Protokoll:
10114

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 10

  • date_rangeSitzungsnummer: 114

  • date_rangeDatum: 17. Januar 1985

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:57 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/114 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 114. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1985 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Köhler (Duisburg) und Brandt . 8429 A Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Nickels und der Fraktion DIE GRÜNEN Neuregelung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen (Durchführungsprobleme) — Drucksachen 10/934, 10/1530 — Frau Nickels GRÜNE 8429 B Breuer CDU/CSU 8431 C Dr. Emmerlich SPD 8434 B Frau Dr. Segall FDP 8436 B Sielaff SPD 8437 D Berger CDU/CSU 8440 B Gilges SPD 8443 A Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 8446 A Eimer (Fürth) FDP 8450 B Erklärungen nach § 30 GO Stratmann GRÜNE 8451 C Breuer CDU/CSU 8452 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Entwicklungsprogramm Karibik und Zentralamerika zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Abgeordneten Wischnewski; Herterich, Bindig, Dr. Holtz, Voigt (Frankfurt) und der Fraktion der SPD Lage in Mittelamerika — Drucksachen 10/239, 10/927, 10/2562 — Lamers CDU/CSU 8453 A Dr. Holtz SPD 8454 D Schäfer (Mainz) FDP 8458 A Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 8460 B Frau Gottwald GRÜNE 8462 B Voigt (Frankfurt) SPD 8463 B Möllemann, Staatsminister AA 8463 C Beratung des Antrags der Abgeordneten Catenhusen, Fischer (Homburg), Grunenberg, Nagel, Stahl (Kempen), Stockleben, Vahlberg, Vosen und der Fraktion der SPD Vorlage eines Programms „Biotechnologie" — Drucksache 10/1911 — Vosen SPD 8465 D Seesing CDU/CSU 8467 D Frau Dr. Hickel GRÜNE 8469 B Dr.-Ing. Laermann FDP 8471 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1985 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1985) — Drucksache 10/2591 — Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 8491 B Bernrath SPD 8492 D II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1985 Broll CDU/CSU 8494 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 8496 D Dr. Hirsch FDP 8498 A Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Europaabgeordnetengesetzes — Drucksache 10/2607 — Seiters CDU/CSU 8499 D Frau Schoppe GRÜNE 8501 A Beckmann FDP 8502 C Becker (Nienberge) SPD 8503 D Beratung der Großen Anfrage der Abgeordnten Frau Dr. Hickel und der Fraktion DIE GRÜNEN Gentechnik — Drucksachen 10/1153, 10/2199 — Frau Dr. Hickel GRÜNE 8504 D Frau Dr. Neumeister CDU/CSU 8507 A Catenhusen SPD 8509 D Kohn FDP 8512 D Dr. Probst, Parl. Staatssekretär BMFT 8515A Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Nickels, Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN Einführung eines gemischt zivil-militärischen Flugsicherungssystems mit flächendeckender Kompetenz der militärischen Komponente — Drucksachen 10/944, 10/2122 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN Zivil-militärisches Flugsicherungskonzept in Sobernheim — Drucksachen 10/1185, 10/2585 — Drabiniok GRÜNE 8516 D Hoffie FDP 8518 B Ibrügger SPD 8519 D Tillmann CDU/CSU 8521 A Beratung des Antrags der Abgeordneten Neumann (Bramsche), Dr. Ahrens, Antretter, Bachmaier, Bindig, Brück, Büchner (Speyer), Drabiniok, Duve, Dr. Enders, Gansel, Gerstl (Passau), Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Hauchler, Dr. Hauff, Dr. Holtz, Dr. Jannsen, Jungmann, Dr. Klejdzinski, Klose, Kuhlwein, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Matthöfer, Pauli, Dr. Rumpf, Dr. Scheer, Frau Schmedt (Lengerich), Frau Schmidt (Nürnberg), Schneider (Berlin), Sielaff, Dr. Struck, Vogt (Kaiserslautern), Waltemathe, Frau Zutt Konvention des Europarates; Schutz von Häftlingen gegen Folter und grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung oder Strafe — Drucksache 10/2127 — Neumann (Bramsche) SPD 8523 A Seesing CDU/CSU 8524 D Horacek GRÜNE 8525 D Dr. Rumpf FDP 8527 C Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 8528 C Beratung der Sammelübersicht 58 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/2551 — Hansen (Hamburg) SPD 8530A Dr. Rumpf FDP 8530 D Frau Potthast GRÜNE 8531 D Jagoda CDU/CSU 8532 C Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Fernmeldevertrag vom 6. November 1982 — Drucksache 10/2119 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 10/2575 — 8534A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 28. Januar 1981 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten — Drucksache 10/2118 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 10/2593 — 8534 B Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des SteuerbeamtenAusbildungsgesetzes — Drucksache 10/864 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 10/2625 — Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1985 III Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/2737 — 8534 C Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 25. Mai 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich auf dem Gebiet des Konkurs- und Vergleichs-(Ausgleichs-)rechts — Drucksache 10/1627 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/2682 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zum deutschösterreichischen Konkursvertrag AG — Drucksache 10/1628 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/2682 — 8534 D Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Windenergie — Drucksache 10/2255 — 8535 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes vom 10. Februar 1976 zu dem Übereinkommen vom 2. Dezember 1972 über sichere Container — Drucksache 10/2595 — 8535 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Rom am 28. November 1979 angenommenen Fassung des Internationalen Pflanzenschutzübereinkommens — Drucksache 10/1921 — 8535 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Mitteilung der Kommission an den Rat betreffend Telekommunikation — Aktionslinien — zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften — Fernmeldewesen — — Drucksachen 10/874, 10/500, 10/2212 — 8535C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der steuerlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Übertragung von Unternehmensverlusten — Drucksachen 10/2076 Nr. 12, 10/2594 — 8535 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 11 13 Tit. 656 03 — Zuschuß des Bundes an die knappschaftliche Rentenversicherung — — Drucksachen 10/2288, 10/2571 — . . . 8536A Fragestunde — Drucksache 10/2712 vom 11. Januar 1985 — Deutschlandtreffen der Schlesier 1985 in Hannover MdlAnfr 2 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Soell SPD Antw StMin Vogel BK 8474 A ZusFr Dr. Soell SPD 8474 C ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 8474 C Vertretung der schiffahrtspolitischen Entschließung des Bundestages vom 15. Dezember 1982 auf der UN-Konferenz über die Registrierung von Schiffen MdlAnfr 21, 22 11.01.85 Drs 10/2712 Hettling SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . 8474 D ZusFr Hettling SPD 8475A ZusFr Fischer (Hamburg) CDU/CSU . 8475 C Ausbau der B 67 n Bocholt—Dülmen MdlAnfr 23, 24 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Klejdzinski SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . . 8476 A ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 8476A ZusFr Buschfort SPD 8476 C Bau der Ortsumgehung Steinach im Zuge der B 33 neu MdlAnfr 25 11.01.85 Drs 10/2712 Frau Reetz GRÜNE Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 8477 B ZusFr Frau Reetz GRÜNE 8477 D ZusFr Fischer (Hamburg) CDU/CSU . 8477 D Reduzierung der Salzstreuung auf öffentlichen Straßen; Auswirkungen des Salzes auf die Umwelt MdlAnfr 26 11.01.85 Drs 10/2712 Zierer CDU/CSU IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1985 Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 8478 A ZusFr Zierer CDU/CSU 8478 B ZusFr Hinsken CDU/CSU 8478 B Spikesreifen für Rettungsfahrzeuge im Sanitätsdienst sowie für Polizei, Bundeswehr und Grenzschutz MdlAnfr 27 11.01.85 Drs 10/2712 Zierer CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 8478 C ZusFr Zierer CDU/CSU 8478 C ZusFr Hinsken CDU/CSU 8478 D Wiederzulassung von Spikesreifen; Umweltschäden durch Salzstreuung und durch Spikesreifen MdlAnfr 28, 29 11.01.85 Drs 10/2712 Hinsken CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 8479 A ZusFr Hinsken CDU/CSU 8479 A ZusFr Zierer CDU/CSU 8479 C ZusFr Becker (Nienberge) SPD 8480A ZusFr Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 8480C Behauptung des früheren Mitarbeiters der deutschen Botschaft in Warschau Klaus Reiff über deutsche Minderheiten und die Praktizierung der deutschen Sprache in Polen MdlAnfr 33 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Dr. Mertes AA 8480 D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 8481A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 8481 B Bildung eines Arbeitsstabes zur Bearbeitung von Menschenrechtsfragen im Auswärtigen Amt; Bemühungen des Bundesaußenministers um die Ausreise der in der Prager Botschaft befindlichen deutschen Staatsangehörigen MdlAnfr 34, 35 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Czaja CDU/CSU Antw StMin Dr. Mertes AA 8481 D ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 8482 A ZusFr Würtz SPD 8482 D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 8482 D ZusFr Dr. Hirsch FDP 8483 D Finanzielle Förderung der Arbeit von Vertriebenenverbänden MdlAnfr 36 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Soell SPD Antw PStSekr Spranger BMI 8484 A ZusFr Dr. Soell SPD 8484 B ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 8484 C ZusFr Berger CDU/CSU 8484 D ZusFr Frau Reetz GRÜNE 8484 D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 8485A ZusFr Frau Dr. Lepsius SPD 8485 A Kriterien für die Eignung des Salzstocks Gorleben für eine Endlagerung MdlAnfr 37, 38 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Hirsch FDP Antw PStSekr Spranger BMI 8485 B ZusFr Dr. Hirsch FDP 8485 C ZusFr Frau Dr. Hickel GRÜNE 8485 C ZusFr Frau Reetz GRÜNE 8486 C Scheinehen zwischen Ausländern und Deutschen MdlAnfr 39 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Enders SPD Antw PStSekr Spranger BMI 8486 D ZusFr Dr. Enders SPD 8486 D Öffentliche Stellenausschreibung für die leitenden Koordinierungsaufgaben zur konzeptionellen Ausarbeitung eines „Hauses der Geschichte" mit Standort in Bonn MdlAnfr 40, 41 11.01.85 Drs 10/2712 Frau Dr. Lepsius SPD Antw PStSekr Spranger BMI 8487 A ZusFr Frau Dr. Lepsius SPD 8487 C ZusFr Dr. Soell SPD 8487 C ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 8487 D Polnische Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland seit 1980 MdlAnfr 44 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Hupka CDU/CSU Antw PStSekr Spranger BMI 8488 D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 8489 A Vernichtung von Obst in der EG MdlAnfr 48, 49 11.01.85 Drs 10/2712 Menzel SPD Antw PStSekr Dr. von Geldern BML . . 8489 C ZusFr Menzel SPD 8489 C ZusFr Eigen CDU/CSU 8490 A ZusFr Kirschner SPD 8490 B ZusFr Frau Dr. Vollmer GRÜNE . . . 8490 B Nächste Sitzung 8536 C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1985 V Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 8537* A Anlage 2 Stand der Bemühungen um eine europäische Raumordnungscharta und ein europäisches Raumordnungsschema MdlAnfr 1 11.01.85 Drs 10/2712 Stiegler SPD SchrAntw StSekr von Loewenich BMBau 8537* B Anlage 3 Ausrüstung der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten US-Streitkräfte mit in Rucksäcken gelagerten schweren Atomsprengköpfen MdlAnfr 12, 13 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Scheer SPD SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg . . 8537* D Anlage 4 Ausrüstung der US-Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland mit „Tornister-Atombomben"; spezielle Ausbildung für diese Waffen MdlAnfr 16, 17 11.01.85 Drs 10/2712 Müller (Düsseldorf) SPD SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg . . 8538* B Anlage 5 Übernahme von Auszubildenden in den Bundesbahn-Ausbesserungswerken Fulda und Weiden nach Abschluß des Ausbildungsjahres; Gleichbehandlung der Zonenrand-Ausbesserungswerke und der anderen Ausbesserungswerken MdlAnfr 30 11.01.85 Drs 10/2712 Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . 8538* C Anlage 6 Deutsche Forderungen nach einer Reform der UNESCO; Konsequenzen bei Nichtdurchführung von Reformen MdlAnfr 31, 32 11.01.85 Drs 10/2712 Weiß CDU/CSU SchrAntw StMin Dr. Mertes AA . . . . 8538*D Anlage 7 Speicherung der Namen von Demonstranten vor der US-Anlage „Waldheide" in Heilbronn beim Bundeskriminalamt bzw. im Informationssystem für die Nachrichtendienste MdlAnfr 42, 43 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Spöri SPD SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . 8539* C Anlage 8 Wettbewerbsverzerrungen zwischen Luftfahrtunternehmen mit Fluglinienverkehr und Bedarfsluftgesellschaften durch die ungleiche Behandlung bei der Mineralölsteuer MdlAnfr 45 11.01.85 Drs 10/2712 Uldall CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Voss BMF . . . . 8539* D Anlage 9 Bemerkungen des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Wolfgang Zeidler, über Ungerechtigkeiten im Steuer- und Sozialrecht MdlAnfr 46 11.01.85 Drs 10/2712 Niegel CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Voss BMF . . . . 8540* B Anlage 10 Klage der ILSE Bergbaugesellschaft im Normenkontrollverfahren gegen die Gemeinde Jüchen wegen der Frage der Rechtsgültigkeit eines Bebauungsplans; Wirkung auf energiepolitische Ziele MdlAnfr 47 11.01.85 Drs 10/2712 Bernrath SPD SchrAntw PStSekr Dr. Voss BMF . . . . 8540* B Anlage 11 Vernichtung landwirtschaftlicher Produkte 1984; jährliche Vernichtung gekaufter Lebensmittel MdlAnfr 50, 51 11.01.85 Drs 10/2712 Eylmann CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. von Geldern BML 8540*C VI Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1985 Anlage 12 Wiedereinführung differenzierter Gefahrklassen gemäß § 734 RVO zugunsten gemeinnütziger Sportvereine durch die Berufsgenossenschaft MdlAnfr 52, 53 11.01.85 Drs 10/2712 Tillmann CDU/CSU SchrAntw PStSekr Höpfinger BMA . . . 8540* D Anlage 13 Jahreseinkommen der niedergelassenen Kassenärzte und Kassenzahnärzte MdlAnfr 54, 55 11.01.85 Drs 10/2712 Kirschner SPD SchrAntw PStSekr Höpfinger BMA . . . 8541* C Anlage 14 Verlängerung der Dauer der Sperrzeiten bei selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit von acht auf zwölf Wochen (§ 119 AFG) MdlAnfr 56, 57 11.01.85 Drs 10/2712 Amling SPD SchrAntw PStSekr Höpfinger BMA . . . 8542* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 114: Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1985 8429 114. Sitzung Bonn, den 17. Januar 1985 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 17. 1. Dr. Ahrens* 17. 1. Antretter* 17. 1. Bastian 18. 1. Büchner (Speyer) * 18. 1. Bühler (Bruchsal) 18. 1. Egert 18. 1. Dr. Götz 18. 1. Grünbeck 18. 1. Haar 18. 1. Dr. Hauff 18. 1. Huonker 18. 1. Dr. Jahn (Münster) 18. 1. Jansen 18. 1. Kretkowski 18. 1. Dr. Marx 18. 1. Dr. Müller ** 17. 1. Nelle 18. 1. Reddemann * 18. 1. Reuter 18. 1. Schmidt (Hamburg) 18. 1. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim 18. 1. Dr. Stark (Nürtingen) 18. 1. Dr. Stoltenberg 18. 1. Frau Dr. Wilms * 17. 1. Wischnewski 18. 1. Wolfram (Recklinghausen) 18. 1. Dr. Waigel * 18. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Antwort des Staatssekretärs von Loewenich auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 10/ 2712 Frage 1): Wie weit sind die Bemühungen um eine europäische Raumordnungscharta und ein europäisches Raumordnungs-schema inzwischen gediehen, und welche Beiträge hat die Bundesregierung dazu innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und innerhalb der Gremien des Europarates bisher geleistet? Die 6. Europäische Raumordnungsministerkonferenz hat am 20. Mai 1983 die Europäische Raumordnungscharta verabschiedet. Die Bundesregierung hat zusammen mit den Bundesländern an der inhaltlichen Gestaltung und textlichen Ausformulierung der Charta mitgewirkt. In der Charta sind die wesentlichen Grundsätze und Ziele einer europäischen Raumordnungspolitik aufgezeigt. Die vier Hauptziele sind - die Sicherstellung einer ausgewogenen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Regionen, Anlagen zum Stenographischen Bericht - die Erhöhung der Lebensqualität der Bürger, - die verantwortungsbewußte Behandlung der natürlichen Ressourcen sowie der Schutz der Umwelt und - die planmäßige und rationelle Nutzung des Raumes. Zur Durchsetzung dieser Ziele wird als wesentliches Instrument der Koordination und der Sicherung der Zusammenarbeit ein europäisches Raumordnungsschema bzw. -konzept gefordert. Am 25. Januar 1984 hat das Ministerkomitee des Europarates (Außenminister der 21 Mitgliedstaaten) in seiner Empfehlung No. R (84) 2 die politische Bedeutung dieser für die Entwicklung der Raumordnung in Europa wichtigen Erklärung herausgestellt. Nach diesem Beschluß sind die Regierungen der Mitgliedstaaten gehalten: - ihre nationalen Politiken nach den in der Charta festgelegten Grundsätzen und Zielen auszurichten - und sicherzustellen, daß die Charta auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird. Beiden Forderungen kommt die Bundesregierung - wie auch schon durch ihr Wirken in der Vergangenheit - nach. Sie beteiligt sich insbesondere gemeinsam mit den Bundesländern an den Arbeiten für ein europäisches Raumordnungsschema. Dies geschieht im Lenkungsausschuß für Raumordnung des Europarates und in der 1983 zur Schaffung des Schemas eingesetzten Arbeitsgruppe. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen des Abgeordneten Scheer (SPD) (Drucksache 10/2712 Fragen 12 und 13): Treffen die Nachrichten zu, daß die amerikanischen Streitkräfte mit 27 Kilogramm schweren, in Rucksäcken gelagerten Atomsprengköpfen mit einer Sprengkraft von 250 Tonnen TNT ausgerüstet worden sind, von denen 100 in der Bundesrepublik Deutschland liegen? Hat die Bundesregierung dieser Maßnahme ihre Zustimmung gegeben, und wie kann sie diesen Schritt gegebenenfalls mit der Maxime vereinbaren, die nukleare Schwelle bei den europäischen NATO-Streitkräften heben zu wollen? Zu Frage 12: Zur Beantwortung der Frage verweise ich auf die ausführliche Stellungnahme auf die Frage Nr. 14 des Abgeordneten Gansel (113. Sitzung, Seite 8419 B). Vor diesem Hintergrund, der die tatsächlichen Gegebenheiten darstellt, ist hinzuzufügen, daß entsprechend üblicher Praxis dieser und vorangegangener Bundesregierungen über Zahl, Art, Typ und Lagerorte — und Sie fragen ferner nach Gewicht u. ä. — keine Stellung genommen wird. Zu Frage 13: Die Bundesregierung hat — und dies Herr Kollege in einer Zeit, als Ihre Partei den Außenminister stellte — entsprechende Abmachungen getroffen und der Stationierung solcher ADM zugestimmt. Sie ist ständig in den dafür vorhandenen Gremien an der Einsatzplanung beteiligt gewesen und durch die vorgeschriebenen Konsultationen informiert worden. Wie Sie als Mitglied im Verteidigungsausschuß und Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle ganz besonders wissen, sind seit Ende der 60er Jahre keine neuen Waffen dieser Art eingeführt worden. Die jetzige Bundesregierung hat darüber hinaus zuletzt in Montebello im Oktober 1983 darauf hingewirkt, diesen Teil der Nuklearwaffen erheblich zu vermindern, um die atomare Schwelle deutlich anzuheben. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen des Abgeordneten Müller (Düsseldorf) (SPD) (Drucksache 10/2712 Fragen 16 und 17): Treffen Presseberichte zu, wonach in der Bundesrepublik Deutschland amerikanische Streitkräfte mit „kleinen Atombomben", die von einer Person als „Tornister-Atombombe" transportiert werden können, ausgerüstet sind? Stimmt es, daß für einen eventuellen Einsatz dieser Waffen eine spezielle Ausbildung auch in der Bundesrepublik Deutschland stattfindet? Zu Frage 16: Zu Ihrer Frage verweise ich auf die ausführliche Antwort zu der Frage Nr. 14 des Abgeordneten Gansel (113. Sitzung, Seite 8419 B). Zu Frage 17: Natürlich müssen die amerikanischen Soldaten an den ADM ausgebildet werden, solange diese noch vorhanden sind. Es liegt im Interesse der Streitkräfte, in der Erfüllung des politischen Auftrages und dem Schutz der Zivilbevölkerung, daß Soldaten gründlich an den Systemen, über die sie verfügen, ausgebildet werden. Nur so kann eine politische Richtlinie von bündnisgemeinsamer Einsatzplanung entsprechend sichergestellt werden. D. h., nur so kann die Abschreckung, die Kriegsverhinderung, erreicht werden. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 10/2712 Frage 30): Wieviel Auszubildende wird die Deutsche Bundesbahn (DB) in den Zonenrand-Ausbesserungswerken Fulda und Weiden nach Abschluß des laufenden Ausbildungsjahres übernehmen, und wird die Bundesregierung dafür eintreten, daß die Zonenrand-Ausbesserungswerke genauso behandelt werden, wie die vier Ausbesserungswerke, die der Vorstand der DB als nach seiner Auffassung optimale Kombination erhalten will? Eine Übernahme von Auszubildenden, die im Jahre 1985 bei der Deutschen Bundesbahn ihre Ausbildung beenden, ist für den Bereich der Ausbesserungswerke aufgrund der Personalsituation aus heutiger Sicht von der Unternehmensleitung der Deutschen Bundesbahn nicht vorgesehen. Für die Auszubildenden der Ausbesserungswerke Weiden und Fulda besteht die Möglichkeit, sich um andere freie Stellen im jeweiligen Direktionsbezirk zu bewerben. Anlage 6 Antwort des Staatsministers Dr. Mertes auf die Fragen des Abgeordneten Weiß (CDU/CSU) (Drucksache 10/2712 Fragen 31 und 32): Wie weit sind die Forderungen der Bundesrepublik Deutschland nach einer Reform der UNESCO in Programm, Struktur und Verwaltung gediehen? Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung ziehen, sollte sich die UNESCO als unfähig oder unwillig erweisen, die notwendigen Reformen in Programm, Struktur und Verwaltung vorzunehmen? Zu Frage 31: Die Bundesregierung beteiligt sich seit längerem aktiv an der Diskussion um die notwendigen Reformen der UNESCO. Als Ergebnis dieser Diskussion hat der Exekutivrat der UNESCO im Oktober 1984 im Konsens dem Generaldirektor empfohlen, Maßnahmen zu ergreifen, die unseren Forderungen weitgehend entsprechen und die wir als ersten Schritt in die richtige Richtung.. ansehen. Diese Empfehlungen, die auf der Tagesordnung der 23. Generalkonferenz der UNESCO im Herbst 1985 stehen werden, lauten u. a.: — Konzentration der Programme mit dem Ziel größerer Effizienz und optimaler Nutzung vorhandener Ressourcen; — Prioritätensetzung, d. h. besondere Berücksichtigung von Aktivitäten, die nachweisbar ein hohes Maß an Dringlichkeit, Nützlichkeit und Effizienz haben und breite Unterstützung erfordern; — Koordination der UNESCO-Arbeit mit der Arbeit anderer VN-Organisationen; Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1985 8539* — Stärkung der regionalen Zusammenarbeit, insbesondere der Kooperation zwischen den Entwicklungsländern; — reales Nullwachstum als Basis für Programmentwurf und Haushalt 1986/87; — Ausgleich des Einnahmeausfalls bei einem Austritt von Mitgliedern durch Einsparungen. Um unseren Forderungen mit Blick auf die Generalkonferenz der UNESCO im Herbst 1985 Nachdruck zu verleihen, hat der Bundesminister des Auswärtigen am 17. Dezember 1984 in einem Schreiben an den Generaldirektor der UNESCO unsere Position nochmals wie folgt definiert: — In der Generalkonferenz muß Einigkeit darüber erreicht werden, daß die UNESCO künftig keine politischen Fragen behandelt, die in die Zuständigkeit anderer Organisationen, vor allem der VN selbst fallen. — Das Arbeitsprogramm 1986/87 sollte nur solche Vorhaben enthalten, über welche Konsens unter den Mitgliedstaaten erreicht werden kann. Dabei sollte konkrete Hilfe für die Länder Afrikas, Asiens sowie Mittel- und Südamerikas im Bereich von Erziehung, Wissenschaft, Kultur und Medien im Vordergrund stehen. — Die ideologische Debatte über eine „Neue Internationale Informations- und Kommunikationsordnung" sollte beendet werden, und zwar auf der Basis der bisherigen Beschlüsse, wonach eine solche Ordnung ein kontinuierlicher Prozeß ist, der zu einem freien Fluß und einer weiteren, besser ausgewogenen Verbreitung von Information führt. — Das vom Generaldirektor selbst mit sichtbarem Erfolg in die Arbeit der UNESCO eingeführte Konsensprinzip sollte künftig auch auf die Beratung und Verabschiedung des Haushalts der Organisation durch Exekutivrat und Generalkonferenz angewendet werden. — Die Tätigkeit des Sekretariats der Organisation muß wesentlich effizienter werden, vor allem durch Dezentralisierung der Entscheidungen, bessere Evaluierung der Ergebnisse und Senkung der Kosten der Verwaltung zugunsten konkreter Projekte. Zu Frage 32: Bundesminister Genscher hat dazu in seinem Brief an Generaldirektor M'Bow folgendes ausgeführt: Die Reformbemühungen müssen im kommenden Jahr mit noch größerer Intensität fortgeführt werden. Ich begrüße deshalb den Beschluß des Exekutivrats, die Tätigkeit des von ihm eingesetzten Reformkomitees bis zur 23. Generalkonferenz im Herbst 1985 fortzusetzen. Für die Zukunft der Organisation und für die künftige Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland werden die von der 23. Generalkonferenz zu fassenden Beschlüsse entscheidend sein. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Spöri (SPD) (Drucksache 10/2712 Fragen 42 und 43): Wurden die Namen von Demonstranten bzw. sogenannten Blockierern vor der von den US-Streitkräften genutzten Anlage „Waldheide" in Heilbronn, gegen die z. T. Strafverfahren eingeleitet wurden, ebenso wie im Falle Mutlangen geschehen, beim Bundeskriminalamt bzw. dem Informationssystem für die Nachrichtendienste (NADIS) gespeichert? Um wie viele Fälle handelte es sich dabei in den letzten Jahren, und welche Gründe gab es gegebenenfalls für diese Speicherung? Zu Frage 42: Dem BKA wurden im Zusammenhang mit Demonstrationen bzw. Blockaden vor der Anlage „Waldheide" nur solche Personen gemeldet, gegen die ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Diese Personen wurden vom BKA im NADIS-System erfaßt, das dem BKA als Fundstellenregister dient. Zu Frage 43: Dies geschah in den letzten Jahren in zwei Fällen. Es handelt sich um 16 Personen, gegen die im Zusammenhang mit einer Blockade am 20. November 1983 Ermittlungsverfahren wegen Nötigung gemäß § 230 StGB eingeleitet worden sind sowie um 17 Personen, gegen die wegen ihres Eindringens in das militärische Gebiet am 17. Juni 1984 Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruch gemäß § 123 StGB eingeleitet worden sind. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Voss auf die Frage des Abgeordneten Uldall (CDU/CSU) (Drucksache 10/2712 Frage 45): Wie beurteilt die Bundesregierung die Wettbewerbsverzerrungen zwischen Luftfahrtunternehmen mit Fluglinienverkehr einerseits und Bedarfsluftgesellschaften andererseits auf Grund der ungleichen Behandlung bei der Mineralölsteuer? 8540* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1985 Für die grenzüberschreitende Beförderung von Personen und Sachen erhalten Linienluftfahrtunternehmen und Bedarfsluftfahrtunternehmen gleichermaßen unversteuerte Luftfahrtbetriebsstoffe. Dagegen sieht das Mineralölsteuergesetz für Mineralöle, die von Bedarfsluftfahrtunternehmen im Inland zur Beförderung von Personen und Sachen verwendet werden, keine Steuerbegünstigung vor. Die beiden Grundverkehrsarten — Linienverkehr und Bedarfsluftverkehr — unterscheiden sich voneinander. Die Flugliniengenehmigung verpflichtet nur das Linienluftfahrtunternehmen, Personen und Sachen gewerbsmäßig durch Luftfahrzeuge auf bestimmten Linien öffentlich und regelmäßig zu befördern, sowie jeden Antrag auf Abschluß eines Beförderungsvertrages zu den vorher festgelegten und genehmigten Beförderungsbedingungen anzunehmen. Dementsprechend unterscheiden sich auch die Kalkulationsgrundlagen. Die Bedarfsluftfahrtunternehmen vereinbaren ihre Preise frei und sind zudem in der Lage, ihren Fluggästen bei den Flugzeiten und oft auch bei der Wahl der Flugplätze entgegenzukommen, weil im inländischen Bedarfsluftverkehr — anders als im Linienverkehr und im internationalen Pauschalreiseverkehr — in der Regel kleinere Luftfahrzeuge eingesetzt werden, mit denen eine größere Zahl von Flugplätzen angeflogen werden kann. Insoweit sieht die Bundesregierung keine Wettbewerbsverzerrung. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Voss auf die Frage des Abgeordneten Niegel (CDU/CSU) (Drucksache 10/2712 Frage 46): Wie beurteilt die Bundesregierung die öffentlichen Bernerkungen in der Presse (vgl. DER SPIEGEL vorn 10. Dezember 1984) des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Wolfgang Zeidler, zu Fragen über angebliche Ungerechtigkeiten im Steuer- und Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland? Die Bundesregierung sieht es nicht als ihre Aufgabe an, zu den Presseäußerungen des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts zu aktuellen Fragen der Gesetzgebung öffentlich Stellung zu nehmen. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Voss auf die Frage des Abgeordneten Bernrath (SPD) (Drucksache 10/2712 Frage 47): Billigt die Bundesregierung die Klage der bundeseigenen ILSE Bergbau-Gesellschaft mbH im Normenkontrollverfahren (OVG Münster Az. 10a ND 21/84) gegen die Gemeinde Jüchen wegen Überprüfung der Rechtsgültigkeit eines Bebauungsplans, die angestrengt wurde, obwohl die Klägerin im Aufstellungsverfahren für den Bebauungsplan keine „Bedenken und Anregungen" vorgetragen hatte, und wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung eines solchen Verfahrens auf die energiepolitischen Zielsetzungen des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen? Nach der Darstellung der VIAG AG, die zu 99 % an der ILSE Bergbau GmbH beteiligt ist, ist das Normenkontrollverfahren gegen die Gemeinde Jüchen wegen Überprüfung der Rechtsgültigkeit eines Bebauungsplans eingeleitet worden, weil die Gemeinde, obwohl ihr das Bergeigentum der ILSE Bergbau bekannt war, deren Belange nicht berücksichtigt hat. Über die Notwendigkeit dieser Rechtsverfolgung hat das Unternehmen in eigener Verantwortung zu entscheiden. Gleichwohl habe ich auf Anregung unseres Bundestagskollegen Willy Wimmer die VIAG gebeten, in einem direkten Gespräch mit der Gemeinde Jüchen die Möglichkeit einer außergerichtlichen Einigung zu prüfen. Ein entsprechendes Gespräch hat heute bereits stattgefunden. Eine außergerichtliche Lösung zeichnet sich ab. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. von Geldern auf die Fragen des Abgeordneten Eylmann (CDU/CSU) (Drucksache 10/2712 Fragen 50 und 51): Welche Mengen überschüssiger landwirtschaftlicher Produkte sind 1984 vernichtet worden, und in welcher Relation stehen diese Mengen zur Gesamternte? Welche Mengen gekaufter Lebensmittel werden jährlich nicht verbraucht, sondern verderben, werden weggeworfen oder auf andere Weise vernichtet, und in welcher Relation stehen diese Mengen zur Gesamtmenge der gekauften Lebensmittel? Zu Frage 50: Ziel der Marktordnungen ist es, kurzfristig einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage zu erreichen und damit übergroße Preisschwankungen zu vermeiden. Eine Vernichtung ist nicht vorgesehen. Anderslautende Berichte sind unzutreffend. In den Medien wird unrichtigerweise Verderb mit Vernichtung gleichgesetzt. Zu Frage 51: Statistiken oder auch nur Untersuchungen liegen bezüglich gekaufter Lebensmittel nicht vor. Grobe Schätzungen anhand von Kalorien- und Nährwertrechnungen erlauben die Annahme, daß ca. 10 bis 15% der gekauften Lebensmittel verderben, jedenfalls nicht verzehrt werden. Eine weitere Aufschlüsselung ist nicht möglich. Die Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, daß im Hinblick auf den Hunger in der Welt der Verderb von Lebensmitteln auf das unabwendbare Maß beschränkt bleiben muß. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Höpfinger auf die Fragen des Abgeordneten Tillmann (CDU/CSU) (Drucksache 10/2712 Fragen 52 und 53): Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1985 8541* Hält die Bundesregierung die Änderung der Veranlagungsbescheide gemäß § 734 RVO für Sportvereine von bisher differenziert festgesetzten Schadensklassen nach Tätigkeit (z. B. 1.0-6.5) auf einheitlich 24.5 für sachlich gerechtfertigt und mit dem gemeinnützigen Auftrag der Mehrheit der Vereine vereinbar? Ist die Bundesregierung bereit, auf die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft in dem Sinne einzuwirken, daß die bisher geltende differenzierte Festsetzung des Gefahrentarifs wieder eingeführt und dadurch die Schlechterstellung gemeinnütziger Sportvereine gegenüber gewerblichen Sportschulen, Erholungsvereinen, Dressuranstalten oder Freizeitparks rückgängig gemacht wird? Die Aufbringung der Mittel in der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgt im sogenannten Umlageverfahren, d. h. die in einem Jahr entstandenen Aufwendungen einer Berufsgenossenschaft werden nachträglich auf alle Mitgliedsunternehmen umgelegt. Die Höhe des Umlageanteils, den das einzelne Unternehmen zu entrichten hat, bestimmt sich regelmäßig nach den in dem Unternehmen gezahlten Arbeitsentgelten und nach der Gefahrklasse. Maßgebend für die Festsetzung der Gefahrklassen sind die Belastungen, die Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten in den jeweiligen Bereichen in einem längeren Zeitraum verursacht haben. Mit der Festsetzung der Gefahrklassen in einem Gefahrtarif kommt die Selbstverwaltung der Berufsgenossenschaft dem gesetzlichen Auftrag nach, die Beiträge nach dem Grad der Unfallgefahr abzustufen. Dabei hat sie einen Gestaltungsspielraum, nach welchen Grundsätzen sie den Gefahrtarif bildet, ob sie ihn z. B. nach Gewerbezweigen, nach Tätigkeiten oder nach einer Kombination von beiden untergliedert. Im vorliegenden Fall hat die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft den Gefahrtarif nach Unternehmenszweigen gebildet. Diese Regelung, die auch bei anderen Berufsgenossenschaften überwiegend praktiziert wird, hat zur Folge, daß alle Versicherten ohne Rücksicht auf die Art ihrer Tätigkeit der gleichen Gefahrklasse angehören. Soweit ich bisher erfahren habe, war für die Einstufung der Sportvereine in die neue Gefahrklasse 24.5 bestimmend, daß ihre Beiträge nur zu etwas mehr als einem Drittel die durch sie verursachten Aufwendungen, insbesondere für Entschädigungen an die versicherten Mitglieder und Bediensteten der Sportvereine, deckten. Zwei Drittel der Aufwendungen für Sportvereine wurden daher von den übrigen Mitgliedern der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft aufgebracht. Insoweit ist eine Erhöhung der Beitragslast der Sportvereine begründet. Dennoch erscheint mir eine Überprüfung durch die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft angezeigt, ob alle Sportvereine und die unterschiedlichen Tätigkeiten in und für Sportvereine der gleichen Gefahrklasse zuzuordnen sind. Der von Ihnen angesprochene gemeinnützige Auftrag der Sportvereine kann für die Beiträge in der gesetzlichen Unfallversicherung keine Rolle spielen. Es ist nämlich nicht Aufgabe der anderen in der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft zusammengeschlossenen Unternehmenszweige, den Sport zu subventionieren. Der von der Vertreterversammlung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft beschlossene Gefahrtarif ist von dem Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde genehmigt worden. Der Gefahrtarif ist autonomes Recht der Berufsgenossenschaft. Die Bundesregierung hat keine rechtlichen Möglichkeiten, die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft zu einer Änderung ihres Gefahrtarifs zu veranlassen. Gleichwohl habe ich mich mit dem Bundesversicherungsamt und der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft in Verbindung gesetzt, um weitere Informationen zu erlangen und zu erkunden, ob und inwieweit Möglichkeiten für Differenzierungen bestehen. Als Fortsetzung eines Treffens im Dezember 1984 finden noch in diesem Monat Gespräche zwischen der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft und dem Deutschen Sportbund statt. Inwieweit hier Korrekturen im Sinne der Interessen des Deutschen Sportbundes erreicht werden, sollte zunächst abgewartet werden. Sobald mir weitere Informationen oder Gesprächsergebnisse vorliegen, werde ich Sie darüber unterrichten. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Höpfinger auf die Fragen des Abgeordneten Kirschner (SPD) (Drucksache 10/2712 Fragen 54 und 55): Wie hoch ist nach Erkenntnissen der Bundesregierung das durchschnittliche Jahreseinkommen der niedergelassenen Kassenärzte aus kassenärztlicher Tätigkeit in der letzten statistisch ausgewerteten Jahresperiode vor Steuern, und welches durchschnittliche Einkommen haben die einzelnen ärztlichen Gruppen? Wie hoch ist nach Erkenntnissen der Bundesregierung das durchschnittliche Jahreseinkommen der niedergelassenen Zahnärzte aus kassenärztlicher Tätigkeit (ohne praxiseigenes Labor) in der letzten statistisch ausgewerteten Jahresperiode vor Steuern, und welches durchschnittliche zusätzliche Einkommen vor Steuern wird von diesen Zahnärzten erzielt, die ein praxiseigenes zahntechnisches Labor betreiben? Grundsätzlich gibt es drei statistische Quellen, denen Angaben über die Bruttoeinkommen vor Steuern der niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte entnommen werden können: 1. Die Kostenstrukturstatistiken des Statistischen Bundesamtes, die alle vier Jahre vorgenommen werden. Daraus läßt sich als letzter Wert für 1979 ein durchschnittliches Bruttoeinkommen vor Steuern von 156 276 DM je Arztpraxisinhaber und 227 879 DM je, Zahnarztpraxisinhaber errechnen. Neuere Werte für 1983 werden erst in ca. 2 Jahren vorliegen. Die Kostenstrukturstatistik 1979 enthält auch Einkommensangaben zu einzelnen Facharztgruppen. Danach erzielten Allgemeinpraktiker mit 97 v. H., Frauenärzte mit 89 v. H., Kinderärzte mit 79 v. H., Hals-Nasen-Ohren-Ärzte mit 85 v. H. und Lungenfachärzte mit 71 v. H. unterdurchschnittliche, Augenärzte mit 111 v. H., Orthopäden mit 154 v. H., Hautärzte mit 115 v. H., 8542* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1985 Röntgenärzte/Radiologen mit 123 v. H. und Neurologen mit 117 v. H. überdurchschnittliche Bruttoeinkommen vor Steuern. Die Angaben zu einzelnen Facharztgruppen sind allerdings mit besonderer Zurückhaltung zu interpretieren, da der Stichprobenumfang häufig relativ klein war. 2. Eine zweite Quelle für Einkommensangaben bilden die jährlich vorgenommenen Kostenstrukturanalysen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Aus diesen Quellen liegen Angaben (je Praxisinhaber) für das Jahr 1982 vor. Danach erzielten niedergelassene Ärzte 1982 im Durchschnitt ein Bruttoeinkommen vor Steuern von 172 000 DM. Dabei lagen Allgemeinärzte um 16 v. H. unter dem Durchschnitt und Fachärzte insgesamt um 12 v. H. über dem Durchschnitt. Das entsprechende durchschnittliche Bruttoeinkommen vor Steuern für niedergelassene Zahnärzte betrug nach dieser Quelle 230 408 DM. 3. Eine dritte statistische Quelle für Einkommensangaben stellen die alle drei Jahre erscheinenden Einkommensteuerstatistiken des Statistischen Bundesamtes dar. Diese Statistik erfaßt fast alle steuerpflichtigen Ärzte und Zahnärzte und basiert auf überprüften Einkommensteuerbescheiden. Sie ist die zuverlässigste Datenquelle. Die neuesten Werte der Einkommensteuerstatistik stammen aus dem Jahre 1980. Danach erzielten Ärzte 1980 im Durchschnitt Einkünfte überwiegend aus selbständiger Arbeit von 180 858 DM und Zahnärzte von 239 463 DM. Getrennte Einkommensangaben für niedergelassene Zahnärzte mit und ohne Praxislabor liegen nicht vor. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Höpfinger auf die Fragen des Abgeordneten Amling (SPD) (Drucksache 10/ 2712 Fragen 56 und 57): Kann die Bundesregierung über eine im Verlauf des Jahres 1984 signifikant gestiegene Anzahl von gemäß § 119 AFG von den Arbeitsämtern insgesamt verfügten und im besonderen mit § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 begründeten Sperrzeiten berichten, oder sind andere arbeitsmarktpolitische Entwicklungen benennbar, die trotz des seit 1981 feststellbaren erheblichen Rückgangs sowohl der insgesamt festgesetzten als auch der mit § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG begründeten Sperrzeiten für eine Verlängerung der Dauer der Sperrzeiten bei „selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit" sprechen? Kann die Bundesregierung Auskunft geben darüber, welche zur Stellungnahme aufgeforderten Verbände und Institutionen, die durch die Änderung des AFG herbeigeführte und seit 1. Januar 1985 geltende Verlängerung der Dauer der Sperrzeiten bei „selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit" von acht auf zwölf Wochen ohne Vorbehalte befürwortet haben, und teilt die Bundesregierung die beispielsweise vom DGB vertretene Auffassung, daß diese Verlängerung der Sperrzeiten keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz schafft und damit nicht dazu beiträgt, die Arbeitslosigkeit abzubauen, sondern lediglich zu einer Erhöhung des auf Arbeitnehmer ausgeübten Drucks, auch ungünstige Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, führt? Die Entwicklung der Zahl der Sperrzeiten nach § 119 Arbeitsförderungsgesetz in den Monaten Januar bis November 1984 ist uneinheitlich. Hingegen liegen die Monatszahlen für Sperrzeiten nach § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz durchweg unter denen des Vorjahres; sie entsprechen damit dem seit 1981 zu beobachtenden Trend. Dieser Rückgang war jedoch nicht der Anlaß dafür, die Dauer der Sperrzeit wegen unbegründeter Arbeitsaufgabe oder vertragswidrigen Verhaltens von 8 auf 12 Wochen zu verlängern. In Anbetracht der noch hohen Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen hohen Belastungen der Sozialleistungsträger ist es ein Gebot der Solidarität der Beschäftigten, ihren Arbeitsplatz nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Wer dies dennoch tut, muß im Hinblick auf die sich erst langsam bessernde Arbeitsmarktlage regelmäßig mit einer längeren Arbeitslosigkeit rechnen. Dementsprechend muß er auch länger als bisher an den finanziellen Folgen des von ihm verursachten Versicherungsfalles beteiligt werden. Von den Verbänden und Institutionen, die der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung im Rahmen seiner Beratung des Gesetzentwurfs angehört hat, hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände die Verlängerung der Sperrzeitdauer für vertretbar gehalten. Wenn durch die Verlängerung auch keine Arbeitsplätze geschaffen werden, ist sie doch aus den Gründen, die ich zu Ihrer vorangegangenen Frage dargelegt habe, sachgerecht.
Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011400000
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Ihnen mitteilen, daß am 17. Dezember 1984 der Abgeordnete Dr. Köhler (Duisburg) seinen 65. Geburtstag und am 18. Dezember 1984 der Abgeordnete Brandt seinen 71. Geburtstag gefeiert haben. Ich darf beiden Kollegen die besten Wünsche des Hauses zu diesen Geburtstagen übermitteln.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Nickels und der Fraktion DIE GRÜNEN
Neuregelung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen (Durchführungsprobleme)

— Drucksachen 10/934, 10/1530 —
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Nickels.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1011400100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Jahresbeginn wird in der Bundesrepublik traditionell immer viel gefeiert. Auch wir GRÜNEN haben uns daran beteiligt. Einer, der das politisch für sich umzumünzen versteht, und das nun schon im dritten Jahr, ist unser Minister Geißler.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Der ist gut!)

Auch in diesem Jahr war Herr Geißler — im Gegensatz zu heute, wo er eben nicht da ist - ganz früh aufgestanden und glaubte, eine politische Wohltat feiern zu können, die die jetzige Regierungskoalition kurz nach ihrem Amtsantritt durchs Parlament gepeitscht hat und die dementsprechend ausgefallen ist: das am 1. Januar 1984 in Kraft getretene Kriegsdienstverweigerungs- Neuordnungsgesetz, wie es in bestem Bürokratendeutsch heißt, mit dem wir jetzt ein Jahr Erfahrungen gesammelt haben und das Sie der Bevölkerung und darüber hinaus
den Betroffenen als politischen Erfolg verkaufen wollen.
Unsere Erfahrungen mit einem Jahr neuen KDVRecht besagen: Dieses KDVNG ist nicht nur ein verfassungswidriges, es ist auch ein schlechtes Gesetz. Es muß so bald wie möglich wieder außer Kraft treten und durch eine Regelung abgelöst werden, die erstens die menschenunwürdige Gewissensprüfung für Kriegsdienstverweigerer endgültig und vollständig abschafft und die zweitens einen Zivildienst vorsieht, der die Möglichkeit einer Entwicklung zum sozialen Friedensdienst eröffnet und damit erst der Gewissensentscheidung Zehntausender junger Leute gegen den Krieg und für Abrüstung und Entspannung Rechnung trägt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Ungereimtheiten, Probleme und Rechtsverstöße im Zusammenhang mit dem neuen KDV-Recht sind so gravierend, daß wir GRÜNEN noch in diesem Jahr das Außerkrafttreten der jetzigen Regelung beantragen und eigene Vorstellungen für die Neuregelung von Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst vorlegen werden. Da ich zusammen mit anderen Fraktionskollegen ja nun gerade davon ausgeschlossen worden bin, mich an dem Normenkontrollverfahren von Mitgliedern des Deutschen Bundestages in Karlsruhe zu beteiligen, werden wir auch nicht auf das Bundesverfassungsgericht hoffen, sondern auf das Engagement der Betroffenen. Wir setzen darauf, daß sich junge Leute von der Geißlerschen Abschreckungspolitik, den Zivildienst gegenüber dem Grundwehrdienst in unvertretbarer Weise zu verlängern und ihn zudem zur lästigen Alternative auszugestalten, ihr Gewissen nicht abkaufen lassen. Protest gegen dieses Kriegsdienstverweigerungsverhinderungsgesetz ist ja schon genug aufgekommen und auch hier bei uns Abgeordneten vorgebracht worden.
In der kurzen Zeit kann ich nicht alle Probleme, Schwächen und Verstöße im Zusammenhang mit diesem Gesetz beleuchten; wir haben dazu gestern eine 28 Punkte umfassende Dokumentation vorgelegt, auf die ich hier ergänzend verweisen möchte. Aber drei Punkte sind mir in der kurzen Zeit besonders wichtig:



Frau Nickels
Erstens. Der Minister, der immer noch nicht da ist, obwohl er die Kriegsdienstverweigerer doch so ins Herz geschlossen hat, war sehr stolz darauf, daß er am 2. Januar 1985 mit seinem gewohnten Siegerlächeln vor der Presse ein erhebliches Zurückgehen der Kriegsdienstverweigererzahlen verkünden konnte: Rund 45 000 Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer waren es, und diese Zahl haben wir das letzte Mal vor fünf Jahren gehabt. Seitdem haben wir bekanntlich einen Regierungswechsel gehabt, der die Kriegsgefahr nicht verringert, sondern durch den hemmungslosen Aufrüstungskurs der neuen Regierung verschärft hat.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Aber das wollten Sie ja gerade: potentielle Kriegsdienstverweigerer von der Inanspruchnahme eines Grundrechts abhalten, Zivildienstableistung als lästige Alternative diskriminieren und eine klare Rangordnung herstellen.

(Bundesminister Dr. Geißler betritt den Plenarsaal)

— Guten Morgen, Herr Minister!

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011400200
Frau Abgeordnete Nikkels, ich darf Sie kurz unterbrechen. Ich wollte das im Anschluß an Ihre Rede mitteilen: Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit und auch der Bundesminister für Verteidigung haben mir mitteilen lassen, daß Sie wegen Verkehrsstaus verspätet eintreffen könnten.

(Dr. Vogel [SPD]: Man kann auch früher losfahren!)

Frau Nickels: (GRÜNE): Der Wehrdienst soll nun das Normale sein, der Ersatzdienst die Ausnahme. Ganz anders hat der Minister Geißler noch vor 25 Jahren gesprochen. Ich zitiere den Minister, wie er sich vor 25 Jahren ausgedrückt hat: „Art. 4 Abs. 3 ist als Verfassungsnorm der allgemeinen Wehrpflicht vorgegeben und kann infolgedessen als Grundrecht einem einfachen Gesetz gegenüber kein Ausnahmerecht sein." Doch was stört den Minister sein Geschwätz von gestern; er hat eben seine rechtswissenschaftliche Überzeugung seinem innenpolitischen Kalkül geopfert. Die Wehrpsychologen im Streitkräfteamt des Verteidigungsministeriums hatten ja genau vorausberechnet, daß 42 % der jungen Leute bei einer Verlängerung des Zivildienstes auf 18 Monate mit ihrem Gewissen ins Schwanken kommen würden, ob sie ihr Grundrecht noch wahrnehmen sollten, und daß es bei einer Verlängerung auf 24 Monate sogar 62 % sein würden. Die Regierung und auch die früher vehement gegen 20 Monate Zivildienst angetretene FDP wollen die systematische Ungleichbehandlung von Grundwehrdienst und Zivildienst. Für die SPD lag die Schmerzgrenze bei 19 Monaten. Wir GRÜNEN machen das nicht mit. Ich wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, als ich jetzt die Berechnungen der Regierung für das Verfassungsgericht gelesen habe, wonach die ungleiche Dauer von Wehrdienst und Zivildienst darin begründet sein soll, daß die Wehrdienstleistenden in der Regel ein Drittel mehr in der Woche als die Zivildienstleistenden arbeiten.
Zweitens. Das Jugendministerium geht nun mit der Behauptung hausieren, das Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer sei abgeschafft. Aber schon ein einziger Blick in das KDVG belehrt jeden des Lesens Kundigen eines Besseren: Für unge-diente und nicht einberufene Wehrpflichtige gibt es das Bundesamtsschnellprüfungsverfahren, in dem im Jahre 1984 immerhin auch schon fast 2 300 Antragsteller abgelehnt worden sind. Ihnen bleibt zur Wahrnehmung ihres Grundrechts nur der Weg vor das Verwaltungsgericht.
Bleiben wir mal bei den Zahlen. Von 44 800 Antragstellern des Jahres 1984 hat das Bundesamt knapp 24 000 im Schnellprüfungsverfahren anerkannt — das sind 58 % —, hingegen mußten knapp 35 000 Antragsteller vor den Ausschüssen, Kammern und Verwaltungsgerichten eine Gewissensprüfung über sich ergehen lassen, die in den allermeisten Fällen die alte Institution geblieben ist.

(Breuer [CDU/CSU]: Woher stammen die?)

— Ich komme jetzt dazu. Sicher sind darunter eine ganze Menge Altfälle. Aber man muß nicht unbedingt Prophet sein, um voraussagen zu können, daß auch 1985 und 1986 jeweils mehr als 30 000 Verfahren vor den Ausschüssen und Kammern durchzuführen sein werden. In Angleichung an den Sprachgebrauch unseres Jugendministers könnte man bei Betrachtung des Zahlenverhältnisses — 24 000 Anerkennungen durch das Bundesamt, 35 000 Verfahren unter der Knute des Verteidigungsministeriums — von einer Kriegsdienstverweigerungslüge sprechen. Wir meinen, daß Sie eigentlich die Behauptung zurücknehmen sollten, das Verfahren sei abgeschafft oder es sei ein rasches und faires Verfahren; denn es ist eine Beleidigung der Tausenden nach wie vor teilweise jahrelang auf ihre Anerkennung wartenden Altfälle, die die Wehrbereichsverwaltungen vor sich herschieben.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zustimmung der Abg. Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD])

Wie dieses Ausschuß- und Kammerverfahren aussieht, ist Ihnen wohl auch bekannt. Ich nenne nur Stichworte: Anfang 1984 wochenlang keine Ausschüsse und Kammern, daher keine Entscheidungen, dann sofort erhebliche Auslegungsschwierigkeiten eines schlechten KDV-Gesetzes, alsbald etliche widersprüchliche Verwaltungsgerichtsurteile, etwa zu § 14 des KDVG; in vielen Ausschüssen und Kammern läuft die alte Inquisition, durch das neue Stimmrecht des Vorsitzenden noch erheblich verschärft; das Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Mai, das lediglich neue Unklarheiten schafft; die Bundeswehrverwaltung ruft — etwas völlig Neues — mit Rundschreiben vom 19. Juli 1984 zum zivilen Ungehorsam gegen das Bundesverwaltungsgerichtsurteil auf; im Falle der Exekutive muß man dies allerdings als klaren Rechtsbruch bezeichnen. Fazit: Das Prüfungsverfahren, insbesondere nach dem dritten Abschnitt des KDVG, muß sofort vom Tisch.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Drittens. Das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz ist ein Armutszeugnis für den



Frau Nickels
Rechtsstaat und ein Tritt vor das Schienbein unserer Verfassungsmütter und Verfassungsväter. Besonders deutlich machen wir das an zwei Personengruppen fest, an die das KDVNG wahrscheinlich überhaupt nicht gedacht hat, die jetzt aber besonders hart betroffen sind. Da sind zum einen diejenigen, die nach Ableistung ihres Grundwehrdienstes — davon haben wir auch einen bei uns in der Fraktion, den Eckhard —, teilweise aber auch während des Grundwehrdienstes ihre Gewissensentscheidung deutlich machen. Sie müssen sowohl das inquisitorische Verfahren absolvieren als auch 20 Monate Zivildienst leisten. In Einzelfällen war das Bundesamt für den Zivildienst schon so dreist, Einberufungen zu diesem fünfmonatigen Restzivildienst auszusprechen. Hier zeigt sich, was Ihre Beteuerung vor Verabschiedung der jetzt gültigen Regelung wert war, Herr Minister, als Sie noch laut davon gesprochen haben, 16 Monate Zivildienst mit Gewissensprüfung seien ja 20 Monaten Zivildienst ohne Gewissensverfahren gleichwertig. Es war wie in der Lehrstellenfrage, wie bei dem Dauergerede der Regierung von „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" glatt die Unwahrheit. Wir fordern Sie auf, ab sofort jegliche Einberufung zu einem Restzivildienst von fünf Monaten zu unterlassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Besonders hart werden allerdings die an die Kandare genommen, die sich auf Grund einer Gewissensentscheidung als Kriegsdienstverweigerer verstehen, aber entweder den Durchlauf durch das inquisitorische Prüfungsverfahren ablehnen oder aber den Zivildienst, manchmal auch beides. Diese totale Kriegsdienstverweigerung ist unserer Meinung nach voll durch Art. 4 des Grundgesetzes, und zwar sowohl durch Abs. 1 wie auch Abs. 3, gedeckt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Gewissensfreiheit muß in unserer Republik einfach einen höheren Rang haben als die Durchsetzung militärischer Interessen und Personalfragen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Lächerlich! — Gegenruf von der SPD: Jawohl!)

Da das Gegenteil der Fall ist, sehen wir die Grundrechte in unerträglichem Maße ausgehöhlt.
Ich möchte betonen: Diejenigen, die sich als totale Kriegsdienstverweigerer verstehen, haben unsere Sympathie und volle politische Unterstützung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben eine entwürdigende Behandlung, j a Arrest- und Haftstrafen auf sich genommen, die keinen Zweifel an ihrer Gewissensentscheidung aufkommen lassen. Wir GRÜNEN haben zwei von ihnen, die Anfang Januar Haftstrafen antreten sollten und seitdem flüchtig sind, in diesen Tagen zu uns eingeladen. Stefan Philipp werden wir ab heute in unserer Bundesgeschäftsstelle friedenspolitisches Asyl gewähren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir fordern die Bundesregierung auf: Sehen Sie von einer Einberufung der totalen Kriegsdienstverweigerer sowohl zum Grundwehrdienst wie auch zum Zivildienst ab! Wir fordern die sofortige Freilassung dieser politischen Gefangenen. Herr Weiskirch, das Schicksal dieser Menschen, dieser Totalverweigerer ist es nämlich, was die Bundesrepublik seit zwei Jahren wieder im Jahrbuch von amnesty international auftauchen läßt. Dafür schäme ich mich allerdings.
Das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz ist ein politischer Torso. Dieser Bundestag muß so schnell wie möglich eine andere, grundgesetzkonforme Regelung verabschieden. Nur so kann die Gewissensfreiheit wieder den ihr gebührenden Rang in der Realität der Bundesrepublik Deutschland einnehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011400300
Das Wort hat Herr Abgeordneter Breuer.

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011400400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 26. November 1982, also vor gut zwei Jahren, haben wir in diesem Hause die erste Beratung des KriegsdienstverweigerungsNeuordnungsgesetzes durchgeführt. Wir debattierten damals über zwei Entwürfe: zum einen über den Entwurf der SPD

(Gilges [SPD]: Der besser war!)

und zum anderen über den Entwurf, der dann die Mehrheit fand, über den der Koalition aus CDU/ CSU und FDP.
Im Vordergrund dieser Beratungen damals stand vor allen Dingen die Kritik an dem Entwurf der neuen Koalition, der dann am 16. Dezember 1982 die Mehrheit bekam. In der kontroversen Debatte der ersten und der zweiten Beratung war es vor allen Dingen das mündliche Überprüfungsverfahren, das die Kritik der Opposition fand: die Gewissensprüfung. Ich glaube, es ist an der Zeit, darüber nachzudenken, was daraus geworden ist. Insofern ist es positiv, daß wir heute diese Debatte führen.
Damals wie heute war und bin ich der Meinung, daß das Gewissen eines Menschen von einem anderen nicht zu überprüfen ist.

(Stratmann [GRÜNE]: Warum wird es dann noch gemacht?)

Damals wie heute war und bin ich der Meinung, daß das, was der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 1969 sinngemäß formulierte, nämlich daß der Fortfall des mündlichen Prüfungsverfahrens einen großen Gewinn darstellen würde, da eine Gewissensentscheidung für den Außenstehenden aus dem Wesen des Gewissens heraus im Kern unzugänglich sei, richtig ist.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Umstritten war Ende 1982, ob das neue Gesetz tatsächlich einen so verstandenen Fortschritt bringen würde. Das ist der Punkt, über den wir hier heute reden müssen.
Vertreter der SPD-Fraktion dieses Hauses und andere bestritten dies vor zwei Jahren innerhalb und außerhalb des Hauses. Der SPD-Kollege Jau-



Breuer
nich sprach am 26. November 1982 von diesem Rednerpult aus davon, daß der Entwurf von CDU/CSU und FDP kein Reformentwurf sei, sondern vielmehr — jetzt wörtliches Zitat — „ein Gesetz zur Verhinderung der Anerkennung von Kriegsdienstverweigerung, ein Gesetz voller Schikanen und unterschwelliger Unterstellungen,

(Gilges [SPD]: Das ist alles richtig!)

mit ausgeprägtem Bestrafungscharakter all jenen jungen Menschen gegenüber, die von ihrem Grundrecht, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, Gebauch machen".

(Zuruf von der SPD: Alles richtig!)

— Sie bekommen gleich Bescheid, Herr Kollege.
Zwei Jahre danach, ein Jahr, nachdem das neue Gesetz in Kraft ist, sind der Kollege Jaunich und alle anderen, die damals davon gesprochen haben, von der Gesetzeswirklichkeit widerlegt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will noch einen Kollegen zitieren, der heute morgen hier im Raum ist. Der Kollege Emmerlich sagte in derselben Debatte — ich zitiere —:
Richtig ist, daß die mündliche Anhörung in der überwiegenden Zahl der Fälle nach wie vor stattfinden wird.
Tatsache ist, meine Damen und Herren: Von 44 014 Anträgen des Jahres 1984 gibt es ganze zwei Fälle, in denen eine mündliche Anhörung stattgefunden hat.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Das ist ein Anteil, den man in Prozentzahlen gar nicht mehr messen kann, weil hinter dem Komma so viele Nullen kommen.

(Zuruf des Abg. Berger [CDU/CSU])

Ich habe mich bemüht, das in Promille auszurechnen: Es sind 0,04%o.
Herr Kollege Emmerlich war damals der Meinung, es sei die Mehrzahl der Fälle.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011400500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011400600
Bitte sehr.

Eckhard Stratmann (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1011400700
Ich kann aus dem Handgelenk die Zahl von zwei Fällen nicht überprüfen. Mir scheint es nur deswegen etwas unglaubwürdig, weil, wenn es so wäre, genau 50 % dieser zwei Fälle ein Mitglied dieses Bundestags beträfen. Deswegen scheint es mir sehr unglaubwürdig zu sein.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das sind die beiden!)


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011400800
Herr Kollege, ich glaube, wir müssen zunächst einmal unterscheiden, von welchen Fällen wir reden.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Ich rede nicht von dem Fahnenjunker der Reserve
auf dem Irrweg Stratmann; so bekennen Sie sich ja
jetzt. Ich rede vielmehr von denjenigen, die als neue
Antragsteller ihren Antrag darauf stützen, von ihrem Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen Gebrauch zu machen. Dafür stimmen exakt diese Zahlen.
Diese Manipulationen mit den Prozentzahlen, die Sie hier vornehmen, kennen wir. Pastor Ulrich Finckh sagte vor einiger Zeit, die Zahl derer, die wegen eines Verstoßes gegen das Wehrpflichtgesetz im Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes inhaftiert seien, sei im Jahre 1984 um 100% gestiegen. Ich hielt das zunächst für erschreckend und habe es nachgeprüft: Die Zahl war von 1 auf 2 gestiegen — um 100 %. Meine Damen und Herren, das ist die Art und Weise, wie in diesem Bereich die Diskussion geführt wird.
Die SPD irrte damals in ihrer Bewertung. Es ist Zeit, daß sie den Irrtum zugibt. Irrtum ist keine Schande, es sei denn, man bleibt dabei, wenn man widerlegt ist.
Die 44 014 Antragsteller des Jahres 1984 bedeuten 36% weniger als 1983. Nun gibt es schlaue Füchse, die sagen: Es mußten 1984 weniger sein, denn 1983 war die Verweigererquote besonders hoch. Das wird dann damit begründet, daß man vor allen Dingen im Monat Juni, einen Monat bevor die Übergangsfrist begann, eine Demonstration gegen das neue Recht vornehmen wollte. Es stimmt: Der Monat Juni 1983 wies besonders hohe Zahlen auf. Aber es ist interessant, einmal nachzuschauen, wie denn der Vergleich der Zahl der Antragsteller 1984 mit der Zahl der Antragsteller 1982, einem völlig normalen Jahr, ausfällt.

(Zuruf des Abg. Sielaff [SPD])

Ergebnis: auch gegenüber 1982 ein deutlicher Rückgang um 27 %, Herr Kollege Sielaff. Das heißt, wir hatten im Jahr 1984 ein Viertel weniger Kriegsdienstverweigerungs-Antragsteller als im Jahr 1982.
Sehr deutlich wird der Rückgang auch dann, wenn man sich einmal damit beschäftigt, wie hoch der Jahrgangsanteil der Antragsteller an der Zahl der männlichen Achtzehnjährigen ist. Ich nenne kurz die Zahlen: Wir hatten 1981 einen Anteil von 10,7 %, 1982 ebenfalls von 10,7 %, 1983 von 12,1 % und 1984 von 8,4 %.

(Dr. Jannsen [GRÜNE]: Viel zu wenige!)

Das heißt, daß ein Jahr — im Jahr 1984 — nachdem, vor allem unterstützt durch die GRÜNEN in diesem Haus, die sogenannte Friedensbewegung gemeint hatte, die Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten, die jungen Menschen in der Frage der Inanspruchnahme der Gewissensfreiheit gegen ihre Ideen und den Mißbrauch der jungen Menschen abstimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Krizsan [GRÜNE]: Na, na! Die „sogenannte"!)

Ich glaube, dies ist der wesentlichste Punkt der heutigen Beratung.

(Dr. Jannsen [GRÜNE]: Definieren Sie doch mal!)

Ihre Verbalinjurien, Ihre dicken klopfenden Sprüche, die eine an sich sympathische Dame wie die



Breuer
Kollegin Nickels hier in einer Art und Weise erscheinen lassen, die ihr gar nicht ansteht,

(Dr. Jannsen [GRÜNE]: Hören Sie sich doch mal selber an!)

sind Beweis dafür, daß Sie Ihre Niederlage nicht verdauen können.

(Dr. Jannsen [GRÜNE]: Welche Niederlage?)

— Die Niederlage liegt dort — Ihre Zwischenrufe beweisen das —,

(Zuruf der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

wo es Ihnen nicht gelungen ist, die jungen Menschen dieses Landes für Ihre politischen Ideen zu mißbrauchen

(Krizsan [GRÜNE]: Nicht gelungen? Na!)

und das Mittel der Inanspruchnahme der Gewissensfreiheit als Obstruktion gegen den freiheitlichen Rechtsstaat zu mißbrauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Krizsan [GRÜNE]: Übel, übel!)

Die Zivildienstleistenden, die Wehrdienstverweigerer des Jahres 1984 — —

(Krizsan [GRÜNE]: „Kriegsdienstverweigerer" heißen die!)

— Ich bin bereit, mich mit Ihnen darüber zu unterhalten.

(Krizsan [GRÜNE]: Das steht so im Gesetz!)

— Ich stimme Ihnen auch zu: „Kriegsdienstverweigerer". Aber jetzt kommen wir mal zum Kern der Sache. Das sind alles Nebenkriegsschauplätze, die Sie hier inszenieren.
Diese Zivildienstleistenden des Jahres 1984 können — und das ist der Vorteil der neuen Regelung —

(Krizsan [GRÜNE]: So?)

mit Fug und Recht behaupten, daß sie nicht mehr wie in früheren Jahren als die verdächtigt werden können, die durch die Schlupflöcher und Maschen eines Gesetzeszauns geschlüpft sind.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Sie hätten sie j a nicht verdächtigen müssen!)

— Wenn Sie sich mit meinen Reden in diesem Haus, Frau Kollegin Schmidt, beschäftigen, werden Sie feststellen, daß ich das niemals getan habe.

(Stratmann [GRÜNE]: Sie sprechen für die Fraktion!)

Tatsache ist: Es gibt keinen Grund mehr, sie zu verdächtigen. Diese jungen Menschen, die bereit sind, die Ernsthaftigkeit ihres Gewissens dadurch zu belegen, daß sie länger Dienst tun, können von sich behaupten, den Anforderungen der Pflichten, die das Grundgesetz an sie stellt, gerecht zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Frau Nickels [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011400900
Herr Abgeordneter Breuer — —

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011401000
Einen Satz noch! Präsident Dr. Jenninger: Bitte.

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011401100
Diese jungen Menschen belegen, daß sie nicht nur Rechte in Anspruch nehmen, sondern auch den Pflichten gerecht werden. Um den Gedanken kurz weiterzuführen: Auch die Soldaten sind, glaube ich, hinsichtlich dieser neuen Entwicklung bei den Kriegsdienstverweigerern in völlig neuem Licht zu sehen. Es ist noch gar nicht lange her, da war es so, daß einige Kriegsdienstverweigerer — das waren die Opportunisten,

(Dr. Jannsen [GRÜNE]: Na, na!)

die heute nicht mehr dazu gehören — die Soldaten als Deppen der Nation hinstellten und ausdrückten, die Soldaten seien nicht clever genug, durch den Maschenzaun der Gesetze zu flutschen.

(Gilges [SPD]: Unverschämt, was Sie da erzählen!)

Diese Zeiten — und das ist das Entscheidende, auch das Entscheidende dieser Neuregelung — sind vorbei. Heute ist das Verhältnis der Soldaten zu den Zivildienstleistenden

(Zuruf des Abg. Gilges [SPD])

und das Verhältnis der Zivildienstleistenden zu den Soldaten verbessert.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011401200
Herr Abgeordneter Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Nickels?

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011401300
Bitte sehr.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011401400
Bitte sehr, Frau Nickels.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1011401500
Herr Kollege, wenn es so ist, wie Sie sagen, daß die verlängerte Zivildienstzeit für Sie eine Probe auf das Gewissen sein soll: Warum hat Ihre Fraktion es gegenüber dem Verfassungsgericht dann für nötig gehalten, die Verlängerung der Zivildienstzeit nun auch damit zu begründen, daß die Grundwehrdienstleistenden eine erheblich längere Wochenarbeitszeit abzuleisten haben? Das verstehe ich nicht.

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011401600
Frau Kollegin, ich glaube, es ist sehr schwierig,

(Lachen bei den GRÜNEN und der SPD — Frau Nickels [GRÜNE]: Ja, für Sie!)

Zeit gegen Gewissen aufzurechnen.

(Frau Nickels Sie es dann? — Zurufe von der SPD)

Jede Argumentation, die in diese Richtung geht,

(Sielaff [SPD]: Aber das macht doch ihre Fraktion!)

ist immer gefährlich. Es gibt da, Herr Sielaff, in der Tat gefährliche Argumentationen, und ich kenne einige, die Sie anwenden. Aber sie brauchen deswegen nicht völlig falsch zu sein.



Breuer
Ich glaube, das Entscheidende ist, daß heute tatsächlich gesagt werden kann, daß derjenige, der bewußt länger als der Grundwehrdienstleistende dient, nicht mehr als Opportunist verdächtigt werden kann. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich kenne viele Zivildienstleistende — natürlich nicht die gleichen wie Sie, Frau Nickels; ich beschäftige mich mit jedem —,

(Frau Nickels [GRÜNE]: Lassen Sie doch diese Unterstellungen!)

die dies in aller Klarheit auch so sehen. Ich erinnere mich an die Anhörung, die wir im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit des Deutschen Bundestages im Dezember 1982 hier durchgeführt haben. Wir hatten zwei Zivildienstleistende da. Die sagten: Das Entscheidende für uns ist der Wegfall des mündlichen Verfahrens. Wir sind bereit dazu, länger zu dienen, aber der Wegfall des mündlichen Verfahrens ist der entscheidende Punkt,

(Sielaff [SPD]: Unbestritten!)

und der ist für die überwiegende Mehrheit realisiert.
Meine Damen und Herren, ein wesentlicher Punkt — das sollte ebenfalls herausgestellt werden — ist auch der Abbau des Antragsstaus. Die SPD-Kollegen müssen sich doch damit konfrontieren lassen, daß eine schlechte, eine blamable Hinterlassenschaft der von ihnen geführten Regierung der Antragsstau war. Mehr als 101 000 Anträge junger Menschen, die einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt hatten, konnten nicht beschieden werden. Das sind junge Menschen, die hinsichtlich ihrer Lebensplanung in größte Schwierigkeiten kamen, die hinsichtlich der Lebensplanung, Berufsausbildung, Studium,

(Zuruf des Abg. Gilges [SPD])

Übergang von Ausbildung zu Beruf nicht genügend Orientierung hatten. In dem einen Jahr, in dem dieses Gesetz in Kraft ist, ist dieser Antragsstau von 101 315 Fällen auf 77 419 Fälle, d. h. um etwa 24 000 Fälle, abgebaut worden. 24 000 junge Menschen haben wieder Orientierung gefunden. Das ist für das erste Jahr — in der Praxis des Gesetzes war es im Grunde nur ein halbes Jahr — ebenfalls ein sehr gutes Ergebnis.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren: Das neue Gesetz ist in der Praxis hervorragend. Die Feiern unseres Ministers Geißler zum Jahresanfang sind berechtigt gewesen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011401700
Das Wort hat der Abgeordnete Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (SPD):
Rede ID: ID1011401800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage befaßt sich mit dem von CDU/CSU und der FDP verabschiedeten Kriegsdienstverweigerungsgesetz.
Bei der Anwendung dieses Gesetzes gibt es in der Tat eine Vielzahl von Problemen, mehr und gewichtigere als die, die in der Großen Anfrage angesprochen werden. In der Debatte über die Antwort der Bundesregierung ist es daher erforderlich, die schwerwiegendsten dieser Mängel aufzuzeigen und sie zu diskutieren.
Ein Jahr nach Inkrafttreten des Neuregelungsgesetzes, Herr Kollege Breuer, ist entgegen Ihren Ausführungen vor allem festzustellen: Trotz einer rigorosen Verlängerung des Zivildienstes werden junge Mitbürger, die von ihrem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung Gebrauch machen, nach wie vor einer hochnotpeinlichen inquisitorischen Gewissensprüfung unterzogen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

Wir verkennen dabei durchaus nicht — Herr Kollege Breuer, hören Sie einmal einen Moment zu —, daß beim Bundesamt bisher Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer überwiegend im schriftlichen Verfahren positiv beschieden worden sind. Die Voraussetzungen für eine solche Anerkennung durch das Bundesamt — ausführlicher Lebenslauf und ausführliche persönliche Begründung — sind bisher zweifelsfrei zugunsten der Antragsteller großzügig ausgelegt worden.

(Breuer [CDU/CSU]: Entgegen Ihrer damaligen Annahme!)

Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei diesen Voraussetzungen um Gummibandparagraphen handelt, die fast beliebig in die eine oder die andere Richtung gedehnt werden können.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Es ist also dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit durchaus möglich — wenn es ihm opportun erscheint —, von der bisher großzügigen Auslegung auf eine strenge Handhabung umzuschalten. Wir stehen unter dem Eindruck, daß Bundesminister Geißler im Vorfeld der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach dem Vorbild des Wolfes aus dem Märchen „Der Wolf und die sieben Geißlein" verfahren ist. Der Wolf hat ja bekanntlich Kreide gefressen, um sich zu tarnen und die Geißlein zu täuschen.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie sind mir ein schöner Wolf! — Breuer [CDU/CSU]: Er ist ein zahnloser Wolf!)

Wenn Sie, Herr Minister Geißler, wirklich wollen, daß die derzeitige Praxis des Bundesamtes auf Dauer sichergestellt werden soll, dann sorgen Sie dafür, daß die Gummibandbegriffe wie „ausführlich" und „persönlich" aus dem Gesetz herausgestrichen werden.

(Zustimmung bei der SPD)

Herr Kollege Breuer, jetzt kommen wir zu dem eigentlich entscheidenden Punkt. Abgesehen von den Verfahren vor dem Bundesamt erweist sich die Ankündigung der Regierung, die Gewissensprüfung



Dr. Emmerlich
werde abgeschafft, als eine bloße Fata Morgana. Vor den Ausschüssen, also innerhalb des Bereichs, für den der Bundesverteidigungsminister nach wie vor zuständig ist, werden fast alle Antragsteller der inquisitorischen Gewissensüberprüfung ausgesetzt, und zwar auch dann, wenn sie den verlängerten Zivildienst leisten müssen, Herr Kollege Breuer.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar mehrfach betont, daß die Bereitschaft zur Ableistung des verlängerten Zivildienstes ein gewichtiges Beweiszeichen für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung sei und infolgedessen auch im Zuständigkeitsbereich des Bundesverteidigungsministers ohne mündliche inquisitorische Gewissensüberprüfung nach Aktenlage entschieden werden könne. Über diese Rechtsprechung setzt sich der Bundesverteidigungsminister aber bedenkenlos hinweg. In seinen Erlassen an die Prüfungsausschüsse heißt es, auch bei einem verlängerten Zivildienst sei in aller Regel eine persönliche Anhörung — also die alte inquisitorische Gewissensüberprüfung — durchzuführen. In einem Rechtsgutachten für die evangelische Kirche wird von Professoren des öffentlichen Rechts infolgedessen festgestellt, daß sich die Erlaßpraxis des Bundesverteidigungsministers in amtspflichtwidriger Weise über die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz hinwegsetze.
Trotzdem behauptet der Bundesverteidigungsminister in seiner Antwort an meinen Kollegen Horst Jaunich ungeniert, eine Änderung der Erlasse und der Praxis der Ausschüsse sei nicht zu rechtfertigen. Kein Wunder, daß in den ersten neun Monaten des Jahres 1984 — wenn der Herr Kollege Breuer jetzt zuhören würde, wäre ich ihm besonders verbunden; vielen Dank! — bei den Ausschüssen und Kammern für Kriegsdienstverweigerung über 90 der Entscheidungen nach einer persönlichen Anhörung und der damit verbundenen inquisitorischen Gewissensüberprüfung alter Machart ergangen sind. Die Entscheidung über die Anerkennung oder Nichtanerkennung in dem Bereich, für den der Bundesverteidigungsminister zuständig ist, gleicht somit wie früher einem Lotteriespiel.
Wenn Minister Geißler unter Hinweis auf die Praxis beim Bundesamt nach wie vor behauptet, die Gewissensüberprüfung sei abgeschafft, so wird er schon durch die Zahlen widerlegt, Herr Breuer. Den bisher 24 000 im schriftlichen Verfahren beim Bundesamt anerkannten Kriegsdienstverweigerern stehen derzeit 70 000 Verfahren bei den Ausschüssen, Kammern und Verwaltungsgerichten gegenüber, in denen weiterhin die Gewissensentscheidung in mündlicher Verhandlung überprüft wird.

(Breuer [CDU/CSU]: Das ist ein gewaltiger Türke, den Sie hier bauen!)

Unsere Prognosen, Herr Breuer, haben sich also als zutreffend herausgestellt, und sie werden sich in der weiteren Entwicklung noch deutlicher als zutreffend erweisen.

(Breuer [CDU/CSU]: Sie wundern sich, bei Ihrer Hinterlassenschaft?)

Erstaunlich ist, wie Minister Geißler die Verlängerung des Zivildienstes zu rechtfertigen versucht — dem Verfassungsgericht gegenüber damit, daß der Pillenknick in den 90er Jahren zu einer Verlängerung der jetzigen Reserveübungsdauer von durchschnittlich 3,5 Tagen bis auf 5 Monate führen könne.

(Sielaff [SPD]: Der Pillenknick muß zu allem herhalten!)

Der Bundesverteidigungsminister hat demgegenüber auf Fragen meiner Kollegen Uwe Lambinus und Günther Leonhart im Deutschen Bundestag erklärt, es habe während des Gesetzgebungsverfahrens und danach in der Bundesregierung nicht einmal theoretisch ein Modell zur Bewältigung des Pillenknicks zur Debatte gestanden, das eine durchschnittliche Reserveübungsdauer von 5 Monaten vorsehe.

(Zustimmung des Abg. Stratmann [GRÜNE])

Das würde — so der Bundesverteidigungsminister — eine Erhöhung der Zahl der Wehrübungsplätze von 10 000 auf 75 000 und zusätzliche Mittel von rund 1 Milliarde DM erfordern. Das sei — immer noch der Bundesverteidigungsminister — nicht geplant.
Bundesminister Geißler behauptet ferner, die Verlängerung des Zivildienstes sei ein Ausgleich für die unterschiedliche wöchentliche Dienstzeit im Wehrdienst und im Zivildienst. Andererseits verspricht die Bundesregierung, die Dienstzeitbelastung bei der Bundeswehr zu senken. Wenn die Bundesregierung die Dienstzeitbelastung bei der Bundeswehr senken will, argumentiert sie nicht redlich, wenn sie gleichzeitig mit dieser angeblich unterschiedlichen Dienstzeitbelastung die Verlängerung des Zivildienstes rechtfertigt.
Bundesregierung und Koalition haben ihr Versprechen, die Gewissensüberprüfung abzuschaffen, nicht eingelöst.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben die Hoffnung vieler junger Bürger enttäuscht und dadurch keinen Beitrag zur Glaubwürdigkeit der Politik geliefert.

(Breuer [CDU/CSU]: Was wollen Sie eigentlich in zwei Jahren hier sagen?)

Sie haben das in Art. 4 unserer Verfassung gewährleistete Verbot des Gewissenszwanges und die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für den Vorrang des Einzelgewissens nicht hinreichend respektiert. Diesen Tatbestand versucht Bundesminister Geißler in seiner Antwort auf die Große Anfrage, in seiner schon zitierten Bilanz zum Jahreswechsel und vermutlich auch in dieser Debatte zu vernebeln. Mit diesem Manöver darf und wird der Bundesminister keinen Erfolg haben.
Vielen Dank.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011401900
Herr Abgeordneter Emmerlich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breuer?




Dr. Alfred Emmerlich (SPD):
Rede ID: ID1011402000
Ich bin leider am Ende, Herr Präsident. Aber wenn Sie gestatten, beantworte ich die Zwischenfrage noch.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011402100
Bitte sehr.

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011402200
Herr Kollege Emmerlich, Sie geben mir sicher recht, wenn ich sage, daß die mündlichen Verfahren, die stattfinden, mit Ausnahme von zwei Fällen sogenannte Altfälle aus dem Antragsstau sind. Darf ich Sie fragen, was Sie eigentlich in zwei Jahren zu sagen gedenken, wenn die Altfälle abgebaut sind.

Dr. Alfred Emmerlich (SPD):
Rede ID: ID1011402300
Zunächst einmal ist es nicht richtig, daß die Fälle, die unter Ausklammerung des Bundesamtes direkt an die Ausschüsse und von ihnen direkt an die Ausschüsse und von ihnen direkt an die Kammern gelangen, nur Altfälle sind. Richtig dagegen ist, daß bei vorbenachrichtigten und einberufenen Soldaten dieser Verfahrensweg eingeschlagen wird. Schon früher war es so, daß es sich bei rund einem Fünftel der Fälle um Fälle solcher Art handelte.
Ihre Wiedergabe der derzeitigen Situation beruht auf falschen tatsächlichen Prämissen. Also, Herr Breuer, beruhen auch Ihre Prognosen auf falschen tatsächlichen Prämissen. Dies ist bei uns anders. Die Zukunft wird das erweisen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011402400
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1011402500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes wurde von den Koalitionsparteien ein Kompromiß gefunden, der von den Liberalen mitgetragen wurde und auch heute noch mitgetragen wird, weil er unter Berücksichtigung des Votums des Bundesverfassungsgerichts vom 19. April 1978 wesentliche Forderungen der FDP an Inhalt und Form der Kriegsdienstverweigerungsverfahren berücksichtigt.
An dieser Stelle möchte ich jedoch noch einmal betonen, daß wir Liberalen mit dem sogenannten Postkartenverfahren von 1977 sehr gut hätten leben können. Es war das Bundesverfassungsgericht, das uns diesen Weg versperrt hat.

(Sielaff [SPD]: Dann machen Sie jetzt diesen Unsinn mit?)

Ich meine aber, daß die gefundene Regelung und die ersten Erfahrungen, die damit gemacht werden konnten, die Tragfähigkeit des Kompromisses bestätigt haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CDU)

Es hat einen raschen Abbau des Antragsstaus gegeben. Durch die zügige Behandlung der Neuanträge
hat sich die Zahl der Zivildienstleistenden im Oktober 1984 auf 41 000 und im November 1984 auf 44 000 erhöht. Das sind neue Rekordzahlen.

(Dr. Jannsen [GRÜNE]: Wieder ein neuer Rekord!)

Wir begrüßen dies ausdrücklich im Sinne der Wehrgerechtigkeit.
Die Debatte heute zeigt jedoch, daß das Thema „Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst" keineswegs abgeschlossen ist. Es war wohl auch nicht zu erwarten, daß die Zeit bis zum Bericht der Bundesregierung an die gesetzgebenden Körperschaften des Bundes über ihre Erfahrungen mit der Durchführung dieses Gesetzes ohne Debatte bleiben würde.
Ich hätte mir allerdings gewünscht, daß die Art und Weise der Debatte mehr der Gesinnung der großen Mehrheit der aus Gewissensgründen Zivildienstleistenden gerecht geworden wäre und weniger das Bemühen einiger Abgeordneter widerspiegelt, die im Emotionalen ihre Erfolge suchen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Sielaff [SPD]: Meinen Sie Herrn Geißler?)

Die Fragen der Fraktion der GRÜNEN in ihrer heute diskutierten Großen Anfrage enthalten zum Teil Unterstellungen oder zeigen, daß der Gesetzestext teilweise nicht richtig gelesen worden ist. Bedauerlicherweise wird in den Fragen der GRÜNEN der Eindruck erweckt, als würden nicht anerkannte Kriegsdienstverweigerer, die zum Wehrdienst eingezogen wurden, anders behandelt als andere Wehrpflichtige. Auch wird unterstellt, in der Bundeswehr würden detaillierte Statistiken über besondere Auffälligkeiten von Kriegsdienstverweigerern erstellt, z. B. im disziplinarischen Bereich. Folgt man den Ausführungen des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit — und ich zweifle nicht an seinen Worten —,

(Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)

so stellt sich heraus, daß die Unterstellungen ebenso wie die Befürchtungen der GRÜNEN unbegründet sind.
Lassen Sie mich jetzt einige grundsätzliche Worte zur derzeitigen Rechtslage sagen. Wir stehen nach wie vor dazu, daß ungediente Wehrpflichtige auf Grund eines ausführlich begründeten, schriftlichen Antrags vom Bundesamt für den Zivildienst als Kriegsdienstverweigerer — oder doch eigentlich mehr als Wehrdienstverweigerer analog zu unserer Bundeswehr — anerkannt werden.

(Sielaff [SPD]: Da möchten wir wissen, wer das Gesetz richtig gelesen hat!)

Voraussetzung ist, wie es das Gesetz vorschreibt, a), daß die dargelegten Beweggründe geeignet sind, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu begründen, und b), daß die Gesamtvorbringung des Antragstellers sowie die dem Bundesamt bekannten Tatsachen keine Zweifel an der Wahrheit der Angaben des Antragstellers begründen.
Diese Formulierung ermöglicht es jungen Menschen, die Beweggründe für ihre Entscheidung in ihren eigenen Worten und ohne daß besonders hohe



Frau Dr. Segall
Maßstäbe anzulegen sind, darzustellen. Sie reduziert damit die Verpflichtung des jungen Menschen darauf, seine Beweggründe insgesamt plausibel darzulegen. Dies ist zweifellos eine erhebliche Verbesserung gegenüber der alten Rechtslage. Zweifeln an seiner Darstellung darf das Bundesamt überhaupt nur dann — und in engen Grenzen — ohne Beweisaufnahme und eigene Nachforschungen nachgehen, wenn sie sich auf äußere Tatsachen beziehen. Dies war und ist eines der wesentlichen Anliegen der FDP. Damit aber sind Prüfungen innerer Tatsachen, also solcher Vorgänge, die sich in einem Menschen abspielen, wenn er zur Ablehnung des Wehrdienstes gelangt, nicht mehr möglich. Damit ist die Gewissensprüfung für junge Menschen, die noch nicht bei der Bundeswehr waren, abgeschafft. Dies entspricht der Forderung unseres Freiburger Wahlprogramms von 1980.

(Sielaff [SPD]: Gilt das noch?) — Das gilt noch, jawohl.


(Lachen bei der SPD — Sielaff [SPD]: Sehr schön! Sagen Sie das einmal Ihren Parteikollegen! — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Das ist doch nicht wie bei Ihrem Godesberger! — Stratmann [GRÜNE]: Da lacht ja selbst Ihr Kollege Mischnick!)

— Sie haben vielleicht auch gehört, was Herr Mischnick gesagt hat. Es war ein Rückruf auf die Frage, wie es mit dem Godesberger Programm der SPD steht.
Nach wie vor für richtig halten wir das verbesserte Prüfungsverfahren vor Ausschüssen und Kammern für Soldaten sowie für einberufene und gediente Wehrpflichtige.
In der geltenden Fassung des Zivildienstgesetzes vom 29. September 1983 ist festgelegt, daß der Zivildienst um ein Drittel länger dauert als der jeweilige Grundwehrdienst. Diese Regelung war angesichts der Laufzeitbegrenzung des Gesetzes auf zweieinhalb Jahre zu akzeptieren. Meine Kollegin Frau Dr. Adam-Schwaetzer hat allerdings bereits am 26. November 1984 erklärt, daß diese Drittelregelung für die Verlängerung des Zivildienstes überprüft werden muß. Wir haben dazu ausreichend Zeit; denn das Kriegsdienstverweigerungsgesetz tritt am 30. Juni 1986 außer Kraft, wenn der Gesetzgeber bis dahin nicht bestimmt hat, daß es weiter gelten soll. Für den Fall einer Verlängerung des Wehrdienstes über 15 Monate hinaus muß sichergestellt werden, daß die Länge des Zivildienstes nicht zu einer Behinderung der Gewissensentscheidung wird.
Wir stellen fest, daß die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung in den vergangenen Monaten erheblich zurückgegangen ist. Warum das so ist, darüber kann man nur spekulieren. Es mag daran liegen, daß — erstens — die Ausbildungsplatzchancen, die die Bundeswehr anbietet, einen erheblichen Anreiz für junge Menschen darstellten, sich auf Zeit zu verpflichten, daß — zweitens — die geringere Länge des Grundwehrdienstes gegenüber dem Zivildienst bei einigen Wehrpflichtigen zu einer erneuten Abwägung geführt hat und daß — drittens, das sollte man nicht verschweigen — die erhöhte Chance, zum Zivildienst tatsächlich einberufen zu werden, möglicherweise ebenfalls einen kleinen Effekt gehabt hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat in dem zitierten Urteil einen Zeitrahmen für den Zivildienst genannt. Es ist der Auffassung, daß der Zivildienst bis auf 24 Monate verlängert werden könnte. Nach unserer Auffassung wäre die starre Durchführung der Drittelregelung jedoch mit einer außerordentlich großen Härte verbunden. Es darf unseres Erachtens keinesfalls der leider immer noch vorhandene Eindruck entstehen, als würde die Ableistung des Zivildienstes gegenüber dem Grundwehrdienst bestraft. Wer dies tut, verkennt die Wertskala der heutigen Jugend. Soziales Engagement hat für sie einen hohen Rang. Ich fürchte, eine negative Einstellung gegenüber den Zivildienstleistenden würde von vielen Jugendlichen als Mißachtung empfunden und könnte zu einer weiteren Entfremdung zwischen den Generationen führen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Eine solche Entwicklung darf auf keinen Fall eintreten.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hoffe, daß der zum Jahresende vorzulegende Bericht der Bundesregierung weitere Aufschlüsse über die Erfahrung mit dem jetzigen Recht bringen wird. Auf Grund der bereits jetzt erkennbaren Entwicklung läßt sich sagen, daß die gesetzliche Neuregelung zu positiven Ansätzen geführt hat. Bei etwas weniger Polemik und mehr sachlicher Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Thema würden wir dem Anliegen derjenigen, die den Kriegsdienst verweigern wollen, mehr gerecht.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011402600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Sielaff.

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1011402700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist fast bewundernswert, wie diese Regierungskoalition aus der einfachsten statistischen Darstellung und aus einer Antwort auf eine Große Anfrage, in der mehr verschwiegen als beantwortet wird, noch einen großartigen Erfolg zu machen versucht.

(Breuer [CDU/CSU]: Da staunen Sie!)

— Herr Breuer, ich bin j a bereit zuzugeben: Die vorgelegte Statistik ist besser, als wir anfangs befürchtet haben. Aber die Gründe dafür müssen ja nicht darin liegen, daß die Kriegsdienstverweigerungsgarantie des Grundgesetzes großzügig angewandt wird. Mit Statistiken kann man, wie jeder weiß, fast alles beweisen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Eimer [Fürth] [FDP])

Insofern sollte das vorgelegte Zahlenmaterial nicht
überbewertet werden. Immer, Herr Eimer, wenn es
Gesetzgebungsvorgaben gab, haben wir auch



Sielaff
Schwankungen bei der Zahl der Anträge der Kriegsdienstverweigerer zu verzeichnen gehabt. Ich gebe Ihnen, Herr Breuer, einige Beispiele: 1978 rund 39 700, 1979 rund 45 000 und 1980 rund 54 000. Das sind die Zahlen. Wenn Sie die mit den 84er Zahlen vergleichen, dann können Sie wohl nicht zu Ihrem Schluß kommen.
Ebensowenig liegt es daran, daß etwa das Anhörungsverfahren abgeschafft sei. Im Gegenteil, in vielen Fällen setzt sich die Bundeswehrverwaltung über die höchstrichterliche Entscheidung hinweg und führt, wie Herr Emmerlich bereits andeutete, unnötige mündliche Befragungen durch. Nein, die Gründe liegen offensichtlich in anderen Bereichen. Eine liberale Handhabung auf Zeit sagt noch nichts über die wirklichen Absichten aus. Da sind schon Interpretationen und Erläuterungen notwendig und aufschlußreich, und die hat uns der zuständige Minister vor wenigen Tagen freundlicherweise selbst geliefert. Für die Offenheit kann man nur dankbar sein; nur zeigt sie mehr als deutlich, was die jetzige Regierung wirklich will.
Schon am 18. Juni 1984 meldete der Evangelische Pressedienst unter der Überschrift „Echte Gewissensnot" — ich zitiere —:
Die Aussicht für Kriegsdienstverweigerer, fünf Monate länger dienen zu müssen als die Soldaten und auf jeden Fall zum Zivildienst herangezogen zu werden, ist nach Auffassung von Willi Weiskirch (CDU) alleiniger Grund für den Rückgang der Zahl der Anerkennungsanträge um fast ein Drittel seit Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung Anfang 1984. Weiskirch, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion folgert daraus, daß echte Gewissensnot früher nur bei einem Teil der Antragsteller eine Rolle gespielt habe, was freilich immer zu vermuten war.

(Weiskirch [Olpe] [CDU/CSU]: Exakt so!) In einem am 15. Juni 1984

— so epd —
im Bonner Deutschland-Union-Dienst veröffentlichten Beitrag wendet er sich zugleich gegen den fanatischen Eifer, mit dem sogenannte Kriegsdienstverweigererverbände gesetzliche Regelung bekämpft hätten.
So weit das Zitat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ausgezeichnet!)

Meine Damen und Herren, genau an diese Gedankengänge knüpft Heiner Geißler an. Für ihn sind Dauer und Gestaltung des Zivildienstes zu einer, wie er sagt, „echten Probe auf die Ernsthaftigkeit der behaupteten Gewissensentscheidung geworden", und damit ist die alte Lästigkeit wieder aufs Tapet gebracht. Der Rückgang der Zahl der Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zeigt nach Ansicht des Jugendministers, daß das neue Gesetz „die Spreu vom Weizen gesondert" habe.

(Beifall des Abg. Breuer [CDU/CSU])

Meine Damen und Herren, Herr Breuer, das sind Begriffe, die von einem starken Mißtrauen dieser Bundesregierung gegenüber ihren Bürgern ausgehen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Breuer [CDU/CSU]: Glauben Sie ernsthaft, es gäbe keine Opportunisten?)

Der zuständige Minister für die Jugend unterstellt damit einem großen Teil dieser jungen Erwachsenen von vornherein Drückebergerei. Jeder Verweigerer weniger wird als Pluspunkt für den harten Staat vermerkt, so das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" am 13. Januar dieses Jahres zu Geißlers „Erfolgsbilanz", die richtigerweise in Anführungszeichen gesetzt ist.

(Abg. Breuer [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011402800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1011402900
Nein, auch in bin leider in Zeitnot und werde keine Fragen zulassen. Herr Breuer, ich bitte um Nachsicht.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011403000
Herr Abgeordneter, ich werde Ihnen diese Zwischenfrage auf Ihre Redezeit nicht anrechnen.

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1011403100
Dann bitte.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011403200
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Kollege Sielaff, wollen Sie ernsthaft behaupten, daß es in der Vergangenheit im Hinblick auf die Inanspruchnahme des Grundrechts auf Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen keinerlei Opportunismus gegeben hat? Denn die Behauptung, daß es Opportunismus gegeben hat, war doch exakt die des Kollegen Weiskirch. Hier geht es um eine Minderheit im Verhältnis zu einer Mehrheit.

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1011403300
Herr Breuer, Opportunisten dürfen doch nicht unser Handeln hier im Bundestag bestimmen.

(Beifall bei der SPD)

Mit dieser Frage haben Sie keineswegs vom Tisch gewischt, daß Sie von vornherein unterstellen, ein großer Teil der Kriegsdienstverweigerer, die einen Antrag stellen, seien eben keine echten.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011403400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Breuer?

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1011403500
Unter der Voraussetzung ja.

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011403600
Sind Sie bereit anzuerkennen, daß diese Minderheit der Opportunisten dazu in der Lage war, eine Mehrheit der ernsthaften Kriegsdienstverweigerer zu diskreditieren?

(Gilges [SPD]: Quatsch!)





Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1011403700
Nein, Herr Breuer, das liegt sicherlich an der Einstellung derer, die diese Minderheit so überbewerten. Ich bin nicht bereit, dies für die Allgemeinheit der Antragsteller zu übernehmen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das vom damaligen Landesbischof Lilje gegründete evangelische Wochenblatt, das „Allgemeine Sonntagsblatt", fährt dann wörtlich fort:
... man muß nur Druck machen, dann kommen die Burschen schon zum Bund. Der Wehrdienst als Billigangebot für beflissene Staatsbürger, während es schon immer etwas teurer war, sich ein Gewissen zu leisten? Irgendwo zwischen Karlsruhe, Bonn und dem Bermuda-Dreieck sind da die Begriffe durcheinander geraten.
So weit das Zitat. Meine Damen und Herren, die SPD kann dem nur zustimmen.
Der Staat kann und darf nicht festlegen, was einer Gewissensentscheidung an konsequentem Handeln zu folgen hat, sondern der Staat muß einen offenen Rahmen für ethisch begründete persönliche und freie Gewissensentscheidungen vorgeben. Der Staat muß in seinen Vorgaben allerdings auch im Laufe der Zeit veränderte Denk- und Moralvorstellungen in seine politischen Entscheidungen mit einbeziehen und sie gegebenfalls berücksichtigen. Auch hierin hat die jetzige Regierung versagt. Statt sich offen einer neuen Diskussion zu stellen, versucht sie, durch die Hintertür einer Doppel- und Mehrfachbestrafung Druck auszuüben. Wenn ihr der Druck gelingt, verkauft sie das Resultat scheinheilig als Erfolg. Die gesellschaftspolitischen Folgen und die Folgen für die betroffenen jungen Menschen werden dabei völlig übergangen.
Wo die Anhörung durchgeführt wird, ist sie nach Auskunft der kirchlichen Beauftragten für Kriegsdienstverweigerer härter geworden. Ich unterstreiche das, was mein Kollege Emmerlich gesagt hat: Auf allen möglichen Ebenen und mit Tricks versuchen Wehrbehörden, Kriegsdienstverweigerungsanliegen zu unterlaufen. Die Beisitzerbroschüren sind völlig unzureichend, und die Einführung durch die Kreiswehrersatzämter ist lückenhaft. Kirchliche Informationstagungen für Beisitzer werden behindert, indem die Veranstalter keine Adressenlisten von Beisitzern erhalten, angeblich aus Gründen des Datenschutzes. Das allerdings ist absurd, denn die Namen der Beisitzer sind sogar jeweils aus der Tagespresse erkennbar.
Ich frage: Sind wir schon unfähig geworden, zu begreifen, daß viele junge Menschen nicht mehr verstehen, warum sie begründen müssen, daß sie alte Menschen pflegen und Behinderten helfen wollen, während es keinen Begründungszwang dafür gibt, warum ich gegebenenfalls in einem wahnwitzigen Krieg Menschen töten muß?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Breuer [CDU/CSU] und Weiskirch [Olpe] [CDU/CSU]: Das ist ungeheuerlich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Dürfen wir angesichts einer Welt, Herr Breuer, die
viel zuwenig Menschen hat, die bereit sind, anderen
zu helfen, in der wir oft gemeinsam den Egoismus bedauern, dürfen wir da junge Menschen, die vorrangig anderen helfen wollen und den Irrsinn eines möglichen Krieges nicht mehr begreifen, als „Spreu" oder „Drückeberger" bezeichnen?

(Breuer [CDU/CSU]: Das ist die Offenbarung Ihrer Haltung zur Bundeswehr!)

Der Aufforderung christlicher Gruppen, den Mut zur Verweigerung zu stärken und die Kriegsdienstverweigerung als das deutlichere Zeugnis des gegenwärtigen Friedensgebotes des Jesus von Nazareth anzunehmen, wie es der Kirchenvorstand einer evangelischen Kirchengemeinde in Göttingen formuliert, steht die Bundesregierung offensichtlich sprachlos gegenüber. Der Generalsekretär der CDU beschimpft diese und andere Äußerungen als politisierende Theologie.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ist sie auch! Ein neuer Klerikalismus, diesmal von links!)

Völlig verschwiegen wird von der Bundesregierung die Problematik der Totalverweigerer. Von den rechtskräftig anerkannten Kriegsdienstverweigerern der Geburtsjahrgänge 1960, 1961 und 1962 verweigerten den Zivildienst und andere gesetzliche Ersatzdienste oder entzogen sich durch Flucht immerhin, wie aus der Antwort zu ersehen ist, 230 Personen.

(Breuer [CDU/CSU]: Was halten Sie von denen?)

Über die Anzahl der Antragsteller, die ganz oder zeitweise vergeblich vor dem oder im Grundwehrdienst versucht hatten, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden, und die dann straffällig wurden, Selbstmord begingen oder dies versuchten, gibt die Antwort der Bundesregierung keine Auskunft.

(Breuer [CDU/CSU]: Welche Auskunft geben Sie?)

Ich kann mir vorstellen, Herr Breuer, daß diese Zahlen für uns alle erschreckend sein könnten.

(Breuer [CDU/CSU]: Ich warte auf Ihre Stellungnahme!)

Es ist bedauerlich, daß der zuständige Minister offensichtlich nicht bereit ist, der Öffentlichkeit genaue Zahlen zu beschaffen.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Sehr wahr! — Breuer [CDU/CSU]: Der Drückeberger sind Sie! Sie drücken sich hier!)

— Beruhigen Sie sich, Herr Breuer, Sie haben doch geredet!
Meine Damen und Herren, es muß uns nicht nur nachdenklich stimmen, sondern auch zum politischen Handeln zwingen, wenn die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen durch ihren Vorsitzenden, Pastor Finckh, im Jahresbericht 1984 feststellt — ich zitiere —:
Die Zahl der arrestierten, inhaftierten und verurteilten Kriegsdienstverweigerer nimmt
schnell zu. Wir haben derzeit die höchste Zahl



Sielaff
im Gefängnis sitzender, namentlich bekannter Kriegsdienstverweigerer seit der Nazizeit. An der Härte der Strafverfolgung nicht anerkannter Kriegsdienstverweigerer, solcher Kriegsdienstverweigerer, die die unwürdige und unmögliche Gewissensprüfung von vorherein ablehnen oder die den Zivildienst wegen seiner militärischen Einplanung ablehnen,

(Frau Nickels [GRÜNE]: Richtig!)

wird deutlich, was die angebliche Abschaffung der Gewissensprüfung wert ist. Wäre wirklich Hilfe für bedrängte Gewissen gewollt, gäbe es nicht diese harte Linie mit Doppelbestrafungen und dem ständig neuen Versuch, niemand aus dem Zwang zu Wehr- oder Zivildienst freizulassen, der nicht mindestens zwölf Monate Freiheitsstrafe verbüßt hat.

(Zuruf des Abg. Breuer [CDU/CSU])

Das ist für Kriegsdienstverweigerer das gleiche Mindestmaß für Wehrunwürdigkeit wie in der DDR,

(Frau Nickels [GRÜNE]: Richtig!)

eine neue Gemeinsamkeit, die noch nirgends gebührend gewürdigt wurde.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, junge Leute gehen für ihre Überzeugung ins Gefängnis, notfalls zwölf Monate lang. Angesichts dieser Tatsache von „Spreu und Weizen" zu sprechen ist wohl mehr als problematisch; es ist, Herr Minister, unverantwortlich, und ich füge bewußt hinzu: es ist zynisch.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Breuer [CDU/CSU]: Traute Einigkeit zwischen GRÜNEN und SPD! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie sind endgültig auf dem Weg zu einer Splitterpartei!)

Hat der Staat, haben die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker, haben wir hier nicht die Verpflichtung, andere Möglichkeiten der Entgegnung zu suchen als durch Gerichte und Gefängnisstrafen? Auch hier eine Fehlanzeige des Ministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Oder, so frage ich abschließend mit vielen betroffenen jungen Menschen, stellt sich so der Bundeskanzler seine „Gesellschaft mit menschlichem Gesicht" vor?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011403800
Das Wort hat Herr Abgeordneter Berger.

(Zuruf von der SPD: Der Oberstleutnant! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Haben Sie etwas gegen Soldaten?)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1011403900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Rede des Kollegen Sielaff eben gehört hat, fragt man sich mit Fug und Recht: Hat er hier für die Sozialdemokraten gesproachen oder für die GRÜNEN?

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Da gibt's keinen wesentlichen Unterschied, Herr Kollege! — Zurufe von der SPD)

Diese Frage kann man in der Tat mit Recht stellen,

(Sielaff [SPD]: Wir waren schon vor den GRÜNEN da!)

denn Herr Sielaff wurde bei der letzten Bundestagswahl im Wahlkreis 156 von den GRÜNEN ausdrücklich als Kandidat empfohlen, weil er eine Politik wie die Ihre vertrete, weswegen sie ausdrücklich auf einen eigenen Kandidaten verzichtet haben. Was Wunder!

(Sielaff [SPD]: Ist das der Neid, weil Sie verloren haben? — Weitere Zurufe)

Wissen Sie, der Zorn und auch der Eifer, den beispielsweise Sie eben oder heute morgen die Kollegin Nickels versprüht haben, beweisen eigentlich nur eines: Das Gesetz, das wir, die Koalition der Mitte, gemacht haben, ist — wie Sie gesagt haben, gegen Ihre Erwartungen — so gut, daß es Ihnen die Argumente genommen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Das beweist übrigens einmal mehr, daß Eiferer nicht imstande sind, wirkliche Probleme zu lösen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Nickels [GRÜNE]: Gehen Sie doch einmal auf unsere Argumente ein! — Zuruf von der SPD: Das kann er nicht!)

Ich möchte auch kurz auf den Kollgen Emmerlich eingehen, der als anerkannter Rechtswissenschaftler heute hier eigentlich unter seinem Niveau gesprochen hat. Ich bin, wie schon durch Zwischenrufe festgestellt worden ist, nicht Jurist, aber, Herr Kollege Emmerlich, wie Sie das mündliche Verfahren, das nach dem Willen der Mehrheit dieses Hauses und des Gesetzgebers noch besteht, heute diskreditiert haben, beweist, daß Sie den fundamentalen Durchbruch in rechtlicher Hinsicht damals eigentlich nicht verstanden haben, als dieses mündliche Verfahren eingeführt wurde.

(Sielaff [SPD]: Das sagt der Oberstleutnant a. D.!)

Ich möchte zu dem generellen Problem, ob sich jemand, Herr Kollege Emmerlich, in einem solchen Verfahren artikulieren kann und ob man auf diese Weise eine persönlich getroffene Gewissensentscheidung begründen kann, noch einmal, wie schon im Jahre 1980, zitieren, was damals Professor Böckle im Anhörungsverfahren des Arbeits- und Sozialausschusses zu diesem Problem gesagt hat. Er sagte:
Worüber man sich aber in begründeter Weise selbst Rechenschaft gibt, darüber ist man grundsätzlich auch seinen Mitmenschen gegenüber rechenschaftsfähig. Besonders bei Inanspruchnahme einer Freistellung von einer allgemeinen Forderung ist man dazu nach dem Prinzip der sittlichen Selbstbestimmung, nach dem Verallgemeinerungsprinzip ethisch auch verpflichtet. Es ist daher voll berechtigt, wenn verlangt wird, daß der Antragsteller auf Kriegsdienstverweigerung seine Gewissensentschei-



Berger
dung nach seinem persönlichen Ausdrucksvermögen einleuchtend begründen soll.
Herr Kollege Emmerlich, wir sind einen anderen Weg gegangen. Wir sind nach der nun wirklich quälenden Diskussion über zehn Jahre über eine adäquate Regelung dieses so fundamentalen Spannungsverhältnisses zwischen einem individuellen Grundrecht und einer allgemeinen, aus Gründen des Allgemeinwohls gesetzlich begründeten Pflicht und bei der Frage, wie dieses Spannungsverhältnis vernünftig und menschenwürdig aufgelöst werden kann, 1982 einen doppelten Weg gegangen. Wir haben dort, wo es notwendig erschien und, wie ich meine, auch notwendig ist, wo durch die Antragstellung nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes etwa die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte durch solche Anträge ausgehöhlt werden könnte, einen Rest des mündlichen Anerkennungsverfahrens, einer persönlichen Glaubwürdigkeitsprüfung beibehalten. Sie, Herr Kollege Emmerlich, als Gewissensprüfung, als inquisitorische Gewissensprüfung, wie Sie gesagt haben, zu denunzieren, nutzt am allerwenigsten denen, die dieses Verfahren praktizieren müssen. Meine sehr verehrten Kollegen, auch von der Opposition, Sie werden mir doch eines zugeben: Wenn wir etwa eine glatte Wahlfreiheit zwischen Wehrpflicht und dem Grundrecht nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes herstellen, was könnte dann unsere Gemeinschaft, unseren Staat, die Bundeswehr, die wir brauchen, um seine freiheitliche Existenz zu schützen, davor bewahren, daß der jeweilige Rekrut einen Tag vor seiner Einberufung den Antrag stellte und dann infolge der Wahlfreiheit, die Sie möchten, nicht mehr zur Verfügung stünde? Einen anderen Weg, einen besseren Weg, um die Existenz und die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte zu gefährden, sehe ich eigentlich nicht.

(Breuer [CDU/CSU]: Was wäre eigentlich im Verteidigungsfall?)

Deswegen haben wir diesen Rest des Anerkennungsverfahrens behalten.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Aber es ist durch die Debatte heute morgen, es ist durch die Einlassungen der Regierung, es ist durch die Antwort auf Ihre schriftliche Anfrage deutlich gemacht worden, daß dies ein Rest bleibt und nach unserem Willen ein Rest sein soll. Wir haben gewollt und wir haben es durchsetzen können, daß in aller Regel heute auf dieses Verfahren verzichtet werden kann. Das war der praktikable Weg, den wir gegangen sind. Wir wollen nicht grundsätzlich nur streiten, ob ein solches Verfahren menschenwürdig ist, sondern wir haben den Weg und die praktische Lösung gefunden, wie diejenigen, die wirklich in Gewissensnot sind und deswegen den Antrag nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes stellen, nicht zum Anerkennungsverfahren müssen. Sie brauchen nur eins: Sie brauchen nur ein halbes Jahr vor ihrer Einberufung — das ist in aller Regel nach ihrer Musterung — rechtzeitig einen solchen Antrag zu stellen, und sie werden vor keine Ausschuß und vor keine Kammer müssen.

(Abg. Frau Nickels zu einer Zwischenfrage)

— Ich lasse keine Zwischenfrage zu, weil ich sonst einfach den Zusammenhang verliere.

(Sielaff [SPD]: Feigling! — Frau Nickels [GRÜNE]: Feigheit vor dem Feinde, was?!)

— Frau Nickels, Sie haben heute morgen genügend Zorn versprüht.
Wer allerdings mit diesem Antrag etwa bewußt bis zum letzten Tag warten wollte, um dann die Wirkung zu erzielen, von der ich schon gesprochen habe, sollte sich mit seinem Antrag und seiner Begründung auch vor der Öffentlichkeit und ihren Repräsentanten, also vor diesem Ausschuß nicht verantworten, wohl aber erklären. Er sollte dort seine Entscheidung begründen können.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Frau Nickels [GRÜNE]: Was sagen Sie zum Bundesverwaltungsgerichtsurteil? Was sagen Sie dazu, Herr Berger? — Abg. Sielaff [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011404000
Herr Kollege Sielaff, der Abgeordnete Berger hat gesagt, daß er keine Zwischenfragen zulasse. Deswegen bitte ich, davon Abstand zu nehmen, weitere Zwischenfragen stellen zu wollen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1011404100
Meine Damen und Herren, wir haben über das Problem der Kriegsdienstverweigerung im Bundestag seit den 60er Jahren diskutiert. Die alte Koalition hat während ihrer gesamten Regierungszeit in mehreren Legislaturperioden keine adäquate Lösung dieses Problems finden können. 1977 wollten Sie die Wahlfreiheit mit der Postkarte herstellen. Dieses Ihr Gesetz ist damals vor dem Verfassungsgericht gescheitert. 1979 wollten Sie die Postkarte durch einen Einschreibebrief ersetzen; Sie wollten ein rein schriftliches Verfahren einführen, in dem nur nach Aktenlage hätte entschieden werden sollen, in dem, wie gesagt, der einzelne seinen Antrag nicht mehr hätte persönlich begründen müssen.
Alle diese Versuche sind gescheitert, der aus dem Jahre 1979 übrigens nicht an der Opposition, sondern an Ihrer eigenen Zerstrittenheit; denn Sie waren nicht einmal in der Lage, eine Mehrheit für Ihren eigenen Gesetzentwurf zustande zu bringen.
Wir haben dieses zehn Jahre lang verschleppte Problem in der kurzen Zeit von dem Regierungswechsel am 1. Oktober 1982 bis zur Auflösung des Bundestages in einer sinnvollen und vernünftigen Weise gelöst.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Den Weg, den wir gegangen sind, als einzige Probe
auf die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung



Berger
einen verlängerten zivilen Ersatzdienst vorzuschreiben, — —

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht! Sie haben doch eben erläutert, daß es nicht stimmt! — Gegenruf von der CDU/CSU: Sie hören nicht zu! — Frau Nikkels [GRÜNE]: Ich höre sehr gut zu!)

— Sie hören nie zu. Ich habe davon gesprochen, Frau Kollegin Nickels, daß wir ein Restverfahren beibehalten haben und grundsätzlich diesen Weg des verlängerten Zivildienstes gehen. Alle Zahlen sprechen übrigens auch dafür.

(Sielaff [SPD]: Die Zahl der Menschen zählt bei ihnen nicht!? — Frau Nickels [GRÜNE]: Das sind die Restmenschen oder wie?)

Der Weg, den wir gegangen sind, hat dazu geführt, daß die Betroffenen diesen Weg zunächst einmal akzeptiert haben. Das Problem der Kriegsdienstverweigerung ist aus dem Gerede. Es gibt auch nicht mehr diese Beratungsbüros. Das erklärt übrigens den Zorn einiger, die sie früher unterhalten haben.

(Breuer [CDU/CSU]: Das ist sehr gut!)

Es gibt auch nicht mehr wie in Theaterstücken die Einübung auf öffentlicher Bühne, wie man sich im Verfahren zu artikulieren hat. Es gibt eine weitgehende Akzeptanz dieser neuen Regelung auch bei den Betroffenen.

(Sielaff [SPD]: Das glauben doch nur Sie!)

Die Betroffenen, die Antragsteller selbst, wie übrigens auch ihre Eltern — von denen viele darunter gelitten haben —, sind inzwischen wirklich von dem Vorwurf befreit — der oft öffentlich erhoben worden ist —, sie seien nur Drückeberger; denn sie sind j a bereit, im Interesse des Allgemeinwohls einen zeitlich verlängerten Dienst zu leisten. Das ist übrigens ein Weg, den uns damals, 1978, das Verfassungsgericht in seinem Urteil gewiesen hat. Wir können deswegen dem jetzt anhängigen Verfahren auch mit großer Gelassenheit entgegensehen. Das Verfassungsgericht hatte damals als eine Alternative vorgeschlagen, bei einem fünfzehnmonatigen Grundwehrdienst 24 Monate Zivildienst leisten zu lassen und dafür auf das Anerkennungsverfahren zu verzichten.
Wir sind hier also auf einem guten Weg, der im Einklang mit der Verfassung steht. Dieser Weg ist auch insofern erfolgreich, als die Zahlen in der Tat zurückgehen. Hatten wir 1982 noch 59 000 Antragsteller und hat sich diese Zahl infolge einer hemmungslosen Agitation, wie sie auch heute wieder versucht worden ist, im Jahr 1983, vor Inkrafttreten des Gesetzes, noch einmal auf 68 000 gesteigert, so ist sie inzwischen auf 44 000 zurückgegangen.

(Sielaff [SPD]: Sagen Sie doch etwas zu den Zahlen, die ich genannt habe! Sie reden am Thema vorbei!)

Das Problem ist damit, wie ich es eben schon angedeutet habe, entpolitisiert. Es gibt solche Beraterbüros und Verbände, die sie bisher unterhalten haben, nicht mehr. Diese machen uns sogar zum Vorwurf, wir hätten diese Frage wieder individualisiert. Aber genau um ein solches Recht handelt es sich nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes.

(Breuer [CDU/CSU]: Das sind die eigentlichen Büchsenspanner!)

Die Agitation gegen den Staat und gegen die Wehrpflichtarmee Bundeswehr, die im Grunde nach dem Willen aller Parteien dieses Hauses — außer den GRÜNEN — zum Schutz unserer freiheitlichen Existenz notwendig ist und funktionieren soll, mit Hilfe des Vehikels des Antragsrechts nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes hat aufgehört. Dies ist ein Stück freiheitlicher Entwicklung in unserem Staat und ein wesentlicher Beitrag auch zum inneren Frieden unseres Volkes.

(Sielaff [SPD]: Eigenartiger Freiheitsbegriff! — Stratmann [GRÜNE]: Pax Bundeswehr! — Frau Nickels [GRÜNE]: Agitation gegen das Gewissen!)

Ich kann nur hoffen, daß dieses Gesetz weiterhin erfolgreich bleibt.
Meine Damen und Herren, wir sollten auch nicht vergessen, daß es sich dabei um ein Zeitgesetz handelt.

(Sielaff [SPD]: Es kann noch verschärft werden!)

Wir sind hier einen neuen Weg gegangen; das war sozusagen eine Probe. Wir im Deutschen Bundestag müssen noch in dieser Legislaturperiode darüber entscheiden, ob wir die Geltungsdauer dieses Gesetzes verlängern wollen. Weil wir nicht wußten, ob das Gesetz diese positive Wirkung zeitigt, haben wir zunächst einmal dieses Angebot an die betroffene Jugend gemacht. Ich bin dankbar dafür, daß die betroffene Jugend es so akzeptiert.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, können einen wesentlichen Beitrag zur Festigung dieses so gewonnenen inneren Friedens leisten, indem Sie Ihre teilweise noch immer wiederholte hemmungslose Agitation gegen dieses sinnvolle Gesetz einstellen.

(Zustimmung des Abg. Kroll-Schlüter [CDU/CSU])

Meine Damen und Herren, weil vorhin der Wehrdienst in einer Weise denunziert wurde, wie es für die vielen hunderttausend Soldaten der Bundeswehr unerträglich ist,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

möchte ich zum Abschluß noch einmal verlesen, was ich auch in meiner Rede 1980 zum selben Thema zitiert habe, nämlich einen Konzilstext. Da heißt es:
Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei.



Berger
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Sielaff [SPD]: Armselig war das!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011404200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gilges.

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1011404300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin davon ausgegangen, daß der Minister jetzt in die Debatte eingreift. Aber anscheinend fürchtet er sich vor der Diskussion,

(Lachen bei der CDU/CSU — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ausgerechnet vor Ihnen!)

oder er will wie immer das letzte Wort haben.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das stimmt schon eher!)

Wir werden das zu verhindern wissen.

(Breuer [CDU/CSU]: Gilges aus Köln-Nippes kommt zuerst!)

Herr Berger, ich muß Ihnen sagen, Sie haben gegen meine Kollegen Sielaff und Emmerlich keine konkreten Argumente vorgebracht, sondern nur verbale Vorhaltungen. Die Kollegen Sielaff und Emmerlich haben recht, wenn sie zum Ausdruck brachten, daß es eine Differenz zwischen der Einstellung des Jugendministers und der Einstellung des Verteidigungsministers gibt. Der Verteidigungsminister tut das überall kund, auch schriftlich. In einem Schreiben vom 10. Dezember geht der Verteidigungsminister davon aus, daß nach wie vor eine Gleichbehandlung im Verfahren gegeben ist, daß das mündliche Verfahren nach wie vor gleichrangig mit der Entscheidung nach Aktenlage beim Bundesamt ist.

(Breuer [CDU/CSU]: Für die Soldaten!)

Herr Breuer, der Verteidigungsminister tritt dafür ein, obwohl nach dem Gesetz bei den Bundeswehrangehörigen, die nachträglich oder während ihrer Bundeswehrzeit verweigern, nach Aktenlage entschieden werden könnte. Es wird in der Regel aber nicht nach Aktenlage entschieden, und der Verteidigungsminister will auch nicht, daß nach Aktenlage entschieden wird, weil er im Grunde seines Herzens nach wie vor für die mündliche Anhörung, für die Inquisition bei dem zu Prüfenden eintritt. Das muß man dann aber offen bekennen und offen sagen.
Ich will zweitens etwas zum Opportunismusvorwurf sagen. Zu diesem Opportunismusvorwurf hat mir ein Kollege ein Zitat herübergereicht. Der Opportunismusvorwurf, den Sie hier eingebracht haben, beruht auf der Behauptung, es gebe Jugendliche, die in den letzten Jahren aus schlimmen Gründen ohne Gewissensnot den Wehrdienst verweigert hätten. Ich zitiere aus der Dissertation des Herrn Ministers Geißler, der geschrieben hat: „Auch die Gewissensentscheidung eines charakterschwachen Jugendlichen genießt den Schutz des Grundgesetzes."

(Sielaff [SPD]: Aha, so ist das!)

Selbst der Herr Geißler hat das gesagt. Sie wenden sich mit dem Opportunismusvorwurf gegen die Aussagen des Herrn Geißler — vorausgesetzt, Herr Geißler steht noch zu seinen Aussagen; was ich anzweifle —, die er damals in seiner Dissertation gemacht hat.

(Abg. Breuer [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011404400
Herr Abgeordneter Gilges, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1011404500
Ja, gleich, Herr Breuer. — Ich bin eigentlich erschrocken darüber, daß Sie alle Jugendlichen die ihr Recht nach dem Grundgesetz wahrnehmen, mit Ihrem Opportunismusvorwurf diskriminieren und diskreditieren.

(Beifall bei der SPD)

Das ist eine schlimme Entwicklung, Herr Breuer, was Sie da gesagt haben: Es ist etwas Unanständiges, es ist etwas unsauber. Es fehlt nur noch, daß Sie hier sagen — was Sie früher immer, in unseligen Zeiten, gesagt haben —, daß alle diejenigen vaterlandslose Gesellen sind, die nicht bereit sind, zur Bundeswehr zu gehen, und ihr Grundrecht aus dem Grundgesetz wahrnehmen. — Bitte schön.

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011404600
Herr Kollege Gilges, sind Sie bereit, anzuerkennen, daß diejenigen, die als Soldaten vom Recht des Art. 4 Abs. 3 Gebrauch machen, in das mündliche Verfahren hinein müssen, die ja vorher als Nichtsoldaten bereits die Möglichkeit hatten, daß auf eine mündliche Prüfung verzichtet wird?

(Zuruf des Abg. Sielaff [SPD] — Zuruf der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

Zweitens. Wenn Sie hier von Inquisition reden: sind Sie bereit, zu sagen, daß dann auch die sozialdemokratischen Mitglieder der Ausschüsse Inquisitoren seien?

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1011404700
Herr Breuer, das Gesetz sieht ausdrücklich vor — ich muß Ihnen das noch mal sagen —, daß auch bei diesem Gang der Verweigerung — so will ich es mal sagen — die Möglichkeit besteht, nach Aktenlage zu entscheiden. Und es gibt überhaupt keinen Grund, weshalb nicht die Mehrzahl der Fälle nach Aktenlage entschieden wird.

(Breuer [CDU/CSU]: Keine Antwort auf meine Frage!)

Es kann nur den Grund geben, daß der Verteidigungsminister grundsätzlich dagegen ist und dieses Dagegensein auch dadurch dokumentiert, daß er fordert: Alle müssen in das mündliche Verfahren; ich will nicht, daß nach Aktenlage entschieden wird. Er gibt das ja auch schriftlich, Herr Breuer.
Der zweite Punkt, Herr Breuer: Die Mitglieder der Prüfungsausschüsse, die Sozialdemokraten sind oder überhaupt einer Partei, etwa der CDU, angehören — ich differenziere da überhaupt nicht —, haben ein Gesetz durchzuführen. Sie sind unschuldig an dem Zustand, in den sie hineingebracht worden sind. Dieses Haus hat das Gesetz gemacht. Man



Gilges
kann also nicht die, die in den Ausschüssen sitzen, dafür verantwortlich machen.

(Beifall des Abg. Sielaff [SPD] und des Abg. Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])

Ich will nun etwas zur Ausgestaltung des Zivildienstes sagen. Nach allem, was man hört und liest, habe ich den Eindruck, daß die Ausgestaltung des Zivildienstes so konstruiert wird, daß eine Abwertung und Diskriminierung der Zivildienststellen und der Zivildienstleistenden stattfindet. Ein Beispiel dafür ist der Abbau der Verwaltungsstellen, die für Zivildienstleistende „mit Einschränkung in bestimmten Tätigkeiten" zur Verfügung stehen.

(Berger [CDU/CSU]: Der schlaue Job!) — Sie rufen dazwischen: die „lauen Jobs".


(Berger [CDU/CSU]: Die „schlauen Jobs"!) — Die „schlauen Jobs", wie Sie sagen.


(Berger [CDU/CSU]: Das ist ein Zitat von Herrn von Bülow!)

Ich muß Ihnen sagen, Herr Berger: Sie haben sich diese Tätigkeiten noch nie angesehen. Sie wissen auch gar nicht, wie wichtig diese Tätigkeiten sind. Sie wissen noch nicht mal, worum es geht.

(Sielaff [SPD]: Richtig: Keine Ahnung!)

Wenn es „schlaue Jobs" wären, wie Sie sagen, verstehe ich nicht, weshalb Wohlfahrtsverbände von der Caritas über die Innere Mission bis zur Arbeiterwohlfahrt, Jugendverbände, das Jugendherbergswerk und alle diese Organisationen sich massiv dagegen wenden, daß diese Tätigkeitsbereiche abgebaut werden. Denn auch dort wird sinnvolle Arbeit geleistet. In der Jugendherberge wird sinnvolle Arbeit von Zivildienstleistenden gemacht. Das kann doch niemand bestreiten.

(Sielaff [SPD]: Es kann auch „schlaue Jobs" bei der Bundeswehr geben!)

Deswegen ist mir diese Diskriminierung und Abwertung wirklich unverständlich, und sie ist auch unbegründet. Wenn man den Vergleich, den man hier auch einmal anstellen muß, mit der Bundeswehr vornimmt, dann wird man feststellen, daß auch bei der Bundeswehr die sogenannten „schlauen Jobs" vorhanden sind.

(Sielaff [SPD]: Ja, vielleicht hat Herr Berger auch so einen! — Frau Nickels [GRÜNE]: In der Schreibstube z. B.!)

Gucken Sie sich einmal an, was auch viele Wehrdienstleistende in den Schreibstuben beim Heeresamt oder in einigen Einheiten bei mir in Köln leisten müssen. Ich will das überhaupt nicht diskriminieren, ich werte das auch nicht ab. Ich halte das sowohl für die Bundeswehr als auch für den Betroffenen für eine wichtige und vernünftige Entscheidung. Ich bin nicht der Meinung, daß den Dienst für den Staat, für das Vaterland nur derjenige leistet, der im Panzer sitzt oder ein Geschütz bedient, sondern hier gibt es eben einen Zusammenhang: Jeder hat seine Aufgabe zu erfüllen, und die ist gleich zu
bewerten. Die eine ist nicht mehr wert als die andere.

(Breuer [CDU/CSU]: Sieht Herr Sielaff das auch so?)

Ich möchte nun etwas zum Gleichbehandlungsgrundsatz, zur Gleichbehandlung von Bundeswehrangehörigen und Zivildienstleistenden sagen: Wir stellen mit Erschrecken fest, daß das Bundesministerium die Tendenz, daß diese Gleichbehandlung nicht mehr stattfindet, nicht mehr vorhanden ist, zunehmend fördert und dies in seinen Veröffentlichungen, Erklärungen und dem, was es sonst dazu sagt, auch noch forciert.
Als erstes ist festzuhalten, daß die Gleichbehandlung — darüber wird ja jetzt in diesem Monat entschieden — hinsichtlich der Dauer des Dienstes nicht hergestellt worden ist: Der Wehrdienstleistende hat 15 Monate, der Zivildienstleistende hat 20 Monate abzuleisten.
Aber viel schlimmer ist das — und darauf hat das Ministerium Einfluß —, was hinsichtlich der Häufigkeit der Einziehung festzustellen ist. So schreibt etwa die „Bonner Rundschau" nach einem Gespräch mit Herrn Hintze: „Wer den Wehrdienst verweigert, wird auch zum Zivildienst eingezogen." Und sie kommentiert dann: „Die Chance, nicht in die Kaserne zu müssen, ist erheblich größer." Das heißt: Jemand, der den Zivildienst leisten muß, wird generell eingezogen, während derjenige, der zur Bundeswehr muß, eine höhere Chance hat, an dieser Einziehung vorbeizukommen.

(Breuer [CDU/CSU]: Jetzt, auf Grund der Jahrgangsstärken!)

Hier ist keine Gleichbehandlung vorhanden, sondern hier wird mit dem Mittel der Ungleichbehandlung, mit dem Mittel, daß man jeden einzieht, massiv Druck ausgeübt.

(Breuer [CDU/CSU]: Das wird in drei, vier Jahren vorbei sein! Die Jahrgänge sind so stark!)

Ich will nun zum nächsten Punkt kommen, zum Argument der Heimatnähe. Es wird gesagt, Zivildienstleistende seien immer heimatnah untergebracht, Bundeswehrangehörige dagegen würden weite Anfahrten in Kauf nehmen müssen, von ihrem Heimatort zum Dienstort. Auch das Argument der Heimatnähe, das von Ihnen immer wieder vorgetragen wird, stimmt objektiv, nicht. Es sind durchaus vergleichbare Verhältnisse vorhanden. Es gibt Zivildienstleistende, die nicht heimatnah eingesetzt sind, und genauso gibt es Bundeswehrsoldaten, die auch nicht heimatnah eingesetzt sind. Deshalb bitte ich — auch im Interesse dieser beiden Gruppen, um hier nicht ständig Agitation gegen die eine oder gegen die andere Gruppe zu betreiben — sehr herzlich, diese Diskussion mit der Heimatnähe zu beenden.
Nun möchte ich gerne etwas zu der Belastung im Dienst sagen. Herr Hintze hat der „Bonner Rundschau" auch hier mitgeteilt, daß z. B. die durchschnittliche Dienstzeit bei Soldaten 56 Stunden und bei Zivildienstleistenden 41 Stunden betrage und in



Gilges
diesem Bereich doch etwas geschehen müsse. Was soll das eigentlich? Muß nicht die wöchentliche Dienstzeit., Herr Geißler, an der Belastung des einzelnen gemessen werden, an der Belastung des Soldaten genauso wie an der Belastung des Zivildienstleistenden? Die Arbeitszeit, die Dienstzeit eines Zivildienstleistenden in der Psychiatrie oder mit Behinderten ist doch anders zu bewerten und einzuordnen als die Dienstleistung eines Zivildienstleistenden in einer Verwaltungsstelle. Denn für den, der die häusliche Betreuung eines Behinderten übernimmt, muß doch auch die entsprechende Motivation vorhanden sein.

(Breuer [CDU/CSU]: Das ist doch o. k.!)

Die Motivation eines solchen Zivildienstleistenden muß eine andere sein als die eines Soldaten.

(Breuer [CDU/CSU]: Dagegen hat niemand etwas!)

Wie soll denn ein 20jähriger oder 21jähriger jeden Tag zu einem Behinderten gehen, um ihm im Haushalt, bei Besorgungen zu helfen, der nicht entsprechend motiviert ist und obendrein noch ständig hören muß, er leiste doch zu wenig Dienst, er tue doch zu wenig?

(Berger [CDU/CSU]: Wer sagt das denn?)

— Das sagt das Ministerium; das sagt der Herr Hintze. In dem Zitat aus der „Bonner Rundschau" kommt eindeutig zum Ausdruck: Der Bundeswehrsoldat ist stärker belastet als der Zivildienstleistende. Das stimmt nicht. Was Sie da veranstalten dient auch der Sache nicht. Denn es ist ungerecht gegenüber beiden Gruppen. Es kommt auf die jeweilige Situation des einzelnen an. Es wäre vielleicht auch einmal eine vernünftige Sache, wenn der Bundesbeauftragte dies differenziert in der Öffentlichkeit darstellen würde, anstatt mit Pauschalurteilen zu argumentieren.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen über die Praxis der Einberufung zur Bundeswehr und zum Zivildienst machen. Ich sagte schon, daß in der Regel alle in Frage kommenden Personen zum Zivildienst eingezogen werden. Aber es gibt eine beklagenswerte Entwicklung. Die Verbände haben uns Mitteilung darüber gemacht, was in den letzten Monaten geschehen ist. Die Bundeswehr beruft korrekt ein — insofern muß man ihr ein Lob aussprechen —, nämlich zum 1. bzw. zum 15. eines Monats, während Zivildienstleistende — dieses Beispiel will ich hier nennen — zum 3. Dezember 1984 einberufen worden sind.

(Breuer [CDU/CSU]: Haben Sie schon einmal etwas von einer Einverständniserklärung gehört?)

Das bedeutet für sie, daß sie Abstriche beim Weihnachtsgeld hinnehmen müssen, und es bedeutet für sie des weiteren, daß ihr Versicherungsschutz nicht gewährleistet ist.

(Breuer [CDU/CSU]: Dummes Zeug!)

Ich habe nicht verstanden — das muß ich Ihnen
ehrlich sagen —, warum das Ministerium nicht wie
bei der Bundeswehr verfährt und korrekt zum 1.
eines Monats einberuft, da man davon ausgehen muß, daß das Arbeitsverhältnis, das vorher bestanden hat, zum 30. bzw. zum 31. des Vormonats beendet wird. Hierin kann ich nur den Versuch sehen, die Zivildienstleistenden — wie man so sagt — zu zwiebeln, d. h. ihnen noch einen Stein vor die Füße zu legen. Ebenso unverständlich ist mir die Praxis, daß ein Bundeswehrsoldat, der seinen Dienst abgeleistet hat und nachher einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellt, anschließend noch einmal für die Zeit von fünf Monaten zum Zivildienst eingezogen wird. Das ist heutzutage die Regel.

(Berger [CDU/CSU]: Das steht auch im Gesetz!)

— Es steht im Gesetz, aber ich kann die Funktion dieser Praxis nicht sehen. Auch hierin sehe ich den Versuch, durch die Anwendung dieses Druckmittels zu verhindern, daß Bundeswehrangehörige ihr Grundrecht wahrnehmen. Ich sage es einmal im Klartext: Es ist eine nachträgliche Bestrafung, sonst nichts. Es hat keine praktische Funktion. Es war auch damals schon im Gesetz, aber es ist von Ihnen als nachträgliche Bestrafung gedacht.
Ich muß zum Schluß kommen, denn ich habe nur noch wenig Redezeit. Ich verstehe überhaupt nicht
— das ist eine konkrete Frage an den Bundesminister —, weshalb die Jugendlichen über das Gesetz, das hier im Hause gegen unsere Stimmen verabschiedet worden ist, nicht informiert werden. Die Bundesregierung macht zu allen möglichen Gesetzen bunte Broschüren. Da steht viel dummes Zeug darin; es steht aber auch viel Richtiges darin. Aber zu diesem Gesetz hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Herr Geißler, bis heute keine Broschüre herausgegeben, um Jugendliche in den Schulen, in der Arbeitswelt oder zu Hause über die Möglichkeit der Verweigerung des Kriegsdienstes zu informieren. Das unterläßt man; das unterdrückt man. Ich frage Sie, Herr Minister
— ich bitte Sie, mir darauf eine Antwort zu geben —, weshalb das so ist, weshalb Sie nicht informieren.

(Breuer [CDU/CSU]: Weil das schon andere machen! — Das macht ihr doch und die GRÜNEN!)

Sie machen das doch sonst auch. Ihnen stehen doch Millionen für Ihre Selbstdarstellung zur Verfügung.
Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung machen. Wir werden beim Ablauf des Gesetzes 1986 aufpassen, daß nicht das eintritt, was Herr Hintze gefordert hat, nämlich daß der Zivildienst in Zukunft zwei Jahre dauern wird. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß die Gefahr besteht, daß der Zivildienst als Steuerungsinstrument gegen die Wahrnehmung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung eingesetzt wird.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011404800
Ich erteile dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit das Wort.




Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1011404900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist fast eine Selbstverständlichkeit, daß es über die Frage, über die wir uns heute unterhalten, zu unterschiedlichen Auffassungen, auch tiefgreifenden Auseinandersetzungen kommt. Dies liegt in unserer Verfassung begründet, die auf der einen Seite die Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft und Verteidigungspflicht des Staates, dieser freiheitlichen Republik, fordert und die auf der anderen Seite als einzige Verfassung aller Länder der Welt das Recht auf — jetzt zitiere ich das Grundgesetz — Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ebenfalls verankert hat. Diese beiden Verfassungsgrundsätze oder Verfassungsrechte oder Verfassungspflichten stehen von ihrem Wortlaut und von ihrem Sinn her zunächst einmal gegeneinander. Aber ich bin der Auffassung, daß dieses Gegeneinander, wenn wir unsere Verfassung richtig verstehen, nur vordergründig ist.
Daß wir diese Auseinandersetzung nun seit Jahr und Tag mit Ihnen, der SPD, aber jetzt auch mit den GRÜNEN führen, hängt nach meiner Auffassung damit zusammen, daß Sie — das ist meine Auffassung — wenigstens die eine Verfassungsbestimmung nicht verfassungskonform interpretieren.

(Conradi [SPD]: Wir halten uns an Ihre Doktorarbeit!)

— Wenn Sie die lesen, werden Sie genau auf diese Antinomie stoßen, die ich dort ausführlich beschrieben habe. Und ich habe bis auf den heutigen Tag auch im Deutschen Bundestag nichts anderes gesagt.
Ich möchte zunächst einmal festhalten, daß durch die Neuregelung, die wir hier getroffen haben, dieser freiheitliche Staat nichts an der verfassungsrechtlich gebotenen Verteidigungsfähigkeit verliert. Aber dieses Gesetz, das wir verabschiedet haben und das jetzt ein Jahr in Kraft ist, baut auch auf der Achtung der Gewissensfreiheit auf. Jetzt sage ich: Daß die Verfassung der Gewissensfreiheit diesen hohen Rang einräumt, erhöht den Rang dieser Verfassung — jetzt kommt ein zweiter Satz hinzu, und da löst sich diese Antinomie auf —, macht diesen Staat noch mehr verteidigenswert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011405000
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach?

Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1011405100
Wenn ich den Satz noch schnell zu Ende führen darf, sehr gerne.
Deswegen bin ich auch davon überzeugt: Der echte, sich wirklich auf sein Gewissen berufende Wehrdienstverweigerer wird sich zu diesem Staat bekennen, der seine Menschenwürde achtet, und er wird sich selber sagen, daß dieser Staat verteidigenswert ist. Ich füge hinzu — weil mich einige unerträgliche Passagen in der Rede des Herrn Sielaff zu dieser Ausführung zwingen —: Soldaten, die durch ihren Dienst in der Bundeswehr überhaupt erst die Voraussetzung dafür schaffen, daß hier der Wehrdienst verweigert werden kann, daß Gewissensfreiheit vorhanden ist, verdienen genauso unseren Respekt und unsere Achtung

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und leisten einen unverzichtbaren Dienst für den Frieden.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011405200
Herr Bundesminister, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach?

Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1011405300
Sehr gern.

Peter W. Reuschenbach (SPD):
Rede ID: ID1011405400
Herr Minister, könnte es sein, daß die von Ihnen zu Recht beschriebene Permanenz der Auseinandersetzung um dieses Spannungsverhältnis auch oder insbesondere darauf zurückzuführen ist, daß Sie und viele Ihrer Freunde sich eigentlich nicht damit abgefunden haben, daß das Recht auf die Verweigerung seinerzeit, wenn auch mit großer Mehrheit, in die Verfassung eingefügt worden ist?

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Eine Unterstellung!)


Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1011405500
Der Wortlaut Ihrer Fragestellung beweist das, was ich am Anfang gesagt habe, daß Sie nämlich unsere Verfassung falsch interpretieren, ja sogar falsch zitieren; denn Ihr grundlegender Irrtum besteht darin — im übrigen auch der der GRÜNEN —, daß es ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gebe. Es gibt aber kein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung, sondern nur ein Grundrecht darauf, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern. Das ist in diesem Saal oft und oft gesagt worden. Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes schützt nicht ein Wahlrecht, sich entweder für den Wehrdienst oder für einen Sozialdienst zu entscheiden. Das ist der Irrtum, der sich durch alle Äußerungen der Linken, der SPD und der GRÜNEN, hindurchzieht.
Das Grundrecht schützt etwas ganz anderes. Das Grundrecht schützt die Gewissensfreiheit. Art. 4 Abs. 3 schützt die Gewissensfreiheit des einzelnen gegenüber einer allgemeinen Staatsbürgerpflicht. Solange Sie dies nicht beachten, kommen Sie immer wieder zu demselben Irrtum und zu der Annahme, wir könnten ein Gesetz schaffen, das den jungen Menschen sozusagen ein Wahlrecht eröffne und ihnen die Möglichkeit gebe, sich entweder für das eine oder für das andere zu entscheiden. Dies gibt das Grundgesetz nicht her, selbst wenn wir es wollten.

(Gilges [SPD]: Das behaupten wir doch überhaupt nicht! Das interpretieren Sie da hinein!)

Ich würde das für einen sehr schweren Fehler halten.
Das Grundgesetz sieht etwas anderes vor. Das Grundgesetz schützt die Gewissensfreiheit und



Bundesminister Dr. Geißler
nicht eine x-beliebige Wahlfreiheit, das eine oder das andere zu tun oder zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011405600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sielaff?

Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1011405700
Bitte schön.

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1011405800
Herr Minister, Sie haben mir eben böswillig unterstellt,

(Zurufe von der CDU/CSU: Was?!)

ich hätte den Soldaten Respekt abgesprochen. Würden Sie für diese Behauptung, die Sie soeben aufgestellt haben, einen Beleg aus meiner Rede anführen können? Und würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich versucht habe, in diesem Zusammenhang Probleme junger Leute zur Sprache zu bringen?

Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1011405900
Das nehme ich nicht zur Kenntnis. Sie haben ein Zitat gebracht und haben es hinterher kommentarlos, sogar positiv würdigend in Ihre Rede eingebaut, in der ein Vergleich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR festzustellen gewesen ist. Dazu sage ich Ihnen das eine: Die Bundesrepublik Deutschland ist weder in Einzelheiten noch im Ansatz in irgendeiner Form mit der DDR, einem kommunistischen Unrechtsstaat, zu vergleichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist meine Meinung. Gerade was diese Frage anlangt, sollten Sie sich hüten, im Bundestag solche Zitate zu bringen, es sei denn, Sie erklären hinterher dieses Zitat als Unsinn oder Blödsinn; das wäre etwas anderes. Das haben Sie aber nicht getan, sondern etwas ganz anderes gemacht.

(Abg. Sielaff [SPD] und Abg. Frau Nickels [GRÜNE] melden sich zu Zwischenfragen)

Herr Präsident, ich glaube, ich komme mit meiner Zeit in Schwierigkeiten, wenn ich jetzt noch weitere Zwischenfragen zulasse.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011406000
Herr Bundesminister, Sie kommen mit Ihrer Zeit nicht in Schwierigkeiten. Deswegen frage ich Sie, ob Sie weitere Zwischenfragen zulassen.

Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1011406100
Wenn ich nicht in Schwierigkeiten komme, lasse ich sie gern zu.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011406200
Da Herr Abgeordneter Sielaff wohl eine Zusatzfrage im Nachgang zu seiner vorigen Frage stellen möchte, möchte ich zunächst die Zusatzfrage des Kollegen Sielaff und dann die Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels zulassen.

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1011406300
Herr Minister, würden Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, daß ich das Zitat gebracht, aber nicht bewertet, sondern dann wörtlich gefragt habe: Hat der Staat, haben die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker, haben wir nicht die Verpflichtung, andere Möglichkeiten der Entgegnung zu suchen als durch Gerichte und Gefängnisstrafen?

(Beifall bei der SPD)

Hier zu unterstellen, ich hätte den Soldaten Respekt abgesprochen oder das Zitat voll übernommen, ist unredlich.

Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1011406400
Sie haben dieses Zitat auch durch Ihren Zusatz und Ihre Zusatzfrage nicht richtiggestellt, sondern sozusagen indirekt bestätigt.

(Unruhe bei der SPD)

Deswegen bleibe ich bei meiner Behauptung, daß Sie eine unerträgliche Äußerung getan haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011406500
Jetzt können Sie, Frau Abgeordnete Nickels, Ihre Frage stellen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1011406600
Herr Minister, wäre es Ihnen vielleicht möglich, sich in der weiteren Auseinandersetzung mit unseren Argumenten nicht in Spekulationen zu ergehen, ob wir hier eine Wahlfreiheit wollten oder nicht, sondern das Argument, das wir in der ganzen Auseinandersetzung bisher vorgetragen haben, zu berücksichtigen, daß es nämlich auch uns um die Gewissensentscheidung geht, daß wir aber im Gegensatz zu der jetzt gültigen Praxis der Meinung sind, daß Gewissen nicht prüfbar sind? Damit bitte ich Sie, sich auseinanderzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1011406700
Mit dieser Behauptung, Frau Nikkels, stoßen Sie bei uns offene Türen ein. Denn genau aus diesem Grunde haben wir mit diesem Gesetzentwurf den von uns im übrigen vorgefundenen unerträglichen Zustand eines bürokratischen Prüfungsverfahrens beseitigt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich komme auf diesen Punkt nachher aber noch zu sprechen. Ich kann ihn auch gleich jetzt vorweg behandeln.
Da es sich um den Schutz des Gewissens handelt und nicht um ein beliebiges Wahlrecht, das eine oder das andere zu tun, muß es sich natürlich um eine Gewissensentscheidung handeln. Die Frage ist: Wie stellt man fest, ob der betreffende junge Mann eine Gewissensentscheidung getroffen hat oder nicht? Das ist das kardinale Problem, mit dem wir uns, seitdem wir diese Bestimmungen haben, herumschlagen.
Diese Koalition hat sich nach reiflicher Überlegung zu einem Weg entschlossen, den auch das Bundesverfassungsgericht als richtig angesehen hat, den im übrigen Sie, die Kolleginnen und Kolle-



Bundesminister Dr. Geißler
gen von der SPD, ja auch für richtig gehalten haben. Selbst in Ihrem Postkartengesetz, das nachher für verfassungswidrig erklärt worden ist, haben Sie eine Verlängerung des Zivildienstes gegenüber dem Grundwehrdienst vorgesehen.

(Gilges [SPD]: Aber keine Bestrafung!)

Auch in Ihrem Entwurf vom November 1982 haben Sie eine Verlängerung des Zivildienstes auf 19 Monate vorgesehen. Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen bei Ihrem Postkartengesetz attestiert, daß die 18 Monate nicht gehen — aus verfassungsrechtlichen Gründen —, weil das zuwenig ist. Dann haben Sie die Sache auf 19 Monate verlängert. Die Koalition sagt jetzt: 20 Monate.

(Sielaff [SPD]: Ein Drittel mehr!)

Jetzt müssen Sie dem staunenden Publikum erklären, warum der Unterschied von einem Monat verfassungsrechtlich erheblich sein soll.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Warum ist das Gesetz der Koalition verfassungswidrig, weil es 20 Monate vorsieht, aber Ihr Entwurf, der 19 Monate vorsieht, verfassungsgemäß? Das können Sie keinem Menschen begreiflich machen. Sie führen die Leute in die Irre, wenn Sie so argumentieren.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Ein Drittel mehr!)

Wir sagen in aller Klarheit und Deutlichkeit: Laßt euch von den Sozialdemokraten nicht ein X für ein U vormachen; denn auch sie wollen den Zivildienst verlängern, allerdings um einen Monat weniger.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Nicht um ein Drittel!)

Das ist der ganze Unterschied.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wir haben hier die Bilanz eines Gesetzes zu ziehen, das notwendig war,

(Sielaff [SPD]: Eine unredliche Argumentation!)

weil vor zwei Jahren die reale praktische Situation auf dem Gebiete der Wehrdienstverweigerung einfach unhaltbar geworden war. Wir hatten ein Prüfungsverfahren für die Ungedienten, das nicht mehr akzeptiert werden konnte. Wir haben einen Scherbenhaufen vorgefunden. Eine traurige Konsequenz dieser Politik war ja auch, daß wir eine ständig steigende Zahl von jungen Menschen hatten — Ende 1982 waren über 100 000 im Antragsstau —, die auf eine abschließende Entscheidung über ihren Antrag warten mußten.
Jetzt kommt der entscheidende Gesichtspunkt. Für einen großen Teil dieser Antragsteller wurde dadurch eine konkrete, eine gesicherte Ausbildungs-, Berufs- und Lebenshaltung über Jahre hinweg — sozusagen von Staats wegen — unmöglich gemacht. Eine schwerere Belastung junger Menschen, die sich aus ihrem Gewissen heraus für die Inanspruchnahme des Art. 4 Abs. 3 entscheiden, kann ich mir nicht vorstellen. Die allgemeine Wehrpflicht ist de facto abgeschafft gewesen, weil Tausende junger Leute — sie wußten von dem Antragsstau — damit rechnen konnten, daß sie, wenn sie einen Antrag nach Art. 4 Abs. 3 stellten, wenn die Sache mit allen Verfahren lange genug dauern und sie älter als 28 Jahre werden würden, weder Wehrdienst noch Zivildienst würden leisten müssen.

(Gilges [SPD]: Das ist wirklich unmöglich!)

Durch diesen unhaltbaren Rechtszustand ist de facto ein zusätzliches starkes Element der Wehrungerechtigkeit hineingekommen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Sie hätten mehr Zivildienstplätze schaffen können!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß wir hier eine Neuregelung gefunden haben, die mit dem Unrecht, das jungen Leuten bis Ende des Jahres 1982 oder noch in das Jahr 1983 hinein geschehen ist — weil das neue Gesetz erst am 1. Januar 1984 Gültigkeit erlangt hat —, aufräumt. Wir haben diesen Unrechtszustand beseitigt bzw. werden ihn durch den Vollzug des Gesetzes auch in der Zukunft beseitigen.
Um hier auf einen weiteren Einwand einzugehen: Wir sind mit dem Ausbau des Zivildienstes zur Probe auf das Gewissen für Ungediente einen Weg gegangen, den uns das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1978 gewiesen hatte. In allen Gesetzentwürfen, Herr Emmerlich, die die SPD vorgelegt hat, haben Sie im übrigen ebenfalls einen Unterschied zwischen Unge-dienten und Gedienten gemacht, weil es auch gar nicht anders möglich ist. Warum greifen Sie denn eine Entscheidung dieses Gesetzes an, die Sie selber in all Ihren Gesetzentwürfen zugrunde gelegt haben? Auch Sie haben gesagt: Bei Soldaten, die den Kriegsdienst, den Wehrdienst verweigern, muß ein anderes Verfahren her als bei Ungedienten. Das war doch auch Ihre Meinung. Die Leute, die jungen Leute müssen wissen, daß Sie nichts anderes vorgeschlagen haben, als wir in diesem Gesetz verabschiedet haben.
Deswegen sind doch all diese Argumente an den Haaren herbeigezogen und dienen nichts anderem, als junge Leute zu verwirren und wieder Unfrieden zu stiften. Es ist allerdings wahr, und das wissen wir aus vielen Erklärungen, Besprechungen gerade mit Zivildienstleistenden: Durch dieses Gesetz ist wieder Ruhe und Friede eingezogen, es ist eine klare Regelung, die jungen Leute sind mit diesem Gesetz zufrieden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Das, was Sie hier sagen, steht im diametralen Gegensatz zu dem, was in der Praxis draußen im Zivildienst gedacht und geredet wird.

(Sielaff [SPD]: Das glauben aber nur Sie!)

Das wissen wir aus unseren vielfältigen Unterredungen und Besprechungen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011406800
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Nickels?




Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1011406900
Bitte schön.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1011407000
Herr Bundesminister, könnten Sie mir vielleicht die Frage beantworten, die ich soeben schon an Herrn Berger stellen wollte? Sie haben gerade von dem anderen Verfahren gesprochen, das für Soldaten gelten muß. Wie kommt es denn dann, daß das Bundesverwaltungsgericht erklärt — es steht ja auch in § 14 Abs. 3 des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes —, daß auch diese Soldaten ohne mündliche Anhörung nach der Aktenlage beschieden werden können, dann im Gegensatz dazu aber aus dem Verteidigungsministerium auf dem Verordnungsweg die Aufforderung kommt, hier besonders scharf zu prüfen? Das verstehe ich nicht.

Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1011407100
Die Verfahren der Gedienten unterliegen ganz eindeutig anderen Regelungen als die Verfahren bei den Ungedienten. Wir haben im § 14 des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes auch die Möglichkeit eröffnet, daß bei Gedienten, wenn sie einen Antrag stellen, ein Verfahren nach Aktenlage durchgeführt wird. Es ist in der Praxis nicht so, daß die Ausschüsse überhaupt keine Verfahren nach Aktenlage durchführen.

(Sielaff [SPD]: Kaum!)

Ich habe mich gerade noch einmal erkundigt. Es sind in den ersten neun Monaten des Jahres 1984 1 700 Verfahren bei den Ausschüssen nach Aktenlage entschieden worden. Hier handelt es sich allerdings um Verfahren mit einer für den Antragsteller positiven Entscheidung. Bei einer negativen Entscheidung kann aus der Natur der Sache heraus wohl schwer nach Aktenlage entschieden werden. Das heißt, wenn der Antrag abgelehnt wird, ist es eben auch für den gedienten Antragsteller besser, daß seine Argumente in einem mündlichen Verfahren erörtert werden. Dies ist zumindest eine vertretbare Auffassung.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Ich habe nach der Verordnung gefragt!)

Aus diesem Grunde glaube ich, daß das Verfahren, wie es bei den Ausschüssen praktiziert worden ist, durchaus dem entspricht, was der Gesetzgeber gewollt hat.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Die Verordnung, Herr Geißler!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch eine politische Bewertung dessen geben, was hier vorgetragen worden ist. Ich habe davon gesprochen, daß es eben keine Wahlfreiheit gibt. Ich bitte wirklich, daß wir uns darauf einigen. Wir würden in der Sache wirklich weiterkommen, wenn wir uns endlich einig wären, daß es keine Wahlfreiheit gibt, sondern daß das Gewissen geschützt ist

(Sielaff [SPD]: Gegen wen reden Sie denn jetzt überhaupt?)

und nicht die Wahl zwischen Wehrdienst und irgendeinem Sozialdienst.

(Sielaff [SPD]: Gegen wen argumentieren Sie denn jetzt?)

Nur, die Aufregung bei, ich will einmal sagen, einem Teil der GRÜNEN — ich will nicht alle in einen Topf werfen — liegt natürlich daran, daß dieses Gesetz erreicht hat, daß das Recht der Gewissensfreiheit aus der allgemeinen politischen, verteidigungspolitischen Diskussion herausgekommen ist und keinen Ansatz mehr dafür bietet, daß der Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes, der ein individuelles Recht auf Gewissensfreiheit programmiert und garantiert, als ein Abwehrrecht gegen die Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft unseres freiheitlichen Rechtsstaates mißbraucht wird. Dieser Mißbrauch ist auch von der ganz überwiegenden Mehrzahl der Wehrpflichtigen nicht akzeptiert worden. Dieser Versuch hat keine Resonanz mehr gefunden.
Ich wiederhole es: Diese jungen Menschen wissen genau, daß die Bundesrepublik Deutschland der einzige Staat ist, der die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen zum Grundrecht erhoben hat. Deswegen weigern sie sich zu Recht, sich in eine tagespolitische Auseinandersetzung über die Verteidigungspolitik hineinziehen zu lassen. Dies erachte ich als einen großen Erfolg, als einen großen Fortschritt.

(Sielaff [SPD]: Was ist bei Ihnen eigentlich kein großer Erfolg?)

Ich bin davon überzeugt, daß dieses Gesetz auch aus diesem Grunde Bestand haben wird.
Bundesregierung und Koalition hatten im übrigen den jungen Wehrpflichtigen, die sich aus Gewissensgründen nicht in der Lage sehen, unseren Staat mit der Waffe zu verteidigen, auch ein faires und rasches Verfahren versprochen. Auch hier haben wir Wort gehalten. Allein die Beendigung monatelangen, ja, jahrelangen Wartens ist für Tausende von Zivildienstleistenden im übrigen wichtiger und von größerer Bedeutung für ihre Lebensplanung als die Verlängerung des Zivildienstes um vier Monate.
Das Bundesamt für den Zivildienst hat trotz der kurzen Anlaufzeit bis Ende 1984 bereits 23 929 Antragsteller als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Nur 63 Anträge mußten abgelehnt werden, weil die Antragsteller selbst keine Gewissensgründe im Sinne des Art. 4 Abs. 3 vorgetragen hatten, sondern andere Gründe. Das war schon einmal Gegenstand unserer Debatte. Auch Sie hätten in Ihrem Gesetzentwurf selbstverständlich eine Prüfung vorsehen müssen hinsichtlich der Frage, ob der Antragsteller überhaupt Gründe vorträgt, die von Art. 4 Abs. 3 geschützt sind. Es ist ja eine alte Debatte gewesen, ob z. B. jemand geschützt ist, der konkrete Gründe angibt, Gewissensgründe sehr wohl, aber eben nicht Gewissensgründe abstrakter Natur wie die Zeugen Jehovas.
Ich bin der Auffassung gewesen — auch hier können Sie meine Doktorarbeit zitieren —, daß auch der konkret situationsbedingt den Kriegsdienst



Bundesminister Dr. Geißler
Verweigernde geschützt werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner ersten Entscheidung eine andere Auffassung gehabt. Ich bin als Bundesminister gehalten, selbstverständlich die Verfassung so auszulegen, wie sie authentisch vom Bundesverfassungsgericht interpretiert worden ist.
Deswegen lauten eben § 25 des Wehrpflichtgesetzes und unsere entsprechenden Gesetze, daß nur derjenige geschützt wird, der es ganz allgemein grundsätzlich aus Gewissensgründen ablehnt, mit der Waffe zu dienen. Infolgedessen kann aber niemand anerkannt werden — um dies noch zu sagen —, der Gründe politischer Natur, situationsbedingter Natur angibt, die nach der authentischen Interpretation des Bundesverfassungsgerichts gar nicht geschützt werden können. Das heißt, wenn jemand in seinen Antrag hineinschreibt: „Ich gehe nicht zur Bundeswehr, weil mir der Staat den Bukkel hinunterrutschen kann" oder „weil ich Anarchist bin", dann kann er auf Grund unserer Verfassungslage und auf Grund der authentischen Interpretation des Art. 4 Abs. 3 durch das Bundesverfassungsgericht nicht anerkannt werden. Daran führt kein Weg vorbei. Das Bundesamt muß eine solche Entscheidung fällen. Das ist aber keine Prüfung des Gewissens des einzelnen, sondern es wird rechtlich festgestellt, daß der Betreffende keine Gründe vorträgt, die von Art. 4 Abs. 3 geschützt sind.
Meine Zeit ist abgelaufen. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wollte nur zusammenfassend sagen: Wir haben mit diesem Gesetz zum inneren Frieden beigetragen. Der innere Friede unserer Gesellschaft bis in unsere Familien hinein ist dadurch gestärkt worden. Dazu wurde ein wichtiger Beitrag geleistet. Das alles war nur möglich, weil uns alle Beteiligten, die Verwaltung, die Wohlfahrtsverbände, die Kirchen und die sonstigen Träger von Beschäftigungsstellen, die Länder, aber auch die Arbeitgeber und die Gewerkschaften und nicht zuletzt die Zivildienstleistenden bei der Verwirklichung dieser Aufgabe geholfen haben. Allen, die sich daran beteiligt haben, sollte meines Erachtens heute der Dank dieses Parlamentes gelten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1011407200
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.

(Zuruf von der SPD: Auch noch?)


Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1011407300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um den Zivildienst war es lange Zeit ruhig geworden. Heute werden unter einem Vorwand die alten Schlachten von gestern wieder nachvollzogen. Ich halte die Anfrage der GRÜNEN nach den Zahlen nur für einen Vorwand. Die eigentliche Intention verraten der Vorspann und vor allem die Rede von Frau Kollegin Nickels.
Es gibt eine Reihe von Gründen, aus denen ich diese Anfrage für einen Vorwand halte: Die Anfrage erfolgt zu einer Zeit, da endgültige zuverlässige Zahlen und Statistiken noch gar nicht vorliegen können. Auf die Antwort der Bundesregierung wurde überhaupt nicht eingegangen, auch in dieser Debatte nicht.

(Frau Nickels [GRÜNEN]: Elf Minuten hatte ich!)

Die Anfrage erfolgt, obwohl ohnehin bis spätestens Ende dieses Jahres ein Erfahrungsbericht vorliegen muß, mit dem dann vernünftige Zahlen vorliegen werden. Die Anfrage erfolgt, obwohl das Gesetz ohnehin nur bis zum 30. Juni 1986 gültig ist. Das heißt, wir müssen schon in diesem Jahr mit den Beratungen darüber beginnen, ob und in welcher Form das Gesetz weiter gelten soll.
Frau Kollegin Nickels, selbst wenn wir als Koalition nichts tun wollten: Wir sind durch den eigenen Fahrplan, durch den Fahrplan, den wir selbst auf gestellt haben, gezwungen. Wir haben uns selbst in Zugzwang gebracht, und ich finde, das war vernünftig. Wir haben ein Gesetz geschaffen, bei dem wir uns selbst zwingen, es nachträglich zu beurteilen und zu korrigieren, wenn es korrigiert werden muß.

(Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

Allein die Daten des von uns selbst vorprogrammierten Zeitablaufs entlarven den Antrag der GRÜNEN als das, was er ist: Nicht Sorge um ein Problem der Jugend, sondern Schau, Effekthascherei und Theater sind die Gründe für diese Anfrage.

(Beifall bei der FDP — Frau Nickels [GRÜNE]: Das verbitte ich mir doch aber! Hören Sie doch auf damit!)

Ich will die Position der FDP, damit sie deutlich wird, noch einmal bestätigen: Wir hätten mit einer Postkartenlösung leben können. Das Verfassungsgericht sagte bekanntlich nein. Wir wären auch mit weniger als 20 Monaten Zivildienstdauer einverstanden gewesen. Ein entsprechendes Gesetz scheiterte in der sozialliberalen Koalition 1980 an der SPD. In der 229. Sitzung haben zehn Abgeordnete der SPD dagegen gestimmt. Heute dauert der Zivildienst fünf Monate länger als der Wehrdienst; das sind zur Zeit 20 Monate. Das ist nach Meinung der Liberalen viel; es ist die Grenze, die wir nicht überschreiten sollten.
Als Verweigerer würde ich aber mein Gewissen nicht wegen einiger Monate mehr oder weniger verkaufen, und ich sage Ihnen: Die jungen Leute machen das auch nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Gilges [SPD]: Das ist doch ein dummes Argument, wissen Sie das?)

— Es wäre vielleicht ganz gut, Herr Gilges, wenn Sie weiter zuhören würden!

(Gilges [SPD]: Ich höre ja zu, und deswegen mache ich Zwischenrufe!)

Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, daß die Zahl der Anträge auf Wehrdienstverweigerung gleichermaßen zurückgegangen wäre, wenn der Zivildienst z. B. nur 19 Monate dauern würde.
Bei der vermutlich anstehenden Verlängerung der Wehrdienstzeit auf 18 Monate würde die Ein-



Eimer
Drittel-Regelung bedeuten, daß der Zivildienst 24 Monate dauern würde, also sechs Monate länger wäre. Ich glaube, wir sollten bei den fünf Monaten bleiben. Die Zahlen sprechen dafür, daß dies ein ausreichender Test auf das Gewissen ist.

(Sielaff [SPD]: Sie Gewissenstester, Sie!)

Ein Vorwurf, der vor der Verabschiedung des Gesetzes oft gemacht wurde und auch heute von der Opposition wieder erhoben worden ist, ist der, daß das Gewissen nach wie vor geprüft wird. Meine Damen und Herren von der Opposition, die Zahlen sprechen dagegen. Zwar sind sie schon genannt worden, aber ich will sie der Deutlichkeit wegen noch einmal hervorheben: 44 800 Anträge nach dem neuen Verfahren liegen vor. 63 sind abgelehnt, weil sie nicht schlüssig waren. Nur 2 kamen vor den Ausschuß. Ungefähr 1000 wurden abgelehnt, weil vollständige Unterlagen nicht vorlagen und auch nicht nachgereicht wurden. Ungefähr 1170 wurden abgelehnt, weil keine Wehrpflicht bevorstand. Wer kann da eigentlich noch von Gewissensprüfung sprechen?

(Frau Nickels [GRÜNE]: Sagen Sie das einmal Herrn Breuer! Der weiß das nämlich nicht! — Gilges [SPD]: Will das nicht wissen!)

Der Vorwurf bricht damit in sich zusammen. Ganze 59 Personen sind nach dem neuen Gesetz vor das Gericht gezogen, ganze 59 Personen!

(Sielaff [SPD]: Herr Eimer, Ungerechtigkeiten sind doch nicht an der Anzahl der Betroffenen zu messen!)

Frau Nickels, ich frage mich: Wie kommen Sie zu Ihren abenteuerlichen Zahlen? Wie gehen Sie mit den Fakten um?

(Beifall bei der FDP — Sielaff .[SPD]: Er ist bereit, Minderheiten ungerecht zu behandeln!)

Frau Nickels, Sie vermischen permanent die Zahlen der Anträge nach dem alten und die nach dem neuen Gesetz, und das ist kein redlicher Umgang mit Fakten.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Lesen Sie einmal meine Rede nach! Dann sehen Sie, daß ich das nicht tue!)

Ich will das sehr deutlich machen: Ihre Zahlen sind immer ein Mischmasch aus alten und neuen gewesen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Nein! — Sielaff [SPD]: Lassen Sie doch diese Diskussion um die Zahlen weg!)

Die SPD muß in einigen Punkten zugeben, daß das Gesetz durchaus positiv ausgelegt und angesehen werden kann und daß die Zahlen nicht so schlecht sind, wie sie es vorher erwartet hat. Aber wieso kommt dann die SPD mit Verdächtigungen, daß eigentlich etwas ganz anderes dahinterstecke?

(Sielaff [SPD]: Da haben wir unsere Gründe, Herr Eimer!)

Dies zeigt die Schwäche in Ihrer ganzen Argumentation.

(Sielaff [SPD]: Liberale gibt es doch in der Regierungskoalition gar nicht mehr!)

Ich möchte zum Abschluß sagen: Das Gesetz erfüllt die Erwartungen besser, als es selbst Optimisten erwartet haben. Negative Voraussagen der Kritiker sind auf allen Seiten des politischen Spektrums nicht eingetroffen. Die Rolle der Opposition heute in dieser Diskussion war mehr als kläglich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011407400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Für den Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Nickels und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2738 ist Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit beantragt. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall.
Herr Abgeordneter Stratmann, Sie haben das Wort, zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung.

Eckhard Stratmann (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1011407500
Liebe Bürgerinnen und Bürger! Der Abgeordnete Breuer von der CDU hat in seiner Entgegnung auf meine Zwischenfrage meinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung als Fahnenjunker der Reserve als Irrweg bezeichnet. Das möchte ich zurückweisen und begründen.
Herr Breuer, Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen Ihre eigene Auffassung dargestellt, daß das Gewissen nicht überprüfbar sei. Sie haben betont, daß das Ihre eigene Auffassung sei, und ausdrücklich erklärt — ich zitiere Sie —: Eine Gewissensentscheidung ist für den Außenstehenden aus dem Wesen des Gewissens heraus im Kern unzugänglich. Das ist Ihre Auffassung, und ich teile Ihre Auffassung.
Für Gewissensentscheidungen zur Kriegsdienstverweigerung gibt es bekanntlich und erfahrungsgemäß verschiedene Gründe: religiöse Gründe, humanistisch-ethische, pazifistische und politische Gründe. Ich habe in meinem Antrag auf Kriegsdienstverweigerung politische Gründe geltend gemacht, weil ich als Fahnenjunker der Reserve nicht bereit bin, mich als Reservist weiteren Militärplanungen für ein Militär, eine Bundeswehr zur Verfügung zu stellen, die im Rahmen der NATO nach meiner politischen Auffassung mit an einem Aufrüstungskurs beteiligt ist, an der Entwicklung und Manöverübung von offensiv-aggressiven Militärstrategien, z. B. Air/Land-Battle. Ich denke, daß solche politischen Begründungen für Kriegsdienstverweigerung den gleichen Verfassungsrang und deswegen das gleiche Recht auf Anerkennung haben wie religiöse und wie pazifistische Gründe.

(Berger [CDU/CSU]: Genau das ist der Irrweg!)

Von dem Ausschuß für Kriegsdienstverweigerung ist mein Antrag nach ganz kurzer Verhandlung abgelehnt worden, genauso wie an dem selben Morgen vor dem gleichen Ausschuß für Kriegs-



Stratmann
dienstverweigerung die Anträge von zwei anderen Antragstellern, die Reservisten sind, abgelehnt worden sind. Herr Breuer, jetzt beziehe ich mich auf Ihre Argumente. Offensichtlich lassen es das geltende Kriegsdienstverweigerungsrecht und die Praxis in den Ausschüssen für Kriegsdienstverweigerung zu, daß sich fremde Leute anmaßen, über den Charakter und den Wert von Kriegsdienstverweigerungsgründen zu entscheiden, entgegen Ihrer und meiner eigenen Auffassung.
Der Ausschuß für Kriegsdienstverweigerung hat in seiner Begründung dargelegt, meine Gewissensentscheidung sei deswegen nicht anerkennenswert, weil meine persönlichen Gründe von der Verfassung gar nicht vorgesehen seien. Das war ein Zitat aus der wörtlichen Begründung unmittelbar nach der Ausschußsitzung. Meine persönlichen Gründe zur Gewissensentscheidung seien von der Verfassung nicht vorgesehen. Herr Geißler, ich beziehe mich auf Sie: Sie haben dargestellt — und ich wünschte, es wäre so —, daß die Achtung der Gewissensfreiheit vom Grundgesetz geschützt sei. Die Begründungen für meine eigene Ablehnung sprechen dem Hohn. Sie zeigen, daß bestimmte Gewissensentscheidungen, nämlich wenn sie aus politischen Gründen erfolgt und schriftlich und mündlich auch vorgetragen sind, nicht anerkannt werden, keinen Verfassungsrang genießen und auch nicht dem Schutz der Verfassung unterliegen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch keine persönliche Erklärung mehr, was Sie machen! Das ist doch eine Rede!)

Ich halte deswegen die Äußerung von Herrn Breuer, mein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung, meine Gewissensentscheidung sei ein Irrweg, für grundlegend falsch, für im Widerspruch zu Ihren eigenen Aussagen stehend. Ich stelle fest, daß das Verfassungsrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen durch die Praxis der Kriegsdienstverweigerungsausschüsse — gedeckt durch das geltende KriegsdienstverweigerungsNeuordnungsgesetz — im Namen der Verfassung ausgehebelt wird.
Ich danke Ihnen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011407600
Mit den persönlichen Erklärungen ist es immer sehr problematisch. Ich bitte deshalb um gewisse Nachsicht.
Herr Kollege Breuer, Sie wollten ebenfalls nach § 30 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung abgeben.

(Sielaff [SPD]: Jetzt entschuldigt er sich! Das ist gut so!)


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011407700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Stratmann, der Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes — das im Zusammenhang mit Ihrer persönlichen Erklärung zu meiner Rede — schützt die Gewissensfreiheit des einzelnen im Zusammenhang mit dem Kriegsdienst. Dasselbe Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verbietet der Bundeswehr einen Angriffskrieg.
Wenn Sie eine persönliche Erklärung abgeben, weil ich gesagt habe, Sie seien auf dem Irrweg, dann tun Sie das nicht deshalb, weil ich Ihre Gewissensentscheidung nicht anerkenne oder nicht honoriere, sondern deswegen, weil Sie Gewissensentscheidung mit politischer Proklamation verwechseln.

(Stratmann [GRÜNE]: Das entscheiden Sie?)

Ich bin dazu bereit, Ihr Gewissen als qualifiziert zu betrachten, wie ich bereit bin, jedes Gewissen als qualifiziert zu betrachten.

(Sielaff [SPD]: Dann dürfen Sie das nicht als Irrweg bezeichnen!)

— Der Irrweg ist die politische Proklamation.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011407800
Einen Augenblick, Herr Kollege.
Jetzt muß ich doch eingreifen. Sie führen eine Debatte, Herr Kollege; ich bitte um Entschuldigung. Aber Sie müssen wirklich auf die Bemerkungen eingehen, die sich auf Ihre Person beziehen.

(Zuruf von der SPD: Das ist für ihn eine Gewissensfrage!)


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1011407900
Frau Präsidentin, an sich ist das die Erklärung.
Ich bedanke mich.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011408000
Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit (20. Ausschuß)

zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Entwicklungsprogramm Karibik und Zentralamerika
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Abgeordneten Wischnewski, Herterich, Bindig, Dr. Holtz, Voigt (Frankfurt) und der Fraktion der SPD
Lage in Mittelamerika
— Drucksachen 10/239, 10/927, 10/2562 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Holtz Lamers
Hierzu liegen auf Drucksache 10/2732 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und auf Drucksache 10/2739 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, für die Aussprache 60 Minuten vorzusehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall.
Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.




Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1011408100
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit der ersten Einbringung des heute zur Verabschiedung anstehenden Antrages vor drei Jahren durch die damalige Opposition, die CDU/CSU, hat sich die politische Landschaft nicht nur in Zentralamerika, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland verändert. Vor allem haben wir eine neue Bundesregierung, die der Lateinamerikapolitik der Bundesrepublik Deutschland klarere Konturen gegeben hat. Das hat die Reise des Bundeskanzlers nach Argentinien und Mexiko ebenso gezeigt wie die Konferenz von San José. Meine Fraktion begrüßt diese Entwicklung lebhaft, und sie sieht das Ziel des heute vorliegenden Antrags in einer Ermunterung der Bundesregierung, ihre Zentralamerikapolitik, der wir heute einen inhaltlichen Rahmen geben wollen, fortzusetzen und zu intensivieren.
Die Bedeutung dieses Antrags, meine Damen und Herren, liegt aber auch darin, daß er zwar in der vorliegenden Form nur von den Koalitionsparteien eingebracht ist, aber, wie die Änderungsanträge der Sozialdemokraten zeigen, bis auf zwei Punkte von den Sozialdemokraten mitgetragen wird. Wir begrüßen, daß mit der SPD ein beträchtliches Maß an Übereinstimmung erzielt werden konnte, weil die Übereinstimmung zwischen Regierung und Opposition in außen-, sicherheits- und entwicklungspolitischen Fragen im Interesse unseres Landes liegt. Die Gemeinsamkeit unserer Sicht bezieht sich vor allem auf die deutschen Interessen in der Region, die Ursachen und die Natur der Krise in Zentralamerika, den Weg, um auf lange Sicht den Frieden dort zu sichern, und die Methode zur Lösung der akuten Krise. Wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit will ich nur auf den letzten Punkt, nämlich die Methode zur Lösung der akuten Krise, eingehen; auch deswegen, weil er ja im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte steht.
Wir sind uns im Grundsatz in der Forderung nach einer politischen, d. h. einer friedlichen und nichtmilitärischen Lösung des Konflikts einig. Deswegen unterstützen wir nachdrücklich das Ergebnis der Konferenz von San José, die Erklärung des Bundeskanzlers in Mexiko und die Initiative der Contadora-Gruppe zu diesem Problem. Aber in der konkreten Anwendung dieses Grundsatzes auf die beiden Konfliktfelder El Salvador und Nicaragua haben wir leider keine völlige Übereinstimmung, vor allen Dingen nicht im Falle Nicaragua, erzielen können.
Ich möchte die Haltung meiner Fraktion zu diesen beiden Konfliktfeldern in jeweils vier Punkten kurz zusammenfassen, und zwar zunächst zu El Salvador.
Erstens. Wir unterstützen die Politik von Präsident Napoleon Duarte, den Frieden durch Dialog und Ausgleich wiederherzustellen und ihn durch die Festigung der Demokratie langfristig zu sichern, was nur möglich ist, wenn tiefgreifende soziale Reformen Platz greifen.
Zweitens. Wir haben den Beginn des Dialogs mit der Guerilla begrüßt. Er gestaltet sich erwartungsgemäß schwierig. Der Widerstand rechter Kreise und von Teilen des Militärs wächst. Sie verkennen die Lage und handeln eigensüchtig und kurzsichtig. Zwar hat die Armee Erfolge aufzuweisen, aber von einem militärischen Sieg ist sie weit entfernt. Dieser setzte eine ganz wesentliche weitere Aufrüstung und eine qualitative Steigerung des amerikanischen Engagements voraus.
Ich will hier nicht auf die außenpolitischen Aspekte eines solchen Schrittes eingehen, sondern nur auf seine voraussichtlichen Wirkungen für die innere Lage und die Entwicklung El Salvadors. Er hätte eine solche Militarisierung der gesellschaftlichen Situation in El Salvador und eine solche Stärkung der demokratiefeindlichen Kräfte zur Folge, daß die Demokratie nach einem militärischen Sieg wahrscheinlich mit auf der Walstatt bliebe. Die Geschichte zeigt: Militärische Mittel verderben nur allzu oft den politischen Zweck.
Drittens. Die Guerilla hat sich auf das Dialogangebot Duartes eingelassen, weil sie einsah, daß auch sie militärisch nicht siegen konnte. Damit ihr diese Einsicht auch künftig erhalten bleibt, muß die militärische Hilfe der USA an El Salvador ebenfalls erhalten bleiben.
Gleichzeitig aber müssen die USA den Militärs in El Salvador klarzumachen suchen, daß sie den Dialog tolerieren müssen. Das Militär hat die Schlüsselrolle. Wenn die Rechtskräfte nicht mehr mit seiner Sympathie und nötigenfalls Hilfe rechnen können, sind sie entscheidend geschwächt.
Viertens. Die Guerilla darf keine Forderungen stellen, die unerfüllbar sind. Eine solche Forderung ist die nach der Auflösung der bisherigen Armeestruktur und -führung und der Integration der Guerillastreitkräfte in dieselben. Das bedarf nach dem eben Gesagten keiner näheren Begründung.
Aber der Guerilla müssen natürlich verläßliche Garantien für ihre Sicherheit gegeben werden, wenn sie sich wieder in das zivile und politische Leben des Landes eingliedern sollen. Das wiederum hängt entscheidend von der Haltung der Armee ab. Damit sind wir wieder bei dem zuvor erwähnten dritten Punkt. Die Rolle, die hier der Armee abverlangt wird, widerspricht — ich weiß es sehr wohl — ganz ihrem hergebrachten Selbstverständnis. Dementsprechend schwer ist die Aufgabe, die den USA zugewiesen ist. Ich bin mir völlig bewußt, daß diese Politik für Sie, wie übrigens noch viel mehr für Napoleon Duarte, einem Drahtseilakt gleicht. Aber niemand sonst als die USA hat die Möglichkeit, auf das Militär in El Salvador, das von ihnen abhängig ist, mit größerer Aussicht auf Erfolg einzuwirken. Schließlich und vor allem kenne ich keinen anderen als den hier vorgeschlagenen Weg, der weniger schwierig, erfolgversprechender und mit geringeren innen- und außenpolitischen Kosten für die USA verbunden wäre.
Zum Fall Nicaragua möchte ich sagen, daß das, was ich über die Rolle des militärischen Faktors und die dialogische Methode zur Lösung des Konflikts gesagt habe, im Grundsatz auch hier gilt. Im übrigen:



Lamers
Erstens. Wie immer man die innere Entwicklung Nicaraguas im einzelnen beurteilen mag, sie hat sich jedenfalls weit entfernt von den Prinzipien demokratischer Legitimität und folgt stattdessen den der revolutionären Legitimität. Was die Lateinamerikaner davonhalten, hat ihre zweit- bis drittrangige Präsenz bei der Amtseinführung Daniel Ortegas deutlich gezeigt.

(Frau Gottwald [GRÜNE]: Fidel Castro war da!)

— Ja, Fidel Castro war natürlich da. — Übrigens haben sich die Parteien der Sozialistischen Internationale weitgehend ebenso verhalten. Deswegen wundere ich mich, daß der sonst von mir sehr geschätzte Kollege Wischnewski dieser Feier durch seine Anwesenheit eine gewisse Reputation zu verleihen versucht hat, die ihr nicht zukam.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Aber nur eine gewisse! — Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

Zweitens. Die grundsätzlich andersartige Entwicklung in Nicaragua flößt seinen Nachbarn in Kombination mit der gewaltigen militärischen Mobilisierung, der sehr starken kubanischen Präsenz, der Unterstützung für die Guerilla in El Salvador und vor dem Hintergrund ihrer eigenen inneren Lage verständliche Furcht ein. Deswegen sind sie sich auch mit den USA in dem Ziel einer Eindämmung dieser revolutionären Gefahr einig. Der Inhalt der Contadora-Akte ist ein geeigneter Rahmen für dieses Ziel. Allerdings sind ihre und die amerikanischen Bedenken im Hinblick auf die Gleichzeitigkeit und die Kontrolle der Durchführung der dort vorgesehenen Maßnahmen verständlich.
Drittens. Deswegen kommt auch im Fall Nicaragua den USA eine entscheidende Rolle zu. Deswegen hängt der Contadora-Prozeß derzeit an dem Nagel der harzigen amerikanisch-nicaraguanischen Geheimverhandlungen. Das Ziel dieser Gespräche muß ein glaubhafter Verzicht der Sandinisten auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten ihrer Nachbarn sein. Glaubhaft wäre ein solcher Schritt, wenn er neben außenpolitischen und militärischen Maßnahmen, vor allem dem Abzug der Kubaner, auch eine demokratische Öffnung zum Inhalt hätte. Eine solche könnten die Sandinisten jederzeit und ohne Rücksicht auf den Verlauf der Verhandlungen mit den USA als Beweis des guten Willens ins Werk setzen. Es liegt an ihnen, unter Beweis zu stellen, daß ihre Revolution keine eo ipso expansionistische nach totalitärem Modell ist.
Viertens. In diesem Fall könnten sich die USA verpflichten, das sandinistische Experiment zu respektieren und nicht auf seine Beseitigung hinzuarbeiten. Auch das wäre ein schwieriger, mit Risiken verbundener Weg. Aber ich glaube, diese Risiken sind begrenzt und kalkulierbar, weil die USA in dieser Region über all die Mittel verfügen, auf die es auf Dauer für die Länder dieser Region ankommt. Ihre Entwicklung ist ohne oder gar gegen die USA schwer vorstellbar. Das europäische Engagement und in diesem Rahmen vor allem das deutsche, wie wir es in dem vorliegenden Antrag vorschlagen, bedeutete eine weitere Minderung der Risiken und eine wesentliche Verbesserung für die Aussichten einer demokratischen Entwicklung. Eine kluge Kombination amerikanischer und europäischer Mittel zur Unterstützung der demokratischen Kräfte der Region hieße dem Westen alle entscheidenden Trümpfe in die Hand geben.
Auf der anderen Seite müssen sich, glaube ich, die USA darüber im klaren sein, daß ihre Politik militärischen Drucks einen logischen Punkt hat, an dem entweder der gewünschte Erfolg sich einstellt oder aber die mit dem Druck verbundene Drohung verwirklicht werden muß, weil eine Fortsetzung des Drucks nur noch Kosten ohne Nutzen zur Folge hat. Mir scheint, dieser Punkt ist in Nicaragua bald erreicht. Ich glaube, es ist auch amerikanische Überzeugung, daß die Realisierung der Drohung außerordentliche politische Kosten mit sich brächte. Sie beträfen den gesellschaftlichen Konsens in den USA, das Verhältnis zu ganz Lateinamerika, das Verhältnis zur Dritten Welt und zu den europäischen Verbündeten. Jede Politik muß sich um ein rechtes Verhältnis von Aufwand und Ergebnis bemühen. Es ist unsere Überzeugung, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß ein für alle Seiten akzeptables Ergebnis in Nicaragua, in El Salvador und in der ganzen Region mit vertretbaren Kosten und friedlich gefunden werden kann, wenn die Demokratien Europas und Nordamerikas mit den demokratischen Kräften Zentralamerikas zusammenarbeiten.
Das ist der Sinn unseres Antrags. Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklich auf, ihre Anstrengungen im Sinne dieses Antrags fortzusetzen und zu intensivieren.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011408200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Holtz.

(Frau Gottwald [GRÜNE]: Jetzt aber ran!)


Prof. Dr. Uwe Holtz (SPD):
Rede ID: ID1011408300
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die krisenhafte Entwicklung in Zentralamerika und in der Karibik stellt auch eine Herausforderung für die Bundesrepublik Deutschland dar. Auf diese Herausforderung hat die Bundesregierung bislang eine unbefriedigende Antwort gegeben. Ihre Mittelamerikapolitik braucht neue, zusätzliche Impulse, und zugleich bedarf sie der Korrektur.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist es gut, daß der Bundestag mit seinem Beschluß betreffend Zentralamerika und Karibik Richtlinien für eine andere Regierungspolitik setzen will.
Die vorliegende Beschlußempfehlung wird — außer in ihrem Abschnitt IV, der konkrete Maßnahmen gegenüber Nicaragua und El Salvador vorsieht — von den drei Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP gemeinsam getragen.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Sehr gut!)




Dr. Holtz
Uns geht es um eine möglichst breite Übereinstimmung, auch ausgehend von dem gemeinsamen Appell zu Lateinamerika, auf den sich im April 1984 die Präsidenten der Christdemokratischen Internationale, der Liberalen Internationale und der Sozialistischen Internationale verständigt haben.
Das weitgehende Einvernehmen der Fraktionen, besonders bei den allgemeinen Zielen und Grundsätzen, war möglich, weil es gelang, vordergründige eigene Interessen hintanzustellen und Lösungsvorschläge aus der Interessenlage der Region heraus zu entwickeln.
CDU, CSU und FDP wollten in ihrem ursprünglichen Antrag, daß die deutsche Mittelamerikapolitik bei ihren einzelnen Maßnahmen als Bezugsrahmen die Bündnis-, also die NATO-Interessen, nimmt. Dies können wir Sozialdemokraten nicht akzeptieren. Wir können nicht akzeptieren, daß, wie noch vom mitberatenden Auswärtigen Ausschuß gefordert, die Bundesrepublik und die anderen EG-Länder lediglich „flankierend zur Außenpolitik der USA" in der Region tätig werden sollen. Dies wäre eine Ankoppelung an die verhängnisvolle Zentralamerikapolitik der USA, die wir ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin den Kolleginnen und Kollegen im federführenden Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit dankbar, daß sie letztlich unserer Auffassung gefolgt sind.
Ebensowenig konnten wir jene Aussagen im Antrag der GRÜNEN übernehmen, die zu einseitig und rigoristisch sind.
Lassen Sie mich zunächst auf wichtige gemeinsame Punkte der Beschlußempfehlung eingehen.
Der Bundestag hält den Beitrag der Bundesrepublik zur Lösung der Krise in Zentralamerika und der Karibik für unzureichend. Deshalb erhebt er drei Forderungen an die Bundesregierung.
Erstens. Sie soll eine besondere entwicklungspolitische Initiative ergreifen, bei der auch die spezifischen Bedürfnisse der Inselstaaten der Karibik berücksichtigt werden.
Zweitens. Die handels- und wirtschaftspolitische Zusammenarbeit mit den rund 20 unabhängigen Staaten der Region ist zum gegenseitigen Vorteil auszuweiten; eine klare Absage an einseitige imperialistische Verhaltensweisen.
Drittens. Alle politischen Bemühungen gegenüber der Region sind zu einer Gesamtkonzeption zu entwickeln, wobei dem weiteren Ausbau der Zusammenarbeit mit den Partnern in der Europäischen Gemeinschaft eine herausragende Bedeutung zukommt.
Immer wieder ist zu hören, daß die Ursachen der Krisen in dieser Region auf kommunistische Wühltätigkeit zurückzuführen sind. Dementsprechend werden sie lediglich als Teil des Ost-West-Konflikts begriffen. Diese Sicht ist falsch und führt zu Konfliktlösungsansätzen, die bestenfalls zum Scheitern verurteilt sind, sich aber viel wahrscheinlicher als kontraproduktiv auswirken. Die eigentlichen Ursachen der Krise in der Region werden in der Beschlußvorlage deutlich benannt. Es sind dies vor allem „tiefgreifende gesellschaftliche Strukturmängel, wirtschaftliche, von innen und außen verursachte Unterentwicklung, soziale Ungerechtigkeit und politische Unterdrückung". Verstärkt werden diese Ursachen „durch grenzüberschreitende Gewaltanwendung und Einmischung von außen".
Von daher bitte ich die Bundesregierung, auch bei der Entwicklungspolitik die Ost-West-Schablone endlich beiseite zu legen. Die Vermengung der Krise mit dem Ost-West-Konflikt muß vermindert werden, wie es in dem Antrag heißt. Erfolgversprechende Krisenlösungsversuche müssen also bei den eigentlichen Ursachen ansetzen.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, zur Verwirklichung der Menschenrechte sowie zur Errichtung und Stabilisierung von Demokratie in den Staaten der Region beizutragen. Entwicklungshilfemittel, also Steuergelder, dürfen nicht Diktaturen, dürfen nicht korrupten Potentaten zugute kommen.
Ebenso wird die Bundesregierung aufgefordert, bei allen Maßnahmen von den Zielen der „uneingeschränkten Respektierung des Völkerrechts, insbesondere der Souveränität und territorialen Integrität aller Staaten der Region", der „Förderung von Unabhängigkeit und Respektierung von Blockfreiheit", der „Stärkung der ökonomischen und politischen Selbständigkeit" sowie der „Ablehnung jeglicher direkten und indirekten militärischen Einmischung" auszugehen.
Dieses Bündel von Zielen und Grundsätzen richtet sich eindeutig gegen jene, die meinen, internationale Polizeigewalt ausüben zu müssen.

(Zustimmung bei der SPD)

In Zusammenhang mit der US-Invasion in Grenada hatte Bundesminister Warnke die Auffassung vertreten — ich zitiere —: „Heute kann am Beispiel von Grenada gelernt werden, daß man nicht ungestraft seine Souveränität mißbrauchen darf." — Diese ungeheuerliche Doktrin von der beschränkten Souveränität ist damit hoffentlich endgültig erledigt.

(Beifall bei der SPD)

Diese Zielsetzungen müssen die Bundesrepublik in einen gewissen Gegensatz zu den USA bringen, die die Souveränität und Unabhängigkeit vieler Staaten der Region häufig verletzt haben und auch weiterhin laufend verletzen. Folgerichtig heißt es in der Beschlußempfehlung, daß das Ziel der Zusammenarbeit mit den USA „die gemeinsame Unterstützung der Bemühungen der Contadora-Gruppe sein" soll. Dies ist um so nötiger, als Contadora in eine kritische Phase geraten ist. Wenn der US-Kongreß die Aufnahme der Hilfe für die Contras von Nicaragua beschließen sollte, dann werden Contadora, Manzanillo — der Ort, an dem die Gespräche zwischen den USA und Nicaragua stattfinden — und auch die europäischen Bemühungen von San José erschwert. Wir verurteilen alle Versuche — auch wie sie von den USA unternommen worden



Dr. Holtz
sind —, die Bemühungen von Contadora zu sabotieren.

(Zustimmung bei der SPD)

Worin besteht eigentlich die Hauptaufgabe Westeuropas und der Bundesrepublik in diesem Zusammenhang? Die Mehrzahl der Staaten der Region mißtraut in vielen Politikbereichen den beiden Supermächten, der demokratischen Supermacht und der diktatorischen Supermacht. Westeuropa und die Bundesrepublik dagegen werden als glaubwürdig und als zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit fähig angesehen. Von ihnen erhofft man sich die wirksame politische, moralische und materielle Unterstützung bei dem Streben nach innerer und äußerer Unabhängigkeit und nach wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung.
Leider erlahmt der im vergangenen Herbst auf der Außenministerkonferenz von San José gezeigte Schwung der EG gegenüber Zentralamerika schon wieder. So kam die von der EG-Kommission vorgeschlagene verbesserte Vorzugsbehandlung Zentralamerikas im Rahmen der allgemeinen Zollpräferenzen gegenüber Entwicklungsländern nicht durch.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen zu den Contadora-Aktivitäten beläßt. Die Bemühungen der Contadora-Gruppe müssen — wie es in dem Antrag heißt — „aktiv und konkret unterstützt werden".
Nun einige Bemerkungen zu dem kontroversen Teil der Beschlußempfehlung. Sehr bedauerlich ist es, daß die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP nicht bereit waren, zusammen mit uns aus den gemeinsam erarbeiteten Zielen und Grundsätzen auch die richtigen konkreten Folgerungen zu ziehen. Hier hat sich offenbar — wie schon bei der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zur „Lage in Mittelamerika" — insbesondere die CSU mit ihrer Entschlossenheit zur Wende auch in Zentralamerika durchgesetzt. Außenminister Genscher und seine politischen Freunde haben nun auch in diesem Bereich offenbar nichts mehr zu melden. Schade, kann ich nur sagen. Deshalb mußte die SPD-Fraktion den vorliegenden Änderungsantrag einbringen.

(Zustimmung bei der SPD)

Dessen erste konkrete Forderung, die Nr. 15, lautet, daß die im Dokument von San José vorgesehene Gleichbehandlung der Staaten der Region auch für die bilaterale Zusammenarbeit gilt. Unverständlich ist uns, wie man einerseits das Dokument von San José unterzeichnen kann, andererseits aber nicht bereit ist, einen der tragenden Grundsätze der jeweiligen Bemühungen auch in der eigenen Politik zu berücksichtigen.

(Beifall bei der SPD)

In seiner jetzigen Fassung bedeutet Ihr Antrag eine klare Mißachtung der Ergebnisse von San José.

(Sehr gut! bei der SPD)

In diesem konkreten Abschnitt vollzieht die Regierungskoalition die nahtlose Ankoppelung an die
Zentralamerikapolitik der USA. Nicaragua wird weiter im Würgegriff gehalten, mit der Peitsche wird geschlagen und das Zuckerbrot der Wiederaufnahme der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit unter bestimmten Bedingungen in Aussicht gestellt. Diese Politik, Wohlverhalten zu fordern, dieses Freund-Feind-Denken, lehnen wir ab.
Dagegen El Salvador: Der christdemokratische Präsident Duarte wird kräftig unterstützt. Hier wird das Messen mit zweierlei Maß offensichtlich.

(Dr. Pinger [CDU/CSU]: Das ist auch ein Demokrat!)

Die sozialdemokratischen Forderungen in den Nr. 16 und 17 unseres Antrages zielen auf eine vorurteilsfreie, ausgewogene und positive Entwicklungen fördernde Politik gegenüber Nicaragua und El Salvador im Sinne der bereits genannten allgemeinen Ziele und Grundsätze.
Unsere Haltung gegenüber Nicaragua ist klar. Wir verteidigen weiterhin das pluralistische Projekt der sandinistischen Revolution und bewerten die Wahlen vom November 1984 als einen bedeutsamen Schritt zur Demokratisierung eines Landes, das noch nie demokratische Wahlen gekannt hat. Wir beklagen die entwicklungspolitische Blockade durch die Bundesregierung, weil sie falsch, kurzsichtig und unmenschlich gegenüber der notleidenden nicaraguanischen Bevölkerung ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir verurteilen ebenso klar und eindeutig die Droh- und Kanonenbootpolitik der großen USA gegenüber diesem kleinen Land. Den gesamten sophistischen Katalog von Destabilisierungsmaßnahmen wie CIA-Unterstützung von Contras und Terrorakten, wirtschaftliche Strangulierung und Erpressung, großangelegte Desinformationskampagnen halte ich für abscheulich.
Uns machen die Versuche in Nicaragua, sich von dem demokratischen Projekt zu entfernen, Sorge.
Aus unserer Positionsbestimmung heraus fordern wir:
Erstens. Die Bundesregierung soll bei den USA auf die sofortige Einstellung aller verdeckten und offenen militärischen Interventionen hinwirken.

(Beifall bei der SPD)

Warum weigert sich eigentlich die Bundesregierung, warum weigern sich CDU/CSU-Kollegen — nicht FDP-Kollegen, Herr Schäfer —, sich unmißverständlich ablehnend zu den völkerrechtswidrigen US-Aktivitäten in Nicaragua zu äußern? Doch wohl nur aus einer falsch verstandenen Nibelungen-Treue gegenüber unserem größten Verbündeten. Man muß auch dem besten Verbündeten sagen können, wenn man seine Politik für falsch hält, daß diese Politik falsch ist.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Wir fordern die Bundesregierung auf, die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit Nicaragua wieder zu verstärken und dieses bedrängte Land gerade jetzt großzügig zu unterstützen. Wir



Dr. Holtz
begrüßen, daß Staatsminister Möllemann bei seinem Besuch in der Region nicht wie andere Regierungsmitglieder in hohem Bogen über Nicaragua hinwegfliegen will. Aber seine Reise nach Managua hat nur dann einen Wert, wenn die Bundesregierung bereit ist, ihre Politik in diesem Zusammenhang zu überprüfen. Eine wichtige Geste wäre es, wenn der Staatsminister, wenn Sie dem Präsidenten Daniel Ortega eine Einladung für einen Besuch in der Bundesrepublik Deutschland übermitteln könnten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Drittens. Der nationale Dialog, an dem alle Parteien und gesellschaftlichen Gruppen teilnehmen, ist ebenfalls von großer Bedeutung für die weitere Demokratisierung und die Wiederherstellung der nationalen Einheit. Er ist fortzusetzen und auch von außen zu unterstützen. Auch deshalb war Hans-Jürgen Wischnewski in Managua. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß die SPD so hochrangig vertreten war.

(Beifall bei der SPD)

Viertens. Die EG-Außenminister hatten sich gegenüber ihren mittelamerikanischen Kollegen für ein Kooperationsabkommen zwischen der EG und Mittelamerika ausgesprochen, das auch Nicaragua zugute kommen würde. Wir Sozialdemokraten fordern die neue EG-Kommission unter Jacques Delors auf, schnell und ohne sich durch US-amerikanische Einwände aufhalten zu lassen ein solches Abkommen abzuschließen. Wir warnen die Bundesregierung davor, eine entsprechende EG-Initiative abzublocken. Ich hoffe, daß sie diese EG-Initiative mitträgt.
Nicaragua orientiert sich in dem Maße an der Sowjetunion, wie eine auf Reformen abzielende Zusammenarbeit mit dem Westen verwehrt wird. Nicaragua braucht Ermutigung, nicht Entmutigung.

(Beifall bei der SPD) Nicaragua braucht unsere Solidarität.

Vor einer Woche hat Hans-Jürgen Wischnewski in Managua eine Spende der SPD in Höhe von 105 000 DM für humanitäre Zwecke übergeben.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Woher war das?)

Auch das ist konkrete Solidarität.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Aus welchen Quellen war das Geld? — Zuruf von der CDU/CSU: War das für die Aufrüstung der Armee?)

— Für humanitäre Zwecke, Herr Kollege; ich will das gern wiederholen. Diese Spende haben Sozialdemokraten zusammengebracht.
Es wäre gut, wenn Sie das demokratische Nicaragua genauso unterstützten. Wir fänden es katastrophal, wenn diese Pflanze Demokratie in Nicaragua und die zum Teil schon erfolgreich durchgeführten
Reformen durch amerikanische Militärstiefel zerstört würden.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Wir bitten die Bundesregierung noch einmal, ihre Haltung gegenüber Nicaragua zu überprüfen und diesem Land eine Chance für einen selbstbestimmten Weg zu geben.
Ganz anders ist es mit ihrer großzügigen Spendierfreudigkeit gegenüber El Salvador. In El Salvador sehen wir die einzige Möglichkeit zur Überwindung der sozial ungerechten und immer noch von massiven Menschenrechtsverletzungen geprägten Zustände im Dialog der Reformkräfte des Landes.
Wir alle sind für den Dialog in El Salvador eingetreten. Nun läuft er. Wir begrüßen, daß die Staatsführung und der FDR/FMLN ernsthaft miteinander verhandeln. Nach Überzeugung der SPD ist der Dialog, der sich augenblicklich in einer kritischen Phase befindet, der einzige Weg, dem schwergeprüften Volk El Salvadors den Frieden zurückzugeben. Militärische Lösungen gibt es nicht. Dieser Dialog muß außerdem eine positive Antwort auf die dringlichen sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Mehrheit der Bevölkerung geben. Wir Sozialdemokraten fordern in unserem Änderungsantrag die Bundesregierung auf, diesen Prozeß durch eigene Beiträge zu den Wiederaufbaumaßnahmen und zu den Entwicklungsprogrammen zu unterstützen.
Wir bemühen uns um- eine ausgewogene Sichtweise. Vielleicht kann die Bundesregierung doch noch jenem mutigen Zeichen folgen, das erst vor ein paar Tagen von der evangelischen Kirche gesetzt worden ist. Der Geschäftsführer der Entwicklungsorganisation Dienst in Übersee vertritt die Auffassung, daß der Stopp der staatlichen Entwicklungshilfe nicht der Lage in Nicaragua gerecht wird. Und der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst sieht die Gefahr, daß die Bundesregierung Nicaragua durch ihre Politik in eine verzweifelte Lage treibt. Beide machen deutlich, daß die Kirche trotz der Bedenken der Bundesregierung ihre Entwicklungshilfe an Nicaragua weiterführen will. Wir begrüßen dies ausdrücklich und fordern die Bundesregierung auf, sich dieser Einsicht der Kirchen nicht zu verschließen.

(Beifall bei der SPD)

Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erwartet von der Bundesregierung, daß sie ihre Politik gegenüber Zentralamerika an den Zielsetzungen, Grundsätzen und Forderungen des Bundestages auch in ihrer konkreten Politik ausrichtet. Ich appelliere an Sie: Schaffen Sie die Grundlage für eine Politik des Ausgleichs in Mittelamerika, weg von der Ausgrenzung! Die Völker in Zentralamerika und in der Karibik haben genug Unglück hinter sich. Sie brauchen eine bessere Chance für eine eigenständige Entwicklung, keine Invasion von außen, von wem auch immer. Sie brauchen Zusammenarbeit, nicht Konfrontation. Sie brauchen Unterstützung, nicht Strafe.



Dr. Holtz
Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011408400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schäfer.

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1011408500
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst vielleicht einmal ein selbstkritisches Wort an uns hier im Parlament richten. Es hat sehr lange gedauert, bis wir diesen Antrag hier endlich verabschieden, nämlich drei Jahre. Die Probleme Lateinamerikas sind inzwischen fortgeschritten, ohne daß der Bundestag Stellung genommen hat. Ich weiß, es gab einen Regierungswechsel und Neuwahlen. Aber ich muß auch sagen: Es ist ein Beweis dafür, wie lange wir gelegentlich brauchen, um mit einem Antrag an die Öffentlichkeit treten zu können.
Ich bin Frau Kollegin Hamm-Brücher und anderen Kollegen dankbar, die jetzt sehr bemüht sind, das für die Zukunft abzustellen. Denn inzwischen, Herr Holtz, gab es eine Reihe von Veränderungen dort. Ich könnte mir vorstellen, wir würden den Antrag, wenn wir ihn heute formulieren müßten, ganz anders formulieren. Wir würden vielleicht — ich möchte das natürlich auch in Richtung auf den Bundesaußenminister sagen — mit der Initiative von San José anfangen. Dann könnten Sie natürlich nicht sagen, die heutige Beschlußempfehlung sei ein Beweis, daß wir, die FDP, daß der Bundesaußenminister keinen Einfluß mehr hätten. Denn schließlich gab es in San José eine sehr beachtliche Konferenz auf Initiative von Genscher

(Dr. Holtz [SPD]: Das ist eingebaut! Das steht drin!)

— wir kommen darauf zurück —, die auch in der Region sehr positiv beurteilt wird und die in ganz Lateinamerika inzwischen deutlich gemacht hat, daß die Europäer in der Methode durchaus einen anderen Weg gehen als die Vereinigten Staaten. Ich glaube, das ist klar.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die lange Frist, bis man zu einer Verabschiedung kommt — Anträge werden hin- und hergewendet, Debatten und Anhörungen durchgeführt, sehr viele Reisen gemacht —, hat natürlich auch ein bißchen den Zug des Grotesken, wenn am Schluß gefragt wird: Was kommt dabei heraus? Ich meine, wir sollten das heute auch einmal selbstkritisch sagen. Trotzdem begrüßt die FDP-Fraktion die Verabschiedung dieser Beschlußempfehlung, weil sie im großen und ganzen — Herr Kollege Holtz, ich glaube, wir sind uns da einig; das haben Sie auch gesagt — eine Antwort nach draußen gibt, an unsere Bevölkerung, in der vielfach diskutiert wird — nicht bei jungen Leuten, bei den anderen jedoch sehr oft —, warum wir uns in dieser Region eigentlich überhaupt engagieren, die doch so weit entfernt sei und die doch eigentlich im Vorfeld der USA liege, die für Europa ohne Bedeutung sei. Es wird draußen viel argumentiert, warum wir uns überhaupt in diesen Konflikt einmischten, der uns letzten Endes in unserem Verhältnis zu den
Vereinigten Staaten Probleme schaffen könnte. Ich glaube, diese Beschlußempfehlung gibt eine Antwort darauf, daß es notwendig ist, daß Europa eine Antwort gibt. Sie wird dort auch erwartet. Es ist unsinnig zu glauben, Lateinamerika sei ausschließlich an den guten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten interessiert. Lateinamerika sagt immer wieder: Von unserer Geschichte, von unserer Philosophie her stehen wir Europa näher. Wir erwarten von euch nicht nur Handel, sondern auch Bemühungen, Konflikte zu lösen.
Meine Damen und Herren, wir haben uns hier sehr häufig über diese Fragen unterhalten, in Aktuellen Stunden, in vielen Debatten, in Ausschüssen, im Plenum. Ich will das jetzt nicht alles wiederholen. Ich will nur einen Satz sagen, den ich sehr oft sage und der deutlich macht, daß der Vorwurf, man sei links, wenn man gelegentlich gewisse Sympathien für Nicaragua zeigt, falsch ist.

(Lachen der Abg. Frau Gottwald [GRÜNE])

— Ich meine, mit den Formulierungen von links oder rechts kommen wir in Zentralamerika sowieso nicht weiter. In Zentralamerika — das muß von uns in den USA immer wieder zum Ausdruck gebracht werden — steht letztlich die Glaubwürdigkeit westlicher Wertvorstellungen auf dem Spiel. Das haben übrigens unsere jungen Leute erkannt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Es wird auch entschieden, ob wir unsere Entwicklungspolitik vor allem daran orientieren, den Menschen zu helfen oder bestimmten Interessenssphären zu dienen oder nichts zu tun aus Angst, es könnte irgendwo in der Welt zu Reaktionen kommen, denen wir ausweichen möchten.

(Dr. Holtz [SPD]: Sehr wahr!)

Wir müssen mit der sozialen Herausforderung fertigwerden, deren Ursachen nicht in den ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West liegen — das haben Sie gesagt; ich glaube, das ist hier einvernehmlich —, sondern in dem langfristigen historischen Prozeß.

(Brück [SPD]: Das ist leider nicht einvernehmlich!)

— Herr Brück, ich kann nur sagen: Wir können sie nur bestehen, wenn wir in einer klugen und differenzierten Weise Politik machen, in unserer Diplomatie verständnisvoll sind und eben nicht eine Politik des big stick, wie auch immer geartet, unterstützen.
Meine Damen und Herren, die Lösungsmöglichkeiten des Konflikts sind nach wie vor umstritten. Sie sind aber auch überschattet von Vorurteilen und eingeengt durch ideologische Scheuklappen —wir wissen das —, übrigens nicht nur von rechts, Herr Holtz, auch von links. Ich sehe z. B., daß meine verehrte Kollegin Gottwald in dem Bericht, der sich an die Beschlußempfehlung anschließt, ihre Einschätzung der Situation dadurch kennzeichnet, daß sie sagt, daß die USA allein an dem gegenwärtigen Zustand „in der Region schuld seien, der durch Armut, soziale Gegensätze, größte Repression gekennzeichnet sei", daß sie — die USA — weiterhin gün-

Schäfer (Mainz)

stige Investitionsbedingungen und ein Reservoir für billige Arbeitskräfte haben wollten und angebliche Sicherheitsinteressen verteidigten, daß die USA also „in der ganzen Region auf allen Ebenen Krieg führten". Hier kann ich nur sagen: Das ist eine sehr einseitige Darstellung der Situation und entspricht nicht der Politik Washingtons. Sie berücksichtigt auch nicht die Auseinandersetzungen in den Vereinigten Staaten. Das ist zu pauschal, und es ist eben falsch. Es ist ideologisch, liebe Frau Gottwald.
Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, konnte man den Satz der Frau Gottwald fast umgekehrt, also nicht die USA seien schuld, sondern die Sowjetunion sei schuld an all diesen Entwicklungen von anderer Seite gelegentlich hören. Es gäbe auch dazu viele Zitate. Ich halte beides für falsch.
Ich glaube, daß es auch unrichtig ist, wenn einerseits gesagt wird, daß beispielsweise die Ergebnisse der Wahlen in El Salvador absolut inakzeptabel seien, das sei alles nicht mit rechten Dingen zugegangen, dagegen sei es in Nicaragua hervorragend zugegangen. Auch umgekehrt ist es sicher falsch zu sagen, die Wahl in Nicaragua kann überhaupt nicht im Ernst diskutiert werden, aber in El Salvador war natürlich alles in Ordnung. Ich halte beide Aussagen nicht für richtig.
Meine Damen und Herren, kommen wir noch einmal zur Gewaltanwendung und zur Guerilla. Während die eine Seite sagt, die Aktionen der Guerilla in El Salvador seien zu rechtfertigen, behauptet die andere Seite, die Operationen der Contras in Nicaragua seien ein berechtigter Ausdruck des Widerstandes gegen ein Unrechtsregime. Wissen Sie, wir sollten aufhören, Gewalt rechtfertigen zu wollen, gleichgültig, ob sie von links oder von rechts ausgeht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wer sagt, die Guerilla in El Salvador muß endlich einmal anfangen, nicht nur zu verhandeln, sondern auch die Bereitschaft zu zeigen, die veränderte Situation in El Salvador anzuerkennen — „Bitte beteiligen Sie sich an den Kommunalwahlen in diesem Jahr!" —, der muß aber andererseits auch sagen: Wir können in keiner Weise die terroristischen Aktivitäten der Contras in Nicaragua unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Das geht natürlich auch an die Adresse der amerikanischen Regierung. Wir fühlen uns hier sehr einig mit der Mehrheit des Kongresses.

(Dr. Pinger [CDU/CSU]: Sie sollten an den Wahlen teilnehmen können! — Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

Meine Damen und Herren, natürlich gibt es gelegentlich auch Übereinstimmung mit Ihnen — wo wären wir denn in diesem Parlament, wenn wir hier immer nur getrennt durch Vorhänge säßen?

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich glaube, daß Duarte einen guten Weg eingeschlagen hat und daß es notwendig ist, daß auch in Nicaragua die sandinistische Regierung mit den verbalen Äußerungen ernst macht, die Ortega bei seiner Amtseinführung jetzt wiederholt hat, daß sie schließlich doch Gespräche will auch mit der Opposition; sie spricht von einem nationalen Dialog. Ich kann nur hoffen, daß dieser Dialog zustande kommt.
Wenn man sich den Antrag ansieht, könnte man sicher an einigen Stellen, Herr Holtz, gewisse Widersprüche herauskristallisieren. Ich will das im einzelnen jetzt nicht tun. Ich will nur auf zwei Punkte eingehen.
Es ist die Rede davon, daß wir unsere Entwicklungshilfe an Nicaragua in vollem Umfang wieder aufnehmen, wenn eben eine sozial gerechte Struktur geschaffen wird, demokratische Strukturen wieder aufgebaut werden.

(Frau Gottwald [GRÜNE]: So eine gerechte wie in El Salvador oder was?)

Es ist sicher richtig, daß man in El Salvador davon reden kann, daß demokratische Strukturen wieder funktionieren, und daß man auch sagen kann, daß die Regierung Duarte bemüht ist, die sozialen Strukturen zu verbessern.

(Frau Gottwald [GRÜNE]: In El Salvador gibt es Krieg!)

Aber wir müssen natürlich auch, Herr Minister Warnke, anerkennen, daß in Nicaragua zumindest die eine Hälfte stimmt, nämlich, die Bemühungen um eine sozial gerechtere Reform sind im Gange. Nur die andere Hälfte stimmt noch nicht, nämlich die Frage einer echten demokratischen Struktur. Da müssen wir weiter nachbohren.
Aber ich muß ein bißchen davor warnen, daß wir hier gelegentlich mit Sätzen operieren, die mir sehr vage erscheinen und die ich jetzt einmal wiedergebe, z. B. den Begriff des Exports der Revolution, der Destabilisierung benachbarter Länder. Das ist ja nun ein Vorwurf, der zumindest auch an die arme Regierung von Honduras weitergegeben werden müßte, die allerdings gar nicht in der Lage ist, diese Destabilisierung Nicaraguas von ihrem Territorium her aufzuhalten. Ich glaube nicht, daß es heute noch sehr leicht möglich sein wird, den Nachweis zu führen, daß die Unterstützung der Guerilla in El Salvador ausschließlich von Nicaragua käme oder von Kuba allein. Ich glaube, hier sollten wir in unserer Analyse sehr viel vorsichtiger werden.
Meine Damen und Herren, beide Grundsätze gelten nicht für Guatemala. Es stellt sich also die Frage: Werden unsere sehr hochgeschraubten Erwartungen an Nicaragua dann bitte schön auch auf andere Staaten übertragen oder nicht? Das ist eine sehr wichtige Frage.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben gesagt: Warum wird Ortega nicht eingeladen? Ich kann dazu nur sagen: Wenn man General Stroessner hier empfangen will, dann sollte man gelegentlich auch Herrn Ortega zumindest besuchen oder vielleicht sogar einmal ein Gespräch mit Fidel Castro führen. Ich halte das für sehr nützlich, weil manche Vorurteile durch den Dialog widerlegt werden. Ich glaube, Herr Möllemann wird



Schäfer (Mainz)

bei seiner Reise — ich weiß, daß er all diese Länder besucht — von dem Prinzip ausgehen, daß man durch Dialog lernt.
Auch hier meine Empfehlung: Wir sollten bitte nicht bestimmte Länder von Besuchen ausgrenzen; und mein Wunsch an die CDU/CSU ist, durchaus auch einmal nach Kuba zu gehen; denn meine Reise dorthin, die gerade zu Ende ging, hat mir bewiesen, daß es sehr nützlich ist, dort Gespräche zu führen, und daß der Wunsch zum Dialog besteht. Wir sollten diesen Wunsch nicht zurückweisen.
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß kommen. Ich hatte mich am Anfang kritisch zu dem zeitlichen Ablauf dieses Antrages geäußert. Zum Schluß darf ich aber doch sagen, daß es sehr wichtig erscheint, daß wir hier mit der Verabschiedung dieser Beschlußempfehlung die Grundzüge unserer Lateinamerikapolitik koordiniert haben bis auf die bestehenden Gegensätze, die es in Einzelfällen noch gibt.
Ich kann nur sagen, daß wir wirklich alles daransetzen sollten, unser Verhältnis zu Zentralamerika auf der Basis von San José, auf der Basis der Contadora-Initiative weiterzuführen. Es kommt jetzt darauf an, was die Bundesregierung aus dieser spät verabschiedeten Empfehlung machen wird. Vor allen Dingen: Lassen Sie San José nicht nur einen Anfang bleiben, sondern bemühen Sie sich, daß nach den Worten auch die Praxis folgt.
Das gleiche gilt natürlich auch für unsere Bemühungen im Parlament. Wirken wir bitte gemeinsam bei unseren vielen Besuchen in Washington darauf hin, daß die amerikanische Regierung bereit sein wird, den Contadora-Prozeß nach Kräften zu fördern und nicht gelegentlich neue Hindernisse zu erfinden. Ich habe nach meinem Kuba-Besuch hier folgenden Eindruck — den möchte ich als ermutigend wiedergeben —: Mir hat die kubanische Regierung mitgeteilt, sie erwarte von der zweiten Amtsführung des Präsidenten Reagan wesentlich größere Moderatheit und Bereitschaft zu einem besseren Verständnis der Region. Wenn das aus Kuba kommt, dürfen wir es hier möglicherweise wiederholen. Auch ich wünsche mir das.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011408600
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Jetzt sagen Sie mal, daß Sie dem Schäfer zustimmen, einfach aus Koalitionstreue!)


Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1011408700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum vierten Male innerhalb von zwölf Monaten debattiert der Deutsche Bundestag die Probleme Zentralamerikas und auch der Karibik, dreimal von diesen vier auf Grund parlamentarischer Initiative. Die Bundesregierung begrüßt diese intensive Beschäftigung des Parlaments mit der
Region Zentralamerika und Karibik. Sie trägt mit der Erhöhung des Anteils Zentralamerikas und der Karibik an den Entwicklungsausgaben seit 1983 diesem erhöhten Stellenwert der Region in der Aufmerksamkeit des Parlaments auch in der Politik der Bundesregierung Rechnung. Die Bundesregierung wird diese Politik fortsetzen und auch in Zukunft den Anteil Zentralamerikas und der Karibik an den deutschen Entwicklungsausgaben wachsen lassen.
Wir stimmen dem Ziel zu, das in der Resolution formuliert wird, nämlich der Gewährleistung des Friedens für die Region. Keine Region ist so angewiesen auf den Frieden wie diese, wo durch die geringe Flächengröße der Staaten und die geringe Zahl der Einwohner der einzelnen Staaten der Zwang zur regionalen Kooperation ein Gebot fürs Überleben ist. Regionale Kooperation kann nur funktionieren, wenn Frieden in der Region herrscht. Die Bundesregierung hat es deshalb begrüßt, daß der salvadorianische Präsident Duarte das Gespräch mit der Guerilla nicht nur aufgenommen, sondern in der Zwischenzeit fortgesetzt hat, weil hier friedenstiftende Politik betrieben wird.
Wir vermissen einen solchen klaren Schritt allerdings bis auf den heutigen Tag — auch nach der Übernahme des Präsidentenamtes durch Ortega — in der Politik der nicaraguanischen Junta. Er ist bis auf den heutigen Tag nicht vollzogen worden. Im Gegenteil: Die Unterstützung der salvadorianischen Guerilla — Herr Kollege Schäfer — durch Nicaragua erfolgt weiter. Die Junta bekennt sich auch dazu. Dies ist nun der springende Punkt der politischen Entscheidung der Bundesregierung vom vergangenen Januar: daß sie nicht irgendwelchen nicht nachprüfbaren Begriffen, sondern einer klaren Destabilisierung durch nachweisbare Unterstützung der Guerilla ebenso wie durch stabilitätsbedrohende Rüstung im eigenen Land den Stellenwert gegeben hat, Neuzusagen von einer nachhaltigen Abkehr von der Destabilisierungspolitik abhängig zu machen.
Wir haben eben nicht sozialen Ausgleich und Fortschritte in Richtung Demokratie zum Angelpunkt dieser Entscheidung gemacht, und zwar in dem Bewußtsein, daß vielen Empfängern von deutscher Entwicklungshilfe dann, wenn dies zum Angelpunkt gemacht würde, die deutsche Entwicklungshilfe in Zukunft nicht im bisherigen Maß gewährt werden könnte.
Nicaragua, so hat der Herr Kollege Holtz gesagt, braucht Ermutigung.

(Sehr gut! bei der SPD)

Ich glaube nicht, daß jener Präsident Ortega Ermutigung braucht, von dem ein Porträt in der — rechtskonservativer Tendenzen unverdächtigen — Zeitung „Die Zeit" unlängst gezeigt hat, daß er ein zielstrebiger, sich an revolutionären Grundsätzen orientierender Politiker ist. Aber das Land und die Bevölkerung Nicaragu as brauchen Ermutigung,

(Dr. Holtz [SPD]: Das habe ich gesagt!)




Bundesminister Dr. Warnke
und dem tragen wir Rechnung, indem wir gerade die Arbeit jener Kirchen, die Sie hier angesprochen haben — und warum sagen Sie es denn nicht, Herr Kollege Holtz, denn Sie wissen es doch —, also die Arbeit der evangelischen und der katholischen Kirche in Nicaragua, wo sie unmittelbar der Bevölkerung zugute kommt, durch die Mittel der deutschen Entwicklungshilfe unterstützt haben,

(Frau Gottwald [GRÜNE]: Sie haben doch versucht, die Gelder zu kürzen! — Dr. Holtz [SPD]: Ihre Mitarbeiter haben versucht, sie davon abzubringen!)

unterstützen und auch in Zukunft unterstützen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir sollten das in der Tat nicht verschweigen, aber wir sind auch nicht blind für die Tatsache, daß der zielbewußte Kurs eines Präsidenten Ortega nicht davon beeinflußt ist, ob 20 Millionen DM Entwicklungshilfe mehr oder weniger aus einer bestimmten Richtung kommen. Ich glaube, wir würden den Sandinisten nicht gerecht werden und würden sie unterschätzen, wenn wir ihre politischen Entscheidungen als von der Gewährung von mehr oder weniger Entwicklungshilfe abhängig betrachteten. Sie müssen eine politische Kursänderung herbeiführen,

(Frau Gottwald [GRÜNE]: Sie auch, Herr Warnke, Sie an allererster Stelle!)

die nicht im entwicklungspolitischen Bereich liegt. — Unser Kurs, Frau Gottwald, stützt sich auf die Mehrheit, die wir in demokratischer Wahl in der Bundesrepublik Deutschland errungen haben. Es fällt Ihnen schwer, das zu akzeptieren.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

In diesem Lande wird Politik auf Grund von demokratischer Mehrheitsentscheidung betrieben, und wenn Sie in vier Jahren eine Änderung herbeiführen wollen,

(Zuruf von der SPD: In zwei!)

haben Sie dazu die Gelegenheit. In der Zwischenzeit bitte ich Sie, demokratische Mehrheitsentscheidungen respektieren zu lernen.

(Zuruf von der SPD: Aber man darf sie doch noch kritisieren!)

Meine Damen und Herren, die von der Bundesregierung herbeigeführte europäische Initiative von San José zeigt im Sinne der Ermutigung der friedenswilligen Kräfte in Nicaragua, was bei einer Abkehr der Junta vom Destabilisierungskurs möglich wäre. Wir unterstützen Contadora, haben aber auch gesehen, daß Contadora nicht eine magische Formel ist, durch deren rituelle Wiederholung sich die Probleme lösten, und wir wissen, daß die Arbeit, mit der eine Sicherung der anderen vier Staaten der Region vor der nicaraguanischen militärischen Übermacht erfolgen kann, bis heute von Contadora noch nicht getan werden konnte. Die Bundesregierung und die Europäische Gemeinschaft sind bereit, zu ihrem Teil die Schritte von Contadora zu begleiten und zu ermutigen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011408800
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1011408900
Bitte sehr.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1011409000
Herr Bundesminister, warum sind Sie dann, wenn Sie sich doch auf San José beziehen, nicht bereit, die Forderung der SPD in ihrem Entschließungsantrag zu unterstützen, die da lautet:
Die im Dokument von San José vorgesehene Gleichbehandlung der Staaten in der Region gilt auch für die bilaterale Zusammenarbeit.

(Frau Gottwald [GRÜNE]: Weil er sich nicht auf San José beruft! Ist doch klar!)


Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1011409100
Das unterstützen wir deshalb nicht, weil die Voraussetzung dafür, daß diese Gleichbehandlung eintreten kann, nämlich die Abkehr vom Destabilisierungskurs der Junta, bis heute nicht eingetreten ist.

(Frau Gottwald [GRÜNE]: Bravo!)

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten, wenn wir die Probleme der Region lösen wollen, amerikafeindliche Ansätze von vornherein ausschließen. Das Wort, das der US-Militärstiefel die demokratischen Ansätze der Region zertritt, Herr Kollege Holtz, weise ich für die Bundesregierung zurück.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sie waren ja auch für Grenada, das ist klar!)

Das ist der springende Punkt. In Grenada haben in der Zwischenzeit demokratische Wahlen stattgefunden. Die Bundesregierung begrüßt diese Entwicklung,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Gottwald [GRÜNE]: Noch einmal wurde Invasion legitimiert!)

und sie kann es nicht verstehen, daß es von Ihnen nach dem Beweis, daß in Grenada ein Regime, das die Vorgängerregierung durch Mord abgelöst hatte, heute verschwunden ist und einer freiheitlich-demokratischen Entwicklung Platz gemacht worden ist,

(Frau Gottwald [GRÜNE]: Die schießen die Demokratie herbei! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)

quittiert wird — gerade von Ihnen, Herr Kollege Ehmke — mit dem Symbol eines die demokratische Entwicklung zertretenden amerikanischen Militärstiefels.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Da sieht man schon, was Sie unter Menschenrecht verstehen!)

In Grenada hat Amerika die Türen zur demokratischen Entwicklung geöffnet,

(Frau Gottwald [GRÜNE]: Mit Militärinvasion!)

und die Bevölkerung ist hindurchgegangen.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011409200
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brück?

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1011409300
Meine Redezeit nähert sich dem Ende. Ich bedaure, Herr Kollege Brück.

(Zurufe von der SPD)

Herr Kollege Holtz, in der Gesamtkonzeption, die Sie gefordert haben, werden wir selbstverständlich auch die massive amerikanische wirtschaftliche Unterstützung für die Region mit zu berücksichtigen haben. Im übrigen habe ich Ihre Worte mit der Aufmerksamkeit verfolgt, die einem entwicklungspolitischen Sprecher der Opposition zukommt, und ich habe festgestellt, daß Sie sich der Hilfe für El Salvador nicht mehr widersetzen. Das ist eine Wende, aber die hat bei Ihnen stattgefunden. Die Bundesregierung braucht in ihrem Zentralamerikakurs keine Wende.

(Zurufe von der SPD)

Sie wird im Einklang mit den Koalitionsfraktionen den Weg der Unterstützung von Frieden, freiheitlicher Entwicklung

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Und vor allen Dingen Einmarsch!)

und sozialer Reform fortsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011409400
Das Wort hat Frau Abgeordnete Gottwald.

Gabriele Gottwald (GRÜNE):
Rede ID: ID1011409500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte, soweit mir das in fünf Minuten möglich ist, ganz kurz einige Argumente bringen, warum wir einen eigenen Änderungsantrag eingebracht haben. Die Entwicklungspolitik der Bundesregierung gegenüber Zentralamerika hat mit Entwicklungspolitik im eigentlichen Sinne nichts zu tun. Vielmehr stellt die jetzige BMZ-Politik die entwicklungspolitischen Grundsätze nahezu auf den Kopf. Der Abbruch der Zusammenarbeit mit Nicaragua wird propagiert, und zwar trotz der außerordentlich positiven entwicklungspolitischen Erfolge. Mit El Salvador wird die Zusammenarbeit wieder aufgenommen, mehr als 50 Millionen DM werden bewilligt, obwohl bis heute unklar ist, wie die Mittel angesichts der realen Herrschaft von Militär und Oligarchie umgesetzt werden sollen.
Die Entwicklungspolitik der Bundesregierung ist zum alleinigen Instrument der bundesdeutschen Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber Zentralamerika degradiert worden, wobei sich die Außenpolitik eng an die Vorgaben und Dogmen der Politik der US-Regierung in Zentralamerika hält. Die Bundesregierung leistet damit aktive Beihilfe zur US-Politik, die seit Jahren die sozialen und politischen Gegensätze und Probleme in der Region verschärft, die Region zum Austragungsort des OstWest-Gegensatzes erklärt, die Militarisierung Zentralamerikas forciert und regionale Friedensinitiativen torpediert, wie sie es im Oktober mit der Contadora-Initiative gemacht hat.
Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zeigt von dieser Realität nichts. So wird die Bundesregierung aufgefordert, ihre entwicklungspolitischen Anstrengungen in der Region zu verstärken, wobei die Staaten, die sich eine soziale und gerechte Struktur geben wollen, bevorzugt werden sollen. Das ist ein schöner Satz; das Dumme ist nur, daß es der Definition dieser Regierung und ihres Bündnispartners obliegt, welche Regierung ihr genehm und damit demokratisch zu nennen ist.

(Zuruf von der SPD: Leider wahr!)

Wir fordern deswegen die Bundesregierung nicht zu einer Verstärkung ihrer bisherigen Anstrengungen auf,

(Dr. Holtz [SPD]: Das haben wir auch nicht gesagt!)

da wir eine Weiterentwicklung dieser Politik für katastrophal halten. Wir fordern die Abkehr der bundesdeutschen Zentralamerikapolitik von ihrer getreuen Gefolgschaft zur US-Politik, die ihr Engagement aus dem Motiv angeblich wohlverstandener Sicherheitsinteressen des Westens speist und damit Zentralamerika zum Interessengebiet der NATO erklärt.
Eine politische Lösung der Konflikte in Zentralamerika ist dringend notwendig. Aber sie wird nur möglich sein, wenn die sozialen und politischen Ursachen für diese Konflikte beseitigt werden. Voraussetzung dafür ist die Einstellung aller militärischen Interventionen in dieser Region.

(Klein [München] [CDU/CSU]: D'accord!)

Der Bundesregierung und der US-Regierung geht es jedoch nicht um die Lösung der Konflikte, sondern lediglich um die Schaffung von Rahmenbedingungen zur Befriedung der jetzigen Lage.
Ich möchte in diesem Kontext kurz ein Wort zur Strategie der Sozialdemokraten sagen, die diese Befriedungspolitik mit Friedenspolitik gleichsetzen. Sie haben sich in Ihrer Zentralamerikapolitik der vergangenen Jahre zunehmend der Option der Christdemokratie angenähert — in diesem Punkt muß ich dem Herrn Minister ausnahmsweise einmal recht geben —, was bedeutet, daß zunehmend eine Parallelisierung der Situation in El Salvador und Nicaragua vorgenommen wird. Diese Gleichsetzung ist deswegen so fatal, weil sowohl die Ursache der militärischen Auseinandersetzung als auch ihre politische Austragung in den beiden Ländern völlig entgegengesetzt ist.
In Nicaragua versucht eine von den USA ins Leben gerufene Contra einen demokratischen Aufbau des Landes zu verhindern. Die Contra ist eine von außen initiierte antidemokratische Kraft.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu den Sandinisten!)

In El Salvador hat die Befreiungsbewegung einen internen Ursprung. Sie setzt sich aus weiten Teilen der Bevölkerung zusammen und vertritt politische Positionen, die sich gegen oligarchisch-diktatorische Strukturen auflehnen. Auch eine äußere Un-



Frau Gottwald
terstützung dieser Bewegung ändert nichts an ihrem internen Charakter.
In Nicaragua sind soziale Reformen durchgeführt worden, z. B. die Agrarreform, die sich am Interesse der ländlichen Bevölkerung orientiert. In El Salvador ist die Agrarreform qua Verfassung gestoppt worden. Das bedeutet, daß eine Änderung der sozial-oligarchischen ländlichen Strukturen in absehbarer Zeit nicht erreicht werden kann.
Die Gleichsetzung in der Behandlung von El Salvador und Nicaragua im Rahmen der Entwicklungspolitik, wie sie die SPD fordert, ist nicht berechtigt, da die politischen Voraussetzungen in beiden Ländern völlig unterschiedlich sind. Der Versuch der SPD, über die Akzeptierung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit El Salvador von der CDU/CSU die Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe an Nicaragua zu erreichen, ist zudem völlig fehlgeschlagen. Ergebnis ist, daß zwar die SPD die Entwicklungshilfe an El Salvador billigt, die CDU/CSU von ihrer Verweigerungs- und Boykottstrategie gegenüber Nicaragua aber nicht abgekehrt ist. Ich möchte diese Politik wie folgt kennzeichnen: Die SPD hat versucht, ihre Großmutter zu verkaufen; letztendlich hat sie sie verschenkt.
Die GRÜNEN halten auf Grund der skizzierten Rahmenbedingungen an ihrer Forderung fest: keine Entwicklungshilfe an El Salvador, sofortige Wiederaufnahme und Erhöhung der Entwicklungshilfe für Nicaragua. Aus diesem Grund haben wir einen eigenen Änderungsantrag gestellt.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011409600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Voigt (Frankfurt).

Karsten D. Voigt (SPD):
Rede ID: ID1011409700
Auch die kritische Bemerkung von Frau Gottwald zur SPD zeigt, daß sie und andere GRÜNE auf die SPD fixiert sind. Wir nehmen das zur Kenntnis. Daraus kann sich auch noch etwas anderes entwickeln.

(Frau Gottwald [GRÜNE]: Das ist billig, Herr Voigt!)

Die Äußerungen von Bundesminister Warnke waren und sind geprägt von ideologischen Scheuklappen, von der Unfähigkeit zur Differenzierung und von dem Fehlen eines jeden konstruktiven Ansatzes insbesondere gegenüber Nicaragua.
Herr Schäfer hat als Liberaler den Mund gespitzt.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Restliberaler!)

Herr Möllemann wird anschließend deutlich machen können, ob das Außenministerium noch in der Lage ist, gegenüber dem Entwicklungshilfeministerium zu pfeifen.

(Brück [SPD]: Zurückzupfeifen!)

Ich persönlich habe den Eindruck, daß die Politik
gegenüber Nicaragua und Mittelamerika in immer
stärkerem Maße nicht mehr im Außenministerium,
sondern im Entwicklungsministerium bestimmt wird und damit von der CDU/CSU geprägt wird.

(Brück [SPD]: Vor allem von der CSU!)

Sie haben eine Politik der militärischen Intervention, des politischen Drucks, der politischen Erpressung und der wirtschaftspolitischen Destabilisierung befürwortet. Herr Bundesminister Warnke, eine solche Politik können Sie mit der SPD nicht betreiben. Wir werden ihr nicht nur widersprechen, sondern wir werden eine solche Politik, wie Sie sie hier vorgeschlagen haben, mit allen unseren Möglichkeiten im Parlament bekämpfen. Wir werden ihr auch vorparlamentarisch widersprechen.
Ich frage mich nun, wie Herr Möllemann zu dieser Politik steht. Man kann nicht im Parlament und in der Koalition dauernd im Spagat vorgehen, auch nicht bei Mittelamerika.

(Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Sie machen einem ja richtig Angst, Herr Voigt!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011409800
Das Wort hat Herr Staatsminister Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1011409900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihre Neugier gern befriedigen, Herr Kollege Voigt, und hier zu drei Punkten etwas sagen, die in der Debatte angesprochen worden sind. Ich komme zunächst zu den Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft, in San José einen neuen Prozeß der Zusammenarbeit zwischen zwei Staatengruppen in Gang zu setzen, die manches an historischen Gemeinsamkeiten und gemeinsame Interessen haben, die vor allem das gemeinsame Interesse an einer friedlichen Entwicklung haben sollten. Die Bundesrepublik Deutschland ist bei dieser Initiative ausschlaggebend gewesen. Wir haben den Anlaß geboten und die Unterlagen für dieses Dokument und die damit verbundene Politik erarbeitet.
Herr Kollege Holtz, ich glaube nicht, daß es fair ist, so kurze Zeit nach einer solchen Konferenz, die nicht leicht zusammenzubringen war, wenn Sie sich die Struktur der Staaten, die sich dort getroffen haben, anschauen, zu erwarten, daß die Ergebnisse, die dort angestrebt worden sind, schon vorgelegt werden können.
Wir versuchen im Augenblick, soweit wir das können, die Zusammenarbeit, die Integration unter den fünf Staaten, um die es geht, als Voraussetzung für eine Kooperation zwischen der EG und dieser Staatengruppe zu fördern, um dann zu ähnlich konstruktiven Formen der Kooperation zu kommen, wie das zwischen der EG und ASEAN heute schon der Fall ist.
Ich finde, das ist die erste Aktivität der bundesrepublikanischen Außen- und Entwicklungspolitik in dieser Region, die tatsächlich auf längere Frist etwas bewirken kann. Insofern müßten Sie damit einverstanden sein. Ich habe Ihren Beitrag in diesem Punkt so verstanden, daß Sie die Konferenz von



Staatsminister Möllemann
San José und die mit ihr verbundene Konzeption durchaus akzeptieren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011410000
Herr Staatsminister, die Abgeordneten Dr. Holtz und Brück möchten eine Zwischenfrage stellen.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1011410100
Bitte schön.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011410200
Zunächst Herr Dr. Holtz zu einer Zwischenfrage.

Prof. Dr. Uwe Holtz (SPD):
Rede ID: ID1011410300
Herr Staatsminister, es wird nichts Unmögliches verlangt. Aber wie beurteilen Sie die Tatsache, daß man im Herbst in San José verspricht, bei der Änderung der Zollpräferenzen gegenüber den Entwicklungsländern besondere Erleichterungen für Zentralamerika vorzusehen, und daß man es dann im Winter 1984 nicht macht, also das Wort nicht hält?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1011410400
Das hängt u. a. damit zusammen, daß der Willensbildungsprozeß in der EG insbesondere in wirtschaftlichen Fragen nicht immer dem gerecht wird, was man in theoretischen Erklärungen von sich gibt. Diese kritische Bemerkung wird man ohne weiteres machen dürfen. Die Verantwortung hierfür liegt aber nicht bei uns. Wenn Sie sich die Geschichte der Konferenz von San José ansehen — ich habe das nicht ohne Grund gesagt —, dann werden Sie feststellen: Die Initiative ging von der deutschen Außenpolitik aus, und andere mußten dafür gewonnen werden. Im übrigen: Wenn Sie mit dem einen oder anderen EG-Partner sprechen, der parteipolitisch Ihrer Couleur nähersteht, was die Regierungspartei angeht, können Sie vielleicht einige Hintergründe dazu erfragen.
Der zweite Gedanke, den ich hier ansprechen wollte, bezieht sich auf die Contadora-Initiative. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir haben keinerlei Anlaß, diese Initiative gering zu schätzen. Wir sollten auch jedermann sagen, daß es Sackgassen sind, in die man sich verrennt, wenn man hier alternative Wege vorschlägt: bilaterale Wege oder solche, wie ich gestern gehört habe, daß man die Hoffnung hat, daß der Vatikan in einer großen Vermittlungsaktion die Probleme lösen könnte.
Ich denke, wir tun gut daran, den neu unternommenen Versuch, die Contadora-Initiative zu beleben, zu unterstützen. Meine Reise, die hier mehrfach angesprochen worden ist, soll selbstverständlich auch dazu dienen, wie der Kollege Schäfer gesagt hat, daß man selber etwas dazulernt. Es ist immer gut, wenn man irgendwo hinfährt, daß man nicht erklärt, man habe ein klares, festes Weltbild und brauche nichts mehr zu lernen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011410500
Herr Staatsminister, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1011410600
Frau Präsidentin, ich möchte den Gedanken eben zu Ende führen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011410700
Ja, bitte.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1011410800
Diese Reise soll auch dem Zweck dienen, herauszufinden, wo die EG bei der Überwindung der letzten Hemmnisse behilflich sein kann, insbesondere bei den vertrauensbildenden und Verifikationsmaßnahmen im militärischen Bereich Mißtrauen zu beseitigen. Wir begrüßen die Gespräche, die zwischen Nicaragua und den USA im Moment genau zu diesem Zweck geführt haben. Wahrscheinlich haben sie eine Schlüsselfunktion. Man kann sich wohl kaum vorstellen, daß das Contadora zu einem endgültigen positiven Ergebnis kommt, ohne daß diese Gespräche ein positives Ergebnis haben werden.
Der dritte Zweck dieser Reise ist natürlich, herauszufinden, wieweit der Integrationsprozeß Voraussetzung für eine verstärkte Kooperation im wirtschaftlichen, entwicklungspolitischen und sonstigen Bereich ist. Wir haben in der Tat in diesem Dokument gesagt, daß sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Projekte beziehen soll, die allen Fünf gemeinsam zugute kommen sollen. Nun wissen Sie — Herr Kollege Holtz, Sie haben das angesprochen, Sie, Frau Gottwald, ebenfalls; und das ist auch ein Thema in der Diskussion draußen —, daß Entscheidungen, die wir in der Politik treffen, in vielen Bereichen nicht statisch sind und daß man nicht sagt: Das ist heute so entschieden und bleibt auf alle Zeiten so.

(Abg. Brück [SPD] meldet sich weiterhin zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011410900
Herr Staatsminister, einen Moment. Bitte: Lassen Sie Zwischenfragen noch zu?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1011411000
Nein, ich möchte das gern zu Ende führen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011411100
Gut. Danke schön.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1011411200
Das gilt natürlich auch für die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Es ist nicht so, daß die Forderung, auf eine Politik der Destabilisierung zu verzichten, unzumutbar ist. Wer das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Verhältnisse gegenüber Staaten auf dieser Welt propagiert, muß es wohl gegenüber allen Staaten anwenden. Wir können nicht, wie es ja einige Redner getan haben,

(Brück [SPD]: Sie meinen Bundesminister Warnke!)

sagen, die Androhung militärischer Machtmittel sei aus ihrer Sicht nicht zulässig, aber dann Destabilisierungsmaßnahmen dieser Art etwa Nicaragua einräumen wollen. Also muß unsere Forderung sein, daß Destabilisierungsmaßnahmen unterbleiben.
Ich stimme Herrn Bundesminister Warnke ausdrücklich zu, daß die inneren Strukturen nicht die Conditio sine qua non sein können; denn dann kä-



Staatsminister Möllemann
men wir in der Tat in schwierige Verhältnisse. Aber die Sandinisten selber haben doch die drei Grundprinzipien, von denen wir immer reden und deren Verwirklichung wir anmahnen, als ihre Leitlinien nach der Revolution verkündet. Es ist, glaube ich, nicht ungebührlich, sie daran zu erinnern. Wir haben von seiten der Bundesregierung die Rede, die Präsident Ortega gehalten hat, mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Wenn das, was dort angekündigt wird, im Verhältnis gegenüber Staaten außen, aber auch im Verhältnis zur Opposition verwirklicht wird, wenn das nicht nur eine Erklärung war, die man gelegentlich an solchen Feiertagen abgibt, würde das selbstverständlich die Voraussetzungen für unsere Politik gegenüber diesem Land verändern. Das ist ja das, was wir wollen. Wir betreiben j a unsere Politik nicht, damit wir uns ein Feindbild erhalten können, sondern damit die Gegebenheiten, die wir beeinflussen wollen, sich in dem Sinn, in dem wir Politik angelegt haben, verändern.
Zu Kuba — ein bißchen konzentriert sich die Debatte j a doch sehr auf die zentralamerikanischen Staaten und weniger auf die Karibik —: Die Bundesregierung hat ihren Dialog mit diesem Land seit etwa zwei Jahren verstärkt, weil wir meinen, daß unbeschadet aller Meinungsverschiedenheiten in wichtigen Fragen dies der einzige vernünftige Weg ist, um Meinungsverschiedenheiten zu überwinden. Insofern finde ich es auch gut, wenn Abgeordnete dieses Hauses — ich habe mir das Recht j a selber auch einmal genommen, als ich noch nicht der Regierung angehörte, dorthin zu fahren und zusammen mit Kollegen dort Gespräche zu führen — solche Gespräche führen, ganz gleich, von welcher Fraktion. Aber man sollte bitte, wenn man Gespräche dort für zweckmäßig hält, nicht Gespräche mit Politikern, auch Staatspräsidenten, die möglicherweise eine ganz andere politische Richtung vertreten, die anderen vielleicht nicht paßt, als etwas außerordentlich Problematisches, nicht Akzeptables ansehen. Also, was ich da an Ablehnung der bevorstehenden Gespräche mit dem Staatspräsidenten Paraguays gehört habe, ist — mit Verlaub — aus der Rubrik Einäugigkeit.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Nichts Neues!)

Entweder wir sagen, wir sprechen mit den Regierungschefs der Länder, mit denen wir Beziehungen haben, unabhängig davon, ob wir ihre Wertvorstellungen teilen; dann sollte man das tun, unabhängig von der jeweiligen Richtung. Oder wir suchen uns welche heraus, die uns gerade nicht passen und machen danach unsere Außenpolitik; das kann nicht der Fall sein. Deswegen werden die Gespräche geführt werden. Und die, die gefordert haben, sie zu unterlassen, sollten überlegen, ob sie dabei sehr schlüssig sind.
Was Kuba angeht, eine Schlußbemerkung. Wir haben natürlich das Anliegen an dieses Land, sich uns gegenüber so zu verhalten, wie ein wirklich blockfreies Land sich verhält. Wenn man von kubanischer Seite tatsächlich blockfrei sein will — das betrifft z. B. die Frage der Berlin-Klausel, wo sich die Kubaner bisher sehr an der Verhaltensweise der Staaten des Warschauer Pakts orientieren —:
Die Akzeptierung einer Berlin-Klausel, wie Mosambik sie z. B. akzeptiert hat, wäre wahrlich ein gutes Indiz dafür, daß man es mit der Blockfreiheit ernst meint, und würde es erleichtern, den Dialog auch auf hoher politischer Ebene zu führen.
Ich danke Ihnen für Ihr Zuhören

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011411300
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zuerst über die Änderungsanträge abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2732 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2739 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.

(Die Abgeordneten der GRÜNEN geben nur zum Teil ein Handzeichen)

— Die GRÜNEN werden gebeten, Ihrem Antrag zuzustimmen. —

(Heiterkeit und Zurufe)

Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Drucksache 10/2562 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Catenhusen, Fischer (Homburg), Grunenberg, Nagel, Stahl (Kempen), Stockleben, Vahlberg, Vosen und der Fraktion der SPD
Vorlage eines Programms „Biotechnologie" — Drucksache 10/1911 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie (federführend) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt vor, daß jede Fraktion einen Beitrag bis zu zehn Minuten leisten kann. — Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1011411400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Biotechnologie, ein Thema — man



Vosen
sieht es wieder —, das wohl nur wenige Experten interessiert, obwohl das ein Thema ist, das die wirtschaftliche Zukunft unseres Volkes vermutlich mehr beeinflußt als unser Verhältnis zu Südamerika.

(Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Wie ist es mit der Ökologie?)

Dies einmal als Bemerkung vorweg. Im übrigen erleben wir Forschungs- und Wirtschaftspolitiker das ja öfter. Ich will das vorangegangene Thema nicht kritisieren, nur bedaure ich das ein wenig.

(Lenzer [CDU/CSU]: Über Nicaragua läßt sich eben leicht philosophieren!)

Nun, meine Damen und Herren, die biotechnische Forschung ist Grundvoraussetzung für eine neue zukunftweisende Industrie, die für die Bundesrepublik Deutschland von höchster Bedeutung ist. Biotechnologie gehört zu den sogenannten neuen Technologien wie z. B. die Informationstechnologie, Automatenprogramme, Mikroelektronik usw. Bereits heute haben die Japaner und Amerikaner, aber auch England und die Schweiz einen erheblichen Forschungsvorsprung bzw. Innovationsvorsprung. Damit dieser Abstand zwischen der Bundesrepublik und den USA bzw. Japan nicht noch größer wird, ist es dringend erforderlich, eine Konzeption zu entwickeln, die der biotechnischen Forschung aber auch deren Umsetzung in der Industrie im positiven Sinne hilft.
Welche industriepolitische Bedeutung die Biotechnologie hat, möchte ich nur an einigen wenigen Beispielen anführen. So können z. B. Verbesserung der Düngemethoden, Schädlingsbekämpfung, Herstellung hochwertiger Nahrungs- und Futtermittel, Produktion von Impfstoffen, Vitaminen, Hormonen, Antibiotika und anderer Pharmaprodukte, Abbau von Schadstoffen bei der Abwasserreinigung, Treibstoffgewinnung, z. B. aus Zucker, Nutzung von Reststoffen nachwachsender Rohstoffe und Aufbereitung von Erzen mit Mikroorganismen mittels Biotechnologie durchgeführt werden. Also, Dinge, die für den Umweltschutz wichtig sind, die für die Energiepolitik wichtig sind, die für die Ernährung der Dritten Welt wichtig sind, können mit diesen Technologien positiv beeinflußt werden. Auch unsere Industrie, die technische Chemie, die Biochemie, die Bioverfahrenstechnik, die Bioelektronik und die Medizin werden Impulse durch die Biotechnologie erfahren.
Auch beschäftigungspolitische Akzente werden durch diese neuen Technologien gesetzt. Auch da werden viele Tausende, wenn nicht Hunderttausende neue Arbeitsplätze entstehen oder aber bestehende Arbeitsplätze gesichert werden können.
Um so unverständlicher ist es, daß bisher kein geschlossenes Konzept zur Förderung der Biotechnologie seitens der Bundesregierung vorliegt. — Ich sehe, daß der Minister heute bei diesem wichtigen Thema fehlt. Wenn man davon ausgeht, wieviel Programme er schon gemacht hat, ist er praktisch der einzige Sozialist in der Regierung. Früher hat man den Sozialdemokraten immer vorgeworfen: Wenn denen nichts mehr einfällt, dann machen sie ein
Programm. — Ich muß sagen: Da er schon so viele Programme gemacht hat, muß er ein Sozialist sein. Ich muß jedoch feststellen, daß er nicht anwesend ist. Vielleicht merkt er jetzt, daß er zu viele Programme gemacht hat,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Seine Programme sind im Gegensatz zu Ihren realitätsbezogen!)

vielleicht merkt er aber auch, daß er sie nicht bezahlen kann, Herr Kollege.
Es gibt also kein geschlossenes Konzept, obwohl wir Sozialdemokraten im Oktober 1983 Initiativen gefordert haben. Wir haben ein Hearing beantragt, das am 28. März stattfand. Dabei wurden zahlreiche Gutachter gehört. Alles, was vorgetragen wurde, drang scheinbar nicht bis zur Regierung durch. Das bedeutet für mich, daß diese Regierung einschließlich der Mehrheitsparteien im Ausschuß wenig darauf gibt, was der Forschungsausschuß beschließt.

(Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011411500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1011411600
Frau Präsidentin, wenn ich das nicht auf meine Redezeit angerechnet bekomme, mache ich das gern.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011411700
Bitte schön.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1011411800
Wenn ich Zeit habe, am Schluß. Ich freue mich förmlich darauf. — In dem jetzt vorliegenden Antrag wird die Regierung aufgefordert, tätig zu werden. Auch dieser Antrag hat bisher keinen Erfolg gehabt. Die Bundesregierung steht in Fragen der Biotechnologie — einmal rein politisch gesehen — völlig nackt da.

(Lenzer [CDU/CSU]: Bei der Figur kann sie sich auch sehen lassen!)

Da ist nichts; da wird nur ein bißchen herumgefummelt. Die letzten eineinhalb Jahre sind durch Untätigkeit gekennzeichnet. Diese Untätigkeit wird natürlich von den Vereinigten Staaten, von England, Japan und der Schweiz begrüßt, die in dieser Zeit ihren Vorsprung ausbauen konnten.
Was ist nun der Grund für dieses Verharren in Untätigkeit? Es ist ein simpler Streit, Herr Staatssekretär. Die Regierung will die Biotechnologie nämlich an einer Stelle ansiedeln, und zwar in Braunschweig-Stöckheim, damit die Großindustrie da zugreifen kann. Demgegenüber schaut die mittelständische Industrie, die Sie, Herr Lenzer, j a sonst immer fördern, in die Röhre. Das müssen wir leider feststellen. Das hat uns eineinhalb Jahre gekostet. Auch jetzt ist noch nicht entschieden, ob wir Forschung in zwei Zentren, nämlich in Jülich und in Braunschweig, betreiben.
Dazu sagte Herr Professor Rehm aus Münster als nicht betroffener Wissenschaftler, aber als Sachverständiger in der Anhörung — ich zitiere —:
Es sollten an mehreren Stellen staatlich geförderte Biotechnologie-Institute ...



Vosen
— ähnlich wie in den USA und in Japan —
aufgebaut werden. Nur auf diese Weise ist die räumliche Nähe zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu erreichen, welche für eine fruchtbare Zusammenarbeit und für einen erfolgreichen Technologie-Transfer notwendig ist. Ferner ist ein gesunder Wettbewerb
— Sie betonen ja immer, Sie seien Freunde eines gesunden Wettbewerbs —
zwischen mehreren Forschungsinstituten stimulierend.
Ich meine, daß diese Konkurrenzsituation einen vernünftigen Fortschritt bringen kann.
Das BMFT hat den Fortschritt im Bereich der Biotechnologie sogar behindert. So schrieb z. B. ein Herr Baron Pilar von Pilchau — das ist ein Berater der Zellstoffindustrie — vor genau einem Jahr, am 14. Januar 1984, an den Bundesforschungsminister:
Leider werden unsere gemeinsamen Aktivitäten durch das BMFT nicht nur bedroht, sondern auch bereits gehemmt. So wird seit Monaten über ein Projekt in Ihrem Hause nicht entschieden, das eigentlich schon als förderungswürdig anerkannt worden ist. Es handelt sich hierbei um ein spezielles ... Behandlungsverfahren für das organisch hochbelastete Brüdenkondensat einer Zellstoffabrik. Dieses Projekt ist richtungsweisend für die Zellstoffindustrie der ganzen Welt.
Das heißt: Hier könnten wir federführend sein. Aber es wird behindert; es wird nicht entschieden, weil im BMFT nicht geklärt ist, wie biotechnologisch überhaupt geforscht werden soll.
Auch die Finanzierung eines solchen Förderungsprogramms ist bis heute in keiner Weise klar. Während für die Weltraumfahrt Milliarden ausgegeben werden, um eventuell Kriegsforschung

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Quatsch!)

mit den USA im Weltraum zu betreiben, haben Sie für die friedliche Nutzung der Technik auf Erden bisher mittelfristig kein Geld in ausreichender Weise zur Verfügung gestellt.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das kann nicht von Ihnen sein!)

— Das ist die Tatsache.
Auch an den Hochschulen wird zuwenig getan. Vernünftige Programme für die Förderung von Doktoranden mit Themen aus der Biotechnologie fehlen völlig.
Sie haben darüber hinaus kaum etwas getan, um die mittelständische Wirtschaft zu fördern; denn auch diese ist flexibel und schnell bei der Einführung neuer Technologien — im Gegensatz zu den bürokratisch organisierten Großunternehmen. Auch hier widersprechen Sie sich: Einmal sagen Sie, Sie förderten den Mittelstand, aber wenn es konkret wird, kommen Sie nicht über. Dies ist sehr bedauerlich.
Zur Sicherheitsforschung: Die Risiken der Biotechnologie — auch darauf möchte ich hinweisen — darf man nicht unter den Tisch kehren. In dieser Richtung ist überhaupt noch nichts geschehen. Es gibt zwar Kommissionen, aber übergekommen in der Öffentlichkeit ist nichts. Wenn es uns nicht gelingt, in aller Offenheit klarzumachen, welche Gefahren dort liegen, im Vorfeld Aufklärung zu betreiben und Selbstbeschränkung auf das ethisch Machbare zu üben, und zwar unter Beteiligung der Betroffenen, besonders der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften, werden wir gesellschaftspolitische Widerstände gegen die Einführung solcher Technologien haben.
Meine Redezeit ist, soweit ich sehe, um. Ich habe meinen Beitrag ein wenig verkürzt. Ich würde gern noch mehr dazu sagen. Aber das können wir fortsetzen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich sage nur: Diese Bundesregierung ist uns ein vernünftiges Programm zur Förderung der Biotechnologie in der Bundesrepublik Deutschland noch schuldig.

(Beifall bei der SPD — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das war sogar für Sie eine schlechte Rede!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011411900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seesing.

Heinrich Seesing (CDU):
Rede ID: ID1011412000
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dieser Mittagstunde geht es um Fragen der Biotechnologie insgesamt, am späten Nachmittag werden dann die speziellen Fragen der Gentechnologie im Hohen Hause behandelt werden. Ich bitte um Verständnis, wenn ich deswegen so manchen eigentlich besonders wichtigen Punkt nicht ansprechen werde. Ich werde versuchen, auf die Angriffe und Vorwürfe des Herrn Vosen einzugehen. Vielleicht ergibt sich am Ende doch eine sachliche Zusammenführung.
Es wäre sehr erfreulich, wenn neben der Öffentlichkeit auch alle Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten aus beiden Diskussionen ersähen, welche Stellung die Biotechnik in den kommenden Jahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erlangen wird.
Ich gehe davon aus, daß wir die Entwicklung bisher kaum ermessen können. Wir begreifen ja auch noch immer nicht, wie die Mikroelektronik schon unser aller Leben beeinflußt und geändert hat. Dabei werden wir den eigentlichen Siegeszug dieser Technik, wie man so zu sagen pflegt, erst noch erleben. Die Biotechnik wird dahinter nicht zurückstehen. Im Gegenteil, ich glaube, sie wird sogar noch bedeutender werden.
Daß sich nun die Politik mit diesen Fragen befassen muß, hat ganz einfach damit zu tun, daß die neuen Techniken so großen Einfluß auf unsere Gesellschaft und damit auf jeden von uns haben werden, daß durchaus von einer Veränderung gesprochen werden kann.



Seesing
Es gibt eine breite Palette von Möglichkeiten biotechnischer Forschung, Entwicklung und Anwendung. Deswegen ist es schon sinnvoll, nach einem Programm „Biotechnologie" für die kommenden Jahre zu fragen, wenn man an die Möglichkeiten der Biotechnologie insgesamt, an die Kapazitäten in der Bundesrepublik, an die Finanzplanung, die von Herrn Vosen angesprochen wurde, und an die Vorgaben der Forschungspolitik denkt.
Nun will sich die Fraktion der SPD, Herr Vosen, nicht mit der Zusage des Forschungsministeriums zufriedengeben, daß es demnächst ein Biotechnologie-Programm vorlegen werde, wie das auch im Ausschuß vorgetragen wurde. In der Tat ist, wie wir wissen, ein solches Programm in Arbeit. Ich gehe davon aus, daß es in der ersten Hälfte dieses Jahres bekanntgemacht werden kann. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte die Vorlage dieses Programms abwarten. Sie hält deswegen den Antrag der SPD zu diesem Zeitpunkt weder für notwendig noch für zweckmäßig.

(Vosen [SPD]: Das ist schmerzlich!)

Aber wir wollen uns dennoch mit der Materie an sich auseinandersetzen.
Biotechnik ist nun nicht etwas, was über Nacht auf uns zugekommen wäre. Im Grunde kennen wir biotechnische Verfahren seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden. Es wird auch immer das Beispiel vom Brotbacken und Bierbrauen angefügt.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber die SPD-Regierung kannte es nicht! — Lenzer [CDU/CSU]: Die trinken nur Freibier!)

Biotechnische Verfahren werden nun auf Grund der fortgeschrittenen Kenntnisse und Erkenntnisse in der landwirtschaftlichen und der industriellen Produktion in immer größer werdendem Umfange eingesetzt. Diese Verfahren werden es zulassen, die Verfügbarkeit und die Nutzung von Naturstoffen zu erweitern. Herr Vosen hat darauf hingewiesen.
Wir halten die Biotechnologie auch für eine zukunftsorientierte Schlüsseltechnologie, deren Anwendung wesentliche Beiträge zur Verbesserung der Lebensbedingungen und zur Steigerung des Wirtschaftswachstums verspricht. Wir gehen davon aus, daß sie in ihrer Bedeutung nur mit der Mikroelektronik, wie ich schon sagte, und der Informationstechnologie zu vergleichen ist oder auch etwa mit der Bedeutung der Chemie für die industrielle Entwicklung in unserem Jahrhundert.
Diese Einschätzung stützt sich wohl zu Recht auf den sprunghaften Anstieg der Erkenntnisse auf den Gebieten der molekularbiologischen, der zellbiologischen und auch der gentechnologischen Forschung sowie auf die Entwicklung von Methoden zu ihrer Nutzung. Von der weiteren Entwicklung der Biotechnologie erwarten wir viele Kenntnisse für neue Produkte, Ernährung, Umweltschutz und Medizin.
Meine Damen und Herren, sicher ist auch hier nicht alles Gold, was glänzt. Wenn z. B. die Anwendung bestimmter technischer Verfahren zur Herbeiführung des Nachwuchses von Säugetieren durchaus sinnvoll sein kann, so müssen gegen deren Anwendung beim Menschen aber erhebliche Bedenken vorgetragen werden. Diese gehen weit in den humanmedizinischen Bereich hinein. Wenn ich z. B. an die in diesen Tagen vieldiskutierte Frage nach der ethischen und der rechtlichen Problematik der Leihmütter denke, so sehe ich hier eine Aufgabe unserer Rechtspolitik, schnell zu einer gesetzlichen Lösung zu kommen. Ich persönlich würde mich für eine Gesamtbehandlung von künstlicher Besamung, Reagenzglaszeugung und Embryotransfer aussprechen, wobei ich für erhebliche gesetzliche Einschränkungen bin. Ich gehe aber davon aus, daß meine Kollegin Frau Dr. Neumeister am Nachmittag wegen der hinzukommenden Möglichkeiten gentechnischer Manipulationen dazu noch ein ernstes Wort sagen wird.
Ich darf nun auf den Wunsch nach der Vorlage eines Programms „Biotechnologie" zurückkommen. Bei der Durchsicht der Drucksache 10/1911 wird deutlich, daß mit einigen Abweichungen die Auffassungen über Ziele, Schwerpunkte und Beurteilung der Biotechnologie mit unseren Auffassungen übereinstimmen. Auf die Abweichungen werde ich noch eingehen.
Wir begrüßen die erkennbare positive Haltung der Sozialdemokraten zu den Chancen der Biotechnologie. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, durch Forschung und Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Innovationen zu vielen Anwendungsbereichen zu kommen, die für die Menschen und unsere Umwelt von großem Nutzen sein dürften. Der Katalog unter II der genannten Vorlage ist ein beredtes Zeugnis für die Chancen, die sich uns hier auftun.
Allerdings muß ich anmerken, daß hier keine neuen Anwendungsfelder sichtbar werden, die nicht von der Bundesregierung in ihrer Förderpraxis bereits mit allen Beteiligten diskutiert, teilweise bereits aufgegriffen oder für das neue Programm „Biotechnologie" vorgesehen wurden.
Es ist dennoch erfreulich, daß hier eine weitere Möglichkeit gegeben wird, von der mehr technikfeindlichen Diskussionen in bestimmten Bevölkerungskreisen wegzukommen.
Die gleichzeitige Betrachtung von Chancen und Risiken technischer Möglichkeiten wird das Abwägen und die Entscheidung erleichtern. Daß wir uns solchen Gedankengängen nicht verschließen, machen unsere weitgehende Übereinstimmung bei der Festlegung der Aufgaben der Enquetekommissionen „Gentechnologie" und die Planungen für eine Kommission „Technikfolgenabschätzung" deutlich.
Allerdings setzen wir darauf, daß — mit wenigen Ausnahmen — staatliche Vorgaben unterbleiben müssen. Wir gehen davon aus, daß eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Forschung, Wissenschaft und Industrie der Bundesrepublik auch im Bereich der Biotechnologie eine für die Zukunft wichtige Marktstellung eröffnen wird. Forschungs- und Entwicklungsrückstände gegenüber den USA und einigen anderen Ländern, die Herr Vosen genannt hat, möchten wir durch Schaffung



Seesing
von Freiräumen für Forschungs- und Unternehmeraktivitäten sowie die effiziente Zusammenführung bestimmter Forschungsbereiche abgebaut wissen. Wir möchten — wenn Sie es deutlich hören wollen — den marktwirtschaftlichen Aspekt gestärkt wissen. Dazu ist es notwendig, den Abbau bürokratischer Hemmnisse besonders auch in unseren staatlichen Forschungseinrichtungen entschieden voranzutreiben.
Nun noch ein Wort zu der Forschungslandschaft „Biotechnologie". Der SPD-Antrag hält an dem Konzept der dezentralen Gliederung der biotechnischen Großforschung mit den Standorten Braunschweig-Stöckheim und Jülich fest. Die Bundesregierung möchte eine Straffung möglichst an einem Standort haben.
Als Nordrhein-Westfale begrüße ich ausdrücklich, daß sich das Land Nordrhein-Westfalen — auch auf Drängen von Herrn Dr. Worms hin — nun entschlossen hat, in Jülich neue Einrichtungen für die Biotechnologie zu schaffen und auch selbst voll zu finanzieren.

(Catenhusen [SPD]: Legendenbildung!)

— Das können Sie nachprüfen. Lesen Sie die Protokolle des Landtags Nordrhein-Westfalen, wenn Sie Zeit dazu haben. Sonst lassen Sie sich einen Auszug machen.
Der Bund wird viele andere Forschungsbereiche in Jülich wie bisher und neue dazu fördern, wobei wir auch etwas mehr Beweglichkeit der Großforschungseinrichtungen insgesamt erwarten.
Wir sollten uns allerdings bei allem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt darauf besinnen, daß es immer um die Stellung des Menschen in der Schöpfung geht. Deswegen ist es unabdingbar, daß ethische Fragen vor der Schaffung von technischen Tatsachen geklärt werden. Wenn wir den ständigen Dialog von Wissenschaftlern, Technikern, Politikern und Ethikern fördern, werden wir einen Beitrag dazu leisten, daß neues Vertrauen entsteht. Der Mensch bleibt Herr des Fortschritts.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011412100
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hickel.

Dr. Erika Hickel (GRÜNE):
Rede ID: ID1011412200
Ich wäre mehr für die Herrinnen des Fortschritts.
Frau Präsidentin!

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Frau Herrin Präsidentin!)

Meine Damen und Herren! Herr Vosen, sicher ist es richtig, den Forschungsminister — was beide Oppositionsparteien schon seit über einem Jahr im Ausschuß tun — nun noch einmal dringlichst aufzufordern, endlich ein Programm vorzulegen, aus dem seine Vorstellungen zur Förderung der Biotechnologie in den nächsten Jahren schlüssig hervorgehen. Bis jetzt haben wir dazu nichts Konsistentes gehört. Die Versprechungen mit dem halben Jahr,
die Herr Seesing gibt, hören wir jetzt schon seit anderthalb Jahren.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Quatsch! Das stimmt nicht!)

Auch haben wir in Sachen Reorganisation der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig-Stöckheim nichts Überzeugendes erlebt. Nur, denke ich, ist Ihr Antrag von der SPD mit dem immer wiederholten Om mani padme hum von dem Schlaraffenland, das wir durch die Biotechnologie erleben

(Catenhusen [SPD]: Davon steht nichts im Antrag!)

— aber das war das, was Herr Vosen vorgetragen hat, es war die uralte Leier, die wir schon oft gehört haben und die ebensooft widerlegt wurde —, 'nun wirklich nicht geeignet, die Zukunftsplanung auf dem Gebiet der Biotechnologie überzeugender als bisher zu gestalten. Denn der SPD-Antrag entläßt den Forschungsminister nicht aus dem Dilemma — das dem Nichtzustandekommen eines schlüssigen Biotechnologieberichts bisher zugrunde liegt —, daß sich der Forschungsminister vornehmlich oder fast nur nach den Ratschlägen einiger weniger größerer Industriekonzerne und der ihnen nahestehenden Wissenschaftler richtet, wie wir ja vor allen Dingen in dem Gutachten zur GBF deutlich sehen konnten. Die langfristigen Bedürfnisse der Menschen, der Volkswirtschaft und des Umweltschutzes bleiben dabei auf der Strecke. Den gewünschten Kompromiß kann man auch in Ihrem Antrag nicht finden.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Darin unterscheidet sich der Antrag der SPD nicht im geringsten von der Regierungspolitik. Die ausschließliche Orientierung an den Wünschen der Privatwirtschaft, die kurzfristig und rein betriebswirtschaftlich ausgerichtet sind, ist auch Ihrem Antrag eigen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Langfristige gesamtgesellschaftliche und volkswirtschaftliche Bedürfnisse, die gerade bei einer richtig verstandenen Biotechnologie ausschlaggebend sein sollten, spielen hier nicht die Rolle, die wir GRÜNEN ihnen beimessen würden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011412300
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Catenhusen?

Dr. Erika Hickel (GRÜNE):
Rede ID: ID1011412400
Wie ist das mit der Anrechnung auf die Redezeit?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011412500
Nein, das wird nicht angerechnet.

Dr. Erika Hickel (GRÜNE):
Rede ID: ID1011412600
Bitte sehr.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011412700
Bitte, Herr Catenhusen.

Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1011412800
Frau Hickel, haben Sie unserem Antrag entnommen, daß wir z. B. vorschlagen, an der Erarbeitung eines solchen Programms auch



Catenhusen
Vertreter gesellschaftlicher Gruppen, der Gewerkschaften und anderer, zu beteiligen?

Dr. Erika Hickel (GRÜNE):
Rede ID: ID1011412900
Was heißt hier „und andere"? Das ist das entscheidende Pünktchen, um das wir uns im Ausschuß noch streiten werden.

(Catenhusen [SPD]: Dafür sind wir ganz offen!)

— Das höre ich sehr gern.
Völlig undifferenziert werden in Ihrem Antrag gefährliche Techniken und deren Förderung propagiert. Es werden Vorschläge zur biotechnischen Lösung von Problemen gebracht, die vornehmlich mit Wirtschafts- und Sozialpolitik anzugreifen wären. Es fehlen wichtige Bestandteile einer zukunftsorientierten Biotechnologiepolitik.
Ich nenne Beispiele. Man will etwa die „Genetik industriell relevanter Mikroorganismen" und die dazugehörige Forschung und Lehre fördern, obwohl die Enquete-Kommission „Gentechnologie" — um gentechnisch manipulierte Organismen handelt es sich hier — noch gar nicht geklärt hat, ob nicht die industrielle Nutzung von gentechnisch manipulierten Lebewesen im Großen grundsätzlich verantwortungslos und gefährlich ist, wie z. B. die GRÜNEN bisher befürchten.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Die befürchten alles!)

Soviel Sicherheitsforschung und Technologiefolgenabschätzung, wie Sie unter Punkt V in Ihrem Antrag als Alibi fordern, kann man überhaupt nicht betreiben, wie es angesichts dessen nötig wäre, was Sie sich an Problemen mit dem Punkt II — „Angewandte Forschung" — einbrocken werden. Wenn sogenannte Genetik an den Hochschulen gefördert wird, wie unter Punkt IV geschrieben steht, dann wäre das meines Erachtens höchstens unter der Präzisierung sinnvoll, daß diese Förderung nicht einseitig auf Molekulargenetik ausgerichtet wird, sondern unter Einbettung in die allgemeine Biologie, in die neuere Evolutionstheorie, die Wissenschaftstheorie und unter intensiver Bewertung der gesellschaftlichen und ökologischen Wünschbarkeit der Förderung dieses Faches geschieht.
Auch ist es, denke ich, wahrhaft leichtsinnig, einfach einmal so, wie Sie es tun — ich zitiere — „die Nutzung der Syntheseleistung manipulierter Bakterien und tierischer sowie pflanzlicher Zellen" zu fordern, wo doch zunehmend Fakten auf den Tisch kommen, daß gerade bei den Kulturen von derart manipulierten Zellen unverhofft Entgleisungen auftreten können, bei denen plötzlich oder, was fast noch schlimmer ist, ganz schleichend und langfristig völlig unvorhergesehene krankheitserregende Viren oder DNS-Partikel auftauchen können.

(Catenhusen [SPD]: Wollen Sie denn die Forschung auf dem Gebiet der Zellkultur verbieten?)

Das mindeste wäre ja wohl auch hier, die Ergebnisse der Enquete-Kommission erst einmal abzuwarten. Wir GRÜNEN werden dagegen immer — das ist die Antwort auf Ihre Frage — in Umkehr der
Beweislast fordern, daß man derartige Verfahren erst auf ihre Ungefährlichkeit hin überprüft — ich bin dafür, das zu tun —, und daß man, wenn man die Ungefährlichkeit nicht belegen kann, solche Methoden nicht noch von Staats wegen zusätzlich fördert.
Warum schlägt die SPD statt dessen nicht z. B. vor, Methoden der Umweltverträglichkeitsprüfung auf biotechnischem Gebiet zu fördern? Das ist etwas, was wir wirklich brauchen, und das würde auch die Forschung auf diesem Gebiet ganz entscheidend weiterbringen. Das würde zu Folgeeinsichten auf dem Gebiet der Biotechnologie führen.
Auch gefährliche Fördermethoden übrigens schlägt die SPD meines Erachtens in ihrem Antrag vor. Die sogenannte „Beschleunigung des Technologietransfers", die „Verbundforschung mit der Industrie", die „Einrichtung von" wohl durchweg privatwirtschaftlich geführten „Genzentren", das alles sind Methoden, die das wissenschaftliche, wie es einmal genannt wurde: Entrepreneurtum und die unsolide Wissenschaft

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Was heißt das auf deutsch?)

zu fördern sehr geeignet sind, wie es ein bedeutender Wissenschaftstheoretiker, Ravetz, einmal gesagt hat.

(Dr. Soell [SPD]: Sind Sie der Meinung, daß nur privat betriebene Wissenschaft absolut schädlich ist?)

— So wie diese Genzentren jetzt geplant sind, ja. Ich denke allerdings, daß sie wirklich ein Nährboden für unsolide Wissenschaft sein können und vermutlich auch sein werden. Das befürchte ich. Darüber können wir noch einmal diskutieren.
Andererseits will die SPD durch Methoden, die wie die gentechnischen tausenderlei unbeabsichtigte Folgen zeitigen können, „Wirkstoffe gegen Tropenkrankheiten entwickeln" oder den „Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft verringern", obwohl gerade bei diesen Problemen keine biotechnischen, sondern sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen gefragt sind. Tropenkrankheiten bekämpft man im großen Stil am besten durch hygienische Maßnahmen und vor allem durch die Umverteilung der Nahrungsmittelproduktion in der Welt und nicht auf dem Weg über Bioalkohol, der den Völkern der Dritten Welt nur die Grundnahrungsmittel nehmen würde.

(Catenhusen [SPD]: Das steht auch nicht drin!)

Man müßte die Ernährungslage in der Dritten Welt verbessern und die Abwehrkräfte der Bevölkerung wiederherstellen. Das ist die Methode. Man sollte nicht gentechnisch manipuliert hergestellte Impfstoffe in riesigen Mengen an Leute verkaufen, die sie gar nicht bezahlen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Pestizidanwendung vermeidet man am besten
durch biologischen Landbau und nicht durch gentechnische Monstren. Soll das wirklich die zukünf-



Frau Dr. Hickel
tige SPD-Politik sein? Ich hoffe doch, daß Sie davon wieder herunterkommen.

(Catenhusen [SPD]: Davon steht in unserem Antrag nichts drin! Sie polemisieren gegen etwas, was nicht da ist!)

— Wenn Sie das im Ausschuß noch relativieren oder verändern, werde ich mich freuen.

(Catenhusen [SPD]: Das ist eine Pflichtübung, die Sie jetzt machen!)

— Nein, nein, der Text ist so formuliert. Sie hätten ihn anders formulieren sollen. Ich denke auch, daß er Ihnen inzwischen leid tut, Herr Catenhusen. Das denke ich allerdings.

(Lenzer [CDU/CSU]: Lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen! Geben Sie es ihnen einmal!)

Wichtige Aspekte einer zukunftsorientierten Biotechnologie dagegen werden hier in Ihrem Antrag ebenso wie in der BMFT-Politik vernachlässigt. Die Syntheseleistungen von natürlich vorkommenden, keineswegs manipulierten Pflanzen und Tieren beziehen sich ja nicht nur — wie bei Ihnen geschrieben wird — auf Grundchemikalien, sondern z. B. auch auf Verbrauchsstoffe wie Farben, Lacke, Imprägnierungsmittel und Konservierungsstoffe. Sie werden bloß unter Ausnutzung des Sonnenlichts abfallfrei und ohne Umweltschädigung z. B. in tropischen Wäldern, die man dazu nicht einmal abzuholzen braucht, produziert. Warum fördert man nicht diese Biotechnologie? Weil sich dann nicht annähernd so viel Kapital amortisiert oder weil dann Arbeitsplätze bloß in der Dritten Welt und nicht bei uns geschaffen werden? Ich bitte doch, darüber einmal nachzudenken.
Nehmen Sie die Abwassertechnologie. Die naturnahen Verfahren zur Abwasserreinigung wie z. B. die in Deutschland entwickelte Wurzelraumentsorgung, die man in Kassel entwickelt hat, warten vergeblich auf eine Förderung durch das BMFT, und der SPD-Antrag scheint davon auch nichts zu wissen. Was ist das für eine Opposition!
Auch bei der Technikfolgenabschätzung sind Ihre Ideen keine anderen als die der Regierung. Ich kann nur hoffen, daß sich das ändern wird. Ich sehe in Ihrem Antrag überhaupt nur den Versuch, die Regierung zu stützen und ein bißchen mitregieren zu wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/ CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist uns bisher verborgen geblieben!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011413000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.
Herr Professor, erlauben Sie mir eine mir nicht zustehende Äußerung — aber es ist ein so wahnsinnig brennendes Thema —: Ob das draußen einer verstanden hat, was wir hier heute vormittag gehört haben? Kann man so etwas darstellen, daß es die Menschen draußen verstehen?

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1011413100
Ich teile Ihre Bedenken, und deshalb ist die Frage zu stellen, inwieweit man ein breites Interesse der Öffentlichkeit überhaupt weckt und inwieweit wir dazu einen Beitrag leisten, daß wir mit unseren Diskussionen — —

(Zurufe von der SPD)

— Bisher haben die Studenten jedenfalls keine Schwierigkeiten gehabt, Herr Vahlberg, und von Ihnen habe ich das auch noch nicht erfahren. Wenn es anders sein sollte, wäre mir das neu; dann werde ich es bei mir selbst bedenken.

(Dr. Soell [SPD]: Das sind ja schon halbe Fachleute! — Weitere Zurufe von der SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wundere mich auch immer wieder, wie man diskutiert. In den Ansätzen kam das j a zum Tragen. Wir reden über Biotechnologie und tun so, als ob das etwas völlig Neues sei. Wir vergessen dabei, daß der größte Teil dessen, was uns umgibt, mit dem wir leben und von dem wir leben, natürlich auf Biotechnologie in irgendeiner Art zurückzuführen ist. Es sind uralte Kulturtechniken, mit denen wir es zu tun haben. Schließlich stellen wir unser ganzes Ernährungssystem darauf ab. Was ist denn in den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte anderes gemacht worden, als durch gezielte Selektion von Mutationen, durch Züchtungen von Tieren und Pflanzen in diesem Bereich natürlich unsere Lebensgrundlage zu sichern? Ich wundere mich, Frau Kollegin Hickel, daß Sie das alles so ein bißchen hintanstellen.
Wir haben schon in der Volksschule, Frau Kollegin Hickel, Pflanzen durch Klonieren gezüchtet, und zwar nicht durch Genmanipulation, sondern durch ganz natürliche Entwicklungsprozesse. Gehen Sie doch einmal in eine Gärtnerei und sehen Sie sich dort an, wie Pflanzen gezüchtet werden, indem man Blätter und Teile von Blättern nimmt und daraus neue Pflanzen züchtet.

(Zuruf der Abg. Frau Dr. Hickel [GRÜNE])

Wir haben in die natürlichen Evolutionsprozesse beschleunigend eingegriffen, sicherlich nicht zu unserem Nachteil.
Nun ist neuerdings etwas hinzugekommen. Das ist wirklich etwas Neues. Es sind grundlegende Erkenntnisse in der Gentechnologie über die Neukombination von Genen. Dadurch zeichnen sich offensichtlich neue Möglichkeiten ab. Ich sage das bewußt so zurückhaltend. Es zeichnen sich neue Möglichkeiten zur zukünftigen Lösung von Welternährungsproblemen, zur Züchtung etwa schädlingsresistenter Nutzpflanzen ab. Gerade das muß doch Ihr Anliegen sein, Frau Kollegin Hickel, nämlich nicht herbizidresistente Nutzpflanzen zu züchten, nicht den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, sondern zur Vermeidung von Chemie mit natürlichen Entwicklungen, mit Mikroorganismen die Schädlinge zu bekämpfen.

(Zuruf der Abg. Frau Dr. Hickel [GRÜNE])




Dr.-Ing. Laermann
— Auch das sollte Ihnen nicht entgangen sein, daß es gerade auch im biologischen Landbau nur funktioniert, wenn Mikroorganismen wirken.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Ohne dies funktioniert im normalen Landbau überhaupt nichts. Kenntnisse darüber zu gewinnen, wie die Wirkungsmechanismen sind, ist schon des Schweißes der Edlen wert. Darum sollten wir uns bemühen, denn zur Zeit entwickeln sich diese Mikroorganismen in der Natur unkontrolliert und un-steuerbar. Entgegen Ihren Ausführungen müssen Sie davon ausgehen, daß es durchaus Bereiche gibt, wo es notwendig ist, um den Menschen, um die Natur zu schützen, diese unkontrollierte Entwicklung von Mikroorganismen in den Griff zu bekommen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist sicherlich eine wichtige Aufgabe, neue Nutzpflanzen etwa zur Stickstoffixierung zu züchten, damit man den von Ihnen so geschmähten Kunstdünger nicht mehr braucht, und es ist sicherlich auch notwendig, neue Nutzpflanzen zu züchten, die auch noch unter schwierigsten Wachstumsbedingungen gedeihen, etwa in ariden Gebieten oder auf besonders unfruchtbaren, derzeit noch unfruchtbaren Böden, nämlich zum Zwecke der Rekultivierung und zum Aufhalten der in der Welt fortschreitenden Verwüstung und Versteppung. Wie wollen wir eigentlich eine wachsende Weltbevölkerung, die ja auch auf einen biologischen Prozeß zurückzuführen ist — und Krankheits- und Seuchenbekämpfung sind eine humane Aufgabe, der wir verpflichtet sind —, zukünftig versorgen, wenn wir nicht auf diesem Gebiet — eben durch Einsatz von Geist — diese Schwierigkeiten bewältigen, Frau Kollegin Hickel?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich möchte auch darauf hinweisen, daß es notwendig ist, sich mit dem Problem der nachwachsenden Rohstoffe zu beschäftigen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Auch dies ist eine wichtige Aufgabe, eine Aufgabe für eine neue Landwirtschaft. Sie wollen bloß immer alternativen Landbau, ohne zu erklären, was das ist; denn die Biologie im Landbau wollen Sie ja auch nicht.

(Zuruf der Abg. Frau Dr. Hickel [GRÜNE])

Sie wollen j a auch nicht die Gülle ungehindert auf die Felder verstreut und versprüht wissen. Also gibt es natürlich auch hier neue Aufgaben.
Sie haben von dem Verteilungsproblem auf Grund der Überproduktion von Nahrungsmitteln gesprochen. Wäre es nicht auch sinnvoll, sich damit zu beschäftigen, wie wir durch neue Züchtungen zu neuen Entwicklungen kommen können? Das geschieht z. B. bei der Bekämpfung der Krautfäule bei der Kartoffel. Da geht es um eine Bekämpfung nicht durch Chemikalien, sondern durch resistente Stämme. Man muß Fäulnisprozesse, natürliche biologische Prozesse, beeinflussen, damit wir eben die
Verteilung der Nahrungsmittel sicherstellen können.
Heute wird beklagt, daß so viel Obst vernichtet wird. Was soll man denn damit machen? Wenn Sie es liegenlassen, verfault es. Wollen Sie den Bäumen verbieten, daß auf ihnen Äpfel wachsen? So viele Äpfel, wie da wachsen, können Sie gar nicht essen. Also können Sie nur sagen: Entweder hacken wir die Bäume ab, oder die Äpfel verfaulen eben. Zum Teil verfaulen sie ja schon auf den Bäumen. Das ist ja nicht „Vernichtung", sondern auch ein natürlicher biologischer Prozeß. Davon sind wir nun einmal umgeben. Deswegen meine ich schon, daß es wichtig und richtig ist, daß wir uns mit diesen Notwendigkeiten und Möglichkeiten auseinandersetzen.

(Abg. Vosen [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Kollege Vosen, Sie sind auch ein biotechnisches Problem, Sie strapazieren Ihre Stimmbänder und unser Trommelfell.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich denke, daß gerade in diesem gesamten Bereich beachtliche Chancen und große Aufgaben liegen.
Ich habe von neuen genetischen Erkenntnissen gesprochen. Hier ist es doch sicher richtig und notwendig, daß wir uns damit auseinandersetzen, wie man humanverträgliche Hormone gewinnen kann und wie man diese Gewinnung noch verbessern kann. Nehmen Sie humanverträgliches Insulin, oder denken Sie an die Analyse von Krankheitsursachen. Denken wir an die Krebsbekämpfung. Ich erinnere daran, daß es inzwischen gelungen ist, 30 Onkogene zu analysieren. Zwar kennen wir noch nicht die Regelungsmechanismen, aber ist es nicht eine ganz große Aufgabe, dafür zu sorgen, daß wir die Analyse in den Griff bekommen, um die Krankheit Krebs zu bekämpfen und um bessere Informationen über ihre Entstehung zu bekommen?
Ich denke, daß es notwendig ist, die Regelungsmechanismen der Entstehung von Krankheiten, also Krankheitsursachen, zu analysieren, um schließlich auch zu neuen Therapiemaßnahmen zu kommen, bis hin zur Bekämpfung und Behandlung von Erbkrankheiten. Das ist eine Aufgabe, die vor uns liegt.
Aber ich verkenne nicht, daß bei all diesen Ansätzen auch mögliche Risiken und negative Folgewirkungen zu bedenken sind: Störungen des Gleichgewichts der Natur, störende Eingriffe in Regelmechanismen; die Frage der Irreversibilität ist zu prüfen, bevor man neue Entwicklungen in die Nutzung überführt. Es ist hier die Frage aufzugreifen, inwieweit Gefahren einer genetischen Kartierung des Menschen auftreten können, inwieweit hier Eingriffe in die Keimbahnzellen vorgenommen werden können. Ich sage hier zum wiederholten Male: Es sind moralische und ethische Kategorien und Schranken, die zu bedenken sind und mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben. Auch die Frage der biologischen Sicherheit ist schon angesprochen



Dr.-Ing. Laermann
worden. Das Ganze ist ein weites Feld, höchst sensibel und höchst problematisch in seiner Ambinvalenz. Da warten auf die Forschung gewaltige Aufgaben.
Ich sage hier — trotz der Gefahren und der Möglichkeiten von Risiken — ausdrücklich: Gerade dies ist nur über intensive Forschung in den Griff zu bekommen, die in den gesamten Bereich ausgedehnt und ausgebaut werden muß, und zwar unter Wahrung der Freiheit der Forschung nach dem Grundgesetz, aber unter gleichzeitiger deutlicher Herausstellung, daß gerade in diesem Bereich den in der Forschung Tätigen eine ungeheuer große Verantwortung zukommt und daß daher Forschung auf diesen Gebieten nur in enger und dauernder Verbindung mit der Politik geleistet werden kann.

(Vosen [SPD]: Richtig!)

Ich halte das für eine unverzichtbare Aufgabe gerade in diesem Bereich, und deshalb ist der Ansatz des Antrages der Opposition im Prinzip richtig. Ich teile nicht in allen Einzelheiten Ihre Ausführungen — ich habe verständlicherweise auch eine andere Auffassung als die Frau Kollegin Hickel —,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Glücklicherweise!)

aber vom Prinzip her ist der Ansatz richtig. Ein alle Problemfelder umfassendes Konzept der biologischen Forschung ist unverzichtbar. Für mich ist die Frage der Organisation, insbesondere der Forschung im staatlichen Bereich, wichtig, ob wir alles zentralisieren oder ob wir, der Vielfalt und der Bandbreite entsprechend, hier mehr auf dezentrale Aktivitäten abheben, wegen der großen Streubreite der einzelnen Bereiche. Ich halte nichts davon, alles zu zentralisieren und erwarte von der GBF nicht das Heil. Sie wird auf bestimmten Gebieten erfolgreich arbeiten, sie wird das tun, sie muß das tun, sie kann das tun, aber ich denke, daß auch an anderen Stellen in der Republik, auch im staatlichen Bereich, biologische Forschung im weitesten Sinne im Verständnis dieser gesamten Materie gemacht werden muß.
Das Forschungsministerium hat im Ausschuß darüber berichtet. Wir wissen, daß ein Programm in der Erarbeitung ist. Ich sage hier ausdrücklich, daß angesichts der Bedeutung und der Tragweite der Probleme das Parlament erwarten muß, daß es frühzeitig in die Erarbeitung der Grundsätze eines solchen Programms einbezogen wird, einbezogen werden muß. Wir haben hier wegen der Tragweite der gesamten Problematik die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, uns an der Mitgestaltung dieses Programms in seinen Grundsätzen zu beteiligen, um dort einbezogen zu werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Vosen [SPD]: Dann müssen wir es endlich kriegen!)

Es geht nicht darum, daß wir die Aufgaben der Exekutive übernehmen, wie das ausgeführt werden muß. Das werden wir dann kontrollieren. In bin der Auffassung, daß das Parlament den Bürgern gegenüber in der Pflicht ist, die Entwicklungen politisch
zu bewerten und zu verantworten. Wir, Frau Kollegin Hickel, die wir gewählt sind, Sie und ich und alle anderen Kollegen hier, haben die Aufgaben, die Probleme und die Fragen der Bürger draußen, auch gesellschaftlich relevanter Gruppen aufzunehmen. Wir müssen das hier vertreten, wir sind schließlich die Vertreter, die gewählt worden sind, um den Bürger zu vertreten und zu repräsentieren. Man braucht diese nicht alle hinzuzuziehen, denn ich gehe davon aus, daß Sie alle Ihre Kontakte zu diesen Menschen haben und ihre Fragen aufnehmen, wie auch wir das tun. Ich bin der Auffassung, daß sowohl für die Regierungsparteien als auch für die Opposition gilt, daß sie frühzeitig in die Überlegungen über die Erarbeitung der Grundsätze eines Forschungsprogramms im weiten Bereich der Biotechnik einbezogen werden müssen.
Frau Präsident, ich möchte noch den einen Satz sagen: Schon beim Überweisungsvorschlag wird der Querschnittscharakter dieses Themas deutlich, da neben dem federführenden Ausschuß sieben Ausschüsse zur Mitberatung vorgeschlagen werden.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte hier die Frage aufwerfen: Wäre es angesichts der Tragweite und der Wirkungsmöglichkeiten, -notwendigkeiten nicht sinnvoller, die Abgeordneten aus diesen Ausschüssen, die sich intensiv mit den Fragen der Biotechnologie befassen und befassen wollen, zu einer Arbeitsgruppe zusammenzufassen, als das über die Mitberatung in sieben verschiedenen Ausschüssen durchzuziehen? Wir sollten einmal diese Frage überlegen und vielleicht hier zu einem gemeinsamen Beschluß kommen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1011413200
Den letzten Vorschlag können wir hier natürlich nicht erörtern. Wir müssen so verfahren, wie der Ältestenrat das vorschlägt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Den Überweisungsvorschlag können Sie aus der Vorlage entnehmen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Wir treten bis 14 Uhr in die Mittagspause ein und setzen die Tagesordnung dann mit der Fragestunde und anschließend mit Punkt 5 fort.
Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 13.09 bis 14.00 Uhr)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011413300
Die Sitzung ist wiedereröffnet.
Wir treten ein in die
Fragestunde
— Drucksache 10/2712, 10/2727 —
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beant-



Vizepräsident Stücklen
wortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Vogel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Dr. Soell auf.
Sieht die Bundesregierung im Motto des 1985 in Hannover geplanten Deutschlandtreffens der Schlesier („40 Jahre Vertreibung — Schlesien bleibt unser") die Gefahr eines weiteren Anwachsens von Mißverständnissen im deutsch-polnischen Verhältnis, insbesondere — angesichts der dort geplanten Rede von Bundeskanzler Kohl — die Verstärkung des Revisionismusvorwurfs?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1011413400
Herr Kollege Dr. Soell, die Bundesregierung geht davon aus, daß die schlesische Landsmannschaft mit ihrem für das Deutschlandtreffen 1985 in Hannover gewählten Motto „40 Jahre Vertreibung — Schlesien bleibt unser" beabsichtigt, eine Aussage zur Wahrung ihrer historisch gewachsenen kulturellen und geistigen Identität zu machen. Dieses Motto war zu dem Zeitpunkt, zu dem der Bundeskanzler seine Teilnahme am Deutschlandtreffen 1985 in Aussicht stellte, nicht bekannt.
Die öffentliche Diskussion zeigt, daß das Motto zu Mißverständnissen und Fehldeutungen Anlaß gegeben hat. Es ist der Bundesregierung bekannt, daß bei der schlesischem Landsmannschaft selbst Überlegungen im Gange sind, das Motto entsprechend zu modifizieren, um es aus jeglichem Zwielicht herauszunehmen. Sobald diese Überlegungen abgeschlossen sind, wird der Bundeskanzler über seine Zusage endgültig entscheiden.
Im übrigen geht die Bundesregierung auch in diesem Fall von dem Grundsatz aus, daß Verbände ihre Angelegenheiten in eigener Verantwortung regeln.
Vertreter aller Fraktionen des Deutschen Bundestages haben festgestellt, daß der Revanchismus- und Revisionismusvorwurf ungerechtfertig ist. Er zeichnet ein Bild von der Bundesrepublik Deutschland, in dem unsere Bürger die Realität ihres Landes nicht wiedererkennen können.
Im übrigen wird auf die Ausführungen des Bundeskanzlers in seiner Rede auf der Kundgebung der Vertriebenen in Braunschweig am 2. September 1984 verwiesen. Der Bundeskanzler hat dort festgestellt, daß die Bundesregierung selbstverständlich zu den verfassungsmäßig zustande gekommenen Verträgen mit unseren östlichen Nachbarn steht. Das gilt — wie aus allen öffentlichen Erklärungen des Bundeskanzlers und der Bundesregierung hervorgeht — sowohl für den Buchstaben wie für den Geist der Verträge.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Klarheit dieser Aussagen, zu denen sie sich erneut ausdrücklich bekennt, keinen Raum für ein weiteres Anwachsen von Mißverständnissen im deutschpolnischen Verhältnis gibt. Die Bundesregierung versichert erneut, daß sie die Verträge zur Verbesserung der Beziehungen mit den östlichen Nachbarn nutzen will und daß sie insbesondere der deutsch-polnischen Verständigung einen hohen Rang einräumt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011413500
Eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1011413600
Herr Staatsminister, bedeutet diese Ihre Antwort, daß Bundeskanzler Kohl auf dem Deutschlandtreffen der Schlesier nicht sprechen wird, wenn das Motto nicht geändert wird?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Soell, ich habe die Frage, die Sie insoweit gestellt haben, beantwortet. Ich habe dem nichts weiter hinzuzufügen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011413700
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1011413800
Wie hoch ist die finanzielle Förderung des Treffens durch den Bund?
Vogel, Staatsminister: Wie Sie wissen, wird dieses Treffen durch die Landesregierung von Niedersachsen gefördert. Ich kann Ihnen im Augenblick nicht sagen, ob eine zusätzliche Förderung durch den Bund hinzukommt. Ich glaube, das steht auch in einem Zusammenhang mit der anderen Frage.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011413900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1011414000
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß der im Verlauf der Diskussion gebrauchte Begriff „Verzichtspolitiker", der von etlichen Verbänden und auch von Abgeordneten geäußert worden ist, ein Ausdruck ist, der sicherlich nicht der sachgerechten Diskussion der ganzen Angelegenheit dient?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Klejdzinski, ich habe noch einmal die Position der Bundesregierung auch und insbesondere zum Warschauer Vertrag und zur Entwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses dargelegt. Dies ist und bleibt die Position der Bundesregierung und selbstverständlich auch des Bundeskanzlers.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011414100
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung. Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Hettling auf:
Ist es der Bundesregierung bekannt, daß anläßlich der UN-Konferenz vom 16. Juli bis 3. August 1984 in Genf über die Registrierung von Schiffen die die Bundesregierung vertretenden Beamten es gewesen sein sollen, die durch ihre ablehnende Haltung verhindert haben, daß Maßnahmen gegen die offenen Register vereinbart werden konnten und somit die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1982 völlig ignorierten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1011414200
Herr Kollege, Zweck der UNKonferenz über die Bedingungen für die Registrierung von Seeschiffen ist die Erarbeitung weltweit einheitlicher Voraussetzungen, unter denen Schiffe in das Register eines Staates eingetragen werden sollen und das Recht zum Führen der Flagge dieses Staates erhalten können.
Die deutsche Delegation verfolgt hierbei gemeinsam mit den anderen OECD-Staaten, d. h. im Rahmen der Gruppe B, das Ziel, für die Registrierung von Schiffen die Einhaltung von internationalen



Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
Minimumstandards in den Bereichen Schiffssicherheit, soziale und Arbeitsbedingungen für die Mannschaften und maritimer Umweltschutz vorzuschreiben. Demgegenüber streben die Entwicklungsländer eine Umlenkung der Schiffe — zumeist westlicher Tank- und Massengutreeder —, die nicht in den westlichen Schiffahrtsstaaten registriert sind, aus den sogenannten offenen Registern in ihre eigenen an. Zugleich sollen damit spürbare Einwirkungsmöglichkeiten auf die Geschäftsführung der Schiffahrtsunternehmen und den Einsatz der Schiffe verbunden werden.
Für die Bundesrepublik Deutschland könnte dies zum Abwandern einer Reihe deutscher Massengutreedereien führen, so daß zum Ausflaggen der Schiffe noch der Verlust der Unternehmen und der entsprechenden Arbeitsplätze käme. Die Ostblockstaaten und China unterstützen die Bemühungen der Entwicklungsländer nachhaltig.
Der bisherige Verhandlungsverlauf läßt noch keine Kompromißmöglichkeit zwischen den Verhandlungspositionen der OECD-Staaten und der anderen Staatengruppen erkennen.
Es trifft nicht zu, daß die die Bundesrepublik Deutschland vertretenden Beamten die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestags vom 15. Dezember 1982 ignoriert hätten.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011414300
Zusatzfrage, bitte.

Ludwig Hettling (SPD):
Rede ID: ID1011414400
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung den sie in Genf vertretenden Beamten eine Vorgabe bezüglich der Verhandlungen in Genf — insbesondere innerhalb der Gruppe B (OECD) — gemacht. Wenn j a, welche?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies müßte ich extra heraussuchen. Ich gehe jedoch fest davon aus, daß die Entschließung des Bundestages nicht nur im Verkehrsministerium, sondern auch den betreffenden Beamten bekannt war. Ich habe auch ausgeführt, daß ich davon ausgehe, daß sich die Beamten an diese Entschließung gehalten haben. Sollten Sie dazu noch weitere Erläuterungen wünschen, bin ich gern bereit, diese einzuholen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011414500
Weitere Zusatzfrage, bitte.

Ludwig Hettling (SPD):
Rede ID: ID1011414600
Mir ist durch Beobachter in Genf bekannt — insofern frage ich Sie nochmals —, daß innerhalb der Gruppe der OECD der Beamte des Bundeswirtschaftsministeriums, nämlich Herr Storsberg, und der Beamte des Bundesverkehrsministeriums, Herr Dr. Ipsen, nicht die Entschließung des Bundestags vertreten haben. Insofern stelle ich noch einmal die Frage — wenn Sie sie jetzt nicht beantworten können, bitte ich um schriftliche Beantwortung —: Welche Vorgabe hat die Bundesregierung speziell den sie vertretenden Beamten gegeben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß auf die Antwort von vorhin verweisen. Allerdings habe ich den Eindruck, daß Sie die Entschließung des Bundestags nicht richtig in Ihre Frage eingearbeitet haben, weil die offenen Register in der Entschließung des Deutschen Bundestags völlig anders angesprochen oder gemeint sind, als dies in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt. Ich habe die Entschließung des Bundestags extra noch einmal nachgelesen. Vielleicht könnten wir uns dann treffen, wenn Sie dasselbe täten.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011414700
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fischer.

Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1011414800
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß entgegen dem Eindruck, der mit dieser Anfrage erzeugt wird, und entgegen den Zusatzfragen, die der Fragesteller eben hier vorgetragen hat, die Entschließung des Deutschen Bundestags, die von allen Fraktionen gemeinsam gefaßt worden ist, mit keinem Wort die Forderung nach einer Schließung der offenen Register enthält?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fischer, dies versuchte ich gerade durch die Antwort auf die Zusatzfrage zum Ausdruck zu bringen. Ich habe bereits in meiner ersten Antwort gesagt, daß ich davon ausgehe, daß sich die Beamten an die Vorgaben des Deutschen Bundestages gehalten haben.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011414900
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Hettling auf:
Ist die Bundesregierung gewillt, bei der Fortsetzung der UN-Konferenz über die Registrierung von Schiffen vom 28. Januar bis 14. April 1985 die sie auf dieser Konferenz vertretenden Beamten anzuweisen, die schiffahrtspolitische Entschließung des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1982, die von allen Fraktionen getragen wurde, zur Grundlage der Verhandlungen zu machen, um dadurch internationale Maßnahmen gegen die offenen Register ergreifen zu können?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wie bereits vorhin ausgeführt, bemüht sich die Deutsche Delegation gemeinsam mit anderen OECD-Delegationen um eine weltweite Einführung besserer sicherheitstechnischer, sozialer und Umweltschutzstandards als Voraussetzung für die Registrierung von Seeschiffen. Dies würde die Kosten des Schiffbetriebs unter allen Flaggen angleichen und so das Kostengefälle verringern, das der Bundestagsbeschluß vom 15. Dezember 1982 als Hauptursache des Ausflaggungstrends bei deutschen Schiffen festgestellt hat. Die bisherige deutsche Verhandlungslinie deckt sich deswegen — ich muß das wiederholen — mit dem Ziel dieses Beschlusses des Deutschen Bundestags.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011415000
Zusatzfrage, bitte.

Ludwig Hettling (SPD):
Rede ID: ID1011415100
Ich kann also davon ausgehen, daß die Vorgabe — das ist der Inhalt der Frage 22 — gegenüber den Beamten deckungsgleich mit der Entschließung des Bundestages sein wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß jetzt zum vierten Mal auf diese Frage antworten. Da Sie aber insistieren, werde ich pflichtgemäß dieser Frage noch einmal nachgehen. Ich bitte, dies



Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
aber nicht damit zu verwechseln, daß ich meine Antwort etwa zurücknähme.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011415200
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:
Wie ist der Stand der Planung für den Ausbau der B 67 n Bocholt-Dülmen, und in welche Dringlichkeitsstufe ist die B 67 n eingestuft bzw. soll die Einstufung geändert werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Planungsstand für den Neubau der B 67 von Bocholt nach Dülmen ist folgender: Im Abschnitt Bocholt bis Borken ist das Planfeststellungsverfahren teils eingeleitet, teils in Vorbereitung. Im Abschnitt Borken-Reken ist die B 67 n im Verkehr. Im Abschnitt Reken-Dülmen ist das Planfeststellungsverfahren in Gang. Der Beschluß soll in diesem Jahr erfolgen. Die B 67 n ist im derzeit gültigen Bedarfsplan in Stufe I enthalten. Da sie bis Ende 1985 nicht in Bau ist, wird sie im Rahmen der Fortschreibung des Bedarfsplans überprüft. Das Ergebnis wird Ende 1985 vorliegen, d. h. wenn dieses Haus darüber beschlossen hat, wie das entsprechende Gesetz ausgefüllt wird.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011415300
Zusatzfrage, bitte.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1011415400
Herr Staatssekretär, ist es nicht richtig, daß sich dieses Stück Reken-Dülmen in der Stufe I b und nicht in der Stufe I a befindet?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe von der Dringlichkeitsstufe I gesprochen. Die Stufe I beinhaltet die Baustufen I a und I b. Das Gesetz ist von diesem Parlament beschlossen worden. Die Baustufen wurden vom Verkehrsausschuß dem damaligen Verkehrsminister empfohlen. Wir werden dies alles überprüfen. Ich glaube, ich sollte hinzufügen, daß der Bundesminister für Verkehr davon ausgeht, daß bei der Fortschreibung des Bedarfsplans im Gesetz die vordringliche Einstufung der Strecke Bocholt-Dülmen bestehen bleibt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011415500
Weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1011415600
Herr Staatssekretär, richtig haben Sie „Stufe I" gesagt. Auch dies habe ich gehört. Aber genau deswegen habe ich hier nach der Differenzierung zwischen I a und I b gefragt. Ist es denn nicht so, daß I b normalerweise bedeutet, daß vor 1985 grundsätzlich keine Planungsarbeiten stattfinden könnten? Und ist es nicht weiterhin richtig, daß man einzelne Maßnahmen vorziehen kann, insbesondere wenn das Behördeninteresse darauf hinweist, daß möglicherweise keine Einsprüche zu erwarten sind?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Gesetz wurde nie festgelegt, daß man I b nicht planen könne, weil im Gesetz I b gar nicht vorgesehen ist. Die Unterteilung in Baustufen kam ein Jahr später: 1981. Es war aber so, daß diese Frage flexibel gehandhabt wurde. Ich weiß aus meiner Tätigkeit, daß insbesondere in den Jahren 1983/84 Petenten, Landräten und Abgeordnetenkollegen — das ist ja mit meine Aufgabe — verstärkt gesagt wurde: Wir sind da flexibel. Wenn es die Möglichkeit gibt, eine dringliche Maßnahme voranzutreiben, die vielleicht nur deswegen nicht in der Stufe I a aufgetaucht ist, weil damals das Geld gefehlt hat, dann wollen wir nicht den Hinderungsgrund darstellen. — Also, wir gaben grünes Licht für die Planung.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011415700
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Buschfort.

Hermann Buschfort (SPD):
Rede ID: ID1011415800
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Bewohner des Kreises Borken und des Kreises Coesfeld darauf angewiesen sind, einen schnellen, guten Zugang zum Oberzentrum Münster zu haben, und daß es aus diesem Grunde ärgerlich ist, daß zwar der nördliche Teil der B 67 n fertiggestellt und auch der südliche Teil in Ordnung ist, daß aber das Mittelstück — ich schätze ca. 20 Kilometer — noch der Fertigstellung bedarf, und glauben Sie nicht, daß Sie aus diesem Grunde, wenn aus anderen Gegebenheiten die Möglichkeit besteht, darauf drängen sollten, daß eine Höherstufung für dieses Mittelstück erreicht wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es steht noch nicht fest, wie die Nomenklatur im neuen Bedarfsplan aussehen wird. Die Bundesregierung geht aber bisher davon aus — nach allen Unterlagen, die ihr vorliegen —, daß die höchste Priorität eingehalten werden kann. Von daher kann ich mit der gleichen Tendenz antworten, wie Sie gefragt haben.

(Buschfort [SPD]: Schönen Dank!) Vizepräsident Stücklen: Keine Zusatzfragen.

Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:
In welchem Stadium befindet sich das Planfeststellungsverfahren für die B 67 n, und wann ist mit dem Abschluß des Planfeststellungsverfahrens zu rechnen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Abschnitt Bocholt-Borken wird der Planfeststellungsbeschluß bis etwa 1986/87 angestrebt. Ich muß das so sagen, weil ja nicht der Bundesminister für Verkehr diese Arbeit vornimmt.
Im Abschnitt Reken-Dülmen ist der Planfeststellungsbeschluß zur Zeit in Arbeit und wird in Kürze erlassen. Mit Klagen ist allerdings zu rechnen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011415900
Eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1011416000
Bei der Beantwortung meiner Frage 1 haben Sie mir vorhin mitgeteilt, daß Sie diese Planungsmaßnahmen, insbesondere im Bereich Reken-Dülmen, überprüfen wollen, und, bezogen auf meine Frage 2, gleichzeitig sagen Sie jetzt, der Planfeststellungsbeschluß sei zu erwarten: Ist theoretisch überhaupt noch die Möglichkeit gegeben, daß Alternativen, die vorgeschlagen sind, noch geprüft werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, solange die Baureife nicht erzielt ist, insbesondere



Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
solange ein Planfeststellungsbeschluß noch nicht ergangen ist, sind Alternativen immer noch möglich. Nur, das Planfeststellungsverfahren gründet sich ja auf ein konkretes Vorhaben, d. h., die Straßenbauer haben eine entsprechende Vorgabe gemacht.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011416100
Noch eine Zusatzfrage? — Bitte.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1011416200
Herr Staatssekretär, ich finde es nicht gut, daß man so ausweichend antwortet. Wenn jemand beispielsweise einmal im kommunalen Bereich tätig gewesen ist, dann weiß er, wie so etwas läuft. Deshalb sollten Sie doch bitte ganz konkret sagen, daß dann, wenn das Planfeststellungsverfahren die Baureife erzielt hat, Alternativen in der Regel nicht mehr geprüft werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo bleibt die Frage?)

Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe eindeutig gesagt, daß es denkbar ist, daß bis zum Vorliegen der Baureife noch andere Vorschläge zum Tragen kommen. Angenommen, der Planfeststellungsbeschluß kann nicht erlassen werden: Dann geht es ja darum, ob man überhaupt baut oder ob man einen anderen Weg findet. Ich muß Ihnen jetzt sagen: Der Bundesminister für Verkehr betreibt diese Aufgabe gar nicht. Da gibt es eine Auftragsverwaltung, und es gibt in bestimmten Bundesländern dann noch eine weitere Unterteilung in Landschaftsverbände. Und da sind die Kommunalpolitiker fast näher dran als der Bundesminister für Verkehr.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Den gleichen Eindruck habe ich auch!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011416300
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 25 der Frau Abgeordneten Reetz auf:
Welche Schwierigkeiten vor Ort stellen sich dem Baubeginn der Ortsumgehung Steinach/Kinzigtal der B 33 neu entgegen und haben offensichtlich dazu geführt, daß die Vergabe der Bauaufträge für diese Ortsumgehung noch immer nicht erfolgt ist?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Dem Bundesminister für Verkehr sind keine Schwierigkeiten bekannt, die die Vergabe der Bauaufträge für die Ortsumgehung Steinach behindern.
Wie schon in der Fragestunde am 5. Dezember 1984 ausgeführt, sind bereits vier Brückenbauwerke für diese Maßnahme — zum Teil seit März des letzten Jahres — vergeben. Mit Bau- oder bauvorbereitenden Maßnahmen dieser Brücken wurde begonnen.
Ein weiteres Bauwerk, die Brücke über die Kinzig im Zuge der B 33 neu bei Steinach, war inzwischen ausgeschrieben und wurde am 7. November 1984 submittiert. Das Vergabeverfahren hierfür läuft plangemäß und ohne Besonderheiten.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011416400
Zusatzfrage, bitte.

Christa Reetz (GRÜNE):
Rede ID: ID1011416500
Ich beziehe mich zunächst einmal auf die letzte Fragestunde, in der Sie von Schwierigkeiten gesprochen haben. Daher meine heutige Frage: Sind die erwähnten Schwierigkeiten bei der Ortsumgehung Steinach vielleicht auch darin zu sehen, daß in dem Ort Überlegungen angestellt werden, den Sportplatz zu vergrößern?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir gehen jetzt ziemlich tief ins Kinzigtal hinein.

(Frau Reetz [GRÜNE]: Klar!)

Es gibt, wenn ich mich richtig erinnere, ein Stückchen weiter oben in diesem Tal Schwierigkeiten mit drei Grundstücksbesitzern. Diese Frage wurde dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages vorgelegt. In diesen Tagen muß sich die Bundesregierung zu einem Beschluß des Petitionsausschusses äußern. Allerdings haben Sie hier nach Steinach gefragt, und das ist ein Stückchen weiter unten, also in Richtung Mündung.

(Frau Reetz [GRÜNE]: Und nach der Ortsumgehung!)

Da gibt es 730 Unterschriften für den Bau der Straße. Dem entsprechend und wegen der Dringlichkeit einer Ortsumgehung wurden die entsprechenden Bauwerke auch bereits vergeben. Danach haben Sie gefragt. Da gab es keine Schwierigkeiten; diese Dinge laufen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011416600
Zusatzfrage, bitte.

Christa Reetz (GRÜNE):
Rede ID: ID1011416700
Wenn Sie erlauben, darf ich Sie berichtigen: Laut Auskunft des Bürgermeisters wurden die Aufträge nicht vergeben. — Nachdem Sie gesagt haben, die Maßnahme sei eine Einheit, frage ich Sie jetzt nach dem Ende: Wie groß ist die Entfernung zwischen dem km 2,8 und der dann folgenden Brücke in Richtung Hausach, deren Länge — 200 m — und deren Kosten Sie mir mitgeteilt haben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Werte Frau Kollegin, ich bin gerne bereit, diese Strecke demnächst mit Ihnen abzulaufen und die Entfernung mit Hilfe eines Kilometerzählers abzumessen. Ich kann das jetzt nicht beantworten.

(Heiterkeit — Frau Reetz [GRÜNE]: Das müssen Sie doch wissen! Das war eine tolle Antwort!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011416800
Herr Staatssekretär, es gibt auch noch andere Methoden. Man kann das auf der Karte abmessen und das Ergebnis schriftlich mitteilen. Sie brauchen also nicht zum Wanderstab zu greifen.

(Heiterkeit)

Herr Abgeordneter Fischer zu einer Zusatzfrage.

Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1011416900
Herr Staatssekretär, können Sie die Überraschung teilen, die bei mir angesichts des Widerspruchs zwischen dieser Anfrage der Frau Kollegin Reetz und der Aussage des Sprechers der GRÜNEN im Verkehrsausschuß entstanden ist, die Fraktion DIE GRÜNEN sei gegen Bundesfernstraßenbau überhaupt und würde am



Fischer (Hamburg)

liebsten den gesamten Titel aus dem Haushalt streichen?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011417000
Herr Abgeordneter Fischer, das war eine typische Dreiecksfrage, die ich nicht zulassen kann.

(Heiterkeit)

Ich rufe Frage 26 des Herrn Abgeordneten Zierer auf:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die mengenmäßige Reduzierung der Salzstreuung auf öffentlichen Straßen in den letzten Jahren sowie darüber, inwieweit sich die Salzstreuung auf öffentlichen Straßen negativ auf die Umwelt auswirkt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, über die mengenmäßige Reduzierung der Salzstreuung auf öffentlichen Straßen liegen der Bundesregierung nur zum Teil Daten vor, weil der Bund nur für die Bundesfernstraßen zuständig ist.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1011417100
1980/81 777 000 Tonnen, 1981/82 575 000 Tonnen, 1982/83 292 000 Tonnen, 1983/84 442 000 Tonnen.
Aus diesen Zahlen — wenngleich sie eine Tendenz widerspiegeln — kann keine letztendlich gültige Tendenz abgeleitet werden, weil die Relation zur Intensität des Winters, der Wetterbedingungen gesehen werden muß.
Zur Zeit ist es noch nicht möglich, Umweltschäden anteilig einer bestimmten Ursache zuzuordnen.
Die Straßenbauverwaltungen der Länder sind gehalten, die Tausalzmengen zum Schutz der Umwelt auf ein für die Verkehrssicherheit unabdingbares Mindestmaß zu beschränken.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011417200
Zusatzfrage, bitte.

Benno Zierer (CSU):
Rede ID: ID1011417300
Herr Staatssekretär, werden von den Straßenbauämtern auch sogenannte Restsalzmessungen vorgenommen, als Kontrolle, inwieweit die entsprechende Dosierung, wie sie vielfach vorgegeben ist, eingehalten wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das müßte ich noch einmal extra überprüfen. Ich halte diese Frage allerdings für wichtig.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011417400
Weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Hinsken.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1011417500
Herr Staatssekretär, gibt es Vergleiche mit anderen Ländern mit gleichen topographischen Verhältnissen, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland vorzufinden sind, über den Verbrauch von Salz auf Landstraßen, Staatsstraßen und Bundesstraßen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Im Bundesministerium für Verkehr liegen solche Vergleiche nicht vor. Wir sind allerdings an dieser Frage sehr interessiert, auch im Zusammenhang mit den Fragen, die nachher aufgerufen werden. Wir versuchen, hier zusätzliches Material zu erhalten.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011417600
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Zierer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Spikesreifen für Rettungsfahrzeuge im Sanitätsdienst sowie für Polizei, Bundeswehr und Grenzschutz generell im Winter zuzulassen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesregierung sind keine neuen Sachverhalte bekannt, die zu einer anderen Beurteilung der Sachlage aufforderten. Es ist deswegen nicht beabsichtigt, Spikesreifen für die in der Frage genannten Fahrzeuge zuzulassen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011417700
Zusatzfrage, bitte.

Benno Zierer (CSU):
Rede ID: ID1011417800
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß diese Regelung für Sonderzulassungen von Spikes bei Sonderfahrzeugen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird, und wäre es nicht angebracht, hier eine bundeseinheitliche Regelung vorzunehmen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung hat ganz bewußt einen § 70, in dem niedergelegt ist, daß die Länder für ihren Gebrauch, für ihre topographischen, geographischen Bedingungen Ausnahmen zulassen dürfen. Von daher ist es also möglich, daß das eine Land anders als das andere verfährt. Deshalb ist es auch nicht nötig, daß der Bund hier für alle Fälle eine Regelung erläßt. — Sie erinnern sich wahrscheinlich, warum damals das Verbot der Spikesreifen ausgesprochen worden ist.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011417900
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hinsken, bitte sehr.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1011418000
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, höflich auf die einzelnen Länderregierungen einzuwirken, daß man Ausnahmegenehmigungen nicht umständlich, sondern unbürokratisch erteilt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, jetzt wird es schwierig. Wenn der Bund die Spikesreifen verbietet, ist es schon eine Frage, ob er gleichzeitig hergehen und den Beamten der Länder, vielleicht sogar unter dem Tisch, sagen kann: Also, jetzt laßt mal die Ausnahmen zu.

(Hinsken [CDU/CSU]: Es geht doch um Rettungsfahrzeuge!)

Ich glaube, daß wir so nicht verfahren können.
Ich weise hier in der Fragestunde des Deutschen Bundestages auf die Möglichkeit hin, die in der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung eröffnet ist, daß in einzelnen Ländern entsprechend den dortigen Bedingungen Ausnahmen zugelassen werden können. Sie wissen allerdings auch, Herr Kollege, daß es eine Länderverkehrsministerkonferenz ge-



Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
geben hat, wo sich die Länder übereinstimmend geäußert haben, sie wollten allesamt keine Ausnahmen zulassen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011418100
Herr Abgeordneter Hinsken, ich muß mich als amtierender Präsident zurückhalten. Sonst würde ich sagen: Ihr seid mir saubere Föderalisten.

(Heiterkeit — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das würden Sie nie tun, Herr Präsident! — Dr. Soell [SPD]: Fast ein König von Sachsen!)

Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Hinsken auf:
Ist die Bundesregierung bereit, genau überprüfen zu lassen, ob Spikes wieder zugelassen werden können, nachdem sie in fast allen Ländern der EG sowie Nachbarstaaten mit gleichen Witterungsverhältnissen zugelassen sind?
Bitte sehr.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung beobachtet ständig die Entwicklung der Spikesreifen. Bisher sind keine neuen Tatsachen bekanntgeworden, die zu einer anderen Beurteilung der bisherigen Sachlage Anlaß geben würden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011418200
Zusatzfrage, bitte.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1011418300
Herr Präsident, es sei mir gestattet, Ihnen ganz kurz eine Antwort geben zu dürfen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011418400
Ist in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1011418500
Wenn es um Rettung geht, interessiert mich der Föderalismus relativ wenig. Da geht es vielmehr um den Menschen, der schnell gerettet werden soll.

(Zuruf von der SPD)

Nunmehr frage ich, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß in der ganzen westlichen Welt, den USA, in ganz Westeuropa — bis auf Holland und die Bundesrepublik Deutschland —, und auch in Japan Spikesreifen zugelassen sind.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies führt den Bundesminister für Verkehr dazu, zu überlegen, ob nicht eine neue Untersuchung notwendig ist, die insbesondere technische Entwicklungen berücksichtigt. Es gab ja eine neue SpikesGeneration, die sich allerdings — so wird fast überall gesagt — nicht bewährt hat. Aber diese Untersuchung könnte möglicherweise neue Aufschlüsse geben und dann das eine oder andere Problem für alle befriedigend lösen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011418600
Zusatzfrage, bitte.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1011418700
Warum haben dann die anderen Länder in den letzten Jahren die Spikes nicht verboten? Und können Sie sich unter Umständen vorstellen, daß wenigstens für Problemregionen — ich denke an das Gebirge, an die verschiedenen Mittelgebirge, wie Schwarzwald, Bayerischer Wald,
Harz und wie sie sonst alle heißen, in denen ein dringendes Bedürfnis nach Spikesreifen besteht — Spikesreifen zugelassen werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Anlaß für das Verbot der Spikesreifen lag nicht im Ausland, sondern im Inland. Die Straßenbauer gehen davon aus, daß die Spikes ungefähr 400 Millionen DM Jahr für Jahr an Schäden verursacht haben. Es kommen dann weitere Entwicklungen hinzu, insbesondere für die Verkehrssicherheit außerhalb der Zeit, in der die Spikes besonders angebracht sind. Wenn sich Spurrillen bilden, dann ist auch im Sommer die Verkehrssicherheit beeinträchtigt.
Daß es Regionen gibt, wo diese Frage immer häufiger auftaucht als in anderen Gegenden des Bundesgebietes, ist bekannt. Es ist aber schwierig, hier abzugrenzen.
Ich will noch für mich persönlich sagen, daß es bei jedem Politiker, der entscheiden muß, einen Unterschied zwischen Pflicht und Neigung gibt. Wenn man beides verbinden kann, kommt nach Schiller eine schöne Seele heraus. Aber so weit sind wir noch nicht.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011418800
Bitte, Herr Zierer.

Benno Zierer (CSU):
Rede ID: ID1011418900
Herr Staatssekretär, wenn auszugehen ist, wie Sie gesagt haben, davon, daß sich die Straßenschäden durch Spikesreifen auf rund 400 Millionen DM belaufen und der Ersatz für Spikes das Salz war, ist dann die Bundesregierung bereit, hier einmal eine Art Kosten-Nutzen-Analyse aufzustellen? Wäre es nicht angebracht, die 400 Millionen DM Straßenschäden auf der einen Seite und die Korrosionsschäden an Kraftfahrzeugen, ferner die Blechschäden mit sehr hohen Reparaturkosten bei Unfällen, die Verletzungen von Menschen mit entsprechenden Krankenhauskosten mit Arbeitsausfällen oder auch die Todesfälle mit Folgekosten durch Hinterbliebenenrenten und dazu noch die Langzeitschäden, nämlich die Auswirkungen der Versalzung der Straßen auf den Naturhaushalt, auf der anderen Seite einmal miteinander in Relation zu bringen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Ansinnen ist ganz gewiß richtig. Allerdings ist es schwierig, die Umweltschäden exakt zu quantifizieren. Wenn Sie in die Rechnung aufnehmen, was es an Unfällen gibt, dann muß ich allerdings sagen, daß die Zahl der Unfälle in den betreffenden Monaten nach dem Verbot der Spikesreifen nicht gestiegen ist. Die Kraftfahrer haben sich dann offensichtlich anders verhalten. Von daher können wir also diese Rechnung nicht mit der Tendenz abschließen, die Sie angesprochen haben.
Wir gehen auch nicht davon aus, daß Spikes und Salz die einzigen Alternativen sind. Es gibt Leute, die beides verbinden und sagen: Spikes und Salz, Gott erhalt's! Das hat manchen Branchen schon geholfen. Im Augenblick läuft es bei allen Straßenverwaltungen so, daß man versucht, trotz Spikes-Verbotes das Streuen von Salz zu minimieren.




Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011419000
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1011419100
Herr Staatssekretär, könnte sich die Bundesregierung nicht bereit erklären, den einschlägigen Firmen über Forschungsmittel die Möglichkeit zu verschaffen, Spikes in einer Form zu entwickeln, durch die Straßenschäden nach Möglichkeit nicht verursacht werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Becker, ich weiß nicht, ob ich für den Forschungsminister reden kann. Bisher war es fast immer so, daß solche Fragen eigentlich von den Firmen, die daran verdienen wollten, selber entschieden wurden. Es gab Entwicklungen für andere Spikes. Allerdings haben sich diese Spikes nicht sonderlich bewährt. Das, was unter einer neuen Spikes-Generation verstanden wurde, ist also sicherlich kein vollwertiger Ersatz der alten Spikes, die sich zwar bewährt, aber auf der anderen Seite die Straßen beschädigt haben.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011419200
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Hinsken auf:
Liegen der Bundesregierung seit der Kleinen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU über „Verkehr auf winterlichen Straßen" neuere ergänzende Erkenntnisse über Weiterentwicklung der Spikes sowie Schadensverursachung durch Wiederzulassung solcher Spikes und Salzstreuung (Umweltschäden) vor?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hinsken, seit der Kleinen Anfrage der CDU-Fraktion über „Verkehr auf winterlichen Straßen" sind keine neuen Spikesreifen bekanntgeworden, die eine geringere Straßenschädigung verursachen würden. Ich muß mich leider wiederholen: Die Höhe der durch Tausalzverwendung entstehenden Umweltschäden ist insgesamt nach wie vor nicht zu quantifizieren.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011419300
Zusatzfrage, bitte.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1011419400
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß mich auf Grund meiner Aktion, die ich letzte Woche startete, viele, viele, nur positive Briefe erreicht haben, und könnte ich von Ihnen erfahren, wie viele positive Briefe mit der Forderung nach Wiedereinführung und Wiederzulassung von Spikes bei Ihnen im Ministerium eingegangen sind?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege; ich werde das nachliefern.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011419500
Noch eine Zusatzfrage.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1011419600
Herr Staatssekretär, liege ich richtig in der Annahme, daß das Bundesverkehrsministerium einen Prüfungsauftrag an die BASt, die Bundesanstalt für das Straßenwesen in Köln, gegeben hat, wonach wegen der Wiederzulassung von Spikes geprüft werden soll, und daß zwischenzeitlich ein Prüfungsauftrag an den TÜV Rheinland gegangen ist?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Der Auftrag ist noch nicht ergangen. Es geht hier insbesondere um die Frage der Kosten. Aber wir sind intensiv dabei, zu beraten, ob und wie eine solche Untersuchung durchgeführt werden soll.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011419700
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Carstensen (Nordstrand).

Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1011419800
Herr Staatssekretär, können Sie mir etwas dazu sagen, wie sich die Unfallhäufigkeit nach dem Verbot von Spikes auf winterlichen Straßen entwickelt hat?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach dem Spikesverbot gab es nicht mehr Unfälle als vorher.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011419900
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 30 soll auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Stiegler, schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Dr. Mertes zur Verfügung.
Die Fragen 31 und 32 sollen auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Weiß, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Kann die Bundesregierung die Behauptung des früheren Mitarbeiters der deutschen Botschaft in Warschau, Klaus Reiff, („Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 4. Januar 1985), „von den wenigen noch verbliebenen tatsächlichen Deutschen, die in Polen heute mangels Masse gar keine Minderheit mehr darstellen können" und die Feststellung „es stimmt auch nicht, daß die deutsche Sprache in Polen unterdrückt wird" bestätigen, oder liegen der Bundesregierung andere Erkenntnisse vor?

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID1011420000
Herr Kollege Dr. Hupka, zum ersten Teil Ihrer Frage ist zu unterscheiden zwischen Personen, die nach polnischem Recht polnische Staatsangehörige sind und gleichzeitig — erstens — sich hinsichtlich ihrer deutschen Staatsangehörigkeit auf Art. 116 des Grundgesetzes berufen können — zweitens — „unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit" im Sinne der „Information der Regierung der Volksrepublik Polen" in Verbindung mit dem deutsch-polnischen Vertrag vom 7. Dezember 1970 sind sowie — drittens — unter Berufung auf ihre unbestreitbar deutsche Volkszugehörigkeit einen Ausreiseantrag gestellt haben. Die unter „zweitens" und „drittens" genannten Personen stehen im Mittelpunkt der Bemühungen der Bundesregierung, wobei sie sich auf die bestehenden bilateralen und multilateralen Vereinbarungen stützt. Der Bundesregierung liegen hinsichtlich der Ziffern eins und zwei keine statistisch gesicherten Angaben über die tatsächliche Zahl der betroffenen Personen vor. Es sind jedoch ca. 142 000 Ausreisebewerber namentlich bekannt.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Nach den Erkenntnissen der Bundesregierung kann nicht pauschal



Staatsminister Dr. Mertes
von einer Unterdrückung der deutschen Sprache in der Volksrepublik Polen gesprochen werden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011420100
Eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1011420200
Herr Staatsminister, können Sie die Angaben wiederholen, die Sie im Dezember 1983 in einem Brief an den früheren Fraktionskollegen der CDU/CSU Herrn Lenz bezüglich der Zahl der Deutschen in Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße gemacht haben?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, was ich soeben gesagt habe, entspricht der Notwendigkeit der Klarheit der Begriffe auch in diesem Zusammenhang. Wir müssen unterscheiden zwischen solchen Personen, die nach polnischem Recht polnische Staatsangehörige sind und sich gleichzeitig hinsichtlich ihrer deutschen Staatsangehörigkeit auf Art. 116 des Grundgesetzes berufen können, einerseits und denjenigen Personen, die unter den zwischen uns und der Volksrepublik Polen einvernehmlichen Begriff „Personen unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit" fallen andererseits. Ich habe in dem von Ihnen genannten Brief die uns vorliegenden Schätzzahlen zur ersteren Gruppe genannt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011420300
Weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1011420400
Wenn ich von der Zahl von einer Million Deutschen ausgehe, die Sie in dem Brief im Dezember 1983 genannt haben, Herr Staatsminister — das waren die Deutschen in Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße —, dann möchte ich doch fragen, wieso es kommt, daß diejenigen, die hier in Friedland als Deutsche eintreffen, nach Auskunft von Friedland zu über 50% kein Wort mehr deutsch können, ihre Muttersprache nicht beherrschen? Das muß doch einen Grund haben. Sie haben vorhin davon gesprochen, daß man nicht pauschal sagen dürfe, es gebe keine Zwangspolonisierung.
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, ich habe soeben erklärt, daß nach den Erkenntnissen der Bundesregierung nicht pauschal von einer Unterdrückung der deutschen Sprache in der Volksrepublik Polen gesprochen werden kann. Dies ist keine Aussage über die Ereignisse in Polen seit 1945, sondern über die heutige Lage.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011420500
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID1011420600
Herr Staatsminister, führen sie die nicht nur in einem Brief an Herrn Lenz, sondern auch in einer sehr sorgfältig und von Ihnen sehr verdienstvoll ausgearbeiteten Presseerklärung des Auswärtigen Amtes genannte Zahl von genau 1,1 Millionen deutschen Staatsangehörigen nicht doch auch auf vorliegende polnische Nachkriegsstatistiken über die Bevölkerung und ihre Fortschreibung zurück, wobei die Zahl natürlich nicht über die Ergebnisse der Zwangspolonisierung — daher eine geschätzte Zahl — Auskunft geben kann, und ist es nicht so, daß zentral das Problem das ist, daß dort, wo 800 000 oder drei Viertel dieser Leute leben eben in keiner Schule Deutsch — nicht einmal als Fremdsprache — gelehrt wird? Ich meine, man sollte ganz offen sagen, daß das eine peinliche Sache ist, die die Bundesregierung ja bemüht ist, in vernünftigen Verhandlungen abzustellen.
Dr. Mertes, Staatsminister: Ich verstehe Ihre Frage als Würdigung der Bemühungen der Bundesregierung, Herr Kollege Dr. Czaja, und bedanke mich dafür. Aber ich darf noch einmal betonen, daß für unsere Beziehungen zur Volksrepublik Polen der in der Praxis relevante Begriff in diesem Zusammenhang der kontraktuelle, der einvernehmliche Begriff „Personen unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit" bleibt. Über ihn haben sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die Regierung der Volksrepublik Polen geeinigt.
Die Schätzzahlen in meiner von Ihnen so freundlich zitierten Presseerklärung habe ich natürlich nicht erfunden, sondern sie waren dem Auswärtigen Amt von verantwortlicher und verantwortungsbewußter Seite vorgelegt worden. Aber sie haben für die Praxis nicht die gleiche Bedeutung wie der Begriff „Personen unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit".

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011420700
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Sind Bemühungen dafür im Gange, daß das Auswärtige Amt für Grundsatz- und Einzelanliegen in Menschenrechtsfragen einen wirksamen und ausreichend ausgestatteten Arbeitsstab bildet, nachdem der Bundesminister des Auswärtigen aktive Menschenrechtspolitik im Sinne der UN-Menschenrechtspakte als einen Pfeiler der deutschen Friedenspolitik berechtigterweise bezeichnet und auf der 39. UN-Generalversammlung dies als zentrale Aufgabe vertreten hat?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, wie der Bundesminister des Auswärtigen vor der 39. Generalversammlung der Vereinten Nationen am 26. September 1984 erklärte, ist für die Bundesrepublik Deutschland „aktive Menschenrechtspolitik ein Pfeiler ihrer Friedenspolitik". Dies war ein wörtliches Zitat von Bundesminister Genscher.
Um eine einheitliche Bearbeitung der Menschenrechtsfragen im Auswärtigen Amt zu gewährleisten, werden alle diesbezüglichen Arbeiten eng koordiniert. Mit dieser Aufgabe ist die Leiterin der für die Vereinten Nationen zuständigen Unterabteilung beauftragt worden. Sie wird dabei durch das für Menschenrechtsfragen im Bereich der Vereinten Nationen zuständige Referat unterstützt. Die Koordinierung wird laufend überprüft und verbessert, um eine konzeptionell und methodisch einheitliche Behandlung von Menschenrechtsfragen im Bereich des Auswärtigen Amtes zu gewährleisten.
Die Behandlung von Menschenrechtsverletzungen in den einzelnen Staaten hat erhebliche Auswirkungen auf unsere politischen Beziehungen zu dem jeweiligen Staat. Sie werden deshalb von den für unsere bilateralen Beziehungen zuständigen



Staatsminister Dr. Mertes
Länderreferaten, die für die Gesamtheit unserer politischen Beziehungen zu den einzelnen Staaten zuständig sind, bearbeitet.
Ebenso werden im multilateralen Rahmen Menschenrechtsfragen in den Vereinten Nationen, der KSZE oder im Europarat in dem für diese Institutionen insgesamt zuständigen Referat bearbeitet. Diese Regelung, Herr Kollege, hat sich bewährt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011420800
Zusatzfrage, bitte.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID1011420900
Herr Staatsminister, mit dem Dank für die klare Darlegung der Kompetenzen und der Verfahren verbinde ich, da so viele Referate — Länderreferate, UN-Unterabteilung, Menschenrechtsreferat und viele andere —, zum Teil auch andere Ressorts — bei Einzelfragen — und auch andere Ministerien beteiligt sind, die ebenfalls Völkerrechtsreferate haben, und da Sie das angedeutet haben und ich das immer unterstützend aufgreife, die Frage, ob diese auch von Ihnen aufgewiesene Überprüfung und Verbesserung — so haben Sie sich ausgedrückt — zu laufenden Bemühungen führen wird, die Dinge, wenn es um Abstimmung von Einzelfragen und Grundsatzfragen — darum geht es j a — und wenn es um Einzelinterventionen geht, noch schrittweise zu verbessern, wie Sie es andeuteten.
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, es gibt nichts im Leben, was nicht noch besser gemacht werden kann. Genau das habe ich eben zum Ausdruck gebracht.
Aber ich möchte Ihnen noch einmal sagen: Alle mit Menschenrechtsfragen befaßten Arbeitseinheiten des Auswärtigen Amtes beteiligen die mit der Koordinierung der Menschenrechtspolitik beauftragten Leiterin der Unterabteilung 23 vollständig und rechtzeitig an allen einschlägigen Vorgängen. Das geschieht z. B. durch Mitzeichnung aller Schriftstücke — z. B. Vorlagen, Erlasse usw. — von grundsätzlicher Bedeutung und durch Beteiligung bei der Abstimmung unserer Position in bilateralen und multilateralen Verhandlungen. Ich glaube, das trifft gerade den Bereich, den Sie eben angesprochen haben. Ebenso werden die Kontakte im Menschenrechtsbereich mit den entsprechenden Instanzen in den Außenministerien anderer Staaten und selbstverständlich anderer Ressorts bei uns durch die Leiterin der Unterabteilung 23 wahrgenommen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011421000
Weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID1011421100
Herr Staatsminister, darf ich das als eine Versicherung verstehen, daß zwischen den zuständigen Referaten so wirksam koordiniert wird, daß sowohl im Einzelfall wie im Grundsatzfall Bedeutsames effizient dem Minister vorgelegt wird zur eventuell notwendigen Entscheidung?
Dr. Mertes, Staatsminister: Die Frage, was dem Bundesminister vorgelegt wird, ist eine Frage der Organisation der täglichen Arbeit. Dem Bundesminister kann und soll nicht jede Einzelfrage vorgelegt werden, wenn sie auf einer niedrigeren Ebene erledigt werden kann.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Bedeutsame!)

— Ja. Sie können sicher sein: nicht nur die Beamten, sondern auch der Bundesminister des Auswärtigen selbst legt Wert darauf, daß ihm alle bedeutsamen Texte zur Kenntnisnahme oder zur Genehmigung vorgelegt werden.
Vielleicht kann ich Ihnen sagen, Herr Kollege Dr. Czaja — weil Sie immer ein lebendiges Interesse für die Frage der Organisation der Arbeitsweise der Bundesregierung bekundet haben —, wie die Zuständigkeit für Menschenrechtsfragen in anderen Außenministerien geregelt ist. In der Mehrzahl der westlichen Außenministerien ist eine der unsrigen ähnliche Zuständigkeitsregelung für Menschenrechtsfragen getroffen worden, d. h. die für die Vereinten Nationen zuständige Arbeitseinheit nimmt die Koordinierungsaufgabe wahr. In Außenministerien, in denen eine eigene Arbeitseinheit generelle Zuständigkeit für Menschenrechtsfragen hat, hat sich diese Lösung als organisatorisch nicht unproblematisch erwiesen, weil die Notwendigkeit bestehen bleibt, regionale oder internationale Zusammenhänge zu berücksichtigen.
Herr Kollege Dr. Czaja, zusammenfassend kann ich sagen: Sie haben meine Aussagen richtig interpretiert.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011421200
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Würtz.

Peter Würtz (SPD):
Rede ID: ID1011421300
Herr Staatsminister, zunehmende Menschenrechtsverletzungen führen mich zu der Frage, ob die notwendige Koordinierung, so wie sie im Auswärtigen Amt stattfindet, zusätzliche Personalmehranforderungen beim Bundesminister der Finanzen für das kommende Haushaltsjahr erfordert.
Dr. Mertes, Staatsminister: Das Auswärtige Amt hat die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages und auch die Öffentlichkeit über seine Personallage bereits sehr eingehend unterrichtet. Dieses Thema wird uns sicher in einem größeren Zusammenhang in diesem Parlament, vor allem im Auswärtigen Ausschuß und im Haushaltsausschuß, noch beschäftigen. Ich möchte diese Einzelfrage in diesen Gesamtzusammenhang stellen und betonen, daß auch das Thema „Verwirklichung der Menschenrechte" zu jenen Bereichen gehört, die in diesem Umfang Anfang der 70er Jahre noch nicht da waren und die eine Mehrarbeit herbeigeführt haben; natürlich zeitigt das auch personelle Probleme. Wir wollen ihnen mit Ihrer Hilfe, verehrte Kollegen im Deutschen Bundestag, begegnen. Ich freue mich schon jetzt auf die Mehrheit, die sich abzeichnet, Herr Kollege Würtz.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011421400
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1011421500
Herr Staatsminister, da Sie hier wiederholt den Begriff der Arbeitseinheit gebraucht haben, möchte ich fragen: Gibt es eine



Dr. Hupka
ähnliche Arbeitseinheit in unserer Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York, oder, klarer gefragt, gibt es da einen Mitarbeiter, der ausschließlich oder vordringlich mit Problemen der Menschenrechte bei den Vereinten Nationen beschäftigt ist?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, das Auswärtige Amt selbst ist eine Art Arbeitseinheit; seine Vertretungen im Ausland, die Botschaften, sind ebenfalls Arbeitseinheiten. Innerhalb dieser Arbeitseinheiten gibt es wiederum Untereinteilungen; so hat unsere Ständige Vertretung bei den Vereinten Nationen beispielsweise u. a. eine Politische Abteilung und eine Wirtschaftsabteilung.
Ich bin sicher, daß sich innerhalb der Politischen Abteilung der Ständigen Vertretung in New York hin wiederum eine kleinere Arbeitseinheit vordringlich mit dieser Frage beschäftigt. Aber um Ihnen das nun wirklich genau sagen zu können, möchte ich mich vergewissern; ich möchte es nicht bei dieser allgemeinen Aussage belassen. Aber nach meiner Erfahrung im Auswärtigen Dienst habe ich überhaupt keinen Zweifel, daß dem so ist, wie Sie es in Ihrer Frage formuliert haben.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011421600
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hat der Bundesminister des Auswärtigen bei seinen Besprechungen in Prag auch die Einhaltung der Rechtsverpflichtung der Tschechoslowakei nach Artikel 12,2 des Politischen UN-Menschenrechtspaktes auf freie Ausreise „jedermanns" aus „jedem Land" in bezug auf die in der Prager Botschaft befindlichen deutschen Staatsangehörigen eingefordert, und welche Antwort hat er erhalten?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, der Bundesminister des Auswärtigen hat auch seinen Besuch in Prag genutzt, um die Voraussetzungen für die Ausreisewünsche der in der Botschaft in Prag befindlichen Deutschen zu verbessern.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011421700
Eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID1011421800
Herr Staatsminister, kann ich etwas darüber erfahren, ob das Ergebnis darin besteht, daß sich auch die Tschechoslowakei in Zukunft an die Verpflichtung nach Art. 12 Abs. 2 des Menschenrechtspaktes zu halten gedenkt, wonach jedermann jedes Land verlassen darf, wenn er die innere Sicherheit nicht gefährdet?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, die einschlägige Vorschrift des Internationalen Menschenrechtspakts ist der Bundesregierung sehr wohl bekannt. Sie lautet wörtlich:
Jedermann steht es frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen.
Dazu muß ich aber noch folgendes sagen. Da es in den internationalen Beziehungen keine Autorität mit Durchsetzungsgewalt gibt, muß die Bundesregierung bei der Verfolgung ihrer konkreten Ziele über das Argumentieren mit gültigen völkerrechtlichen Normen hinaus eine Vielzahl von politischen
Überlegungen anstellen und Mittel einsetzen, um die jeweils anstehende konkrete Frage mit dem entsprechenden Land zu lösen.
Herr Kollege Czaja, weitergehende Ausführungen zu diesem Komplex wären auch im nachhinein nicht hilfreich.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011421900
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID1011422000
Da hier aber eine grundsätzliche Frage angesprochen ist, darf ich Ihre Ausführungen doch so verstehen, daß es die Bundesregierung im Blick auf bilaterale und auf multilaterale Verträge, insbesondere Menschenrechtsverträge, als ihre zentrale Aufgabe aktiver Friedenspolitik — wie Sie dankenswerterweise vorhin zitiert haben — ansieht, auch die Menschenrechte Deutscher mit allen verfügbaren und sinnvollen diplomatischen Mitteln auch gegenüber Ostblockstaaten, auch gegenüber der Tschechoslowakei, zu vertreten?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, Sie haben das sehr wichtige Wort „sinnvoll" gebraucht. Ich möchte bestätigen, daß die Bundesregierung auch in diesem Zusammenhang alles Sinnvolle tut.

(Zustimmung des Abg. Mischnick [FDP])


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011422100
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1011422200
Herr Staatsminister, da auf Grund des UN-Menschenrechtspakts Staatenberichte gegeben werden, die nachher diskutiert werden, frage ich: Besteht für die Bundesrepublik Deutschland eine Möglichkeit, bei Vorliegen des Staatenberichtes der Tschechoslowakei auch die Frage, die hier eben angesprochen wurde, zu erörtern und zu behandeln und über das Verhalten der Tschechoslowakei auf Grund deren Unterschrift zu sprechen?
Dr. Mertes, Staatsminister: Sie haben von einer Möglichkeit gesprochen, Herr Kollege. Deshalb kann ich Ihre Frage mit Ja beantworten.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011422300
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1011422400
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung die Erklärung des Rechtsanwalts Vogel, der bisher ein Mandat hatte, bestimmte Erklärungen abzugeben, die sich auf die Behandlung der Ausreisegesuche bezogen, bekannt, daß er ein solches Mandat in einem Wiederholungsfall nicht bekommen werde und daß sich damit die mögliche Hoffnung, zu Wiederholungsvorgängen zu kommen, als ziemlich illusorisch darstellt?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, der Bundesregierung sind selbstverständlich alle einschlägigen Äußerungen des Herrn Vogel bekannt. Aber ich lege in diesem Zusammenhang als Staatsminister im Auswärtigen Amt doch Wert auf die Feststellung, daß für die innerdeutschen Beziehungen nicht das Auswärtige Amt zuständig ist.




Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011422500
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Dr. Soell auf:
Mißt die Bundesregierung die finanzielle Förderung der Arbeit von Vertriebenenverbänden an der Zahl der beitragszahlenden Mitglieder dieser Verbände, und welche Folgerungen zieht sie z. B. aus Äußerungen des Vorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien, viele Mitglieder könnten „keine schlesische Großmutter nachweisen", sondern seien „Bekenntnisschlesier"?

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID1011422600
Herr Kollege Dr. Soell, die Bundesregierung bemißt die finanzielle Förderung der Arbeit von Vertriebenenverbänden nicht nach der Zahl der beitragszahlenden Mitglieder dieser Verbände, sondern nach den Leistungen, die diese Verbände für die Allgemeinheit erbringen, und zwar insbesondere bei der Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern in die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland und der Erhaltung und Weiterentwicklung des ostdeutschen Kulturerbes, § 96 des Bundesvertriebenengesetzes. Bei der Förderung werden außerdem Art und Umfang der Tätigkeit des Verbandes berücksichtigt, wobei insbesondere dem bundesweiten Wirkungskreis Bedeutung zukommt. Die Mitglieder der Vertriebenenverbände garantieren darüber hinaus durch ihren großen persönlichen ideellen und materiellen Einsatz, daß die laufende Arbeit der Verbände sichergestellt ist und die vielfältigen Einrichtungen unterhalten werden können, die ihrer sozialen und kulturellen Arbeit dienen. Die Arbeit der Vertriebenenverbände wird nicht nur von Mitbürgern getragen, die das Schicksal der Vertreibung unmittelbar erlebt haben, vielmehr engagieren sich auch viele junge Menschen in den Verbänden, die sich auf Grund ihrer familiären Bindungen des Schlesiern, Pommern, Ost- und Westpreußen, Sudetendeutschen oder anderen Gruppen der Vertriebenen besonders verbunden fühlen. Dieser Personenkreis ist sicherlich gemeint, wenn beispielsweise das Wort „Bekenntnisschlesier` benutzt wird.
Gerade die Erhaltung des reichen kulturellen Erbes Ostdeutschlands und der übrigen Vertreibungsgebiete ist eine Aufgabe, die alle Deutschen angehen sollte. Deshalb ist es nur zu begrüßen, wenn sich möglichst viele Mitbürger dieser wichtigen Aufgabe annehmen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011422700
Eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1011422800
Herr Staatssekretär, sind Ihrer Meinung nach nicht Überprüfungen dieser Kriterien deshalb notwendig, weil außenpolitische Stellungnahmen dieser Verbände die Vertrags- und Friedenspolitik der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Ländern wie Polen gefährden oder in Frage stellen können?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, die von mir genannten Kriterien zu überprüfen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011422900
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1011423000
Herr Staatssekretär, wird in keinem Fall die finanzielle Förderung von Vertriebenenverbänden von der Zahl der Mitglieder abhängig gemacht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Soell, ich sehe keinen Anlaß, meine klare Auskunft zu modifizieren oder in Frage zu stellen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011423100
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID1011423200
Herr Staatssekretär, ich darf doch davon ausgehen, daß auch die Bundesregierung in der freiheitlich strukturierten Bundesrepublik Deutschland der Auffassung ist, daß jeder selbst darüber entscheiden kann, was er als seine angestammte Heimat oder als das geistige Erbe der Heimat seiner Vorfahren betrachtet, daß das in der freien Entscheidung der Menschen liegt. Ich glaube, Sie können auch bestätigen, daß die Hilfen für die kulturelle und die soziale Arbeit der Vertriebenenverbände, wenn man andere große Organisationen und deren Förderung nimmt, relativ bescheiden sind.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Czaja, ich sehe keinerlei Widerspruch zwischen meiner dargelegten Auffassung und Ihren Ansichten.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011423300
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berger.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1011423400
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß es nicht den Tatsachen entspricht, wenn man den Vertriebenenverbänden pauschal ein Verhalten unterstellt, das der Vertrags- und Friedenspolitik der Bundesregierung abträglich wäre?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann dem nur zustimmen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011423500
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Reetz.

Christa Reetz (GRÜNE):
Rede ID: ID1011423600
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie in bezug auf die Frage, die vorhin im Rahmen des Geschäftsbereichs des Bundeskanzleramtes beantwortet wurde, jetzt aber fragen, ob der Bundesregierung bei der Förderung der Vertriebenenverbände auch bewußt ist, daß gegen diese Verbände, wie vorhin gesagt wurde, der Vorwurf des Revanchismus und Revisionismus erhoben wird.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich darf nur zum Ausdruck bringen, daß ich eine Frage des Kollegen Dr. Soell, die in den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern fällt, zu beantworten habe und nicht Ausführungen des Bundeskanzleramtes wiederholen muß oder zu kommentieren brauche.




Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011423700
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1011423800
Herr Staatssekretär, können Sie mir darin zustimmen, daß wir nicht abhängig sind von Vorwürfen der Kommunisten gegenüber Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sehe keinen Anlaß, Widerspruch zu erheben; ich teile diese Auffassung. Man kann sie allerdings auch noch anders formulieren.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011423900
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Lepsius.

Dr. Renate Lepsius (SPD):
Rede ID: ID1011424000
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Mahnungen des Herrn Bundespräsidenten und anderer politischer Vertreter hinsichtlich der Versöhnungspolitik und der Ostpolitik auch inhaltlich gegen die Kampagnen ausgedeutet werden können, die im Zusammenhang mit den Agitationen der landsmannschaftlichen Verbände in der Mitte Europas entstanden sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Lepsius, ich sehe keinerlei Anlaß, in dem engen Zusammenhang der mir gestellten Frage mir unbekannte Äußerungen des Herrn Bundespräsidenten zu kommentieren oder zu bewerten.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011424100
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Ist es zutreffend, daß die mit der Untersuchung des Salzstocks Gorleben beauftragten Institutionen, nämlich die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover vor der Standortuntersuchung und bis heute keine eindeutigen Eignungskriterien für den Salzstock benannt haben, und nach welchen Kriterien soll unter diesen Umständen das Untersuchungsergebnis hinsichtlich der Eignung für eine Endlagerung bewertet werden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, es trifft nicht zu, daß keine Kriterien für die Beurteilung der Eignung des Salzstockes Gorleben als Endlager für radioaktive Abfälle vorliegen. Vielmehr sind vom BMI Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk im Gemeinsamen Ministerialblatt Nr. 13 vom 11. Mai 1983 veröffentlicht worden, in die die Erfahrungen und die Sachkunde auch der in der Frage genannten Bundesanstalten eingeflossen sind. Nach diesen Kriterien wird die Eignung im Rahmen einer Sicherheitsanalyse bewertet.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011424200
Eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1011424300
Herr Staatssekretär, es wird Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, daß ich nicht nach Richtlinien über eine Lagerung in einem Bergwerk gefragt habe, sondern nach Richtlinien über die Lagerung in dem Salzstock Gorleben.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, sicherlich ist das meiner Aufmerksamkeit nicht entgangen. Aber meine Antwort umfaßt exakt auch den Bereich der Frage, der verengt auf Gorleben bezogen ist.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011424400
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1011424500
Herr Staatssekretär, da die Bewertung der Ergebnisse der Bohrungen in entscheidender Weise von dem Maßstab abhängt, den man für die Bewertung zugrunde legt, möchte ich Sie fragen, ob diese Maßstäbe — wenn ja: von wem — in einer formellen Weise beschlossen und veröffentlicht worden sind.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, ich darf nochmals betonen, daß diese von mir genannten Sicherheitskriterien auch den Bereich Gorleben erfassen. Es sind genaue Richtlinien aufgestellt worden, die unter Einbeziehung der von Ihnen zitierten Bundesanstalten erarbeitet worden sind. Nach ihnen wird gemessen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011424600
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Erika Hickel (GRÜNE):
Rede ID: ID1011424700
Herr Staatssekretär, Ihnen ist doch aber bekannt — das muß ich Sie nach diesen Antworten jetzt wirklich fragen —, daß im Salzstock Gorleben wasserführende Schichten entdeckt worden sind, die die Eignung doch als sehr fragwürdig erscheinen lassen. Sehen Sie unter diesen Bedingungen keinen Anlaß, außer der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig auch noch andere Behörden mit der Eignungsprüfung zu betrauen, nachdem die Physikalisch-Technische Bundesanstalt die Tatsache der Wasserführung im Salzstock anscheinend nicht für so entscheidend wichtig hält?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Angesichts dieser Frage müßte ich eigentlich zurückfragen, ob Ihnen bekannt ist, was im Innenausschuß in der 31. Sitzung am 20. Juni 1984 zu diesem Thema von den Sachverständigen umfassend vorgetragen wurde. Ich möchte auf die ausführlichen Darlegungen der Ergebnisse der Sachverständigen zu diesem Bereich Bezug nehmen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011424800
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Sind der Bundesregierung die Auswahlkriterien des niederländischen geologischen Reichsdienstes von 1980 und der amerikanischen NRC von 1981 bekannt, und ist es zutreffend, daß die bisherigen Untersuchungsergebnisse diesen Kriterien nicht entsprechen, weil die obere Ebene des Salzstocks nicht unter dem Wasserkreislauf liegt und daher weiterhin abgelaugt wird, zwischen dem Salzstock und den wasserführenden Schichten, die am Wasserkreislauf teilnehmen, keine geschlossene Tonschicht vorhanden ist, der Salzstock noch in der Quartärzeit aufgestiegen ist und sich wahrscheinlich heute noch bewegt, für den Standort weder tektonische noch hydrogeologische Stabilität nachgewiesen worden sei?



Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, die Auswahlkriterien in den Niederlanden und in den USA sind aus den intensiven Kontakten mit den zuständigen Stellen selbstverständlich bekannt. Es trifft nicht zu, daß die Untersuchungsergebnisse den Kriterien nicht entsprechen. Die Kriterien sollen nicht dazu dienen, auf der Grundlage buchstäblicher Erfüllung über die Eignung oder Nichteignung zu entscheiden. Sie stecken vielmehr den Rahmen der zu untersuchenden Aspekte ab. Sowohl in den Niederlanden und in den USA als auch in der Bundesrepublik Deutschland muß die Eignung in einer Sicherheitsanalyse nachgewiesen werden.
Zu den Standortkriterien betont die amerikanische Genehmigungsbehörde NRC, daß ein Standort grundsätzlich wegen des Fehlens einer günstigen Eigenschaft oder des Vorliegens einer ungünstigen Eigenschaft nicht als ungeeignet bewertet werden darf.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011424900
Zusatzfrage, bitte.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1011425000
Herr Staatssekretär, können Sie mir denn meine Frage beantworten, ob und in welchen Punkten die deutschen Richtlinien, von denen ich bisher nicht erfahren konnte, wie sie formell beschlossen und veröffentlicht wurden, von den Maßstäben der NRC und des niederländischen geologischen Reichsdienstes abweichen? Sind sie besser, sind sie schlechter? Worin weichen sie denn ab? Stellen sie leichtere Bedingungen oder schwerere?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Um noch einmal auf die Richtlinien zu kommen: Es sind Sicherheitskriterien des Bundesministers des Innern, die mit von Sachverständigen erarbeitet wurden. Diese Sicherheitskriterien, die hier enthalten sind, stehen weder im Widerspruch zu anderen Regelungen, in den von Ihnen genannten Ländern, noch sind dort sachdienliche Bestimmungen enthalten, die nicht bei den Richtlinien des Bundesministers des Innern berücksichtigt wurden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011425100
Weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1011425200
Herr Staatssekretär, lassen denn diese nach Ihrer Antwort nicht in einem formellen Verfahren beschlossenen Richtlinien zu, daß ein Salzstock als geeignet gilt, der sich in erdgeschichtlicher Zeit bewegt hat, bei dem zwischen den wasserführenden Schichten und den anderen tieferen Schichten keine absperrende Schicht vorhanden ist, der weiter in seinem Deckgebirge abgebaut wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, ich sagte bereits in meiner zweiten Antwort, daß nicht ein Kriterium allein exakt vorhanden sein muß, um die Geeignetheit oder Ungeeignetheit des Salzstocks darlegen zu können, sondern daß hier eine Fülle von Kriterien — auch modifiziert — vorhanden sein müssen, um zu einer abschließenden Sicherheitsbewertung zu kommen.
Im übrigen möchte ich im Detail auf die Darlegungen der Sachverständigen in der Ausschußsitzung verweisen. Ich bin aber gern bereit, auch Ihre vier Punkte, die den Bereich der Frage etwas sprengen, noch ergänzend zu beantworten.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011425300
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Reetz.

Christa Reetz (GRÜNE):
Rede ID: ID1011425400
Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß die Eignung in Sachanalysen nachgewiesen werden muß. Meine Frage ist, ob dieser Nachweis bei der Vorstufe zur Endlagerung, nämlich der Genehmigung des Zwischenlagers, geführt wurde.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sagte Ihnen schon, bezogen auf die Frage von Herrn Dr. Hirsch betreffend Gorleben, daß die Sachverständigen im Innenausschuß begründet und dargelegt haben, welche Erkenntnisse bisher vorliegen. Auf diese Erkenntnisse im Innenausschuß nehme ich Bezug. Ich möchte die Debatte hier im Deutschen Bundestag nicht erneut aufnehmen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011425500
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Dr. Enders auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie groß die Zahl der angenommenen Scheinehen zwischen Ausländern und deutschen Frauen ist, und hält sie für deren Enttarnung Auskünfte und Kontrollen selbst im persönlichen Bereich für gerechtfertigt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Enders, der Bundesregierung ist die Zahl solcher Ehen nicht bekannt. Bei Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte für das Bestehen einer Scheinehe sind die Behörden zur Unterbindung von Rechtsmißbräuchen gehalten, genauere Ermittlungen durchzuführen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß dabei die durch die Rechtsordnung im Sinne des Persönlichkeitsschutzes gezogenen Grenzen von den Länderbehörden beachtet werden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011425600
Zusatzfrage, bitte.

Dr. Wendelin Enders (SPD):
Rede ID: ID1011425700
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Kritik des Verbandes der deutschen Frauen, die mit Ausländern verheiratet sind, bekannt, wonach den Standesbeamten Vorwürfe gemacht werden, weil sie durch Fangfragen die Aufrichtigkeit des Willens zur Eheschließung feststellen wollen? Sie prangern auch Schnüffelmethoden an,

(Eigen [CDU/CSU]: Was schnüffeln die denn?)

wonach in Wohnungen Feststellungen erhoben werden, ob eine zweite Person in dieser Wohnung lebt oder nicht.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Enders, mir ist weder die Kritik bekannt, noch ist mir bekannt, ob die Tatsachen diese Kritik rechtfertigen. Das ist Sache der Länder. Ich bin, wenn Sie mir Konkretes nennen, gern bereit, über die Länder abzufragen, ob diese Kritik berechtigt erscheint.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011425800
Noch eine Zusatzfrage.




Dr. Wendelin Enders (SPD):
Rede ID: ID1011425900
Die letzte Frage, Herr Präsident. Herr Staatssekretär, halten Sie den Aufwand für die Feststellung angeblicher Scheinehen für gerechtfertigt, da deren Zahl vermutlich sehr gering ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Enders, ich kann nur wieder sagen: Der Aufwand ist ebenso wie der andere Bereich Sache der Länder und der Landesbehörden, sie müssen ermessen, ob der Aufwand im Verhältnis zum Ertrag steht. Ich darf aber daran erinnern, daß das Bundesverwaltungsgericht eindeutig erklärt hat, daß Scheinehen da rechtswidrig zu Rechtsmißbräuchen Möglichkeiten eröffnen und daß ein Rechtsstaat natürlich gehalten ist, Rechtsmißbräuchen entgegenzuwirken.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011426000
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 40 der Frau Abgeordneten Dr. Lepsius auf:
Hat die Bundesregierung — wie Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion in einer Besprechung am 12. Dezember 1984 zugesagt — eine öffentliche Stellenausschreibung für die leitenden Koordinierungsaufgaben zur konzeptionellen Ausarbeitung eines „Hauses der Geschichte" mit Standort in Bonn vorgenommen, und wird sie damit haushaltsrechtlichen Vorschriften entsprechen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Lepsius, in dem Gespräch am 12. Dezember 1984 wurde eine Zusage, eine öffentliche Stellenausschreibung vorzunehmen, nicht gegeben.
Im Rahmen des Gesprächs, das dazu diente, Vertreter der Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag frühzeitig über den Stand der Überlegungen zu einem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu unterrichten, wurde lediglich darauf hingewiesen, daß daran gedacht ist, die wissenschaftlichen Mitarbeiter für den Aufbau des „Hauses der Geschichte" auch über ein Ausschreibungsverfahren zu gewinnen.
Die haushaltsrechtlichen Vorschriften lassen daneben andere Möglichkeiten der Personalauswahl, wie z. B. insbesondere bei Werkverträgen, offen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011426100
Zusatzfrage, bitte.

Dr. Renate Lepsius (SPD):
Rede ID: ID1011426200
Ich will einmal im Raum stehenlassen, ob hier eine Zusage gegeben worden ist oder nicht. Ich habe es so verstanden, daß wir uns darauf verständigt haben, daß eine öffentliche Stellenausschreibung für den Arbeitsstab beim „Haus der Geschichte" gemacht wird. Ich möchte fragen, ob Sie unsere Auffassung, insbesondere meine Auffassung teilen, daß die Errichtung eines „Hauses der Geschichte" vom größtmöglichen Konsensus des deutschen Parlaments getragen werden sollte, und ob Sie mit mir der Auffassung sind, daß die Besetzung des Arbeitsstabes für die Errichtung des „Hauses der Geschichte" nicht kontrovers geschehen sollte, sondern versöhnlich und nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit den Parlamentariern dieses Hohen Hauses.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Lepsius, es war ja gerade Ausdruck des Bemühens um vertrauensvolle Zusammenarbeit auch mit dem Parlament, daß der Bundesinnenminister in einem sehr frühzeitigen Stadium dieses Gespräch, zu dem keinerlei Verpflichtung bestand, geführt hat. Ich gehe davon aus, daß ohne Änderung der Zuständigkeiten eine solche Kooperation möglich sein wird.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011426300
Weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Renate Lepsius (SPD):
Rede ID: ID1011426400
Herr Staatssekretär, würden Sie mir heute hier eine Zusage geben, daß vor der Berufung von drei Mitgliedern des Arbeitsstabes „Haus der Geschichte" eine einvernehmliche Regelung oder eine Absprache mit Mitgliedern der Opposition des Deutschen Bundestages erfolgen kann, um den Geist und den Gehalt, die j a auf dem Konsensus der in diesem Haus vertretenen demokratischen Parteien beruhen sollen, auch bei der künftigen Zusammenarbeit sicherzustellen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, eine solche Zusage kann ich schon deswegen nicht machen, weil ich nicht weiß, ob Ihre Auffassung beispielsweise derart ist, daß Sie den Überlegungen des Bundesinnenministers zustimmen können.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011426500
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Soell.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1011426600
Herr Staatssekretär, da ich an dieser Besprechung teilgenommen habe und das, was die Kollegin Lepsius in ihrer Frage ausgedrückt hat, dem Sinngehalt nach unterstütze, möchte ich Sie fragen, ob Sie in solchen offensichtlichen Mißverständnissen, die aufgetreten sind, nicht ein wesentliches Hindernis sehen, das das Ziel gefährdet, das Sie sicher auch erreichen wollen, nämlich daß die Errichtung des „Hauses der Geschichte" im Konsens erfolgt.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich darf Ihnen sagen, Herr Dr. Soell, daß ich es sehr bedaure, daß das Bemühen des Bundesinnenministers, hier wirklich sehr frühzeitig und sehr offen über gewisse Überlegungen zu informieren, zu solchen Rückfragen oder Mißverständnissen geführt hat, die nach Auffassung des Bundesinnenministers nicht von seinem Haus zu verantworten sind.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011426700
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID1011426800
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß ein Konsens in Geschichtsfragen eine auch unter Wissenschaftlern oft recht schwierige Angelegenheit ist, daß man ihn zwar anstreben soll, daß aber nicht immer gewährleistet werden kann, daß man ihn auch tatsächlich erreicht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Czaja, das ergänzt meine Bedenken, die ich ebenfalls schon zum Ausdruck brachte, allerdings in anderer Richtung.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011426900
Keine weiteren Zusatzfragen.



Vizepräsident Stücklen
Ich rufe die Frage 41 der Frau Abgeordneten Dr. Lepsius auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung unter Mißachtung der SPD-Bundestagsabgeordneten gegebenen Zusagen bereits eine personelle Vorentscheidung für Dr. Rainer Pommerin, Universität Köln, getroffen hat, und wie denkt die Bundesregierung mit dem deutschen Parlament umzugehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Lepsius, da, wie zu Ihrer ersten Frage ausgeführt, keine Zusage gegeben wurde, kann von deren Mißachtung nicht die Rede sein.
Im übrigen werden Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter, die für die konzeptionelle Entwicklung des „Hauses der Geschichte" im einzelnen notwendig sind, frühestens ab 1986 zur Verfügung stehen. Die Frage der Besetzung solcher Stellen ist daher derzeit noch nicht aktuell. Es wird jedoch in begrenztem Umfang die Vergabe von Werkverträgen angestrebt, um erste Arbeiten für den Aufbau des „Hauses der Geschichte" in Angriff nehmen zu können. Die Entscheidung hierüber steht noch aus.
Es ist zu bedauern, daß die frühzeitige und offene Unterrichtung auch von Abgeordneten der SPDFraktion durch den Bundesminister des Innern zum Anlaß genommen wird, der Bundesregierung unangemessenen Umgang mit dem Parlament zu unterstellen. Der Bundesminister des Innern und die Bundesregierung werden sich hierdurch nicht davon abbringen lassen, sich auch weiterhin um ein vertrauensvolles Zusammenwirken mit dem Deutschen Bundestag zu bemühen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011427000
Zusatzfrage? — Bitte.

Dr. Renate Lepsius (SPD):
Rede ID: ID1011427100
Herr Staatssekretär, vorausgesetzt, daß ich mit Ihnen politisch inhaltlich sicherlich nicht übereinstimmen werde, worin ich auch gar keinen Fehler sehen kann: Würden Sie mir zustimmen, daß es bei der Errichtung des „Hauses der Geschichte" und bei der Besetzung des Arbeitsstabes, des Stiftungsrates und des Beirats, über die j a Einverständnis in der Arbeitsgruppe der SPD und in dem Gespräch mit den Herren Ihres Hauses erzielt werden konnte, sinngemäß darum gehen muß, daß bei der Besetzung einer solchen Stelle Konsensus hergestellt wird und daß sich in den Personen, wie sie etwa in Vorschlägen diskutiert worden sind, nicht einseitige Geschichtsbilder wiederfinden dürfen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Lepsius, ich glaube, es würde den Rahmen dieser Frage und auch meiner Antwortmöglichkeit weit überschreiten, wenn ich jetzt in dieser Form wieder in eine Diskussion über eine Frage eintreten würde, die nach meiner Kenntnis der Dinge von Vertretern des BMI mit Ihnen und auch dem Herrn Kollegen Dr. Soell im Dezember ausführlich erörtert worden ist.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011427200
Weitere Zusatzfrage.

Dr. Renate Lepsius (SPD):
Rede ID: ID1011427300
Noch eine Zusatzfrage. — Es geht mir sinngemäß darum, daß der Deutsche Bundestag — darum möchte ich Sie bitten — Herr des Verfahrens bleibt und daß das Innenministerium in Rückkoppelung mit den Abgeordneten — gleich welcher Partei, selbstverständlich der Regierungsparteien wie auch der Oppositionsparteien — sicherstellt, daß für das „Haus der Geschichte" liberale Vertreter gewonnen werden können, damit nicht einseitig und konservativ positivistisch Positionen besetzt werden, wie Sie sie hier heute in den Antworten haben erkennen lassen, und sich im „Haus der Geschichte" wiederfinden.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Lepsius, ich darf nur einmal den letzten Satz meiner Antwort auf Ihre zweite Frage wiederholen: Der Bundesminister des Innern und die Bundesregierung werden sich hierdurch — auch durch die Diskussion, die im Zusammenhang mit dem Treffen im Dezember aufbrach — nicht davon abbringen lassen, sich auch weiterhin um ein vertrauensvolles Zusammenwirken mit dem Deutschen Bundestag zu bemühen, und zwar, so füge ich jetzt hinzu, unter Beachtung der jeweiligen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011427400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Soell.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1011427500
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß es hier ja nicht um die Konsensbildung bei einem wissenschaftlichen Urteil geht — das ist sicherlich schwierig, wenn nicht unmöglich —, sondern darum, bestimmte Voraussetzungen für eine möglichst im Konsens erfolgende und die Breite und die Tiefe des geschichtlichen Prozesses darstellende Präsentation der Geschichte der Bundesrepublik und auch ihrer Vorgeschichte zu schaffen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich stimme Ihnen mit der Maßgabe zu, was Frau Kollegin Dr. Lepsius vorhin erklärt hat, daß sie mit den politischen Auffassungen, die ich hier vertrete, nicht übereinstimmt. Das macht natürlich auch einen Konsens in der Frage nicht einfacher.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011427600
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 42 und 43 des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 44 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie viele Polen sind zwischen 1980 und 1984 in die Bundesrepublik Deutschland als anerkannte Asylanten, als nicht oder noch nicht anerkannte Asylanten und ohne jede Asylbewerbung zugezogen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hupka, zwischen 1980 und 1984 haben 24 810 polnische Staatsangehörige in der Bundesrepublik Deutschland politisches Asyl beantragt. Im gleichen Zeitraum wurden 3 119 Polen als Asylberechtigte anerkannt. Die Anträge von 8 151 polnischen Staatsangehörigen wurden abgelehnt und die Anträge von 4 516 Personen eingestellt oder von diesen zurückgenommen. Die Asylverfahren von 3 190



Parl. Staatssekretär Spranger
polnischen Staatsangehörigen waren am 31. Dezember 1984 noch nicht abgeschlossen.
Dem Ausländerzentralregister sind zwischen 1980 und 1984 insgesamt 20 952 polnische Staatsangehörige gemeldet worden, die zugezogen sind, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011427700
Zusatzfrage, bitte.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1011427800
Herr Staatssekretär, können Sie Auskunft darüber geben, wie viele von den 20 952 Personen, die zugezogen sind und keinen Antrag gestellt haben, wieder zurückgegangen sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das überschreitet den Rahmen Ihrer Frage. Ich bin gerne bereit, zu eruieren zu versuchen, ob angesichts der auch vorhandenen sehr hohen Dunkelziffer realistische Zahlen vorhanden sind.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011427900
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1011428000
Herr Staatssekretär, können Sie die Haltung des Bundesinnenministeriums bezüglich der jetzt durch die Innenministerkonferenz in die Diskussion geratene Forderung bekanntgeben, daß man den Polen, die nicht aus politischen Gründen hierhergekommen sind, den Rat erteilen sollte, wieder zurückzugehen, da es ja eine Verabredung aus dem Jahre 1966 gibt, daß niemand in ein Ostblockland, aus dem er kommt, wieder zurückgeschickt werden kann, auch wenn er hier kein Asyl erhält?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Hupka, ich bitte um Nachsicht, da auch diese Frage den Rahmen Ihrer exakten Frage überschreitet und hier in der Fragestunde eine politische Dimension eröffnet, die zu Weiterungen führen könnte, die ich vermeiden muß.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011428100
Keine weitere Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Die Fragen aus diesem Geschäftsbereich — Frage 45 des Herrn Abgeordneten Uldall, Frage 46 des Herrn Abgeordneten Niegel sowie Frage 47 des Herrn Abgeordneten Bernrath — sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit ist dieser Geschäftsbereich bereits abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Geldern zur Verfügung.
Die Fragen 50 und 51 des Herrn Abgeordneten Eylmann sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 48 des Herrn Abgeordneten Menzel auf:
Treffen Meldungen zu, daß die EG Obst im Werte von ca. einer Milliarde DM vernichten will und daß dafür ca. 550 Millionen DM Kosten aufgewandt werden sollen?

Dr. Wolfgang von Geldern (CDU):
Rede ID: ID1011428200
Herr Kollege Menzel, die Meldungen treffen nicht zu. Obst und Gemüse, das im Rahmen der Intervention aus dem Markt genommen wird, darf nur den in der Marktorganisation vorgesehenen und schon lange üblichen Verwendungszwecken zugeführt werden. Das sind Verteilung insbesondere an soziale Einrichtungen und an die Justizvollzugsanstalten, Verwendung als Futtermittel und Destillation zu Alkohol.
Wegen der hohen Verderblichkeit von Obst und Gemüse kommt es aber — besonders in den südlichen Mitgliedstaaten — vor, daß Erzeugnisse verderben, bevor sie einer der vorgeschriebenen Verwendungen zugeführt werden konnten. Die Bundesregierung ist mit Nachdruck darum bemüht, die Überschußproduktion in der Europäischen Gemeinschaft auch bei Obst und Gemüse abzubauen. Die Beschlüsse des Ministerrats vom 31. März 1984 gehen in diese Richtung.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011428300
Eine Zusatzfrage, bitte.

Heinz Menzel (SPD):
Rede ID: ID1011428400
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß in den nördlichen EG-Ländern, wozu ich auch die Bundesrepublik und Frankreich zähle, kein Obst und Gemüse, das nicht verdorben war, vernichtet worden ist, dafür also keine Mittel aufgewandt worden sind?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Menzel, ich wiederhole, daß zu den Verwendungszwecken für interveniertes Obst und Gemüse die Vernichtung ausdrücklich nicht gehört. Das, was in der von Ihnen zitierten Meldung behauptet worden ist, trifft nicht zu. Hier ist Verderb und Vernichtung gleichgesetzt worden, was nicht das gleiche ist.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011428500
Noch eine Zusatzfrage, bitte.

Heinz Menzel (SPD):
Rede ID: ID1011428600
Wie hoch sind denn die Mittel, die aufgewandt worden sind, um solches Gemüse, wie Sie sagen, aus dem Markt zu nehmen?

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Gemüse?)

Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Menzel, ich kann Ihnen über die vergangenen Maßnahmen dieser Art einige Zahlen geben. Vielleicht wäre es sogar besser, ich gäbe sie Ihnen schriftlich. Aber ich kann hier folgendes über den Anteil der Intervention an der Produktion und ihre Kosten sagen. Der Anteil der Intervention an der Produktion der Europäischen Gemeinschaft bei Obst und Gemüse hat sich im Verlauf der vergangenen Jahre auf durchschnittlich 3 bis 4 % belaufen. Die Kosten, die das verursacht hat, machten 2 % der Gesamtkosten für die landwirtschaftlichen Marktordnungen aus.




Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011428700
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Eigen.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID1011428800
Herr Staatssekretär, wenn das so ist, wie Sie es sagen — und daran gibt es keinen Zweifel —: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit eine Organisation wie die AGV, die volksverhetzerische Veröffentlichungen macht, während sie ausschließlich von öffentlichen Mitteln lebt, ein klein wenig zur Ordnung gerufen wird?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, nach meiner Auffassung leistet die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher in vielen Bereichen eine sehr wichtige und nützliche Aufklärung der Verbraucher, die ich der Öffentlichkeit nur zu nutzen empfehlen kann. — Ausnehmen muß ich zu meinem großen Bedauern den Bereich der Argarpolitik. Hier sind tatsächlich die öffentlichen Äußerungen der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher, zu denen auch diese hier zitierte Pressemeldung gehört, so weitab der Realität, daß man sie als irreführend bezeichnen muß. Ich kann dies nur mit großem Bedauern feststellen und hinzufügen, daß wir uns wünschen, daß die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher auch in diesen Fragen die sonst gezeigte Sachlichkeit wiedergewinnt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011428900
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1011429000
Herr Staatssekretär, können Sie die Zahlen über die bzw. die prozentuale Aufteilung der Verwendung des von Ihnen genannten intervenierten Obstes und Gemüses nennen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kirschner, ich will das gerne tun, und zwar für das Wirtschaftsjahr 1982/83 — darüber liegen die Zahlen inzwischen vor. In dem Jahr sind in der Bundesrepublik Deutschland 5 % des gesamten intervenierten Bestandes sozialen Zwecken zugeführt worden, 33 % für Verfütterungszwecke verwandt worden, 61% für die Destillation, und 1 % ist leider verdorben.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011429100
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1011429200
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort, die Sie eben Herrn Eigen gegeben haben, entnehmen, daß Sie den Ausdruck „volksverhetzerisch" für die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher, unter deren Kritik auch wir gelegentlich zu leiden hatten, für nicht zutreffend halten und daß Sie überhaupt finden, daß dies ein Ausdruck ist, der in diesem Parlament keinen Platz haben sollte?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Vollmer, ich gebe Antworten für die Bundesregierung und kommentiere nicht Fragen von Bundestagskollegen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU — Eigen [CDU/CSU]: Das kann sie ihn doch nicht fragen!)

Ich habe meine Antwort vorhin, was die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher betrifft, glaube ich, so gestaltet, daß sie ein differenziertes Bild über deren Öffentlichkeitsarbeit gibt.

(Eigen [CDU/CSU]: Sie kann ja mich fragen!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011429300
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Menzel auf:
Hat die Bundesregierung dazu ihre Zustimmung gegeben, bzw. was hat sie unternommen, um diese Vernichtung von Lebensmitteln zu verhindern?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Menzel, die Europäische Gemeinschaft hat keine Beschlüsse gefaßt, bestimmte Mengen aus dem Markt zu nehmen. Die genannten Zahlen über Mengen und Kosten sind rein spekulativ. Welche Mengen die Erzeugerorganisationen aus dem Markt nehmen werden, weil sie selbst zu niedrigen Erzeugerpreisen nicht absetzbar sind, hängt vom Marktverlauf ab und läßt sich jetzt überhaupt nicht sagen.
Die Bundesregierung lehnt die Vernichtung von Obst und Gemüse entschieden ab. Sie findet nicht statt. Die Bundesregierung tritt für Maßnahmen ein, den Umfang des Verderbs so gering wie irgend möglich zu halten. Sie setzt sich darüber hinaus in Brüssel dafür ein, einen finanziellen Ausgleich nur für die den vorgeschriebenen Verwendungszwekken zugeführten Erzeugnisse zu gewähren. Dieser Antrag fand bisher nicht die erforderliche Unterstützung der anderen Mitgliedstaaten.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011429400
Zusatzfrage, bitte.

Heinz Menzel (SPD):
Rede ID: ID1011429500
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß gegenüber den Hungernden in der Welt jedes Aus-dem-Markt-Nehmen — Sie lehnen j a den Begriff der Vernichtung ab — von Lebensmitteln — Obst und Gemüse sind j a Lebensmittel im weitesten Sinn — und die Aufwendung von Mitteln dafür nicht zu vertreten ist und daß es auch unmoralisch ist?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Menzel, ich muß davor warnen, die Probleme, die in Marktbereichen der Europäischen Gemeinschaft entstehen und entstanden sind, damit zu verknüpfen, daß es in anderen Teilen der Welt die entsetzliche Situation gibt, daß dort Hunger herrscht. Mit dem hier zuviel produzierten Obst und Gemüse, das nicht absetzbar ist, können Sie zweifellos den hungernden Menschen in der Welt nicht helfen. Dafür, daß dies nicht möglich ist, gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Es ist aus sozialen Gründen gegenüber den vielen kleinen Erzeugern, insbesondere den südlichen Ländern der Gemeinschaft, eine richtige Maßnahme, wenn Obst, das andernfalls, weil es auf dem Markt nicht absetzbar ist, schlicht verderben würde, durch die Gemeinschaft für sinnvolle Zwecke verwendet, z. B. sozialen Einrichtungen verbilligt oder kostenlos zur Verfügung gestellt wird und damit den Erzeugern doch noch ein gewis-



Parl. Staatssekretär Dr. von Geldern
ses Einkommen ermöglicht wird, das sie sonst nicht mehr hätten.

(Eigen [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011429600
Noch eine kurze Zusatzfrage. Wir sind am Ende der Fragestunde.

Heinz Menzel (SPD):
Rede ID: ID1011429700
Wenn schon die Produkte nicht in die Länder, in denen Hunger herrscht, gebracht werden können, könnte man dann vielleicht nicht mit den Mitteln, die aufgewandt werden, um zu intervenieren, den Hungernden in der Welt helfen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Menzel, ich glaube, die Europäische Gemeinschaft und auch die Bundesrepublik Deutschland brauchen sich ein mangelndes Engagement gegenüber den Hungernden in der Welt nicht vorwerfen zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir leisten hier mehr als viele andere, die etwas leisten könnten und das nicht tun. Es ist aber immer schlecht — ich kann Ihnen deshalb auch nicht zustimmen —, wenn man Kosten, die einem Bereich entstehen, z. B. Marktordnungskosten der europäischen Agrarpolitik, einfach mit Problemen verknüpft, die wir in anderen Bereichen haben. Wenn Sie in dieser Weise vorgehen, können Sie, was die Haushaltstitel und die notwendigen Haushaltsausgaben betrifft, eigentlich nur Verwirrung anrichten.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011429800
Keine weiteren Zusatzfragen, weil die Fragestunde zu Ende ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1985 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1985 — BBVAnpG 85)

— Drucksache 10/2591 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß (federführend)

Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Friedrich Zimmermann (CSU):
Rede ID: ID1011429900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage des Gesetzentwurfes kommt die Bundesregierung der Verpflichtung nach § 14 des Bundesbesoldungsgesetzes nach, die Bezüge der Beamten, Richter und Soldaten sowie der Versorgungsempfänger entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und unter Berücksichtigung der mit den Dienstaufgaben verbundenen Verantwortung anzupassen.
Der Gesetzentwurf ist einfach strukturiert. Grundgehalt und Ortszuschlag einschließlich der familienbezogenen Stufen werden ab 1. Januar 1985 um 3,2 % angehoben. Einbezogen in die Anhebung sind die Amtszulagen, die Besoldung der Auslandsbeamten und die Anwärterbezüge. Hinzu tritt eine Einmalzahlung von 240 DM, für Anwärter von 85 DM. Die Einmalzahlung wirkt sich besonders günstig in den unteren Besoldungsgruppen aus. Die zusätzliche Zahlung ist nicht in die Gehaltstabelle aufgenommen. Somit werden leistungshemmende Verzerrungen des Besoldungsgefüges, wie sie in der Vergangenheit mit Sockel- oder Einmalbeträgen verbunden waren, vermieden. Verglichen mit den Tarifabschlüssen der gewerblichen Wirtschaft und im öffentlichen Dienst ist die vorgeschlagene Anhebung ausgewogen und vertretbar.
Zwei besoldungspolitische Feststellungen: Nach einer Phase zurückhaltender Besoldungspolitik sollen die Bezüge der Beamten, Richter, Soldaten und Versorgungsempfänger wieder Anschluß an die allgemeine Einkommensentwicklung finden. Die Bundesregierung hält diesen Schritt für richtig und notwendig, und der Bundesrat teilt diese Auffassung.
Dieser Schritt wurde möglich im Hinblick auf die sich deutlich abzeichnenden Fortschritte bei der Haushaltsgesundung, die eine Bestätigung der Konsolidierungspolitik der Bundesregierung sind. Ich erinnere an die parlamentarische Auseinandersetzung um den Sparhaushalt 1984. Das vom öffentlichen Dienst erbrachte Sparvolumen beläuft sich auf 5,9 Milliarden DM. Das Haushaltsbegleitgesetz vom 22. Dezember 1983 brachte die zehnprozentige Senkung der Eingangsbezahlungen im gehobenen und höheren öffentlichen Dienst, Stellenbesetzungs- und -beförderungssperren und eine Verschiebung der damals anstehenden Besoldungs- und Tariferhöhung. Die jetzige positive Entwicklung, die sich vor Jahresfrist noch niemand so recht vorstellen konnte, verdanken wir zu einem bemerkenswerten Teil also dem opferbereiten Verhalten der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Zahlreiche Sparmaßnahmen wirken fort. Aber auch für diese politische Notwendigkeit zeigen die Angehörigen des öffentlichen Dienstes Verständnis. Ich möchte das auch an dieser Stelle mit einem Wort des Dankes unterstreichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der öffentliche Dienst erbringt wie alle anderen Wirtschaftsbereiche seinen Beitrag zum Sozialprodukt. Es wäre daher unbillig, die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes nicht angemessen am wirtschaftlichen Fortschritt zu beteiligen. Oft schafft der öffentliche Dienst überhaupt erst die Voraussetzungen für ein Funktionieren der Wirtschaft. Der Bürger erwartet vom öffentlichen Dienst eine von sachfremden Einflüssen unbehinderte und jederzeit zuverlässige Erfüllung der öffentlichen Aufgaben. Diese Aufgabenerfüllung setzt qualifiziertes und leistungsbereites Personal voraus. Der Staat muß gerade den Beamten auf Grund des engen Dienst- und Treueverhältnisses umfassend und in der Regel lebenslang in Anspruch nehmen können. Dieser ständigen Leistungsbereitschaft muß auf



Bundesminister Dr. Zimmermann
seiten des Dienstherren eine entsprechende Gegenleistung gegenüberstehen. Nur so kann es gelingen, die Attraktivität des öffentlichen Dienstes und damit seine Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Wer geeignete und befähigte Mitarbeiter gewinnen und motivieren will, muß Leistung und Einsatzbereitschaft auch angemessen honorieren.
Der dem Hohen Hause vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung übernimmt das Stuttgarter Tarifergebnis vom November 1984. Damit verwirklicht die Bundesregierung den Grundsatz der Gleichbehandlung der Statusgruppen im öffentlichen Dienst, wie es ihren Ankündigungen entspricht. Dieser Grundsatz, auch bekannt als Gleichklang der Anpassung von Tarif und Besoldung, hat sich bewährt. Er trägt wesentlich zum Arbeitsfrieden bei. Das schließt nicht aus, daß in Teilbereichen Besonderheiten in den verschiedenen Systemen berücksichtigt werden. Ich merke das nur vorsorglich an, weil bei den Voraussetzungen für einen Anspruch auf Einmalzahlung im Besoldungsbereich zum Teil rechtliche Vorgaben zu beachten sind, die in dieser strengen Form im Tarifbereich nicht vorliegen. Aber auch umgekehrt sind systemimmanente Abweichungen denkbar. An der generellen Linie ändert sich aber dadurch nichts.
Der Gesetzentwurf enthält nur die notwendige Anpassung der Besoldung an die Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse. Die Besoldungspolitik der Bundesregierung erschöpft sich aber darin nicht. Die Besoldung muß leistungsgerecht und funktionsorientiert sein. Mit anderen Worten heißt das: Ebenso wie die Lebensverhältnisse einem ständigen Wandel unterworfen sind, ändern sich die Anforderungen an den öffentlichen Dienst. Die Besoldung muß auf geänderte Leistungsanforderungen an das Personal reagieren. Daueraufgabe der Besoldungspolitik ist es, solche Veränderungen zu beobachten und zu entscheiden, welche Folgerungen daraus für die Besoldungsstruktur zu ziehen sind. Seit dem sogenannten Besoldungsstrukturgesetz von 1980, das viele Fragen offenließ, hat es wegen des Zwangs zum Sparen praktisch keine positive Veränderung der Besoldungsstruktur mehr gegeben. Voraussetzung für eine Fortentwicklung bleibt also nach wie vor die weitere Verbesserung der finanziellen Rahmenbedingungen.
Die vorhandenen Strukturprobleme werden sich auch nicht in einer einmaligen Aktion lösen lassen. Unsere Aufgabe für die nächste Zukunft wird sein, zu überlegen und zu entscheiden, welche Strukturprobleme besonders dringlich sind und daher noch in dieser Legislaturperiode angegangen werden müssen. Es geht darum, Prioritäten in der strukturellen Fortentwicklung der Besoldung herauszuarbeiten.
Nicht jede Einzelfrage kann aufgegriffen werden. Ein überladenes Strukturkonzept würde schon am Kostenansatz scheitern. Es geht jetzt nicht mehr und nicht weniger um ein vernünftiges und realisierbares Konzept mit vorrangigen Schwerpunkten. Aus meiner Sicht sind es zwei Bereiche; zum einen die Einkommenssituation in den unteren Besoldungsgruppen wegen ihrer Nähe zum Sozialhilfeniveau. Nicht nur nach meiner Auffassung muß die untere Grenze der Besoldung in jedem Fall über dem Sozialhilfeniveau liegen, wenn nicht der Sinn der Alimentationspflicht des Dienstherrn des Beamten aufgehoben werden soll. In diesem Punkt sind wir alle aufgefordert, alsbald eine sachgerechte Lösung zu finden. Der Bundesminister des Innern wird alsbald dem Kabinett seine Vorschläge unterbreiten.
Weiterer Schwerpunkt ist eine stärkere Betonung der Familienkomponente in der Besoldung, wobei ich insbesondere an eine ausgewogene Entlastung kinderreicher Beamtenfamilien denke. Zur familiengerechten Besoldung hat das Verfassungsgericht Kriterien aufgezeigt, die bei unseren Überlegungen zu beachten sind. Für Lösungen bieten sich mehrere Wege an. Auch solche außerhalb des Besoldungsrechts und im Zusammenwirken mit der Familienkomponente in der Besoldung können nicht außer Betracht bleiben.
Ich bin zuversichtlich, daß die Bundesregierung bei ihren Strukturvorschlägen diesen Anliegen, diesen beiden besonderen Schwerpunkten, ihr besonderes Augenmerk widmen wird.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011430000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bernrath.

Hans Gottfried Bernrath (SPD):
Rede ID: ID1011430100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Dienst- und Versorgungsbezüge, wie der Minister sagt, der Entwicklung der allgemeinen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik angepaßt. Sie werden auch dem Ergebnis der Tarifverhandlungen zwischen den Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes und den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes angepaßt. Auf diese Weise ist der Gleichklang — das möchte ich betonen und begrüßen — wieder gewahrt. So weit, so gut.
Allerdings muß ich auch sagen: Anschluß an diese Entwicklung ist damit noch nicht gefunden — ich komme darauf später noch einmal zurück —, denn durch die sehr mageren, zum Teil auch ausgefallenen Anpassungsrunden der letzten Jahre gibt es inzwischen wieder einen erheblichen Einkommensrückstand bei den Beamten, also bei einem wesentlichen Teil der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes.
In der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf heißt es allerdings auch:
Die Bundesregierung wird prüfen, ob und ggf. welche Verbesserungen struktureller Art erforderlich sind.
Hierzu haben sich Mitglieder der Bundesregierung und der Koalition zwar in den letzten Tagen mehrfach sehr lautstark geäußert, aber es ist leider nicht erkennbar, was überhaupt geschehen soll und vor allen Dingen wann es geschehen soll.



Bernrath
Völlig unklar ist auch nach den einführenden Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers hier, ob und wann die Bundesregierung für einen Teil der notwendigen strukturellen Maßnahmen ein entsprechendes Gesetz vorlegen wird. Es gibt wiederholte Ankündigungen, wie gesagt, aber sehr widersprüchliche Aussagen über Inhalt und Zeitpunkt eines dafür notwendigen Gesetzentwurfes. Die Bundesregierung spricht beispielsweise davon, daß sie ein Strukturgesetz bald vorlegen wird, daß sie dabei auch den Beförderungsstau im Auge hat — eben haben wir gehört, daß sie auch die Einkommen im einfachen Dienst im Auge hat —, aber sie sagt nur — wie auch heute —, daß sie zuversichtlich ist, daß so etwas in dieser Legislaturperiode kommen wird. Wann aber entsprechende Vorschläge gemacht werden, bleibt offen. Herr Hirsch von der FDP-Fraktion und Herr Laufs von der CDU/CSU-Fraktion haben erklärt, das Besoldungsstrukturgesetz sei vordringlich und müsse noch in diesem Jahr, also in der Mitte der Wahlperiode, vorgelegt werden. Auch daraus ist nicht zu erkennen, wann nun mit welchem Inhalt strukturelle Anpassungen kommen sollen.
Ich meine, daß das der Bundesregierung kein besonders gutes Zeugnis ausstellt. Sie scheint hier sehr entscheidungsunwillig zu sein. Es kann auch der Verdacht geäußert werden, daß sich nach der Haltung des Finanzministers letztlich Entscheidungsunfähigkeit herausstellen wird. Ich möchte hier ausdrücklich ankündigen, daß wir, wenn wir nicht in absehbarer Zeit, etwa bis zur Osterpause, einen Gesetzentwurf der Bundesregierung bekommen oder als in Sicht erkennen, unsererseits initiativ werden.
Ich möchte in dem Zusammenhang ausdrücklich sagen, wenn ein Strukturgesetz vorgeglegt wird, werden auch unsererseits strukturelle Anpassungen zugunsten des einfachen Dienstes, also der Einkommen, die sich nahe beim Sozialhilfesatz — jedenfalls zu einem nicht unerheblichen Anteil — bewegen, für notwendig gehalten. Eine Überlegung zur familiengerechteren Besoldung wird sicherlich niemand für unnötig halten.
Diese Unsicherheiten drängen den Beteiligten den Verdacht auf, daß der plötzliche Sinneswandel gegenüber dem öffentlichen Dienst, Anpassung also wieder nach dem Ergebnis der Tarifverhandlungen und Ankündigung struktureller Maßnahmen, weniger sachbezogener Einsicht entspricht als Terminzwängen. Es stehen Landtagswahlen vor der Tür, und man wird sicherlich in der Bundesregierung ob des großen Anteils beamteter Wähler, wenn ich das so sagen darf, also Wähler, die Beamte sind, unruhig und fragt sich, ob man diesen Teil der Wählerschaft in den letzten zwei, drei Jahren nicht allzu hart gebeutelt hat. Den Beamten ist darum Vorsicht zu empfehlen. Es ist Wahlkampf. Wir warten einmal ab, was aus diesen Ankündigungen am Ende wird.
Im übrigen unterstellen wir, daß die Einkommensstruktur gezielt verbessert werden wird, also auf diesen eben angedeuteten Personenkreis der kleinen und kleinsten Einkommen hin. Der Herr Minister hat erst vor einer Woche eingeräumt, daß seine Einkommenspolitik im öffentlichen Dienst dazu geführt hat, daß beispielsweise im einfachen Dienst in beträchtlichem Umfang die Einkommen unter dem oder am Sozialhilfeniveau liegen. Insofern haben wir die Bitte, keine Gießkanne zu benutzen, sondern die kleinen Einkommen anzuheben, und zwar so, daß im Sinne der Alimentation für eine leistungsgerechte, also die Leistung der Mitarbeiter spiegelnde Lebensführung gesorgt wird.
Mein Fraktionskollege Axel Wernitz hat vor einigen Tagen bei einer ähnlichen Veranstaltung nicht zu Unrecht darauf verwiesen, daß von dem inzwischen wieder gemessenen Rückstand von 15 % in der Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst insbesondere auch der einfache Dienst betroffen ist. Es ist gut, in diesem Zusammenhang am Rande darauf zu verweisen, daß wir mit dem Rückstand von 15 % wieder im Vergleichsjahr 1963 gelandet sind. Damals betrug der Einkommensrückstand auch knapp 15 %. Errechnet wurden damals 14,7 %. Von einem Anschluß an die Einkommensentwicklung kann also im Zusammenhang der Anpassung 1984/85 überhaupt nicht gesprochen werden.
Nun gehört es j a zum guten Ton, sozusagen zur Übung, bei solchen Gelegenheiten immer wieder die Notwendigkeit des Berufsbeamtentums zu beteuern. Ich will darum gerade in diesem Zusammenhang einige Worte sagen. Ich glaube, daß wir nicht nur vor dem Hintergrund der Einkommensentwicklung das, was sich in den letzten Jahren im öffentlichen Dienst getan hat, kritisch, auch selbstkritisch — das möchte ich ausdrücklich hinzufügen —, aufarbeiten sollten. Auch darauf hat Herr Wernitz bei einer gewerkschaftlichen Veranstaltung hingewiesen.
Es gibt auch für uns keine Alternative zum Berufsbeamtentum. Stetigkeit der Aufgabenerfüllung, Rechtsstaatlichkeit und Zuverlässigkeit der Verwaltungen — so heißt es j a auch in der Begründung zu dem Gesetzentwurf — auf dem Boden unserer Verfassung müssen sicherlich auch künftig gewährleistet bleiben. Das heißt, für die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben brauchen wir Beamte.
Angesichts der gegenwärtigen Aufgabenstellung und der Personalstruktur meine ich aber, daß es eine Fiktion wäre, anzunehmen, im öffentlichen Dienst könnten Beamte allein zu dieser Aufgabenerfüllung beitragen. Wir dürfen auch in einer solchen Diskussion die Leistungen der Angestellten und der Arbeiter, die traditionell — spätestens seitdem der öffentliche Dienst in großem Umfange auch Dienstleistungen anbietet — vorhanden sind, nicht unterschätzen.
Wir Sozialdemokraten stellen darum die Einheitlichkeit des öffentlichen Dienstes in den Vordergrund und sagen dazu, daß es Differenzierungen nur dort geben sollte, wo sie sachlich zweckmäßig sind, daß also der Grundsatz, daß gleiche Sachverhalte stets gleich zu regeln sind, gilt.
Von der CDU/CSU und auch wieder von der FDP sind diese Bekenntnisse zum Berufsbeamtentum neuerdings verstärkt zu hören. Damit allein wird allerdings noch keine sachgerechte Beamtenpolitik gemacht. Die drastischen Kürzungen der letzten



Bernrath
Jahre haben wohl stärker als irgendwelche kritischen Verlautbarungen in diesem Zusammenhang die Grundsätze des Berufsbeamtentums in Frage gestellt, so daß wir uns fragen: Ist es wirklich die Sorge um die Leistungsfähigkeit der Beamten, die dazu führt, daß wir diesen Gesetzentwurf mit dem Inhalt einer Anpassung nach dem Maßstab XY vorgelegt bekommen, oder ist die sehr prompte Ankündigung dieser Absicht und der Absicht, strukturell etwas zu verbessern, nicht eher aus zeitlichen Abhängigkeiten geboren, also sehr opportunistisch angelegt und eher dazu gedacht, die Koalitionsfraktionen über die Runde der nächsten Landtagswahlen zu bringen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Das schaffen wir auch so!)

Das sage ich nicht deshalb, weil ich das unterstellte, sondern deswegen, weil wir aus der Bundesregierung j a sehr unterschiedliche Wertungen hören. Noch in den letzten Tagen hat der Herr Bundesforschungsminister erklärt, daß er in seinem Bereich mit den Beamten nicht mehr so recht weiterkommt und andere dienstrechtliche Mittel braucht, um sich an die rasante Entwicklung etwa im technischen Bereich und in der Forschung schneller anpassen und um sachgemäßer Personal anwerben zu können. Er betont also ausdrücklich, daß für seine Aufgaben Beamte wohl nicht mit dem richtigen Status ausgestattet sind und daß sich seine Entscheidungsfreiheit und seine Anpassungsfähigkeit sehr eingeschränkt darstellen.
Ein letztes Wort möchte ich sozusagen prophylaktisch sagen, weil Sie sicherlich auf die Ausführungen eingehen wollen, die der Herr Kollege Glombig dieser Tage zur Versorgung der Beamten im Zusammenhang mit den Grundsätzen des Berufsbeamtentums gemacht hat. Ich brauche nicht noch einmal zu beteuern, daß wir diese Äußerungen überhaupt nicht in diesem Zusammenhang sehen, sondern im Gesamtzusammenhang einer langfristigen Konzeption zur Neuregelung der Alterssicherungssysteme auch und nicht zuletzt angesichts der demographischen Entwicklung, von der Kassenlage einmal ganz abgesehen. Ich möchte Sie sehr darum bitten, die Diskussion darüber nicht mit der Zielsetzung zu führen, nun von Ihren eigenen Sparbeschlüssen und von den Wirkungen dieser Beschlüsse — von Wirkungen, die Sie zu verantworten haben — abzulenken, sondern — wie jeder, der sich mit der Frage der künftigen Alterssicherungssysteme beschäftigt — auch darüber nachzudenken, wie das bei fast 2 Millionen beamteten Mitarbeitern im öffentlichen Dienst aussehen kann und wie sich das nicht zuletzt — ich sage es noch einmal — im Blick auf die Finanzierung und auf die demographische Entwicklung entwickeln wird.
Wenn Herr Minister Zimmermann in Bad Kissingen erklärt hat, daß er frei werdende Arbeitsplätze, die jetzt mit Arbeitern oder Angestellten besetzt sind, künftig mit Beamten besetzen will, drängt sich die Notwendigkeit ganz besonders auf, über die Finanzierung der Alterssicherungssysteme nachzudenken; denn er entzieht damit auch wieder Beitragszahler dem Rentenversicherungssystem nach der Reichsversicherungsordnung und schränkt damit die Finanzierbarkeit der allgemeinen Altersversorgung erheblich ein.
Abschließend möchte ich mich bei allen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes für ihre Leistungen in den abgelaufenen Jahren, insbesondere im hinter uns liegenden Jahr, bedanken. Ich bedanke mich nicht nur bei den Mitarbeitern allgemein, sondern auch bei den Personalräten und den Gewerkschaftsfunktionären in den Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Dienstes, die gerade in den Jahren, in denen es keine Anpassung der Bezüge der Beamten gab, über ihre herkömmliche Aufgabe hinaus eine sehr wichtige Aufgabe im Bereich des Betriebsklimas — auch das klang eben an — hatten. Mein Dank erstreckt sich nicht nur auf die Personalräte und Gewerkschaftsmitarbeiter, sondern auch auf die Dienstvorgesetzten, die mit ihnen gemeinsam dazu beigetragen haben, daß die Leistungen im öffentlichen Dienst trotz der Enttäuschungen in den letzten Jahren nicht absanken und die Dienstleistungen für den Bürger in der gewohnten Qualität erbracht wurden.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1011430200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Broll.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1011430300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als CDU/CSU und FDP vor gut zwei Jahren die Regierung übernommen haben, haben wir dem Wähler, auch den öffentlich Bediensteten angekündigt, daß wir auch sie zu solidarischen Beiträgen bei dem großen Ziel der Heilung der Staatsfinanzen, d. h. der Heilung der Grundlage unserer Zukunft, heranziehen würden, und wir haben das tun müssen. Wir können aber heute schon einigermaßen befriedigt sein, daß dieser Beitrag auch der Bediensteten der öffentlichen Hand mit zum Erfolg beigetragen hat, den wir verzeichnen können, ablesbar an der entschieden gesunkenen Inflationsrate — wir haben praktisch Preisstabilität —, an dem entschieden zurückgegangenen Grad der Neuverschuldung der öffentlichen Hände und damit im Zusammenhang an dem entschieden zurückgegangenen Niveau der Schuldzinsen. Insofern braucht bei uns kein Sinneswandel unterstellt zu werden. Was wir getan haben, haben wir nicht in Anwendung etwa der Sense getan, um alles, was über ein bestimmtes Niveau hinausgewachsen ist, zu köpfen. Sense, lieber Kollege Bernrath, ist genausowenig ein Instrument unserer Politik gewesen und wird es auch nicht in Zukunft sein, wie etwa die Gießkanne ein typisches Instrument der CDU/CSU-Politik gewesen wäre. Sie wissen aus Ihrer eigenen Partei, daß diese beiden Instrumente bei Ihnen sehr viel mehr Liebhaber haben.
Was nun gerade die Vorsicht betrifft, die Sie den Beamten gegenüber der CDU/CSU-FDP-Regierung geraten haben, so kann ich Ihnen nur sagen: Furcht, geradezu Schrecken wären geboten angesichts dessen, was immer wieder aus einem bestimmten Teil Ihrer Fraktion, etwa jetzt jüngst vom



Broll
Kollegen Glombig, zum Thema öffentlicher Dienst gesagt wird; denn da gibt es Methoden, die die Struktur des öffentlichen Dienstes, die die Verantwortung des Dienstherrn gegenüber dem Beamten in Frage stellen. Ich sage Ihnen als Meinung unserer Partei, unserer Fraktion: Der Staat kann sich auch für die Alterssicherung, für die Versorgung nicht auf andere Leistungsträger berufen. Er hat die Verantwortung, er hat die Leistungen zu erbringen, und das Beamtengehalt des aktiv Tätigen berücksichtigt bereits die Tatsache, daß für ihn aus den von der gesamten Bürgerschaft zu leistenden Steuern in späterer Zukunft, im Ruhestand, im Versorgungsfall die Bezüge gezahlt werden sollen. Diese und ähnliche Vorschläge aus Ihrer Fraktion sind also in jedem Fall scharf abzulehnen und haben keine Chance bei uns. Ich sagte, die Beamten müßten Furcht und Angst bei dem Gedanken haben, die SPD käme wieder einmal an die Regierung. Wenn es nur Leute wie Sie gäbe, Herr Bernrath, dann wäre diese Furcht nicht begründet. Wenn Ihnen dieses Lob, hier im Bundestag geäußert, schaden sollte, dann streichen wir es aus dem Protokoll. Ich möchte nicht, daß Sie deswegen Ärger in Ihrer eigenen Partei bekommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind zweitens mit dem Versprechen angetreten, daß wir die Gruppen innerhalb des öffentlichen Dienstes, soweit es die Verschiedenartigkeit der Systeme überhaupt erlaubt, gleichbehandeln wollen. und auch dies haben wir eingehalten. Wir haben es in der letzten Besoldungsrunde trotz des nominellen Unterschiedes von 2 und 3 % eingehalten, denn 3 % im Tarif bedeuten in Wirklichkeit Abzug weiter erhöhter Arbeitslosenversicherungsbeiträge, Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge, Einbeziehung der 13. Monatsgehälter in die Sozialabgabenpflicht.

(Zurufe von der SPD)

Mit anderen Worten: Die Gleichheit ist, soweit es überhaupt möglich war, gewahrt. Wir sind sogar ein bißchen stolz darauf, daß wir dieses Versprechen eingehalten haben.
Nun wird der Abschluß des Tarifvertrages voll und übrigens mit einer Geschwindigkeit, Herr Minister Zimmermann, die viele Ihrer Vorgänger nicht an den Tag gelegt haben, auf den Beamtenbereich übertragen. 3,2% sind ein insgesamt sehr günstiges Ergebnis, wenn wir bedenken, daß doch viele Bereiche der gewerblichen Wirtschaft unter 3 % abgeschlossen haben. 3,2 % sind möglich geworden durch das generöse Angebot, das Sie, Herr Minister Zimmermann, als Sprecher der öffentlichen Arbeitgeber unterbreitet haben; ein Angebot, das im übrigen natürlich nicht zustande gekommen ist etwa aus Angst vor angedrohten Streiks — das war eine völlig unrealistische Drohung, die ja auch tatsächlich nicht ernstgenommen werden konnte —, sondern auf Grund der Fürsorgepflicht, die Sie und Ihre Kollegen in der Verhandlungskommission der öffentlichen Arbeitgeber als für den Bereich des öffentlichen Dienstes Verantwortliche empfunden haben.
Auch dafür wird uns von der Beamtenschaft, glaube ich, Dank gesagt werden, wenn auch im einzelnen die Sparmaßnahmen des vorigen Jahres schmerzlich gewesen sind. Ob es wirklich Opfer gewesen sind, mag jeder einzelne für sich selbst entscheiden.

(Delorme [SPD]: Sie haben doch eine NullRunde gemacht! Sind Sie doch ehrlich! Sie haben doch mit dem Gerede angefangen!)

Was das Gerede von der Null-Runde und dem Lohndiktat betrifft: Der Abschluß des Tarifvertrages, auch die Einmalzahlung für das letzte Jahr — sie bedeutet für einen Oberwachtmeister immerhin eine 3,7%ige Erhöhung für die letzten drei Monate, für einen Regierungsrat immer noch 1,7 % — zeigen, wie schnell solche törichten Schlagworte veralten, die Sie immer gebraucht haben. Keine Null-Runde, kein Lohndiktat. Die Dinge sind vernünftig gelaufen. Das können wir heute sagen.
Alle Beamten werden in dem einen Ziel bestimmt mit uns übereingestimmt haben: Es war nötig, endlich mit der Methode Schluß zu machen, den Lebensstandard der heute Lebenden auf Kosten zukünftiger Generationen zu erhöhen. Wir müssen uns angewöhnen, mit dem auszukommen, was wir selbst erarbeiten und verdienen. Schluß mit der Methode, unsere Kinder mit unseren eigenen Schulden zu belasten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben uns auch gefreut, daß der Tarifabschluß prozentual gleiche Erhöhungen gebracht hat. Wir kennen den Zwiespalt — jeder steht in ihm — zwischen der besonderen Sorge für die wenig Verdienenden und dem Bedürfnis, den leistungsbezogenen und verantwortungsbezogenen Abstand zwischen den einzelnen Besoldungs- und Beamtengruppen nicht zu nivellieren. Das ist ein ständiges Problem, eine ständige Aufgabe des Ausgleichs im Sinne gerechter Besoldung. Grundsätzlich ist aber der Weg, den wir beschritten haben, sicher richtig gewesen.
Herr Kollege Bernrath, Sie haben recht: Sicher ist der öffentliche Dienst seit einigen Jahren — sagen wir, seit 1975 — wiederum im Rückstand gegenüber der gewerblichen Wirtschaft. Wir wissen das. Ihre Regierungszeit bis 1982 hat einen gehörigen Anteil daran. Das ist gar keine Frage. Ich glaube auch absolut nicht dem Professor Krupp — ich erwähne ihn nur deswegen, weil er einmal in der Wahlkampfmannschaft Ihres Spitzenkandidaten Vogel in Berlin eine Rolle gespielt hat —, der neulich etwa behauptet hat, die Bediensteten des öffentlichen Dienstes bezögen im Durchschnitt ungefähr 17 % mehr als Arbeitnehmer in der gewerblichen Wirtschaft. Das ist eine optische Täuschung auf Grund einer falsch gelesenen Statistik. Wenn Sie bedenken, daß im öffentlichen Dienst 30 % akademisch Vorgebildete tätig sind, in der gewerblichen Wirtschaft dagegen höchstens 7 bis 8 %, wenn man dazu noch die Bahn und die Post bei dieser Berechnung ausläßt — ein sehr eigentümliches Verfahren: Bahn und Post, wo ja die größte Zahl der Beschäftigten mit geringem Einkommen tätig ist —, wird klar, daß man zu solchen abstrusen Vorstellungen kommen muß. Hätte Professor Krupp etwa die Bediensteten der Universitäten mit der



Broll
gewerblichen Wirtschaft verglichen, wäre er zu noch grandioseren Unterschieden gekommen.

(Vorsitz : Vizepräsident Westphal)

Aber, wie gesagt, wir brauchen über diese Dinge nicht zu reden.
Wir sehen den Nachholbedarf des öffentlichen Dienstes. Darum begrüße ich besonders das, was Minister Zimmermann gesagt hat. Meine Fraktion fordert die Bundesregierung auf — ich sage absichtlich, die Bundesregierung, weil ich die positive Haltung des Innenministers und seines Ministeriums natürlich kenne —, in einigen Bereichen strukturelle Maßnahmen anzupacken und noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf vorzulegen.
Der Minister hat zwei Punkte genannt. Es ist erstens die Sorge dafür, daß eine familiengerechte Besoldung noch mehr als bisher verwirklicht wird. Es ist nicht einzusehen, daß im Sozialteil des Gehalts, nämlich im Ortszuschlag, für das erste Kind 111 DM gezahlt werden, für das dritte Kind nur 47 DM und für das vierte und jedes weitere Kind 97 DM. Hier erwarten wir einen Ausgleich — wohlgemerkt: auf dem guten Niveau, nicht auf dem niederen Niveau. Damit helfen wir bereits einem Teil jener geringverdienenden Beamten der unteren Gruppen, die, wie der Minister zu Recht gesagt hat, in die Nähe der Sozialhilfe kommen.
Zweitens. Ich stelle mir vor, daß im einfachen Dienst etwa im Bereich der Harmonisierungszulage eine Anhebung in Richtung auf den mittleren Dienst erfolgt. Damit würden wir wesentliche Schwächen wieder ausgleichen, die sich in den letzten sechs bis acht Jahren — zugegebenermaßen auch durch unsere eigenen Maßnahmen der vorsichtigen Anhebung der Bezüge in der vorigen Runde — angesammelt haben.
Erste Priorität hat für die CDU/CSU-Fraktion eine Härteregelung für diejenigen, die durch die Maßnahme der alten Koalition in § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes betroffen worden sind. Hier sind wir im Wort. Das betrifft eine Härteregelung für diejenigen, die am Ende jener Abschmelzaktion, die damals beschlossen worden ist, zum Teil die Hälfte ihrer Altersbezüge verlieren. Da müssen wir eine Härteregelung schaffen. Das ist zwingend geboten in Form eines von der Regierung auszuarbeitenden Entwurfs eines Strukturgesetzes.
Ich nenne nebenbei einige Probleme etwas konkreter als der Minister, der sich in sehr gebotener Kürze, aber grundsätzlich festgelegt hat. Wir sehen in einigen Bereichen Besoldungsdisparitäten bei Beamten, die im wesentlichen das gleiche tun. Ich denke etwa an die Justizwachtmeister von Vorführstellen bei den Gerichten, die de facto ähnliches tun wie ihre Kollegen im Strafvollzug, die aber deutlich schlechter bezahlt werden.
Das sollte man genauso anpacken wie die Herbeiführung der Gleichheit zwischen Bundesbeamten und Landesbeamten im Zusammenhang mit dem Alter, ab dem der Antrag auf Versetzung in den Ruhestand gestellt werden kann. Der Landesbeamte kann das mit 62 Jahren tun, der Bundesbeamte erst mit 63 Jahren. Wir bewegen damit nicht die Welt, machen aber einige Stellen frei für junge Beamte.
Wir hoffen, daß auch diese Dinge in einem Strukturgesetz angepackt werden können.

(Regenspurger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Parteien, meine sehr verehrten Damen, und Regierungen

(Lachen bei den GRÜNEN)

müssen vorwiegend nach drei Gesichtspunkten beurteilt werden: Erstens. Sind Ihre Ziele vernünftig? Zweitens. Halten sie Versprechungen, die Sie formulieren, auch ein? Drittens. Haben sie überhaupt Erfolg in dem, was sie anpacken? Ich glaube, wenn die Öffentlichkeit und auch die öffentlichen Bediensteten unsere Politik an Hand dieser drei Kriterien prüfen, werden sie sagen: Wir haben Wort gehalten, wir hatten vernünftige Ziele und sind bei der Verwirklichung guter Ziele ein großes Stück vorangekommen.
In diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen wir die diesjährige Besoldungserhöhung als einen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit an, als einen Beitrag dazu, daß jeder, der in unserem Lande fleißig arbeitet, auch an dem Gewinn aus dieser Arbeit teilhat. Wir sehen in dieser Besoldungserhöhung einen Versuch — ich drücke mich vorsichtig aus —, eine gesunde Basis dafür zu schaffen, daß endlich auch wieder Strukturpolitik betrieben werden kann. Die Basis ist schon einigermaßen stabil.
Daß wir, lieber Herr Kollege Bernrath — aber das wissen Sie in Wirklichkeit ja selbst —, in all diesen Dingen so unendlich vorsichtig sein mußten, liegt an dem, was Sie uns hinterlassen haben. Deswegen ist es nicht sehr nett, uns für eine Politik zu kritisieren, die vernünftigerweise außerordentlich sparsam und vorsichtig sein mußte, weil die Lage so katastrophal war. Aber ich weiß aus der Zusammenarbeit mit Ihnen im Innenausschuß, daß wir in manchem gerade in bezug auf das Dienstrecht übereinstimmen. Die Zusammenarbeit in diesem Ausschuß war erfreulich. Das darf an diesem Tag und bei dieser Gelegenheit durchaus einmal gesagt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Bernrath [SPD])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011430400
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert (Marburg).

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Meine sehr verehrten Damen und Saaldiener!)


Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1011430500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Broll, ob das ein Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit ist, was Ihre Partei und was diese Bundesregierung an Politik betreiben, kann man mit Fug und Recht bestreiten. Aber wenn Sie hier die Anrede „Meine sehr verehrten Damen und Regierungen!" wählen, dann will ich Ihnen gern das Kompliment machen, daß ich das für die originellste Anrede halte, die ich in den zwei Jahren hier in Bonn gehört habe. Diese Anrede ver-



Kleinert (Marburg)

dient es wahrlich, in jene Untersuchung aufgenommen zu werden, die in Ihrem Haus angestellt worden ist und in der man den Anredeformen der GRÜNEN ein eigenes Kapitel gewidmet hat.

(Beifall bei den GRÜNEN) Aber um zur Sache zu kommen: — —


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011430600
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Broll?

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1011430700
Bitte. Jederzeit.

Werner Broll (CDU):
Rede ID: ID1011430800
Herr Kollege, nehmen Sie mir bitte ab, daß ich unter „Regierungen" jede mögliche Gruppe des Hauses, nur nicht gerade Ihre Gruppe gemeint haben kann'?

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wir sind doch Anarchisten! — Dr. Jannsen [GRÜNE]: Die sind doch die Ordnungskraft!)


Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1011430900
Das nehme ich Ihnen ab.

(Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Aber die Damen?)

Aber da ich nur noch fünf Minuten Zeit habe, muß ich mich etwas beeilen. Deswegen schnell zur Sache. Für uns GRÜNE ist immer klar gewesen: Einkommensverbesserungen im unteren und mittleren Bereich sind angesichts steigender Lebenshaltungskosten notwendig, weil insbesondere der Masse der Lohn- und Einkommensbezieher ein angemessener Anteil an der Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums gesichert sein muß. Das gilt auch, wenn aus unserer Sicht in der Steigerung der individuellen Konsummöglichkeiten für den einzelnen heutzutage gewiß nicht mehr der zentrale Angelpunkt zur Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse und zur Erreichung von lebenswerter Umwelt, Arbeit und Freizeit liegt.
Entsprechend dieser Grundeinstellung haben wir stets Forderungen unterstützt, die auf die Verbesserung der Einkommenssituation für die unteren und mittleren Gehaltsgruppen zielen. Aus diesem Grund stimmen wir der Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen für die Beamten im öffentlichen Dienst, um die es hier geht, durchaus zu, jedenfalls soweit diese Anpassung die unteren und die mittleren Gehaltsgruppen betrifft. Das gilt auch für die Einmalzahlung von 240 DM, die in diesem Gesetz vorgesehen ist.
Wenn ich das sage, heißt das aber auch, daß wir die prozentualen Anhebungen bei den oberen Einkommensgruppen gerade nicht für vertretbar halten. Dafür gibt es eine Reihe guter Gründe.
Erstens muß davon ausgegangen werden, daß sich mit der prozentualen Erhöhung für alle Einkommensgruppen die Schere zwischen oberen und unteren Einkommensgruppen nur weiter vergrößern wird. Das ist ein Vorgang, der sozial in gar keiner Weise gerechtfertigt ist, insbesondere deshalb nicht, weil die Einkommenssituation in den oberen
Gehaltsklassen, also etwa oberhalb von A 16, ohnehin überdurchschnittlich günstig aussieht.
Zweitens muß gesehen werden, daß die Privilegien, die der Beamtenstatus mit sich bringt, durch die Form der Anpassung, die Sie vorsehen, ebenfalls sozial weiter differenziert werden. Auch das ist ein wichtiger Punkt, der gegen eine prozentuale Anhebung im Bereich der oberen Einkommensgruppen spricht.
Drittens. Sie wollen die Versorgungsbezüge für die Pensionäre um 3,2 % anheben. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber es ist die Frage zu stellen, wie Sie das eigentlich den Rentnern erklären wollen, die Sie gleichzeitig mit viel weniger abspeisen wollen. Wenn Sie darüber hinaus bedenken, daß die Pensionäre ohnehin schon besser als die normalen Rentenempfänger gestellt sind, werden Sie vermutlich dort Schwierigkeiten haben.

(Regenspurger [CDU/CSU]: Die müssen ihre Pension versteuern!)

Schließlich muß in diesem Zusammenhang das Problem der Arbeitslosigkeit im Bereich des öffentlichen Dienstes angesprochen werden. Nehmen Sie nur das Beispiel des Bildungswesens. Wir haben schon jetzt 30 000 bis 40 000 arbeitslose Lehrer. Und wir haben einen Zustand, daß jährlich Tausende entsprechende Qualifikationen erwerben, ohne jemals eine Aussicht zu haben, an Schulen oder Bildungseinrichtungen angestellt zu werden. Warum sollte es eigentlich nicht möglich sein, durch Einschränkung des Auseinanderklaffens zwischen unteren und oberen Einkommensgruppen im öffentlichen Dienst Mittel freizusetzen, die man dann gezielt für die Schaffung neuer Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst einsetzen könnte?
Warum soll das nicht möglich sein? Daß für solche Arbeitsplätze ein Bedarf vorhanden ist, ist ja wohl unstrittig. Denken Sie an den Bildungsbereich, denken Sie an das Gesundheitswesen, denken Sie an den Umweltbereich, an die Sozialversorgung. Es gibt eine ganze Fülle von Bereichen, von Mängelbereichen, in denen ein solcher Bedarf vorhanden ist. Statt einer weiteren Ausweitung der Privilegien für die oberen Einkommensbezieher zuzustimmen, sollten die Mittel, die durch Nichtweitergabe der Erhöhung eingespart werden könnten, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze verwandelt werden. Das wäre kein Ausspielen einer Arbeitnehmergruppe gegen eine andere, wie das oft falsch bezeichnet wird. Es wäre auch kein Beamtenopfer, wie das manchmal heißt. Es wäre nichts anderes als ein Beitrag von ohnehin privilegierten Gruppen zur Verbesserung der Situation von Arbeitslosen.
Meine Damen und Herren, die Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst ist vom Problem der Massenarbeitslosigkeit nicht abzukoppeln. Es muß darum gehen, einen Kreislauf aufzubrechen, in dem immer weniger Menschen an den Reichtümern teilhaben können, während immer mehr soziale Sicherheit und eine einigermaßen gesicherte soziale Existenz nicht mehr haben.
Dem Ziel; diesen Kreislauf aufzubrechen, entspricht der vorliegende Gesetzentwurf in keiner



Kleinert (Marburg)

Weise. Wir können ihm deshalb so auch nicht zustimmen, wenngleich wir durchaus sehen, daß der Notwendigkeit, im Bereich der unteren und mittleren Einkommensbezieher etwas zu tun, hier teilweise Rechnung getragen wird. Wir werden uns deshalb der Stimme enthalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011431000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1011431100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mit gebannter Aufmerksamkeit gelauscht, wohin die vielen Kurven, die Sie hier verbal gezogen haben, Sie nun führen: zu einer markigen Stimmenthaltung. Das ist natürlich eine ganz wichtige Entscheidung, die Sie treffen.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Mit Stimmenthaltungen kennen Sie sich sehr gut aus, Herr Hirsch! — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Was Sie schon für Kurven gedreht haben, Herr Hirsch!)

Ich habe den Eindruck, daß Ihre Idee, Herr Kleinert, die Versorgungsbezüge heranzuziehen, um Plätze für neue Beamte zu finanzieren, sicherlich eine sehr originelle Auslegung des Generationenvertrages in diesem Bereich ist. Im übrigen habe ich den Eindruck, daß sich die Emotionen, die meine verehrten Vorredner losgetreten haben, in Grenzen halten, weil wir ja ohnehin wissen, daß der Gesetzentwurf, so wie er vorgelegt wird, natürlich mit überwältigender Mehrheit angenommen werden wird. Wir müssen uns j a hinsichtlich unserer Redezeit sogar beeilen, damit wir mit der Debatte noch vor 17 Uhr angesetzten Sitzung des Innenausschusses fertig werden, in der wir das dann tun wollen.
Mein Kollege Broll und der Herr Bundesinnenminister haben so viel Richtiges und Schönes gesagt, daß ich mich auf wenige Bemerkungen beschränken kann.
Zunächst einmal muß man wohl sagen, daß der Ausgangspunkt dieses Unternehmens der Tarifabschluß ist, der erzielt worden ist. Wir haben eigentlich allen Beteiligten, den Vertretern der öffentlichen Hand ebenso wie den Tarifpartnern, dafür zu danken, daß es zu diesem Abschluß gekommen ist, der der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung entspricht und der darum die Basis dafür ist, daß dieses Tarifergebnis ohne Einschränkung — auch ohne Kappung, wie Sie es vorschlagen — auf die Beamtenschaft übertragen werden kann.
Die Beamten weisen ja mit Recht darauf hin, daß sie mit der Besoldungsregelung im allgemeinen der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung hinterherhinken. Das ist nicht nur ein Kriterium der letzten zehn oder zwölf Jahre, sondern das ist immer so gewesen. Sie weisen mit Recht darauf hin, daß sie von den notwendigen Sparentscheidungen, die wir haben treffen müssen, dementsprechend in doppelter Weise getroffen werden: zum einen durch die Verringerung staatlicher Leistungen, die jedermann treffen, zum anderen durch spezielle Besoldungsentscheidungen im öffentlichen Dienst, beginnend mit der Absenkung der Eingangsbesoldung über Leistungsminderungen im Bereich der Versorgungsempfämger bis hin zur Kürzung der Stellenpläne und damit der Verringerung von Beförderungsaussichten. Der Deutsche Beamtenbund rechnet für die Zeit von 1976 bis 1983 hinsichtlich solcher Kürzungen einen Betrag von 60 Milliarden DM zusammen. Ich will dahingestellt sein lassen, ob diese Berechnung in diesem Umfang akzeptiert werden kann, aber sicherlich muß man einräumen, daß die Größenordnung, die wir unseren Mitarbeitern im öffentlichen Dienst zugemutet haben, in der Tat nicht beachtlich war.
Wir haben den Betroffenen immer wieder gesagt, daß sich der Staat bei unverändert angespannter finanzieller Lage außerordentlichen Aufgaben der Zukunftssicherung gegenübersieht: im Interesse der Wiederbelebung der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes, im Bereich des Umweltschutzes, in der Aufgabe, unsere sozialen Systeme leistungsfähig zu erhalten und unsere internationalen Verpflichtungen zu erfüllen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß man bei einer solchen Sachlage nicht an Ausgabepositionen vorbeigehen kann, die z. B. in den Bundesländern unverändert über 40 % des Gesamtetats ausmachen. An diesen Zwängen kommt man bei allem guten Willen nicht vorbei.
Wir haben den Betroffenen auch immer wieder gesagt — ich wiederhole das heute —, daß wir auf die Leistungsfähigkeit und die Unabhängigkeit unserer Verwaltung stolz sind. Sie braucht keinen Vergleich mit irgendeiner anderen Verwaltung zu scheuen. Wir wollen das Berufsbeamtentum — ich betrachte es nicht als ein Ritual, das zu betonen, Herr Bernrath —, dem Sie, Herr Kollege, anzugehören das Vergnügen haben, erhalten, weil es die Voraussetzung einer leistungsfähigen Verwaltung ist. Deswegen müssen wir es nach unserer Überzeugung auch erhalten. Wir halten es für einen unverzichtbaren Bestandteil unseres Rechtsstaates.
Daraus folgt auch, daß wir den Anspruch der Beamten, mit ihrem Gehalt und ihrer Versorgung, die sie ja nicht erstreiken können, der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung zu folgen, ernst nehmen müssen. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit, der Verfassung, aber auch der Klugheit, wenn man den Leistungswillen seiner Mitarbeiter erhalten und einen vernünftigen Nachwuchs gewinnen will.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Wir sind der Überzeugung, daß mit den getroffenen Sparmaßnahmen die Grenze des Vertretbaren erreicht worden ist und daß wir in absehbarer Zeit eine Reihe berechtigter Fragen sachgerecht beantworten müssen. Die nahtlose Übertragung des Tarifabschlusses wird mit dem vorliegenden Gesetz erreicht.
Das zweite ist die schon wiederholt angesprochene besoldungsmäßige Besserstellung der Beamtenfamilien mit mehreren Kindern und vor allem die Verbesserung der Einkommenslage in den unteren Besoldungsgruppen, vor allem des einfachen Dienstes, bei denen man j a durch Modellrechnun-



Dr. Hirsch
gen zweifelsfrei belegen kann, daß Beamte des einfachen Dienstes mit mehreren Kindern mit ihrer Besoldung an der Grenze zur Sozialhilfe liegen. Das ist schlechterdings nicht vertretbar.
Ich war darum auch überrascht, Herr Kollege Bernrath, daß Ihr Fraktionskollege Glombig glaubte, durch die Forderung nach einer Pensionsabgabe gerade der Masse der Beamten, die ja dem einfachen und mittleren Dienst angehören, eine weitere erhebliche Belastung zuschieben zu müssen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie ein Mann, der, wie wir doch wissen, sozialen Gedanken verpflichtet ist, eine solch abenteuerliche Idee ernsthaft vortragen kann.
Wir haben schon bei der Vorlage des Berichts der Alterssicherungskommission für unsere Fraktion erklärt, daß wir einem solchen Gedanken nicht nähertreten werden, weil er einen Einbruch in das System des Berufsbeamtentums darstellt und auch praktisch nicht zu verwirklichen ist.
Der dritte Bereich, der angesprochen werden muß, ist die Härteregelung zu § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes. Wir haben ja in der Tat rückwirkend in Vertrauenstatbestände eingegriffen, und zwar mit zum Teil erheblichen Folgen. Herr Kollege Broll, wenn ich mich recht entsinne, hat auch der Bundesrat den damaligen Entscheidungen zugestimmt. Ich denke, daß wir in den Grenzen, die wir uns ja gemeinsam im Innenausschuß überlegt haben, in der Tat nachhaltig auf eine solche Korrektur drängen müssen.

(Regenspurger [CDU/CSU]: Richtig!)

Wir sehen auch keinen vernünftigen Grund, bei der flexiblen Altersgrenze die Bundesbeamten schlechter zu stellen als die Beamten aller Länder und der Kommunen.
Schließlich sind wir der Meinung, daß das Beihilferecht entscheidungsreif ist.
In allen diesen Fragen gibt es Probleme mit dem Finanzminister. Das muß man nicht verschweigen, weil er ja durchaus beachtenswerte und nachdenkenswerte Gründe seines Ressorts dafür vorträgt; aber ich glaube, daß wir uns in diesen Fragen nicht allein an fiskalischen Erwägungen ausrichten können.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal sagen, daß wir Freien Demokraten an der Leistungsfähigkeit und der Loyalität unserer Verwaltung nicht zweifeln, sondern stolz darauf sind, daß wir das Berufsbeamtentum als einen unverzichtbaren Eckpfeiler eines liberalen Rechtsstaates betrachten. Wir werden deswegen auch zukünftig jeder rechtlichen und tatsächlichen Aushöhlung der Grundsätze des Berufsbeamtentums entgegentreten. In diesem Sinne wollen wir auch diesen Gesetzentwurf zügig durch die Ausschußberatung bringen, damit unsere Mitarbeiter nicht nur unseren guten Willen sehen, sondern auch wissen, daß sie von dem Status der Vorschußleistungen nun zu einer soliden und der Sachlage entsprechenden Rechtsgrundlage übergehen können.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011431200
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/2591 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Europaabgeordnetengesetzes
— Drucksache 10/2607 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (federführend)

Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1011431300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP einen gemeinsamen Gesetzentwurf im Dezember zur Anpassung der Diäten im Bundestag eingebracht hatten, schrieb die „Frankfurter Neue Presse":
Wenn es auch unpopulär ist, die Diäten der Abgeordneten müssen von Zeit zu Zeit den gestiegenen Kosten angepaßt werden. Die Abgeordnetenbezüge müssen so hoch sein, daß die materielle Unabhängigkeit der Parlamentarier gewährleistet ist. Wie anders wäre es möglich, qualifizierte Männer und Frauen für die Politik zu gewinnen?
Und unter der Überschrift „Angemessen" schrieb der „General-Anzeiger Bonn":
Wer die Berechtigung einer Aufwandsentschädigung für Abgeordnete grundsätzlich anerkennt, wird diese Erhöhung nicht ablehnen können.
Meine Damen und Herren, ich begrüße diese Stimmen in der Öffentlichkeit um so mehr, als wir Abgeordneten selber sehr wohl wissen, daß Diätenanpassungen unpopulär sind. Das zeigt jede Debatte über dieses Thema, wann immer wir sie füh-



Seiters
ren. Das liegt u. a. auch daran, daß der Bundestag als gesetzgebendes Verfassungsorgan über das Einkommen seiner Mitglieder selbst entscheidet. Wir alle, die Mitglieder dieses Hauses, wären sicherlich froh, wenn uns diese Entscheidung von anderen abgenommen werden könnte. Dies aber ist, wie auch unsere Kritiker wissen, nicht möglich. Der Gesetzgeber — und das sind nun einmal wir — selber ist gefordert.
Um so wichtiger ist es, die Entscheidungsfindung, die zu einer bestimmten Diätenhöhe führt, offenzulegen und dem Bürger zu erläutern. Wir, alle Fraktionen, haben uns in den vergangenen Jahren wirklich bemüht, unter Beachtung der Auflagen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ein Verfahren zu finden, das fernab jeder Willkür einem demokratischen Staat angemessen ist und eine volle Öffentlichkeit sicherstellt. Wir haben ein förmliches Gesetzgebungsverfahren, wir debattieren über die Erhöhung im Bundestag, vorweg geht der jährliche Bericht des Bundestagspräsidenten, wir haben feste Maßstäbe, an denen sich die Diätenanpassung orientieren soll, nämlich die Einkommensentwicklung von acht repräsentativen Bevölkerungsgruppen, und wir haben gesetzlich auch den Zeitpunkt festgelegt, von dem ab die Diätenanpassung gelten soll.
Zur Offenlegung dieser Entscheidungsfindung dient auch und vor allem, daß das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1975 festgelegt haben, was als angemessene Entschädigung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu gelten habe. Die Entschädigung der Abgeordneten soll sich an folgenden Punkten orientieren:
Sie soll der Bedeutung und den Aufgaben des Deutschen Bundestages im Verfassungsgefüge entsprechen.
Sie soll ein Ausgleich für die Belastung durch das Abgeordnetenmandat sein. Die 38-Stunden-Woche, ja die 50-Stunden-Woche gibt es für keinen Abgeordneten hier im Hause.
Sie soll sinnvoll die Existenz des Abgeordneten und seiner Familie sichern.
Sie soll ein freies und unabhängiges Mandat gewährleisten.
Vor diesem Hintergrund hat der Bundestagspräsident den Diätenbericht für das Jahr 1984 vorgelegt, zu dem er gesetzlich verpflichtet ist. Die allgemeine Einkommens- und Preisentwicklung im Jahre 1983/84 macht offenkundig — so der Bericht —, daß die Abgeordnetendiäten ohne eine Anpassung im allgemeinen Einkommensgefüge der Bundesrepublik Deutschland erneut zurückbleiben würden. Er sagt voraus, daß sich für diesen Fall die Entschädigungen wie in der Zeit von 1977 bis 1983, in der keine Anpassungen an die allgemeine Entwicklung erfolgten, erneut real verschlechtern würden.
Lassen Sie es mich wiederholen: In den sechs Jahren von 1977 bis 1983 haben die Abgeordneten überhaupt keine Anpassung ihrer Bezüge erhalten, weder an die gesteigerte Leistungsfähigkeit der
Volkswirtschaft noch an die damals hohen Inflationsraten. Im gleichen Zeitraum stiegen die allgemeinen Einkommen — etwa der Arbeitnehmer oder etwa der Rentner — um durchschnittlich 40%.
Angesichts dieser Lage hat der Bundestagspräsident vorgeschlagen, die steuerpflichtige Entschädigung der Abgeordneten um 2,3% brutto und die Kostenpauschale um 2,1 O, zu erhöhen. CDU/CSU, SPD und FDP haben zugestimmt, weil hierfür ein völlig objektiviertes Verfahren gewählt worden ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz persönlich folgendes sagen. Die Einkünfte der Abgeordneten sind in keiner Weise geeignet, irgendwelche Neidgefühle aufkommen zu lassen. Ich halte es wirklich für unzulässig, die Aufwandsentschädigung der Abgeordneten mit den Einkommen von Arbeitslosen oder Sozialhilfeempfängern zu vergleichen. Wer so argumentiert — leider macht mancher daraus eine billige Effekthascherei —, geht einen Weg, an dessen Ende ein Parlament steht, das sich nur noch aus abhängigen Funktionären oder aus Millionären zusammensetzt. Von einem solchen Parlament möchte ich als Bürger nicht gern vertreten sein.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Ein solches Parlament würde seinen verfassungsmäßigen Aufgaben auch nicht gerecht. Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland hätte so ein Parlament nicht verdient.
Ebensowenig — das füge ich gleich hinzu — wollen wir Abgeordnete mit Neid auf bestimmte Einkünfte in der Wirtschaft, in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie Fernsehanstalten, im kommunalen Bereich, in der Ministerialbürokratie, j a selbst in der Bundestagsverwaltung sehen. Ein Vergleich mit diesen Einkünften stellt lediglich klar, daß kein Abgeordneter wegen der Höhe seiner Diäten ein schlechtes Gewissen zu haben braucht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Der Arbeitsrhythmus des Parlamentariers, seine Beanspruchung und die ihm auferlegte Verantwortung rechtfertigen angemessene Einkünfte, die — so das Bundesverfassungsgericht — seine Stellung im obersten deutschen Parlament ebenso berücksichtigen wie die Sicherung seiner Unabhängigkeit.
Meine Damen und Herren, wir, die wir über unsere eigenen Einkommen befinden müssen, glauben, daß wir mit der vorgeschlagenen Lösung eine angemessene Entscheidung treffen, die in vollem Umfang der Zielsetzung des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird.
Einer Überweisung dieses Gesetzentwurfs an die zuständigen Ausschüsse stimmen wir zu. Ich darf bereits jetzt um Ihre Zustimmung zu diesem gemeinsamen Gesetzentwurf von drei Fraktionen bitten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011431400
Ich bin eben von der Reihenfolge „Rede, Gegenrede", ausgegangen. Dann ist jetzt Frau Schoppe dran.

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1011431500
Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Wir GRÜNEN arbeiten jetzt seit knapp zwei Jahren hier im Parlament und erleben die zweite Diätenerhöhung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie nehmen alles mit!)

Angefangen haben wir bei einer Diätenhöhe von 7 500 DM und sollen jetzt 8 000 DM bekommen. Das ist also eine Erhöhung um 500 DM; es sind gut 6,5%. Die Aufwandsentschädigung, die bei 4 500 DM lag, als wir hier begannen, soll nun 4 800 DM betragen; das ist eine Erhöhung um gut 2,2 %.
Und jetzt kommt's, Herr Seiters! Da sind Sie ja ein sehr kluger Kopf. Sie wissen, welche Vergleiche wir anstellen: Dagegen haben sich die durchschnittlichen Nettoleistungen beim Arbeitslosengeld von Juli 1983 bis Juli 1984 um 2,29% verringert, und bei der Arbeitslosenhilfe ist Null Komma nix passiert. Die Sozialhilfe ist seit 1983 um ca. 2% gestiegen. Die Kaufkraft ist in den letzten zwei Jahren um 6% zurückgegangen, so daß die Sozialhilfe real um ca. 4 % gesunken ist. Ich weiß, meine Damen und Herren, das ist für Sie kein Maßstab.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011431600
Frau Abgeordnete Schoppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1011431700
Ja, wenn sie kurz ist.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1011431800
Frau Kollegin, sie ist kurz. Glauben Sie nicht, daß Ihre Zahlen an Seriosität gewinnen würden, wenn Sie die sieben Jahre vorher in Ihre Rechnung einbeziehen würden, in denen die Diäten und die Aufwandsentschädigungen nicht erhöht worden sind?

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Man darf nur den Rotationszeitraum betrachten!)


Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1011431900
Herr Kollege, ich komme noch dazu. Es ist natürlich richtig, daß in den sieben Jahren nicht erhöht worden ist. Aber es ist doch richtig — auch das muß man zur Kenntnis nehmen; die Bürgerinnen und Bürger werden mit Erstaunen hören, wie hoch die Gehälter sind —, daß ja auch in diesen sieben Jahren das Gehalt mit 7 500 DM kein geringes gewesen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das muß man sagen. Offensichtlich ist es eine andere Vorstellung, von der wir ausgehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie dürfen nicht von Ihrem bisherigen Gehalt ausgehen! — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie sind überbezahlt, das ist richtig!)

Es passiert noch etwas anderes. Ich erinnere mich an die letzte Debatte, wo man sich an Ministergehältern orientierte, die mit den jeweiligen Zuschlägen in schwindelerregenden Höhen von 29 000
DM liegen und tatsächlich höher sind als unsere Abgeordnetengehälter. Das kann man nicht verleugnen. Man muß sich einmal folgendes vorstellen — auch solche Rechnungen muß man aufmachen —: Ein Minister könnte pro Tag soviel Geld auf den Kopf hauen, wie ein Sozialhilfeempfänger für einen ganzen Monat zur Verfügung hat. Das ist real möglich.

(Broll [CDU/CSU]: Wieviel Steuern zahlt der wohl? Haben Sie eine Ahnung?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie kommen Sie dazu, sich an denen zu orientieren, die mehr verdienen als Sie? Da werden die Minister mit 29 000 DM pro Monat dafür belohnt, daß sie erwirken, die Steigerung bei den Regelsätzen der Sozialhilfe von den realen Preissteigerungen abzukoppeln, das Bedarfsprinzip auszuhöhlen und die Verarmung der Hilfeempfänger für die Zukunft festzuschreiben. Ich weiß, Sie machen solche Rechnungen nicht auf. Aber die zitierten 29 000 DM pro Monat sind eine Summe, von der ein Sozialhilfeempfänger fast vier Jahre leben muß.

(Drabiniok [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Nun will ich keinesfalls, daß ein Minister zum Sozialfall wird. Es will wohl niemand hier im Hohen Hause, daß hier Sozialfälle auftreten. Auch wir wollen das nicht. Die Vergangenheit zeigt j a, daß, als es fast einmal einen Sozialfall hier gegeben hätte, das erfolgreich abgewehrt werden konnte.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie halten das sicher für Polemik. Aber ich denke, Polemik im Parlament hat die Funktion, die die Satire im Kabarett hat, nämlich Aufdecken der alltäglichen Praxis der Verharmlosung und Verschleierung.

(Beifall bei den GRÜNEN — Lattmann [CDU/CSU]: Aber Kabarett ist lustig!)

Was verbirgt sich z. B. hinter dem Tarnbegriff Sparpolitik? Es ist die Einkommensumverteilung von unten nach oben sowie die Präjudizierung des Sozialabbaus von morgen. Wir Abgeordneten sind mit derzeit 7 820 DM brutto und 4 700 DM Aufwandsentschädigung netto gut bedient. Sehen Sie sich um, wie hier gelebt wird. Da gilt doch das Motto: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, tagtäglich muß ein Schnitzel sein.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU)

Nun könnte man meinen, ein Leib, der solchermaßen satt ist, hätte über nichts zu klagen. Aber da müssen sich die Abgeordneten dieses Hauses noch schnell auf 8 000 DM lancieren, ehe sie nächste Woche in Zerknirschung verfallen wegen der Hungerkatastrophe in Afrika. So, meine Damen und Herren, produzieren Sie Staatsverdrossenheit und das permanente Unbehagen. Ich halte es für eine Unart, sich dermaßen schamlos aus der Staatskasse zu bedienen,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU;: Das müssen gerade Sie sagen!)




Frau Schoppe
während Sie die sozial Schwachen auffordern, den Gürtel enger zu schnallen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wie kommt es eigentlich, daß Sie sich ohne Zögern immer an höheren Gehältern orientieren und wir GRÜNEN uns mit denen vergleichen, die weniger, oftmals viel zuwenig haben.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aber kassieren tun Sie! — So etwas Heuchlerisches! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich glaube, meine Damen und Herren, wir kommen uns da nicht näher. Hier stoßen zwei Kulturen aufeinander,

(Zurufe von der CDU/CSU)

zwei sehr unterschiedliche Vorstellungen vom sozialen Zusammenleben der Menschen.

(Broll [CDU/CSU]: Kultur und Subkultur, das ist es!)

Für mich läßt der Abschied vom Traum der unumschränkten Herrschaft über die Natur den Traum vom Konsumglück verblassen.
Auf der Suche nach einer den Menschen angemessenen Lebensweise spielt die Beschränkung der mit guten finanziellen Mitteln Ausgestatteten eine große Rolle, weil den Empfängern niedriger Einkommen die Möglichkeit gegeben werden muß, auch finanziell aufzuholen. Ich denke, wer wie wir in relativer finanzieller Sicherheit lebt, verliert leicht das Gefühl für das Angemessene. Oder wie sonst kann von hier aus die Erhöhung der Sozialhilfe um 100 DM, wie es der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge fordert, bei gleichzeitiger Aufstockung unserer eigenen Diäten in den letzten zwei Jahren um 500 DM und der Aufwandsentschädigung um 300 DM abgelehnt werden?
Meine Damen und Herren, wir GRÜNE sind hierhergekommen, weil wir dafür kämpfen wollen, daß einer Zukunft Quartier gemacht wird, in der Menschen auf der Grundlage einer gerechten Verteilung von Einkommen, Besitz und Macht ihr Leben gestalten können. Warum sollen die Rentnerinnen und Rentner nur 1 % mehr bekommen, wenn wir über 2 % dazubekommen?

(Günther [CDU/CSU]: Haben Sie schon einmal etwas von netto und brutto gehört?)

Warum soll den Trümmerfrauen, über die hier oft und mit Recht anerkennend gesprochen wird, der finanzielle Ausgleich vorenthalten werden? Wenn Millionen Familien, Behinderten und Jugendlichen zugemutet wird, sich nach der Decke zu strecken, können wir doch nicht gleichzeitig einsacken. Wenn es um die Erhöhung der eigenen Diäten geht, macht sich hier eine unangenehme Einigkeit der Demokraten breit, meine Damen und Herren, die wir nicht mittragen. Wir lehnen diese Erhöhung ab.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie kassieren!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011432000
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich gern auf einen Punkt zu sprechen kommen. Es hat hier einen Zwischenruf gegeben, der einen Vergleich zur Hitlerzeit hergestellt hat. Gerade heute hat der Präsident namens des Präsidiums im Ältestenrat gesagt, daß wir uns vorgenommen haben, seitens des Präsidiums immer darauf hinzuwirken, daß solche Vergleiche nicht angestellt werden.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜNEN)

Die Argumentation gegenüber einem politischen Gegner hier in diesem Hause kann nie in irgendeiner Weise Vergleiche zu den Scheußlichkeiten der Nazizeit rechtfertigen.

(Zustimmung des Abg. Dr. Hirsch [FDP])

Ich bitte auch Herrn Dr. Müller, das in der Zukunft zu beachten.
Das Wort hat nun der Herr Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1011432100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Problem der Diätenerhöhung kann nicht, wie das die Fraktion der GRÜNEN hier tut, nur einseitig nach Prozenten und Summen beurteilt werden. Das wäre viel zu einfach und würde auch der Vielschichtigkeit des Problems nicht gerecht. Für meine Fraktion stehen andere Aspekte im Vordergrund. Dies sind die Unabhängigkeit der Abgeordneten und die Attraktivität der politischen Arbeit im Deutschen Bundestag.
Die Unabhängigkeit des Mandats wird durch das Grundgesetz garantiert. Der Verfassungsgesetzgeber hat ausdrücklich festgelegt, daß der Abgeordnete Anspruch auf eine angemessene, seine Unabhängigkeit sichernde Entschädigung hat. Man kann sicherlich darüber streiten, was eine angemessene Entschädigung ist. Fest steht aber, daß seit der vorletzten Diätenerhöhung im Jahre 1977 über sechs Jahre lang keine Anhebung vorgenommen worden ist. Dies hat es in keinem anderen Bereich in unserer Republik gegeben. Dies hat sich aber — darauf möchte ich auch die Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN einmal hinweisen, weil sie ja die menschlichen Aspekte immer so sehr in den Vordergrund rücken — insbesondere zu Lasten der Hinterbliebenen ehemaliger Abgeordneter ausgewirkt; denn deren Hinterbliebenenversorgung ist an die Höhe der Abgeordnetendiäten unmittelbar gekoppelt. Auch daran sollte man einmal, wenn über Abgeordnetendiäten gesprochen wird, denken.
Im gleichen Zeitraum, von dem wir hier sprechen, sind die vergleichbaren Einkommen anderer Berufsgruppen um 30 % und mehr gestiegen. Diese Entwicklung kann aus unserer Sicht nicht weiter hingenommen werden. Die Abkoppelung der Abgeordnetendiäten von der allgemeinen Lohn- und Einkommensentwicklung bedeutet im Endeffekt eine indirekte Reduzierung der Abgeordnetenbezüge. Auch dies kann nicht im Sinne des Grundgesetzgebers gewesen sein. Wenn dies aber — wie ich Sie verstanden habe, Frau Kollegin Schoppe — von Ihnen so gewollt ist, dann sagen Sie dies doch bitte



Beckmann
offen und bringen Sie einen entsprechenden Antrag hier im Parlament ein. Wir sind gerne bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren. Aber vorher sollten Sie dann bitte die von Ihnen praktizierte Verteilung der Diäten genauestens offenlegen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich bedaure sehr, daß die GRÜNEN hier heute wieder einmal der Versuchung nicht haben widerstehen können, eine Schau abzuziehen. Hier ist nach meiner Auffassung ein gehöriges Maß an Unehrlichkeit im Spiel.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Sie verunglimpfen die Diäten, verzichten aber nicht auf eine Erhöhung. Mit der einen Hand zeigen Sie auf uns, mit der anderen stecken Sie die Gelder selber ein.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie rechnen hier netto ab statt brutto, was zu ganz beachtlichen Einkommen bei Ihren Abgeordneten führt. Im Parlament kritisieren Sie die Parteienfinanzierung, finanzieren aber selbst mit staatlichen Geldern Ihre sogenannten Ökofonds. Das ist nichts anderes als verdeckte Parteienfinanzierung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU— Zuruf von der FDP: Heuchelei!)

Es geht noch weiter. Zu Beginn dieser Legislaturperiode kaufen Sie sich Fahrräder, stellen diese der Presse vor, anschließend fahren Sie mit dem Dienstwagen und in der 1. Klasse der Lufthansa durch unser Land.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich habe hier eine Pressenotiz vorliegen von Ihrem Bundesparteitag in Hamburg, in der es heißt:
Unter schweren Beschuß durch einen Teil der 800 Delegierten geriet auch die Bundestagsfraktion der GRÜNEN. Ihren Abgeordneten warfen die Delegierten Selbstbeweihräucherung, Show und Mediengeilheit vor.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich würde sagen: Ausnahmsweise haben die Delegierten Ihres Parteitages einmal recht gehabt.
Mit Ihrer pauschalen Ablehnung, Frau Schoppe und Ihre Kolleginnen und Kollegen, machen Sie sich die Sache viel zu einfach. Es ist immer leicht, gegen eine Entscheidung zu reden, von der man sicher weiß, daß man später von ihr profitieren wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Meine Damen und Herren, neben der Unabhängigkeit des Abgeordneten, die es mit der Diätenerhöhung zu sichern gilt, ist noch ein anderer Gesichtspunkt für die Zustimmung meiner Fraktion zu dem vorliegenden Gesetzentwurf ausschlaggebend. Wer sich einmal die Berufsstatistik über die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages angesehen hat, wird feststellen, daß die Gruppe der Beamten und die Gruppe der zu großen gesellschaftlichen Institutionen gehörenden Abgeordneten zahlenmäßig eine Führungsrolle übernommen haben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich betonen, daß dies in meiner Fraktion, der FDP-Fraktion, nicht der Fall ist. Hier dominieren noch die Selbständigen und die freiberuflich Tätigen. Dies soll, so wünschen wir es, auch so bleiben. Das Parlament muß für Kräfte aus der Wirtschaft, aus dem Mittelstand, aus dem Bereich der Selbständigen, der Handwerkerschaft offengehalten werden.
Lassen Sie mich noch einen letzten Aspekt hinzufügen. Ich halte, offen gesagt_, die hier festgeschriebene Rückwirkungsautomatik nicht unbedingt für ganz geglückt. Zum einen erscheint sie mir gesetzestechnisch nicht besonders sauber gelöst zu sein, und zum anderen eröffnet sie auch einen gewissen Zugzwang, der für die Regelung in der Diätenfrage nicht besonders angebracht ist. Ich hoffe nun, daß die Beratungen in der nächsten Zeit in diesem Punkt zu einer sachgerechten Lösung führen werden.
Meine Fraktion wird dem Gesetzentwurf zustimmen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011432200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Becker (Nienberge).

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1011432300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Anpassung der Entschädigung nach der uns vorliegenden Änderung des Abgeordnetengesetzes ist insgesamt maßvoll, sie ist im Vergleich zu anderen Gruppen in der Gesellschaft angemessen, und sie ist für die Stellung des Abgeordneten in der parlamentarischen Demokratie notwendig.
Sowohl der Herr Kollege Seiters als auch der Herr Kollege Beckmann haben schon darauf hingewiesen, welche einzelnen Aspekte dabei zu beachten sind. Lassen Sie mich aber noch ein paar zusätzliche Bemerkungen machen:
„Insgesamt maßvoll", das bedeutet: Wenn wir in dem Abgeordnetengesetz, das wir 1976 hier beraten haben, festgestellt haben, daß das, was die Abgeordnetentätigkeit ausmacht, ein voller Beruf ist, daß man das nicht nebenbei betreiben kann und daß dieser volle Beruf die meisten von uns 70 bis 90 Stunden in der Woche in Anspruch nimmt,

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

was ich noch einmal ausdrücklich betonen möchte, und wenn wir dann den Erhöhungssatz von 2,3% zugrunde legen, müssen wir dabei das beachten, was wir uns selbst im letzten Jahr aufgegeben haben, nämlich daß wir die Einkommensentwicklung aller gesellschaftlichen Gruppen mit betrachten wollen. Frau Schoppe, das, was Sie in bezug auf die Arbeitslosenhilfe und das Arbeitslosengeld zitiert haben, ist natürlich richtig. Es ist so, daß wir nach Parlamentsberatungen hier eine Mehrheitsentscheidung hatten, wonach das Arbeitslosengeld gekürzt wurde, und deswegen ergab sich dieser Be-



Becker (Nienberge)

trag. Insgesamt aber ist auch all das, was Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe ausmacht, entsprechend der allgemeinen Einkommenssteigerung in den letzten zehn Jahren gestiegen, und zwar gestiegen um einen Satz von 46,7 %.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Auch dies müssen wir bei solchen Berechnungen zugrunde legen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

Verweisen möchte ich auch noch darauf, daß sich die Sozialdemokraten in bezug auf die Festlegung, was denn eigentlich alle gesellschaftlichen Gruppen im abgelaufenen Jahr dazubekommen haben, sehr schwergetan haben. Sie alle wissen, daß wir lange gezögert haben, weil wir noch eine große Gruppe und ihre Behandlung gern mit in unsere Debatte einbeziehen wollten; das waren die 4,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Was ist bei ihnen nun herausgekommen? Diese 4,5 Millionen Beschäftigten haben jetzt eine Steigerungsrate von 3,2% bekommen. Wir haben bei der Summierung von den Arbeitslosen über die Rentner bis hin zum öffentlichen Dienst gesagt: Dann ist es — und deshalb habe ich gesagt, die Erhöhung sei maßvoll — angemessen, daß wir bei der allgemeinen Einkommensentwicklung in der gesamten Gesellschaft sagen, auch den Abgeordneten stehen 2,3% Anpassung an die allgemeine Einkommensentwicklung zu.
Sagen möchte ich noch etwas zur Stellung des Parlamentariers, der j a, wenn wir einmal die durchschnittliche Verweildauer im Bundestag zugrunde legen, etwa sieben oder acht Jahre seines Lebens hier für die politische Arbeit zur Verfügung steht und einen Beruf aufgibt oder mindestens aus diesem Beruf herausgenommen wird und sich nach durchschnittlich sieben oder acht Jahren zunächst einmal wieder mühsam in diesen Beruf hinein finden muß. Auch dies war damals, so meine ich, in der Grundüberlegung zur Stellung des Abgeordneten für uns mitentscheidend bei der Festlegung der Bezüge, die Abgeordnete überhaupt erhalten sollten, und ich denke, das sollte in der allgemeinen Debatte nicht untergehen.
Einen Satz möchte ich noch zu dem Zeitpunkt sagen, weil — auch in der Presse — wiederholt kritisiert worden ist, daß die Änderung nun auch noch rückwirkend ab 1. Juli in Kraft gesetzt wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben doch im vorigen Jahr beschlossen, daß wir eine regelmäßige Anpassung an die Einkommen vornehmen wollen. Wenn wir das machen wollen, können wir nicht mit einer Unterbrechung beginnen,

(Sehr wahr! bei der FDP)

sondern müssen nun auch wirklich dabei bleiben. Die Verzögerung haben — das muß man hier sagen — wir Sozialdemokraten verschuldet, weil wir bis zum Ende des Jahres gewartet haben. Wir haben gesagt: Jetzt haben wir erst die Übersicht, und erst jetzt können wir entscheiden. Deswegen haben wir diese an sich große Rückwirkung. Was jeder mit
dem Geld macht, Frau Schoppe, das auf diese Rückwirkung entfällt, wobei Sie auf die nächste Woche hingewiesen haben, ist sicherlich jedem einzelnen selbst überlassen, und jeder einzelne hat sicherlich seine eigenen Gedanken dazu.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden in aller Kürze, am 31. Mai — das ist nicht mehr lange hin —, den nächsten Bericht des Präsidenten haben, und wir werden wieder sehr sorgfältig prüfen, wie die Einkommensentwicklung bei den einzelnen Gruppen in der Bevölkerung ist, und wir werden danach wieder entscheiden müssen, wie wir unsere Bezüge anpassen. Denn wir müssen es selber tun, es kann kein anderer für uns tun. Wenn wir es wieder maßvoll und angemessen tun, dann glaube ich auch, daß wir draußen im Lande dafür das notwendige Verständnis haben.
Ein letzter Satz: Wir stimmen den hier in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen zu, wir stimmen der Ausschußüberweisung zu, und wir möchten im Zusammenhang mit dem, was vorhin zur Beamtenbesoldung gesagt worden ist, dafür sorgen, daß wir auch dieses Gesetz möglichst in der nächsten Woche verabschieden können.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011432400
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/2607 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hickel und der Fraktion DIE GRÜNEN
Gentechnik
— Drucksachen 10/1153, 10/2199 —
Hierzu liegt auf der Drucksache 10/2740 ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hickel und der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hickel.

Dr. Erika Hickel (GRÜNE):
Rede ID: ID1011432500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es Zweck hat, über die Antwort einer Regierung zu diskutieren, die nicht da ist, aber ich werde es versuchen.
Wir fragen die Regierung in unserer Großen Anfrage zur Gentechnik nach der Zerstörung der le-



Frau Dr. Hickel
benden Natur und des uns in der Evolution überkommenen Ökosystems, und Herr Riesenhuber antwortet in einer vorweggeschickten Presseerklärung: Mensch-Tier-Kreuzungen werden nicht erlaubt werden, und Menschenzüchtung findet nicht statt.

(Krizsan [GRÜNE]: Wo ist denn die Regierung?)

Dies ist typisch für die ganze Antwort, die wir bekommen haben, die er uns anschließend gegeben hat; denn das hatten wir gar nicht gefragt. Was er da antwortet, sollte wohl eine Selbstverständlichkeit sein, obwohl ich nicht verschweigen will, daß natürlich auch Herr Riesenhuber nicht wissen kann, was z. B. in den unter Geheimhaltung betriebenen Laboratorien der sogenannten Verteidigungsforschung alles getrieben wird. Für diese Forscher könnten derartige künstlich kombinierten Mensch-Tier-Erbgutträger durchaus interessant sein, um etwa herauszufinden, welche Wirkungsweise ein chemischer oder biologischer Kampfstoff hat, wie er etwa auf Embryonen wirkt oder warum eventuell Menschen und Tiere in unterschiedlicher Weise darauf reagieren.
Ich weise auf diese Zusammenhänge nicht deshalb hin, um hier Panik zu erzeugen, sondern vielmehr um klarzumachen, welche große Sorge hinter unserer Großen Anfrage stand und was in der Antwort darauf systematisch übersehen und verschwiegen wurde: die wahllose Vermehrung gentechnischer Forschungslaboratorien und die wild wuchernde Anzahl von gentechnisch arbeitenden Forschergruppen in unserem Lande, die auch in Zukunft beschäftigt sein wollen und die nach neuen Themen suchen müssen. Denn wenn sich nun die neuen Heils- und Schlaraffenlandversprechungen des Ministers, der Industrie und der beteiligten Forschergruppen, nämlich die Abschaffung des Hungers, Abschaffung von Krankheit und Elend in der Welt mit Hilfe der Gentechnik — so etwas hören wir j a täglich — als Trug und Täuschung erweisen werden und wenn der angebliche Innovationsschub für unsere Wirtschaft, der daraus folgen soll, ein Reinfall wird — analog zu -dem, was wir mit der Atomenergieindustrie erlebt haben und noch erleben —, dann werden diese vielen Laboratorien am Ende vielleicht gerade das tun müssen, wovor sich viele mit Recht fürchten, was wir GRÜNEN verhindern wollen und was die Bundesregierung in ihrer Antwort als Problem nicht einmal zu erkennen imstande war: Sie werden versuchen, die Lösung sozialer und politischer Probleme durchgehend mit Methoden der modernen Biopolitik und Biotechnologie anzustreben.
Anstatt den Hunger durch Umverteilung der Nahrungsmittel zu bekämpfen, anstatt die Entstehung von umweltbedingten Krankheiten zu verhindern und anstatt Verschmutzungen mit Umweltchemikalien zu vermeiden, wird man versuchen, gentechnisch manipulierte Organismen auf diese Probleme anzusetzen. Sie sehen, man braucht gar nicht bis zur Kriegsforschung zu gehen, um auf fehlgeleitete Anwendungsbereiche zu kommen.
Fehlgeleitet sind diese sogenannten Anwendungsbereiche für uns schon deshalb, weil man — das ist wirklich vorauszusehen — mit jedem gelösten Problem zehn oder hundert neue Probleme schaffen wird. Ein markantes und ganz akutes Beispiel dafür sprechen wir heute in unserem Entschließungsantrag auf Drucksache 10/2740 an, der Ihnen vorliegt: die krankheiterregenden Entgleisungen von sogenannten Retroviren. Das sind besonders wandlungsfähige Erbgutbestandteile, die in gentechnischen Labors und in Labors mit Zellkulturen vorkommen.
Wir können nicht ausschließen — niemand kann ausschließen; es ist im Gegenteil sehr wahrscheinlich —, daß z. B. die neue Krankheit AIDS, die zumeist tödlich verlaufende erworbene Immunschwäche, von solchen im Laboratorium künstlich — wenn auch nicht willentlich — erzeugten Organismen hervorgerufen wird. Diese Aussicht ist so bedrohlich und die Befassung mit dieser Problematik so dringlich, daß ich Sie alle in Ihrem eigenen Interesse auffordere, unserem Antrag, der Ihnen vorliegt, zuzustimmen: daß diese Frage nicht erst nach Abschluß der Enquete-Kommission „Gentechnik" beraten wird, sondern bereits heute zur Beratung an die Ausschüsse überwiesen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Erschreckend ist in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage ferner die Ignoranz — von der ich weiß, daß viele besorgte Wissenschaftler sie keineswegs teilen —, mit der die Tatsache behandelt wird, daß Gentechnik ein tiefgreifender, in den Folgen bisher unabsehbarer und allzu einseitiger Eingriff in Lebens- und Vererbungsvorgänge bei allen Arten von Lebewesen ist. Die Natur nämlich, die Evolution bringt Veränderungen im Erbgut in extremer Langsamkeit hervor. Im Labor aber werden Milliarden von Individuen mit einem Schlage im Erbgut „neu kombiniert", wie es dann verharmlosend heißt.
Das ist auch eine Antwort auf die Thesen, die Herr Laermann heute morgen verfochten hat, daß nämlich die Manipulation im Labor nichts anderes sei als die Züchtung, die man schon immer gemacht habe. Die Langsamkeit und die Vielfalt in der Natur sind ein Faktor, der im Labor gar nicht nachgemacht werden kann.
Die Natur, die Evolution, bringt ferner Veränderungen im Erbgut in extremer Vielfalt hervor. Herr Laermann, das haben Sie heute morgen auch vergessen. Im Labor aber wird jeweils nur ein einziger Stamm oder eine Art Lebewesen — die aber dafür um so massiver, nämlich ohne die Rückwirkungen mit anderen Organismen überhaupt zu ermöglichen — manipulativ verändert. Vor allem: Niemals kann im Labor nur ein einziger bestimmter isolierter Effekt im Erbgut der Lebewesen allein gezielt verändert werden, wie man es gern anzustreben vorgibt, sondern immer sind andere Teile des Organismus, auch ohne daß man es will, mit betroffen.
Dazu ein paar Worte — wenn man hier auch einmal etwas Nachdenkliches sagen darf — über die Ganzheit der Lebewesen. Nur eine einzige Eigenschaft eines Lebewesens auszuschalten oder einzu-



Frau Dr. Hickel
fügen, was man so erträumt, z. B. wenn man die Fähigkeit eines Bakteriums, Dioxin zu fressen, erzeugen will, wäre allenfalls möglich, wenn ein Organismus bloß eine Aneinanderreihung von unabhängig voneinander bestehenden Erbeigenschaften wäre. In Wirklichkeit steht aber jede Erbeigenschaft mit den anderen Erbeigenschaften, mit den ganzen Organen, mit dem ganzen Organismus, mit seiner Lebenswelt dauernd in Wechselwirkungen.
Die aus diesem Verständnis von Leben zu ziehenden Folgerungen vollständig ausgeklammert zu haben, das halte ich von seiten der Bundesregierung für leichtfertig, ja ich muß schon sagen: für schlimm.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf des Abg. Krizsan [GRÜNE])

Man müßte nämlich aus dieser Erkenntnis der Ganzheit der Lebewesen z. B. folgern, daß eine gentechnische sogenannte Züchtung — etwa in der Landwirtschaft — auf bestimmte Einzelmerkmale hin nicht nur gefährlich wäre, weil bei breiter Anwendung dieser Züchtung die Vielfalt des Erbguts und damit die Reaktion dieser Lebewesenart auf ihre Umwelt zerstört würde. Sie ist auch gar nicht zu erwarten; denn neben oder anstatt des einen angestrebten Effekts hätten wir immer eine Menge anderer Effekte, von denen niemand übersehen kann, ob sie wünschbar sind. Diese neuen Organismen können z. B. anfälliger sein gegen Krankheiten oder können womöglich selbst plötzlich giftig oder krankheitserregend werden. Die Antwort der Bundesregierung, sie strebe gentechnisch erzielte Effekte ohne Kontrolle der sogenannten Nebenwirkungen an, ist daher jedenfalls ein Skandal.

(Beifall bei den GRÜNEN — Krizsan [GRÜNE]: Die Abwesenheit ist auch ein Skandal!)

— Die sind ganz schön leichtfertig; das muß ich auch sagen.
Ebenfalls skandalös ist die Behauptung, das Aufbewahren einzelner Erbgutkombinationen in sogenannten Samenbanken oder Genbanken könne ein Ausgleich dafür sein, daß mit gentechnischen Eingriffen die drastische Verarmung von Erbgutkombinationen bewirkt wird. Die konservierten isolierten Genotypen sind lebensuntüchtig und unangepaßt, gerade weil bei ihnen keine Evolution mehr stattfindet. Der Sinn dieser Genbanken wird daher von sehr vielen Fachleuten, soweit sie außerhalb der an Genbanken beteiligten Industrien stehen, mit Recht bezweifelt. Nur die Bundesregierung weiß davon nichts.
Über die Förderung der Forschungsrichtungen, die ohne Gentechnik auskommen wollen und können, zeichnet die Bundesregierung in ihrer Antwort übrigens ein derart falsches Bild, daß Fachleute nur noch lachen können; beispielsweise dann, wenn sie lesen, es gebe in der Bundesrepublik — ich weiß nicht, ob es ein Druckfehler ist; ich kann es wirklich nur mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen
— 39 Professuren für biologische Landwirtschaft. Das ist einfach lächerlich, denn es gibt gerade eine Professur, nämlich in Witzenhausen bei Kassel. Das
ist die einzige derartige Professur. Ich weiß nicht, wie die Bundesregierung zur Manipulation von solchen Zahlen kommt.

(Lenzer [CDU/CSU]: Sie sollten in der Wahl Ihrer Worte etwas vorsichtiger sein!)

— Nein, es ist wirklich erstaunlich. Leute, die nebenher auch ein bißchen biologische Landwirtschaft machen, haben deswegen noch nicht eine Professur für biologische Landwirtschaft.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Die brauchen doch kein Testat der GRÜNEN! — Lenzer [CDU/CSU]: Meinen Sie nicht, da die Bundesregierung über belastbares Material verfügt?)

— Wir haben es genau nachkontrolliert. Die haben alle Professuren mit eingerechnet, Herr Lenzer, die nebenher gelegentlich einmal ein bißchen biologische Landwirtschaft — oder was sie so nennen — betreiben. Aber es sind nicht Professuren für biologische Landwirtschaft. Darunter verstehe ich solche, die das hauptsächlich oder ausschließlich tun. Das ist also wirklich eine falsche Antwort.
Schlimm ist ferner, daß die Bundesregierung tatsächlich keine Antwort auf unsere Frage gibt, wie sie in der Medizin unterscheiden will zwischen dem Versuch der Heilung von kranken und leidenden Menschen einerseits und der Schaffung besserer Menschen mit Hilfe gentechnischer Methoden andererseits. Das böse Wort von den „erblich bedingten Berufskrankheiten" — das müssen Sie sich mal überlegen — macht ja bereits die Runde. Allergie etwa gegen eine Fabrikchemikalie wäre dann ja womöglich schon ein Grund für einen gentechnischen Eingriff in Körperzellen, um den Betroffenen, wie man es dann nennen würde, zu heilen. Oder wie sieht das die Bundesregierung?
Die Bundesregierung gibt in ihrer Antwort vor, dieses Problem mit allen seinen Folgen für die Erbguthygiene — wir kennen das ja aus der Rassenhygiene der Nazi- und Vornazizeit — überhaupt nicht zu erkennen. Sie sieht es gar nicht. Und das, denke ich, ist wirklich unverantwortlich von der Regierung in einem Kulturkreis, in dem Erbgesundheitspolitik Tradition hat und zur Zeit in manchen Kreisen wieder Mode wird. So ist man auf seiten der Regierung entweder dümmer als erlaubt oder bewußt — ja, da muß man ein Wort suchen — unverantwortlich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wer sich um die Zukunft der Natur und den Menschen darin angesichts der gentechnischen Methoden sorgt, der wird sich bei der Lektüre der Antwort der Bundesregierung fürchten. Man sollte hoffen, daß die Antwort auf unsere Große Anfrage allzu einseitig im Interesse der betreibenden Institute und Industrien redigiert wurde und daß die Bundesregierung in Wirklichkeit vielleicht doch umsichtiger und verantwortungsvoller ist, als aus der Antwort ersichtlich ist.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Erika, wirf mal einen Blick auf die Regierungsbank! — Frau Dr. Hickel Weiterer Zuruf von den GRÜNEN: Außer Probst niemand!)




— Herr Probst weiß das alles. Er ist ja Biologe. Nicht wahr, Herr Probst? — Den Beweis dafür wird die Bundesregierung anzutreten haben, wenn demnächst, womöglich noch in diesem Jahr, womöglich noch vor Abschluß der Arbeit der Enquete-Kommission, Anträge auf Freisetzung gentechnisch manipulierter Organismen in der Natur gestellt werden. Ich denke, niemand kann sich gefallen lassen, daß die Regierung dies womöglich genehmigt. Wir alle sind aufgerufen, dies zu verhindern.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011432600
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Neumeister.

Dr. Hanna Neumeister (CDU):
Rede ID: ID1011432700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN zum Thema Gentechnik und die darauf erfolgte Antwort der Bundesregierung haben immerhin einige Übereinstimmmungen feststellen lassen. Das fand ich ausgesprochen erfreulich. Bei der Rede von Frau Hickel konnte man allerdings keine Übereinstimmung finden. Ich finde es traurig, daß wir an dieses wichtige Kapital in dieser Form herangehen und daß Sie, Frau Hickel, die Aussagen der Bundesregierung hier derart verstümmelt und verfälscht wiedergegeben haben.
Insgesamt aber kann man, wenn man beides, die Anfrage wie die Antwort, liest, durchaus feststellen, daß hier recht kontroverse Meinungen aufeinanderprallen. Auf der einen Seite steht die Aussage der GRÜNEN über den „Zusammenbruch des christlichen und abendländischen Menschenbildes" — das hat Frau Hickel im Mai 1984 gesagt und weiter ausgeführt, daß der genetische Eingriff gegenüber der Natur nicht verantwortbar sei, woraus die Ablehnung jeglicher Förderung der Gentechnik grundsätzlich und besonders mit Steuernmitteln abgeleitet wird.
Die Bundesregierung dagegen teilt nicht die Auffassung der GRÜNEN, daß es sich um eine Sackgassentechnologie handle. Sie betont, daß die Gentechnologie vielmehr zur Lösung öffentlicher Aufgaben z. B. im Zusammenhang mit Gesundheit, Ernährung und Umwelt beiträgt und langfristig auch einen Beitrag für eine verbesserte landwirtschaftliche Produktion in der Dritten Welt leisten kann. So bewertet sie die Gentechnologie als eine Zukunftstechnologie sowie als wissenschaftliches Instrument zum Verständnis und zur Nutzung der Natur im Dienst des Menschen.
Dieser Meinung entspricht auch das erste Gebot der von dem Ethiker Johannes Reiter erarbeiteten „10 Gebote für Gentechnologen". Hier heißt es nämlich:
Eingriffe in die Natur sind ethisch erlaubt. Sie sollen aber im Sinn einer erweiterten Verantwortung gebunden sein an die Abschätzung der möglichen Folgen für die Gegenwart und die Zukunft von Natur und Menschheit.
Sicherlich sind im Zusammenhnag mit der Bewertung gentechnologischer Methoden im Bereich der Landwirtschaft die geäußerten Hinweise auf die Gefahr einer Verarmung des Genschatzes, der Vielfalt in unserer Natur sehr ernst zu nehmen. Dieses Problem bestand aber bereits bei dem klassischen Verfahren der Züchtung und Optimierung von Kulturpflanzen, wie es seit 150 Jahren praktiziert wird, allerdings mit einem sicherlich langsameren Ablauf.
Und eins ist klar, Frau Hickel: Genbanken reichen nicht aus — dafür spricht sich auch die Bundesregierung keineswegs aus —, notwendig ist sicherlich die Erhaltung geschlossener, ursprünglicher Biotope, in denen die Pflanzen in natürlichen Verhältnissen weiterleben und sich entwicklen können, in denen die natürliche Vielfalt erhalten werden kann. Das ist noch niemals abgestritten worden.
Die Möglichkeit, mit Hilfe der Gentechnologie zunächst einmal ein besseres Verständnis für die Regulationsmechanismen der Pflanzenzelle zu vermitteln, darüber hinaus aber — das ist besonders wichtig — schließlich Nutzpflanzen zu entwickeln, die in ihrer Erbsubstanz genetisch so verändert sind, daß Qualität und Resistenz gegen Krankheiten erhöht werden, trägt dazu bei, die Nahrungsgrundlagen der Menschen zu verbessern. Ich glaube, das ist angesichts der Ernährungskatastrophen in der Dritten Welt außerordentlich wichtig.
Es war doch schließlich der Mensch, der in der Vergangenheit Lebensbedingungen geschaffen hat, unter denen die Menschen in der Lage waren, sich nachher sprunghaft zu vermehren. Diese Entwicklung ist irreversibel und noch keineswegs beendet. Zwischen 1970 und 1980 z. B. wuchs die Weltbevölkerung von 3,7 Milliarden auf 4,4 Milliarden, und sie dürfte um das Jahr 2000 etwa 6,1 Milliarden Menschen erreichen. Dabei aber ist zu beachten, daß die Bevölkerung vieler Entwicklungsländer schneller wächst als die Nahrungsmittelproduktion. Im Jahre 2000 etwa werden 65 Entwicklungsländer nicht in der Lage sein, ihre Bevölkerung ausreichend zu ernähren. Sicherlich ist das Problem Menschenflut und Nahrung für die Zukunft nicht allein durch die Steigerung der Produktion zu lösen. Doch besteht zur Zeit zunächst einmal die Verpflichtung, auch auf dem Landwirtschaftssektor alle vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen und in diesen Ländern echte Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.
Die Herstellung von Protein fällt in dasselbe Gebiet. Auch das ist für die Ernährung der Menschen in der Dritten Welt ganz wichtig und vor allen Dingen mit Hilfe gentechnologischer Methoden durchaus zu erreichen.
Die Erfolge, die mit der Gentechnologie im medizinischen Bereich bereits erzielt wurden, finden bei den GRÜNEN keinerlei Anerkennung. Das ist eindeutig auch aus der Art der Fragestellung ersichtlich. Mich erschreckt immer wieder die saloppe Art, mit der gerade Frau Hickel die Möglichkeit der Herstellung menschlichen Insulins durch gentechnologische Methoden kommentiert, indem sie nämlich statt der Förderung der Herstellung von lebens-



Frau Dr. Neumeister
notwendigen Hormonen — das ist das Insulin j a eindeutig — eine Veränderung des Ernährungszustandes der Bevölkerung als ausreichend zur Bekämpfung des Diabetes bezeichnet. Sicherlich sind diese geforderte Beratung, Prävention und Früherkennung außerordentlich wichtig. Auch von der Bundesregierung wird das entsprechend gefördert. Allein 5 Millionen DM werden jährlich für Ernährungsberatung bereitgestellt.

(Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Wie ist das mit der Vollwertkost hier im Bundestag?)

— Das ist ja unsere Sache. Da hat die Bundesregierung nun ja kein Gesetz zu erlassen, wie Sie sich hier mittags ernähren sollen. —

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Mir persönlich kann sicherlich niemand vorwerfen — ich glaube, darüber sind wir uns einig —, daß ich der Eigenverantwortung des einzelnen und der Bedeutung seines jeweiligen Verhaltens nicht eine vorrangige Position zumesse. Im übrigen darf nicht außer acht gelassen werden, daß durch ein allzu perfektes und häufig als „kostenlos" propagiertes Therapieangebot bei verhaltensabhängigen Krankheiten Prävention und Eigeninitiative auf der Strecke bleiben könnten; das sehen wir ganz genauso.
Jedoch mit derartig einseitigen Aussagen die Probleme der mehr als 15 000 jugendlichen Diabetiker in der Bundesrepublik Deutschland zu ignorieren, halte ich für blanken Zynismus.

(Hanz [Dahlen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Diese Jugendlichen bleiben zeit ihres Lebens zukkerkrank und sind auf Dauermedikation mit Insulin angewiesen. Für viele von ihnen ist es sicherlich eine Frage der Lebensqualität, wenn ihnen durch gentechnologisch produziertes reines menschliches Insulin die Überempfindlichkeitsreaktion, wie sie z. B. bei der Verwendung von Schweine- und Rinderbauchspeicheldrüsen immer wieder auftritt, erspart bleibt. Auch eine große Zahl der Patienten mit sogenanntem Altersdiabetes werden dieses Angebot als Wohltat empfinden, zumal ja bei Abhängigkeit von Schlachthöfen angesichts eines Weltbedarfs von zwei Tonnen Insulin jährlich zweifellos bedrohliche Engpässe eintreten könnten.
Genauso hanebüchend war eigentlich auch Ihre Behauptung heute morgen, Frau Hickel, man solle die infektiösen Tropenkrankheiten nicht mit Impfstoffen bekämpfen, sondern nur mit einer Ernährungsumstellung in den Tropen.

(Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: „In erster Linie" habe ich gesagt! Es kommt sehr auf die Bewertung an!)

Ich glaube, damit werden wir nicht weiterkommen.
Denken wir aber auch an einen weiteren Bereich medizinischer Forschung. Ich kann mir vorstellen, daß diejenigen, die die Gentechnologie als „verantwortungslose Wissenschaft" bezeichnen, hier noch nichts von den intensiven Bemühungen in der Krebsforschung erfahren haben, mit Hilfe gentechnologischer Verfahren das Wissen von der normalen und der entarteten Zelle, vom normalen und entarteten Gewebe und vom krebskranken Menschen zu vermehren.

(Lenzer [CDU/CSU]: Das wollen die alles nicht hören! Das interessiert die nicht!)

Erkennen Sie auch nicht die durchaus begründete Hoffnung, daß sich von solchen Erkenntnissen für den Menschen, und zwar für den gesunden wie für den kranken, praktisch unendlich viel Wertvolles und Verwertbares ableiten läßt? Dies ist gentechnologische Grundlagenforschung, die dringend der Förderung bedarf. Doch sie bedarf auch der Geduld und des Vertrauens in diese Wissenschaft.
Das Wissen von der lebenden Materie hat sich im letzten Jahrzehnt in einem Ausmaß wie noch nie in der Geschichte verändert. Auch dadurch wurden Grundlagen für das Verständnis des Vorganges bei der Krebsentstehung geschaffen. Wie nahe in diesem Bereich Grundlagen- und angewandte Forschung beieinander liegen, zeigt z. B. die Entwicklung der monoklonalen Antikörper, die in der notwendig reinen und spezifischen Form mit Hilfe gentechnologischer Methoden produziert und als ganz wichtiges Mittel zur Früherkennung von Leukämien und von Lymphomzellen eingesetzt werden. Lohn dieser Arbeit ist der Nobelpreis der Medizin für den Deutschen George Köhler.
Wenn in der Anfrage der GRÜNEN speziell nach den Alternativen in der Medizin gefragt wird, so kann man nur sagen: Molekularbiologie und ihre angewandte Tochter, die Gentechnologie, sind in der Krebsforschung ohne Alternative und brauchen kein spezielles Plädoyer für ihre Berechtigung und ihre Förderung.
Wie aber sieht es nun aus, wenn es der Forschung gelingt, die Erbinformation der Menschen so genau zu bestimmen, daß mit Hilfe einer Genomanalyse z. B. Erbkrankheiten, erbliche Auffälligkeiten prä- und postnatal bestimmt werden können? Einerseits würde eine solche Transparenz durchaus gezielte präventive Maßnahmen ermöglichen, die manches Leiden im Verlauf des Lebens verhindern könnten. Frau Hickel, aber ich bin mir andererseits auch durchaus klar darüber, daß eine verfeinerte pränatale Diagnostik auch zu einer Verschärfung der Problematik des § 218 führen könnte: Soll eine genetisch bedingte Erkrankung oder Auffälligkeit ohne Differenzierung etwa immer ein Grund für die Abtreibung sein? Hier müssen wir uns noch sehr genau überlegen, wie wir dieser ganzen Problematik begegnen können.
Die Genomanalyse aus Gründen der Selektion der Arbeitnehmer auf Grund ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber arbeitsplatzbedingten Belastungen, wie sie in Amerika angeblich bereits praktiziert wird, muß abgelehnt werden. Sie wird von der Bundesregierung in der Anfrage auch abgelehnt. Schließlich sollen die Arbeitsbedingungen dem Menschen angepaßt werden und nicht der Mensch dem Arbeitsplatz. Es spricht keiner — auch kein Mitglied der Bundesregierung — von erblich bedingten Berufskrankheiten. Das steht in der Literatur, aber es wird von der Bundesregierung nicht



Frau Dr. Neumeister
wiederholt. Die endgültige Stellungnahme zu diesem Problem allerdings wird die speziell dafür eingesetzte Arbeitsgruppe abgeben.
Eine Debatte über die Gentechnologie wäre aber unbefriedigend, wenn nicht mit dem notwendigen Nachdruck auch die Grenzen der Anwendung dieser Technologie aufgezeigt würden. Schließlich muß beachtet werden, daß es gentechnologische Möglichkeiten, verbunden mit neuen Verfahren in der Handhabung der Zellkulturen den Wissenschaftlern erlauben werden, in zunehmendem Maße auch Säugetiere in die Versuche einzubeziehen. Damit können sich Möglichkeiten ergeben, diese genetischen und zellbiologischen Techniken auch an Menschen anzuwenden. Hiergegen werden mit Recht ethische und rechtliche Bedenken erhoben, die in der zu diesem Zweck von der Bundesregierung berufenen Arbeitsgruppe und der EnqueteKommission ernsthaft geprüft werden. Gentechnologische Experimente an menschlichen Keimzellen mit dem Ziel der Züchtung oder Klonierung sind mit der Würde des Menschen nicht zu vereinbaren — das kann gar nicht oft genug wiederholt werden —, wie auch aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage ganz klar ersichtlich ist.
Dann möchte ich noch auf den Antrag eingehen, den Sie, Frau Hickel, heute eingebracht haben. Ich halte das Schüren von Ängsten in Verbindung mit der Gentechnologie, wie es zur Zeit vor allen Dingen von Ihnen betrieben wird und wozu auch das Instrument des Entschließungsantrages mißbraucht wird,

(Burgmann [GRÜNE]: Igittigitt!)

für unverantwortlich. Die seit Monaten wiederholten Versuche, die Erkrankung AIDS als Produkt der Gentechnologie zu erklären, sind doch geradezu blanker Unsinn.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Es gibt schließlich sehr ernstzunehmende Beweise dafür, daß AIDS vor Hunderten von Jahren in Afrika, im Kongo, schon bekannt war und dort wahrscheinlich auch entstanden ist.

(Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Das ist nur eine Theorie!)

Man kann doch Krankengeschichten von denjenigen verfolgen, die in Brüssel behandelt wurden, nachdem sie aus Belgisch-Kongo herausgegangen waren, weil sie dort keine Behandlung gefunden hatten. Der Weg ist dann über San Francisco und New York über bestimmte Kreise zu verfolgen. Wenn sich die GRÜNEN aber ausgesprochen alte, sogenannte wissenschaftliche Aussagen über die Gefahren von AIDS-Viren heranholen, so möchte ich doch dagegenstellen, daß z. B. im ersten Heft des „Journal of Medicine New England" sehr interessante Berichte von der Harvard-Universität und von Professor Gallo, der sicherlich einiges über AIDS weiß, über die Infektionsgefahren mit HTLVIII-Viren zu finden sind. Diese Ausführungen können sicherlich zu einer Versachlichung und Beruhigung der Diskussion beitragen.
Zum Abschluß möchte ich nur noch einmal betonen, daß die extrakorporale Befruchtung in Verbindung mit der Embryo-Übertragung, wie sie in der Anfrage ebenfalls noch angesprochen wird, bei homologer Insemination lediglich eine durchaus noch weiterzuentwickelnde Möglichkeit der Sterilitätsbehandlung darstellt, im Grunde genommen aber nichts mit der Gentechnologie zu tun hat.
Diese Fragen werden sicherlich in Kürze von der Arbeitsgruppe abschließend behandelt, und es werden Vorschläge für. die teilweise sicherlich notwendigen Regelungen gemacht werden.
Es erscheint mir jedoch dringend erforderlich, immer wieder darauf hinzuweisen, daß die derzeitig spektakulär in der Öffentlichkeit besprochene Problematik einer bezahlten sogenannten „Leihmutter", die meines Erachtens zu Recht negativ beurteilt wird, nichts mit der Gentechnologie zu tun hat.
Der letzte Satz, Herr Präsident: In der Öffentlichkeit ist die Antwort der Bundesregierung positiv aufgenommen worden, und sie wird als die erste umfassende Faktensammlung der gentechnischen Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet. Sie dient z. B. auch der Enquete-Kommission, den Parteien, Gewerkschaften und Verbänden als Arbeitsgrundlage.
Ich hoffe, daß wir darauf fußend eine vernünftige Diskussion in den Ausschüssen bekommen werden.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011432800
Das Wort hat der Abgeordnete Catenhusen.

Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1011432900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem halben Jahr, das vergangen ist, seit wir hier zum letztenmal über die Probleme der Gentechnologie debattiert haben, hat sich in der Grundlagenforschung der Gentechnologie wieder gezeigt, wie rasant der Fortschritt dieser technischen Entwicklung ist. Manches, was uns noch vor wenigen Jahren, vielleicht noch vor Monaten, als Zukunftsmusik dargestellt wurde, ist nun schon reale Möglichkeit der kommenden Zeit. Ich möchte dafür zwei Beispiele nennen.
In diesen Tagen hat das amerikanische Office of Technology Assessment in einer Studie dargestellt, daß noch in diesem Jahr in den Vereinigten Staaten Eingriffe in menschliche Körperzellen in größerem Umfang vorgenommen werden sollen. Diese Eingriffe sollen der Entwicklung von Behandlungsmethoden genetischer Defekte beim Menschen dienen.
Ich nenne ein zweites Beispiel. In den letzten Tagen wurde stolz in den Medien gemeldet, daß die ersten geklonten Kälbchen angekommen seien. Es zeigt sich also, daß das Klonen bei Säugetieren, die in ihrer biologischen Entwicklung mit Menschen auf einer Stufe stehen, schon so weit entwickelt ist, daß es technisch denkbar ist, daß in überschaubarer



Catenhusen
Zeit das Klonen auch an Menschen angewandt werden könnte.
Auch das Tempo der Entschlüsselung der menschlichen Erbinformation hat sich weltweit spürbar beschleunigt. Ich weise darauf hin, daß im letzten Jahr nach unserer letzten Debatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft den Förderschwerpunkt „Genomanalyse" gesetzt hat.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zur Gentechnologie — dafür muß man, glaube ich, als Parlament Verständnis haben — kann nicht die Antworten geben, für die der Deutsche Bundestag eine Enquete-Kommission eingesetzt und die Bundesregierung eine interministerielle Arbeitsgruppe berufen hat. Die Antwort der Bundesregierung ist neben einer Sammlung interessanter Fakten aber auch ein Beispiel dafür, mit welch ungenügendem Grad von Sensibilität die Bundesregierung an die Beantwortung der von der Gentechnologie aufgeworfenen Fragen herangeht.
Die vorgelegte Antwort spiegelt die Dramatik der Entwicklung in der Genforschung nur völlig unvollkommen wider. Sie zeigt auch gleichzeitig, daß sich die Bundesregierung bei ihrer Förderung der Gentechnologie bisher nicht auf eine differenziertere Erörterung von Chancen und Risiken dieser Technik in den sich abzeichnenden Anwendungsbereichen einläßt.
Ich möchte als Beleg dafür aus der Antwort der Bundesregierung beispielhaft die sogenannte grüne Gentechnologie herausgreifen. Da geht es um die gezielte genetische Veränderung von Pflanzen. Die Große Anfrage der GRÜNEN wirft zu Recht die Frage nach der möglichen Bedeutung der Gentechnologie in der Landwirtschaft auf. Man muß der Antwort der Bundesregierung zumindest eines zugute halten, daß sie sich nämlich von der euphorisch-geschäftigen Rhetorik ihres Außenministers Genscher etwas abhebt. Dieser entdeckte nämlich im Sommer letzten Jahren zwischen seinen vielen Reisen die Zukunft unseres Landes plötzlich in der Gentechnologie und verkündete dies in der Sommerpause geschwind auch in einem Brief an die Mitglieder seiner Partei. Dort heißt es mit markigen Worten:
Die Überwindung von Hunger und Armut könnte hier endlich in greifbare Nähe rücken.
Ich hoffe, daß die Ausführungen, die Herr Laermann heute morgen gemacht hat und die ich in der Grundtendenz sehr unterstreichen möchte, auch von Ihrem Außenminister und Noch-Parteivorsitzenden gelesen werden. Weiter heißt es in dem Brief:
Die denkbar gewordene Möglichkeit, die Fähigkeit von Mikroorganismen zur Luftstickstoffbindung auf Pflanzen zu übertragen, verspricht
— ich betone: verspricht —
eine umwälzende Entwicklung.
Ich denke, auch Herr Genscher wird von dieser Art von Technikeuphorie Abschied nehmen müssen, daß allein eine neue Technologie schon die Lösung gesellschaftlicher Probleme bringen werde.

(Zuruf von der FDP: Das haben Liberale nie geglaubt! — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht gesagt worden!)

— Ich denke, Herr Genscher tut das.
Neue Techniken können Probleme mildern, schaffen aber auch immer — auch das ist eine historische Erfahrung — neue Probleme. Das ist, denke ich, auch bei der Gentechnologie der Fall.
Es ist aber auch bemerkenswert, daß in der konkreten Frage der Stickstoffixierung von Pflanzen die Bundesregierung, wenn sie um ihre Einschätzung gebeten wird, hier und an anderer Stelle sagt, eine Kosten-Nutzen-Analyse sei noch nicht möglich, während sie schon im nächsten Satz natürlich fest mit einem gegenüber den Kosten wesentlich höheren Nutzen für die Gesellschaft rechnet. Es kann doch nur eines von beidem stimmen. Entweder kann ich diese Analyse heute nicht vornehmen, dann halte ich mich auch mit den zukunftseuphorischen Prognosen zurück; oder ich kann sie vornehmen, aber dann möchte ich dazu auch eine präzise Antwort der Bundesregierung hören.
Diese Art von verteidigender Argumentation zeigt sich an den Ausführungen der Bundesregierung zum Paradebeispiel der grünen Gentechnologie, an der Stickstoffixierung. Denn über die ungelösten Probleme ist in der Antwort nichts zu finden.
Der Tübinger Genetiker Professor Dr. Reifert hat erst vor kurzem von einer großen Reihe völlig ungelöster Probleme dieser Forschungsrichtung geschrieben, von denen ich nur eines herausgreifen möchte. Nicht nur die Düngemittelindustrie, sondern auch die Pflanzen, die wegen der Fähigkeit, Stickstoff zu produzieren, eingesetzt werden, brauchen natürlich Energie, um Stickstoff aus der Luft zu binden. Das bedeutet natürlich, daß der Ertrag dieser Nutzpflanzen, die so manipuliert werden, zurückgehen wird. Das bedeutet, so sagt Professor Reifert, diese Einbuße würde in vielen Fällen einen Gentransfer aus rein wirtschaftlichen Gründen aus heutiger Sicht uninteressant erscheinen lassen. Dies der euphorischen Annahme gegenüberzustellen, die Gentechnologie könne die Hungerprobleme der Welt lösen, ist schon sehr interessant.
Es ist nicht nur so, daß wir heute noch nicht, wie die Bundesregierung sagt, Pflanzen, die Stickstoff binden können, konstruieren können, sondern es bleibt nach dem Kenntnisstand, den wir heute haben, offen, ob das in absehbarer Zeit überhaupt möglich ist, und es bleibt auch offen, ob dies gesellschaftlich überhaupt sinnvoll ist.
Dieses konkrete Beispiel zeigt für mich und meine Fraktion, daß die Bundesregierung die Schwerpunkte in der Gentechnologieförderung, die auf sehr spekulativen Nutzenerwägungen beruhen, bisher nicht auf den Prüfstand einer nüchternen Analyse stellen will. In den Vereinigten Staaten etwa wird innerhalb der Wissenschaftlergemeinschaft darüber diskutiert, ob das überhaupt noch



Catenhusen
ein lohnender Schwerpunkt ist. Wir sollten nicht immer die letzten sein, die hinterherlaufen, auch dann noch, wenn andere schon andere Wege eingeschlagen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Lenzer [CDU/CSU]: Wenn sie schon bessere Ergebnisse haben!)

Auch wir Sozialdemokraten wissen, meine Damen und Herren, daß man nicht schon vor den Entdeckungen in der Grundlagenforschung möglicher Folgen analysieren kann.

(Lenzer [CDU/CSU]: Also!)

Aber die Technologiefolgenabschätzung, die Abschätzung von Nutzen und Risiken, darf natürlich nicht erst dann einsetzen, wenn die Technik bereits praktisch breit angewandt wird. Technologiefolgenabschätzung muß also die Umsetzung von Erkenntnissen der Grundlagenforschung in der Entwicklung und Einführung der Technik begleiten und damit auch Voraussetzungen dafür schaffen, daß man zu bestimmten Möglichkeiten der Anwendung dieser Technik auch schon im Vorfeld nein sagen kann.
In der Medizin, denke ich, gibt es bereits eine Reihe von konkreten Möglichkeiten der Nutzung der Gentechnologie. Hier müßte die Bundesregierung zu konkreteren Aussagen in der Lage sein, zu Aussagen über den sozialen Nutzen dieser Möglichkeiten und über die sozialen Kosten, die die Anwendung der Gentechnologie für die Gesundheit bedeuten könnte. Das kann man aus der Antwort nicht entnehmen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Sie wissen doch, daß es eine gemeinsame Kommission gibt, die darüber berät!)

Meine Damen und Herren, ich komme in dieser Frage zu dem Ergebnis, daß Bundesregierung und Bundestag die Setzung dieser Schwerpunkte bisher keiner gesellschaftlichen Rechtfertigung unterworfen haben. Ich hoffe, daß die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages — das ist ihr Auftrag — hierfür eine rationalere Bestimmung des Ziels der Forschung finden wird. Ich denke — lassen Sie mich das deutlich sagen —, daß das für die Bundesregierung vielleicht eine gewisse Hilfe sein kann. Ich denke, sie braucht diese Hilfe, wenn ich die Antwort auf die Große Anfrage sehe.
Ich möchte zu einem zweiten Bereich kommen, zum Naturverständnis, das hinter der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage „Gentechnik" deutlich wird. Denn viele Menschen machen sich Sorgen um diese Technik, weil diese Technik wie keine andere unmittelbar in das Verhältnis des Menschen zur Natur und zu sich selbst eingreift. Ich halte es für verharmlosend, daß die Bundesregierung in ihrer Vorbemerkung den Eindruck erweckt, es ginge bei der Gentechnologie lediglich um eine bloße Fortsetzung dessen, was wir schon immer mit der Natur machen. Wir mischen uns schon seit vielen Jahrtausenden in die Evolution ein. Der Mensch kloniert und pfropft seit langem Pflanzen, er züchtet Tiere, er verwandelt Wälder in Felder, heute leider auch Wälder und Felder in Steppen und Wüsten. Die Züchtung war nichts anderes als der Versuch, eine möglichst geplante Steuerung der natürlichen Auslese zu erreichen. Die zweite biologische Revolution, deren Kern die Gentechnologie bildet, kann die genetische Substanz selbst verändern. Das ist ein qualitativ neuer Sprung in unserem Umgang mit der Natur, weil wir dadurch Artengrenzen beseitigen und die Erbsubstanz künstlich herstellen und verändern können. Hier muß sich auch für die Bundesregierung die Frage stellen — ich erwarte heute keine Antwort darauf —: Muß nicht unser Ziel, den Frieden mit der Natur wiederherzustellen, auch etwa den Verzicht auf die gezielte Freisetzung genetisch manipulierter Lebewesen in die Umwelt einschließen, solange wir die Folgen eines derartigen Handelns nicht abschätzen können?
Was die denkbare Anwendung dieser Technik an Menschen angeht, meine Damen und Herren, so gilt für uns Sozialdemokraten, daß wir hier durchaus unterstreichen wollen, daß hier in einzelnen Fragen Übereinstimmung mit der Bundesregierung besteht, ich denke, auch mit den GRÜNEN, etwa, daß hier gemeinsam von allen Sprechern eine Strategie abgelehnt wird, bei der die genetische Selektion von Arbeitnehmern einer weiteren Herabsetzung von Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz vorgezogen wird.

(Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Das können Sie lange ablehnen! Es wird trotzdem gemacht!)

Der Punkt ist nur: Es bleibt auch nach der Antwort der Bundesregierung völlig unklar, ob die Bundesregierung etwa für besondere Schutzregeln beim genetischen Datenschutz offen ist. Es ist unklar, ob die Bundesregierung die Möglichkeit des genetic screening, die in den USA von einer Reihe von großen Firmen genutzt wird, rechtlich auch auszuschließen bereit ist. Es reicht nicht, hier nur zu sagen: Wir sehen Probleme!, sondern ich würde es sehr begrüßen, wenn in der Antwort der Bundesregierung die Bereitschaft, hier Regelungen zu treffen, deutlich erkennbar geworden wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN — Lenzer [CDU/CSU]: Darüber denken wir doch zur Zeit gemeinsam nach!)

— Ich rede von der Bundesregierung. Auch die müßte j a eigentlich denken, und in der Antwort müßte man das Denken schon ein bißchen erkennen können.
Wir begrüßen die klare Absage in der Anwort der Bundesregierung an die Klonierung von Menschen, auch die klare Absage an Experimente, die auf eine Erzeugung von Menschen und auf die Reproduktion, also die Klonierung von Menschen, abzielen. Nun frage ich: Gilt dies auch für jeden Schritt, der die Voraussetzungen dafür schafft, daß dies möglich wird? Da liegt der Hase im Pfeffer. Wir können diese allgemeinen Gefahren beschwören und ablehnen, ohne die wissenschaftliche Entwicklung, die in diese Richtung läuft, zu stoppen.



Catenhusen
Ich denke, bei der Anwendung der Gentechnologie an Menschen müssen Grenzen gesetzt werden. Dies gilt auch für die Grundlagenforschung; denn die Forschung am Menschen ist immer angewandte Forschung und betrifft wie kein anderer Bereich der Grundlagenforschung das Grundrecht des Menschen auf seine Würde.
Wir müssen dabei vor allem auch den rechtsfreien Raum schließen, der heute Experimente an befruchteten menschlichen Eizellen ermöglicht. Wir können noch beruhigt sein, daß der Mensch Gott sei Dank auch genetisch ein komplexes Wesen mit vielleicht 150 000 einzelnen Erbfaktoren darstellt. Eigenschaften des Menschen, seine Persönlichkeit, die ja nicht nur auf der Information eines einzelnen Gens aufbauen, sind also Gott sei Dank auf absehbare Zeit genetisch nicht gezielt zu beeinflussen. Aber auch wenn wir uns dies nüchtern vor Augen führen, so bleibt doch das Unbehagen für mich und auch die große Sorge, daß, auch wenn wir dies alles als große Gefahren beschreiben, dennoch die Wissenschaft unbeirrt Schritte auf einem langen Weg in diese Richtung einschlägt und weiterschreitet und auch, wenn die Enquete-Kommission arbeitet, weiterschreiten wird. Ich denke etwa an die Forschung, die Eingriffe in Keimbahnzellen bei Säugetieren vornimmt, mit denen in Tierexperimenten die Methoden des Eingriffs in die Erbanlagen des Menschen vorbereitet und entwickelt werden.
Viele sagen, wir befinden uns auf einem schlüpfrigen Abhang in der Forschungsentwicklung, wo wir nicht absehen können, wohin das führt, wo wir hoffen, daß es nicht so schnell möglich wird, wo wir heute auch nicht ausschließen können, daß unsere Befürchtungen wahr werden.
Ich denke, es müßte sehr sorgfältig geprüft werden, ob wir nicht in dieser Situation, in der die Standesorganisationen der Wissenschaft, viele gesellschaftliche Gruppen, etwa die Kirchen, die Gewerkschaften und nun auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber, das Parlament und die Bundesregierung über die Ziehung von Grenzen in diesem Bereich ernsthaft diskutieren wollen, auch darüber reden sollten, ob wir nicht als Parlament einen Appell erlassen sollten, daß in der Wissenschaft kurzfristig ein Konsens darüber getroffen wird, im Fortschreiten der Anwendung solcher Techniken am Menschen innezuhalten und die Ergebnisse unserer gemeinsamen Arbeit abzuwarten.
Wir haben schon ein solches Innehalten der Forschung in unserem Lande. Keine Forschergruppe in der Bundesrepublik experimentiert mit den bei der künstlichen Befruchtung frei werdenden überschüssigen menschlichen Embryonen. Kann ein solches Innehalten nicht auch in anderen Bereichen erreicht werden? Ich denke etwa an Eingriffe in menschliche Keimbahnzellen. Auch wenn dies technisch heute noch nicht möglich ist, wäre es gut, wenn hier ein Konsens auch der betroffenen Wissenschaftler dokumentiert werden könnte. Ich denke etwa an die Grenzen bei der Vermischung menschlicher und tierischer Erbinformationen. Warum sollte dieses Innehalten nicht auch umfassen, daß Ärzte in der Bundesrepublik ihre Mitwirkung am Zustandekommen von Leihmüttergeschäften einstellen? Denn das Leihmüttergeschäft ist nicht nur eine Frage der Mutter, die gemietet wird, der Mutter, die davon betroffen ist, weil sie kein Kind bekommen kann, sondern es ist auch eine Frage der Ärzte, die daran mitarbeiten.
Meine Damen und Herren, ich denke, wenn die Arbeit der Enquete-Kommission und des Bundestages zu einem Erfolg kommen soll, dann wäre dafür auch Voraussetzung, daß die Wissenschaftler bereit sind, unsere Ergebnisse abzuwarten.
Ich sage eine letzte kurze Anmerkung zu dem Antrag der GRÜNEN. Ich halte das Vorgehen, einen Aufsatz, der seit über fünf Monaten bekannt ist, über den Frau Hickel seit vielen Monaten in Podiumsdiskussionen zu reden beliebt, ich sage einmal: in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vor einer solchen Diskussion aus der Tasche zu ziehen, nicht für angemessen. Das erinnert mich etwas an den Boulevardstil von Zeitungen, wo sozusagen zur vermarktbaren Zeit ein Thema herausgezogen wird

(Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Hätte ich es über Weihnachten machen sollen?)

Ich möchte davon aber nicht die Bereitschaft der sozialdemokratischen Fraktion trennen, nach Überweisung des Antrags in die Ausschüsse das dahinterliegende große Problem ernsthaft zu prüfen, ob nicht die Verwendung von krankheitserregenden Viren als — wenn Sie so wollen — Transportmittel in der biologischen Grundlagenforschung gesundheitliche Risiken hervorruft. Darauf müssen wir eine Antwort finden. Wir sind also bereit, über diese drei Punkte in Ihrem Antrag auch sorgfältig nach Anhörung der Bundesregierung in den Ausschüssen zu beraten, weil hier ein Problem steckt, denke ich, das übrigens auch in der Enquete-Kommission schon angesprochen und behandelt worden ist.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011433000
Das Wort hat der Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (FDP):
Rede ID: ID1011433100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die ethische Ambivalenz des Gebrauchs, den die Menschen vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt machen, hat die Haltung gegenüber diesem Fortschritt immer bestimmt. Insofern sind Skepsis, Ablehnung, ja, offene Feindschaft gegenüber wissenschaftlich-technischen Entwicklungen nichts Neues.
Neu ist allerdings der Stellenwert, der dem Problem der wissenschaftlich-technischen Entwicklung im Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit zukommt. Ich glaube, daß hierfür vor allem zwei Faktoren maßgebend sind.
Einmal hat sich das Tempo der praktischen Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse dramatisch erhöht, d. h. der Zeitraum zwischen Erkenntnisfortschritten in der Grundlagenforschung, ihrer technischen Anwendung und schließlich ihrer wirtschaftlichen Nutzung ist immer kleiner geworden.



Kohn
Da sich diese Entwicklung in vielen Wissenschaftsbereichen gleichzeitig vollzieht, verändert sich die Welt, in der wir leben, immer schneller. Es ist eine große Herausforderung für den einzelnen Menschen, aber auch für eine Gesellschaft, damit Schritt zu halten, einen vernünftigen Umgang mit diesen Prozessen zu erlernen.
Der andere Faktor ist die Ausweitung der Fähigkeiten des Menschen, steuernd in Bereiche hineinzuwirken, die in einem existentiellen Sinne die menschliche Würde, die personale Integrität berühren. Gerade die Gentechnologie ist das beste Beispiel dafür. Grenzen, die unserer Bewußtseinslage entsprechend naturgegeben unüberschreitbar waren, scheinen allmählich in die Reichweite zielgerichteten menschlichen Handelns zu geraten. Die Einsicht in unsere zunehmenden Fähigkeiten und die Erfahrung ihrer oft nicht absehbaren Konsequenzen führen uns die Eigenverantwortlichkeit menschlicher Aktivität in aller Deutlichkeit vor Augen.
Vor diesem Hintergrund ist von größter Bedeutung, daß sich alle politischen Kräfte mit Engagement des wissenschaftlich-technischen Fortschrittes und seiner Auswirkungen annehmen. Allzuviele lassen sich ja blenden von den faszinierenden Möglichkeiten der neuen Technologien oder aber flüchten in blinde Technikfeindlichkeit; wo es doch darauf ankäme, Chancen und Risiken dieser wissenschaftlich-technischen Entwicklungslinien gegeneinander abzuwägen, wo es doch darauf ankäme, die Rolle von Forschung und Technologie in einer offenen Gesellschaft zu definieren, nüchtern und ohne Vorurteile.
Der Standpunkt der Liberalen ist klar. Uns geht es um die Versöhnung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts mit dem Grundwert der persönlichen Freiheit. Wir sagen ja zum Wettbewerb um Spitzenleistungen in Forschung und Technologien. Wir tun dies, so wichtig die ökonomischen und sozialen Aspekte auch sind, nicht ausschließlich wegen ihrer innovativen Impulse für unsere Volkswirtschaft.

(Zuruf von den GRÜNEN: Sondern?)

Wir sagen ja zum Wettbewerb um Spitzenleistungen in Forschung und Technologie,

(Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Sie sind Spitze!)

weil dieser Wettbewerb für Wissenschaftler und Techniker ein Stück Selbstverwirklichung bedeutet und weil die Summe der von ihnen erarbeiteten Ergebnisse einen kulturellen Eigenwert darstellt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sagen aber auch mit der gleichen Deutlichkeit, daß der Gebrauch, den unsere Gesellschaft vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt macht, nur dann politisch verantwortet werden kann, wenn er mit dem grundlegenden liberalen Wert der persönlichen Freiheit vereinbar und seine gesellschaftliche Akzeptanz gegeben ist.
Angesichts der Bedeutung und der Schwierigkeit dieser Probleme bleibt die Entwicklung einer Philosophie der Technik, die auf der Höhe der Zeit steht, eine dringende Forderung an die betroffenen wissenschaftlichen Disziplinen. Die Große Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN zur Gentechnik hat sich der Herausforderung, die diese Technologie für uns alle bedeuten muß, verweigert. In ihr kommt eine apodiktisch negative Einstellung zur Gentechnik zum Ausdruck. Also: Ansatz verfehlt.
Das Beste, was man noch über diese Große Anfrage sagen kann — ich will hier auch einmal etwas Positives über Sie sagen —, ist, daß sie der Bundesregierung Gelegenheit gegeben hat, ihre Haltung ausführlich der Öffentlichkeit darzustellen.

(Zuruf der Abg. Frau Dr. Hickel [GRÜNE])

Bei der Lektüre der Großen Anfrage der GRÜNEN ist mir eines besonders aufgefallen, nämlich die Nähe dieser Fraktion zur Konzeption einer verstehenden Naturwissenschaft und im Zusammenhang damit zu einem Verständnis der Natur, das den naturalistischen Fehlschluß, also den Schluß vom Sein auf ein Sollen, nahelegt. Hans Albert hat dieses Verfahren der gebührenden methodologischen Kritik unterzogen,

(Burgmann [GRÜNE]: Ach so!)

und Ernst Topitsch hat den Projektionsmechanismus dargestellt und analysiert, der hier zugrunde liegt. Es wäre eine reizvolle Aufgabe — ich hoffe, daß ich dazu einmal Gelegenheit habe —, in diesem Hause darzustellen, auf welch fragwürdigen ideologischen und methodologischen Annahmen die Positionen der GRÜNEN in der Tat beruhen, doch jetzt ist dazu leider keine Gelegenheit.

(Bindig [SPD]: Auf welchen Positionen Ihre Rede beruht!)

— Wissen Sie, bevor Sie über solche Themen mit mir diskutieren, machen Sie sich erst einmal wirklich sachkundig!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei begrüßt die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage.

(Schreiner [SPD]: Ein kleiner 5-%-Philosoph!)

Wir teilen die Auffassung der Bundesregierung, daß die Gentechnologie und mit ihr die gesamte Biotechnologie eine Zukunftstechnologie ist, die im kommenden Jahrhundert eine außerordentlich wichtige Rolle spielen kann, und zwar gerade bei der Lösung drängender Probleme, z. B. durch Entwicklung von Impfstoffen für die Medizin und durch Pflanzenzüchtung für die Landwirtschaft. Aber auch durch Lösung anderer öffentlicher Aufgaben — beim Umweltschutz oder bei der Rohstoffversorgung — zeichnen sich die Chancen der Gentechnologie und damit im Zusammenhang stehender biotechnologischer Forschungen ab.
Wir teilen die Auffassung der Bundesregierung, daß der Gentechnologie ein hohes Innovationspo-



Kohn
tential innewohnt, weil es sich hier um eine Schlüsseltechnologie mit Breitenwirkung in viele Bereiche hinein handelt. Die Bundesregierung weist in ihrer Antwort zu Recht darauf hin, daß in fast allen Industriestaaten immense Anstrengungen unternommen werden, um Schwerpunkte in dieser Forschungsrichtung zu setzen, Forschungskapazitäten in öffentlichen Institutionen und in der Industrie zu schaffen sowie flankierende staatliche Förderungsmaßnahmen einzuleiten.
Wir teilen aber auch die Auffassung der Bundesregierung, daß Forschung unerläßlich ist, um — wie es heißt — Chancen und Risiken einer neuen methodischen Entwicklung erkennen und die Grenzen einer verantwortbaren Anwendung dieser Methode bestimmen zu können.
Bei diesen ethisch gebotenen Grenzen geht es insbesondere um gentechnologische Forschung und Anwendung am Menschen. Ich meine beispielsweise Experimente, die auf eine Reproduktion genetisch identischer Menschen abzielen, ich meine Experimente an menschlichen Embryonen oder auch Projekte einer extrakorporalen Embryonalentwicklung.
Weil wir diese komplexen Zusammenhänge sehen, messen wir Liberalen der Technikfolgenabschätzung und der Technikbewertung eine besondere Bedeutung zu. Die Bundesregierung hat deshalb schon frühzeitig den gesellschaftlichen Dialog über diese Fragen durch Fachgespräche, aber auch durch Einsetzung der Arbeitsgruppe „In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie" unter Vorsitz von Professor Benda eröffnet. Nicht zuletzt hat sich der Deutsche Bundestag im Sommer 1984 mit der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" ein Instrument geschaffen, die Probleme ins öffentliche Bewußtsein zu heben, eine öffentliche — und offene — Diskussion in Gang zu setzen und die Möglichkeiten und Notwendigkeiten politisch-rechtlicher Regelungen zu untersuchen — eine Aufgabe, die gerade für eine liberale Rechtsstaatspartei besondere Bedeutung hat. Die Arbeit in dieser Kommission ist gut angelaufen, und wir werden uns darum bemühen, unserem Auftrag entsprechend Ende nächsten Jahres unseren Bericht dem Parlament vorzulegen.
Bei der Beurteilung der Gentechnologie scheint es mir wichtig zu sein, hervorzuheben, daß die faktischen Möglichkeiten der Gentechnologie heute noch weit hinter den öffentlich diskutierten Erwartungen und Befürchtungen zurückbleiben. Ich weise darauf hin, daß beispielsweise die Versuche noch nicht so weit fortgeschritten sind, daß bereits jetzt die Konstruktion von landwirtschaftlich oder industriell interessanten Kulturpflanzen mit der Fähigkeit zur Stickstoffixierung in Angriff genommen werden könnte. Vieles, was da heute in der Öffentlichkeit erörtert wird, ist noch reine Sciencefiction. Allerdings müssen wir beachten, daß der Erkenntnisfortschritt in diesem Bereich rasch vonstatten geht. Wir müssen deshalb die Entwicklung sorgfältig im Auge behalten.
Als richtig hat sich die Politik der außerordentlich hohen und strengen Sicherheitsanforderungen an gentechnische Experimente erwiesen. Trotz aller häufig geäußerten Befürchtungen haben diese Sicherheitsstandards ihre Schutzfunktion bisher umfassend erfüllt. Wir halten es für sinnvoll, auch weiterhin diese Sicherheitsanforderungen restriktiver zu gestalten, als es die Risikoabschätzung zwingend erfordern würde. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen, daß wir Liberalen besonders dankbar dafür sind, daß die Bundesregierung noch einmal ihre grundsätzliche Ablehnung der Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer Waffen bekräftigt hat.

(Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Soll das etwas Besonderes sein?)

Angesichts der Chancen, die die Gentechnologie im medizinischen Bereich eröffnet hat, ist die Frage berechtigt, ob es hier, wo Krankheiten geheilt werden können, wo Leben geschützt werden kann, nicht auch ethisch geboten ist, diese Chancen zu ergreifen. In der Antwort der Bundesregierung sind eine ganze Anzahl von Beispielen angeführt worden, die die ganze Bandbreite möglicher Anwendungsfelder im medizinischen Bereich dokumentieren, von der Insulingewinnung über die Bekämpfung von Erbkrankheiten, wie Chorea Huntington, bis hin zur Tumortherapie.
Die Jungen Liberalen haben folgerichtig in einem Diskussionspapier in diesen Tagen hervorgehoben, daß es ein Verlust wäre, diese Chancen der Gentechnologie nicht zu nutzen, vorausgesetzt allerdings, daß es uns gelingt, ihre Risiken zu kontrollieren und auszuschalten.
Bevor ich zum Schluß komme, will ich der guten Ordnung halber hier nur noch zu dem von einer verqueren Logik getragenen Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2740 anmerken, daß die FDP diesen Entschließungsantrag entschlossen ablehnt. Meine Kollegin Frau Dr. Neumeister hat hierzu das Notwendige gesagt.
Wir Liberalen werden auch in Zukunft dem Bereich der Gentechnologie besondere Aufmerksamkeit widmen und der Bundesregierung auf dem in der Antwort auf die Große Anfrage vorgezeichneten Weg ein ebenso konstruktiver wie kritisch begleitender Partner sein. Dabei werden wir uns von dem Grundsatz leiten lassen, den der Philosoph Otfried Höffe so formuliert hat — ich zitiere —:
Der menschliche Gestaltungswille stößt offensichtlich dort auf klare Grenzen, wo er sich auf den Mitmenschen richtet, also auf Wesen, die ein gleiches Recht zur freien Selbst- und Weltgestaltung haben. Daher darf die Handlungsfreiheit, die in der Entwicklung und Anwendung neuer Technologien zum Ausdruck kommt, nur so weit gehen, wie es mit der Freiheit jedes anderen zusammen bestehen kann.
Dies ist unsere Position, und daran lassen wir uns festmachen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Bindig [SPD]: Wer viel zitiert, dem fällt nichts ein!)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1011433200
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Forschung und Technologie, Herr Dr. Probst.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID1011433300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei Ihnen dafür entschuldigen, daß ich etwas später in die Debatte gekommen bin. Es war mir ein späterer Beginn der Debatte avisiert; ich bin aber sofort geeilt. Dennoch war ich einige Minuten zu spät; ich bitte um Nachsicht.
Ich möchte auf einige Aspekte, die in der Debatte eine Rolle gespielt haben, jetzt noch einmal im besonderen eingehen.
Frau Kollegin Dr. Hickel, die Zahlen, die wir Ihnen hier in der Großen Anfrage genannt haben, stützen sich auf Zahlen der Bundesländer, und ich gehe davon aus, daß uns die Beamten in den Bundesländern genauso korrekte Zahlen liefern, wie wir Ihnen diese Zahlen weitergeben, und schließe daraus, daß die Zahlen stimmen.
Eines ist bei einer fortgeschrittenen Technologie oder künftigen Schlüsseltechnologie natürlich immer eine Kernfrage: Soll man diese Technologie aufgreifen, oder soll man sich ihr verweigern? Ich würde es für sehr verhängnisvoll halten, wenn die deutsche Politik der Philosophie der GRÜNEN folgen würde,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das wäre eine Katastrophe!)

alle neuen Technologien aus Angst zu ignorieren, und aus ihnen schon aussteigen würde, bevor sie sich überhaupt gezeigt haben.
Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Ich habe es so
oft erklärt, und Sie haben es immer noch
nicht verstanden!)
Meine Damen und Herren, der Fortschritt der Technologien in der Welt hängt nicht von der Bundesrepublik Deutschland ab.

(Catenhusen [SPD]: Das ist wahr!)

Wenn wir nicht einsteigen, hindern wir damit die anderen nicht, dennoch einzusteigen.

(Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Wir können aber umlenken!)

Selbst bei größter Gefahr einer neuen Technologie ist es allemal besser, wenn wir mit einsteigen und gestalterisch mitwirken,

(Catenhusen [SPD]: Aha!)

als uns von vornherein zu verweigern. Dann kämen die Probleme über uns, ohne daß wir sie lösen könnten.

(Bindig [SPD]: Untergangsphilosoph!)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, vieles ist heute Zukunftsmusik. Vieles ist Zukunftsvision, sowohl was die Möglichkeiten des Nutzens der Gentechnologie als auch was die Horrorgeschichten über sie anbelangt. Sicher ist, daß es gewisse Erwartungen hinsichtlich des Nutzens gibt; im medizinischen Bereich mit einer unvergleichlich klareren und besseren Diagnose, mit einer gezielten Therapie. Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, daß künftig Malaria und Hepatitis durch die Entwicklung körpereigener Abwehrkräfte, die induziert werden können, bekämpft werden können.

(Vo r s i t z: Vizepräsident Cronenberg)

Im landwirtschaftlichen Bereich handelt es sich nicht nur um eine Frage der Verbilligung und der Steigerung der Produktion, sondern es geht auch um einen biologisch angemessenen Pflanzenschutz; denn so wie der Mensch und das Nutztier vor Infektionen, die schädlich sind, geschützt werden können, so auch die Nutzpflanze.
Wir werden im Bereich der Umwelttechnologien Möglichkeiten bekommen: auf dem Gebiet der Abwasserreinigung, der Abfallbeseitigung, der Produktion chemischer Grundstoffe. Das liegt alles im Bereich des Möglichen.

(Burgmann [GRÜNE]: Das sind Wunschträume!)

Nur, vieles ist natürlich nicht möglich. Herr Kollege Catenhusen, eines ist für die Bundesregierung heute selbstverständlich ein Unterfangen, dem sie sich keineswegs mit Verantwortung stellen kann: heute bereits in vollem Umfange vorauszusagen, wie die gesellschaftlichen Auswirkungen einer Entwicklung sein

(Catenhusen [SPD]: Das ist richtig!)

und wie sich Ergebnisse der Forschung auswirken werden, die wir bislang selber j a noch nicht kennen.

(Catenhusen [SPD]: Dann kann man auch nicht sicher sein, daß alles so gut ist!)

Hier gilt es, für ein verantwortliches Nebeneinander zu sorgen, nämlich für eine verantwortliche Entwicklung wissenschaftlicher Methoden und Möglichkeiten, gleichzeitig aber auch für eine verantwortliche begleitende Beobachtung hinsichtlich der Nebenwirkungen. Ich glaube, da sind wir lange nicht so weit voneinander entfernt, wie das nach Ihrem Beitrag zu sein scheint.
Wir haben natürlich Probleme. Da sind zunächst einmal Sicherheitsfragen. Sie wissen, es gibt eine Sicherheitskommission und Richtlinien, die zwar keine Gesetzeskraft haben, nach denen sich aber die Forscher in der Bundesrepublik Deutschland richten. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland immerhin 580 wissenschaftliche Vorhaben ohne jeden gesundheitlichen Nachteil durchgeführt. Wir beobachten die Entwicklung in der Welt seit 1976. Bei der Fülle der Versuche reichen die Vorsorgemaßnahmen, die wir getroffen haben, selbstverständlich bis heute aus. Hier muß also nur fortgeschrieben werden.
Ein Problem gibt es allerdings. Das betrifft das Sicherheitsverhalten im Zusammenhang mit dem Einstieg in einen technischen Großprozeß. Was macht man mit den großen Volumina an Abfallprodukten? Mit dieser Frage beschäftigen wir uns derzeit.



Parl. Staatssekretär Dr. Probst
Dann gibt es natürlich ethische Probleme. Selbstverständlich ist in diesem Bereich Dramatisches geschehen, und zwar an zwei Punkten. Erstens ist es möglich, die Artenschranken durch die neuen Gentechniken zu überwinden. Das ist fundamental, weil hier ein Schutz, den sich die Natur selber gegeben hat, abgebaut ist. Zweitens gibt es die Möglichkeit, Gensubstanz synthetisch herzustellen. Das hat natürlich ungeheure Auswirkungen in den Lebensverhältnissen der Menschen. Das erfordert eine hohe ethische Verantwortlichkeit, der sich die Bundesregierung in vollem Umfange selbstverständlich bewußt ist.

(Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Sie sind lernfähig!)

Ich kann heute schon eines ausschließen: Die Bundesregierung wird niemals der Reproduktion des Menschen, also der Klonierung des Menschen zustimmen, auch wenn das im Bereich der Möglichkeiten liegen sollte. Eine solche Entwicklung lehnen wir von Grund auf ab. Gleichwohl ist es selbstverständlich, daß diese Frage — nicht die Reproduktion des Menschen, sondern der Eingriff in menschliche Erbsubstanz — auch dann Probleme aufwirft, wenn es z. B. um die Bekämpfung von Erbkrankheiten geht. Das kann die Bundesregierung ja nicht von sich aus bewältigen, sondern hier sind Fachleute notwendig.
Die Bundesregierung wendet sich scharf gegen die extrakorporale Embryonalentwicklung. Wir möchten das nicht.
Meine Damen und Herren, ich möchte am Schluß nur folgendes sagen. Wie wichtig die Bundesregierung diese ethischen Fragen nimmt, mögen Sie daraus ersehen, daß sie sehr schnell, nämlich im September 1983, eine große Kommission einberufen hat, die aus Naturwissenschaftlern, Philosophen, Rechtsgelehrten und Theologen bestand. Das Ergebnis dieser Diskussion war die Berufung einer Kommission unter dem Vorsitz des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Benda.
Diese Kommission hat die Aufgabe, den Handlungsbedarf im Rechtsbereich vorzubereiten und, soweit die naturwissenschaftlichen Entwicklungen fortgeschritten sind, auch den Zeitpunkt zu nennen, an dem zu handeln ist. Die Horrorvisionen, die sich gerade aus der ethischen Betrachtung ergeben, sind heute naturwissenschaftlich noch nicht im Bereich des Möglichen angesiedelt. Dennoch wird die Bundesregierung in großer Verantwortung gerade diesen Bereich in der Zukunft im Auge behalten und, wenn notwendig, gesetzliche Maßnahmen ergreifen.
Ich hoffe, daß wir in dieser Diskussion, die wir heute mit der Beantwortung der Anfrage nicht verlassen, einen Konsens bekommen. Es ist nicht gut, wenn man sich in einer so wichtigen Frage auseinanderdiskutiert. Die Bundesregierung würde es sehr begrüßen, wenn es eine breite Übereinstimmung in den Grundauffassungen zu diesem Thema gäbe.
Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011433400
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Für den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/2740 ist Ausschußüberweisung beantragt worden, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Forschung und Technologie und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit. Gibt es noch andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 8 und 9 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Nickels, Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN
Einführung eines gemischt zivil-militärischen Flugsicherungssystems mit flächendeckender Kompetenz der militärischen Komponente
— Drucksachen 10/944, 10/2122 —
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (14. Ausschuß) zu dem Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN
Zivil-militärisches Flugsicherungskonzept in Sobernheim
— Drucksachen 10/1185, 10/2585 —
Berichterstatter: Abgeordneter Hoffie
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die Tagesordnungspunkte 8 und 9 eine gemeinsame Beratung und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vorgesehen worden. — Ich sehe keinen Widerspruch gegen dieses Verfahren. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Auch dies ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Drabiniok (GRÜNE).

Dieter Drabiniok (GRÜNE):
Rede ID: ID1011433500
Zitat:
Die Wertung der Opposition und der Regierung, die vorbehaltlose Überbewertung der Regierungsfunktion und die ebenso vorbehaltlose Unterbewertung der Oppositionsfunktion, stammt aus dem Obrigkeitsstaat, und die Begriffe des Obrigkeitsstaates scheinen noch in vielen Köpfen auch in diesem Hause sehr lebendig zu sein.
So Kurt Schumacher in der 6. Sitzung des Bundestages.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Satz aus dem Jahr 1949 hat auch heute noch seine Gültigkeit.

(Zuruf des Abg. Catenhusen [SPD])

Das betrifft vieles, nicht nur die Art und Weise der Beantwortung von Kleinen und Großen Anfragen oder die Behandlung von Anträgen der Opposition. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große



Drabiniok
Anfrage zur zivil-militärischen Flugsicherung belegt wieder einmal, daß die Bundesregierung vom Fragerecht der Opposition nicht viel hält. Die Antwort strotzt vor Lücken, falschen Antworten und Antworten, die die politische Einstellung der Regierung wiedergeben, nach der aber gar nicht gefragt wurde. Grundlage der Neuorganisation der Flugsicherung in eine zivil-militärische ist für die Bundesregierung angeblich die geänderte Bedrohung seit Mitte der 70er Jahre. Seit dieser Zeit wurde immer wieder versucht die Streitkräfte in die Flugsicherung hineinzubekommen. Das scheiterte immer wieder an verfassungsrechtlichen, rechtlichen und fachlichen Bedenken.
Ich sage Ihnen nichts Neues, meine Damen und Herren, wenn ich sage, daß die Stärke des Verkehrsministers seine Schwäche ist. Deshalb hatte es der Verteidigungsminister Wörner ziemlich einfach, auf ministerieller Ebene ein neues Betriebskonzept für die Flugsicherung zu entwickeln, das den Zugang der Militärs zur Flugsicherung sichern soll. Weil die beiden Minister einander für dieses Vorhaben so gut ergänzen, soll das Konzept nicht per Gesetzesänderung, sondern am Parlament vorbei auf dem Verordnungsweg erlassen werden.

(Burgmann [GRÜNE]: Unerhört!)

Laut Luftfahrtgesetz und Gesetz über die Bundesanstalt für Flugsicherung sind die zivile und die militärische Flugsicherung eine rein zivile Aufgabe und dem Bundesminister für Verkehr zugeordnet.

(Krizsan [GRÜNE]: Das interessiert die Regierung nicht!)

Die Streitkräfte dürfen gemäß Art. 87 Abs. 2 des Grundgesetzes nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz dies ausdrücklich zuläßt. Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes beschränkt solche Fälle ausdrücklich auf den Spannungs- und den Verteidigungsfall. Mit diesen klaren Bestimmungen will das Grundgesetz verhindern, daß die Streitkräfte der Bundeswehr Exekutivmacht ausüben sowie sich in innenpolitisches Geschehen einmischen können.
Die Luftverkehrskontrolle ist Ausübung hoheitlicher innenpolitischer Staatsgewalt. Denn die im Betriebsdienst tätigen Beamten der Bundesanstalt für Flugsicherung üben Bundespolizeigewalt aus. Sie erlassen mit ihren Anweisungen an die einzelnen Flugzeugführer Verwaltungsakte. Es handelt sich also um vollziehende Gewalt im Innern und um Ausübung von Exekutivmacht. Ein militärischer Fluglotse vollzöge mit einer Lenkungsanweisung an einen zivilen Flugzeugführer Staatsgewalt auf dem Gebiet des Polizeirechts. Damit würde genau die Vermischung ziviler und militärischer Repräsentation der Staatsgewalt auf dem Gebiet der inneren Verwaltung und des Polizeirechts erreicht, die das Grundgesetz vermeiden will.
Die Bundesregierung hält trotzdem daran fest, daß die zivil-militärische Flugsicherung verfassungsgemäß sei, ähnlich wie schon beim Volkszählungsgesetz 1983 und beim Investitionshilfeabgabegesetz.
Es liegen der Regierung und uns Rechtsgutachten der Deutschen Angestelltengewerkschaft, der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, des Verbandes deutscher Flugleiter und der Bayerischen Staatsregierung vor, die sich mit der Verfassungsmäßigkeit des neuen Flugsicherungskonzepts beschäftigen. Einmütiges Ergebnis aller Gutachten: Das geplante zivil-militärische Flugsicherungskonzept ist nicht verfassungsgemäß.

(Krizsan [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Auch der Verwaltungsbeirat der Bundesanstalt für Flugsicherung hat sich am 31. November 1984 auf seiner 61. Sitzung per Beschluß gegen die Stimmen der Vertreter der Bundesministerien den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine bereits in Friedenszeiten tätige eigenständige militärische Flugsicherung angeschlossen und hält diese Bedenken für durch ein Schreiben des Bundesministers des Innern vom 30. August 1984 nicht ausgeräumt. Darüber hinaus ist der Verwaltungsrat mehrheitlich der Auffassung, daß es einer gesetzlichen Regelung des Flugsicherungskonzepts bedarf. Das heißt, daß schon der Feldversuch in Düsseldorf und der in Vorbereitung befindliche Feldversuch in Bremen nicht dem Grundgesetz entsprechen. Es werden schon heute permanent klassische zivile Flugsicherungsaufgaben von den Streitkräften wahrgenommen, und zwar ohne daß es zur Erfüllung des Verteidigungsauftrags notwendig wäre und ohne Beschränkung auf einzelne Flüge in Ausnahmefällen, wie es die Bundesregierung in ihrer Antwort auf Frage 1.4 unserer Anfrage behauptet. Es handelt sich um Flüge von und nach den Verkehrsflughäfen Westerland (Sylt), Münster/Osnabrück, Saarbrükken und dem Verkehrslandeplatz Paderborn. Die Frage nach diesem Problem wollte ich als Ergänzung in den Fragenkatalog zur Anhörung aufgenommen haben. Das wurde aber von allen Fraktionen, auch von der SPD, abgelehnt, genau wie alle Sachverständigen abgelehnt wurden, die wir bestellt haben. Mit besonderem Interesse habe ich dabei im Ausschuß zur Kenntnis genommen, daß auch ein von mir bestellter Vertreter der bayerischen Staatsregierung als Sachverständiger abgelehnt wurde.

(Krizsan [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Laut Grundgesetz ist es zwar richtig, daß die Wahrnehmung des Verteidigungsauftrags durch die Streitkräfte eine hoheitliche Tätigkeit darstellt, nur: der Verteidigungsauftrag beinhaltet nicht den Flugsicherungsauftrag. Völlig unklar bleibt der Status des zivilen Flugsicherungspersonals beim Übergang vom Friedens- zum Spannungsfall in der Antwort der Regierung. Hierzu heißt es lediglich: Dies wird gegenwärtig geprüft.
Die Behauptung der Bundesregierung, daß die rein zivile Flugsicherung beim Münchener Modell wegen der in diesem Bereich vorhandenen besonderen taktischen Lage hingenommen werden kann, beruhigt bestimmt den bayerischen Ministerpräsidenten, logisch nach den Vorstellungen des Verteidigungsministers ist es allerdings nicht. Schließlich umfaßt dieser sogenannte Einzelfall etwa ein Drit-



Drabiniok
tel des bundesdeutschen Luftraums. Der Einzelfall München ist verteidigungspolitisch überhaupt nicht zu begründen, wenn die für Düsseldorf und Bremen reklamierte Dringlichkeit der Wahrheit entspricht. In München funktioniert die rein zivile Flugsicherung optimal und ohne Probleme. Die Abschaffung des Münchener Modells wäre, wie soeben angeführt, nach Art. 87 GG sowie diverser Gutachten nicht tragbar.
Meine Damen und Herren, die Einführung des neuen zivil-militärischen Flugsicherungskonzepts ist allein wegen der verfassungsrechtlichen, sicherheitstechnischen und wirtschaftlichen Aspekte, auf die ich im einzelnen nicht ausführlicher eingehen kann, abzulehnen. Es entstehen Probleme der Koordination zwischen zivilen und militärischen Fluglotsen und ein Kompetenzwirrwarr, wodurch die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Flüge gefährdet oder beeinträchtigt werden.
Einen weiteren Aspekt möchte ich noch kurz ansprechen. Im Mai 1978 hat die NATO auf Druck der USA ihr sogenanntes Langzeitprogramm beschlossen, in dem es u. a. heißt, daß der Ausbau der Luftverkehrsleitorgane in den europäischen NATOStaaten nach militärischen Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Die USA üben mit ihren offensiven Militärstrategien, wozu auch die Forward Defense gehört, massiven Druck auf die Bundesregierung aus, um die Flugsicherung zu militarisieren. Die geänderte politische Lage kann zwar zu einem geänderten NATO-Konzept führen, darf aber nicht automatisch zu einer geänderten Auslegung des Grundgesetzes führen.

(Krizsan [GRÜNE]: Eben!)

Wir lehnen es auf das schärfste ab, daß sich die politische Absicht der Bundesregierung an deren Willen oder dem der USA orientiert und nicht am Grundgesetz.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich fordere Sie deshalb nachdrücklich auf, unserem Antrag auf Drucksache 10/1185 zuzustimmen, um die begonnenen Feldversuche zur zivil-militärischen Flugsicherung auszusetzen bzw. zu stoppen, bis alle verfassungsrechtlichen, einfachrechtlichen und fachlichen Bedenken ausgeräumt sind.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011433600
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.

Klaus-Jürgen Hoffie (FDP):
Rede ID: ID1011433700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht in dieser Debatte um die Erprobung zivil-militärischer Zusammenarbeit, um die sich die FDP, wie Sie wissen, seit zehn Jahren intensiv bemüht, die aber immer an Einsprüchen des Verteidigungsministeriums und auch am Einspruch der beiden großen Parteien gescheitert ist.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So?)

Jeder, der diese Bemühungen konkret verfolgt hat,
weiß, daß wir seit eh und je eine Flugsicherung aus
einer Hand und eine Zusammenarbeit unter einem
Dach gefordert haben und auch heute noch das sogenannte Münchener Modell als die bestmögliche Lösung betrachten.

(Krizsan [GRÜNE]: Seht gut, Herr Hoffie!)

Die Antwort auf die Anfrage der GRÜNEN erklärt erneut die vermeintlichen Unzulänglichkeiten dieses Modells aus der Sicht des Verteidigungsauftrags; wir nehmen das zur Kenntnis. Aber um so wichtiger war für uns, daß sich Verkehrs- und Verteidungsminister im September 1983 auf das sogenannte Sobernheimer Konzept geeinigt haben und damit eine verbesserte Form der betrieblichen Zusammenarbeit im unteren Luftraum, also Erprobung auch unterhalb von 7 500 Metern Flughöhe, möglich wird, um eine flexiblere, ein wirtschaftlichere Luftraumnutzung zu erreichen.
Wir unterstützen jeden Versuch, jeden Schritt auf dem Weg zu verbesserter zivil-militärischer Zusammenarbeit, nachdem wir uns mit unserer Forderung nach einer generellen Einführung des bewährten Münchener Modells nicht haben durchsetzen können.

(Drabiniok [GRÜNE]: Warum nicht?)

— Herr Drabiniok, wir brechen Versuche nicht ab, solange Endergebnisse noch gar nicht auf dem Tisch liegen, so wie es die GRÜNEN verlangen, die ja nicht nur die Aufrechterhaltung der Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik und der NATO in Frage stellen, sondern ganz ausdrücklich die Abschaffung des gesamten, insbesondere des zivilen Luftverkehrs in der Bundesrepublik zu einer prinzipiellen politischen Forderung erhoben haben. Das und nicht irgendwelche verfassungsrechtlichen Bedenken, auch keine Bedenken hinsichtlich der bisherigen Erprobung sind der eigentliche politische Hintergrund der Aktivität der GRÜNEN. Denn wer keinen zivilen Luftverkehr will, der kann ja wohl logischerweise auch keine — wie auch immer geartete — Flugsicherungskontrolle wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist der Kern der Sache, nichts anderes.


(Krizsan [GRÜNE]: Herr Hoffie, Sie haben so schön angefangen, nun das!)

Die Fraktion der GRÜNEN fordert in ihrem Antrag, die praktische Erprobung des neuen Betriebskonzepts für zivil-militärische Flugsicherung auszusetzen und zu stoppen, bis fachliche und rechtliche Bedenken ausgeräumt sind. Die GRÜNEN fordern die Regierung auf, dem Bundestag einen Bericht über das Konzept vorzulegen. Meine Damen und Herren, dieser Bericht ist mit der Ausschuß-Drucksache Nr. 184 vom 24. Oktober bereits vorgelegt worden. Der Punkt ist erledigt.

(Zuruf des Abg. Drabiniok [GRÜNE])

Die Aussetzung oder der Stopp des Feldversuchs ist bereits einen Tag nach dem Datum des Antrags der GRÜNEN überholt worden, indem CDU und CSU sowie SPD dem Vorschlag der FDP im Ausschuß gefolgt sind, die Ergebnisse der Feldversuchsphase 1 für die Kategorien I und II in Düsseldorf und



Hoffie
die der Simulation für die Kategorie III abzuwarten, um dann auf der Grundlage eines entsprechenden Arbeitspapiers des Verkehrsministeriums eine Beratung im Verkehrsausschuß vorzunehmen.
Es wurde verlangt, in dem Arbeitspapier auch auf die verfassungsrechtlichen Fragen einzugehen —Sie haben sie heute in den Mittelpunkt Ihrer Ausführungen gestellt — und dann im Ausschuß über die Durchführung eines Hearings zu entscheiden. Der Beginn des Feldversuchs in Bremen sollte nach dem damaligen Vorschlag zurückgestellt werden.
Der Feldversuch sollte eingestellt werden, wenn sich durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Konzept ergeben würden. Wie sich aus dem Bericht des Verkehrsministers auf der Ausschußdrucksache Nr. 184 ergibt, läuft der Feldversuch — Phase 1 — in Düsseldorf seit dem 16. April 1984. Hinsichtlich der Sicherheit haben sich keine konzeptionsbedingten Gefahrensituationen oder andere Sicherheitsprobleme ergeben. Das wird auch vom Verband der Flugleiter bestätigt.

(Zuruf des Abg. Drabiniok)

— Herr Drabiniok, Sie hatten ja Gelegenheit, hier zehn Minuten zu reden. Jetzt hören Sie einmal auf — wenigstens fünf Minuten —, ständig dazwischenzuquatschen. Dann sind andere Positionen auch einmal leichter darstellbar.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

Für den militärischen Sichtflugbetrieb ist laut Bericht die Sicherheit gesteigert worden, ebenso für den übrigen Luftverkehr. Hier soll nicht verschwiegen werden, daß der Verband der Flugleiter eine einfache und vernünftige Verfahrensweise der militärischen Flugsicherungseinheiten bemängelt. Eine Beeinträchtigung der Pünktlichkeit des Luftverkehrs in Düsseldorf ist nicht festgestellt worden. Die mit dem Konzept für den Kategorie-II-Luftraum angestrebte flexiblere Luftraumnutzung ist erreicht worden. Für die zivilen Fluglotsen habe es bei der Feldversuchsphase 1 keine nennenswerten Belastungsveränderungen gegeben, wird festgestellt. Es besteht auch keine Veranlassung, die Feldversuchsphase 1 in Frage zu stellen.
Ein Abschlußbericht über die Realzeitsimulation in Bretigny steht noch aus. Die Steuerungsgruppe ist einvernehmlich zu der Auffassung gelangt, daß Schlußfolgerungen noch verfrüht sind.
Das Innen- und das Justizministerium haben die von den GRÜNEN geforderte Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit für das neue Konzept zwei weitere Male überprüft. Sie sind zu der Feststellung gekommen, daß keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken zu erheben sind.
Interessant ist die Tatsache, daß selbst die ÖTV zu keiner Zeit den Abbruch der Erprobung der Phase 1 in Düsseldorf verlangt hat, auch wenn der Verband der Flugleiter von „Augenwischerei" spricht, da sich die Flexibilität und die Wirtschaftlichkeit, die man sich erhofft hatte, nicht verbessert worden seien.
Auch zur Simulation in Bretigny wird von der ÖTV festgestellt, daß abzuwarten bleibe, ob durch objektive Tatsachen untermauerte Ergebnisse im Endbericht zu erwarten seien. Gefordert wird lediglich, den Beginn der Feldversuchsphase 2 auszusetzen. Der Verband der Flugleiter fordert den Verzicht auf den Beginn des Feldversuchs auch in Bremen.
In diesem Streit hat sich der Verkehrsausschuß auf meinen Vorschlag hin auf eine objektive, vernünftige Kompromißformel geeinigt. Sie wird von CDU/CSU und SPD mitgetragen.
Erstens. Der Feldversuch 1 in Düsseldorf wird zu Ende geführt. Eine Ausdehnung des Versuchs auf den Bereich Bremen findet zunächst noch nicht statt.
Zweitens. Weitergehende Entscheidungen werden erst nach Auswertung der Simulation in Bretigny und weiterer praktischer Ergebnisse des Feldversuchs in Düsseldorf getroffen.
Drittens. Allen Entscheidungen voraus geht in jedem Fall ein für den Mai im Verkehrsausschuß des Bundestages vorgesehenes Anhörungsverfahren, das alle Aspekte der neuen Konzeption umfassend klären soll. Dies, meine Damen und Herren, ist die vernünftigste Vorgehensweise. Und deshalb ist der Antrag der GRÜNEN abzulehnen.

(Drabiniok [GRÜNE]: Antrag nicht gelesen!)

Für die FDP-Fraktion füge ich hinzu: Wir werden allerdings nicht zulassen, daß es zu unnötigen Verzögerungen des angestrebten Versuchsbeginns auch in Bremen kommt, wenn die Ergebnisse dieser drei Auswertungsschritte für das Sobernheimer Modell, die ich eben aufgezeigt habe, positiv sind. In diesen Schritten wollen wir vorgehen. Wir halten das für eine korrekte, eine vernünftige Vorgehensweise. — Ich bedanke mich bei allen Mitgliedern des Ausschusses, die diese Position gegen den Antrag der GRÜNEN teilen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011433800
Das Wort hat der Abgeordnete Ibrügger.

Lothar Ibrügger (SPD):
Rede ID: ID1011433900
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Hoffie hat eben deutlich gemacht, wie der weitere Fortgang der Beratungen aussehen soll. Im Grundsatz stimmen wir Ihnen zu uns in der öffentlichen Anhörung Rechenschaft über die Vor- und Nachteile dieses sogenannten Sobernheimer Modells ablegen zu lassen.
Wir sollten uns noch einmal vergegenwärtigen, welche Aufgabenstellung zu erledigen ist. Seitdem in der Bundesrepublik Deutschland Flugsicherung durch die Bundesanstalt für Flugsicherung betrieben wird, ist sie einem erheblichen Wandel der Anforderungen unterworfen gewesen, insbesondere durch die Entwicklung der Strahlflugzeuge, durch immer größere Höhen, durch immer wachsende Geschwindigkeiten und durch wesentliche Veränderungen auch im militärischen Flugverkehr, durch



Ibrügger
den Übergang vom sogenannten Schönwetterflug zum Allwetterflug der künftigen Jahre.
4 Millionen Flüge im Luftraum der Bundesrepublik Deutschland insgesamt, davon 3 Millionen kontrollierte Flugbewegungen durch die BFS und 400 000 militärische Flüge, darunter 100 000 Tiefflüge, haben eine starke Vermaschung der Bewegungen im deutschen Luftraum ergeben. Inzwischen gilt der Luftverkehr über der Bundesrepublik Deutschland als der dichteste der Welt. Bei 870 Flughäfen, Flugplätzen und Landeplätzen wird schon deutlich, daß die räumliche und zeitliche Kanalisierung im engen Raum der Bundesrepublik Deutschland besondere Probleme aufwirft.
Um die Lösung dieser Probleme in der Flugsicherung ist niemand zu beneiden. Das Parlament ist aber aufgefordert, hier für die Zukunft eindeutige Regelungen zu treffen. Es gilt nach unserer Auffassung zu verhindern, daß unnötige Umweltbelastungen geschehen, daß unnötige Belastungen beim Steuerzahler und beim Nutzer des Luftraums entstehen. Und es gilt die Zersplitterung von Zuständigkeiten in der Flugsicherung zu verhindern.

(Zustimmung bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Flugsicherung in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere auch die Leistung der Fluglotsen, ist über jeden Zweifel erhaben. Es gilt nicht, dies zu kritisieren. Das gegenwärtig operierende Flugsicherungssystem ist zwar sicher, nach unserer Auffassung jedoch weder flexibel genug noch wirtschaftlich effizient, noch konsequent für die eigentliche Aufgabenerfüllung organisiert.
Es hat eine ganze Reihe von Konzepten und Gesetzentwürfen gegeben. Ich darf noch einmal daran erinnern, was der Kollege Tillmann 1979 zur Schilderung des Zustandes gesagt hat. Er sprach damals von „Zivil-militärischem Durcheinander statt gemeinsamem Miteinander". Er hat aus dieser Feststellung heraus ein wachsendes Sicherheitsrisiko gesehen. Ich stimme dieser Auffassung zu: Es kommt auf das Miteinander an und darauf, wie dies organisiert wird.
Der Kollege Hoffie hat die Haltung seiner Fraktion damals sehr deutlich herausgestellt: Es fehlt ein voll integriertes System unter einheitlicher Verantwortung. Auch ihm möchte ich voll zustimmen. Der Luftraum der Bundesrepublik Deutschland kann nur eine einheitliche Flugsicherung unter ungeteilter Verantwortung vertragen; das heißt auch eine ungeteilte Regelungsbefugnis. Dies scheint mir wegen des engen Luftraums der Bundesrepublik Deutschland das einzig Vernünftige zu sein.
Ich will jetzt nicht auf Vor- und Nachteile dieses Systems weiter eingehen. Die Anhörung wird uns weitere Antworten geben. Aber Schlaglichter aus der Diskussion um die Simulation und gewisse Ergebnisse lassen doch aufhorchen. Ich will sie kurz zitieren:
In einem Verkehrsbeispiel mit einer gegenüber
dem heutigen Stand um 20 % erhöhten Verkehrsdichte dividierten sich der zivile Koordinator und der zivile Radarlotse sogar völlig auseinander. „Das ist das Tödlichste in der Flugsicherung überhaupt, was passieren kann", kommentierte Graf von der BFS, „wenn Koordinator und Radarlotse nicht mehr voneinander wissen, was sie tun." Als Folge erhöhten sich die Flugstrecken sowohl des zivilen wie des militärischen Verkehrs. Viele Militärlotsen ließen bei der Simulation ihre Piloten regelrechte Fleischerhaken fliegen, die die Vermutung zulassen, daß sich die Flugstrecken um 30 % gegenüber dem heutigen System erhöht haben. Im zivilen Bereich ergaben sich Verzögerungen durch zusätzliche Holdings und nicht mögliche Abkürzungen.
Daraus wird geschlossen, daß sich möglicherweise aus dem Sobernheimer Modell das Gegenteil von dem erwarten läßt, was sich die Initiatoren dieses Konzepts vorgestellt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiteres ist angesprochen worden: die Bedenken, die sich aus der Beurteilung durch das Grundgesetz ergeben. Nach meiner Auffassung verpflichtet der gemeinsame Gehorsam gegenüber unserer Verfassung Parlament und Minister — Bundesverkehrsminister wie auch den Verteidigungsminister. Die Bedenken müssen im einzelnen aufgeklärt werden.
Die Frage ist wirklich erlaubt: Ist der Verkehrsminister, der an das BFS-Gesetz gebunden ist, berechtigt, Sonderregelungen zugunsten anderer zuzustimmen? Der Minister ist an das Gesetz gebunden.

(Beifall bei der SPD)

Ist der Bundesverkehrsminister wirklich ermächtigt, solchen Sonderregelungen ohne gesetzliche Erlaubnis zuzustimmen?

(Krizsan [GRÜNE]: Das geht nicht!)

Der rechtsstaatliche Vorrang des Gesetzes verbietet die Einführung einer vom BFS-Gesetz abweichenden Flugsicherungsorganisation durch Maßnahmen der vollziehenden Gewalt. Hier, Kolleginnen und Kollegen, muß ich auch in meiner Kritik ansetzen: Es kann nicht angehen, daß durch einfache Entscheidung der vollziehenden Gewalt Exekutivbefugnisse ausgelöst werden. Hier ist der entscheidende Punkt, den wir verfassungsrechtlich zu prüfen haben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das Grundgesetz nimmt uns hier alle in die Pflicht. Dies heißt, auch für die künftige Flugsicherung, Vorrang der zivilen Gewalt bei allen Entscheidungen, die zu treffen sind.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Krizsan [GRÜNE]: Sehr gut!)

Die Prinzipien des Rechstsstaates und der Demokratie verpflichten den Gesetzgeber, grundlegende Entscheidungen im Gemeinwesen selbst zu treffen und dies nicht den Entscheidungen der Exekutive zu überlassen. Aus diesem Grunde haben wir die



Ibrügger
Anhörung gefordert. Wir erhoffen uns aus dieser Anhörung Anworten, die auch in der Beurteilung der Verfassung Klarheit bringen. Nach unserer Auffassung muß ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, um den Anforderungen zu genügen. Wir werden alle künftigen Überlegungen zur Neuorganisation der Flugsicherung daran messen, welches Höchstmaß an Sicherheit erreicht, in welcher flexiblen Art der Luftraum genutzt und wie möglichst wirtschaftlich und reibungslos der Luftverkehr in der Bundesrepublik Deutschland gestaltet werden kann.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011434000
Das Wort hat der Abgeordnete Tillmann.

Ferdinand Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1011434100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Himmel über der Bundesrepublik Deutschland immer so leer wäre wie das Haus hier heute abend, würden wir uns diese Debatte vielleicht sparen können. Herr Kollege Drabiniok, auch Ihre milde Polemik heute abend hätte sich dann erübrigt.

(Drabiniok [GRÜNE]: Gehe Sie einmal darauf ein!)

Das ist aber leider nicht so. Soeben hat Herr Kollege Ibbrügger schon darauf hingewiesen, daß der Luftraum in der Bundesrepublik Deutschland außerordentlich knapp ist. Diesem knappen Angebot an Luftraum steht eine hohe Nachfrage unterschiedlicher Luftraumnutzer gegenüber. Nicht nur die zivile Luftfahrt, der Linien- und der Charterverkehr sowie die sogenannte allgemeine Luftfahrt, die private und sportliche Fliegerei, sondern auch die Streitkräfte haben natürlich ihre berechtigten Ansprüche.

(Burgmann [GRÜNE]: Drachenflieger!)

Es stellt sich die schwierige Aufgabe, diesen Verkehr nicht nur wirtschaftlich, sondern natürlich auch mit einem Höchstmaß an Sicherheit abzuwikkeln. Einen entscheidenden Beitrag zur Lösung dieser Aufgabe leisten — das ist hier schon angesprochen worden — die Bundesanstalt für Flugsicherung mit ihren Mitarbeitern und natürlich auch die militärische Flugsicherung mit ihren Soldaten der Bundeswehr. Die Arbeit der zivilen und militärischen Fluglotsen hat dazu beigetragen, daß insbesondere in den letzten Jahren die Sicherheit im Luftverkehr erheblich verbessert werden konnte. Ich benutze gern die Gelegenheit, meine Damen und Herren, heute von dieser Stelle aus den Mitarbeitern der Bundesanstalt für Flugsicherung ebenso wie den in der Flugsicherung tätigen Soldaten für ihre Leistung herzlich zu danken, die dazu beigetragen hat, daß auch Abgeordnete — auch Abgeordnete der Fraktion der GRÜNEN — den Luftverkehr der Bundesrepublik Deutschland sicher nutzen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Natürlich stellen ziviler und militärischer Luftverkehr unterschiedliche Anforderungen. Einerseits geht es um die sicheren und rationellen Abläufe des Transports von Menschen und Gütern, andererseits aber geht es um die Unterstützung der Verteidigungsfähigkeit und der Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik Deutschland. Angesichts der geographischen Verhältnisse ist es fast unvermeidlich, daß man sich bei der Bewältigung der jeweiligen Aufgaben gegenseitig in die Quere kommt. Diese Überschneidungen führen zu Flugsicherungsproblemen.

(Drabiniok [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Daher wird aus Gründen der Sicherheit seit langem — der Kollege Hoffie hat das angesprochen — eine Luftverkehrskontrolle, eine Flugsicherung aus einer Hand gefordert, die unity of control. Aber wegen der Sicherstellung des Verteidigungsauftrags, vor allem angesichts neuer Vorgaben,

(Drabiniok [GRÜNE]: Von wem die Kontrolle aus einer Hand?)

ist diese Kontrolle aus einer Hand nicht zu realisieren. Die Streitkräfte müssen wegen der Herstellung und Aufrechterhaltung dauernder Verteidigungsbereitschaft

(Drabiniok [GRÜNE]: Dauermanöver!)

auf einer eigenständigen militärischen Flugsicherung bestehen.

(Drabiniok [GRÜNE]: Das entspricht aber nicht dem Grundgesetz!)

Daher ist es zu begrüßen, daß nunmehr nach rund zehnjährigen vergeblichen Bemühungen und immer neuen Vorschlägen mit dem sogenannten Sobernheimer Konzept im unteren Luftraum eine Form der zivil-militärischen Zusammenarbeit in der Flugsicherung erprobt wird, die sich ähnlich schon im oberen Luftraum seit langem — denken Sie an Maastricht, und denken Sie an Karlsruhe — bewährt hat. Dieses Flugsicherungsmodell, das Sobernheimer Konzept, und seine Erprobung haben viel Kritik erfahren, von den interessierten Verbänden, aber auch — das ist schon angesprochen worden — durch ein Bundesland.

(Drabiniok [GRÜNE]: Bayern!)

Aber in Anbetracht der zersplitterten gegenwärtigen Organisation der Flugsicherung — wir haben EUROCONTROL, wir haben Bremer Modell, wir haben Münchner Modell, wir haben in Düsseldorf und Frankfurt wieder andere Methoden —

(Drabiniok [GRÜNE]: Nehmen Sie das Grundgesetz!)

sollte man den Versuch, ein neues einheitliches Konzept auch wegen der veränderten höheren Anforderungen an zivile und militärische Flugsicherung zu erproben, erst einmal abwarten. Bis jetzt wird der Düsseldorfer Feldversuch sehr positiv bewertet. Herr Kollege Hoffie hat das eben schon ausgeführt. Nun ist es, verehrter Herr Kollege Drabiniok, völlig unverständlich, daß die GRÜNEN mit



Tillmann
ihrem Antrag fordern, sogar den Versuch einzustellen.

(Drabiniok [GRÜNE]: Die Grundlage ist verfassungswidrig!)

Aber es entspricht wohl Ihrem Selbstverständnis und wohl auch Ihrem Absolutsheitsanspruch, alles schon im voraus und dann auch noch viel besser zu wissen. Wir jedenfalls lehnen Ihren Antrag ab, zumal dessen zweiter Punkt, die geforderte Berichterstattung durch die Bundesregierung, bereits erledigt ist.
Die Bundesanstalt für Flugsicherung und die militärische Flugsicherung versprechen sich von dem Konzept, das in der Erprobung ist, statt einer starren Abgrenzung eine flexiblere gemeinsame Nutzung des knappen Luftraumes wirtschaftliche Nutzung und sichere Nutzung und eine konstruktive Zusammenarbeit zivil-militärisch bei, wie gesagt, höherer Sicherheit. Der Feldversuch in Düsseldorf wie auch die Realzeitsimulation für die KategorieIII-Lufträume werden zeigen, ob, vielleicht sogar daß dies stimmt. Erst wenn die Versuche beendet sind und die Ergebnisse vorliegen, hat natürlich auch die von uns gestern im Ausschuß beschlossene Anhörung ihren Sinn. Sie wird dann im Mai erfolgen.
Nun haben Sie sich, Herr Kollege Drabiniok, über die Beantwortung Ihrer Großen Anfrage beklagt. Ich will nicht weiter darauf eingehen.

(Drabiniok [GRÜNE]: Bedauerlich!)

Sie arbeiten j a — das will ich Ihnen einmal ins Stammbuch schreiben — in Ihrer Großen Anfrage hauptsächlich mit bloßen Unterstellungen. Von einer Militarisierung des Luftraums zu reden, wie Sie das in Ihrem Antrag tun und wie Sie das auch heute hier wieder behauptet haben,

(Drabiniok [GRÜNE]: Das sind doch Fakten!)

das ist doch absurd und an den Haaren herbeigezogen.

(Krizsan [GRÜNE]: Sie kennen wohl nicht Würzbachs Tiefflieger!)

Oder wollen Sie etwa allen Ernstes behaupten, das von mir schon angesprochene Maastrichter Modell oder das Verfahren in Karlsruhe für den oberen Luftraum, das dort angewandt wird und das dem Sobernheimer Konzept ähnlich ist, bedeuteten eine totale Militarisierung des oberen Luftraumes? Davon kann doch wirklich nicht die Rede sein.

(Drabiniok [GRÜNE]: Das ist doch nicht der Punkt!)

— Natürlich. Wer wie Sie die Verteidigung überhaupt ablehnt, für den erübrigt sich natürlich auch militärische Flugsicherung, und wer wie Sie — Herr Kollege Hoffie hat dies schon angesprochen — den innerdeutschen Luftverkehr abschaffen will, für den reduzieren sich natürlich auch die Probleme
der zivilen Flugsicherung auf ein Mindestmaß, und das ganz von selbst.

(Krizsan [GRÜNE]: Sie waren so wohltuend sachlich, Herr Tillmann, nun bleiben Sie auch so!)

Nein, meine Damen und Herren, wir möchten diesen Versuch abwarten. Was die Verfassungsmäßigkeit des Sobernheimer Konzepts angeht, so messe ich dem Urteil der Fachleute im Justizministerium und im Bundesinnenministerium mehr Kompetenz bei als Ihnen und Ihrer Auffassung,

(Drabiniok [GRÜNE]: ÖTV, DAG, VDF, Bayerische Staatsregierung!)

die Sie hier haben und die Sie dargestellt haben, Herr Kollege Drabiniok. Justizministerium und Innenministerium haben übereinstimmend, und zwar dreimal geprüft, festgestellt,

(Drabiniok [GRÜNE]: Volkszählungsgesetz als verfassungskonform!)

auch nachdem ein Bundesland andere Meinungen vertreten hatte, daß die Verfassungsmäßigkeit gegeben ist. Das von dem erwähnten Bundesland geforderte und favorisierte Münchner Modell wird eben von den Streitkräften abgelehnt. Es wird wohl als Einzelfall hingenommen, kann aber wegen der schon erwähnten Anforderungen an eine ständige Verteidigungsbereitschaft generell nicht akzeptiert werden.
Die Rechtsfragen — Herr Kollege Ibrügger, Sie haben darauf hingewiesen — werden uns in der Anhörung auch intensiv beschäftigen. Selbstverständlich gilt auch für die Union, daß die Verfassungsmäßigkeit dieses Konzeptes oberstes Gebot sein muß.
Wir lehnen jedenfalls einen Stopp der Erprobung ab, werden zunächst einmal die Ergebnisse der Anhörung abzuwarten haben und werden sie dann auch gebührend würdigen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011434200
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

(Krizsan [GRÜNE]: Herr Würzbach redet nicht! Wie schade!)

Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 9. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/2585 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Neumann (Bramsche), Dr. Ahrens, Antretter, Bachmaier, Bindig, Brück, Büchner (Speyer), Drabiniok, Duve, Dr. Enders, Gansel, Gerstl (Passau), Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Hauchler, Dr. Hauff, Dr. Holtz, Dr. Jannsen,



Vizepräsident Cronenberg
Jungmann, Dr. Klejdzinski, Klose, Kuhlwein, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Matthöfer, Pauli, Dr. Rumpf, Dr. Scheer, Frau Schmedt (Lengerich), Frau Schmidt (Nürnberg), Schneider (Berlin), Sielaff, Dr. Struck, Vogt (Kaiserslautern), Waltemathe, Frau Zutt
Konvention des Europarates;
Schutz von Häftlingen gegen Folter und grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung oder Strafe
— Drucksache 10/2127 —
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einem Beitrag von zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Auch dies ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Neumann (Bramsche).

Volker Neumann (SPD):
Rede ID: ID1011434300
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gruppenantrag fordern wir die Bundesregierung auf, der Konvention zum „Schutz von Häftlingen gegen Folter und grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung oder Strafe" zuzustimmen. Diese Konvention ist von der Beratenden Versammlung des Europarates beschlossen und dem Ministerkomitee zugewiesen worden mit der Bitte, entsprechend zu beschließen. Wenn die Konvention dort beschlossen ist, wird sie ratifiziert und geltendes Recht.
Wir haben die Form eines Gruppenantrages gewählt, weil wir der Meinung sind, daß alle denkbaren Maßnahmen gegen Folter der Unterstützung eines jeden von uns bedürfen und sich der parteipolitischen Auseinandersetzung entziehen. Aus diesem Grunde haben Kollegen der FDP, der GRÜNEN, die ich angesprochen habe, zusammen mit Kollegen der SPD unterschrieben. Auch die Kollegen der CDU/CSU haben im Europarat der Konvention zugestimmt.

(Bindig [SPD]: Leider nicht im Bundestag!)

— Nicht im Bundestag; vielleicht habe ich die Kollegen nicht genügend intensiv angesprochen.
Wir wollen mit diesem Antrag die bisherige vorsichtige Zustimmung der Bundesregierung in der Fragestunde vom 19. September 1984 und in verschiedenen Erklärungen durch ein Votum des Deutschen Bundestages unterstützen.
Die Notwendigkeit einer solchen Konvention ergibt sich aus der Tatsache, daß allein sechs Länder des Europarates im Amnesty-Bericht 1984 mit Foltervorwürfen stehen, nämlich Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Spanien und natürlich die Türkei. Wir können das im Einzelfall nicht kontrollieren — ich will das auch an dieser Stelle hier nicht bewerten —, aber allein die Tatsache, daß von diesen 21 Ländern des Europarates sechs dort aufgezeichnet sind, macht es doch notwendig, diesen
Vorwürfen nachzugehen und nach Instrumenten zu suchen, der Richtigkeit solcher Vorwürfe auf die Spur zu kommen.
Die Europäische Konvention gegen Folter kann einen entscheidenden Beitrag zur Ächtung der Folter leisten. Im Zentrum dieser Konvention steht ein „Besuchssystem", wie es ähnlich vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz im Rahmen seiner Tätigkeit bereits angewandt wird. Die Grundzüge dieses Besuchssystems sind folgende:
Erstens. Es wird eine Kommission von fünf unabhängigen Mitgliedern durch die Parlamentarische Versammlung des Europarates bestellt. Die Mitglieder müssen Angehörige der Vertragsstaaten sein, und sie werden in persönlicher Eigenschaft tätig.
Zweitens. Die Kommission hat die Befugnis, periodisch oder fallweise Delegiertenbesuche an allen Orten zu organisieren, an denen Personen aus irgendeinem Grund unter Freiheitsentzug festgehalten werden. Dazu gehören nicht nur Gefängnisse, sondern auch Polizeiposten, Verhörzentren und Anstalten.
Drittens. Nachdem die Kommission einem Vertragsstaat die Absicht bekanntgegeben hat, auf seinem Gebiet eine Mission durchzuführen, sind die Delegierten berechtigt, zu jeder Zeit und ohne Voranzeige alle Haftorte aufzusuchen und sich mit den dort befindlichen Personen ohne Zeugen zu unterhalten. Sie können auch die Familien und die Verteidiger sowie die Ärzte, die mit diesen Personen in Verbindung stehen, aufsuchen.
Viertens. Die Kommission ist beauftragt, zu prüfen, ob die festgehaltenen Personen gemäß Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention behandelt werden. Sie kann an Ort und Stelle den zuständigen Behörden entsprechende Mitteilung machen.
Fünftens. Die Kommission erstellt nach jeder Delegiertenmission einen Bericht und informiert die betreffenden Vertragsstaaten. Sie kann Empfehlungen abgeben und nötigenfalls Konsultationen aufnehmen. Das ganze Verfahren hat zunächst vertraulichen Charakter, jedoch kann die Kommission, wenn ein Vertragsstaat sich der Zusammenarbeit verweigert oder den Empfehlungen keine Folge leistet, eine öffentliche Erklärung abgeben.
Die Bundesregierung hat, wie wir wissen, den Entwurf den Bundesländern zur Stellungnahme vorgelegt. Wir haben eine Reihe von abgestimmten Begründungen der Ablehnung der Bundesländer. Ich glaube, zur Zeit haben die meisten Länder abgelehnt bis auf Bremen, Hamburg und Hessen, und zwar mit der Begründung, daß in der Bundesrepublik bereits ausreichend Rechtsschutz vorhanden sei, um die Häftlinge vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen. Ein Bundesland hat eine besondere Variante der Ablehnung hinzugefügt. Es ist natürlich der bayerische Staatsminister der Justiz, wer sonst. Er sagte, diese Konvention würde für die Bediensteten der bayerischen Justizvollzugsanstalten mit gutem Grund als ein Ausdruck eines durch nichts begründeten Mißtrauens gegenüber ihrer rechtsstaatlichen Gesinnung und ihrer Gesetzes-



Neumann (Bramsche)

treue und damit zugleich als Zumutung angesehen werden müssen, wenn durch Abschluß eines solchen Übereinkommens der Eindruck erweckt würde, als bedürfe es erst der Einschaltung ausländischer Beobachter, um sie von der Folterung der ihnen anvertrauten Gefangenen oder von sonstigen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen abzuhalten.

(Burgmann [GRÜNE]: Die Bayern haben auch guten Grund dazu!)

— Ich glaube, daß das in der derzeitigen Lage wohl nicht der Fall ist.
Dem ersten Argument ist zu entgegnen, daß ein internationales Kontrollsystem nicht nur vorbeugenden Charakter gegen menschenrechtlich bedenkliche Gesetzesänderungen hat, sondern daß es darüber hinaus in konkreten Situationen auch denkbar wäre, daß mit einer solchen Kommission bei Foltervorwürfen vorbeugend vorgegangen werden kann. Ich kann mir also vorstellen, daß eine solche Kommission etwa in dem Zeitpunkt, in dem sich Häftlinge im Hungerstreik befinden, wenn ein Vorwurf erhoben wird, einen Bericht erstattet und den Justizbehörden bescheinigt, daß sie sich im Rahmen der durch die Menschenrechtskonvention vorgegebenen Regeln verhalten — oder aber auch nicht.
Dem bayerischen Justizminister ist zu sagen, daß seine Argumentation in sich natürlich nicht logisch ist, denn sonst würden Strafvollzugsordnung, Strafgesetzbuch oder auch Dienstanweisungen jeweils ein Mißtrauen zum Ausdruck bringen. Ich glaube, kein Rechtssystem, das zum Schutz von Menschen eingerichtet ist, kann von vornherein ein Mißtrauen im Einzelfall begründen.
Von einigen Seiten ist dann noch zum Ausdruck gebracht worden, daß es einer solchen Konvention nicht bedarf, weil am 10. Dezember 1984 die Vereinten Nationen — überraschend schnell, aber begrüßenswert — eine UN-Konvention gegen Folter beschlossen haben. Diese ist noch nicht in Kraft; es haben noch nicht die dafür notwendigen 20 Staaten ratifiziert. Wir glauben, daß die europäische Konvention dennoch notwendig ist, weil die UN-Konvention neben einem unbestimmten Folterbegriff zwei entscheidende Mängel hat: Erstens können Staaten bei Ratifizierung der Konvention durch einfache Erklärung einen Besuch der darin vorgesehenen Kommission in Haftanstalten ausschließen. Zweitens kann, selbst wenn sie nicht durch einfache Erklärung diesen Ausschluß von vornherein zu Protokoll geben, im Einzelfall nur in Abstimmung mit dem Vertragsstaat ein Besuch in einem Gefängnis vorgenommen werden. Kein Staat wird dies zulassen, wenn er dazu, nicht rechtlich verpflichtet ist, und das wäre er nach der europäischen Konvention gegen Folter.
Die europäische Konvention gegen Folter sieht also eine solche rechtliche Verpflichtung vor, und sie ist nach unserer Ansicht ein wirksames Kontrollmittel. Die europäische Konvention kann darüber hinaus als Vorbild für eine Verbesserung der
UN-Konvention gegen Folter gelten, und sie kann in den 21 Staaten des Europarates erprobt werden.
Ich glaube daher, daß wir guten Grund haben, die Bundesregierung darin zu unterstützen, diese Konvention schnell zu einem Abschluß zu bringen und ihr zuzustimmen.
Liebe Kollegen, ich habe wohl, weil ich noch Zeit habe, noch einen Satz frei: Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal „amnesty international", dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes, der Internationalen Juristenkommission und dem Deutschen Roten Kreuz Dank sagen, die sich besonders dafür eingesetzt haben, daß diese europäische Konvention gegen Folter von der Regierung beschlossen wird, und die zu Recht Druck auf uns ausgeübt haben, damit wir uns dafür einsetzen, daß diese Konvention von uns anschließend auch akzeptiert wird. Ich glaube, der Einsatz gerade dieser Organisationen für die Menschenrechte sollte an dieser Stelle noch einmal gelobt werden.

(Beifall bei der SPD — Dr. Bötsch [CDU/ CSU]: Ich bin schlau genug, das selbst beurteilen zu können! Ich brauche keinen Druck!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011434400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seesing.

Heinrich Seesing (CDU):
Rede ID: ID1011434500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag von 35 Kollegen aus den Fraktionen von SPD, FDP und DIE GRÜNEN, die Bundesregierung möge dieser Konvention zustimmen, hat nicht nur mich in Schwierigkeiten gebracht, und ich bitte Sie, meine Damen und Herren, meine zweifelnden Fragen so ernst zu nehmen, wie ich die ernsthaften Vorstellungen der Antragsteller anzuerkennen bereit bin. Ich bitte Sie auch, bis zu meinen Schlußfolgerungen etwas Geduld zu üben.
Warum wird — das ist meine erste Frage — von den Kolleginnen und Kollegen zu diesem Zeitpunkt ein solcher Beitritt gefordert? Ich frage auch: Ist die Situation bei uns so, daß es bei uns ein Bedürfnis gibt, einer solchen Konvention beizutreten?
Ich habe nun versucht, eine gewisse Bestandsaufnahme vorzunehmen. Ich bitte um Verständnis, wenn sie vielleicht nicht vollständig ist. Da mir die Grundlagen des Rechtsstudiums für eine solche Betrachtung fehlen, habe ich dort nachgeschaut, wo ich Aussagen über Folter und menschenunwürdige Behandlung von Häftlingen vermutete. Ich bin auf folgende Aussagen gestoßen:
Erstens. Im Art. 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar". In Art. 2 des Grundgesetzes heißt es: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit". Ich wüßte nicht, durch welches Gesetz dieses Recht dahin gehend eingeschränkt wird, daß etwa Folter und menschenunwürdige Behandlung erlaubt seien.
Zweitens. Im Art. 104 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes heißt es: „Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden".



Seesing
Drittens. Durch Gesetz vom 7. August 1952 ist die von den Regierungen der Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnete Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 am 3. September 1953 für die Bundesrepublik in Kraft getreten. Darin heißt es in Art. 2: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden".

(Horacek [GRÜNE]: Wird das aber auch befolgt?)

Viertens. Nach § 223 des Strafgesetzbuchs wird jeder mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, der einen anderen körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt. Erschwernisse gibt es darüber hinaus für denjenigen, der einen Abhängigen quält oder roh mißhandelt.
Fünftens. Auch nach §§ 30 und 31 des Wehrstrafgesetzes werden solche Handlungen streng geahndet.
Schließlich sechstens. Die Strafprozeßordnung befaßt sich in § 136 a mit verbotenen Vernehmungsmethoden. Es heißt dort:
Die Freiheit der Willensentscheidung und der Willensbetätigung des Beschuldigten darf nicht beeinträchtigt werden durch Mißhandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen Eingriff, durch Verabreichung von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung oder durch Hypnose. Zwang darf nur angewandt werden, soweit das Strafverfahrensrecht dies zuläßt.
Ich habe keine Stelle gefunden, nach der Folter erlaubt wäre. Diese Übersicht mag nun genügen.
Ich stelle mir nun die Frage: Was bringt uns der Beitritt zu der in Drucksache 10/2127 angesprochenen Konvention? Ist er ein Eingeständnis, daß bei uns etwas nicht in Ordnung ist? Ich habe mich gefragt, was bei uns etwa nicht den Vorstellungen einer solchen Konvention entsprechen könnte. Ich bin nur auf eine einzige konkrete Möglichkeit gestoßen, die allerdings gesetzlich zur Zeit voll abgesichert ist. Auch Herr Neumann hat dieses Problem angesprochen. Ich meine die Frage der Zwangsernährung. Ich habe bereits im Zusammenhang mit der ersten Lesung des Gesetzes über die Änderung des § 101 des Strafvollzugsgesetzes am 29. September 1983 festgestellt, daß auch den Häftlingen der volle Anspruch ihrer Grundrechte zu gewährleisten ist, sofern nicht Grundrechte anderer betroffen sind. Es ging damals wie auch in diesen Tagen um die Frage der Zwangsernährung. Ich gehe davon aus, daß auch eine solche Maßnahme eine grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung sein kann, wenn sie gegen den Widerstand eines Menschen vorgenommen wird, und deswegen wollen wir unser Gesetz in diesem Fall korrigieren. Ich persönlich finde diese Korrektur auch notwendig, weil sie vom Grundgesetz und den anderen Strafgesetzen her eigentlich verlangt wird.
Oder geht es hier gar nicht so sehr um uns selbst, sondern mehr um die anderen? Es ist uns leider bekannt geworden, daß sich selbst moderne Staaten der Folter bedienen mit dem Ziel, oppositionelle Kräfte zu unterdrücken. In 70 Ländern der Erde werden jährlich etwa 500 000 Menschen gefoltert. Es ist daher durchaus richtig, daß wir zunächst versuchen, im europäischen Raum zur vollen Durchsetzung des Schutzes der Menschenwürde zu kommen, und es ist auch richtig, daß durch länderübergreifende Kampagnen auf Folter aufmerksam gemacht wird, um solche Staaten einem moralischen Druck auszusetzen.
Herr Neumann sprach soeben von dem Entwurf einer Konvention, die die Menschenrechtskommission der UNO im letzten Herbst, im Dezember 1984, vorgelegt hat,

(Zuruf von der SPD: Die ist inzwischen beschlossen!)

mit der alle Mitgliedstaaten verpflichtet werden sollen, gesetzliche Maßnahmen gegen seelische und körperliche Folter zu ergreifen. Menschen, die aktiv an Folterungen beteiligt waren, könnten dann in jedem Land angeklagt werden. Das ist also ein besonderes Merkmal dieser Konvention. Staaten, die dieser Konvention beitreten, könnten sich nicht mehr darauf berufen, daß sich jemand in ihre inneren Angelegenheiten einmischt. Ich meine, wir sollten uns um diese Konvention kümmern. Deswegen soll diese Konvention zusätzlich zu der heutigen Vorlage gesehen werden.
Ich habe mir noch die Frage gestellt, ob nicht die Gefahr besteht, daß sich vor lauter Konventionen nachher nur die Staaten mit voller demokratischer Offenheit daran halten. Da ist für mich die Frage der Kontrolle von Wichtigkeit, was soeben hier angesprochen worden ist. In demokratischen Staaten haben wir in aller Regel die Kontrolle durch Parlament, Rechtswesen und Medien. Die Kontrolle wird nur dann gelegentlich eingeschränkt, wenn — wenigstens nach Meinung der Bürger — ein bestimmtes Massenmedium zu eng mit einer politischen Parteigruppierung verbunden gesehen werden kann. Aber sonst funktioniert das zumindest bei uns in aller Regel. Wie ist es nun in anderen Staaten? Die Möglichkeiten der Kontrolle dort sind von Herrn Neumann ausführlich geschildert worden.
Wenn auch nicht alle Fragen, die ich mir in diesem Zusammenhang gestellt habe, zunächst zur vollen Zufriedenheit beantwortet wurden — vielleicht wird das noch geschehen —, wollen wir dennoch dem Anliegen der Antragsteller zustimmen; denn sinnvolle Maßnahmen gegen Folter und menschenunwürdige Behandlung verdienen unsere Unterstützung.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011434600
Das Wort hat der Abgeordnete Horacek.

Milan Horacek (GRÜNE):
Rede ID: ID1011434700
Die GRÜNEN im Bundestag unterstützen die Forderungen, die in dem Antrag niedergelegt sind, über den wir debattieren: daß die Bundesrepublik im Ministerkomitee des Europara-



Horacek
tes der Konvention zum Schutz von Häftlingen gegen Folter, grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung oder Strafe zustimmen sollte.
Auf der Ebene der Vereinten Nationen — das haben wir jetzt gehört — wird die Diskussion aber dadurch entwertet — dort heißt es Antifolterkonvention —, daß es keine wirkungsvolle Kontrollmöglichkeiten gibt, vor allem nicht in einer Vielzahl hauptsächlich totalitär ausgerichteter Staaten.
Für uns ist aber auch nicht verständlich gewesen, daß sich die Bundesregierung zuerst gesperrt hat, den europäischen Vorstoß für die jetzt diskutierte Konvention zu unterstützen und mitzutragen. Oder gibt es in den bundesrepublikanischen Strafvollzugs-, Untersuchungs- und Abschiebehaftanstalten oder auf den Polizeiwachen etwas zu verbergen?
Die wirksame Achtung des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der besagt, niemand dürfe der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden, kann nur dadurch erreicht werden, daß eine internationale unabhängige Kommission jederzeit unangemeldet und uneingeschränkt die Haftbedingungen in den Vollzugsanstalten — bis hin zu den Polizeiwachen — kontrollieren, mit den Inhaftierten, den Angehörigen, Anwälten und Ärzten sprechen und ihre Erfahrungen und Empfehlungen der Öffentlichkeit im Rahmen eines Berichtes zugänglich machen kann.
Ich glaube, daß es eine Reihe von Mitgliedstaaten des Europarates gibt — angefangen bei der Türkei; wir haben auch von anderen gehört —, in denen eine solche Kontrollpraxis dringend vonnöten ist.
Was würde eine solche unabhängige Kommission in der Bundesrepublik in Erfahrung bringen, wenn sie beispielsweise in den bayerischen Strafvollzugsanstalten — nach einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung" vom 18. April 1984 in zwölf der großen und sieben der mittleren Anstalten — sogenannte Beruhigungszellen vorfände? In demselben Artikel wird von dem bayerischen Landtagsabgeordneten Schimpl die Praxis in den Vollzugsanstalten kritisiert. Danach werden Gefangene, die suizidgefährdet sind, aus Fürsorgegründen, wie angeführt wird, stundenlang in völlig kahlen und überheizten Zellen ohne Wasser gehalten, nachdem sie sich vorher haben nackt ausziehen müssen. Liebe Kollegen von der CDU/CSU, ist das nicht eine Mißhandlung von Häftlingen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Noch weitaus drastischer weist die enorm hohe Selbstmordrate in den bundesrepublikanischen Haftanstalten — und hier vor allem der erschrekkend hohe Anteil Jugendlicher an dieser Rate — auf die schlechten Haftbedingungen hin. Es gibt zu diesem Problem leider kein offizielles statistisches Material. Aber ein Einzelbeispiel, das sich auf das Land Niedersachsen bezieht und aus dem Jahr 1982 stammt, mag den von mir angeschnittenen Sachverhalt deutlich machen. Unter den elf Selbstmordfällen waren fünf Jugendliche.
Immer wieder werden unzumutbare, menschenunwürdige Zustände und Vorkommnisse in verschiedenen Abschiebehaftanstalten bekannt. Immer wieder wird die Öffentlichkeit durch Fälle aufgeschreckt, in denen die Festgenommenen bereits in der Polizeiwache gefesselt, geschlagen und tagelang ohne Rechtsbeistand festgehalten werden. Ein besonders brutales Beispiel für die Mißhandlung eines Häftlings wurde im Herbst des vergangenen Jahres bekannt. Eine Gefangene aus der Justizvollzugsanstalt Essen wurde nackt und an Füßen und Händen gefesselt unter Aufsicht männlicher Vollzugsbeamter — wir haben alle davon gehört und gelesen — von Essen nach Bielefeld gebracht. Ist das nicht eine Mißhandlung, liebe Kollegen von der CDU?

(Beifall bei den GRÜNEN — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Was heißt denn „Kollegen von der CDU/CSU"? Was haben wir denn mit solchen Mißhandlungen zu tun?)

— Es wurde gesagt: Es wird in der Bundesrepublik nicht mißhandelt. Ich sage: Das Gegenteil wird an mehreren Fällen deutlich. Ich habe darüber eine ausführliche Pressedokumentation.

(Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie die Einzelfälle geprüft?)

Ich bin der Ansicht — auch aus eigenen Erfahrungen, die ich hier habe machen müssen —, daß eine unabhängige internationale Untersuchungskommission auch in der Bundesrepublik über grobe Verletzungen des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention berichten müßte; denn seit Dezember befinden sich inhaftierte Mitglieder der RAF im Hungerstreik, um so gegen die Haftbedingungen zu protestieren und die Zusammenlegung in interaktionsfähigen Gruppen zu fordern.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Die haben großzügige Haftbedingungen!)

Mittlerweile sah auch das Stuttgarter Justizministerium den Zeitpunkt für gekommen, die Bevölkerung schonend darauf vorzubereiten, daß es Tote geben könnte. Die Haftbedingungen inhaftierter RAF-Mitglieder sind in der Tat ein Hohn auf die Menschenwürde und eine Absage gegenüber rechtsstaatlichen Minimalgarantien für die Häftlinge.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was haben die gemacht! — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das sind die schlechtesten Beispiele, die Sie bringen können!)

Verschärfte Einzelhaft über Jahre hinweg, schallisolierte Einzelzellen, Trennscheiben bei Besuchen, andauernde entwürdigende körperliche Untersuchungen, Zerstörung der menschlichen Kontakte nach außen, Isolierung innerhalb der Gefängnisse und die permanente, Tag und Nacht währende Kontrolle jeder Lebensäußerung schaffen Verhältnisse, welche die menschliche und politische Identität der Gefangenen zerstören und sie so zu gebrochenen Menschen machen sollen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)




Horacek
Form und Zweck dieser Haftbedingungen zielen auf die Menschenwürde der Häftlinge. Sie setzen grundsätzlich garantierte rechtsstaatliche Verfahren zugunsten von Notstandsmaßnahmen außer Kraft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wissen, daß ein Hungerstreik oftmals das letzte Mittel für Gefangene in allen Teilen der Welt ist, für ihre Forderungen nach verbesserten Haftbedingungen einzutreten. Die Wahl dieses letzten möglichen Protestmittels ist für die betreffende Staatsgewalt immer eine Herausforderung. Es sollte aber ein rechtsstaatliches und demokratisches Gesellschaftssystem auszeichnen, daß es nicht mit weiteren Verhärtungen reagiert, sondern endlich mit einer offen geführten Auseinandersetzung über die berechtigte und in allen Menschenrechtskonventionen verankerte menschenwürdige Behandlung der Inhaftierten beginnt

(Zurufe von der CDU/CSU)

und eine freie politische Auseinandersetzung mit der RAF ohne die Gefahr einer Kriminalisierung ermöglicht.

(Beifall bei den GRÜNEN — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das sind doch wirklich Kriminelle!)

Diejenigen, die darüber diskutieren wollen, werden sofort kriminalisiert. Das wissen Sie am besten.

(Erneuter Zuruf des Abg. Jäger [Wangen] [CDU/CSU])

— Hören Sie zu! Um dies aber zu versuchen, appellieren wir auch an die Inhaftierten der RAF, ihren Hungerstreik nicht zum äußersten zu führen. Die GRÜNEN im Bundestag fordern deshalb einen Verzicht auf jegliche Form der Isolationsfolter, die Beseitigung menschenunwürdiger verschärfter Haftbedingungen, die Aufhebung all jener Notstandsgesetze, die unter dem Begriff „Antiterrorgesetze" international einen traurigen Ruf erlangt haben, wie z. B. § 129 a und das Kontaktsperregesetz.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir fordern die Abgeordneten in den Länderparlamenten und im Bundestag, ich fordere persönlich alle meine Kollegen hier im Bundestag und natürlich die Bundesregierung und namentlich die verantwortlichen Minister Engelhard und Zimmermann sowie auch Bundeskanzler Kohl auf, sofort nach konkreten Möglichkeiten zu suchen, die sich bedrohlich zuspitzende Situation zu entschärfen.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Was hat das mit der Konvention zu tun?)

Wir appellieren auch an die Kirchen, sich in dieser Situation vermittelnd einzubringen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Das Abwarten und die bewußte und von manchen sogar gewollte Inkaufnahme des möglichen Todes von Hungerstreikenden sind kein Weg,

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das ist ein Mißbrauch dieser Debatte!)

das Gesicht des von der Bundesregierung so häufig beschworenen Rechtsstaats zu wahren.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011434800
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Rumpf.

Dr. Wolfgang Rumpf (FDP):
Rede ID: ID1011434900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP und ihre Freunde auf europäischer und internationaler Ebene setzen sich seit Jahren für die Menschenrechte, für die Abschaffung der Todesstrafe sowie für die Bekämpfung der Folter ein. Wir werden auch in der Zukunft alle geeigneten Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung der Folter unterstützen. Denn diese Aufgabe besitzt im Rahmen unsererr Menschenrechtspolitik eine ganz hohe Priorität.
Aus diesem Grunde begrüßt die FDP-Bundestagsfraktion den vorliegenden Antrag. Und aus diesem Grunde habe ich ihn mit unterschrieben.
Um was geht es? Die Parlamentarische Versammlung des Europarates — der ich angehöre — hat am 28. September 1983 einen Entwurf für ein Europäisches Übereinkommen über den Schutz von Häftlingen vor Folter, grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung verabschiedet. Dies ist zu begrüßen. Handelt es sich doch beim Europarat um das Gremium, Herr Horacek, dem die meisten Länder angehören und das auf dem Gebiet der Menschenrechte ein Beispiel für die ganze Welt gesetzt hat.
Auch heute noch erreichen uns Berichte über Folterungen von Häftlichen auch in Mitgliedsländern des Europarates, insbesondere im Zusammenhang der Bekämpfung politisch motivierter Straftaten. Aus diesem Grunde wäre eine solche Konvention des Europarates eine sehr gute Sache, zumal da sie konkreter ist als entsprechende Beschlüsse der Vereinten Nationen und weil das Kontrollsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention erst dann zum Zuge kommt, wenn die Folter schon geschehen ist. Die Bundesregierung hat bei der am 10. Dezember 1984 einstimmig verabschiedeten Konvention der Vereinten Nationen zum Verbot der Folter maßgeblich mitgewirkt.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat dem Ministerrat nun vorgeschlagen, ein entsprechendes Übereinkommen anzunehmen. Hierüber wird zur Zeit verhandelt.
Das Ministerkomitee hat in der ersten Stellungnahme schon im November 1983 das Anliegen der Parlamentarischen Versammlung begrüßt und im Januar 1984 den Lenkungsausschuß für Menschenrechte mit der Erörterung des Entwurfs beauftragt.
Im Unterschied zur Konvention der Vereinten Nationen, die sich vornehmlich mit dem Verbot der Folter befaßte, wird in dem Entwurf des Europarats vorgeschlagen, daß sich die Mitglieder einer Überprüfung der Haftbedingungen für Gefangene durch eine unabhängige Kommission unterziehen. Ziel dieser Konvention ist es deshalb, die menschenun-



Dr. Rumpf
würdige Behandlung von Häftlingen von vornherein auszuschließen.
Es hat sich dabei gezeigt, daß seitens einiger Regierungen — dies wird auch den deutschen Justizminister interessieren — der Entwurfstext als überarbeitungsbedürftig angesehen wird. So hat u. a. die Schweiz besonders das Konkurrenzverhältnis zum Verfahren nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und die dadurch entstehenden Probleme angesprochen.
Da bei der Frage des Schutzes von Gefangenen auch eine Überprüfung der Gefängnisse vorgesehen ist, fällt dies bei uns in die Zuständigkeit der Bundesländer. Diese haben im Bundesrat zunächst zurückhaltend reagiert. Ich hoffe, daß diese Zurückhaltung überwunden werden kann. Denn wir haben in der Bundesrepublik im Bereich des Strafvollzuges wirklich überhaupt nichts zu verbergen.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Herr Horacek, Ihr ungeheuerlicher Vorwurf muß ganz entschieden zurückgewiesen werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Seit über 30 Jahren hat es bei uns keinen einzigen Fall gegeben, in dem die Straßburger Organe eine Verletzung des entsprechenden Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgestellt haben, nach dem sie im Wege der Individualbeschwerde unmittelbar angerufen worden waren.

(Zuruf des Abg. Horacek [GRÜNE])

Seit 30 Jahren kein einziger Fall! Niemand behauptet, die in den Gefängnissen tätigen Beamten oder unsere Polizisten seien Folterknechte. Außer Ihnen behauptet das niemand. Und niemand will doch, daß diese Kommission, die das Recht haben soll, Gefängnisse und Polizeistationen ohne Voranmeldung zu besuchen, sich nur aus Vertretern solcher Länder zusammensetzt, die dieser Konvention überhaupt nicht beigetreten sind. Also, diese in der Öffentlichkeit vereinzelt erhobenen Vorwürfe müssen zurückgewiesen werden.
Wir haben in unserem Jahrhundert die bittere Erfahrung gemacht

(Zuruf des Abg. Horacek [GRÜNE])

— Herr Horacek, hören Sie zu —, daß kein Land gegen die Folter und noch weniger gegen andere unmenschliche Behandlungen und Bestrafungen festgehaltener Personen gefeit ist. Selbst wenn es also nur darum ginge, der Folter vorzubeugen und zu gewährleisten, daß sie sich nicht wieder ausbreitet, wäre die vorgeschlagene Konvention bereits ein bedeutender Erfolg. Gerade im europäischen Rahmen mit einer relativ homogenen Staatengruppe müßte eine solche Konvention völlig konsensfähig sein. Dabei kommt hinzu, daß der Europarat bereits über eine Menschenrechtskonvention und eine Verwaltungsstruktur verfügt, die diese Implementierung erheblich erleichtern dürfte.
Meine Damen und Herren, zum Schluß: Es gibt für die FDP-Bundestagsfraktion keinen Zweifel daran, daß diese Initiative unterstützt werden muß. Auch die Liberalen und Demokraten in den anderen europäischen Ländern werden diese Initiative unterstützen. Die Bedenken, die im Zuge der Beratungen aufgetaucht sind oder noch auftauchen werden, können mit ein bißchen gutem Willen ausgeräumt werden. Wenn bei uns in Europa die Folter noch immer nicht der Vergangenheit angehört — und leider ist dies so —, dann hat der Europarat nicht nur das Recht, sondern unserer Auffassung nach geradezu die Pflicht, dieses Thema jetzt aufzugreifen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011435000
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1011435100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich stets und nachdrücklich insbesondere auf europäischer, aber auch weltweit auf internationaler Ebene, gerade auch durch den engagierten und speziell in diesem Punkte nimmermüden Einsatz von Bundesaußenminister Genscher, für die Bekämpfung und Abschaffung der Folter eingesetzt. Sie wird dies auch künftig tun. Die Bundesregierung steht deshalb einem vorbeugenden Kontrollsystem positiv gegenüber.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Die Beratungen über den von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates empfohlenen Entwurf einer europäischen Konvention gegen Folter sind aufgenommen worden. Eine Entscheidung des Ministerkomitees und damit auch der Bundesregierung steht zur Zeit noch nicht an.

(Bindig [SPD]: Dann beschleunigen Sie das einmal ein bißchen!)

Deswegen bleibt auch noch Zeit, einige Gesichtspunkte vertieft zu prüfen — im Interesse eines wirklich wirkungsvollen Systems. Dabei wird dann das Verhältnis der vorgeschlagenen sogenannten vorbeugenden Kontrolle zu den bereits bestehenden innerstaatlichen Kompetenzen, z. B. der Gerichte, die über die Haftbedingungen entscheiden, aber auch zu dem Individualbeschwerdeverfahren nach der Europäischen Menschenrechtskonvention zu betrachten sein. Wir wollen j a schließlich keine Streitigkeiten über die praktische Anwendung und insbesondere auch keine Kompetenzkonflikte. Auch darf das bestehende und bewährte europäische Menschenrechtsschutzsystem durch ein teilweise konkurrierendes und sich mit Individualbeschwerdeverfahren überschneidendes System nicht geschwächt werden.
Das Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung ist bereits in der Europäischen Menschenrechtskonvention und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte enthalten, die von der Bundesrepublik Deutschland 1950 und 1983 ratifiziert worden sind.

(Bindig [SPD]: Wie sieht es mit dem Zusatzprotokoll aus?)




Bundesminister Engelhard
In den mehr als 30 Jahren, in denen jeder Bürger, jeder Ausländer, jeder Staatenlose die Europäische Menschenrechtskommission im Wege der Individualbeschwerde unmittelbar anrufen konnte, hat es keinen einzigen Fall gegeben, in dem die Straßburger Organe Anlaß hatten, gegenüber der Bundesrepublik Deutschland eine Verletzung des Art. 3 der Konvention festzustellen. Die Kommission hat vielmehr eine Reihe von Beschwerden, in denen sich Häftlinge, die wegen des Verdachts terroristischer Straftaten inhaftiert waren, auf eine Verletzung des Folterverbots berufen haben, für offensichtlich unbegründet erklärt. Dies an dieser Stelle noch einmal mit allem Nachdruck festzustellen ist nach dem, was der Vertreter der GRÜNEN hier heute glaubte, uns darbieten zu dürfen, zu müssen oder wie immer Sie es nehmen wollen, ganz dringend erforderlich.

(Zuruf des Abg. Horacek [GRÜNE])

Dies hat bei weitem das überschritten, was in diesem Hause, um nur im entferntesten bei der Wahrheit zu bleiben, ausgesagt werden sollte.

(Erneuter Zuruf des Abg. Horacek [GRÜNE])

Ich weise dies mit allem Nachdruck zurück. Es ist Ihr Problem, welches Verhältnis Sie zu unserem Staate haben, wenn Sie glauben, mit bewußten Unwahrheiten

(Horacek [GRÜNE]: Welche Unwahrheit habe ich wo gesagt? Das müssen Sie beweisen! — Burgmann [GRÜNE]: Unerhört!)

entgegen den Feststellungen internationaler Organisationen, die hier über jeden Zweifel erhaben sind, aufwarten zu können.

(Burgmann [GRÜNE]: Das ist die Wahrheit, Herr Engelhard! — Weiterer Zuruf von den GRÜNEN: Das sind doch keine Unwahrheiten!)

Soweit in dem Bericht des Rechtsausschusses der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, insbesondere aber in dem Gutachten des Politischen Ausschusses behauptet worden ist, in der Bundesrepublik Deutschland würde bei der Bekämpfung des Terrorismus das Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung nicht eingehalten, weise ich als der zuständige Ressortminister für die Bundesregierung, aber auch für meine Kollegen aus den Bundesländern derartiges mit allem Nachdruck zurück.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

In der Bundesrepublik Deutschland existieren rechtsstaatliche Verhältnisse und Bedingungen. Wir haben eine funktionierende Gewaltenteilung, wir haben freie Wahlen, wir haben die Ausübung der Kontrollrechte des Parlaments über die Regierung, wir haben die Rechtskontrolle durch unabhängige Gerichte, und unsere Beamten sind dem Recht unterworfen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011435200
Herr Bundesminister, der Herr Abgeordnete Horacek möchte eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie dies?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1011435300
Bitte.

Milan Horacek (GRÜNE):
Rede ID: ID1011435400
Herr Bundesminister, ich will jetzt zwar nicht den ganzen, zugegebenermaßen sehr schwierigen Komplex der RAF-Häftlinge erörtern, aber warum leugnen Sie so ein Beispiel, das ich vorher genannt habe? Was passierte denn mit der Gefangenen aus Essen, die nackt transportiert wurde? Warum ist der Leiter der Essener Anstalt zurückgetreten? Warum meinen Sie, daß das Recht nicht in dem Sinne, wie Sie es jetzt darlegen, verletzt und mißbraucht wurde?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1011435500
Herr Horacek, es kann überhaupt nicht die Frage sein, daß wir uns hier über Einzelfälle — die es in allen Ländern vereinzelt immer gegeben hat —, in denen sich ein Beamter fehlverhalten hat, unterhalten. Ich habe Ihre Behauptung angesprochen, bei uns werde einer bestimmten Gruppe von Häftlingen gegenüber Isolationsfolter geübt, in einer Fülle von Fällen würden Übergriffe von Beamten gegenüber Häftlingen stattfinden.

(Zuruf des Abg. Horacek [GRÜNE]) Dies weise ich zurück.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir können uns über Ihre spitzfindige Frage nach einem Fall, der irgendwo einmal stattgefunden hat und den zu überprüfen wir hier außerdem nicht in der Lage sind, da wir ihn nicht genügend kennen, auf dieser Ebene nicht auseinandersetzen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, bei uns gibt es, so stelle ich fest, keine Folter, auch nicht in der Form der sogenannten Isolationsfolter. Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben keine Kontrolle zu scheuen. Wegen der Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland ist eine solche europäische Konvention gegen Folter nicht erforderlich. Aber ich betone nochmals: Wir stehen einer solchen Konvention gleichwohl politisch positiv gegenüber. Die Bundesregierung wird sich jedenfalls in der Bekämpfung der Folter von niemandem übertreffen lassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011435600
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Abgeordneten Neumann (Bramsche), Dr. Ahrens, Antretter und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 10/2127 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen! — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 58 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/2551 —



Vizepräsident Cronenberg
Hierzu liegt auf Drucksache 10/2733 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Zwischen den Fraktionen ist eine Aussprache mit einem Beitrag bis zu fünf Minuten je Fraktion vereinbart worden. — Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hansen.

Uwe Hansen (SPD):
Rede ID: ID1011435700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren jetzt eine einmalige Streichungsaktion von Ansprüchen auf Zahlung einer Rente im Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsfall, die mit dem Haushaltsbegleitgesetz vom 22. Dezember 1983 erfolgte. Es sehen sich unzählige Frauen, Selbständige und Beamte unterer Besoldungsgruppen mit einer sozialpolitischen Ungerechtigkeit konfrontiert, die nur unter dieser Regierung des sozialen Abbruches möglich werden konnte. Kein Wunder also, daß sich eine große Zahl Betroffener in der Hoffnung auf Gerechtigkeit an den Petitionsausschuß wandte. Doch die Hoffnung in die Einsichtsfähigkeit dieser Koalition trügt auch in diesem Fall wieder.

(Beifall bei der SPD)

Soziale Gerechtigkeit ist für sie ein Fremdwort.
Meine Fraktion beantragt, die Leitpetition der Regierung zur Erwägung zu überweisen. Sie finden in der Sammelübersicht 58 die Vielzahl der Petitionen, die uns dazu erreicht haben. Hinter diesen stecken noch sehr viel mehr Petenten, die sich durch Unterschrift einverstanden erklärt haben. Wir werden also sehen, wer hier wie abstimmt.
Meine Damen und Herren, wer ist davon betroffen, für den Eventualfall der vorzeitigen Erwerbsunfähigkeit von seinem Nettomonatseinkommen zur Zeit 87 DM — und das wird sich steigern — abzweigen zu müssen? Das sind in erster Linie Tausende von Frauen, die nicht mehr berufstätig sind oder sein können. Sie, die viele Jahre lang Beiträge entrichteten, wurden kaltblütig aus der Solidarität der Versicherten ausgegrenzt, in einem Moment, da mehr und mehr Frauen von dem Schicksal betroffen sind, keine Arbeit mehr zu finden, nachdem sie viele Jahre ihrer Familie und ihren Kindern gewidmet haben. Betroffen sind geschiedene Frauen mit Kindern, die jetzt vom ohnehin meist zu knappen Unterhaltsgeld noch 87 DM abzwacken müssen. Betroffen sind verwitwete Frauen, deren ohnehin schmale Witwenrente nun noch einmal geschmälert wird. Meine Damen und Herren, nichts könnte die angeblich frauen- und familienfreundliche Politik dieser Regierung mehr demaskieren als Ihre Haltung in dieser Frage.

(Beifall bei der SPD)

Betroffen sind aber auch Beamte, Gewerbeschullehrer, bei denen Erfahrung im Berufsleben die auch von uns gewollte Voraussetzung für die Ausbildung unserer Jugendlichen ist und deren Versorgung sich daher zwangsläufig aus Rentenansprüchen und Versorgungsansprüchen zusammensetzt. Betroffen sind ebenso Feuerwehrleute, Justizvollzugsbeamte, Grenzschützer, Polizisten, Soldaten,
Post- und Bahnbeamte und viele andere mehr, kurz: diejenigen, die für unsere Sicherheit einstehen, für uns Dienstleistungen erbringen und denen gerade in diesen kalten Tagen einmal für ihren Dienst zu danken wäre.

(Beifall bei der SPD)

Aber hier zeigt sich eben: Nur Lippenbekenntnisse sind der Dank dieser Regierung. Das Wort steht im Widerspruch zur Tat. Wenn Herr Zimmermann heute den kleinen Beamten mehr Geld in Aussicht gestellt hat, dann vielleicht auch nur deswegen, weil er es vielen von ihnen vorher auf diesem Weg aus der Tasche gezogen hat.

(Beifall bei der SPD)

Die Kaltblütigkeit, mit der dieses fiese Stück Sozialabbau dann vollzogen wurde, und die Schnoddrigkeit, mit der Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, das auch noch als Notwendigkeit verteidigen, sprechen Bände für Ihr Verhältnis zur sozialen Gerechtigkeit und zu Arbeitnehmern.
Ich habe leider nur fünf Minuten Redezeit.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)

— Sagen Sie nicht: Gott sei Dank! Ich würde Ihnen sonst gern aus Erfahrung schildern, wie es ist, wenn man dabeisein muß, wenn ein Brandmeister der Feuerwehr mit der Besoldungsgruppe A 7 nach 20jähriger Dienstzeit in den Ruhestand versetzt werden muß, weil er sich im Dienst am Menschen kaputtgemacht hat. Dann erklären Sie, Herr Jagoda, ihm seinen Pensionsanspruch ohne die ihm von der Personalabteilung vor Jahren zugesagte zusätzliche Rente.

(Jagoda [CDU/CSU]: Das erkläre ich ihm!) — Ja, ich bin gespannt darauf.

Meine Fraktion wird morgen bei der Einbringung unseres Entwurfs eines Rentenreformgesetzes zur Sache konkrete und machbare Vorschläge unterbreiten. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, hätten also noch eine Chance. Lassen Sie sich doch nicht von dem Notar des sozialpolitischen Abbruchunternehmens Kohl, Genscher & Co., von dem Kollegen Blüm, davon abbringen, soziale Gerechtigkeit walten zu lassen!
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011435800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Rumpf.

Dr. Wolfgang Rumpf (FDP):
Rede ID: ID1011435900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Petitionswesen drei grundsätzliche Dinge sagen. Zunächst sage ich etwas Allgemeines. Dann spreche ich zu strukturellen Veränderungen in der Gesetzesmaterie. Schließlich komme ich auf den verfassungspolitischen Auftrag des Petitionsausschusses zu sprechen.
Zunächst das Allgemeine. Die notwendige Politik der Konsolidierung und der Stabilisierung der Rentenversicherung kann nicht ohne Einsparungen und Eingriffe auskommen, wie wir sie im Haus-



Dr. Rumpf
haltsbegleitgesetz 1984 im Bundestag vorgenommen haben. Das gilt auch für die Invaliditätsrenten. Man kann dies bedauern oder es sein lassen.

(Zuruf der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

— Eine Neuregelung war in diesem Bereich geboten, Frau Nickels. Denn wir haben in den vergangenen Jahren die Feststellung treffen müssen, daß Invaliditätsrenten vielfach zu vorgezogenen Altersrenten umfunktioniert wurden. Dies ist auf die Dauer bei der schwierigen finanziellen Lage der Rentenversicherung nicht tragbar. Deshalb konnte sich die FDP-Bundestagsfraktion den Vorschlägen des Bundesarbeitsministers auch nicht verschließen.
Jedenfalls ist der Invaliditätsschutz nur noch denjenigen zu gewähren, die regelmäßig Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen. Um diesen Übergang zu erleichtern, haben wir uns erfolgreich dafür eingesetzt, die ursprünglich vorgesehene sehr teuere und rigorose Übergangsregelung wesentlich zu verbessern. So können all diejenigen, die Ende 1983 die Voraussetzungen der fünfjährigen Wartezeit erfüllt haben, den Invaliditätsschutz in der gesetzlichen Rentenversicherung auch weiterhin bei Zahlung des monatlichen Mindestbeitrags aufrechterhalten.

(Kirschner [SPD]: Vorausgesetzt, man hat das Geld!)

— Hierfür ist das Geld da, Herr Kirschner. Ich habe viel Verständnis für Wünsche und Anregungen aus den Kreisen der Betroffenen.
Mein besonderes Verständnis gilt den Beamten

(Lachen bei der SPD)

— Sie lachen zu früh —, die erst nach einer Tätigkeit in der Privatwirtschaft ins Beamtenverhältnis übernommen wurden und auf Grund bestehender gesetzlicher Regelungen vor dem 65. Lebensjahr in den Ruhestand treten müssen. Für diesen Personenkreis — z. B. Polizei- oder Strafvollzugsbeamte
— bergen die Neuregelungen der Invaliditätsrenten in der Tat Probleme. Allerdings möchte ich einschränkend festhalten: Es sind Probleme, die grundsätzlich auch schon vorher bestanden haben, aber jetzt besonders virulent geworden sind.
Entsprechendes gilt für den Fall der vorzeitigen Dienstunfähigkeit. Denn der beamtenrechtliche Begriff der vorzeitigen Dienstunfähigkeit gerade bei diesen Personengruppen deckt sich nicht notwendigerweise mit den rentenrechtlichen Voraussetzungen der Erwerbsunfähigkeit. Damit keine Versorgungslücken entstehen, muß jeder einzelne selber entscheiden, ob und in welchem Umfang er seinen Invaliditätsschutz in der gesetzlichen Rentenversicherung aufrechterhalten will.
Bevor ich zum Strukturellen komme, muß ich Ihnen, Herr Hansen, etwas sagen. Ich möchte darauf hinweisen, daß auch die SPD-Opposition in ihrem neuen Entwurf eines Rentenreformgesetzes die Aufrechterhaltung des Invaliditätsschutzes in der gesetzlichen Rentenversicherung für diesen Personenkreis von der Zahlung von Beiträgen abhängig macht. Ich kann Ihre Krokodilstränen wirklich nicht verstehen, wenn ich insbesondere noch etwas sehe, was gar nicht in die Landschaft paßt: Geradezu unsozial und ein Ausdruck steigender Beamtenfeindlichkeit ist die Forderung der SPD nach einem Pensionsbeitrag für Beamte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zum Strukturellen. An diesen den Petitionen zugrundeliegenden Fällen wird wieder einmal deutlich, welche strukturellen Schwierigkeiten es mit sich bringt, daß die verschiedenen Systeme der sozialen Sicherung nicht aufeinander abgestimmt sind. Wie notwendig eine Harmonisierung in diesem Zusammenhang ist, wird an diesen Petitionen ganz deutlich. Deshalb kann ich für meine Fraktion zusichern, daß wir bei der notwendigen Harmonisierung der Systeme der sozialen Sicherung diesem Sachverhalt unsere besondere Aufmerksamkeit widmen werden.
Nun zum Verfassungspolitischen, zur Stellung des Petitionsausschusses. Dieser Ausschuß ist sicher nicht dazu da, von Bundestag oder Bundesrat lange vorbereitete und durch alle Gremien und Organe beratene und gewollte Entscheidungen in Frage zu stellen oder gar zu kippen. Seine Aufgabe ist es, der Willkür der Exekutive eine Grenze zu setzen, Einzelschicksale zu untersuchen und Gesetzeslücken aufzudecken.

(Peter [Kassel] [SPD]: Wo haben Sie das her?)

Da es sich hier aber um strukturelle Änderungen eines Gesetzes handelt, kann der Umweg über den Petitionsausschuß nicht beschritten werden.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Die FDP sieht daher die Petition als erledigt an. Danke sehr.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011436000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Potthast.
Frau Potthast [GRÜNE]: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die GRÜNEN sind wie die SPD keinesfalls der Ansicht, daß die vorliegenden Petitionen als erledigt angesehen werden können, sondern wir sind im Gegenteil eher der Auffassung, daß sich aus den Petitionen ein dringender Handlungsbedarf für die Bundesregierung ergibt, und zwar ein Handlungsbedarf, der darauf abzielt, die Erschwerung der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit, die im Haushaltsbegleitgesetz 1984 neben anderen sozialpolitisch unverantwortlichen Maßnahmen beschlossen wurden, rückgängig zu machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In den Petitionen spiegelt sich nur die Spitze eines Eisbergs wider. Hier handelt es sich um Menschen, die Opfer einer unsozialen Sparpolitik geworden sind. Der Neuregelung der Voraussetzungen für einen Anspruch auf EU- und BU-Rente zufolge können nur noch diejenigen ihren Anspruch auf Erwerbsunfähigkeits- oder Berufsunfähigkeits-



Frau Potthast
rente geltend machen, die in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit mindestens drei Jahre einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sind, oder diejenigen, die nach dem 1. Januar 1984 freiwillig Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichten konnten, um ihren Invaliditätsschutz aufrechtzuerhalten, nachdem sie vorher mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen beitragspflichtig gearbeitet haben. Die Betonung liegt hier auf „konnten": daß sie freiwillig Beiträge zur Rentenversicherung entrichten konnten. Denn genau diejenigen, die von der Verschärfung der Voraussetzungen für die EU- und BU-Anspruchsberechtigung betroffen werden können, gehören zu den ohnehin in dieser Gesellschaft benachteiligten Personengruppen. Dazu zähle ich in diesem Fall allerdings weniger die Beamten als die Frauen. In erster Linie sind es wiederum Frauen, die von unsozialen Sparmaßnahmen betroffen sind, Frauen, die ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Kindererziehung aufgegeben haben — Kindererziehung ist nicht nach einem Jahr abgeschlossen, wie Sie sicherlich wissen —, Frauen, die ihre fehlende Berufspraxis bei einer Wiederbewerbung auf dem Erwerbstätigkeitsmarkt nicht durch 10-, 15- oder 20jährige Familienarbeit aufwerten können.
Ich möchte hier auch daran erinnern, daß zwei Drittel aller alleinerziehenden Mütter Sozialhilfempfängerinnen sind. Vielleicht erzählen Sie denjenigen einmal, wie Sie von 350 DM Sozialhilfe den monatlichen Mindestbeitrag zur Rentenversicherung von nunmehr 87 DM aufbringen sollen. All diese Frauen sind durch die gesellschaftlichen Verhältnisse und durch vorgegebene Rollenmuster, die Frauen einseitig die Arbeit im Haushalt und für die Kindererziehung übertragen, erwerbsunfähig gemacht worden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine weitere Gruppe, die von dem Anspruch auf Erwerbsunfähigkeits- und Berufsunfähigkeitsrente ausgegrenzt wird, sind z. B. Gefangene. Gefangene sind von dieser Neuregelung ebenfalls in besonderem Maße betroffen. Denn die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes über Kranken- und Rentenversicherung werden aus Kostengründen nicht realisiert, und die Haftzeit wird weder als Ersatz- noch als Ausfallzeit angerechnet. Bei einem Eintritt von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit in oder bald nach der Haftzeit würde sich nach dem neuen Recht kein Anspruch mehr ergeben, da Häftlinge ebenfalls nur schwer in der Lage sein dürften, die freiwilligen Monatsbeiträge aufzubringen. Wie auch andere im Haushaltsbegleitgesetz beschlossene Sparmaßnahmen im sozialen Bereich trifft also auch die hier angesprochene Maßnahme in erster Linie Frauen und die sozial Schwachen in dieser Gesellschaft. Daher haben die GRÜNEN im Ausschuß diese soziale Ungerechtigkeit abgelehnt, und zwar mit Recht, wie sich jetzt zeigt.
Wir fordern die Bundesregierung daher auf, die Petition ernst und zum Anlaß zu nehmen, entsprechend die Voraussetzungen für den Bezug von Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente auf den gesetzlichen Stand vor Inkrafttreten des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 zurückzuführen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Darüber hinaus möchte ich noch einmal zu bedenken geben, daß mit einer ordentlichen Erhöhung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung die Neuregelung zumindest aus finanziellen Gründen nicht erforderlich gewesen wäre.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011436100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jagoda.

Bernhard Jagoda (CDU):
Rede ID: ID1011436200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Petition ist von der Opposition als Vehikel genutzt worden, um hier eine sozialpolitische Debatte mit Fünfminutenbeiträgen zu führen. Das ist mehr als mißlungen. Der Herr Kollege Hansen hat hier vom „Abbruchunternehmen" geredet.

(Hansen [Hamburg] [SPD]: Das mögen Sie nicht hören!)

Nun, Herr Kollege Hansen, wenn ich mir so ansehe, was Sie alles hinterlassen haben, so war da nicht mehr viel abzubrechen. Wir mußten anfangen, wieder aufzubauen. Das war unsere Schwierigkeit gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen wäre es vielleicht richtiger, die Beiträge in der sozialpolitischen Debatte nicht auf fünf Minuten zu beschränken.

(Kischner [SPD]: Morgen haben wir noch sehr viel Zeit, aber heute haben wir keine Zeit!)

Das Problem haben wir doch sehr ausführlich diskutiert. Es wird nicht dadurch besser, wenn Sie dazwischenrufen, Herr Kollege Kirschner.

(Kischner [SPD]: Morgen haben wir sehr viel Zeit!)

— Morgen können Sie sich doch melden.
Wir haben 1982 einen großen Handlungsbedarf vorgefunden. Wenn es wie bei Ihnen weitergegangen wäre, dann hätte im August 1983 die Rente nicht mehr bezahlt werden können.

(Kischner [SPD]: Im Dezember haben Sie die Renten auf Pump bezahlt!)

Dann hätten Sie nicht mehr über Zugangsvoraussetzungen reden müssen, sondern darüber, wieviel den Leuten hätte weggenommen werden müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Nickels [GRÜNE]: Führen Sie doch einmal die Neidsteuer ein, Herr Jagoda!)

Im Jahre 1982 — das sind Zahlen, verehrte Frau Kollegin Nickels — hatten wir in unserer Republik einen Zugang von 630 000 Rentenfällen, davon 51,4% wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit.

(Hansen [Hamburg] [SPD]: Warum wohl?)




Jagoda
— Nun lassen Sie mich doch einmal ausreden. Ich habe Ihnen doch auch zugehört, Herr Kollege Hansen. — Davon waren 24 % der Männer und 56 % der Frauen in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung nicht mehr beschäftigt. Wenn Sie also an dem Grundsatz festhalten, daß Rente Lohnersatzfunktion hat, dann müssen Sie mir einmal die Frage beantworten, wo denn der Lohn in diesen letzten fünf Jahren geblieben ist und wo Sie die Ersatzfunktion sehen? Ihre Auffassung hierzu ist mit Sicherheit nicht richtig.
Wir haben den Zugang neu geregelt. Ich will gar nicht bestreiten, daß es bei diesen Neuregelungen auch Schwierigkeiten gibt. Nur, Herr Kollege Hansen, wenn Sie den Feuerwehrkameraden ansprechen, der in Ruhestand geht, weil er erwerbsunfähig geworden ist, so muß ich Ihnen sagen, daß sich hier eine Aufgabe stellt, die Sie im Beamtenrecht und nicht in der Rentenversicherung lösen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wo kämen wir denn sonst hin, meine Damen und Herren? Rente ist nach Art. 14 des Grundgesetzes Eigentum. Die Rente wird voll ausgezahlt.

(Abg. Hansen [Hamburg] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Nein, ich habe nur fünf Minuten. Das müssen Sie verstehen. Ich würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage gestatten, wenn der Präsident mir etwas Zeit zugeben würde.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Legen Sie doch einmal Zeit zu, Herr Präsident! — Hansen [Hamburg] [SPD]: Das hat Herr Zimmermann doch abgelehnt!)

— Moment, Herr Hansen! Lassen Sie mich doch einmal aussprechen. Seien Sie doch einmal fair miteinander. Im Ausschuß bin ich Ihnen doch entgegengekommen. Da haben wir doch gut miteinander verhandelt.
Ich will Ihnen den Tatbestand, so wie er sich heute darstellt, einmal schildern. Der Torfstecher in Norddeutschland, der Bauarbeiter in Süddeutschland zahlen heute Rentenbeiträge, damit Rente an Beamte gezahlt wird und der Dienstherr daraufhin die Pension kürzen kann. Dafür ist doch die Rentenversicherung nicht da. Solange dies so ist, können Sie es nur im Beamtenrecht und nicht im Rentenrecht ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Dann ändern Sie doch einmal!)

— Selbstverständlich. Wir sind doch dabei. Haben Sie heute morgen die Diskussion nicht mitbekommen?

(Zuruf von der SPD: Ihr seid dran, aber ihr ändert nicht!)

Nächster Punkt. Sie führen hier die Hausfrau vor.

(Kirschner [SPD]: Wir führen hier keine Hausfrauen vor!)

Wir haben die Übergangsregelung erweitert, wir haben die Wartezeit für das Altersruhegeld auf 60 Beitragsmonate gesenkt. Ich kann Ihnen Damen in meinem Wahlkreis zeigen, die 65 Jahre alt geworden sind und keinen Anspruch auf Altersruhegeld haben, weil sie die 15 Versicherungsjahre nicht nachweisen können. Jetzt haben sie aber einen Anspruch — den haben wir durchgesetzt —, der vorher nicht dagewesen ist. Wir haben Kindererziehungszeiten zur Verfügung gestellt in unserem Berechnungsbeispiel.

(Kirschner [SPD]: Gehen Sie doch mal auf das Problem ein! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Wissen Sie, Herr Kollege Kirschner, Sie können mir viel unterstellen. Beantragen Sie für mich Redezeit, dann bin ich bereit, hier mit Ihnen ausführlich zu diskutieren, wie ich das auch im Ausschuß mache. Ich halte es für etwas unfair, einen Streit vom Zaun zu brechen, einem fünf Minuten zuzubilligen und dann eine Vorlesung von drei Stunden zu erwarten. Das ist mit Sicherheit nicht möglich.

(Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, meine Zeit ist leider abgelaufen. — Wir werden bei unserer Entscheidung bleiben, weil wir der Auffassung sind, daß diese grundsätzliche Reform richtig ist, weil sie in der Rentenversicherung nicht finanziert werden kann, wenn wir Ihrem Votum nachgeben. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen, daß es den Rentnern draußen überhaupt nicht hilft, wenn solche Anträge in fünf Minuten behandelt werden. Handeln Sie das morgen aus. Das ist nur Wadenbeißerei, was Sie hier betreiben. Ich verstehe das j a. Ich war zehn Jahre lang Oppositionsabgeordneter im Landtag und zwei Jahre lang hier. Ich kenne doch Ihre Empfindungen. Ich nehme Ihnen das auch gar nicht übel. Wenn Sie wirklich sozialpolitische Beiträge bringen wollen, dann diskutieren Sie mit uns im Ausschuß, diskutieren Sie mit uns im Plenum, wenn wir mehr Zeit dazu haben, aber mißbrauchen Sie das gute Verhältnis im Petitionsausschuß nicht, und brechen Sie hier nicht solche Spektakel vom Zaun!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1011436300
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2733 abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist somit abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, den in der Sammelübersicht 58 enthaltenen Antrag anzunehmen, zu folgen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist damit angenommen.



Vizepräsident Cronenberg
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Fernmeldevertrag vom 6. November 1982
— Drucksache 10/2119 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen (15. Ausschuß)

— Drucksache 10/2575 —
Berichterstatter: Abgeordneter Berschkeit

(Erste Beratung 94. Sitzung)

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist damit angenommen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 28. Januar 1981 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten
— Drucksache 10/2118 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 10/2593 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Wernitz Fischer (Frankfurt)

Dr. Blank
Dr. Hirsch

(Erste Beratung 94. Sitzung)

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes
— Drucksache 10/864 — a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 10/2625 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schroeder (Freiburg)

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/2737 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek (Duisburg) Dr. Hackel

(Erste Beratung 47. Sitzung)

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Das ist offensichtlich nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Wenn ich es richtig sehe, ist das Gesetz einstimmig angenommen worden.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 25. Mai 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich auf dem Gebiet des Konkurs- und Vergleichs(Ausgleichs-)rechts
— Drucksache 10/1627 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 10/2682 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Bachmaier Eylmann

(Erste Beratung 76. Sitzung)

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zum deutschösterreichischen Konkursvertrag (DtöKoVtr AG)

— Drucksache 10/1628 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

Berichterstatter:
Abgeordnete Bachmaier Eylmann

(Erste Beratung 76. Sitzung)

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aus-



Vizepräsident Cronenberg
sprache gewünscht? — Das ist jedenfalls nicht der Fall.

(AusgleichsWir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über die Vorlage unter Punkt 15 b der Tagesordnung, über den Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum deutsch-österreichischen Konkursvertrag auf Drucksache 10/1628. Ich rufe die §§ 1 bis 29, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist das Gesetz einstimmig angenommen worden. Ich rufe die Punkte 16 bis 18 der Tagesordnung auf: 16. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Windenergie — Drucksache 10/2255 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes vom 10. Februar 1976 zu dem Übereinkommen vom 2. Dezember 1972 über sichere Container — Drucksache 10/2595 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr 18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Rom am 28. November 1979 angenommenen Fassung des Internationalen Pflanzenschutzübereinkommens — Drucksache 10/1921 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/2255, 10/2595 und 10/1921 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nunmehr die Punkte 19 und 20 der Tagesordnung auf: 19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für das Postund Fernmeldewesen Vorschlag für eine Mitteilung der Kommission an den Rat betreffend Telekommunikation — Aktionslinien — zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften — Fernmeldewesen — — Drucksachen 10/874, 10/500, 10/2212 — Berichterstatter: Abgeordneter Kretkowski 20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der steuerlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Übertragung von Unternehmensverlusten — Drucksachen 10/2076 Nr. 12, 10/2594 — Berichterstatter: Abgeordneter Rapp Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Die Beschlußempfehlungen sind von den Ausschüssen einmütig gefaßt worden. Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. (Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Wieso? — Zuruf von der SPD: Widerspruch!)

— Ja.

(Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Die Punkte 19 und 20 gemeinsam? Das sind doch ganz verschiedene Sachen!)

— Es sind die Drucksachen 10/2212 und 10/2594. Wenn Einzelabstimmung gewünscht wird, möchte ich darauf eingehen.
Ich lasse zunächst über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/2212 abstimmen. Wer ihr zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.



Vizepräsident Cronenberg
Ich lasse nunmehr über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/2594 abstimmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 11 13 Tit. 656 03 — Zuschuß des Bundes an die knappschaftliche Rentenversicherung -
- Drucksachen 10/2288, 10/2571 —
Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. Friedmann
Frau Seiler-Albring Verheyen (Bielefeld)

Wird das Wort von den Berichterstattern gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/2571, von der Unterrichtung auf Drucksache 10/2288 Kenntnis zu nehmen. Erhebt sich gegen dieses Verfahren Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung angekommen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 18. Januar 1985, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.