurden, verlieren kann. Oppositionen haben es da allerdings leichter, weil sie, da sie ja gegen vieles sind, was von der Regierung und den sie tragenden Fraktionen kommt, auch für vieles sein können, was von Petenten gewünscht wird.

(Zuruf des Abg. Kühbacher [SPD])

— Sie können dabei auch großzügig sein und großzügig mit dem umgehen, lieber Herr Kühbacher, was Sie einst selber beschlossen oder mit beschlossen haben.

(Weitere Zurufe von der SPD)

— Ja, davon verstehen wir eine ganze Menge. Werte Herren von der Opposition, indem ich zuerst einmal Selbstkritik geübt habe und mich an die Unbefangenheit des Blicks herantasten wollte, habe ich gedacht, Sie würden mit den zu erwartenden Zwischenrufen etwas zurückhaltender sein. Aber was soll's? Ich unterstelle ja niemandem aus dem Ausschuß konkret, daß er so denkt, wie ich hier befürchtet habe. Aber die Versuchung liegt immer in der Luft. Wird die Versuchung zu stark, dann ruft das natürlich Reaktionen hervor. Beides zusammen unterbindet dann leicht die Möglichkeit, tatsächliche Härten zu beheben.
Ich möchte aber lieber nicht von der Gefahr sprechen — gerade weil das für die Morgenruhe der Kollegen störend wirkt —, sondern davon, wie man ihr entgangen ist. Ein Beispiel findet sich im Bericht. Es ist das des BAföG, konkret der Schülerförderung für den Monat August. Die hierzu eingebrachten Petitionen haben dazu beigetragen, unter-



Neuhausen
halb der grundsätzlichen Auseinandersetzungen Härten und Unstimmigkeiten zu erkennen und zu beheben, was kürzlich durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes geschehen ist.

(Beifall des Abg. Kühbacher [SPD])

— Vielen Dank, Herr Kühbacher. Sehr liebenswürdig!

(Heiterkeit)

Dabei konnte auch das im Jahresbericht noch als negativ erledigt erwähnte Problem der Ausbildungsförderung bei früheren Zeitsoldaten für die, die sich für eine Dienstzeit von zwei Jahren bei der Bundeswehr verpflichtet hatten, positiv gelöst werden.
Trotz aller politischen Einbindung darf man also weder die Unbefangenheit des Blicks noch den Sinn für die Realitäten der politischen Willensbildung verlieren. Ich vermeide jetzt den Begriff der Parteipolitik für einen Augenblick. Jenes zitierte Handbuch von 1849 sieht diesen Begriff nicht so eng, wie wir uns das angewöhnt haben. Es sagt dazu, unter einer Partei verstehe man „im politischen Verkehr mehrere Personen, welche einerlei Meinungen, Grundsätze und Glauben haben, im Gegensatz derer, welche entgegengesetzter Meinung sind. Die bekanntesten Parteinamen sind: Radicale, Liberale, Conservative, Aristokraten, Demokraten, Absolutisten, Reactionärs, Doctrinärs und Sozialisten". So betrachtet, meine Damen und Herren, stellen unsere Fraktionen keine homogenen Gruppen dar. Die hier genannten politisch-psychologischen Typen finden sich in jeder.
Also, meine Damen und Herren, im Ernst: Es ist immer eine Grenze zwischen dem Erkennen von Härten und Unstimmigkeiten einerseits und — da wiederhole ich meine Aussage aus dem Vorjahr — der Fortsetzung der politischen Auseinandersetzung mit anderen Mitteln, denen der Petition also, zu ziehen. Das sage ich wiederum nicht so sehr den Kollegen aus dem Ausschuß — sie wissen es ohnehin —, sondern vor allem den Petenten, die schon angesprochen wurden, die den Petitionsausschuß als einen Überausschuß mißverstehen.
Wenn ich z. B. an die erwähnte Petition zum Volksentscheid denke, fällt mir eine Anekdote ein, die der Philosoph Hermann Graf Keyserling erzählte. Er ging am 9. November 1918, einem bedeutenden Tag für die Geschichte, mit einem damals bekannten Gelehrten in Berlin Unter den Linden spazieren. Dieser Gelehrte „schnupperte in der Luft und meinte: Es ist, so fühle ich, allerhöchste Zeit, die Republik zu proklamieren. Kommen Sie mit zum Reichskanzlerpalais? Ich tat es, obwohl es mich nichts anging. Der Gelehrte wollte einen der Volksbeauftragten sprechen. Die hätten keine Zeit, er möge seine Anregung dem Adjutanten zur Weitergabe mündlich mitteilen. Der Professor erklärte daraufhin, die Republik müsse sofort proklamiert werden. Bald stürzte der Adjutant zurück und fragte, die Hacken zusammenschlagend: Meinen Herr
Geheimrat, daß eine Republik genügt, oder muß es eine demokratische Republik sein?"

(Heiterkeit)

Keyserling führte diese Anekdote als Beleg für deutsche Sachlichkeit an. Ich habe sie als Beleg für eine Petition, für eine Anregung gehalten. Ob die Geschichte nun stimmt oder nicht, ob sie Einfluß auf die folgenden Ereignisse hatte, spielt keine große Rolle. Hier wird eine Petition beschrieben. Ich sehe jetzt an Stelle der Volksbeauftragten die Ausschußvorsitzende, Frau Berger, vor mir, die heute ebenso souverän ihre Adjutanten aussendet, noch offene Fragen zu klären.

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, hier soll trotz dieser Bemerkungen nicht der Ernst verkannt werden, der, ob es sich um Fragen der Friedenssicherung, des Umweltschutzes oder des Tierschutzes handelt, die Unterzeichner von Sammel- oder Massenpetitionen bewegt. Ich weiß, daß ihre Anliegen, ob ihnen nun im Wege einer Petition Erfolg beschieden ist oder nicht, auch so ernst genommen werden, wie sie es verdienen, und auf jeden Fall einen Beitrag zur Diskussion in den Fraktionen darstellen. Aber für mich steht doch im Mittelpunkt der Arbeit dieses Ausschusses die Beschäftigung mit dem Einzelfall und dem Einzelschicksal. Trotz der erheblichen Belastungen, die diese Beschäftigung mit den Petitionen j a mit sich bringt, ist es doch auch eine wesentliche Bereicherung, diese vielen verschiedenen Fälle, in denen sich die Konsequenzen gesetzgeberischer Regelungen und ihres Vollzugs widerspiegeln, kennenzulernen, insbesondere, wenn das in guter Zusammenarbeit über Fraktionsgrenzen hinweg und unter dem konsequenten Vorsitz geschieht.
Meine Damen und Herren, was die erwähnten Belastungen angeht, so gilt auch hier das Wort des griechischen Philosophen Demokrit, der einmal sagte, daß fortgesetzte Mühe durch Gewöhnung immer leichter werde. Und bei aller Skepsis gegenüber allzu hohen Worten möchte ich doch das Petitionswesen als einen Beitrag zu einer Haltung verstehen, die jener Demokrit schon 600 v. Chr. so beschrieben hat:
Die Pflichten für die Staatsgemeinde soll man unter allen für die größten halten, auf daß sie gut verwaltet werde; dabei darf man weder streitsüchtig gegen die Billigkeit handeln noch sich selbst wider das allgemeine Beste eine Gewalt anmaßen. Denn ein wohlverwaltetes Gemeindewesen ist die größte Stütze, und hierin ist alles enthalten; ist dieses gesund, so bleibt alles gesund, und, geht dieses zugrunde, so geht alles zusammen zugrunde.
Meine Damen und Herren, aber Demokrit sagte auch:
Eigentümliches Zeichen freier Gesinnung ist offene Sprache, aber die Gefahr liegt dabei in der Abmessung des richtigen Zeitpunktes.



Neuhausen
Ich hoffe, Ihre Geduld nicht allzusehr strapaziert zu haben.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014000600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mann.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1014000700
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger!

(Frau Hürland [CDU/CSU]: „Mitbürger" auch noch! — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: „Freunde"!)

Herr Neuhausen, ich werde Sie an Witz und auch an Alter der Zitate sicherlich nicht übertreffen können. Da sind Sie heute in dieser Debatte sicherlich der Beste.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ich fürchte, auch nicht an Tiefgang!)

Ich möchte mit einer mehr persönlichen Bemerkung als wohl dienstjüngstes Mitglied dieses Ausschusses, das in dieser Debatte reden darf, beginnen und mich ganz ausdrücklich im Namen unserer Fraktion für die sachliche Verhandlungsführung der Frau Vorsitzenden bedanken. Ebenso möchte ich dem Ausschußsekretariat unseren Dank für die gute Zusammenarbeit im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger und im Sinne der grundgesetzlich verbürgten Aufgabe, der dieser Ausschuß nachkommt, aussprechen. Ich glaube, es ist das Wichtigste hier, daß das auch einmal über alle Fraktionsgrenzen hinweg sichtbar wird.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Zu Beginn möchte auch ich Herrn Vitzthum aus seinem Gutachten „Petitionsrecht und Volksvertretung" zitieren. Es ist ein etwas längeres Zitat, im Hinblick auf die Debatte, die uns bevorsteht, ist es vielleicht wichtig, dies am Anfang zu zitieren. Es heißt dort auf Seite 39, Frau Vorsitzende:
Der Sinn liegt vielmehr in der Aufrechterhaltung, Verbreiterung und Intensivierung der Verbindung Volk — Parlament, Gesellschaft — Staat, in der Offenhaltung des Zugangs zu den Vertretern des Volkes, in der Information des Parlaments. Der Petent
— also der Bürger mit seiner Eingabe —
soll über die sachlich vorbelastete und insofern möglicherweise „voreingenommene" oder „bürokratisch" reagierende Stelle hinaus ein staatliches Willensbildungsorgan vorfinden, das von der ihm zur Kenntnis gebrachten Entscheidung im wesentlichen unberührt ist, das besetzt ist mit Volksvertretern (nicht mit „Beamten") und das sich gerade wegen dieser Distanz zum angegriffenen Vorgang und zur zuständigen Behörde der Sache mit einer nur ihm eigenen Dynamik, Methode und Zielrichtung annehmen kann.
Dann darf ich noch die daran anschließende Fußnote von Herrn Kollmann zitieren:
... das Petitionsrecht beruht letzten Endes auf
dem Vertrauen zum Parlament, auf dem Vertrauen, daß das Parlament jedes Vorbringen wirklich, und zwar sorgfältig prüfen und danach beurteilen und bescheiden wird.
Ich finde, das ist eine sehr gute und sehr wichtige Stelle für unsere Arbeit am Einzelfall, Herr Neuhausen, aber auch für die politische Bewertung dessen, was aus der Vielzahl der Einzelfälle — in diesem Berichtszeitraum fast 14 000 — für uns an großen politischen Problemen sichtbar wird.
Wir werden uns bei der weiteren Arbeit dieses Ausschusses über die politische Auswertung dieser vielen Anregungen sicherlich Gedanken machen müssen. Da ist bisher noch nicht genügend geschehen. Ich bin mir allerdings im klaren darüber, daß das mit der gegenwärtigen Ausstattung des Ausschußsekretariats nicht zu leisten ist. Das würde vielleicht doch ein anderes Selbstverständnis des Ausschusses gegenüber dem übrigen Parlament voraussetzen. Wir sind nämlich im Grunde genommen — meine Kollegin Nickels hat von „Arbeitseseln" gesprochen, die sich zu besonders früher Stunde am Dienstagmorgen manchmal um halb acht, manchmal um acht Uhr versammeln —

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Mittwochs und ehemalige Kollegin!)

auch wegen der Belastung durch die Mitgliedschaft in anderen Ausschüssen nicht genügend in der Lage, gegenüber der Ministerialbürokratie, aber auch gegenüber den Fraktionen, was die Anregungen der Bevölkerung angeht, das zu leisten, was von diesem Ausschuß vielleicht geleistet werden könnte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind erst dreimal dagewesen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Diese Zwischenrufe wundern mich nicht, sie sollten uns aber nicht von der Ernsthaftigkeit dieses Problems ablenken.
Ich möchte nicht ein Zitat aus dem Jahre 1848 oder 1849 bringen, sondern aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, im 20. Band, zitieren.

(Zurufe von der CDU/CSU: Hier arbeiten Kollegen schon Jahrzehnte! — Warum sind Sie denn eigentlich nie da!)

— Sie dürfen uns zugestehen, daß wir erst zwei Jahre in diesem Hohen Hause vertreten sind und hoffentlich noch recht lange hier sein werden, im Gegensatz zur Auffassung des Bundeskanzlers, der zur Zeit bemüht ist, das bei jeder Gelegenheit zu erwähnen.

(Bohl [CDU/CSU]: Dann müssen Sie aber auch einmal in den Ausschuß gehen!)

Das Bundesverfassungsgericht — Herr Bohl — sagt über die politische Willensbildung folgendes — vielleicht hören Sie mir zu —:
Willensbildung des Volkes und staatliche Willensbildung sind auf vielfältige Weise miteinander verschränkt. In einer Demokratie muß sich diese Willensbildung aber vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen. Die



Mann
Staatsorgane werden durch den Prozeß der politischen Willensbildung des Volkes, der
— wohlgemerkt — in die Wahlen einmündet,
— auch in die Wahl vom 6. März ist er sicherlich eingemündet —,
erst hervorgebracht.
So weit das Bundesverfassungsgericht.
Nun komme ich zu unserem Bericht, über den wir heute reden. Dazu ist schon einiges gesagt worden. Vor allen Dingen Herr Neuhausen hat die Vielzahl der verschiedenen Petitionen auch nach den Sachanliegen benannt. Ich möchte mich trotzdem dieser Aufgabe noch einmal stellen, weil ich es gerade im Sinne meiner bisherigen Ausführungen für sehr wichtig halte. Ich finde hier auf der sechsten Seite die Angabe — ich sehe, der Herr Bundesjustizminister ist noch da —, daß wir im Bereich des Bundesjustizministers 526 Eingaben haben und der Schwerpunkt wiederum beim Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht liegt, Herr Minister Engelhard. Wir haben ja im nächsten Monat eine Anhörung zur Neuregelung des Unterhaltsrechtes. Dabei wird argumentiert, es gebe keine rechtstatsächlichen Angaben. Wenn wir die Petitionen wirklich ernst nehmen würden, dann hätte man ohne weiteres über verschiedene Zeiträume der letzten Jahre diese Petitionen einmal untersuchen können. Ich glaube, wir wären bei der wichtigen rechtspolitischen Entscheidung im nächsten Monat durch die vorliegenden Petitionen durchaus rechtstatsächlich gut beraten

(Beifall bei der SPD)

und würden nicht rechtspolitisch mit der Stange im Nebel herumfuhrwerken, wie dies eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der GRÜNEN sehr deutlich gezeigt hat.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Vorsicht! Vorsicht!)

Ich möchte den zweiten Problemkreis, Herr Dr. Göhner, anführen. Wir hatten gestern im Ausschuß — da war ich übrigens da —

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das ist eine bemerkenswerte Ausnahme!)

über eine Petition aus dem Bereich des Umweltschutzes zu reden. Ich darf den Bericht hier zitieren:
Immer mehr Bürger engagieren sich in Fragen des Umweltschutzes auch durch Petitionen. Häufig in Form von Sammel- und Massenpetitionen wenden sie sich z. B. gegen die Verunreinigung von Luft, Wasser und Boden, gegen Straßen- und Liegenschaftsplanungen, gegen Geruchs- und Lärmbelästigungen, oder sie treten für den Tier- und Artenschutz und für die Schonung der Rohstoffe ein.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Eine gute Sache!)

— Das ist eine gute Sache. Ich lobe auch an dieser
Stelle uns alle, auch das Ausschußsekretariat, dafür, daß das am Anfang als ein wesentlicher Punkt genannt ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch selbstverständlich!)

Trotzdem müssen wir uns als Parlament natürlich der Frage stellen, ob in unseren politischen Umsetzungen, in den Gesetzen — beispielsweise im Immissionsschutzgesetz; ich erwähne hier weiter die TA-Luft, die Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die Diskussion um den Katalysator — tatsächlich diese Sorgen der Bürger hinreichend berücksichtigt worden sind.
Unsere Auffassung ist: Es geschieht einiges — das sollte man auch einmal positiv sagen —, aber es geschieht beispielsweise angesichts der sterbenden Wälder viel zu wenig und viel zu spät. Ich glaube, es ist auch Aufgabe dieses Ausschusses, da initiativ zu werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will aus dem Bereich des Umweltschutzes hier einen weiteren Punkt nennen, nämlich die Deutsche Bundesbahn. Bei den Beschwerden zeigt sich, wieviel Sachverstand — das finde ich immer wieder toll, wenn Bürgerinitiativen an uns herantreten — hier vorhanden ist. Auf Seite 27 des Berichts heißt es unter „Verkehrspolitik der Deutschen Bundesbahn" — jetzt bürokratisch: 2.10.2.1 Rationalisierungsmaßnahmen; das ist die Gliederung —:
Den Schwerpunkt bilden Beschwerden gegen Streckenstillegungen der Deutschen Bundesbahn. Häufig befürchteten Bürger Nachteile durch die Verlagerung der Personenbeförderung vom Schienen- auf den Busbetrieb. Der Bundesminister des Verkehrs legte in seinen Stellungnahmen dar, daß die beanstandeten Maßnahmen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit geboten seien. Die hierfür maßgeblichen Erwägungen entsprachen auch dem vom Deutschen Bundestag getragenen Konzept der Bundesregierung zur Bundesbahnpolitik. Die Eingaben konnten daher nicht unterstützt werden.
Hier sieht man, worum es geht. Hier geht es nämlich dann doch um Politik; hier geht es dann doch um Mehrheiten. Hier wird nämlich nur die von einer Mehrheit des Hauses getragene Verkehrspolitik

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sehen Sie die B 33! Da ist es das Gegenteil!)

zur Beurteilung der Petition herangezogen. Ich meine, wir wären gut beraten, wenn wir solche Petitionen in Zukunft noch ernster nehmen als bisher.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ich sage B 33, der Beweis!)

Ich muß zum Schluß kommen. Ich möchte aus einem Schreiben zitieren, das uns Bürger der Bremer Abrüstungsinitiative — gestern ist es bei mir eingegangen — zugesandt haben. Ich durfte vor einem Monat hier zu dieser Petition reden. Ich darf aus diesem Brief vom 14. Mai zitieren; dort schrie-



Mann
ben die Petenten — diese Petition wurde ja von uns als erledigt betrachtet —:
Unsere Erfahrungen aber lassen kein anderes Urteil zu. Die gegenwärtige Petitionsbehandlung wirkt auf uns wie die institutionalisierte Mißachtung der Petenten. Die Verständigung zwischen Ihnen, dem Staat, und uns Bürgern wäre zerrissen, wenn wir nicht aus Gesprächen mit Abgeordneten und der Petitionsdebatte vom 18. April 1985 erfahren hätten, daß es über den Umgang mit Massenpetitionen erhebliche Differenzen in Ihrem Hause gibt.
Ich möchte damit abschließen. Ich denke, wir werden uns mit diesen Problemen der Massenpetitionen weiter zu beschäftigen haben. Wir sollten es
— sine ira et studio — einfach sehr ernst nehmen, daß ein großer Teil der Bürger mit unserer Arbeit noch nicht zufrieden ist. Wir sollten uns gemeinsam, wie ich es am Anfang betont habe, der Aufgabe stellen, den Abstand zwischen denen da unten
— wie es oft heißt — und uns hier in Bonn, zwischen dem Volk, dem eigentlichen Souverän, und dem Parlament zu verkürzen.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014000800
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schneider (Idar-Oberstein).
Schneider (Idar-Oberstein) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht über die Tätigkeit des Petitionsausschusses für das Jahr 1984 stellt in den allgemeinen Bemerkungen über die Ausschußarbeit fest:
Die meisten Eingaben erreichten den Ausschuß zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Diese rund 34 % aller in die Zuständigkeit des Bundesressorts fallenden Eingaben sind verständlich im Blick auf die gewaltigen Kürzungen im sozialen Bereich, die von 1976 bis 1982 in den Zeitraum der Regierungsverantwortung der SPD fallen.
Mit dem Schlagwort von der „neuen Armut" betreibt die SPD einen Etikettenschwindel,

(Zuruf von der SPD: Was?)

der vergessen machen soll, welche Erblast wir übernommen haben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

— Meine Herren von der SPD, ich gebe Ihnen dazu auch noch die Beispiele. 2,3 Millionen Sozialhilfeempfänger haben Sie im Jahre 1982 an uns übergeben. 2,4 Millionen sind es heute, also 100 000 mehr, und die gehen auch noch weitgehend auf Ihr Konto.
Als ein Beispiel möge hier dienen, daß unter Ihrer Regierungsverantwortung mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1982 die Rentner und Versorgungsempfänger, die mehr als eine Rente beziehen, mit der Hälfte des Krankenversicherungssatzes der zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse belastet wurden.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Das ist eine Maßnahme, die unter dem Gesichtspunkt der Beitragsbelastung für die Versicherten zwar verständlich ist, aber Sie haben mit dieser Entscheidung nicht allein die Empfänger hoher Versorgungsleistungen getroffen, sondern auch die Witwen mit geringem Einkommen. Diese finden Sie heute bei den zusätzlichen 100 000 Sozialhilfeempfängern.
Unter der SPD-Regierungsverantwortung wurden von 1976 bis 1982 — das muß man sich einmal gut anhören — rund 160 Milliarden DM an Sozialleistungen zusammengestrichen. Allein durch die Manipulationen in der Rentenversicherung haben Sie in Ihrer Regierungszeit den Rentnern weit über 70 Milliarden DM weggenommen.

(Zuruf des Abg. Kirschner [SPD])

Dazu habe ich niemals einen Aufschrei des Protestes von den organisierten Hilfstruppen und den publizistischen Verbündeten der SPD gehört.
Es ist kennzeichnend, daß die SPD ein kurzes Gedächtnis hat, sobald sie aus der Regierungsverantwortung ausgeschieden ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Im SPD-Regierungsentwurf für den Haushalt 1983 war ein Krankenversicherungsbeitrag der Rentner vorgesehen. Diese notwendige Entscheidung mußte angesichts leerer Kassen und immer höher steigender Versicherungsbeiträge von der jetzigen Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl in die Tat umgesetzt werden. Das ist der Tatbestand.

(Zuruf des Abg. Kirschner [SPD])

— Lassen Sie mich doch einmal ausreden.
Ihr jetziger Beitrag zur Sanierung der Rentenversicherung erschöpft sich doch nur in hemmungsloser Polemik.

(Zuruf von der SPD)

40 Milliarden DM im Jahr betragen die Kosten für die gesundheitliche Fürsorge der Rentner. Bei 4,5 % Krankenversicherungsbeitrag tragen die Rentner davon 8 Milliarden DM.

(Zuruf von der SPD: Was hat das mit dem Jahresbericht zu tun?)

— Ich sage Ihnen das gleich. — Die übrigbleibenden Kosten von 32 Milliarden DM, also 80 %, werden von den aktiv Beschäftigten aufgebracht.
Sie ziehen über Land und verbreiten wider besseres Wissen das Schlagwort von der Umverteilung von unten nach oben. Warum sind Sie denn nicht so ehrlich und sagen dem Rentner, daß ohne diesen Beitrag sein Sohn oder seine Tochter mit noch höheren, unzumutbaren Krankenversicherungsbeiträgen belastet werden müßte? Sie reden nämlich nur und haben in Ihrer Regierungszeit unsozial gehandelt; denn Vorschläge des Petitionsausschusses — sehen Sie, jetzt kommen wir nämlich auf den Punkt



Schneider (Idar-Oberstein)

— im sozialen Bereich wurden von der SPD-geführten Bundesregierung jahrelang nicht beachtet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die von Helmut Kohl geführte Bundesregierung hat ein offenes Ohr für dieses Sprachrohr des Bürgers. Vom Petitionsausschuß eingebrachte Bürgeranliegen wurden sofort aufgegriffen und in die Tat umgesetzt.
Ich nenne Ihnen hier einige Beispiele. Das von der SPD gestrichene Kindergeld, ausgerechnet für arbeitslose Jugendliche über 18 Jahre, wird nun wieder bis zum 21. Lebensjahr gezahlt.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Endlich erhalten Vollwaisen, die ihre Geschwister betreuen, auch für sich selbst wieder Kindergeld — ein Problem, das den Bundestag seit der 7. Wahlperiode beschäftigt.

(Zuruf von der CDU/CSU) — Und den Petitionsausschuß.

Auszubildende, die das Berufsgrundbildungsjahr absolviert haben, können künftig bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen mit einer Berufsausbildungsbeihilfe auch dann rechnen, wenn ihr Betrieb das Berufsgrundbildungsjahr nicht als erstes Lehrjahr anrechnet. Da aber die Fälle zunehmen, in denen die Gewährung der Berufsausbildungsbeihilfe wegen rechtswidriger Nichtbeachtung der Anrechnungsverordnung abgelehnt wurde, überprüfte die Bundesanstalt für Arbeit auf Grund einer vorliegenden Petition ihre entsprechenden Vorschriften. Inzwischen hat die Bundesanstalt die Arbeitsämter angewiesen, auch in diesen Fällen eine Berufsausbildungsbeihilfe zu bewilligen.
Ebenfalls haben wir im Bereich der behindertengerechten Einrichtungen Fortschritte erzielt. Die Bundesbahn hat z. B. im Jahre 1984 die ersten 38 behindertengerechten Eisenbahnwaggons für Rollstuhlfahrer eingerichtet.

(Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Bis 1986 werden weitere 80 Reisezugwagen mit behindertengerechten Einrichtungen zur Verfügung stehen. Der Petitionsausschuß hatte das im Jahre 1983 befürwortet. Dies ist ein weiterer wichtiger Beitrag zur Eingliederung unserer behinderten Mitbürger.
Die Anregung des Petitionsausschusses, die Höchstbeträge des Wohngeldes für Miete und Belastung der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen, ist von der Bundesregierung voll übernommen worden. Von Bund und Ländern werden für diesen Zweck jedes Jahr insgesamt über 900 Millionen DM zusätzlich bereitgestellt. Außerdem wird durch den Gesetzentwurf ein gerechterer Mietpreisspiegel zugrunde gelegt. Bei der Ermittlung des Mietpreisniveaus ist nicht mehr die Einwohnerzahl maßgebend, sondern die tatsächlich gezahlten Mieten innerhalb der jeweiligen Region.
Jetzt kommt das, was der Kollege Meininghaus hier vorhin kritisiert hat; aber das ist ein Positivum, und es ist bei allen Petitionen, die jetzt vom Petitionsausschuß an die Bundesregierung gegeben worden sind, zu verzeichnen: Die Bundesregierung hatte für die Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens nach dem Beschluß des Bundestages bis zum 1. Januar 1986 Zeit. Sie hat durch schnelles Handeln ermöglicht, daß dieses wichtige sozialpolitische Gesetzesvorhaben noch vor dieser Sommerpause abschließend behandelt werden kann. Ich glaube, dafür ist der Bundesregierung ein Dank zu sagen. Diesem Dank schließen sich sicher auch viele tausend Wohngeldempfänger mit an.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Schon diese kleine Auflistung von Beispielen aus der umfangreichen Arbeit des Petitionsausschusses zeigt, daß das Gerede vom Sozialabbau unter der Regierung Helmut Kohl doch jeder Grundlage entbehrt. Genau das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Diese Bundesregierung hat nicht nur in unglaublich kurzer Zeit die schlimmsten Trümmer sozialdemokratischer Politik weggeräumt

(Lachen bei der SPD)

— wir sagen das so lange, bis der letzte Trümmerbrocken weggeräumt ist —,

(Zurufe von der SPD)

sondern die Bundesregierung und die Koalition der Mitte werden unser Sozialsystem wieder sanieren und dauerhaft und sicher auf- und ausbauen. Wir, die CDU/CSU-Mitglieder im Petitionsausschuß, werden auch weiterhin mit dafür sorgen, daß jeder Bürger ein offenes Ohr in diesem Ausschuß findet.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014000900
Das Wort hat Herr Abgeordneter von der Wiesche.

Eugen von der Wiesche (SPD):
Rede ID: ID1014001000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schneider, Ihr Diskussionsbeitrag heute morgen hat mich schon sehr verwundert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der war gut!)

Er war gespickt mit Polemik und hatte mit dem, was wir im Petitionsausschuß tun, sehr wenig gemein.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Wenn Sie — wie soeben — den Bereich Arbeit und Sozialordnung anziehen, so kann ich Ihnen nur sagen: Die Petitionen, die im Berichtszeitraum eingegangen sind, haben ausschließlich mit Kürzungen zu tun, die in Ihre Regierungsverantwortung fallen. Dies muß man sehr deutlich sagen.

(Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Das stimmt nun wieder nicht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen
Sie uns zum Bericht kommen. Ich meine, dies ist
wichtiger. Es hat wirklich keinen Sinn, zu versu-



von der Wiesche
chen, diese wichtige Arbeit Petition mit solch einer Polemik zu belasten.

(Zuruf von der SPD: Wohl wahr!)

Der vorliegende Bericht macht sehr deutlich, welche zusätzlichen Arbeiten neben der normalen Parlamentsarbeit notwendig sind, um den Sorgen und Nöten und Beschwerden der Bürger gerecht zu werden. Wir stellen fest, daß der Bürger mündiger geworden ist und einen immer stärkeren Einfluß auf Verwaltung und Gesetzgebung nimmt.
Dies ist besonders beim Petitionsausschuß durch die vielen Eingaben zu bemerken. Dadurch wird auch klar, daß der Petitionsausschuß eine besondere Anlaufstelle für den Bürger ist. Der Kollege Klaus Kirschner hat dies einmal definiert. Er sagte: Der Petitionsausschuß ist die Hand am Pulsschlag des Volkes. — Ich stimme dem zu, und ich sage im Umkehrschluß: Der Bürger macht mit seinen Petitionen und Eingaben klar, wo Lücken im politischen Handeln sind. Er macht klar, wie er Politik versteht, und macht deutlich, was er vom Gesetzgeber erwartet.
Dieses politische Stimmungsbarometer, meine Damen und Herren, wird bei den politischen Entscheidungen leider zu wenig beachtet. Unter diesem Aspekt ist zu verstehen, daß die Eingaben zu den Sparmaßnahmen im sozialen Bereich ganz eindeutig den Schwerpunkt bilden. Mehr als ein Drittel der Eingaben an den Petitionsausschuß sind dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zuzuordnen.
Wenn Probleme im Ergebnis nicht immer so zu regeln waren, wie wir dies uns selbst und den Petenten gewünscht hätten, so lag das nicht zuletzt daran, daß gesetzliche oder andere feste Regelungen dem entgegenstanden. Hier mußten und müssen wir stets die Grenzen im Auge behalten, die dem Petitionsausschuß gesetzt sind.
Der Petitionsausschuß ist kein Gesetzgebungsausschuß

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sehr wahr!) und schon gar kein Überausschuß.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Dies waren wir nicht und wollen es auch für die Zukunft nicht sein. Wir wollen auch den Fachausschüssen des Deutschen Bundestages nicht in die Quere kommen und für die Bürger Dinge fordern bzw. ihnen versprechen, die in den Fachausschüssen als nicht zweckmäßig oder als nicht vordringlich angesehen werden. Das bedeutet jedoch nicht, daß wir als Petitionsausschuß den Fachausschüssen keine Anregungen geben dürfen, die sich aus den Petitionsinhalten ergeben.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Auch richtig!)

Meine Damen und Herren, wir waren und sind bemüht, die an uns herangetragenen Einzelfälle so befriedigend wie möglich zu lösen. Für mich ist dabei ganz besonders wichtig, anzumerken, daß es bei der Tätigkeit im Petitionsausschuß auf die praktische Arbeit und sachgerechte Lösung der Einzelfälle ankommt. Dazu benötigen wir die tatkräftige Unterstützung der Ministerien und der obersten Bundesbehörden. Wenn die Zusammenarbeit im Berichtszeitraum in der Regel auch reibungslos ablief, so wünsche ich mir für die Zukunft doch eine etwas flexiblere, ja, eine unbürokratischere Behandlung der Fälle. Dazu gehört auch, daß die Bearbeitungsdauer der Petitionen erheblich verkürzt wird.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es ist nicht in allen Einzelfällen so gelaufen, wie wir es uns allesamt gewünscht haben. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Verfahrens und der langen Zeit bis zur Klärung mancher berechtigter Anliegen als auch hinsichtlich der Ergebnisse, die wir uns oft ein wenig anders erhofft haben. Deshalb haben auch wir als SPD-Fraktion im Berichtszeitraum Änderungsanträge zu einigen mit Mehrheit beschlossenen Voten gestellt und darüber im Plenum des Deutschen Bundestags diskutiert. Dies werden wir heute in dieser verbundenen Debatte in einem anderen Fall ebenfalls tun.
Meine Damen und Herren, der Bericht des Petitionsausschusses kann angesichts der steigenden Zahl von Einzelfällen und Sammeleingaben natürlich immer nur exemplarische Fälle behandeln. Deshalb will auch ich heute auf einige Fälle aufmerksam machen, die mir wichtig erscheinen.
Da gab es einen deutschen Urlauber, der in Italien in einem Alpenhochtal Urlaub machte und plötzlich lebensgefährlich erkrankte. Der Ort, in dem er Urlaub machte, war allerdings — sowohl im Sommer als auch im Winter — nur über die Schweiz erreichbar. Der italienische Arzt, der ihn untersucht hat, hat festgestellt, daß sofort operative Eingriffe notwendig seien. Er ließ ihn in das nächste Krankenhaus bringen, das in der Schweiz lag. Die Kosten für die Krankenhauspflege übernahm die Ersatzkasse, in der er versichert war, allerdings nur in der Höhe, wie sie auch bei Inanspruchnahme eines staatlichen Krankenhauses am Heimatort entstanden wäre.
Hinsichtlich der Beschwerde des Petenten wies das Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde der Ersatzkasse auf die einschlägigen EG-Verordnungen hin, nach denen Kosten nur in der Höhe erstattet werden, wie sie für eine bestimmte medizinische Maßnahme am Heimatort anfallen.
Der Petitionsausschuß war in dieser Frage anderer Auffassung. Er machte deutlich, daß es sich bei der Notoperation, die in der Schweiz erfolgte, um eine dringende medizinische Maßnahme handelte. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung wurde aufgefordert, auf die Krankenkasse im Rahmen seiner Rechtsaufsicht einzuwirken. Dies tat er mit Erfolg. Dem Petenten wurden inzwischen die restlichen Beträge erstattet. Dies ist ein Erfolg in einem Einzelfall, in dem dringendes Handeln notwendig war.
Eine weitere Sache: Eine in England lebende Rentnerin begehrte für die sogenannten Hascharah-Zeiten, für die Zeiten also, in denen es sich um eine Berufsausbildung für jüdische Mitbürger zwi-



von der Wiesche
schen 1933 und 1945 im ehemaligen deutschen Reichsgebiet handelte, die durch die Reichsvertretung der Juden in landwirtschaftlichen Kollektivausbildungsstätten oder handwerklichen Lehrwerkstätten inszeniert wurde, eine Intervention des Bundestages. Der Deutsche Bundestag hat anläßlich der Verabschiedung des Rentenanpassungsgesetzes 1982 eine Entscheidung versucht und Vorschläge gemacht, eine Regelung im Sinne der Petentin zu ermöglichen. Laut einer Stellungnahme des Bundesminsters für Arbeit und Sozialordnung tritt demnächst ein Zusatzabkommen zum deutschisraelischen Abkommen über soziale Sicherheit in Kraft. Allerdings muß man sagen, daß von diesem Abkommen lediglich jene Berechtigten Früchte ziehen können, die sich am 1. Januar 1982 in Israel aufgehalten haben. Der Petitionsausschuß war auch in dieser Frage der Auffassung, daß bei gleichem Tatbestand für die Wiedergutmachung für diese Zeit der Wohnort nicht ausschlaggebend sein kann. Das muß gerade im Hinblick auf den 8. Mai noch einmal deutlich gemacht werden.
Wir bedauern, daß gerade der Personenkreis, der nicht in Israel lebt, von dieser Regelung keine Früchte ziehen kann.
Lassen Sie mich noch einen Punkt aufgreifen. Ein Rentner beschwerte sich, daß die Bundesknappschaft über seinen persönlichen Antrag auf Kontenklärung und Rentenauskunft nach fast zwei Jahren immer noch nicht entschieden hat. Beschwerden darüber, daß die Bearbeitung der Anträge auf Kontenklärung und Rentenauskunft bei der Bundesknappschaft oft Jahre dauert, gingen uns dann mehrfach ein.
Wir haben als Petitionsausschuß dem Bundesversicherungsamt aufgetragen, sich über diese Dinge genau zu informieren. Das Ergebnis war, daß der Petitionsausschuß erreichte, daß die Bundesknappschaft ihre Personalsituation, aber auch ihre Arbeitsweise in diesem Bereich grundlegend änderte, um dadurch den Menschen, die mit der Bitte um Rat und Auskunft zu ihr kommen, schneller und hautnäher helfen zu können. Dies ist ebenfalls ein Erfolg.
Dies waren nur einige Merkpunkte zum Bericht des Petitionsausschusses über Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag. Dieser Bericht ist es wert, die besondere Beachtung aller Kollegen und Kolleginnen dieses Hauses, aber auch der Öffentlichkeit zu finden.
Ich bitte Sie recht herzlich, uns bei unserer Arbeit auch in Zukunft tatkräftig zu unterstützen.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014001100
Das Wort hat der Abgeordnete Wittmann (Tännesberg).

Simon Wittmann (CSU):
Rede ID: ID1014001200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Arbeit des Petitionsausschusses wird eigentlich nur einmal im Jahr in der Öffentlichkeit breiter dargestellt. Das geschieht heute durch die Debatte über diesen Bericht. Trotzdem wenden sich erfreulicherweise jährlich immer mehr Bürger an diesen Petitionsausschuß. Das hat sicher ganz große Bedeutung für die Integration vieler Staatsbürger in unser demokratisches Staatswesen. Ich freue mich, daß das auch von unserer Regierung so gesehen wird. Das zeigt ja die gute Präsenz auch jetzt, nach über einer Stunde Debatte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Mann und Herr von der Wiesche haben ja die Frage der Massenpetitionen insgesamt angesprochen. Herr von der Wiesche, ich teile eigentlich Ihre Meinung in der sachlichen Behandlung der Petitionen im Petitionsausschuß. Sie haben auch charakterisiert, daß der Petitionsausschuß eigentlich kein Überausschuß ist, sondern Sie haben hier ganz klar die Beschränkung auf die Behandlung der Anliegen der Bürger zum Ausdruck gebracht.
Aber gerade aus diesem Grunde halte ich es für falsch, wenn von Ihrer Fraktion und auch von den GRÜNEN in den letzten zwei Jahren immer wieder einzelne Petitionen dadurch bevorzugt behandelt werden, daß sie durch entsprechende Anträge im Bundestagsplenum behandelt werden. Die Tatsache, daß solche Anträge gerade bei Sammel- und Massenpetitionen gestellt werden, muß beim Bürger draußen den Eindruck erwecken, daß es zwei Klassen von Petitionen gibt: die Einzelpetition, die im stillen Kämmerlein behandelt wird, und die Massenpetition, die im Bundestag behandelt wird. Sie können ja von den 12 Petitionen eine Statistik machen.

(Kirschner [SPD]: Wir stellen ja noch einen Änderungsantrag! Da geht es ja um eine Einzelpetition!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014001300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Simon Wittmann (CSU):
Rede ID: ID1014001400
Selbstverständlich, Herr Peter.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1014001500
Herr Kollege, ist Ihnen gegenwärtig, wieviel der im Plenum behandelten Petitionen aus Massenpetitionen stammen und wieviel davon Einzelpetitionen sind?

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ungefähr die Hälfte!)


Simon Wittmann (CSU):
Rede ID: ID1014001600
Wenn ich die Petitionen im letzten Jahr nehme, ist es genau die Hälfte. Ich weiß, es waren seit dem Jahre 1983 insgesamt 12. Ich habe die Statistik nicht persönlich überprüft.
Ich habe schon gesagt, daß das ein Problem ist. Das ist nicht ein Vorwurf von mir an Sie von der Opposition. Das könnte aber den Eindruck der Vernachlässigung der Einzelpetition erwecken und führt dazu, daß das Vertrauen vieler Bürger in den Staat, die sich oft in persönlicher Not an den Petitionsausschuß gewandt haben, beeinträchtigt wird.
Ich habe gerade in Diskussionen mit vielen Bürgern draußen feststellen müssen, daß sie fragen: Warum kommt die eine Petition in das Plenum, und warum kommt die andere — die meine — nicht in das Plenum? Das dient meiner Ansicht nach weder



Wittmann (Tännesberg)

der Glaubwürdigkeit des Petitionsausschusses noch der von allen gewünschten Teilhabe der Bürger am politischen Prozeß.
Gerade in der vergangenen Woche hat die Debatte über einen Antrag der GRÜNEN zur Eingabe einer Bürgerinitiative gegen die Errichtung eines neuen Munitionsdepots gezeigt, daß Petitionen offenbar immer stärker zu einem Instrument parteipolitischer Auseinandersetzung gemacht werden. Die CDU/CSU-Fraktion wendet sich entschieden gegen diese Politisierung der Petitionen im Deutschen Bundestag. Petitionen sind unserer Überzeugung nach nicht geeignet zur parteipolitischen Profilierung im Deutschen Bundestag und zum Schielen nach einem möglichen Wählerpotential.
Die Sucht nach parteipolitischer Profilierung durch Petitionen zeigt sich, gerade wenn man den Bericht betrachtet, am deutlichsten bei der Behandlung einer Massenpetition zur Einführung des Volksentscheids auf Bundesebene. Die Petenten, die hierzu — wie schon öfters heute dargelegt — einen Gesetzentwurf vorlegten, wollten unter Bezugnahme auf Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes eine direkte Entscheidung des Volkes über grundlegende politische Fragen ermöglichen. Hierzu war im Petitionsausschuß eindeutig beraten worden. Dabei wurde festgestellt, daß weder aus dem Verlauf der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates noch aus der systematischen Stellung des Art. 20 des Grundgesetzes im Verfassungsrecht Anhaltspunkte für die Möglichkeit eines solchen Begehrens zu entnehmen sind. Obwohl die EnquêteKommission Verfassungsreform bereits im Jahre 1976 und die ganz überwiegende Lehrmeinung gegen die Einführung einer Volksabstimmung sprechen, wurde diese Petition von den GRÜNEN durch ihren Änderungsantrag in das Plenum gezerrt, um mit ihr parteipolitische Auseinandersetzung zu betreiben. Das jüngste Beispiel für diesen Versuch konnten wir ja letzte Woche bei dieser schon genannten Debatte erleben.
Auch die SPD hat im Berichtszeitraum mehrmals Petitionen in den Deutschen Bundestag gebracht, die lediglich der politischen Auseinandersetzung dienten. Ich darf als Beispiel bloß an die Sammelpetition von 72 Bürgern gegen die Lagerung chemischer Kampfstoffe erinnern.

(Mann [GRÜNE]: Es ist auch gut so, daß das hier behandelt wird!)

Das ist doch ganz bewußt ins Plenum gebracht worden, um eine parteipolitische Auseinandersetzung zu führen. Zu diesem Thema hat es eine Große Anfrage der GRÜNEN gegeben sowie mehrere schriftliche und mündliche Anfragen. Im Weißbuch 1983 hat es darüber auch einen entsprechenden Abschnitt gegeben. Das heißt, auch das diente nur der parteipolitischen Profilierung, da dem Informationsbedarf des Parlaments in der Sachfrage eigentlich Genüge getan worden war. Darüber hinaus beweist die Bundesregierung immer wieder — nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Genfer Abrüstungsverhandlungen —, daß sie bemüht ist, die Vernichtung aller chemischen Waffen voranzutreiben.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014001700
Herr Abgeordneter Wittmann, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Simon Wittmann (CSU):
Rede ID: ID1014001800
Selbstverständlich.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1014001900
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es sich bei den Fragen, die Sie angesprochen haben — Initiative für ein Bundesabstimmungsgesetz, aber auch Lagerung von chemischen Waffen —, um Dinge handelt, die die Bürger, die Petenten über die Parteigrenzen hinweg bewegen, und meinen Sie nicht auch, daß diese Fragen in diesem Parlament, das ja nun einmal über Parteien zustande kommt, diskutiert werden müssen?

Simon Wittmann (CSU):
Rede ID: ID1014002000
Herr Kollege Mann, ich stimme Ihnen zu, daß das Themen sind, die die Bürger bewegen. Aber es geht erstens nicht an, daß grundsätzlich auf Grund der Zahl der Unterschriften über die Behandlung im Petitionsausschuß entschieden wird. Zweitens gibt es im parlamentarischen Alltag des Bundestags genügend Gelegenheit, alle politischen Themen, die unsere Bürger bewegen, im Plenum und damit auch vor der deutschen Öffentlichkeit zu debattieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Mann [GRÜNE]: Das sollten wir vor allen Dingen tun, wenn Bürger das beantragen! Das hat gerade nichts mit Parteienstreit zu tun!)

Wir haben diese Dinge in unseren Voten im Petitionsausschuß auch immer berücksichtigt, indem sie in die Fraktionen und in die entsprechenden Fachausschüsse verwiesen wurden.
Bis zum Beginn dieser Legislaturperiode — um das auch einmal zu sagen — hat es auch nie das Verfahren gegeben, Petitionen durch Änderungsantrag in die Beratungen des Deutschen Bundestages einzubringen.
Trotzdem hat sich der Petitionsausschuß über Jahrzehnte erfolgreich für den Bürger eingesetzt, d. h. es hat keinen Grund gegeben, dieses Verfahren zu ändern. Wenn eine Änderung angestrebt wurde, dann standen dahinter auch ganz bestimmte parteipolitische Absichten. Auch ohne Debatte im Plenum und damit auch ohne Politisierung der Arbeit des Petitionsausschusses ist, wie gerade dieser vorliegende Bericht wieder zeigt, ein intensives Bemühen aller Parteien um diese Einzel- und Massenpetitionen zu erkennen. Das könnte an vielen Beispielen aufgezeigt werden.
Ich darf aus Zeitgründen nur ein Beispiel erwähnen: die 15 Sammel- und Massenpetitionen zum Tierschutz. Besorgte Bürger haben sich für eine Einschränkung oder für das Verbot von Tierversuchen ausgesprochen. Diese Petitionen wurden der Bundesregierung zur Erwägung überwiesen und haben mit dazu beigetragen, daß sowohl von der Bundesregierung als auch von den Fraktionen entsprechende Novellen zum Tierschutzgesetz auf den Tisch gelegt wurden, auch ohne daß man über diese Dinge im Plenum debattiert hat.



Wittmann (Tännesberg)

Auf Grund dieses Sachverhalts ist der vom SPD- Kollegen Peter bereits im Mai 1983 gemachte Vorschlag, Massenpetitionen unter bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich im Plenum des Deutschen Bundestages zu behandeln, auch der falsche Weg, den Bürger stärker am politischen Prozeß zu beteiligen. Der Petitionsausschuß — das sage ich ohne Polemik — darf nicht zum Mittel der politischen Auseinandersetzung werden. Darunter leidet letztlich die Glaubwürdigkeit der meiner Überzeugung nach hervorragenden gemeinsamen Arbeit.
Leider zeigt es sich aber — um noch einen letzten Aspekt zu bringen —, daß das parteipolitische Spiel auch in den Petitionsausschuß selbst hineingetragen wird. In fast jeder Ausschußsitzung wird versucht, in der Begründung einer Mehrheitsentscheidung — Sie haben j a zum Ausdruck gebracht, Herr Meininghaus, Sie bedauerten es, daß das zuwenig erfolge; ich halte es aber für falsch —, quasi ein Minderheitenvotum unterzubringen, manchmal sogar als Druckmittel gegenüber der Mehrheit, wenn diese vermeiden will, daß die ganze Geschichte durch einen Änderungsantrag ins Plenum kommt. Ich kann mich auch hier des Eindrucks nicht erwehren, daß dies letztlich aus parteipolitischen Gründen geschieht. Auch das stärkt nicht das Vertrauen der Bürger auf ernsthafte Bemühungen im Petitionsausschuß.
Die CDU/CSU-Fraktion ist auch weiterhin entschlossen, mit Ihnen zusammen für sachliche Arbeit zu sorgen, aber wir wollen durch unser Verhalten in diesem Bereich der Massenpetitionen auch verhindern, daß im Petitionsausschuß eine stärkere Polarisierung zwischen Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen entsteht — letztlich zum Nachteil unserer vielen Petenten.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014002100
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hansen (Hamburg).

Uwe Hansen (SPD):
Rede ID: ID1014002200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zufall will es, daß wir im Rahmen dieses Tagesordnungspunktes über eine Einzelpetition, die ein grundsätzliches Problem betrifft, reden können. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie, sehr verehrter Herr Kollege Vorredner, den anderen Fraktionen ihr durch die Geschäftsordnung legitimiertes demokratisches Recht, Einzelpetitionen auch hier vor diesem Hohen Hause zu behandeln, bestreiten wollen, und dies nach allem, was hier vorher zur hervorragenden und wichtigen Arbeit des Petitionsausschusses gesagt worden ist. Das steht doch in eklatantem Widerspruch zueinander!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Änderungsantrag zur Drucksache 10/3100 greift die SPD-Fraktion ein Problem auf, das seit der Existenz des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres besteht. Das Problem wird am Fall der Petentin deutlich. Lassen Sie mich das kurz schildern: Sie ist Beamtenvollwaise, hat nach dem
Abitur ein freiwilliges soziales Jahr abgeleistet und hat ihre Ausbildung mit Vollendung des 27. Lebensjahres noch nicht abgeschlossen. Auf Grund der geltenden rechtlichen Regelungen entfällt für sie die Zahlung der Vollwaisenrente über das 27. Lebensjahr hinaus.
Wäre diese junge Frau als Junge auf die Welt gekommen und hätte sie statt des freiwilligen sozialen Jahres einen Wehr- oder Zivildienst geleistet oder sich für drei Jahre freiwillig zum Polizeidienst verpflichtet, so gäbe es kein Problem; die Rente würde — entsprechend den kindergeldrechtlichen Regelungen — weitergezahlt.
Diese erstaunliche Ungleichbehandlung war im ursprünglich eingebrachten Gesetzentwurf 1964 gar nicht vorgesehen. Warum dieser Entwurf vor der Verabschiedung des Gesetzes verändert wurde, ist mir nicht bekannt. Es läßt sich vermuten, daß seinerzeit auf seiten der Regierungskoalition — es war damals die gleiche wie heute — zuviel über ein Pflichtjahr für Mädchen nachgedacht wurde und daß da bestimmte Befürchtungen bestanden.
Inzwischen haben wir aber eine über 20jährige Erfahrung mit diesem Gesetz. Es haben sich in dieser Zeit große Veränderungen im Bildungs- und Ausbildungssystem ergeben, und auch über die Frage der Gleichberechtigung von Frauen und Männern denken wir heute mehrheitlich doch wohl etwas anders. Ich behaupte jedenfalls: Hätten wir heute über ein solches Gesetz zu befinden, so würde die Gleichberechtigung sicher berücksichtigt werden.

(Beifall bei der SPD)

Auch Kostengründe können der notwendigen, vernünftigen und berechtigten Änderung dieses Gesetzes eigentlich nicht entgegenstehen. Laut Berechnung des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, um die ich im Petitionsausschuß gebeten habe, entsteht für die Regelung dieser Fälle ein Kindergeldmehraufwand von 300 000 DM, der bis 1988 auf 420 000 DM ansteigt.
Herr Kollege Schneider, Sie haben ja davon gesprochen, was für ein großes soziales Herz diese Regierung immer beweist, wenn es um Petitionen geht, die den Bereich Arbeit und Soziales betreffen. Ich bitte Sie. Wir müßten hier im Plenum heute nicht darüber reden, wenn Sie unserem Votum, diese Petition der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen, zugestimmt hätten. Dann müßte ich nicht heute das Hohe Haus bitten, sich mit der Frage zu befassen. Dann wäre die Sache erledigt gewesen. Sie haben die Chance, in dieser Debatte und heute Ihr Votum zu korrigieren und soziales Herz zu zeigen.

(Beifall bei der SPD)

Den Vorteil einer entsprechenden Änderung hätten zwar nicht ausschließlich, aber doch überwiegend junge Frauen, die einer von uns, von diesem Parlament, gewollten und geforderten sozialen Verpflichtung für die Gemeinschaft freiwillig nachkommen.
Meine Damen und Herren, auch kleine Schritte auf dem Wege zu mehr Gleichberechtigung zwi-



Hansen (Hamburg)

schen Frau und Mann sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Sie sind wichtiger als manche Sonntagsrede, die zu diesem Thema gehalten wird und die, wie im Falle dieser Regierung, in krassem Widerspruch zum realen Handeln steht. Lassen Sie uns also diesen kleinen Schritt tun!
Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014002300
Das Wort hat der Abgeordnete Schlottmann.

Norbert Schlottmann (CDU):
Rede ID: ID1014002400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die von der Opposition auf die heutige Tagesordnung gesetzte Petition zielt ja auf eine Änderung des Kindergeldgesetzes ab. Herr Hansen hat das hier eben vorgetragen. Die Petentin ist der Auffassung, daß das Kindergeld — ich darf das hier wiederholen — nach Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres über das 27. Lebensjahr hinaus gezahlt werden soll. Offenbar — das haben Ihre Worte, Herr Kollege Hansen, deutlich gemacht — sind auch Sie dieser Auffassung. Nur die Konsequenz, die Sie hier ziehen, kann ich nicht verstehen. Wenn Sie der Auffassung sind, daß hier eine Änderung des Kindergeldgesetzes notwendig ist, dann bringt man das nicht über diese Tagesordnung ins Plenum, sondern dann initiiert man eine echte Gesetzesänderung. Dann betreibt man das so, wie es sich gehört, und nicht auf diesem guten, aber in diesem Fall schwachen Weg.
Die CDU/CSU-Fraktion, das darf ich Ihnen sagen, kann einer derartigen Regelung hier nicht nachkommen, weil — das müssen wir grundsätzlich sehen — bei der Zahlung des Kindergeldes eine Altersgrenze bestehen muß. Kein Mensch kann sich vorstellen, daß wir das Kindergeld bis in wer weiß welche Altershöhen hinein gewähren können. Das geht einfach nicht. Deshalb also — das stelle ich hier fest — diese Altersgrenze, die wir allerdings bei Ableistung des Wehr- oder Ersatzdienstes überschreiten. Ich will Ihnen auch sagen, warum.
Ein verfassungsrechtliches Gebot zur Gesetzesänderung — ich gehe hier auf die Petition selbst ein — im Sinne der Gleichbehandlung, wie sie hier angesprochen worden ist, liegt nicht vor. Das sagt auch die sehr umfangreiche, Ihnen zur Kenntnis gegebene Stellungnahme der Bundesregierung. Also eine Notwendigkeit zur Gesetzesänderung etwa im Sinne der Gleichbehandlung liegt hier nicht vor, weil die Erfüllung der Wehrdienst- und Ersatzdienstpflicht für die Betroffenen unvermeidbar ist und die Leistung des freiwilligen sozialen Jahres dagegen auf freiem Entschluß beruht.
Ich merke an, Herr Kollege Hansen, daß auch solche Verzögerungen, die auf einem von dem Auszubildenden nicht zu vertretenden Grund, wie etwa Krankheit oder Mangel an Ausbildungsplätzen, beruhen, keinen Einfluß auf die Zahlung des Kindergeldes über die Altersgrenze hinaus haben. Wenn nun — ich sagte es eben schon — die Opposition der Auffassung ist, daß hier eine Änderung erfolgen sollte, verweise ich auf die Möglichkeit der Einleitung eines Gesetzesverfahrens, das, wie ich schon sagte, der bessere parlamentarische Weg wäre.
Daß meine Fraktion bereit ist, das Kindergeldgesetz im Bedarfsfall zu korrigieren, beweisen unsere jüngsten Initiativen wie die Wiedereinführung der Zahlung des Kindergeldes an arbeitslose Jugendliche, etwas, was Sie in Ihrer Regierungszeit abgeschafft haben, was wir korrigieren mußten, ebenso wie die Einführung der Zahlung von Kindergeld an Vollwaisen, ein Problem, das nicht in unserer Regierungszeit entstanden ist, sondern etwas ist, was damals zu Ihrer Regierungszeit — ich darf es einmal so sagen — verbockt worden ist.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014002500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Norbert Schlottmann (CDU):
Rede ID: ID1014002600
Ja, bitte schön. Präsident Dr. Jenninger: Bitte sehr, Herr Kollege.

Uwe Hansen (SPD):
Rede ID: ID1014002700
Herr Kollege Schlottmann, sind Sie bereit, zuzugeben und mir zuzugestehen, daß auch die Ableistung von drei freiwilligen Jahren bei der Polizei zu einer Verlängerung der Frist der Zahlung des Kindergeldes führt? Sehen Sie hierin auch keine Ungleichbehandlung?

Norbert Schlottmann (CDU):
Rede ID: ID1014002800
Ich habe deutlich zu machen versucht, daß wir uns dann, wenn der Bürger hier von einer Maßnahme betroffen ist wie beim Wehr- und Ersatzdienst, schon vor langer Zeit dazu verstanden haben, über die Altersgrenze hinauszugehen. Das ist eine Frage des Prinzips. Ich hoffe, daß ich Ihnen da die richtige Antwort gegeben habe.

(Hansen [Hamburg] [SPD]: Nein!)

Ich erwähnte unsere Initiativen zur Änderung des Kindergeldgesetzes. Sie hätten sich dabei mit Ihrer heutigen Sorge anschließen können, wenn Sie so davon bedrückt sind. Ich verweise in diesem Zusammenhang aber auch auf unsere neuen familienpolitischen Initiativen, die über steuerliche Erleichterungen für die Familien hinaus — wir werden morgen früh darüber reden — in bestimmten Fällen Kinderzuschläge vorsehen, die in der Auswirkung zu einer Verdoppelung des Kindergeldes führen und in der Tat dringend notwendige Verbesserungen — darauf möchte ich hinaus — für die Familien im Lande bewirken.
Hier also lagen und liegen unsere Schwerpunkte, die sich auch auf die Veränderung des Kindergeldgesetzes auswirken. Hier haben Sie also Beweise unserer Politik. Ich muß noch einmal sagen: Ihr Versuch, hier etwas zu ändern, ist nicht richtig, nicht gut plaziert worden.
Meine Damen und Herren, im Verbunde dieser Debatte und mit Blickrichtung auf den Jahresbericht möchte ich jetzt auf eine Reihe von hochinteressanten Initiativen mit mehr als fünfzigtausend Unterschriften des letzten Jahres eingehen, Petitionen, die auf die wachsende Bereitschaft in der Bevölkerung gegen das Problem der Jugendgefährdung durch gewaltverherrlichende und pornogra-



Schlottmann
phische Videofilme hinweisen. Das klare, eindeutige Ziel dieser vielen Petitionen war eine Verschärfung des gesetzlichen Jugendschutzes gegen das stark angestiegene Angebot jugendgefährdender Horrorfilme. Diese bedeutsamen Petitionen stehen stellvertretend für die allgemeine große Besorgnis von Jugendlichen, Eltern und Erziehern gegen den von Videobändern übertragenen Schmutz und Schund, wie er von vielen zwar in Unkenntnis, von manchen aber auch durch skrupellose Geschäftemacherei in höchst unverantwortlicher Weise an Kinder und Jugendliche herangetragen wird.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben diese Entwicklung und die damit verbundene negative gesellschaftliche Wirkung frühzeitig erkannt und zu einer intensiven Kontrolle des Videomarktes aufgerufen. Aber nicht nur das. Die längst fällige Novellierung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit wurde von uns in Gang gesetzt, so daß der Jugendschutz in der Bundesrepublik Ende des letzten Jahres neu und abschließend geregelt werden konnte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Kollege Sauer, der diese Arbeit betrieben hat, sitzt unter uns. Herr Kollege Sauer, herzlichen Dank nochmals dafür.

(Repnik [CDU/CSU]: Sauer [Stuttgart]!)

Das neue Gesetz berücksichtigt schwerpunktmäßig das von den Petenten geforderte Gebot einer Verschärfung der Verkaufs- und Verleihbestimmungen. Seit dem 1. April dieses Jahres ist das Gesetz in Kraft und fordert eine äußerst strenge Handhabung des Verkaufs und Verleihs von Videokassetten. Gleichzeitig wurden die Strafbestimmungen wesentlich verschärft. Das war notwendig.
Besonders grausame und unmenschliche Gewaltdarstellungen auf Videokassetten dürfen nicht mehr hergestellt und verbreitet werden. Das ist neu. Nunmehr — das ist die Auffassung der CDU/ CSU — muß das Gesetz durch die tatkräftige Mitarbeit der zuständigen Behörden, aber auch durch die Mitwirkung der Bürger im Interesse des Jugendschutzes verwirklicht, d. h. konsequent angewandt werden. Hier möchte ich bei dieser Gelegenheit einmal einen Schwerpunkt setzen.
Deshalb gilt unser Appell an alle Bürger, meine Damen und Herren, insbesondere an die Eltern, an die Erzieher und auch an die Politiker auf allen Ebenen, Verantwortung für unsere Kinder und Jugendlichen zu tragen und tatkräftig dafür zu sorgen, daß das Gesetz angewandt wird, aber auch Jugendhilfe- und Freizeiteinrichtungen im Sinne vorbeugender Jugendhilfe zur Verfügung gestellt werden.
In manchen Orten sind bereits Bürgerinitiativen für den Jugendschutz entstanden. Ich bin der Auffassung, daß derartige Initiativen in möglichst allen Gemeinden des Landes gebildet werden sollten. Neben Eltern, den Jugendlichen selbst und den Erziehern, sollten auch Vertreter der Polizei, der Staatsanwaltschaft, der Gewerbetreibenden, der Bibliothekare, der zuständigen Behörden und auch Politiker solchen Initiativen auf kommunaler Ebene beitreten. Hauptaufgabe dieser Arbeit wäre es, neben den gesetzlichen insbesondere erzieherische Maßnahmen mit dem Ziel der Aufklärung und Hilfe durchzuführen.
Neben einem attraktiven Angebot an Jugendfreizeitmaßnahmen — hier spreche ich mal unsere Kommunalpolitiker in besonderem Maße an, aber auch die freien Träger der Jugendhilfeeinrichtungen aller Art — sollten im Hinblick auf die Video-Problematik Angebote an guten und wertvollen Filmen und Kassetten gemacht werden. Ich gehe davon aus, meine Damen und Herren, daß der gute Videofilm auch jugendfördernd sein kann. So ist zu fordern, daß neben das Verbot untauglicher Kassetten die Förderung guter Filme tritt. Ich begrüße in diesem Zusammenhang die gleichlautende Absicht des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, der, wie ich hoffe, noch in diesem Jahr einen Bundes-Video-Preis ausschreiben wird. Durch diesen Preis sollen vor allem Jugendliche angeregt werden, selbst Videofilme herzustellen, wobei gleichzeitig das Angebot jugendgeeigneter wertvoller Videofilme erhöht werden könnte. Ich appelliere in diesem Zusammenhang an die Länder und Kommunen, auch hier mit gutem Beispiel zu folgen und eigene Preise zur Förderung guter Filme auszuschreiben.
Wenn wir es schaffen, meine Damen und Herren, im Bereich der Jugendgefährdungen — und dazu gehört mehr —, aber auch im Videobereich, viele Erwachsene, Jugendliche selbst und Politiker für verantwortliche Mitarbeit zu interessieren, werden auch die zuständigen Behörden alles daransetzen, das Gesetz in ihrer Verantwortung auszufüllen — und das einzig und allein im Interesse unserer Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien. So verstehen sich meines Erachtens die im Jahresbericht des Petitionsausschusses erwähnten Initiativen der ca. 50 000 Bürger und so versteht sich ganz sicher, meine Damen und Herren, unsere Antwort darauf in Form des neuen Jugendschutzgesetzes, das ab 1. April 1985 wirksam ist und konsequent — ich sage es noch einmal: konsequent — angewandt werden muß.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014002900
Das Wort hat Herr Abgeordneter Reuter.

Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1014003000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die jährliche Debatte über den Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses ermöglicht es, einmal einer breiteren Öffentlichkeit Einblick in die Arbeitsweise und die Aufgaben eines Ausschusses dieses Parlaments zu geben, der seine Arbeit meistens in aller Stille und Zurückgezogenheit vollzieht. Insofern will ich auch gern einmal das Argument der Frau Kollegin Berger aufgreifen, daß es richtig und vernünftig wäre, wenn



Reuter
das Fernsehen diese Diskussion übertrüge, nicht, weil wir da rein wollten,

(Kirschner [SPD]: Aber auch deshalb!)

sondern damit unsere Bürger einmal deutlich sehen könnten, wie das Parlament ihre Sorgen auch ernst nimmt.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, es ist sehr viel Richtiges und Wichtiges über unsere Arbeit heute schon ausgeführt worden. Auch ist die Bedeutung unserer Arbeit gebührend herausgestellt worden. Aber es ist heute morgen auch etwas Polemik verbreitet worden. Herr Kollege Wittmann, wenn Sie hier kritisieren, daß Fraktionen dieses Hauses die Rechte wahrnehmen, die ihnen in der Geschäftsordnung verbrieft sind, dann finde ich das schon etwas grotesk. Ich muß Ihnen sagen: Verbale Kraftakte des Kollegen Schneider, den ich ansonsten sehr schätze, von dieser Stelle aus tragen doch mehr dazu bei, daß eine gedeihliche Arbeit im Ausschuß not leidet, als wenn hier kontrovers kritische Themen diskutiert werden. Meine Damen und Herren, Demokratie ist der Kampf um den richtigen Weg. Wer davor Angst hat, muß eben in ein Mädchenpensionat gehen und darf nicht in das Parlament kommen.

(Beifall bei der SPD)

Ich freue mich mit der Frau Berger, daß die Regierungsbank zu Beginn der Debatte ordentlich besetzt war. Es ist aber auch hier wie in der Kirche so, daß die, die da sein sollten, um zu hören, was wir diskutieren, fehlen.

(Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Aber es sind doch noch eine ganze Menge!)

Ich freue mich aber, daß die Regierungsbank heute so gut besetzt ist, weil ich meine, meine Damen und Herren, daß hier die Mitglieder des Kabinetts eine sehr wichtige Aufgabe haben, denn sie sind aufgefordert, sich in ihrem Verantwortungsbereich nachhaltig für die Respektierung unserer Ausschußarbeit einzusetzen.
Hier möchte ich einmal einige Kritikpunkte aufgreifen, die mir bei der Bearbeitung von Petitionen aufgefallen sind, und einige Anmerkungen machen, wie ich mir eine noch höhere Effizienz unserer Arbeit vorstellen könnte. Es haben mir Petitionen vorgelegen, in denen Petenten sich darüber beschwerten, daß sie auf ein Schreiben an ein Ministerium nicht einmal eine Antwort erhalten haben. Auch die hier in der Diskussion laut gewordene Kritik an den langen Bearbeitungszeiten zeigt, daß man in manchem Ministerium die Bedeutung des Petitionsrechtes und der sich daraus ergebenden Konsequenzen noch nicht hinlänglich erkannt hat. Es ist, meine Damen und Herren, ein immerwährender Auftrag der verantwortlichen Minister, Staatssekretäre und sonstigen Vorgesetzten, ihre Mitarbeiter in den Ministerien und darüber hinaus in allen Bundesbehörden anzuhalten und zu motivieren, sich als Dienstleistungsunternehmen zu begreifen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, daß der Bürger für die Behörden da ist. Auch der letzte Mitarbeiter einer Behörde muß wissen, daß seine Behörde und er selber für den Bürger da zu sein haben und nicht umgekehrt der Bürger für die Behörde.
Es muß in allen Verwaltungen Allgemeingut werden, daß ein Bürger, der eine Petition einreicht, ein im Grundgesetz verbrieftes Recht wahrnimmt. Deshalb dürfen ihm hierdurch keine Nachteile entstehen. Auch hierzu könnte ich Beispiele vortragen, in denen diesem Prinzip nicht immer gefolgt wurde und Petenten Nachteile zumindest befürchten mußten, weil sie eine Petition eingereicht haben.
Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren noch etwas zum Selbstverständnis unserer Ausschußarbeit ausführen. Die Aufgabenstellung des Petitionsausschusses ist etwas anders zu sehen als diejenige bei anderen Ausschüssen dieses Parlaments. Im Petitionsausschuß darf zunächst nicht das parteipolitische Kalkül im Vordergrund stehen, sondern vielmehr das Anliegen des Petenten,

(Beifall bei der CDU/CSU)

die Sorgen, die Nöte von Menschen, für die der Weg zum Petitionsausschuß manchmal der letzte Hoffnungsschimmer ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im großen und ganzen möchte ich für alle Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses feststellen, was sicher auch für die Bürger unseres Landes wichtig ist, daß sich alle Mitglieder des Ausschusses weitestgehend an dieser Maxime orientieren.
Ich will allerdings nicht verschweigen, daß es auch Konstellationen gibt und gegeben hat, in denen der Eindruck vorherrschte, daß sich Mitglieder des Ausschusses zunächst einmal vor die eigene Regierung stellten oder selbst mitgetragene Entscheidungen als unumstößlich ansehen. Abgeordnete unseres Ausschusses dürfen sich nicht als verlängerter Arm einer Regierung verstehen und auch nicht als zusätzliche Korsettstange einer Koalition.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Gerade im Petitionsausschuß ist es wichtig, daß man auch einmal den Mut hat, die Entscheidungen seiner eigenen Parteifreunde in Frage zu stellen. Es gehört sicher auch eine gewisse Hartnäckigkeit, mit Sicherheit aber eine große Geschlossenheit des Ausschusses dazu, Petitionen gegenüber den Ministerien nachhaltig und erfolgreich zu vertreten.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das tun wir aber doch!)

Ich will etwas drastischer formulieren. Man muß schon hin und wieder durch ständiges Nachbohren den Verantwortlichen auf die Nerven gehen, um einen Erfolg zu erzielen. Hier, meine Damen und Herren, hat sich insbesondere auch die Kollegin Berger bleibende Verdienste erworben,

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)




Reuter
indem sie in der ihr eigenen charmanten Art so manchen Staatssekretär und Minister zur Räson gebracht hat.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Öfter wird die Frage gestellt: Was hat der Petitionsausschuß eigentlich erreicht? Ich will unsere Erfolge jetzt nicht im einzelnen aufzählen, da ja schon meine Vorredner auf einige positive Beispiele eingegangen sind. Ich möchte hier jedoch die Feststellung treffen, daß allein schon die Tatsache, daß ein solches Petitionsrecht nach Art. 17 des Grundgesetzes existiert und daß ein entsprechender Ausschuß dieses Hauses tätig ist, dazu beiträgt, daß Fehlentwicklungen im Verhältnis zwischen Staat und Bürger sich in Grenzen halten.
Eine solche Debatte soll uns auch ermuntern, Überlegungen anzustellen, wie wir das bestehende Petitionsrecht noch verbessern können. Ich meine hierbei die Bindungswirkungen unserer Entscheidungen. Manche Mitarbeiter in den Ministerien, die mit Petitionen konfrontiert werden, handeln nach dem Motto: Faßt ihr in eurem Ausschuß nur eure Beschlüsse; was wir dann damit machen, ist unsere Sache. So darf nach meinem Dafürhalten eine Petition nicht ihre Erledigung finden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch das Beispiel der Bundesstraße 33, das von der Frau Kollegin Berger schon angesprochen wurde, gibt mir Veranlassung, über eine Weiterentwicklung des Petitionsrechts nachzudenken. Es muß nach meinem Dafürhalten sichergestellt werden, daß dann, wenn eine Petition sich gegen Maßnahmen richtet, bei denen zu befürchten ist, daß während der Bearbeitung endgültige Fakten geschaffen werden, der Petitionsausschuß das Recht erhält, hier einen Stopp zu erwirken, bis eine endgültige Entscheidung über die Petition erfolgt ist.
Natürlich kann man keinen Automatismus dergestalt verlangen, daß bei Vorliegen einer Petition schon automatisch ein Baustopp z. B. eintritt. Hierzu wäre eine Mehrheitsentscheidung des Ausschusses notwendig, die dann aber für die zuständigen Behörden verbindlich sein müßte.
Das gleiche gilt für die Abschiebung von Ausländern, die sich mit Petitionen an den Deutschen Bundestag gewandt haben. Das derzeitige Verfahren, wonach während der Bearbeitung einer Petition schon Fakten geschaffen werden können, die die positive Erledigung dieser Petition unmöglich machen, führt nach meinem Dafürhalten das Petitionsrecht ad absurdum.

(Beifall bei der SPD)

Bevor jedoch die von mir aufgezeigte Weiterentwicklung des Petitionsrechts realisiert werden kann, scheint es mir wichtig, einmal darauf hinzuweisen, die zur Zeit dem Petitionsausschuß zur Verfügung stehenden Instrumentarien offensiv zu nutzen. Sehr energisch muß ich daher an uns alle die Aufforderung richten, gerade das Befugnisgesetz mehr als seither auszuschöpfen und insbesondere
Akteneinsicht bei der Bearbeitung von Petitionen zu verlangen. Hierbei kann manchmal mehr für die positive Erledigung einer Petition ereicht werden als mit manchem qualifiziertem Votum an die Regierung.
Die seitherige Erfahrung hat gezeigt, daß Petitionen, die Einzelfälle zum Inhalt haben, manchmal schon im Vorfeld der Ausschußberatung einer positiven Erledigung zugeführt werden konnten. Schwieriger ist es allerdings bei den Petitionen, die die Forderung nach einer Gesetzesänderung zum Inhalt haben.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch drei Beispiele dafür anführen, daß die Bundesregierung tätig geworden ist, ohne daß einer breiten Öffentlichkeit deutlich wurde, daß hier der Petitionsausschuß oder die vorliegenden Petitionen den entsprechenden Druck gemacht haben.
Es handelt sich zum einen um das hier schon angesprochene Kindergeld für Vollwaise. Hier lagen dem Ausschuß wiederholt Petitionen vor, bei denen uns immer wieder erklärt wurde, daß man diesem Anliegen nicht folgen könne. Die Bundesregierung hat dann erst gehandelt, nachdem auch der Bundesrat eine entsprechende Initiative ergriffen hat. Zu der Frage der Augustzahlungen des BAföG lagen dem Ausschuß massenhaft Petitionen vor. Immer wieder wurde auch hier die Meinung vertreten: Weil der Gesetzgeber erst kurz vorher so entschieden habe, könne man von der Bundesregierung keine Änderung verlangen. Trotzdem stellen wir aber jetzt fest, daß die Augustzahlung wieder eingeführt wird, wobei wir auch gern in Kauf nehmen, daß der zuständige Minister das dann als seinen Erfolg öffentlich vorführt.
Auch soll jetzt das Schwerbehindertengesetz wieder zugunsten der Behinderten rückreformiert werden. Nun gibt es schon Kollegen aus der Koalition, die dies als einen besonderen Erfolg feiern. Auch hier möchte ich mit Nachdruck darauf hinweisen, daß eine Anzahl von Petitionen zu diesem Problemkreis bei uns im Ausschuß vorlag. Ich freue mich darüber, daß hier das Petitionsrecht auch indirekt dazu beiträgt, daß Fehlentwicklungen bei beschlossenen Gesetzen wieder rückgängig gemacht werden.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ganz gleich, von wem beschlossen!)

— Vollkommen klar: ganz gleich, von wem beschlossen. Ich will aber dazu ergänzend sagen: Es ist nicht angemessen, wenn man tiefe Einschnitte in das soziale Netz vornimmt und dann wieder einen kleinen Schritt zurückgeht, dies als großen politischen Erfolg zu feiern.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Wie bei dem Kindergeld für jugendliche Arbeitslose!)

— D'accord! — Es ist sicher schwierig für unsere Bürger, diese Zusammenhänge zu erkennen. Deshalb wollte ich einmal mit diesen Beispielen auf die Wichtigkeit und Bedeutung des Petitionsrechts hinweisen. Ohne Art. 17 unseres Grundgesetzes wür-



Reuter
den manche Gesetze nicht so schnell novelliert wie in den von mir geschilderten Fällen.
Die Zahl der eingehenden Petitionen zeigt eine leicht steigende Tendenz, was auch deutlich macht, daß immer mehr Bürger ihre grundgesetzlich verbrieften Rechte kennen.
Wir alle sollten mit dafür werben, daß die Existenz dieses demokratischen Grundrechts noch mehr als bisher bei unseren Bürgern bekannt wird. Dadurch wird die positive Einstellung unserer Bürger zum Staat gefördert, und außerdem wird hierdurch sichergestellt, daß die Abgeordneten ihre Aufgabe als Vertreter des Volkes auch direkt wahrnehmen können.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014003100
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1014003200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstmals in der Geschichte des Deutschen Bundestags hat der Präsident den Jahresbericht des Petitionsausschusses persönlich entgegengenommen, überreicht durch die Ausschußvorsitzende. Wir möchten Ihnen, Herr Präsident, für diese Geste danken, zumal Sie dieses damit begründet haben, daß der Petitionsausschuß auch als Verbindungsstück zu den Bürgern und als besonderer Kontakt mit einzelnen Bürgern für Sie eine herausragende Bedeutung hat. Dieses Verständnis des Petitionsausschusses, so meine ich, muß auch unsere Arbeit in Zukunft bestimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Meininghaus, den ich besonders wegen seiner sachlichen Mitarbeit im Ausschuß schätze, hat zu Beginn der Debatte einige Schlußfolgerungen gezogen, von denen ich vermute, daß sie so nicht gemeint waren; denn es ist sicherlich etwas kühn, von der Anzahl der Petitionen darauf zu schließen, inwieweit die Bevölkerung mit der Regierung unzufrieden oder zufrieden ist. Wir hatten 1984 13 878 Petitionen; 1976 waren es beispielsweise 20 700. 1978 und 1982 waren es fast soviel wie 1984.

(Zuruf des Abg. Reuter [SPD])

— Genau, Herr Kollege Reuter. Es liegt nämlich nicht am Grad der Zufriedenheit mit der Regierung oder den Entscheidungen des Parlaments, sondern offensichtlich eher daran — darüber sollten wir wirklich einmal nachdenken —, wieviel Öffentlichkeitsarbeit der Petitionsausschuß leistet. Ich habe nachfragen lassen: Woran lag es eigentlich, daß wir beispielsweise 1976 20 000 Petitionen hatten, also rund 7 000 Petitionen mehr als im vergangenen Jahr? Dazu ist mir vom Ausschußbüro gesagt worden, es habe in jenem Jahr eine besonders intensive Öffentlichkeitsarbeit gegeben. Das sollte uns nachdenklich machen, was wir in diesem Bereich verbessern können.

(Zustimmung bei der SPD)

Eine zweite Bemerkung zu dem, was Herr Kollege Mann für die Fraktion DIE GRÜNEN gesagt hat. Zunächst einmal möchte ich erwähnen, weil ich es für bemerkenswert halte, daß die verfassungspolitischen Bemerkungen, die er zur Rolle des Petitionswesens gemacht hat, durchaus auch unserem Verständnis entsprechen. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß wir hier ein großes Stück Gemeinsamkeit haben.
Aber Sie haben den Vorwurf einer Organisation zitiert, die eine Massenpetition eingereicht hatte, nämlich die Bremer Abrüstungsinitiative. Ich wäre Ihnen dankbar gewesen, wenn Sie diesen völlig unberechtigten Vorwurf hier zurückgewiesen hätten. Wir haben diese Petition im Ausschuß genauso wie die Vielzahl von Einzelpetitionen behandelt. Von dieser Organisation wurde kritisiert, daß wir sie nicht persönlich angehört und zu einem Gespräch geladen haben.
Ich möchte Ihnen sagen: Für uns gilt, daß eine Massenpetition mit vielen tausend Unterschriften vom Verfahren und von der Bedeutung her genauso behandelt wird wie die Einzelpetition eines Bürgers, der uns mit einem handschriftlichen Brief seine persönlichen Sorgen vorträgt. Wir wollen da keine Unterschiede.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD — Mann [GRÜNE]: Sagen Sie doch mal was zum Inhalt!)

Auch auf Grund der Zwischenfrage des Kollegen Peter möchte ich zur Behandlung von Massen- und Sammelpetitionen doch noch eine Anmerkung machen. Ob nun eine Petition per ganzseitiger Zeitungsanzeige eingereicht wird, wie das beispielsweise von der „Aktion Volksentscheid" in der vorigen Ausgabe der „Zeit" geschah — sie wird sicher über 50 000 DM gekostet haben —, oder ob ein — ich sage es noch einmal — bruchstückhafter handgeschriebener Brief eingeht — für uns werden diese Petitionen gleich behandelt. Aber sie unterscheiden in der Behandlung, und das bedaure ich sehr.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014003300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1014003400
Ich möchte diesen Gedanken gern noch zu Ende bringen. — Sie unterscheiden in der Behandlung zwischen Einzelpetitionen und Sammel- bzw. Massenpetitionen. Herr Kollege Peter hat nämlich gefragt, wie viele der hier von den Oppositionsfraktionen im Plenum beantragten Einzeldiskussionen Massen- und Sammelpetitionen gewidmet waren und wie viele Einzelpetitionen gewidmet waren. Kollege Peter, wir hatten hier sechs Petitionen auf Grund Ihrer Anträge; drei davon — also 50 % — betrafen Massenpetitionen. Massenpetitionen machen aber von 13 878 Petitionen insgesamt nur 11 aus. Die Mehrzahl davon ist noch solchen Themen wie Tierschutz gewidmet, die Sie hier natürlich nicht behandelt haben, sondern Sie haben Abrüstungsfragen, Volksentscheid und die Problematik Verfassungsfeinde behandelt. Das heißt, Sie



Dr. Göhner
haben diese hochpolitischen Themen hierher ins Plenum gebracht und sich damit auf Sammelpetitionen mit vielen Unterschriften konzentriert und sie einer besonderen Behandlung unterzogen; Sie haben sie damit aus der Fülle der Einzelpetitionen herausgehoben. Das bedauern wir. — Bitte sehr, Herr Kollege.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1014003500
Herr Kollege Dr. Göhner, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß zwischen einer Einzelpetition und einer Massenpetition — wie der von Ihnen erwähnten der Bremer Abrüstungsinitiative — immerhin der Unterschied besteht, daß sich in dem Fall der Massenpetition fast 6 000 Bürgerinnen und Bürger — übrigens zu einem großen Teil mit individueller Begründung — an uns gewandt haben, und zwar in einer Schicksalsfrage, d. h. in der Frage der Raketenstationierung, die unser Volk wie kaum eine andere in der Geschichte unserer Republik bewegt hat?

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1014003600
Herr Kollege, ich nehme ja zur Kenntnis, daß Sie Sammel- und Massenpetitionen mit vielen Unterschriften anders gewichten als eine Einzelpetition. Ich sage nur für unsere Fraktion, daß wir unabhängig von der Zahl der darunter stehenden Unterschriften die Sammel- oder Massenpetitionen und die Einzelpetition genauso behandeln. Wir nehmen das eine nicht weniger ernst als das andere.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1014003700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Kirschner?

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1014003800
Aber gern.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1014003900
Herr Kollege Dr. Göhner, Sie sagen, wir würden unterschiedlich gewichten und hätten beispielsweise das Thema Tierschutz nicht ins Plenum gebracht. Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir die Tierschutz-Petition deshalb nicht ins Plenum gebracht haben, weil wir in diesem Fall einer Meinung waren? Ich erinnere beispielsweise auch an die Transporte von Schlachtpferden oder an die Meeresschildkröten. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir heute beispielsweise eine Einzelpetition hier ins Plenum bringen, weil wir das Anliegen des einzelnen Petenten genauso ernst nehmen wie das, hinter dem Tausende von Unterschriften stecken?

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1014004000
Herr Kollege, ich beklage nicht, daß Sie andere Petitionen nicht ins Plenum bringen. Ich stelle nur fest, daß die von Ihnen initiierten Einzelberatungen im Plenum den Themen — ich nenne noch einmal drei von sechs Themen — Abrüstung, Volksentscheid und Verfassungsfeinde gewidmet sind. Das waren die Themen, die Sie hier diskutiert haben.
Herr Kollege Kirschner, ich lege größten Wert darauf, daß wir den ernsthaften Versuch unternehmen —, dazu möchte ich noch einige Ausführungen machen —, uns wirklich auf die Frage zu besinnen: Wie können wir das, was der Kollege Reuter im
Hinblick auf das Rollen- und Selbstverständnis des Petitionsausschusses gesagt hat, sichern bzw. wiederherstellen? Denn ich sehe die Gefahr, daß Sie uns durch eine zunehmende Politisierung solcher Debatten die faktische Arbeitsteilung unseres Parlaments zwischen Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen auch im Petitionsausschuß aufdrängen. Wir möchten das nicht. Wir möchten gern Anwalt der Bürger sein, wir möchten gern wirkliche Kontrolle von Verwaltung ermöglichen.

(Vorsitz: Vizepräsident Cronenberg)

Die Vorsitzende Frau Berger hat hier vorgetragen, daß es eine Fülle von Fällen gibt — sie hat einige besonders herausragende hier genannt —, in denen wir gemeinsam die Regierung in die Pflicht genommen haben und — entgegen der zumindest anfänglichen Überzeugung der Regierung — in Einzelfällen Regelungen erreicht haben. Wenn wir aber immer stärker das faktische Rollenverständnis, das wir hier im Parlament allgemein praktizieren — ich beklage es —, und zwar nach dem Motto, ein wenig übertrieben: Die jeweiligen Oppositionsfraktionen lehnen fast alles ab, was von der Regierung kommt, und die jeweiligen Regierungsfraktionen unterstützen fast alles, was von dort kommt, in den Petitionsausschuß übertragen, dann ist der Petitionsausschuß mit seiner eigentlichen Wirkung und Aufgabe politisch am Ende. Das darf uns nicht passieren. Wir müssen die Unabhängigkeit wahren. Ich glaube, das geht nur, wenn Sie von der Versuchung ablassen, die politisch besonders brisanten, besonders kontroversen Dinge jeweils aus dem Ausschuß herauszunehmen und hier noch Einzelberatungen nachzuvollziehen. Alle sechs Fälle, in denen Sie das versucht haben — das können Sie nun wirklich nachlesen —, waren solche Fälle, in denen es parteipolitische Gegensätze gab. Ich meine, wir sollten das nicht zementieren.
Herr Kollege Reuter, Sie haben darauf hingewiesen, daß im Ausschuß gelegentlich gesagt werde: Das haben wir gerade vor einigen wenigen Wochen im Deutschen Bundestag beschlossen; deshalb erklären wir das für erledigt. Ich bitte Sie wirklich, folgendes zu bedenken: Wenn wir alle, der Deutsche Bundestag, nach intensiven Beratungen in den Fachausschüssen vor wenigen Wochen ein Gesetz beschlossen haben, dann kann es nicht Aufgabe des Petitionsausschusses sein, in seiner großen politischen Weisheit daherzukommen und zu sagen: April, April, das, was ihr — Fachausschüsse, Deutscher Bundestag — da vor wenigen Wochen beschlossen habt, wollen wir nun ändern. Wenn wir das täten, würden wir uns zum Überausschuß entwickeln.
Wenn wir in Einzelfällen Gesetze auf Grund entdeckter Gesetzeslücken nach einiger Zeit wieder in Frage stellen, z. B. — ich habe es vorhin per Zwischenruf angesprochen — wegen der Panne, die bei der Streichung des Kindergeldes für jugendliche Arbeitslose offensichtlich passiert ist, wenn wir solche Gesetze nach einiger Zeit reparieren, dann, so denke ich, erfüllen wir unsere Funktion, erfüllen wir unsere Aufgabe als Petitionsausschuß, nicht aber dann, wenn wir alte Kontroversen, die hier im



Dr. Göhner
Plenum geführt worden sind, wenige Wochen nach Beschlußfassung durch den Deutschen Bundestag wiederholen. Wenn das dann noch besonders — und damit wende ich mich an die Fraktion DIE GRÜNEN — bei Debatten zu verteidigungspolitischen Fragen geschieht, die wir hier fast monatlich führen, dann tragen wir, was ich außerordentlich bedaure, auf diese Weise Konfrontation und Polarisierung auch in den Petitionsausschuß hinein.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014004100
Gestatten Sie noch — die Möglichkeit würde ich Ihnen geben — eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirschner?

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1014004200
Sehr gern.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1014004300
Herr Kollege Dr. Göhner, erinnern Sie sich doch z. B. an die Petitionen zu den Änderungen im Schwerbehindertenrecht: Streichung der Freifahrten. Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten im Hinblick auf die Mehrheitsbeschlüsse des Deutschen Bundestages, weil die Regierung dies so gewollt hat, weil Sie das für richtig gehalten haben, alle dazu eingegangenen Petitonen für erledigt erklärt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Frage!)

Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf vorliegen, der hier einige Dinge rückgängig macht. Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir auch in solchen Dingen, selbst wenn es einige Monate zurückliegt, versuchen, entsprechend zu argumentieren, auch wenn es da unterschiedliche Meinungen gegeben hat. Das können wir doch nicht verwischen.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1014004400
Herr Kollege Kirschner, wir haben die von Ihnen erwähnten Petitionen j a nicht für erledigt erklärt. Wir haben beispielsweise bei der Frage, ob man den Kauf der Wertmarken zeitlich nicht aufteilen könne, den Weg, den Berlin hier gegangen war, auch den anderen Bundesländern empfohlen. Wir hielten das für eine gute Sache und haben diese Petitionen deshalb nicht für erledigt erklärt. — Worum es mir geht — Herr Kollege Kirschner, ich denke, da sollten wir wieder Konsens herstellen —, ist, daß wir Debatten, die wir hier erst vor kurzer Zeit geführt haben, erstens nicht im Ausschuß wiederholen und zweitens nicht — nach Beratung im Ausschuß — hier dann noch einmal führen. Damit langweilen wir uns doch selber und entwerten wir das Petitionsrecht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014004500
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3376. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich lasse jetzt über die Beschlußempfehlungen zu Punkt 2 b und zu den Zusatzpunkten 4 und 5 gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Sammelübersichten 73, 78 und 79 auf den Drucksachen 10/3100, 10/3362 und 10/3363 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 3:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Urheberrechts
— Drucksache 10/837 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 10/3360 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Saurin Stiegler
b) Bericht des Haushaltsausschusses

(8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

— Drucksache 10/3366 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Diederich (Berlin) Echternach
Kleinert (Marburg)


(Erste Beratung 50. Sitzung)

Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3387 sowie ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3391 vor. Der zuletzt genannte Änderungsantrag wird gerade verteilt. Sie können sich also noch darüber informieren.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten je Fraktion vorgesehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Saurin.

Wolfgang Saurin (CDU):
Rede ID: ID1014004600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn eine ganz kurze Bemerkung zur Berichterstattung machen. In Art. 1 Nr. 4 muß § 54 Abs. 5 in der Ausschußfassung um den letzten Satz aus § 54 Abs. 4 des Regierungsentwurfs ergänzt werden. Es ist also in § 54 Abs. 5 in der Ausschußfassung der Satz anzufügen: „Die Auskunft ist jeweils für das vorangegangene Kalenderjahr zu erteilen." Bei der Anfertigung der Drucksache mit der Beschlußempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses ist dieser Satz leider durch ein technisches Versehen untergegangen.
Die heute anstehende Beratung und Verabschiedung der Reform des Urheberrechtsgesetzes ist dringend erforderlich und geboten. Durch die Gesetzesnovellierung wird eine gerechtere und wirtschaftlich angemessenere Entlohnung der Urheber für ihre Arbeit verwirklicht. Darüber hinaus werden die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um das ansteigende Piratentum und den gewerbs-



Saurin
mäßigen Diebstahl an geistigem Eigentum effizienter bekämpfen zu können.
Vor 20 Jahren, 1965, wurde von der damaligen CDU/CSU-FDP-Koalition ein wirksames und international richtungweisendes Urheberrecht geschaffen. Seitdem hat eine technische Revolution im Bereich der Unterhaltungselektronik stattgefunden. In den 70er Jahren wurde es jedoch unterlassen, durch Verabschiedung einer Novelle zügig auf die infolge der rasanten technischen Entwicklung eingetretene stark vermehrte Nutzung von Urheberwerken mit einer verbesserten Entlohnung der Urheber und dem Schutz ihres geistigen Eigentums zu reagieren.
Während der Gesetzgeber 1965 nur von Spulentonbandgeräten ausgehen mußte, muß das Urheberrecht heute die explosionsartigen Umsatzsteigerungen bei Ton- und Videoaufzeichnungen sowie beim Fotokopieren berücksichtigen. Einem schrumpfenden Schallplattenabsatz stehen gewaltige Steigerungsraten bei Leerkasetten gegenüber, da es billiger ist, eine Platte zu kopieren, als sie zu kaufen. Schulbücher werden zum Teil nur noch als Kopiervorlagen benutzt, weil die Zettelwirtschaft im Unterricht immer weiter um sich greift. Der Absatz von Leerkassetten zur Aufzeichnung von Musikwerken und Filmen ist auf über 200 Millionen Spielstunden im Jahr gewachsen. Mit fast 1 Million Fotokopiergeräten werden ca. 25 Milliarden Kopien hergestellt, und der Einsatz einer neuen Generation von hochleistungsfähigen Tischkopierern und die Vervollkommnung der Vierfarbkopie stehen unmittelbar bevor.
Hier ist ein gewaltiger Markt für Urheberrechte an Musik-, Sprach-, Schriftwerken und Filmen entstanden, an dem Komponisten, Produzenten, Schriftsteller, Textdichter — die Urheber insgesamt — angemessen wirtschaftlich beteiligt werden müssen. Dafür schafft das neue Urheberrecht, das heute zur Verabschiedung ansteht, die Grundlage. Die Vergütungsaufkommen für die Urheber werden sich deutlich erhöhen. Künftig werden für jedes Fotokopiergerät eine einmalige, an der Leistungsfähigkeit des Geräts orientierte Vergütung sowie eine Großbetreiberabgabe erhoben. Dadurch wird sich das gesamte Vergütungsaufkommen für Schriftwerke von derzeit etwa 10 Millionen DM auf deutlich über 30 Millionen DM erhöhen.
Durch die neue Kombination aus Geräte- und Leerkassettenabgabe, die endlich eine größere Belastungsgerechtigkeit schafft, wird das derzeitige Aufkommen für das Kopieren von Musikwerken und Filmen von etwas über 30 Millionen DM auf deutlich über 70 Millionen DM ansteigen. Das Vergütungsaufkommen für die Urheber wird deshalb nach Verabschiedung des Gesetzes ganz beträchtlich anwachsen.
Die Urheber werden darüber hinaus an dem sich in den nächsten Jahren stark ausweitenden Markt der Audio- und Videokassetten sowie der Fotokopiergeräte beteiligt, da die Dynamik des Absatzes unmittelbar auch das Vergütungsaufkommen erhöhen wird.
Durch die Gesetzesnovelle werden endlich wirkungsvolle Straftatbestände gegen gewerbsmäßige Raubkopierer, die geistiges Eigentum stehlen, um sich auf Kosten der Urheber zu bereichern, eingeführt. Es kann nicht angehen, daß derjenige, der gewerbsmäßig Videokassetten im Laden stiehlt, mit einer höheren Strafe bedroht wird als jemand, der Hunderte oder Tausende von Videokassetten illegal kopiert und absetzt. Es kann nicht angehen, daß Leute Filme stehlen, kopieren und absetzen, bevor sie überhaupt die offizielle Kinopremiere erlebt haben. Dieser neuen, bedrohlichen Form der Wirtschaftskriminalität von zum Teil mafiaähnlich organisierten Unterweltgruppen muß mit harten Strafdrohungen begegnet werden. Das gewerbsmäßige Raubkopieren wird daher zu einem Offizialdelikt und kann künftig mit Freiheitsentzug bis zu fünf Jahren bestraft werden. Darüber hinaus wird die Einziehung der für die Straftat benutzten, zum Teil sehr teuren Vervielfältigungsgeräte ermöglicht. Der Schutz des geistigen Eigentums wird damit gegenüber der Regierungsvorlage deutlich ausgedehnt.
Es kann aber auch kein Zweifel bestehen, daß nicht alle mit der Reform des Urheberrechts verbundenen Erwartungen befriedigt werden konnten. Während die eine Seite sich deutlich höhere Vergütungssätze gewünscht hätte, betrachten andere die jetzt vorgesehenen Vergütungen schon als überhöht. Zudem mußte bei den Beratungen auf die stark von fiskalischen Gesichtspunkten und weniger vom Schutz des geistigen Eigentums geprägte Haltung der Bundesländer Rücksicht genommen werden.
Die Berichterstatter haben aus den stark divergierenden Meinungen einen letzlich wohl für alle tragfähigen Kompromiß gebildet, der eine gerechtere und erheblich höhere Entlohnung der Urheber für ihre Arbeit sicherstellt. Durch die klaren Regelungen und festen Vergütungssätze wird eine größere Rechtssicherheit für die Urheber geschaffen, die es ihnen ermöglicht, ihre Ansprüche einfacher und schneller durchzusetzen.
Die Belastung der gesamten Wirtschaft mit einem nicht vertretbaren zusätzlichen Verwaltungsaufwand durch die Einführung einer Betreiberabgabe, wie es der Regierungsentwurf vorsah, wird durch die praktikablere kombinierte Geräte- und Großkopiererabgabe vermieden. Die Befürchtungen, die deutsche Wirtschaft werde mit einem Netz von Betreiberabgaben überzogen, werden somit nicht eintreten; denn die CDU/CSU-Fraktion wollte ausdrücklich keinen zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die deutsche Wirtschaft. Zudem ist das neue Modell auch praktikabler für die Urheber, da es ihnen ermöglicht, ihre Vergütungen einfacher und wirkungsvoller abzukassieren.
Die Beratungen zur Novellierung des Urheberrechts haben aber auch eines sehr deutlich gezeigt, und zwar wie notwendig es ist, das öffentliche Bewußtsein zum Schutz des geistigen Eigentums zu verstärken. Es ist zwar für jeden eine Selbstverständlichkeit, für Kassettenrecorder, für Videorecorder, für Leerkassetten, für Fotokopiergeräte und für das Fotokopierpapier selbst zu bezahlen. Unver-



Saurin
ständlich ist jedoch für viele, daß geistiges Eigentum genauso dem Schutz des Art. 14 des Grundgesetzes unterliegt wie materielle Werte. Es muß deshalb zu einer Selbstverständlichkeit werden, daß derjenige, der geistiges Eigentum in Anspruch nimmt, um Ton- oder Videokassetten mit Filmen oder Musik zu füllen oder Sprachwerke zu kopieren, ebenfalls eine Vergütung an den Eigentümer zu entrichten hat.
Nach Ergebnissen aus Skandinavien, England und der Schweiz, die in ähnlicher Größenordnung auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen werden können, macht die Vermarktung des geistigen Eigentums einen Anteil von ca. 6 % am Bruttosozialprodukt aus. Diese immense wirtschaftliche Bedeutung des geistigen Eigentums und der daher notwendige Urheberrechtsschutz bzw. die angemessene Entlohnung der Urheber müssen eine verstärkte Verankerung im öffentlichen Bewußtsein finden.
Die Novelle zum Urheberrecht wird die Spitzenstellung der Bundesrepublik Deutschland beim Schutz des geistigen Eigentums im Vergleich zu anderen Ländern sichern und international sicherlich große Beachtung finden. Es darf jedoch nicht der Eindruck entstehen, daß damit der Urheberrechtsschutz für alle Zukunft gesichert ist. Gerade angesichts der rasant fortschreitenden technischen Entwicklung im Bereich der neuen Medien und der Kommunikationstechnologien darf es nicht wieder 20 Jahre dauern, bis die nächste sicherlich notwendig werdende Verbesserung des Urheberrechtsschutzes erfolgt. Um auch zukünftig eine gerechte Entlohnung der Urheber und den wirksamen Schutz ihres geistigen Eigentums sicherzustellen, wird die Bundesregierung daher ersucht, nach drei Jahren über die Angemessenheit der Vergütungssätze sowie über die Notwendigkeit einer Anpassung des Urheberrechts auf Grund neuer technischer Entwicklungen zu berichten.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird ihren 1965 bei der Verabschiedung des letzten Urheberrechtes beschrittenen und jetzt erneuerten Weg der gerechten Entlohnung der Urheber und des wirksamen Schutzes des geistigen Eigentumes zukünftig fortsetzen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014004700
Das Wort hat der Abgeordnete Stiegler.

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1014004800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heutige Tag ist in der Rechtsgeschichte, in der Geschichte des geistigen Eigentums ein wichtiger Tag. Wir sind in der Lage, gemeinsam einen weiteren Schritt zur Verbesserung des Urheberrechts zu gehen. Das wird von allen Fraktionen dieses Hauses getragen.
Wir Sozialdemokraten haben an dieser Urheberrechtsnovelle aktiv mitgearbeitet und stimmen ihr zu. Diese Zustimmung fällt uns um so leichter, als der Regierungsentwurf auf Vorarbeiten der sozialdemokratischen Justizminister Dr. Vogel und Dr.
Schmude basiert. Die neue Koalition hat dankenswerterweise den früheren Entwurf übernommen und wieder eingebracht.

(Zuruf des Abg. Marschewski [CDU/CSU])

— Freuen Sie sich doch, daß Sie diese Kontinuität überhaupt wahren konnten!

(Beifall bei der SPD und des Abg. Kleinert [Hannover] [FDP])

Wir haben als Berichterstatter oft die Situation gehabt, daß nicht das Problem der verschiedenen Fraktionen, der verschiedenen politischen Meinungen zwischen uns stand, sondern wir hatten als die drei Berichterstatter, die grundsätzlich urheberfreundlich eingestellt waren und sind, allerhand Angriffe vor allem von seiten der Länder zu bestehen. Ich betone ebenso wie der Kollege Saurin: Das Bewußtsein unserer Länder, vor allem der Kultusminister, für die Belange des geistigen Eigentums ist außerordentlich entwicklungsfähig. Das muß man den Ländern, die dann letztendlich doch noch kooperativ mitgearbeitet haben, auch ins Stammbuch schreiben.
Wir haben materiell einiges verbessert. Ich erinnere vor allem an die Lichtbildautoren, an die, die mit ihren „Kanonen" von dort oben ihre Bilder schießen. Ihre Leistungen werden in Zukunft besser geschützt werden. Wir haben übrigens auch den Belangen etwa der bayerischen Trachtenverbände entsprochen, die nicht wollten, daß man durch Hinzufügung eines kleinen Jodlers an eine gemeinfreie Volksmusik plötzlich Gebühren kassieren kann. Wir haben auch diesen Bereich durchaus zufriedenstellend geregelt. Wir haben manche Versuche, aus dem Urheberrecht einen Schweizer Käse mit mehr Löchern als Substanz zu machen, gemeinsam zurückgewiesen.
Im übrigen haben wir nicht das Urheberrecht selber, sondern die Durchsetzung des Urheberrechts der technischen Entwicklung angepaßt. Es ist ja nicht so, als ob es bisher keinen Urheberrechtsschutz für all die Nutzungen gegeben hätte, die es in letzter Zeit auf Grund der technischen Entwicklungen neu gegeben hat. Nur war eben das Durchsetzungsinstrumentarium unserer Rechtsordnung nicht dafür geeignet, diese Ansprüche auch wirklich durchzusetzen und zu verwirklichen. Diesen Unterschied zu sehen ist sehr wichtig. Viele, sogar bedeutende Agenturen schreiben so, als ob etwa für den Fotokopierbereich der Urheberrechtsschutz jetzt erst eingeführt würde. Davon kann keine Rede sein. Auch bisher schon gab es einen Urheberrechtsschutz. Nur ist er tausend-, ja, man kann sagen, milliardenfach umgangen worden. Den Urhebern ist nicht das gegeben worden, was sie eigentlich gebraucht hätten.
Darum ist praktisch ein neues Inkassoverfahren über die Großbetreiberabgabe und über die Geräteabgabe eingeführt worden. Diese rechtliche Differenzierung hat ihre Bedeutung etwa für die Altverträge. Es gab in den letzten Tagen noch Fernschreiben, in denen einige gemeint haben, für die Sünden der Vergangenheit müsse man jetzt sozusagen mit einem Generaldispens rechnen. Davon kann keine



Stiegler
Rede sein. Mit den Altgeräten, die installiert sind, muß — möglicherweise mit einer degressiven Anpassung — nach wie vor für die Urheber aufgekommen werden. Es ist Sache der Verwertungsgesellschaften, das durchzusetzen.
Wir haben von allen Seiten Prügel bekommen. Als Weltkinder stehen wir in der Mitten. Diese Diskussion zeigt, daß wir wohl einen Weg gefunden haben, der tragfähig und tragbar ist.
Aber wir müssen im Urheberrecht weitergehen. Wir sind auch mit dieser Novelle noch nicht auf dem gegenwärtigen Stand der Verwertung. Gerade die neuen Medien bereiten uns erhebliche Probleme. Das Satellitenfernsehen steht vor der Einführung. Die Urheberrechtsfragen sind überhaupt nicht geklärt. Ich empfehle dem Herrn Justizminister, den Bundespostminister zu einem Urheberrechtskolleg einzuladen, damit sich nicht ausgerechnet dessen Riesenunternehmen durch Urheberrechtsverletzungen besonders hervortut und von den Gerichten auf den Pfad der Tugend zurückgeführt werden muß.

(Mann [GRÜNE]: Ein guter Vorschlag!)

Der Schwarz-Schilling soll sich nicht nur um Kabel, sondern auch um Urheberrechte bemühen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie des Abg. Kleinert [Hannover] [FDP])

Er muß hier noch sehr ermuntert werden, rechtstreu zu bleiben.

(Dr. de With [SPD]: Die Post ist im übrigen schon verurteilt worden!)

Wir müssen uns etwa für Senderechte bei Wortsendungen, die zunehmen werden, etwas einfallen lassen. Die Urheberrechtsfragen, die die neuen Datenbanken aufwerfen, sind in einer intensiven Arbeit zu beantworten. Wir haben den ganzen Bereich des Urhebervertragsrechts noch nicht geregelt. Gerade das geltende Urhebervertragsrecht, das den Autoren die Zweitnutzungsrechte wirklich schamlos vorenthält, ist unbedingt fortzuentwickeln. Das betrifft nämlich die Hunderttausende von Leistungserbringern, denen bisher von wenigen Großabnehmern ihre Rechte über den Lohn oder über das Honorar praktisch ein für allemal genommen werden, so daß die Weiterverwertung bei den anderen liegt. Wir müssen schauen, was sich im BtxBereich urheberrechtlich tut, und wir müssen uns auch das Filmurheberrecht noch einmal gemeinsam anschauen; denn auch dort sind neuere Entwicklungen im Gange, die wir miteinander im Auge behalten müssen.
Meine Damen und Herren, schließlich müssen wir dem Recht am geistigen Eigentum auch in der öffentlichen und in der veröffentlichten Meinung, die sich bisher nicht gerade durch übertriebene Sachkenntnis auszeichnet, den notwendigen Rückhalt verschaffen.
Am Ende der Beratungen möchte ich Herrn Ministerialdirektor Krieger und Frau Möller danken, die uns Berichterstatter bei vielen Änderungswünschen, die wir Ihnen vorgelegt haben, sehr unterstützt haben. Sie haben geduldig Formulierungshilfe um Formulierungshilfe geleistet. Dafür ein herzlicher Dank!

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Zu danken haben wir auch den Fraktionskollegen. Viele von ihnen haben unter dem Druck der kommunalen Verbände und der Justizminister gestanden. Viele von ihnen haben gerade in den letzten Tagen eine Menge Fernschreiben, die den Zeitpunkt des Inkrafttretens noch hinausschieben wollten, bekommen. Wir als Berichterstatter bedanken uns bei ihnen dafür, daß sie widerstanden haben und miteinander Stehvermögen bewiesen haben.
Schließlich danken wir auch den Ländern dafür, daß sie zwar zähneknirschend, aber, wie ich höre, gestern in dem für das Urheberrecht zuständigen Unterausschuß des Bundesrates doch immerhin eingelenkt und signalisiert haben, daß sie mit uns diese Novelle tragen.
Meine Damen und Herren, ein wichtiger Schritt auf dem Wege, der technischen Entwicklung zu entsprechen, ist getan. Wir sind aber in der Urheberrechtsentwicklung nicht am Ende; vielmehr zeichnet sich in der Urheberrechtsverwertung eine explosionsartige Entwicklung ab. Und dem muß die Rechtsordnung entsprechen. Ich kann dem Bundesjustizminister nur empfehlen, die Urheberrechtskommission mehr als bisher zu bemühen. Die Herren Professoren sollen nicht nur einmal im Jahr zu einem barmherzigen Abendessen zusammenkommen, sondern wirklich etwas zur Urheberrechtsentwicklung und zur Reaktion auf die technische Entwicklung beitragen; denn nur dann werden wir in der Lage sein, in drei Jahren, wenn der nächste Bericht fällig ist, zu all den neuen Problemen und zu all den neuen Themen Antworten zu geben und den Autoren insgesamt gerecht zu werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014004900
Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne haben der Präsident des kanadischen Senats, Herr Guy Charbonneau, und die Mitglieder einer Delegation beider Häuser des kanadischen Parlaments Platz genommen.
Die Delegtion besucht die Bundesrepublik Deutschland auf Einladung des Bundesrates. Ich habe die Freude und die Ehre, sie heute in der Sitzung des Bundestages begrüßen zu dürfen. Der Deutsche Bundestag freut sich über die Gelegenheit, den Meinungsaustausch mit dem Parlament Kanadas fortsetzen zu können im Interesse freundschaftlicher Beziehungen unserer Länder und Völker. Die gute und enge Zusammenarbeit der Parlamentarier beider Länder auch in den internationalen Gremien ist ein sichtbares und überzeugendes Zeichen unserer gemeinsamen Bemühungen um Frieden und Freiheit. Es ist mir eine ganz besondere Ehre und Freude, darauf hinzuweisen, daß die Delegation auch Berlin einen Besuch abgestattet hat.

(Beifall)




Vizepräsident Cronenberg
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1014005000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bedeutung dieser Stunde, die sicherlich von vielen verkannt wird — das hat insbesondere Rechtspolitik häufig so an sich —, ist von den Vorrednern schon unterstrichen worden. Ich schließe mich den Ausführungen der Kollegen an. Es ist wirklich sehr beachtlich, was mit Hilfe der ebenfalls bereits genannten Damen und Herren aus dem Bundesjustizministerium hier nach so langer Zeit als umfassende Novellierung des Rechts am geistigen Eigentum — so sollte man es wohl deutlich nennen — zustande gekommen ist. Ich schließe mich also auch dem bereits ausgesprochenen Dank an Frau Möller und Herrn Ministerialdirektor Krieger an und drücke darüber hinaus auch meine besondere Freude über die Art aus, wie wir diesen Gesetzentwurf beraten haben, quer durch die Fraktionen. Herr Mann, das geht nicht gegen Sie. Wir haben darüber verhandelt, bevor Sie zu uns gestoßen sind, auf Grund eigenwilliger Mechanismen in Ihrer Partei, die uns nicht zu beurteilen obliegt. Ich befinde mich da in einem gewissen Gegensatz zum früheren Landtagspräsidenten in Niedersachsen. Ich kümmere mich nicht um Ihre Angelegenheiten. Ich nehme nur zur Kenntnis, was auf uns zukommt. Sie konnten deshalb nicht dabeisein.
Jedenfalls haben wir quer durch die Parteien gezeigt, daß dieses Parlament sachliche Arbeit leisten kann, wegen der betroffenen Gruppen und nicht wegen irgendwelcher ideologisch vorbestimmter grundsätzlicher Richtungen. Das war ja wahrlich nicht leicht. Das ist ganz feinsinnig — ich vermute die Handschrift von Herrn Saurin auf Seite 21; ich kann Ihnen das Blatt zur Lektüre empfehlen, ich empfehle nur eine Seite und deren erste Hälfte — im Bericht des Rechtsausschusses ausgeführt: „Angesichts des Umfangs und der Bedeutung der von dem Gesetzentwurf betroffenen wirtschaftlichen Interessen war der Gesetzgebungsprozeß von großem Engagement der betroffenen und beteiligten Kreise begleitet." Das finde ich schon sehr schön ausgedrückt. In der Praxis bedeutet das nämlich, daß die Damen und Herren einem viele, viele Stunden auf die Bude gerückt sind, um zu sagen, warum sie nicht zahlen können, andere aber sehr gut sehr viel zahlen können, damit zum Schluß das von ihnen sehr richtig erkannte gemeinsame Anliegen durchgesetzt werden kann, aber, wie gesagt, nicht auf ihre Kosten, sondern auf Kosten der anderen.
Dann haben wir — das kann ich den Kollegen, soweit vorhanden, aus anderen Bereichen bei dieser Gelegenheit einmal empfehlen — u. a. einen Kunstgriff angewendet, der in das große Kapitel gehört, das hier viel zuwenig und auch nur mit einer mir unverständlichen Verschämtheit angesprochen wird, nämlich in das Kapitel des Umgangs mit der Lobby. Wir haben nämlich die zwei Hauptverbände, soweit es um die Tonwiedergabe geht, nachdem sie uns, wie ich eben dargestellt habe, jeweils erzählt hatten, der andere könne zahlen, er selbst aber leider gar nicht, gefragt, ob sie etwas dagegen hätten, gemeinsam mit uns zu verhandeln.
Wir haben die beiden an die zwei Seiten eines Tisches gesetzt und haben sie reden lassen. Wir haben zu dritt im Präsidium gesessen, haben uns das Ganze angehört und haben ein bißchen moderiert, wie man heute wohl sagt. Zum Schluß haben wir dann den Kompromiß abgesegnet, den die beiden aufkommensneutral geschlossen hatten. Das ist ein System, das ich Ihnen zur Nachahmung nur empfehlen kann. Warum sollen eigentlich wir diejenigen sein, die dem jeweils anderen Verband erklären, was geht und was nicht? Sie sollen sich das doch gegenseitig erzählen. Das hat sich sehr bewährt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

So ist es auch mit vielen anderen Verbänden der Betroffenen geschehen. Wir haben natürlich — auch das ist bereits gesagt worden — kein allgemeines Lob ernten können. Wir haben es auch nicht einmal erwartet. Wir glauben aber, nachdem im Aufkommen für die Urheber hier unter dem Strich ein großer Schritt nach vorn getan ist, daß man über die eine oder andere scheinbare oder tatsächliche Ungerechtigkeit bei der Methode der Aufbringung nach einiger Zeit gelassener denken wird. Im übrigen werden wir in drei Jahren den Bericht der Bundesregierung zur Kenntnis nehmen, der sich dann auf bedeutend dichteres Zahlenmaterial wird stützen können, schon weil wir heute diese Vorlage hier gemacht haben.
Zu dem Bewußtsein der Bevölkerung. Es ist ja etwas Eigenartiges, etwas so Unfaßbares wie das Eigentum an einer geistigen Leistung geldwertig zu betrachten. Deshalb widerstreben viele bei der Idee — es gibt auch andere Gründe, warum viele, die sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen, widerstreben —, für die geistige Leistung Geld aufzubringen. Jeder Vereinskassierer hat irgendwann einmal Ärger mit der GEMA gehabt, um es ganz einfach zu sagen. Da kommen die an und sagen: Ihr habt bei eurem Schrebergartenfest fünf Stunden Musik gemacht — sogar politische Parteien machen gelegentlich solche Veranstaltungen —; dafür möchten wir bitteschön soundsoviel sehen. — Das wird gelegentlich auch noch ungeschickt vorgetragen. Dann sind alle Menschen auf die GEMA sauer.
Wir haben nun überhaupt nicht die Idee — schon gar nicht als Liberale —, daß es erfreulich sei, die geistige Leistung anders als in einem gegenseitigen Vertrag individuell zu bewerten. Wir müssen aber einsehen, daß in unserer Zeit und bei unseren wirtschaftlichen und technischen Verhältnissen hier nur eine notwendigerweise anonymisierende Betrachtungsweise und ein entsprechendes Einzugssystem zu ein wenig mehr — mehr wollen wir gar nicht erreichen; das können wir vernünftigerweise nicht erhoffen — Gerechtigkeit führen können. Deshalb müssen wir akzeptieren, daß sich Organisationen gegründet haben, wahrscheinlich — das möchte ich jedenfalls hoffen — nicht aus Uneigennützigkeit, sondern damit auch einige der uns bekannten Herren aus dieser Tätigkeit ganz ordentliche Gehälter beziehen, aber sich auch sinnvoll be-



Kleinert (Hannover)

mühen, den Urhebern zu ihrem Recht in dem möglichen Rahmen zu verhelfen.
Wir haben in unseren Beratungen dieses Vorurteil einmal überprüft und haben uns sagen lassen, daß der Aufwand, den z. B. die GEMA oder die „Verwertungsgesellschaft Wort" haben, nicht größer, sondern eher geringer als der Aufwand ist, den z. B. unsere Finanzämter für die Eintreibung der einen oder anderen Steuer betreiben. Das finden wir allerdings noch einigermaßen akzeptabel und bitten bei dieser Gelegenheit darum, diese Bemühungen und die Notwendigkeit so organisierter Bemühungen anzuerkennen, obwohl wir sie auch immer wieder, wie geschehen, kritisch begleiten wollen.
Zu einem Punkt möchte ich abschließend noch etwas sagen. Wichtig ist es bei der Gesetzgebung, auch zu bedenken, wie sich das umsetzt. Es genügt nicht, wenn wir als Abgeordnete uns Gedanken machen, ob die GEMA möglichst kostengünstig arbeitet. Wir müssen uns auch einmal fragen: Welche Kosten setzen wir mit so einem Gesetz in Gang, und zwar nicht nur bei irgendwelchen Behörden oder Institutionen, sondern auch bei der Masse der Betroffenen? Das haben wir getan, mit der Folge — das ist auf Protest gestoßen, den ich nur in gewisser Weise versehen kann —, daß wir an Stelle der ursprünglich durchgängig gedachten Betreiberabgabe in wesentlichen Bereichen eine Geräteabgabe beim Kopieren gesetzt haben. Denn wir waren der Meinung, es ist unmöglich, in sämtliche Firmen, Kanzleien, freiberuflichen Praxen welcher Art auch immer dieses Landes Späher auszusenden, die dort nachzählen, was kopiert worden ist, und danach Rechnungen aufzustellen und Beträge einziehen. Das hätte die Sache geradezu ad absurdum geführt. Wenn wir nun ein anderes System gewählt haben, um dieses viele sonst unnütz ausgegebene Geld zu sparen und das Gesamtaufkommen wirklich mehr den Urhebern zugute kommen zu lassen, müssen wir auch darum bitten, daß die damit verbundene weniger genaue Gerechtigkeit im Einzelfall akzeptiert wird.
Ganz zum Schluß: Wir hatten diese Debatte schon einmal an einem späten Abend vor einigen Monaten für die erste Lesung vorgesehen. Einige Presseerzeugnisse in diesem Lande haben ein Gedicht abgedruckt, das angeblich an dem Abend hier verlesen worden sein soll. So etwas passiert der Presse gelegentlich. Es ist nicht verlesen worden, weil die SPD-Fraktion darum gebeten hatte, die Debatte abzuschließen, wegen mangelhafter Besetzung des Hauses, wenn ich mich recht erinnere. Gleichwohl wurde es gedruckt. Nun möchte ich es aber doch den Kollegen, die anwesend sind, noch kurz verlesen dürfen, damit die Sache auch pressemäßig wieder in Ordnung kommt. Verfasser ist unser dafür inzwischen rühmlich bekannter Kollege Neuhausen. Er hat sich zu dem Kopierproblem wie folgt geäußert:
Es sitzt ein Reh im Wald und friert, die Bäume sind hier nur kopiert, aus einem großen Bilderbuch,
das ist der Technik schlimmer Fluch. Der Förster tritt hinzu und weint,
weil auch sein Hund kopiert nur scheint, sein Hund hält das für unerhört
und flieht davon, total verstört.
Doch ein Japaner geht vorbei,
dem ist das alles einerlei;
noch eh' der Hahn am Morgen kräht, verkauft er ein Kopiergerät.
O Mensch, bedenke dies in Ruh',
sonst bist zuletzt Kopie auch Du!

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014005100
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1014005200
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor allen Dingen Herr Kollege Kleinert!

(Zurufe von der FDP: Aha!)

Liebe Bürgerinnen und Bürger! Heute habe ich zumindest eines festgestellt: Die FDP-Fraktion — der Kollege Neuhausen hatte während Ihrer Abwesenheit eben schon zum Bericht des Petitionsausschusses geredet — trägt zur Heiterkeit bei.
Aber nun zu unserer ernsten Arbeit: Hier sind heute große Worte bemüht worden. Auch ich denke, daß der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf ein wichtiger Schritt zur Verbesserung des Schutzes des geistigen Eigentums ist. Aber es ist nur ein kleiner Schritt. Ich glaube, da ist einiges an Übereinstimmung sichtbar geworden; nun bin ich gespannt, was in der Zukunft daraus folgen wird. Und da, glaube ich, liegt der Ernst, Herr Kollege Kleinert, der in diesem Gedicht steckt. Das Problem, dem sich der Gesetzgeber hier stellt, ist eben das Problem der modernen Technik, das der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien. Wir hinken mit Gesetzen wie so oft der Entwicklung hinterher, Herr Kollege Saurin.

(Saurin [CDU/CSU]: Das geht gar nicht anders!)

— Das geht nicht anders. Manchmal wünsche ich mir aber — Sie haben von Revolution gesprochen, ganz interessant —,

(Saurin [CDU/CSU]: Sie wünschen vieles, was nicht geht!)

wir würden Recht stärker als ein Mittel gesellschaftlicher Kontrolle begreifen und dieses Mittel frühzeitig zu einer sozialen, humanen Gestaltung von technischem Fortschritt einsetzen.

(Saurin [CDU/CSU]: Das paßt doch nicht zum Urheberrecht!)

— Ich glaube, das gehört sehr wohl zu dem Problem. Ich werde am Ende noch darauf zurückkommen.
Wir haben vor 20 Jahren das geltende Urheberrechtsgesetz 1965 verabschiedet. In den Jahren 1968 und danach galt es bei manchem fortschrittlich denkenden Zeitgenossen im Klima der Studentenrevolte als legitim, als rechtschaffene linke Tat, Bücher wie die von Adorno und Horkheimer — Dialek-



Mann
tik der Aufklärung — oder Aufnahmen eines Bob Dylan, die später unter dem Titel „The Basement Tapes" Ruhm erlangten, als Raubdrucke oder -pressungen zu veröffentlichen.

(Nelle [CDU/CSU]: Das war Ihre Klientel!)

— Das sind sicherlich auch manche Menschen, die sich in dieser grünen Partei in der Hoffnung, daß sich in den Institutionen etwas demokratisch verändern läßt, zusammengefunden haben; sehr richtig.
Die Autoren solcher wissenschaftlichen, literarischen oder musikalischen bootlegs erhielten natürlich keinen Pfennig Honorar oder Tantiemen. „Bootlegs" — auch das habe ich bei der Vorbereitung auf die heutige Debatte gelernt — war zunächst einmal ein schwarzgebrannter Schnaps.

(Zurufe von der FDP)

Das ist ein amerikanischer Slang-Ausdruck. Es geht hier um das Problem des Raubdrucks. Wir sollten hier feststellen, daß kulturell und im Sinne von Aufklärung jeder Urheberschutz unter dem Gesichtspunkt der Sozialbindung seine Grenzen haben muß. Es darf durch einen übermäßigen Schutz geistigen Eigentums nicht verhindert werden, daß sozusagen alle Menschen an unserem kulturellen Fortschritt teilhaben. Trotzdem bekennt sich unsere Fraktion zu einer Verbesserung des Urheberschutzes.
Ich möchte aber an dieser Stelle zum Gesetzgebungsverfahren, zu dem Herr Kleinert dankenswerterweise einiges gesagt hat, aus unserer Sicht doch etwas hinzufügen. Ich möchte den Kompromiß so bezeichnen: Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein, den wir besser finden als die Taube auf dem Dach.

(Saurin [CDU/CSU]: Das Sprichwort heißt aber anders!)

Vor allem dem Bundesrat in seiner fiskalischen Ignoranz gegenüber echtem Schutz von schöpferischer Arbeit und Leistung auf den Gebieten der Literatur, der Musik und der Kunst wollten die Vertreter aller vier Fraktionen ein Signal geben. Ich glaube, das ist gelungen; das habe ich eben noch vom Kollegen Stiegler gehört. Vorausgegangen war, wie das Gezerre der Lobby im Bericht vornehm umschrieben ist — Herr Kleinert, ich hatte mir just dieselbe Stelle herausgesucht —, ein „Gesetzgebungsprozeß", der begleitet war — so heißt es im Bericht auf Seite 21 — „von großem Engagement der betroffenen und beteiligten Kreise".
Vor allem ein unserem Kanzler nahestehender Chemieriese leistete nachhaltigen Widerstand gegen die Einführung einer Leerkassettenvergütung. Diese Abgabe sei unnötig, unausgewogen und schädlich, drang es aus Ludwigshafen nach Oggersheim und Bonn. Noch am 10. Oktober 1984 stellte der Informationskreis Magnetband auf einer Pressekonferenz in Bonn das eindeutig politisch motivierte Sack-Gutachten vor. Doch auch die KohlSack-Unterstützung der BASF und ihrer Partner vermochte die urheberrechtliche Standfestigkeit der Bundesregierung in diesem Fall nicht völlig aus den Angeln zu heben. Angesichts der Milliardengewinne dieses Chemiegiganten ist dies allerdings kein politisches Heldenstück. Die Gefahr eines neuen Kohl- — Verzeihung — Fettnapfes war dem vom Bermuda-Dreieck befreiten kanzleramtlichen Frühwarnsystem vermutlich zu groß. Dennoch, die Vergütungssätze werden — das habe ich bei nochmaliger Überprüfung festgestellt — dem Schutzbedürfnis der Urheber eigentlich nicht gerecht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014005300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Saurin?

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1014005400
Nein, meine Zeit ist zu knapp, ein andermal gerne.
Urheber sind wie die meisten ihrer Mitmenschen auf die Einkünfte aus ihrer Arbeit angewiesen. Dies betonte übrigens der damalige Bundesjustizminister bei der ersten Lesung des Urheberrechtsgesetzes 1962 im Bundestag.
Ich möchte jetzt noch einige Ausführungen zur Situation der Urheber, der Künstler, machen. Der im Jahre 1972 veröffentlichte Autorenreport, der Künstlerreport, der ihm im Jahre 1975 folgte, und der darauf aufbauende Künstlerbericht der Bundesregierung haben die Einkommensdefizite, die ungünstige Beschäftigungs- und Auftragslage und die unzureichende soziale Sicherung vieler, insbesondere freischaffender Schriftsteller und Künstler offengelegt. Ich glaube, daß man, wenn man diese Situation wirklich ernst nimmt — übrigens bei aller Kritik an der GEMA, die man an dieser Stelle natürlich auch formulieren könnte, so wichtig sie sein mag —, bei dem heute erzielten Kompromiß in der Tat nicht stehenbleiben kann. Ich glaube auch, es reicht nicht, sich allein damit zufriedenzugeben, daß man alle drei Jahre einen Bericht vorgelegt bekommt.
Ich freue mich sehr — und damit komme ich zum Anfang und zum Schluß der Rede des Kollegen Kleinert —, daß wir uns offenbar darin einig sind, daß das Problem, mit dem wir es urheberrechtlich vor allen Dingen zu tun haben, das Problem der schönen neuen Medienwelt ist. Diese nämlich wird das Urheberrecht in einem Maße gefährden und aufheben, von dem die Raubdrucker der Dialektik der Aufklärung nicht einmal träumen konnten.
Satellitenfunk und Parabolantennen, Kabel und Bildschirme, neuartige UKW-Empfangsgeräte und angeschlossene Magnetbandspeicher machen alle geistigen Leistungen wissenschaftlicher, kultureller oder unterhaltender Art, die da ausgestrahlt werden, künftig für jeden verfügbar, der sich die entsprechenden Geräte der Kommunikationsindustrie besorgt.
Der Satellit — die Frage an den Bundespostminister wurde j a auch gestellt, zu Recht —, der von Mitte der 80er Jahre an ganz Westeuropa mit vielen Bild- und Tonprogrammen versorgen wird, schafft nicht nur eine ganz neue global village, die McLuhan vorausahnte; er macht auch eine Kontrolle über die private wie raubgewerbliche Nutzung von ausgestrahlten Programmen so gut wie unmöglich.
Die Durchlöcherung des Urheberrechts wäre
bald perfekt, wenn nicht rasch neue Rahmen-



Mann
bedingungen zum Schutz der Autoren geschaffen werden.
Das letzte habe ich aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 17. September 1983 zitiert, ich hoffe, mit Genehmigung des Verfassers.
Ich glaube, das sind die Aufgaben der Zukunft, die noch vor uns liegen. Wir haben hier heute einen richtigen Schritt gemacht. Aber es ist, wie gesagt, nur ein Schritt.
Herr Kollege Stiegler und die Kollegen von den anderen Fraktionen, ich hatte hier einen Änderungsantrag vorbereitet, um zu dokumentieren, daß uns der erreichte Kompromiß angesichts der berechtigten Schutzbelange der Künstler, der Literaten — der Urheber — nicht weit genug geht.

(Saurin [CDU/CSU]: Sie haben doch zugestimmt! — Zuruf von der SPD: Sie haben doch zugestimmt! Wieso das?)

— Genau! Ich möchte den Antrag hier jetzt nicht stellen, sondern ihn in der notwendigen Form zurückziehen, wegen dieses Kompromisses, nachdem mich der Kollege Stiegler eben darüber belehrt hat, was ich für sehr wichtig halte, daß sich der Bundesrat diesem Kompromiß nicht in den Weg stellt.
Ich bin der Meinung, um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Lieber ein Tropfen auf den heißen Stein, als eine Taube auf dem Dach.
Vielen Dank!

(Beifall bei den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014005500
Das Wort hat Bundesminister Engelhard.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1014005600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alles, was meine Vorredner über die Bedeutung des heutigen Tages für den Schutz des geistigen Eigentums gesagt haben, kann ich nur begrüßen und unterstreichen.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns ja in mehreren Entscheidungen nachdrücklich daran erinnert, daß das Recht des Urhebers am geistigen Eigentum dem Schutz des Art. 14 unseres Grundgesetzes unterliegt. Nun darf dieser Schutz natürlich kein theoretischer, auf dem Papier festgestellter, aber nicht praktisch verwirklichter Schutz sein. Wir müssen vor allem immer wieder dafür Sorge tragen, daß die nach der Verfassung und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebotene wirtschaftliche Beteiligung der Urheber an der Nutzung ihrer Werke auch immer praktisch gewährleistet ist. Dies ist, wie wir alle wissen, gerade auf Grund der technischen, ja der manchmal davongaloppierenden technischen Entwicklung

(Sehr richtig! bei den GRÜNEN)

nicht mehr in allen Bereichen der Fall. Eine entsprechende Neuregelung des Urheberrechts war und ist deswegen ganz dringend überfällig. Hier zeigt sich natürlich die Kontinuität. Wie wäre es anders möglich, vernünftige Rechtspolitik zu betreiben, wenn man in allen — auch völlig unbestrittenen — Fragen immer wieder den Glauben hätte, man müßte etwas ganz anderes machen! Nein, hier ist über lange Zeit intensiv gearbeitet worden, mit dem Ergebnis, daß wir heute etwas vorlegen können, was sich sehen lassen kann.
Die Bundesregierung hat sich verpflichtet gesehen, dieses Vorhaben sehr nachdrücklich zu verfolgen. Ich erinnere daran, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner sogenannten Kirchenmusikentscheidung noch einmal betont hatte, daß — ich zitiere — „bei der Zuordnung des wirtschaftlichen Nutzens seiner Arbeit an den Urheber zu berücksichtigen ist, daß es um das Ergebnis der geistigen und persönlichen Leistung des Urhebers geht, nicht etwa um unverdienten Vermögenszuwachs".
So ist — ich finde dies richtig — hier ganz klargestellt worden, daß, wenn es mit urheberrechtlich geschützter Kirchenmusik geschieht, auch das Lob Gottes nicht unentgeltlich ist.
Ich finde dieses Beispiel gerade deshalb so eindrucksvoll, weil in der Öffentlichkeit manchmal die Auffassung vorhanden ist, als sei von dem Autor, dem Komponisten ein besonderer materieller Beitrag dann zu erwarten, wenn die Aufführung, wenn die Wiedergabe zu höheren, zu größeren, zu edlen Zwecken erfolge.
Genau dies muß bei aller Sozialgebundenheit des Eigentums natürlich auch seine Grenze haben und darf nicht gerade dort einsetzen, wo es um geistiges Eigentum geht.
Meine Damen und Herren, der Rechtsausschuß hat alle diese verfassungsrechtlichen Fragen wie die Bundesregierung gesehen und seinen Beratungen zugrunde gelegt. Ich möchte dies seitens der Bundesregierung vor allem deswegen besonders hervorheben, weil natürlich die Beschlüsse des Rechtsausschusses hie und da jetzt auch Kritik begegnet sind und stellenweise kritisch unter die Lupe genommen wurden. Ich meine, der Rechtsausschuß hat das getan, was heute zu tun möglich war.
Mit der Realisierung dieser Beschlüsse tun wir jetzt einen wichtigen Schritt zur Verbesserung des Urheberrechts, einen Schritt, mit dem sich im internationalen Vergleich die Bundesrepublik Deutschland sehen lassen kann, j a, bei dem sie ganz beispielhaft und gut dasteht. Wir haben als einziges Land der Welt ein systematisches, geschlossenes Konzept zur Vergütung des Vervielfältigens zum privaten und sonstigen Gebrauch. Wir haben darüber hinaus ein Konzept, das im Unterschied zu einigen anderen Ländern voll mit den internationalen Urheberrechtskonventionen in Einklang steht.
Mir erscheint insbesondere bemerkenswert, daß der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages — dies ist ja hier auch nochmals zum Ausdruck gekommen — mit dieser Novelle durchaus keinen Schlußpunkt setzt. Die Bundesregierung ist vielmehr nach Ablauf von drei Jahren zu einem Bericht aufgefordert. Ich begrüße dies ausdrücklich.
Es liegt an mir, mich sehr herzlich bei allen Mitgliedern des Rechtsausschusses, insbesondere den



Bundesminister Engelhard
Berichterstattern, zu bedanken. Es ist von Ihrer Seite her in freundlicher Weise die besondere Arbeitsleistung von Beamten meines Hauses gewürdigt worden. Ich freue mich darüber. Weil die hier anwesenden Beamten nicht die Möglichkeit haben, hier das Wort zu nehmen, darf ich in ihrem Namen hier sagen, daß sie sich natürlich darüber freuen, wenn eine über das gewohnte Maß hinausgehende Arbeitsleistung so freundliche Erwähnung findet.

(Dr. de With [SPD]: Verdient!)

Ich möchte mich nochmals beim Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages für den Beitrag bedanken, den er mit diesem Werk für den besseren Schutz des geistigen Eigentums in unserem Lande geleistet hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014005700
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 mit der vom Berichterstatter vorgetragenen Ergänzung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 2 auf. Hierzu liegt auf der Drucksache 10/3387 ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Wer Art. 2 in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Somit einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 3 und 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, nach Annahme von Änderungsanträgen in der zweiten Beratung darf sich nach § 84 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung nur dann unmittelbar anschließen, wenn auf Antrag einer Fraktion oder von fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages zwei Drittel der anwesenden Mitglieder dies beschließen. Ein Antrag, die dritte Beratung jetzt unmittelbar anzuschließen, ist fristgerecht gestellt worden. Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. — Das ist der Fall.
Damit können wir in die
dritte Beratung
eintreten. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer
dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den
bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen?
— Enthaltungen? — Damit ist das Gesetz einstimmig angenommen.
Wir haben nun noch über die vom Ausschuß auf Drucksache 10/3360 unter Nr. 2 empfohlene Entschließung abzustimmen. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Auch dies ist offensichtlich einstimmig.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des BundesSeuchengesetzes (BSeuchG)

— Drucksache 10/2709 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit (13. Ausschuß)

— Drucksache 10/3174 —
Berichterstatter: Abgeordneter Werner

(Erste Beratung 123. Sitzung)

Hierzu liegt auf Drucksache 10/3375 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Aussprache ein Beitrag von je fünf Minuten pro Fraktion vereinbart worden. Sind Sie mit dem Verfahrensvorschlag einverstanden? — Das ist damit beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller (Düsseldorf).

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1014005800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Gesetzentwurf in der Fassung des Ausschusses zu. Es geht hier darum, daß die Belastungen durch die Reihenuntersuchungen für Schulbedienstete, Lehrer und für Lehrer, die im Vorbereitungsdienst sind, auf eine einmalige Untersuchung verringert werden. Wiederholungsuntersuchungen sind nur dann angebracht, wenn konkrete Verdachtsmomente auf eine Krankheit vorliegen. Wir halten dies für einen vertretbaren Kompromiß, und zwar aus verschiedenen Gründen.
Zum einen ist ja bekannt, daß die Belastungen durch Röntgenstrahlen gesundheitsgefährliche Wirkungen haben können. Zum zweiten ist gerade die Zahl der Tuberkuloseerkrankungen erheblich zurückgegangen. Drittens können wir es mit der einmaligen Untersuchung hinbekommen, daß die notwendige gesundheitliche Vorsorge gewährleistet bleibt.
Von daher stimmen wir diesem Entwurf zu. Wir lehnen die Forderung der GRÜNEN in dem Punkt ab, weil wir die Tuberkulinprobe als nicht ausreichend ansehen, und zwar nach intensiver Rückfrage bei Ärzten und wissenschaftlichen Institutio-



Müller (Düsseldorf)

nen. Wir bleiben deshalb bei diesem Kompromiß, den wir für vertretbar halten.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014005900
Das Wort hat der Abgeordnete Werner (Ulm).

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1014006000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vor der Verabschiedung dieses Gesetzes zunächst einmal für die gute Zusammenarbeit danken, die die Kollegen auch aus anderen Fraktionen im Ausschuß gezeigt haben.
Es geht darum — wie der Kollege Müller gesagt hat —, eine Strahlenbelastung dort abzubauen, wo sie nicht notwendig erscheint. Wir haben hier einen solchen Fall. Wir werden nämlich in Zukunft nicht mehr die jährlich wiederkehrende Untersuchung auf Tb und der Atemwege bei Lehrern und bei Personen, die in unmittelbaren Kontakt mit den Schülern treten, verlangen.
Dies entspricht einem Vorschlag der Bundesregierung, den wir mit Hilfe der Anregungen des Bundesrates teilweise verbessern konnten. Wir haben deswegen — was Kollege Müller schon angesprochen hat — vorgesehen, in Zukunft bei Neueinstellungen besonderen Nachdruck auf das Erhebungsdatum zu legen, und höchstens sechs Monate verstrichen wissen wollen, nach denen — erstens — eine Röntgenaufnahme des Gesundheitsamtes und — zweitens — eine intrakutane Tuberkulinprobe vorgelegt werden muß.
Gerade bei diesen beiden Punkten zwingt sich eine Äußerung zu dem Änderungsantrag der GRÜNEN auf. Darin, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, machen Sie Vorschläge, die Sie schon, nach der Zurückziehung Ihres entsprechenden Gesetzes im Ausschuß, gemacht hatten und die von den anderen Parteien abgelehnt wurden. Wir, die CDU/CSU, lehnen deswegen auch Ihren Änderungsantrag hier ab. Denn wir sind der Auffassung, daß es bei einer Verkürzung des Befundzeitraums auf sechs Monate geboten ist, und zwar im Hinblick auf die gesundheitliche Sicherheit unserer Schüler und unserer Lehrer, besonders exakt und aktuell zu verfahren. Deswegen stehen wir zu der Röntgenaufnahme, die ja im Regelfall keine Wiederholung mehr findet, sondern nur noch dann wiederholt werden kann, wenn Verdachtsmomente auftreten. Sie schlagen ausschließlich die intrakutane Tuberkulinprobe vor, die aber nach Meinung von Wissenschaftlern, wie uns auch seitens des zuständigen Ministeriums glaubhaft dargelegt wurde, nicht generell ausreichen kann.
Damit nehmen wir die jährlichen Wiederholungsuntersuchungen aus dem Bundes-Seuchengesetz heraus. Das bedeutet aber nicht, daß die zuständigen Behörden, angefangen von den Schul- und Amtsleitungen bis hin zum Gesundheitsamt, im Rahmen des weiterhin gültigen Bundes-Seuchengesetzes nicht verpflichtet wären, gerade die gesundheitliche Situation der Mitarbeiter, die mit Kindern in Verbindung kommen, mit besonderer Sorgfalt zu betrachten.
Ich möchte noch kurz darauf hinweisen, daß wir gerade dort, wo Schwierigkeiten auftreten könnten, etwa bei Schwangeren, eine flexible Lösung vorgesehen haben, wonach die Röntgenaufnahme kurz vor Neuaufnahme oder Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit nachgereicht werden kann. Gerade bei Schwangeren heben wir auf eine allgemeine Untersuchung der Atemwege ab und fordern wir die Röntgenaufnahme nach. Ich glaube, dies kommt auch den Wünschen der betroffenen Personen entgegen. Überhaupt halte ich dieses Gesetz für geeignet, viele in den Kreisen der Lehrerschaft und Beamtenschaft bestehende — wie ich meine: oftmals zu Unrecht — Vorbehalte gegen staatliche Zwangsuntersuchungen abzubauen. Hier hat die Bundesregierung, so glaube ich, einen richtigen Schritt getan, Bürokratie ganz konkret zu reduzieren, ohne deswegen die notwendigen gesundheitlichen Vorkehrungen außer acht zu lassen.
Wir, die CDU/CSU, nehmen diesen Gesetzentwurf, so wie vom Ausschuß empfohlen, an und lehnen den Änderungsantrag der GRÜNEN ab.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014006100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wagner.

Marita Wagner (GRÜNE):
Rede ID: ID1014006200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen diesen Gesetzentwurf in dem Punkt, in dem er der Forderung nach Abschaffung der routinemäßigen Wiederholungsuntersuchung auf ansteckungsfähige Tuberkulose der Atmungsorgane Rechnung trägt. Unter 10 000 geröntgen Personen sind in der Bundesrepublik noch nicht einmal vier Kranke, die damit entdeckt werden. Das ist mit ein Grund, warum die Wissenschaftler schon seit langem sagen: Routinemäßige Röntgenuntersuchungen sind gefährlich, nutzlos und teuer.
Hinzu kommt, daß die Erkrankungen an Tbc im Vergleich zu chronischen Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten erheblich zurückgegangen sind.
Erst wenn ein begründeter Verdacht besteht, sollten entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Erst wenn mit Hilfe eines speziellen Pflasters, der Tuberkulinprobe, ein positiver Befund erhoben worden ist, wäre eine Röntgenuntersuchung notwendig. Auch hier sollte keine Schirmbildaufnahme, sondern eine großformatige Röntgenaufnahme gemacht werden. Diese sind zwar teurer, doch durch den erhöhten Schutz der Gesundheit der betroffenen Personen durch eine niedrigere Strahlenbelastung gerechtfertigt.
Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag unserer Fraktion vor. Wir sind der Meinung und schließen uns damit der Meinung von Fachleuten an, daß eine intrakutane Tuberkulinprobe vor Aufnahme der Tätigkeit z. B. bei Lehrern voll ausreicht.
Die Diagnosequalität dieses Tests kann nicht durch Röntgenaufnahmen und vor allem nicht durch Schirmbildaufnahmen erreicht werden. Röntgenaufnahmen erlauben eine Aussage erst bei Manifestation der Infektion, während die Tuberkulin-



Frau Wagner
probe sowohl im Frühstadium einer Infektion als auch nach überstandener Infektion auf Grund der immunologischen Reaktion eine Aussage erlaubt.
Eine zweite von uns gewünschte Änderung betrifft die Geltungsdauer des Gesundheitszeugnisses. Es bietet keinen zusätzlichen Schutz, die Geltungsdauer auf sechs Monate zu begrenzen. Zwölf Monate, wie wir sie vorsehen, reichen vollkommen aus. Vor allem, wenn man bedenkt, daß nun für die nächsten Jahrzehnte auf Wiederholungsuntersuchungen verzichtet wird, macht es keinen Sinn, die Zeit so eng zu begrenzen. Die Wahrscheinlichkeit, daß jemand, vor allem junge Leute, die es ja betrifft, in der Zwischenzeit erkranken, ist so gering, daß sie nicht als Argument benutzt werden kann.
Des weiteren möchten wir, daß Schwangere keinen Nachweis in Form eines Tests erbringen müssen. Hier stehen die Ärzte nämlich oft vor dem Problem, ob eine Tuberkulinprobe gemacht werden soll. Viele sind aus gesundheitlichen Gründen nicht dazu bereit. Dies ist mir verständlich. Es reicht vollkommen aus, wenn sie vor Aufnahme der Tätigkeit nach der Schwangerschaft den Test machen lassen, wenn also wie bei einer normalen Einstellung nach unseren Änderungsvorschlägen verfahren wird.
Ich hoffe, daß Sie sich diesen Argumenten nicht verschließen und unserem Änderungsantrag zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014006300
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1014006400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Gründe, die zum Änderungsgesetz zum Bundes-Seuchengesetz geführt haben, brauche ich hier wohl nicht mehr ausführlich zu reden. Das haben meine Vorredner schon getan.
Die FDP hat schon seit längerem gefordert, daß die Häufigkeit der Tbc-Untersuchung verringert wird. Wir begrüßen es daher, daß die Bundesregierung diesem wichtigen Anliegen so schnell Rechnung getragen hat.
Dem weitergehenden Antrag der GRÜNEN, lediglich eine Tuberkulinprobe vorzunehmen, konnten wir nicht zustimmen. Der Wert der Einstellungsuntersuchung wäre dann außerordentlich gering, weil eine solche Probe allein nicht ausreicht, um einen relativ sicheren Befund zu erheben. Besonders vor dem Hintergrund der nun deutlich verringerten Strahlenbelastung für Lehrer und Schulbedienstete scheint diese einmalige Einstellungsuntersuchung zumutbar zu sein.
Ich glaube, es ist angebracht, an dieser Stelle all denen zu danken, die sich in Gesundheitsämtern und anderen Bereichen des Gesundheitswesens intensiv und erfolgreich dafür eingesetzt haben, daß diese Krankheit für große Teile der Bevölkerung ihre Schrecken fast völlig verloren hat. Hoffen wir, daß es in anderen Gebieten der medizinischen Versorgung ebenfalls bald gelingt, zu einer deutlichen Senkung der Morbidität zu kommen.
Die Liberalen werden dem Gesetzentwurf in der vom Ausschuß veränderten Fassung zustimmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014006500
Das Wort hat Frau Parlamentarischer Staatssekretär Karwatzki.

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1014006600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei dem zu verzeichnenden Rückgang der Tuberkulose wird es für vertretbar gehalten — das ist hier von allen ausgeführt worden —, daß wir auf die Vorlage eines Zeugnisses des Gesundheitsamtes, bisher verlangt nach § 47 des Bundes-Seuchengesetzes, verzichten können.
Ich möchte aber doch noch einmal — insbesondere für die Damen und Herren, die auf der Tribüne sitzen — sagen, daß es hier darum ging, auf den verlangten jährlichen Nachweis, daß Lehrer, Schulbedienstete und zur Vorbereitung auf den Beruf des Lehrers in Schulen tätige Personen von einer ansteckungsfähigen Tuberkulose frei sind, zu verzichten. Nur noch solche Lehrer und entsprechende Personen, bei denen bei der Erstuntersuchung oder auf Grund sonstiger Untersuchungsbefunde Tatsachen festgestellt werden, die zu einer ansteckungsfähigen Tuberkulose führen können, haben sich weiteren Untersuchungen nach näherer Angabe des Gesundheitsamtes zu unterziehen.
Der Fortfall der jährlichen Wiederholungsuntersuchung verlangt aber, daß zum Ausschluß eines entsprechenden Tuberkulosebefundes bei der Einstellung sowohl eine Röntgenuntersuchung als auch eine Tuberkulinprobe durchgeführt werden. Letztere kann dem untersuchenden Arzt anzeigen, ob die betreffende Person bereits Kontakt mit der Tuberkulose hatte. Die Tuberkulinprobe schließt nicht immer einen Befund der Lunge aus. Wenn künftig auf die jährliche Untersuchung verzichtet wird, ist es andererseits in der Erfüllung der Fürsorgepflicht für die durch Schulpflicht dem Staat anvertrauten Kindern notwendig, zu einer einwandfreien ärztlichen Aussage bei Einstellung der Lehrer zu kommen. Dazu gehört sowohl die Tuberkulinprobe als auch die Röntgenuntersuchung. Da es sich in aller Regel um eine einmalige Röntgenuntersuchung handeln wird, wird die damit verbundene geringe Strahlenbelastung für alle von der Gesetzesbestimmung betroffenen Personen für vertretbar gehalten.
Dem Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN zu 1. kann daher nicht zugestimmt werden. Der Schutz der Schulkinder erfordert die doppelte Untersuchung.
Das gleiche gilt für den Antrag der GRÜNEN zu 3., der sich auf die Untersuchung nach der Schwangerschaft bezieht.
Befunde, auf die sich das Zeugnis stützt, müssen so aktuell wie eben möglich sein. Es war daher erforderlich, die bisher geltende Frist von einem Jahr auf sechs Monate zu verkürzen, und zwar darf das bei der Einstellung vorzulegende Zeugnis sich nicht auf Befunde beziehen, die länger als sechs



Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki
Monate zurückliegen. Die Aussagekraft eines Befundes, der weiter zurückliegt, ist naturgemäß geringer als die eines kürzlich erhobenen Befundes. Der Schutz der Schulkinder erfordert es, daß Befunde, die länger als sechs Monate zurückliegen, nicht zur Grundlage der Untersuchung gemacht werden dürfen. Dies ist für die betroffenen Lehrer besonders deswegen zumutbar, weil es sich nur noch um eine einmalige Untersuchung vor Aufnahme der Tätigkeit handelt. Dem entsprechenden Antrag der Fraktion der GRÜNEN zu 2. kann daher ebenfalls nicht zugestimmt werden.
Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat in den vergangenen Monaten aus zahlreichen Anfragen von einzelnen Lehrern und von Verbänden erfahren, daß der Wunsch nach einer Lockerung der Pflicht zur jährlichen Untersuchung auf das Freisein von Tuberkulose in diesen Kreisen sehr verbreitet ist und das Inkrafttreten dieser Änderung des Bundes-Seuchengesetzes teilweise ungeduldig erwartet wird. Andererseits, meine Damen und Herren, gibt es auch einige Initiativen von Elterngruppen — meist solchen, deren Kinder von einer Schul-Kleinepidemie betroffen waren —, die sich für die Beibehaltung der jährlichen Untersuchung der Lehrer eingesetzt haben. Solche Stimmen sind, das gebe ich zu, in der Minderheit.
Die Bundesregierung ist überzeugt, daß durch den von ihr vorgelegten Vorschlag für eine Änderung des § 47 des Bundes-Seuchengesetzes sowohl dem Anliegen der Lehrer auf eine Verringerung der Strahlenbelastung als auch der Fürsorgepflicht des Staates zur Verhütung des Ausbreitens der Tuberkulose über die Schulen in derzeit bestmöglicher Weise Rechnung getragen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014006700
Da mir keine weitere Wortmeldung vorliegt, schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3375 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 1 ist damit angenommen.
Ich rufe die Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Wir treten nunmehr in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem
Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte
ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten
— Drucksache 10/1729 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit (13. Ausschuß)

— Drucksache 10/3132 —
Berichterstatter: Abgeordneter Jaunich

(Erste Beratung 89. Sitzung)

Im Ältestenrat ist eine Aussprache von fünf Minuten pro Fraktion vereinbart worden. Das Haus ist damit einverstanden? — Wir können so verfahren.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Frau Parlamentarischer Staatssekretär Karwatzki, Sie haben das Wort.

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1014006800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die vom Bundesrat vorgeschlagene Gesetzesänderung soll die derzeit schwierige Situation bei den Praktikantenplätzen für Masseure, für Masseure und medizinische Bademeister und für Krankengymnasten durch eine Erweiterung der institutionellen Möglichkeiten zur Ableistung der praktischen Tätigkeit entspannt werden.
Im einzelnen sieht der Gesetzentwurf vor, daß die für Masseure und für Masseure und medizinische Bademeister jeweils vorgeschriebene praktische Tätigkeit von einem halben bzw. einem Jahr, die nach geltendem Recht nur an einer besonders ermächtigten medizinischen Badeanstalt abgeleistet werden kann, statt dessen ganz oder teilweise auch an einer anderen entsprechend ermächtigten Einrichtung, z. B. in der Praxis eines freiberuflich tätigen Masseurs und medizinischen Bademeisters, abgeleistet werden darf und daß von der für Krankengymnasten vorgeschriebenen praktischen Tätigkeit von zwölf Monaten an einem besonders ermächtigten Krankenhaus vier Monate auch an einer anderen entsprechend ermächtigten Einrichtung, z. B. in der Praxis eines freiberuflich tätigen Krankengymnasten, abgeleistet werden dürfen.
Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates den vorgeschlagenen Änderungen im Ergebnis zugestimmt. Hierbei ist sie sich der Schwierigkeiten bewußt, die durch die zur Zeit zu beobachtenden unzureichenden Möglichkeiten zur Ableistung des Praktikums an Krankenhäusern und medizinischen Badeanstalten auf nicht wenige der Absolventen der jeweiligen Lehranstalten zukommen. Die Bundesregie-



Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki
rung stimmt daher mit der Zielsetzung des Gesetzentwurfes überein, die institutionellen Möglichkeiten zur Ableistung der praktischen Tätigkeiten im Rahmen der in Frage stehenden Ausbildung grundsätzlich zu erweitern.
Nicht zuletzt wegen der Situation bei den Praktikantenstellen — die aber nur einen Teilaspekt der Gesamtproblematik der Ausbildungen in den genannten Berufen darstellt — bereitet die Bundesregierung derzeit eine grundlegende Änderung des aus dem Jahre 1958 stammenden Gesetzes vor, mit der die Zulassung zu den Berufen neu geregelt werden soll und die Ausbildungen an den modernen Stand der Entwicklung in der Physiotherapie angepaßt werden sollen. So ist im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit nach umfangreichen Vorarbeiten inzwischen ein Referentenentwurf für ein neues Masseur- und Krankengymnastengesetz erstellt worden, zu dem im März die Ressorts, im April die Länder und am 7. Mai dieses Jahres die Schulträger und Berufsverbände gehört worden sind. Wegen einzelner schwieriger Detailfragen im Zusammenhang mit der Integration des Berufspraktikums in den Lehrgang und mit Fragen der Zahlung einer Ausbildungsvergütung an die Praktikanten soll nach der Sommerpause eine zweite Anhörungsrunde stattfinden. Der Vorschlag des Bundesrates ist ein Vorgriff auf die vom Bund beabsichtigte Neuregelung und ist ausdrücklich als befristete Übergangsregelung gedacht.
Meine Damen und Herren, ob es gelingen wird, die von den Ausschüssen gewünschte Frist zur Vorlage eines abgestimmten Gesetzentwurfs bis zum 31. Dezember 1986, also dem Zeitpunkt der Befristung der vorliegenden Novelle, einzuhalten, ist fraglich, da parallel zu dem Gesetzentwurf auch neue Ausbildungs- und Prüfungsordnungen zu erstellen sind, die wegen der Fächerkataloge sorgfältiger Beratungen mit Wissenschaftlern und Sachverständigen bedürfen.
Im Hinblick auf die für das Praktikum der Krankengymnasten vorgeschlagene Änderung hatte die Bundesregierung darauf hingewiesen, daß der hier vorgesehene teilweise Verzicht auf die praktische Tätigkeit im Krankenhaus wegen der in freien Praxen fehlenden Krankheitsbilder auf Dauer der Ausbildungsqualität abträglich sein könnte. Wegen der schwierigen Lage bei den Praktikantenplätzen und wegen des Übergangscharakters der Vorlage hat die Bundesregierung diese Bedenken jedoch zurückgestellt und stimmt dem Vorschlag des Bundesrates in der durch den federführenden Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit beschlossenen Fassung insgesamt zu. Sie wird bemüht sein, die angekündigte Neuordnung zügig voranzubringen, um die Übergangsregelung möglichst bald abzulösen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014006900
Das Wort hat der Abgeordnete Delorme.

Karl Delorme (SPD):
Rede ID: ID1014007000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hätten es lieber gesehen, wenn wir uns heute über eine umfassende Novellierung des Masseurgesetzes hätten unterhalten können und eine abschließende gesetzliche Regelung hätten treffen können; denn das noch geltende Gesetz, das die Ausbildung und Berufsausübung der Masseure, der Masseure und medizinischen Bademeister sowie der Krankengymnasten regelt, stammt aus dem Jahre 1958 und ist in mehrfacher Hinsicht reformbedürftig.
Wir haben deswegen im Ausschuß kritische Fragen gestellt und wollten wissen, ob es nicht möglich sei, an Stelle dieses Mini-Gesetzes die große Novelle möglichst bald in Gang zu setzen und abschließend zu beraten; denn es ist nicht sehr sinnvoll, wenn man punktuell Einzelprobleme herausgreift und kurzfristige Übergangsregelungen mit Gesetzeskraft installiert. Uns wurde damals von der Bundesregierung gesagt, es sei fraglich, ob das in dieser Legislaturperiode noch möglich wäre; es wurden sogar Termine bis zum Jahre 1989 genannt.
Wir sehen die heute zu verabschiedende Gesetzesvorlage des Bundesrates als Übergangsregelung an und drängen auf die baldige Vorlage einer Reformnovelle. Deshalb haben wir in Abwandlung des ursprünglichen Entwurfes dieses Gesetz befristet. Es heißt dort wörtlich: Dieses Gesetz tritt am 31. Dezember 1986 außer Kraft. Wir haben uns damit selbst unter Zugzwang gesetzt und erwarten — entgegen der vorsichtigen Distanzierung durch die Frau Staatssekretärin —, daß die Bundesregierung nun beschleunigt ihre Schulaufgaben macht und uns bald mit der Novelle befaßt.
Trotzdem wird die SPD-Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen, weil er — das wurde schon ausgeführt — einen besonders dringlichen Punkt aufgreift und insgesamt zu einer Entspannung auf dem Gebiet der Ausbildungsplatzsituation beitragen wird.
Wir hoffen, daß diese Übergangsregelung möglichst bald von einer Novelle, die diesen Namen auch verdient, abgelöst wird, und wir erwarten — das war einstimmige Auffassung des Ausschusses —, daß in dieser Novelle dann auch die geschlechtsneutrale Bezeichnung der Berufe eingeführt wird, wonach Masseure und Masseurinnen, medizinische Bademeister und medizinische Bademeisterinnen, Krankengymnasten und Krankengymnastinnen schon vom Verbalen her gleichwertig nebeneinanderstehen.

(Zustimmung bei der SPD)

In dieser Erwartung und in dieser Hoffnung werden wir dem Gesetz zustimmen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014007100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Augustin.

Anneliese Augustin (CDU):
Rede ID: ID1014007200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin heute in der glücklichen Lage, Ihnen eine vom Bundesrat initiierte Gesetzesänderung zur Abstimmung vorzulegen, durch die ohne Kosten des Bundes und nur mit sehr geringen Kosten der Länder ein augenblicklicher Engpaß auf dem Ausbildungssektor kurzfristig be-



Frau Augustin
seitigt werden kann. Es handelt sich um die Schaffung vermehrter Möglichkeiten des Zugangs zu den Berufen des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten. Für die Ausbildung in diesen Berufen, denen nicht nur auf dem Sektor der Therapie, sondern auch auf dem Sektor der Prävention eine immer größer werdende gesundheitspolitische Bedeutung zukommt, ist eine umfassende Novellierung dieser Ausbildungs- und Prüfungsordnung in allernächster Zeit ins Auge gefaßt, spätestens aber bis zum Ende des nächsten Jahres.
Bislang ist die Ausbildung so geregelt, daß sich nach erfolgreichem Abschluß eines sehr umfangreichen Lehrgangs an einer staatlich anerkannten Lehranstalt ein Berufspraktikum anschließt. Dieses Berufspraktikum kann nach bisheriger Rechtslage ausschließlich an Krankenanstalten und an medizinischen Badeanstalten abgeleistet werden. Gerade hier haben sich aber nicht zuletzt durch Maßnahmen der Kostendämpfung im Gesundheitswesen Aufnahmekapazitäten verringert. Es ist unser Wunsch, in allernächster Zeit und möglichst sofort diese Aufnahmekapazitäten wieder zu erweitern. Dies ist mit dem vom Bundesrat vorgelegten Änderungsentwurf Drucksache 10/1729 für eine befristete Zeit — genau gesagt: bis zum 31. 12. 1986 — in der Weise vorgesehen, daß nun auch zumindest anteilig andere geeignete Einrichtungen, in denen Patienten krankengymnastisch oder mit medizinischer Massage behandelt werden, für die Ableistung dieses Berufspraktikums zugelassen werden sollen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier haben wir die Möglichkeit, kurzfristig jungen Menschen zu helfen. Und, Herr Delorme, auch mir wäre es lieber, wir könnten heute gleich über die von uns allen gewünschte Novellierung abstimmen. Aber ich bin sicher, daß wir uns mit solcher Vehemenz diesem Thema zuwenden werden, daß wir sicherlich lange vor dem Dezember 1986 dies unter Dach und Fach haben werden.
Ich bitte Sie also, der vorgelegten Gesetzesänderung zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014007300
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wagner.

Marita Wagner (GRÜNE):
Rede ID: ID1014007400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf könnte schon lange überflüssig geworden sein, wenn sich die Gesundheitspolitiker der vergangenen Jahre der Novellierung des gesamten Berufsrechts der Masseure, der Masseure und medizinischen Bademeister und der Krankengymnasten entsprechend der Forderung der Berufsverbände einmal angenommen hätten.
Diese Berufsgruppen sind im Kreis der bundesgesetzlich geregelten Medizinalfachberufe die einzigen, deren Ausbildung sich noch in Lehrgang und Berufspraktikum aufsplittert. Die staatliche Anerkennung erhält der Absolvent eines Lehrgangs erst, wenn er nach der zweijährigen Ausbildung an der
Fachschule ein einjähriges Praktikum an einem anerkannten Lehrkrankenhaus absolviert hat. Da in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Fachschulen dazugekommen sind und mehr Praktikanten eine Stelle suchen, gibt es einen Engpaß bei diesen Praktikumsplätzen.
Die Frage, wie sinnvoll dieses Berufspraktikum überhaupt ist, stellt sich schon seit langem. Der Praktikant wird in den allgemeinen Arbeitsablauf voll integriert, und von Ausbildung kann hier nicht mehr die Rede sein. Nicht alleine deshalb erheben die Berufsverbände die berechtigte Forderung nach Integration des Praktikums in den Ausbildungslehrgang und Verlängerung des Lehrgangs auf drei Jahre.
Im Laufe der Jahre hat sich die Krankengymnastik stark verändert. Einige Methoden und Techniken sind durch andere überholt worden und andere, ganz neue dazugekommen. Diesen neuen, erweiterten Anforderungen wird die alte Berufsordnung nicht mehr gerecht. Deshalb erhoffen sich die Verbände von einer generellen Novellierung und Verlängerung der Ausbildung eine inhaltliche Verbesserung und Anhebung auf das internationale Niveau.
Diese Forderung ist uralt. Schon zu meiner Ausbildungszeit, in den Jahren 1972/73, hieß es an den Krankengymnastikschulen, daß mit einer Änderung bald zu rechnen sei. Inzwischen sind zwölf Jahre ins Land gegangen, und nichts ist geschehen. Der zunehmende Engpaß bei den Praktikumsstellen an den anerkannten Lehrkrankenhäusern zwingt nun den Gesetzgeber zu einem völlig unnötigen Gesetz, das an der Berufsausbildung überhaupt nichts ändert. Er beläßt weiterhin einen großen Teil der praktischen Ausbildung ausgegliedert. Es werden lediglich neue Möglichkeiten eröffnet, das Praktikum zu absolvieren. Der Gesetzgeber sieht vor, daß das Praktikum auch an einer freien Praxis absolviert werden kann. Das ist eine Scheinlösung, da sie lediglich das momentan dringendste Problem nicht ausreichender Plätze löst.
Ich befürchte, daß durch diese Scheinlösung eine grundsätzliche Änderung der Berufsordnung weiter auf die lange Bank geschoben wird. Vorliegende, von den Verbänden eingereichte Gesetzesnovellierungen hätten längst geprüft und auf den Weg gebracht werden können. Doch so fällt auf unabsehbare Zeit der Vergleich zum internationalen Standard der Physiotherapeuten weiterhin negativ für die Bundesrepublik aus. Es müssen weiterhin Zusatzprüfungen gemacht werden, wenn man in einem anderen Land seinem hier erlernten Beruf nachgehen will.
Für andere Berufsgruppen im Gesundheitsbereich sieht die Lage allerdings noch schlechter aus. Bundesgesetzliche Regelungen fehlen z. B. bei den Rettungssanitätern und den Orthoptisten noch gänzlich.
Ich werde mich bei der Abstimmung über dieses Gesetz hier enthalten — mit mir auch die Fraktion der GRÜNEN —, da ich den Praktikanten nicht den Weg in diesen Beruf verbauen möchte. Zustimmen



Frau Wagner
kann ich nicht; denn ich befürchte, daß damit eine generelle Regelung erst einmal auf lange Zeit vom Tisch ist.

(Beifall bei den GRÜNEN — Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Kleine radikale Minderheit! — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na ja, auch das werden wir überstehen!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014007500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1014007600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie schon meine Vorredner ausgeführt haben, soll mit diesem Gesetz kurzfristig ein Engpaß im Ausbildungsgang der Masseure, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und der Krankengymnasten beseitigt werden. Es waren nicht zuletzt die Berufsverbände der Krankengymnasten und der Masseure sowie der medizinischen Bademeister, die uns auf die unzureichenden Möglichkeiten zur Ableistung des Berufspraktikums hingewiesen haben. Da wir aber während der Ausbildung keinen künstlichen Flaschenhals zulassen wollten, war es notwendig, die enge Bindung dieses Praktikums an Krankenanstalten und medizinische Badeanstalten zu lockern. Ich freue mich, feststellen zu können, daß sowohl über diese Tatsache als auch über das weitere Verfahren im Ausschuß Einstimmigkeit hergestellt werden konnte.
Ich möchte an dieser Stelle für die Liberalen noch einmal betonen, daß mit der Änderung dieses Gesetzes kein Aufschub hinsichtlich einer generellen Neuregelung des Rechts auf Zugang zu diesen Berufen verbunden sein darf.

(Beifall der Abg. Frau Augustin [CDU/ CSU])

Sobald der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt, werden wir uns darum bemühen, ihn zügig zu beraten. Aus diesem Grunde haben wir guten Gewissens der Befristung der heute zu beschließenden Regelung zugestimmt. Die Masseure, Masseure und medizinischen Bademeister und Krankengymnasten erbringen einen wesentlichen Teil der ambulanten Leistungen in unserem Gesundheitswesen. Ihre Arbeit zeichnet sich in aller Regel durch hohe Qualität aus. Die bisher geleistete Arbeit, aber auch das gestiegene Gesundheitsbewußtsein der Bevölkerung werden auch in Zukunft dazu beitragen, daß Masseure, medizinische Bademeister und Krankengymnasten einen festen Platz in unserem Gesundheitswesen einnehmen werden.
Hierzu gehört auch, daß die Bemühung jedes einzelnen, aber auch der Verbände um eine Verbesserung der Fortbildung nicht nachlassen dürfen. Ich sage dies auch vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, die Qualifikation dieser Berufsgruppen im internationalen Vergleich zu erhöhen. Auch aus diesem Grunde ist es notwendig, daß wir so bald wie möglich ein neues Berufsgesetz beraten und beschließen können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014007700
Da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, kann ich die Aussprache schließen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen sind die Vorschriften angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist der Gesetzentwurf angenommen.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nunmehr die erfreuliche Mitteilung machen, daß Sie etwas eher in die Mittagspause gehen können. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung der Sitzung von 12.42 bis 14.00 Uhr)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014007800
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 10/3359 —
Zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ist zu sagen, daß der Fragesteller der Frage 22, der Abgeordnete Stiegler, um schriftliche Beantwortung bittet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Der Fragesteller der Frage 23, der Abgeordnete Dr. Kübler, hat seine Frage zurückgezogen. Der Fragesteller der Frage 24, der Abgeordnete Amling, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit ist dieser Bereich erledigt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Der Fragesteller der Fragen 25 und 26, der Abgeordnete Austermann, bittet um schriftliche Beantwortung, ebenso der Fragesteller der Fragen 27 und 28, der Abgeordnete Jungmann. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Roth, die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Vosen, die Fragen 33 und 34 des Abgeordneten Stahl (Kempen), die Frage 35 des Abgeordneten Dr. Jens, die Frage 36 des Abgeordneten Dr. Kübler, die Fragen 37 und 38 des Abgeordneten Fischer (Homburg), die Frage 39 des Abgeordneten Catenhusen, die Fragen 40 und 41 des Abgeordneten Vahlberg, die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Grunenberg und die Frage 44 des Abgeordneten Dr. von Bülow sind von den Fragestellern zurückgezogen worden.



Vizepräsident Frau Renger
Die Fragen 45 und 46 der Abgeordneten Frau Fuchs (Verl) werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Fragen 47 und 48 der Abgeordneten Frau Steinhauer werden auf Grund der Richtlinien für die Fragestunde Nr. 2 Abs. 2 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Die Fragen 49 und 50 des Abgeordneten Dr. Lammert, die Frage 51 des Abgeordneten Dr. Weng (Gerlingen) und die Fragen 52 und 53 der Abgeordneten Frau Seiler-Albring werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Frage 54 des Abgeordneten Reimann wird auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. Frage 55 des Abgeordneten Grünbeck wird ebenfalls auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Ich rufe Frage 56 des Herrn Abgeordneten Rapp auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Deutsche Bundesbahn die Rechtsauffassung vertritt, von ihr veräußertes nicht mehr benötigtes Bahngelände unterliege nicht der Planungshoheit der Gemeinden, und welches ist dazu die Auffassung der Bundesregierung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1014007900
Herr Kollege Rapp, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das entbehrliche DB-eigene Gelände mit der Veräußerung aus der Planungszuständigkeit der Bahn entlassen ist und damit der Planungshoheit der Gemeinden unterliegt. Bei der Bahn ist bekannt, daß mit der Veräußerung von Gelände die Planungszuständigkeit entfällt.
Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß Dienststellen der Bahn eine hiervon abweichende Rechtsauffassung vertreten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014008000
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rapp.

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID1014008100
Herr Staatssekretär, finden Sie es in Ordnung, daß die Bundesbahn Gelände verkauft, ohne die Gemeinden auch nur in Kenntnis zu setzen, geschweige denn, das Einvernehmen nach § 34 des Bundesbaugesetzes herbeizuführen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß bis jetzt davon ausgehen, daß in einem solchen Verkaufsfall die Gemeinden informiert werden. Sollte es einen Anlaß geben, dafür etwas anderes anzunehmen, wäre ich Ihnen für eine Mitteilung dankbar. Ich würde dieser Sache dann gerne nachgehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014008200
Ich rufe Frage 57 des Abgeordneten Rapp (Göppingen) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auf veräußertem Bahngelände in vielen Fällen neue Supermärkte sich ansiedeln, was dem Bestreben von Gemeinden zuwiderläuft, mit den Mitteln und Möglichkeiten der Bauleitplanung die Ortskerne wieder zu beleben und in dieser Zielsetzung das Entstehen neuer Supermärkte an der Peripherie zu verhindern?
Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rapp, es ist durch Einzelfälle bekannt, daß auf veräußertem, also entbehrlichem ehemaligen DB-Gelände Supermärkte errichtet worden sind. Auf die bauliche Nutzung des veräußerten Geländes hat die DB keinen Einfluß. Für den Erwerber gelten die Bestimmungen des Bundesbaugesetzes und der Bauordnungen der Länder.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014008300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rapp.

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID1014008400
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Bundesbahn mindestens in einer Region offenbar generell einem Makler die Kaufsoption eingeräumt hat, der seinerseits nur an Bauherren für Supermärkte verkauft?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir persönlich ist durch das gestrige Gespräch diese Verfahrensweise bekanntgeworden. Ich will dieser Frage gern allgemein nachgehen. Das wird allerdings nichts an der Tatsache ändern, daß dann, wenn die Bahn nicht mehr die Planungszuständigkeit hat, die Gemeinden verantwortlich sind. Wenn die Gemeinden verantwortlich sind, sollten sie dann aber bitte auch ihre eigenen Entscheidungen nicht kritisieren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014008500
Zweite Zusatzfrage, bitte!

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID1014008600
Herr Staatssekretär, wie beurteilt es die Bundesregierung, wenn jener Makler den betreffenden Gemeinden und jedem einzelnen Gemeinderatsmitglied für den Fall mit Schadenersatzklagen droht, daß dem Baugesuch zur Errichtung eines Supermarktes nicht zugestimmt wird? Meine Frage zielt weniger auf die Legalität des Vorgangs als auf das gemeindeunfreundliche Verhalten, das insoweit auch der Bundesbahn angerechnet werden muß.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rapp, ich kann nicht beurteilen, ob der Makler als Partner der Bundesbahn ein seriöser Mann war oder ist oder nicht. Ich müßte dieser Frage nachgehen. Gehen Sie bitte davon aus, daß die Bundesbahn nur seriöse Leute hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014008700
Keine Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Hettling auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung — gemäß ihrer Antwort auf meine Fragen vom 19. April 1985 (Drucksache 10/3329) — die Ausgleichskassen der Partikulier-Genossenschaften unterstützt und damit bewußt in Kauf nimmt, daß mit den Festfrachtraten der Binnenschiffahrt im Seehafen-



Vizepräsident Frau Renger
hinterlandverkehr der deutschen Seehäfen der grenzüberschreitende Seehafenhinterlandverkehr zu den Rheinmündungshäfen Rotterdam und Antwerpen subventioniert wird?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann es ganz kurz machen. Meine Antwort ist: nein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014008800
Dazu haben Sie sicher noch Zusatzfragen, Herr Kollege. Bitte sehr!

Ludwig Hettling (SPD):
Rede ID: ID1014008900
Herr Staatssekretär, würden Sie es denn nicht als eine Wettbewerbsverzerrung im Seehafenhinterlandverkehr für die Seehäfen bezeichnen, wenn mit den starren, also den hohen Tarifen im deutschen Seehafenhinterlandverkehr die im internationalen Wettbewerb 20 bis 30% niedrigeren Tarife im Seehafenhinterlandverkehr über den Rhein subventioniert werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hettling, ich glaube, daß der Seehafenhinterlandverkehr nun wirklich ein anderes Thema ist als die Ausgleichskassen bei den Genossenschaften. Aber Sie wissen sehr gut, daß hier viel Bewegung im Gewerbe, bei der Binnenschiffahrt, beim BdF, bei der Deutschen Bundesbahn vorhanden ist. Sie wissen auch, daß wir demnächst ein öffentliches Hearing des Verkehrsausschusses haben. Nur, die Ausgleichskassen bei den Genossenschaften haben mit diesem Thema wirklich nichts zu tun.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014009000
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Ludwig Hettling (SPD):
Rede ID: ID1014009100
Ich stelle fest, daß Sie meine Frage nicht beantworten. Ich will konkreter werden: Tatsache ist, daß durch dieses Ausgleichssystem ein Teil der Frachtraten im deutschen Seehafenhinterlandverkehr zur Subventionierung des Seehafenhinterlandverkehrs zu den Rheinmündungshäfen benutzt wird, daß also eine Subventionierung erfolgt. Ist dies nicht eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der deutschen Seehäfen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege; denn bei dieser Frage handelt es sich um ein rein betriebsinternes Abrechnungsverfahren der Partikulier-Genossenschaften, das als solches mit dem Wettbewerb zwischen den deutschen Seehäfen und den Rheinmündungshäfen nichts zu tun hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014009200
Vielleicht klärt sich das bei der Beantwortung der Frage 59 des Abg. Hettling, die ich jetzt aufrufe:
Wird durch diesen Sachverhalt die Bundesregierung nicht unglaubwürdig, wenn sie einerseits permanent beteuert, die Wettbewerbsverzerrungen der deutschen Seehäfen im Seehafenhinterlandverkehr zu beseitigen und sie andererseits solche Subventionspraktiken zu Lasten der deutschen Seehäfen unterstützt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hettling, die Abrechnungsverfahren bei den Partikulier-Genossenschaften stellen — ich habe es gerade angedeutet — keine Subventionen dar, sondern sind eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Sie ermöglichen eine Gleichstellung mit den Reedereien, die in gleicher Weise vorgehen. Ein Eingriff im geforderten Sinne würde eine betriebswirtschaftliche Kalkulation für die Partikulier-Genossenschaften unmöglich machen und sie von wesentlichen Verkehren fernhalten, bei denen eine solche Kalkulation unerläßlich ist. Dies wiederum würde bedeuten, daß eine erhebliche wettbewerbliche Schlechterstellung gegenüber jedem konkurrierenden Verkehrsunternehmen entstünde.
Die Bundesregierung wird nicht durch das Zulassen des Abrechnungsverfahrens, sondern würde umgekehrt durch das geforderte Verbot unglaubwürdig, weil sie betriebswirtschaftliche Verhaltensweisen bewußt verhinderte.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014009300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hettling.

Ludwig Hettling (SPD):
Rede ID: ID1014009400
Herr Staatssekretär, Sie stellen immer auf die Ausgleichskassen ab. Es geht hier um die Subventionierung, die aus diesen Ausgleichskassen erfolgt. Wenn ich denselben Sachverhalt auf die wenigen noch freien, nicht in Reedereien und Genossenschaften verbundenen Binnenschiffe anwendete, käme doch genau dies zum Tragen. Wenn ein Abbau der Wettbewerbsverzerrung erfolgen soll, können Sie nicht mit dem Argument der Ausgleichskasse kommen. Ist nicht die Tatsache, daß dieser höhere Tarif zur Subventionierung der niedrigen Tarife benutzt wird — ob innerhalb oder außerhalb eines Konzerns oder einer Genossenschaft —, eine Wettbewerbsverzerrung? Wird die Bundesregierung dadurch nicht unglaubwürdig mit ihren Beteuerungen, zuletzt auch im Verkehrsbericht der Bundesregierung, die Wettbewerbsverzerrungen bei den Seehäfen im Hinterlandverkehr abzubauen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Preisbildung in der Binnenschiffahrt hat mit der Wende in der Politik der Bundesregierung überhaupt nichts zu tun. Ich glaube, deshalb sollten wir solche Begriffe wie „unglaubwürdig" streichen. Unterhalten wir uns doch darüber, wie die Preise seit 10, 15 oder 20 Jahren gebildet werden.
Ich bin gern bereit, Sie zu einem Gespräch einzuladen, das zwischen Verladern und Binnenschiffern stattfindet, bei dem, wenn Sie so wollen, in paritätischer Mitbestimmung der Marktpreis mit ganz bestimmten Margen ausgehandelt wird, mit der Möglichkeit, nach oben und nach unten zu gehen. Wenn Sie dann sehen, wie hier gehandelt wird, wie marktnah verfahren wird, dann stellt sich die Frage nach der Bundesregierung in diesem Fall überhaupt nicht mehr, weil die Marktpartner das Sagen haben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014009500
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Hettling.

Ludwig Hettling (SPD):
Rede ID: ID1014009600
Sie machten gerade das Angebot eines Gesprächs. Das haben Sie zu einem anderen Themenkomplex im Rahmen einer Fragestunde schon einmal gemacht. Dieses Gespräch ist auch



Hettling
noch nicht zustande gekommen. Darum frage ich die Bundesregierung lieber hier.
Die Bundesregierung hat in ihrem Verkehrsbericht ausgeführt: „Die Bundesregierung ist entschlossen den Hinterlandverkehr der deutschen Seehäfen ordnungspolitisch so zu gestalten, daß bestehende Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden."
Wenn nun eine solche Wettbewerbsverzerrung, wie sie von mir hier in der Fragestunde dargestellt wurde, vorhanden ist, wird dann nicht die Bundesregierung offensichtlich unglaubwürdig — und das hat mit der Wende wirklich nichts zu tun; deshalb frage ich diese Bundesregierung —, wenn sie eine solche bestehende Wettbewerbsverzerrung nicht beseitigt? Warum wird sie nicht beseitigt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann in zwei Teilen antworten. Erstens. Ein Angebot zu einem Gespräch muß von der anderen Seite — sprich: von Ihnen — auch angenommen werden. Damit ist dieser Punkt abgehakt.
Zweitens. Ich habe vorhin zum Ausdruck gebracht, daß es hier nicht um eine Wettbewerbsverzerrung geht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014009700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ewen.

Carl Ewen (SPD):
Rede ID: ID1014009800
Herr Staatssekretär, würden Sie zugeben, daß die Wettbewerbsverzerrung möglicherweise auch dadurch zustande kommt, daß im Hinterlandverkehr der deutschen Seehäfen zwar bestimmte Frachtraten entweder vorgegeben sind oder ausgehandelt werden, daß aber dann, wenn das Gut über ausländische Häfen — über die sogenannte blaue Grenze — hereinkommt, all dies nicht gilt?
Würden Sie in diesem Zusammenhang zugeben, daß möglicherweise die Verlader in den Gesprächen mit den Transporteuren ihre auch in ausländischen Häfen angesiedelten Interessen stärker berücksichtigen als die in deutschen Häfen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß der Begriff der Ausgleichskassen — und davon sind wir ja ausgegangen — mit den Wettbewerbsverzerrungen nichts zu tun hat. Ich will mein Angebot an den Kollegen Hettling erweitern und sagen: Wenn Sie einen konkreten Anlaß haben — ich weiß ja, welchen Wahlkreis Sie vertreten — zu klagen, wenn Sie konkrete Unterlagen haben, sprechen wir darüber und überlegen, wie wir unseren Marktpartnern helfen können.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014009900
Mehr ist im Moment wohl nicht zu klären.
Die Fragen 60 und 61 der Abgeordneten Frau Dr. Lepsius sollen auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 62 des Herrn Abgeordneten Schily auf:
Hat die Deutsche Lufthansa AG den Beratervertrag mit dem ehemaligen FDP-Vorsitzenden im rheinland-pfälzischen Landtag, Herrn Scholl, auf Empfehlung oder durch Vermittlung von Bundeskanzler Dr. Kohl abgeschlossen (vgl. Drucksache 10/2826, Fragen 45 und 46)?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Schily, auf eine entsprechende Frage des Abgeordneten Walther (SPD) — Plenarprotokoll 10/121, Anlage 9, Frage 48 — hat die Bundesregierung am 8. Februar 1985 wie folgt geantwortet:
Bundeskanzler Dr. Kohl hat sich für eine Tätigkeit von Herrn Scholl bei der Lufthansa nach dessen Ausscheiden aus dem Landtag von Rheinland-Pfalz verwendet.
Dem ist nichts hinzuzufügen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014010000
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1014010100
Auf Grund welcher Qualifikation von Herrn Scholl hat Bundeskanzler Kohl diese Empfehlung ausgesprochen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das weiß ich nicht. Ich habe allerdings von der „Lufthansa" Nachricht, daß Herr Scholl gute juristische Arbeit geleistet habe.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1014010200
Wie hoch ist nach Ihrer Schätzung die Zahl der Personen in der Bundesrepublik, die in der Lage sind, gute juristische Arbeit zu leisten, und wie kam es, daß Bundeskanzler Kohl die Fähigkeiten, die Sie soeben geschildert haben, besonders herausstellen wollte?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, wie hoch die Zahl der Rechtsanwälte in der Zukunft sein wird; hier gibt es ja einige Sorgen. Ich gehe allerdings davon aus, daß die „Deutsche Lufthansa" mit ihrem Vertrag mit Herrn Scholl in der Zeit, in der eine Gegenleistung erfolgt ist, gut gefahren ist. Dies wird mir rundum bestätigt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014010300
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hürland.

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID1014010400
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, durch wen Herr Scholl bei der Einstellung in die „Lufthansa" im Hinblick auf seine Qualifikation geprüft worden ist, durch den Bundeskanzler oder durch Herrn Ruhnau?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014010500
Verehrteste Frau Kollegin, diese Frage kann ich nicht zulassen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Danke, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatssekretär Dr. Florian zur Verfügung.
Die Fragen 63 und 64 des Herrn Abgeordneten Michels sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.



Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe Frage 65 der Abgeordneten Frau Schmedt (Lengerich) auf:
Hat der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen in Dhaka Gespräche geführt über die Einführung eines digitalen Fernmeldevermittlungsnetzes?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1014010600
Frau Abgeordnete, die Frage ist mit Ja zu beantworten.
Ich darf ergänzend folgendes vortragen: Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling wurde anläßlich seines Besuches der Volksrepublik Bangladesch im April 1984 vom damaligen bangladeschischen Minister für das Kommunikationswesen darüber informiert, daß Bangladesch seit längerem beabsichtige, digitale Fernsprechvermittlungstechnik einzuführen und sich wiederum für ein schon bei der Deutschen Bundespost erprobtes System entscheiden wolle.

(Edelmetall-Motor-Drehwähler Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? Danke. Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück. Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß der Bundespostminister der Regierung von Bangladesch abgeraten hat, ein digitales Fernsprechvermittlungssystem einzuführen? Dr. Florian, Staatssekretär: Nein, dann wäre ich mißverstanden worden. Der Bundespostminister hat im Rahmen seiner Möglichkeiten einen technischen Ratschlag gegeben. Zusatzfrage des Abgeordneten Schanz. Herr Staatssekretär, könnten Sie mitteilen, ob es zwischen Herrn Minister Schwarz-Schilling und Herrn Minister Warnke vorher oder nachher eine Absprache zu diesem Komplex gegeben hat, bzw. ist geprüft worden, ob eine solche Lieferung für Bangladesch entwicklungspolitisch sinnvoll ist? Dr. Florian, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, soweit ich das im Moment beantworten kann, ist die Antwort diese: Es haben darüber Gespräche zwischen den beiden Ministerien stattgefunden. Nach unserer Information war dieses Vorhaben, über das wir hier sprechen, vom Entwicklungsminister auch grundsätzlich befürwortet worden. Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeffermann. Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die positive Beratung der Regierung, die jetzt in Rede steht, sehr viel leichter gewesen wäre, wenn sich die Vorgänger von Herrn Bundesminister Schwarz-Schilling rechtzeitig für ein digitales Fernsprechvermittlungssystem bei der Deutschen Bundespost entschieden hätten, so daß wir gegenüber Kunden der deutschen Industrie heute auf ein schon erprobtes System verweisen könnten? Daß wir das nicht können, erschwert die Gesprächslage zur Zeit international etwas. Dr. Florian, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Pfeffermann, ich kann dies bestätigen. Denn in der Antwort, die ich soeben gegeben habe, habe ich ja gesagt, daß der Minister bei seiner Antwort an den zuständigen Minister in Bangladesch auf das Erprobungssystem hinweisen mußte; das gilt auch heute noch. Der Einführungstermin für das digitale Vermittlungssystem lag so spät, daß wir auch heute noch in der Erprobung sind. Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmedt. Herr Staatssekretär, wenn Sie nicht abgeraten haben, solch ein teures Fernmeldesystem einzuführen: Haben Sie denn zugeraten, dieses einzuführen? Dr. Florian, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, nach meiner Information war die Regierung von Bangladesch in dieser Frage bereits entschlossen, ein digitales Fernsprechvermittlungssystem einzuführen. Es ging um die Frage: welches und aus welchem Lande. Und in diesem Zusammenhang ist der Bundespostminister nach unseren Erfahrungen mit unserem jetzt in der Erprobung befindlichen System gefragt worden. Er hatte keinen Anlaß abzuraten. Keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 66 des Abgeordneten Stiegler wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Ich komme nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung. Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Urbaniak auf: Welche Forschungsvorhaben hat die Bundesregierung in Auftrag gegeben, um den aufgetretenen Fällen von Bodenverseuchung wirksam entgegenwirken zu können? Vizepräsident Frau Renger Bitte schön, Herr Staatssekretär. Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten, möchte ich die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten. Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 68 des Abgeordneten Urbaniak auf: Welche Bundesländer, die Forschungsvorhaben zu dieser Problematik als Modellvorhaben in Auftrag gegeben haben, werden von der Bundesregierung unterstützt? Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Bei der Beantwortung der Fragen wurden unter dem Begriff „aufgetretene Fälle von Bodenverseuchung" Altlasten im Sinne von kontaminierten Betriebsflächen oder Altablagerungen verstanden. Nicht berücksichtigt wurden daher z. B. Belastungen des Bodens durch Luftoder Niederschlagseinflüsse, Abwässer, Klärschlammund Baggergutaufbringung. Da die Sanierung der Altlasten generell Sache der Bundesländer ist, beteiligt sich der Bund lediglich an entsprechenden Forschungsund Entwicklungsvorhaben. Die Zuwendungssumme der derzeit geförderten bzw. unmittelbar vor ihrer Bewilligung stehenden Vorhaben beträgt ca. 25 Millionen DM, was bei durchschnittlich 50 % Zuwendungsanteil einer Gesamtsumme von etwa 50 Millionen DM Förderung entspricht. Gegenstand der Forschung sind — in Stichworten — nachträgliche Deponiebasisabdichtung, Einziehen von nachträglichen Dichtungswänden, Oberflächenabdeckung, Sickerwasserbehandlung, Deponiegasreinigung, In-situ-Behandlung der Abfälle, Untersuchungsteleologien sowie Sachund Bewertungsverfahren. Die Bundesregierung hat Zuwendungen zu 16 Forschungsund Entwicklungsvorhaben bewilligt bzw. die Förderung in Aussicht gestellt. Hierzu habe ich Ihnen, Herr Kollege, eine Liste anfertigen lassen, die ich Ihnen im Anschluß gern übergeben möchte. Darüber hinaus liegt eine Anzahl von Anträgen auf Gewährung einer Zuwendung zu anderen Themenbereichen vor, über die erst demnächst entschieden werden soll. An einigen der zu Nr. 67 angegebenen Forschungsund Entwicklungsvorhaben beteiligen sich die jeweiligen Bundesländer, so Niedersachsen, Hamburg, Hessen — über die Stadt Frankfurt —, und Rheinland-Pfalz als Drittmittelgeber. Weitere Bundesländer werden sich voraussichtlich an den derzeit in der Prüfung befindlichen Anträgen beteiligen. Zusatzfrage, Herr Kollege Urbaniak. Herr Kollege Staatssekretär, nun weiß der Abgeordnete natürlich, daß die Länder dafür zuständig sind. Darauf zielte die Frage auch nicht ab. Mir geht es darum, ob die Bundesregierung ernsthaft bemüht ist, Modellmaßnahmen mitzufinanzieren, die darauf abgestellt sind, die über hundert Jahre verseuchten Industrieböden so aufzubereiten, daß man das auch durch technische Verfahren an Ort und Stelle machen kann. Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Bei Beteiligung der jeweiligen Bundesländer ein klares Ja. Die zweite Zusatzfrage, bitte. Können Sie mir bitte sagen, wie die technischen Verfahren aussehen, daß man möglicherweise durch Ausbrennen und biologische Wiederbelebung des Bodens diesen an Ort und Stelle vergüten oder wieder einbauen kann? Oder sind Ihre Modellmaßnahmen lediglich darauf abgestellt, die Deponie, die Sie besonders technisch in den Modellvorhaben betreiben wollen, zu sichern und verseuchte Böden zu deponieren? Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die erforderlichen Maßnahmen sind je nach Standort außerordentlich unterschiedlich. Daraus erklärt sich auch die sehr unterschiedliche Art der jeweiligen Behandlung und der Modellversuche. Ich glaube, aus dieser Liste können Sie die Thematiken im einzelnen sehr, sehr gut ersehen. Ich möchte Ihnen diese Liste übergeben. Die dritte Zusatzfrage, bitte. Ich habe sie ja noch nicht einsehen können, Herr Kollege. Kann man davon ausgehen, daß chemische oder gar biologische Verfahren die Wiederaufbereitung der Böden zulassen? Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist eine sehr spezielle Frage, die unter Umständen einzelne auszuwählende spezielle Verfahren betrifft. Ich sehe mich im Augenblick nicht in der Lage, hier eine präzise Antwort zu geben. Aber diese Frage ist sehr leicht zu beantworten; ich darf die Antwort nachreichen. Die vierte Zusatzfrage. Ist sich die Bundesregierung über die Bedeutung der Altlasten in der Bundesrepublik eigentlich klar, und weiß sie, welche Konsequenzen an chemischen Zeitbomben auf uns zukommen, wenn wir diesen Boden nicht frühzeitig regenerieren? Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist sich über die Problematik voll im klaren. Sie hat auch immer wieder versichert — gerade der Forschungsminister hat das getan —, daß sie in Modellvorhaben den Ländern, die diese Probleme zu lösen haben, helfen möchte. Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer. Herr Staatssekretär, sind die Ergebnisse der Modellvorhaben bereits so weit, daß sie in die Praxis umgesetzt werden können? Was tun Sie, damit jetzt schon vorab und nicht erst Frau Steinhauer nach Abschluß aller Modellvorhaben Konsequenzen gezogen werden? Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es liegt in der Natur dieser Modellvorhaben, daß nicht alle schon praxisreif sind. Aber einige sind es sehr wohl, und die betroffenen Länder und Kommunen bedienen sich dieser Informationen auch sehr wohl. Sie haben noch eine Zusatzfrage, bitte. Herr Staatssekretär, kann man denn mal etwas Näheres hören, wo da auf Grund Ihrer Anregungen schon praktische Konsequenzen gezogen werden? Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe hier die Liste. Sie können daraus sehen, wie es im Einzelfall ist. Es würde sonst zu weit führen. (Frau Steinhauer [SPD]: Wenn Sie mir die schriftlich geben würden!)

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014010700
Helga Schmedt (SPD):
Rede ID: ID1014010800
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014010900
Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1014011000
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014011100
Dieter Schanz (SPD):
Rede ID: ID1014011200
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014011300
Gerhard O. Pfeffermann (CDU):
Rede ID: ID1014011400
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014011500
Helga Schmedt (SPD):
Rede ID: ID1014011600

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Natürlich!)

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014011700



Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID1014011800
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014011900
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014012000
Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1014012100
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014012200
Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1014012300
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014012400
Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1014012500
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014012600
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1014012700
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014012800
Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1014012900



Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014013000
Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1014013100
— Da ist sie.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014013200
Das wird passieren. Herr Abgeordneter Reimann, eine Zusatzfrage.

Manfred Reimann (SPD):
Rede ID: ID1014013300
Herr Staatssekretär, haben Sie schon praktische Modellversuche oder Modellfälle, wo die Entseuchung des Bodens stattgefunden hat?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Wir haben Untersuchungen. Entseuchung des Bodens ist mir bisher nicht bekannt. Das ist ja eine Frage, die jeweils ein einzelnes Bundesland betrifft. Mir ist im einzelnen jetzt nicht geläufig, ob die Bundesländer das bereits durchgeführt haben. Aber ich kann Ihnen die Antwort darauf nachliefern, wenn Sie es möchten. Das war im Prinzip nicht Gegenstand Ihrer Anfrage.

Manfred Reimann (SPD):
Rede ID: ID1014013400
Hat die Bundesrepublik eigenes Gelände, auf dem sie solche Versuche starten könnte?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Solche Versuche werden immer vor Ort gemacht, nämlich da, wo die Probleme liegen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014013500
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 69 des Abgeordneten Dr. Jens ist zurückgezogen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Der Geschäftsbereich ist damit beendet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Der Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Vogelsang auf:
Wieviel Ausbildungsplätze nach dem Berufsbildungsgesetz wird die Bundesregierung in ihrem Verantwortungsbereich (Deutsche Bundesbahn, Deutsche Bundespost, Bundeswehr etc.) in diesem Jahr anbieten, und wieviel Ausbildungsverträge wurden in dem gleichen Bereich im Jahr 1984 abgeschlossen?

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID1014013600
Herr Kollege Vogelsang, 1984 haben im Bereich des Bundes ohne Beteiligungsgesellschaften insgesamt 30 206 Jugendliche eine Ausbildung begonnen, 22 094 davon in Berufen nach dem Berufsbildungsgesetz. Die Gesamtzahl beinhaltet eine Steigerung gegenüber 1983 um rund 10 %. Für 1985 hat die Bundesregierung wegen der anhaltend hohen Nachfrage nach betrieblichen Ausbildungsplätzen eine weitere Steigerung ihrer Ausbildungsangebote auf insgesamt 31 500 Ausbildungsplätze beschlossen. Dies entspricht einer nochmaligen Erhöhung um 4,3 %. In welchen Berufen diese vorgesehene Steigerung tatsächlich realisiert wird, bleibt weitgehend den einstellenden Behörden und Betrieben vor Ort überlassen. Die Frage kann deshalb derzeit noch nicht beantwortet werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014013700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogelsang.

Kurt Vogelsang (SPD):
Rede ID: ID1014013800
Herr Staatssekretär, ausweislich der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP ist die Zahl der neu einzustellenden Auszubildenden bei Bundespost und Bahn im Jahre 1984 niedriger als im Jahre 1981, wobei die Verschiebungen in erster Linie bei den Ausbildungen nach dem Berufsbildungsgesetz bzw. in der Beamtenausbildung liegen. Kann denn die Bundesregierung nicht dafür sorgen, daß wenigstens die Gesamtzahl der Ausbildungsplätze in diesem Jahr wieder eine Höhe wie im Jahre 1981 erreicht?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Vogelsang, wenn wir davon ausgehen, daß in diesem Jahr 31 500 zusätzliche Ausbildungsplätze angeboten werden, liegt diese Zahl höher als die Zahlen, die wir seit 1982 gehabt haben. Sie ist etwa so hoch wie die Zahl, die wir 1981 gehabt haben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014013900
Zweite Zusatzfrage.

Kurt Vogelsang (SPD):
Rede ID: ID1014014000
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie hoch denn die Ausbildungsquote — nicht nur die Quote der Neueinstellungen — der beschäftigten Auszubildenden bei den Industrieunternehmen ist, an denen der Bund beteiligt ist?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Da dies in der Ausgangsfrage nicht gefragt war, habe ich darüber keine Zahlen zur Verfügung. Ich will mich aber bemühen, solche Zahlen zu beschaffen, und stelle sie Ihnen dann gerne zur Verfügung.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014014100
Herr Abgeordneter Kuhlwein, Zusatzfrage.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1014014200
Herr Staatssekretär, halten Sie für 1985 einen Beitrag des Bundes in Höhe von 31 500 Ausbildungsplätzen für ausreichend, oder meinen Sie nicht auch, daß es noch Kapazitäten, insbesondere bei Post und Bahn, geben könnte, die



Kuhlwein
man zusätzlich ausnutzen müßte, um der Situation in diesem Jahr gerecht zu werden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Wenn ich davon ausgehe, daß die Zahl der Plätze im letzten Jahr um 10% gesteigert worden ist und in diesem Jahr nochmals um über 4% gesteigert werden soll, bin ich der Meinung, daß das ein ausreichendes Angebot ist. Wenn wir diese Steigerung von über 4 % überall, auch in den ausbildenden Betrieben der Wirtschaft, erreichen, werden wir im Herbst mit Sicherheit ein ausgeglichenes Ausbildungsplatzangebot haben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014014300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kastning.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1014014400
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung denn gewillt, mit ihren Möglichkeiten dafür zu sorgen, daß in den bundesbeteiligten Unternehmen die Ausbildungsquote mindestens das Niveau erreicht wie in vergleichbaren Betrieben oder Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Da müßten wir jetzt genaue Zahlen zur Verfügung haben. Ich sage noch einmal: Ich bin gerne bereit, diesen gesamten Komplex mit Ihnen zu erörtern, wenn ich die Zahlen vorliegen habe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014014500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1014014600
Herr Kollege Staatssekretär, es ist davon gesprochen worden, daß die Bereitschaft besteht, dies Ihrerseits zu tun, damit wir in den Bundesunternehmen in dieser Frage beispielhaft vorangehen.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist halt schwierig, zu dieser Frage etwas zu sagen, wenn man die Ausgangsdaten nicht zur Verfügung hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014014700
Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Kastning auf:
Wie hoch wird nach Einschätzung der Bundesregierung in diesem Jahr die Nachfrage nach und das Angebot an Ausbildungsplätzen sein?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kastning, die Bundesregierung erwartet in diesem Jahr rund 745 000 bis rund 765 000 Ausbildungsplatzbewerber. Diese Prognose der Nachfrage nach Ausbildungsplätzen ist im Berufsbildungsbericht 1985 im einzelnen erläutert und begründet.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß 1985 einer annähernd gleich hohen Nachfrage wie im Vorjahr ein noch einmal wachsendes und damit ausreichendes Ausbildungsplatzangebot gegenübersteht. Die aktuellen Zahlen der Berufsberatungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit liegen im Trend dieser Annahme.
Die Zahl der gemeldeten Bewerber war am 30. April 1985 um knapp 9 000 oder 1,6% höher als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze ist demgegenüber um knapp 18 000 oder 4,7 % gestiegen. Diese erfreuliche Steigerung der Zahl der gemeldeten Lehrlingsplätze zeigt, daß die Ausbildungsbereitschaft von Wirtschaft und Verwaltung ungebrochen ist.
Die derzeit günstige Tendenz der Beschäftigungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß in den kommenden Wochen und Monaten noch erhebliche Anstrengungen erforderlich sind, um das Ziel eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebotes zu erreichen. Schwierig ist die Ausbildungsplatzsituation vor allem für Mädchen, die gegenwärtig einen Anteil von 57, 2 % an den gemeldeten Bewerbern stellen. Die Spitzenorganisationen der Wirtschaft haben erklärt, daß sie alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen werden, um 1985 genügend Ausbildungsplätze anbieten zu können.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014014800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kastning.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1014014900
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß sich angesichts der Lage auf dem Ausbildungsplatzmarkt in den letzten Jahren sowohl bei Anbietern als auch bei Nachfragern zeitlich gesehen ein anderes Verhalten durchsetzt, d. h. Ausbildungsplätze früher gemeldet und nachgefragt werden, so daß von daher die jetzigen Stichtagszahlen — 30. April 1985 — keine so relativ günstige Prognose zulassen, wie Sie sie eben gegeben haben?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich hier um eine Geschäftsstatistik; das ist richtig. Die Bundesregierung hat immer erklärt, daß man den Aussagewert dieser Geschäftsstatistik mit Zurückhaltung sehen muß. Entscheidend ist in der Tat die Situation im kommenden Herbst.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014015000
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Kastning.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1014015100
Herr Staatssekretär, können Sie mir vielleicht auch noch sagen — obwohl ich danach anfangs nicht gefragt habe —, wie hoch nach Ihrer Schätzung in etwa die Zahl derjenigen Jugendlichen sein wird, die in diesem Jahr nicht unmittelbar nach Abschluß der allgemeinbildenden Schulen, sondern nach einem verlängerten schulischen Ausbildungsgang, also als Zweitnachfrager, zusätzlich auf den Ausbildungsplatzmarkt drängen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Diese Frage wird im Zusammenhang mit der Frage der Frau Kollegin Odendahl nochmals eine Rolle spielen. Ich habe dazu keine ins einzelne gehende statistischen Erhebungen. Sie werden nicht erhoben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014015200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1014015300
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die von Ihnen schon genannte Statistik der Arbeitsämter vom 30. April 1985 320 000 noch nicht vermittelte Bewerber ausweist, denen



Kuhlwein
ein Angebot von noch 90 000 Ausbildungsplätzen gegenübersteht, und wie hoch ist dann im Augenblick — 30. April 1985 — die Differenz zwischen angebotenen Plätzen und Nachfrage?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Diese Zahl ist, was die Beschäftigungsstatistik vom 30. April 1985 angeht, zutreffend. Ich muß allerdings sagen, auch hier macht ein Vergleich mit dem Jahre 1984 deutlich, daß die Situation in diesem Jahr wohl etwas günstiger ist. Inzwischen liegen nämlich auch vorläufige Ergebnisse der Betriebsbefragungen des IFO-Instituts zum Ausbildungsplatzangebot in Industrie, Handel und Handwerk vor. Wie die Berufsberatungsstatistik bestätigt diese Umfrage die Einschätzung der Bundesregierung, wie sie im Berufsbildungsbericht dargelegt ist: Bei anhaltend hoher Nachfrage ist die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe ungebrochen; ein Wachstum des Angebots an Ausbildungsplätzen ist erreichbar, und wenn in den kommenden Wochen und Monaten alle Anstrengungen unternommen werden, um die möglichen Ausbildungsplätze zu schaffen und zu besetzen, haben wir eine gute Chance, im Herbst ein ausgeglichenes Ausbildungsplatzangebot zu erreichen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014015400
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1014015500
Herr Staatssekretär, sind denn Statistiken in Arbeitsämtern, die eine sehr viel schlechtere Entwicklung als im letzten Jahr zum Ausdruck bringen, z. B. die, daß auf eine Stelle drei oder zwei Bewerber kommen, eine Ausnahme, oder könnte es sein, daß am 30. April viele Ausbildungsbetriebe ihr Angebot noch zurückhalten, um etwaigen privaten Vermittlern — deren Tätigkeit Sie ja jetzt ermöglicht haben — eine Chance zu geben, Ausbildungsplätze zu vermitteln?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Man kann gegen die Berufsberatungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit mit dem Stichtag 30. April 1985 natürlich hinsichtlich des Aussagewertes eine ganze Reihe von Einwendungen erheben. Ich habe auch in früheren Jahren immer darauf hingewiesen, daß es sich hier um eine Geschäftsstatistik handelt, die einen gewissen Trend in eingeschränktem Maße sichtbar macht. Ich meine, daß dieser Trend in diesem Jahr etwas günstiger ist als im letzten Jahr.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014015600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1014015700
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß draußen in der Landschaft jetzt schon Alarmmeldungen von den Betriebsräten und den Gewerkschaften zu vernehmen sind, die besagen, daß wohl nicht alle in die Betriebe drängenden Auszubildenden 1985 einen Ausbildungsplatz erhalten können?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Urbaniak, die Daten, die der Bundesregierung und dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft vorliegen, machen deutlich, daß eine Entwarnung nicht realistisch wäre und deshalb auch nicht möglich ist.
Ich möchte aber hinzufügen: Für hektischen Alarm besteht im Augenblick ebenfalls kein Anlaß.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014015800
Ich rufe Frage 72 des Herrn Abgeordneten Kuhlwein auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Arbeit, Frau Engelen-Kefer (Süddeutsche Zeitung vom 11. April 1985), die eine nochmalige Verschärfung der Situation auf dem Lehrstellenmarkt insbesondere für Mädchen und junge Frauen befürchtet?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kuhlwein, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es 1985 entscheidend darauf ankommt, das Ausbildungsplatzangebot für Mädchen weiter zu verbessern. Dies ist ein zentraler Schwerpunkt der Ausbildungsanstrengungen in diesem Jahr.
Wie ich bereits in meiner Antwort auf die Frage des Kollegen Kastning ausgeführt habe, beträgt der Anteil der Mädchen an den bei den Arbeitsämtern gemeldeten Bewerbern gegenwärtig 57,2 %. Die Berufswünsche der Mädchen richten sich unverändert hauptsächlich auf Büro- und kaufmännische Berufe sowie auf Dienstleistungsberufe. Alle für die Berufsbildung Verantwortlichen müssen deshalb ihre Anstrengungen darauf konzentrieren, daß vor allem in diesen traditionellen Berufsbereichen für Frauen das Ausbildungsplatzangebot weiter gesteigert wird. Gleichzeitig ist es aber auch notwendig, daß sich die Mädchen für ein breiteres Spektrum von Ausbildungsberufen interessieren und verstärkt auch eine Ausbildung in gewerblich-technischen Berufen in Betracht ziehen.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß es gelingen wird, eine Verschärfung der Situation auf dem Lehrstellenmarkt für Mädchen und junge Frauen zu vermeiden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014015900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1014016000
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der Anteil der Mädchen bzw. jungen Frauen an den in diesem Jahr noch nicht vermittelten, aber bei den Arbeitsämtern registrierten Bewerbern sogar bei 60 % liegt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Das übersehe ich im Augenblick nicht. Nach den uns vorliegenden Informationen wird sich dieser Anteil bis Herbst wieder bei 56 bis 65 % einpendeln.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014016100
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1014016200
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß in den traditionellen Mädchenberufen das Angebot ausgeweitet werden müsse, darüber hinaus aber auch neue Gebiete erschlossen werden sollten. Halten Sie es bei der Berufsberatung durch die Arbeitsämter für hilfreich, Mädchen in verstärktem Umfange auf die sogenannten Helferinnenberufe zu verweisen, und wie beurteilen



Kuhlwein
Sie die Zukunftschancen von Mädchen in solchen Berufen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Kollege Kuhlwein, ich bin der Meinung, daß es in diesem Jahr darauf ankommt, jeden für Mädchen verfügbaren Ausbildungsplatz zu vermitteln. Ich kann deswegen die Arbeitsämter nur darin ermutigen, daß, wenn sie irgendwo einen Frauenausbildungsplatz für ein Mädchen haben, der den Mädchen auch angeboten wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014016300
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Odendahl.

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1014016400
Herr Staatssekretär, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß die Verweisung der Mädchen auf solche wenig aussichtsreichen Berufe eigentlich ein Problem für die Zukunft vor uns herschiebt, wenn wir jetzt zu solchen Fehlqualifikationen auch noch durch die Arbeitsämter ermuntern?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, ob man hier von Fehlqualifikationen sprechen kann. Jede Qualifikation ist zunächst einmal auch eine berufliche Qualifikation, die später Chancen für Mädchen verbessert.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014016500
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1014016600
Würden Sie denn nicht von Fehlqualifikationen sprechen, wenn beispielsweise, wie bei den Frisörinnen, immer wieder der Effekt verstärkt auftaucht, daß die ausgebildeten jungen Mädchen nachher in die Arbeitslosigkeit entlassen werden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weisskirchen, diese Frage könnten wir diskutieren, wenn wir in einem großen Maße ein Überangebot an Ausbildungsplätzen hätten. Das ist aber nicht die Situation des Jahres 1985. Deswegen stehe ich auf dem Standpunkt, jede Ausbildung, die ein Mädchen in dieser Situation erhält und die mit einer Qualifizierung verbunden ist, hilft einem solchen Mädchen für das spätere berufliche Leben. Denn wir wissen doch, wer eine Ausbildung hat, hat eine bessere Chance als derjenige, der über überhaupt keine Ausbildung verfügt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014016700
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Weisskirchen auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung für das Jahr 1985, damit alle ausbildungsplatzsuchenden Jugendlichen in einen Ausbildungsplatz vermittelt werden können?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weisskirchen, eine entsprechende Frage des Kollegen Amling habe ich in der letzten Sitzungswoche schriftlich beantwortet. Ich fasse die Schwerpunkte deshalb noch einmal kurz zusammen:
Die Bundesregierung hält an ihrer erfolgreichen Berufsbildungspolitik fest. Sie hat bewirkt, daß in den letzten beiden Jahren die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um rund 74 000 gestiegen ist. Wie in den letzten beiden Jahren wird die Bundesregierung auch in diesem Jahr durch zahlreiche flankierende Maßnahmen die Voraussetzungen für die Ausbildung in der Wirtschaft insbesondere für Mädchen; Behinderte und Benachteiligte verbessern. Das Bundeskabinett hat am 27. Februar beschlossen, das Ausbildungsplatzangebot im Verantwortungsbereich des Bundes zu steigern. Das habe ich soeben ausgeführt. Das Benachteiligtenprogramm wird auf hohem Niveau weitergeführt. Die bereitgestellten Mittel sind von 67 Millionen DM im Jahre 1982 auf 256 Millionen DM in diesem Jahr gestiegen. Hiermit können 1985 rund 18 500 benachteiligte Jugendliche eine Ausbildungschance erhalten. Weiterhin weise ich darauf hin, daß die Förderung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten 1985 in bisherigem Maße fortgeführt wird. Und schließlich ist im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit Vorsorge für eine zielgruppengerechte Ausweitung der arbeitsmarktorientierten Qualifizierungsangebote nach dem Arbeitsförderungsgesetz getroffen. Hierzu gehören insbesondere berufsvorbereitende Grundausbildungslehrgänge.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014016800
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1014016900
Herr Staatssekretär, können Sie wirklich ernsthaft von einer erfolgreichen Berufsbildungspolitik Ihrer Regierung sprechen, wenn jetzt zum dritten Mal hintereinander in diesem Jahr zu erwarten ist, daß mindestens 100 000 Jungen und Mädchen vor verschlossenen Türen in der Berufsbildung stehen werden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Kollege Weisskirchen, das ist eine Erwartung, die ich zunächst einmal überhaupt nicht bestätigen kann. Was die Berufsbildungspolitik der Bundesregierung angeht, so möchte ich noch auf zwei Dinge hinweisen. Erstens: Wenn in zwei Jahren 74 000 zusätzliche Ausbildungsplätze entstanden sind, dann ist das zunächst einmal eine Leistung, die sich sehen lassen kann.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Zweitens: Wir hatten im letzten Jahr einen absoluten Rekord an Lehrstellenbewerbern, über 760 000. Von diesen 760 000 sind bis zum 30. April 1985 nach einer Statistik der Bundesanstalt für Arbeit noch 20 513 übriggeblieben. Das heißt, über 97 % der Bewerber haben bis zum April 1985 einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen. Das hat es in dieser Größenordnung nicht einmal in Zeiten gegeben, in denen die Zahl der Ausbildungsplätze besser gewesen ist, als wir sie heute haben. Ich finde, das ist wirklich eine erfolgreiche Berufsbildungspolitik.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014017000
Eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Weisskirchen.




Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1014017100
Herr Staatssekretär, wenn Sie sich die Statistik dessen angucken, was Sie selber im Berufsbildungsbericht veröffentlichen, werden Sie leicht feststellen können, daß das, was Sie hier als Erfolg verkaufen, jedenfalls für die jungen Menschen keiner ist; denn sie bekommen in wachsendem Maße keinen Ausbildungsplatz. Deswegen die Frage: Würden Sie es nicht für richtig halten, daß eine Fülle von Vorschlägen — ich nenne nur ein Beispiel — in Angriff genommen werden kann, daß z. B. eine Verknüpfung zwischen dem Benachteiligtenprogramm und einer verbesserten Förderung nach dem Arbeitsförderungsgesetz hergestellt werden könnte, daß wenigstens von dorther Angebote für diese jungen Menschen geschaffen werden können, die keinen Arbeitsplatz bekommen werden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Um die Verknüpfung aller Möglichkeiten sind die Arbeitsämter bemüht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014017200
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1014017300
Herr Staatssekretär, würden Sie Ihre Berufsbildungspolitik auch dann noch als erfolgreich bezeichnen, wenn Sie sich Ihren eigenen Bericht ansehen, wonach das Angebot von 98% auf 95% zurückgegangen ist, und wenn nach Auskunft meiner zuständigen Industrie- und Handelskammer von 1 000 Ausbildungsplätzen 200 Ausbildungsplätze, die eingetragen sind, auf das Landesprogramm Nordrhein-Westfalen zurückgehen und da die Verpflichtung der Wirtschaft und des Bundes erfüllt wird?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe eben Daten genannt, die deutlich machen, wie erfolgreich unsere Berufsbildungspolitik gewesen ist. Ich weiß nicht, ob ich dem noch etwas hinzufügen soll.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014017400
Dann kommt der Kollege Reimann zur nächsten Zusatzfrage.

Manfred Reimann (SPD):
Rede ID: ID1014017500
Herr Staatssekretär, Sie haben die Zahl 256 Millionen als Aufstockungsbetrag für das Benachteiligtenprogramm genannt. Wir Sozialdemokraten begrüßen das. Nur sind wir der Meinung, es ist zuwenig. Aber meine Frage: Heißt das im Grunde genommen, daß die Politik des Bundeskanzlers und der Bundesregierung, „Jedem eine Lehrstelle!", gescheitert zu sein scheint, nachdem die Industrie ihm nicht alle abgenommen hat, und daß Sie von daher weitere Ausbildungsmaßnahmen ergreifen müssen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bei den Jugendlichen, die nach dem Benachteiligtenprogramm gefördert werden, handelt es sich um Jugendliche, die sich ohnehin schwer tun, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu erhalten. Das sind zum Teil sozial benachteiligte Jugendliche; das sind Jugendliche mit Sonderschulabschluß, Jugendliche ohne Hauptschulabschluß. Denen gibt das Benachteiligtenprogramm die Hilfe, die sie brauchen, damit sie vielleicht im zweiten oder dritten Ausbildungsjahr einen betrieblichen Ausbildungsplatz erhalten können. Die von Ihnen zugrunde gelegte Annahme läßt sich deshalb nicht nachvollziehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014017600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1014017700
Herr Kollege, wenn Sie von der sogenannten erfolgreichen Politik der Bundesregierung auf diesem Felde sprechen: Wieso war es denn notwendig, in Nordrhein-Westfalen über 500 Millionen DM bereitzustellen, damit tatsächlich dem letzten Mädchen oder Jungen die Gelegenheit eingeräumt werden konnte, zu Beschäftigung oder Ausbildung zu kommen? Haben Sie an diesen Teil der jungen Menschen nicht gedacht?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben frühzeitig alle Maßnahmen mit Maßnahmen der Länder koordiniert. Wir sind dankbar für jede Maßnahme, die die Länder ergreifen. Denn wir haben immer gesagt — auch der Bundeskanzler hat immer gesagt —, daß hier eine gemeinsame Aktion von Bund, Ländern und Gemeinden erforderlich ist. Aber ich habe mich in meinen Zahlen vor allem auf die betrieblichen Ausbildungsplätze bezogen. Ich wiederhole: 74 000 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze in zwei Jahren, das ist etwas, was sich sehen lassen kann.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014017800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1014017900
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die von Ihnen hier vorgetragene und mehrfach schon angekündigten Maßnahmen, wie Aufstockung um ein paar Plätze beim Bund, keine zusätzlichen Plätze beim Benachteiligtenprogramm und Verweisen auf Maßnahmen nach dem AFG, die ja keine Ausbildung bedeuten, für ausreichend angesichts des § 3 des Berufsbildungsförderungsgesetzes, in dem es sehr deutlich heißt, daß die Bundesregierung verpflichtet sei, „Vorschläge für die Behebung" von Defiziten in den Berufsbildungsbericht aufzunehmen, wenn „die Sicherung eines ausgewogenen Angebots als gefährdet" erscheint?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich halte aus der augenblicklichen Sicht die Maßnahmen im Rahmen des Berufsbildungsberichts für ausreichend.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014018000
Ich rufe die Frage 74 der Frau Abgeordneten Odendahl auf:
Wie hat sich seit 1982 die Zahl der Altbewerber auf dem Ausbildungsstellenmarkt entwickelt, und worauf führt die Bundesregierung diese Entwicklung zurück?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Odendahl, es gibt keine einheitliche Abgrenzung der Personengruppe der Altbewerber. Der Berufsbildungsbericht enthält lediglich Zahlen über Lehrstellenbewerber, die früher als im Vermittlungsjahr allgemeinbildende Schulen verlassen haben. Hierzu zählen die Absolventen von beruflichen Vollzeitschulen ebenso wie die eigentlichen Altbewerber, deren Zahl nicht gesondert ausgewiesen wird.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014018100
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1014018200
Hält es die Bundesregierung auf Grund der Entwicklung bei den Altbewerbern für erforderlich, in Zukunft solche Erhebungen zu erstellen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich halte das im Augenblick nicht für erforderlich.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014018300
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1014018400
Können Sie bestätigen, Herr Pfeifer, daß immer mehr junge Menschen, Männer und Frauen, angesichts der Probleme bei der Ausbildungsplatzsuche resignieren, und was gedenkt die Bundesregierung hinsichtlich dieser „Altbewerber" zu tun?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Es gibt angesichts der ungebrochenen Ausbildungsbereitschaft der Betriebe überhaupt keinen Grund, zu resignieren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014018500
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Lengl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Schanz auf:
Was bedeutet die Einführung eines digitalen Fernmeldevermittlungsnetzes für die in Bangladesch aus Mitteln der deutschen finanziellen Zusammenarbeit errichteten Fernmeldefabrik?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1014018600
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Schanz, die Fernmeldefabrik TSS Tongi wurde nicht aus Mitteln der deutschen Finanziellen Zusammenarbeit errichtet. Sie war 1967 als Joint Venture von dem früheren Staat Pakistan und der Firma Siemens aufgebaut worden, die sich mit 13,5% am Gesellschaftskapital beteiligte.
Die deutsche Förderung bestand seit 1973 in der Entsendung von deutschen Beratern. Ab 1. Juni 1983 beteiligt sich die Bundesregierung an der Finanzierung der beiden verbliebenen Experten nur noch mit einem Zuschuß. Daneben wurde für die Telefonfabrik programmbestimmte Warenhilfe — ca. 25 Millionen DM — für den Import von Industriewerkstoffen und Vorprodukten für die Produktion bereitgestellt.
Die Einführung der Digitaltechnik hat mittelfristig kaum Einfluß auf die Fernmeldefabrik, da die Fertigung der traditionellen EMD-Technik in Tongi bis in die 90er Jahre bei nur langsam abnehmenden Stückzahlen beibehalten werden soll. Längerfristig plant die bangladeschische Fernmeldeverwaltung eine Umrüstung der Fabrik, um dann einen hohen Anteil der neuen EWSD-Vermittlungstechnik, aber auch andere Produkte aus dem elektrotechnischen Bereich, lokal herstellen zu können.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014018700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schanz.

Dieter Schanz (SPD):
Rede ID: ID1014018800
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung sicherstellen, daß die jetzt verkaufte moderne und teure Technologie über die von Ihnen genannte Fabrik gewartet bzw. dann auch gegebenenfalls repariert werden kann?
Lengl, Staatssekretär: Die Bundesregierung ist natürlich nicht mit hellseherischen Fähigkeiten begabt, aber eines kann ich versichern: daß alles an Voraussetzungen geschaffen und berücksichtigt wurde, um dies nach menschlichem Ermessen sicherzustellen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014018900
Dann rufe ich die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Schanz auf:
Wird die Bundesregierung die Möglichkeiten des Politikdialoges nutzen, um in der internationalen Diskussion darauf hinzuweisen, daß die Finanzierung einer so teuren Technik, wie sie ein digitales Fernmeldevermittlungsnetz darstellt, für ein Land, das zu den ärmsten in der Welt gehört und dessen Menschen hungern müssen nicht zu verantworten ist, um einen Wettlauf von potentiellen Lieferländern um einen entsprechenden Auftrag zu verhindern?
Lengl, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, dem weltweiten Trend folgend hat sich die bangladeschische Regierung schon Ende der 70er Jahre für die Einführung der Digitaltechnik im Fernsprechbereich entschieden. In dieser Haltung wurde und wird sie von der Weltbank unterstützt. Im Rahmen ihres II. Fernmeldeprojektes finanzierte die Weltbank vier Fernwahlämter in dieser neuen digitalen rechnergesteuerten Technik.
Die Möglichkeiten des Politikdialogs hat die Bundesregierung genutzt, um ihre Vorstellungen hinsichtlich der Digitaltechnik im Ortsamtsbereich mit der Weltbank abzustimmen. Die bangladeschische Regierung hält an ihrer Entscheidung fest. Sie mißt diesem Vorhaben einen hohen entwicklungspolitischen Stellenwert bei und ist bereit, die etwa in gleicher Höhe wie die Devisenkosten anfallenden Landeswährungskosten selbst aufzubringen. Die längerfristige Finanzierung soll durch die Aufnahme des Vorhabens in den neuen, III. Fünfjahresplan sichergestellt werden. Bei dieser Sachlage bemüht sich die Bundesregierung im Rahmen des Politikdialogs darum, daß möglichst ein einziges Digitalsystem landesweit zum Einsatz kommt. Die Vermeidung einer Systemvielfalt ist aus technischwirtschaftlichen Gründen ebenso wie im Hinblick auf die spätere Umrüstung der Telefonfabrik Tongi erforderlich.
Nicht richtig ist der in der Frage vermittelte Eindruck, daß die Einführung einer modernen Fernsprechtechnik in einem der ärmsten Entwicklungsländer nicht zu verantworten sei. Die neue Digitaltechnik hat dem alten elektromechanischen System gegenüber maßgebliche Vorteile: Sie ist billiger sowie weniger störanfällig und wartungsarm, beides wichtige Entscheidungskriterien bei den gegebenen bangladeschischen Verhältnissen.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014019000
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Dieter Schanz (SPD):
Rede ID: ID1014019100
Herr Staatssekretär, würden Sie gegebenenfalls bereit sein, mir nachträglich mitzuteilen, ob das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft in Dhaka das BMZ nicht vor der Einführung dieses digitalen Fernsprechsystems gewarnt hat?
Lengi, Staatssekretär: Selbstverständlich bin ich gerne bereit, dies zu tun.

(Schanz [SPD]: Danke schön!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014019200
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Brück.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1014019300
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß es besser wäre, wenn die Regierung von Bangladesch sowohl die Mittel der Entwicklungshilfe aus dem Ausland als auch die Mittel, die sie zur Finanzierung der Lokalkosten braucht, zur Entwicklung der Landwirtschaft einsetzen würde, damit genügend Nahrungsmittel für die hungernden Menschen produziert werden können, anstatt ein noch nicht einmal in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenes, technisch hochkompliziertes Fernmeldevermittlungssystem einzuführen?
Lengi, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, selbstverständlich ist die Bundesregierung und, da Sie mich persönlich angesprochen haben, bin ich der Meinung, daß das Wichtigste überhaupt die Sicherstellung der eigenen Ernährung ist. Hier stehen wir ja vor der Tatsache, daß eine souveräne Regierung eines unabhängigen Landes vor unserem Eingreifen eine Entscheidung getroffen hat, die nach allen Gesichtspunkten und auch nach Ansicht der Weltbank wesentlich ist für die Entwicklung des Landes auch im mittelständischen Bereich und im Wirtschaftssektor. Wir können diesen Argumenten weder widersprechen noch können wir verhindern, daß diese Regierung in ihrer Souveränität dementsprechend plant und handelt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014019400
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 77 der Frau Abgeordneten Schmedt auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Einführung eines digitalen Fernmeldevermittlungsnetzes in Bangladesch unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Lengl, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ein funktionstüchtiges Fernmeldesystem gehört zweifellos zur notwendigen Basisinfrastruktur bei der Entwicklung eines Landes. Dem weltweiten Trend zur digitalen Vermittlungstechnik folgend, hatte sich die bangladeschische Fernmeldeverwaltung schon Ende der 70er Jahre für die Einführung dieser Technik entschieden. Hierbei fand sie die ungeteilte Unterstützung der Weltbank, und zwar sowohl im Bereich der Landesfernwahl als auch auf der Ortsamtsebene.
Finanzielle und technische Hilfe für den Aufbau des Telefonsystems in Bangladesch wird nicht nur von der Weltbank, sondern auch von Japan und Belgien gewährt. Die Bundesregierung prüft zur Zeit, ob sie den Ausbau des Telefonnetzes von Dhaka fördern soll. Erst nach dieser Prüfung wird die endgültige Entscheidung der Bundesregierung über die Durchführung eines solchen Vorhabens getroffen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1014019500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1014019600
Herr Staatssekretär, wird dann, wie dies allgemein üblich ist, auch die entwicklungspolitische Seite dabei geprüft, zumal Sie selbst entwicklungspolitische Bedenken geäußert hatten?
Lengl, Staatssekretär: Selbstverständlich wird auch hier wie bei jedem anderen Vorhaben der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit an erster Stelle das entwicklungspolitische Moment stehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014019700
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Volmer auf:
Aus welchem Grund hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit bislang noch keine Zustimmung zur Veröffentlichung eines Gutachtens erteilt, das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit unter dem Titel „Bedingungen erfolgreicher Entwicklungspolitik der Länder der Dritten Welt" angefertigt wurde und das dem Ministerium bereits seit mehreren Monaten vorliegt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Lengl, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bereits im April unterrichtet, daß die Veröffentlichung des von ihm angefertigten Forschungsberichts „Bedingungen erfolgreicher Entwicklungspolitik in den Ländern der Dritten Welt" vorgesehen ist und lediglich um einige Monate zurückgestellt wird. Auf diese Weise können drei gutachtliche Äußerungen, die sich mit einer ähnlichen Thematik befassen, gleichzeitig präsentiert werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014019800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Volmer.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1014019900
Herr Staatssekretär, ist das Zurückhalten der Studie nicht auch damit zu erklären, daß sie, wie die „Frankfurter Rundschau" am 9. Mai dieses Jahres vermutete, nicht eindeutig nur für die Förderung marktwirtschaftlicher Systeme Argumente liefert?
Lengl, Staatssekretär: Nein. Wie ich bereits ausgeführt habe, wollen wir diese drei Gutachten abwarten — ich komme j a bei der nächsten Frage noch darauf —, und zwar aus folgendem Grund. Das Gutachten des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs und das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des BMZ stehen noch aus. Erst wenn diese beiden da sind, können wir abwägen und eine genaue Information geben. Die Vermutung, die Sie geäußert ha-



Staatssekretär Lengl
ben, daß durch die gleichzeitige Veröffentlichung der drei Gutachten der Aussagewert des DIW-Gutachtens gemindert würde, ist nicht zutreffend, weil es sich um eine Thematik handelt, die von aktuellen Erhebungen unabhängig ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014020000
Sie haben noch eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1014020100
Herr Staatssekretär, trifft es denn zu, daß im Wissenschaftlichen Beirat, den Sie gerade erwähnt haben, darüber diskutiert wird, daß die Veröffentlichungssperre die Diskussion über den Zusammenhang von Wirtschaftsordnung und Entwicklungschancen unerträglich behindert?
Lengl, Staatssekretär: Dieses ist mir nicht bekannt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014020200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1014020300
Herr Staatssekretär, sind die beiden Gutachten, auf die Sie noch warten, gleichzeitig mit dem Auftrag an das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vergeben worden, oder sind die Aufträge erst erteilt worden, nachdem dieses Gutachten des DIW vorlag und Sie mit dem Inhalt nicht ganz einverstanden waren?
Lengl, Staatssekretär: Ich kann auf beide Fragen mit Nein antworten, Herr Abgeordneter.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014020400
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dann.

Heidemarie Dann (GRÜNE):
Rede ID: ID1014020500
Ist Minister Warnkes Einwand, der DIW-Bericht bringe keine neuen Erkenntnisse, so zu werten, daß dem Minister schon immer bekannt war, daß marktwirtschaftliche Systeme kein Garant für Entwicklungserfolg sind?
Lengl, Staatssekretär: Ich kann leider nicht für meinen Minister antworten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014020600
Das könnte allenfalls der Parlamentarische Staatssekretär tun — um das hier klarzustellen.
Meine Frage ist, ob die nächste Frage, die Frage 79:
Treffen Zeitungsmeldungen zu, nach denen das Ministerium das Gutachten nur in Zusammenhang mit zwei weiteren Gutachten vom Hamburger Weltwirtschaftsarchiv und vom Wissenschaftlichen Beirat der Öffentlichkeit vorlegen will, und wenn ja, wie kann das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit dieses Vorhaben, das eine Veröffentlichung noch bis zum Jahresende hinauszögern würde, mit der Tatsache vereinbaren, daß das Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf aktuellen Erhebungen beruht und demgemäß der Wert seiner Aussagen vor allem in der Aktualität liegt?
schon mit beantwortet worden ist. Sie haben sich freundlicherweise schon wieder hingesetzt. — Ich stelle fest, daß diese Frage bereits mit beantwortet worden ist und daß Sie keine weiteren Fragen mehr haben. Danke schön, Herr Staatssekretär.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur
Beantwortung steht Herr Staatsminister Vogel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Lutz auf:
Wie vereinbart die Bundesregierung mit den Richtlinien des Bundesverfassungsgerichts über Möglichkeiten und Grenzen der Regierungspropaganda die Broschüre „Die Freiheit — Kern der deutschen Frage", die die Vermutung aufwirft, daß der Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation zur Propagandapostille umformuliert werden soll?
Bitte, Herr Staatsminister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1014020700
Herr Kollege Lutz, Ihre Frage beantworte ich wie folgt:
Die Broschüre „Die Freiheit — Kern der deutschen Frage" entspricht voll und ganz der Aufgabenstellung staatlicher Öffentlichkeitsarbeit, wie sie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Öffentlichkeitsarbeit von Staatsorganen vom 2. März 1977 nicht nur als zulässig, sondern auch als notwendig definiert hat. Sie legt die Politik und Zielvorstellungen der Bundesregierung, ihre Maßnahmenvorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen dar und erläutert sie durch zusätzliche Informationen.
Außerdem ist die Broschüre geeignet, das Bewußtsein der Bürger zu fördern, daß — und ich zitiere hier aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wörtlich — „der vom Grundgesetz verfaßte Staat dem einzelnen im Gegensatz zu totalitär verfaßten Staaten einen weiten Freiheitsraum zur Entfaltung im privaten wie im öffentlichen Bereich offenhält und gewährleistet. Diesen Grundkonsens lebendig zu erhalten, ist Aufgabe staatlicher Öffentlichkeitsarbeit."
So weit das Zitat. Die Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit von Staatsorganen sind mit der Broschüre voll gewahrt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014020800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lutz.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014020900
Herr Staatsminister, Sie weiten also die Horizonte der Bürger. Offenbar reichen die Auslassungen des Herrn Bundeskanzler nicht; denn es werden zahlreiche Fotos gezeigt. Ich habe sie mir mit Andacht angesehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014021000
Hochverehrter Herr Kollege, kommen Sie bitte zu Ihrer Frage.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014021100
Ja, jetzt kommt das Fragezeichen. Vizepräsident Frau Renger: Ja, bitte schön.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014021200
Ich habe mit Bedauern, d. h. mit Freude festgestellt, daß der Herr Bundeskanzler zehnmal abgelichtet wurde.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014021300
Ich darf Sie noch einmal bitten, Fragen zu stellen.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014021400
Ja. Ich frage Sie, warum der Altbundeskanzler Adenauer siebenmal, der Kanzler Brandt zweimal, der Kanzler Schmidt einmal und die Kanzler Erhard und Kiesinger überhaupt nicht



Lutz
abgelichtet worden sind. Ich würde sagen, das ist eine etwas eindimensionale Sicht der Geschichte. Ich frage, ob Sie das auch so sehen.

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Seit wann ist Schmidt bei Ihnen eindimensional?)

Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Lutz, ich kann Ihren Horizontbetrachtungen nicht ganz folgen. Ich weiß auch nicht, inwieweit Sie da vergleichende Horizontbetrachtungen anstellen.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Aber ich würde Ihnen empfehlen, einmal die Kontinuität auch solcher Broschüren zu beachten und danach vielleicht Ihre Horizontbetrachtungen fortzusetzen. Ich habe mir z. B. aus Anlaß Ihrer Frage — das werden Sie dankbar vermerken — die Broschüre über die Regierungserklärung des früheren Bundeskanzlers Schmidt aus dem Jahre 1980 angesehen. Diese Broschüre ist etwas dicker. Dafür enthält sie ein bißchen mehr Bilder und Graphik. Aber Sie werden kaum wesentliche Unterschiede feststellen. Hier ist also insoweit durchaus eine Kontinuität in der Öffentlichkeitsarbeit gegeben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014021500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014021600
Herr Staatsminister, könnten wir uns darauf verständigen, daß die Worte der Regierungschefs so geschichtsträchtig sein müßten, daß sie ohne Bebilderung dem Volk dargelegt werden können?
Vogel, Staatsminister: Nein, wir können uns darauf nicht verständigen, Herr Kollege Lutz.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014021700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1014021800
Herr Staatsminister, haben Sie die Vielzahl der Abbildungen des Herrn Bundeskanzlers auf Nordrhein-Westfalen abgestellt plaziert, weil diese Broschüre ja vor dem 12. Mai verteilt worden ist?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege, ich mußte natürlich damit rechnen, daß Sie gerade auch wegen dieses Datums diese Broschüre gestört haben könnte. Aber ich darf gleich sagen, daß diese Unterstellung, die darin enthalten ist, völlig abwegig ist. Die ersten Exemplare der Broschüre wurden am 29. April ausgedruckt. Bis zum 12. Mai 1985 ist die Broschüre nur im Pressezentrum des Weltwirtschaftsgipfels und auf dem Informationsstand des Presse- und Informationsamts beim Mannheimer Maimarkt — wobei ich unterstelle, daß Ihnen bekannt ist, daß Mannheim nicht in Nordrhein-Westfalen liegt — öffentlich ausgelegt worden. Im übrigen wurde sie bis zu diesem Datum 12. Mai nur im Einzelversand abgegeben. Ein Einsatz als Wahlkampfmaterial wäre daher schon rein zeitlich nicht möglich gewesen.
Im übrigen betone ich, daß die vom Bundesverfassungsgericht geforderten und von der früheren Bundesregierung getroffenen Vorkehrungen gegen einen Mißbrauch im Wahlkampf von der Bundesregierung unverändert und peinlich exakt praktiziert werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014021900
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1014022000
Würden Sie, Herr Staatsminister, die Frage, ob diese Broschüre einen Einfluß auf einen Landtagswahlkampf ausüben kann oder nicht, auch deshalb zurückweisen, weil möglicherweise die inflationäre Nutzung des Fotos des Bundeskanzlers eher zu negativen Resultaten führen könnte?

(Zustimmung des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Schily, es mag sein, daß Sie das Foto des Bundeskanzlers stört. Aber das interessiert beispielsweise mich nicht.

(Lutz [SPD]: Das kann doch nicht wahr sein!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014022100
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1014022200
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin die Aufmachung der Broschüre mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Schmidt von 1980 mit der jetzt in Rede stehenden Broschüre verglichen. Ich habe Zweifel, ob ein Vergleich nach Inhalt und Substanz überhaupt möglich ist. Sind Sie nicht auch der Auffassung, daß die frühere Aufmachung gegenüber der jetzigen bunten Form viel einfacher und nicht so teuer war und deswegen ein Vergleich nicht möglich ist?
Vogel, Staatsminister: In solchen Fällen hilft am ehesten, Frau Kollegin, die Inaugenscheinnahme. Ich gebe Ihnen gern die Möglichkeit zur Inaugenscheinnahme.

(Frau Steinhauer [SPD]: Ich habe die noch!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014022300
Ich rufe die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Lutz auf:
Kann die Bundesregierung den Verdacht ausräumen, daß durch diese regierungsamtliche Propagandabroschüre Steuergelder sinnentfremdet verwendet werden, und ist sie nicht auch der Meinung, daß die Worte des Bundeskanzlers soviel Gewicht haben müßten, daß sie ohne graphische zusätzliche Drapierung den Bürgern verdeutlicht werden können?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Lutz, Ihre zweite Frage beantworte ich wie folgt. Abgesehen davon, daß es sich nicht um eine Propagandabroschüre, sondern um eine korrekte und vorzügliche Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit handelt, beantworte ich den ersten Teil Ihrer Frage uneingeschränkt mit ja.
Was den zweiten Teil angeht, so ist die Bundesregierung der Meinung, daß die Regierungserklärungen des Bundeskanzlers selbstverständlich keiner graphischen Drapierung bedürfen. Aber sie enthalten immer auch Begriffe und Hinweise auf Sach-



Staatsminister Vogel
verhalte, die dem Bürger, und sei er noch so interessiert, nicht auf Anhieb geläufig sind. Es ist Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit, solche Begriffe und Sachverhalte zu erläutern und darzulegen.
In diesem Hohen Hause sind Begriffe wie Paulskirche, Bernauer Straße, Locarno oder Charta der Heimatvertriebenen sofort verständlich. Die Bürger - vor allem junge Menschen — haben jedoch einen Anspruch darauf, daß ihnen hierzu Verständnishilfen gegeben werden. Genau dies bezwecken die Erläuterungen, die Sie als graphische Drapierung bezeichnen, was mich im übrigen wundert, wenn ich das hinzufügen darf. In ähnlicher Form sind z. B. — ich habe schon darauf hingewiesen — auch die Regierungserklärungen von Bundeskanzler Helmut Schmidt von 1976 und 1980 veröffentlicht worden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014022400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lutz.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014022500
Herr Staatssekretär, was ich als „graphische Drapierung" bezeichne, ist, daß der letzte Bericht zur Lage der Nation des Altbundeskanzlers, mit dem Sie immer herumfuchteln, in schwarzweiß drapiert wurde; die Typen waren sehr viel kleiner, der Inhalt aber war sehr viel größer. Jetzt ist der Text der Rede des Bundeskanzlers mit sehr viel größeren Typen gedruckt worden; die Illustration ist vielfarbig erschienen. Ich frage Sie: Warum machen Sie das? Wollten Sie damit die Defizite ausgleichen, oder wollten Sie nur 112 Seiten erreichen?

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Sie sollen ja etwas lernen, Herr Lutz!)

Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Lutz, Sie sollten sich zunächst einmal überlegen, ob Sie, wenn ich eine Broschüre Ihres früheren Bundeskanzlers hier vorzeige, das als Fuchteln bezeichnen können.

(Lutz [SPD]: „Herumfuchteln!")

— Ja, gut, wie immer Sie das bezeichnen. —

(Lutz [SPD]: Wir bezeichnen das bei uns so!)

Aber ich kann mir kaum vorstellen, daß es Sie stören kann, wenn die Öffentlichkeitsarbeit des Bundespresse- und -informationsamtes auch qualitativ hervorragend ist.

(Zustimmung des Abg. Dr. Hupka [CDU/ CSU])


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014022600
Zweite Zusatzfrage, Herr Lutz.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014022700
Herr Staatssekretär, ich glaube, daß auch der derzeitige Bundeskanzler erstens bessere Reden und zweitens eine solidere Präsentation verdient, und ich frage Sie, ob Sie dieser Meinung sind.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Lutz, ich kann die im ersten Teil Ihrer Frage, der ja eine Feststellung enthalten soll, zum Ausdruck kommende Überzeugung überhaupt nicht teilen. Deshalb brauche ich auf den zweiten Teil Ihrer Frage gar nicht einzugehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014022800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Werner.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1014022900
Herr Staatsminister, sind Sie der Auffassung, daß der Bürger sehr wohl einen Anspruch darauf hat, die Politik der jeweiligen Bundesregierung auch im Hinblick auf die unter Umständen unterschiedliche Betrachtung der Zeitläufte objektiv und eingehend dargestellt zu bekommen, so daß er sich selber — nicht zuletzt durch den Vergleich mit früheren Zeitschriften und Illustrationen, aber auch im Hinblick auf die Vergleichsmöglichkeit zu den Medien — selber einen Eindruck darüber verschaffen kann, welche politische Aussage die jeweilige Regierung machen möchte?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Werner, ich habe ja schon darauf hingewiesen, daß es nicht nur ein Recht der jeweiligen Bundesregierung zu einer wirksamen Öffentlichkeitsarbeit gibt, sondern auch eine Pflicht zu einer wirksamen Öffentlichkeitsarbeit. Ich habe auch schon darauf hingewiesen — ich wiederhole das aber gerne —, daß es notwendig ist, eine Broschüre voll aus sich selbst heraus verständlich zu gestalten. Das ist der Grund, weshalb z. B. Erinnerungen an geschichtliche Vorgänge in dieser Broschüre bildhaft oder durch Graphiken oder in anderer Weise dargestellt worden sind. Sie erleichtern selbstverständlich das Lesen dieser Broschüre.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014023000
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1014023100
Herr Staatsminister, habe ich Ihre Antwort auf die Zusatzfrage des Kollegen Lutz so richtig verstanden, daß der Bundeskanzler keine bessere Öffentlichkeitsarbeit verdient als dieses bunte Bilderbuch!
Vogel, Staatsminister: Ich habe keinen Anlaß, die Öffentlichkeitsarbeit des Bundespresse- und -informationsamtes zu beanstanden, Frau Kollegin.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014023200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1014023300
Herr Staatssekretär, wenn sich die Bürger durch diese Einsichtnahme über den geschichtlichen Verlauf der Bundesrepublik einerseits und über die aktuelle Politik des Bundeskanzlers andererseits informiert haben, wie erklären Sie sich dann die Entscheidung für Ihre Partei in Nordrhein-Westfalen?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege, jetzt würde ich einmal ganz unabhängig davon — —

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014023400
Herr Staatsminister, Sie müssen nicht antworten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)




Vogel, Staatsminister: Frau Präsidentin, ich bin sogar der Auffassung, daß eine solche Zusatzfrage nicht zugelassen werden dürfte.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014023500
Das wollte ich damit ausdrücken. Die Zusatzfrage gehörte nicht in den Zusammenhang. Das ist ganz klar.
Gibt es dazu noch eine Zusatzfrage? — Nein.
Dann rufe ich die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Dr. Schierholz auf:
Welches Ausmaß an Dreistigkeit mit revanchistischen und antisemitischen Untertönen im Verbandsorgan der schlesischen Landsmannschaft „Der Schlesier" gegenüber Verfassungsorganen gedenkt die Bundesregierung noch hinzunehmen, bis der Bundeskanzler seinen Auftritt auf dem Schlesiertreffen am 16. Juni 1985 in Hannover wieder absagt?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Schierholz, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der stellvertretende Regierungssprecher hat zu dem besagten Artikel vorn 14. Mai im Verbandsorgan der schlesischen Landsmannschaft „Der Schlesier" bereits öffentlich für die Bundesregierung Stellung genommen. Der Bundeskanzler verurteilt den inhaltlichen Angriff auf den Herrn Bundespräsidenten wie auch den Tonfall des Artikels auf das schärfste. Der Artikel ist der törichte Versuch einer Umdeutung geschichtlicher Tatsachen, wie sie in der Rede des Herrn Bundespräsidenten vor dem Deutschen Bundestag am 8. Mai dieses Jahres sowie in der Rede des Bundeskanzlers im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen dargestellt wurden.
Der Bundeskanzler begrüßt, daß sich der Vorsitzende der Landsmannschaft der Schlesier, Herr Dr. Hupka, für die Landsmannschaft von dem Artikel unverzüglich distanziert und eine eindeutige Ablehnung seines Inhalts zum Ausdruck gebracht hat. Damit gelten die Gründe, die den Bundeskanzler dazu bewogen haben, an dem Treffen der Landsmannschaft Schlesien am 16. Juni 1985 teilzunehmen, unverändert fort.
Der Bundeskanzler ist überzeugt, daß die überwältigende Mehrheit der Schlesier, zu denen er sprechen wird, mit Inhalt und Form der besagten Veröffentlichung nicht einverstanden ist. Insofern kann nicht hingenommen werden, daß ein isolierter Schreiber über die Teilnahme oder Nichtteilnahme des Bundeskanzlers am Schlesier-Treffen entscheidet. Der Herr Bundeskanzler bleibt überzeugt, daß es nicht angeht, eine Bevölkerungsgruppe zu isolieren, der der Zweite Weltkrieg besondere Opfer auferlegt hat und die sich dieser Prüfung in den Nachkriegsjahren in bewundernswerter Weise gestellt hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014023600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1014023700
Wäre denn die Bundesregierung bereit, Herr Staatsminister, noch weitere Schreibereien in dieser Richtung hinzunehmen, und kann überhaupt noch irgend etwas in dieser Richtung den Bundeskanzler davon abhalten, an diesem mittlerweile ja doch sehr arg ins Zwielicht geratenen Treffen teilzunehmen?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Schierholz, erstens geht es nicht um die Frage, was die Bundesregierung hinzunehmen bereit ist, soweit es im Rahmen der Meinungsfreiheit bei uns in der Bundesrepublik Deutschland — von wem in welcher Form auch immer — veröffentlicht wird.
Zum zweiten glaube ich, daß überhaupt keine Veranlassung besteht, an der Seriosität des Schlesier-Treffens Zweifel anzumelden, wie es in Ihrer Frage enthalten gewesen ist.
Drittens glaube ich, daß wir es einzelnen nicht erlauben können, daß sie auf das Stattfinden oder Nichtstattfinden einer solchen Veranstaltung Einfluß nehmen, von der wir überzeugt sind, daß die große Masse derer, die dort hinkommen, in einer anderen Gesinnung dort hinkommt als diejenigen, die solche Artikel verfassen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014023800
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1014023900
Lassen Sie Herrn Lutz erst. Geht das?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014024000
Nein, das geht nicht. Wer als nächster drankommt, bestimmte ich immer noch.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1014024100
Dann verzichte ich.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014024200
Herr Schily, der sich ursprünglich auch gemeldet hatte, möchte nicht mehr. Dann kommt jetzt — Sie haben also tatsächlich recht — Herr Lutz dran.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014024300
Herr Staatssekretär, die Frage geht von einem Artikel aus. Nun haben wir einen zweiten. Demnächst werden wir einen dritten haben. Wird der Herr Bundeskanzler dann, wenn der dritte Artikel im „Schlesier" steht, in dem Verfassungsorgane in einer Weise angepöbelt werden, die wir nicht hinnehmen können, wieder sagen, das interessiere ihn nicht, er gehe hin, wo er hingehe? Oder wie sehe ich das?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Lutz, ich meinte Ihre Frage, die Sie jetzt gestellt haben, mit meiner Antwort schon beantwortet zu haben. Selbst 100 Artikel von einzelnen, denen ja auch böse Absicht unterstellt werden kann,

(Dr. Hupka [CDU/CSU]: Genau!)

können den Bundeskanzler nicht davon abhalten, zu einer Veranstaltung zu gehen, die er aus staatspolitischen Gründen für erfreulich und die zu besuchen er für notwendig hält.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014024400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kastning.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1014024500
Herr Staatsminister, da der Bundeskanzler stur an seiner Absicht festzuhalten gedenkt, in Hannover zu sprechen, der Schreiber des besagten Artikels im Verbandsorgan aber immerhin ein Forum hatte und deswegen wohl nicht so ganz isoliert in einer Ecke sitzen dürfte, frage ich Sie: Was gedenkt denn der Herr Bundeskanzler einmal persönlich — nicht durch irgendeinen Sprecher



Kastning
— dazu zu sagen, insbesondere auf dem SchlesierTreffen selbst?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege, Sie haben davon gesprochen, daß es sich um ein Verbandsorgan handelt. Wenn es ein Verbandsorgan wäre, für das ein Verband verantwortlich einzustehen hätte, wäre die Beurteilung sicher eine andere als so, wo es sich um ein Unternehmen handelt, das sich im Markt völlig frei entwickelt und für das kein Verband die Verantwortung zu übernehmen hat und übernehmen kann, weil er auf die redaktionelle Arbeit dieses Blatts keinen Einfluß hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014024600
Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt (Frankfurt).

Karsten D. Voigt (SPD):
Rede ID: ID1014024700
Herr Staatsminister, haben Sie irgendwann mal einen Vergleich angestellt zwischen diesem staatsbürgerlichen Verhalten des Bundeskanzlers, wie Sie es beschreiben, und seiner Differenzierung zwischen Massenbewußtsein, Massenanhang und den Äußerungen von einzelnen Journalisten und den Äußerungen, die er und Herr Geißler gemacht haben, als einzelne Äußerungen aus der Friedensbewegung als Anlaß zur Diffamierung der ganzen Bewegung genommen wurden?
Vogel, Staatsminister: Also, wir können natürlich jetzt daraus eine Bundestagsdebatte machen, Herr Kollege Voigt. Wir könnten dabei vielerlei Betrachtungen anstellen. Da würde mir eine ganze Menge einfallen, was in die umgekehrte Richtung geht. Das wissen Sie ganz genau.
Aber ich möchte doch sagen, daß es ein Unterschied ist, ob man sich mit Einzeläußerungen persönlich auseinandersetzt oder ob man sein Verhalten in einer amtlichen Stellung davon abhängig macht, was für Meinungen einzelne im Land von sich geben. Dabei weise ich noch mal darauf hin: Wie immer wir diese Meinungen beurteilen, es sind Meinungen, die sich im Rahmen der in der Bundesrepublik Deutschland garantierten Meinungsfreiheit halten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014024800
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 83 des Abgeordneten Schily auf:
Hat Bundeskanzler Dr. Kohl Herrn Scholl einen Beratervertrag mit der Firma Deutsche Anlagen Leasing (DAL) vermittelt bzw. der DAL empfohlen, einen Beratervertrag mit Herrn Scholl abzuschließen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Schily, zu Ihrer Frage 83
Hat Bundeskanzler Dr. Kohl Herrn Scholl einen Beratervertrag mit der Firma Deutsche Anlagen Leasing (DAL) vermittelt bzw. der DAL empfohlen, einen Beratervertrag mit Herrn Scholl abzuschließen?
teile ich mit, daß der Bundeskanzler für Herrn Scholl den angesprochenen Beratervertrag weder vermittelt noch empfohlen hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014024900
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1014025000
Herr Staatsminister, beruht Ihre Antwort, die Sie soeben gegeben haben, auf einer persönlichen Mitteilung des Bundeskanzlers?
Vogel, Staatsminister: Ich gehe davon aus, Herr Kollege Schily, und auch Sie sollten eigentlich davon ausgehen, wenn ich für den Bundeskanzler hier antworte.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014025100
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1014025200
Darf ich die Antwort, die Sie gegeben haben, als die Antwort des Bundeskanzlers zu dieser Frage verstehen?
Vogel, Staatsminister: Das dürfen Sie, ja.

(Schily [GRÜNE]: Danke schön!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014025300
Herr Dr. Struck, noch eine Zusatzfrage.

Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1014025400
Herr Staatsminister, könnten Sie so freundlich sein, mitzuteilen, ob die Auskunft, die Sie eben dem Kollegen Schily gegeben haben, auch auf einer Rücksprache mit der Deutschen Lufthansa beruht?
Vogel, Staatsminister: Nein. Dazu ist auch keine Rücksprache mit der Deutschen Lufthansa erforderlich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war die andere Frage!)

Ich weiß nicht, ob Sie jetzt bei der richtigen Frage waren, Herr Kollege.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014025500
Wie auch immer — ich danke Ihnen, Herr Staatsminister. Ihr Bereich ist beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf.

(Unruhe)

Wenn wir noch einen Moment ruhig sind, schaffen wir auch das noch.
Staatsminister Möllemann steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragen 84 und 85 des Abgeordneten Würtz werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Stockhausen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der polnischen Hauptstadt Anfang April ein Ehrenmal für die polnischen Offiziere, die in Katyn ermordet wurden, errichtet wurde und in Verfälschung der geschichtlichen Wahrheit die Deutschen als die Mörder auf diesem Denkmal benannt werden?




Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1014025600
Herr Kollege Stockhausen, im Februar 1985 wurde auf dem Warschauer Friedhof Powazki ein Denkmal zur Erinnerung an die über 4 000 in Katyn ermordeten Offiziere der polnischen Armee fertiggestellt. Im April wurde an diesem Denkmal folgende Inschrift angebracht: „Den polnischen Soldaten, die Opfer des Hitlerfaschismus wurden und in der Erde von Katyn ruhen." Das Denkmal wurde bisher nicht offiziell eingeweiht.
Die Errichtung des Denkmals wurde im Sommer 1981 von polnischen Behörden beschlossen, nachdem die Forderung nach Erstellung eines Mahnmals für die Opfer von Katyn in den 70er Jahren und im Zuge der innenpolitischen Entwicklung in Polen 1980/81 immer nachdrücklicher von der Bevölkerung erhoben worden war.
Zur Frage der Verantwortung für die Ermordung der Offiziere ist folgendes zu sagen: Während des Nürnberger Prozesses konnte das Verbrechen nicht überzeugend geklärt werden; die seinerzeit und auch heute noch von der Sowjetunion behauptete Verantwortlichkeit des NS-Regimes wurde nicht bewiesen. Spätere Untersuchungen, z. B. 1952 durch den ehemaligen Nürnberger Hauptankläger Jackson und eine Kommission des amerikanischen Kongresses, stellten die Verantwortung der Sowjetunion fest.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014025700
Ich rufe die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Stockhausen auf:
Ist die Bundesregierung bereit, diese Geschichtsfälschung so stehen zu lassen, oder wird sie bei der polnischen Regierung vorstellig werden, um auf die tatsächlichen Verantwortlichen hinzuweisen, die für den Tod der Offiziere verantwortlich sind?
Bitte, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Stockhausen, die Bundesregierung hat die polnische Seite bei laufenden Kontakten darauf hingewiesen, daß diese Inschrift in der Bundesrepublik Deutschland auf Unverständnis und Kritik stößt, da sie der historischen Wahrheit widerspricht. Sie wird bei geeigneter Gelegenheit erneut unterstreichen, daß sich historische Fakten nicht unterdrücken lassen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014025800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte.

Karl Stockhausen (CDU):
Rede ID: ID1014025900
Herr Staatsminister, will es die Bundesregierung nur bei Hinweisen belassen, oder gedenkt sie nicht, sich etwas stärker einzusetzen, um diese offensichtliche Geschichtsfälschung zu Lasten der Deutschen in Ordnung zu bringen?
Möllemann, Staatsminister: Mehr als eine Darstellung historischer Fakten ist in diesem Zusammenhang wohl nicht möglich. Dabei ist die Formulierung „Hinweis", „Darstellung" oder ähnliches unerheblich im Verhältnis zum Sachverhalt, den ich angesprochen habe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014026000
Keine Zusatzfrage mehr.
Damit sind wir auch am Ende der Fragestunde angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Was noch an offenen Fragen vorhanden ist, wird schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt*).
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde
Die Äußerungen des Stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion Schmude zum
Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hat gemäß Nr. 1 Buchstabe c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Die Äußerungen des Stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion Schmude zum Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes" verlangt.
Das Wort hat der Abgeordnete Lintner.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1014026100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion Jürgen Schmude hat vor kurzem — makabererweise unmittelbar nach einem Besuch bei Erich Honecker — das Geheimnis gelüftet, was denn die SPD unter der von ihr propagierten neuen Phase in der Deutschland- und Ostpolitik verstehen könnte.
Als Morgengabe erwägt sie offenbar zunächst den Verzicht auf an sich für keine Bundesregierung zur Disposition stehende Grundsätze unserer Verfassung, als da sind: erstens der Anspruch unseres Volkes, über sein Schicksal selbst frei bestimmen zu dürfen, und zweitens das Recht, dabei auch die nationale Wiedervereinigung anzustreben. Beide Rechte sind für uns untrennbar miteinander verbunden. Auch ein Verzicht etwa nur gegenüber der Sowjetunion, wie ihn die SPD zu erwägen scheint, ist für uns undenkbar.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Wäre das alles nur die Privatmeinung des Politikers Jürgen Schmude, so wäre dies allein auch schon ein Alarmzeichen. Da seine Gedanken aber mehr oder weniger nur ein weiteres Glied in einer ganzen Kette ähnlicher Äußerungen wichtiger anderer SPD-Repräsentanten sind, haben wir Anlaß zu der Frage an die SPD: Ist die SPD denn tatsächlich bereit, unverzichtbare deutschlandpolitische Grundsätze auf dem Altar ihrer Ostpolitik zu opfern?
Wenn Herr Schmude das Selbstbestimmungsrecht in der deutschen Frage nicht als — so wörtlich — „Hebel" benutzen will, dann höhlt er damit diesen tragenden Grundsatz unserer Verfassung bis zur Bedeutungslosigkeit aus. Das Selbstbestimmungsrecht zählt aber zu den unveräußerlichen Rechten. Es prägt ganz elementar den demokratisch-freiheitlichen Charakter des Grundgesetzes. Hier liegt übrigens auch der entscheidende Unter-
*) Die Frage 90 des Abgeordneten Dr. von Bülow ist zurückgezogen.



Lintner
schied zwischen den Äußerungen von Schmude und den in der Presse immer wieder angeführten Zitaten von Franz Josef Strauß. Die Einforderung gerade dieses Selbstbestimmungsrechts ist nämlich der Kernpunkt der deutschlandpolitischen Vorstellungen der Union.
Die längst als Methode bekannten nachträglichen Verschleierungstaktiken — Herr Schmude interpretiert dann neu, und Herr Brandt spricht sich nur gegen die öffentliche Diskussion aus — sind ein Beleg dafür, daß Herr Schmude Wegbereiter, sozusagen Minenhund, sein sollte.

(Zuruf von der SPD: Was ist das für ein Ausdruck? — Weitere Zurufe von der SPD)

Jetzt wollen die Beteiligten lediglich die aufgebrachte Öffentlichkeit beruhigen, nicht aber den Kern ihrer Aussage ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Eine echte „Bahrheit", würde ich meinen, wie sie seinerzeit, 1973, Egon Bahr als Mittel der SPD-Politik eingeführt hat.
Es geht hier nicht, wie andere SPD-Repräsentanten uns weismachen wollen — darunter z. B. der Herr Bölling —, um „anmaßende Vorstellungen" der Bundesregierung. Es geht für uns in der Tat um die Substanz unserer Überzeugung von Freiheit und Menschenwürde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch die Tatsache, daß der Kollege Schmude seine Äußerungen kurz nach seinem Besuch — zusammen mit dem Fraktionsvorsitzenden Dr. Vogel — bei Erich Honecker gemacht hat, schafft in unseren Augen einen ganz fatalen Eindruck. Die SPD wird deshalb der deutschen Öffentlichkeit auch erklären müssen, ob zwischen diesem Besuch und den Schmude-Außerungen ein Zusammenhang besteht, um erst gar nicht den Verdacht etwa einer Erfüllungsgemeinschaft aufkommen zu lassen.
Fragen über Fragen. Deshalb ist diese Aktuelle Stunde aus unserer Sicht außerordentlich notwendig und wichtig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014026200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Jetzt wird dementiert!)


Dr. Hans-Jochen Vogel (SPD):
Rede ID: ID1014026300
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die primitive Polemik der Union und ihre überzogenen Angriffe

(Widerspruch bei der CDU/CSU — Beifall bei der SPD)

gegen die SPD im allgemeinen und unseren Kollegen Schmude im besonderen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es Ihnen in erster Linie um etwas ganz anderes geht, nämlich darum, von Ihrem Wahldesaster in Nordrhein-Westfalen abzulenken.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei den GRÜNEN)

Es geht Ihnen darum, abzulenken von den wechselseitigen Schuldvorwürfen in Ihren eigenen Reihen und abzulenken von dem täglich fortschreitenden Autoritätsverlust Ihres Bundeskanzlers.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Aufregung, meine Damen und Herren, ist nicht echt. Ihre Aufregung ist künstlich. Ihre Aufregung ist Theater.

(Beifall bei der SPD)

Was zur Sache zu sagen ist, war Ihnen schon längst vor der Aktuellen Stunde bekannt. Sie konnten und können das in unserem Wahlprogramm, in unseren Thesen zur Weiterführung der Deutschlandpolitik und in der von uns mitgetragenen gemeinsamen Entschließung des Bundestags zur Lage der Nation vom Februar 1984 nachlesen. Sie konnten auch nachlesen, daß eine Grundgesetzänderung für uns nicht zur Debatte steht.
In diesen Texten heißt es wörtlich:
Unsere Verantwortung für die Einheit der Nation weist uns auf den Weg der Vertragspolitik mit der DDR. Das heißt Respektierung der Unabhängigkeit und Selbständigkeit der DDR. Nur so können wir die Verbindung zwischen den Menschen wachhalten.
Weiter:
... die ideologische Auseinandersetzung und der Wettbewerb der Systeme
— der beiden deutschen Staaten —
bleiben davon unberührt ... Das gilt ebenso für die Frage nach der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts, das den Deutschen ebenso zusteht wie anderen Nationen.
Diese Zielsetzungen, die unverändert gültig sind, und auch die Bundestagsentschließung hat Jürgen Schmude keineswegs in Zweifel gezogen. Er hat in dem Text, der Ihnen vorliegt, sogar ausdrücklich betont, daß er an dem Fernziel der staatlichen Einheit unbeirrt festhält.
Auf dieser Grundlage hat er Fragen gestellt, Fragen, mit denen sich auch andere schon seit geraumer Zeit beschäftigen, z. B. Herr Strauß, der mehr als einmal gesagt hat: Ich kann mir — er, Strauß — unter den gegebenen und vorausschaubaren Umständen und den möglichen Entwicklungen, Entwicklungslinien nicht vorstellen, daß ein gesamtdeutscher Staat wieder entsteht. Herr Strauß, der sogar einmal ausdrücklich eine Entscheidung nach österreichischem Muster für möglich erklärt hat! Was hat denn eigentlich Herr Schmude anderes gefragt als das, was Herr Strauß bei vielen Gelegenheiten gesagt hat? Das ist doch Theater.

(Beifall bei der SPD)




Dr. Vogel
Ihre Entrüstung ist nicht nur künstlich — und macht Ihnen offenbar Mühe —, Ihre Entrüstung ist scheinheilig.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Außerdem: Daß über die staatlichen Grenzen hinweg die Geschichts-, Kultur-, Sprach- und Gefühlsgemeinschaft der Deutschen heute stärker und lebendiger ist als vor zehn oder 20 Jahren, daß die Grenzen durchlässiger geworden sind, daß die Zahl der Reisen zugenommen hat, ist das Verdienst unserer Deutschlandpolitik, nicht das Verdienst derer, gegen deren erbitterten Widerstand diese Deutschlandpolitik durchgesetzt werden mußte;

(Beifall bei der SPD)

nicht das Verdienst derer, die jetzt für die Stagnation der deutsch-deutschen Beziehungen und für ihre Gefährdung durch deutschnationale Querschüsse verantwortlich sind, durch Querschüsse, die von Herrn Kollegen Dregger bis hin zu jenem unsäglichen Blatt reichen, das in jeder Ausgabe den guten Namen der Schlesier beleidigt und in den Dreck zieht.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben vor kurzem versucht, uns den Makel des Antiamerikanismus anzuhängen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Jawohl! — Stimmt!)

Sie diffamieren uns fortgesetzt als „fünfte Kolonne Moskaus".

(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

Jetzt beschimpfen Sie uns als „undeutsch". Das alles sind schlimme Geißlereien,

(Beifall bei der SPD — Unruhe bei der CDU/CSU)

die den bösen Parolen der Deutschnationalen aus der Weimarer Zeit sehr nahekommen.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann Sie deshalb nur warnen: Zertrümmern Sie in Ihrer Panik, in Ihrer Angst vor dem Machtverlust nicht noch mehr außen- und deutschlandpolitisches Porzellan in unserem Volk,

(Beifall bei der SPD)

kehren Sie endlich auf den Boden der Vernunft zurück, hören Sie auf, einen ehrenwerten und angesehenen Kollegen, der als Person allgemeine Achtung in unserer Republik genießt, zu diffamieren. Argumentieren Sie, statt zu denunzieren!

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das sollten Sie sich einmal merken!)

Die Menschen in beiden deutschen Staaten haben Anspruch darauf.

(Beifall bei der SPD — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014026400
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1014026500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gab — und ich hoffe immer noch: es gibt — drei unbestrittene Ziele unserer Deutschlandpolitik: die Wahrung des Friedens, die Verbesserung der Situation derjenigen, die unter den Folgen der Teilung unseres Vaterlandes zu leiden haben, und schließlich die Überwindung dieser Teilung. Ich gehe nach wie vor davon aus, daß diese Ziele in Übereinstimmung mit dem Auftrag des Grundgesetzes stehen und daß sie zugleich Ausdruck unseres gemeinsamen politischen Willens in der Bundesrepublik Deutschland sind,

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

wenngleich ich an dieser Stelle nicht verschweigen kann, Herr Kollege Vogel, daß Ihre eben gemachten Äußerungen mich in dieser Hoffnung nicht gerade bestärkt haben.

(Zurufe von der CDU/CSU: Leider wahr! — Sehr richtig! — So ist es!)

Ich glaube, ich brauche Zitate aus der Präambel des Grundgesetzes nicht zu bringen, aber ein Zitat aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag ist an dieser Stelle vielleicht doch angebracht. Da heißt es in den Gründen:
Kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland darf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel aufgeben, alle Verfassungsorgane sind verpflichtet, in ihrer Politik auf die Erreichung dieses Zieles hinzuwirken — das schließt die Forderung ein, den Wiedervereinigungsanspruch im Inneren wachzuhalten und nach außen beharrlich zu vertreten —

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

und alles zu unterlassen, was die Wiedervereinigung vereiteln würde.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, darüber hinaus ist in diesen Gründen davon die Rede, daß der politische Weg, der zu diesem so skizzierten Ziel führen kann, in der freien Entscheidung der jeweiligen politischen Mehrheit dieses Hohen Hauses und der Bundesregierung liegt. Daran sollten wir uns vielleicht einmal erinnern, und wir sollten auch daran denken, daß die Verfassung unseres Staates, das Grundgesetz, kein Objekt politischer Opportunität ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das gilt in ganz besonderer Weise für die Präambel, die — bei allen möglichen Auseinandersetzungen über ihre Rechtsqualität — Ausdruck unseres langfristigen politischen Willens ist und bleiben soll. Wir stehen damit in einem deutlichen Gegensatz etwa zur DDR, die ihre Verfassung zuerst im Jahre 1968 und erneut im Jahre 1974 im Blick auf Deutschlandpolitik verändert hat.
Unser politisches Wollen ist Kontinuität

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)

in bezug auf die drei eingangs genannten Ziele.
Insofern kommt es nicht darauf an, hier eine Forde-



Ronneburger
rung nach Änderung der Verfassung zu erheben, sondern darauf, daß wir im Rahmen dieser Verfassung den besten politischen Weg finden, um im Interesse der Menschen im geteilten Land unser Ziel zu erreichen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Für Deutschland!)

Herr Vogel, täuschen wir uns nicht darüber: Es gibt eine andere grundsätzliche Abweichung in den Äußerungen des Kollegen Schmude. Das ist der Punkt, wo er von den Menschenrechten spricht und wo er sagt: „Auch die Menschenrechte" — das ist ja wohl eine Unterstellung gegenüber unserer gemeinsamen Politik — „sollen aus dieser Sicht als rechtlicher Hebel benutzt werden, um befriedigende Antworten auf die deutsche Frage herbeizuführen." Ich sage Ihnen, wer Menschenrechte als Hebel einer bestimmten Politik bezeichnet, verzichtet auf das, was grundsätzliche Verantwortung aller Deutschen in der Bundesrepublik ist.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es kann ja wohl nicht sein, daß es uns gleichgültig würde, ob Freiheit, Menschenrechte, Selbstbestimmung auch im Sinne internationaler Verträge, an die auch die DDR gebunden ist, auf der anderen Seite der Grenze verwirklicht werden.
Ich schließe in der Hoffnung auf eine weitere Gemeinsamkeit deutschlandpolitischen Handelns, auf Klarstellung der Grundlagen dieser Politik im Interesse der Menschen im geteilten Land, im Willen, die Einheit der Nation zu wahren, in Ausschöpfung des Rahmens des Grundgesetzes, über ein gutnachbarliches Verhältnis zur DDR hinweg die Grenze im geteilten Land zu überwinden und damit den Menschen und dem Frieden zu dienen.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014026600
Meine Damen und Herren, wir haben nur eine Stunde. Deswegen gebe ich jetzt dem Herrn Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen das Wort.

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID1014026700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Was für die Politik allgemein gilt, gilt für die Deutschlandpolitik ganz besonders. Es ist besser, dreimal nachzudenken, ehe man einmal redet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Daran, meine Damen und Herren, hat der Kollege Schmude offenbar nicht gedacht, als er vor dem Kuratorium Unteilbares Deutschland sprach. Ich möchte ja gern glauben, daß es sich bei den Aussagen des Kollegen Schmude wirklich nur um Unüberlegtheiten gehandelt hat und nicht um einen gezielten Beitrag zu einer wohlüberlegten Strategie, einer Strategie nämlich, das Wiedervereinigungsgebot und die offene deutsche Frage aus der Deutschlandpolitik langsam zu verdrängen. Dieser Verdacht drängt sich mir auf, weil ja der Kollege
Schmude mit seinen Vorstellungen in der SPD keineswegs allein steht. Er knüpft ausdrücklich an Gedankengänge von Herrn Bölling an. Er findet Unterstützung bei den Kollegen Emmerlich, Heimann und Hiller. Von so prominenten Vertretern der SPD wie Hans Apel und Egon Bahr hören wir, daß für sie die deutsche Frage nicht mehr offen ist. Dies, meine Damen und Herren, ist eine gefährliche Entwicklung, nämlich der Versuch, die Deutschlandpolitik auf ein Verwalten der deutschen Teilung zu verkürzen und das Ziel der Wiedervereinigung bis zur Bedeutungslosigkeit zu relativieren.

(Roth [SPD]: Sie haben es nötig! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Mehr oder weniger deutlich treten die Herren Schmude und Bölling dafür ein, die Präambel unseres Grundgesetzes an den Grundlagenvertrag anzupassen. Damit würde die Modus-vivendi-Regelung der deutschen Teilung zu einer Dauerregelung. Da hilft es uns wenig, wenn Sie, Herr Vogel, als Vorsitzender der SDP-Fraktion erklären, daß eine Änderung des Grundgesetzes nicht zur Debatte stehe. Bei einer solchen Initiative würden Sie ohnehin an unserem Widerstand scheitern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das weiß er auch!)

Auch wenn man die Präambel des Grundgesetzes und ihre verfassungsrechtliche Auslegung formal nicht antastet, kann man sie natürlich inhaltlich auch aushöhlen. Die Bundesregierung wird jeden derartigen Versuch verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich warne dringend davor, sich auf einen solch abschüssigen Weg zu begeben. Am Anfang wird das Wiedervereinigungsgebot zur Diskussion gestellt. Dann wird sein realpolitischer Sinn angezweifelt. Am Ende dann wirft man den Rest dessen, was noch bleibt, über Bord. Darüber muß sich jeder klar sein, der diesen Weg beschreitet. So können wir die deutsche Frage nicht lösen. So kommen wir nicht zur Selbstbestimmung der Deutschen. Das ist kein Weg zur deutschen Einheit. Am Ende stünde die Selbstaufgabe der Deutschen. Kein demokratischer Politiker hat das Recht, so zu handeln, ohne vorher das ganze deutsche Volk gefragt zu haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb halten wir am Ziel der staatlichen Einheit Deutschlands fest, bis alle Deutschen die Möglichkeit gehabt haben, frei zu entscheiden, in welcher Form sie als Volk zusammenleben wollen. Diese Entscheidung allerdings hätten wir zu respektieren, wie immer sie auch ausfällt. Bis dahin halten wir die deutsche Frage offen.
Mit dieser Haltung vertreten wir die Interessen aller Deutschen, auch derjenigen, denen eine demokratische politische Mitbestimmung bis heute versagt geblieben ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit wahren wir treuhänderisch die Interessen
des ganzen deutschen Volkes. Wenn unser Einsatz



Bundesminister Windelen
für Freiheit, für Einheit, für Selbstbestimmung des deutschen Volkes eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR wäre, dann, meine Damen und Herren, müßten wir doch aufhören, überhaupt noch von Freiheit und Selbstbestimmung zu reden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir sind für Freiheit und Selbstbestimmung überall in der Welt. Aber wir sind für Freiheit, Menschenrechte und Selbstbestimmung vor allem für unsere Landsleute in unserem eigenen Vaterland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Erst mal zu Hause anfangen!)

Gegen diesen Anspruch kann doch der Grundlagenvertrag nicht angeführt werden. Denn dieser Vertrag wurde nicht abgeschlossen, um die deutsche Teilung zu zementieren, sondern um die Folgen der Teilung, solange sie andauert, für die Menschen erträglicher zu machen.

(Büchler [Hof] [SPD]: Jetzt sehen Sie es endlich ein!)

Wer diesem Grundlagenvertrag einen anderen Sinn geben will, der verstößt nicht nur gegen geltendes Verfassungsrecht, sondern er verstößt vor allem gegen die Interessen der Deutschen selber.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dagegen setzen wir uns entschieden zur Wehr.

Der Grundlagenvertrag fordert die Regelung praktischer Fragen unter Respektierung der tatsächlichen Verhältnisse. Wir „respektieren die Unabhängigkeit und Selbständigkeit" der DDR in ihren „inneren und äußeren Angelegenheiten", wie es im Grundlagenvertrag formuliert wurde. Daran halten wir uns. Wir nehmen die gegenseitige Verpflichtung zur Entwicklung „normaler gutnachbarlicher Beziehungen" ernst, und wir erwarten von der DDR, daß sie das gleiche tut. Wir bejahen die gemeinsame deutsche Verantwortung für den Frieden. Deswegen setzen wir uns für den Abbau von Spannungsursachen auch im beiderseitigen Verhältnis ein.

(Mann [GRÜNE]: Dann hätten Sie keine Raketen stationieren sollen!)

Dies, meine Damen und Herren, ist realistische Politik, solange die deutsche Teilung anhält. Aber die Überwindung dieser Teilung bleibt unverrückbar unser oberstes Ziel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen bleibt es für uns bei dem, was die Väter des Grundgesetzes beschlossen haben:

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Und Mütter!)

Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk ... dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.
Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.
Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1014026800
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1014026900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat: Wozu diese künstliche Aufgeregtheit? Und, Herr Vogel, wozu halten Sie hier Nachwahlkampfreden?

(Walther [SPD]: Das geht Sie überhaupt nichts an!)

Es gibt doch eigentlich keine bessere Gelegenheit als heute, am 36. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes, um sich einmal zu vergewissern: Was ist eigentlich aus diesem Grundgesetz, seinen Normen, seinen Aufträgen geworden?
Wir GRÜNEN begrüßen die Denkanstöße der Kollegen Schmude und Hiller als Beiträge dazu, daß sich innerhalb der SPD der Blick für die deutschlandpolitischen Realitäten erweitert.

(Zustimmung bei den GRÜNEN — Unruhe bei der CDU/CSU)

Ähnliche Gedanken in der Richtung, die Wiedervereinigung überflüssig zu machen, ein völlig normales Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten herzustellen, die Verhärtung des Ost-West-Verhältnisses durch einseitig kalkulierte Abrüstungsschritte abzubauen und eine Entspannungspolitik von unten zu betreiben — und deren zentrales Element, Herr Lintner,

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Was heißt das im Klartext?)

ist, die Realisierung der Menschenrechte in Ost und in West zu ermöglichen —, haben meine Kolleginnen und Kollegen Antje Vollmer, Dirk Schneider, Otto Schily und Roland Vogt, um nur einige zu nennen, schon im letzten Jahr geäußert. Ich will Sie hier nicht an die Debatte über das Stichwort Andreotti erinnern. Jedenfalls freuen wir uns, daß sie mittlerweile in der SPD aufgenommen und weitergeführt werden.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Arme SPD! — Marschewski [CDU/CSU]: Das ist der linke Flügel Andreotti/Schmude! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich möchte dazu wegen der Kürze der Zeit nur drei Anmerkungen machen.
Erstens. Gustav Heinemann hat Anfang der 70er Jahre gesagt: Unser Grundgesetz ist ein großes Angebot. Ich kann dem sehr wohl nachdrücklich zustimmen, wenn da nicht die Verfassungsänderungen von 1956 und 1968 — Einführung der Wehrverfassung und der Notstandsgesetzgebung — gewe-



Dr. Schierholz
sen wären, die den friedensstaatlichen Auftrag des Grundgesetzes abgeschwächt, ja pervertiert haben.

(Zuruf von der SPD: Abtreten!)

Das, meine unierten Damen und Herren, ist das Ergebnis Ihrer Politik. Die Verfassungsänderungen haben dazu geführt, daß in der Tat der friedensstaatliche Auftrag des Grundgesetzes von 1949 ausgehöhlt worden ist und daß heute, wenn über Wiedervereinigung gesprochen wird, diese künstlichen Aufgeregtheiten gerade aus Ihren Reihen produziert werden. Das Grundgesetz von 1949 ist in einer Richtung verändert worden, die die Teilung Deutschlands zementiert hat. Es gibt einige fossile Relikte. Ich will Sie nur darauf hinweisen: In Art. 23 des Grundgesetzes heißt es, daß sich der Geltungsbereich auch auf Groß-Berlin erstrecke. Welche abenteuerliche Vorstellung, die Hauptstadt der DDR einzuverleiben!

(Marschewski [CDU/CSU]: Da steht drin: in anderen Ländern! Das sagt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich!)

— Auch das steht da. Aber dort steht auch, daß sich der Geltungsbereich auf Groß-Berlin erstrecke.
Wer sich ein bißchen mit den historischen Tatsachen vertraut macht, wird gerade Ihnen von der CDU/CSU, die Sie so erfolgreich den Mythos der Kämpfer für die nationale Sache der Deutschen um sich aufgerichtet haben, vorhalten müssen, daß es gerade Ihre Partei war, die der Nachrücker Adenauers,

(Marschewski [CDU/CSU]: Enkel!)

die durch die außenpolitische Konzeption der Westbindung die Teilung Deutschlands nach Kriegsende vorangetrieben hat. Der von Ihnen so sehr geschätzte Art. 7 Abs. 2 des Deutschland-Vertrages brachte genau diese Absicht zum Ausdruck und schrieb den Beitrag der Bundesrepublik zum Kalten Krieg fest.

(Marschewski [CDU/CSU]: Da war Joschka Fischer doch eine Wohltat im Vergleich zu dem da vorne!)

Ihre innenpolitisch propagierte Wiedervereinigung diente doch vornehmlich nicht der nationalen Sache, sondern war ein Vehikel zur obrigkeitsstaatlichen Formierung der westdeutschen Gesellschaft unter dem Deckmantel der Abwehr des gefräßigen Kommunismus.

(Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

Zweitens. Angesichts der Tatsache von 36 Jahren Existenz zweier deutscher Staaten, angesichts der in dieser Zeit gewachsenen, voneinander unabhängigen Gesellschaften, angesichts der unterschiedlichen Systeme und Blockzugehörigkeiten der Bundesrepublik und der DDR ist es geradezu eine demokratische Pflicht, die diesbezüglichen Teile des Grundgesetzes hinsichtlich ihrer Realitätstüchtigkeit und politischen Tauglichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern. Wenn es der Friedenssicherung und den menschlichen Beziehungen dient — unserer Meinung ist das der Fall —, müssen wir das Grundgesetz an der Realität messen.
Ein deutscher Nationalstaat — schon gar nicht in den Grenzen von 1937 — ist in Europa nicht erwünscht — haben Sie das noch nicht gemerkt? — und nicht zu haben.

(Mann [GRÜNE]: Die merken das nie!)

Ich möchte hinzufügen: Im Zeitalter der Internationalisierung der staatlichen und gesellschaftlichen Beziehungen und der damit sinkenden nationalstaatlichen Absonderung ist das auch für die Bundesrepublik nicht erstrebenswert.
Eine dritte Bemerkung. Ich halte — —

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014027000
Nein, Herr Abgeordneter Schierholz. Ihre Redezeit ist beendet.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1014027100
Ich komme zum Schluß und mache noch eine Bemerkung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Abtreten! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014027200
Nein, Herr Abgeordneter.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1014027300
Ich halte es für ein Trauerspiel, daß die SPD sich distanziert. Wir brauchen eine Neuorientierung der Deutschlandpolitik, nicht ein Hinterherhinken hinter Illusionen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014027400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Miltner.

Dr. Karl Miltner (CDU):
Rede ID: ID1014027500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Grundgesetzpräambel ist bisher von keiner staatstragenden Partei oder Fraktion und deren Mitgliedern in Frage gestellt worden. Darum ist ein jahrzehntelanger Grundkonsens jetzt aufs Spiel gesetzt worden. Mit der Forderung die Präambel sozusagen als unzeitgemäß zu ändern, steht der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende j a in seiner eigenen Fraktion nicht allein. Sie sehen, meine Kollegen von der SPD, was für Verbündete Sie in dieser Frage noch bekommen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Diese Überlegungen einiger SPD-Politiker können aber auch nicht als bloße Frage- und Denkspiele abgetan werden, wie es der Fraktionsvorsitzende der SPD meint tun zu können. Die Rede des Kollegen Schmude

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: War gut!)

ist ja auch vom offiziellen Informationsdienst der Fraktion verbreitet worden.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Warum auch nicht!)

Darum kann man nur sagen: Wer mit solchen Forderungen an die Öffentlichkeit geht, der bekundet auch eine Absicht, die er in die Tat umsetzen will.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Dr. Miltner
Die Präambel ist neben den Grundrechten der wichtigste Bestandteil des Grundgesetzes.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das Kernstück!)

Das Bundesverfassungsgericht hat unmißverständlich festgestellt: Der Präambel kommt nicht nur politische Bedeutung zu, sie hat auch rechtlichen Gehalt. Die Wiedervereinigung in freier Selbstbestimmung ist ein verfassungsrechtliches Gebot. Aus der Präambel ist auch die Verpflichtung zu entnehmen, alles zu unterlassen, was die Wiedervereinigung vereiteln, rechtlich hindern oder faktisch unmöglich machen würde.

(Mann [GRÜNE]: Sagen Sie doch einmal, was Wiedervereinigung bedeuten soll!)

Dies alles, meine Damen und Herren, sind rechtlich verbindliche Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts. Das haben Sie anscheinend noch nicht mitbekommen.
Wer die Präambel ändern will, der muß sich allerdings auch fragen, ob das verfassungsrechtlich zulässig ist. Wenn der Kollege Schmude einmal bei seinem sachkundigen Kollegen Ehmke nachgefragt hätte, hätte er feststellen können, daß Herr Ehmke der Meinung ist, in diesem Punkt ist eine Verfassungsänderung nicht möglich, weil es sich um allgemeine Zielsetzungen, sogenannte — wie er sagt — verfassungstranszendente Schranken handelt. Es ist aber auch abwegig, mit dem Zeitablauf, den Verhältnissen, die inzwischen zur DDR gewonnen worden sind, und den abgeschlossenen Verträgen das Wiedervereinigungsgebot obsolet machen zu wollen. Gerade im Zusammenhang mit dem Grundlagenvertrag von 1973 geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, daß Folgeverträge mit der DDR abgeschlossen werden.
Der Bundestag ist ein Verfassungsorgan, der auf dieses Wiedervereinigungsgebot verpflichtet ist. Die SPD-Fraktion ist ein Teil dieses Verfassungsorgans. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie sich in diesem Punkt außerhalb der Verfassung stellen will. Darum ist es notwendig, daß hier in diesem Hause eine Klarstellung der SPD erfolgt.
Es ist meines Erachtens auch ein Trugschluß, zu glauben, wir könnten den Menschen in der DDR durch eine kurzsichtige und opportunistische Preisgabe unserer Prinzipien helfen. An den inneren Strukturen des kommunistischen Systems in der DDR und im Ostblock wird sich dadurch auch nicht nur ein Millimeter ändern. Die CDU/CSU bekennt sich vorbehaltlos zur Wiedervereinigung in freier Selbstbestimmung. Mit dem gleichen Nachdruck treten wir auch dafür ein, daß diese Wiedervereinigung in einem freien Europa und allein mit friedlichen Mitteln erfolgt. Auch das schreibt die Verfassung vor.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn Herr Kollege Vogel gerade erklärt hat, eine Grundgesetzänderung stehe nicht zur Debatte, so halte ich diese Erklärung für unzureichend und auch für zweideutig. Denn wir müssen uns fragen: Warum will er diese Grundgesetzänderung nicht? Vielleicht, weil sie nicht durchsetzbar ist. Herr Vogel, Sie müßten hier erklären, daß Sie heute und morgen

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das überlassen Sie nur ihm!)

das verfassungsrechtliche Wiedervereinigungsgebot anerkennen und ihm auch politisch folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Statt dessen lassen Sie die Diskussion in Ihren Reihen laufen. Deshalb müssen wir Sie hier auffordern, klar und unzweideutig zu erklären, wo die Fraktion in dieser Grundfrage unserer Verfassung steht.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Die wackelt kräftig! Das ist gut so!)

Wir können Sie nicht aus der Beantwortung dieser Frage entlassen; Sie können auch nicht ausweichen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014027600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Büchler (Hof).

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Noch ein Dementi zu Schmude?)


Hans Büchler (SPD):
Rede ID: ID1014027700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Mai 1973, also vor genau zwölf Jahren, qualifizierte die Wochenzeitung „Die Zeit" die Deutschlandpolitik der CSU mit der Formel: Ostpolitik mit innenpolitischer Funktion.
Daran hat sich nichts geändert. Die heutige Aktuelle Stunde, ihr Thema und ihre Begründung belegen das. Die Rede des Kollegen Lintner belegt das. Das, was Herr Miltner hier aufgeworfen hat, ist ebenfalls eine Bestätigung dieses Zitats. Herr Miltner sollte bei Herrn Strauß nachfragen, wie er über diese Fragen denkt. Ihnen geht es ganz eindeutig heute um wahltaktische Pluspunkte, die Sie so dringend nötig brauchen, wie wir alle wissen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Hat das unser Volk verdient?)

Uns geht es um die Frage, was für die Menschen in Deutschland nützlich ist, was der Einheit der Nation dient, und es geht uns darum, welchen Beitrag wir Deutschen für den Frieden leisten können.

(Zustimmung bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Kommen Sie doch zur Sache!)

Mit dem Grundlagenvertrag haben wir Antworten auf die deutsche Frage gegeben. Sie lauten: Wir Deutschen verstehen die in Europa entstandene Lage. Wir wollen auf der Basis dieser Lage mithelfen, daß in Europa Zusammenarbeit und Sicherheit über Blockgrenzen hinweg verwirklicht wird. Das ist unser Ziel.
Wir wollen, daß die Menschen, die weniger Freiheiten als andere genießen, im Zuge dieser Politik mehr Freiheiten erhalten, und daß die Menschen, die der Teilung Europas persönliche Opfer bringen müssen, weniger an dieser Last zu tragen haben.



Büchler (Hof)

Die CDU/CSU war damals die einzige politische Kraft, wie wir wissen, diesseits und jenseits des Atlantik, die die KSZE-Schlußakte abgelehnt hat. Sie hat also ein Dokument abgelehnt, das Antworten gibt, wie sie die beiden deutschen Staaten im Grundlagenvertrag bereits vorweggenommen hatten.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sehr wahr!)

Heute wissen Sie, was diese Politik für Berlin gebracht hat. Sie wissen, daß durch sie die Kontakte, die Beziehungen zwischen den Menschen in beiden deutschen Staaten erheblich vermehrt werden konnten. Sie wissen heute sogar den Wert dieser Beziehungen für die Einheit der Nation zu würdigen. Zumindest hat der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, der heute eine etwas abstrakte Rede gehalten hat,

(Marschewski [CDU/CSU]: Hätte er Lichtbilder zeigen sollen?)

dies in Washington in seiner Rede ausdrücklich hervorgehoben. Herr Minister, Sie werden sich daran erinnern.
Wir haben diesen Wandel erfreut zur Kenntnis genommen. Das machte eine gemeinsame Entschließung des Bundestages zur Lage der Nation möglich. Wir rücken nicht davon ab.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sagen Sie mal was zu Schmude, Herr Büchler!)

Ich möchte das deutlich hier sagen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das sind doch Eiertänze!)

Aber weil das so ist, überzeugen Sie niemanden von der Ernsthaftigkeit Ihrer Befürchtungen, mit denen Sie diese Aktuelle Stunde begründet haben.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Reden Sie doch mal zum Thema!)

Tatsächlich geht es Ihnen ja nur um spätere Wahlen,

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Deshalb reden nur Bayern!)

ohne Rücksicht auf die Deutschlandpolitik. Dies ist die Wahrheit. Deshalb werden Argumente durch Diffamierungen ersetzt.
Wenn es Ihnen um Sachargumente ginge, müßten Sie zugeben, daß der Kollege, den Sie hier an den Pranger stellen wollen, nichts anderes getan hat, als seine Pflicht zu erfüllen. Jürgen Schmude hat recht: Wer die deutsche Frage stellt, muß auch Antworten formulieren. Sonst geben andere die Antworten, ohne uns zu fragen.

(Dr. Miltner [CDU/CSU]: Hat er recht in allem?)

Ich glaube, jeder Abgeordnete muß nach Antworten suchen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer sind die anderen?)

Kaum ein Forum ist dafür geeigneter, Herr Minister, als das „Kuratorium Unteilbares Deutschland".

(Schily [GRÜNE]: Unheilbar!)

Dort sollen die Fragen gestellt werden, dort muß die Deutschlandpolitik in allen Facetten, Brüchen, Problemen und Perspektiven immer wieder neu diskutiert werden, und zwar frei von parteitaktischen Verzerrungen.

(Zustimmung bei der SPD)

Dabei fällt mir ein, Herr Minister, daß Sie heute Hans Apel wieder falsch zitiert haben. Lesen Sie nach, was er gesagt hat.
Eine freie Debatte als Möglichkeit der Meinungsbildung gehört zur europäischen Kultur. So verstehen wir Sozialdemokraten das. Wenn Sie es anders verstehen, dann sagen Sie es hier einmal ganz öffentlich.

(Zustimmung bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Stehen Sie zur Verfassung oder nicht?)

Die Union als selbsternannter Richter über Jürgen Schmude sucht dagegen nicht nach Argumenten. Die Partei Heinrich Geißlers appelliert an niedrige Instinkte und an nichts anderes.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Der Deutsche Bundestag ist der Gesetzgeber; er hat zu handeln. Die Ergebnisse des einzelnen stehen zur Diskussion. Das ist wahr. Natürlich muß man damit einverstanden sein. Im Gegensatz zu Ihnen von der Union hat die SPD in der Deutschlandpolitik klare und eindeutige Beschlüsse. Das gilt für die Fraktion und für die Partei.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: War das ein Witz? — Zuruf des Abg. Dr. Dregger [CDU/ CSU])

Wir wollen mit unserer Deutschlandpolitik dem Frieden und der Einheit der Nation dienen. Deshalb gehen wir von der real bestehenden Lage in Europa aus. Darin steht: Eine Grundgesetzänderung kommt nicht in Frage.
Dem Deutschen Bundestag liegt unser Entschließungsantrag vor, meine sehr verehrten Damen und Herren. Machen wir uns an die Arbeit! Lassen Sie uns aufhören mit diesen künstlichen Erregungen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014027800
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.

Hans Büchler (SPD):
Rede ID: ID1014027900
Wir wollen eine gemeinsame Entschließung erreichen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014028000
Herr Abgeordneter Büchler, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Hans Büchler (SPD):
Rede ID: ID1014028100
Damit würden wir unserem Auftrag dienen.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014028200
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.

Hans-Günter Hoppe (FDP):
Rede ID: ID1014028300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn eine solche Debatte denn schon geführt werden mußte, dann war der heutige Tag dafür in der Tat der geeignete Augenblick. Es bleibt zu fragen, ob der verpflichtende Satz in der Präambel unseres Grundgesetzes von der Geschichte denn wirklich überholt ist oder ob er sogar zum Störfaktor für unsere Deutschlandpolitik zu werden droht.
So jedenfalls klang es bei dem Kollegen Schmude und etwas gröber, sehr viel gröber, bei Herrn Bölling. Das Ganze wirkt dann doch sehr angegrünt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Danke schön! — Conradi [SPD]: Besser angegrünt als angeflickt!)

Meine Damen und Herren, nun muß man ja gerade in der Politik zur ständigen Erneuerung und zur permanenten Reform fähig sein, und beim Nachdenken darf es keine Tabus geben. Ich werde deshalb auch auf niemanden eindreschen. Dem Kollegen Schmude gegenüber, der gerade zum Präses der Evangelischen Kirche gewählt wurde, geziemt es sich ohnehin, Friedfertigkeit zu bekunden.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Er hat sich ja vor der Synode auch entschuldigt!)

Allerdings, meine Damen und Herren, führt der von ihm gewählte Denkansatz in der Deutschlandpolitik bestimmt nicht zu neuen Ufern, sondern entgleitet eher, um im Sprachgebrauch der SPD zu bleiben, zu einer Perversion des Denkens.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Denn jedes Wort in dem Satz „Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden." ist doch mit Bedacht gewählt. Es heißt nicht „die Einheit Deutschlands wiederherzustellen". Es heißt nicht „die Einheit Deutschlands herbeizuführen". Es heißt „die ... Einheit Deutschlands zu vollenden". Und es ist gewiß ein sehr kühner Gedanke gewesen, den Anfang der Einheit in unserem freiheitlichen, demokratischen, sozialen Rechtsstaat zu sehen. Aber Gott sei Dank hat sich der Gedanke der Einheit Deutschlands mit dem Gedanken der Freiheit verbunden; nicht mehr mit dem Gedanken der Macht, der Herrschaft, des eingebildeten Rechts, über andere zu herrschen.

(Beifall bei der FDP — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Und der Illusion!)

Unser Streben nach Einheit ist keine verstaubte, nach rückwärts gewandte Reichsromantik.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Na!)

Die Einheit ist ein in die Zukunft gerichtetes europäisches Friedensziel.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir trachten nach der Einheit, um als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.
Meine Damen und Herren, es ist doch sicher nicht übertrieben, wenn wir alle nach wie vor formulieren, daß sich die Menschen in beiden Teilen Deutschlands als deutsche Nation empfinden, denn ein Volk, das nur durch Mauer und Stacheldraht getrennt werden kann, muß schon ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Gerade weil das so ist, stehen uns Verkrampfungen gegenüber dem nationalen Ziel, die Einheit zu vollenden, schlecht an.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Nein, wir werden die Fesseln unserer Vergangenheit wohl erst dann ganz abgestreift haben, wenn wir nicht mehr jede Stunde zu betonen brauchen, daß unser Streben nach der Einheit Deutschlands nichts anderes ist als unser Streben nach Frieden, Recht und Freiheit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014028400
Das Wort hat der Abgeordnete Werner.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1014028500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Vogel, ich meine, es wäre gerade an dem heutigen Verfassungstag wirklich eine Einlassung Ihrerseits notwendig gewesen, wie Sie persönlich und Ihre Fraktion es nun mit den Ausführungen des Kollegen Schmude halten. Was Sie hier geboten haben, war im Grunde ein Schlagabtausch in Richtung München mit Nachgefecht in Richtung Düsseldorf
— aber zur Sache nichts, gar nichts!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD: Zuhören!)

Wir hätten von Ihnen eigentlich erwartet, nachdem Sie zur Unterstützung von Herrn Schmude vorab erklärt hatten, Sie verwahrten sich gegen jegliches Denk- und Redeverbot, daß Sie, wenn sie schon für die Redefreiheit eintreten — wir tun dies auch —, aber dann hier konkret dazu Stellung beziehen, wie Sie sich zu den Einlassungen von Herrn Schmude verhalten, und als Fraktion dazu auch eine entsprechende Stellungnahme abgeben.
Dies haben Sie leider nicht getan. Sie haben wild um sich geschlagen. Sie haben nämlich nicht nur den Eindruck, sondern auch die konkrete Aussage des Herrn Kollegen Schmude nicht zurechtgerückt, der in dem Selbstbestimmungsrecht der Völker zwar einen unverfänglichen juristischen Begriff sieht, mit dem man aber — so meinte er — die staatliche Einheit nicht einfordern könne. Er fährt dann fort: Auch die Menschenrechte sollten nicht als rechtlicher Hebel benutzt werden, und weiter: die Menschenrechte würden dadurch diskreditiert.
Herr Kollege Vogel, es ist gerade heute höchst bedauerlich, wenn Sie namens Ihrer Fraktion hier nicht den Mut aufbringen, sich konkret zu den Aussagen früherer Regierungen, denen Sie teilweise angehört haben, zu bekennen, die eindeutig überall
— ob hier vor dem Deutschen Bundestag oder vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen
— das Selbstbestimmungsrecht der Völker als ein



Werner (Ulm)

fundamentales Grundrecht auch des deutschen Volkes anerkannt haben.

(Dr. Vogel [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)

— Dies haben Sie nicht gesagt!

(Dr. Vogel [SPD]: Genau das ist gesagt worden! Wo waren Sie denn?)

Wir hätten von Ihnen hier gern konkrete Einlassungen gehört.

(Zuruf des Abg. Lambinus [SPD])

— Also, mit meinen Notizen — allerdings habe ich keine — könnten Sie gern Ihre Rede schreiben. — Mit Ihren Einlassungen, Herr Kollege Vogel, haben Sie ein weiteres Mal jenen Vorschub geleistet, die da glauben, daß sich die Probleme der Deutschlandpolitik am besten dadurch lösen lassen, daß man die Erwartungen und Wünsche eines der Großen, die über die deutsche Situation bestimmen, vorwegnimmt. Es ist schon bemerkenswert, daß diese Ausführungen nach der Rückkehr aus Berlin, unmittelbar nach dem Verlassen des Flugzeuges, gemacht worden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Büchler [Hof] [SPD]: Das ist unter Ihrem Niveau! — Weitere Zurufe von der SPD)

Ich hoffe, daß dies nicht symptomatisch ist, aber zum Nachdenken gibt es Anlaß.
Herr Kollege Vogel, ich meine, man sollte gerade auch Sie daran erinnern, daß man mit einer Konzeption, die den deutschen Staat endgültig für tot erklärt,

(Schily [GRÜNE]: Wo ist er denn?)

die meint, nur mit dem Begriff der deutschen Nation in der Deutschlandpolitik neues Leben schaffen zu können, und die auch den Überlegungen von Herrn Schmude zugrunde liegt, nicht weiterkommt. Deswegen, Herr Vogel, müssen wir als CDU/CSU von Ihnen mehr als polemische Verunglimpfungen gegen Herrn Geißler oder Abwertungen des Herrn Bundeskanzler verlangen. Wir müssen von Ihnen konkrete Aussagen darüber verlangen, wie Sie zu den Äußerungen von Herrn Schmude stehen. Dies ist der Tag, dies ist die Stunde, in der Sie dies tun können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014028600
Das Wort hat der Abgeordnete Löffler.

(Dr. Stercken [CDU/CSU]: Ist das der Schmude? Wo ist denn der Schmude? — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Der hat die Tarnkappe aufgesetzt!)


Lothar Löffler (SPD):
Rede ID: ID1014028700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Grundgesetz ist die Verfassung in unserer Geschichte, die im Volk am stärksten verankert ist und die Freiheit, Gerechtigkeit und Ordnung in diesem Teil Deutschlands am längsten garantierte.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Es gilt zwar nur für die Bundesrepublik Deutsch- land, aber seine Wirkung als Beispiel und Hoffnung geht über unsere Grenzen weit hinaus, auch zu den Menschen im anderen deutschen Staat.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Das ist in erster Linie das Verdienst der Präambel, in der wir zur deutschen Einheit Stellung nehmen. Diese Präambel sehen wir nicht als Kampfinstrument, sondern als Hinweis darauf, daß hier in der Mitte Europas noch einiges geregelt werden muß: friedlich, einvernehmlich und ohne Hast.

(Dr. Miltner [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Hoffnung kann Ruhe geben, Ruhe gibt Frieden — und den braucht unser Volk, braucht Europa. Es gibt keinen Frieden in Europa, wenn in der Mitte unseres Erdteils Unruhe herrscht.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Willy Brandt, der erste sozialdemokratische Bundeskanzler, versprach in seiner ersten Regierungserklärung, daß wir „ein Volk der guten Nachbarn" sein wollen.

(Beifall bei der SPD — Strube [CDU/CSU]: Der hat so viel versprochen!)

Ein solches Wort war nötig, und es ist immer noch nötig.
Wir sind im Laufe unserer Geschichte nach Süden gezogen, gen Osten geritten, haben unsere Zukunft auf dem Wasser gesucht und strebten schließlich die Weltherrschaft an. Damit brachten wir häufig genug Unruhe über unseren Kontinent — Verwirrung, Krieg, Zerstörung, Tod und Leid.
Jetzt können wir nicht mehr ziehen, jetzt können wir nicht mehr reiten und können auch nicht mehr suchen. Aber wir fassen Resolutionen, halten Reden, schreiben Broschüren, und wir fragen. Dabei übersehen wir nur allzu häufig, daß unsere Nachbarn die Augenbrauen wieder besorgt hochziehen und sich das fragen, was sie sich jahrhundertelang gefragt haben: Was wollen denn die Deutschen eigentlich? — Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein bißchen mehr Geduld auf allen Seiten, nicht so sehr an den Dingen herumfummeln, Verläßlichkeit und Kontinuität,

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

wie Helmut Schmidt, der zweite sozialdemokratische Bundeskanzler, sie vertrat, sind wichtiger als Fragen, die nichts nützen und in unserem Lande und in Europa nur Unruhe auslösen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Natürlich kann jeder fragen. Aber es kann auch jeder antworten.
Von der Losung „Schlesien ist unser" bis zu der Frage „Sollte es nicht für alle Zeit zwei deutsche Staaten geben?" spannt sich der Bogen dessen, was



Löffler
wir uns und unseren Nachbarn zumuten. Das ist zu viel.

(Beifall des Abg. Hoppe [FDP])

Mit der Frage haben wir es ja in der Deutschlandpolitik, etwa wenn wir sprachlich und damit gedanklich ungenau spekulieren, ob die deutsche Frage offen sei. Das Wesen jeder Frage ist die Offenheit für mehrere Antworten.
Die deutsche Frage ist nicht Wiedervereinigung. Die deutsche Frage besteht seit dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Sie lautet: Wie kann das Leben der Deutschen politisch, wirtschaftlich, kulturell und gesellschaftlich organisiert werden, damit wir uns einerseits als Nation empfinden können und sich andererseits unsere Nachbarn nicht durch die Zusammenballung im Zentrum Europas bedroht fühlen?

(Beifall bei der SPD)

Die Geschichte kennt auf diese Frage mehrere Antworten. Der Wiener Kongreß gab die Antwort mit der Schaffung des Deutschen Bundes. Der wurde viel geschmäht. Aber niemand von den damaligen Machthabern wollte etwas anderes. Nur das Volk hatte andere Vorstellungen. Es wurde nicht gefragt. Übrigens hat diese Konstruktion 50 Jahre den Frieden in der Mitte Europas bewahrt.
Bismarcks Antwort war das Reich, geschaffen durch Eisen und Blut. Der Schöpfer des Reichs kannte die Problematik seines Werks. Deshalb war Bismarck später ein Vertreter der Status quo in Europa.
Seine Nachfolger verspielten in zwei Weltkriegen das Reich. Die Frage war wieder da.
Eine Zwischenantwort — und bisher gab es nur solche — hat die Entspannungspolitik gebracht: Bewahrung der Nation; Frieden vor Einheit; Kooperation mit dem zweiten deutschen Staat so viel wie möglich; kleine Schritte, um das Leben der Menschen in der Mitte Europas zu erleichtern.

(Berger [CDU/CSU]: Vergessen Sie die Freiheit nicht!)

Wer die deutsche Frage, wie sie hier formuliert ist, negiert,

(Zuruf des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

entzieht dieser Politik der kleinen Schritte ihre Grundlage. Wohin sollen diese Schritte denn führen? Doch selbstverständlich zu mehr Einheit, zu mehr Zusammenarbeit, zu mehr Gemeinsamkeit.
Selbst wenn in beiden deutschen Staaten die deutsche Frage von den Politikern für erledigt erklärt würde —, sie wäre es nicht. Darüber entscheidet nur das Volk durch sein Fühlen, Denken und Hoffen,

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

und zwar das Volk in beiden deutschen Staaten,

(Marschewski [CDU/CSU]: Ganz genau!) und in jeder Generation neu.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Deutschlandpolitischer Illusionismus!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014028800
Das Wort hat der Abgeordnete Schulze (Berlin).

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Freiheit für Berlin!)


Gerhard Schulze (CDU):
Rede ID: ID1014028900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berliner möchte ich dem Kollegen Löffler zunächst sehr herzlich danken für seine eindeutige Haltung

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

in der von uns gemeinsam vertretenen Deutschland- und Berlinpolitik. Ich wünschte mir, daß sich diese Haltung letztlich in seiner eigenen Fraktion durchsetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dolata [CDU/CSU]: Und bei Vogel, dem angeblichen Berliner!)

Aber wir haben ein jüngstes Beispiel dafür, daß Herr Schmude mit seiner Meinung nicht allein steht.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist gut so!)

— Das glaube ich, daß Sie sagen „Gut so". Es verwundert mich nicht, daß die GRÜNEN hier die gleiche Ansicht wie teilweise die SPD vertreten.
Mich beunruhigt aber die Tatsache, daß der Berliner Bundestagsabgeordnete Heimann, auch Mitglied des Innerdeutschen Ausschusses und früherer Bundessenator Berlins, das in der Präambel des Grundgesetzes verankerte Wiedervereinigungsgebot ebenfalls zur Diskussion stellt. Heimann, der gestern auf einem deutschlandpolitischen Forum der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung sprach, verwies auch darauf, daß Schluß sein müsse mit der Lebenslüge, daß zugleich mit der Integration der Bundesrepublik in Europa die staatliche Einheit erreichbar sei. Bei einer dauernden Zweistaatlichkeit Deutschlands sei darüber nachzudenken, wie wir die Existenz Berlins in diesem Rahmen sichern. Als Berliner Abgeordneter kann ich hier nur die Auffassung meiner Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus unterstreichen, daß auch die Rede Heimanns eine an Deutlichkeit kaum noch zu überbietende Absage der SPD an eine vom Grundgesetz getragene gemeinsame Deutschland-, Ost- und Berlinpolitik darstellt.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Herr Diepgen war da realistischer!)

— Herr Diepgen ist nicht „realistischer".

(Weitere Zurufe von der SPD)

Ich will mich dazu hier auch gar nicht äußern. Das steht gar nicht zur Diskussion.
Meine Damen und Herren, ich bedauere diese Äußerung von Herrn Heimann sehr, um so mehr als der Kollege Heimann als Berichterstatter seiner Fraktion für den Bericht zur Lage der Nation be-



Schulze (Berlin)

müht sein sollte, daß wir wie 1984 zu einer gemeinsamen Erklärung kommen.
Der schleswig-holsteinische SPD-Landtagsabgeordnete Börnsen plädiert — da traut man seinen Ohren nicht — für eine gemeinsame Interessenpolitik von SPD und SED, die beide deutschen Staaten von den Supermächten wegbringen soll.

(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Der SPD-Parteivorsitzende Brandt sieht eine größere Unabhängigkeit beider Teile Europas von den Supermächten als Voraussetzung für das Zusammenkommen beider deutschen Staaten.

(Zurufe von der SPD)

Neutralistisches Gedankengut wird so Stück für Stück auf den Weg gebracht. Ablehnung gegenüber der Westbindung und der NATO schimmert immer stärker durch, trotz aller gegenteiligen Lippenbekenntnisse, und von Amerika-Freundlichkeit ist bei der SPD leider auch nicht gerade viel zu merken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Als Berliner frage ich: Wo bleibt Berlin? Folgt man den Vorstellungen der SPD, muß man sich fragen: Existieren vielleicht gar drei deutsche Staaten, im Westen, im Osten und Berlin mitten drin, von drei bzw. fünf Mächten beherrscht?
Wir sind der Meinung, so darf man die Dinge auf keinen Fall sehen. Wir stehen in einer Treueverpflichtung zu unserer Verfassung, zur Freiheit, zu Menschenrechten und zur Nation und in diesem Sinne zu Deutschland als Ganzem.
Berlin ist eine geteilte Stadt und damit das Symbol für die Teilung Deutschlands. Die Verantwortung der vier Siegermächte für Berlin und Deutschland als Ganzes besteht uneingeschränkt. Meine Damen und Herren, es zeugt schon von einer gehörigen Portion Geschichtslosigkeit, wenn alleine 36 Jahre deutscher Zweistaatlichkeit genügen, das Ziel der Wiedervereinigung durch Selbstbestimmung und Freiheit für die deutsche Politik aufzugeben, wenngleich sie möglicherweise in eine historische Dimension gerückt zu sein scheint.
Es muß auch bei dieser Gelegenheit noch einmal daran erinnert werden, daß das Selbstbestimmungsrecht zu den zwingenden Regeln der internationalen Rechtsordnung zählt. Was würde aus diesem Selbstbestimmungsrecht der Berliner und der Bürger der DDR werden, wenn wir im freien Teil Deutschlands dieses Ziel für alle Deutschen aufgäben? Davon würde auch die Rechtsgrundlage der Sicherheit Berlins bedroht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014029000
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.

Gerhard Schulze (CDU):
Rede ID: ID1014029100
Ich bin sofort fertig.
Meine Damen und Herren, nach unseren Vorstellungen muß Maßstab der Deutschlandpolitik die Lage der Menschen in der DDR sein.

(Zurufe von der SPD)

Sie darf nicht in der Frage der Qualität staatlicher Beziehungen verlorengehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014029200
Herr Abgeordneter, dies war Ihr letzter Satz.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID1014029300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß wir heute einmal über diese schwierigen Fragen sprechen, statt sie zu verschweigen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum kommt der Herr Schmude nicht nach vorn?)

Ich frage mich allerdings, ob sich die Kollegen der Union in ihrer Rolle als Ankläger des Kollegen Schmude und als Wahrer des deutschen Nationalstaates nicht selbst komisch vorkommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Keineswegs!)

Denn, meine Herren von der Union, 1952, als die Chance der Erhaltung der staatlichen Einheit noch offen war,

(Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU) da haben Sie diese Chance nicht ausgelotet,


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo waren Sie denn da?)

sondern haben der Westintegration der Bundesrepublik den Vorrang gegeben.

(Beifall bei der SPD — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Erzählen Sie keine Märchen!)

Darüber hat es damals Streit gegeben, den ich jetzt gar nicht fortsetzen will. Ich sage nur: Das war die erste Relativierung des Ziels der staatlichen Einheit. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß wir gemeinsam zwei weitere Relativierungen vertreten. Eine hat der Bundespräsident gestern noch einmal erwähnt: Freiheit geht vor Einheit. Und drittens — auch über diese Relativierung sind wir uns im klaren —: Frieden geht auch vor Einheit.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie lange noch?)

Wenn man diese drei Relativierungen — Europaeinbindung, Frieden und Freiheit — sieht, hat es keinen Zweck, jetzt so zu tun, als ob Sie absolute Werte verteidigen.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Der zweite Punkt ist: Die Lage Deutschlands nach dem Hitler-Krieg und die Einschätzung dieser Lage, wie sie vor 35 Jahren in der Präambel des Grundgesetzes zum Ausdruck kam, haben sich in der Tat — darin hat der Kollege Schmude recht — drastisch geändert, und zwar so sehr, daß Ihr Kollege Strauß seit 1958 nicht müde geworden ist, Jahr für Jahr zu wiederholen — bis ins letzte Jahr hinein —, daß die staatliche Einheit nicht das zentrale Anliegen unserer Politik sein kann.

(Hört! Hört! bei der SPD)




Dr. Ehmke (Bonn)

Ich zitiere Strauß 1968: „Das deutsche Volk darf seine Kräfte nicht im Streben nach einer nationalstaatlichen Restauration verzehren." 1975: „Die Wiederbelebung eines deutschen Nationalstaats im Herzen von Europa kommt für uns nicht in Betracht."

(Marschewski [CDU/CSU]: Das ist aber etwas anderes! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich wundere mich, daß Sie zu den Äußerungen des CSU-Vorsitzenden nichts gesagt haben.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Heftiger Protest von Herrn Handlos!)

Der Unterschied, der meine Auffassung von der des Kollegen Schmude trennt, besteht in folgendem: Ich halte nichts davon, deswegen jetzt mit einer Diskussion über die Änderung des Grundgesetzes oder seiner Präambel zu beginnen,

(Zurufe von der CDU/CSU: Jetzt?!)

weil, meine verehrten unruhigen Herren von der Union, Grundgesetzänderungen die deutsche Frage meines Erachtens genausowenig voranbringen werden wie früher Ihre Hallstein-Doktrin. Das nützt uns nichts.

(Beifall bei der SPD — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Was Sie für Vergleiche anstellen!)

Wohl aber muß man immer erneut die Frage stellen — und insoweit hat unser Freund Jürgen Schmude in all den Jahren wichtige Beiträge geleistet —, wie wir die deutsche Frage in der Sache voranbringen können.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Das Bundesverfassungsgericht hat j a in seinem Grundlagenvertrags-Urteil entschieden, daß es dafür verschiedene Wege gibt und daß einer der Wege auch der ist, den die sozialliberale Koalition begonnen hat und den die heutige Regierung fortsetzt, nämlich den der Anerkennung eines zweiten deutschen Staates und der Zusammenarbeit mit ihm.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Dennoch ein schlimmes Urteil!)

Über das Selbstbestimmungsrecht streiten wir gar nicht. Das steht auch nicht in dem Text von Herrn Schmude.

(Zuruf von der CDU/CSU: Doch, nachlesen!)

— Es steht nicht drin.

(Zurufe von der CDU/CSU: Doch!) — Ich sage Ihnen, es steht nicht drin.


(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Menschenrechte!)

Diesem Volk steht das Selbstbestimmungsrecht so selbstverständlich zu wie allen anderen Völkern auch.

(Beifall bei der SPD)

Nur, Sie klammern die zwei Hauptfragen aus.
Darum war das sehr billig, Herr Werner, was Sie
über Menschenrechte und Selbstbestimmungsrecht gesagt haben. Was Schmude sagt, was mit unseren deutschlandpolitischen Thesen übereinstimmt und was richtig ist, ist: Die Union ist nicht das deutsche Volk, und wie die Menschen in der DDR ihre Menschenrechte und ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben würden, können Sie sowenig vorwegnehmen wie wir. Nichts anderes hat der Kollege Schmude gesagt.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Aber jetzt kommt das zweite, Herr Kollege Dregger: Die eigentliche Schwäche — ich sage einmal Schwäche, um nicht zu sagen: Heuchelei — der CDU/CSU besteht doch darin, daß Sie in den Kreuzzügen der 50er und 60er Jahre immer Begriffe — Wiedervereinigung, nationale Einheit — wie Fahnen vor sich her getragen haben. Nur, Sie haben keinen Weg zur staatlichen Einheit gezeigt, und Wege zur Erhaltung der Einheit der Nation haben Sie mit dieser Politik eher verbaut.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Begriffsfahnen verstellen Ihnen den Blick auf die Realität. Bevor wir über Menschenrechte und Selbstbestimmungsrecht praktisch reden, ist doch überhaupt erst die Frage zu beantworten, wie wir denn dazu kommen, daß diese Rechte drüben Wirklichkeit werden können.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014029400
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID1014029500
Ich sage Ihnen: Um das zu erreichen, hat die SPD einen Weg beschritten, von dem ich hoffe, daß Sie ihn nicht wegen der neuen deutsch-nationalen Bewegung in Ihrem eigenen Lager und wegen der Schwäche Ihres Bundeskanzlers verlassen werden.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014029600
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1014029700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland ist geteilt. Das ist Realität. Aber Deutschland war in seiner Geschichte oft geteilt und hat immer wieder die Kraft gefunden, diese Teilung zu überwinden.
Die Teilung Deutschlands war noch nie so perfekt und grausam wie heute, übrigens ohne daß es dafür eine völkerrechtlich anerkannte Grundlage gäbe, denn mit Deutschland als Ganzem als Völkerrechtssubjekt sind keine Verträge geschlossen worden.
Um so mehr bleiben wir aufgefordert, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Das ist nicht etwa nur eine fixe Idee des Parlamentarischen Rates, sondern das ist unser politisches Bekenntnis.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Lowack
Der Vorschlag des Kollegen Schmude ist in der Tat ungeheuerlich, und er ist nicht nur geschichts-, sondern nach meiner Auffassung auch gesichtslos.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Ich frage mich: Wohin bewegt sich eigentlich die SPD? Dieses Schauturnen, das wir heute mit dem Versuch erlebt haben, das, was der Kollege Schmude gesagt hat, zu relativieren, macht die Sache nicht besser; es macht sie nur schlimmer.
Die Teilung Deutschlands ist abstrus. Sie ist ein künstliches Gebilde, das wir nicht anerkennen können, das wir zur Kenntnis nehmen müssen; aber Kenntnis zu nehmen und sich partiell zu arrangieren -- was wir j a tun — heißt noch lange nicht, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die Potsdamer Konferenz, die so oft als Grundlage der Teilung angeführt wird, war bei genauerem Hinsehen mehr eine Art Gentlemen's Agreement. Ich darf an die Abschiedsworte erinnern. Truman hat gesagt: Meine Herren, bis zur nächsten Konferenz. Stalin hat auf sehr zynische Art und Weise geantwortet: Gott gebe es. Abgesehen von diesem Zynismus, es war nicht mehr als eine Art Gentlemen's Agreement, bei dem eben nicht nur Gentlemen beteiligt waren. Deutsche haben bei dieser Konferenz kein Mitspracherecht gehabt.
Was wir heute brauchen, ist, die deutsche Politik offenzuhalten und zu erweitern, die Perspektive für eine Überwindung der Teilung Deutschlands als Grundlage für die Überwindung des Ost-West-Konflikts zu entwickeln.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Worum wir uns bemühen müssen, ist, Anwälte der Menschenrechte der Deutschen und ihres Selbstbestimmungsrechts zu sein. Sie wissen, daß sich die Ostblockländer bisher allen Bemühungen widersetzt haben, die Verletzung von Menschenrechten judikabel zu machen. Es gibt für einen Menschen im Ostblock keine Möglichkeit, sich auf die Verletzung von Menschenrechten zu berufen. Dahinter steckt System. Die Konsequenzen sind die „Jagdgesellschaften an der Mauer", Verurteilungen wegen der Inanspruchnahme des Grundrechts auf Freizügigkeit oder sogar die Strafbarkeit, wenn sich ein in der DDR lebender Bürger mit einem anderen in Verbindung setzt, um ihn zu bitten, ihm bei der Ausreise behilflich zu sein. Wer soll denn Anwalt der Menschen im geteilten Deutschland sein, die das Bedürfnis nach einer Anerkennung der Menschenrechte haben?
Das Grundgesetz als eines der modernsten und grandiosesten Verfassungswerke gilt für alle Deutschen. Wollen Sie, meine Herren von der SPD, das im Interesse der Stabilisierung eines totalitären Systems in Deutschland in Frage stellen? Soll das Grundgesetz in Zukunft nicht mehr für alle Deutschen gelten? Wer sollen die Interessenvertreter der Deutschen sein, die heute in Unfreiheit leben?
Sicher, es gibt eine Menge mehr zu tun, als wir heute möglicherweise selbst tun. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen wird sicher noch nicht in ausreichendem Maße durch uns Politiker motiviert. Aber der Vorschlag des Kollegen Schmude würde viele in Deutschland hoffnungsloser machen müssen, vielleicht so hoffnungslos, meine sehr geehrten Damen und Herren, wie der Zustand einer Partei sein muß, in der sich ein führendes Mitglied wie der Kollege Schmude so äußern kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014029800
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Die Beschlußempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zu Tagesordnungspunkt 6 a sind gestern verteilt worden. Es ist beantragt worden, gemäß § 81 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung von der Frist für den Beginn der Beratung abzuweichen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das der Fall, und die erforderliche Mehrheit ist gegeben.
Ich rufe sodann den Punkt 6 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes
— Drucksache 10/3079 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit (13. Ausschuß)

— Drucksache 10/3378 — Berichterstatter:
Abgeordneter Eimer (Fürth)

bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/3379 — Berichterstatter:
Abgeordnete Rossmanith
Dr. Diederich (Berlin)


(Erste Beratung 132. Sitzung)

b) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes
— Drucksache 10/2577 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend)

Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3380 und der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/3381 und 10/3382 sowie Entschließungsanträge der Fraktion



Vizepräsident Westphal
der SPD auf Drucksache 10/3383 und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/3390 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung oder zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Braun.

Gerhard Braun (CDU):
Rede ID: ID1014029900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir haben heute über eine Änderung des Bundessozialhilfegesetzes und damit eine Verbesserung für die Sozialhilfeempfänger zu beschließen.

(Unruhe)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014030000
Herr Kollege, ich möchte Ihnen ein bißchen mehr Ruhe verschaffen. Ich bitte die Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilzunehmen beabsichtigen, doch jetzt den Saal zu verlassen und ihre Gespräche draußen zu führen, damit der Redner das Gehör der anderen Anwesenden findet. — Bitte, fahren Sie fort.

Gerhard Braun (CDU):
Rede ID: ID1014030100
Vielen Dank, Herr Präsident.
Die Grundlage für den Leistungsrahmen, nämlich der Warenkorb, der einen Querschnitt der zum Lebensunterhalt benötigten Güter darstellt, ist letztmalig im Jahre 1970 zusammengestellt worden. Inzwischen hat sich gezeigt, daß der Inhalt und die Zusammensetzung der einzelnen Güter dieses Warenkorbes nicht mehr den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Gegebenheiten in unserem Lande entsprechen. Eine Neuordnung war daher längst überfällig. Hinzu kommt, daß die Anpassung der Regelsätze, die sich in ihrer Höhe am Warenkorb ausrichten, insbesondere in den Jahren 1982 bis Mitte 1984 nicht in vollem Umfang entsprechend der Entwicklung der Lebenshaltungskosten vorgenommen wurde.
Die Arbeits- und Sozialminister der Länder haben sich nunmehr auf eine teilweise neue Zusammenstellung des Warenkorbs verständigt, die den gewandelten Verbrauchsgewohnheiten entspricht und eine zeitgemäße Neuordnung bei der Bemessung der Regelsätze vorsieht. Diese Neufestsetzung im Umfang und in der Art der Zusammensetzung des Warenkorbs — so wurden z. B. Energiekosten eines Haushalts genauer und stärker berücksichtigt als bisher — hat zur Folge, daß damit auch eine entsprechende Auswirkung auf die Höhe der Regelsätze von annähernd 5 % verbunden ist. Weiterhin ist zu beachten, daß mit der jährlichen Anpassung der Regelsätze zum 1. Juli dieses Jahres unter Beachtung der Preisentwicklung eine weitere Steigerung in Höhe von etwa 2 bis 3% zu erwarten ist. Die endgültige Festsetzung der Höhe der Regelsätze wird rechtzeitig vor dem 1. Juli 1985 von den dafür zuständigen Ländern erfolgen.
Gleichzeitig mit der Verbesserung des Warenkorbes und der sich daraus ergebenden Erhöhung der Regelsätze durch die Länder soll den Erfahrungen der Praxis Rechnung getragen werden, nach denen bei zwei Personengruppen, nämlich alleinerziehenden Elternteilen mit einem Kind unter sieben Jahren und bei älteren Hilfsbedürftigen schon vorn 60. Lebensjahr an, ein erhöhter Bedarf anerkannt werden muß. Sozialhilfeempfängern dieser beiden Personengruppen wird ein Mehrbedarf von 20 v. H. des maßgebenden Regelsatzes zuerkannt. Zusammengerechnet erhält eine alleinstehende Mutter mit einem Kleinkind in Zukunft monatlich zirka 100 DM mehr Sozialhilfe. In gleicher Höhe beläuft sich der Betrag für einen Mitbürger über 60 Jahre.
Des weiteren sollen nach dem Vorschlag des Bundesrats die Grundbeträge, die Bestandteil der Einkommensgrenze für die Hilfe in besonderen Lebenslagen sind, als Festbeträge ausgewiesen werden.
Die Umsetzung des neuen Warenkorbs und die Gesetzesänderung verursachen für die Träger der Sozialhilfe bundesweit Mehrkosten von jährlich insgesamt rund 281 Millionen DM. Für viele ist diese Leistungsverbesserung noch zu gering, wie u. a. die Forderung der GRÜNEN auf Erhöhung der Regelsätze um 30 % zeigt. Das ist nicht nur unrealistisch im Hinblick auf die kostenmäßige Belastung der Länder und Gemeinden, sondern es fehlt auch an der Begründung dafür, warum bei einer Erhöhung des Mehrbedarfs um 20%, der sich vom neuen Regelsatz berechnet, dieser Betrag nicht ausreichen sollte. Von anderen wird der Vorwurf erhoben, die Sozialhilfe habe inzwischen ein Ausmaß erreicht, das nicht mehr der Forderung entspricht, daß grundsätzlich die Leistungen, die der einzelne in seinem Berufs- und Erwerbsleben erbringt, in der Höhe seines Verdienstes zum Ausdruck kommen soll. Bei dieser Betrachtungsweise, meine Damen und Herren, darf nicht übersehen werden, daß der Leistungsrahmen der Sozialhilfe einen Nachholbedarf hat, der ausgeglichen werden muß.
In den Ausschußberatungen haben wir zudem eine größere Beweglichkeit in der Frage der Anpassung der Grundbeträge bei der Bemessung der Einkommensgrenze für die Hilfen in besonderen Lebenslagen durchgesetzt. Die Bundesregierung wird nunmehr den Zeitraum der Anpassungen von bisher zwei Jahren auf ein Jahr herabsetzen.
Bei den Ausschußberatungen spielte die Behandlung von Grundrenten, Entschädigungsleistungen und Vermögen eine Rolle. Mit dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen wird die Bundesregierung gebeten, auf die Träger der Sozialhilfe einzuwirken, daß eine Gleichbehandlung der Leistungsempfänger erfolgt.
Mit der Verbesserung der Sozialhilfeleistungen ist ein erster Schritt getan, um unser gesamtes soziales Leistungssystem wieder in einen überschaubaren und berechenbaren Orientierungsrahmen zu stellen. Wir alle aber wissen, wie notwendig es ist, insbesondere im Bereich der Familienpolitik eine Neuordnung des Familienlastenausgleichs vorzunehmen. Das Steuersenkungsgesetz und die Verbesserung der Kindergeldleistungen werden dazu



Braun
beitragen, daß zukünftig Familien mit Kindern nicht schlechtergestellt werden als Bezieher von Sozialhilfe.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wenn ich vorhin erwähnte, daß die Gemeinden und Kreise durch diese Vierte Änderung des Bundessozialhilfegesetzes mit rund 281 Millionen DM jährlich belastet werden, dann muß auch betont werden, daß die Bundesregierung inzwischen erste Schritte unternommen hat, die zu einer Entlastung der Kommunen führen. So wird die deutliche Verlängerung der Zeiten für den Bezug von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitslose ab 1. Januar 1985 zu einer Entlastung in der Sozialhilfe von mehr als 100 Millionen DM führen. Die Kindergeldzahlungen für arbeitslose Jugendliche führen zu einer Entlastung der Kommunen in der Sozialhilfe von gut 30 Millionen DM. Durch die Anhebung des Wohngeldes am 1. Januar 1986 wird die Sozialhilfe erneut um rund 300 Millionen DM pro Jahr entlastet. Auch die Anhebung des Kindergeldes für die Einkommensschwachen in der Neuordnung des Familienlastenausgleichs ab 1. Januar 1986 wird zu einer Entlastung der Sozialhilfe führen.
Diese Beispiele zeigen, meine Damen und Herren: Während die SPD bei ihren Leistungskürzungen einen Verschiebebahnhof zu Lasten der Kommunen praktizierte,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Klejdzinski [SPD]: In welchem Zeitalter leben Sie eigentlich?)

nimmt die Regierung Kohl mit fortschreitender Konsolidierung Schritt für Schritt diese Belastung von der Sozialhilfe weg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Gleichzeitig werden aber mit diesem Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der SPD, die Sozialhilfeleistungen insgesamt und gezielt für bestimmte Personengruppen verbessert.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014030200
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1014030300
Sehr verehrter, lieber Herr Braun! Sie wissen, daß wir gut miteinander auskommen. Jetzt ist es aber beinahe so weit, daß das nicht mehr der Fall ist.
Zwei Bemerkungen.
Erstens. In den Jahren, in denen diese Regierung, die Regierung Kohl, das Sagen hat, sind in meiner Stadt, in der Stadt Nürnberg, die Sozialhilfeaufwendungen von 10 Millionen DM auf 40 Millionen DM gestiegen,

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Da können Sie mal sehen, was Sie uns hinterlassen haben!)

und zwar deshalb, weil genau diese Regierung die Lasten auf die Kommunen gelegt hat und nicht etwa umgekehrt, wie Sie es dargestellt haben.

(Beifall bei der SPD — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das ist eindeutig falsch!)

Die zweite Anmerkung zu dem, was Sie hier gesagt haben: Gerade wir Sozialpolitiker sollten uns davor hüten, jedesmal wieder und jedesmal einmal zuviel diejenigen, die in dieser Gesellschaft durch ihre Arbeit viel zuwenig verdienen, gegen diejenigen auszuspielen, die Sozialhilfe beziehen. Wenn es so ist, daß es tatsächlich in einem Einzelfall vorkommen kann, daß die Familie eines Sozialhilfeempfängers mehr bekommt als die eines Lohnempfängers oder eines kleinen Beamten, muß es darum gehen, dafür zu sorgen, daß der kleine Beamte und der kleine Arbeiter mehr bekommen, und nicht etwa darum, die Sozialhilfe zu diskriminieren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, uns liegen heute zwei Gesetzentwürfe vor. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat in ihrem Gesetzentwurf vorgeschlagen, die Regelsätze in der Sozialhilfe um 30 % zu erhöhen. Finanziert werden soll dies aus der Bundeskasse. Na* türlich ist es richtig, daß in diesem und in den nächsten Jahren deutliche Anhebungen der Regelsätze in der Sozialhilfe erforderlich sind, dies nicht zuletzt, weil die Bundesregierung durch fortwährende Deckelungen und Einführungen restriktiver Vorschriften die Sozialhilfe ihrer Funktionsfähigkeit als unterstes Netz des sozialen Sicherungssystems praktisch beraubt hat, andererseits den Gemeinden in ständig steigendem Maße die Folgelasten ihrer Untätigkeitspolitik gegenüber der Massenarbeitslosigkeit vor die Türen kehrt.

(Zustimmung bei der SPD)

Aber wir Sozialdemokraten sind keine Traumtänzer.

(Zuruf von der CDU/CSU: Doch!)

Wir wissen, daß die Realisierung solcher im Prinzip begrüßenswerter Regelsatzanhebungen im Hauruck-Verfahren, so, wie es von den GRÜNEN vorgeschlagen wird, nicht zu machen ist. Wir können nicht hier im Deutschen Bundestag eine 30%ige Anhebung der Eckregelsätze in der Sozialhilfe beschließen und anschließend den Gemeinden sagen: Nun seht mal zu, wo ihr das Geld hernehmt. Eine, wie es von Ihnen, Herr Bueb, vorgeschlagen wird, die Finanzverfassung berührende Lösung kann ebenfalls nicht auf die Schnelle beschlossen werden.
Nun aber zum Gesetzentwurf des Bundesrats, der heute hier in zweiter und dritter Lesung zu beraten ist. Zunächst will ich die positiven Aspekte des Entwurfs erwähnen, sozusagen das Bonbon, obwohl auch dies im Grunde eine Mogelpackung ist. Es handelt sich um die Einführung von Mehrbedarfszuschlägen in Höhe von 20% für ältere Sozialhilfeempfänger — ab dem 60. Lebensjahr — und für Alleinerziehende mit mindestens einem Kind unter sieben Jahren. Es handelt sich also bei diesem Ge-



Frau Schmidt (Nürnberg)

setz mitnichten — wie es in den Medien verbreitet worden ist — um eine Erhöhung der Sozialhilferegelsätze, sondern um eine Verbesserung der Situation zweier sehr eng begrenzter Personengruppen.
Im Klartext bedeutet die vorgeschlagene Änderung des § 23 BSHG, daß den erwähnten beiden Personengruppen statt heute 356 DM bundesdurchschnittlich dann bundesdurchschnittlich 427 DM zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung stehen. Das sind übrigens Monatsbeiträge; dies sage ich weil sich das viele Leute im Land überhaupt nicht mehr vorstellen können. Wir halten diesen Vorschlag für einen kleinen, aber wichtigen Zwischenschritt auf dem Wege, in die völlig verkrustete Regelsatzdiskussion wieder etwas Bewegung zu bringen.
Die Situation der Sozialhilfeempfänger ist inzwischen derart erbärmlich, daß jetzt nach jedem Strohhalm gegriffen werden muß, um — und wenn es nur für einige wenige ist — deren Lage zu verbessern.
Dennoch ist dieser Vorschlag eine Mogelpackung. Er beruht nämlich auf der in der von den Herren Geißler und Stoltenberg losgetretenen Mißbrauchsdebatte enthaltenen Behauptung, die sogenannten großen Bedarfsgemeinschaften — Familien mit mehreren Kindern — seien durch Sozialhilfe überversorgt. Das ist eine Behauptung, deren Beweis bis heute aussteht und die mit Sicherheit unrichtig ist. Sonst wären diese beiden Herren bestimmt in ihrem irrationalen Eifer der Abwehr von angeblichem Mißbrauch in der Sozialhilfe schon längst auf die Idee gekommen, statt Bargeld Nahrungsmittelmarken an die Sozialhilfeempfänger auszugeben. Entsprechende Ansätze haben sie durch das diskriminierende und entwürdigende Wertgutscheinverfahren bei Ausländern und Asylbewerbern schon gezeigt. Nur bei der einheimischen Bevölkerung haben sie sich das noch nicht getraut, weil sie dann nämlich selber den Beweis dafür anzutreten hätten, daß sechs Tomaten und zwei Pfund neue Kartoffeln pro Person und Monat nicht als Überversorgung zu betrachten sind.
All diesen Bedenken zum Trotz ist der Argumentation der sozialistischer Neigungen gewiß unverdächtigen Landesregierungen Bayerns und Niedersachsens im Bundesrat zuzustimmen, daß der von diesen Vorschlägen betroffene Personenkreis gegenwärtig seinen notwendigen Lebensunterhalt mit den bisherigen Leistungen nicht mehr decken kann.
Ein zweites Kapitel ist die vorgeschlagene Veränderung der Vorschriften über die Ermittlung von Einkommensgrenzen für die Hilfe in besonderen Lebenslagen. Seit dem 2. Haushaltsstrukturgesetz sind die für die Hilfe in besonderen Lebenslagen maßgebenden Einkommensgrenzen in den §§ 79 und 81 BSHG an das unterschiedliche Vielfache des bestehenden Eckregelsatzes gekoppelt. Nun sagen die Länder, diese seit 1982 geltende Regelung, die auf ihr Betreiben eingeführt worden ist, habe sich nicht bewährt. Wir brauchen uns hier wohl nicht darüber zu streiten, was richtig und was falsch ist.
Es bleibt aber festzuhalten, wie die Erfahrung besonders der letzten zwei Jahre zeigt, daß Einkommensgrenzen immer manipuliert werden können, egal, woran sie gerade gekoppelt sind. Wenn nun aber schon Umwandlung in Festbeträge, dann müssen diese so gestaltet werden, daß alle, die heute Sozialhilfe beziehen, an der angekündigten Regelsatzdynamisierung teilhaben und nicht schon wieder derselbe Personenkreis in die Röhre guckt, der schon 1982 durch die Umwandlung von Festbeträgen ins Vielfache der Regelsätze benachteiligt worden ist.
Es geht hier vorwiegend um die Eltern behinderter Kinder und um Mehrfachbehinderte, deren Berechtigung zum Bezug von Pflegegeld weitgehend von diesen Einkommensgrenzen abhängig ist. Die neuen Festbeträge, wie sie vom Bundesrat vorgeschlagen worden sind, entsprächen einer Regelsatzanhebung von etwas über 3 %. Da allerdings fragen wir uns, wie das mit der Ankündigung des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Jugend, Familie und Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dem Kollegen Kroll-Schlüter, im Pressedienst seiner Partei vom 17. April 1985 zusammenpaßt. Herr Kroll-Schlüter sagt in diesem Pressedienst, durch strukturelle Verbesserungen des Warenkorbes erhöhe sich der Regelsatz ab 1. Juli 1985 um zirka 5 %, und hinzu kämen etwa 2 bis 3 % zum Ausgleich der Steigerung der Lebenshaltungskosten. Obwohl einigermaßen unklar ist, ob der Kollege Kroll-Schlüter von den für Regelsatzanpassungen zuständigen Bundesländern zu diesen Äußerungen ermächtigt worden ist, wäre die auf dieser Basis vorgenommene 8%ige Regelsatzerhöhung für die Änderung der Einkommensgrenzen falsch. Die errechneten neuen Festbeträge liegen Ihnen in Form eines Änderungsantrags zur zweiten Lesung vor.
Wenn Sie Familienpolitik nicht nur für Begüterte machen wollen, sondern auch für die Eltern behinderter Kinder, dann bitte ich Sie, diesem Antrag in zweiter Lesung doch noch zuzustimmen.
Ein weiterer Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, ist die von uns in Übereinstimmung mit den sozialdemokratisch geführten Ländern vorgeschlagene Änderung des § 76 BSHG betreffend die Anrechnung von Entschädigungsleistungen auf die Sozialhilfe. 40 Jahre nach Beendigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gibt es immer noch Opfer dieses Regimes, die erst jetzt Entschädigungsleistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz beziehungsweise der Härteregelung erhalten. Der Bundespräsident hat uns an diese Personengruppen eindrucksvoll erinnert. Diese späte Hilfe hat vielfältige Gründe, zum Teil in der Rechtsprechung, zum Teil in sehr schwierigen Ermittlungen, zum Teil auch in Umständen, die für sich allein schon beschämend genug sind. Ein Skandal ist es aber, wenn den Opfern dieser Gewaltherrschaft, die sich nach 40 Jahren eine Entschädigung erkämpft haben, sozialhilferechtlich nicht wenigstens alle übrigen Kriegsopfer gleichgestellt werden.

(Beifall bei der SPD)

Nun sagen Sie mir nicht wieder, wir hätten 13 Jahre Zeit gehabt. Wir wissen, daß da auch Sie in



Frau Schmidt (Nürnberg)

der Verantwortung gewesen wären. Wenn Sie sich schon nicht dazu durchdringen können, unserem konkreten Änderungsantrag zuzustimmen, sollten Sie wenigstens mit uns gemeinsam der Bundesregierung eine Frist setzen, innerhalb deren eine vernünftige gesetzliche Regelung gefunden werden muß,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie verwechseln Einkommen mit Vermögen!)

um den Betroffenen — und hier handelt es sich besonders um den schwergeprüften Personenkreis der Roma und Sinti — deutlich zu machen, daß es dem Deutschen Bundestag mit der Umsetzung dieser Forderung ernst ist. Wenigstens auf diesem Gebiet sollten wir uns darauf verständigen, 40 Jahre nach dem Ende der dunkelsten Epoche deutscher Geschichte den Opfern gemeinsam Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es reicht nicht, moralische Appelle mit unserem Beifall zu bedenken; auf unser Handeln kommt es an.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014030400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Eimer.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1014030500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich nicht an den allgemeinen Schuldzuweisungen beteiligen

(Zurufe von der SPD)

und will auch nicht auf Themen abschweifen, die hier gar nicht zur Debatte stehen, Frau Kollegin Schmidt.
Mein Kollege Braun hat das Gesetz in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit sehr ausführlich begründet und vor allem auch auf die Auswirkungen der Ausweitung der Mehrbedarfszuschläge hingewiesen. Das alles war bei uns allen unstrittig. Ich glaube, ich kann mich deswegen kurzfassen, zumal diese Problematik in der ersten Lesung, die ja nicht weit zurückliegt, ausführlich debattiert worden ist.
Der Deutsche Bundestag hat den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf in seinen Ausschüssen gründlich beraten. In der heutigen Sitzung wollen wir das Gesetz auch zügig verabschieden.
In der Stellungnahme der Bundesregierung wurde bereits darauf hingewiesen, daß sie eine jährliche Anpassung der Grundbeträge befürworten würde, im Gegensatz zu dem ursprünglichen Entwurf des Bundesrates, der nur eine Festsetzung alle zwei Jahre vorsah. Dies entsprach auch unseren Vorstellungen. Der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit hat das schließlich auch so beschlossen.
Weitergehenden Anträgen der SPD und der GRÜNEN konnten wir uns nicht anschließen. Dafür gab es unterschiedliche Gründe. So würde ein großer Teil der genannten Änderungsanträge den Kostenrahmen weit sprengen. Die Länder bzw. die Kommunen, die die Kosten tragen müßten, wären dazu auch nicht bereit. Ein Scheitern des Gesetzes im Bundesrat wäre vorprogrammiert. Wer zuviel fordert, gefährdet die vorgesehene Regelung und die möglichen Verbesserungen. Es würde zudem auch schwierig, Arbeits- und Sozialeinkommen in einer solchen Distanz zu halten, daß nicht falsche Anreize gesetzt werden.
Den Entschließungsantrag der SPD, der insbesondere auf die Lage der Sinti und Roma abzielt, müssen wir in dieser Form ablehnen. Damit will ich nicht die finanzielle Lage vieler Sinti und Roma verniedlichen. Tatsächlich sind viele von ihnen Sozialhilfeempfänger. Ich will auch keinesfalls die besondere Verantwortung, die gerade Deutschland für diese Menschen hat, herabmindern. Wir stehen zu den Entschädigungszahlungen an Sinti und Roma.
Ein überstürzte Behandlung dieses Themas hätte möglicherweise die zügige Behandlung des gesamten Gesetzes gefährdet. Bei einer gesetzlichen Regelung dieses Punktes müssen aber das Wünschbare und das Machbare gegeneinander austariert werden. Ich erinnere daran, daß es viele Gesetze gibt, aus denen Entschädigungsrenten erwachsen. Ich nenne hier als Beispiele das Soldatenversorgungsgesetz, das Zivildienstgesetz, das Bundes-Seuchengesetz, das Opferentschädigungsgesetz und das Häftlingshilfegesetz. Es muß also auch in diesem Zusammenhang gelten, daß durch die Anrechnung von bestehenden Entschädigungsrenten keine Ungleichgewichte zwischen verschiedenen Sozialhilfeempfängern entstehen. Solche Ungleichgewichte können mehr Probleme schaffen als lösen.
Den Intentionen der SPD, mit Fristsetzung Änderungsvorschläge vorzulegen, können wir nicht folgen. Ich muß zugeben — ich glaube, das müssen wir alle —, daß es überheblich wäre, schon jetzt die Folgen abzuschätzen. Ich will auch keine Hoffnungen wecken, die möglicherweise nicht zu erfüllen sind. Aber ich lege Wert darauf, daß wir von der Regierung Informationen darüber erhalten, ob und wie dieses Problem zu lösen ist.
Uns ging es bei der Beratung des Gesetzes in erster Linie darum, schnell zu helfen, und diese Zielsetzung wird damit erreicht. Wir sind der Meinung, daß das Gesetz eine gute und schnelle Hilfe gewährt. Deswegen stimmen wir ihm zu.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014030600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bueb.

Eberhard Bueb (GRÜNE):
Rede ID: ID1014030700
Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst kurz zu dem Entwurf des Bundesrats Stellung nehmen. Dieser sieht bekanntlich die Anhebung der Regelsätze um zirka 8 % und die Gewährung von Mehrbedarfszuschlägen von 20% für ältere Menschen über 60 Jahre und für Alleinerziehende mit einem noch nicht schulpflichtigen Kind vor. Gleichzeitig soll jedoch durch die vorgesehene Neuregelung der Einkommensgrenzen für Hilfen in besonderen Lebenslagen auch die Eigenbeteiligung der Betroffenen ausgeweitet werden.
Wenn nun Propagandaminister Heiner Geißler

(Müller [Remscheid] [CDU/CSU]: Na, na, na!)




Bueb
im Informationsblatt seines Ministeriums die geplante Anhebung der Regelsätze als eine wirksame Verbesserung der Sozialhilfe lobt, so trifft dies, wie er selber sehr gut weiß, nicht zu;

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

denn die in Aussicht gestellte Anhebung stellt lediglich einen Ausgleich für die seit dem 2. Haushaltsstrukturgesetz eingetretenen Inflationsverluste dar. Außerdem beinhaltet der den neuen Regelsätzen zugrunde gelegte Warenkorb einschneidende Strukturverschlechterungen für Sozialhilfeempfänger und -empfängerinnen.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Welche denn?) — Ich komme gleich darauf.

Als besonders gravierend möchte ich hier die Tatsache hervorheben, daß die Preisermittlung für den Teilwarenkorb „Ernährung" nicht an Hand von Durchschnittspreisen errechnet wurde, sondern mit Hilfe der sogenannten unteren Quartilspreise erfolgt, die ja bekanntlich 13 % unter den normalen Durchschnittspreisen liegen. Damit wird den Sozialhilfeempfängerinnen und Empfängern außerordentliches preisbewußtes Einkaufen zugemutet. Hier wird unserer Meinung nach eine Sonderpreisstatistik für arme Leute eingeführt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Mein Gott, ist das ein Unsinn!)

Dies ist um so verwerflicher, als die realen Lebensverhältnisse und die dadurch bedingten Konsumgewohnheiten der betroffenen Hilfeempfänger unberücksichtigt bleiben.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: So spricht jemand, der an den Beratungen nicht teilgenommen hat!)

Die Folge davon ist eine reale Kürzung der Leistungen, da die im Warenkorb veranschlagten Waren zu den vorgegebenen Preisen nicht erstanden werden können.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: So ist es!)

Welcher Sozialhilfeempfänger hat denn einen Pkw, um im Einkaufszentrum auf der grünen Wiese die Sonderangebote erstehen zu können?

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Kaum einer!)

Nun haben Sozialhilfeexperten aus Wissenschaft und Praxis, aber auch Vertreter der Wohlfahrtsverbände und die betroffenen Sozialhilfeempfänger selbst wiederholt nachgewiesen, daß das monatlich zugestandene Versorgungsniveau der Sozialhilfe zu niedrig ist. Wir verweisen hier auf den schon seit einiger Zeit im Gespräch befindlichen Aufbau der Regelsätze. des Deutschen Vereins, der einen revidierten Warenkorb für die Berechnung der Regelsätze konzipiert hat. Auf dieser Grundlage hätte eigentlich schon 1981 der Regelsatz um 31 % erhöht werden müssen.

(Hört! Hört! bei den GRÜNEN)

Die GRÜNEN fordern deshalb als notwendige Sofortmaßnahme zur Sicherung des Existenzminimums der Betroffenen, die Regelsätze um mindestens 30 % zu erhöhen,

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

wie dies in unserem Gesetzentwurf vorgesehen ist. Das sind ungefähr 100 Mark im Monat, meine Damen und Herren. Und Sie wollen sich gerade wieder einmal die Diäten um 350 Mark im Monat erhöhen! Das ist wohl der richtige Ausgleich dazu.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Mit 350 Mark, um die Sie Ihre Diäten erhöhen wollen, müssen die Sozialhilfeempfänger heute fast den ganzen Monat leben.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie sind es doch, die sich das in die Tasche stecken und dann große Worte reden! — Gilges [SPD]: Was machen Sie denn?)

Die ansteigende Massenerwerbslosigkeit und die staatlichen Streichmaßnahmen bei den Sozialleistungen haben dazu geführt, daß immer mehr Menschen aus dem Erwerbsleben und aus den Sozialversicherungssystemen ausgegrenzt werden und in die Sozialhilfe fallen. Damit stiehlt sich der Bund Schritt für Schritt aus der Verantwortung und schiebt den Schwarzen Peter den Kommunen zu.
Die zunehmende Belastung der Kommunen durch die Sozialhilfe erhält eine ausgeprägte politische Brisanz, da sie mit der sich zuspitzenden Krise der Kommunalfinanzen zusammenfällt. Mit anhaltender Wirtschaftskrise verschärft sich die Grundproblematik der kommunalen Finanzpolitik, nämlich rückläufige Einnahmen bei steigenden Ausgaben verkraften zu müssen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was wollen Sie nun: höhere Sozialhilfe oder weniger Ausgaben?)

— Wenn Sie unseren Gesetzentwurf richtig gelesen hätten, wüßten Sie, daß wir fordern, einen Bundeszuschuß von 1,5 Milliarden Mark an die Kommunen zu geben.
Unter dem Druck leerer Kassen gehen die Kommunen zunehmend dazu über, einmalige und freiwillige Leistungen zu streichen. Außerdem passiert es immer häufiger, daß Unterhaltsverpflichtungen eingeklagt und nicht erwerbsunfähige Sozialhilfeempfänger zu sogenannter gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit herangezogen werden,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

und dies bei einer Stundenvergütung von 1 DM bis 3 DM. Für die sogenannten angeblich angemessenen Mehraufwendungen werden Sozialhilfeempfänger somit zwangsweise zu Arbeitsdiensten verpflichtet. Dem stimmen Sie anscheinend zu. Statt ordentliche Arbeitsplätze zu schaffen und ausreichend zu vergüten, werden Sozialhilfeempfänger als billige Arbeitskräfte mißbraucht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Viele zum Empfang von Sozialhilfe Berechtigte
werden durch diese diskriminierenden Maßnahmen
und weil sie sich schämen, durch das Subsidiaritäts-



Bueb
prinzip von den Verwandten abhängig zu werden, davon abgeschreckt, Sozialhilfe zu beantragen. So wird die Zahl derer, die keine Sozialhilfe beantragen, aber bezugsberechtigt sind, auf ca. 4 Millionen geschätzt. Wir müssen also davon ausgehen, daß in einer reichen Bundesrepublik ca. 8 Millionen Menschen an der untersten Einkommensgrenze dahinvegetieren müssen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Schlimm ist das!)

Damit wird deutlich, daß unser hochgelobter Sozialstaat ein Schönwetterstaat ist. Die Idee eines auf Wirtschaftswachstum aufbauenden integrationsfähigen Sozialstaates sozialdemokratischer Prägung erweist sich mehr und mehr als Illusion.
Wähnten sich die Arbeitnehmer bisher sicher vor den würdelosen Fängen der Fürsorge, so stellt sich dies nun angesichts zunehmender Dauerarbeitslosigkeit und fortschreitenden Sozialabbaus als Trugschluß dar. Auch die Gewerkschaften mußten das einsehen. Sie sprechen heute von der sogenannten neuen Armut. Dabei vergessen sie allerdings, daß Armut schon immer Arbeitnehmer betroffen hat, vor allem Frauen in den Niedriglohngruppen, kinderreiche Arbeiterfamilien und Arbeitnehmerinnen im Rentenfall. In den letzten Jahren kommt noch verschärfend hinzu, daß die zunehmenden ökologischen und sozialen Folgekosten des heutigen zerstörerischen Industriesystems in erster Linie auf die sozial Schwachen abgewälzt werden. Sie sind von den Umweltschäden stärker betroffen als die Besserverdienenden, weil sie traditionell in schlechteren Wohnungen leben müssen, näher an der Umweltverschmutzung, an Emittenten dran sind und mehr vom Lärm belästigt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssen also feststellen: In unserer Gesellschaft herrschen nicht Solidarität und Gerechtigkeit, sondern es gilt nach wie vor das Recht des Stärkeren. Auf der Seite der Privilegierten stehen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition. Ihre lockeren Sprüche von der „Neidsteuer", Leistung solle sich wieder lohnen, Ihr Griff in die Steuerkasse bei der Diätenerhöhung und Ihre dunklen Flick-Geschäfte sind beredtes Beispiel dafür.

( Sie mal bei sich an!)

Wir GRÜNEN stehen auf der Seite der Unterprivilegierten und werden uns für deren Rechte einsetzen. Die Eckpfeiler einer solchen Politik haben wir bereits mit unserem grünen Rentenmodell gesetzt, das eine steuerfinanzierte Grundrente von 1 000 DM für alle, gekoppelt an eine obligatorische Zusatzrente, vorsieht und somit auch eine eigenständige Alterssicherung der Frau garantiert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit dem grünen Entwurf eines Bundespflegegesetzes, das Behinderten ein menschenwürdiges Leben unabhängig von Sozialhilfe und Zwangspflege garantiert, haben wir einen weiteren Meilenstein für eine menschenwürdige Sozialpolitik gesetzt. Als einen weiteren Eckpfeiler betrachten wir nun eine Reform des Arbeitsförderungsgesetzes mit dem Ziel, zu verhindern, daß weiterhin Millionen von Menschen von Sozialhilfe leben müssen.

(Gilges [SPD]: Das summiert sich zu einem Regierungsprogramm! Sie wollen doch wohl nicht regieren, Herr Bueb!)

Angesagt und überfällig ist ein grundsätzlicher ökologischer Umbau des zerstörerischen Industriesystems, die sofortige Einstellung bzw. der schrittweise Abbau umweltzerstörerischer und verschwenderischer Projekte bei gleichzeitigem Aufbau einer ökologisch orientierten Produktionsweise und die Schaffung ökologisch sinnvoller und sozial verträglicher Arbeitsplätze.
Damit könnte unserer Meinung nach ein wesentlicher Beitrag zur Vermeidung ökologischer und sozialer Folgekosten geleistet werden, die heute wesentlich für die Verschärfung der sozialen und ökologischen Krise verantwortlich sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014030800
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Karwatzki.

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1014030900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bueb, mit aller Schärfe weise ich den von Ihnen gegen den zuständigen Minister für Jugend, Familie und Gesundheit gebrauchten Ausdruck zurück.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie, Herr Kollege, nehmen für sich zwar ebenfalls alle Privilegien in Anspruch, beschimpfen aber gleichwohl die Kollegen des Hauses. Ich verstehe das nicht. Wenn Sie glaubwürdig sein wollen, dann müssen Sie konsequenterweise auf alles verzichten, was Sie als Abgeordneter für sich persönlich nutzen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung begrüßt, daß es, wenngleich unter Mühen, gelungen ist, die Beratung des Gesetzentwurfs des Bundesrates so rechtzeitig abzuschließen, daß die Länder jetzt die notwendigen Vorkehrungen für laufende Sozialhilfeleistungen zum Lebensunterhalt zum 1. Juli treffen können. Denn die Gesetzesänderungen, die der Bundestag heute beschließen wird, sind wesentliche Bestandteile eines Gesamtkonzepts. Der mit der schwierigen Materie Vertraute weiß, welche Mühe es gekostet hat, dieses Konzept unter den Ländern und in den Ländern konsensfähig zu machen, egal, ob SPD- oder CDU/CSU-regiert.
Das mit dieser 4. BSHG-Novelle realisierbar gewordene Gesamtkonzept, dem alle Länder zustimmen, stellt den tragbaren Kompromiß zwischen wiederstreitenden sozial- und finanzpolitischen Interessen dar. Insbesondere die beabsichtigte Regelsatzbemessung nach einem verbesserten Bedarfsmengenschema ist ein wichtiger Schritt nach vorn, ein Schritt zu der notwendigen und jetzt auch wie-



Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki
der möglichen Anpassung der Regelsätze an die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Diese Erhöhung, meine Damen und Herren, ist zugleich an den Realitäten und finanzpolitischen Möglichkeiten orientiert und widerlegt das unbegründete Gerede über den angeblichen Abbau sozialer Leistungen in unserem Land.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Mit besonderer Genugtuung erfüllt es uns, daß zu den zusätzlich mit einem anzuerkennenden Mehrbedarf Begünstigten die Gruppe der alleinerziehenden Elternteile mit einem noch nicht schulpflichtigen Kind gehören wird. Genauso freuen wir uns, daß Sozialhilfeempfänger künftig schon vom 60. und nicht, wie bisher, erst vom 65. Lebensjahr an höhere Regelsatzleistungen erhalten werden.
Insgesamt kann gesagt werden, meine Damen und Herren: Von der Regelsatzerhöhung und den flankierenden Maßnahmen dieses Gesetzes werden nahezu alle Sozialhilfeempfänger Nutzen haben. Bei den Hilfen in besonderen Lebenslagen werden sich die jeweils maßgebenden Einkommensgrenzen erhöhen: bei den Grundbeträgen um 3 v. H., bei den Familienzuschlägen um den gleichen Prozentsatz, um den die Regelsätze steigen. Auch die Heimbewohner werden einen höheren Barbetrag zur persönlichen Verfügung haben.
Bund und Länder werden sich mit dem Erreichten nicht zufriedengeben. Die bedarfsgerechte Bemessung der Sozialhilfeleistungen ist durch dieses Gesetz und das neue Bemessungsschema nicht für alle Zeit gelöst. Dieses Problem wird uns immer wieder beschäftigten. Es ist aber, wie auch dieses Gesetzgebungsverfahren gezeigt hat, im Kompromißwege letztlich doch lösbar.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014031000
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 6 a, den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes auf Drucksache 10/3079.
Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/3380 bis 10/3382 Änderungsanträge vor.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3380 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3381 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3382 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wer nun dem Art. 1 mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung mit Mehrheit bei Enthaltungen und Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe die Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit gegen einige Stimmen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3383 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/3390 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist mit Mehrheit angenommen.
Zu Tagesordnungspunkt 6 b schlägt der Ältestenrat vor, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2577 zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Herstellern (Arzneimittelversorgungsrecht)

— Drucksache 10/2633 —
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten je Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Weinhofer.




Karl Weinhofer (SPD):
Rede ID: ID1014031100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist längst überfällig und überständig, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland aufhören, die Arzneimittelproduktion durch ständiges Erhöhen der Krankenversicherungsbeiträge zu subventionieren.
Wir stellen auch jetzt wieder fest, daß sich im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen ein Defizit von 3,4 Milliarden DM für 1984 auftut. Die neuesten Zahlen zeigen eine sich seit dem dritten Quartal 1983 von Quartal zu Quartal beschleunigende Steigerung der Ausgaben bei gleichzeitigem Rückgang der Grundlohnentwicklung. Schon im ersten Quartal 1984 stiegen die Ausgaben um durchschnittlich 6,3%,

(Lutz [SPD]: Hört! Hört!)

die Grundlöhne dagegen nur um 3,7 %. Im zweiten Quartal setzte sich dieser Anstieg fort. Die Ausgaben kletterten um 9,8 %, während die Grundlöhne nur ein Plus von 2,3% zu verzeichnen hatten.
Ich stelle fest: Es ist skandalös, daß zwar Verträge mit Ärzten und Zahnärzten über Einkommen und Ausgaben möglich sind, daß es aber bei uns in der Bundesrepublik unmöglich ist, mit der Arzneimittelindustrie, die ca. 16 Milliarden DM — das ist die Zahl für 1984 — umsetzt,

(Beifall des Abg. Lutz [SPD])

kostenwirksame Maßnahmen abzuschließen. Wir leisten uns damit das teuerste Arzneimittelsystem der Welt.

(Lutz [SPD]: So ist es! — Hornung [CDU/ CSU]: Wie lange schon?)

Ein persisches Sprichwort lautet:
Soll der Heilige
— damit ist wohl der Apotheker gemeint —
dein Leiden wenden,
soll durch einen Arzt die Krankheit enden, kommen mußt du dann mit reichen Spenden zu den beiden, nicht mit leeren Händen.
Ich glaube, daß dieses Sprichwort nach wie vor auch auf unsere Situation angewendet werden kann. Wir müssen uns die Fragen stellen: Warum sind unsere Ärzte nicht ausreichend motiviert, eine Therapie nach den Kriterien der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit durchzuführen?

(Lutz [SPD]: Das ist der Punkt!)

Warum kann der Patient nicht über Qualität und Preiswürdigkeit entscheiden? Wieso haben die Krankenkassen nur geringen Einfluß auf Preise, Produktqualität und Vertrieb? Welche Interessen sind ursächlich für eine ständige Ausweitung der Mengen und Preise verantwortlich? Warum wollen bei uns in der Republik politische Kreise die Kostenentwicklung im Gesundheitsbereich durch zunehmende Eigenbeteiligung der Betroffenen steuern? Sie wissen, welche Vorschläge hier von seiten der Zahnärzte, der Ärzte, aber auch von seiten der FDP auf dem Tische liegen.
Allgemein ist die Meinung vorhanden, daß die Arzneimittelversorgung große Mängel aufweist.
Aus der Zeitung haben wir in den letzten Tagen entnehmen müssen, daß immer mehr zugelassene Arzneimittel wegen der Gefährlichkeit für die Patienten — ich erinnere nur an Rheumamittel — vom Markt genommen werden. Es wurden Medikamente auf dem Markt zugelassen, deren therapeutischer Nutzen nicht erwiesen ist.
Bei uns in der Bundesrepublik — wir leisten uns diesen Luxus — vernebeln 70 000 verordnungsfähige Medikamente den Markt, verhindern die notwendige Transparenz, obwohl Experten meinen, daß 2 000 verordnungsfähige Medikamente zur medizinischen Versorgung völlig ausreichen.
Professor Häusler in Stuttgart zeigt in •einem Gutachten auf, daß bei der Analyse der 50 wertmäßig führenden Arzneimittel, die 1981 zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen verordnet wurden, ausschließlich die produktorientierte Information der Pharmaindustrie vorherrscht.

(Lutz [SPD]: Oho!)

Interessant ist in diesem Gutachten weiterhin, wie oft welche Arzneimittel verordnet wurden. Er stellt fest, daß 50 Arzneimittel über 124 Millionen mal verordnet wurden und diese 3,5 Milliarden DM kosteten. Aber selbst unter diesen 50 Arzneimitteln sind sechs nicht sinnvolle Kombinationsarzneimittel, während bei zehn anderen Arzneimitteln die Wirksamkeit als zweifelhaft bewertet werden muß. Ersetzt man von den 50 führenden Arzneimitteln diejenigen, für die ein billigeres, gleichwertiges Arzneimittel auf dem Markt ist, erreicht man eine Kostensenkung um ca. 1,3 Milliarden DM.
In Deutschland werden nur 2 % der qualitativ gleichwertigen, aber billigeren Medikamente verwendet. In vergleichbaren westlichen Industrieländern sind es dagegen 18 bis 20%. Diese Zahlen müßten uns eigentlich doch zum Nachdenken bringen.
Einzigartig ist auch das Marketing der deutschen Pharmaindustrie: Sie gibt für Arzneimittelvertreter 1,8 Milliarden DM, für Ärztemuster 1,7 Milliarden DM und für andere Werbemaßnahmen 1,5 Milliarden DM aus,

(Lutz [SPD]: Wer zahlt das alles?)

insgesamt 5 Milliarden DM, um am Mann — sprich: am Patienten — zu bleiben. Das sind ca. 30 % des Umsatzes, um die 60 000 Kassenärzte zu versorgen. Für die vielbeschworene Forschung gibt sie dagegen nur 14 % des Gesamtumsatzes aus.

(Hornung [CDU/CSU]: Und wieviel ist das?)

— Ich erlaube mir, Ihnen zu unterstellen, daß Sie ausrechnen können, wieviel 14 % von 16 Milliarden DM sind: Das sind etwa 2 Milliarden DM.
Und noch eine interessante Zahl: Nur 26 von 506 Unternehmen, die im Bundesverband der Pharamazeutischen Industrie zusammengeschlossen sind, betreiben überhaupt Forschung und Entwicklung. Man muß sich einmal die Relationen vorstellen: 26 von 506.
Medikamente, die bei uns verkauft werden, sind oft bis zu neunmal so teuer wie dasselbe Medika-



Weinhofer
ment vom selben deutschen Hersteller, nur in anderer Verpackung über den Grenzzaun im Nachbarland verkauft.

(Lutz [SPD]: Bis zu 19mal, Herr Kollege!)

— Ich habe hier konkrete Beispiele. Sicherlich trifft auch dies zu. Aber mir liegen nur Beispiele mit Preiserhöhungen von über 900 % vor.
All diese von mir aufgeführten Beispiele sind Anlaß für uns Sozialdemokraten, endlich Nägel mit Köpfen zu machen.

(Zustimmung bei der SPD)

Im Mittelpunkt muß der Patient stehen und nicht die Marktinteressen unserer Pharmaindustrie. Molière hat einmal gesagt, die meisten Menschen sterben an ihren Arzneien und nicht an ihren Krankheiten. Das ist sicherlich auch heute so. Aber gleichwohl wollen wir an einer Versorgung mit hochwertigen Arzneimitteln festhalten.
Das Krankenversicherungsrecht der RVO orientiert sich am Selbstverwaltungsgedanken. Dieser soll auch bei der Regelung der Fragen der Arzneimittelversorgung angewandt werden. Wir fordern deshalb, daß ein unabhängiges Arzneimittelinstitut, von den Krankenkassen und von den Kassenärzten geführt, aus der Fülle des Fertigarzneimittelangebots diejenigen Präparate vorschlägt, die für die kassenärztliche Versorgung geeignet sind und die Kriterien der Preiswürdigkeit und der Therapiewirksamkeit erfüllen. Die Krankenkassen handeln auf dieser Basis mit den Herstellern von Fertigarzneimitteln die Preise der im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung abgegebenen Arzneimittel aus.
Eine derart erarbeitete Positivliste enthält all die Arzneimittel, über die eine Vereinbarung zustande gekommen ist und die in Zukunft verordnungsfähig sind. Arzneimittel ohne Vereinbarung sind nicht mehr verordnungsfähig.
Wir glauben, daß dieses zweistufige Verfahren der Krankenversicherung die angemessene erforderliche Mitwirkung an der Ausgestaltung des Arzneimittelmarktes garantiert. Wir sehen in einem Gesetz, das den Arzneimittelbereich auf diese Weise neu regelt, eine wirksame Möglichkeit, um die Kosten in den Griff zu bekommen.

(Zustimmung bei der SPD)

Alle Vorschläge, die eine erhöhte Selbstbeteiligung an den Krankheitskosten ins Auge fassen, lehnen wir in diesem Zusammenhang ab.

(Lutz [SPD]: Absolut ab!)

Ein weiteres Drehen an der Selbstbeteiligungsschraube löst nicht die Probleme des Pharmamarktes. Die Ursachen der Kostenexplosion sind im Preisgebaren der Pharmaindustrie und in der Verschreibungspraxis der Ärzte zu sehen. Daraus erwächst die Notwendigkeit zu politischer Aktivität. CDU, CSU, FDP sind aufgefordert, unseren Gesetzentwurf in den Ausschüssen positiv zu begleiten.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014031200
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg (Arnsberg).

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014031300
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wird sicher niemanden überraschen, wenn ich diesen dirigistischen Entwurf, wie er uns vorliegt, ablehne. Er erscheint mir weder sinnvoll noch praktikabel.
Ausdrücklich möchte ich feststellen, Herr Kollege Weinhofer, daß ein Teil der Analyse, die Sie vorgenommen haben, zutreffend ist. Nur, die Therapie ist meiner Auffassung nach nicht die richtige. Aber auch im analytischen Bereich haben sich Fehler eingeschlichen. Ich möchte auf einen aufmerksam machen. Es sind nicht rund 20 Milliarden DM, die die GKV jährlich zu zahlen hat. Die Ausgaben der GKV für Arzneimittel aus Apotheken beliefen sich 1984 auf 15,4 Milliarden DM. Die Ausgaben für Arzneimittel in Krankenhäusern hinzugerechnet ergeben immer noch nicht die von Ihnen genannte Summe.
Die Gründe, warum wir den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen, möchte ich wie folgt zusammenfassen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014031400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014031500
Bitte sehr.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014031600
Herr Kollege Cronenberg, würden Sie mit meinem Kollegen sehr viel gnädiger umgehen, wenn Sie zur Kenntnis nehmen, daß er in seine Rechnung auch die Ausgaben für Naturheilmittel einbezogen hat?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014031700
In der Tat würde ich gnädiger mit ihm umgehen. Ich bin im übrigen nicht ungnädig mit ihm umgegangen, Herr Kollege Lutz. Aber ich rede von den Ausgaben, die Grundlage Ihres Entwurfes sind, die von der GKV erstattet wurden; denn im Gesetzentwurf ist von den Arzneimitteln, die im Krankenhaus ausgegeben werden, überhaupt nicht die Rede, Herr Kollege Weinhofer.
Die SPD nimmt für sich in Anspruch, mit Ihrem Entwurf die Selbstverwaltung zu stärken. Es ist aber ein komisches Verständnis von gemeinsamer Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn zumindest einem Partner, nämlich der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, ein Arzneimittelinstitut aufgezwungen werden soll.
Ich weiß auch nicht, was es mit unabhängiger Selbstverwaltung zu tun hat, wenn im Entwurf — oder, besser gesagt, in der Begründung desselben — von der besonders hohen Anforderung an die Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung — von der Sie, Herr Kollege Weinhofer, auch in Ihrer Rede gesprochen haben — die Rede ist und dann hinterher in § 379 a festgesetellt wird, daß für den Fall der Nichteinigung zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Herstellern ein Einigungsvorschlag durch den Bundesarbeitsminister Vertragsinhalt werden soll. Normalerweise nennt man das Preisdiktat, und insofern würde ich



Cronenberg (Arnsberg)

auch darum bitten, den Gesetzentwurf um der inneren Logik willen in diesem Punkt zu ändern.
Zweitens. Es ist nicht ein besonders sparsamer Umgang mit den Mitteln, wenn ein Arzneimittelinstitut ohne Zustimmung der Beteiligten gegründet wird, denn ein erheblicher Teil wird ja von den Versicherten der Krankenkassen zu bezahlen sein.
Drittens. Die Verfasser sollten ihren Vorschlag, eine abschließende Liste verordnungsfähiger Arzneimittel, also eine Positivliste, zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu schaffen, noch einmal überprüfen. Es ist nicht sozial, es ist falsch, den überwiegenden Teil der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel den Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung vorzuenthalten. Ich halte das für nicht korrekt und für im Interesse der Versicherten nicht in Ordnung. Es ist eine Zweiklassengesellschaft, die dadurch provoziert wird:

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

auf der einen Seite diejenigen, die die Mittel aus der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt bekommen, auf der anderen Seite diejenigen, die Privatpatienten sind und sich kaufen können, was sie wollen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014031800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weinhofer?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014031900
Bitte sehr.

Karl Weinhofer (SPD):
Rede ID: ID1014032000
Wie beurteilen Sie die Äußerung des Bundesarbeitsministers in einem, Interview vom 1. April 1985? Er äußert sich da zur Preisvergleichsliste und sagt wörtlich — ich zitiere —:
Eine solche Preisvergleichsliste schafft überhaupt erst die Voraussetzungen für kostensparende Arzneimittelverordnung.

(Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Das ist aber etwas anders, mein Lieber!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014032100
Erstens, Herr Kollege Weinhofer, ist das in der Tat etwas anderes, und zweitens gibt es — das wissen Sie doch aus leidvoller Erfahrung — nicht immer nahtlose Obereinstimmung zwischen dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und den Liberalen. Es können sich hier durchaus unterschiedliche Bewertungen ergeben, und Sie werden es mir sicher nicht verübeln, wenn ich nun die meinige und nicht die des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vortrage.

(Beifall bei der FDP)

Wie gesagt, wir lehnen eine solche ZweiklassenArzneimittelversorgung ab und werden uns hier auch entsprechend zu verhalten wissen.
Ich möchte Sie auch mit aller Eindringlichkeit auf eine weitere sehr große Gefahr aufmerksam machen. Wenn ich Verkaufsdirektor eines großen pharmazeutischen Unternehmens wäre, würde ich klammheimlich oder offen voller Begeisterung einen solchen Vorschlag aufgreifen. Wozu wird er führen? Notwendigerweise zur Konzentration auf der Herstellerseite, und diese Konzentration auf wenige Großunternehmen

(Zuruf von der SPD: Haben wir doch schon!)

ist sozusagen die Vorbereitung des Preisdiktats von übermorgen.

(Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie tun sich keinen Gefallen damit, daß Sie die mittelständischen Unternehmen, die solche Präparate herstellen, aus dem Markt verdrängen. Das Ergebnis wird großer Schaden und wenig Nutzen sein, und das kann nicht Ihre Absicht sein, und sie ist es, wie ich weiß, auch nicht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014032200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014032300
Immer mit Rücksicht darauf, daß ich davon ausgehe, daß das nicht angerechnet wird!

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014032400
Wenn Sie gestatten, nur noch für eine Weile; dann geht das nicht mehr.
Bitte sehr.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014032500
Da wir nicht sehr kontrovers diskutieren, wollte ich Sie von den Erkenntnissen meines Hausarztes in Kenntnis setzen. Herr Kollege Cronenberg, halten Sie es für möglich, daß ein durchschnittlich gebildeter Hausarzt 500 Präparate kennt und daß er mit 3 000 Präparaten nach der Liste der Weltgesundheitsorganisation auskommt, daß es aber in der Bundesrepublik 60 000 Spezifikationen gibt?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014032600
Lieber Kollege Lutz, ich kenne natürlich nicht die Qualitäten Ihres Hausarztes, aber ich halte es durchaus für möglich, daß sich die Kenntnisse des einzelnen in dieser Größenordnung bewegen. Aber genau weil das so ist, hätten Sie viel Grund, meiner Argumentation zu folgen. Wie Sie wissen, ist der überwiegende Anteil — ich sage aus dem Kopf einmal: über 80 % — ohnehin auf wenige Präparate konzentriert. Warum die preisregulierenden und in der Wirksamkeit und in der Verträglichkeit Wettbewerb auf dem Markt erzeugenden Präparate per Gesetz de facto herausschmeißen? Das ist die falsche Methode. Darüber unterhalten wir uns, und ich bitte Sie sehr eindringlich, von solchen Maßnahmen Abstand zu nehmen.
Die Gründung eines Arzneimittelinstituts bedeutet im Grunde genommen die Zweitzulassung für kassenärztliche Versorgung. Man muß feststellen, daß das Bundesgesundheitsamt bisher gut gearbeitet hat. Die Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsprüfungen waren erfolgreich. Warum soll nun für die in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten noch sozusagen eine zweite Zulassung hinzukommen? Bürokratischer Aufwand und Zweiklassensystem. Ich bitte, davon Abstand zu nehmen.
Fünftens. Das Problem, das wir zu lösen haben, ist durch dirigistische Maßnahmen unserer Auffassung nach nicht zu lösen. Wir möchten hierzu an-



Cronenberg (Arnsberg)

dere Instrumente einsetzen. Auch wir sind der Meinung, daß es wünschenswert ist, daß es mehr Transparenz auf diesem Markt gibt. Wir sind der Auffassung, daß der Preiswettbewerb der Hersteller untereinander gefördert werden muß. Hier bietet sich ein Bonus-malus-System an. Es kann nach unseren Vorstellungen durchaus seinen Niederschlag auch bei denjenigen finden, die diese Medikamente verordnen. Wir halten dies für ein wirksameres Instrument und würden uns freuen, wenn wir in eine ernsthafte Diskussion mit Ihnen über diesen Punkt eintreten könnten.
Auch halten wir die kassenärztliche Fortbildung für intensivierungsbedürftig. Leider wird nicht in dem Umfang Fortbildung gefördert, wie dies unserer Auffassung nach erforderlich und möglich ist.
Wir müssen auch nicht zuletzt an die Mitwirkung des Patienten denken. Wenn 30 bis 40 % der Arzneimittel nicht oder nicht nach den Anweisungen des Arztes eingenommen werden, so steckt hier ein ganz beachtliches Einsparungspotential. Es ist daher wichtig, auch den Patienten an der rationalen Arzneimitteltherapie zu beteiligen.
Nein, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen nicht mehr Dirigismus auf dem Arzneimittelmarkt. Wir brauchen mehr Information für die Leistungsträger. Wir brauchen mehr Wettbewerb der Arzneimittelhersteller untereinander.

(Lutz [SPD]: Mehr Patienten!)

Wir brauchen mehr Selbstverantwortung aller Beteiligten, auch der Versicherten. Nicht, daß wir die Versicherten als zusätzliche Inkassoquelle für die Leistungserbringer, wie uns immer wieder unterstellt wird, haben wollen, sondern wir möchten mit Hilfe eigenverantwortlichen Handelns, mit Hilfe eines sinnvollen Bonus-malus-Systems alle Beteiligten dazu bringen, daß weniger Krankenversicherungsbeiträge gezahlt werden müssen. Ich bin überzeugt, daß unsere ordnungspolitisch richtigen Instrumente erfolgreicher sein werden als der uns vorliegende Gesetzentwurf, den zu diskutieren, wir uns bemühen werden, dem wir unsere Zustimmung allerdings verweigern werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Lutz [SPD]: Bitterer Beifall!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014032700
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wagner.

Marita Wagner (GRÜNE):
Rede ID: ID1014032800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der SPD spricht ein aktuelles Problem an, nämlich den enormen Arzneimittelkonsum in Krankenhäusern und bei der ambulanten Behandlung. Es ist bekannt, daß der heutige Konsum von Arzneimitteln, insbesondere von Psychopharmaka und Digitalis, wiederum gesundheitsschädliche Wirkungen und zusätzliche Behandlungskosten hervorruft.
Die ungefähre, geschweige denn genaue Zahl der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel vermag niemand anzugeben. Die Expertenschätzungen gehen bis zu 140 000 Präparaten, die der beim Gesundheitsamt ausgewiesenen Medikamente betragen rund 110 000. Dagegen werden von den niedergelassenen Ärzten durchschnittlich nicht mehr als 100 bis 200 Präparate verschrieben. Maximal diese Zahl würde ohne neue alternative Mittel ausreichen, um alle mit Arzneimitteln zu versorgen.
Dahinter steckt einzig und allein das Profitinteresse der Pharmaindustrie der Bundesrepublik als weltgrößter Arzneimittelexporteur mit einem Inlandsumsatz von 15 bis 20 Milliarden DM und einem Auslandsumsatz von noch einmal 14 Milliarden DM. Ein erheblicher Teil der Medikamente geht in die Länder der Dritten Welt. Hier hat die Pharmaindustrie ihr Hauptaugenmerk auf das Marketing und nicht auf die Gesundheit der Bevölkerung gerichtet. Denn der Markt dort wurde immer interessanter, da dort auch Medikamente auf den Markt gebracht werden können und Absatz finden, die hier entweder nicht mehr oder nur in ganz eingeschränkten Anwendungsgebieten verwendet werden dürfen. Periodische Katastrophen infolge der Vergiftung der Menschen durch den Vertrieb hochgefährlicher pharmazeutischer Produkte sind hinlänglich bekannt. Doch der zuständige Ausschuß konnte sich vor einiger Zeit noch nicht einmal dazu durchringen, sich mit der Frage nach solchen Exporten in die Dritteweltländer zu befassen.
Fazit: Eine Begrenzung der Zahl der Medikamente auf dem Inlandsmarkt und der Exportpräparate ist dringend geboten. Doch glaube ich nicht, daß wir dazu eine Form wählen müssen, wie sie die SPD in ihrem Gesetzentwurf vorsieht. Man erwartet hier Hilfe von einer stark zentralistisch gestalteten staatlichen Kontrolle, die von einem zentralen Arzneimittelinstitut ausgehen soll.
Die Erfahrungen zeigen allerdings, daß derartige große zentralistische staatliche Kontrollinstitute die Tendenz haben, sich am Ende nur noch selber zu verwalten und die Mißstände, die sie beseitigen sollten, zu guter Letzt nur noch zu registrieren, zu ordnen und zu verwalten. Dann wäre es doch sinnvoller, schon vorhandene Strukturen zu nutzen, z. B. das Bundesgesundheitsamt. Wie schon in Norwegen praktiziert wäre es möglich, in den vorhandenen Arzneimittelkommissionen neben Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auch die therapeutische Überlegenheit eines Medikaments als Kriterium für seine Zulassung mit heranzuziehen. Auch dies würde zu einer Bereinigung der Vielfalt der Präparate führen, und es bedürfte keines zweiten Instituts. Die Hersteller müßten allerdings auch dazu verpflichtet werden, sämtliche Unterlagen über die Medikamente herauszugeben.
Aber noch eine andere Befürchtung hege ich bei dem Vorschlag der SPD. Er könnte bewirken, daß alle anderen Präparate außer den schulmedizinischen aus der Bezahlung der Krankenkassen endgültig herausfallen. Dem könnte durch vier gleichberechtigte Kommissionen im BGA entgegengewirkt werden.
Es ist aber auch möglich, auf eine altüberkommene Institution zurückzugreifen, die Apotheken. Die rund 17 000 Apotheken in der Bundesrepublik könnten im Sinne einer dezentralisierten Gesundheitsberatung und als Teil kleiner sozialer Netze



Frau Wagner
sinnvoll tätig werden. Dazu ist es aber auch nötig, daß sich die Strukturen der Berufsausbildung und der Berufsausübung verändern. Im gängigen Betriebsablauf müßten sich sowohl das Selbstverständnis der Apotheker als auch die Finanzierung verändern. Es wäre doch vorstellbar, daß der Arzt nur noch den Wirkstoff verschreibt, und der Apotheker die Mittel zusammenstellt oder aussucht. Sie haben doch schon heute Zugang zu den wissenschaftlichen Informationen, wohl auch der industrieunabhängigen, über Arzneistoffe, ihr Wirkungen und Nebenwirkungen. Damit könnten diese Karteien den Patienten viel mehr nutzbar gemacht werden.
Bei solch einer Lösung fielen auch die vielen Pharmaberater weg, die auschließlich der Werbung und damit der Profitmaximierung dienen, und all die anderen betrieblichen Kostenfaktoren wie Werbung und Absatzstrategien. Aber auch die volkswirtschaftlichen Folgekosten bzw. Gesundheitskosten infolge der vielfältigen Nebenwirkungen fielen bei besserer Beratung und einer Begrenzung des Marktes weg.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014032900
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Marita Wagner (GRÜNE):
Rede ID: ID1014033000
Bitte.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014033100
Frau Abgeordnete, ich habe gerade mit Interesse gehört, daß Sie einer Dezentralisation der Apotheken das Wort sprechen. Wie viele Apotheken sollen dezentralisiert werden? Das kann ja wohl nur heißen: noch mehr Apotheken. Wenn Sie mir noch erklären, wie die Apotheker künftig neue therapeutische und pharmakologische Aufgaben ausfüllen können, dann würde ich Ihrem Vortrag noch interessierter zuhören können.

Marita Wagner (GRÜNE):
Rede ID: ID1014033200
Ich habe nicht davon gesprochen, daß die vorhandenen Apotheken dezentralisiert werden sollen, sondern ich habe gesagt, daß dadurch, daß schon 17 000 Apotheken auf dem Markt sind, eine Dezentralisierung gegeben ist. Das habe ich ausgeführt. Ich glaube, Sie haben mich da mißverstanden.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Wir sind also sehr wohl für eine deutliche Begrenzung der Anzahl der Medikamente und damit für eine deutliche Reduzierung der Ausgaben der Krankenkassen für Arzneimittel. Es müssen verstärkt qualitativ gute und billigere Arzneimittel angeboten und verwendet werden. Wir sind auch der Meinung, daß Verträge allein die Übermacht der Pharma-Industrie nicht zurückdrängen können, was sich immer wieder deutlich an den stets noch gescheiterten Verhandlungen zwischen Krankenkassen und dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie zeigt. Doch wir möchten andere Wege einschlagen als es die SPD hier vorschlägt. Die anstehende Novellierung des Arzneimittelgesetzes bietet uns die Möglichkeit — und wir werden sie nutzen —, unsere Vorstellungen dazu einzubringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014033300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.

Dr. Karl Becker (CDU):
Rede ID: ID1014033400
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der von der SPD-Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf zur Regelung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Herstellern

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Ist ein guter Gesetzentwurf!)

soll nach den Worten von Herrn Weinhofer

(Lutz [SPD]: Die klug waren!)

ein Entwurf sein, der Nägel mit Köpfen macht. Gewiß gibt es in dem Arzneimittelmarkt Verwerfungen. Aber wenn man sich diese Nägel einmal näher anguckt, kommt man darauf, daß das Stifte sind und die Köpfe nicht dabei sind; denn dieser Entwurf, meine Damen und Herren, stößt auf erhebliche gesundheitspolitische, aber auch ordnungspolitische Bedenken.

(Lutz [SPD]: Aha!)

Es ist auch mehr als fraglich, ob Sie mit diesem Entwurf der Zielsetzung, die Sie anstreben, der Sicherheit einer wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung, gerecht werden. Nicht die Tatsache, daß zwischen den Krankenkassen und den Pharmaherstellern keine gesetzlich fixierten Beziehungen bestehen — Sie nennen es „ein völlig ungeregeltes Verhältnis" —, hat hier zu überhöhten Preisen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung geführt. Längerfristig betrachtet sind die Arzneimittelausgabenanteile an den Gesamtausgaben zwischen 1970 und 1984 sogar von 17,5 auf 15 % zurückgegangen.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Machen Sie es doch einmal kurzfristig!)

Auch ihre Behauptung, daß keinerlei aussagekräftiger Überblick über das Verordnungsverhalten von Kassenärzten vorliege, ist unzutreffend; denn die Krankenkassen sind sehr wohl über das Wirtschaftswissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen über die Verordnungsweise der Kassenärzte, zumindest über die 500 meistverordneten Medikamente, informiert.

(Lutz [SPD]: Und bestürzt!)

Und die machen über zwei Drittel der gesamten Arzneimittelausgaben aus.
Außerdem verlangen Sie in Ihrem Entwurf bei Fertigarzneimitteln von den Herstellern Unmögliches; denn diese sollen Daten zur Beurteilung des Verordnungsverhaltens der Kassenärzte ermitteln. Der Arzneimittelproduzent ist lediglich in der Lage, anzugeben, wieviel er insgesamt hergestellt und abgegeben hat. Er ist jedoch außerstande, festzustellen, in welchem Umfang Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung von den Ärzten verordnet wurden.



Dr. Becker (Frankfurt)

Sie wollen zur Lösung eines vermeintlichen Problems ein Arzneimittelinstitut installieren, das dann eine Liste von verordnungsfähigen Arzneimitteln erarbeiten soll. Wir nennen das schlicht eine Positivliste. Aber gegen diese haben wir ganz erhebliche Bedenken.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Haben Sie denn auch etwas gegen eine Negativliste?)

Als dirigistische Maßnahme paßt sie nicht in das System der Marktwirtschaft, genauso wie die Negativliste, und hat ganz massive Nachteile; denn hier würde dann ein Zweiklassensystem im Arzneimittelbereich eingerichtet.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014033500
Herr Dr. Becker, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Dr. Karl Becker (CDU):
Rede ID: ID1014033600
Gern, Herr Lutz.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014033700
Herr Kollege, nachdem Sie etwas gegen die Positivliste und etwas gegen die Negativliste haben, frage ich Sie, ob Sie etwas gegen Nestroy haben, der gesagt hat: „Hier ruht ein Arzt, o Wanderer, der Gutes stiftete und sich vergiftete statt anderer"? Haben Sie dagegen auch etwas?

Dr. Karl Becker (CDU):
Rede ID: ID1014033800
Nicht daß ich wüßte. Ich bewundere nur Ihre entsprechenden Kenntnisse aus dem Bereich der österreichischen Literatur.
Der Arzneimittelmarkt, meine Damen und Herren, wird durch Ihren Entwurf gespalten, in einen Markt krankenkassenfähiger und einen Markt anderer Arzneimittel. Diese Marktspaltung kann sogar zum Nachteil der gesetzlichen Krankenversicherung sein. Die Marktspaltung würde noch verstärkt durch die Doppelkonditionierung, die Sie fordern, denn zu der Auswahlentscheidung des Arzneimittelinstituts verlangen Sie noch ein Auswahlprinzip der Preisverträge zwischen den Arzneimittelherstellern und den Krankenkassen.
Heute ist Verfassungstag, und da wundert es nicht, da man diesen Entwurf auch einmal auf seine Verfassungsmäßigkeit abklopft. Wir sehen bei dem SPD-Entwurf außerordentlich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken,

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Da haben Sie sich doch schon so oft geirrt!)

denn Sie führen mit Ihrem Arzneimittelinstitut eine Zweitzulassung von Arzneimitteln ein; Herr Cronenberg hat das schon gesagt. Neben der durch das Arzneimittelgesetz geregelten Zulassung durch das Bundesgesundheitsamt wird mit den gleichen Kriterien wie dort, nämlich Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität, eine weitere Zulassung von Arzneimitteln in der kassenärztlichen Versorgung eingerichtet. Eine solche Doppelzulassung dürfte aber für die Arzneimittelhersteller verfassungsrechtlich unzumutbar sein.
Wir haben außerdem gesundheitspolitische Bedenken bei einer solchen Positivliste. In diese Listen werden vermutlich eher die stärker wirksamen
Arzneimittel aufgenommen, mit denen tendenziell auch ein höheres Nebenwirkungsrisiko verbunden ist, sehr zum Nachteil der Patienten.

(Zuruf des Abg. Lutz [SPD])

Die Ärzte werden sich durch eine solche Liste in ihrer Therapiefreiheit eingeengt sehen, denn hier geht es vor allem um die Therapiemöglichkeiten, die dem Arzt zugunsten des einzelnen Patienten zur Verfügung stehen.
Was brächte so eine Liste außerdem für die Patienten, muß man sich fragen. Es wird sich zwangsläufig bei den Kassenpatienten ein neues, negatives Klassenbewußtsein entwickeln — Herr Cronenberg ging darauf ein —: der Privatpatient kann seine vertrauten Medikamente nehmen, er braucht nicht darauf zu verzichten, er kann neuzugelassene Arzneimittel sofort in seiner Behandlung nutzen. Der Kassenpatient sieht sich demgegenüber benachteiligt. Er muß das nehmen, was das Arzneimittelinstitut und was der Zulassungsvertrag für richtig befinden. Bei neuen Medikamenten muß er warten, bis die Zweitzulassung erfolgt ist.
Eine ganze Reihe von Naturheilmitteln einschließlich homöopathischer Medikamente würden in den Maschen der Prüfverfahren hängenbleiben, gewiß nicht zum Nutzen der Allgemeinheit und der Patienten. Keine Liste kann die individuellen Unterschiede der Patienten berücksichtigen, wie etwa die oft stark unterschiedlichen Reaktionsweisen und die seelische und soziale Situation im Zeitpunkt der Medikation.
Auch die pharmazeutische Industrie hätte gravierende Schädigungen zu erwarten. Das Risiko bei Forschung, Innovation und Entwicklung neuer Arzneimittel würde erheblich vergrößert, die Doppelzulassung macht es sogar unkalkulierbar. Dies führt dann dazu, daß die Forschungsaktivitäten massiv reduziert werden mit der Folge, daß auch der Arzneimittelexport — hier haben wir eine führende Stellung in der Welt — für die deutsche pharmazeutische Industrie entscheidend geschwächt würde. Das Sortiment, aus dem der Export gespeist wird, würde zunehmend auf Präparate der Positivliste begrenzt, und die Zahl der zum Export zur Verfügung stehenden Medikamente würde damit reduziert.
Eine solche Positivliste wird insbesondere die kleinen und mittleren Pharmahersteller treffen, wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Medikamente auf die Positivliste zu bringen. Dies dürfte ihnen viel schwerer fallen als den großen Produzenten. Damit ist aber zu befürchten, daß auf dem Arzneimittelmarkt erhebliche Strukturveränderungen eintreten. Die Folge wären Konzentrationstendenzen — die Sie eigentlich sicher nicht wollen — und damit auch eine Gefährdung der Preisstabilität zum Nachteil der gesetzlichen Krankenversicherung.

(Abg. Lutz [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Zu fragen ist auch, ob eine solche Liste die Kosten im Arzneimittelbereich wirklich senken würde. Zunächst einmal würde der SPD-Vorschlag mehr



Dr. Becker (Frankfurt)

bürokratischen Aufwand und mehr Kosten bringen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014033900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Karl Becker (CDU):
Rede ID: ID1014034000
Wenn es geht, ja.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014034100
Zur Belebung der Debatte.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1014034200
Herr Kollege, ich habe nur eine ganz kurze Frage. Ich dachte immer, Medikamente seien zum Gesunden des Patienten da und nicht zur Förderung des Mittelstandes.

Dr. Karl Becker (CDU):
Rede ID: ID1014034300
Es ist doch so, daß wir in diesem Bereich alle Aspekte, sowohl die vom Hersteller wie auch vom Patienten, vom Arzt, vom Apotheker und von den damit Befaßten betrachten müssen, Herr Lutz.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Von den Lebendigen und von den Toten, was?)

Um noch einmal auf diese Frage zu kommen, wieweit wirklich Kosten gesenkt würden, denn das ist ja die Voraussetzung, von der Sie ausgehen. Zunächst einmal würde der SPD-Vorschlag mehr bürokratischen Aufwand und mehr Kosten bringen. Das ist nichts Neues bei Ihnen.
Die Erfahrungen in der Schweiz und in Österreich, in denen es solche Positivlisten seit Jahren gibt, zeigen aber, daß diese Listen keineswegs vermocht haben, einen der Bundesrepublik Deutschland vergleichbaren Ausgabenanstieg für Arzneimittel zu verhindern. Sie sind praktisch in der gleichen Weise parallel angestiegen.
Diese Feststellung kann nicht überraschen; denn eine medikamentöse Therapie wird ja nicht zwangsläufig billiger, weil die Medikamente aus einer geringen Anzahl ausgewählt werden. Unwirtschaftliches Behandeln ist sicher nicht nur eine Frage des Medikamentenangebots.
Die zahlreichen gesundheitspolitischen und ordnungspolitischen Bedenken sprechen gegen den SPD-Entwurf und viel eher für die Weiterverfolgung des Regierungskonzeptes. Dieses bevorzugt die mittelbare Beeinflussung des Preiswettbewerbs unter den Arzneimittelherstellern.

(Zuruf von der SPD: Ich glaube das nicht!)

— Jetzt hören Sie gut zu: In erster Linie soll das wirtschaftliche Verordnungsverhalten der Kassenärzte durch eine Verbesserung ihrer Information im Rahmen einer neuen Preisvergleichsliste verstärkt werden. Außerdem sind Anreize zu schaffen, die die Kassenärzte zu wirtschaftlichen Verordnungsweisen konkret veranlassen. Dazu können Sie mithelfen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1014034400
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2633 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN
Militarisierung des Weltraums — Drucksache 10/2378 —
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/3388 und 10/3396 und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3392 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lange.

Torsten Lange (GRÜNE):
Rede ID: ID1014034500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als sich die Fraktion der GRÜNEN vor über einem halben Jahr entschloß, eine Große Anfrage an die Bundesregierung zur Militarisierung des Weltraums zu richten, war uns durchaus bewußt, daß dieser Regierung Zeit zur Beantwortung zugestanden werden müßte.

(Vor sitz : Vizepräsident Cronenberg)

Schließlich waren wir alle mehr oder weniger von der Entwicklung überrascht. Ich denke, es ist nicht übertrieben, zu sagen, daß auch heute noch tagtäglich mehr Fragen auftauchen, als Antworten gegeben werden können. Dies liegt in der Natur der Sache und kann niemandem vorgeworfen werden: Der offen forcierte militärische Sprung in den Weltraum bedeutet eben zugleich einen qualitativen Sprung in der sicherheitspolitischen Diskussion.
Wir haben uns nunmehr allerdings dazu durchgerungen, die schriftliche Antwort der Bundesregierung nicht länger abzuwarten, weil sich in uns der Eindruck verstärkt hat, daß der Bundeskanzler und seine von ihm geführte Regierung ungeachtet aller Zweifel auch in seiner Partei der Öffentlichkeit ein abwägendes Verhalten vorspielt, sich jedoch klar für eine Beteiligung an der Weltraumrüstung entschieden hat. Die sprachliche Nebelwand, die dabei vor der Öffentlichkeit aufgebaut wird, kann darüber nicht hinwegtäuschen: Man muß sich einmal näher vor Augen führen, was der Bundeskanzler jüngst in Stuttgart vor der Nordatlantischen Versammlung gesagt hat. Er sagte:
10396 Deutscher Bundestag — 1U. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Mai 1985
Lange
Die Strategische Verteidigungsinitiative von Präsident Reagan bedeutet für das Nordatlantische Bündnis Chance und Risiko zugleich. Ich sehe vor allem auch eine bedeutende Chance darin. Wir können heute nicht voraussagen, ob sie sich als ein Mittel alternativer Kriegsverhinderung und als ein Weg zur verminderten Abhängigkeit von den nuklearen Waffen und zu ihrer letztlichen Beseitigung erweisen wird.
Sie sehen, meine Damen und Herren: eine geradezu klassische sprachliche Strategie der flexible response! Die Chancen nennt der Bundeskanzler; aber wo ist das Risiko näher beschrieben, das zu erfahren die Öffentlichkeit doch ein Recht hat?
Weiter führte er aus:
Für das Nordatlantische Bündnis bleibt insbesondere wichtig: Die Sicherheit Europas darf nicht von der Sicherheit der USA abgekoppelt werden.
Die NATO-Strategie der flexiblen Antwort bleibt so lange unverändert gültig, solange keine für die Kriegsverhinderung erfolgversprechendere Alternative gefunden ist. Konkrete Forschungsergebnisse müssen in gemeinsame, in kooperative Lösungen einmünden.
Diese Sätze klingen nach Junktim. Derjenige, der in der Politik ein Junktim herstellt, hat in der Regel ein starkes politisches Rückgrat, ein starkes Selbstbewußtsein.
Nur: Gestatten Sie uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fragen andersherum zu stellen. Sagt der Herr Bundeskanzler Helmut Kohl in Washington nein zu SDI, wenn feststeht, daß hier in Europa Zonen minderer Sicherheit entstanden sind? Was wird er dem jetzigen oder künftigen US-Präsidenten entgegenhalten, wenn — was abzusehen ist — keine kooperativen Lösungen zustande kommen? Hat der Bundeskanzler nicht mitbekommen, daß Präsident Reagan und seine Administration in dem Militarisierungsprogramm eine moralische und den Erfordernissen der Zeit angepaßte Ablösung der Flexible-response-Strategie der NATO sehen?
Um weiter auf Herrn Kohls Rede in Stuttgart am 20. Mai einzugehen: Wenn er den sowjetischen Verteidigungsminister Sokolow erwähnt, der Forschungen der UdSSR im Bereich der strategischen Verteidigung eingeräumt hat, was hat dieser Hinweis für einen Sinn, wenn damit nicht gesagt werden soll, daß wir nun ebenfalls auf diesen Zug aufspringen müssen? Was soll die Aussage „Die Bundesregierung prüft die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit beim Forschungsprogramm" anderes heißen, als daß die Zusammenarbeit selbst für sie, die Bundesregierung, schon beschlossene Sache ist?

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Genau!)

Weil sich diese Entwicklung nun so herauskristallisiert hat, erlangt unsere Große Anfrage, gemessen am Herbst, einen anderen Stellenwert. Die Öffentlichkeit hat unserer Auffassung nach ein Anrecht darauf, Begründungen der Bundesregierung zu hören, warum sie Chancen der Weltraummilitarisierung hervorhebt, Risiken dagegen verschweigt.

(Zustimmung des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

In unserer Anfrage sind die vier großen Bereiche Außenpolitik, Militärstrategie, Rüstungskontrolle und Wirtschaft tangiert. So möchten wir Antworten auf folgende Fragenkomplexe haben: Wie ist der angeblich so partnerschaftliche Umgang im NATO- Bündnis zu beurteilen, wenn man das Procedere der SDI-Entwicklung betrachtet? Verabschieden sich die USA und die UdSSR vom ABM-Vertrag? Wie steht es überhaupt mit der technischen Machbarkeit und Finanzierbarkeit des SDI-Programms? Wird die flexible response aufgegeben? Werden die europäischen Staaten nunmehr formell zu Zonen minderer Sicherheit — oder besser gesagt: zu Zonen höherer Kriegswahrscheinlichkeit — gemacht? Wie steht es mit den Folgen für die Rüstungskontrolle und Abrüstungsinitiativen?

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Schlecht!)

Gibt es Garantien für die Trennung von militärischer und ziviler Weltraumforschung? Inwieweit ist die Bundesrepublik direkt oder indirekt an bereits laufenden Projekten militärischer Forschung und Entwicklung für den Weltraum beteiligt? Sind Laserwaffentechnik, NAVSTAR, Spacelab, Aufklärungssatelliten und EURECA Instrumente, welche die Kriegsgefahr verschärfen oder vermindern? Welche Alternativen gibt es, um über den Weltraum eine Abrüstungsspirale in Bewegung zu setzen?
Das sind alles Fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die uns auf den Nägeln brennen sollten. Solange hier nicht klare, unmißverständliche Antworten auf dem Tisch liegen, halten wir an unserer Einschätzung fest, die ich bereits im April anläßlich der Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu SDI genannt habe: Die Militarisierung des Weltraums ist keine Defensivmaßnahme, sondern ein Offensivkonzept mit verheerenden Auswirkungen auf das gesamtpolitische Klima in näherer Zukunft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir dürfen die Diskussion nicht auf der falschen Ebene führen. Nicht um die Abschaffung oder das Überflüssigmachen von Angriffswaffen geht es, sondern um deren Ergänzung mit dem Ziel der Erlangung der Erstschlagsfähigkeit.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Genau!)

Der frühere Vorsitzende des US-Senatsausschusses für die Streitkräfte und heutige Verhandlungsführer in Genf, John Tower, führte im September 1982 aus — ich darf ihn zitieren —: „Ich glaube, wir sollten keine Erstschlagspolitik verfolgen, aber wir sollten über eine Erstschlagsfähigkeit verfügen."
Die geheime Luftwaffen-Direktive Air Force 2 000 vom Juni 1982 erklärt als Ziel die Überlegenheit im Weltraum. Edward Aldrigde, Undersecretary der Air Force, erklärt, warum — auch hier zitiere ich —: „Wir brauchen unsere Vorstellungskraft nicht besonders anzustrengen, um zu sehen, daß diejenige Nation, die den Weltraum kontrolliert, auch die Welt kontrollieren wird."



Lange
Ich denke, meine Damen und Herren, das ist das militärstrategische Konzept der derzeitigen US- Administration, das in der Diskussion noch häufiger zur Geltung kommen sollte.
Wer glaubt, sich mit technologischen oder ökonomischen Argumenten - wie etwa der baden-württembergische Ministerpräsident Späth — aus der Verantwortung für das Anwachsen von strategischer Instabilität im globalen Maßstab davonstehlen zu können, dem sagen wir, daß wir GRÜNEN jedenfalls nicht lockerlassen werden, wenn es darum geht, die wirklichen Gefahren der Aufrüstung im All aufzuzeigen. Notizen aus der Provinz dieser Art sind überhaupt nicht geeignet, Überlebensfragen angemessen zu beantworten.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Und der Riesenhuber fehlt mal wieder! — Beifall bei den GRÜNEN)

Auch — und dies sage ich mit Blickrichtung auf Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die Sie mit bemerkenswerter Klarheit ein Nein zu SDI sagen, jedoch mit bemerkenswerter Undeutlichkeit ein Ja zu anderen Formen von Weltraumrüstung murmeln — deutsch-französische Gemeinschaftsprojekte wie EURECA sind keine akzeptablen Alternativen. Mir ist ein Satz des Präsidenten des Verteidigungsausschusses der Französischen Nationalversammlung, Monsieur Darinot, der gestern zu Gast hier im Verteidigungsausschuß war, in Erinnerung geblieben. Er sagte: „Während SDI ein militärisches Programm mit zivilem Abfall ist, ist EURECA ein ziviles Programm mit militärischem Abfall." Dies sollte Ihnen zu denken geben, wenn Sie von einem Nein zur militärischen Forschung und Entwicklung reden. Wäre ich sicher, daß der militärische Abfall auch in die Mülltonne geworfen würde, könnte man möglicherweise auch mit uns GRÜNEN über zivile Weltraumtechnologien reden. An eine solche Möglichkeit ist jedoch realistischerweise nicht zu denken.
Was hindert die Bundesregierung daran, den Vorschlag zur Schaffung einer internationalen Satellitenbehörde zum Zwecke der Rüstungskontrolle und zur Sicherung zwischenstaatlicher Streitigkeiten zu unterstützen und das Zustandekommen eines Vertrages zur Schaffung einer solchen Behörde voranzutreiben? Wir GRÜNE schließen uns erneut diesem Vorschlag an. Das politisch Konstruktive liegt im internationalen Charakter einer solchen Organisation über die Ost-West-Grenzen hinweg.
Meine Damen und Herren, mit der Rüstungsspirale im Weltraum verhält es sich genauso wie mit derjenigen auf der Erde. Will man weiterdrehen, so billigt man sie und beteiligt sich daran. Will man Abrüstung und Frieden entwickeln, dann läßt man die Finger von ihr und trägt dazu bei, daß ihre Richtung sich nach unten hin ändert.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014034600
Das Wort hat Professor Abelein.

Dr. Manfred Abelein (CDU):
Rede ID: ID1014034700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Welches ist die Ausgangssituation? Nach den vorangegangenen Ausführungen sollte man meinen, die Amerikaner streben die Weltherrschaft über eine Militarisierung des Weltraumes an und sind auf diesem Wege bereits sehr weit fortgeschritten. Die Situation ist aber genau umgekehrt. Es ist die Sowjetunion, die seit längerer Zeit Waffentechnologien, die aus dem Weltraum zu strategischen Zwecken eingesetzt werden können, erforscht. Es ist die Sowjetunion, die bisher als einziger Staat bereits über ein einsatzbereites Antiraketensystem verfügt und dieses System ständig weiterentwickelt. Es ist die Sowjetunion, die als erste Nation die Bekämpfung von Satelliten mit Antisatelliten erprobt und erforscht hat und dabei auch ziemlich erfolgreich war. Das heißt, die Situation ist genau umgekehrt, als es die Opposition des Deutschen Bundestages glauben machen möchte.

(Zuruf von der SPD: Welche Opposition?)

Von daher ergibt es sich eigentlich zwangsläufig, daß im Interesse der Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes als der Grundlage der Aufrechterhaltung des Friedens die Amerikaner geradezu gezwungen werden, entsprechende Überlegungen anzustellen. Bezeichnend ist, daß die Proteste von seiten der Opposition nicht eingesetzt haben, als die Sowjetunion sich vor über einem Jahrzehnt anschickte, den Weltraum zu militarisieren, sondern jetzt, da die Amerikaner versuchen, ein gefährliches Ungleichgewicht auszugleichen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Reden Sie mal über Qualitäten!)

Gegenwärtig handelt es sich bei den Vorschlägen des amerikanischen Präsidenten um ein reines Forschungsprogramm, das Reagan für fünf Jahre initiiert hat. Dieses Programm soll die Möglichkeiten untersuchen, ballistische Raketen beziehungsweise die von ihnen ausgestoßenen nuklearen Gefechtsköpfe durch neuartige nichtnukleare land-, see-, luft- oder weltraumgestützte Waffen abzubauen. Über die Kosten wird sicher nachher der Herr Bundesverteidigungsminister etwas sagen. Nur soviel läßt sich sagen: Ein so gigantisches Forschungsprojekt wird auf vielen Gebieten der Elektronik, Datenverarbeitung, Metallurgie, Optik, Chemie, Physik und des Maschinenbaus wichtige neue Erkenntnisse erbringen, die auch für die zivile Anwendung von großer Bedeutung sein werden.
Die Weltraumforschung der Amerikaner hat wichtige Impulse für neue Industriezweige gebracht. Aus den daraus hervorgehenden technologischen Ergebnissen resultiert ein Teil des bewundernswerten amerikanischen Wirtschaftsaufschwungs und die Schaffung mehrerer Millionen Arbeitsplätze. Es ist deswegen natürlich,

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Eine Illusion!)

daß eine Industrienation ersten Ranges wie die Bundesrepublik Deutschland ein Interesse an diesen Entwicklungen hat. Deshalb hat die Bundesrepublik Deutschland auch eine Bereitschaft zur Kooperation gezeigt, die sich aus der Verantwortung für Wirtschaft, für die Sicherheit und für die Arbeitsplätze ergibt.



Dr. Abelein
Diese Bereitschaft ist natürlich nie bedingungslos erklärt worden. Aber die Bedingungen dürfen auch nicht so aufgehäuft werden, daß dahinter die Bereitschaft überhaupt nicht mehr sichtbar ist.
Der französische Staatspräsident hat im übrigen eine mögliche Zusammenarbeit keineswegs grundsätzlich abgelehnt. Er sagte nur, bei der gegenwärtigen Form sehe er keine Möglichkeit für eine Zusammenarbeit. Gleichzeitig aber reisen französische Delegationen in die USA, um gerade dieses Problem zu besprechen und zu studieren.
Es kam — das muß leider erwähnt werden — von amerikanischer Seite, aber nicht von Reagan, relativ früh das Wort von den „europäischen Zulieferern" in die Diskussion. Das war natürlich nicht sehr geschickt.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Aber realistisch!)

Das hat als ein Reizwort natürlich vor allem zu den französischen Verstimmungen beigetragen.
Die Europäer haben die Rolle des Zulieferers überhaupt nicht nötig. Der europäische Standard von Technologie und Wissenschaft ist bereits so hoch, daß die Europäer einen sehr wesentlichen Beitrag zu diesem System leisten können. Nach vorliegenden Informationen sind die europäischen Wissenschaftler der verschiedenen Nationen in der Lage, aus eigenen Forschungsergebnissen bereits 80 % zu einem ähnlichen System beizusteuern.

(Abg. Dr. Klejdzinski [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014034800
Herr Professor, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Manfred Abelein (CDU):
Rede ID: ID1014034900
Nein, keine Zwischenfrage. — Das heißt, die europäische Wissenschaft und Technik ist durchaus in der Lage, einen sehr wesentlichen Beitrag zu dem in Frage stehenden Projekt zu leisten, natürlich nicht auf einer transatlantischen Einbahnstraße, sondern auf der Basis einer gleichberechtigten Partnerschaft. Wenn ich unsere amerikanischen Kollegen auf der jüngsten Tagung der Atlantischen Versammlung richtig verstanden habe, gehen die Amerikaner ebenfalls davon aus. Präsident Reagan hat nie etwas anderes gesagt.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Dann haben Sie keine Ahnung!)

Der Einwand — er ist heute wieder gekommen —, man könne zu modernen technischen Entwicklungen auch durch eine rein zivil motivierte Forschung kommen, ist zweifellos nicht falsch.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Im Gegenteil!)

Er ist genausowenig falsch wie der umgekehrte Satz, über militärisch motivierte Forschungen könne man auch zu wichtigen zivilen Erkenntnissen kommen. Es gibt genug Beispiele für beide Entwicklungen. Aus zivilen Entwicklungen haben sich militärische Anwendungsmöglichkeiten ergeben, und aus militärischen Entwicklungen haben sich zivile Anwendungsmöglichkeiten ergeben.

(Zuruf des Abg. Dr. Klejdzinski [SPD])

Diese Ambivalenz liegt in der menschlichen Natur. Die Zweckrichtung kann verschieden sein.
Sie können Gegenstände wie Küchenmesser bis hin zur Atomenergie für gute und für moralisch verwerfliche Zwecke verwenden. Sie können sie zum Heilen von Menschen und zum Töten von Menschen nutzen. Ein Projekt, wie es hier zur Debatte steht, macht davon keine Ausnahme.

(Zuruf von der SPD)

Zweifellos gilt das auch für die Navigationssatelliten. Den Sensoren, die sich für Meteorologie, Geodäsie und Erderkundung einsetzen lassen, lassen sich auch für Aufklärungen militärischer Art einsetzen. Das gilt vermutlich auch — ich nehme an, wir hören nachher dazu Präziseres — für die Navigationssatelliten und im übrigen nicht nur für NAVSTAR in den USA, sondern auch für GLONASS in der UdSSR. Das galt schon immer; das galt auch für den guten alten Magnetkompaß, mit dem Sie Passagierschiffe für Ferienreisende oder aber U-Boote zu jeweils sehr unterschiedlichen Zielen lenken können.
Besonders hervorzuheben ist, daß das SDI-Projekt nicht der Entwicklung von Angriffswaffen dient, sondern dem Gegenteil.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Die jahrelangen Bemühungen um Abrüstung haben eigentlich zum Ziel, das Arsenal der atomaren Waffen zu reduzieren, und just das ist das Ziel von SDI. Deswegen war ich heute über Ihren Beitrag überrascht. Ich dachte, es käme eine vehemente Befürwortung von grüner Seite für SDI; denn hier haben Sie ein konkretes Projekt für die Abrüstung und für die Reduzierung von Atomwaffen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Dann waren Sie wochenlang nicht im Plenum, Herr Abelein!)

Meine Damen und Herren, abschließend noch zur europäischen Situation. Es gibt sicher westeuropäische Interessen. Die französischen Partner haben auf ihre besondere Situation, auf die Bedeutung und auch auf die Relativierung der Atomwaffen in britischer und französischer Hand hingewiesen, die unter Umständen einen geringeren Schutz ausüben könnten, wenn die beiden Großmächte ihren Schutz gegen die Nuklearraketen aufgebaut haben. Zweifellos spielen auch die Kurz- und Mittelstreckenwaffen dabei eine Rolle. Es ist uns versichert worden, daß auch diese Waffen in einen Abwehrschirm entsprechend den SDI-Forschungen einbezogen werden können. Der amerikanische Präsident Reagan hat schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt darauf hingewiesen, daß die SDI-Forschung nicht nur den Schutz der USA, sondern besonders auch den der Verbündeten betreffen soll und daß auch Kurz- und Mittelstreckenwaffen davon betroffen sind.
Insgesamt möchte ich abschließend feststellen: Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge und Informationen erscheint uns das SDI-System als ein Mittel, die Anzahl der Atomwaffen, die die Menschen bedrohen, zu verringern und damit einen Bei-



Dr. Abelein
trag zur Sicherung des Friedens zu leisten. Die Haltung der Bundesregierung dazu hat sich seit den ersten Erklärungen bis auf den heutigen Tag nicht geändert.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Beifall von sieben Abgeordneten der CDU!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014035000
Das Wort hat der Abgeordnete Klejdzinski.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Wo sind denn die Kollegen, Herr Klejdzinski? Nur vier Leute da! Trauerspiel!)


Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1014035100
Passen Sie bitte einmal auf Ihre Fraktion auf; da haben Sie genügend zu tun, Herr Schierholz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Abelein hat hier gerade in einer Schlichtheit eine Konzeption vorgetragen, die, wenn man sie durchdenkt, nur mit folgenden Bemerkungen beurteilt werden kann.
Erste Bemerkung dazu. Herr Abelein hat sich nach meiner Einschätzung mit dem Technologietransfer zwischen den Vereinigten Staaten, der Bundesrepublik Deutschland und den europäischen Nationen bisher in keiner Weise grundsätzlich befaßt.
Zweite Bemerkung dazu. Wer glaubt, daß SDI grundsätzlich ein Mittel ist, allein oder in dieser Ausschließlichkeit dem Frieden zu dienen, dem mag ich in einem Punkt folgen: daß seine Einschätzung so gelagert ist, daß er zu keinen anderen Denkansätzen fähig ist. Aber grundsätzlich kann ich zu dem Versuch, hier noch wissenschaftlich darzulegen, daß das ausschließlich so sein kann, nur sagen: Lieber Herr Abelein, denken Sie bitte als Professor irgendwo in einem Stübchen nach!
Anlaß der heutigen Debatte ist die Große Anfrage der Fraktion der GRÜNEN „Militarisierung des Weltraums" vom 15. November 1984,

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Richtig!)

die die Bundesregierung bisher nicht beantwortet hat.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Skandal!)

Seit über sechs Monaten wartet dieses Parlament auf die Stellungnahme dieser Bundesregierung.

(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Und da stellt sich der Vertreter der Koalition, der Professor Dr. Abelein, hierhin und erklärt mit aller Deutlichkeit: Die Bundesregierung hat einen Standpunkt in dieser Frage, sie hat sich bisher in dieser Frage geäußert, und sie wird weiterhin bei ihrer Äußerung bleiben. Dies bedeutet für mich konsequenterweise nur, daß diese Bundesregierung keinen Standpunkt hat, zumindest keinen veröffentlichbaren Standpunkt, weil sie sich bisher in dieser Frage grundsätzlich ja noch nicht geäußert hat, es sei denn, wir würden auf die Idee kommen, zu sagen: Der Verteidigungsminister hat sich irgendwo — auf der wehrpolitischen Tagung in München —
zaghaft geäußert, der Forschungsminister hat sich ebenfalls irgendwo geäußert, und zwar in einer ganz anderen Art und Weise,

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Hinter verschlossenen Türen!)

und dann gibt es noch die Stellungnahme des kleineren Koalitionspartners, der FDP.

(Frau Seiler-Albring [FDP]: Größer als Sie!)

Da hat sich natürlich der Außenminister sehr klar und deutlich geäußert, für mich in einem hohen Maße erfreulich. Nur hat er diesbezüglich nicht die Zustimmung des größeren Koalitionspartners erfahren, wobei ich wiederum nur schließen kann, daß die Koalition gegenwärtig in dieser Frage nicht die notwendige Geschlossenheit zeigt, die hier vermittelt werden muß. Anders ausgedrückt: Sie ist in dieser Frage zerrissen bis dorthinaus.

(Beifall bei der SPD — Dr. Schierholz (GRÜNE]: Und das Orakel aus München, vergessen Sie das nicht, Herr Klejdzinski! — Zurufe von der SPD)

— Ich danke für den Hinweis auf das Orakel aus München. Aber dieses Orakel aus München weiß manchmal die Koalition viel besser einzuschätzen, als sie von denen, die in Bonn in dieser Koalition sind, eingeschätzt wird.

(Lattmann [CDU/CSU]: Das ist ja ganz was Neues!)

— Ja, natürlich ist das was Neues. Sind Sie CSU- Abgeordneter?

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Noch nicht!)

— Noch nicht. Gut, danke.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie auch noch nicht?)

Schweigen ist sicherlich auch eine Antwort in dieser Frage. Ich bin an sich dankbar, daß man das in dieser Art und Weise auch einmal austragen kann.
Der Bundeskanzler hat sich einmal zur Strategischen Verteidigungsinitiative geäußert. Er hat nämlich gesagt: Die Strategische Verteidigungsinitiative von Präsident Reagan wird das beherrschende sicherheitspolitische Problem der vor uns liegenden Jahre sein und maßgeblich das Ost-West-Verhältnis wie auch das Verhältnis USA/Europa beeinflussen. Ich stimme dem ausdrücklich zu. Aber die Einschätzung, die Wertschätzung, was dort im einzelnen des Verhältnis Europa/USA belastet, ist für mich, wenn man so will, als Sprengstoff für dieses Bündnis inhaltlich angelegt.
Wir Sozialdemokraten meinen: Im Interesse eines stabileren Friedens darf nicht eine neue Rüstungsdimension im Weltraum entstehen. Ein Wettrüsten mit Weltraumwaffen und anderen destabilisierenden Weltraumobjekten muß mit allem Nachdruck verhindert werden. Diese neue Rüstungsdimension — dort unterscheiden wir uns in einem wesentlichen Punkte von Herrn Abelein und dem, was er vorhin vorgetragen hat — wird voraussicht-



Dr. Klejdzinski
lich mehr Instabilität statt Stabilität, Unsicherheit statt Sicherheit, Aufrüstung statt Abrüstung und möglicherweise eine Vermehrung der offensiven Nuklearwaffen bringen.

(Beifall des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

Ich habe vorsichtig formuliert: möglicherweise. Wenn Sie mich um meine ganz private Meinung fragen, würde ich sagen: Sie werden vermehrt.
Deswegen bleibt unsere Forderung, daß es so schnell wie möglich in Genf ein Abkommen geben muß, das ausdrücklich jegliche Militarisierung im Weltraum, wenn man so will, ausschließt. Die Sozialdemokratische Partei hat zu diesem Punkt einen Entschließungsantrag eingebracht, der lautet: „Die gemeinsamen Aufgaben Europas in der Weltraumpolitik", und dies mit einem guten Grund:

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Händedruck mit Genscher!)

Es gilt, die europäischen Interessen gegen die Interessen der USA zu setzen, nicht weil wir nicht Freunde der Vereinigten Staaten sind, sondern weil es gilt, Europa in seiner Selbstbehauptung in dieser Frage einen Weg zu weisen, der uns auch einmal als dialogfähigen Partner in der Auseinandersetzung zeigt, daß wir nicht immer das nachvollziehen müssen, was die USA im einzelnen glauben, daß wir tun müßten.
Im Interesse von Europa kann es nicht sein, daß mit der Militarisierung des Weltraums eine neue Rüstungsdimension im einzelnen geschaffen wird und damit wiederum — weitere Komponenten — die Unsicherheit, die Instabilität und anderes bewirkt werden.
Wir Sozialdemokraten warnen davor, durch technische Gigantomanie den Frieden sichern zu wollen. Wir sollten uns auf Rüstungskontrolle und Abrüstungsbemühungen konzentrieren. Hier ist nach meiner Ansicht die Bundesregierung aufgefordert zu handeln. Wir sollten unsere Energie darauf verwenden, die Bewaffnung des Weltraums zu verhindern und statt dessen die friedliche Nutzung des Weltraums in Zusammenarbeit mit allen Nationen voranzutreiben.
Ich bin mir natürlich darüber im klaren, daß viele Projekte, die gegenwärtig im Weltraum laufen und die zivil angelegt sind, sicherlich auch eine militärische Nutzung ermöglichen. Das ist in letzter Konsequenz nicht so voneinander zu trennen, wie wir es gerne haben möchten. Wer glaubt, daß man das in dieser Trennschärfe erledigen kann, weiß letztlich nicht, wovon er redet. Aber unsere Zielsetzung muß sein, in erster Linie die zivile Nutzung des Weltraums zu sehen.
Wir meinen — das vertreten wir mit allem Nachdruck —, daß in Anbetracht der Mengen von Massenvernichtungsmitteln, die in Ost und West angehäuft sind, letztlich nur noch die Sicherheitspartnerschaft mit vertrauensbildenden Maßnahmen eine Möglichkeit ist — die Sicherheitspartnerschaft bedeutet im Gegensatz zum SDI-Programm den schrittweisen Weg —, von militärischer Abschrekkung zu abrüstungspolitischen Vereinbarungen zu kommen. Vertrauensbildung kann nur auf politischem Weg erreicht werden und nie auf einem militär-strategischen Weg.
Die SPD ist der Meinung, daß die Abrüstungsverhandlungen die Einführung neuer Rüstungsdimensionen verhindern müssen und nicht legitimieren sollen. Deshalb spricht sich die SPD in ihrem Entschließungsantrag mit aller Deutlichkeit gegen das SDI-Programm von Präsident Reagan aus.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Schön!)

Wir sind für eine europäische Weltraumforschung. Der technologische Nutzen von europäischen Programmen, die Zusammenarbeit mit den USA im zivilen Bereich dürfen letztlich nicht ausgeschlossen werden. Das liegt auf der Hand. Der Weltraum muß nach unserer Einschätzung frei von Waffen bleiben.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Killersatelliten!)

Die Militarisierung des Weltraums dient nicht dem Frieden und damit auch nicht dem Wohl der gesamten Menschheit.
Dieses Anliegen vertreten wir Sozialdemokraten auf allen Ebenen, auf denen wir Verantwortung haben und mitwirken, letztlich in dieser Art und Weise. Wir bitten insofern um Unterstützung.
Der Entschließungsantrag der SPD weist einen Weg für Europa. Statt Selbstaufgabe ist die politische Selbstbehauptung eigenständiger und eigenverantwortlicher Staaten in Europa gefordert. Ich bitte deshalb, dem Entschließungsantrag der SPD zuzustimmen. Wir werden die Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN ablehnen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Warum das denn? Keine Begründung!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014035200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1014035300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint wohl nicht ganz verborgen geblieben zu sein, daß wir in der Koalition, quer durch die Parteien, nicht alle Fragen zu SDI gleich beurteilen. Aber das kann in der jetzigen Informations- und Meinungsbildungsphase auch gar nicht anders sein. Im Augenblick haben wir doch alle — nicht nur die GRÜNEN - mehr Fragen als Antworten zu SDI. Die Informationen, über die wir bisher verfügen, können noch keine Entscheidungsgrundlage sein.
Wir beklagen aber nicht nur ein Informationsdefizit, sondern auch widersprüchliche Informationen. Da ist einerseits von einer kooperativen Lösung mit der Sowjetunion die Rede. Andererseits sollen aber die europäischen Partner nur an nicht geheimen Forschungsprojekten beteiligt werden.
Wir Liberalen haben mehrfach deutlich gemacht, daß der militärstrategische Aspekt für uns der entscheidende Gesichtspunkt ist. Die Tatsache, daß der Verteidigungsminister diese Anfrage heute beant-



Dr. Feldmann
wortet, zeigt, daß die Bundesregierung das genauso sieht. Das heißt, sollte eine militärstrategische Prüfung negativ verlaufen, dürfen keine anderen Argumente, auch keine technologischen, den Ausschlag für eine Beteiligung geben.
Liebe Kollegen von der Opposition, seien Sie doch nicht so einäugig! Bei aller Skepsis gegenüber allzu unbekümmerten US-Forschungsplänen: So ganz unschuldig scheint mir die Sowjetunion nicht zu sein.

(Zustimmung des Abg. Dr. Klejdzinski [SPD])

— So ganz unschuldig am Zustandekommen eines US-amerikanischen SDI-Programms scheint sie doch nicht zu sein.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Das habe ich nicht in Abrede gestellt!)

Ich wiederhole das ausdrücklich.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Das habe ich nicht in Abrede gestellt!)

Nach amerikanischen Erkenntnissen, Herr Kollege, versucht die Sowjetunion seit langem, Antisatellitenwaffen zu entwickeln, mit denen sie Aufklärungssatelliten vernichten kann. Nach eigenem Eingeständnis arbeitet die Sowjetunion auch an strategischer Verteidigung. Eine amerikanische Reaktion hierauf ist doch nicht so abwegig. Die USA müssen es als Bedrohung empfinden, wenn sie im entscheidenden Moment ihrer nationalen Aufklärungsmittel beraubt würden.
Man muß sich wirklich fragen, ob die Sowjetunion nicht selbst durch ihr Verhalten den Stein ins Rollen gebracht und dadurch die SDI-Lawine ausgelöst hat, die sie jetzt so sehr beklagt.

(Gatterman [FDP]: Das war auch schon bei der Nachrüstung so! — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Ha, Ha!)

Wer um die eigene Sicherheit so besorgt ist, muß alles unterlassen, was die Sicherheit des oder der anderen gefährden könnte. Das gilt nicht nur für den Westen; das gilt auch für die Sowjetunion. Das ist der Maßstab, der nicht nur auf der Erde, sondern auch im Weltall gelten muß.
Die FDP will nicht, daß an Stelle des Wettrüstens auf der Erde ein Wettrüsten im All stattfindet.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Und deswegen ein klares Nein zu SDI?)

Denn es gibt — Herr Kollege, da werden auch Sie mir zustimmen — überhaupt keine Form des Wettrüstens, die dauerhaft Sicherheit verschaffen könnte.

(Beifall bei der FDP)

Wir begrüßen die Erklärung der Außenminister der USA und der Sowjetunion, daß ein gemeinsames Ziel der Genfer Verhandlungen die Verhinderung eines Wettrüstens im All sein soll. Auf diese
Verhandlungen, weniger auf SDI, setzen wir unsere Hoffnungen.

(Zustimmung des Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])

Genf bietet die Chance für eine erhebliche Reduzierung der offensiven Mittelstrecken- und Interkontinentalwaffen sowie für ein Weltraumabkommen, das den Sicherheitsbedürfnissen aller Staaten gerecht wird. Darin sind wir uns offensichtlich einig. Ein Scheitern in Genf hätte dagegen Milliardenaufwendungen für SDI und eine Beschleunigung der atomaren und der konventionellen Rüstung zur Folge. Also weniger Sicherheit mit mehr Waffen.
Die FDP unterstützt die Feststellung des Bundeskanzlers, daß SDI für die NATO Chance und Risiko zugleich bedeutet. Die Zusage des Kanzlers, die Möglichkeit — ich wiederhole: die Möglichkeit — einer eventuellen Zusammenarbeit beim Forschungsprogramm zu prüfen, kann man nicht kritisieren, und eine andere Zusage hat es — soviel ist seit Stuttgart klar — nicht gegeben.
Minister Genscher und der französische Außenminister haben gestern erneut ihre Auffassung bekräftigt, wie wichtig eine gemeinsame Haltung der Europäer ist. Wir sind nicht nur Mitglied der Altlantischen Allianz. Wir sind auch Mitglied der Europäischen Gemeinschaft, die wir stärken wollen. Für uns sind die Interessen unserer französischen Freunde ebenso wichtig wie die Interessen unserer amerikanischen Verbündeten.
EURECA kann und soll keine militärische Alternative zu SDI sein. EURECA kann das Argument widerlegen, die Bundesrepublik verlöre ohne Beteiligung an SDI den Anschluß an die technologische Entwicklung. Das japanische Beispiel zeigt im übrigen, daß technologische Spitzenposition keiner militärischen Forschung bedarf.

(Zustimmung bei der SPD — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Aha!)

Zum Schluß darf ich feststellen: Eine sorgfältige Prüfung — nicht eine voreilige Antwort — ist das Gebot der Stunde. Wir lassen uns weder von den USA eine 60-Tage-Frist vorschreiben noch von der Opposition zu einer schnellen Entscheidung drängen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Wir werden nicht auf der Grundlage von Emotionen, ohne ausreichende Informationen und ohne sorgfältige Prüfung Entscheidungen treffen.

(Beifall bei der FDP — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Eine ganz bürokratische Antwort!)

Die FDP stimmt mit dem Bundeskanzler darin überein, daß Maßstab für unsere Entscheidung die deutschen, die europäischen und die atlantischen Interessen — in dieser Reihenfolge — sein müssen

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Unheimlich präzise!)




Dr. Feldmann
und daß konkrete Forschungsergebnisse in kooperative Lösungen mit der Sowjetunion einmünden müssen. Dies gebietet der ABM-Vertrag, und dies ist auch eine Voraussetzung für strategische Stabilität.
Ich darf noch einen Gedanken hinzufügen. Wer für den Weltraum Defensiverteidigung fordert, muß dieser Forderung auch auf der Erde gerecht werden.
Meine Damen und Herren, die Koalition wird sorgfältig prüfen, ohne gelegentliche unterschiedliche Bewertungen zu verstecken, denn oberstes Ziel ist es — ich glaube, für uns alle —, einen Weg zu finden, den Frieden sicherer zu machen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014035400
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.

(Zuruf von den GRÜNEN: Jetzt kommt die unpassende Antwort!)


Dr. Manfred Wörner (CDU):
Rede ID: ID1014035500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Die knappe Zeit gebietet es, die Fragen der Fraktion der GRÜNEN gerafft zu beantworten. Die Position der Bundesregierung zu SDI ist hier in diesem Parlament in jüngster Zeit ausführlich dargestellt, erläutert, diskutiert worden. Ich habe nicht die Absicht, sie hier zu wiederholen.
Ich möchte einige Fakten in Erinnerung rufen. Erstens. Es ist eine Tatsache, daß die Sowjetunion bereits seit über einem Jahrzehnt mit erheblichem Aufwand Forschungen betreibt, die u. a. zur Entwicklung eines weiträumigen Raketenabwehrsystems führen können.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Können!)

Zweitens: Die Sowjetunion unterhält als einziges Land der Welt ein funktionsfähiges Raketenabwehrsystem um ihre Hauptstadt, das sie im übrigen mit der Entwicklung zweier neuer Abfangraketen weiter modernisiert.
Drittens: Darüber hinaus sind uns Versuchsanlagen in der Sowjetunion bekannt, in denen mit hoher Wahrscheinlichkeit Lasersysteme entwickelt und erprobt werden, die gegen Ziele im Weltraum verwandt werden können. Die Satellitenfotografien weisen die außergewöhnliche Größe dieser Anlagen aus.
Viertens: Die Sowjetunion erprobt seit 1968 Systeme für die Bekämpfung von Satelliten. Von den bisher beobachteten Versuchen sind etwa die Hälfte als erfolgreich zu bewerten. Die Sowjetunion verfügt als einziges Land der Welt über einsetzbare Antisatellitenwaffen. In ihrem ersten strategischen Manöver, an dem auch Interkontinental- und Mittelstreckenraketen beteiligt waren, neutralisierte die Sowjetunion im Juni 1982 im inneren Weltraum etwa auf der Höhe Landshut einen Zielsatelliten mit einer solchen Waffe.
Fünftens: Die Sowjetunion ist in der Satellitentechnik, z. B. zur Navigation, Kommunikation und Aufklärung, sehr weit fortgeschritten. Diese Aktivitäten hat jüngst der sowjetische Verteidigungsminister Marschall Sokolow in einem Interview eingeräumt. Für das sowjetische Raumfahrtprogramm beträgt der militärische Anteil nach westlicher Einschätzung, und zwar als Mittelwert der letzten Jahre, über 70 %.
Das sind die Fakten, meine Damen und Herren Kollegen. Sie sind seit langem bekannt. Sie haben offensichtlich bis jetzt jedenfalls weder die GRÜNEN noch die SPD sonderlich beunruhigt. Ich frage mich, warum Sie die Große Anfrage erst jetzt, wo die Amerikaner darangehen, das auszugleichen, einbringen und nicht in einem Zeitpunkt eingebracht haben, wo die Sowjetunion einseitig damit vorangeprescht ist.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Haben Sie die Frage 47 auch gelesen, Herr Minister?)

Dann reden Sie von der Militarisierung des Weltalls. Herr Kollege Klejdzinski, alle Interkontinentalwaffen beispielsweise werden, wenn sie erprobt oder in einem Ernstfall eingesetzt werden, durch das Weltall geschossen. Da kann ich nur sagen, wenn schon Militarisierung des Weltalls, dann liegt sie hier. SDI ist nichts anderes als der Versuch, eben jene Angriffswaffen abzuwehren, meine Damen und Herren.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014035600
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski?

Dr. Manfred Wörner (CDU):
Rede ID: ID1014035700
Nein, ich komme sonst mit der Zeit nicht zurecht.

(Mann [GRÜNE]: Sie dürfen ruhig angemessen auf Fragen der Parlamentarier antworten! — Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht auf dumme Fragen!)

Deswegen wiederhole ich den Standpunkt der Bundesregierung hier. Vor dem Hintergrund der sowjetischen Aktivitäten ist das amerikanische Forschungsprogramm zu SDI, wie der Herr Bundeskanzler hier am 18. April ausgeführt hat, aus unserer Sicht gerechtfertigt und politisch notwendig.

(Mann [GRÜNE]: Sie haben doch nichts gelernt!)

Und ich sage noch einmal, Herr Kollege, hier handelt es sich nicht um das, was Sie unserer Öffentlichkeit suggerieren wollen, nämlich um den Krieg der Sterne. Hier handelt es sich auch um den moralisch legitimen Versuch, aus der Landschaft wechselseitiger Vernichtung einen Ausweg zu suchen, umzustellen von Angriff auf Verteidigung. Es muß doch möglich sein, das zu untersuchen.
Zur Bewahrung der strategischen Stabilität, die durch die sowjetischen Programme in diesem Rüstungsbereich gefährdet wird, wie zur Erhaltung einer praktischen Option auf Rüstungskontrolle haben die USA die Erprobung von Antisatellitensystemen eingeleitet, nämlich mit dem Ziel, verifizierbare Beschränkungen für Antisatellitenwaffen zu



Bundesminister Dr. Wörner
erreichen. Die Bundesregierung hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß sie an einer rüstungskontrolipolitischen Regelung interessiert ist, die einen möglichst weitgehenden Schutz von Satelliten garantiert.
Wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht außer acht lassen, daß unsere Satellitensysteme eine friedenssichernde Funktion und im übrigen auch zivile Aufgaben wie die Unterstützung der internationalen Handelsschiffahrt haben. Die in der Entwicklung befindlichen Navigationssatellitensysteme NAVSTAR werden z. B. auch mit Detektoren ausgerüstet, deren Informationen u. a. eine Überwachung der Einhaltung internationaler Verträge und Aufklärung über Atomwaffentests ermöglichen. Diese Systeme verbessern die Durchschaubarkeit militärischer Aktivitäten. Sie verhindern grobe Fehleinschätzungen des gegnerischen Potentials. Sie ermöglichen Verifikation, also Kontrolle, und zwar gerade zu Zwecken auch der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Zur Zeit verfügen nur die beiden Großmächte über entsprechende Satellitensysteme.
Frankreich hat der Bundesrepublik Deutschland vorgeschlagen, die Möglichkeit einer bilateralen Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines Aufklärungssatellitensystems durch Experten prüfen zu lassen. Die Bundesregierung hat diese Anregung aufgenommen. Die Untersuchung ist jedoch noch nicht abgeschlossen.
Im übrigen ist das Weltraumprogramm der Bundesregierung auf die zivile, d. h. auf die friedliche Nutzung der Weltraumforschung und -technik vorwiegend im Rahmen internationaler Gemeinschaftsvorhaben ausgerichtet. Das wissen Sie aus den zahlreichen Debatten und aus den Ausführungen meines Kollegen Riesenhuber.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Wo der wohl ist?)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung tritt weiterhin dafür ein, daß eine Regelung zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltalls in den bilateralen Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion gefunden werden muß. Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir der Rüstungskontrolle, der beiderseitigen Begrenzung der Rüstung, daß wir der Einschränkung der Angriffspotentiale auf allen Ebenen als Bundesregierung den Vorrang einräumen. Deswegen betone ich auch von dieser Stelle aus noch einmal das Interesse der Bundesregierung am Erfolg dieser Verhandlungen. Ich denke, daß das nicht nur das Interesse der Bundesregierung, sondern daß das das Interesse von Europa insgesamt ist.

(Mann [GRÜNE]: Diese Sprüche seit Dezember 1979!)

Alle Ihre Versuche, die Bundesregierung und ihre Politik zu verdächtigen, wir wollten etwa der Militarisierung Vorschub leisten, werden deshalb in die Irre gehen und keinen Widerhall finden.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Die Bevölkerung denkt da anders! — Mann [GRÜNE]: Sie wollen es vielleicht nicht, aber Sie tun es! Weil Sie unfähig sind!)

Eines allerdings bleibt richtig: Wer den Frieden und die Freiheit bewahren will, muß zur Verteidigung dieses Friedens und dieser Freiheit entschlossen bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Schierholz [GRÜNE]: 40 von 48 Fragen nicht beantwortet! Unglaublich!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014035800
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Für die Entschließungsanträge ist Ausschußüberweisung beantragt worden, und zwar wie folgt: für den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3388 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Forschung und Technologie und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und an den Verteidigungsausschuß, für den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3392 zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß und den Ausschuß für Forschung und Technologie und für den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3396 zur federführenden Beratung an den Verteidigungsausschuß und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und an den Ausschuß für Forschung und Technologie.
Ich frage das Haus, ob es andere oder ergänzende Vorschläge gibt. — Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
— aus Drucksache 10/171 —
Zweite Beschlußempfehlung und zweiter Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 10/3368 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Fischer (Osthofen)


(Erste Beratung 25. Sitzung)

Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Das Haus ist, so hoffe ich, damit einverstanden. — Dann ist es so beschlossen.
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.



Vizepräsident Cronenberg
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Buschbom.

Helmut Buschbom (CDU):
Rede ID: ID1014035900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns mit einer Gesetzesinitiative des Bundesrates zur Änderung der Entlastungsgesetze in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit. Die erste Lesung war am 29. September 1983. Dort haben wir die Grundsatzfragen ausreichend diskutiert. In der Zwischenzeit gab es eingehende Beratungen in den Ausschüssen, eine öffentliche Anhörung, Abstimmungen zwischen Bundesrat und Bundesregierung. Hinzu kam ein Regelungsbedarf, weil der Bundesfinanzhof Notsignale aussandte.
Dazu nur ein paar Zahlen. Derzeitige Dauer der Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof: fast drei Jahre. Ein Drittel aller Verfahren dauern länger als drei Jahre, 16 % aller Verfahren länger als vier Jahre. Die durchschnittliche Dauer eines Finanzgerichtsverfahrens, wenn ein Steuerbescheid angegriffen wird, beträgt neun Jahre. Rückstände beim Bundesfinanzhof Ende 1979 3 200 Verfahren, Ende 1984 5 100 Verfahren.
Das Ergebnis der Beratungen ist niedergelegt in dem Ihnen vorliegenden Bericht und der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses.
Vorschlag: Änderungen der bereits bestehenden Entlastungsgesetze im Bereich der Verwaltungs-und Finanzgerichtsbarkeit.
Im einzelnen bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit: erstens Änderung des 1985 auslaufenden Entlastungsgesetzes von 1978, und zwar Verlängerung der Geltungsdauer bis Ende 1990, um damit auch eine ausreichende Erprobungszeit zu haben; zweitens Verlagerung der erstinstanzlichen Zuständigkeit vom Verwaltungsgericht an das Oberverwaltungsgericht für einen — gegenüber dem ursprünglichen Entwurf erheblich reduzierten — Katalog technischer Großvorhaben und drittens Verstärkung der zur Entscheidung solcher Verfahren berufenen Spruchsenate der Oberverwaltungsgerichte/ Verwaltungsgerichtshöfe um zwei Richter.
Für die Finanzgerichtsbarkeit wird vorgeschlagen, die sogenannte Streitwertrevision abzuschaffen. Die Streitwertrevision ist das zulassungsfreie Rechtsmittel der Revision bei Streitigkeiten, deren Streitwert 10 000 DM übersteigt.
Bedenken gegen diese Maßnahmen sind: erstens der Wegfall einer Tatsacheninstanz bei den Katalogfällen; zweitens der Wegfall der Möglichkeit, Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe in — vorläufigen — summarischen Verfahren nach §§ 80 und 123 der Verwaltungsgerichtsordnung durch die Oberinstanz — hier das Bundesverwaltungsgericht — überprüfen zu lassen; drittens resultieren Bedenken aus der Beschränkung von Rechtsmitteln gegen Entscheidungen der Finanzgerichte auf vom Finanzgericht oder — nach Beschwerde — vom Bundesfinanzhof zugelassene Revisionen in Fällen von grundsätzlicher Bedeutung.
Die Koalitionsfraktionen sind zu der Ansicht gelangt, daß diese Bedenken gegenüber dem Entlastungs- und Beschleunigungseffekt der vorgeschlagenen Maßnahmen nicht durchgreifen.
Wie bereits in der ersten Lesung ausgeführt, sind die Rechtsschutzbeschränkungen auf nur eine Tatsacheninstanz unserem Rechtssystem nicht unbekannt.
Im übrigen kennt unser Rechtssystem keine Beschwerdemöglichkeit gegen Beschlußentscheidungen der oberen Landesgerichte im vorläufigen summarischen Verfahren. Die Einführung einer Rechtsbeschwerde im summarischen Verfahren bei den eng umgrenzten Katalogfällen wäre daher systemwidrig und höbe die beabsichtigte Entlastung der Gerichte und Beschleunigung der Verfahren wieder auf.
Schließlich zur Streitwertrevision und der Abschaffung derselben. Dieses erscheint als die einzige derzeitig sofort erreichbare Möglichkeit der Entlastung des Bundesfinanzhofs. Ermittlungen haben ergeben, daß die Erhöhung der Revisionssumme — eine weitere Möglichkeit der Entlastung — auf einen Streitwert von 20 000 DM eine Entlastung von 8 % brächte, auf 30 000 DM von 12 %, auf 40 000 DM von 14 %, auf 50 000 DM von 16%. Dagegen ist bei der Abschaffung mit einer Entlastung um 25 bis 30 % zu rechnen.
Im übrigen ein Wort zur Streitwertrevision. Diese sogenannten Streitwertrevisionen sind nicht die Steuerstreitigkeiten des sogenannten kleinen Mannes.

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Sehr richtig!)

Diese waren auch bisher nur nach Zulassung revisibel. Der Bundesfinanzhof hatte im Jahre 1983 lediglich eine einzige Revision in einer Lohnsteuersache, deren Wert 10 000 DM überstiegen hatte. Der Anteil der aus grundsätzlichen Erwägungen zugelassenen Lohnsteuerstreitigkeiten beim Bundesfinanzhof liegt seit 1974 unverändert zwischen 6% und 6,5%.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Recht, das Jahre auf sich warten läßt, ist schlechtes Recht; doppelt gibt, wer schnell gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. de With [SPD]: Die Koalition nimmt aber!)

Die CDU/CSU-Fraktion beantragt daher, die Vorlage in der Fassung der Beschlußempfehlung zu verabschieden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014036000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer (Osthofen).

Gernot Fischer (SPD):
Rede ID: ID1014036100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Buschbom, bei der ersten Lesung dieser Bundesratsinitiative waren sich alle Fraktionen in diesem Hause in zwei Punkten einig: erstens, daß dieser Entwurf gründlich geprüft werden müsse, und zweitens — das ist entscheidend —, daß erhebliche Bedenken gegen die vorgesehene erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte bei



Fischer (Osthofen)

technischen Großvorhaben bestünden. Sie selbst, Herr Kollege Buschbom, haben damals am 29. September 1983 gesagt — ich zitiere —:
Bei der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte bei technischen Großvorhaben bestehen grundsätzliche Bedenken wegen des Wegfalls einer Tatsacheninstanz ... und des damit verminderten Rechtsschutzes des Bürgers ...
Der Kollege Dr. Hirsch, der damals für die FDP- Fraktion sprach und der das Entlastungsgesetz mit einem Ballon verglich, meinte, daß sich in dem Korb, der unter diesem Ballon hänge, nicht nur Passagiere befänden, sondern auch Ballast, der abgeworfen werden müsse. Solchen Ballast sah er vornehmlich in der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte.
Nun, meine Damen und Herren, heute wissen wir, Ballast ging nicht über Bord, dafür die guten Vorsätze, die bei den Koalitionsparteien einmal vorhanden waren. Dieses Gesetz ist weder ein Entlastungs- noch ein Beschleunigungsgesetz, sondern es bewirkt einzig und allein eine Verkürzung des Rechtsschutzes des Bürgers.

(Mann [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Bei Klagen gegen technische Großvorhaben — wie Flugplätze, Sondermülldeponien, Kraftwerke, um nur einige zu nennen — entfällt künftig eine Tatsacheninstanz. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, das gerade hier eine besondere Rolle spielt und de facto meist schon eine Entscheidung in der Sache bedeutet, wird es gar nur noch eine einzige Instanz geben.
Es verwundert deshalb auch nicht, daß bei der Anhörung kaum positive Stimmen zu hören waren. Die Fachleute erkannten eben, daß von diesem Gesetz weder eine Entlastung der Richter noch eine Beschleunigung der gerichtlichen Verfahren zu erwarten ist. Selbst der Vertreter der Industrie, der Kraftwerk Union, meinte

(Mann [GRÜNE]: Hört! Hört!) — ich zitiere wiederum wörtlich —:

Es gibt insgesamt keine hinreichenden Gründe, die erste Instanz wegfallen zu lassen.
Er fügte treffend hinzu:
Es besteht kein Anlaß, sich auf das Vabanquespiel einzulassen „Lieber schnell und falsch als langsam und richtig".

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Dem ist nichts hinzuzufügen. Was Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, mit diesem Gesetz erreichen, ist: Sie beschneiden die Rechte des Bürgers. Im verwaltungsgerichtlichen 08/15-Verfahren wird es drei, bei verwaltungsgerichtlichen Verfahren in dem sensiblen Bereich der technischen Großvorhaben wird es künftig nur noch zwei Instanzen geben.

(Seesing [CDU/CSU]: Das ist mehr als genug, Herr Kollege!)

Schließlich: Die Verwaltungsrichter der ersten Instanz müssen sich diskriminiert fühlen, weil man sie offenbar nicht für fähig hält, komplizierte Sachverhalte aufzuklären und sachgerechte Entscheidungen zu treffen.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Diese Auffassung, lieber Herr Kollege, hat offenbar in der Union prominente Anhänger. Ich zitiere aus einem Brief, den der Herr Ministerpräsident aus Bayern an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages geschrieben hat:
daß die Verwaltungsgerichte in erster Instanz das öffentliche Interesse an der Durchführung von Verkehrs- und Industrievorhaben oder an der Verhinderung gesetzwidriger Aktivitäten einzelner oder einzelner Gruppen niedriger bewerten als das Interesse des einzelnen an der Verfolgung geltend gemachter Ansprüche.
Er fügte hinzu, es sei unerträglich geworden, daß die verantwortlichen Behörden durch das geltende Recht daran gehindert würden, Fehlentscheidungen und Fehlbewertungen der Verwaltungsgerichte erster Instanz, die auf der Unterbewertung der öffentlichen Interessen im Eilverfahren beruhten, durch die nächsthöhere Instanz korrigieren zu lassen.
An gesetzgeberischer Oberflächlichkeit kaum noch zu überbieten dürfte jedoch die Einführung der Grundsatzrevision im finanzgerichtlichen Verfahren sein. In Steuersachen wird es künftig in aller Regel nur noch eine gerichtliche Instanz geben — und dies, obwohl auch Ihnen bekannt ist, daß zur Zeit etwa ein Drittel der finanzgerichtlichen Entscheidungen vom Bundesfinanzhof aufgehoben wird. Über Alternativlösungen, wie etwa die Einführung einer zweiten Tatsacheninstanz im finanzgerichtlichen Verfahren oder eine angemessene Erhöhung des Streitwertes, wurde erst gar nicht nachgedacht, geschweige denn im Ausschuß diskutiert.
Keiner, der von den Dingen etwas versteht, hat sich für den jetzt beschrittenen Weg ausgesprochen, mit einer Ausnahme: der Herr Präsident des Bundesfinanzhofs — aus sehr naheliegenden Motiven. Ich hoffe nur, meine Damen und Herren von der Koalition, daß mit dieser Entscheidung nicht etwa nur dessen publizistische Hilfen bei der Bewältigung drängender Probleme der Koalitionsparteien honoriert werden sollen.

(Beifall bei der SPD — Mann [GRÜNE]: Sehr gut!)

Die sozialdemokratische Fraktion lehnt den Gesetzentwurf in allen Punkten ab, weil er den Richtern nicht hilft und den Bürgern den Rechtsschutz beschneidet.

(Mann [GRÜNE]: Sehr gut!)

Mit diesem Gesetz wird nach unserer Meinung kurzer Prozeß gemacht, und dem können wir nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Keine Ahnung!)





Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014036200
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1014036300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist sympathisch, alles das anzuhören, was Herr Fischer eben hier für die Fraktion der Sozialdemokraten gesagt hat.

(Mann [GRÜNE]: Vor allen Dingen stimmt es!)

— Das stimmt auch; natürlich stimmt das.
Nur, das praktische Problem ist, daß wir einige Gerichte haben, die nicht in der Lage sind, innerhalb angemessener Zeit Urteile zutage zu bringen. Wir müssen uns nun überlegen, soweit wir und nicht die Justizminister betroffen sind — —

(Mann [GRÜNE]: Sie waren bei der Anhörung nicht dabei! Das stimmt nicht, was Sie sagen!)

— Ich war bei mehreren Anhörungen dabei, Herr Mann.

(Heiterkeit)

Sie waren ja vorher Mitarbeiter. Da hatten Sie natürlich mehr Zeit, bei den Anhörungen dabeizusein. Darin scheint mir einer dieser tiefen Tricks der GRÜNEN — mit diesem seltsamen Rotationsprinzip — zu liegen.
Jedenfalls: Es geht um etwas ganz anderes. Sowohl die Großverfahren wie auch die Verfahren vor dem Bundesfinanzhof werden nicht innerhalb angemessener Zeit abgewickelt. Das sind die beiden Hauptpunkte der Novelle, über die wir hier zu sprechen haben. Es geht mir sehr gegen meine grundsätzlichen Einstellungen, hier einem solchen Gesetz zuzustimmen. Ich sage das in aller Offenheit.

(Sehr gut! bei der SPD)

Es geht mir sehr gegen das Herz.

(Zuruf des Abg. Dr. de With [SPD])

— Mein lieber Hans de With, es hat keinen gegeben — als ihr da saßt mit den Ministern und Parlamentarischen Staatssekretären; ich glaube, das bist Du gewesen —, der herausgefunden hat, auf welche Weise man das Problem lösen kann. So ist es auf diese Koalition überkommen — wie so vieles.
Deshalb müssen wir nun fragen: Was machen wir? Da tut sich die meiner Meinung nach — aber ich bin j a Außenstehender und kann das vielleicht nicht richtig beurteilen — für Sozialdemokraten besonders interessante Frage auf, ob man von 10 000 DM Streitwert auf 40 000 DM wie beim Bundesgerichtshof oder, damit es eine runde Zahl ist, auf 50 000 DM heraufgeht und dann sagt: Damit ist unseren sozialen Interessen Genüge getan.
Die Stahlwerker und die Kumpel streiten ja regelmäßig oberhalb der Grenze von 50 000 DM. Deshalb ist das ja der freie Zugang zum Gericht.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU — Zurufe von der SPD)

Ich habe im Zusammenhang mit der Änderung des Revisionsrechts beim Bundesgerichtshof große
Bedenken gehabt. Aber immerhin: Wir haben bei einem viel größeren Gericht mit einer viel größeren Zahl von Verfahren einen Kompromiß gefunden. Ich meine: Wir sollten es beim Bundesfinanzhof drei Jahre lang so versuchen. Dann sollten wir uns sehr ernsthaft ansehen, wie man innerhalb dieser Zeit beim Bundesfinanzhof damit fertig geworden ist. Dann sollten wir etwas Gescheiteres machen.
Aber Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, sind herzlich eingeladen, sich an diesem Bemühen zu beteiligen. Solange uns nichts Besseres vorgeschlagen wird, bin ich für die Abschaffung der Streitwertgrenze, damit wirklich etwas passiert und die Sache nicht so im Ungewissen hängenbleibt.
Nun zu den Oberverwaltungsgerichten. Ich war sehr enttäuscht, daß uns der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, auf dessen Meinung ich aus einer Fülle von Gründen, die einige von Ihnen durchaus verstehen können, großen Wert lege, letzte Woche in Mannheim gesagt hat, wir hätten unser Ziel verfehlt, als wir die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte begründeten. Da gilt dasselbe, was ich eben zum Bundesfinanzhof gesagt habe: Wenn die Verfahren so unglaublich lange dauern und so überdimensionale Verfahren zweimal abgewickelt werden müssen, wenn dann volkswirtschaftliches Kapital brachliegt, weil man an sich geplant hat, dieses und jenes zu bauen oder zu errichten, dann aber Milliardenwerte stilliegen und man nicht weiß, wann sich dieser Brocken lösen kann, weil das in der Weisheit des Gerichts steht, dann möchte ich gern von denjenigen, die uns vorwerfen, daß wir nichts gegen die Arbeitslosigkeit tun, wissen, wie sie das vor denen verantworten wollen, die die Arbeit leisten wollen, die da zu tun ist,

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

daß dieses acht Jahre durch die Instanzen geschleppt wird und vielleicht inzwischen auf unerfindlichen Wegen die Gelder in Amerika Zinsen bringen. So kann es doch nicht gehen. Deshalb müssen wir das Verfahren verkürzen. Wir haben einen gescheiten Weg gefunden.
An die Adresse des von mir hochgeschätzten Herrn Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins möchte ich noch sagen: Wir haben eine Erweiterung der Richterbank beim Oberverwaltungsgericht gewollt, um ganz klarzumachen, daß dies überhaupt kein Einstieg in eine Verkürzung der Instanzenwege, in eine Verkürzung des Rechtsschutzes sein kann, sondern daß wir einer besonderen Situation in besonderer Weise gerecht zu werden versuchen. Wir wollen diese Großverfahren einem größeren Spruchkörper bei den Oberverwaltungsgerichten übertragen, damit erstens diese Verfahren dort besser und womöglich schneller abgewickelt werden können, damit zweitens niemand auf die Idee kommt, wir ließen Einbrüche in das allgemeine System zu, bei dem wir nach wir vor der Meinung sind, daß wir die bisherigen Instanzen wollen. Die Dreistufigkeit des Gerichtsaufbaus ist übrigens nicht von uns, sondern von Ihnen früher einmal in die Diskussion gebracht worden. Sie hat sich dann



Kleinert (Hannover)

an irgendwelchen Leuten verloren. Zu denen gehöre ich jedenfalls auch.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014036400
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1014036500
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger!

(Zuruf von der CDU/CSU: Deutsches Volk!)

Ich glaube, der Kollege Fischer hat aus fachlicher, rechtspolitischer Sicht das Notwendige zu diesem Gesetzentwurf gesagt. Die Fraktion der GRÜNEN hat im Rechtsausschuß in ähnlichem Sinne argumentiert. Dieser Gesetzentwurf ist rechtspolitisch, fachlich und umweltpolitisch, möchte ich hinzufügen, ein Skandal. Es ist ein Sondergesetz.

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Warum?)

— Herr Kleinert, ich glaube, daß diejenigen, die hier zuzuhören wissen, sehr wohl gemerkt haben, warum.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was ist ein „Sondergesetz"?)

Ich möchte mich jetzt vor allen Dingen aus unserer Sicht darauf beschränken, was der politische Hintergrund dieses Gesetzentwurfes sein dürfte. Es handelt sich hier nämlich um eine Lex Schwandorf, um ein Sondergesetz für die Wiederaufbereitungsanlage, die die bayerische Landesregierung gegen den breiten Widerstand in der dortigen Bevölkerung durchzusetzen versucht, um die Genehmigung in einer Instanz nicht beim Verwaltungsgericht — Richter beim Verwaltungsgericht sind nach dem Ohu-Prozeß in Regensburg offenbar nicht zuverlässig —, sondern beim zuständigen Oberverwaltungsgericht durchzusetzen. Die Rechtspolitik — das zeigt, wie traurig der Zustand der Freien Demokratischen Partei ist — wird eben nicht in Bonn, sondern in München gemacht.

(Zuruf von der FDP: Ach Gott, ach Gott!)

Es handelt sich dabei glücklicherweise — da auf unser Betreiben hin hier heute eine kurze Debatte stattfindet — zwar nicht mehr um einen klammheimlichen Versuch, aber immerhin doch um den Versuch eines heimlichen weiteren Schrittes in den Atomstaat.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg. Kleinert [Hannover] [FDP])

Ihnen sind jetzt nicht einmal mehr die bewährten rechtsstaatlichen Garantien der Verwaltungsgerichtsordnung etwas wert.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist aber ein Quatsch!)

Sie geben sie ohne Not auf, und zwar, wie wir gehört haben, für eine Übergangszeit von 5 Jahren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Skandal. Dafür hätte sich eigentlich eine FDP — so habe ich Herrn Kleinert auch verstanden — nicht hergeben dürfen.
Ich möchte auf einige interessante Daten hinweisen. In der Anhörung im Juni 1984 waren fast alle Sachverständigen der Meinung, durch diesen Gesetzentwurf werde keine Beschleunigung herbeigeführt. Am 23. Januar 1985 — um Sie vielleicht ein bißchen darüber aufzuklären, wie die Rechtspolitik hier gemacht wird; ich vermute, Sie wissen es zum Teil gar nicht — hat die Bundesregierung endgültig die Wiederaufarbeitung als Entsorgungsnachweis verordnet. Am 4. Februar dieses Jahres hat die DWK Schwandorf Wackersdorf ohne nähere Begründung als Standort für die Wiederaufbereitungsanlage benannt. Beide Entscheidungen gehören zusammen. Es war nämlich durchgesickert — jetzt hören Sie einmal gut zu, damit Sie merken, was Sie unter dem Stichwort Investitionsstau hier zu machen im Begriff sind —, daß aus der Sicht der in der DWK versammelten Stromkonzerne das Interesse an der Wiederaufbereitungsanlage seit 1983/84 auf einem Tiefpunkt angelangt war. Die CDU veröffentlichte am 23. Januar eine Presseerklärung mit dem Tenor: Nun kann sich die DWK nicht mehr herausreden. Es liegt nun an den Betreibern der Kernkraftwerke, zu entscheiden, daß eine WAA gebaut wird; es gibt dafür jetzt keine Ausrede mehr. — Soweit die Pressemitteilung.
Ich war ganz überrascht — vielleicht kann der Herr Justizminister auch etwas dazu sagen —, Ende März in einer Pressemitteilung zu hören, daß dieser Gesetzentwurf, der nach Auffassung aller Leute vom Tisch war, plötzlich Beratungsgrundlage war. In den zuständigen Ausschüssen, im Innen- und Rechtsausschuß, wurde dieser Gesetzentwurf in einem beispiellosen Schnellverfahren, ohne daß eine wirkliche Diskussion der fachlichen Bedenken möglich war und ohne daß es möglich war, die teilweise vorliegenden Stellungnahmen — beispielsweise die des erwähnten Anwaltvereins — zu diskutieren, durchgezogen.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Ich komme zum Schluß: Aus unserer Sicht handelt es sich hier — betrieben auch von der bayerischen Landesregierung — um ein Sondergesetz für Teile der Atomwirtschaft, und das ist rechtspolitisch ein Skandal.

(Beifall bei den GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist Unsinn! — Zuruf des Abg. Kleinert [Hannover] [FDP])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014036600
Das Wort hat der Justizminister des Landes Baden-Württemberg, Dr. Eyrich.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1014036700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-



Minister Dr. Eyrich (Baden-Württemberg)

ren! Ich hätte das Wort nicht ergriffen, wenn sich nicht die beiden Vorredner, die Herren Kollegen Fischer und Mann, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in dieser Art und Weise auseinandergesetzt hätten.

(Mann [GRÜNE]: Daß Ihnen das vielleicht auch in den Kram paßt, bezweifle ich nicht!)

Als Vertreter des Bundesrates habe ich hier —Sie wissen, daß sich der Gesetzentwurf, den Sie vorliegen haben, im Bundesrat auf eine große Mehrheit stützen kann — schlicht und einfach zu erklären: Wer sich in der Weise, Herr Kollege Mann, wie Sie mit einem Gesetzentwurf dieses Inhalts auseinandersetzt, der mobilisiert etwas, das zu mobilisieren sich nicht lohnt. In diesem Gesetzentwurf steht schlicht und einfach — der Herr Kollege Fischer pflegt hier von einer Verkürzung des Rechtsweges zu sprechen —, daß nach einem intensiven Verwaltungsverfahren mit Anhörung aller Beteiligten bei den im Gesetzentwurf genannten Arten von Vorhaben hinsichtlich der Widerspruchsmöglichskeit, der Klagemöglichkeit verhindert werden soll, daß eine Unzahl von Sachverständigenanhörungen, eine Unzahl von Verfahren und eine Unzahl von Wiederholungen über drei Instanzen hinweg stattfindet.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014036800
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1014036900
Nein. — Wer glaubt, in dieser Situation von „Skandal" und „Sondergesetz" reden zu können, dem kommt es nicht darauf an, sich sachlich mit dem auseinanderzusetzen, was an Notwendigkeiten vorherrscht.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn Sie, Herr Kollege Mann, auch nur die geringste Ahnung

(Seesing [CDU/CSU]: Die hat er nicht!) von der Belastung der Gerichte,


(Mann [GRÜNE]: Das ist doch eine Unverschämtheit! Lesen Sie einmal die Anhörungsprotokolle!)

wenn Sie auch nur die geringste Ahnung davon hätten, mit welcher Intensität im Verwaltungsverfahren Anliegen der Bürger behandelt und auch beschieden werden, dann wüßten Sie ganz genau, daß Sie hier von einer Beschränkung der Rechte des Bürgers nicht reden können.
Ich glaube, wir sollten uns einmal folgendes verdeutlichen: Die bisherigen Verfahren, die solche Vorhaben zum Gegenstand hatten, haben in allen Instanzen mit denselben Sachverständigen, mit denselben Beteiligten, mit denselben Argumenten zu tun gehabt. Bei einem Verwaltungsverfahren, wie wir es haben, bei einer ersten Instanz, deren Richterbank, Herr Kollege Kleinert, noch um zwei Richter erweitert werden soll, was vielleicht glücklich sein kann, möglicherweise aber auch nicht so besonders glücklich ist, und darüber hinaus einer
Revisionsinstanz hat niemand das Recht, hier davon zu reden, daß der Rechtsweg verkürzt wird und die Rechte des Bürgers beschränkt werden. Wer das Grundgesetz kennt — ich nehme an, jeder hier im Hause kennt es —, der weiß, daß die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 nicht beinhaltet, daß mehrere Instanzen zur Verfügung gestellt werden, sondern daß es mit Sicherheit ausreicht, wenn zwei Instanzen zur Verfügung stehen.
Wer von „Sondergesetz" und von der Beschränkung des Bürgers redet, der sollte sich einmal genau alle — alle! — Zuständigkeiten der Gerichte ansehen. Sie wissen so gut wie ich — da hilft alle Polemik überhaupt nichts —, daß es viele Verfahren gibt, in denen nur eine Instanz zugelassen ist. Angesichts dessen hier von „Sondergesetz" und Beschränkung des Bürgers zu sprechen, ist nicht angebracht. Ich würde wirklich darum bitten, sich intensiv mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, der uns alle bewegt hat, nämlich die Gerichte zu entlasten. Dabei sollten wir auch — das ist hier schon gesagt worden — an die denken, die draußen auf ihr Urteil warten, um weiterarbeiten zu können, die draußen warten und hoffen, daß ihr Arbeitsplatz erhalten bleibt. Der Antragstau und der Stau, den wir im Investitionsbereich haben, sind so groß, daß es gerechtfertigt ist, diese rechtsstaatliche Methode anzuwenden und dem Bürger sobald wie möglich Klarheit über seine Rechte und Klarheit über die Möglichkeit des Baues dieser Großvorhaben zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014037000
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1014037100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die in meinen Augen ganz unentbehrliche Gesamtbereinigung des Verwaltungsprozeßrechts wird umfassend in der Verwaltungsprozeßordnung realisiert werden, die demnächst eingebracht werden soll.
Heute beschränken wir uns auf die Vorabregelung zweier Fragen, die für die Verwaltungs- und die Finanzgerichtsbarkeit von erheblicher Bedeutung sind. Sie bedürfen der sofortigen Regelung. Ihre Einstellung in die befristeten Entlastungsgesetze ermöglicht überdies ihre Erprobung bis zur beabsichtigten Gesamtreform.
Zur Sache. Die Straffung der Verwaltungsprozesse ist besonders drängend bei den Großvorhaben. Nahezu ausnahmslos wird die Genehmigung solcher Großvorhaben durch sämtliche Instanzen hindurch gerichtlich angefochten. Dadurch werden — und dies ist ein gänzlich unbefriedigender Zustand —, wie bereits erwähnt, oft über viele, viele Jahre weitere Planungen und Investitionen blokkiert. Der Bundesrat hat den Anstoß zu diesem Entwurf gegeben. Bedenkt man die regelmäßig überregionale Bedeutung solcher Großvorhaben, so wird der Rechtsschutz nicht unbillig verkürzt, wenn an die Stelle von zwei Tatsacheninstanzen beim Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht künf-



Bundesminister Engelhard
tig gleich das Oberverwaltungsgericht mit einer verstärkten richterlichen Besetzung tritt.
Man kann hier verschiedener Meinung sein. Nur, wer dies in der politischen Auseinandersetzung, wie hier geschehen, als ein auf einen bestimmten Punkt zielendes Sondergesetz zu denunzieren und anzuschwärzen sucht, mit dem sich in der Sache auseinanderzusetzen rentiert eigentlich nicht.
Ich komme deswegen zum zweiten Punkt. Es besteht Einigkeit auch über die ganz dringend notwendige Entlastung des Bundesfinanzhofs. Diese Entlastung kann nur durch die Abschaffung der Streitwertrevision schnell und wirksam herbeigeführt werden. Es ist ja Aufgabe des Bundesfinanzhofs, als Revisionsgericht vor allem das Recht fortzuentwickeln und für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sorgen. An dieser Aufgabenstellung sollten sich auch die Zulassungskriterien für die Revision orientieren. Und da ist der Streitwert eben allein kein Gradmesser für die Bedeutung einer Sache. Vor einem Gericht, das derzeit so hoffnungslos überlastet ist wie der Bundesfinanzhof, Rechtsstreitigkeiten nur wegen des Streitwerts zu privilegieren, ist, ob es einem paßt oder nicht, im Ergebnis ungerecht.

(Beifall des Abg. Kleinert [Hannover] [FDP])

Damit im Interesse aller Betroffenen die Verfahren künftig wieder in einem zumutbaren Zeitraum rechtskräftig abgeschlossen werden können und auch die Steuerkassen sich wieder mit den heute oft über Jahre vorenthaltenen Beträgen füllen, wird die Zulässigkeit des Rechtsmittels künftig an folgende drei Gründe anknüpfen: zum einen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, zum zweiten die Abweichung von anderen oberstgerichtlichen Entscheidungen und zum dritten bestimmte Verfahrensmängel.
Unter diesem Gesichtspunkt bitte ich sehr herzlich, dem Gesetzentwurf in der Fassung des Rechtsausschusses Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014037200
Da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung.
Ich rufe auf die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Dankeschön! Wer stimmt dagegen? — Dankeschön! Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Somit ist das Gesetz angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Gansel, Amling, Bachmaier, Bahr, Bernrath, Bindig, Frau Blunck, Brück, Büchner (Speyer), Catenhusen, Collet, Conradi, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dreßler, Duve, Dr. Ehmke (Bonn), Dr. Emmerlich, Fischer (Homburg), Fischer (Osthofen), Frau Fuchs (Verl), Gerstl (Passau), Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Heistermann, Hiller (Lübeck), Dr. Holtz, Horn, Frau Huber, Immer (Altenkirchen), Jahn (Marburg), Jungmann, Kiehm, Kisslinger, Klein (Dieburg), Dr. Klejdzinski, Klose, Kühbacher, Kuhlwein, Lambinus, Löffler, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Neumann (Bramsche), Dr. Nöbel, Frau Odendahl, Paterna, Peter (Kassel), Rapp (Göppingen), Frau Renger, Reuter, Roth, Schäfer (Offenburg), Schanz, Dr. Scheer, Schlaga, Frau Schmidt (Nürnberg), Dr. Schmude, Schröer (Mülheim), Schulte (Unna), Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Steiner, Stiegler, Stobbe, Toetemeyer, Verheugen, Voigt (Frankfurt), Waltemathe, Wartenberg (Berlin), Weisskirchen (Wiesloch), Westphal, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Kriegswaffenkontrolle
— Drucksache 10/3342 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Im Ältestenrat ist eine Aussprache von 60 Minuten vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch gegen diesen Verfahrensvorschlag.
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1014037300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit juristischer Nüchternheit hat die SPD- Fraktion den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Kriegswaffenkontrolle in der vorliegenden Bundestagsdrucksache begründet. Wir wollen Lücken in der Kriegswaffenkontrolle schließen. Das ist ein Verfassungsauftrag, der heute auf den Tag 36 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes noch nicht voll erfüllt ist. Dafür tragen alle Fraktionen eine Mitverantwortung, soweit sie in diesen Jahren zur parlamentarischen Mehrheit gehört haben. Ich richte deshalb die Bitte an die Regierungskoalition, zu erkennen, daß unser Gesetzentwurf keine Schuldzuweisung oder Anklage ist, sondern ein faires Angebot in der Sache, und ich appelliere an Sie, in der Beratung auch bei der Sache zu bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Es geht hier allerdings nicht um irgend eine Sache, jedenfalls nicht für Sozialdemokraten, und ich will das vor dem Plenum politisch begründen.
Es geht um die wichtigste Lehre aus der jüngeren deutschen Geschichte, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen soll. Haben wir unsere



Gansel
Lektion, von der Helmut Kohl immer wieder beteuert, wir hätten sie gelernt, auch wirklich begriffen? So frage ich. Und ich frage weiter: Sind wir bereit, daraus praktische Konsequenzen zu ziehen?
Eine bittere Antwort darauf war unlängst in einem Zeitungskommentar zu lesen: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen. Aber alles, was dazugehört." Tatsächlich hat sich seit dem Entstehen von Rüstungskapazitäten in der Bundesrepublik der Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern ständig erhöht. Heute gibt es Rüstungsunternehmen, die weniger Sicherheit für die Bundesrepublik produzieren, als vielmehr zum Zweck der Rentabilität und Gewinnmaximierung um Absatzmärkte in der Dritten Welt kämpfen.

(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

Aus den spärlichen Informationen der Bundesregierung ergibt sich, daß 1983 mit 8,6 Milliarden DM ein Nachkriegs-Exportrekord für Kriegswaffen und Rüstungsgüter aufgestellt worden ist. Zwei Drittel der exportierten Kriegswaffen gingen in Länder, die nicht der NATO angehören; neuere Zahlen liegen nicht vor.
Diese Entwicklung hat zumindest in ihrem Beginn kein verantwortlicher Politiker gewollt. Ich frage die anwesenden Kolleginnen und Kollegen: Wollen Sie diese Entwicklung heute, und wollen Sie sie morgen weiterlaufen lassen?
Wer sich zur Landesverteidigung und zum Verteidigungsauftrag der NATO bekennt, muß sich auch zur Rüstungsproduktion bekennen. Aber nur soweit, wie es unserer Sicherheit und der Sicherheit im Bündnis dient. Jeder Export darüber hinaus ist problematisch, und viele Kriegswaffenexporte in Spannungsgebiete, menschenrechtsverachtende Diktaturen und Entwicklungsländer sind schlichtweg skandalös.

(Beifall bei der SPD)

In den vergangenen Jahren hat manche Exportgenehmigung des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundessicherheitsrates meine Partei und meine Fraktion beschäftigt, betroffen, erregt. Ich erinnere beispielhaft an den einstimmigen Protest der SPD-Bundestagsfraktion gegen die Produktionsgenehmigung für U-Boote nach Chile Ende 1980, als wir noch in der Regierungsverantwortung waren. In der Regierungsverantwortung der CDU/ CSU/FDP sind diese U-Boote dann ausgeliefert worden.
Seit 1976 haben Arbeitsgruppen der SPD-Fraktion unter der Leitung von Bruno Friedrich, Alfons Pawelczyk, Jürgen Linde und Egon Bahr Vorschläge zur Kontrolle der Genehmigungspraxis der Bundesregierung beim Kriegswaffenexport erarbeitet. Unsere Vorschläge wurden wie die Vorschläge der FDP-Fraktion nur zu einem Teil bei den neuen Richtlinien der Bundesregierung vom 20. April 1982 berücksichtigt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da war Helmut Schmidt noch Kanzler!)

Der Forderung von SPD- und FDP-Fraktion nach
einer Beteiligung des Parlaments wurde dadurch
Rechnung getragen, daß sich der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in einem Brief verpflichtete — ich zitiere —, „in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit den im Bundessicherheitsrat anstehenden Einzelfallentscheidungen des Rüstungsexportes die Fraktionsvorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien mit jeweils einem weiteren von den Fraktionsvorsitzenden zu bestimmenden Abgeordneten jeder Fraktion vorab zu informieren und die Einzelfälle mit ihnen zu erörtern".
Dieser Brief wurde gleichzeitig mit der Veröffentlichung der neuen Richtlinien im Bulletin der Bundesregierung an die Fraktionen verschickt. Bundeskanzler wie Bundesaußenminister erklärten damals, mit den neuen Richtlinien sollten die Entscheidungen über den Rüstungsexport eingeschränkt und transparent gemacht werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was hat er getan?!)

Als ein weiteres Ergebnis der Meinungsbildung in der SPD-Fraktion — übrigens auch in der FDP- Fraktion — wurde der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Saudi-Arabien beauftragt, der dortigen Regierung mitzuteilen, daß die von ihr gewünschten Waffenkäufe in der Bundesrepublik nicht genehmigt werden würden. Das geschah in Riad am 10. Juni 1982.
Zwei Jahre danach stellen wir fest: Der amtierende Kanzler weigert sich trotz mehrfacher schriftlicher Anmahnung des SPD-Fraktionsvorsitzenden, die von seinem Vorgänger eingegangenen Konsultationspflichten einzuhalten.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Wie nie zuvor betreibt die Bundesregierung Geheimniskrämerei. Rüstungsexporte haben dem Umfang nach zugenommen. Die Bundesregierung entdeckt vitale Interessen in Staaten, in denen die Rüstungsexportindustrie Aufträge akquiriert hat. Durch die Vereinbarung einer Zusammenarbeit im verteidigungspolitischen Bereich zwischen der Bundesrepublik und Saudi-Arabien hat Bundeskanzler Kohl unser Land erstmalig in militärische Verantwortlichkeiten außerhalb des Geltungsbereichs des Nato-Vertrages hineingezogen.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Ich will nicht dramatisieren. Ein sicherheitspolitischer Schaden ist noch nicht eingetreten. Bisher sind nur die Beziehungen zu Saudi-Arabien beschädigt worden, und das ist ärgerlich genug, nicht zuletzt für die wirtschaftlichen Beziehungen. Schwer aber wiegen die Belastungen, die sich aus der leichtfertigen Zusage des Bundeskanzlers in unserem Verhältnis zu Israel ergeben haben.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Hirsch [FDP])

Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, den Brief gründlich zu bedenken, den uns der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe und stellvertretende Vorsitzende der Knesseth, Dov Ben Meir, in diesen Tagen geschrieben hat. Er schreibt zu dem geplanten Panzergeschäft: „Das ist nicht



Gansel
nur eine wirtschaftliche Frage, das ist nicht einmal eine politische Frage, dies ist zuallererst eine moralische Frage." — Es ist traurig, daß wir uns das sagen lassen müssen und wissen, daß es stimmt.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Hirsch [FDP])

Aus diesen Entwicklungen und Erfahrungen ziehen wir heute mit einem Gesetzentwurf Konsequenzen, wie es der damalige stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Lothar Löffler, nach einer Fraktionssitzung am 26. Mai 1982, fast genau vor zwei Jahren, angekündigt hat. Es ist kein Zufall, daß Lothar Löffler wie auch Egon Bahr oder Annemarie Renger zu den Unterzeichnern dieses Gesetzentwurfs gehört.
Unsere Vorschläge in Stichworten: Aufnahme einer Kriegswaffen- und -länderliste in das Gesetz — sie können dann nur noch durch den Gesetzgeber verändert werden —, Gleichstellung von Waffenteilen, Fertigungsunterlagen und -anlagen mit Kriegswaffen -- dadurch werden die jetzigen Umgehungsmöglichkeiten bei Koproduktion und Kooperation beseitigt —, Strafbarkeit bei rechtswidrigen Genehmigungen durch Amtsträger — damit kann das Strafrecht auch hier präventiv wirken —, das Amt des Beauftragten des Bundestages für die Kriegswaffenkontrolle — er soll Bundestag und Öffentlichkeit über Kriegswaffenproduktion und -export informieren und als Kläger bei rechtswidrigen Genehmigungen auftreten können. Es ist ein Justizskandal, daß auch Genehmigungen, die offenbar gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen, gerichtlich nicht nachgeprüft werden können, es sei denn, ein Waffenhändler darf nicht so viel exportieren, wie er will.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Hirsch [FDP] — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sehr gut!)

Unser Gesetzentwurf ist so formuliert, daß nichtmilitärische Exporte nicht behindert werden. Nicht behindert wird auch die Rüstungsproduktion im Interesse unserer Sicherheit in der NATO. Wir wollen aber nicht, daß zur Auslastung bundesdeutscher Kapazitäten U-Boote für den kriegführenden Iran gebaut werden, wie es die Bundesregierung durch die Verlängerung einer Baugenehmigung zum Jahresende möglich gemacht hat.
Wir wollen nicht, daß für den Passagierverkehr getarnte Militärhubschrauber an den Irak geliefert werden. Wir wollen nicht, daß Flugzeugabwehrraketen, die zu mehr als 50 % aus deutscher Fertigung stammen, über das NATO-Land Frankreich an den Irak und über das NATO-Land Griechenland via Libyen an den Iran geliefert werden.

(Zustimmung bei der SPD)

Dieser irakisch-iranische Krieg ist ein schreckliches Paradebeispiel für Kriegswaffenexporte. Wir sind betroffen über das Leiden und Sterben so vieler hunderttausend Menschen. Wir haben diesen Krieg nicht ausgelöst; aber wir sind auf beiden Seiten mit Waffen aus deutscher Produktion beteiligt — und nur deshalb, weil damit Geld gemacht wird.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir beklagen die Gefahren für den Weltfrieden, die von diesem Brandherd ausgehen können; aber wir liefern im übertragenen Sinne das Öl, das auf beiden Seiten in das Feuer gegossen wird. Und im eigentlichen Sinne des Wortes ging es auch um 01, als die Kriegswaffenexporte dereinst damit begründet wurden, man könne durch den Verkauf von Kriegswaffen an diese Länder die Versorgung der Bundesrepublik mit billigem Rohöl sichern.
Wir wollen den Kriegswaffenexport auf die 24 Mitgliedstaaten der OECD gesetzlich beschränken. Diese Staaten liegen nicht in Spannungsgebieten, sie sind keine Entwicklungsländer, und sie sind demokratisch verfaßt. Nur zur Erleichterung der parlamentarischen Arbeit haben wir die Türkei aus dieser Länderliste nicht hinausgestrichen. So lange durch Mehrheitsentscheidungen des Bundestages die Türkei NATO-Verteidigungshilfe aus deutschen Steuergeldern erhält, schien es uns nicht erklärbar zu sein, das rechtliche Verbot von türkischen Waffenkäufen in der Bundesrepublik zu fordern.
Wir haben keine Menschenrechtsklausel aufgenommen, wie sie z. B. von kirchlichen Gruppen und amnesty international vorgeschlagen werden. Die Menschenrechtssituation muß bei der Entscheidung darüber berücksichtigt werden, welches Land in die Liste aufgenommen oder von der Liste gestrichen wird. Aber eine Menschenrechtsklausel würde keine Waffenexporte in Spannungsgebiete verhindern und auch der entwicklungspolitischen Problematik nicht gerecht werden. Ich nenne als Beispiel Argentinien in seiner gegenwärtigen Verfassung.
Die Rüstungsexportpolitik ist der Test für die Glaubwürdigkeit unserer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik.

(Beifall bei der SPD)

Wir nehmen den amtierenden Bundeskanzler Helmut Kohl bei seinem Wort: „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen." Dann kann er nicht immer mehr Waffen in die Dritte Welt exportieren lassen. Hier kann er den Beweis antreten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Niemand kann behaupten, daß Export von Kriegswaffen nach Indien oder Kolumbien, in den Irak oder nach Thailand irgend etwas mit der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu tun hat.
Die Waffenexportpolitik ist aber auch der Test für die Durchsetzbarkeit von Rüstungskontrolle und Abrüstung gegen ökonomische Interessen im nationalen Bereich, wenn internationale Abkommen sie möglich machen oder gar verlangen. Im militärisch-industriellen Komplex der Bundesrepublik sind mehr als eine Million Menschen beschäftigt: Berufssoldaten, Wehrpflichtige, Verwaltungsangehörige, Arbeitnehmer der Rüstungsindustrie. In der Rüstungsindustrie gibt es sichere Gewinne. Rüstungslobby und -werbung beeinflussen Politik und öffentliche Meinung. Übrigens: Auch deshalb



Gansel
wollen wir im Gesetzgebungsverfahren überprüfen, unter welchen Voraussetzungen man die kommerzielle Werbung für Kriegswaffen unter Strafe stellen kann.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Aber wie sollen in diesem Bereich jemals Veränderungen erreicht werden, wenn schon die Kritik an Waffengeschäften mit Bangladesch, Iran, Chile oder Saudi-Arabien mit dem Hinweis auf Arbeitsplätze diskreditiert wird? Für uns Sozialdemokraten ist auch das Recht auf Arbeit von moralischer Bedeutung. Wir fordern nicht nur aus Gründen des Wirtschaftswachstums Stützungsmaßnahmen im Baugewerbe oder klare Entscheidungen beim Katalysatorauto. Es gibt viele andere Maßnahmen, die mehr Arbeitsplätze schaffen, als durch Waffenexporte in Entwicklungsländer scheinbar gesichert werden. Ich verweise auf die Denkschrift des Europäischen Gewerkschaftsbundes.
Deshalb gibt es inzwischen nicht wenige Initiativen in Gewerkschaften und Betrieben, die zivile Alternativen zur militärischen Produktion erarbeiten. Da gibt es mehr praktisches Verantwortungsbewußtsein, als mancher Unternehmensvorstand zulassen will.

(Beifall bei der SPD)

Die Waffenexportpolitik ist auch ein Test für unsere Entwicklungspolitik. Der Waffenexport in Entwicklungsländer ist nicht nur eine Verschwendung von Ressourcen, sondern es ist skandalös, daß wir in manche Länder — zufällig — für genauso viel Geld Waffen verkaufen, wie wir Entwicklungshilfe hingeben, nur mit dem Unterschied: Jedes Entwicklungsprojekt dort wird von unseren Stellen hier präzise überprüft, während Waffen am freien Markt verkauft und am Ende noch mit Bundesbürgschaften unterstützt werden. Es kann nur als Skandal bezeichnet werden, daß U-Boote nach Brasilien aus dem Fonds der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Frankfurt unterstützt werden, wenn gleichzeitig die notwendigen Gelder zur Subventionierung des Exports von Handelsschiffen fehlen.

(Beifall bei der SPD)

Die Waffenexportpolitik ist auch ein Test dafür, wie auf die großen Teile der Friedensbewegung reagiert wird, die auch Unionspolitiker nicht als von Moskau gelenkt diffamieren können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)

Viele Persönlichkeiten und Gruppen aus der evangelischen und katholischen Kirche, aus CDU, CSU und FDP, aus den Gewerkschaften, aus Organisationen wie amnesty international und Terre des Hommes fordern den Verzicht auf Kriegswaffenexporte in die Dritte Welt. Ich appelliere an den Bundestag, diese Forderungen ernst zu nehmen.
Und wenn ich, Herr Kollege, mit dem Finger gezeigt habe, so weiß ich als Schüler Gustav Heinemanns, daß auch einige Finger immer auf uns zurückzeigen.
Aber es geht jetzt um die wichtigste Lektion aus der deutschen Geschichte, daß nämlich von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen soll, nicht durch deutsche Soldaten, aber auch nicht durch deutsche Waffen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014037400
Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.

Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1014037500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gansel, ich möchte Sie, da Sie das Wort, von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen, zweimal, zu Beginn und am Ende Ihrer Rede, zitiert haben, doch darauf hinweisen, daß es in der Tat nur die Hälfte des Zitates ist. Die andere Hälfte lautet, daß von deutschem Boden auch nie wieder Diktatur ausgehen darf. Wenn Sie schon zweimal zitiert haben, dann hätte ich eigentlich gerade von Ihnen erwartet, daß Sie ganz zitieren.
Ich will mich im übrigen Ihrem Appell zu Sachlichkeit und Nüchternheit nicht verschließen. Ich will das um so weniger tun, als ich mir wirklich bewußt bin und anerkenne, daß Ihr Engagement in dieser Sache ein ehrliches, ein sehr starkes ist, daß an Ihrer Überzeugung nicht zu zweifeln ist. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß zu diesem Appell das Wort von der rüstungsexportpolitischen Wende, das bei der Veröffentlichung Ihres Vorschlages nicht ganz paßt. Denn Sie wissen sehr gut, daß dieses Wort von der rüstungsexportpolitischen Wende nicht stimmt. Abgesehen von der nachweisbaren Falschheit dieser Behauptung wollten Sie damit offensichtlich verdecken, daß eine Wende in der SPD-Fraktion auch hier stattgefunden hat, daß Norbert Gansel endgültig über Helmut Schmidt gesiegt hat.

(Zuruf von der SPD: Das hat er doch eingeräumt!)

Dieser Sieg schließt sich ja an eine Reihe vergleichbarer Siege innerhalb der SPD-Fraktion gegenüber den realistischen Kräften an. Ich will versuchen, das zu begründen.
Die in dem Entwurf vorgesehene Beschränkung von Rüstungsexporten auf den OECD-Bereich bedeutete einen völligen Verzicht von Kriegswaffenlieferungen in die Dritte Welt. Nun ist sich selbstverständlich jeder in diesem Raum über die Problematik von Rüstungsexporten in die Dritte Welt im klaren. Ich bin das ganz gewiß auch. Aber mir scheint es doch außerordentlich problematisch zu sein, mit einem solchen Schritt, wie ihn die SPD vorschlägt, den Ländern der Dritten Welt de facto pauschal und undifferenziert legitime Sicherheitsinteressen völlig abzusprechen oder ihnen das notwendige Verantwortungsbewußtsein bei der Verfolgung solcher Sicherheitsinteressen abzusprechen.
Das liegt, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wirklich nicht im außenpolitischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Es kann nicht in unserem Interesse liegen, eine solche Haltung gegenüber der gesamten Dritten Welt



Lamers
an den Tag zu legen. Ich verstehe das wirklich um so weniger, als Sie und der Vorsitzende Ihrer Partei bei jeder sich bietenden Gelegenheit an die Rechte, die Würde und die Verantwortlichkeit der Länder der Dritten Welt erinnern.
Ausfuhrpolitisch — das ist nicht der entscheidende Gesichtspunkt, aber ich will doch darauf hinweisen — würden von dieser Regelung vor allem die Kriegsschifflieferungen betroffen, die einen Anteil von bis zu 90 %, wie Sie sehr gut wissen, an den Kriegswaffenlieferungen außerhalb der NATO ausmachen. Die Arbeitnehmer auf den Werften werden es sicherlich gerne hören.

(Lambinus [SPD]: Die bauen genauso gern Luxusdampfer!)

Durch die Ausweitung der Kriegswaffenliste auf Anlagen und Fertigungsunterlagen sowie durch einen sogenannten Auffangtatbestand würden darüber hinaus Anlagenexporte betroffen, die ebenfalls einen wesentlichen Anteil sonstiger Rüstungsgüter ausmachen. Daß die Fiktion, von der Sie ausgehen, im übrigen auch rechtspolitisch problematisch ist und daß der sogenannte Auffangtatbestand höchst interpretationsfähig und -bedürftig ist, ist eine Bemerkung, die ich nur am Rande machen sollte.
Zur Durchsetzung Ihrer Zielsetzung schlagen Sie nun vor, einen Beauftragten des Bundestages für die Kriegswaffenkontrolle zu installieren. Er soll sehr weitgehende Vollmachten erhalten und nicht nur ein Auskunftsrecht bekommen, sondern auch Gelegenheit zur Stellungnahme vor jeder Genehmigung und eine Klagebefugnis.
Glauben Sie mir bitte: Wirklich ganz unabhängig von dem hiermit verfolgten Zweck muß ich für meine Fraktion sehr ernsthafte Bedenken gegen diesen Vorschlag anmelden.

(Zuruf von der SPD: Warum?)

Es erscheint mir fraglich, ob dieser Entwurf dem Verfassungsgebot einer eindeutigen Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Legislative und Exekutive gerecht werden kann und eine klare Zuordnung der Verantwortlichkeiten gewährleistet ist.

(Lambinus [SPD]: Das spricht auch gegen den Wehrbeauftragten und den Datenschutzbeauftragten!)

Daneben würde eine Verwirklichung Ihres Gesetzentwurfes die private Rüstungskooperation mit den europäischen Partnern der Bundesrepublik unmöglich machen und die staatlich vereinbarte sehr erschweren.

(Lambinus [SPD]: Das haben Sie nicht überlegt, was Sie jetzt sagen!)

Ohne die Möglichkeit von Rüstungskooperation und -koproduktion ist eine nationale Rüstungsproduktion aber überhaupt nicht aufrechtzuerhalten. Jedermann weiß das.
Als Erklärung für Ihren Vorschlag gibt es also nur die Alternative, daß Sie entweder dies wollen oder aber dem bekannten Oppositionssyndrom verfallen sind, Vorschläge zu machen, von denen Sie genau wissen, daß sie nicht realisierbar sind. Das eine ist so schlimm wie das andere. Aus diesen Gründen kann sich meine Fraktion mit dem SPD- Entwurf nicht anfreunden.
Wir glauben aber auch, meine Damen und Herren, daß auch ohne eine gesetzliche Änderung weiterhin an einer restriktiven Rüstungsexportpolitik festgehalten werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Wie bitte?)

Für eine solche treten wir nach wie vor aus verfassungsrechtlichen, außenpolitischen, volkswirtschaftlichen, entwicklungspolitischen und nicht zuletzt auch ethischen Gründen ein.

(Beifall bei der CDU/CSU — Conradi [SPD]: Die ethischen kommen immer am Schluß! Am Anfang kommt das Geld, am Schluß die Ethik!)

Ich möchte, meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Überlegungen in folgenden Punkten zusammenfassen.
Erstens. Die CDU/CSU hält eine weltweite Beschränkung des Rüstungsexports unter Einschluß der Sowjetunion und ihrer Verbündeten für notwendig.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lambinus [SPD]: Oh! Oh! Oh!)

Es müssen in der Tat alle Anstrengungen unternommen werden, um eine international kontrollierte Vereinbarung dieser Art zu erreichen.
Zweitens. Dafür sollte der Rüstungshandel mit der Dritten Welt in der Tat transparenter gemacht werden. Der Vorschlag der Bundesregierung zur Einführung eines Waffenproduktions- und Waffenhandelsregisters bei den UN ist weiterzuverfolgen. In ihm müssen auch die Entwicklungshilfeleistungen der Rüstungsexportländer aufgenommen werden.
Ich will in diesem Zusammenhang sagen, daß sich die Bundesregierung vielleicht auch überlegen sollte, ob sie das, was sie sich durch Kleine Anfragen, insbesondere durch die Initiativen aus den Reihen der Fraktion der GRÜNEN,

(Lebhafter Beifall des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

immer wieder gewissermaßen entlocken läßt an Informationen, nicht von sich aus dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit bekanntgeben will.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Schwache Antworten!)

Drittens. Der Rüstungsexport der Bundesrepublik Deutschland in Länder der Dritten Welt ist wegen der eben genannten Gründe weiterhin restriktiv zu gestalten und die Genehmigungspraxis in strikter Anwendung der Bestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes, des Außenwirtschaftsgesetzes und der Richtlinien der Bundesregierung vom April 1982 zu handhaben. Wir glauben, daß diese



Lamers
Bestimmungen in der Tat für eine restriktive Rüstungsexportpolitik ausreichen.

(Toetemeyer [SPD]: Wer kontrolliert das, Herr Kollege?)

Viertens. Ausnahmen von der restriktiven Genehmigungspolitik sollten gemäß den politischen Richtlinien nur dann erfolgen, wenn sich diese auf Grund vitaler außen- und sicherheitspolitischer Interessen im Einzelfall begründen lassen. Dabei muß ausschlaggebender Gesichtspunkt für die Interpretation dieser Interessen die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Stabilität sein.
Fünftens. Die Bundesregierung muß durch eine Entscheidung im Einzelfall die politische Kontrolle über den deutschen Rüstungsexport behalten.
Sechstens. Bei der Entscheidung über Lieferungen vor allen Dingen von Kleinwaffen und anderen Rüstungsgütern, die zu Unterdrückungsmaßnahmen besonders geeignet sind, ist die Menschenrechtssituation des Empfängerlandes besonders sorgfältig zu prüfen. Ich glaube, daß Nr. 12 der Richtlinien hierfür durchaus eine Handhabe gibt.
Siebtens. Die CDU sieht die vordringliche Aufgabe der deutschen Rüstungsindustrie in der Erhaltung der eigenen Verteidigungsfähigkeit im Rahmen der Arbeitsteilung der NATO. Die Bundesregierung wird deshalb aufgefordert, weiterhin alle Anstrengungen zu unternehmen, um auch für die im Rahmen der Rüstungskooperation mit anderen NATO-Staaten produzierten Rüstungsgüter eine gemeinsame restriktive Exportpraxis zu erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die ökonomischen Zwänge für Kooperationen sollten genutzt werden, um den Spielraum für politische Entscheidungen im Rüstungsexport zu vergrößern.
Meine Damen und Herren, wir nehmen davon Abstand, zu diesem schwierigen und zugegebenermaßen auch heiklen Thema ein Patentrezept anzubieten. In meinen Augen ist das, was Sie vorgetragen haben, ein Patentrezept, aber kein praktikabler Weg. Wir werden weiterhin für eine restriktive Exportpolitik der Bundesregierung eintreten.

(Lambinus [SPD]: So wie in den letzten zwei Jahren?)

Und ich bin sicher, daß sich die Bundesregierung daran halten wird.
Ich darf zum Abschluß daran erinnern, Herr Kollege Gansel,

(Lambinus [SPD]: Wo kommen denn die Steigerungsraten her?)

daß das Geschäft, das der frühere Bundeskanzler Schmidt in Saudi-Arabien abgeschlossen hatte, einen wesentlich umfangreicheren und heikleren Charakter als das hatte, das mit Helmut Kohl in Riad vereinbart worden ist.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014037600
Das Wort hat die Abgeordnete Borgmann.

Annemarie Borgmann (GRÜNE):
Rede ID: ID1014037700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger!

(Zuruf von der CDU/CSU: Genossen!)

Zwischen 1973 und 1980 haben die Rüstungsexporte der Bundesrepublik nahezu um das Zehnfache zugenommen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Genau!)

Der Waffenhandel blühte in dieser Zeit der SPD- Regierung auf.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Es ist nur die Fortsetzung dieser Entwicklung, wenn die Rüstungsexporte im Jahre 1983 ihren, wie Kollege Gansel schon erwähnte, Nachkriegsrekord von 8,6 Milliarden DM erreichten.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Schlimm!)

Die GRÜNEN im Bundestag fordern einen unbedingten Stopp der Rüstungsexporte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Von diesen Rüstungsexporten sind die Kriegswaffen bekanntlich nur ein kleiner Teil. Den größten Umfang an Zahl und Wert haben die Exporte sogenannter sonstiger Waren von strategischer Bedeutung. Auch diese Waren sind zur Kriegführung bestimmt, wie jeder weiß. Schon deshalb kann uns der Gesetzentwurf der SPD nicht zufriedenstellen,

(Dr. Rose [CDU/CSU]: Und das Geld, das Sie der SWAPO geben?)

weil er sich ausdrücklich auf Kriegswaffen beschränkt und alle sonstigen Rüstungsgüter ausnimmt.
Im Entwurf des Abgeordneten Gansel und seiner Fraktion sind einige wichtige Ansätze enthalten. So begrüßen wir den Vorschlag, die Entscheidung darüber, welche Waffen als Kriegswaffen gelten sollen und in welche Länder sie exportiert werden dürfen, in Zukunft dem Bundestag selbst zu übertragen.
Einen Fortschritt stellt sicher auch der Vorschlag dar, den Kriegswaffenexport auf die 23 OECD-Staaten, also im großen und ganzen auf die entwickelteren westlichen Industrieländer, zu beschränken. Wenigstens die Länder der Dritten Welt wären dann davor verschont, mit deutschen Panzern und U-Booten beglückt zu werden.
Seinerzeit verkaufte die Schmidt-Regierung bedenkenlos Fregatten an die blutrünstige argentinische Militärregierung. Die Schulden aus diesem Geschäft muß jetzt die demokratische Zivilregierung Argentiniens abstottern. Wir begrüßen, daß die SPD dergleichen für die Zukunft jetzt ausschließen will, aber akzeptabel scheint der Vorschlag, Kriegswaffen auch weiterhin in die OECD-Staaten zu exportieren, nur auf den ersten Blick; denn Rüstung und Waffen stellen in den Industriestaaten im Prinzip kein kleineres Übel dar als in den Entwicklungsländern. Die Rohstoffe dafür sind auf jeden Fall vergeudet, und die Mitgliedschaft in der OECD ist keineswegs gleichbedeutend mit friedlichem Verhal-



Frau Borgmann
ten. Die Mittelamerikapolitik der USA, Frankreichs Einmischung im Tschad und Großbritanniens blutiger Krieg in Nordirland sollen hier nur als Beispiele stehen.
Weiter: Mitglieder der OECD, z. B. Spanien und Griechenland, waren noch vor wenigen Jahren Militärdiktaturen, und das OECD-Mitglied Türkei ist es heute noch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt aber nicht!)

Die minimale Konsequenz aus diesen Erfahrungen müßte die Aufnahme einer Menschenrechtsklausel sein.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sehr gut!)

Amnesty international fordert diese Menschenrechtsklausel aus gutem Grund. Herr Gansel, wir können die ablehnende Haltung der SPD in diesem Punkt überhaupt nicht verstehen.
Zu der Einrichtung eines Beauftragten des Bundestages für die Kriegswaffenkontrolle: Das ist ein typischer SPD-Vorschlag.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr!)

Wir fürchten, daß dieser Vorschlag hauptsächlich dazu dienen soll, etwas zu verhindern,

(Zuruf von der CDU/CSU: Die brauchen Leute zum Versorgen!)

nämlich die umfassende Veröffentlichung der Waffenexportstatistiken. Die GRÜNEN haben beantragt, diese Statistiken in dem Umfang zu veröffentlichen, wie es in den USA schon lange der Fall ist. Es wäre ein echter Bruch mit der bisherigen Praxis aller Bundesregierungen, die hier bewußt eine Grauzone schafft, in der legale und illegale Waffenhändler

(Lambinus [SPD]: Unterstellen Sie uns doch nicht solche Mätzchen!)

im trüben fischen können. Dies wäre auch ein Schritt zu einer ehrlichen öffentlichen Diskussion über das Problem Waffenexport überhaupt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Am Ende einer solchen ehrlichen Diskussion würde sich nach unserer Überzeugung das Verbot sämtlicher Waffenexporte zwingend ergeben.
Diese Veröffentlichung der Rüstungsexportstatistiken sieht der SPD-Entwurf gerade nicht vor. Er schafft einen Bundesbeauftragten, der unter dem Siegel der Vertraulichkeit Einblick in die bundesdeutschen Waffengeschäfte bekommen soll. Die Grauzone bleibt.

(Lambinus [SPD]: Das stimmt doch gar nicht, was Sie erzählen! Sie haben den Entwurf doch gar nicht gelesen!)

Die Öffentlichkeit erfährt nur das, was die Regierung und der von der Parlamentsmehrheit bestimmte Beauftragte sie wissen lassen wollen.

(Lambinus [SPD]: Lesen Sie doch erst einmal den Entwurf!)

Noch einmal: Für uns ist die Offenlegung des Waffenhandels das zentrale Anliegen. Unser Antrag vom 4. März dieses Jahres hierzu liegt vor. Wir fürchten, daß der SPD-Vorschlag von dieser Forderung ablenken soll.

(Lambinus [SPD]: Unterstellen Sie uns doch nicht dauernd solche Mätzchen!)

Daß andererseits auch eine stärkere parlamentarische Kontrolle auf diesem Gebiet dringend notwendig ist, beweisen die Antworten der Bundesregierung auf unsere zahlreichen Anfragen zum Rüstungsexport.

(Lambinus [SPD]: Für was halten Sie uns denn eigentlich?)

— Vielleicht hören Sie einmal zu und sprechen dann hinterher mit mir.

(Lambinus [SPD]: Denken Sie erst einmal, bevor Sie etwas sagen, und lesen Sie erst einmal etwas!)

So hat die Bundesregierung zugeben müssen, unter Bruch des völkerrechtlich verbindlichen Rüstungsembargos gegenüber Südafrika im Jahre 1983 -- die Zahlen für 1984 stehen noch aus, obwohl wir bereits im März danach gefragt haben — den Export von Waren im Wert von 350 Millionen DM nach Südafrika genehmigt zu haben; darunter sowohl Kernenergiematerialien

(Zuruf von der CDU/CSU: Die haben die doch selber!)

wie auch Waren aus Teil A der Ausfuhrliste zur Außenwirtschaftsverordnung — also Kriegswaffen und kriegswaffennahe Rüstungsmaterialien. Hier verstößt die Bundesregierung eindeutig gegen das Völkerrecht. Wir haben deshalb die UNO über diese Praxis informiert.
Wir werden in der Frage des Rüstungsembargos gegenüber Südafrika in der Zukunft sicherlich noch mehr erfahren. Fest steht auf jeden Fall, daß noch in diesen Wochen militärische Waren in den Apartheidsstaat exportiert werden — mit Zustimmung der Bundesregierung.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Trauerspiel!)

Die Firma Goldhofer in Memmingen z. B. exportiert — aus ihrer Sicht völlig legal — Panzerauflieger nach Johannesburg. Daran, daß es sich um Militärfahrzeuge handelt, besteht kein Zweifel. Dennoch stellt sich die Bundesregierung auf den Standpunkt, es seien zivile Baustellentransporter. Die Beispiele ließen sich fortführen.
Die bestehenden Gesetze würden vollkommen ausreichen, diese Ausfuhren zu unterbinden. Aber der politische Wille zu ihrer Durchsetzung fehlt offensichtlich.

(Zuruf von den GRÜNEN: Richtig!)

Die GRÜNEN im Bundestag — ich wiederhole dies absichtlich — sind grundsätzlich gegen Rüstungsexporte. Wir begreifen unsere Arbeit hier im Bundestag ausdrücklich als Teil einer bundeswei-



Frau Borgmann
ten Kampagne, die — ausgehend von Pax Christi und anderen christlichen Gruppen,

(Lambinus [SPD]: Wo ist denn Ihr Entwurf?)

von amnesty international und den entwicklungspolitischen Aktionsgruppen, die sich im Bundeskongreß zusammengeschlossen haben — inzwischen von sehr vielen Mitbürgern getragen und unterstützt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich glaube, die Tatsache, daß wir hier heute über diesen Vorschlag der SPD diskutieren, hängt sehr eng mit dieser Entwicklung zusammen.

(Lambinus [SPD]: Wo ist Ihrer? — Zuruf von der SPD: Sie diskutieren ja gar nicht!)

Unsere Kritik an dem SPD-Gesetzentwurf habe ich erläutert. Zu wünschen bleibt, daß die SPD dort, wo sie regiert, ihren Teil dafür leistet, daß die bestehenden Rüstungsexportgesetze auch angewendet werden.
Ich möchte hier nur das Beispiel Rheinmetall nennen, eine Art Justizposse, die sich seit nunmehr über sieben Jahren in Düsseldorf abspielt. Es geht dabei unter anderem um die Ausfuhr und Errichtung einer kompletten Munitionsfüllanlage in Südafrika, deren Export von der Schmidt-Regierung

(Zuruf von der SPD: Was heißt denn hier „Schmidt-Regierung"!)

in das eben auch nicht demokratische Paraguay genehmigt worden sein soll.

(Zuruf von der SPD: Was heißt das?)

Ich sage „sein soll", weil angesichts der Verfahrensweise in Düsseldorf und Bonn nicht auszuschließen ist, daß in Wirklichkeit doch die völkerrechtswidrige Exportgenehmigung für Südafrika vorlag — völkerrechtswidrig deshalb, weil die Ausfuhr nach November 1977 erfolgte, als mit der Stimme der Bundesrepublik das UNO-Rüstungsembargo über Südafrika verhängt wurde.
Spätestens 1979 war diese Anlage fertig und allen Interessierten klar, daß hier entweder die Bundesregierung oder die Firma nicht Rechtens gehandelt hatte. Wären nicht die Anti-Apartheid-Gruppen aufmerksam gewesen, vielleicht hätten die Düsseldorfer Staatsanwälte das Verfahren längst eingestellt. So aber wurde es in Sachen Rheinmetall immer wieder recht hektisch. Drei Jahre nach Aufnahme der Ermittlungen veranstalteten BKA-Beamte in der Düsseldorfer Konzernführung eine medienwirksame Hausdurchsuchung. Das war im August 1981.
Im August 1983 wurde nach immerhin sechs Jahren Ermittlungszeit die Anklage fertig. Nachdem die Anti-Apartheid-Bewegung Strafanzeige gegen die Staatsanwälte wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt und der Verfahrensverschleppung stellten, wurden drei Rheinmetall-Manager für einige Stunden inhaftiert. Aber ein Prozeßtermin steht weiterhin aus.

(Zuruf von den GRÜNEN: Unerhört!)

Dem Landgericht fehlt es am nötigen Personal, heißt es. Prozeßverschleppung in einem SPD-regierten Bundesland — immer in der Hoffnung, daß die CDU eine stille Amnestie für die Waffenschmuggler durchsetzt.

(Lambinus [SPD]: Das ist doch ungezogen, was Sie da erzählen!)

Aber wen sollte diese offensichtliche Verschleppung des Verfahrens auch überraschen — in einem Land, in dem die Kreissparkassen die südafrikanische Goldmünze Krügerrand verkaufen

(Zuruf von der SPD: Dümmlicher geht es nimmer!)

und die Polizei jede Kundgebung, jede Mahnwache, selbst die Übergabe von Petitionen durch Bundestagsabgeordnete an die südafrikanische Botschaft verhindert! Ich selbst bin mit drei Kollegen dort am Montag von der Polizei bei dem Versuch abgeführt worden, die Petition für die Freilassung der 16 Führer der Vereinigten Demokratischen Front Südafrikas zu übergeben.

(Lambinus [SPD]: Das ist uns genauso gegangen!)

Ich habe dem Beispiel Südafrikas so viel Raum gegeben, weil man daran sehen kann, wozu die Geheimhaltung der Rüstungsexporte dient. Unser Kampf gegen die Rüstungsexporte und der Kampf gegen Militärdiktaturen und rassistische Regime gehören eng zusammen.
Darum möchte ich schließen mit einem Gruß an die politischen Gefangenen in Südafrika, an die Führer der United Democratic Front, die seit Montag vor den Gerichten des Apartheid-Regimes stehen, und mit einem besonders herzlichen Dank in diesem Fall an die Abgeordneten des amerikanischen Kongresses, die sich in diesen Tagen aktiv und nachdrücklich für Sanktionen gegen Südafrika einsetzen.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014037800
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1014037900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der hier vorliegende Gesetzentwurf der SPD macht, wie ich meine, wiederum sehr deutlich, wie weit sich die heutige SPD- Fraktion von der von Helmut Schmidt seinerzeit konzipierten und vertretenen Außen- und Sicherheitspolitik entfernt hat;

(Lambinus [SPD]: Wer war denn Außenminister, Herr Kollege?)

denn Helmut Schmidt war es, der die vor drei Jahren in Kraft gesetzten politischen Grundsätze, die heute für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern gelten, maßgeblich mitbestimmt und mitgestaltet hat.

(Lambinus [SPD]: Wer war denn Außenminister? Wer war denn Wirtschaftsminister? — Weitere Zurufe von der SPD)




Beckmann
— Herr Lambinus, hören Sie doch mal zu, bevor Sie so brüllen.

(Lambinus [SPD]: Ich frage Sie: Wer war Außenminister? Wer war Wirtschaftsminister?)

— Sie müssen Ihre Stimmbänder ein bißchen schonen und mehr Ihr Gehirn einschalten, bevor Sie reden.

(Lambinus [SPD]: Das habe ich eingeschaltet!)

Der damaligen Koalition aus SPD und FDP, meine sehr verehrten Damen und Herren, war es gelungen, eine tragfähige und sicherheitspolitischen Bedürfnissen gerecht werdende Lösung zu finden,

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

die sich vor allen Dingen, wie ich meine, in der Praxis bewährt hat und heute die Aufrechterhaltung eines restriktiven Rüstungsexports garantiert.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Wie bitte?)

Die politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern konnten und können sich sehen lassen. So wird, selbst wenn übergeordnete Interessen auf dem Spiel stehen, der Export von Kriegswaffen außerhalb des NATO-Bereichs nur noch möglich sein — ich will das wiederholen —, wenn es sich um vitale außen- und sicherheitspolitische Interessen unter Berücksichtigung von Bündnisinteressen handelt, die innere Lage eines Landes dem nicht entgegensteht, die Lieferung nicht zur Erhöhung von Spannungen führt,

(Zuruf des Abg. Gansel [SPD])

eine Gefahr für den Ausbruch einer bewaffneten Auseinandersetzung nicht besteht und die zu liefernden Waffen für Verteidigungszwecke bestimmt sind.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist geradezu eine Karikatur!)

Dies alles waren und sind Fortschritte im Vergleich zu den bis dahin gültigen Regelungen. Immerhin war es gelungen, daß nunmehr die strengen Kriterien, welche für ausnahmsweise Lieferungen in Spannungsgebiete vorgesehen waren, auf den gesamten Bereich außerhalb des NATO-Gebiets Anwendung fanden.
Das war übrigens gegenüber dem Koalitionspartner SPD damals gar nicht leicht durchzusetzen, wenn ich das in Erinnerung rufen darf.

(Zuruf des Abg. Lambinus [SPD] — Weitere Zurufe und Lachen von der SPD)

Überzeugungsarbeit gegenüber der Bundesregierung und dem damaligen Koalitionspartner mußte auch zur Durchsetzung des Vorschlags geleistet werden — —

(Anhaltende Zurufe von der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014038000
Meine Herren, ich möchte doch um ein wenig mehr Ruhe für den Redner bitten.

(Lambinus [SPD]: Das sind doch Geschichtsfälscher!)

— Herr Abgeordneter Lambinus, etwas mehr Zurückhaltung!

(Lambinus [SPD]: Nein, das muß ich mir nicht gefallen lassen, was der macht!)

Fahren Sie bitte fort, Herr Abgeordneter Beckmann.

(Mann [GRÜNE]: Herr Beckemann, setzen Sie sich durch!)


Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1014038100
Vielen Dank, Herr Präsident.
Überzeugungsarbeit mußte damals auch gegenüber dem Koalitionspartner hinsichtlich des Vorschlags geleistet werden, daß die Neudefinition eine Formulierung erhalten sollte, nach der die innere Lage eines potentiellen Empfängerlandes bei Rüstungsexportgenehmigungen zu berücksichtigen sei.

(Dr. Soell [SPD]: Das haben wir doch gemacht, nicht die FDP!)

Insgesamt darf festgestellt werden, daß die politischen Grundsätze von 1982 ein Fortschritt im Sinne der Friedenspolitik waren und sind.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU — Zurufe von der SPD)

Sie waren gleichzeitig realistisch und handhabbar.
Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat sich, wenn ich das nebenbei bemerken und in Erinnerung rufen darf, häufig persönlich in die Arbeit an den politischen Grundsätzen eingeschaltet.
Drei Jahre nach Inkrafttreten dieser politischen Grundsätze verläßt die SPD nun auch auf diesem Gebiet die Linie von Helmut Schmidt und begibt sich — bei allem guten Willen, den ich hier feststellen will — in den Bereich des Unrealistischen, des nicht Machbaren, in die Pose des Welttugendwächters und entwickelt darüber hinaus Vorstellungen, die mit der Verfassung gar nicht oder nur schwierig zu vereinbaren sind.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Lesen Sie mal Art. 26! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Diese Eigenschaften jedenfalls kennzeichnen den vorgelegten Gesetzentwurf, der gleichzeitig übrigens auch ein Mißtrauensvotum gegenüber der Politik der SPD und ihres Bundeskanzlers in der sozialliberalen Zeit ist.

(Zuruf der Abg. Frau Hürland [CDU/ CSU])

Die SPD muß sich heute fragen lassen, wie es um ihre Glaubwürdigkeit bestellt ist.

(Zuruf des Abg. Lambinus [SPD])

Politische Grundsätze, die noch vor kurzem als richtig und ausreichend angesehen wurden, sollen nunmehr überholt sein und, wenn man die Begrün-



Beckmann
dung zu dem Entwurf richtig liest, nicht mehr den Erfordernissen des Grundgesetzes entsprechen.

(Zuruf des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, gerade das Gegenteil ist der Fall. Nicht das bestehende Recht, sondern der vorgelegte Gesetzentwurf verletzt in seinen wesentlichen Punkten Grundsätze unserer Verfassung.

(Zuruf von der SPD: Jetzt bin ich aber gespannt!)

Ich will mich daher in der ersten Beratung auf die folgenden verfassungsrechtlichen Kritikpunkte beschränken.

(Mann [GRÜNE]: Das ist wirklich dreist!)

Erstens sieht dieser Entwurf vor, die Kriegswaffenliste neu zu fassen und um einen Auffangtatbestand und eine Fiktion zu ergänzen. Der Auffangtatbestand soll vor allem das Zubehör und die Bauteile der in der Liste enthaltenen Kriegswaffen erfassen. Die vorgeschlagene Fiktion enthält eine Gleichstellung der Fertigungsunterlagen und Produktionsmittel mit den Kriegswaffen. Beide Regelungen — Auffangtatbestand und Fiktion — würden aber, da sie den Inhalt des Kriegswaffenbegriffes mitbestimmen, in die Tatbetände der Strafvorschriften des § 16 des Kriegswaffenkontrollgesetzes mit einfließen. Dies hätte zur Folge, daß der Tatbestand dieser Strafvorschrift nicht mehr erkennen ließe, welches Verhalten exakt unter Strafe gestellt würde.

(Lachen bei der SPD)

Dies widerspräche dem verfassungsrechtlichen Grundsatz nulla poena sine lege stricta. Auffangtatbestand und Fiktion sind daher für die Strafbewehrung nicht bestimmt genug gefaßt und damit abzulehnen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist aber windig!)

Viel sinnvoller wäre es aus unserer Sicht daher, falls überhaupt ein Bedürfnis hierfür besteht — hierzu schweigt sich übrigens auch die Begründung des Entwurfs völlig aus —, weiteres konkretes Zubehör oder Bestandteile von Kriegswaffen als solche mit in die Liste aufzunehmen. Das gleiche gilt übrigens für Fertigungsunterlagen und Produktionsmittel zur Herstellung bestimmter Kriegswaffen. Auch sie könnten sinnvoller erfaßt werden, aber, wie gesagt, immer nur dann, wenn hierfür ein nachweisbarer Anlaß besteht.
Zweitens. Auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken stößt die Einrichtung eines Beauftragten für Kriegswaffenkontrolle beim Deutschen Bundestag. Zunächst vermag ich nicht nachzuvollziehen, wie ein solches Organ des Bundestages durch ein einfaches Gesetz konstituiert werden soll. Bereits der Vergleich mit den Institutionen des Wehrbeauftragten und der Blick auf Art. 45b des Grundgesetzes zeigen, daß hier eine grundgesetzliche Ermächtigung notwendig ist.

(Zuruf des Abg. Lambinus [SPD])

— Dagegen hilft auch kein Lamentieren; an der Verfassung, Herr Kollege Lambinus, kommen auch Sie nicht vorbei, auch wenn Sie es möchten.

(Beifall bei der FDP)

Weiterhin erscheinen mir die dem Beauftragten eingeräumten Befugnisse auf uneingeschränkte Auskunft und Akteneinsicht sowie jederzeitigen Zutritt zu allen Diensträumen mehr als bedenklich. Diese Befugnisse sind so weitgehend ausgestaltet, daß man hierin einen unzulässigen Eingriff in den Kernbereich der vollziehenden Gewalt sehen könnte. Derart weitreichende Eingriffe von Organen der Legislative in das Handeln der Exekutive widersprechen auch dem Prinzip der Gewaltenteilung und müssen als verfassungswidrig abgelehnt werden.
Schließlich kann dem Klagerecht, das dem Beauftragten nach dem Entwurf gegen Mitglieder der Bundesregierung eingeräumt werden soll, nicht zugestimmt werden. Eine derartige Befugnis ist — wie die anderen dargelegten Neuerungen auch — nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Da der Beauftragte als Organ des Parlaments auftreten soll, wäre sein Klagerecht gleichzeitig eines des Deutschen Bundestages. Eine Klagebefugnis des Deutschen Bundestages vor dem Verwaltungsgericht gegen Mitglieder der Bundesregierung ist aber undenkbar; sie wäre auch mit der grundgesetzlichen Zuordnung der staatlichen Gewalten — Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung — und der sie tragenden Organe zueinander nicht vereinbar.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß dieser Gesetzentwurf einen Rückschritt gegenüber der bisherigen Regelung darstellt. Die bestehenden Gesetze und die politischen Grundsätze reichen aus, um einen restriktiven Rüstungsexport zu gewährleisten.

(Zurufe von der SPD)

Der vorliegende Gesetzentwurf würde Unklarheiten und Unsicherheiten hervorrufen. Wesentliche Punkte dieses Entwurfs — ich wiederhole das — stehen nicht mit der Verfassung in Einklang.

(Lambinus [SPD]: Behaupten Sie!)

Ich will hinzufügen: Dieser Entwurf ist in vielerlei Punkten nicht handhabbar.
Lassen Sie mich schließen. All das, was ich zu Ihrem Entwurf gesagt habe, ist einem restriktiven Rüstungsexport unzuträglich. Die FDP-Bundestagsfraktion ist aber aus friedenspolitischen Gründen für einen restriktiven Rüstungsexport. Sie lehnt diesen Entwurf auch deshalb ab. Wir werden auch bei den Beratungen in den Ausschüssen unsere Haltung verdeutlichen. Darüber, ob es zukünftig andere Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle in diesem Bereich geben kann — z. B. ähnlich derjenigen zu Art. 10 des Grundgesetzes —, wird man bei dieser Gelegenheit auch nachdenken und reden können.



Beckmann
Vielen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das war aber hilfreich! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1014038200
Da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die Aussprache.
Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3342 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, den Rechtsausschuß, den Verteidigungsausschuß und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu ergänzende Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 bis 15 auf:
12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 10. September 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Burundi über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
— Drucksache 10/3286 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 1. Oktober 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Dominicanischen Bund über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
— Drucksache 10/3287 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen (Seeunfalluntersuchungsgesetz, SeeUG)

— Drucksache 10/3312 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesrechnungshof (Bundesrechnungshofgesetz — BRHG —)

— Drucksache 10/3323 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Haushaltsausschuß (federführend) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Es handelt sich um die erste Beratung von Gesetzentwürfen, die von der Bundesregierung vorgelegt worden sind. Das Wort dazu wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/3286, 10/3287, 10/3312 und 10/3323 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es hierzu ergänzende Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1883/78 über die allgemeinen Regeln für die Finanzierung der Interventionen durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Garantie
— Drucksachen 10/2849 Nr. 9, 10/3265 —
Berichterstatter: Abgeordneter Hornung
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/3265 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (14. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu Gemeinschaftsmaßnahmen zur Sanierung der Binnenschiffahrt
— Drucksachen 10/1607, 10/3101 —
Berichterstatter: Abgeordneter Buckpesch
Wird das Wort hierzu gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses 'für Verkehr auf Drucksache 10/3101 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung



Vizepräsident Cronenberg
Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide
Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1418/76 über die gemeinsame Marktorganisation für Reis
Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die Erzeugungserstattungen in den Sektoren Getreide und Reis
Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates mit Durchführungsvorschriften für die Gewährung von Erstattungen im Sektor Getreide und Reis für die Erzeugung von Kartoffelstärke
— Drucksachen 10/2751 Nr. 14, 10/3133 —
Berichterstatter: Abgeordneter Brunner
Das Wort wird offensichtlich nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/3133 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist die Beschlußempfehlung in der vorliegenden Form angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2617/80 zur Einführung einer spezifischen Gemeinschaftsmaßnahme zur regionalen Entwicklung im Hinblick auf die Beseitigung von Entwicklungshemmnissen für neue Wirtschaftszweige in bestimmten von der Umstrukturierung der Schiffbauindustrie betroffenen Gebieten
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 219/84 zur Einführung einer spezifischen Gemeinschaftsmaßnahme zur regionalen Entwicklung im Hinblick auf die Beseitigung von Entwicklungshemmnissen für neue Wirtschaftszweige in bestimmten von der Umstrukturierung der Textil- und Bekleidungsindustrie betroffenen Gebieten
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung einer spezifischen Gemeinschaftsmaßnahme zur regionalen Entwicklung im Hinblick auf die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Grenzgebiete Irlands und Nordirlands
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung einer spezifischen Gemeinschaftsmaßnahme zur regionalen Entwicklung im Hinblick auf die Förderung neuer Wirtschaftszweige in bestimmten von der Einführung der gemeinsamen Fischereipolitik betroffenen Gebieten
— Drucksachen 10/3075, 10/3324 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/3324 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung bei wenigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Müntefering, Conradi, Huonker, Dr. Jens, Lohmann (Witten), Meininghaus, Menzel, Polkehn, Purps, Ranker, Reschke, Roth, Schmitt (Wiesbaden), Dr. Sperling, Waltemathe, Frau Weyel, Wolfram (Recklinghausen) und der Fraktion der SPD
Stärkung und Verstetigung der Bautätigkeit — Drucksache 10/3274 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Das Wort wird nicht gewünscht.
Es wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 10/3274 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Anderweitige Vorschläge werden nicht gemacht. Somit ist die Überweisung beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 24. Mai 1985, 8 Uhr ein.
Die Sitzung, meine Damen und Herren, ist geschlossen.